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Full text of "Zeitschrift für Kirchengeschichte"

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Zeitschrift  für 

Kirchengesc. 


Theodor  Brieger, 

Bernhard  Bess, 
Gesellschaft  für . 


CT*.  /S'O.JLO 

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ftarbarti  Collrge  lübrarg 

FROM  THE  BF.QJ  EST  OF 

JAMES  WALKER,  D.D.,  LL.D., 

(Class  of  1814), 

FORMER  PRESIDENT  OF  HARVARD  tOLLhf.E  \ 

"  Preference  bcing  given  to  works  in  tho 
Intellectual  and  Moral  Sciences." 


ä/dctoJSyA  /s?l 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

KIRCHENGESCHICHTR 

XVII. 


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ZEITSCHRIFT 

FÜR 

KIRCHENGESCHICHTE. 

HERAUSGEGEBEN 
vnw 

D.  THEODOR  BRIEGER  od  Lic.  BERNHARD  BESS. 
XVII.  Band. 


GOTHA. 

FRIEDRICH  ANDREAS  PERT: 
1897. 


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Inhalt. 


Erstes  und  zweites  Heft. 

(Ausgegeben  den  1.  August  1896.) 

Seit« 

Untersuchungen  und  Essays: 

1.  Seeck,  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Nicaniseheu 


Konzils  T  1 

2.  Pricsack,  Zur  Sachscuhäuser  Appellation  Ludwigs  des 
Bayern   72 

3.  Schröder,  Die  Tänzer  von  Kölbigk   94 

4.  Brieger,  Kritische  Erörterungen  zur  neuen  Luther- Aus- 
gabe II  (zweite  Abteil.).  III   1Ü5 


Analekten : 

1.  lrritzsche,  Uber  Bachiarius  und  Peregrinus     ....  211 

2.  Seebaß,  Regula  coenobialis  S.  Columbani  abbatis    .    .  215 

3.  Tschackert,  Die  angeblich  Aillische  Schrift  „Determi- 
natio  pro  quietatioae  copscientiae  supplicium"  —  ein 


Werk  Gersons   234 

4.  Bossert,  Sangerhausen  in  dem  Brief  Luthers  vom  Ii).  No- 
vember 1521    245 

5.  Meyer,  Wiedertäufer  in  Schwaben   248 


6.  Kolde,  Über  einen  römischen  Reunionsversuch  vom  Jahre 


Nachrichten : 

1.  Haupt,  Inquisition,  Aberglauben«  Ketzer  und  Sekten 

des  Mittelalters  (einschliefslich  Wiedertäufer)  II .    .    .  270 

2.  Kawerau,  Kolde  u.  a.,  Reformatiousgeschichtliches  .    .  288 


VI 


INHALT 


Drittes  Heft. 

(Ausgegeben  den  15.  Oktober  1896.) 

Untersuchungen  und  Essays: 

Seit« 

1.  Steckj  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Nicänischen 
Konzils  (Fortsetzung  und  Schlufs)  319 

2.  Schulz,  Peter  von  Murrhone  als  Papst  Cölestin  V. 

(I.  Teil)  363 

Analekten : 

1.  Albrecht,  Studien  zu  Luthers  Sendschreiben  an  die 
Christen  zu  Riga  und  in  Lief  land  vom  Jahre  1524     .  398 

2.  Tschackert ,  Nachträge  zur  preußischen  Reformations- 
geschichte  410 

Nachrichten: 

1.  Tschackert,  Zur  neuesten  Kirchengeschichte    ....  414 

2.  Wilkens,  Englisches  437 

3.  Wilkens,  Französisches  462 


Viertes  Heft 

(Ausgegeben  den  15.  Januar  1897.) 

Untersuchungen  und  Essays: 

1.  Schulz,  Peter  von  Murrhone  als  Papst  Cölestin  V. 
(Schlufs)  477 

Analekten : 

1.  von  der  Goltz,  Bibliographische  Studien  zur  Geschichte 
der  ältesten  Ausgaben  von  D.  Mart.  Luthers  kleinem 
Katechismus  508 

Nachrichten: 

1.  Wükens,  Französisches  (Fortsetzung  und  Schlufs)  .    .  522 

2.  Hubert  u.  a.,  Italienisches  554 

3.  Wilkens,  Spanisches  566 


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INHALT.  VII 


4.  Meyer  u.  a.,  Griechische  Kirche  

3<Mto 

583 

5.  Arnold,  Premchen  u.  a.,  Zur  alten  Kirchengeschichte  . 

594 

6.  Jficker  u.  a.,  Zur  mittelalterlichen  Kirchengeschichte  . 

633 

Register: 

I.  Verzeichnis  der  abgedruckten  Quellenstücke  .... 

653 

653 

III.  Sach-  imd  Namenregister 


655 


Ausgegeben  deu  X-Angrtse  -  UBü. 


AUG  21  1896 

ZEITSCHRIFT 


FÜR 


KIRCHENGESCHICHTE. 


HKiiArs<;r.«;K.HKN  von 


D.  THEODOR  BRIEGER, 

(•KUKNII.  l'Ki'FKKWOK  I>KK  K  IHC'HKN'IKM'llICilTK  AN   UfH  I  SiUKMOl    I  KlfZIO. 


UNK 


P      Lie.  BERNHARD  BESS, 

7\  K  ZHT  llOl  MAKHKITKR  AN  l>KK  K<1L.  l'NIVÄIWITÄTSHIHI  lOTHRK  ZU  OOTTJWUKN. 


XVII.  Band,  L2.  Heft. 


GOTHA. 

FRIEDRICH   ANDREAS  PERTHES. 
1896. 


Die  Hefte  der  „Zeitschrift  für  Kirchengeschichte'*  erscheinen 

zu  Beginn  eines  jeden  Quartals. 


Mitteilung  der  Redaktion. 

Die  geehrten  Herren  Mitarbeiter  werden  gebeten,  hinfort  in 
der  Regel  ihre  Manuskripte  an  den  aweiten  Redakteur  zu  senden. 

Auch  sei  darauf  hingewiesen,  dafs  mit  dem  Wegfall  der  Nach- 
richten vom  nächsten  Jahrgang  ab  ein  bedeutend  schnellerer  Ab- 
druck der  eingesandten  Beitrage  erfolgen  wird. 

Die  Nachrichten  werden  durch  eine  Bibliographie  ersetzt 
werden. 


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Untersuchungen 
zur  Geschichte  des  Niciinischen  Konzils. 

Von 

Otto  Seeck  in  Greifswald. 


Eine  Geschichte  des  Arianismus,  die  wirklich  diesen 
Namen  verdiente,  ist  noch  nicht  geschrieben  und  kann  auch 
gar  nicht  geschrieben  werden,  ehe  wenigstens  die  wichtigsten 
Vorfragen  beantwortet  sind.  Denn  weder  hat  man  das 
gegenseitige  Verhältnis  der  Quellen  genügend  untersucht, 
noch  die  zahlreichen  Fälschungen  ausgesondert,  noch  die 
Chronologie  der  Ereignisse  systematisch  festgestellt;  kurz  mit 
Ausnahme  der  dogmatischen  Erörterung,  die  mehr  als  zur 
Genüge  hin  und  her  gewendet  ist,  bleibt  noch  alles  zu 
thun  *.  Diese  traurige  Lücke  der  kirchengeschichtlichen 
Forschung  vollständig  auszufüllen,  habe  ich  weder  Zeit  noch 
Beruf.  Aber  auch  der  weltliche  Historiker  sieht  sich  immer 
wieder  gezwungen,  seinen  Blick  auf  einen  Gegenstand  zu 
richten,  der  die  Schicksale  des  römischen  Reiches  und  seiner 
germanischen  Eroberer  oft  entscheidend  beeinflufst  hat,  und 
mufs  zuletzt  die  Arbeit,  die  er  gern  aus  den  Händen  des 
Theologen  fertig  empfangen  hätte,  weil  es  nicht  anders  geht, 
selber  thun.  So  teile  ich  denn  hier  einiges  mit,  was  ich 
über  die  ältesten  Zeiten  des  Arianismus  erforscht  zu  haben 


1)  Auch  die  neueste  Arbeit  von  C.  A.  Bernnulli  (Das  Konzil  von 
Nicäa.  Freiburg  1896)  hat  unsere  Kenntnis  nicht  um  einen  Schritt 
weitergeführt. 

ZeiUchr.  f.  K.-G.  XVII.  H  l.  1 


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'1 


SEECK, 


glaube.  Der  dograengeschiehtlichen  Beurteilung  der  hierher- 
gehörigen Unterscheidungslehren  fühle  ich  mich  nicht  ge- 
wachsen und  kann  sie  um  so  mehr  aus  dem  Spiele  lassen, 
als  gerade  auf  diesem  Gebiete,  wie  schon  gesagt,  unsere 
Kenntnis  am  weitesten  vorgeschritten  ist.  Ich  beschränke 
mich  daher  ganz  auf  die  Feststellung  des  Thatsächlichen, 
und  was  damit  untrennbar  zusammenhängt,  die  Quellenkritik. 
Was  ich  in  dieser  Beziehung  Neues  bieten  kann,  werden 
zunächst  zerstreute  Einzelheiten  sein;  erst  ganz  am  Schlüsse 
hoffe  ich  das  Material  soweit  zubereitet  zu  haben,  um  we- 
nigstens für  die  erste  Phase  des  Kampfes  eine  zusammen- 
hängende Darstellung  versuchen  zu  können. 

1. 

Nachdem  Eusebius  von  Cäsarea  die  Besiegung  des  Li- 
cinius  und  die  Edikte  Konstantins,  durch  die  er  der  ver- 
folgten Kirche  den  Frieden  zurückgab,  erörtert  hat,  beginnt 
er  seine  Erzählung  des  arianischen  Streites  in  folgender 
Weise  (V.  C.  II,  61):  „Als  der  Kaiser  hierüber  fröhlich 
war,  verbreitete  sich  ein  Gerücht  von  einer  nicht  geringen 
Verwirrung,  welche  die  Kirchen  trennte,  und  da  es  zu  seinen 
Ohren  kam,  sann  er  auf  Heilung.  Es  war  aber  derart. 
Während  sich  das  Volk  Gottes  stolz  der  Thaten  seiner  Edlen 
rühmte  und  keine  Furcht  von  aufsen  her  es  erregte,  so  dafs 
ein  herrlicher  und  tiefer  Frieden  allüberall  die  Kirche  durch 
Gottes  Gnade  umgab,  lauerte  der  Neid  des  Bösen  auf  unser 
Glück,  indem  er  sich  in  das  Innere  der  Gemeinde  einschlich 
und  mitten  in  den  Scharen  der  Heiligen  selbst  sein  Spiel 
trieb.  Er  trieb  nämlich  die  Bischöfe  zum  Kampf,  indem  er 
einen  Aufstand  des  Zankes  zwischen  sie  warf  unter  dem 
Vorwande  göttlicher  Dogmen,  und  bald  entzündete  sich, 
gleichwie  aus  kleinem  Funken,  ein  grofses  Feuer."  Besäfsen 
wir  keine  anderen  Quellen,  so  müfsten  wir  hiernach  meinen, 
der  arianische  Streit  habe  erst  unter  der  Alleinherrschaft 
Konstantins  begonnen,  und  so  haben  die  Fortsetzer  der  Eu- 
sebianischen  Kirchengeschichte,  die  alle  die  vita  Constantini 
in  erster  Linie  lasen  und  benutzten,  die  Sache  thateächlich 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


3 


aufgefaßt.  Rufinus,  Sokrates,  Sozomenus,  Theodoret  sind 
darin  einig,  schon  den  ersten  Anfang  der  Kontroverse  erst 
nach  den  Sieg  über  Licinius  zu  setzen.  Nun  hat  die  Schlacht 
bei  Chrysopolis,  welche  den  Krieg  der  beiden  Mitregenten 
entschied,  erst  am  18.  September  324  stattgefunden  *,  und 
schon  am  20.  Mai  325  ist  das  Konzil  von  Nicäa  eröffnet 
worden.  Die  acht  Monate,  welche  dazwischen  liegen,  ge- 
nügen kaum  für  die  Versendung  der  Einladung  an  alle 
Bischöfe  des  römischen  Reiches  und  die  zum  Teil  sehr  weiten 
Reisen,  die  sie  zum  Orte  der  Versammlung  zurückzulegen 
hatten,  geschweige  denn  für  die  zahlreichen  Verhandlungen 
und  Synoden,  die  schon  vorher  in  dieser  Sache  statt- 
gefunden hatten.  Dafs  Eusebius  Falsches  berichtet,  ist  also 
sicher,  und  ebenso  dafs  er  es  wissentlich  thut.  Denn  ein 
Mann,  der  in  den  kirchlichen  Kämpfen  dieser  Zeit  eine  so 
bedeutsame  Rolle  gespielt  hatte,  konnte  unmöglich  schon 
nach  etwa  fünfzehn  Jahren  vergessen  haben,  dafs  der  aria- 
nische  Streit  mit  der  Christenverfolgung  des  Licinius  zu- 
sammenfiel und  schon  lange  vor  derselben  begonnen  hatte. 

Wenn  man  hieraus  mit  Fug  und  Recht  wird  schliefsen 
können,  dafs  die  Arianer,  deren  Standpunkt  ja  Eusebius 
vertritt,  in  jener  Frühzeit  ihrer  Sekte  irgendetwas  zu  ver- 
tuschen hatten,  so  wiederholt  sich  das  Gleiche  merkwürdiger- 
weise auch  bei  der  Gegenpartei.  So  gerne  sich  Athanasius 
in  historischen  Rückblicken  ergeht,  über  die  Anfänge  des 
Arianismus  vor  dem  ökumenischen  Konzil  beobachtet  er 
immer  das  tiefste  Stillschweigen.  In  der  Apologia  contra 
Arianos  (58)  erklärt  er,  er  wolle  seinen  ganzen  Kampf  von 
dem  ersten  Beginn  erzählen  (avio&ev  OQxfjg  diriytjaao^ai 
tö  TtQäypa),  und  greift  dann  auch  wirklich  weit  ausholend 
bis  auf  den  Episkopat  des  Petrus  zurück;  aber  was  er  be- 
richtet, handelt  fast  ausschliefslich  von  den  Meletianern,  die 
sonst  bei  ihm  nur  als  untergeordnetes  Anhängsel  der  Arianer 
erscheinen;  über  diese  selbst  geht  er  mit  den  Worten  hin- 
weg: taCra  di  nqatzovtog  io€  Mekixiov  ytyove  Aai  t)  ^Qetavrj 


1)  Seeck,  Die  Zeitfolge  der  Gesetze  Konstantins.  Zeitschr.  d. 
Savigny- Stiftung,  Rom.  Abt.  X,  S.  188. 

1* 


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4  SEECK, 

affpoig*  all*  iv  avvtöq  %ft  %axd  Nixaiav  i)  fiiv  atgeaig 
äve&etiOTiofhi,  x<u  ol  'AQetavoi  i^eßbj^aav.  Kein  Wort 
darüber,  wie  die  Ketzerei  entstand  und  wie  sie  sieh  zuerst 
ausbreitete !  Dies  ist  um  so  auffälliger,  als  Athanasius  wäh- 
rend dieser  ganzen  Zeit  sich  in  Alexandria  aufhielt,  also 
sämtliche  Phasen  des  Kampfes  miterlebt,  bei  den  meisten 
sich  als  Mitglied  des  alexandrinischen  Klerus  sogar  persön- 
lich beteiligt  haben  mufs.  Dafs  ihm  der  Beginn  desselben, 
der  ganz  Ägypten  und  Syrien  in  wilde  Aufregung  versetzte, 
ohne  alles  Interesse  für  seine  Leser  erschienen  sei,  läfst  sich 
danach  kaum  annehmen.  Wie  erklärt  sich  also  diese  sonder- 
bare Ubereinstimmung  beider  Parteien  im  Totschweigen 
jener  ersten  Ereignisse? 

Gelasius  Kyzikenus  1  hat  uns  einen  Brief  Konstantins  an 
die  Gemeinde  von  Nikomedia  erhalten,  von  dem  auch  Theo- 
doret  ein  Bruchstück  in  seine  Kirchengeschichte  (I,  19) 
aufgenommen  hat  und  der  dem  Sokrates  (I,  9,  65)  gleich- 
falls bekannt  war.  Die  Urkunde  ist  also  nicht  schlecht  be- 
glaubigt; dafs  sie  echt  sei,  glaube  ich  trotzdem  nicht,  aber 
auch  als  Fälschung  behält  sie  einigen  Quellen  wert,  weil  sie 
jedenfalls  von  einem  Manne  herrührt,  der  das  Nicänische 
Konzil  noch  erlebt  hatte  und  mit  den  damaligen  Zeitverhält- 
nissen genau  vertraut  war.  Nachdem  hier  im  Anfang  die 
arianische  Lehre  scharf  getadelt  ist,  heifst  es  weiter:  ixem'w, 
xig  HJttv  ö  zavia  diödSag  ol'xiog  av.aY.ov  7tkföog;  Evatßiog 
drikadrj  6  xftg  xiQavviy.S]g  w^ü'nfros  av^vair^g.  bxi  ydq  nav- 
xayoVi  xof)  xvQavvov  yeytvrpai  TtQOOcpv^,  7coX)*a,xi6$Ev  toxi 
avvOQcjv.  xotro  utv  ydg  al  xd)v  zjz  10*67  tiov  oyayai  dia- 
(AaqivQOvtai ,  dlld  xuv  dly&Gg  IniüvMmav.  xoVto  de  f} 
Xalemozdiri  xGtv  XQiaxiavQv  UduoSig  diafärjörp  ßoq.  ovöiv 
yaQ  7itqi  xQv  dg  i/ni  yeyevr^tviov  VßQecov  vtv  i(>(5,  dt*  Hjv 
bxi  tidXioxa  al  x&v  evaviuov  (.ibqOv  hcQayfiaxevoavxo  ow- 
ÖQO^ai.  olxog  xat  dcpdaX^ovg  'Aaxao*Q7tovg  I'7t67cefi7ze  xar' 
l/io£  xett  fiövov  oi'x  ivo7cXovg  xCt  xtgawui  aweiai(f€Qev  fotovQ- 
yiag.  juijde  fit  xig  otto&io  tivat  rrqbg  xrp  xovxuv  a7i66ei^iv 
ärtaQdo-Mvov.    tleyxog  yaQ  ioxiv  dy.Qißi)g,  oxi  xoig  7tQtoßv- 


1)  Act.  Coac.  Nie.  III  bei  Mansi,  S.  One.  collect.  II,  p.  939. 


DAS  N1CÄNISCHE  KONZIL.  5 

TtQOvg  Aal  diaxovovg  toig  EiOEßiy  7taQa7cef.t7iOfttvovg  yaveg&g 
iri  ifioV  GvvuXfff&ai  avvtozip.&.  Der  Bischof  von  Niko- 
media  wird  hier  als  ein  so  treuer  Anhänger  des  gestürzten 
Tyrannen  gebrandmarkt,  dafs  er  sogar  seine  Presbyter  und 
Diakonen  zu  Spionendiensten  für  Licinius  mifsbrauchte; 
selbst  an  der  Christenverfolgung  soll  er  mitschuldig  gewesen 
sein.  Da  nun  Eusebius  bekanntlich  eine  der  Hauptstützen 
der  arianischen  Partei  war,  mufs  man  hiernach  annehmen, 
dafs  auch  Licinius  für  sie  eingetreten  ist ;  ja  wenn  es  heifst, 
nur  diejenigen  Bischöfe  seien  von  seinen  Morden  betroffen 
worden,  die  in  Wahrheit  Bischöfe  waren,  so  wird  sich 
dies  kaum  anders  deuten  lassen,  als  dafs  die  Verfolgung 
sich  nur  gegen  die  orthodoxe  Geistlichkeit,  nicht  auch  gegen 
die  arianische  wandte.  Ist  dies  richtig,  so  wird  man  es 
wohl  begreifen,  warum  der  arianische  Kirchenhistoriker  die 
Zeit  des  Licinius  in  Vergessenheit  zu  begraben  sucht  und 
zu  diesem  Zwecke  selbst  vor  der  offenkundigen  Lüge  nicht 
zurückscheut,  das  Schisma  habe  erst  nach  dem  Sturze  des- 
selben begonnen.  Denn  die  Gemeinschaft  des  Christen- 
verfolgers  konnte  seiner  Partei  wahrlich  nicht  zur  Ehre  ge- 
reichen. 

Das  Zeugnis  jenes  Briefes  könnte  vielleicht  zweifelhaft 
scheinen,  wenn  nicht  auch  andere  Quellen  es  unterstützten. 
Hieronymus  schreibt  (epist.  133,  4):  Arius,  ut  orbem  deci- 
peret,  sororem  prineipis  ante  deeepit.  Wurde  die  Schwester 
Konstantins  vor  der  übrigen  Welt  betrogen,  so  mufs  ihr 
Verhältnis  zu  Arius  in  die  erste  Zeit  seiner  Wirksamkeit 
fallen.  Dazu  pafst  es,  dafs  wir  sie  schon  auf  dem  Nicänischen 
Konzil  als  Schützerin  und  Beraterin  der  Arianer  geschäftig 
rinden  l,  und  dafs  sie  im  Briefwechsel  mit  Eusebius  von  Cä- 
sarea  stand  *.  In  jener  Zeit  aber  war  Constantia  nicht  nur 
die  Schwester,  sondern  auch  die  Gattin  eines  Kaisers,  näm- 
lich des  Licinius.  Wenn  sie  also  die  Ausbreitung  der 
Ketzerei  so  wirksam  forderte,  wie  dies  Hieronymus  andeutet, 
so  heifst  dies,  dafs  Arius  am  Hofe  von  Nikomedia  ausgiebige 


1)  Philost.  I,  9. 

2)  Mansi,  Conciliorum  collectio  XIII,  p.  313. 


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6 


Unterstützung  fand.  Wie  sollte  es  auch  anders  sein,  da  der 
Einflufs  jenes  Eusebius,  der  sein  eifrigster  Parteigänger  war, 
nicht  nur  durch  jenen  unechten  Brief,  sondern  auch  durch 
Sozomenus  1  beglaubigt  ist ,  dessen  hohen  Quellenwert  wir 
später  noch  kennen  lernen  werden. 

Noch  beweiskräftiger  als  dies  alles  ist  die  Autorität  der 
ältesten  Urkunde,  die  uns  über  den  Streit  erhalten  ist;  ich 
meine  den  Brief  des  Alexander  von  Alexandria  an  den 
gleichnamigen  Bischof  von  Byzanz 2.  Er  ist  geschrieben, 
als  die  Kirche  Frieden  hatte  *,  d.  h.  nach  dem  Sturze  des 
Maximinus  Daja  (313)  und  vor  dem  Beginn  der  liciniani- 
schen  Verfolgung  (321)  4.  Genauer  läfst  sich  das  Jahr  nicht 
bestimmen,  doch  ist  das  Schriftstück  jedenfalls  früher  als 
irgendeine  der  zahlreichen  Synoden,  die  in  dieser  Sache  ge- 
tagt haben.  Denn  Alexander  beruft  sich  nur  auf  die  schrift- 
liche Zustimmung  der  orientalischen  Bischöfe 5,  nicht  auf 
einen  Synodalbeschlufs,  wie  er  es  zweifellos  thun  würde, 
wenn  ein  solcher  schon  vorläge.  In  diesem  Briefe  nun 
spricht  der  Schreiber  es  deutlich  aus,  dafs  er  ein  Eingreifen 
der  Staatsgewalt  zugunsten  des  Arius  erwartet  und  sich  zum 
Widerstande  bereit  macht     Einflufsreiche  Frauen,  wahr- 


1)  I,  15:  iv  toig  ßaaiXitois  rtjtfit\fx(vov. 

2)  Theodor,  h.  e.  I,  4. 

3)  59:  rovg  <fia>y/u6v  iytiv  tv  tlQ^vy  tö  Saov  tu*  aviotg  tntyt(- 

{HtVTtS- 

4)  Über  die  Zeit  dieser  Verfolgung  s.  Seeck,  Geschichte  des 
Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  465. 

5)  59:  toltovs  anooTQayJvTts ,  ayanriroi  xal  öuotyvxoi  «<f«Ar/oi, 
av/uxpT}(foi  yCvta&t  xara  rijs  fxavutäovg  ainßv  toXfAttf  xa&'  6{AOi6jr\ja 
7(öv  ayavaxrtjodvrtov  ouXXtitovQyQv  jyjufih'  xctl  InuiTuXdvTutv  poi  x«r* 
aifxOv  xal  t£  to^^i  awvnoyQa\pdvrojv  —  roöro  plv  7idoi)$  Alyvnxov 
xal  Qijßatöos,  toöto  <ft  Atßvrjs  rt  xal  nivxanoXtoyg  xal  Iip/«f  xal 
hl  Avxiag  xal  IJa^ifvXtag,  *Aa(ag,  Kannatioxlus  xal  iQv  äXXatv  ntQi- 
XtoQtov'  c5v  xa&'  dfiowTTjra  xal  71uq'  ifxOv  ti(l;ao9ai  n(noi9a.  Der 
r6fAoq,  welchen  die  Bischöfe  zum  Teil  mitunterschrieben  haben,  zum 
Teil  noch  unterschreiben  sollen ,  ist  nichts  anderes  als  der  vorliegende 
Brief.  Denn  dieser  war  nicht  an  Alexander  allein  gerichtet,  sondern 
ein  Rundschreiben  an  alle  gleichgesinnten  Bischöfe  des  Orients.  Dafs 
gerade  von  dem  nach  Byzanz  geschickten  Exemplar  sich  die  Abschrift 
erhalten  hat,  ist  nur  Zufall. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


7 


scheinlich  aus  der  Umgebung  der  Constantia,  haben  eine 
Klageschrift  (ivtvxia)  bei  den  weltlichen  Gerichten  gegen 
ihn  eingereicht1;  er  meint,  dafs  ihm  Verfolgung  drohe  *, 
und  gelobt  feierlich,  selbst  Marter  und  Tod,  wenn  es  sein 
müsse,  für  seine  Uberzeugung  auf  sich  zu  nehmen  9.  Diese 
Andeutungen  in  Verbindung  mit  den  oben  angeführten 
Stellen  zeigen  deutlich  genug,  welcher  Art  die  Thatsachen 
waren,  die  Eusebius  von  Cäsarea  lieber  nicht  der  Nachwelt 
überliefern  wollte. 

Aber  warum  schliefst  auch  Athanasius  sich  dieser  Heim- 
lichthuerei  an?  Man  sollte  doch  meinen,  die  orthodoxe 
Partei  müsse  sich  beeifert  haben,  den  Schleier  von  der  Ver- 
gangenheit zu  reilsen  und  den  Gegnern  ihr  Verhältnis  zu 
dem  Christenverfolger  recht  derb  unter  die  Nase  zu  reiben. 
Da  die  Beantwortung  dieser  Frage  ein  weiteres  Ausholen 
beansprucht,  müssen  wir  sie  dem  nächsten  Abschnitt  vor- 
behalten. 

3. 

Wie  Harnack  4  mit  Recht  hervorhebt,  wurde  Athanasius 
immer  nur  mit  persönlichen  Anklagen  bekämpft;  seinen 
Glauben  hat  man  niemals  angetastet.  Man  suchte  das  an- 
stöfsige  Wort  öfioovaioq  aus  dem  Bekenntnis  zu  beseitigen, 
da  es  unbiblisch  sei;  aber  den  Bischof  als  heterodox  zu 
verurteilen,  weil  er  daran  festhielt,  ist  auch  nicht  der  leiseste 
Versuch  gemacht  worden.  In  allen  den  zahlreichen  Synoden, 
bei  denen  die  Arianer  die  Oberhand  besafsen,  haben  sie  nie 
ein  Symbol  vorgeschlagen,  durch  welches  das  ty  Ute  ovy.  r)v 
oder  das  c£  o&t  ovxwv  oder  das  xriV/ia  xeu  Trotha  oder 
irgendein  anderes  ihrer  charakteristischen  Schlagwörter  zur 


1)  5:  xai  toüto  ulv  dixuartfota  ovyxooToüvTtg  Jt'  ivTv/Jag  ywai- 
xaQlwv  ardxjiav,  ii  TjnttrijOav. 

2)  59:  toüto  tfi  inl  6*ix(tarijQ{titv  inititixTiCiv  <filoTifjtovu£vovg,  Tovg 
dttoyfiov  ^fxiv  iv  tioqvy  tö  Saov  in*  avTOtg  iniyttgavrttg. 

3)  55:  TaöTu  Tijg  ixxXtjaiag  t«  inoOToltxa  6*6ykuaTa,  vnig  tbv  xai 
ttnoxhnjoxofitv  t(öv  ig"6[xvvo9tu  avra  ßut£of*tv(ov  ^ttov  nOfQOvrix&ng, 
(1  xtti  ö*ia  ßaottvtav  dva^äCovacv. 

4)  Lehrbuch  der  Dogmeogeschichte  II',  S.  236. 


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8 


SEECK, 


bindenden  Glaubensregel  hätte  werden  können,  sondern  im- 
mer waren  sie  auf  der  Suche  nach  Formeln,  die  auch  ihre 
Gegner,  ohne  der  eigenen  Überzeugung  etwas  zu  vergeben, 
annehmen  könnten.  Harnack  sieht  in  diesem  Verfahren  nur 
eine  Taktik  der  Verlegenheit;  Eusebius  und  seine  Genossen 
—  er  hätte,  wie  wir  sehen  werden,  auch  Arius  selbst  hin- 
zufügen können  —  hatten  ja  das  Nicänum  mit  unterschrieben ; 
sie  konnten  es  also  nicht  mehr  als  ketzerisch  brandmarken. 
Diese  Erklärung  wäre  sehr  ansprechend,  wenn  die  Arianer 
erst  nach  dem  ökumenischen  Konzil  jenen  Weg  eingeschlagen 
hätten;  aber  auch  ehe  sie  sich  durch  ihre  Unterschrift  die 
Hände  gebunden  hatten,  finden  wir  sie  genau  in  derselben 
Richtung  thätig. 

Im  Jahre  320  oder  kurz  vorher  versammelt  sich  in  Bi- 
thynien  eine  Synode,  die  ganz  und  gar  unter  dem  Einflufs 
des  Eusebius  von  Nikomedia  steht  Sie  erläfst  ein  Rund- 
schreiben, durch  das  Arius  für  rechtgläubig  erklärt  und  alle 
Bischöfe  der  Christenheit  aufgefordert  werden,  mit  ihm  zu 
kommunizieren.  Aber  daran  schliefst  sich  nicht  etwa  ein 
Anathema  wider  seinen  Gegner  Alexander ,  sondern  die 
Adressaten  werden  vielmehr  gebeten,  auf  diesen  einzuwirken, 
dafs  auch  er  seinen  ehemaligen  Presbyter  in  die  Kirchen- 
gemeinschaft aufnehme  *.  Das  Ansinnen ,  seine  Schriften 
gegen  den  Arianismus  zu  widerrufen  oder  sich  den  Glaubens- 
sätzen desselben  anzuschliefsen ,  wird  in  keiner  Weise  an 
hn  gestellt;  auch  ohne  dies  gilt  er  der  arianischen  Synode 
für  ebenso  rechtgläubig,  wie  Arius  selber.  Als  dieser  sich 
trotzdem  zurückgewiesen  sieht,  geht  er  nach  Palästina  und 
erbittet  sich  die  Erlaubnis,  dort  öffentlich  predigen  zu  dürfen. 
Unter  dem  Vorsitz  des  Eusebius  von  Cäsarea  tritt  eine  Pro- 
vinzialsynode  zusammen  und  gewährt  die  Bitte.  Auch  diese 
Versammlung  erkennt  also  die  Lehren  des  Arius  an ;  gleich- 
wohl schärft  sie  ihm  ein,  sich  auch  künftig  als  Untergebenen 


1)  Snzom.  I,  15:  oivoöov  Iv  Bi&wiif  avyxQoit)auvit$  ygatfovatr 
tolg  navtaxij  tnioxonoig,  wf  6Q»6ii  öo$d£ovoi  xoivtovijaui  rot?  au<fi 
jov  "Apiov  nttQuoxtviiotu  ö*t  xttl  'AUZttvdQov  xcHvtavttv  (tvxoif.  Vgl. 
Äthan,  apol.  c.  Ar.  6  =  Migne  Gr.  25,  S.  257. 


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DAS  NICÄKISCHE  KONZIL. 


des  Bischofs  von  Alexandria  zu  betrachten  und  immer  den 
Frieden  mit  ihm  zu  suchen  *.  Vor  dem  Nicänischen  Konzil 
wie  nach  demselben  wollen  also  die  Arianer  ihre  Glaubens- 
sätze nicht  zum  allgemeingültigen  Dogma  erheben  und  jeden 
exkommunizieren ,  der  sich  ihnen  nicht  anschliefst,  sondern 
sie  betrachten  ihre  Gegner  als  Mitglieder  der  rechtgläubigen 
Kirche  und  verlangen  von  ihnen  nur,  dafs  auch  sie  ihnen 
die  gleiche  Anerkennung  gewähren. 

Wie  sie  sich  die  Möglichkeit  dachten,  beide  streitende 
Meinungen  unter  einen  Hut  zu  bringen,  läfst  sich  am  deut- 
lichsten aus  den  Schriften  des  Eusebius  von  Cäsarea  er- 
kennen. Diesen  will  die  theologische  Forschung  der  Neu- 
zeit zwar  nicht  als  reinen  Arianer  gelten  lassen,  sondern 
weist  ihm  eine  Mittelstellung  zwischen  den  Parteien  zu ;  aber 
seine  eigenen  Zeitgenossen  sind  anderer  Ansicht  gewesen, 
und  in  einer  Frage  dieser  Art  wird  ihnen  doch  wohl  das 
entscheidende  Wort  zukommen.  Arius  selbst  nennt  ihn  in 
einem  Briefe,  dessen  Echtheit  über  jedem  Zweifel  steht, 
unter  Beinen  unzweideutigen  Anhängern  * ;  Eusebius  von 
Nikomedia  rühmt  seinen  Eifer  für  die  gute  Sache  und  stellt 
ihn  dem  zaudernden  Paulinus  von  Tyrus  als  leuchtendes 
Vorbild  hin 3 ;  Athanasius  erzählt  von  ihm  mit  frommem 
Gfausen,  er  habe  sich  nicht  gescheut,  offen  auszusprechen, 
dafs  Christus  nicht  wahrhaftiger  Gott  sei 4,  und  rechnet  so- 
wohl ihn  selbst  als  auch  seinen  Schüler  Acacius  zu  seinen 
offenkundigen  Gegnern  5.  Die  Mittelparteiler  haben  immer 
und  überall  das  Schicksal  gehabt,  dafs  von  beiden  Seiten 
auf  sie  losgehackt  wird,  und  zwar  von  denjenigen  am  mei- 
sten und  erbittertsten,  denen  sie  ihrer  Gesinnung  nach  am 
nächsten  stehn.    Wer  von  der  einen  Partei  so  freudig  als 


1)  Sozom.  I,  15:  ot  J£  xnt  üiiois  Iniaxönoii  iv  IJaXitiOTfor)  owtX- 
&örrts  {nal>r]<f{oavTO  ry  ^{tt(ov  alTyaet,    mtQuxtltvodfitvoi  owuyfiv 

ftlv  UUtOl'S  Olf  71QQTIQOV,  'jiXl§UV&Qtp  Xttl  CLVtlßoUlV  ttfl, 

Tfc  7ioöj  avTÖv  elQijvrji  xal  xoivtoviaq 

2)  Theod.  I,  6,  2.   Epiph.  haer.  69,  6. 

3)  Theod.  I,  6,  1. 

4)  De  synod.  17  =  Migne  26,  S.  712. 

5)  Harnack  II»,  S.  207  Änm.  2. 


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10 


SEECK, 


Genosse  begrüfst,  von  der  andern  so  grimmig  als  Feind  be- 
kämpft wird,  wie  Eusebius  Pamphili,  spielt  gewifs  nicht  die 
undankbare  Vermittlerrolle.  Allerdings  hat  er  das  Nicänum 
anerkannt;  aber  dies  thaten  auch  Eusebius  von  Nikomedia 
und  Arius  selbst,  nur  dafs  sie  etwas  länger  damit  zögerten. 
Uberhaupt  ist  es  eine  ganz  unbegründete  Annahme,  dafs  sich 
das  Konzil  in  der  Glaubensfrage  in  drei  Parteien  gespalten 
habe.  Sowohl  Athanasius  und  Eustathius  *,  als  auch  Eusebius 
und  Philostorgius  wissen  nur  von  zweien,  und  der  letzte 
rechnet  den  Kirchenhistoriker  ausdrücklich  seinen  arianischen 
Gesinnungsgenossen  zu  2.  Wenn  die  Zeugen  beider  streiten- 
den Parteien  in  einer  Frage  so  einig  sind,  widerspricht  es 
aller  historischen  Kritik,  ihr  gemeinsames  Zeugnis  zugunsten 
einer  modernen  Hypothese  beiseite  zu  setzen. 

Nun  ist  es  wohl  bekannt,  dafs  Eusebius,  obgleich  er  in 
der  Vita  Constantini  sehr  ausführlich  von  dem  Nicänischen 
Konzil  erzählt,  es  doch  ganz  vermeidet,  auf  den  Gegenstand 
des  dogmatischen  Streites  einzugehn.  Die  Stichworte  der 
beiden  Parteien  nennt  er  gar  nicht;  selbst  das  verhängnis- 
volle Wort  öfioovoiog  kommt  bei  ihm  nicht  vor.  Wie  er 
sich  die  Beseitigung  des  ganzen  Zwistes  denkt,  ist  am  klar- 
sten in  dem  angeblichen  Briefe  Konstantins  an  Alexander 
und  Arius  ausgesprochen  3.    Nur  auf  die  Grundwahrheiten 


1)  Harnack  Il?,  S.  225.  Von  einer  dreifachen  Parteigruppierung 
kann  ich  in  dem  Berichte  des  Eusebius  nichts  entdecken;  vielmehr 
spricht  auch  er  Vit.  Const  III,  13,  1  zweimal  von  kxdxfgov  ray/ua, 
ein  Ausdruck ,  der  die  Existenz  eioer  dritten  Gruppe  ausschliefst. 
Übrigens  hat  Harnack  selbst  (S.  230  Anm.  2)  richtig  erkannt,  dafs  der 
Cäsareenser  gerade  an  das  entscheidende  Wort  des  Arius,  das  Src 
ovx  i}v,  geglaubt  hat  und  es  nur  durch  eine  recht  schlimme  Mental- 
reservation zustande  brachte,  diese  Lehre  mit  seiner  Unterschrift  des 
Nicänischen  Symbols  zu  verdammen. 

2)  Migne  65,  S.  623. 

3)  Dafs  die  Urkunden  der  Vita  Constantini  in  der  Form,  wie  sie 
uns  vorliegen,  nicht  echt  sind,  hat  Crivellucci  (Deila  fede  storica  di  Eu- 
sebio.  Livorno  1888)  bewiesen  und  eine  Autorität  wie  Mommsen  (Ephem. 
epigr.  VII,  p.  420)  anerkannt;  trotzdem  findet  Herr  Bernoulli  für  gut, 
dies  sichere  Resultat  der  historischen  Forschung  schlechtweg  zu  igno- 
rieren   Wie  wir  unten  zu  erweisen  hoffen,  hat  Eusebius  zwar  echte 


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DES  KICÄK1SCHE  KONZIL. 


11 


des  Christentums,  meint  er,  komme  es  an1;  in  untergeord- 
neten Nebenfragen  sei  volle  Einheitlichkeit  gar  nicht  er- 
forderlich. Das  Verhältnis  von  Vater  und  Sohn  entziehe 
sich  dem  menschlichen  Verständnis  2.  Man  könne  darüber 
wohl  spekulieren;  doch  wenn  man  zu  verschiedenen  Ergeb- 
nissen komme,  so  solle  man  es  machen  wie  die  Philosophen, 
die  zwar  auch  oft  disputierten  und  über  Einzelheiten  uneinig 
seien,  sich  aber  zum  Schlüsse  doch  auf  Grund  ihrer  Schul- 
gemeinschaft zusammenfänden8.  Keiner  solle  daher 
gezwungen  werden,  sich  der  Meinung  des  an- 
deren zu  unterwerfen;  die  Einheit  der  Kirche  könne 
sehr  wohl  erhalten  bleiben,  auch  wenn  man  in  nebensäch- 
lichen Punkten  des  Dogmas  den  individuellen  Ansichten 
freien  Spielraum  lasse  4. 

Urkunden  paraphrasiert,  doch  der  Wortlaut  ist  immer  von  ihm,  nicht 
von  Konstantin,  und  in  dem  gegebenen  Falle  entscheidet  das  auch  über 
den  Sinn.  Aber  wenn  dies  auch  nicht  wäre,  giebt  Eusebius  seine 
unbedingte  Zustimmung  zu  dem  Briefe  des  Kaisers  doch  so  unzweideutig 
zu  erkennen,  dafs  man  diesen  unbedenklich  als  den  Ausdruck  seiner 
eigeuen  Meinung  behandeln  kann.  Vgl.  übrigens  die  Worte,  die  er  in 
seine  Erzählung  verflicht  und  die  vollkommen  zu  dem  Inhalt  des  Briefes 
passen.  IT,  62:  ol  fitv  ovv  x«r*  avrijv  Tt]v  sfXt!-urd*i>H(tv  vtavixdg 
7ttoi  t&v  uvtartirto  iit7tXr\xT(^ovTO. 

1)  II,  70.  71,  5. 

2)  Vit.  Const.  II,  69,  2:  noaog  yd$  (otiv  (xaorog,  oh  nQay^ärtav 
ovrto  fitydXaiv  xal  Xtav  dioxto&v  tvvauiv  noög  tö  axoißig  awiitiv 
fi  jfttr*  ä^lav  hmtjvtOoat, ; 

3)  II,  71,  2:  faxt  dr^nov  xal  Tovg  (fiXoooifovg  avrovs,  dtg  ivl  piv 
unavrtg  JoypttTt  ovvr(StvTai ,  noXXdxiq  <tt,  Intitiav  ev  xivi  tQv  ano- 
tftiatotP  fifoet  äiatfötvQatv,  fl  xal  tj  rijs  (max^uris  Apry  x'^Covxai, 
rj  fitvxoi  roO  üoyfiaxog  kvutati  ndXiv  dg  äXXyXovg  ovpnvfovoiv. 

4)  II,  71,  6:  xal  Uyto  xaOra,  ofy  atg  avayxdCtw  vfiäg  t$dnavxog 
tj  Xtav  evrj&ti  xal  uTa  drjnoxt  ioxiv  (xtivrj  i)  Ci?Ti?<7t?,  ovvxt&fO&ai.  6*v- 
vaxai  yao  xai  xo  rft;  avvoüov  x((xiov  vuiv  äxtoaUog  oa>£fO&ai  xal  p(a 
xal  rj  airrt}  xaxä  ndvxatv  xoivtavia  xijotio&ai,  x&v  xaitdXioxd  xig 
fifQti  7tQOi  itXX^Xovg  vfxiv  vjiIq  IXa^tüTov  ö*ia(f<av(a  y(vr\xai,  fnuSi} 
u*}di  nttvxtg  tv  (in xavxo  ßovXöjit&a,  /uijJ^  /u/«  tu  iv  vuiv  (fvoig 
1j  yvwfjrj  noXixtvtxai.  ntQi  fx\v  ovv  xijg  D-t(ag  ngovoiag  [i(a  Tis  1* 
vptv  taxia  n(axig,  ftia  ovvtotg,  ft(a  aw&qxi}  xoO  xotlxxovog,  Vi  <T  öiiIq 
xbYv  iXa/taiotv  xovxiav  ^rixijoHitv  iv  äXXqXotg  itxQißoXoyiio&t ,  x&v  prj 
7jQÖg  fiiav  yvutfiijv  ov^Kiigta^t,  ftivtiv  dato  Xoytafioö  noootjxfi  xo}  xijg 
6*iavo(aq  anotätfraj  xt\oovfxtva. 


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12 


SEECK, 


Was  uns  sonst  von  den  Schriften  der  arianischen  Partei  - 
häupter  erhalten  ist,  kennen  wir  ausschliefslich  aus  den  An- 
führungen ihrer  Widersacher,  namentlich  des  Athanasius, 
und  es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  dafs  diese  vor  allem 
dasjenige  hervorheben,  was  sie  bekämpfen,  d.  h.  was  die 
beiden  Parteien  am  meisten  trennte.  Von  der  Versöhnlich- 
keit ihrer  Gegner  zu  reden,  haben  die  orthodoxen  Heifs- 
sporne  begreiflicherweise  nicht  für  nötig  gehalten.  Um  so 
deutlicher  tritt  sie  in  der  Vita  Constantini  hervor,  nament- 
lich wenn  wir  erwägen,  dafs  sie  unter  Konstantius  geschrieben 
ist,  also  zu  einer  Zeit,  wo  die  Arianer  die  Macht  besafsen 
und  mit  ihren  Anschauungen  nicht  hinterm  Berge  zu  halten 
brauchten.  Und  dafs  der  Bischof  von  Cäsarea  nicht  ver- 
einzelt dastand,  zeigt  das  ganze  Verhalten  der  Partei  auf 
allen  Synoden,  in  denen  sie  die  entscheidende  Stimme  führte. 
Niemals  drängt  sie  den  Gegnern  ihre  Lehren  auf,  sondern 
kämpft  nur  dafür,  dafs  nichts  Unbiblisches  zum  Dogma  er- 
hoben werde.  Denn  die  Worte  der  Schrift  sind  ihr  absolute 
Glaubensnorm;  doch  was  darüber  hinausliegt,  bleibt  der  in- 
dividuellen Meinung  überlassen.  Die  Unterscheidungslehren 
der  andern  Partei  halten  sie  natürlich  für  falsch,  aber  darum 
noch  nicht  für  häretisch  Wenn  ihnen  ihre  Gegner  immer 
wieder  vorwerfen,  sie  rückten  nicht  mit  der  Sprache  heraus 


1)  Auch  Seeberg,  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte  I,  174  giebt 
zu,  dafs  die  Formeln  der  Athanasius  feindlichen  Synoden  „der  atbana- 
sianischen  Auffassung  so  nah  als  irgend  möglich'4  kommen.  Doch  will 
auch  er  ihre  Beschlüsse  nicht  als  arianisch,  sondern  nur  als  „eusebia- 
nisch"  gelten  lassen.  Hält  mau  aber  diese  Unterscheidung  aufrecht, 
so  mufs  man  zu  dem  Ergebnis  kommen,  dafs  vor  dem  Auftreten  des 
Aetius  und  Eunomius  die  arianische  Partei  sich  gar  nicht  gerührt,  ja 
eigentlich  gar  nicht  existiert  habe.  Denn  alles,  was  die  Gegner  des 
Athanasius  thaten  und  beschlossen,  war  „eusebianisch u.  Wie  uns 
scheint,  beweist  schon  der  Name  der  Eunomianer,  dafs  diese  nicht 
schlechtweg  Arianer  waren  —  denn  sonst  wären  sie  bei  dieser  alten 
Benennung  geblieben  — ,  sondern  irgendein  neues  Moment  in  den  kirch- 
lichen Streit  hineintrugen.  Dieses  aber  bestand  ausschliefslich  in  der 
klaren  und  energischen  Behauptung  der  arianischen  Unterschcidungs- 
lehren,  während  die  eigentlichen  Arianer  viel  mehr  geneigt  waren,  sie  zu 
verhüllen,  als  zu  verfechten. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


13 


und  versteckten  ihre  wirkliche  Lehre  1  —  eine  Anklage,  die 
Eusebius  Pamphili  deutlich  genug  illustriert  — ,  so  hatte  dies 
Verhalten  eben  darin  seinen  Grund,  weil  sie  dasjenige,  was 
sie  mit  den  Orthodoxen  verband,  für  viel  wichtiger  hielten, 
als  was  sie  trennte.  In  diesem  Sinne  konnte  Arius  sogar 
die  Beschlüsse  des  Nicänischen  Konzils  mit  unterschreiben; 
denn  was  sie  ihm  Unrichtiges  zu  enthalten  schienen,  war 
nach  seiner  Ansicht  für  den  christlichen  Glauben  nicht  we- 
sentlich. Dies  kleine  Opfer  seiner  Überzeugung  meinte  er, 
wenn  auch  nach  einigem  Zögern,  der  Einheit  der  Kirche 
bringen  zu  können. 

So  haben  die  Arianer  immer  nur  darum  geworben,  mit 
ihren  Gegnern  gemeinsam  innerhalb  derselben  allumfassen- 
den Kirche  ihre  friedliche  Stellung  zu  behaupten.  Dogma- 
tisch hatte  der  Streit  begonnen,  aber  in  seinem  weiteren 
Verlaufe  spitzte  er  sich  praktisch  immer  mehr  darauf  zu, 
nicht  ob  der  Sohn  dem  Vater  wesensgleich  sei,  sondern  ob 
man  Lästerer,  die  solches  leugneten,  in  der  Kirchengemein- 
schaft dulden  könne.  Es  ist  eine  absichtliche  Verdunkelung 
der  ganzen  Frage,  wenn  Athanasius  den  Arianern  immer 
wieder  die  Ketzereien  der  Thalia  vorhält  und  auf  ihre  An- 
klage, dafs  sein  öfioovoiog  unbiblisch  sei,  damit  antwortet, 
ihr  ijy  tiie  ov*  stehe  gleichfalls  nicht  in  der  Bibel.  Denn 
sie  haben  dasjenige,  was  in  ihrer  Lehre  nicht  schriftgemäfs 
war,  niemals  zur  bindenden  Glaubensregel  erheben  wollen, 
wie  er  es  that.  Nicht  für  die  Wahrheit,  sondern  für  die 
Ausschliefslichkeit  seiner  Lehrmeinung  hat  Athanasius  sein 
Leben  lang  gekämpft. 

Bei  diesem  Stande  der  Frage  konnte  es  für  die  ortho- 
doxe Partei  natürlich  nichts  Unwillkommeneres  geben,  als 
wenn  sich  nachweisen  liefs,  dafs  ein  Bischof,  dessen  Recht- 
gläubigkeit keinen  Zweifel  duldete,  die  Arianer  in  die 
Kirchengemeinschaft  zugelassen  habe.  Da  dies  nun  that- 
sächlich  unter  dem  Drucke  des  Licinius  geschehen  war,  so 
ist  es  wohl  begreiflich,  dafs  auch  Athanasius  von  den  Zeiten 
dieses  Kaisers  nicht  gerne  redete. 

1)  Äthan,  or.  c.  Ar.  I,  10.  De  synod.  32.  Epist.  ad  ep.  Aeg.  et 
Lib.  5  und  sonst  noch  oft. 


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14 


9.4  90Ü 


Den  Beweis  dafür  liefert  die  Vergleichung  zweier  Ketzer- 
verzeichnisse.  Das  eine  steht  in  dem  schon  erwähnten 
Rundschreiben  Alexanders  (Theod.  I,  4,  61)  und  lautet 
folgendermafsen :  eioi  öi  oi  dvafctiaTto&evzEg  atQEOi&tar 
Q7cb  :cQtaßvziQiüv^AQBiogy  drc ö  dtav.oviov  de,  ^tjUdg, 
Eteto'iog,  '^ei&aläg,  stov/Aog,  JSaQfidrTig,  'lovliog,  Mrjräg, 
^'Igewg  l'r£Qog}  ^Ellddiog.  Das  andere  bietet  uns  Sozomenus 
I,  15:  avvt:rqarjov  dt  atvot  (d.  h.  dem  Arius)  rffi^Ate^av- 
ÖQtvtv  Tcagoixtag  71  qeo ßvteqoi  >Au§akäg  xcrt 

)Mg  /.cd  KaQ:non}g  %e  y.ai  ^aQfidvr^g  v.al  'LlQEiog ,  6id/.ovoi 
di  Ev'Smog  /.ai  Ma/jxqiog,  *Iovhog  xai  Mrpüg  y.al  'Elldöiog. 
Wie  man  sieht,  ist  in  der  Liste  Alexanders  Arius  selbst  der 
einzige  Presbyter;  bei  Sozomenus  dagegen  haben  sich  ihm 
aufser  Karpones  auch  noch  Aeithalas,  Achillas,  Sarmates 
und  der  zweite  Arius  zugesellt,  die  in  jenem  früheren  Ver- 
zeichnis noch  als  Diakonen  erscheinen.  Es  versteht  sich 
von  selbst,  dafs  diese  vier  nicht  zu  einem  höheren  Range 
innerhalb  der  Hierarchie  hätten  aufsteigen  können,  wenn  sie 
nicht  in  der  Zeit,  die  zwischen  den  beiden  Listen  Hegt,  als 
vollberechtigte  Mitglieder  der  alexandrinischen  Kirche  an- 
erkannt gewesen  wären. 

Man  wird  vielleicht  die  Autorität  des  späten  Sozomenus 
nicht  gelten  lassen.  Oder  wenn  man  den  Beweis  anerkennt, 
den  wir  später  für  seinen  hohen  Qu  eilen  wert  zu  führen  ge- 
denken, so  kann  man  annehmen,  jene  vier  Diakone  seien 
nicht  von  ihrem  eigenen  Bischof  Alexander,  sondern  von 
irgendeinem  der  Ketzerführer,  z.  B.  Eusebius  von  Nikomedia, 
zu  Presbytern  befördert  worden.  Freilich  widerspräche  das 
den  kirchlichen  Satzungen;  aber  um  diese  braucht  sich  ja 
ein  böser  Häretiker  nicht  gekümmert  zu  haben.  Doch  in 
diesem  Falle  wäre  mit  Sicherheit  vorauszusetzen,  dafs  ihre 
Rangerhöhung  innerhalb  der  alexandrinischen  Kirche,  na- 
mentlich bei  Alexander  selbst,  keine  Anerkennung  gefunden 
habe;  dies  aber  können  wir  an  der  Hand  einer  Urkunde 
von  zweifelloser  Echtheit  widerlegen. 

Bei  Gelasius  Kyzikenus  1  ist  uns  noch  ein  zweites  Rund- 


1)  II,  3  =  Mansi  II,  S.  793. 


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DES  NICÄNISCHE  KONZIL. 


15 


schreiben  Alexanders  erhalten,  das  auch  Sokrates  (I,  6, 
4),  nur  minder  vollständig,  namentlich  mit  Weglassung  der 
Unterschriften,  in  seine  Kirchengeschichte  aufgenommen  hat. 
Dafs  es  echt  ist,  hat  zwar  niemand  angezweifelt;  aber  da 
der  Beweis  sich  führen  läfst,  so  mag  es  der  Vorsicht  halber 
geschehen. 

Wir  besitzen  je  zwei  Verzeichnisse  des  alexandrinischen 
und  des  mareotischen  Klerus,  das  eine  in  den  Unterschriften 
unserer  Urkunde,  die  andern  in  denen  zweier  Schriftstücke, 
die  Athanasius  (Apol.  c.  Ar.  73 — 74)  mitteilt.  Jene  dürfte 
ungelahr  dem  Jahre  320  angehören,  diese  stammen  aus  dem 
Jahre  335,  und  dem  Zeitraum,  der  sie  trennt,  entspricht 
auch  ganz  genau  das  Verhältnis  der  Namenreihen.  Von 
den  alexandrinischen  Presbytern  der  älteren  Liste  kehren 
nur  vier  in  der  jüngeren  wieder  1 ;  hier  aber  stehen  sie  in 
derselben  Reihenfolge,  wie  dort,  ganz  an  der  Spitze,  offen- 
bar weil  es  die  ältesten  Priester  des  Verzeichnisses  sind.  Da 
man  zum  Presbyterium  meistens  wohl  in  ziemlich  hohem 
Alter  gelangte,  ist  es  nicht  zu  verwundern,  dafs  die  übrigen 
dreizehn  in  jenen  fünfzehn  Jahren  verschwunden  sind;  sie 
werden  eben  unterdessen  gestorben  sein.  Unter  denjenigen, 
die  an  ihre  Stelle  getreten  sind,  finden  sich  acht,  Ammonios, 
Makarios  2,  Pistos,  Athanasios,  Apollonios,  Aphthonios,  Amyn- 
tianos  und  Gaios,  in  der  älteren  Liste  noch  als  Diakonen 
vermerkt;  doch  ist  in  diesem  Falle  die  Reihenfolge  verschie- 
den, mit  gutem  Grunde,  da  sie  sich  hier  nach  der  Zeit  der 
Diakonatsweihe,  dort  nach  dem  Dienstalter  als  Presbyter 
richtet.  Unter  den  Presbytern  des  Jahres  335  sind  also 
nur  fünf,  Plution,  Dioskuros,  Sarapion,  Rhinos  und  Aithales, 
die  im  Jahre  320  sich  noch  nicht  nachweisen  lassen;  da- 
gegen sind  die  Diakonen  sämtlich  neue  Männer.  Ganz  ähn- 
lich ist  es  auch  bei  dem  mareotischen  Klerus.    Die  fünf 

1)  Jiovvaioq,  'Al^avJnog,  MiXUs  (bei  Gelasius  in  Zilas  verdorben), 
Aoyyos.  Auch  der  Name  Jiöoxoqos  kehrt  zwar  in  beiden  Listen  wie- 
der, aber  da  er  sehr  häufig  und  die  Reihenfolge  abweichend  ist,  dürfte 
wohl  eine  verschiedene  Persönlichkeit  gemeint  sein. 

2)  Dieser  Name  findet  sich  nicht  In  den  Unterschriften,  doch  ist 
im  Text  der  Urkunde  von  ihm  die  Rede. 


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16 


SEKCK, 


Presbyter,  welche  bei  Athanasius  als  die  ältesten  an  erster 
Stelle  stehen,  finden  sich  auch  in  der  Liste  von  320  und 
zwar  wieder  genau  in  derselben  Reihenfolge.  Von  den 
übrigen  stehen  Sarapion,  Demetrios,  Markos,  Tryphon,  Pto- 
larion,  Gaios  und  Hierax  im  älteren  Verzeichnis  unter  den 
Diakonen,  aber  wieder  in  anderer  Folge;  neu  sind  nur 
Petros,  Dioskoros  und  Thyrsos.  In  der  Diakonenliste  von 
335  begegnen  uns  unter  vierzehn  Namen  zwar  drei,  die 
auch  320  vorkommen,  Serras,  Ammonios  und  Mauros,  aber 
da  die  Reihenfolge  nicht  die  gleiche  ist,  dürfte  es  sich  in 
diesem  Falle  wohl  auch  um  verschiedene  Männer  handeln. 
Diese  Art  sowohl  der  Übereinstimmung  als  auch  der  Ab- 
weichung trägt,  wie  mir  scheint,  so  sehr  den  Stempel  der 
inneren  Wahrscheinlichkeit  an  sich,  dafs  sie  allein  genügen 
mufs,  um  die  Echtheit  unserer  Urkunde  ebenso  wie  die  der 
beiden  athanasianischen  vollgültig  zu  beweisen.  Dafs  die 
Vergleichung  der  Listen  auch  manchen  interessanten  Anhalts- 
punkt für  die  Kenntnis  des  priesterlichen  Avancements  ge- 
währt, soll  nur  im  Vorübergehen  angedeutet  werden. 

In  dem  Rundschreiben  Alexanders,  von  dessen  Unter- 
schriften wir  eben  geredet  haben,  findet  sich  nun  ein  drittes 
Ketzerverzeichnis,  das  zwar  die  kirchlichen  Würden  der 
Exkommunizierten  nicht  nennt,  sie  aber  aus  der  Reihenfolge 
der  Namen  deutlich  erkennen  läfst.  Um  dies  klar  zu  machen, 
stellen  wir  die  drei  Listen  nebeneinander,  wobei  wir  die 
Reihenfolge  durch  die  den  Namen  vorgesetzten  Zahlen  be- 
zeichnen. 


1.  Sendschreiben: 
Presbyter: 

1.  Arius. 

Diakonen : 

2.  Achillas. 
4.  Aeithalas. 

6.  Sarmates. 
9.  Arius. 


2.  Sendschreiben: 

1.  Arius. 

2.  Achillas. 

3.  Aeithalas. 

4.  Karpones. 
6.  Sarmates. 

5.  Arius. 


Sozomenus ; 
Presbyter: 

1.  Arius. 

3.  Achillas. 

2.  Aeithalas. 

4.  Karpones. 

5.  Sarmates. 

6.  Ariup. 

-> 

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DAS  NICANJSCHE  KONZIL. 


17 


3.  Euzoios. 

6.  Lucius 

7.  Julius. 

8.  Menas. 
10.  Helladios. 


7.  Euzoios. 

8.  Lucius. 

9.  Julius. 

10.  Menas. 

11.  Helladios. 

12.  Gaius. 


Diakonen: 

7.  Euzoios. 

8.  Makarios. 

9.  Julius. 

10.  Menas. 

11.  Helladios. 


Wie  man  sieht,  stimmen  die  Kamen  in  allen  drei  Listen 
so  ziemlich  überein;  die  Unterschiede  genügen,  um  zu  be- 
weisen, dafs  keine  aus  der  andern  abgeschrieben  ist,  nicht 
aber  um  irgendwelche  Zweifel  zu  rechtfertigen.  Denn  dafs 
Arius  einzelne  seiner  Anhänger  verlor,  sei  es  durch  Tod, 
sei  es  durch  Abschwören  ihres  Irrtums,  ist  in  keiner  Weise 
auffallig,  und  ebenso  wenig,  dafs  er  einzelne  neue  hinzu- 
gewann. Was  speziell  das  Verzeichnis  des  Sozomenus  be- 
trifft, das  einzige,  dessen  Echtheit  angefochten  werden  kann, 
so  zeigt  es  nur  einen  Namen,  der  in  den  andern  beiden 
fehlt,  den  des  Diakonen  Makarios.  Nun  finden  sich  aber 
in  den  Unterschriften  des  zweiten  Sendschreibens  nicht  we- 
niger als  zwei  Männer  dieses  Namens,  beide  unter  den  Dia- 
konen. Der  eine  davon  ist  historisch  wohlbekannt;  als 
Presbyter  zählte  er  später  zu  den  eifrigsten  Gehilfen  des 
Athanasius  Der  andere  wird  der  Ketzer  des  Sozomenus 
sein.  Zwar  hatte  er  noch  jenen  Brief  in  Gemeinschaft  mit 
Alexander  unterschrieben,  doch  hindert  nichts  die  Annahme, 
dafs  er  hinterher  zu  Arius  abgefallen  ist  Die  Namen  sind 
also  auch  in  dem  dritten  Verzeichnis  alle  sehr  gut  beglau- 
bigt; nur  an  den  kirchlichen  Würden,  die  ihnen  hinzugefügt 
sind,  bleiben  Zweifel  möglich. 

Auch  diese  werden  aber  beseitigt  durch  die  Reihenfolge, 
welche  die  zweite,  ganz  sicher  urkundliche  Liste  bietet. 
Man  wird  bemerken,  dafs  sie  in  dieser  Beziehung  mit  So- 
zomenus genau  übereinstimmt.    Denn  wenn  dort  Sarmates 


1)  Äthan,  apol.  c.  Ar.  11.  27.  28.  60.  63.  65.  71.  72.  Epist  ad 
Serap.  2  und  sonst. 

ZtaUchr.  f.  K.-Q.  IVU,  1  u.  8.  2 


18 


SEECK, 


und  der  zweite  Arius,  hier  Achillas  und  Aeitbalas  vertauscht 
sind,  so  gehen  diese  kleinen  Unterschiede  gewifs  nur  auf 
Fehler  der  Abschreiber  oder  auch  der  Koncipienten  selber 
zurück.  In  dem  ältesten  Verzeichnis  dagegen  sieht  die  Reihe 
ganz  anders  aus.  Arius,  Achillas,  Aeithalas,  Sarmates  und 
der  zweite  Arius  folgen  sich  zwar  auch  hier  in  der  gleichen 
Ordnung,  wie  in  den  beiden  jüngeren  Listen,  aber  sie  stehen 
nicht,  wie  hier,  alle  zusammen  an  der  Spitze,  sondern  die 
letzten  drei  sind  zwischen  diejenigen,  welche  bei  Sozomenus 
als  Diakonen  erscheinen,  eingeordnet.  Diese  selbst  zeigen  in 
allen  drei  Listen  die  gleiche  Anordnung,  nur  dafs  sie  in 
der  ersten  durch  jene  drei  Namen  unterbrochen  ist  Hierin 
waltet,  wie  man  sieht,  ein  ganz  klares  Gesetz.  Die  Reihen- 
folge innerhalb  jeder  der  beiden  Rangklassen  ist  ein-  für 
allemal  eine  feste,  wie  wir  das  ja  auch  bei  unserer  Be- 
sprechung der  Unterschriften,  die  dem  zweiten  Sendschreiben 
angehängt  sind,  bemerkt  haben.  Wenn  also  in  diesem  ein- 
zelne der  Ketzernamen  von  den  Stellen,  die  sie  vorher  in 
der  Reihe  der  Diakonen  eingenommen  hatten,  entfernt  und 
alle  zusammen  an  die  Spitze  gestellt  sind,  so  folgt  daraus, 
dafs  die  betreffenden  Persönlichkeiten  in  eine  höhere  Rang- 
klasse eingetreten  waren.  Die  Urkunde  bestätigt  also  das 
Zeugnis  des  Sozomenus,  dafs  Achillas,  Aeithalas,  Sarmates 
und  der  zweite  Arius  nach  der  Zeit  jenes  ersten  Rund- 
schreibens Presbyter  geworden  waren,  und  zugleich  beweist 
sie,  dafs  diese  ihre  neue  Würde  auch  von  Alexander  an- 
erkannt war.  Als  weitere  Bestätigung  kommt  hinzu,  dafs 
auch  Epiphanius  (Haer.  69,  2)  einen  jener  viere,  den  Sar- 
mates ,  als  Leiter  einer  Presbyterialkirche  in  Alexandria 
kennt.  Auch  dafs  er  den  Karpones,  der  in  den  beiden  spä- 
teren Verzeichnissen  neben  Sarmates  steht,  in  der  gleichen 
Eigenschaft  nennt,  verdient  wohl  angeführt  zu  werden.  End- 
lich erwähnt  auch  der  Brief  der  Synode  von  Jerusalem  1  %Qv 
7ZQS<sßvr£<)(ov  tOv  neql  *lAquov  in  der  Mehrzahl,  während 
nach  dem  ältesten  Rundschreiben  Alexanders  unter  den  An- 
hängern des  Arius  noch  kein  einziger  Presbyter  war. 


1)  Äthan,  de  synod.  Ar.  et  Seleuc.  21  «=  Migne  XXVI,  S.  720. 


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DAS  N1CÄNISCHE  KONZIL. 


19 


Es  steht  also  vollkommen  fest,  dafs  Alexander,  wenn 
auch  wahrscheinlich  von  Licinius  gezwungen,  es  mit  seinem 
Gewissen  hatte  vereinigen  können,  den  Arius  und  seine 
Genossen  zeitweilig  wieder  in  die  alexandrinische  Kirche 
aufzunehmen.  So  fand  jede  der  streitenden  Parteien  in  der 
Vorgeschichte  des  Nicänischen  Konzils  gewisse  dunkle  Punkte, 
die  sie  verhinderten,  die  Schwächen  der  Gegenpartei  gerade 
nach  dieser  Richtung  hin  auszunutzen.  Athanasius  konnte 
seinen  Gegnern  die  Unterstützung  des  späteren  Christen- 
verfolgers nicht  vorrücken,  weil  die  Inkonsequenz  Alexanders 
damit  in  gar  zu  engem  Zusammenhange  stand;  die  Arianer 
ihrerseits  durften  sich  nicht  darauf  berufen,  dafs  der  hoch- 
orthodoxe Alexander  mit  ihnen  kommuniziert  habe,  weil  sie 
dies  der  Gunst  eines  Herrschers  verdankten,  der  mit  Recht 
als  Feind  der  Christenheit  galt.  Auf  diese  Weise  ist  durch 
stillschweigendes  Einverständnis  beider  Parteien  über  jene 
interessante  Zeit  ein  Dunkel  verbreitet,  das  die  historische 
Forschung  wohl  niemals  ganz  wird  durchdringen  können. 

3. 

Von  diesen  Geheimnissen  hat  schon  Rufinus  nichts  mehr 
geahnt,  so  Öffentlich  sie  ihrer  Zeit  gewesen  waren ;  doch  hat 
auch  er  noch  mit  Bewufstsein  daran  fortgearbeitet,  die  Ge- 
schichte des  Streites  zugunsten  seiner  Partei  weiter  zu  ver- 
fälschen. Wie  die  Arianer  es  als  einen  Makel  betrachteten, 
dafs  der  letzte  Christenverfolger  sie  begünstigt  hatte,  so  die 
Orthodoxen,  dafs  der  erste  christliche  Kaiser  am  Ende  seiner 
Regierung  ihr  Gegner  geworden  war.  Jeder  Herrscher,  der 
es  mit  der  Barche  wohlmeinte,  mufste  eben  bestrebt  sein, 
die  ärgerliche  Spaltung  zu  beseitigen.  Da  nun  die  Arianer 
ihre  Lehre  keinem  aufzwingen  wollten,  sondern  zufrieden 
waren,  wenn  man  sie  nur  neben  ihren  Gegnern  in  der 
Kirchengemeinschaft  duldete,  verstand  es  Bich  eigentlich  ganz 
von  selbst,  dafs  die  weltliche  Macht  dieser  Partei  der  Ver- 
söhnlichkeit ihre  Unterstützung  lieh.  Erst  als  mit  Theo- 
dosius  I.  die  Orthodoxie  strengster  Observanz  selber  auf  den 
Thron  gelangte,  wurde  diese  Politik  aufgegeben  und  die 

2* 


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20 


SEEUK, 


Verfolgung  gegen  die  Arianer  begann.  Dafs  Konstantin  be- 
fohlen hatte,  den  Arius  wieder  in  sein  priesterliches  Amt 
einzusetzen,  und  endlich  den  widerspenstigen  Athanasius 
verbannte,  tiefs  sich  nicht  ableugnen,  so  lange  diese  That- 
sachen  noch  in  der  lebendigen  Erinnerung  der  Zeitgenossen 
hafteten.  Doch  ein  halbes  Jahrhundert  später,  als  die  Teil- 
nehmer der  Ereignisse  schon  zum  grülsten  Teil  aus  dem 
Leben  geschieden  waren,  fand  die  tendenziöse  Lüge  aucb 
nach  dieser  Richtung  hin  freies  Spiel.  So  hat  denn  Rufinus 
zugleich  an  seiner  Partei  und  an  dem  grofsen  Kaiser  eine 
Reinigung  vorgenommen  und  beide  ins  schönste  Einvernehmen 
gebracht.  Das  Mittel  dazu  war  sehr  einfach:  alle  Dinge, 
in  denen  sich  das  Eintreten  Konstantins  für  die  Ketzer  gar 
zu  deutlich  kundgab  und  die  sich  doch  nicht  totschweigen 
Helsen,  der  Befehl,  den  Arius  in  die  Kirchengemeinschaft 
aufzunehmen,  das  Konzil  von  Tyrus  und  die  Verbannung 
des  Athanasius,  wurden  einige  Jahre  herabgerückt  und  so 
aus  der  Regierung  Konstantins  in  die  seines  minder  unan- 
fechtbaren Sohnes  hineingeschoben.  Daneben  wurden  noch 
andere  Entschuldigungen  für  den  grofsen  Kaiser  ausgeheckt 

—  z.  B.  das  Märchen  von  jenem  namenlosen  arianischen 
Presbyter,  den  Constantia  ihrem  Bruder  auf  dem  Totbette 
empfohlen  habe  — ,  als  wenn  Entschuldigungen  noch  nötig 
gewesen  wären ,  nachdem  man  ihm  alle  Unthaten  gegen 
die  orthodoxe  Kirche  schon  glücklich  abgenommen  hatte. 
Doch  wer  um  einer  Tendenz  willen  [lügt,  weifs  selten  die 
Grenze  zu  finden,  bis  zu  der  sein  Zweck  die  Lüge  noch 
nötig  macht. 

Im  ö.  Jahrhundert  war  der  Arianismus  nicht  erloschen, 
aber  seine  Aufnahme  in  die  Kirchengemeinschaft,  um  die 
noch  in  den  Tagen  des  Rufinus  so  erbittert  gekämpft  wor- 
den war,  kam  nicht  mehr  in  Frage.  Als  so  der  Streit  auf- 
gehört hatte,  aktuell  zu  sein,  und  die  Rechtgläubigkeit  in 
Ruhe  ihres  Sieges  genofs,  brauchte  sie  auch  nicht  mehr  zu 
dem  traurigen  Kampfmittel  der  Greschichtsfalschung  zu  greifen. 
Sokrates,  Sozomenus,  Theodoret  sind  gewifs  nicht  unparteiisch 

—  wer  hätte  das  in  jenen  Zeiten  bleiben  können  ?  — ,  wohl 
aber  durchaus  ehrlich.    Dazu  haben  sie  mit  solchem  Fleifs 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


21 


das  zerstreute  Material  zusammengetragen  und  es  mit  so 
gesunder  Kritik  gesichtet,  wie  dies  auch  in  den  besseren 
Zeiten  der  griechischen  Litteratur  nicht  oft  geleistet  worden 
ist.  Moderne  Anforderungen  darf  man  freilich  an  sie  nicht 
stellen.  Ihren  Quellen,  unter  denen  Rufinus  und  das  Leben 
Konstantins  von  Eusebius  die  ersten  Stellen  einnahmen, 
standen  sie  in  naiver  Gläubigkeit  gegenüber,  und  wenn  sie 
auch  einzelne  Fehler  derselben  korrigieren  konnten,  zu  sy- 
stematischer Prüfung  haben  sie  sich  niemals  aufgeschwungen. 

Wir  sahen  schon,  dafs  sie  alle  den  Irrtum  teilen,  der 
arianische  Streit  habe  erst  nach  dem  Sturze  des  Licinius 
begonnen.  Daraus  folgt  mit  Sicherheit,  dafs  ihnen  aufser  dem 
Leben  Konstantins  keine  zeitgenössische  Erzählung  jener 
Dinge  vorgelegen  hat.  Denn  wer  sie  erlebt  hatte  und  un- 
abhängig von  Eusebius  schrieb,  der  konnte  gar  nicht  umhin, 
den  zeitlichen  und  sachlichen  Zusammenhang  der  licinia- 
nischen  Verfolgung  und  der  Kirchenspaltung  gebührend  her- 
vorzuheben. Auch  wenn  er  die  arianische  Partei  reinigen 
wollte,  zu  einem  so  kläglichen  Auskunftsmittel,  wie  der 
Bischof  von  Cäsarea,  die  ersten  Jahre  des  Streites  einfach 
wegzulügen,  hätte  doch  nicht  leicht  ein  zweiter  gegriffen.  In 
jedem  andern  Geschichtswerk,  das  noch  auf  unmittelbarer 
Anschauung  beruhte,  hätte  der  Synchronismus  jener  Ereig- 
nisse, die  beide  die  christliche  Kirche  aufs  tiefste  bewegten, 
notwendig  hervortreten  müssen,  und  wenn  die  drei  Fort- 
öetzer  des  Eusebius  davon  gelesen  hätten,  so  würde  sicher- 
lich einer  von  ihnen,  wahrscheinlich  alle  drei,  jenen  chrono- 
logischen Fehler  berichtigt  haben.  Der  Quell  mündlicher 
Tradition  war  nach  mehr  als  hundert  Jahren  fast  ganz  ver- 
siegt; denn  wenn  Sokrates  auch  aus  dem  Munde  eines  ur- 
alten Mannes,  der  dem  Konzil  von  Nicäa  noch  beigewohnt 
hatte,  ein  paar  Anekdoten  sammeln  konnte  *,  so  waren  diese 
kleinen  Brocken  doch  für  die  Gesamtheit  seiner  Darstel- 


1)  I,  10,  5;  13,  2.  Wahrscheinlich  stammt  auch  die  Erzählung, 
wie  Paphnutius  sich  der  strengen  Durchführung  des  Coiibats  widersetzte 
(I,  11,  4),  von  diesem  Augenzeugen  her;  denn  den  älteren  Kirchenhisto- 
rikern ist  sie  fremd. 


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22 


SfcECK, 


lung  von  ganz  verschwindender  Bedeutung.  Die  Chronik 
von  Konstantinopel  ist  zwar  von  Sokrates,  Eunapius  sowohl 
von  jenem  als  auch  von  Sozomenus  benutzt  worden  1 ,  doch 
konnten  diese  rein  weltlichen  Quellen  ftir  die  Kirchen- 
geschichte nicht  viel  hergeben.  Die  grofse  Masse  der  Nach- 
richten, welche  die  drei  Kirchenhistoriker  den  Berichten  des 
Eusebius  und  Rufinus  hinzugefügt  haben,  kann  also  nur 
auf  folgenden  Quellen  beruhen: 

1)  Gelegentliche  historische  Notizen,  die  sich  in  theo- 
logischen Schriften  fanden.  Theodoret  (I,  7)  schildert  die 
Verhandlungen  des  ökumenischen  Konzils,  indem  er  einfach 
eine  Stelle  aus  einer  Epistel  des  Athanasius  (Migne  26, 
S.  1037)  und  eine  andere  aus  irgendeinem  Traktat  des 
Eustathius  nebeneinanderstellt.  In  ganz  ähnlicher  Weise 
und  nicht  minder  fleifsig  haben  auch  Sokrates  und  Sozo- 
menus die  ecclesiastische  Litteratur,  namentlich  den  Atha- 
nasius, ausgebeutet,  nur  dafs  sie  das  so  gewonnene  Material 
sorgfältiger  und  kunstvoller  in  ihre  Gesamtdarstellung  ver- 
arbeiten. 

2)  Urkunden,  die  oft  in  ihrem  vollen  Wortlaut  mitgeteilt 
werden,  deren  Inhalt  aber  auch  nicht  selten  ausgezogen  und 
in  die  Erzählung  verflochten  ist.  Eine  Sammlung  solcher 
Schriftstücke,  von  Athanasius  veranstaltet,  die  auch  dem  So- 
krates vorgelegen  hat,  besitzen  wir  noch  heute  in  der  so- 
genannten Apologia  contra  Arianos;  eine  andere  desselben 
Verfassers  citiert  Sokrates  (I,  13,  12)  unter  dem  Namen  av- 
vodiÄog.  Aufserdem  gab  es  Urkundenbücher  des  Alexander 
und  des  Arius  (Sokr.  I,  6,  41),  und  eine  Sammlung  von  Sy- 
nodalbriefen, die  der  Macedonianer  Sabinus  veröffentlicht 
hatte  (Sokr.  I,  8,  25).  Aus  diesen  und  ähnlichen  Publikationen 
sind  wohl  zum  gröfsten  Teil  die  Urkunden  geflossen,  welche 
die  Kirchenhistoriker  ganz  oder  im  Auszuge  in  ihre  Werke 


1)  Die  Benutzung  des  Eunapius  ergiebt  sich  für  Sokrates  daraus, 
dafs  er  mit  Zosiinus  (II,  II),  der  bekanntlich  ganz  vorzugsweise  aus 
jenem  Schriftsteller  geschöpft  hat,  in  dem  Irrtum  übereinstimmt,  Maxi- 
mianus  Herculius  sei  in  Tarsus  an  einer  Krankheit  gestorben  (I,  2,  1); 
für  Sozomenus  aus  der  Widerlegung  einer  heidnischen  Tendenzlüge,  die 
sich  gleichfalls  bei  Zosimus  (II,  29)  findet  (I,  5). 


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DAS  NICÄMSCHE  KONZIL. 


23 


aufgenommen  haben.  Doch  bei  Männern  von  solchem 
Sanimelfleifs  ist  es  keineswegs  ausgeschlossen,  dafs  sie  auch 
die  Archive  selber  aufsuchten,  ja  für  Sozomenus  läfst  sich 
dies  sogar  erweisen. 

Er  bespricht  I,  5  die  tendenziöse  Lüge  des  Heiden  Eu- 
napius,  dafs  Konstantin  erst  nach  der  Ermordung  seines 
Sohnes  Crispus,  als  er  für  dies  Verbrechen  in  der  alten  Re- 
ligion kein  Sühnemittel  gefunden  habe,  zum  Christentum 
übergetreten  sei,  und  widerlegt  sie  durch  folgendes,  durch- 
aus schlagendes  Argument:  KQtonog  y.h  yctQ,  di*  5V  cpaoi 
KiüvoTarrivov  xa&aQuoü  öerjtHjvai,  r(p  er/.ooiQ  Itei  hefov- 
Trtoe  %Ttg  roO  naxqög  jjyc/uov/crg,  tri  7C€Qiwv  nollovg  avv 
ccvtQ  &i(.tevog  vöfiovg  vrteQ  XQicmavt'üvy  Hce  6i)  xarä  ro  dev- 
tbqov  oxtfftcc  ttfg  ßaailelag  Tetifiyntvog  Kdiaaq  uivy  wg  eig 

CTt  V$V  fAClQTVQOVOlV  Ol  TOig  VOf.tOig  VTlOTEtayfAiVOl  xpöVot  viai 

tC&v  vofto&ertüv  ai  7tQocr\yoQiai.  Sozomenus  kennt  also  zahl- 
reiche Gesetze  zugunsten  der  Christen,  die  im  Konsulat  der 
Datierung  und  in  „den  Benennungen  der  Gesetzgeber", 
d.  h.  in  der  Überschrift,  den  Namen  des  Crispus  nannten. 
Nun  trugen  allerdings  die  Originale  der  Gesetze  und  Ver- 
ordnungen die  Namen  sämtlicher  gleichzeitg  regierender 
Kaiser,  die  Caesarea  mit  eingeschlossen,  an  der  Spitze,  aber 
bei  den  Abschriften,  die  man  in  den  Rechtssammlungen 
zusammen  stellte,  pflegte  man  diese  langen  Uberschriften  sehr 
erheblich  zu  verkürzen.  Der  Codex  Theodosianus  und  die 
Constitutiones  Sirmondi  setzen  regelmäfsig  nur  Imp.  Con- 
stantinus  A.  mit  Weglassung  sowohl  des  Licinius  als  auch 
der  Caesares,  die  vatikanischen  Fragmente  schreiben  entweder 
Augg.  et  Caess.  oder  Constantinus  et  Caess.  Hätte  also  Sozo- 
menus eine  dieser  drei  Sammlungen  oder  eine  ähnliche  vierte 
benutzt,  so  hätte  er  zwar  wohl  in  den  Konsulaten,  aber 
niemals  in  den  Uberschriften  den  Namen  des  Crispus  lesen 
können.  Mithin  ist  die  Annahme  gar  nicht  abzuweisen,  dafs 
er  die  Originalausfertigungen,  wie  sie  in  den  Archiven  auf- 
bewahrt wurden,  durchstöbert  hat,  und  diesem  seinem  Fleifse 
verdanken  wir  so  manche  Nachricht  von  der  höchsten 
Wichtigkeit. 

Denn  das  Material  der  drei  griechischen  Kirchenhistoriker, 


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24 


SEECKj 


aus  Urkunden  und  den  Angaben  wohlunterrichteter  Zeit- 
genossen geschöpft,  ist  natürlich  von  ganz  unschätzbarem 
Werte,  und  doch  würde  derjenige,  der  ihre  Darstellungen 
einfach  nacherzählte,  auf  Schritt  und  Tritt  in  die  gröbsten 
Irrtümer  verfallen.  Denn  Quellen  dieser  Art  boten  ihrer 
Natur  gemäfs  immer  nur  vereinzelte  Nachrichten,  zwischen 
denen  der  Zusammenhang  erst  hergestellt  sein  wollte,  und 
dazu  reichte  die  historische  Technik  jener  alten  Herren  in 
keiner  Weise  aus.  Wie  die  Apologia  contra  Arianos  be- 
weist, waren  aufserdem  in  den  gröfseren  Sammlungen  die 
Urkunden  fast  ausnahmslos  ohne  Datum  und  Konsulat,  so 
dafs  sich  selbst  ihre  zeitliche  Aufeinanderfolge  schwer  bestim- 
men liefs.  Soweit  es  sich  um  kaiserliche  Briefe  und  Er- 
lasse handelte,  zeigte  ihre  Überschrift,  wenn  sie  nicht  von 
den  Kopisten  willkürlich  verkürzt  war,  in  dieser  Zeit  immer 
die  folgende  Namenreihe:  Impp.  Constantinus  et  Licinius 
Axigg.  et  Crispus  et  Licinius  et  Constantinus  Caess.  Von 
welchem  der  fünf  Herrscher  das  Schriftstück  ausgegangen 
war,  liefs  sich  nur  an  dem  Orte  des  Datums  erkennen,  und 
Untersuchungen  dieser  Art  anzustellen,  waren  die  Alten  weder 
geneigt  noch  im  Stande.  Sie  schrieben  daher  alle  Gesetze 
und  Verordnungen  dieser  Zeit  dem  Konstantin  zu,  dessen 
Name  nach  dem  Rechte  dos  älteren  Kaisertums  an  der 
Spitze  stand,  während  doch  sehr  viele  davon  thatsächlich 
von  Licinius  erlassen  waren.  Alles  dies  waren  Schwierig- 
keiten, denen  selbst  unsere  hoch  ausgebildete  Forschung 
nicht  immer  gewachsen  ist;  den  antiken  Kirchenhistorikern 
blieben  sie  ganz  unüberwindlich. 

So  kommt  es,  dafs  bei  den  drei  griechischen  Fortsetzern 
des  Eusebius  zwar  die  einzelnen  Thatsachen  meist  sehr  be- 
achtenswert sind,  aber  ihre  Verknüpfung  und  zeitliche  Fi- 
xierung von  der  modernen  Kritik  gar  nicht  berücksichtigt 
zu  werden  braucht.  Nur  wenn  sie  ganz  ausdrücklich  das 
Konsulat  oder  die  Ziffer  des  Kaiserjahres  nennen,  ist  ihre 
Autorität  auch  in  dieser  Beziehung  anzuerkennen,  ja  dann 
erheischt  sie  sogar  unbedingte  Geltung.  Denn  solche 
genau  datierte  Notizen  sind  immer  entweder  Urkunden  ent- 
nommen oder  bei  Sokrates  der  Chronik  von  Konstantinopel. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


25 


Im  übrigen  benutzen  sie  für  das  chronologische  Gerippe 
ihrer  Erzählung  ganz  ausschliefslich  Rufinus  und  die  Vita 
Constantini;  denn  dies  waren  für  sie  die  einzigen  Quellen, 
welche  die  Ereignisse  im  Zusammenhang  und  scheinbar 
auch  in  ihrer  zeitlichen  Folge  wiedergaben.  Freilich  gelingt 
es  ihnen  hin  und  wieder,  eine  Fälschung  dieser  zweifelhaften 
Gewährsmänner  aufzudecken;  so  hat  Sokrates  (II,  1)  aus 
der  Apologie  des  Athanasius  gelernt,  dafs  das  Konzil  von 
Tyrus  nicht,  wie  Rufinus  behauptete,  unter  Konstantius, 
sondern  schon  unter  Konstantin  stattgefunden  hatte.  Aber 
es  waren  nur  die  alleroffenkundigsten  Fehler,  die  sich  ihrer 
naiven  Kritik  erschlossen.  Dafs  das  arianische  Schisma 
nicht  erst  unter  der  Alleinherrschaft  Konstantins  begonnen 
haben  kann,  weil  alle  die  Phasen,  die  es  schon  vor  dem 
Nicänischen  Konzil  durchmachte,  unmöglich  in  dem  kurzen 
Zeitraum  von  acht  Monaten  Platz  finden,  leuchtet  jedem  mo- 
dernen Forscher  auf  den  ersten  Blick  ein;  aber  von  jenen 
dreien  hat  kein  einziger  es  bemerkt.  Trotz  ihres  überreichen 
Urkundenmaterials,  das  sie  bei  unbefangenem  Studium  leicht 
eines  Besseren  hätte  belehren  können,  haben  sie  alle  jene 
grobe  Lüge  des  Eusebius  ohne  Widerspruch  hingenommen. 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  noch  auf  eine  Quelle  hin- 
gewiesen, die  mit  Unrecht  gegenwärtig  sehr  wenig  Achtung 
geniefst,  ich  meine  die  Ketzergeschichten  des  Epiphanius. 
Freilich  wimmeln  sie  von  den  gröbsten  chronologischen 
Schnitzern  —  z.  B.  wird  der  Tod  des  Arius  noch  vor  das 
ökumenische  Konzil  gesetzt  — ,  aber  Fehler  ganz  ähnlicher 
Art,  wenn  auch  nicht  so  arge,  finden  sich  auch  bei  Sokrates, 
Sozoraenus  und  Theodoret.  Epiphanius  war  eben  noch  un- 
geschickter als  sie,  die  Thatsachen,  welche  er  einzeln  über- 
liefert fand ,  zeitlich  unter  sich  zu  verknüpfen ;  aber  mit 
Bewufstsein  gefälscht  hat  er  ebenso  wenig  wie  jene  drei, 
und  seine  Quellen  waren  nicht  minder  gut.  Ja  er  hat  vor 
ihnen  sogar  das  voraus,  dafs  sie  mit  wenigen  Ausnahmen 
nur  die  orthodoxe  Litteratur  benutzt  haben,  während  er 
auch  die  Schriften  der  Ketzer,  schon  weil  er  sie  widerlegen 
will,  zum  grofsen  Teil  gelesen  hat.  Aus  ihnen  hat  er  uns 
höchst  wertvolle  Nachrichten  erhalten,  nur  mufs  man  sich 


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26 


SKECK, 


bei  ihm,  wie  bei  den  Fortsetzern  des  Eusebius,  immer  daran 
erinnern,  dafs  sie  nach  ganz  andern  Prinzipien  behandelt 
sein  wollen,  als  die  sonst  in  der  philologischen  und  histo- 
rischen Kritik  üblich  sind.  Denn  während  bei  den  meisten 
Schriftstellern  des  Altertums  der  Grundsatz  gilt,  dafs  jede 
Stelle  nur  aus  dem  Zusammenhange  des  Ganzen  interpretiert 
werden  darf,  haben  die  Nachrichten  dieser  Quellen  nur  Wert, 
wenn  man  sie  aus  ihrer  Verbindung,  die  meist  eine  falsche 
ist,  herausreilst  und  jede  für  sich  allein  beurteilt. 

4. 

In  welcher  Weise  die  eben  dargelegten  Grundsätze  an- 
zuwenden sind,  wollen  wir  sogleich  an  einem  Beispiel  zeigen. 
An  zwei  Stellen  seiner  Kirchengeschichte,  am  Schlüsse  der 
Einleitung  und  1,2,  sagt  Sozomenus,  dafs  er  sein  Werk 
mit  dem  Konsulat  des  Crispus  und  Konstantinus,  d.  h.  mit 
dem  Jahre  321,  beginnen  wolle.  Welche  epochemachende 
Bedeutung  hatte  dies  Jahr  für  die  Geschichte  der  christ- 
lichen Kirche?  Früher  meinte  ich,  Sozomenus  habe  es  des- 
halb gewählt,  weil  in  ihm  die  letzte  Christenverfolgung  be- 
gann 1 ;  aber  wenn  dies  wäre ,  so  hätte  er  ausführlich  auf 
sie  eingehen  müssen,  während  er  sie  doch  kaum  flüchtig 
berührt.  Wie  bei  allen  Fortsetzern  des  Eusebius,  Rufinus, 
Theodoret  und  Sokrates,  so  ist  auch  bei  ihm  der  Ausgangs- 
punkt das  ökumenische  Konzil,  nur  dafs  er  ihm,  wie  die 
andern  es  gleichfalls  thun,  noch  eine  kurze  Vorgeschichte 
hinzufugt.  Man  mufs  daher  annehmen,  dafs  auch  das  Jahr 
321  nach  seiner  Meinung,  die  freilich  keine  richtige  zu  sein 
braucht,  zu  dem  Konzil  in  irgendwelcher  Beziehung  stand. 

Sozomenus  hat  nicht,  wie  Sokrates,  eine  Chronik  be- 
nutzt; wo  bei  ihm  Konsulate  auftreten,  was  selten  genug 
vorkommt,  sind  sie  wohl  ausnahmslos  datierten  Urkunden 
entnommen.  Welcher  Art  könnte  nun  diejenige  gewesen  sein, 
die  er  in  diesem  Falle  eingesehen  hat? 


t)  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  46G. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


27 


Die  Antwort  giebt  uns  Gelasius  Kyzikenus  1 ,  der ,  wie 
wir  schon  an  mehreren  Stellen  dieser  Untersuchung  be- 
merken konnten,  über  ein  sehr  wertvolles  urkundliches  Ma- 
terial verfugte.  Er  schreibt:  öqiov  toivvv  6  ßaatlevg  xctQat- 
to^ttvriv  xfjv  ixzXrpiav  avvodov  olv.ovfieviv.>)v  ovyAQorei,  tovq 
7iavTcc%6t*zv  intanÖTtovg  öia  yqa^^djuav  elg  Nrtaiav  t^g 
Bifrvviag  änavr  fjoai  na^a.y.a'Ubv.  de  avtQ  exxcrtd^'xa- 
tov  trog  xai  f.ttfveg  t£  ztfg  ßaoiketag,  Vre  raCia  avrdji 
vireQ  tfjg  exxAi^cr/aartx^^  UQfjvrig  iortovSaato.  Ich  habe 
schon  früher  darauf  hingewiesen,  dafs  nicht  nur  Konsulate, 
sondern  auch  Kaiserjahre,  namentlich  wenn  ihnen  die  Mo- 
natszahl hinzugefugt  ist ,  für  urkundliche  Überlieferung 
sprechen,  und  hier  kommt  noch  hinzu,  dafs  ausdrücklich 
von  kaiserlichen  Briefen  (did  y^a^tfiducov)  die  Rede  ist.  Aus 
den  alexandrinischen  Archiven  stammt  die  grofse  Masse  der 
Urkunden,  die  sich  auf  den  aria nischen  Streit  beziehen,  und 
ehe  die  Indiktionenrechnung  begann ,  war  es  gerade  in 
Ägypten  üblich,  die  Zeit  nach  den  Regierungsjahren  der  Kaiser 
zu  bestimmen  *.  Diese  Rechnung  wurde  in  der  Weise  ge- 
handhabt, dafs  immer  das  Jahr  mit  dem  1.  Thoth  = 
29.  August  begann  und  alle  Monate  oder  Tage,  die  nach 
hinten  oder  vorn  über  dieses  Datum  überschössen,  für  volle 
Jahre  gerechnet  wurden.  Für  Konstantin  umfafste  also  das 
erste  Jahr  seiner  Regierung  nur  die  Zeit  vom  25.  Juli  306,  an 
welchem  Tage  er  den  Thron  bestieg,  bis  zum  28.  August  des- 
selben Jahres;  mithin  lief  das  sechzehnte  vom  29.  August  320 
bis  zum  28.  August  321,  und  der  sechste  Monat  desselben  war 
der  Mechir,  der  vom  26.  Januar  bis  zum  24.  Februar  321 
dauerte.  In  dieser  Zeit  sind  also  die  Einladungsschreiben  zu 
einem  allgemeinen  Konzil  in  Nicäa  erlassen  worden;  jedenfalls 
hat  dem  Sozomenus  ebenso  wie  dem  Gelasius  eine  Abschrift 
derselben  vorgelegen,  und  dies  war  der  Grund,  warum  er  das 
Konsulat,  das  ihre  Datierung  aufwies,  als  den  Anfangspunkt 
seines  Werkes  bezeichnete.  Auch  diese  Urkunde  gehörte 
zu  denjenigen,  welche  er  benutzte,  um  die  Lügen  des  Eu- 

,  ^ 

1)  II,  5  =  Mansi,  Conc  coli.  II,  p.  805. 

2)  Seeck,  Die  Entstehung  des  Indiktionencyklus.  Deutsche  Zeit- 
schrift für  Geschichtswissenschaft  XII,  S.  294. 


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SEKCK, 


napius  zu  widerlegen  (S.  23);  denn  einerseits  diente  sie  den 
Interessen  des  Christentums,  anderseits  zeigte  sie  sowohl  im 
Konsulat  als  auch  in  der  Uberschrift  den  Namen  des  Casars 
Crispus. 

Wenn  aber  Gelasius  inbezug  auf  den  Inhalt  und  die 
Datierung  jener  kaiserlichen  Briefe  unbedingten  Glauben 
verdient,  so  begebt  er  bei  ihrer  historischen  Verwendung 
alsbald  die  gröbsten  Irrtümer,  und  ohne  Zweifel  hat  auch 
Sozomenus  sie  geteilt.  Zunächst  ist  es  falsch,  dafs  Kon- 
stantin der  Urheber  jener  Einladungsschreiben  war;  denn 
da  er  im  Jahre  321  im  Reichsteil  des  Licinius  gar  nichts 
zu  sagen  hatte,  so  konnte  er  weder  mit  den  Bischöfen  von 
Ägypten  korrespondieren,  noch  eine  Synode  gerade  nach 
Nicäa  berufen.  Natürlich  trug  der  Brief,  wie  alle  kaiser- 
lichen Erlasse  jener  Zeit,  die  Überschrift:  Impp.  Constantinus 
et  Licinius  Augg.  et  Crispus  et  Licinius  et  Constantinus  Caess., 
und  dies  hat  unsere  Gewährsmänner  getäuscht,  weil  die- 
jenigen Verordnungen,  die  wirklich  von  Konstantin  her- 
rührten, ganz  ebenso  überschrieben  waren.  Die  unsere  kann, 
weil  sie  sich  auf  den  orientalischen  Reichsteil  bezieht,  nur 
dem  Licinius  angehören.  Daraus  folgt  aber  weiter,  dafis 
jene  Einladung  sich  gar  nicht  auf  das  berühmte  Konzil  be- 
zieht, sondern  auf  ein  anderes,  das  zwar  auch  in  Nicäa 
tagen  und  wohl  auch  Ökumenisch  sein  sollte,  aber  wahr- 
scheinlich gar  nicht  zustande  gekommen  ist,  weil  ja  Licinius 
bald  darauf  zum  Christenverfolger  wurde  und  die  Abhaltung 
von  Synoden  ganz  verbot.  Dafs  auch  er,  so  lange  er  der 
Kirche  noch  günstig  gesinnt  war,  gerade  Nicäa  zum  Orte 
der  Bischofsversammlung  erwählte,  ist  keineswegs  auffällig. 
Denn  da  diese  Stadt  seiner  Residenz  Nikomedia  ganz  nahe 
lag,  so  konnte  er  hier  am  besten  die  Verhandlungen,  ohne 
sich  doch  in  sie  zu  mischen,  aufmerksam  beobachten  und 
eventuell  auch  seinen  persönlichen  Einflufs  spielen  lassen. 
Die  Urkunde  ist  also  viel  interessanter,  als  wenn  sie,  wie 
Gelasius  und  Sozomenus  meinten,  wirklich  von  Konstantin 
herrührte;  denn  sie  bezeichnet  den  letzten  Versuch  des  Li- 
cinius, den  arianischen  Streit  noch  auf  dem  Boden  der 
christlichen  Kirchenverfassung  zum  Austrag  zu  bringen,  und. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


29 


gewährt  uns  durch  ihre  Datierung  einen  sicheren  termimis 
post  quem  für  den  Beginn  der  Christenverfolgung. 

Hat  uns  dies  Beispiel  gezeigt,  wie  beachtenswert  die 
Nachrichten  sind,  die  von  Konsulaten  oder  Kaiserjahren  be- 
gleitet werden,  auch  wenn  sie  auf  den  ersten  Blick  wunder- 
lich erscheinen,  so  wird  uns  das  Folgende  darüber  belehren, 
einen  wie  geringen  Wert  jene  unbestimmten  und  relativen 
Datierungen  haben,  deren  Bedeutung  nur  aus  dem  Zusammen- 
hange zu  erkennen  ist. 

Sokrates  (ü,  5)  berichtet  den  Tod  des  jüngeren  Kon- 
stantin mit  Hinzufügung  des  Konsulats  von  340  (iv  bnaxüq 
yA'Aiv6vvov  yjal  JjQÖidov).  Dieses  Datum  ist  der  Chronik 
von  Konstantinopel  entnommen  und  zweifellos  richtig.  Dann 
aber  fährt  er  fort,  ino  de  tbv  afodv  xoütov  XQ^vov  sei  auch 
der  Bischof  Alexander  von  Konstantinopel  gestorben,  woraus 
man  schliefsen  mufs,  auch  dieses  Ereignis  falle,  wenn  auch 
vielleicht  nicht  genau  auf  das  Jahr  340,  so  doch  mindestens 
zwischen  339  und  341.  Hier  aber  wird  uns  kein  Konsulat, 
sondern  nur  eine  jener  relativen  Zeitbestimmungen  geboten 
und,  wie  sich  sogleich  zeigen  wird,  ist  sie  falsch.  Den  Be- 
weis hat  zwar  schon  der  Kommentar  des  Valesius  geführt, 
aber  da  er  vielfachem  Widerspruch  begegnet  ist  und  das 
Material  sich  seitdem  etwas  vermehrt  hat,  sei  er  hier  wieder- 
holt 

Uber  den  Nachfolger  des  Alexander,  Paulus,  berichtet 
Athanasius 1 :  6  yuxvqyoQtfoag  avvoC  MaxMvtog ,  6  vüv 
inioxOTZoq  &vt  ahoi)  yev6^evogy  7taq6vttav  f^dv  tata  rfjv 
yuxTtiyoQtav,  Yjer*joivu)vrpw  avcQ  /.ai  nQeoßvreQog  jJv  im*  avröv 
töv  IlaCXov.  'Aal  o'/uwg,  irtetdi)  Evoeßiog  inwqp&alftia ,  9e- 
hjjv  äqnaaaL  tijv  Ithotlotc^v  rfjg  7t6Xewgy  —  i'fieivev  $  7tq6- 
(faoig  xara  JJavXov  /.ai  ovx.  ^ihqaav  ifjg  imßovXfjg,  dXX 
eueivav  dtaßdXXovreg.  xai  zb  uiv  nq&tov  elg  tdv  U6v%ov 
i^wQtad^  TtaQä  Kfavatavrivov  tö  Si  SevreQov  rca^a  Äwv- 


1)  ffist.  Ar.  ad  mon.  7  =  Migne  26,  S.  701. 


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SEECK, 


ütovtiov  öe&Etg  älvoeoi  aidi\Qaig  eig  2iyyctQct  zftg  Msao- 
rtoTantag  it-wQt'o&ri.  Hieraach  muls  PauluB  schon  unter 
Konstantin  dem  Grofsen  Bischof  gewesen  sein;  denn  die 
Ausflucht  der  Interpreten,  seine  erste  Verbannung  falle  noch 
vor  die  Zeit  seines  Episkopats,  ist  schon  dadurch  ausge- 
schlossen, dafs  ja  eben  die  Begehrlichkeit  des  Eusebius  nach 
dem  Bischofssitz  von  Konstantinopel  als  Grund  derselben 
angegeben  wird.  Auch  sagt  Athanasius,  dafs  Macedoniua 
schon  vorher  unter  Paulus  das  Amt  eines  Presbyters  ver- 
waltet habe.  Und  was  jeden  weiteren  Zweifel  ausschliefst, 
die  Akten  des  Konzils  von  Tyrus  (335)  waren  von  Paulus 
als  Bischof  mitunterzeichnet l. 

Der  Bischofswechsel  fallt  also  jedenfalls  vor  das  Jahr 
335.  Da  Philostorgius  (II,  10)  ihn  unmittelbar  nach  der 
Gründung  von  Konstantinopel  (11.  Mai  330)  erzählt  und 
Theodoret  (h.  e.  I,  19,  l)  angiebt,  als  Alexander  starb,  habe 
die  Stadt  noch  Byzanz  geheifsen,  setzte  ihn  Valesius  in  das 
Jahr  330.  An  der  Autorität  jener  Quellen  könnte  man 
zweifeln,  wenn  sie  nicht  neuerdings  eine  urkundliche  Be- 
stätigung erhalten  hätten.  Da  Macedonius  der  Gegenkandidat 
des  Paulus  gewesen  war,  so  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  dafs 
er  jene  Anklage  bald  nach  der  Bischofswahl  erhob;  denn 
ohne  Zweifel  verfolgte  er  damit  den  Zweck,  diese  für  un- 
gültig erklären  zu  lassen  und  sich  selbst  an  die  Stelle  seines 
Mitbewerbers  zu  setzen.  Nun  sagt  Athanasius,  dafs  er  bei 
der  Verhandlung  über  die  Anklage  persönlich  anwesend 
war,  und  wie  wir  jetzt  aus  seinen  Festbriefen  wissen,  befand 
er  sich  Ende  331  beim  Kaiser  in  Nikomedia,  von  wo  aus 
er  das  nahe  Konstantinopel  leicht  besucht  haben  kann  2,  falls 


1)  Hilar.  frg.  3,  13  =  Migne  10,  S.  667:  Paulus  vero  Athanasii 
dcpositioni  interfuit  manuque  propria  sententiam  scribens  cum  ceteris 
eum  etiam  ipse  damnavit. 

2)  Larsow,  Die  Festbriefe  des  h.  Athanasius,  S.  77.  80;  vgl. 
S.  27.  Seeck,  Die  Zeitfolge  der  Gesetze  Konstantins.  Zeitschrift  der 
Savigny- Stiftung,  Rom.  Abt  X,  S.  198.  Der  Brief,  durch  den  das 
Osterfest  angesagt  wurde,  mufste  mehrere  Monate  vor  dem  Beginn  der 
Fasten,  die  sich  ja  gleichfalls  nach  ihm  richteten,  abgeschickt  werden. 
Denn  von  Nikomedia  bis  Alexandria  war  ein  langer  Weg,  und  von  da 


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DAS  NICÄMSCnE  KONZIL. 


31 


nicht  etwa,  was  auch  möglich  ist,  der  Prozefs  vor  Konstantin 
selbst  in  Nikomedia  geführt  wurde.  Bei  einer  streitigen 
Bischofswahl  kann  die  Sedisvakanz  mehrere  Monate  gedauert 
haben;  die  Anklage  braucht  ihrer  Beendigung  nicht  gleich 
auf  dem  Fufse  gefolgt  zu  sein,  und  da  zu  ihrer  Entscheidung 
jedenfalls  eine  Synode  berufen  wurde,  so  bedingte  dies  einen 
weiteren  Aufschub.  Es  ist  also  ganz  angemessen,  wenn  man 
den  Tod  Alexanders  etwa  anderhalb  Jahre  vor  die  Reise 
des  Athanasius  setzt,  d.  h.  an  den  Anfang  des  Jahres  330, 
wie  Valesius  vermutete. 

Dieser  Zeitbestimmung  steht  allerdings  eine  Schwierig- 
keit entgegen.  Gelasius ,  der  hier  ganz  ausgezeichneten 
Quellen  folgt,  giebt  an,  dafs  Alexander  in  Nicäa  nur  als 
Presbyter  erschienen  sei  *,  und  dem  entsprechend  ist  er  auch 
in  der  Präsenzliste  des  Konzils,  die  aufser  den  Abgesandten 
des  Papstes  nur  Bischöfe  aufführt,  nicht  mit  verzeichnet 
Dazu  kommt  dann  noch  eine  Uberlieferung,  die  sich  freilich 
nur  bei  sehr  späten  Schriftstellern  findet,  aber  doch  wohl 
auf  glaubwürdige  Erinnerung  zurückgehen  dürfte,  wonach 
bei  dem  Einzüge  Konstantins  in  Byzanz  (324)  dort  noch 
Metrophanes  Bischof  war  *.  Aber  wenn  der  Episkopat  des 
Alexander,  wie  es  hiernach  scheint,  nicht  vor  325  begonnen 
haben  kann,  so  müfste  er,  da  er  23  Jahre  dauerte,  erst  348 
oder  noch  später  zu  Ende  gegangen  sein,  was  zu  Sokrates 
ebenso  wenig  stimmen  würde,  wie  zu  Athanasius,  Philostor- 
giu8  und  Theodoret.  Dem  gegenüber  scheint  mir  nur  eine 
Erklärung  möglich. 

Auf  dem  Konzil  von  Nicäa  besorgte  Alexander  die  Ver- 
sendung des  Synodalbriefes  für  die  Provinz  der  Inseln,  ver- 
sah also,  obgleich  er  Presbyter  war,  die  Funktionen  eines. 
Metropolitanbischofs.    Auch  jenes  erste  Rundschreiben  des 


aus  mutete  die  Ankündigung  noch  über  alle  Städte  von  Ägypten  und 
Libyen  verbreitet  sein,  ehe  die  Fastnacht  kam.  Diese  fiel  im  Jahre 
332  auf  den  16.  Februar.  Die  Absendung  des  Briefes  vom  kaiserlichen 
Hoflager  kann  also  jedenfalls  nicht  später  als  in  den  November  331 
gesetzt  werden,  vielleicht  noch  früher. 

1)  Comm.  act.  conc.  Nie.  II,  7.  27  —  Mansi  II,  p.  817.  881. 

2)  Nicephor.  opusc.  ed.  DeBoor,  8.  114  und  sonst  noch  oft. 


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Alexander  von  Alexandria,  das  sicher  vor  320  abgefafst 
wurde,  ist  an  ihn,  nicht  an  Metrophanes  gerichtet  worden 
(S.  6).  Mithin  mufs  er  für  diesen,  der  Bchon  lange  sehr 
alt  und  schwach  war,  als  Bistumsverweser  gedient  haben, 
und  die  Jahre  dieser  Stellvertretung,  die  um  307  begann, 
müssen  später  seinem  Episkopate  zugezählt  sein. 

Doch  wie  dem  immer  sein  mag,  jedenfalls  steht  es  fest, 
dafs  Alexander  vor  335  gestorben  ist  und  folglich  Sokrates 
in  der  Zeitbestimmung  seines  Todes  geirrt  hat.  Auch  läfst 
sich  noch  deutlich  erkennen,  auf  welche  Art  er  zu  jenem 
Fehler  gekommen  ist.  Wie  er  selbst  in  der  Vorrede  zum 
zweiten  Buche  sagt,  hatte  er  anfangs  seine  beiden  ersten 
Bücher  ganz  nach  Rufinus  gearbeitet;  dann  aber  lernte  er 
Schriften  des  Athanasius  und  verschiedene  Urkunden  ken- 
nen, die  ihn  überzeugten,  dafs  seine  bisherige  Quelle  in 
vielen  Dingen,  namentlich  in  der  Chronologie,  unzuverlässig 
sei  Nach  dieser  neu  gewonnenen  Erkenntnis  arbeitete 
er  dann  die  betreffenden  Teile  seines  Werkes  um,  aber 
ohne  in  demjenigen,  worin  ihm  Rufinus  die  Wahr- 
heit gesagt  zu  haben  schien,  von  diesem  abzu- 
gehen1. Nun  waren  ja  alle  Ereignisse,  in  denen  sich  die 
Parteinahme  Konstantins  gegen  Athanasius  aussprach,  dar- 
unter auch  der  Zwang  gegen  Alexander  von  Konstantiopel, 
den  Arius  wieder  in  die  Kirchengemeinschaft  aufzunehmen, 
von  Rufinus  auf  Konstantius  tibertragen  worden  (S.  20),  und 
wie  Sokrates  ausdrücklich  sagt,  war  er  ihm  anfangs  auch 
hierin  gefolgt.  Daraus  ergab  sich  aber  für  ihn,  dafs  er 
auch  den  Tod  Alexanders  erst  unter  Konstantius  ansetzen 
mufste,  freilich  nicht  zu  spät,  weil  sonst  die  übrigen  Ereig- 
nisse, welche  sich  an  den  Bischofswechsel  in  der  Hauptstadt 
anschlössen  und  bei  denen  jener  Kaiser  persönlich  eine  Rolle 
gespielt  hatte,  in  seiner  Regierung  nicht  mehr  Platz  gefunden 
hätten.  So  verlegte  er  ihn  denn  in  die  ersten  Jahre  der- 
selben, denn  mehr  als  diese  ganz  allgemeine  Zeitbestimmung 
ist  mit  jenem  &rd  de  xbv  avtbv  toVtov  xq6vov  gewifs  nicht 


1)  Socrat  II,  1,  4:  ovyxpofitvoi  xal  lv  olf  6  'Povyipot  ov*  tx- 
nlmu  roO  alij&oOf. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


33 


beabsichtigt.  Als  dann  So k rate 8  später  die  Chronologie 
seiner  beiden  ersten  Bücher  nach  anderen  Quellen  durch- 
korrigierte, fand  er  zufällig  in  diesen  nichts,  was  seinem 
Ansatz  für  Alexanders  Tod  zu  widersprechen  schien,  und 
liefs  also  in  dieser  Beziehung  alles  beim  Alten. 

Wir  sehen  hieraus,  was  sich  freilich  schon  von  vornherein 
erwarten  liefs:  Zeitbestimmungen  nach  Konsulaten  oder  Kaiser- 
jahren sind  aus  den  Quellen  geschöpft  und  folglich  über- 
liefert; dagegen  beruhen  relative  Datierungen,  die  ein  Er- 
eignis nur  im  Verhältnis  zu  andern  früher,  später  oder 
gleichzeitig  nennen,  fast  immer  auf  subjektiven  Kombina- 
tionen der  Kirchenhistoriker,  die  um  so  trügerischer  sein 
müssen,  als  sie  meist  auf  so  zweifelhaften  Grundlagen,  wie 
die  Erzählungen  des  Eusebius  und  Rufinus,  aufgebaut  sind. 

e. 

Die  chronologische  Frage,  die  wir  eben  erörtert  haben, 
fuhrt  uns  zu  einer  viel  wichtigeren  hinüber,  nämlich  der 
nach  der  historischen  Glaubwürdigkeit  des  Athanasius.  Man 
halte  es  nicht  für  Vermessenheit,  sie  überhaupt  aufzuwerfen. 
In  einer  Zeit,  wo  sonst  jeder  vor  den  Kaisern  und  ihren 
Beamten  kroch,  ist  ein  Mann,  der  ihnen  um  seiner  Uber- 
zeugung willen  mit  so  grofsartiger  Kühnheit  entgegentrat, 
ohne  Zweifel  eine  vornehme  Erscheinung.  Bei  einer  solchen 
würde  man  heutzutage  jeden  Verdacht,  dafs  sie  bewufst 
gelogen  habe,  mit  Entrüstung  abweisen  müssen;  aber  im 
4.  Jahrhundert  waren  die  Moralbegriffe  anders.  Man  lese 
nur  die  Predigten  und  religiösen  Traktate  jener  Epoche;  da 
findet  man  die  Barmherzigkeit,  die  Sanftmut,  den  rechten 
Glauben,  vor  allem  die  Keuschheit  hoch  gepriesen,  aber  von 
der  Wahrhaftigkeit  ist  kaum  je  die  Rede.  In  seiner  Ge- 
dächtnisrede auf  Athanasius  zählt  Gregor  von  Nazianz  alle 
möglichen  Vorzüge  auf,  darunter  auch  den  Eifer  für  die 
Wahrheit  in  dem  Sinne,  dafs  damit  die  rechtgläubige 
Lehre  gemeint  ist;  aber  was  wir  heute  Wahrheitsliebe 
nennen,  kommt  in  dem  langen  Verzeichnis  von  Tugenden 
gar  nicht  vor,  nicht  etwa  weil  der  Redner  seinem  Helden 

Z*lUchr.  f.  K.-O.  XVII,  U.S.  3 


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34 


SEECK, 


diese  Eigenschaft  absprechen  wollte,  sondern  weil  er  gar 
keinen  Wert  darauf  legt.  In  einem  Zeitalter,  in  dem  alles 
vor  dem  Despotismus  der  Kaiser  und  ihrer  feilen  Werkzeuge 
knechtisch  zitterte,  mufste  eben  die  Lüge,  als  das  charakte- 
ristische Laster  des  feigen  Sklavensinnes,  eine  solche  Ver- 
breitung gewinnen,  dafs  zuletzt  selbst  die  besten  Männer 
jedes  Gefühl  für  ihre  Verwerflichkeit  verloren. 

„Mag  sein,  dafs  einer 

Dies  that  als  ehrlicher  Mann; 

Ich  wäre  keiner, 

Wenn  ich  es  b&tte  gethan." 

So  gebietet  Rückert,  jeden  nur  nach  seinen  eigenen  sittlichen 
Anschauungen  zu  beurteilen,  und  er  hat  recht.  Ein  Ver- 
gehen gegen  die  Keuschheit,  das  in  unseren  Tagen  selbst 
recht  strenge  Moralisten  nur  mit  leichtem  Tadel  rügen  wür- 
den, hätte  Athanasius  sich  nie  verzeihen  können;  Lügen  und 
Fälschungen  dagegen,  die  wir  ak  Ehrlosigkeit  betrachten, 
meinte  er  sich  um  der  guten  Sache  willen  schon  gestatten 
zu  dürfen.  Wie  gegenwärtig  ein  Mann  höchst  ehrenwert 
sein  kann,  den  er  als  verabscheuungswürdigen  Sünder  von 
sich  gewiesen  hätte,  so  kann  er  in  seiner  Zeit  sogar  eine 
Persönlichkeit  von  imponierender  Sittlichkeit  gewesen  sein, 
auch  wenn  er  unseren  moralischen  Anforderungen  keines- 
wegs entspricht. 

Doch  solche  allgemeine  Betrachtungen  beweisen  nichts : 
auf  die  Thatsachen  kommt  es  an. 

Um  das  Jahr  360  wurde  in  einem  Kreise  orthodoxer 
Geistlichen  die  Frage  erörtert,  ob  Arius  im  Banne  gestorben 
oder  noch  vor  seinem  Tode  wieder  in  die  Kirchengemein- 
schaft aufgenommen  sei.  Serapion,  der  dem  Gespräche  bei- 
gewohnt hatte,  bat  brieflich  den  Athanasius  um  seine  Entschei- 
dung, und  dieser  gab  sie  in  einem  Schreiben,  in  dem  das 
Ende  des  Arius  folgendermafsen  geschildert  wird  !.  Auf  die 
Bitten  des  Eusebius  von  Nikoraedien  habe  Kaiser  Konstantin 
den  Erzketzer  zu  sich  berufen  und  gefragt,  ob  er  den  Glauben 


1)  Migne  25,  S.  685. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL.  35 

der  allgemeinen  Kirche  teile.  Darauf  habe  Ariua  seine  Recht- 
gläubigkeit eidlich  versichert  und  ein  schriftliches  Bekennt- 
nis eingereicht,  in  dem  alles  Anstöfsige  vermieden  war. 
Konstantin  nahm  es  an  und  entliefs  ihn  mit  den  Worten: 
„Wenn  dein  Glaube  recht  ist,  so  hast  du  wahr  geschworen; 
wenn  aber  dein  Glaube  frevelhaft  ist  und  du  doch  geschworen 
hast,  so  mag  Gott  dich  nach  deinem  Eide  richten/'  Nun 
habe  Eusebius  den  Alexander  von  Konstantinopel  zwingen 
wollen,  am  folgenden  Tage,  der  ein  Sonntag  war,  mit  Arius 
zu  kommunizieren:  der  fromme  Bischof  aber  sei  in  die 
Kirche  gegangen  und  habe  zu  Gott  gefleht,  ihm  diese  Be- 
fleckung zu  ersparen.  Unterdessen  sei  Arius,  der  schon  voll 
Siegeszuversicht  war,  durch  den  Drang  seines  Leibes  in 
einen  Abtritt  getrieben  worden,  und  dort  sei  er  niedergestürzt 
und  mitten  entzweigeplatzt  So  habe  den  Feind  Christi  in 
demselben  Augenblick,  wo  er  sein  Spiel  gewonnen  meinte, 
ein  schmählicher  Tod  ereilt 

Die  Todesursache  des  Arius  medizinisch  zu  untersuchen, 
fallt  uns  natürlich  nicht  ein.  Die  Worte,  durch  die  Atha- 
nasius sie  bezeichnet  (^r^ijv^g  yevöpevog  Ihr^oe  niaog),  sind 
Citat  aus  jener  Stelle  der  Apostelgeschichte  (l,  18),  in  wel- 
cher der  Untergang  des  Judas  Ischariot  geschildert  wird; 
man  braucht  Bie  also  nicht  ganz  buchstäblich  zu  inter- 
pretieren. Will  man  annehmen,  der  Erzketzer  sei  der  Cho- 
lera, einem  Schlagflufs  oder  auch  einem  Blutsturz  erlegen, 
so  steht  dem  nichts  im  Wege.  Wie  man  sieht,  wollen  wir 
mit  dem  frommen  Briefsteller  nicht  zu  streng  ins  Gericht 
gehen;  nur  müssen  wir  freilich  verlangen,  dafs  wenigstens 
zweierlei  in  seiner  Darstellung  wahr  sei.  Erstens  raufs  Arius 
gestorben  sein,  ehe  er  in  die  Kirchengemeinschaft  aufgenom- 
men wurde  —  denn  dies  ist  ja  der  Hauptpunkt  in  der  An- 
trage des  Serapion,  auf  die  Athanasius  Antwort  giebt  — ; 
zweitens  mufs  sein  Tod  in  Konstantinopel  unter  dem  Epi- 
skopat des  Alexander  eingetreten  sein. 

Nun  haben  wir  eben  gesehen,  dafs  Alexander  wahrschein- 
lich 330,  sicher  vor  der  Synode  zu  Tyrus  (335)  gestorben 
ist,  und  an  diese  schlofs  sich  die  Einweihung  der  Grabkirche 
zu  Jerusalem  unmittelbar  an.    Von  den  bei  dieser  Feier 

3* 


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36 


BEECK, 


versammelten  Bischöfen  teilt  uns  Athanasius 1  selbst  ein 
Rundschreiben  mit,  in  dem  sie  erklären,  rovg  neoi  vAqelov 
in  die  Kirchengemeinschaft  aufgenommen  zu  haben.  Nach 
allem  griechischen  Sprachgebrauch  bedeutet  das  den  Arius 
und  seine  Genossen,  und  damit  man  ja  nicht  in  der  Inter- 
pretation fehl  gehe,  fügt  Athanasius  ausdrücklich  hinzu,  man 
habe  yiqtiov  'Kai  Tovg  avv  avrdj)  damit  gemeint.  Ks  steht 
also  aufser  jedem  Zweifel,  dafs  Arius  sowohl  den  Alexander 
überlebt  hat,  als  auch  von  einer  stattlichen  Versammlung 
von  Bischöfen  zur  Kommunion  zugelassen  ist. 

Man  wird  vielleicht  erwidern,  das  seien  Ketzer  gewesen. 
Nun  wohl!  aber  das  Nicänische  Konzil  selbst,  dessen  un- 
fehlbare Geltung  Athanasius  am  lautesten  verkündet,  hat 
den  Arius,  nachdem  es  ihn  vorher  exkommuniziert  hatte, 
später  wieder  zu  Gnaden  angenommen.  Dies  hat  Hierony- 
mus von  Augenzeugen  gehört,  und  die  Unterschriften  des 
Bekenntnisses,  in  denen  auch  die  Namen  des  Arius  und 
seiner  alten  Anhänger  Euzoios  und  Achillas  (S.  16.  17) 
vorkamen ,  bestätigten  es  *.  Denn  selbstverständlich  hätten 
die  Bischöfe  keinen  zur  Unterschrift  zugelassen,  der  aufser- 
halb  der  Kirchengemeinschaft  stand.  Und  wem  dies  Zeug- 
nis nicht  genügt,  den  können  wir  auf  ein  anderes  verweisen, 
das  um  so  unverdächtiger  ist,  als  es  mit  jenem  aufser  jedem 
Zusammenhange  steht.  Der  Brief,  in  dem  Eusebius  von  Ni- 
komedia  und  Theognis  von  Nicäa  um  Wiedereinsetzung 
bitten  3,  ist  an  dieselben  Bischöfe  gerichtet,  die  sie  verurteilt 


1)  Apol.  c.  Ar.  84;  De  synod.  21  =  Migne  25,  S.  397;  26, 
S.  717. 

2)  Hier.  c.  Lucif.  20  =  Migne  23,  S.  174:  sttpersunt  adhuc 
homines,  qui  iüi  synodo  inier fuerunt.  et  ei  hoc  parum  est,  quia 
propter  temparis  antiquitatem  rari  admodum  sunt  et  in  omni  loco 
t  est  es  adesse  non  possunt,  iegamus  acta  et  nomina  episcoporum  synod  i 
Nicaenae;  et  hos,  quos  supra  diximus  fuisse  suseeptos,  subscripsisse 
homousion  inter  ceteros  reperiemus. 

3)  Harnack  Il\  S.  234  Anm.  1  äufsert  Zweifel  an  der  Echtheit 
dieses  Briefes;  aber  wenn  er  mit  der  fable  convenue,  die  vorzugsweise 
auf  den  Berichten  des  Athanasius  beruht,  kaum  zu  vereinigen  ist,  so 
zeugt  dies  für,  nicht  gegen  ihn.  Welche  Partei  sollte  denn  dies  Schrift* 
stück  gefälscht  haben?   Den  Arianern  mufste  es  unbequem  sein,  weil 


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DAS  NICÄNISC1IE  KONZIL. 


hatten,  d.  h.  an  das  Nicänische  Konzil  *.  In  dieser  Urkunde 
nun  heifst  es,  derjenige,  um  dessen  willen  die  Schreiber 
vorher  gebannt  wurden,  d.  h.  Arius,  habe  sich  unterdessen 
verteidigen  dürfen  und  sei  von  den  Adressaten,  d.  h.  der 
Synode,  freundlich  behandelt  worden  *  Wie  dies  zu  erklären 
ist,  werden  wir  später  sehen ;  jedenfalls  beweist  es  unwider- 
sprechlich,  dafs  an  der  ganzen  Erzählung  vom  Tode  des 
Arius  kein  wahres  Wort  ist. 

Wer  den  Athanasius  um  jeden  Preis  verteidigen  will, 
wird  zu  der  Annahme  geneigt  sein,  er  sei  selber  der  Be- 
trogene gewesen.  Leitet  er  doch  den  Brief  an  Serapion 
damit  ein,  dafs  er  erklärt,  bei  dem  Tode  des  Arius  nicht 
selbst  in  Konstantinopel  gewesen  zu  sein,  sondern  ihn  nur 
nach  dem  Berichte  seines  Presbyters  Macarius  wiederzugeben 8. 
Aber  wenn  dieser  der  Lügner  war,  wie  konnte  sein  Bischof 
ihm  Glauben  schenken?  Dafs  Arius  noch  335  lebte,  wufste 
er  ja,  denn  er  selbst  sagt  es  uns;  dafs  Alexander  lange 
vorher  gestorben  war,  konnte  ihm  auch  nicht  unbekannt 
sein,  da  er  ja  mit  dem  Nachfolger  desselben  auf  der  Synode 
zu  Tyrus  persönlich  verkehrt  hatte.  Sollen  wir  ihm  die 
Unbesinnlichkeit  zutrauen,  das  alles  in  seinem  frommen 
Eifer  vergessen  zu  haben?  Doch  wir  brauchen  nicht  bei 
solchen  Möglichkeiten  zu  verweilen,  da  die  andern  Schriften 
des  Athanasius  deutlich  zeigen,  dafs  nicht  Macarius,  sondern 


es  bewies,  dafs  die  Häupter  ihrer  Sekte  dem  öfioovoiov  zugestimmt 
hatten,  den  Athanasianern,  weil  sich  daraus  die  Rehabilitierung  des 
Arius  ergab.  Beide  konnten  also  wohl  ein  Interesse  daran  haben,  es 
zu  unterdrücken,  aber  nicht,  es  in  dieser  Form  zu  erfinden. 

1)  Der  Text  des  Briefes  bei  Socr.  I,  14,  2:  ijjrj  plv  ovv  xara- 

ja  xtx(H[A£va  nttQa  ft\g  dytag  vfiQv  IniXQtottog  6<ft(Xofxev. 

2)  Socr.  I,  14,  5:  6n6n  ai/röv  röv  inl  roviotg  ivayofitvov  fdofi  rrj 
ifx6h>  (irXttßtitf  (fiXar&fxuntvOaa&at  xal  avaxaXtoao&at.  ittonov  dk  xoO 
doxoüvTos  tlvtu  vnev&vvou  avaxixXr\[itvov  xal  änoXoyriaafA^vov,  itf*  o*f 
öußuXXfjo,  %uäs  oiojnqv. 

3)  Migne  25,  686:  (yto  fiiv  ov  Ttapijurjp  iv  Kdtvütavttvov  noXfi, 
5r(  htXfvrrjOiv  Ixtivof  Maxttfuos  <J£  6  notoßvjtoos  napijv  x&xifvov 
X4yovxo<;  tfxovoa. 


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38 


SEECK, 


er  eel bat  die  Geschichte  erdacht  und  im  Laufe  der  Zeit 
liebevoll  weiter  ausgestaltet  hat. 

In  seinen  frühesten  Streitschriften  ist  niemals  von  dem 
Tode  des  Arius  die  Rede,  obgleich  man  doch  annehmen 
müfste,  dafs  ein  so  wunderbares  Gottesgericht  besser  als 
alles  andere  geeignet  gewesen  wäre,  den  Lesern  die  Ver- 
worfenheit des  Arianismus  zu  beweisen 1.  Selbst  in  der 
Apologia  contra  Arianos,  in  der  er  die  Geschichte  der  Sekte, 
soweit  sie  in  seinen  Kram  pafst,  vollständig  erzählt,  wird 
dieses  wichtige  Ereignis  mit  Stillschweigen  übergangen. 
Offenbar  hat  Athanasius  selbst,  als  er  diese  Bücher  schrieb, 
noch  nichts  von  dem  Märchen  gewufBt  Zum  erstenmal 
taucht  es  in  der  Epistula  ad  episcopos  Aegypti  et  Libyae 
auf,  die  erst  356  verfafst  ist *,  und  hier  zwar  in  ganz  eigen- 
tümlicher Gestalt.  Konstantin,  so  erzählt  Athanasius,  habe 
auf  Andringen  des  Eusebius  den  Arius  berufen  und  ihm  ein 
schriftliches  Bekenntnis  abgefordert  Darauf  habe  dieser  eine 
Formel  eingereicht,  die  sich  nur  an  die  Worte  der  Schrift 
hielt  und  die  eigentlichen  Irrtümer  der  Arianer  mit  Schwei- 
gen überging.  „Wenn  du  aufser  diesem  nichts  anderes  im 
Sinne  hast",  habe  Konstantin  gesagt,  „so  rufe  die  Wahrheit 
zum  Zeugen  an;  denn  der  Herr  straft  den  Meineidigen." 
Arius  habe  denn  auch  geschworen,  niemals  etwas  anderes 
gesagt  oder  geineint  zu  haben,  als  in  dem  vorgelegten  Be- 
kenntnis stehe.  In  dem  Brief  an  Serapion  lauten  die  Worte 
des  Kaisers  anders  und  schärfer;  auch  verlangt  er  dort 


1)  Vgl.  Äthan,  bist.  Ar.  ad  monach.  3  =  Migne  26,  693:  ils  yäQ 
rtltictv  xttTdyvwnv  rijg  aitfattos  rOy  liQCiavOv  avTaQXttf  rj  jhqI  roC 
SitväTov  *Aqi(ov  ytvoptvri  naga  xoO  xvqiov  xqIok'  ijv  ifSrj  <f$daavrts 
xal  nag*  htpov  iyvane.  Ohne  Zweifel  hat  hierin  Athanasius  von  sei- 
nem Standpunkt  aus  vollkommen  recht;  um  so  auffälliger  ist  es,  dafs  er 
sich  dieses  Arguments  nicht  öfter  bedient,  während  er  doch  sonst  in 
Wiederholungen  keineswegs  sparsam  ist.  —  Wenn  er  meint,  die  Mönche 
würden  schon  durch  andere  Ober  den  Tod  des  Arius  unterrichtet  sein, 
so  erklärt  sich  dies  daraus,  dafs  er  selbst  nicht  sehr  lange  vorher  in 
seinem  Sendschreiben  an  die  Bischöfe  von  Ägypten  und  Libyen  die  Ge- 
schichte erzahlt  hatte.  Denn  der  Inhalt  desselben  war  von  den  Em- 
pfängern natürlich  auch  in  diese  Kreise  verbreitet  worden. 

2)  Migne  25,  580. 


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j 


DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


39 


keinen  Eid,  sondern  Arius  hat  ihn  schon  vorher  freiwillig 
geschworen.  Unstreitig  liegt  hierin  eine  Steigerung  seiner 
Schuld ;  doch  sind  diese  Verschiedenheiten  noch  unbedeutend 
genug,  um  sich  durch  Gedächtnisfehler  des  Athanasius  ent- 
schuldigen zu  lassen.  Aber  gleich  nach  der  Erzählung  der 
Audienz  bei  Konstantin  folgen  die  Worte:  dll*  eddvg  e£eA- 
&anEQ  dintp  öovg  KaTi7zeoe  yuxi  nQ^v^g  yevd/uevog  iKd- 
xtjoe  fidoog.  Kein  Unbefangener  kann  dies  anders  inter- 
pretieren, als  dafs  der  Ketzer  in  demselben  Augenblicke 
(ev&vg),  wo  er  den  Kaiserpalast  verliefs,  eines  bösen  schnellen 
Todes  gestorben  und  so  die  Strafe  dem  Meineid  auf  dem 
Fufse  gefolgt  sei 

Nachdem  die  Erzählung  so  zum  Abschlufs  gelangt  ist, 
beginnt  sie  freilich  gleich  wieder  von  neuem,  und  der  Zwang 
des  Eusebius  gegen  Alexander,  dessen  Gebet  und  der  Tod 
des  Arius  im  Abtritt  werden  ungefähr  in  der  gleichen 
Weise  berichtet,  wie  in  dem  Brief  an  Serapion.  Aber  wer 
ein  wenig  philologische  Schulung  besitzt,  dem  wird  es  ohne 
weiteres  klar  sein,  dafs  diese  Fortsetzung  ein  späterer  Zu- 
satz ist,  um  so  mehr  als  wir  diese  Schrift  nicht  in  ihrer  ur- 
sprünglichen Gestalt,  sondern  nur  in  einer  jüngeren  Redaktion 
besitzen. 

Schon  die  alten  Herausgeber  haben  bemerkt,  dafs  die 
Apologia  contra  Arianos  und  der  Brief  de  synodis  einzelne 
Stücke  enthalten,  die  ihnen  Athanasius  selbst  mehrere  Jahre 
nach  ihrer  Vollendung  hinzugefugt  hat  Er  pflegte  also,  wenn 
er  neue  Auflagen  seiner  Werke  veranstaltete,  sie  mit  Zusätzen 
und  Berichtigungen  zu  versehen.  Dafs  er  dies  auch  bei 
der  epistula  ad  episcopos  Aegypti  et  Libyae  gethan  hat,  er- 
giebt  sich  mit  Sicherheit  aus  folgender  Stelle*:       /i«-  olv 

1)  Diese  Form  der  Erzählung  scheint  auch  in  der  Hist.  Ar.  ad 
mon&ch.  61  vorausgesetzt  zu  werden:  tl  9\  xal  lÜQaxtv  Uptov  6  narijQ 
ttinoD  (seil.  to0  Kworavtlov),  &XX'  imocuct]aas''AQtioi  xal  $«ytk  flvat 
rrp>  toO  nttTQÖf  tftXav&Qfortiav.  Denn  auch  hier  stehen  Heineid  und 
Tod  in  engster  Vorbindung.  Zudem  erscheint  als  einzige  Gunst,  die 
Konstantin  dem  Arius  erwies,  dafs  er  ihn  überhaupt  einer  Audienz 
würdigte  (topoxtv);  von  einem  Zwange  gegen  den  Bischof  von  Konstan- 
tinopel,  mit  dem  Ketzer  zu  kommunizieren,  ist  nicht  die  Bede. 

2)  22  «=  Migne  25,  589. 


40 


SEECK, 


^  TiovriQia  xat  fj  oi"M<favxia  x(bv  MtUxiavdv  xat  nqb  xov- 
xtov  n&ai  (pave^d*  fjv  öi  xat  f}  äoißeia  xat  ^eo^axog  ai'Qeoig 
xQv  'AquovQv  7tälai  navxccxoB  xat  n&aiv  Ixd^log,  ov  yccQ 
ötiyog  iaxiv  6  xQ&og'  dXX*  oi  fiiv  tzqö  nevxfaovxa  xat 
Tcivxt  €T<3v  oxiOfjctTixoi  ysydvaoiv  oi  de  nqb  xQid'/jovxa  xat 

kxQv  d7t£ÖeixS^loctv  atQeuxoi  xat  rfjc  hmXipiaQ  dneßktf- 
xhprav  Ix  '/.gloecog  n&arig  xfjg  olitovueviyifjg  avvödov.  Da  der 
Brief  ohne  jeden  Zweifel  im  Jahre  356  geschrieben  ist,  hat 
Walch  dies  Konzil  auf  die  Synode  von  Alexandria  gedeutet 
und  sie  nach  dieser  Stelle  auf  das  Jahr  320  datieren  zu 
können  gemeint 1 ;  aber  wo  ohne  weitere  Erklärung  von 
dem  ökumenischen  Konzil  geredet  wird  und  dies  zwar  mit 
Hinzufügung  des  bestimmten  Artikels,  da  kann  gar  kein 
anderes  als  das  Nicänische  gemeint  sein.  Zudem  würde  auch 
die  Datierung  des  Meletianischen  Schismas  nicht  zu  dem 
Jahre  356  passen.  Denn  so  verschieden  auch  Epiphanius 
und  Athanasius  die  Gründe  desselben  betrachten,  darin  stim- 
men sie  beide  überein,  dafs  es  aus  der  Christen  Verfolgung 
hervorgegangen  war;  wenn  wir  aber  mit  55  Jahren  von 
356  zurückrechnen,  so  kommen  wir  auf  das  Jahr  301,  wo 
jene  noch  gar  nicht  begonnen  hatte.  Die  oben  angeführte 
Stelle  kann  also  nur  36  Jahre  nach  dem  Konzil  von  Nicäa, 
d.  h.  im  Jahre  361,  geschrieben  sein;  mithin  ist  sie  fünf 
Jahre  später  als  die  ursprüngliche  Abfassung  des  Briefes. 
Um  361  oder  etwas  früher  —  denn  ganz  genau  läfst  er 
sich  nicht  datieren  —  ist  aber  auch  der  Brief  an  Serapion 
abgefafst.  Es  ist  also  ganz  erklärlich,  dafs  Athanasius,  als 
er  hier  die  Geschichte  vom  Tode  des  Arius  in  erweiterter 
und  verschönerter  Gestalt  erzählte,  auch  jene  frühere  Schrift 
soweit  veränderte,  dafs  sie  mit  der  späteren  nicht  in  gar 
zu  schroffem  Widerspruche  stand. 

Was  also  soll  Macarius  seinem  Bischof  aufgebunden 
haben?  Dafs  Arius  gleich  nach  Beinem  Meineide  vor  dem 
Palaste  Konstantins  starb  oder  dafs  dies  erst  nach  dem  Gebet 
Alexanders  auf  jenem  berühmten  Abtritt  geschah?  Wie 
mir  scheint,  verrät  jene  Weiterbildung  der  Geschichte  deut- 


1)  Hefele,  Konziliengeschichte  lf,  S.  268. 


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41 


lieh  genug,  dafs  Athanasius  nicht  nur  fremde  Erfindungen 
leichtsinnig  verbreitete,  sondern  selbst  der  Erfinder  war.  Man 
wende  nicht  ein,  dafs  auch  andere  Autoren  den  Tod  des  Arius 
ähnlich  erzählen.  Denn  unter  ihnen  ist  keiner,  der  nicht 
die  Schriften  des  Athanasius  gelesen  hätte,  und  wenn  sie 
zum  Teil  andere  Nebenumstände  bringen,  so  haben  sie  eben 
kleine  Versehen  begangen  oder  auch  bei  ihnen  ist  das  Märchen 
weiter  ausgesponnen.  Auch  dafs  man  ein  Jahrhundert  später 
in  Konstantinopel  sogar  den  Abtritt  zu  zeigen  wufste,  auf 
dem  Arius  gestorben  sein  sollte  l,  lehrt  nur ,  was  wir  schon 
lange  wissen,  dafs  nämlich  litterarische  Überlieferungen  leicht 
in  die  Volkssage  übergehen  und  dann  auch  bald  eine  sehr 
bestimmte  Lokalisierung  erfahren.  Der  Herthasee  auf  Rügen 
verdankt  seinen  Namen  ausschliefslich  einer  falschen  Lesart 
in  Tacitus'  Germania,  und  doch  wird  er  so  nicht  nur  von 
den  gebildeten  Reisenden,  sondern  auch  von  den  einheimischen 
Fischern  genannt. 

7. 

Da  Athanasius  es  mit  der  Wahrheit  so  wenig  genau 
nimmt,  kann  es  nicht  verwundern,  dafs  er  sich  die  Urkunden, 
deren  er  zur  Beglaubigung  seiner  Lügen  bedarf,  im  Notfalle 
selber  macht  Aber  wenn  er  auch  im  Verschweigen  zu 
allen  Zeiten  sehr  stark  gewesen  ist,  zum  eigentlichen  Fäl- 
schen scheint  er  doch  erst  ziemlich  spät  gegriffen  zu  haben. 
Wir  sahen  schon,  dafs  die  Geschichte  vom  Tode  des  Arius 
in  seinen  Schriften  nicht  vor  356  erwähnt  wird.  Die  Apo- 
logia  contra  Arianos,  die  schon  sechs  Jahre  früher  geschrieben 
ist,  enthält  in  ihren  Hauptteilen,  soweit  ich  habe  nachprüfen 
können,  nur  echtes  Material.  Doch  hat  auch  sie,  wie  schon 
die  alten  Herausgeber  bemerkt  haben,  am  Schlüsse  spätere 
Zusätze  erhalten,  und  zu  diesen  gehören  wahrscheinlich  auch 
die  beiden  letzten  Urkunden  (b6.  87);  denn  diese  sind  er- 
weislich gefälscht.  Man  hüte  sich,  hieraus  zu  schlicfsen,  dafs 
sie  nicht  von  Athanasius  selbst  erdacht  seien.   Die  eine  der- 


1)  Socr.  I,  38,  7. 


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42 


SEECK, 


selben,  hat  er  in  seiner  Historia  Arianorum  ad  monachos  8 
wiederholt  und  sie  dadurch  als  sein  Eigentum  anerkannt 1. 

Dies  ist  ein  Brief  Konstantins  II.  an  die  katholische  Ge- 
meinde von  Alexandria,  worin  dieser  mitgeteilt  wird,  der  Vater 
des  jungen  Kaisers  habe  ihr  ihren  Bischof  nur  deshalb  durch 
eine  scheinbare  Verbannung  entzogen,  weil  er  ihn  vor  den  ge- 
fährlichen Angriffen  seiner  blutdürstigen  Feinde  habe  schützen 
wollen.  Er  habe  daher  verordnet,  dafs  man  es  dem  Atha- 
nasius in  Trier  an  nichts  fehlen  lasse,  und  habe  selber  die 
Absicht  gehegt,  ihn  seiner  Kirche  zurückzugeben,  nur  sei  er 
durch  frühzeitigen  Tod  daran  verhindert  worden.  Der  Sohn 
erfülle  daher  den  Willen  des  Vaters,  indem  er  dem  Ver- 
bannten die  ehrenvollste  Rückkehr  gewähre.  Durch  diesen 
Brief  will  Athanasius  beweisen,  dafs  Konstantin  der  Grofse 
ihm  niemals  feindlich  gewesen  sei.  Wie  wir  schon  oben 
gesehn  haben  (S.  19),  galt  eben  die  Gegnerschaft  eines 
Kaisers,  der  sich  als  treuer  Sohn  der  Kirche  gezeigt  hatte, 
als  arger  Makel;  der  Bischof  hatte  daher  allen  Grund,  sich 
davon  zu  reinigen. 

Die  Urkunde  trägt  die  Unterschrift:  idöd^  ttqö  dexa- 
nivte  *ahxv6Qv  'iovkiwv  iv  TQtßsQoig.  Das  Konsulat  fehlt, 
doch  kann,  die  Echtheit  vorausgesetzt,  über  das  Jahr  kein 
Zweifel  sein.  Der  grofse  Konstantin  war  am  22.  Mai  337 
in  Nikomedia  gestorben ;  die  Nachricht  davon  hätte  bis  zum 
17.  Juni  desselben  Jahres  kaum  Zeit  gehabt,  um  bis  nach 
Trier  zu  gelangen.  Wenn  also  der  Schreiber  schon  von 
dem  Tode  seines  Vaters  redet  und  dies  zwar  nicht  als  von 
etwas  Neuem  und  Überraschendem,  sondern  wie  von  einer 
längst  bekannten  Thatsache,  so  folgt  daraus,  dafs  das  früheste 
mögliche  Jahr  der  Datierung  338  ist  Zudem  berichtet 
Athanasius  selbst,  seine  Heimsendung  habe  auf  einem  Uber- 
einkommen der  drei  Söhne  Konstantins  beruht,  allen  ver- 
bannten Geistlichen  die  Rückkehr  zu  gestatten  * ;  es  waren 


1)  Auch  Hist.  Ar.  ad  mon.  50  =»  Migne  25,  763  beruft  er  sich 
auf  diesen  gefälschten  Brief. 

2)  Hist.  Ar.  ad  mon.  8  =  Migne  25,  704:  xaOra  owoQQrtis  ot 
T0fJf  äSiXifcif  KwaravTtvos,  Ktovordntos  xal  Ktuvarns,  tnoftjoftv  ndv 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


43 


ihr  also  Verhandlungen  der  Brüder  vorausgegangen,  die  bei 
ihrer  weiten  Entfernung  voneinander  jedenfalls  Monate  in 
Anspruch  genommen  hatten.  Endlich  lehrt  uns  der  Vor- 
hericht  zu  den  Festbriefen,  dafs  der  Bischof  am  27.  Athyr 
338  (=  23.  November)  in  Alexandria  einzog,  und  es  ist 
doch  höchst  unwahrscheinlich,  dafs  er  nach  der  Aufhebung 
seines  Exils  die  Heimkehr  noch  über  ein  Jahr  verschoben 
habe.  Ist  also  das  Datum  jenes  Briefes  echt,  so  kann  es 
nur  den  17.  Juni  338  bedeuten. 

Aber  dieser  Tag  pafst  nicht  zu  der  Überschrift.  Denn 
hier  nennt  sich  Konstantin  IL  noch  Cäsar,  wie  er  es  bei 
Lebzeiten  seines  Vaters  und  in  den  ersten  Monaten  nach 
dessen  Tode  gewesen  war;  aber  schon  am  9.  September  837 
hatte  er  den  Augustustitel  angenommen. 

Auch  in  anderer  Beziehung  ist  das  Datum  der  Unter- 
schrift unmöglich;  doch  um  dies  zu  erweisen,  mufs  man 
uns  ein  etwas  weiteres  Ausholen  gestatten. 

Beim  Tode  Konstantins  des  Grofsen  zählte  sein  jüngster 
Sohn  Konstans  kaum  vierzehn  Jahre  ».  Er  war  also  noch 
nicht  regierungsfähig,  und  die  Vormundschaft  über  ihn 
fiel,  wie  sich  von  selbst  versteht,  dem  ältesten  der  drei 
Kaiser,  Konstantin  IL,  zu.  In  dessen  Hand  ruhte  daher  die 
Gesetzgebung  für  den  ganzen  Occident,  auch  für  Italien, 
Afrika  und  Illyrikum,  die  nominell  dem  Konstans  gehörten. 
So  ist  z.  B.  der  Erlafs  Cod.  Theod.  XII,  1,  27,  obgleich  er 
sich  speziell  auf  Afrika  bezieht,  doch  aus  Trier  datiert,  wo 
Konstantin  residierte.  Erst  340,  als  Konstans  siebzehn  Jahr 
alt  wurde,  begann  er  selbständig  Gesetze  zu  geben,  aber 
gleich  darauf  und  wahrscheinlich  infolge  dessen  brach  auch 
der  Konflikt  zwischen  den  Brüdern  aus,  der  den  Tod  des 
ältesten  herbeiführte.  Wir  sind  daher  berechtigt,  alle  Er- 
lasse, die  in  den  Jahren  338  und  339  an  occidentalische 
Beamte  gerichtet  sind  oder  sich  sonst  auf  den  Occident  be- 


ruf fuxot  »ttvctjov  roO  nar^öf  tnavtk&üv  tlg  rip  nar^Su  tutl  tip  ix- 
xXijotav.   Vgl  Epiph.  haer.  LXVIII,  10. 

1)  Se eck,  Zur  Echtheitsfrage  der  Scriptorea  hiatoriae  Augustae. 
Rhein.  Museum  XLIX,  S.  218. 


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•14 


SEECK, 


ziehen,  dein  Konstantin  zuzuschreiben,  während  jeder  Zu- 
sammenhang mit  dem  Orient  auf  Konstantias  hinweist 

Wie  uns  Julian  1  berichtet,  hatten  die  drei  Brüder  nicht 
lange  nach  dem  Tode  ihres  Vaters  in  Pannonien  eine  Zu- 
sammenkunft,  um  durch  gemeinsames  Ubereinkommen  die 
Erbschaft  zu  regeln.  Athanasius  traf  bei  seiner  Heimreise 
aus  Trier  in  Viminacium  mit  Konstantius  zusammen  *.  Da 
er  im  November  338  in  Alexandria  anlangte,  mufs  dies  im 
Sommer  desselben  Jahres  gewesen  sein.  Vom  12.  Juni  338 
besitzen  wir  ein  Gesetz  an  den  Präfekten  von  Italien  und 
Afrika,  das  gleichfalls  aus  Viminacium  datiert  ist  *.  Kon- 
stantin II.  war  also  in  dieser  Stadt  um  dieselbe  Zeit,  wo 
auch  Konstantius  dort  nachweisbar  ist.  Mithin  dürfte  hier 
der  Kongreß  der  kaiserlichen  Brüder  stattgefunden  haben. 
Freilich  liegt  Viminacium  nicht  in  Pannonien  selbst,  sondern 
nur  nah  an  der  Grenze  dieser  Diöcese ;  aber  einen  so  kleinen 
Irrtum  kann  man  Julian,  der  diese  Ereignisse  nur  als  Kind 
erlebt  hatte,  wohl  zutrauen.  Wenn  aber  Konstantin  am 
12.  Juni  338  an  der  unteren  Donau  war,  so  kann  er  jenen 
Brief  des  Athanasius  nicht  am  17.  Juni  aus  Trier  datiert 
haben. 

Man  wird  sich  vielleicht  mit  der  Annahme  helfen  wollen, 
das  Datum  sei  durch  irgendeine  handschriftliche  Verderbnis 
entstellt;  aber  auch  wenn  wir  gestatten,  jeden  beliebigen 
andern  Tag  dafür  zu  setzen,  bleibt  noch  immer  der  Ort  der 
Datierung  unmöglich  Wir  sahen  schon  (S.  42),  dafs  die 
Rücksendung  der  verbannten  Geistlichen,  darunter  auch  des 


1)  Julian,  or.  I,  p.  19  A:  <f*«  ras  nobs  jovs  aSthfovg  iv  Jlatovitf 
oi-v&qxas,  &s  aitöi  naqotv  ovrm  diyxTjoag,  tag  fiT)ö*tj4{ttv  aqoQfiijv  ixti- 
voii  nttQitaxttv  (xtfiyttog.  20  B:  In  näh  ydg  ooi  rä  rOv  ow&rjxßv  fttra 
Ji}(  uoiart^  öfiovofae  dityxriTo,  —  nootlaq  plv  rafft  XW*/**"0* 

ix  IJaiovüiv  iv  Zvpotg  dfy-^ijf. 

2)  Äthan,  apol.  ad  Const.  5  —  Migne  25,  S.  601:  Afra  yaQ, 
yivtooxoiv  at  ftvrtftovixtorarov,  itvcc^p^a&ifvai  rßv  Xoytov,  Jtv  ävfytoov 
rort ,  Srt  xarrj{{o)Oas  idtiv  fit,  noßrov  plv  iv  Bifuvaxbp,  dtvrtoov  dt 
iv  Kuiattottq  T>}c  Kttnnadox((t$  xai  rotrov  iv  'Avrioxtta. 

3)  Cod.  Theod.  X,  10,  4.  Dafs  der  Adressat  Celsinns  Afrika  unter 
sich  hatte,  ergiebt  sich  aus  Cod.  Theod.  XII,  1,  27. 


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DAS  N1CÄNISCHE  KONZIL. 


15 


Athanasius,  aut  einem  gemeinsamen  Beschlufs  der  di*ei  Brü- 
der beruhte.  Jedenfalls  ist  dieser  in  Viminacium  gefafst 
worden;  denn  wenn  sie  ohnehin  beabsichtigten,  persönlich 
zusammenzutreffen,  so  werden  sie  jene  schwierigen  Verhand- 
lungen über  die  kirchlichen  Angelegenheiten  gewifs  nicht 
durch  Gesandtschaften  geführt  haben,  die  zwischen  Bosporus 
und  Mosel  auf  monatelangen  Reisen  hätten  hin  und  her 
ziehn  müssen.  Und  Athanasius  wartete  nicht  ab,  bis  Kon- 
stantin wieder  heimgekehrt  war,  sondern  er  reiste  selbst  an 
den  Ort  des  Kongresses,  während  die  Kaiser  noch  dort 
verweilten.  Mithin  kann  die  Erlaubnis  zu  seiner  Heimkehr 
und  der  sie  begleitende  Brief  an  die  Gemeinde  von  Ale- 
xandria auch  nicht  aus  Trier,  sondern  nur  aus  Viminacium 
datiert  gewesen  sein. 

Also  die  ganze  Unterschrift,  sowohl  Tag  als  Ort,  stimmt 
zu  den  Zeitverhältnissen  ebenso  wenig  wie  zu  der  Uber- 
schrift. Und  wenn  wir  beide  unbeachtet  lassen  und  nur  bei 
dem  Texte  selbst  verweilen,  so  bietet  auch  dieser  noch  die- 
selben Schwierigkeiten.  Denn  hier  heifst  es,  Konstantin  der 
Grofse  habe  verordnet,  Athanasius  solle  iv  tavrrj  Tg  ndlet^ 
iv  g  dUtQiße,  näot  rotg  dvayz.atoig  ifinteovdteiv.  Jenes 
Fürwort  rcnjTrj  läfst  sich  nicht  anders  interpretieren,  als  dafs 
die  Stadt,  in  welcher  der  Bischof  während  seiner  Verban- 
nung weilte,  eben  dieselbe  ist,  in  der  unser  Brief  geschrieben 
wird,  und  doch  kann  dieser  nicht  in  Trier  geschrieben  sein. 
Dafs  der  Vater  des  angeblichen  Schreibers  nicht  divus  parens 
n08ttr,  sondern  6  deoTtövqg  i)^Qv  Ktovatavvlvog  6  Zeßaovög 
genannt  wird,  d.  h.  dominus  noster  Constantinus  Augustus, 
ein  Titel,  der  bei  einem  verstorbenen  Kaiser  ganz  unerhört 
ist  und  wohl  von  einem  des  offiziellen  Stiles  unkundigen 
Bischof,  aber  niemals  von  einer  kaiserlichen  Kanzlei  gebraucht 
werden  konnte,  mag  zum  Schlüsse  noch  bemerkt  werden. 

Den  gleichen  Zweck,  die  Autorität  des  grofsen  Kon- 
stantin für  die  Sache  des  Athanasius  und  gegen  ihre  Feinde 
auszuspielen,  verfolgt  auch  ein  zweites  Schriftstück,  das  in 
der  Apologie  dem  eben  besprochenen  unmittelbar  voraus- 
geht. Hatte  in  diesem  der  Sohn  für  die  gute  Gesinnung 
seines  Vaters  Zeugnis  abgelegt,  so  wird  hier,  um  jeden  noch 


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vorhandenen  Zweifel  zu  beseitigen,  Konstantin  selbst  redend 
.  eingeführt.  In  einem  Briefe,  den  er  an  das  Konzil  von 
Tyrus  gerichtet  haben  soll,  erklärt  der  Kaiser  gleich  im 
Eingange,  dafs  er  von  den  Beschlüssen  der  Versammlung 
zwar  noch  nichts  wisse,  ihnen  aber  nichtsdestoweniger  sehr 
mifstrauisch  gegenüberstehe.  Nachdem  er  dann  den  Bischöfen 
noch  einige  Schnödigkeiten  an  den  Kopf  geworfen  hat,  er- 
zählt er  folgendes.  Als  er  eben  in  seine  Stadt  eingeritten 
sei,  sei  ihm  plötzlich  auf  offener  Strafse  Athanasius  mit 
seinen  Begleitern  entgegengetreten.  Anfangs  habe  er  diesen 
gar  nicht  erkannt,  und  als  er  gehört  habe,  wer  es  sei, 
doch  nicht  mit  ihm  gesprochen,  ihm  auch  eine  Audienz 
verweigert  Da  habe  er  vernommen,  der  Bischof  begehre 
nichts  anderes,  als  dafs  auch  seine  Gegner  vor  dem  Throne 
des  Kaisers  erschienen  und  durch  diesen  selbst  der  in  Tyrus 
begonnene  Streit  entschieden  werde.  Diese  Forderung  habe 
er  durchaus  billig  gefunden  und  vorordne  daher,  dafs  die 
ganze  Synode  an  seinen  Hof  nach  Konstantinopel  über- 
siedeln solle.  Dann  schliefst  der  Brief  mit  einigen  Ermah- 
nungen, die  in  sehr  scharfem  Tone  gehalten  sind.  Atha- 
nasius selbst  erzählt  weiter,  dafs  Eusebius  von  Nikomedia 
die  Bischöfe  gehindert  habe,  dem  Befehl  des  Kaisers  Folge 
zu  geben.  So  sei  denn  nicht  die  ganze  Versammlung,  son- 
dern nur  Eusebius  mit  einigen  seiner  zuverlässigsten  An- 
hänger nach  KonBtantinopel  gekommen,  habe  aber  vor  dem 
Gericht  Konstantins  keine  der  Anklagen  zu  wiederholen  ge- 
wagt, auf  welche  hin  man  in  Tyrus  die  Absetzung  des 
Athanasius  beschlossen  habe,  sondern  statt  dessen  ganz  neue 
Verleumdungen  vorgebracht.  Allerdings  seien  diese  so  wirk- 
sam gewesen,  dafs  der  Kaiser  den  Bischof  von  Alexandria 
sogleich  nach  Trier  verschickt  habe. 

Uber  das  Konzil  von  Tyrus  und  die  Verbannung  des 
Athanasius  besitzen  wir  durch  den  Vorbericht  zu  den  Fest- 
briefen und  eine  sicher  echte  Urkunde  der  Apologie  (75) 
die  genauesten  chronologischen  Daten. 

11.  Juli  335  (17.  Epiph)  reist  Athanasius  von  Alexan- 
dria ab,  um  sich  nach  Tyrus  zu  begeben.  Nachdem  hier 
die  ersten  Verhandlungen  resultatlos  verlaufen  sind,  wird 


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DAS  N1CÄKISCHE  KONZIL. 


47 


eine  Untersuchungskommission  des  Konzils  nach  dem  mareo- 
tischen  Gau  abgeschickt. 

7.  September  (10.  Thoth)  legt  der  Klerus  des  mareoti- 
schen  Gaues  in  dieser  Sache  schriftliches  Zeugnis  ab  l.  Da 
nach  dem  Abschlufs  der  Untersuchung  Athanasius  den 
Spruch  der  Synode  voraussieht,  verläfst  er  Tyrus  und  geht 
zu  Schiffe  nach  Konstantinopel. 

29.  Oktober  (2.  Atbyr)  langt  er  hier  an  und  erhält  nach 
acht  Tagen  bei  Konstantin  Audienz. 

6.  November  (10.  Athyr)  reist  er  in  die  Verbannung 
nach  Trier. 

Alle  diese  Daten  passen,  obgleich  sie  zum  Teil  aus  ver- 
schiedenen Quellen  entnommen  sind,  doch  so  vorzüglich  zu 
einander,  dafs  an  ihrer  Richtigkeit  gar  kein  Zweifel  möglich 
ist  Sind  sie  aber  echt,  so  mufs  jener  Brief  Konstantins 
unecht  sein.  Denn  in  Verbindung  mit  der  an  ihn  geknüpften 
Erzählung  setzt  er  doch  voraus,  dafs  zwischen  dem  ersten 
Zusammentreffen  des  Kaisers  mit  Athanasius  und  der  Ver- 
bannung des  letzteren  jener  Befehl  an  die  Synode  nach 
Tyrus  überbracht  wurde  und  von  hier  die  Bischöfe  nach 
Konstantinopel  reisten,  was  beides  zusammen  Monate  in  An- 
spruch genommen  haben  mufs.  Und  doch  hat  Athanasius 
sich  in  der  Residenz  kaum  acht  Tage  aufgehalten,  ehe  der 
Spruch  Konstantins  gegen  ihn  entschied. 

In  dem  erhaltenen  Urkundenbuch  des  Athanasius  sind 
dies  die  einzigen  Fälschungen,  die  ich  nachzuweisen  ver- 
mag; doch  gab  es  auch  noch  ein  zweites,  den  Synodikus, 
der  uns  verloren,  aber  von  Sokrates  (I,  13,  12)  und  wahr- 
scheinlich auch  von  manchem  andern  benutzt  ist.  Dafs 
auch  diese  Sammlung  nicht  nur  echtes  Material  enthielt, 
dürfen  wir  vermuten,  namentlich  da  sie  in  die  letzten  Zeiten 
seiner  Wirksamkeit  zu  gehören  scheint,  und  er,  wie  wir 
sahen,  mit  den  Jahren  in  seinen  Erfindungen  immer  kühner 
und  fruchtbarer  wurde  (S.  41).  Denn  wenn  sie  schon  seiner 
Frühzeit  entstammte,  so  wäre  es  sehr  zu  verwundern,  dafs 


1)  Apol.  c  Ar.  75  =  Migne  25,  386.  Alle  übrigen  Daten  stehen 
bei  Larsow  S.  28. 


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SEECK, 


weder  in  der  Apologia  noch  in  irgendeinem  andern  seiner 
Werke  darauf  verwiesen  ist.  Wenn  es  sich  auch  nicht  be- 
stimmt erweisen  läfst,  halte  ich  es  doch  für  wahrscheinlich, 
dafs  einige  gefälschte  Urkunden,  die  zum  gröfsten  Teil  durch 
Sokrates  beglaubigt  sind,  aus  diesem  untergegangenen  Buche 
des  Athanasius  herstammen. 

Die  erste  ist  jenes  wunderliche  Edikt  Konstantins,  in 
dem  er  verordnet,  dafs  die  Arianer  künftig  Porphyrianer 
genannt,  die  Schriften  des  Sektenstifters  verbrannt  und  jeder, 
der  ein  Exemplar  davon  aufbewahre,  mit  dem  Tode  be- 
straft werden  solle  l.  —  Da  alle  chronologischen  Indicien 
fehlen,  läfst  sich  die  Fälschung  in  diesem  Falle  nicht  so 
schlagend  nachweisen,  wie  in  den  beiden  vorhergehenden. 
Doch  widerspricht  es  ganz  und  gar  dem  Geiste  der  kon- 
stantinischen Regierung,  religiöse  Vergehen  mit  dem  Hals- 
gericht zu  verfolgen,  und  niemals  ist  das  Gesetz  zur  Aus- 
führung gebracht  Hätte  doch  Athanasius  selbst  danach  sein 
Leben  verwirkt;  denn  da  er  von  der  Thalia  des  Arius,  die 
er  doch  gewifs  nicht  auswendig  kannte,  seitenlange  Stücke 
wörtlich  anführt  *,  so  mufs  er  das  verbotene  Buch  in  seinem 
Besitze  gehabt  haben.  Auch  sind  die  Arianer  niemals  Por- 
phyrianer genannt  worden,  obgleich  man  doch  meinen  sollte, 
dafs  ihre  zahlreichen  und  erbitterten  Gegner,  namentlich 
Athanasius  selbst,  sich  dieses  Ekelnamens  mit  Eifer  hätten 
bemächtigen  müssen.  Überhaupt  weifs  er  in  seinen  älteren 
Schriften  noch  gar  nichts  von  diesem  Edikt.  In  der  ersten 
Rede  gegen  die  Arianer  3  sagt  er  zwar,  dafs  die  Thalia  der 


1)  Socr.  I,  9,  30.  Gelas.  II,  36  —  Mansi  II,  S.  920.  Sozom. 
I,  21,  dem  die  Fälschung  wahrscheinlich  durch  Vermittelung  des  So- 
krates bekannt  geworden  ist.  Doch  nimmt  im  Jahre  435  auch  ein 
Gesetz  Theodosius'  II.  darauf  Bezug.  Haenel,  Corpus  legum,  p.  247 
—  Mansi  V,  S.  413.  660. 

2)  De  synod.  15  —  Migne  26,  S.  705. 

3)  Or.  c  Ar.  I,  10  =  Migne  26,  S.  32:  tt  öl  X6yo$  roO  naroog 
xal  vlö(  altj&tpöi  (ort  xal  ix  9-tod  &tog  (ort  xal  inl  nävriov  tvXoyrj- 
jjfvos  elg  tovs  atOvag,  nöf  otix  Äftov  ayavtoai  xal  analeiil>at  tu  re 
äUa  QqpaTtt  xal  rijv  ^QUavrjv  Balttav  ttxdva  xaxQv  xal  näatjg 
aoißtiag  y/ftovaav;  elf  fjv  tfintortov  oi>x  oiJiv,  Sri  yijytvfig  7i«(>*  avrij 


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DAS  KICÄN18CHE  KONZIL. 


49 


Vernichtung  wert  sei  und  dafs  selbst  die  Anhänger  des 
Arius  ihren  Wortlaut  verborgen  hielten  und  allerlei  an- 
deres vorbrächten,  um  nicht  allgemeinen  Anstofs  zu  er- 
regen. Aber  dafs  jene  Vernichtung  durch  kaiserliches  Ge- 
setz befohlen  und  das  Verborgenhalten  des  Buches  durch 
Furcht  vor  irgendeiner  Strafe  bedingt  sei,  wird  mit  keinem 
Wort  angedeutet,  ja  es  wird  sogar  vorausgesetzt,  dafs  jeder 
Beliebige  zufallig  das  häretische  Werk  in  die  Hand  bekom- 
men könne  (eig  jjv  tfuiimiov  x.  t.  L).  Man  wende  nicht 
ein,  dafs  dies  unter  Konstantias  geschrieben  ist,  als  die 
Arianer  am  Ruder  waren.  Auch  wenn  das  Gesetz  Konstan- 
tins durch  seine  Söhne  aufgehoben  war,  hätte  Athanasius  in 
diesem  Zusammenhange  doch  nicht  umhin  können,  darauf 
zu  verweisen,  falls  es  ihm  damals  bekannt  gewesen  wäre. 
Ebenso  wenig  wird  das  angebliche  Edikt  in  der  Apol.  c. 
Arianos  und  in  der  Apol.  ad  Constantium  erwähnt,  obgleich 
Athanasius  namentlich  in  der  letzteren  doch  allen  Grund 
gehabt  hätte,  den  Kaiser  an  das  Beispiel  seines  Vaters  zu 
erinnern.  Erst  in  der  Historia  Arianorum  ad  monachos  1 
kommt  er  darauf  zu  sprechen,  aber  in  dieser  Schrift  werden 
auch  schon  seine  andern  Fälschungen,  namentlich  die  Ge- 
sclüchte  vom  Tode  des  Arius  und  der  Brief  Konstantins  II., 
angeführt  und  gebührend  ausgenutzt. 

Dafs  jenes  fragwürdige  Edikt  schon  bei  Lebzeiten  des 
Athanasius  fabriziert  worden  ist,  steht  nach  dem  eben  an- 
geführten Citat  fest;  dafs  er  selbst  der  Fälscher  war,  ist 
damit  freilich  nicht  bewiesen.  Da  aber  auch  diese  Er- 
findung den  Zweck  verfolgt,  den  grofsen  Konstantin  zum 
Feinde  der  Arianer  umzustempeln ,  und  genau  die  gleiche 
Tendenz  in  den  beiden  gefälschten  Kaiserbriefen  am  Ende 


ölkwiat  xal  tnl  ntxavyQv  utiov  awttvt^.  xal  toOto  taaoi  xal  avrol 
xal  7i(tvoCQyoi  xQvnrovai,  fit}  OaflQoOvTte  (xXaltiv  avrä,  all*  trtQtt 
ip&eyyopevoi  nttQtt  raOta.    luv  re  yÜQ  tYnioat,  xaxayvaio&rioovrai. 

1)  50  —  Migne  25,  S.  763  heifst  es  von  Konstau tius :  nQg  oiV, 
«/  tö  xoO  iavxoö  yiwrfTOQOt,  o>f  tfvlaxxttv  ijfaltv,  anforute  xo 

ftiv  jtqQxov  rQTjyÖQiov  xal  vOv  di  xöv  xafjKiotftiyov  ntiiQyiov;  %  dtä  xt 
roi>i  'A&ittvovs ,  oVs  txdvos  /IoQ(f>vQiavovs  tavopaat,  xouiovs 
ovrof  ftf  t^v  IxxXrplav  tloayaytiv  anovdd^u ; 

Z«ttochr.  f.  K.-O.  XVII.  1  n.  t.  4 


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50 


SEECK, 


der  Apologia  contra  Arianos  hervortritt,  wird  man  minde- 
stens vermuten  dürfen,  dafs  alle  drei  Machwerke  den- 
selben Urheber  haben. 

Auf  die  Schmähbriefe  gegen  Arius  1  und  gegen  Eusebius 
von  Nikomedia 2,  die  auch  dem  Eonstantin  zugeschrieben 
werden  und  auch  die  angegebene  Tendenz  unterstützen,  gehe 
ich  hier  nicht  ein,  weil  sie  zu  wenig  thatsächliche  Hand- 
haben bieten,  um  den  überzeugenden  Beweis  ihrer  Unecht- 
heit  zu  ermöglichen.  Sie  enthalten  eben  weiter  nichts  als 
ein  wütendes  Gekeife,  bei  dem  es  jedem  überlassen  bleiben 
kann,  ob  er  es  dem  grofsen  Kaiser  zuschreiben  mag  oder 
nicht.  Da  fast  gar  keine  Thatsachen  darinstehen,  können 
diese  vermeintlichen  Urkunden  der  historischen  Forschung 
wenig  Schaden  bringen ;  wir  dürfen  sie  daher,  nachdem  wir 
sie  mit  unserem  Fragezeichen  versehen  haben,  ruhig  beiseite 
lassen. 

Deutlicher  sind  die  Kennzeichen  der  Fälschung  bei  der 
sogenannten  Depositio  Arii,  die  bei  Mansi  II,  S.  557  ab- 
gedruckt ist.  Sie  giebt  sich  als  Anrede  des  Alexander  von 
Alexandria  an  seinen  versammelten  Klerus,  die  aber  merk- 
würdigerweise in  Briefform  gehalten  ist.  Dafs  jemand,  der 
zu  Anwesenden  spricht,  mit  der  Uberschrift  eines  Briefes 
beginnt  s,  ist,  soweit  meine  Belesenheit  reicht,  in  der  ganzen 
antiken  Litteratur  sonst  unerhört;  doch  mag  dies  noch  hin- 
gehen. Die  Rede  verweist  auf  das  noch  erhaltene  Rund- 
schreiben, durch  welches  Alexander  die  Beschlüsse  der  ale- 
xandrinischen  Synode  bekannt  gemacht  hatte  (S.  14),  und 
giebt  sich  den  Anschein,  als  wenn  sie  nach  Absend ung  des- 
selben auch  der  einheimischen  Geistlichkeit  die  Namen  der 
Exkommunizierten  kund  thun  wolle,  was  jedenfalls  über- 
flüssig war.  Jene  Namen  sind :  Chares  und  Pistos,  Presbyter. 
Sarapion,  Parammon,  Zosimos  und  Eirenaios,  Diakonen. 

1)  Socr.  I,  9,  64.  Gelas.  III,  1  =  Mansi  II,  S.  929.  Die  Un- 
echtheit  dieses  Briefes  hat  schon  Harnack  II*,  S.  234  vermutet. 

2)  Socr.  I,  9,  65.  Gelas.  III,  1  —  Mansi  II,  S.  940.  Theodor. 
I,  19,  4.    $ozom.  I,  21. 

3)  'AiQavtiQos  7iQioßvrtQots  xal  ttaxdvoti  UXt$ttvÖQtta;  xa\  Ma- 
Qtutrov,  TT  et  qQp  naQotaiv,  ayanrjrois  ttörttjote  iv  xvg(tp  £a/(W*»\ 


■ 


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DAS  NICÄN1SCHE  KONZIL. 


51 


Man  wird  bemerken,  dafs  in  der  echten  Ketzerliste  jenes 
Kundschreibens  keine  einzige  dieser  Persönlichkeiten  vor- 
kommt (S.  16).  Vielleicht  nimmt  man  an,  diese  neue  Liste 
solle  nur  als  Supplement  der  früheren  dienen,  d.  h.  sie  ent- 
halte nur  diejenigen  Geistlichen,  welche  erst  nach  Ab- 
fertigung des  Schreibens  zu  Arius  abgefallen  waren.  Wäre 
dies  aber  richtig,  so  müfsten  sich  in  den  Unterschriften  des- 
selben, die  den  alexandrinischen  und  mareotischen  Klerus 
ja  vollständig  aufzählen,  auch  ihre  Namen  finden,  und 
dies  ist  nicht  der  Fall.  Ein  Sarapion  erscheint  dort  freilich, 
auch  ein  Pistos,  aber  dieser  unter  den  Diakonen,  nicht  unter 
den  Presbytern;  und  zudem  waren  gerade  diese  beiden  Na- 
men in  Ägypten  so  häufig,  wie  bei  uns  Schultze  und  Müller. 
Wenn  sie  also  allein  von  jenen  sechsen  in  dem  Verzeichnis 
wiederkehren,  so  beweist  dies  schlagend  die  Unechtheit  der 
Ketzerliste  und  folglich  auch  der  ganzen  Urkunde. 

Nun  findet  sich  in  der  Historia  Arianorum  ad  monachos 
71,  also  gerade  in  der  Schrift  des  Athanasius,  welche  sich 
am  allerhäufigsten  auf  seine  Fälschungen  beruft,  die  folgende 
Stelle:  v.ai  ot  piv  TTowßheooi  nai  oi  dtdxovoi  ot  ftetd  toV 
^Savaoiov  ä/tö  IJttQOv  v.ai  ^Alt^avÖQOv  tvyxavovzeg  «c- 
ßdllovrat  xcrt  fpvyaöevovrat'  oi  di  älrftög  '^oetavot,  oi  (ti) 
tSto&ev  inovoovfievoi,  ul?.  oi  i§  aQx^g  dtd  zrjv  alotaiv 
i  'A.ßXrk  Vi  vzeg  jucr*  avtov  toV  ^geiov  naoä  'uiXe- 
Sdvdoov  rot-  i7£tOY.6rcovy  iv  f.tiv  rfi  ävto  yftßvfl  Sexodv- 
öogt  iv  di  Tft  'dleSavdoeiq  Eföioiog  6  Xavaväiog  xat  'lotätog 
y.at  "sinnwv  MctQAog  re  xat  Etorpaiog  vxti  Zwotpog  v.ai 
^aqanuov  t/r/xAi^y  Fielt aiov,  xcu  iv  Atßvq  StoLwtog  *m 
ot  ovv  avrut  vnbieqot  ovvaoeßoVvveg  afootg,  ofoot  rag  exxAij- 
ot  ctg  7caquXrt(faotv.    Von  dieser  langen  Namenreihe  sind 
Secundus,  Euzoios  und  Julius  auch  durch  die  echten  Ketzer- 
listen als  alte  Anhänger  des  Arius  beglaubigt ;  Maoxog  kann 
vielleicht  identisch  sein  mit  dem  Maxdotog,  der  bei  Sozo- 
menus  vorkommt  (S.  17),  denn  die  Namen  sehen  sich  ähn- 
lich und  konnten  durch  Fehler  der  Abschreiber  leicht  ver- 
wechselt werden.  Dagegen  Ammon,  Eirenaios,  Zosimos  und 
Sarapion  finden  sich  in  jenen  echten  Quellen  nicht.  Wenn 
also  Athanasius  angiebt,  sie  seien  schon  mit  Arius  zu- 

4* 


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52 


8KKCK, 


gleich  durch  Alexander  aus  der  Kirchengemeinschaft  aus- 
geschlossen worden,  so  ist  dies  jedenfalls  Schwindel.  Dafs 
derselbe  ganz  zwecklos  sei,  könnten  wir  nur  dann  behaupten, 
wenn  wir  die  Geschichte  jener  Zeit  vollständig  überblickten. 
Bei  unserer  geringen  Kenntnis  ist  die  Annahme  keineswegs 
ausgeschlossen,  dafs  jene  vier  Männer  sehr  scharf  mit  Atha- 
nasius aneinandergekommen  waren  und  er  ein  grofses  Inter- 
esse daran  besafs,  sie  bei  seinem  Publikum  anzuschwärzen. 
Nun  kehren  aber  gerade  diese  vier  Namen  —  denn  Ammon 
und  Paramraon  sind  offenbar  nur  durch  Fehler  der  Hand- 
schriften verschieden  geworden  —  ganz  ebenso  in  der  ge- 
fälschten Hede  des  Alexander  wieder.  Was  Athanasius  mit 
Unrecht  behauptet,  wird  also  durch  sie  scheinbar  bewiesen. 
Kann  man  sich  da  wohl  der  Vermutung  entziehen,  dafs  sie 
zum  Zweck  dieses  Beweises  von  Athanasius  gemacht  ist? 

Doch  sind  dies,  wie  gesagt,  nur  Vermutungen.  Als  ge- 
wifs  nehme  ich  nichts  weiter  in  Anspruch,  als  dafs  Atha- 
nasius das  Märchen  vom  Tode  des  Arius  erfunden  und  die 
beiden  Kaiserbriefe  in  der  Apologia  contra  Arianos  gefälscht 
hat.  Die  vier  Urkunden,  die  wir  aufserdem  besprochen  haben, 
sind  zwar  auch  teils  sicher,  teils  wahrscheinlich  Fälschungen, 
aber  ob  auch  diese  auf  den  Bischof  von  Alexandria  zurück- 
gehen, mufs  einstweilen  noch  zweifelhaft  bleiben. 

Dafs  auch  auf  arianischer  Seite  die  Fälschung  „für  den 
guten  Zweck"  fleifsig  geübt  worden  ist,  haben  wir  schon 
gleich  im  Eingang  dieser  Untersuchungen  gesehen;  doch 
soweit  unsere  Kunde  reicht,  scheint  sie  hier  nicht  den  glei- 
chen Umfang  erreicht  zu  haben,  wie  auf  orthodoxer.  Eu- 
sebius weifs  zwar  sehr  geschickt  unbequeme  Thatsachen  zu 
verhüllen  und  über  die  Chronologie  hinwegzutäuschen,  auch 
vor  direkter  Lüge  scheut  er  keineswegs  zurück,  aber  dafs 
er  sich  zu  wirklichen  Urkundenfälschungen  verstiegen  habe, 
halte  ich  nicht  für  erwiesen.  Freilich  darf  man  ihm  daraus 
kein  besonderes  Verdienst  machen.  Auch  bei  Athanasius 
beginnt  jenes  unehrliche  Treiben  erst  in  seinen  späteren 


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DAS  XK'ÄXISCHE  KONZIL. 


53 


Jahren,  als  die  Teilnehmer  der  Ereignisse  schon  meist  aus 
dem  Leben  geschieden  und  wenige  mehr  übrig  waren,  die 
ihn  aus  eigener  Erinnerung  widerlegen  konnten.  Eusebius 
dagegen  schrieb  zu  einer  Zeit,  als  die  echten  Urkunden  noch 
in  aller  Händen  waren.  Denn  was  er  bringt,  sind  ja  nicht 
geheime  Korrespondenzen,  sondern  Edikte,  kaiserliche  Rund- 
schreiben u.  dgl.,  also  Schriftstücke,  deren  Kopieen  durch 
Anschlag  oder  öffentliche  Verlesung  bekannt  gemacht  und 
in  unzähligen  Archiven  aufbewahrt  wurden.  Er  wäre  also 
sehr  leicht  ertappt  worden,  wenn  er  sich  in  so  freien  Er- 
findungen bewegt  hätte,  wie  Athanasius. 

Crivellucci  hat  erwiesen,  dafs  die  Urkunden  der  Vita  Con- 
stantini  in  der  Form,  wie  sie  uns  vorliegen,  von  Eusebius 
selbst  gemacht  sind,  und  bei  den  meisten  kompetenten  Be- 
urteilern, auch  bei  mir,  damit  Beifall  gefunden  ».  Trotzdem 
halte  ich  es  nicht  für  richtig,  in  diesem  Falle  von  Fälschung 
zu  reden.  Wie  diese  Stilübungen  zu  beurteilen  sind,  zeigt 
uns  ein  kaiserlicher  Brief,  der  in  zwei  verschiedenen  Re- 
daktionen einerseits  bei  Eusebius  (Vit  Const  III,  17),  anderer- 
seits bei  Sokrates  (I,  9,  17)  und  Gelasius  (II,  36  =  Mansi 
II,  S.  920)  erhalten  ist  Wir  lassen  diesen  zweiten  Text 
hier  abdrucken,  indem  wir  ihm  die  entsprechenden  Stücke 
aus  Eusebius  zur  Seite  stellen.  Wie  lehrreich  diese  Ver- 
gleichung  int,  wird  sich  alsbald  zeigen. 


Sokrates  und  Gelasius: 
Kwvozavxlvog  —eßctazog  zTt 

fiavtiov  tQv  6q&oö6$iov  **- 
vXr\oUt.  ga/gm  äyctTzrpoi 
adthfoL 

Te?*tav  cciqu  tfjg  »Vt/at; 
tz  q  o  v  o  i  a  g  elXftfctftev  %uqiVy 


Eusebius: 

Kiovozavtivog  Heßaatog 
raig  t/.Kl^aiaig. 

Tlitqav  kaßwv  ex  rfg  tdv 
v.oivßv  ci?z()a£i'ag ,  liü7\  rJJc 
&€iag  övvdf.iecog  nitpvte 
ga^tg,  xottov  7zq6  ye  nav- 


1)  Deila  fede  storica  di  Eusebio.  Livorno  1888.  Gli  editti  di  Co- 
stantino  ai  provinciali  della  Palestina  e  agli  Orieutali.  Studi  storici  DI, 
p.  369.  415.  V.  Schultze,  Zeitschrift  für  Kirchengeschichte  XIV, 
S  503.    Mommsen,  Ephem.  epigr.  VII,  p.  420. 


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SEECK, 


yineg  fiiav  mal  xitv  avxf4v 
imyi vwc/mj fj tv  nioxiv.  ovdir 
Xombv  xQ  diaßohp  l%eoxi 
ma&'  ftuQv'  rtäv  tX  xi  d*  Sv 
■Acr/arexvrpjduevog  trrexEiQrfjev, 
Im  ßd$(xov  dyforpai'  xdg 
dixovoiag,  xd  oxfofiaxa,  xoig 
&OQvßovg  tmehovg  mal  xd  xöv 
diaqvjvidv ,  5V*  oVuog  U7t<ay 
Oavaaifua  (fdq^arma  /ata  xr(v 
xoti  $eo€  milevoiv  fit  xftg  d).rr 
Zeiag  ivimrpe  Xa(Ä7tq6xr^.  Iva 
xoiya^ot-v  focavveg  mal  r<p 
6v6fiati  7iQogy.vvov^ey  mal 
elvat  7ii7iiaTtv-Aafiiv. 

%va  de  xotio  yivrjai,  ino- 
fiitfoei  &eo£  avvemmdXeaa  elg 
xr)v  Nimatwv  n6).iv  xoig  nXei- 
axovg  xöv  iniomörMov,  pe&'  Htv 
mabdneq  elg  xig  «|  i/i  Qv 
tyw,  avv&egdrtojv  tfti- 
xeqog  ma&'  hregßoh)v  elvai 
XaiQCov,  mal  aviög  xtp  xfjg 
dXi\&eiag  i^eiaatv  dvede- 
^d^rjy.  rjltyx&H  Y0^*  a;cayra 
mal  ämQiß&g  e^ijxaotai,  baa 
di)  dfnpißoliav  fj  ötxovoiag 
n^6q>aaiv  eddmei  yewqv. 


xtov  emqiva  elvat  uot  rzQOOt)- 
mav  OY.ondv,  Sntog  rraQa  xoig 
uamaQtcjxdxotg  xfg  ma^olumftg 
immlrfiiag  rrlföeoi  rrioxig 
fiia  mal  dhmqtvrg  aydn^ 
öuoynbfianr  xe  rreql  xbv  rcay- 
-mQairt  9edv  evaeßeia  xriQfixai. 


aU. 


TV 


Ineidr)  xoti'  oiy  oiov 
dmXivf)  mal  ßeßaiav 
xdhv  laßeiv,  el  /#»],  elg  xavxö 
Ttdvxiov  öftoC  üj  xGtv  yoüv 
rtfaioviov  tTTiomoMuv  avve).- 
&ÖVX10V,  tmdoxoi  xüv  .rgoori- 
mövxwv  xft  ayiwxdxi]  ^Qrflmelct 
dtd/.Qiatg  ytvotxo,  xovzov  ¥ve- 
mev  rtlMonav  boiov  ovva&QOi- 
o&ivuov ,  avxög  di  ma  - 
Sditeo  elg  ff  iudjv  exty- 
Xavov  ovf.i7raQwv  (pv  yäo 
dQvrpaliArp  Bv,  tjt  fidliara 
%ai Qu,  avv&eQaTHüv  t  ftt- 
xeQog  7zeq>vmivai)  &xqi  xo~ 
aovxov  änavxa  xi]g  rtQoari- 
mova t\g  xexvyr\7£v  l^exa  - 
oeiog,  axQtg  öS  i)  xfy  Ttdvxwv 
tyÖQot  dqiomovaa  yviufiri 
riQÖg  xijv  xfjg  evox^xog  avfi- 
cpwnav  elg  q>Og  nqoi'jX&t\y  tog 
fAr\6ev  exi  nQÖg  öix^voiav 


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DAS  N1CAK ISCHE  KONZIL. 


Aal  (peiodo&w  t)  fcla  peya- 
Uidtriq,  j^A/xcr  -/ort  a*g  deivd 
td  fteQi  roC  fieydXov  awvfjQog, 
ntqi  rfjg  ilnidog  Aal  tiofjg 
fjlißv,  äjTQenQg  ißlaorpfaovv 
nwg,  zdvavrfa  zalg  ÜtOTTv&v- 
cvoig  yQaqxzig  Aal  zfj  dyia 
maxet  q>$eyy6fievot  ze  Aal 
mazeveiv  dpoXoyoÜvzeg.  zqio- 
/.ooibiv  yoCv  Aal  nUi6vuiv 
(tuoaömw  i/il  owpQoovvfl  ze 
xai  äyxivolq  &av^aCof.Uvwv 
fitay  Aal  zfjv  avzrjv  nioxiv> 
?j  xal  zatg  dXr\&elaig  Aal 
dxQißeiaig  toü  Sdov  vdpov 
?ref  vA€  Tzioxig  ävai,  ßeßaiotv- 
zwv,  fiövog  "sfQttog  tqxoQafhi 
rfjg  dtaßoXtAfjg  ivtqyeiag  jjr- 
zryitvog  Aal  zö  aoaov  zoCxo 
ttqGzov  ptiv  7voq  tyiv,  tntiza 
Aal  naq  eztqoig  daeßel  yvib- 
H$  diaonetQag. 

ävadegiape&a  zoiyaqoSv,  fjv 
6  navvoAQavioQ  7taqiax^  yv&- 
inaviXdio^ttv  enl  zovg 
dya7ir^zovg  fjftiBv  ddeX- 
(poi)g,  djv  r)f*<Sg  zoC  öiaßöXov 
dvatdrjg  zig  fan^er^s  1%ü>- 
qioev  Eni  zö  Aoivbv  aöfia  Aal 
zd  yv/jOia  faGv  pilr}  ortovdfi 
Ttaarj  icjftev.  roflro  ydq  Aal  zfj 
dyjtvoiq  Aal  zf]  niaret  Aal  zft 
Satözr^zi  zfj  ifieziqa  Ttqinei, 
iva  zfjg  7vXdvr\g  ekeyx&eioi}g 
ixeivov,  dv  tfjg  dlri&etag  elvai 
Ix&qbv  ovvioTTiAeVj  nqbg  zip 


55 

Hj  Tzioxmg  duyioßfjzrptv  bno- 
Xelmo&ai. 

An  dieser  Stelle  bringt  Eu- 
sebius eine  lange  Auseinander- 
setzung über  die  Osterfeier, 
die  mit  der  andern  Redaktion 
gar  nichts  geraein  hat 


zoixwv  oh  oVvwg  ix6vr(ovt 
dofuvtjg  dtx&r&e  zip  zoV  9eoV 
xdqiv  Aal  &eiav  dtg  dX^Gg 
IvxoXfy*  tzo*v  ydq,  et  %i  d 
litv  iv  zotg  äyioig  zQv  ini- 
GAÖTtiov  ovvedqioig  Ttqdzzeraty 
zoüzo  rtqdgzrjv  &eiav  ßov- 
Xriaiv  exu  zrjv  dvapoqctv. 
ötö  ndoi  tolg  dya7tr\zoXg 
fj^töv  döeXyoTg  iftqtavi- 
aavz&g  tä  7te7zqayft£va}  fjdri 
Aal  zbv  TtQoeiQ^iivov  Xdyov 
Aal  zijv  7taqazJjqvpiv  tfjg 
dyiozdzr\g  fyteqag  {>7todix&J&ai 


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SKKCK, 


56 

&eiav  enaviXjhfSB  X^Qtv*  ^ 
ydq  xolg  XQia'Koaioig  rjqeoev 
imoyiQTtoiQ,  ovdiv  taxiv  Vte- 
qov  J?  to0  $eofj  yvtbftri,  fid- 
Xiaxd  ye  tinov  xb  äyiov  7tvedfia 
xoiovxutv  xai  xv[Xi'Aovxtav  dv- 
öqüv  xaig  diavotaig  £y*elfi€vov 
xrjv  $eiav  ßovXi\a  iv 
(fioTLoev.  diö  f-ii]deig  äft(pi- 
ßaXXtrio,  fi^öelg  vrreQxi&io&a)  • 
dXXd  TtQO&viiwg  rzdvxig  elg 
xrp  äXrid'eoTdxriv  bdbv  Itz- 
dvixe'  IV  eneiödv  tioov 
ovdimo  TiQbg  tfiäg  ayixw- 
juat,  vag  öcpeiXopivag  T<ß 
7taYtE(p6q(^  ned-'  bf.iQv 

öfuoXoyrjocij  xaQixag,  bxi  xifr 
eiXiTLQivfj  rtioxiv  imdelgag 
xty  ev/.ralav  i^lv  dya7ii\v 
anodidiow.  6  &ebg  t^äg 
diayvXdi-oi,  dyaitr^xoi 
dbeXtpol. 


xb  xat  diaxdtxEiv  o^/Acrc, 
i'v*  ifceiSdv  rcQÖg  xfy  nd- 
Xai  fioi  no^ov^tvriv  xfjg  t>/uc- 
xiQag  dta&ioeiog  oipiv  dq>i- 
/.(jjtiaiy  iv  xcw  Tg  ainfj 
fjtitQa  xtjv  dyiav  pe&*  v^i&v 
hoQxijv  emxeXiaai  dt/vij#<Z>  xai 
ndvxwv  tvenev  päd-*  vfidv 
evdoxyou),  ovyqq&v  xty  diaßo- 
Xi/,i)v  u^öxfjxa  bnö  Tfjg  9eiag 
dwapettig  did  xdv  fyteitQwv 
7ZQa$mv  dvrjQrintruv,  d*fia- 
tovoi\g  7tavxaxoE  xf^g  foexi(>ag 
moxsiog  xat  dq^pn\g  xeu  bfxo- 
voiag,  b  &ebg  öpäg  dia- 
(pvXd^oiy  döeXcpoi  dya- 
Tttiroi. 


Vergleichen  wir  diese  beiden  Urkunden,  so  wird  uns 
zuerst  die  Verschiedenheit  der  Überschrift  auflallen;  doch 
beweist  diese  nichts  gegen  ihre  ursprüngliche  Identität.  Ein 
kaiserlicher  Brief  dieser  Art  mufste  wirklich  an  alle  Kirchen 
der  Christenheit  gerichtet  sein,  aber  jede  einzelne  Ausferti- 
gung trug  die  Adresse  derjenigen  Gemeinde,  an  die  sie  über- 
sandt  wurde.  Das  Exemplar,  welches  dem  Konzil  selber 
vorgewiesen  und  dann  im  kaiserlichen  Zentralarchiv  nieder- 
gelegt wurde,  zeigte  also  die  allgemeine  Uberschrift  des  Eu- 
sebius: xatg  bLAlr\oiaig',  dasjenige,  welches  nach  Alexandria 
gelangte  und  in  dem  dortigen  Kirchenarchiv  verblieb,  war 
überschrieben,  wie  Sokrates  und  Gelasius  es  haben:  Tg  xa- 
d-oXi'Afj  ^AX^avöqitav  Y.ai  rcavuav  xQv  oQ^odd^wv  £v.*Xr}oiq. 
Dies  ist  insofern  von  Wichtigkeit,  als  es  zeigt,  dafs  die  ge- 
meinsame Quelle  dieser  beiden  Autoren  die  Schrift  irgend- 


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DAS  XICÄMSCHE  KONZIL. 


57 


eines  Alexandriners  gewesen  sein  mufs;  nicht  ohne  Wahr- 
scheinlichkeit wird  man  auch  hier  auf  den  Synodikus  des 
Athanasius  raten. 

Im  übrigen  stimmen  Anfang  und  Schlufs  der  beiden 
Redaktionen,  so  sehr  sie  im  Wortlaut  abweichen,  doch  dem 
Sinne  nach  ziemlich  genau  überein.    In  beiden  spricht  der 
Eingang  das  Streben  Konstantins  nach  Einheitlichkeit  des 
christlichen  Glaubens  aus,  zugleich  mit  seiner  Überzeugung, 
daß  jene  nur  durch  eine  möglichst  grofse  BischofsverBamm- 
lung  herbeizuführen  gewesen  sei ;  sogar  die  charakteristische 
Phrase,  dafs  der  Kaiser  „wie  einer  von  euch"  an  den  Be- 
ratungen teilgenommen  habe  und  sich  nüt  Freude  den  Mit- 
knecht seiner  Bischöfe  nenne,  kehrt  wieder.    Am  Schlüsse 
steht  die  Aufforderung  an  die   versammelten  Geistlichen, 
denen  die  einzelnen  Exemplare  des  Briefes  wohl  zur  Über- 
gabe an  ihre  Gemeinden  eingehändigt  wurden,  jetzt  heira- 
zuziehn  und  ihren  geliebten  Brüdern  die  Beschlüsse  des  Kon- 
zils zu  verkünden.  Beidemal  wird  hervorgehoben,  dafs  diese 
als  Ratschlufs  Gottes  anzusehen  seien.    Endlich  spricht  der, 
Kaiser  die  Hoffnung  aus,,  die  betreffende  Gemeinde  später 
einmal  persönlich  zu  besuchen  und  dann  an  ihrer  Einigkeit 
seine  Freude  zu  haben.  Da  Konstantin  ein  höchst  unruhiger 
Geist  war,  der,  wie  Hadrian,  fortwährend  von  einer  Provinz 
seines  Reiches  in  die  andere  zog,  so  ist  dies  unbestimmte, 
aber  doch  ganz  ernst  gemeinte  Versprechen,  das  allen  Städten 
gemeinsam  gegeben  wird,  vollkommen  in  seinem  Sinne 

Uberhaupt  scheint  es  mir  wohl  aufser  allem  Zweifel, 
dafs  ein  echter  kaiserlicher  Brief  und  zwar  ein  und  der- 
selbe beiden  Redaktionen  zugrunde  liegt;  denn  dafs  Kon- 
stantin zwei  verschiedene  Schreiben,  die  er  gleichzeitig  und 
an  dieselben  Adressaten  erliefs,  in  ganz  gleicher  Weise  be- 
gonnen und  geschlossen  habe,  ist  doch  kaum  zu  glauben. 
Die  Frage  kann  also  nur  sein,  welche  der  beiden  Quellen 
die  Urkunde  rein  bewahrt  hat,  oder  ob  sie  in  allen  beiden 
verfälscht  ist    Was  nun  zunächst  diejenigen  Teile  betrifft, 


1)  Vgl.  meine  Charakteristik  des  Kaisers  in  der  Geschichte  des 
Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  47. 


58 


in  denen  beide  dem  Sinne  nach  übereinstimmen ,  so  ist  die 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dafs  sie  in  ihrer  äufseren  Form 
treuer  bei  Sokrates  und  Gelasius  überliefert  sind  als  bei 
Eusebius.  Denn  dieser  ist  ja  in  der  Vita  Constantini  nicht 
Historiker,  wie  in  der  Kirchengeschichte,  sondern  Pane- 
gyriker,  d.  h.  sein  Zweck  ist  nicht  so  sehr  eine  getreue 
Darstellung  der  Wirklichkeit  zu  geben,  wie  ein  rhetorisches 
Kunstwerk  zu  schaffen.  Von  einem  solchen  aber  haben  die 
Alten  immer  Einheit  des  Stiles  verlangt;  folglich  konnte 
Eusebius  seine  blütenreichen  Perioden  gar  nicht  durch  offi- 
zielle Aktenstücke  unterbrechen,  ohne  sie  in  seine  eigene 
Schreibweise  umzusetzen  *).  Grivellucci  hat  also  ganz  Recht, 
dafs  alle  Urkunden  der  Vita  Constantini  unecht  sind,  in- 
sofern Konstantin  keine  einzige  davon  in  dieser  Form  publi- 
ziert hat;  aber  das  entscheidet  noch  nicht  über  den  Inhalt. 
Freilich  hängen  Inhalt  und  Form  untrennbar  zusammen; 
wer  diese  ändert,  wird  unwillkürlich  auch  jenen  modifizieren, 
und  gewifs  wird  er  kein  Bedenken  tragen,  wenn  er  einmal 
am  Umgestalten  ist,  auch  inhaltlich  Neues  zuzulassen,  sobald 
es  ihm  interessant  und  nützlich  scheint.  Aber  dies  setzt 
nicht  notwendig  eine  Absicht  des  Fälschens  voraus;  der 
Zweck  und  Sinn  des  Aktenstückes  kann,  soweit  ihn  der 
Schriftsteller  selber  als  wesentlich  betrachtet,  dabei  sehr  wohl 
bewahrt  sein. 

In  unserem  Falle  ist  gerade  der  Hauptinhalt  des  Briefes 
in  beiden  Versionen  ganz  verschieden.  Bei  Sokrates  und 
Gelasius  handelt  er  von  den  Irrtümern  des  Arius  und  ver- 
urteilt sie  in  sehr  scharfer  Weise,  bei  Eusebius  verkündet 


1)  Als  Analogem  mag  angeführt  werden,  dafs  in  denjenigen  Teilen 
des  Thukydideischen  Geschichtswerkes,  die  der  Verfasser  selbst  ab- 
geschlossen oder  dem  Abschlufs  nahe  gebracht  hat,  alle  Urkunden  in 
die  indirekte  Rede  und  damit  in  seinen  eigenen  Stil  umgesetzt  sind. 
Nur  in  den  unfertigsten  Stücken,  namentlich  im  fünften  und  achten 
Buche,  finden  sich  Urkunden  in  ihrem  ursprünglichen  Wortlaut;  aber 
auch  diese  waren  ohne  Zweifel  bestimmt,  umstilisiert  zu  werden,  da  sie 
sonst  für  das  feine  griechische  Ohr  die  Einheit  der  Redeform  gestört 
hatten.  U.  t.  W  i  1  a  m  o  w  i  t  z  -  M  o  e  1 1  e  n  d  o  r  f  f ,  Die  Thukydideslegende. 
Hermes  XII,  S.  8S8. 


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DAS  N1CÄNISCHE  KONZIL. 


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er  der  Christenheit  die  neue  Regelung  der  Osterfeier.  Dafs 
Athanasius,  auf  den  jene  beiden  wahrscheinlich  zurückgehen, 
Grund  hatte,  Konstantin  den  Grofsen  in  diesem  Tone  von 
Arius  sprechen  zu  lassen,  und  dafs  er  andere  Fälschungen 
von  ganz  derselben  Tendenz  thatsächlich  auf  dem  Gewissen 
hat,  haben  wir  eben  bewiesen.  Aber  auch  Eusebius  hatte 
Grund,  das  harte  Urteil  des  Kaisers  über  die  arianische 
Lehre,  der  er  selber  zugethan  war,  wenn  er  es  in  seiner 
Quelle  fand,  zu  beseitigen,  und  mit  der  Wahrheit  nahm  auch 
er  es  nicht  allzu  genau.  So  weit  liegt  also  die  Wahrschein- 
lichkeit nach  beiden  Seiten  gleich. 

Für  Feierlichkeit  und  angemessene  Regelung  des  Zere- 
moniells hat  Konstantin  immer  sehr  viel  Sinn  gehabt.  Dafs 
ihm  die  Einheitlichkeit  der  Osterfeier  sehr  am  Herzen  lag, 
kann  man  schon  hieraus  schliefsen;  auch  wird  es  dadurch 
bestätigt,  dafs  schon  das  Konzil  von  Arles,  dem  er  gleich- 
falls persönlich  beiwohnte  l),  einen  Beschlufs  entsprechenden 
Inhalts  gefafst  hat  *).  Damals  aber  beherrschte  er  noch 
nicht  das  ganze  Reich  und  konnte  seine  Absichten  im  Orient 
nicht  zur  Durchführung  bringen.  Auf  dem  Konzil  von  Nicäa 
war  ihm  dies  endlich  gelungen;  dafs  er  die  Ankündigung 
dieses  Erfolges  nicht  einfach  dem  Synodalbriefe  überliefs, 
sondern  auch  in  einem  eigenen  Rundschreiben  seiner  Freude 
Ausdruck  gab,  ist  danach  sehr  wahrscheinlich.  Die  Frage 
des  Homousion  dagegen  lag  ihm  viel  ferner;  ehe  er  den 
Orient  eroberte,  wird  er  über  die  Gründe  des  Streites  wahr- 
scheinlich nur  sehr  mangelhaft  unterrichtet  gewesen  sein,  und 
auch  später  war  er  nur  bemüht,  den  Frieden  in  der  Kirche 
herzustellen,  nicht  irgendeiner  dogmatischen  Lehre  zum 
Siege  zu  verhelfen.  In  diesem  Sinne  hat  er  anfangs  den 
Arius  und  später  den  Athanasius  verbannt,  also  niemals  eine 
feste  Stellung  auf  Seiten  einer  der  beiden  Parteien  behauptet. 


1)  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  X,  S.  508. 

2)  Gleich  der  erste  Kanon  des  Konzils  von  Arles  bei  Mansi  II, 
S.  471  lautet:  primo  loco  de  observatione  paschae  dominici,  ut  uno 
die  et  uno  tempore  per  omnem  orbem  a  nobis  observetw  et  iuxta  con- 
suetudinem  Ktteras  ad  omnes  tu  dirigas. 


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60 


SEECK, 


Die  Urkunden,  in  denen  er  gegen  die  Ketzerei  der  Arianer 
wettert,  sind  alle  sicher  oder  wahrscheinlich  Fälschungen. 
Dafs  er  in  dieser  Frage  ein  kaiserliches  Rundschreiben  für 
erforderlich  hielt  und  nicht  der  Synode  selbst  die  Publi- 
kation ihrer  Beschlüsse  überließ,  ist  also  gar  nicht  an- 
zunehmen. 

Wenn  schon  dieses  gegen  die  Version  des  Athanasius 
spricht,  so  möchte  ich  doch  noch  gröfseres  Gewicht  auf  ein 
zweites  legen.  An  einer  Stelle  derselben  wird  die  Zahl 
der  versammelten  Bischöfe  auf  mehr  als  300  angegeben 
(TQiaxooiwv  xcrt  cleiövcjv  irrurwcaiv).  Nun  sollte  man 
meinen,  dafs,  wenn  diese  Ziffer  durch  eine  kaiserliche  Ur- 
kunde, die  allen  Teilnehmern  des  Konzils  bekannt  sein  mufste, 
offiziell  festgestellt  war,  sie  damit  kanonische  Gültigkeit 
müfste  erlangt  haben.  Statt  dessen  sind  die  drei  Zeugen, 
welche  noch  selbst  in  der  Versammlung  gesessen  haben, 
Eusebius,  Eustathius  und  Athanasius,  alle  darin  einig,  dals 
man  über  die  Anzahl  der  Bischöfe  nichts  Bestimmtes  wufste. 
Eustathius  ')  sagt  dies  ganz  ausdrücklich  und  schätzt  die 
Summe  auf  ungefähr  270;  Eusebius  *)  giebt  «an,  es  seien 
mein*  als  250  gewesen;  er  wählt  also  eine  ganz  unbestimmte 
runde  Zahl ;  und  selbst  Athanasius  spricht  in  seinen  früheren 
Schriften3)  von  mehr  oder  weniger  als  300.  Dieses 
„oder  weniger"  hätte  für  ihn  jedenfalls  ausgeschlossen  sein 
müssen,  wenn  er  damals  schon  eine  Urkunde  gekannt 
hätte,  die  klar  und  deutlich  von  mehr  als  300  sprach. 
Dabei  hat  keiner  jener  drei  die  Absicht,  die  Anzahl  der 

1)  Bei  Theodor,  h.  e.  I,  8,  1:  iiuxoalotv  ^uijrt  yt  xai  ißöouyxovxtt 
xov  aQt&fiöv  öuoae  owax&fvxMv.  xö  yäg  oaifig  dt«  xov  xf\$  7iojU'«»'- 
dpai  Uxlov  oi'x  oiog  x(  ttfii  yoti(f(tt>,  tmtär)  jii)  nävxrj  xoOxo  ntQi- 
anovdnaiüK  avt^vn-ov. 

2)  Vit.  Const  III,  8:  tni  <Jt  xrjs  naQovoris  /op*taj  {tiioxotiojv  uiv 
nkr)&vs  fr  ntvxrixovra  xai  Jmxooiotv  äot&fiöv  vntQttxovx^ovaa,  tno- 
fitvtov  dl  xovioig  nQtoßiTt\>o>y  xtä  tft«x<Wv  axokovftbtv  xt  nktfoxw 
oaotv  htQwv  owf'  »>  &Qi&fiös  tf(  xaxdlrixptv. 

3)  De  (leeret.  Nie.  syn.  3:  t)oav  <T«  nitov  fj  Uttaaov  xoutxooioi. 
Hist.  Ar.  ad  mon.  66:  iQtaxüoioi  nlttov  1\  JtXaaaov.  In  der  Apol.  c 
Ar.  23.  25  und  De  synod.  43  ist  rund  von  300  gesprochen. 


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DAS  NICÄNISCHK  KONZIL. 


61 


Bischöfe  in  tendenziöser  Weise  herabzusetzen.  Von  den 
Orthodoxen,  Athanasius  und  Eustathius,  versteht  sich  dies 
von  selbst;  aber  auch  Eusebius  kann  sich  nicht  genug  darin 
thun,  den  Glanz  und  die  gewaltige  Menge  der  Versammlung 
zu  preisen;  auch  seine  Schätzung  mufs  also  eher  für  tiber- 
trieben, als  ftir  zu  niedrig  gelten.  Erst  ganz  gegen  Ende 
seines  Lebens  besann  sich  Athanasius  darauf,  dafs  die  Ni- 
cänischen  Väter  genau  318  gewesen  seien  l),  und  auf  seine 
Autorität  hin  ist  diese  Ziffer,  die  von  den  Knechten  Abra- 
hams (Genes.  14,  14)  entnommen  ist,  in  der  späteren  Über- 
lieferung traditionell  geworden. 

Hierin  scheint  mir  der  entscheidende  Beweis  zu  liegen, 
dafs  diejenige  Version,  welche  Sokrates  und  Gelasius  ver- 
treten, die  gefälschte  ist.  Eusebius  hat  den  kaiserlichen 
Brief  zwar  stilistisch  umgeändert,  aber  seinen  Sinn  in  der 
Hauptsache  treu  bewahrt.  Und  sollte  es  mit  den  übrigen 
Urkunden  der  Vita  Constantini  nicht  ebenso  sein?  Gewifs 
finden  sich  in  ihnen  viele  unrichtige  Einzelheiten;  die  for- 
melle  Überarbeitung  hat  eben  den  Inhalt  nicht  ganz  un- 
berührt gelassen.  Aber  keine  jener  Urkunden  ist  der  Art, 
dafs  sie  nicht  ungefähr  in  diesem  Sinne  von  Konstantin  er- 
lassen sein  könnte.  Freilich  ist  Eusebius  nichts  weniger  als 
ein  glaubwürdiger  Berichterstatter  für  die  Ereignisse  seiner 
eigenen  Zeit;  aber  er  war  ein  fieifsiger  Gelehrter,  und  bei 
diesen  kommt  es  ja  manchmal  vor,  dafs  sie  mehr  Respekt 
für  die  schriftliche  Überlieferung  besitzen  als  für  das  Selbst- 
erlebte. Da  seine  Kirchengeschichte  nicht  eine  einzige  Ur- 
kundenfälschung enthält,  die  er  selbst  begangen  hätte,  so 
mufs  man  sich  jedenfalls  hüten,  ihm  in  seinem  späteren 
Werke  so  viele  zuzuschreiben.  Für  uns,  die  wir  diploma- 
tische Treue  verlangen,  sind  jene  umstilisierten  Briefe  und 
Edikte  Konstantins  allerdings  keine  Urkunden  mehr;  wohl 
aber  darf  man  sie  als  wertvolle  Teile  der  Eusebianischen 
Erzählung  betrachten,  die  sich  inhaltlich  auf  wirkliche  Ur- 
kunden stützen. 


1)  Epist.  ad  Afros  2  —  Migne  26,  S.  1032. 


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62 


SEECK, 


Noch  eine  zweite  Quelle,  die  schon  von  altersher  viele 
Anfechtungen  erfahren  hat,  müssen  wir  in  Schutz  nehmen, 
wobei  es  freilich  auch  nicht  ohne  den  Nachweis  einer  Fäl- 
schung abgehen  wird.  Dafs  der  Bericht  des  Epipbanius 
über  Meletius  und  Arius  zum  gröfsten  Teil  auf  meletianische 
Schriften  zurückgeht,  hat  man  längst  erkannt;  aber  weit  ent- 
fernt ein  Grund  des  Mifstrauens  zu  sein,  erhöht  dies  nur 
seinen  Wert.  Die  orthodoxe  Auffassung  dieser  Dinge  kennen 
wir  zur  Genüge;  es  ist  daher  sehr  lehrreich,  einmal  die 
entgegengesetzte  kennen  zu  lernen.  Unparteiisch  ist  zwar 
auch  diese  natürlich  nicht,  aber  welcher  zeitgenössische  Be- 
richt könnte  dies  sein,  namentlich  in  religiösen  Fragen, 
welche  die  Leidenschaft  immer  am  meisten  erhitzt  haben? 
Jedenfalls  ist  die  Erzählung  so  reich  an  charakteristischen 
Einzelheiten,  dafs  sie  schon  aus  diesem  Grunde  die  höchste 
Beachtung  verdient. 

Während  der  diokletianischen  Verfolgung,  so  berichtet 
Epiphanius,  fanden  sich  in  demselben  Kerker  Petrus  von 
Alexandria  und  Meletius,  Bischof  einer  anderen  ägyptischen 
Stadt,  zusammen.  Wie  wir  aus  der  Urkunde  bei  Äthan. 
Ap.  c.  Ar.  71  lernen,  war  es  Lykopolis  in  der  Thebais.  Von 
ihren  Leidensgefährten  erduldeten  manche  das  Martyrium; 
andere  waren  schwach  genug,  sich  durch  heidnisches  Opfer 
die  Freiheit  zu  erkaufen,  kamen  aber  bald  nachher,  um 
Verzeihung  und  Wiederaufnahme  in  die  Kirchengemeinschaft 
von  den  gefangenen  Bischöfen  zu  erbitten.  Hierüber  ent- 
spann sich  der  Streit.  Meletius  und  ein  anderer  Bischof, 
Namens  Peleus,  waren  der  Meinung,  wenn  man  zu  milde 
sei,  würde  man  dadurch  auch  andere  zum  Abfall  treiben. 
Sie  empfahlen  daher,  die  Reuigen,  so  lange  die  Verfolgung 
dauere,  alle  zurückzuweisen  und  auch  nach  dem  Ende  der- 
selben sie  nur  nach  schwerer  Kirchenbufse  aufzunehmen; 
wer  aber  von  ihnen  Geistlicher  gewesen  sei,  solle  nicht 
seine  frühere  Stellung  wiedererlangen,  sondern  unter  die 
Laien  zurücktreten.  Petrus  dagegen  wollte  sogleich  volle 
Gnade  walten  lassen,  da  man  sonst  die  Schwachen  und 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


63 


Mutlosen,  die  jetzt  noch  ihren  Abfall  bereuten,  vielleicht  ab- 
schrecke und  ganz  dem  Teufel  in  die  Arme  treibe. 

Dieser  Gegensatz,  mit  jener  Sorte  hitziger  Uberzeugungs- 
treue verfochten,  wie  sie  in  religiösen  Fragen  ja  immer 
herrschend  war,  schärfte  sich  endlich  so  sehr,  dafs  die  beiden 
Bischöfe,  obgleich  sie  mit  vielen  andern  in  demselben  Ge- 
fängnisraum zusammengesperrt  waren,  doch  allen  Verkehr 
miteinander  abbrachen  und  jeder  von  ihnen  nur  noch  mit 
seinen  Gesinnungsgenossen  Kommunion  hielt.  Als  dann 
Meletius  nach  den  palästinensischen  Bergwerken  von  Phaino 
transportiert  wurde,  weihte  er  unterwegs,  wo  die  Karawane 
Halt  machte,  Bischöfe  und  andere  Priester  und  verbreitete 
so  das  Schisma  über  viele  Städte.  Da  jetzt  zahlreiche  Gegen- 
bischöfe eingesetzt  waren,  die  durch  den  Sieg  der  anderen 
Partei  sämtlich  ihre  Stellungen  eingebüfst  hätten,  so  wurde 
die  Frage  aus  einer  prinzipiellen  zu  einer  persönlichen,  und 
ihre  Lösung  gestaltete  sich  noch  schwieriger.  So  bestand  „die 
Kirche  der  Märtyrer",  wie  die  Meletianer  selbst  sich  nann- 
ten, auch  nach  dem  Ende  der  Verfolgung  fort,  obgleich  sie 
durch  keinen  dogmatischen  Unterschied  von  der  katholischen 
getrennt  war. 

Die  innere  Wahrscheinlichkeit  dieser  Erzählung  ist  so 
augenfällig,  dafs  wir  kein  Wort  darüber  zu  verlieren  brau- 
chen. Ein  wichtiger  Zug  derselben,  nämlich  jene  Heise  in 
die  Bergwerke,  erhält  dadurch  auch  seine  äufsere  Bestäti- 
gung, dafs  Peleus,  den  Epiphanius  als  Genossen  des  Meletius 
im  Kerker  nennt,  thatsächlich  in  Phaino  das  Martyrium  er- 
litten bat  *).  Trotzdem  glaubt  namentlich  die  katholische 
Forschung  sich  berechtigt,  die  Autorität  des  Epiphanius  in 
Zweifel  zu  ziehen  2).    Prüfen  wir  also  ihre  Gründe. 

1)  Athanasius  erzählt,  Meletius  sei  wegen  vieler  Misse- 
thaten,  namentlich  auch  wegen  heidnischen  Opfers  durch 
eine  Synode,  die  Petrus  berufen  hatte,  aus  der  Kirche  aus- 
geschlossen worden  3).  Da,  während  die  Verfolgung  auf  ihrer 


1)  Euseb.  Hist.  eccl.  VIII,  13,  6. 

2)  Hefeie,  Konziliengeschichte  P,  S.  343. 

3)  Apol.  c.  Ar.  69:  IMtqos  nag'  jutv  7tq6  ptv  rov  SuayfjLoQ  yi- 


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SKECK, 


Höhe  stand,  eine  Synode  wohl  kaum  zusammentreten  konnte, 
wird  man  sie  in  jene   kurze  Zeit  der  Ruhe  zu  setzen 
haben,  die  nach  der  Abdankung  Diokletians  (1.  März  305) 
überall  eintrat.    Dazu  stimmt  es,  dais  Athanasius  an  einer 
anderen  Stelle  (S.  40)  den  Beginn  des  meletiani schon  Schis- 
mas in  das  Jahr  306  setzt;  offenbar  rechnet  er  von  dem 
Zeitpunkt  an,  wo  die  Trennung  der  Sekte  von  der  katho- 
lischen Kirche  in  dem  Urteilsspruch  des  geistlichen  Gerichtes 
ihren  formellen  Ausdruck  fand.    Von  der  Synode  sagt  Epi- 
phanius  nichts;  aber  wenn  man  auch  hierin  ein  absichtliches 
Verschweigen  erkennen  darf,  wie  es  seiner  meletianischen 
Quelle  wohl  zuzutrauen  ist,  so  brauchen  seine  positiven  An- 
gaben darum  noch  nicht  falsch  zu  sein.    Freilich  wenn 
Athanasius  auch  darin  recht  hätte,  dafs  Meletius  geopfert 
habe!    Aber  dies  ist  eine  Anklage,  die  man  immer  gegen 
seine  Feinde  erhob,  wenn  sie  während  der  Verfolgung  ein- 
gesperrt waren  und  dann  doch  ihre  gesunden  Glieder  ge- 
rettet hatten.    Zu  widerlegen  war  sie  kaum,  da  keiner 
genau  wufste,  was  im  Dunkel  der  Kerkermauern  vorgefallen 
war;  aber  hätte  sie  sich  beweisen  lassen,  so  wäre  das  Konzil 
von  Nicäa  gewifs  nicht  so  glimpflich  mit  den  Meletianern 
umgegangen  l. 

2)  Hefele  behauptet,  der  Streit  zwischen  Meletius  und 
Petrus  könne  nicht  den  von  Epiphanius  angegebenen  Inhalt 
gehabt  haben,  weil  genau  die  Forderungen,  die  jener  aul- 
gestellt haben  soll,  von  diesem  in  seinen  Pönitentialkanones  * 
anerkannt  würden.  Dies  ist  keineswegs  richtig.  Der  10. 
Kanon,  auf  den  Hefele  sich  namentlich  beruft,  bestimmt 


yovtv  (ntoxonog,  tv  <f<  t<£  duoy^t  xnl  if4ttQTiQt]Otv.  ovtos  Mtlirtov, 
«/to  rfc  Alyvntov  Ityöfitvov  Inlaxonov,  Inl  noXXaii  iltyx&fvttt  naga- 
vouitug  xal  &vai(t  iv  xoivij  awodot  jQv  Intaxöntov  xct&tiltt'.  alla  Mt~ 
Kjios  ov  7iqös  hfyav  ovvotiov  xarty  vytv  ovitt  tanoüiaotv  änoXoyq- 
aaod-tu.  totf  fAtiä  Tttöia,  axtaptt  <ft  ntnoiy\xi. 

1)  Hefele,  S.  347.  Auch  gegen  Eusebius  von  Caesarea  wurde 
der  gleiche  Vorwurf  erhoben.  Äthan,  apol.  c.  Ar.  8  =  Migne  25, 
S.  261. 

2)  Abgedruckt  bei  Routh,  Reliquiae  sacrae  IV»,  S.  23  und  bei 
Mansi  J,  S.  1270. 


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DAS  N1CÄNISCHE  KONZIL. 


nicht,  dafs  alle  abgefallenen  Geistlichen  künftig  vom  Klerus 
ausgeschlossen  bleiben  sollen,  sondern  er  besieht  sich  nur 
auf  diejenigen,  welche  die  Verfolgung  mutwillig  selbst  her- 
ausgefordert und  dann  doch  nicht  die  Standhaftigkeit  be- 
sessen haben,  ihr  zu  widerstehen.  Dieser  Kanon  und  der 
vorhergehende  hängen  eng  zusammen  und  dienen  beide  dem 
Zweck,  das  vorwitzige  Drängen  zum  Martyrium  und  die 
Aufreizung  der  Staatsgewalt,  welche  dadurch  hervorgerufen 
wurde,  nach  Möglichkeit  zu  verhindern.  Von  denjenigen 
Klerikern,  die  auf  die  gewöhnliche  Weise  der  Verfolgung 
unterlegen  sind,  ist  nirgends  die  Rede.  Aus  diesem  Schwei- 
gen folgt  mit  Sicherheit,  dais  ihr  Wiedereintritt  in  den  geist- 
lichen Stand  in  keiner  Weise,  wie  Meletius  es  verlangte, 
verboten  war  l. 

Wenn  im  übrigen  die  Kanones  sich  etwas  mehr  dem  mele- 
tianischen  Standpunkt  annähern,  als  das,  was  Petrus  im  Kerker 
verfochten  hatte,  so  erklärt  sich  das  aus  der  Verschiedenheit 
der  Zeit.  Jene  Bestimmungen  sind  erlassen  in  der  vierten 
Osterzeit  nach  Beginn  der  Verfolgung,  d.  h.  im  Jahre  306  *, 
in  dem  auch  Meletius  von  der  Kirchengemeinschaft  aus- 
geschlossen wurde.  Ohne  Zweifel  wurden  sie  durch  dieselbe 
Synode  beschlossen,  die  jenen  Urteilsspruch  fällte.  Damals 
war  zwar  noch  keine  Toleranz  gewährt,  aber  doch  die  Ver- 
folgung zeitweilig  eingeschlafen ;  wie  sehr  man  sich  fürchtete, 
dafs  sie  durch  den  Übereifer  der  christlichen  Bekenner 
wiedererweckt  werde,  geht  aus  dem  Inhalt  des  9.  und  10. 
Kanons  hervor.  Die  Pönitenzforderungen  beziehen  sich  da- 
her auch  nur  auf  diejenigen,  welche  in  dieser  Zeit  der  Ruhe 
um  ihre  Wiederaufnahme  nachsuchten.  Es  war  also  durch- 
aus berechtigt,  wenn  Petrus  gegen  diese  etwas  strenger  ver- 
fuhr als  gegen  die  Abgefallenen,  die  schon  während  dauern- 
der Verfolgung  bei  den  gefangenen  Bekennern  um  Verzei- 
hung gebeten  hatten. 

1)  Das  Richtige  hat  hier  schon  W.  Müller,  Realeneyklopädie  IX, 
S.  635  gegen  Hefele  geltend  gemacht. 

2)  Kanon  1:  intl  xolvvv  i{thqtov  tjörj  ntiox«  Inucartil^fi  ruv 
äitaypov  x.  t.  I.  Die  Verfolgung  begann  im  Februar  303,  also  noch 
vor  dem  Osterfeste. 

ZeiUchr.  f.  K.-0.  XVII,  U.I.  5 


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66 


SEECK, 


3)  Das  Hauptgewicht  legt  Hefele  auf  die  sogenannten 
Fundamentalurkunden  *,  die  freilich  mit  Epiphanius  nicht 
wohl  zu  vereinigen  sind ;  aber  wie  sich  alsbald  zeigen  wird, 
haben  wir  es  hier  wieder  mit  einer  Fälschung  zu  thun. 

Es  sind  zwei  Briefe  mit  kurzem  verbindenden  Text,  alles 
in  so  schlechtem  Latein  geschrieben,  dafs  man  es  deshalb 
für  Ubersetzung  aus  dem  Griechischen  gehalten  hat.  Ob 
dieser  Schlufs  richtig  ist,  lassen  wir  dahingestellt;  jedenfalls 
beweist  er  nichts  für  die  Echtheit  der  Urkunden.  Das  erste 
Stück  enthält  einen  scharfen  Tadel  von  den  vier  eingeker- 
kerten Bischöfen  Hesychius,  Pachomius,  Theodorus  und  Phi- 
leas,  dafs  Meletius  ohne  Zustimmung  des  Petrus  von  Ale- 
xandria in  dessen  Metropolitansprengel  Bischöfe  geweiht  habe. 
Hier  ist  es  zunächst  auffallend,  dafs  als  Urheber  des  Briefes 
genau  dieselben  Bischöfe  genannt  werden,  die  Eusebius  Hist. 
eccl.  VIII,  13,  7  als  ägyptische  Märtyrer  aufzählt,  keiner 
mehr  und  keiner  weniger.  Ist  es  wahrscheinlich,  dafs  alle 
Gemeindehäupter,  die  im  Nillande  für  den  Glauben  bluten 
mufsten,  in  demselben  Kerker  beisammensafsen ,  und  dafs 
kein  Mitgefangener  sich  ihrer  Kundgebung  anschlofs,  der 
später  nicht  den  Tod  erlitt?  Die  Namen  stehen  sogar  in 
ganz  derselben  Reibenfolge  wie  bei  Eusebius,  nur  dafs  der 
vornehmste,  Phileas,  aus  der  ersten  Stelle  in  die  letzte  ver- 
setzt ist,  offenbar  nur  um  ihn  dadurch  als  den  eigentlichen 
Schreiber  des  Briefes  zu  bezeichnen.  Schon  dieses  weist 
darauf  hin,  dafs  dem  Verfertiger  der  angeblichen  Urkunde 
die  eusebianische  Kirchengeschichte  oder  eine  Ubersetzung 
derselben  als  Quelle  gedient  hatte. 

Noch  entscheidender  ist  die  Chronologie.  Petrus  von 
Alexandria  starb  im  neunten  Jahre  der  Verfolgung  8,  d.  h. 
zwischen  dem  23.  Februar  311  und  dem  2z.  Februar  312. 
Er  gehörte  zu  denen,  die  Maximinus  Daja  hinrichten  liefs, 
nachdem  er  das  Toleranzedikt  des  Galerius  wieder  be- 
seitigt hatte3.    Dieses  war  in  Nikomedia  am  30.  April  311 


1)  Abgedruckt  bei  Routh  IV»,  S.  91. 

2)  Euseb.  Hist.  eccl.  VII,  32,  31. 

3)  Kuseb.  Hist.  eccl.  IX,  6,  2. 


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DAS  K1CÄNISCHE  KONZIL. 


67 


publiziert  worden  1 ;  in  Palästina  und  Ägypten  mufs  es  nach 
ihrer  weiteren  Entfernung  von  der  Residenz  des  Kaisers 
etwa  einen  Monat  später  in  Kraft  getreten  sein,  und  der 
religiöse  Frieden,  den  es  verlieh,  dauerte  hier  nicht  volle 
sechs  Monate2.  Er  endete  also  um  Mitte  November  311, 
und  die  Martyrologien  setzen  den  Tod  des  Petrus  auf  den 
25.  November.  Danach  mufs  er  nach  dem  Wiederbeginn 
der  Verfolgung  eines  ihrer  ersten  Opfer,  wenn  nicht  gar 
das  erste  gewesen  sein,  wie  dies  ja  seiner  bedeutenden  Stel- 
lung innerhalb  der  orientalischen  Kirche  entspricht. 

Dieselbe  Phase  der  Verfolgung  hat  nach  Eusebius  (IX, 
6,  2)  in  Ägypten  auch  mehreren  anderen  Bischöfen  das 
Leben  gekostet.  Damit  können  nur  jene  vier  gemeint  sein, 
welche  die  Überschrift  unserer  Pseudourkunde  nennt;  denn 
andere  ägyptische  Märtyrer  dieser  Epoche,  die  Bischöfe 
gewesen  wären,  kennt  Eusebius  nicht.  Inbezug  auf  Phileas 
bestätigt  auch  Hieronymus,  dafs  er  durch  Maximin  sein 
Ende  gefunden  hat  s.  Die  Acta  Sanctorum  setzen  sein  Mar- 
tyrium auf  den  4.  Februar,  natürlich  des  Jahres  312  oder 
gar  313.  Ob  sie  sich  dafür  auf  eine  genügende  Autorität 
stützen,  kann  ich  nicht  feststellen ;  aber  auch  wenn  dies  nicht 
der  Fall  sein  sollte,  ist  nach  dem  Obengesagten  kein 
Zweifel  möglich,  dafs  Phileas  und  seine  Genossen  später  als 
Petrus  gestorben  sind  oder,  wenn  man  sehr  viel  zugeben 
will,  höchstens  ein  paar  Tage  früher.  Nun  zeigt  uns  aber 
die  zweite  jener  „Fundamentalurkunden"  und  die  ihr  vor- 
ausgehende Erzählung  den  Petrus  noch  in  freier  Ausübung 
seines  Bischofsamtes,  nachdem  jene  vier  das  Martyrium  schon 
erlitten  haben.  Damit  ist  die  Fälschung  unwidersprechlich 
bewiesen  und  die  Autorität  des  Epiphanius  auch  nach  dieser 
Richtung  hin  geschützt. 

An  die  Chronologie  des  Petrus  werden  wir  passend  die 


1)  Lact  de  mort.  pers.  35.  Dafs  Lactanz  wirklich  der  Urheber 
dieser  Schrift  ist,  habe  ich  gegen  Brandt  erwiesen.  Geschichte  des 
Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  426. 

2)  Euseb.  Hist.  eccl.  IX,  2. 

3)  De  viris  illustr.  78. 

5* 

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G8 


SEKCK, 


seiner  Nachfolger  anreihen,  welche  für  die  Geschichte  des 
Nicänischen  Konzils,  wie  wir  sehn  werden,  von  höchster 
Bedeutung  ist.  Freilich  liegt  hier  die  Sache  so  einfach,  dafs 
darüber  kaum  Worte  zu  verlieren  wären,  wenn  nicht  eine 
neuere  Untersuchung  von  Gutschmid  1  die  Frage  unnötiger- 
weise verwirrt  hätte. 

Dieser  legt  auf  die  Bischbfsverzeichnisse ,  die  sich  mit 
Hinzufugung  der  Amtsjahre  bei  späteren  Chronographen 
finden,  so  hohes  Gewicht,  dafs  er  ihnen  gegenüber  selbst  die 
Angaben  wohlunterrichteter  Zeitgenossen  in  den  Hintergrund 
schiebt.  Er  meint,  sie  gingen  auf  die  offiziellen  Listen  zu- 
rück,  die  in  den  Archiven  der  betreffenden  Gemeinden  auf- 
bewahrt worden  seien,  und  schreibt  ihnen  daher  urkundliche 
Geltung  zu.  Ware  dies  richtig,  so  lieise  sich  freilich  gegen 
seine  Methode  kaum  etwas  einwenden;  aber  eine 
die  er  selbst  anführt,  wirft  die  ganze  Hypothese  um. 

Dem  Alexander  schreiben  einige  dieser  Verzeichnisse 
23  Amtsjahre  zu,  eine  Zahl,  die  durchaus  unmöglich  ist. 
Mit  Hecht  weist  Gutschmid  darauf  hin,  dafs  sie  auf  einer 
Verwechselung  des  Bischofs  mit  seinem  gleichnamigen  byzan- 
tinischen Kollegen  beruht,  dem  nach  Sokrates  (II,  6)  that- 
sächlich  23  Jahre  zukommen.  Nun  ist  es,  wie  mir  scheint, 
ganz  klar,  dafs,  wer  seine  Daten  aus  Kirchenhistorikern  und 
ähnlichen  Quellen  zusammensuchte,  durch  den  identischen 
Namen  der  beiden  Männer  leicht  getäuscht  werden  konnte, 
aber  nicht,  wer  die  offiziellen  Verzeichnisse  aus  den  Archiven 
nachschrieb.  Denn  in  der  Liste  von  Alexandria  konnte  doch 
ein  Bischof  von  Konstantinopel  unmöglich  vorkommen;  dort 
stand  nur  ein  Alexander  verzeichnet  und  schlofs  jede  Ver- 
wechselung aus.  Damit  scheint  es  mir  bewiesen,  dafs  die 
Bischofslisten  der  Chronographen  nur  als  gelehrte  Arbeiten 
gelten  können,  die  aus  Quellen  von  sehr  verschiedener  Art 
und  Güte  zusammengetragen  sind.  Ganz  wertlos  brauchen 
sie  darum  nicht  zu  sein,  obgleich  wohl  manche  Zahl,  fiir 
die  sich  keine  Überlieferung  finden  liefs,  auch  nach  Gut- 
dünken darin  ergänzt  sein  mag ;  aber  nimmermehr  darf  man 


1)  Kleine  Schriften  II,  S.  395. 


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DAS  XICÄNISC1IE  KONZIL. 


sie  als  urkundlich  betrachten  *.  Wir  werden  sie  daher  nicht 
ganz  vernachlässigen,  aber  auch  nur  soweit  heranziehen,  wie 
sie  sich  mit  Nachrichten  von  sicherer  Autorität  vereinigen 

Petrus  starb,  wie  wir  gesehen  haben,  am  25.  November 
311.  Sein  Nachfolger  Achill as  bekleidete  das  Episkopat  nur 
fiinf  Monate  *,  womit  wir  auf  den  April  312  gelangen.  Ale- 
xander, der  jetzt  gewählt  wurde,  verschied  am  17.  April 
328  s,  wozu  es  vortrefflich  pafst,  dafs  einzelne  Bischofs- 
verzeichnisse  ihm  sechzehn  Jahre  zurechnen.  Diese  Zahl 
würde  auch  dann  stimmen,  wenn  wir  vor  und  nach  Achillas 
mehrmonatliche  Sedis  Vakanzen  annähmen;  denn  auch  so 
blieben  dem  Alexander  immer  noch  fünfzehn  Jahre  und 
einige  Monate,  die  der  abrundenden  Chronologie  jener  Zeit 
für  sechzehn  Jahre  gelten  würden. 

Das  Todesdatum  Alexanders  ist  insofern  für  uns  von 
besonderer  Wichtigkeit,  als  sich  danach  der  Schlufs  des  Ni- 
cänischen  Konzils  chronologisch  bestimmen  läfst  Denn  er 
überlebte  dasselbe  nicht  volle  fünf  Monate,  wie  Athanasius 
angiebt 4.  Die  Glaubwürdigkeit  dieses  Zeugen  haben  wir 
selber  angefochten,  aber  nur  wo  seine  Tendenz  in  Frage 
kam.  Für  eine  Datierung,  die  in  dieser  Beziehung  gar  keine 
llolle  spielt,  ist  dagegen  seine  Autorität  ganz  untrüglich; 
denn  wie  sollte  er  nicht  gewufst  haben,  welche  Zeit  zwischen 
dem  Konzil  und  seiner  eigenen  Bischofswahl  lag? 

Dafs  das  Konzil  am  20.  Mai  325  eröffnet  wurde,  ist 
uns  nicht  nur  durch  Sokrates 5,  sondern  auch  durch  ein 


1)  Von  der  antiocheniseben  Bischofsliste  hat  Harnack  (Die  Zeit  des 
Ignatius.  Leipzig  1878)  nachgewiesen,  dafs  ihre  Jahreszahlen  durchaus 
willkürlich  sind.  Dafs  die  alexandrinische  besser  überliefert  sei,  ist 
möglich,  bedarf  aber  jedenfalls  noch  sehr  des  Beweises. 

2)  Gelas.  II,  1  —  Mansi  II,  S.  792. 

3)  Larsow,  Die  Festbriefe  des  heiligen  Athanasius,  S.  26. 

4)  Apol.  c.  Ar.  59:  otinto  yuq  ntvre  uffris  nttgfik&ov,  xat  6  filv 
uuxttQtttis  'AX^avdQog  Teultvrijxiv. 

5)  Socr.  I,  13,  13:  xa\  6  /^wo?  ift  rijs  awotiov,  wg  iv  na^aarifAtua- 
otatv  tiQoptv,  vnaitlas  ÜavUvov  xa\  'lovhttvoO  tjj  tlxdöi  roO  Matov 
ftr}v6f  toüto  <ft  ijv  i$axoatoaibv  Tfuaxoatöv  ixrov  trog  anö  Tifc  *AU- 


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70 


SEECK, 


Gesetz  Konstantins  beglaubigt,  das  uns  den  Kaiser  am  23. 
desselben  Monats  in  Nicäa  zeigt  *.  Bei  dieser  langen  Dauer 
der  Versammlung  verstehen  wir  auch,  wie  sie  den  Arius 
und  den  Eusebius  von  Nikomedia  anfangs  verbannen  und 
später  wieder  in  alle  ihre  Rechte  einsetzen  konnte.  In  we- 
nigen Monaten  wäre  ein  solcher  Wechsel  der  Verhältnisse 
und  Stimmungen  nicht  möglich  gewesen,  wohl  aber  in  zwei 
und  ein  halb  Jahren. 

Allerdings  hat  das  Konzil  diese  ganze  Zeit  nicht  un- 
unterbrochen getagt,  sondern  ist  schon  bald  nach  den  Vi- 
cennalien  Konstantins  (25.  Juli  325)  auseinandergegangen, 
um  erst  327  wieder  zusammenzutreten.  Doch  hat  man  diese 
zweite  Sitzung  nicht  als  eine  neue  Synode,  sondern  nur 
als  Fortsetzung  der  früheren  betrachtet,  wahrscheinlich  da- 
mit deren  Beschlüsse  durch  keine  andere  Autorität  als  durch 
ihre  eigene  die  erforderlichen  Korrekturen  erhielten.  Eu- 
sebius *  berichtet,  dafs  Konstantin  wegen  der  Streitigkeiten 
der  Ägypter  die  Bischöfe  noch  einmal  berufen  habe  und 
wieder  in  ihrer  Mitte  erschienen  sei.  Was  wir  aus  sonstigen 
Nachrichten,  namentlich  aus  den  Gesetzen  des  Kaisers,  über 
seine  Aufenthaltsorte  wissen,  pafst  hierzu  auf  das  Beste  3. 

Im  Herbst  325  ging  Konstantin  aus  Asien  nach  Europa 
hinüber,  reiste  326  nach  Rom  und  kehrte  erst  im  Sommer 
327  an  das  Marmorameer  zurück.  Am  11.  Juni  finden  wir 
ihn  in  Byzanz,  am  3.  August  in  Herakleia.  Bald  darauf  nmfs 


tjdvifnov  toO  Alaxtdövos  ßaaikttag.  Diese  Rechnung  nach  Jahren  Ale- 
xanders, die  dem  Sokrates  sonst  ganz  fremd  ist,  weist  auf  eine  alexan- 
drinische  Quelle  hin,  wahrscheinlich  auf  den  Synodikus  des  Athanasius, 
der  unmittelbar  vorher  citiert  ist 

1)  Cod.  Theod.  I,  2,  5. 

2)  Euseb.  Vit.  Const.  III,  23:  alXä  yctQ  andvruv  tiQi]vtvou4vbiv 
ftövutf  Alyvntlov;  äuixxog  t(v  1}  nQog  äXlrjlovf  (ftlopftxta,  «f  xai  av$i{ 
IvoxXtiv  ßaoiMa,  ov  ur}v  xai  71q6s  dqyijv  {yiiQttv.  oia  yoöv  TxarfQag  f\ 
xal  päXlov  nQWfrixas  &toö  ndoy  nfQ^ntov  rtprj,  xai  ötvrftwv  hdlu 
xai  ndliv  lutoiTtvt  jotg  airoig  uvtZtxdxtog.  Die  Worte  toi?  avroi; 
zeigen,  dafs  dieselben  Bischöfe  wieder  zusammentraten,  es  also  kein 
zweites  Konzil  war,  sondern  nur  eine  Fortsetzung  des  ersten. 

3)  Seeck,  Die  Zeitfolge  der  Gesetze  Konstantins.  Zeitschrift  der 
Savigny-Stiftung,  Rom.  Abt  X,  S.  233—238. 


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DAS  NICÄN1SCHE  KONZIL. 


71 


er  die  Meerenge  überschritten  haben,  da  in  dieses  Jahr  die 
Gründung  von  Helenopolis  fällt,  eine  Feierlichkeit,  bei  der 
er  seiner  Mutter  zu  Ehren  sich  gewifs  persönlich  beteiligte. 
Er  war  also  im  Herbst  327  in  Bithynien,  derselben  Provinz, 
in  der  auch  Nicäa  liegt,  und  noch  im  Anfang  des  nächsten 
Jahres  begegnet  er  uns  in  dem  benachbarten  Nikomedia. 
Wenn  also  nach  der  Angabe  des  Athanasius  der  Schlufs 
des  Konzils  Ende  November  327  stattfand,  so  kann  der 
Kaiser  ihn  sehr  gut  persönlich  vollzogen  haben. 

(Schlufs  folgt.) 


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Zur  Sachsenhänser  Appellation  Ludwigs 

des  Bayern. 

Von 

Dr.  J.  Priesack  in  Göttingen. 


Die  Politik,  welche  Papst  Johann  XXII.  in  Italien  ver- 
folgte, führte  mit  Notwendigkeit  den  heftigen  Konflikt  zwi- 
schen dem  deutschen  Königtum  und  dem  Papsttum  herbei, 
der  zum  Unglück  für  Deutschlands  innere  Entwickelung  die 
ganze  Regierungszeit  Ludwigs  des  Bayern  erfüllte. 

Am  31.  März  1317  hatte  Johann  XXII.,  den  von  seinem 
Vorgänger  Clemens  V.  zuerst  aufgestellten  Satz  wiederholend, 
es  seinerseits  als  ein  von  altersher  unerschüttert  bewahrtes 
Recht  ausgesprochen,  dafs  bei  einer  Vakanz  des  Imperiums 
dem  Papste  die  Regierung  desselben  zufalle.  Er  hatte  des- 
halb die  Weiterführung  der  Reichsvikariate  in  Italien  ohne 
seine  Bestätigung  verboten.  Das  Eingreifen  Ludwigs  in 
Italien  war  die  Veranlassung  zum  direkten  Vorgehen  des 
Papstes  gegen  ihn.  Am  8.  Oktober  1323  erging  das  erste 
Rechtsverfahren  gegen  Ludwig.  In  diesem  Prozefs  stellt 
Johann  XXII.  Rechtsansprüche  auf,  die,  wenngleich  nicht 
völlig  neu,  so  doch  in  dieser  Schärfe  ausgesprochen  ganz 
unerhört  waren. 

Er  behauptet  zunächst  nach  dem  Vorgang  der  letzten 
Päpste ,  dafs  bei  der  Erhebung  eines  römischen  Königs 
dem  Papste  die  Prüfung  und  Zulassung  oder  Verwer- 
fung der  Wahl  und  die  Approbation  oder  Reprobation  der 
Person  des  Gewählten  zustehe.    In  den  ersten  Prozessen 


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PHIESACK,  ZUU  SACHSEXHÄCSEK  APPELLATION.  73 


ist  es  allerdings  durchaus  zweifelhaft,  ob  dieser  päpstliche 
Anspruch  sich  auf  die  deutsche  Königswahl  überhaupt  oder 
nur  auf  die  zwiespältige  Wahl  bezieht  *.  Erst  der  (dritte) 
Prozefs  vom  11.  Juli  1324  spricht  die  Meinung  Johanns  in 
diesem  Punkte  unzweideutig  aus 2 ,  wie  ja  auch  schon 
Bonifaz  VIII.  und  Clemens  V.  dieses  Recht  der  Approbation 
für  jede,  auch  die  einschichtige  Königswahl  beansprucht 
hatten  3. 

Weitergehend  aber  erklärt  Johann,  dafs  Ludwig  vor  er- 
folgter Approbation  nicht  den  Königstitel  habe  führen,  und 
ferner  —  mit  Beziehung  auf  den  Anspruch  der  Bulle  von 
1317  —  dafs  er  auch  die  Regierung  im  Regnum  und  Im- 
perium nicht  habe  antreten  dürfen.  Hier  ist  nun  aber  nach 
dem  Zusammenhang  und  dem  Wortlaut  der  Sätze  kaum  ein 
Zweifel,  dafs  Johann  XXII.  diese  Anschauung  über  das  Recht 
des  Erwählten  auf  Königstitel  und  Regierung  lediglich  für 
die  zwiespältigen  Wahlen  ausgesprochen  hat4.  Denn  die 
Erklärung  vom  7.  Januar  1324  beruft  sich  zum  Beweis  fUr 
die  päpstliche  Anschauung  nicht  auf  die  Vorgänge  bei  den 
letzten  Königswahlen,  sondern  ausdrücklich  auf  die  Doppel- 
wahl von  1257. 

Ganz  neu  ist  in  den  Sätzen  Johanns  nur  die  Behaup- 


1)  Das  letztere  hat  z.  B.  Schaper  (Die  Sachsenhäuser  Appellation, 
S.  13 ff.)  angenommen,  und  in  der  That  erscheint  im  Zusammenhang 
diese  Auffassung  als  die  natürliche;  Johann  hat  praktisch  nur  den  Fall 
der  zwiespältigen  Wahl  ins  Auge  gefafst. 

2)  „per  ecclesiam  Romanam,  ad  cuius  examen  personae  electi  in 
regem  Romanorum  in  imperatorem  assumendi  approbatio  et  electionis 
admissio  pertinet,  electione  huiusmodi  non  admissa". 

S)  Vgl.  Engel  mann,  Der  Anspruch  der  Päpste  auf  Konfirmation 
und  Approbation  bei  den  deutschen  Königswahlen,  S.  67  ff. 

4)  Vgl.  vor  allem  die  Worte  in  der  Urkunde  vom  7.  Januar  1324: 
„cum  de  electo  in  discordia  in  Romanorum  regem,  sicut  iste  fuisse 
noscitur,  a  nullo  sit  in  dubium  revocandum,  quod  ante  approbationem 
sen  admissionem  electionis  suae  per  Sedem  Apostolicam  habitam,  non 
debet  taÜ  nomine  vel  titulo  appellari".  —  Es  ist  auch  nicht  richtig, 
was  Engelmann  (a.  a.  0.)  nachweisen  will,  dafs  diese  letzte  Forderung 
bereits  Bonifaz  VIII.  für  alle,  auch  die  einmütigen  Wahlen  aufgestellt 
hätte. 


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74 


PRIESACK, 


tung  von  der  Unrechtmäfsigkeit  der  Regierung  des  Ge- 
wählten vor  erfolgter  Anerkennung.  Diese  Behauptung  ist 
nicht  auf  den  Approbationsanspruch  gegründet,  sondern  sie 
ist  eine  Konsequenz  des  päpstlichen  Rechtes  der  Reichs- 
verweserschaft Theoretisch  ist  also  der  Rechtsstandpunkt 
Johanns  gegenüber  dem  seiner  Vorgänger  nicht  neu.  Das 
Neue  aber  ist,  dafs  jetzt  die  praktische  Konsequenz  früherer 
Ansprüche  gezogen  und  nun  offen  verkündigt  wird,  und 
dafs  die  Nichtbeachtung  der  päpstlichen  Anschauung  dem 
deutschen  Könige  zum  Vergehen  gemacht  und  ein  Prozefs 
deshalb  gegen  ihn  eingeleitet  wird.  Die  aufserordentliche 
Schroffheit  dieses  Angriffes  gegen  das  Königtum  macht  zur 
Genüge  die  viel  getadelte  Heftigkeit  der  Kampfesweise  Lud- 
wigs des  Bayern  begreiflich. 

In  dem  Prozefs  vom  8.  Oktober  forderte  der  Papst  von 
Ludwig  bei  Strafe  des  Bannes,  er  solle  binnen  drei  Monaten 
die  Regierung  niederlegen  und  sie,  ehe  die  Approbation  er- 
folgt sei,  nicht  wieder  aufnehmen;  seine  bisherigen  Regie- 
rungshandlungen solle  er  widerrufen l.  Allen  geistlichen 
und  weltlichen  Unterthanen  wurde  unter  Festsetzung  von 
Strafen,  die  sie  im  Falle  des  Ungehorsams  treffen  sollten, 
geboten,  Ludwig  ferner  nicht  mehr  als  König  zu  gehorchen. 
Ludwig  ordnete  am  12.  November  eine  Gesandtschaft  an  die 
Kurie  ab,  welche  um  eine  Verlängerung  der  Frist  bitten 
sollte,  damit  er  sein  gutes  Recht  darthun  könne.  Inzwischen 
legte  er  am  18.  Dezember  in  Nürnberg  Appellation  gegen 
das  Verfahren  des  Papstes  und  Anklage  gegen  ihn  vor  einem 
Konzil  ein.  Durch  solche  Appellation  vor  jenem  im  Prozefs 
festgesetzten  Termin,  also  ehe  die  Sentenz  gefällt  werden 
konnte,  sicherte  er  sich  gegen  eine  Vergewaltigung  von  seiten 
des  Papstes.  In  dieser  Schrift  legte  er  ausführlich  das  über 
die  Erhebung  des  deutschen  Königs  und  künftigen  Kaisers 


1)  Auffällig  kann  es  erscheinen,  dafs  im  ersten  Prozefs  der  Papst 
noch  nicht  von  Ludwig  die  Ablegung  des  Künigstitels  verlangt.  Das 
zeigt  wohl,  dafs  auch  bei  Johann  XXII.  anfänglich  noch  eine  ge- 
wisse Scheu  bestand,  mit  der  vollen  Schärfe  seiner  Ansprüche  heraus- 
zutreten. 


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ZUR  SACHSENHÄUSER  APPELLATION. 


75 


geltende  Recht  dar.  Diese  Nürnberger  Appellation  wird 
ausdrücklich  als  eine  vorläufige  bezeichnet  („artante  termino 
praefixo"),  und  ihre  demnächstige  Erneuerung  wird  in  Aus- 
sicht gestellt. 

Am  7.  Januar  1324,  das  heifst  dem  Tage,  an  dem  der 
Termin  des  ersten  Prozesses  ablief,  gab  der  Papst  im  Kon- 
sistorium den  Gesandten  Ludwigs  den  Bescheid,  er  könne 
in  eine  Suspension  seines  Rechtsverfahrens  nicht  willigen, 
dasselbe  bleibe  vielmehr  in  Kraft  bestehen,  doch  wolle  er 
Ludwig  noch  zwei  Monate  Zeit  lassen,  ehe  er  zur  Veröffent- 
lichung der  Strafen  schreite.  —  Nach  Ablauf  dieser  Frist 
sprach  der  Papst  am  23.  März  1324  über  Ludwig  die  Ex- 
kommunikation aus;  die  Geistlichen,  die  ihm  noch  angehangen 
hatten,  traf  die  Suspension  vom  Amte.  Wieder  wurde  Lud- 
wig ein  Termin  von  drei  Monaten  gesetzt,  binnen  deren  er 
Königstitel  und  Regierung  niederlegen  solle.  —  Nachdem 
diese  Zeit  verstrichen  war,  erklärte  Johann  am  11.  Juli 
Ludwig  den  Bayern  alles  Anrechtes  auf  die  Königswürde, 
das  ihm  aus  seiner  Wahl  etwa  erwachsen  sei,  für  ver- 
lustig. 

Inzwischen  hatte  aber  Ludwig  einen  zweiten  Schlag 
gegen  den  Papst  geführt  durch  die  Erklärung  von  Sachsen- 
hausen. Sic  enthielt  die  erneute  Appellation  und  eine  be- 
deutend erweiterte  und  in  ihrem  Ton  verschärfte  Anklage 
gegen  Johann  XXII. 

Da  die  Urkunde  von  Sachsenhausen  uns  nur  mit  lücken- 
hafter Datierung  überliefert  ist,  so  ist  das  Datum  der  Ap- 
pellation sowie  die  Stellung,  die  sie  innerhalb  der  ersten 
Prozesse  einnimmt,  wiederholt  Gegenstand  der  Untersuchung 
geworden.  Die  letzten  Versuche,  die  Frage  zu  entscheiden, 
machen,  wie  ich  glaube,  eine  erneute  Erörterung  notwendig. 

Zur  Orientierung  über  die  Frage  nach  dem  Datum  der 
Sachsenhäuser  Appellation  und  über  die  Gesichtspunkte, 
welche  für  die  Beantwortung  in  Betracht  kommen,  verweise 
ich  auf  C.  Müller,  Kampf  Ludwigs  des  Bayern  I,  354 ff. 
Beilage  5  und  W.  P reger,  Die  Anfänge  des  kirchenpolit. 


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76 


IMJIESACK, 


Kampfes,  in  Abhandl.  d.  Münchener  Akademie,  Hist  Klasse, 
Bd.  XVI,  S.  122  ff.  und  kann  danach  auf  die  genauere  Dar- 
legung des  Sachverhalts  verzichten. 

Müller,  der  Kopp  folgend  zuerst  den  22.  Januar  als 
Datum  der  Appellation  annahm,  verwirft  aus  einem  zwingen- 
den Grunde  dies  wieder  und  entscheidet  sich  für  den 
2  2.  Mai,  gestützt  darauf,  dafs  die  Uberlieferung  in  der 
Wiener  Handschrift  das  Datum  „in  die  VII  mensis  Maii" 
hat,  was  er  als  entstanden  aus  „indictione  7  die  22  mensis 
Maii"  erklärt.  Er  hält  im  übrigen  fest,  dafs  der  Beweis, 
dafs  Papst  Johanns  Prozefs  vom  23.  März  der  Appellation 
noch  unbekannt  gewesen,  von  Kopp  (Reiehsgeschichte  V,  1, 
8.  120  ff.)  vollkommen  erbracht  sei. 

Preger,  der  zunächst  den  Beweis  Kopps,  dafs  die  Appel- 
lation ihres  Inhalts  wegen  vor  den  Prozefs  vom  23.  März 
fallen  müsse,  zu  widerlegen  sucht,  verwirft  die  Datierung 
in  den  Mai,  weil  der  Brief  des  Herzogs  Leupold  von  Oster- 
reich, der  dem  Papste  die  erste  flüchtige  Kunde  von  der 
Appellation  brachte,  vor  dem  4.  Mai  geschrieben  sein  müsse. 
Er  setzt  deshalb  die  Appellation  auf  den  2  2.  April  an. 

M.  Schaper  in  seiner  Greifswalder  Dissertation:  Die 
Sachsenhäuser  Appellation  von  1324  (Berlin  1888),  S.  5 — 24 
sucht  den  Beweis  Pregers,  dafs  die  Appellation  den  Prozefs 
vom  23.  März  kenne,  weiter  zu  erhärten  und  schliefst  sich 
(S.  24)  den  Gründen  Pregers  für  den  2  2.  April  an. 

Den  Brief  Herzog  Leupolds  kennen  wir  nur  aus  der 
Antwort  des  Papstes  vom  8.  Juni  (Oberbayer.  Archiv  I,  79, 
Nr.  56).  Der  Papst  warnt  Leupold  vor  Ludwig,  weil  der 
Herzog  ihm  Mitteilung  von  Unterhandlungen  Ludwigs  mit 
ihm  gemacht  hat.  Diese  Unterhandlungen  aber,  meint  Preger, 
muteten  am  4.  Mai  bereits  zu  Ende  sein,  weil  an  diesem 
Tage  König  Ludwig  den  Schweizern  schreibt,  er  habe  den 
Waffenstillstand  mit  Herzog  Leupold  gekündigt  (Kopp,  Ur- 
kunden zur  Gesch.  der  eidgenössischen  Bünde  mmo 
treugas  inter  nos  et  Liupoldum  ducem  Austrie  initas  revo- 
eavimus").  Da  nun  in  demselben  Briefe  Herzog  Leupold 
beiläufig  die  Appellation  als  eine  Neuigkeit  erwähnt  hatte 
(Oberbayer.  Archiv  S.  80  „  appellationis  illius,  de  qua  men- 


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Zl'K  SACHSENHÄlSEIl  APPELLATION. 


77 


tionem  pre&te  littere  faciebant ") ,  so  mufs  auch  diese  vor 
dem  4.  Mai  erfolgt  sein. 

Aber  dies  ist  sehr  wenig  zwingend  l.  Erstlich  wissen 
wir  nicht,  dafs  Leupold  geschrieben  hätte,  da£s  er  gegen- 
wärtig noch  mit  Ludwig  in  Unterhandlung  stehe,  Bondern 
er  hatte  von  Versicherungen  berichtet,  die  Ludwig  ihm  über 
sein  Verhältnis  zum  Papste  gemacht  hatte  (vgl.  Müller, 
Ludwig  d.  Bayer,  S.  109  Anm.  3).  Und  zweitens:  wenn 
der  Papst  den  Herzog  bittet,  sich  durch  trügerische  Ver- 
sprechungen Ludwigs  nicht  abspenstig  machen  zu  lassen, 
also  doch  wohl  das  Fortbestehen  von  Verhandlungen  an- 
nimmt, so  ist  dies  kein  Beweis,  dafs  Leupold  vor  Kündigung 
der  Waffenruhe  geschrieben  haben  mufs.  Denn  mit  dem 
Schlufs  des  Waffenstillstandes  brauchen  die  diplomatischen 
Verhandlungen  durchaus  nicht  abgebrochen  zu  sein.  Im 
September  schreibt  der  Papst  von  neuen  Unterhandlungen 
zwischen  Leupold  und  Ludwig,  von  denen  der  Herzog  Mit- 
teilung gemacht  hat  (Vatikanische  Akten  Nr.  396,  vgl. 
Müller  S.  114).  Trotzdem  ging  damals  der  Krieg  seinen 
Gang  weiter  (vgl.  Kopp  V,  1,  S.  157 ff.,  die  Urkunden 
ebd.  auf  S.  87  Anm.  5  und  8.  69  Anm.  3,  und  Böhmer, 
Regesten,  S.  252  Nr.  171 — 173.  Am  10  August  verspricht 
Leupold  dem  Herzog  von  Sachsen,  ohne  ihn  mit  Ludwig 
dem  Bayern  keinen  Waffenstillstand  oder  Frieden 
machen  zu  wollen).  Auch  nimmt  in  diesem  Brief  an  die 
Eidgenossen  (4.  Mai)  Ludwig  Rücksicht  auf  die  Möglichkeit, 
dafs  er  mit  Herzog  Leupold  zu  einem  Frieden  oder  Freund- 
schaft kommen  werde  (Kopp,  Urkk. ,  S.  139:  „Deraum 
sciatis,  quod  si  cum  Liupoldo  duce  Austrie  nos  aliquos 
tractatus  pacis  vel  concordie  habere  contigerit,  vos  illis  sicut 
et  alias  scripaimus,  nullatenus  excludemus"). 

Gegen  die  Annahme  aber,  dafs  der  Brief  Leupolds  vor 


1)  Auch  Müller  in  seiner  spateren  Abhandlung  „Ludwigs  des 
Bayern  Appellationen  gegen  Johann  XXII."  in  Doves  Zeitschrift  für 
Kirchenrecht,  Bd.  XIX  (N.  F.  IV,  1884).  S.  242,  Anm.  6  erklart,  ohne 
auf  das  Datum  noch  einmal  einzugehen,  durch  Preger  nicht  überzeugt 
zu  sein. 


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78 


PRIESACK, 


dem  4.  Mai  geschrieben  wäre,  spricht  vor  allem  dies,  dafs 
es  ganz  unglaublich  ist  und  gegen  allen  sonstigen  Brauch 
der  Kurie,  dafs  der  Papst  in  einer  so  dringlichen  Angelegen- 
heit wochenlang  (mindestens  14  Tage)  mit  seiner  Antwort 
gezögert  haben  sollte.  Ich  halte  also  nach  dem  Beweise 
Müllers  an  dem  Datum  des  2  2.  Mai  fest1. 

Es  liegt  dann  so,  wie  Müller  S.  358  ausfuhrt,  dafs  wenige 
Tage  nach  der  erfolgten  Appellation  Herzog  Leupold  dem 
Papste  die  erste  oberflächliche  Kunde  davon  mitteilte.  Dann 
fällt  allerdings  die  Annahme  Pregers  (a.  a.  O.  S.  152  f.)  fort, 
dafs  der  Papst,  wenn  er  in  seinem  Schreiben  vom  26.  Mai 
an  die  Kurfürsten  (Olenschlager,  Staatsgeschichte  S.  104, 
Reg.  216,  27)  von  den  Machinationen  der  Minoriten  redet, 
dabei  die  Sachsenhäuser  Schrift  im  Auge  habe.  Indes  ist 
dies  in  der  Darstellung  Pregers  ein  ganz  nebensächlicher 
Punkt.  Der  Papst  hatte  ohnedies  anderweitig  genügende 
Kunde  von  den  Versuchen  Ludwigs  und  der  Minoriten,  bei 
den  Kurfürsten  den  Verdacht  zu  erwecken,  dafs  der  Papst 
ihr  Wahlrecht  zu  verletzen  beabsichtige  (vgl.  Preger 
a  a.  O.),  Versuchen,  die  eben  in  derselben  Zeit  in  der 
Sachsenhäuser  Appellation  zum  Ausdruck  kommen.  Meinte 
der  Papst  mit  den  lügnerischen  Einflüsterungen"  die  betr. 
Stellen  der  Appellation,  so  würde  dies  doch  bereits  eine  ge- 
nauere Kenntnis  derselben  voraussetzen,  als  sie  nach  dem 
Brief  vom  8.  Juni  zu  urteilen  der  Papst  damals  hatte. 
Müller  nimmt  vielmehr  an,  dafs  auch  noch  im  Juli  der  Inhalt 
der  Appellation  an  der  Kurie  genauer  nicht  bekannt  war. 


1)  Nachdem  dies  geschrieben  war,  erfahre  ich  durch  freundliche 
Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Schwalra-Güttingen ,  der  jene  Handschrift  in 
Wien  für  Zwecke  der  Monumeiita  Germaniac  eingesehen  hat,  dafs  an 
der  Stelle  das  Datum  sich  foleendermafsen  geschrieben  findet:  „anno 
domini  1324  indic  [kaum  indie  zu  lesen]  (Ende  der  Seite)  VII  mensis 
Maii  hora  circa  vesperarum".  Also  hat  auch  diese  Überlieferung  „in- 
dictione  VII".  Dadurch  ist  die  Vermutung  Müllers,  dafs  hier  nur  eine 
Auslassung  des  Abschreibers  („die  22 ")  anzunehmen  ist,  zur  Gewißheit 
erhoben.  Die  Lücke  in  der  Pariser  Handschrift  ist  also  durch  die 
Worte  „Maii  hora"  auszufüllen.  Hiermit  ist  denn  nun  der  22.  Mai 
endgültig  als  Datum  der  Appellation  erwiesen. 


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ZUR  SACHSEN  HÄUSER  APPELLATION 


79 


Von  der  Frage  nach  dem  Datum  der  Appellation  ist  nun 
die  andere  im  Zusammenhang  mit  dieser  behandelte  Frage 
zu  trennen,  ob  der  Wortlaut  der  Sachsenhäuser  Schrift  den 
zweiten  Prozefs  vom  23.  März,  der  die  Bannsentenz  enthält, 
voraussetze  oder  nicht.  Der  Beweis  Pregers  und  Schapers, 
dafs  die  Appellation  selbst  ein  Zeugnis  dafür  enthalte,  dafs 
sie  erst  nach  dem  zweiten  Prozefs  ergangen  sein  könne, 
scheint  mir  nicht  gelungen  l. 


1)  Neuerdings  hat  nun  vollends  Wurm  (in  der  Besprechung  der 
„Vatikanischen  Akten"  im  Hist.  Jahrb.  der  Görres  -  Gesellschaft  XIII 
[1892],  S.  230  ff.)  anknüpfend  an  die  Worte  des  Papstes  in  dem  Brief 
an  den  Erzbischof  von  Mainz  vom  10.  September  1324  (Vatikan.  Akten 
Nr.  388)  über  die  „novitates  presumptas,  sicut  asseritur,  per  nobilem 
virum,  Ludovicum  ducem  Bavarie  post  processus  per  nos  dudum  contra 
eum  habitos  privationis  a  iure,  si  quod  sibi  ad  regnum  vel  imperium 
Romanum  competebat,  sententiain  inter  cetera  contineutcs",  von  denen 
der  Erzbischof  dem  Papste  im  August  Bericht  erstattet  hatte,  die 
Behauptung  aufgestellt,  die  Sachsenhäuser  Appellation  sei  erst  am 
22.  Juli  erschienen  und  richte  sich  gegen  den  „processus  nuper  factus", 
d.  h.  gegen  den  Prozefs  vom  11.  Juli.  Namentlich  das  letztere  bedarf 
wobl  kaum  einer  ernsthaften  Widerlegung,  zumal  Wurm  selbst  die 
Behauptung  dahin  abschwächt,  die  Appellation  sei  nach  dem  März-Prozefs 
vorbereitet  worden,  Herzog  Leupold  sei  bereits  von  der  Absicht  der- 
selben unterrichtet  gewesen  und  konnte  daher  im  April  oder  Mai  dem 
Papste  Mitteilung  davon  machen  (daher  das  „contra  quem  interponenda 
dicitur4'  des  Briefes  vom  8.  Juni);  die  Veröffentlichung  sei  aber  erst 
im  Juli  erfolgt.  —  Eine  andere  von  Wurm  angedeutete  Frage  verdient 
vielleicht  Erwägung,  ob  man  nicht  zu  scheiden  hat  zwischen  der  Ver- 
öffentlichung der  Anklageschrift  in  Sachsenhausen,  wobei  Ludwig  nicht 
zugegen  gewesen  zu  sein  braucht  (es  war  aber  doch  nicht  blofs  eine 
„publicatio"  der  Appellation,  vielmehr  heifst  es  in  der  Urkunde 
„lectae  et  interpositae  .  .  .  appellationes  anno  .  .  .,  in  capella 
in  Sachsenhusen")  und  dem  von  der  erstmaligen  Veröffentlichung  un- 
abhängigen Akt  der  eigentlichen  Vorlegung  der  Anklage  und  Appel- 
lation vor  den  am  Schlufs  genannten  „prineipibus  nostris  ecclesiasticis 
et  mundanis,  et  notariis  publici3  hic  praesentibus".  (Die  Sachsen- 
häuser Urkunde,  wie  sie  uns  vorliegt,  ist  allerdings  kein  Notariats- 
instrument,  wie  die  Nürnberger  Urkunde,  die  genannten  notarii  prae- 
sentes  fehlen  im  Eschatokoll  ganz,  darauf  stützt  Wurm  seine  An- 
nahme. Aber  man  inufs  freilich  bedenken,  dafs  uns  die  Urkunde  von 
Sachsenhausen  wahrscheinlich  unvollständig  überliefert  ist).  In  dieser 
absoluten  Form,  ohne  Datum,  läge  sie  dann  in  der  Münchener  Per- 


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80 


PRIESA  CK, 


Preger  (S.  1 24  f.)  giebt  im  übrigen  noch  zu ,  dafs  die 
Appellation  den  zweiten  Prozefs  ignoriert,  findet  aber  den 
Beweis,  dafs  Ludwig  den  Prozefs  vom  23.  März  bereits 
kennt,  in  einer  Stelle ,  die  einen  Hinweis  auf  jenen  Prozefs 
enthalten  soll  l.  Es  sind  dies  die  Worte  (bei  Olenschlager 
8.  128):  „iam  incepit  procedere  et  processit,  ut  dicitur". 
Das  „incepit  procedere"  soll  den  ersten,  das  „processit" 
den  zweiten  Prozefs  vom  23.  März  bezeichnen.  Den  Ein- 
wand nun,  dafs  man  die  Bulle  des  Papstes  vom  7.  Januar 
als  zweiten  Prozefs  bezeichnen  könnte,  wie  dies  Olen- 
schlager S.  92  thut,  wirft  Preger  beiseite.  Aber  es  ist 
zu  erwidern,  dafs  nicht  etwa  Olenschlager  (richtiger:  die 
Sammlung  der  Prozesse  bei  Martene  und  Durand),  sondern 
der  damalige  Sprachgebrauch  unter  dem  zweiten  Prozefs  den 
vom  7.  Januar  (Reg.  215,  17)  versteht.  Vgl  z.  B.  das 
Schreiben  des  Papstes  vom  28.  März,  mit  welchem  er  den 
neuen  Prozefs  übersendet  (Oberbayer.  Arch.  I,  85,  Nr.  62). 
Hier  wird  der  Prozefs  vom  23.  März  als  „tertius  Pro- 
cessus "  aufgeführt.  Daher  übersendet  denn  auch  der  Papst 
den  Prozefs  vom  7.  Januar  ebenso  wie  die  anderen  an  die 
Bischöfe  zur  feierlichen  Publikation  (so  Oberbayer.  Arch.  I, 
84  an  den  Bischof  von  Freising,  ebenso  Vatikan.  Akten 
342  a  an  den  Bischof  von  Speier.  Und  der  Bischof  von 
Basel  zeigt  gleichzeitig  den  Empfang  des  ersten  Prozesses 
und  der  „responsio"  dem  Papste  an.  Oberbayer.  Arch.  94). 
Ludwig  konnte  auch  durchaus  in  dem  zweiten  Verfahren 
vom  7.  Januar  ein  procedere  erblicken.    Denn  genau  gc- 


gamentbandschrift  vor  (s.  Preger  S.  122).  Zu  vergleichen  wäre  der 
Schlufssatz  d^s  Textes  (Olenschlager  S.  129):  „ac  protestamur  ex- 
presse  de  im  ovando  provocationes  et  appellationes  et  protcstationes  prae- 
dictas,  tibi,  quando,  et  sicut  et  coram  quibus  visum  fucrit  expedire  et 
de  iure  tenebimur  atque  debebiraus  .  .  So  erklärt  sich  dann  auch 
das  „interponenda"  des  päpstlichen  Briefes  (vgl.  auch  Müller,  Ludwig 
d.  B.,  S.  103  Anm.  2).  Danu  hat  vollends  die  Frage  nach  dem  Datum 
der  Appellation  mit  derjenigen,  gegen  welchen  Prozefs  sie  gerichtet  ist, 
nichts  zu  schaffen. 

1)  Auch  Maller  giebt  nachträglich  (in  dem  erwähoten  Aufsatz  in 
Zeitschrift  f.  Kirchenrecht  XIX,  242)  Preger  hierin  Recht. 


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ZUR  SACHSENHÄU3EK  APPELLATION. 


81 


nominen  hat  der  Papst  am  7.  Januar  nicht  den  Termin  des 
ersten  Prozesses  verlängert,  sondern  er  erklärt  ausdrücklich, 
dafs  derselbe  voll  und  ganz  zu  Recht  besteht  und  dafs  dem- 
nach das  dort  angedrohte  Verfahren  und  die  Folgen  jetzt 
bereits  rechtlich  in  Kraft  treten  (Olenschlager  S.  95): 
„non  intendimus  aliquid  innovare  ipsum  (sc.  processum)  tol- 
lendo  vel  suspendendo,  vel  quoad  impediendum  effectum 
sententiarum  in  eo  lataruin,  terminum,  dilationemet  pro- 
rogationem  aliquam  concedendo:  immo  volumus  eum 
quoad  omnia  contenta  in  ipso  et  eorum  effectu,  in  suo  pleno 
vigore  atque  robore  permanere".  Verschoben  wird  nur 
die  Veröffentlichung  der  Strafen,  in  die  Ludwig  durch  Ver- 
säumnis des  Termins  bereits  verfallen  ist  (S.  96):  „intendimus 
usque  ad  duos  menses  .  .  .  a  publicatione  poenarum  in  1 
proce88ibus  huiusmodi  ac  ab  aggravatione  supersedere  Pro- 
cessus eiusdem".  Also  konnte  Ludwig  mit  dem  „et  pro- 
cessit"  sehr  wohl  das  Verfahren  vom  7.  Januar  im  Auge 
haben. 

Ebenso  ist  die  Behauptung  Pregers  (S.  125)  unrichtig, 
dafs  das  „utdicitur"  allein  zu  dem  „et  processit "  zugesetzt 
wäre,  um  zu  betonen,  dafs  Ludwig  von  dem  neuen  Prozefs 
vom  März  noch  keine  offizielle  Kunde  hatte.  Denn  das 
„dicitur"  wird  durchweg  in  der  ganzen  Appellation  zugesetzt 
bei  allen  Angaben,  die,  wie  wir  noch  sehen  werden,  durch- 
aus nur  auf  den  ersten  Prozefs  gehen,  z.  B.  Olenschlager 
S.  119:  „Processus  quem  nuper  fecisse  dicitur"  und  „falso 
dicere  dicitur",  S.  120:  „contineri  dicitur  in  eodem  pro- 
cessu"  u.  8.  w.  Nur  an  zwei  Stellen  (Olenschl.  S.  118: 
„in  processu  nuper  .  .  .  facto"  und  S.  120:  „falso  et  men- 
daciter  dicit  esse  in  discordia  celebratam")  ist  dieses  „di- 
citur" fortgeblieben2.   Das  „dicitur"  hat  also  nicht  die  Be- 


1)  So  ist  zu  lesen  statt  „et  processibus",  wie  Oleuschlager  (nach 
Martene)  hat.  Vgl.  den  Brief  an  den  König  von  Frankreich  vom 
19.  Januar.   Vatikan.  Akten  Nr.  347. 

2)  Eine  andere  päpstliche  Behauptung,  die  ohne  dicitur  eingeleitet 
wird  (mit  „contendit":  Olenschl.  S.  126  Abs.  2),  nämlich  dafs  dem 
Papste  die  administratio  vacante  imperio  zustehe,  ist  nicht  ausdrücklich 
dem  ersten  Prozefs  entnommen  (sie  steht  nicht  in  den  Abschnitten,  die 

Zeitachr.  f.  K.-G.  XVII,  1  u.  2.  6 


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82 


PRIESACK, 


deutung,  dafs  ich  dasjenige,  wovon  ich  mit  einem  „ut  di- 
citur"  spreche,  nicht  kennen  will  (denn  Ludwig  geht  ja  auf 
das  Rechtsverfahren  so  genau  ein,  dafs  er  z.  B.  dem  Papste 
die  Unwissenheit,  dafs  er  von  der  „Mark  Magdeburg"  redet, 
auftrumpft),  sondern  nur,  dafs  mir  das  in  Rede  stehende 
Aktenstück  nicht  offiziell  mitgeteilt  ist,  so  dafs  ich  es  recht- 
lich nicht  als  gültig  oder  für  mich  bindend  anzusehen 
brauche. 

Wir  kommen  nun  zu  Sehaper,  der  in  der  Appellation 
nicht,  wie  Preger,  nur  eine  einzige  Anspielung  auf  den 
zweiten  Prozefs  findet,  sondern  nachzuweisen  sucht,  dafs  die 
Polemik  der  Sachsenhäuser  Appellation  gegen  den  „Pro- 
cessus nuper  factus"  sich  direkt  gegen  den  zweiten  Prozefs 
richtet  *.    Wir  betrachten 

1.  die  Beweise  Schapers,  dafs  die  Appellation  den  zweiten 
Prozefs  kennt. 

1)  Ol.  S.  123,  Absatz  2:  „in  praedicto  processu  .  .  .  (man- 
dare  dicitur)  sub  poenis  gravibus  inflictis  ac  etiam 
comminatis".     Der  Ausdruck   infligere  „verhängen" 
pafst  nur  auf  den  zweiten  Prozefs,  da  erst  in  diesem 
die  ersten  Strafen,  die  Suspension  über  die  Geistlichen, 
verhängt  werden. 
Dies  ist  durchaus  unrichtig.    Im  ersten  Verfahren  wird 
ausgesprochen,  dafs  die  Geistlichen  in  die  Strafe  der  Suspensio 
ipso  facto  verfallen  werden,  wenn  sie  nach  Ablauf  der  Frist 
dem  päpstlichen  Gebot  noch  ungehorsam  sind.    Der  zweite 
Prozefs  bringt  nur  die  publicatio  dieser  Strafe,  nicht  die 
Verhängung  (inflictio).    Durch  den  Prozefs  vom  7.  Januar 
ist  ausdrücklich  ausgesprochen,  dafs  die  Strafen  bereits  mit 
Ablauf  des  Termins  (am  7.  Januar)  eintreten  (s.  oben).  Wir 
müssen  in  I  scharf  unterscheiden  (Ol.  S.  83):  Zunächst  wird 


sich  mit  dem  Prozefs  beschäftigen ,  vgl.  unten  S.  89);  sie  findet  sich 
schon  in  der  Bulle  von  1317. 

1)  Im  Folgenden  sind  mit  I  und  II  der  erste  und  zweite  Prozefs 
bezeichnet,  unter  dem  letzteren  ist  nach  dem  üblichen  Brauch  der  des 
23.  März  verstanden.  Schaper  citiert  die  Appellation  nach  Baluze 
Vitae  II;  ich  füge  die  Verweise  auf  den  Druck  bei  Olcnschlager  bei 
(bezeichnet  mit  Ol.).   Die  Abschnitte  sind  in  beiden  Drucken  dieselben. 


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'/XU  SACHSEXHÄUSER  APPELLATION. 


83 


den  Geistlichen  die  poena  suspensionis  ab  officio  et  beneficio 
in  Aussicht  gestellt.  Hierbei  heifst  es:  „quam  eos  incurrere 
volumus  ipso  facto,  nisi  infra  praedictum  terminum"  etc. 
Dies  sind  poenae  inflictae.  Ferner  aber  wird  Geistlichen 
(„et  tarn  ipsis  quam"  etc.)  wie  weltlichen  Personen  und 
Gemeinwesen  Bann,  Interdikt  und  Entziehung  der  Lehen 
angedroht.  Hier  fehlt  der  Zusatz  „quam  incurrere"  etc. 
Dies  sind  poenae  comminatae.  Man  vergleiche,  wie  deutlich 
der  Papst  im  zweiten  Prozefs  bei  Festsetzung  der  künftigen 
Strafen  scheidet  (Olenschl.  S.  101  f.):  „tarn  sub  excom- 
municationis,  quam  ipsos  .  .  .  incurrere  volumus  ipso  facto, 
quam  sub  privationis  dignitatum  etc.  poenis  et  sententiis,  ad 
quarum  etiam  inflictionem  ...  procedemus,  sicut 
viderimus  expedire". 

2)  Ol.  S.  118,  Abs.  4.  Die  Appellation  sagt:  „in  dicto 
processu  .  .  .  omnino  defuit  pars  citata,  quia  nec  fuit 
praesens,  nec  per  contumaciam  absens".  Der  Papst 
darf  nicht  damnare,  ehe  der  Angeklagte  Gelegenheit 
gehabt  hat,  sich  zu  verteidigen.  —  Dies  „damnare" 
kann  nur  auf  den  zweiten  Prozefs  gehen. 

Aber  ist  nicht  schon  der  erste  Prozefs  eine  Verurteilung, 
ohne  dafs  der  Angeklagte  gehört  und  citiert  ist?  1  In  dem 
Prozefs  vom  Januar  verwirft  der  Papst  das  Anerbieten  Lud- 
wigs, sein  Recht  zu  verteidigen,  als  ungehörig,  da  der  erste 
Prozefs  „rite  factus  et  super  notorio  habitus"  sei  (Olenschl. 
S.  95).  Der  erste  Prozefs  fordert  Ludwig  bereits  zum 
Widerruf  auf;  es  heifst  ferner  in  I  (Ol.  S.  83):  „nos  contra 
ipsum  ad  publicationem  poenarura,  in  quas  propter  prae- 
miesos  excessus  notorios  incidissc  noscitur,  .  .  .  pro- 
cedemus". Also  ist  der  erste  Prozefs  bereits  ein  Urteil, 
ohne  die  Verteidigung  der  angeblichen  Rechte  des  Königs 
anzuhören. 

3)  Ol.  S.  118,  Abs.  3  und  125  oben.    Die  Appellation 


1)  Dies  ist  z.  B.  auch  die  Auffassung  bei  Lindner,  Deutsche 
Geschichte  unter  den  Uabsburgern  und  Luxemburgern  I,  326.  Auch 
Kopp  (S.  121)  sagt  zu  dieser  Stelle:  „Das  kaun  nur  auf  die  Urk. 
8.  Weinm.  1323  gehen". 

6* 


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84 


1'RlfiSACK, 


wirft  dem  Papste  vor,  dafs  er  sich  zum  Richter 
aufwerte  und  „iudicare"  sich  anmafse  in  dem  eben 
erwähnten  Prozesse.    Dies  mufs  also  der  II.  sein. 
Hierzu  gilt  das  unter  2)  Gesagte. 

4)  Ol.  S.  128.  Die  von  Preger  beigebrachte  Stelle  „in- 
cepit  procedere  et  proccssit".  Schaper  sieht  den  Be- 
weis mehr  noch  als  in  dem  „et  processit"  in  dem  „et 
procedere  gravius  comminatur".  Dies  soll  beweisen, 
dafs  bereits  Strafen  verhängt  sind,  denn  der  Papst 
droht  mit  „schwereren  Strafen",  dafs  also  der  zweite 
Prozefs  bereits  ergangen  ist. 

Aber  wir  haben  bewiesen,  dafs  „et  processit"  sich  auf 
den  Prozefs  vom  Januar  bezieht.  In  diesem  droht  der  Papst 
procedere  gravius,  vgl.  in  der  oben  (S.  10)  citierten  Stelle 
(Olenschl.  S.  96)  den  Ausdruck  „ab  aggravatione 
supersedere". 

5)  Zwei  Stellen  der  Appellation  sprechen  von  processus 
8UOs.  Also  müssen  mindestens  zwei  Prozesse  voran- 
gegangen sein. 

Ludwig  redet  hier  ganz  allgemein.  Der  erste  Vorwurf 
ist  (Ol.  S.  118,  Abs.  3):  Der  Papst  zerstört  die  Rechts- 
ordnung „processus  suos  fundando  super  notoriis  .  .  .  ut  in 
suis  processibus  clare  patet"  (vgl.  hierzu  die  Worte  im 
Prozefs  vom  Januar  [Ol.  S.  95J:  „cum  processus  noster 
praedictus  [der  erste  Prozefs]  .  .  .  factus  rite  sit  et  super 
notorio  habitus").  Der  zweite  Vorwurf  (Ol.  S.  119):  Er 
„tendit  ad  exterminium  imperii  ...  per  istos  et  alios  suos 
processus".  Erstens  wäre  zu  sagen,  dafs  hier  ja  die  Pro- 
zesse vom  8.  Oktober  und  7.  Januar  gemeint  sein  können. 
Zweitens  aber  kann,  wenn  so  allgemein  gesprochen  ist,  der 
Plural  wohl  auf  einen  Prozefs  gehen  (vgl.  meine  Abhand- 
lung: Die  Reichspolitik  Balduins  von  Trier,  S.  79).  Im 
zweiten  Satz  bezieht  sich  „istos"  doch  auf  den  processus 
nuper  factus,  von  einem  andern  war  vorher  noch  keine  Rede. 
Das  „et  alios  suos  processus"  dürfte  dann  etwa  die  früheren 
Prozesse  gegen  die  Reichsgetreuen  in  Italien,  also  gegen  die 
Visconti  und  andere,  meinen,  denn  auch  durch  diese  strebt 


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ZUR  SACHSEXUÄU&EK  APPELLATION. 


85 


der  Papst  „ad  exterminium  imperii",  wie  dies  die  Appel- 
lation weiter  unten  ausführlich  darlegt. 

2.  Die  Beweise  Schapers,  dafs  die  Appellation  sich  gegen 
den  zweiten,  nicht  gegen  den  ersten  Prozefs  wendet 

Wir  sahen,  dafs  die  bisher  besprochenen  Abschnitte,  in 
denen  von  einem  richterlichen  Verfahren  die  Rede  ist,  auch 
auf  den  ersten  Prozefs  bezogen  werden  können.  Schaper 
giebt  zu,  dafs  die  weiteren  (den  dictus  processus  erwähnen- 
den) Abschnitte  der  Appellation  (Baluze  10,  13;  richtiger 
wäre  10  bis  13  =  Ol.  S.  119,  Abs.  2  bis  S.  120  unten), 
d.  h.  die  Hauptstellen,  welche  die  staatsrechtlichen  Behaup- 
tungen des  Papstes  erörtern,  in  jedem  von  beiden  Prozessen, 
d.  h.  in  II  nur  in  der  (teilweise  verkürzten)  Wiederholung 
von  I  ihre  Vorlage  haben  können,  dafs  aber  zwei  weitere 
Abschnitte  von  I,  die  Ludwig  heranzieht  (Baluze  20  und  in 
1 3  der  Passus  „ et  quod  nos  Marchionatum u  etc.  =  Ol. 
S.  124,  Abs.  3  und  S.  120),  in  II  fortgefallen  sind.  Er 
mufs  also  besonders  begründen,  weshalb  Ludwig  gerade 
diese  beiden  Stellen  aus  I  hinzugezogen  hat.  Die  natürlichste 
Annahme  ist  doch,  wenn  Ludwig  überall  von  dem  einen, 
im  Eingang  genannten  Prozesse  spricht  („in  processu  prae- 
fato"  heifst  es  an  eben  der  letzten  Stelle  Baluze  20  =  Ol. 
124,  3),  dafs  er  nicht  nur  an  diesen  zwei  Stellen,  sondern 
immer  den  ersten  Prozefs  im  Auge  hat.  Den  direkten  Nach- 
weis, dafs  die  Appellation  in  allen  übrigen  Punkten  den 
zweiten  Prozefs  bekämpft,  müssen  wir  also  erst  erwarten. 
Schaper  sieht  diesen  Nachweis  in  der  Verschiedenheit  beider 
Prozesse  in  der  Begründung  des  Vorgehens  gegen  Ludwig, 
indem  die  Appellation  hierin  dem  zweiten  Prozefs  näher 
stehen  soll.  Der  erste  Prozefs  —  ausgehend  von  der  in  dis- 
cordia  geschehenen  Wahl  Ludwigs,  und  gestützt  auf  den 
Anspruch,  dafs  die  Bestätigung  des  Gewählten  (oder  des  in 
Zwietracht  Gewählten)  dem  Papste  zustehe  und  dafs  vor  der 
Approbation  dem  also  Gewählten  nur  der  Titel  Electus  zu- 
komme —  macht  Ludwig  den  Vorwurf,  dafs  er  den  Königs- 
titel angenommen  habe,  zweitens  aber  —  indem  er  den 
Rechtsanspruch  erhebt,  dafs  bei  Vakanz  des  Imperiums  die 
Regierung  desselben  dem  Papste  zustehe  —  wirft  er  Lud- 


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*6 


PRIESACK, 


wig  vor,  dafs  er  die  administratio  iuriurn  regni  et  imperii 
unrechtmäfsig  angetreten  habe  l.  Dagegen  setzt  der  zweite 
Prozefs  dieses  Recht  der  Reichsverweserschaft  in  den  Vorder- 
grund mit  Berufung  auf  die  Bulle  von  1317  (während  der 
Anspruch  auf  Approbation  zurücktritt),  und  stellt  die  Re- 
gierung Ludwigs  als  eine  Übertretung  dieser  Bulle  hin,  in- 
dem er  nur  in  wenigen  Ausdrücken  (in  einer  gekürzten 
Wiederholung  des  ersten  Prozesses)  die  Unrechtmäfsigkeit 
des  Königtums  Ludwigs  gleichsam  als  früher  erwiesen  streift, 
soweit  es  nötig  ist,  um  zu  betonen,  dafs  das  Reich  that- 
sächlich  vakant  ist. 

Die  Appellation  soll  sich  nun  lediglich  gegen  die  Be- 
gründung von  II  richten.  Ich  kann  dies  nicht  zugeben. 
Der  Unterschied  der  Begründung  in  beiden  Prozessen  ist 
lediglich  ein  formaler.  Und  gerade  in  der  Form  der  Polemik 
folgt  die  Appellation  dem  ersten,  nicht  dem  zweiten  Prozefs. 
Die  Appellation  beginnt,  nachdem  sie  einleitend  die  Un- 
gesetzlichkeit  des  Verhaltens  Johanns  in  seinem  Rechts- 

1)  Dieser  zweite  Rechtsanspruch  der  Regierung  vacante  imperio 
ist  also  nicht  etwa  im  ersten  Prozefs  nebensächlich ,  sondern  durchaus 
notwendig,  denn  nur  mit  diesem  wird  die  Unrechtmäfsigkeit  der  Re- 
gierung Ludwigs  dargethan.  Der  Unterschied  der  beiden  Prozesse 
ist  also  so  grofs  nicht,  die  diesbezügliche  Behauptung  Müllers  (S.  99) 
schwächt  Schaper  bereits  ab.  —  Auch  darf  man  nicht,  wie  MüUer 
(S.  63  u.  99)  und  auch  Schaper  (S.  14  ff.)  thun,  in  den  päpstlichen  Re- 
gicrungsansprttchen  einen  Unterschied  zwischen  Regnum  und  Imperium 
machen  (vgl.  M.  Ritter  in  Histor.  Zeitschr.  [1879],  Bd.  XL1I,  S.  299). 
Man  vergleiche  z.  B.  auch  die  Worte  in  dem  Briefe  au  die  Kölner 
(1824  April  15.  Oberbayer.  Arch.  I,  58)  „sc  administrationi  eiusdem 
regni  tarn  indebite  quam  irreverentcr  irainiscuit  et  dampnatis  in  Lom- 
bardia  favens  hereticis  ac  rebellibus  .  .  .  insolenter  excesserat".  Das 
Regnum  umfafst  also  wohl  nicht  nur  Deutschland,  sondern  auch  das 
regnum  Italiae.  Ebenso  wie  der  Papst  verquickt  Ludwig  Regnum  und 
Imperium,  wenn  er  in  der  Sachsenbäuser  Appellation  als  das  Recht  des 
Pfalzgrafen  das  vius  administrandi  iura  imperii'1,  allerdings  „praesertim 
in  partibus  Alamaniae"  bezeichnet.  —  Rechtlich  hat  der  Papst  im 
zweiten  Prozefc  das  Recht  der  Regierung  auch  im  Regnum  ebeuso 
wenig  aufgegeben  wie  das  der  Approbation  des  Gewählten.  Etwas  an- 
deres ist  es,  wenn  er  die  schärfsten  Konsequenzen  seiner  Ansprüche 
hier  unterdrückt. 


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ZUR  SACHSENHÄUSER  APPELLATION. 


87 


verfahren  (Abschnitt  5  u.  6)  und  in  anderen  Dingen  dar- 
.  gethan  hat,  mit  Abschnitt  10  die  Bekämpfung  des  „Pro- 
cessus quem  nuper  fecisse  dicitur"  (Olenschl.  S.  119: 
Item  patet  aperte  in  processu  .  .  .  quod  ad  exterminium  et 
destructionem  sacri  tendit  imperii  .  .  .  ut  patet  in  omnibus 
et  singulis  infrascriptis  capitulis)  K 

Sie  beginnt  mit  dem  Nachweis,  dafs  Ludwigs  Wahl  in 
concordia  geschehen  sei,  und  mit  der  Zurückweisung  der 
gegenteiligen  Behauptung  des  Papstes.  Diese  (Wahl  in  dis- 
cordia)  steht  auch  in  I  an  der  Spitze  der  Beweisführung, 
dagegen  wird  sie  in  II  nur  in  einer  Apposition  („in  dis- 
cordia  in  R  R.  electum")  in  anderem  Zusammenhang  er- 
wähnt. Sodann  weist  die  Appellation  ebenso  gründlich  wie 
die  Nürnberger  Erklärung  (nur  mit  anderen  Worten)  die 
Ansprüche  des  Papstes  zurück,  dafs  die  Erwählten  vor  der 
Approbation  nicht  Könige  seien.  Man  vergleiche  z.  B.  (0 1. 
S.  120)  :  „ex  quo  (sc.  der  Krönung)  et  electione  praedicta 
...  est  electus  verus  rex  Romanorum"  mit  dem  Satz  von 
I :  „  cum  nec  interira  Romanorum  reges  existant,  sed  in  reges 
electi,  nec  sint  habendi  —  nominandi".  Gerade  diese  Sätze 
fehlen  in  dieser  Ausführlichkeit  in  II;  sie  sind  lediglich  an- 
gedeutet in  den  Worten:  „sibi  nomen  regis  Romanorum 
usurpavit".  Was  in  der  Sachsenhäuser  Appellation  an  dieser 
Stelle  vermifst  wird,  ist  nicht  sowohl  die  Zurückweisung 
des  päpstlichen  Anspruchs  auf  Approbation,  sondern  nur  die 
(in  der  Nürnberger  Appellation  gegebene)  Erörterung  dar- 
über, in  welchen  Fällen  bei  zwieträchtiger  Wahl  dem  Papste 
eine  Entscheidung  zukommen  könne.  Die  Appellation  be- 
tont ferner  fortwährend,  dafs  jener  Prozefs  die  Rechte  der 
Kurfürsten  schädige.  Dies  geschah  aber  doch  nicht  durch 
den  Anspruch  auf  Regierung  des  Imperiums  bei  Vakanz, 
sondern  durch  den  Anspruch,  dafs  die  Wahl  der  Kurfürsten 


1)  Schaper  (S.  13)  scheint  die  Abschnitte  11  u.  12  nicht  als  auf 
den  Prozefs  bezüglich  anzusehen  und  macht  sich  dadurch  seinen  Be- 
weis freilich  leichter.  Er  übersieht,  dafs  Abschnitt  10  nur  die  Ein- 
leitung bildet  zu  dem  zusammenhangenden  Stück  Baluze  11—20  (= 
Olenschl.  S.  119  „primo  quia"  bis  S.  124  „ex  causa"). 


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88 


PRIESACK, 


erst  durch  die  päpstliche  admissio  gültig  werde  und  durch 
die  repulsio  ungültig  werden  könne. 

Man  beachte  nun  die  Reihenfolge  in  den  capitulis  der 
Appellation  und  in  I. 


Appellation  (Ol.  S.  119 ff.): 
Primo  quia  ille  —  scandalura 

manifestum. 
Item  cum  consuetudo  —  im- 

perii  approbatas. 
Item  cum  sie  eiectus  —  cui- 

libet  intuenti; 
et  quod  nos  Marchionatum  — 

quomodolibet  laederentur. 
Item    contineri    dicitur  — 

(S.  123)  mentis  advertit. 


S.  123:  Item  ipse  —  toto 
corde. 

Ad  hoc  autem  —  favorem; 
[folgt  nochmals  Beweis  der 
Rechtmäfsigkeit  des  König- 
tums Ludwigs:  quod  con- 
stat  —  manifestas]. 

Diffusius  autem  —  ex  causa. 


I  (Ol.  S.  81  ff): 
Dudum  siquidem  —  discor- 

diter  vota  sua. 
Verum  praefetus  —  Reges 

etiam  nominandi. 
Idem  etiam  Ludovicus  —  li- 

bito  disponere; 
sicut  iis  proximis  —  dubium 

pertinere. 
Eiusdem  insuper  —  nec  ve- 

retur. 

Nos  itaque  —  procedemus 
[Aufforderung  an  Ludwig]. 

Non  obstante  —  omnino  ca- 
rere. 

Universis  insuper  —  favorem. 


fuerit  ex- 


Ex  praemissis  - 
pedire. 

Man  wird  sich  überzeugen,  dafs  hier  die  Appellation 
Punkt  für  Punkt  den  ersten  Prozefs  bekämpft.  Der  zweite 
Prozefs  dagegen  hat,  wie  gesagt,  eine  ganz  andere  Anord- 
nung der  Sätze. 

•  * 

II  hat  abgesehen  von  der  Änderung  in  den  verkündigten 
und  angedrohten  Strafen  an  zwei  Stellen  mehr  als  I.  Beide 
fehlen  in  der  Appellation.  I  erklärt  die  Ludwig  geleisteten 
Unterthaneneide  für  unverbindlich  (dem  entsprechend  die 
Appellation  0 1.  S.  123:  „  inducendo  ipsos  per  hoc  ad  trans- 
gressionem  iuramentorum  et  fidei");  II  fügt  noch  hinzu, 
dafs  er  alle  mit  Ludwig  geschlossenen  Bündnisse,  Verträge 
und  Gemeinschaft  kassiert.  Dies  ist  in  der  Appellation  nicht 


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ZUR  SACHSEN  HAU  SEK  APPELLATION. 


89 


erwähnt.  Wesentlicher  als  dies  ist  das  zweite.  II  lügt  bei 
den  Häretikern,  welche  Ludwig  begünstigt  hat,  zu  den  Vis- 
conti (erster  Prozefs)  noch  die  Namen  der  Este  von  Ferra ra 
hinzu.  Nun  ist  doch  auffällig,  dafs  in  der  Appellation  unter 
den  vielen  Namen  der  Anhänger  Ludwigs  in  Italien,  welche 
der  Papst  der  Ketzerei  beschuldige  (die  Visconti,  Cane  de 
la  Scala,  Passerino  von  Mantua,  die  Genuesen  u.  a.)  gerade 
die  Este  fehlen.  Es  wird  also  sowohl  der  zweite  Prozefs 
als  auch  die  neue  gegen  die  Este  ergangene  Bulle  vom 

4.  Mai  ignoriert  *. 

Nur  das  kann  man  Schaper  zugeben,  dafs  durch  den 
zweiten  Prozefs,  den  Ludwig  ja  damals  bereits  kannte,  die 
Polemik  der  Appellation  beeinflufst  ist.  Denn  nachdem  sie 
mit  dem  Prozefs  fertig  ist,  kommt  sie  später  noch  zweimal 
auf  den  Anspruch  des  Papstes  auf  die  Reichsverweserschaft 
zurück,  aber  ohne  dabei  den  Prozefs  zu  nennen  (Ol  en  sc  hl. 

5.  125  mit  „quod  per  istum  nuper  noscitur  attentatum" 
und  S.  126  mit  „contendit")  *,  und  betont  hier  auch  das 
Recht  des  Pfalzgrafen.  Solches  wiederholte  Eingehen  auf  diese 
päpstliche  Forderung  mag  sich  daraus  erklären,  dafs  der 
zweite  Prozefs  dieselbe  so  besonders  betonte.  Damit  ist  aber 
nicht  beseitigt,  dafs  die  ganze  Anklage  sich  gegen  den 
ersten  Prozefs  wendet. 

Warum  nun  Ludwig  darauf  verzichtet  hat,  in  der  Sachsen- 
häuser Appellation  noch  einmal  näher  auf  den  Anspruch 
der  Kurie  auf  Approbation  einzugehen,  brauche  ich  füglich 
nicht  zu  entscheiden.  Notwendig  war  dies  nicht,  wenn  er, 
wie  er  es  zur  Genüge  thut,  nachwies,  dafs  der  rechtmäfsig 
Gewählte  rechter  König  sei.  Der  Schwerpunkt  der  Beweis- 
fuhrung  liegt  in  der  Sachsenhäuser  Appellation  darin,  dafs 
Ludwigs  Wahl  gesetzmäfsig  und  nicht  in  discordia  geschehen, 
die  des  Gegners  ungültig   sei.     Ein   solcher  Beweis  ist 


1)  Auch  der  Prozefs  gegen  Berthold  von  Mai  Stetten  vom  12.  April 
ist  unbeachtet. 

2)  Man  kann  sagen:  Ludwig  kämpft  hier  gegen  die  Bulle  von  1317 
(vgl.  das  „contendit"  ohne  ein  dicitur  und  Ol.  S.  124  unten:  „quod 
se  sacro  imperio  et  nobis  prius  inimicum  constituit"). 


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90 


PRIESACK, 


wirksamer,  als  wenn,  wie  in  der  Nürnberger  Appellation,  zu- 
gegeben wurde,  dafs  lediglich  bei  einer  Wahl  in  discordia, 
und  dann  nur  unter  gewissen  Bedingungen,  dem  Papste  ein 
Approbationsrecht  zugestanden  werden  könne  *. 

3.  Schaper  bemüht  sich  endlich  auch  noch  nachzuweisen 
(S.  20),  dafs  für  Ludwig  die  Bekämpfung  des  zweiten  Pro- 
zesses leichter  und  willkommener  gewesen  sei  als  des  ersten. 
Denn  eine  grolse  Anzahl  Fürsten  sei  mit  der  „Reichs- 
entsetzung", die  eben  auf  Grund  jenes  Anspruches  (des 
ersten  Prozesses)  erfolgt  sei,  einverstanden  gewesen  und  habe 
das  Reich  als  erledigt  angesehen.  So  mufste  eine  Bekämpfung 
dieses  päpstlichen  Anspruches  auf  Approbation  und  Prüfung 
der  Wahl  wenig  vorteilhaft  erscheinen.  Ein  merkwürdiger 
Grund! 

Dafs  die  Kurfürsten,  die  nach  dem  ersten  Prozefs  einen 
Angriff  des  Papstes  auf  ihr  Wahlrecht  befürchtet  hatten, 
jetzt  nach  dem  zweiten  (und  vor  dem  26.  Mai!)  darüber 
ganz  beruhigt  gewesen  seien,  ja  jenen  Anspruch  als  Motiv 
für  ihre  Angriffe  gegen  Ludwig  gern  benutzten  2,  steht  im 
schroffen  Widerspruch  zu  den  Thatsachen,  wie  sie  durch 
die  Briefe  vom  26.  Mai,  3.  Juni  und  die  Erklärung  im 
Prozefs  vom  11.  Juli  (vgl.  meine  Schrift:  Reichspolitik 
Balduins   von  Trier,  S.  75  und  81  f.)  bezeugt  werden3. 

1)  Übrigens  ging  der  betreffende  Passus  in  der  Nürnberger  Appel- 
lation auch  nicht  verloren.  Denn  auch  in  dem  Falle,  dafs  die  Sachsen- 
häuser Schrift  als  Anklageschrift  und  Appellation  an  die  Stelle  der 
Nürnberger  Erklärung  treteu  sollte  (s.  unten),  so  ist  dies  doch  nicht  in 
dem  Sinne  zu  verstehen,  dafs  die  letztere  dadurch  kassiert,  aus  der 
Welt  geschafft  werden  sollte,  vielmehr  wird  ihr  Vorhandensein  ausdrück- 
lich in  der  Sachsenhäuser  Urkunde  erwähnt,  indem  die  in  ihr  enthaltene 
„appellatio"  in  Sachsenhausen  erneuert  wird,  s.  P  reg  er,  Anfange, 
S.  124. 

2)  Denselben  Anspruch  nämlich ,  den  der  Papst  doch  eben  im 
zweiten  Prozefs,  um  sie  zu  beruhigen,  preisgegeben  zu  haben  schien! 

3)  Nachher  (S.  26  ff.)  läfst  dann  Schaper  die  Kurfürsten  durch  den 
zweiten  Prozefs  doch  wieder  in  Unruhe  geraten  wegen  des  Anspruchs 
des  Papstes  auf  Rcichsverweserschaft !  Um  ihre  Bedenken  zu  besei- 
tigen, schreibt  der  Papst  seine  Briefe  vom  26.  Mai  und  läfst  im  dritten 
Prozefs  diesen  Anspruch  ihnen  zuliebe  fallen,  nimmt  dafür  aber  wieder 
den  Anspruch  von  I  (Prüfung  der  Wahl)  auf! 


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ZI  U  SACHSENHÄLSER  APPELLATION. 


91 


Die  Habsburger,  deren  Partei  aber  mindestens  der  Erz- 
bischof  von  Mainz  damals  nicht  angehörte  l,  suchten  aller- 
dings den  Papst  für  Friedrich  zu  gewinnen,  aber  doch  nicht 
auf  Grund  der  Entsetzung  Ludwigs,  sondern  weil  sie  in 
Friedrich  den  rechtmäfsig  Gewählten  sahen.  Sie  kommen 
hier  nicht  in  Betracht.  König  Johann  träumte  freilich  von 
der  Gewinnung  der  Krone  für  sein  Haus  und  gab  sich  den 
Anschein,  dafs  er  Ludwigs  Einwilligung  erlangen  werde, 
aber  gewifs  nicht  deshalb,  weil  er  und  sein  Oheim  Balduin 
die  päpstlichen  Rechtsansprüche  anerkannt  hätten. 

AVenn  wirklich  die  Kurfürsten  die  Bestätigungstheorie 
der  Kurie  anerkannten,  so  wäre  es  zwecklos  für  Ludwig 
gewesen,  diese  Ansprüche  zu  bekämpfen?  Ich  dächte  doch, 
Ludwig  hätte  alsdann  um  so  mehr  sein  gutes  Recht  auf  das 
Königtum  und  das  Unrecht  des  Papstes  betonen  müssen. 
Er  konnte  dann  ja  die  Kurfürsten,  wenigstens  die  Luxem- 
burger, darauf  festnageln,  dafs  sie  ihren  eigenen  Standpunkt, 
den  sie  im  Jahre  1314  eingenommen  hatten,  aufgaben.  Die 
Sachsenhäuser  Appellation  war  doch  nicht  blofs  für  die  Kur- 
fürsten bestimmt,  sondern  auch  für  die  anderen  Stände,  die 
weltlichen  Fürsten,  den  Adel  und  die  Städte,  die  Ludwig 
dann  gegen  die  Kurfürsten  zu  seinen  Gunsten  in  die 
Schranken  rufen  mufste  —  Und  der  Nachweis  der  Unrecht- 
mäfsigkeit  des  päpstlichen  Anspruches  war  denn  doch  nicht 
schwer  zu  fuhren,  wo  das  Recht  so  klar  auf  Ludwigs  Seite 
war. 

Aber  Preger  und  Schaper  übersehen  in  der  wichtigsten 
Beweisstelle  der  Appellation,  aus  der  sie  das  „et  processit" 
und  das  „procedere  gravius  comminatur"  heranziehen,  die 
Hauptsache,  nämlich  dafs  hier  als  Inhalt  eines  künftigen 
Processus,  eines  Vorgehens  „de  facto",  das  die  Appellation 
eben  verhüten  wijl,  gerade  die  Exkommunikation  genannt 
wird.  Der  Satz  lautet  (Olenschl.  S.  128):  Ne  autem 
dictus  Johannes,  qui  .  .  .  contra  nos  et  sacrum  imperium 


1)  Müller  (S.  137),  auf  den  Schaper  sich  beruft,  sagt  das  Gegen- 
teil. Der  Beweis  für  den  Pfalzgrafen  ist  natürlich  ganz  unglücklich, 
da  er  aus  dem  Oktober  1325  genommen  ist. 


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92 


HUKSACK, 


iam  incepit  procedere  et  processit,  ut  dicitur,  ...  et  pro- 
cedere  gravius  comminatur,  .  .  .  contra  sacrum  imperium, 
nos  et  statum  nostrum  et  iura  imperii  et  nostra  .  .  .  prae- 
latos,  principes  ecclesiasticos  et  mundanos  etc.  ...  de  facto 
procedat,  e  x  c  0  in  m  u  n  i  c  a  n  d  o  ,  interdicendo, 
suspendendo,  privando,  transferendo  vel  alias  quo- 
modolibet  ordinando  .  .  .  etc.  Hier  ist  also  ganz  klar,  dafs 
der  Prozefs  vom  23.  März  entweder  nicht  gekannt  ist  oder 
ignoriert  wird. 

Es  bleibt  also  die  auffallende  Thatsache  bestehen,  dafs 
Ludwig  in  der  Sachsenhäuser  Appellation  vom  22.  Mai  nicht 
nur  den  Inhalt  des  Prozesses  vom  23.  März  unberück- 
sichtigt läfst,  sondern  überhaupt  das  Vorhandensein  dieses 
Prozesses  geflissentlich  ignoriert,  und  seine  Appellation  und 
Anklage  nur  gegen  den  ersten  Prozefs  richtet.  Die  po- 
litischen Gründe,  welche  Ludwig  hierzu  bewegen  konnten,  hat 
Preger  selbst  (S.  125  u.  128)  genügend  hervorgehoben. 

Dagegen  gestehe  ich  nun  über  die  juristische  Seite  der 
Frage  aus  den  Erörterungen  Pregers  und  Müllers  (in  der 
Zeitschrift  für  Kirchenrecht)  keine  völlige  Klarheit  gewonnen 
zu  haben.  Nachdem  die  von  Preger  ausgesprochene  und 
von  Müller  nachträglich  acceptierte  Voraussetzung,  dafs  die 
Sachsenhäuser  Appellation  den  zweiten  (März-)Prozefs  er- 
wähne, beseitigt  ist  (und  vollends  die  Behauptung,  dafs  sie 
den  zweiten  direkt  bekämpfe,  sich  als  falsch  ergeben 
hat),  stellt  sich  die  thatsächliche  Lage  folgendermafsen  dar: 
Die  Nürnberger  Appellation  am  18.  Dezember  erfolgte,  weil 
Ludwig  sich  das  Rechtsmittel  der  rechtzeitigen  Appellation, 
welche  eine  aufschiebende  Wirkung  hatte,  nicht  entgehen 
lassen  durfte.  Sie  wurde  aber  nicht  sogleich  veröffentlicht, 
weil  man  die  Antwort  des  Papstes  auf  die  Gesandtschaft 
vom  November  erst  abwarten  mufste.  Sie  wurde  dann,  als 
Anklageschrift,  ersetzt  durch  die  Sachsenhäuser  Urkunde; 
Veranlassung  zu  dieser  Änderung  sind  die  Prozesse  vom 
7.  Januar  und  23.  März.  Die  Sachsenhäuser  Appellation 
am  22.  Mai  erfolgt  faktisch  als  Gegenschlag  gegen  die 
Bannsentenz  vom  23.  März,  dem  Inhalte  nach  ist  sie  nur 
gegen  das  erste  Rechtsverfahren  gerichtet,  aber  —  und  dies 


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ZUR  SACHSENHÄ L'SEU  A1TELLATION. 


93 


ist  die  gegenüber  der  Nürnberger  Appellation  veränderte 
»Situation  —  nachdem  der  Papst  dem  Verlangen  nach  einer 
Frist  nicht  entsprochen,  sondern  im  Prozefs  vom  7.  Januar 
das  im  Oktober  eingeleitete  Verfahren  als  gültig  bestätigt 
und  in  Kraft  gesetzt  hatte  *. 

Schafft  nun  die  Appellation,  indem  sie  das  Vorhanden- 
sein der  gefällten  Sentenz  ignoriert,  damit  zugleich  die 
Fiktion,  dafs  sie  vor  Fällung  bezw.  Publikation  der  Sen- 
tenz eingelegt  ist?  (Dies  ist  Müllers  anfängliche  Anschauung, 
in  Kampf  Ludwigs  d.  B.,  Beilage  5,  S.  357.)  In  diesem 
Falle  tritt  sie  dann  wohl  ganz  an  die  Stelle  der  Nürnberger 
Appellation  *  und  ist  zweifellos  eine  appellatio  ante  senten- 
tiam.  Oder  aber  —  und  dies  scheint  mir  da3  Richtigere  — : 
nachdem  Ludwig  in  Nürnberg  rechtzeitig  Appellation  ein- 
gelegt hatte,  war  nach  seinem  Standpunkt  die  Fällung  der 
Sentenz  rechtsungültig  (Preger).  Wenn  er  nun  die  Sentenz 
vom  23.  März  mit  einer  neuen  Appellation  und  veränderten 
Anklageschrift  beantwortete,  so  konnte  er  diesen  neuen  Pro- 
zefs als  wertlos  ignorieren  und  lediglich  auf  das  erste  Rechts- 
verfahren eingehen.  Ist  nun  aber  in  diesem  Falle  die  Appel- 
lation, wie  Müller  später  (in  Zeitschr.  f.  K.-R.,  S.  250)  be- 
hauptet, eine  appellatio  post  latam  sententiam? 

Ich  glaube,  dafs  die  endgültige  Beantwortung  der  Frage 
nach  dem  Charakter  der  Sachsenhäuser  Appellation  noch 
aussteht,  nachdem  die  Arbeit  von  Schaper  ftir  die  Erkennt- 
nis des  Thatsächlichen  nur  verwirrend  gewesen  ist. 

1)  Dies  ist  in  der  Appellation  angedeutet  durch  die  Worte:  „et 
processit,  ut  dicitur,  nullo  prorsus  iuris  ordine  observato". 

2)  Doch  aber  nur  im  Sinne  einer  Erneuerung,  gleichsam  einer 
zweiten  Auflage,  nicht  aber  einer  Beseitigung  der  Nürnberger  Urkunde. 
Die  Appellation  wird  wiederholt),  die  Anklage  ist  geändert.  Die  Nürn- 
berger Appellation  wird  ersetzt,  aber  nicht  entwertet. 


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Die  Tänzer  von  Kölbigk. 

Ein  Mirakel  des  11.  Jahrhunderts. 

Von 

Edward  Schröder,  Professor  in  Marburg. 

Als  im  Jahre  1074  Lambert  von  Hersfeld  auf  Anregung 
des  Abtes  Hartwig  sich  entschlofs,  die  Geschichte  des  Klosters 
zu  schreiben,  nahm  er  unter  die  bemerkenswerten  That- 
giichen  auch  zum  Jahre  1038  die  Notiz  auf1,  damals  habe 
ein  Mann  Namens  Iiuthart  Heilung  gefunden  und  sich  dann 
(  jedenfalls  als  Laienbruder)  dem  Dienste  des  heiligen  Wig- 
bert geweiht,  der  seit  23  Jahren  von  einem  heftigen  Zittern 
geplagt  wurde:  er  habe  nämlich  zu  jener  Schar  gehört,  die 
„zu  Collebecce  den  berüchtigten  Reigen  aufgeführt  hatte". 

Die  Ankunft  jenes  Leidenden  liegt  dem  Eintritt  Lam- 
berts in  das  Hersfelder  Kloster  um  zwanzig  Jahre  voraus, 
fallt  aber  schon  in  die  Zeit  des  Abtes  Meginher  (1035 — 1059), 
dessen  nachsichtige  Milde  dem  jungen  Lambert  bald  nach 
seinem  Eintritt  (1058)  zugute  kam.  Hat  der  Historiker  den 
alten  Laienbruder  selbst  nicht  mehr  gekannt,  so  hat  er  doch 
von  seiner  Person  und  seinem  Schicksal  leidlich  zuverlässige 
Kunde  besessen.  Wie  schade,  dafs  er  selbst  oder  die  Aus- 
züge, in  denen  allein  dies  Werk  Lamberts,  die  Institutio 


1)  Inter  sanatos  advenit  unus  ex  Ulis  qui  in  Collebecce,  quod 
interpretatur  „prunarum  rivus",  coream  illam  famosam  dtixerant, 
tremulus  per  annos  iam  viginti  tres.  Hic  ibidem  sanus  f actus,  Rut- 
Itart  nomine,  sercicio  sancti  Wigberii  sc  tradidit.  Lamberti  Opera  ed. 
Holdor-Egger  351,  laqq. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


95 


Hersfeldensis  ecclesiae,  auf  uns  gekommen  ist,  so  zurück- 
haltend sind. 

Die  Zeitgenossen  brauchten  an  jene  „chorea  faniosa", 
den  ruchlosen,  furchtbar  bestraften  Tanz  in  der  Christnacht 
auf  dem  Kirchhofe  zu  Kölbigk,  nur  erinnert  zu  werden. 
Dafs  es  ein  wirkliches  Vorkommnis  aus  der  Regierungszeit 
Kaiser  Heinrichs  II.  war,  wenn  auch  von  erregter  Phantasie 
und  demnächst  von  geschickter  Mache  ins  grausige  und 
mirakelhafte  gesteigert,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Merk- 
würdig nur,  dafs  die  Geschichtsquellen  jener  Zeit  im  übrigen 
ganz  davon  schweigen,  obwohl  sich  unter  ihnen  der  Fort- 
setzer der  Quedlinburger  Annalen  (MG.  SS.  III,  72 — 90) 
befindet,  der  dem  Schauplatz  des  Ereignisses,  dem  anhal- 
tischen Orte  Kölbigk,  ganz  nahe  lebte  und  im  übrigen  für 
schreckhafte  und  wundersame  Geschehnisse  aus  der  Zeit 
zwischen  994  und  1025  so  reges  Interesse  zeigt  und  so  leb- 
hafte Farben  zur  Verfügung  hat.  Man  könnte  daraus  leicht 
die  Vermutung  schöpfen,  dafs  die  sagenhafte  Umbildung  nicht 
direkt  aus  den  Eindrücken  erwachsen  sei,  die  sich  am  Orte 
selbst  gebildet  hatten. 

Die  Brüder  Grimm,  welche  1816  die  Geschichte  der  „Bauern 
von  Kolbeck "  in  ihre  „  Deutschen  Sagen "  aufnahmen, 
schöpften  sie  lediglich  aus  thüringischen  und  hessischen  Chro- 
niken des  15.  und  16.  Jahrhunderts,  und  auch  später  sind 
sie  (2.  Aufl.  Bd.  I,  S.  275)  nicht  über  Heinrich  von  Herford 
hinaufgestiegen.  Sie  hätten  zunächst  über  den  westfälischen 
Dominikaner  noch  einen  niedersächsischen  und  einen  thürin- 
gischen Franziskaner,  Albert  von  Stade  und  den  Verfasser 
der  Erfurter  Chronica  minor  stellen  können:  diese  beiden 
sind  es,  die  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  das  Kölbigker 
Tanzwunder  von  1021  zuerst  in  die  Darstellung  der  deut- 
schen Geschichte  eingeflochten  haben,  wo  es  dann  in  mehr 
oder  weniger  festem  chronologischem  Rahmen  bis  zu  den 
Tagen  der  Auf klärung  weitergeführt  worden  ist  und  überdies 
den  verschiedensten  Tendenzen  und  Weltanschauungen  hat 
als  Exemplura  dienen  müssen. 

Die  Geschichte  der  Ausbreitung  unserer  Sage  ist  es,  der 
meine  Untersuchung  gilt :  diese  giebt  sich  also  in  erster  Linie 


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96 


SCHttÖDKU, 


als  eine  litterargeschichtliche,  und  ich  hoffe,  dafs  ihre  ge- 
sicherten Ergebnisse  auch  der  Erforschung  anderer,  nicht 
nur  ähnlicher  Sagen  zugute  kommen,  obwohl  ich  ausdrücklich 
hervorhebe,  dafs  wir  es  hier  mit  Verhältnissen  zu  thun  haben, 
wie  sie  nicht  oft  wiederkehren. 

Zwei  Jahrhunderte  hindurch  hat  sich  die  Verbreitung 
des  Mirakels  fast  ausschliefslich  einzelner  Pergamentblätter 
bedient,  deren  Wortlaut  mehr  zufällig  als  Lückenbüfser  oder 
Anhang  seinen  Weg  in  Mischhnndschriften  gefunden  hat. 
Zwei  dieser  Flugblätter  geben  sich  als  Berichte  von  Teil- 
nehmern des  unglückseligen  Tanzes,  und  mit  ihrer  Vor- 
führung leite  ich  sachgemäfs  die  nähere  Bekanntschaft  der 
Geschichte  ein. 


I.  Der  Berloht  des  Oibert. 

Ich  kenne  von  ihm  acht  vollständige  Fassungen,  wozu 
dann  noch  einige  alte  Umschriften  von  geringem  textkri- 
tischem Wert  kommen. 

1.  Merseburg,  Dombibliothek  Nr.  96,  perg.  saee.  XH— 
XIII  in  4  °,  fol.  131  b.  132;  vgl.  Pertz  Archiv  VIII,  667f.; 
abgedruckt  durch  F.  W.  E.  Roth  in  den  Roman.  Forschungen 
VI,  481  f.;  über  die  Handschrift  vgl.  noch  Roth,  Die  Visionen 
und  Briefe  der  hl.  Elisabeth  von  Schönau  (2.  Aufl.,  Brünn  1886) 
S.  XXXVI-XXX1X.  Roth  behauptet,  der  Band  stamme 
aus  dem  Kloster  Rcinhausen,  offenbar  weil  nur  in  diesem 
Codex  die  Briefe  der  hl.  Elisabeth  und  des  Ekbert  von  Schönau 
an  Abt  Reinhard  von  Reinhausen  (Roth,  S.  150  und  318) 
enthalten  sind.  Das  Mirakel  ist  von  anderem,  aber  wenig 
jüngerem  Schreiber  als  der  Hauptinhalt  der  Handschrift  auf 
die  drei  letzten  Seiten  ohne  Liiiiicrung  eingetragen. 

2.  Leipzig,  Stadtbibliothek,  Handschrift  CXCIV  (oder 
Rep.  II,  fol.  64)  perg.  saee.  XIII  in  4°,  fol.  104b;  vgl. 
Naumann,  Catal.  libr.  mss.  qui  in  bibl.  sen.  civ.  Lips.  asser- 
vantur  p.  59.  Die  Handschrift  enthält  hauptsächlich  das 
Leben  Heinrichs  und  der  Kunegunde  (fol.  1  b — 55  m)  und  das 
der  hl.  Katharina  (fol.  60b — 100*);  das  Mirakel  ist  auch 
hier  am  Schlüsse  nachgetrageij  von  einer  Hand  des  13.  Jahr- 


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DIE  TÄNZER  \'0N  KÜLBIOK. 


97 


hunderte.  Über  die  Herkunft  der  Handschrift  war  nichts 
zu  erfahren.  (Mitteilungen  den  Herrn  Dr.  R.  Wustmann 
und  eigene  Einsichtnahme.) 

3.  Ehemals  Kölbigk,  Plakat  in  der  Kirche,  nach  einer 
altem  Abschrift  von  Christ.  Knaut  in  seinen  Antiquitates 
comitatus  Ballenstadiensis  et  Ascaniensis  (Cöthen  1698)  p.  97sq. 
publiziert  Aus  Knaut  schöpfen  Joh.  Vulpius,  Magnificentia 
Parthenopolitana  (Magdeburg  1702)  S.  293  sqq.  nnd  Joh. 
Ohristoff  Beckmann,  Historie  des  Fürstentums  Anhalt  (Zerbst 
1710)  S.  465.  Der  lateinische  Anschlag,  wahrscheinlich  ein 
Pergamentblatt,  dessen  Vorlage  dein  13.  Jahrhundert  ange- 
hörte, war  schon  1698  verschwunden.  Die  Namensform  Col- 
bissc,  die  am  Orte  nie  gebräuchlich  war  und  daher  von  Vulpius 
und  Beckmann  stillschweigend  in  Colbike  resp.  CoWicke  geändert 
worden  ist,  sich  aber  aus  dem  Colbizc  anderer  Handschriften 
gut  erklärt,  beweist  schon  allein,  dafs  die  direkte  Vorlage 
von  auswärts  importiert  war;  in  Kölbigk  selbst  hat  man  dazu 
eine  deutsche  Übersetzung  anfertigen  lassen,  s.  u. 

'\  4.  Haag,  Kgl.  Bibliothek  N.  A.  A.  78  (906)  in  2°  min., 
perg.  saec.  XIII.  Inhalt  nach  dem  offiziellen  Katalog:  fol. 
1 — 11  Chronologia  indc  ab  anno  primo  . . .  usque  ad  annum 
MCXCIX;  fol.  12  —  21  Stücke  aus  Paulus  Diaconus; 
fol.  22 — 49  Teil  einer  Evangelienharmonie ;  fol.  49  h — 50* 
unser  Stück:  abermals  am  Schlufs  des  Ganzen.  —  Die 
Handschrift  (vgl.  Archiv  d.  Ges.  f.  ält.  deutsche  Geschichte 
VII ,  *430)  rührt  aus  dem  Besitze  J.  Burmanns  d.  J.  her 
und  stammt  wohl  aus  Nordfrankreich.  Kollation  verdank 
ich  Herrn  Dr.  Kofsmann. 

^  5.  Paris,  Bibl.  nat.  ms.  lat.  18108,  perg.  saec.  XIII, 
eine  wirre  Saminelhandschrift  theologischen ,  historischen, 
poetischen  Inhalts,  über  die  Haure*au  in  seinen  Notices  et 
Extraits  VI  (Paris  1893)  p.  35  ft".  handelt.  Auf  fol.  75 
steht  das  Tanzwunder,  abgedruckt  a.  a.  O.  39  f. 

.  6.  Reims,  Bibl.  de  la  ville,  ms.  1149  (früher  K.  786/769), 
perg.  saec.  XII,  fol.  21 1 b.  Inhalt  der  Handschrift  Hei- 
ligenviten,  Visionen,  Mirakel,  s.  Heller  im  Neuen  Archiv 
II,  310 f.  (vgl.  269).  Eine  Kollation  verdank  ich  der 
Liebens  Würdigkeit  des  Herrn  Konservators  Henri  Jadart. 

ZeiUcbr.  f.  K.-G.  XVII.  1  u  t.  < 


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98 


SCHRÖDER, 


v 7.  Paris,  Bibl.  nat.  ms.  lat  5129,  perg.  saec.  XII — XIII, 
fol.  67 b.  68*.  Der  übrige  Inhalt  der  Handschrift :  fol. 
1  —  54 b  Roberti  monachi  Historia  Hierosolymitana ;  fol. 
54  »>  —  66*  Descriptio  locorum  circa  Hierusalem  adiacentium ; 
fol.  66  Nomina  episcop.  Hierosol.;  fol.  67  b  col.  1  ein  Frag- 
ment aus  Bedas  Expositio  in  ev.  Marci;  dann  unsere  „  Re- 
latio  miraculi  in  regione  Saxonum  facti  tempore  sancti  Heri- 
berti  Coloniensis  archiepiscopi " ;  fol.  68 b  Gedicht  auf  die 
Einnahme  Jerusalems,  beginnend :  Hierusalem  luge  medio  do- 
lor Orbis  in  orbe;  fol.  70*  De  situ  urbis  Jerus. ;  fol.  71* 
Historia  episcopi  Gilonis  Cardinalis  de  uia  Hierosol. ;  fol.  86  b 
Hildebertus  Cynoniaunensis  de  operibus  VI  dieriun;  fol.  88* 
leer;  fol.  88 b  Nomina  episcop.  Roman.;  fol.  89 b  Descriptio 
sanctuarii  Latcranensis  ecclesiae;  fol.  94*  Versus  Cyno- 
mannensis  epi  de  nummo,  aquila  etc.;  fol.  106 b  Passio 
S.  Victoris  martyris  (mit  Prologus  Marbodi  Andegavensis) ; 
fol.  113b  Expositio  doraini  Gosleni  Suessorum  epi  in  Sym- 
bola;  fol.  121*  Verse  über  Eccl.  1,  1  ohne  Uberchrift; 
fol.  126 b  De  excidio  Troiae  (mctr.);  fol.  127  Historia  Hil- 
deberti Cinomannensis  epi  de  Mahumeth  (mctr.);  fol.  135 b 
ohne  Überschrift  ein  weiteres  Gedicht.  —  Diese  ausführ- 
lichen Angaben  sowie  eine  genaue  Kollation  hat  mir  Herr 
Pfarrer  Lic.  Dr.  Erwin  Preuschen  gütigst  besorgt.  Nach 
Delisle,  Cabinet  des  mss.  II,  458  stammt  die  Handschrift 
aus  Valenciennes,  aus  der  alten  Bibliothek  von  S.  Amund; 
der  alte  ebenda  149  —  458  gedruckte  Katalog  verzeichnet 
sie  als  Nr.  315  ganz  am  Schlufs  unter  den  Büchern,  die  der 
Verfasser  des  Katalogs  selbst  geschenkt  hat. 

8.  Brüssel,  Bibl.  royale  nr.  9823—9834,  perg.  saec.  XII 
ex,  fol.  146 b— 147  b.  Inhalt  nach  dem  Archiv  d.  Ges.  f.  ält. 
deutsche  Geschichte  VII,  431  u.  a.  aj  Roberti  Historia 
Hierosol.,  b)  Fulcherii  Historia  Hierosol.,  e)  Descriptio  locorum 
circa  Jerusalem,  d)  unsere  Relatio  miraculi  in  regione  Saxo- 
num facti.  —  Unser  Stück  ist  gedruckt  im  Catalogus  codd. 
hagiograph.  bibl.  reg.  Brnx.  der  Bollandisten  II,  382 — 384. 

[9.  Bern.  Wittius  (Mönch  zu  Liesborn)  in  seiner  Hi- 
storia ant,  occid.  Saxoniae  seu  nunc  Westphaliae  (verfaist 
ca.  1517,  gedruckt  Münster  1778)  s.  239  ad  annum  1013 


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DIE  TÄNZER  VON  KÜLB1GK. 


99 


benutzte  offenbar  direkt  eine  vollständige  Handschrift,  aus 
der  er  indessen  die  Person  des  Otbert  und  den  Tenor  der 
Berichterstattung  beseitigte. 

[10.  Wilhelm  von  Malmesbury  schaltete  (noch  vor 
der  Mitte  des  12.  Jahrhunderts)  in  die  sagenhafte  Partie 
seiner  Gesta  regum  Anglorum  Lib.  II,  174  (ed.  Stubbs 
I,  203  f.)  zum  Jahre  1012  den  Bericht  des  Otbert  als  sol- 
chen mit  geringen  Kürzungen  ein,  überschrieb  ihn  „De  viris 
et  feminis  choreas  ducentibus"  und  rechtfertigte  ausdrück- 
lich die  annähernde  Beibehaltung  des  Wortlauts  ,. 

Meine  Nachforschungen  sind  keineswegs  planmäfsig  auf 
die  Beschaffung  des  gesamten  handschriftlichen  Materials 
gerichtet  gewesen;  ich  halt  es  sehr  wohl  für  möglich,  dafs 
aus  lateinischen  Handschriften  des  12.  und  13.  Jahrhunderts, 
besonders  in  Deutschland,  Frankreich  und  den  Niederlanden, 
aber  auch  in  England,  noch  mehr  Texte  zutage  kommen. 
Wenn  der  anglonormannische  Dichter  Wilhelm  von  Wa- 
tlington aus  Yorkshirc  2,  der  zu  Ende  des  13.  Jahrhunderts 
das  Tanzwunder  ohne  weitere  Ortsangabe  in  seinen  „Manuel 
des  pechiez"  V.  6874—6946  aufnahm,  im  Eingang  die  ver- 
blüffende Quellenangabe  macht: 

6886   En  le  itineruire  de  seini  Clement, 
Que  fu  de  si  beal  document, 
Une  cunte  de  mult  grant  pite 
Encuntre  tieh  auum  troue, 

so  erklärt  sich  dies  einfach  damit,  dafs  er  den  Bericht  des 
Otbert  als  Blattfüllsel  in  einer  Handschrift  des  Itinerarium 
S.  Clementis,  d.  h.  der  lateinischen  Kecognitionen  gefun- 
den hat. 

Auf  ahnliche  Weise  dürften  auch  Albert  von  Stade  und 
der  Erfurter  Minorit  zur  Kenntnis  eines  Exemplares  gelangt 
sein:  sie  sind,  wenn  wir  von  dem  westfälischen  Benediktiner 


1)  aao.  §  173  . . .  Quod  profecto  erit  ioctindius  si  ab  antiquitate 
scriptum  iUius  qui  passus  est  apposuero;  simul  et  propius  vero  vide- 
bitur  quam  si  meis  texuissem  Utteris.  Praeterea  non  indecens  aestimo 
si  multicolori  stilo  varietur  oratio. 

2)  Vgl.  über  ihn  ausfuhrlich  G.  Paris,  Hist.  litt,  de  la  France 
XXVIII,  179  ff. 

7* 


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100 


SCHliÖDEU, 


Bern.  Witte  zu  Ausgang  des  Mittelalters  absehen,  die  letzten, 
welche  den  „ Orlginalbericht "  Otberts  direkt  benutzt  haben; 
weiterhin  geht  die  Kenntnis  dieser  Fassung  zum  kleinem  Teil 
auf  eben  sie,  zum  gröfsern  auf  Yincenz  von  Bcauvais  zurück, 
der  seinerseits  den  Wilhelm  v.Malmcsburv  ausgeschrieben  hat. 

Unter  den  obigen  8  resp.  10  Hss.  repräsentieren  6.  7.  8 
auf  den  ersten  Blick  eine  besondere  Gruppe,  die  sieh  als 
„neue  Ausgabe"  durch  den  interessanten  Schlufszusatz  zu 
erkennen  giebt:  ihre  Vorlage  entstand  in  denigrofsen  norman- 
nischen Kloster  Mont-Staint-Michel,  nachdem  das  Exemplar, 
welches  landfahrendc  I^entc  mit  sich  geführt,  durch  „Schweifs 
und  Alter"  unleserlich  geworden  war;  sie  hielt  sich  im  übrigen 
an  den  Wortlaut  des  Originals,  ihre  Verbreitung  scheint 
auf  Frankreich  beschränkt  zu  sein. 

Von  den  übrigen  Hss.  gehören  zunächst  1  und  2  eng 
zusammen,  es  sind  wohl  Abschriften  der  gleichen  Vorlage. 
Sie  weisen  vielfach  die  gleichen,  und  nicht  blofs  sehr  ver- 
breitete Abkürzungen  auf  oder  setzen  sie  in  ihren  Verderb- 
nissen voraus:  unter  diesen  tritt  der  unsinnige  Fehler  Z.  7 
dum  (du)  für  Domini  (dfii)  besonders  hervor.  Ihnen  am 
nächsten  steht  3  (vgl.  bes.  Z.  28),  das  seinerseits  (wir  kenneu 
es  freilich  nur  aus  Knauts  Abdruck!)  voller  Fehler,  aber 
doch  wieder  frei  von  gewissen  Schnitzern  von  1.  2  ist  Zu 
dieser  deutschen  Handsehriftenfamilie  gehörten  allem  An- 
scheine nach  auch  die  Vorlagen  des  Bern.  Witte  und  des 
Wilhelm  von  Malmcsbury  [9.  10J. 

Eine  dritte  Gruppe  wird  durch  die  Hss.  4.  5  gebildet: 
zu  ihr  gehörte  auch  die  Vorlage  der  neuen  Ausgabe,  welche 
6.  7.  8  repräsentieren. 

Wo  also  1.  2.  3  mit  4.  5  oder  aber  mit  6.  7.  8  zusam- 
menstimmen, sind  die  übrigen  Lesarten  für  die  Konstituierung 
des  Textes  gleichgültig;  wo  sich  1.  2.  3  (die  deutsche  Gruppe) 
einerseits  und  4.  5  -f-  6.  7.  8  (die  französische  Gruppe)  ander- 
seits gegenüberstehn,  könnte  nur  der  Wert  der  Ijcsart  entschei- 
den. Ich  zieh'  es  vor,  den  Text  der  deutschen  Gruppe,  von 
erkennbaren  Fehlern  gesäubert,  zu  geben  und  in  den  Les- 
arten durch  Sperrdruck  hervorzuheben,  was  für  die  fran- 
zösische Gruppe  charakteristisch  ist 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


101 


TEXT. 

Ego  peccator  nomine  Othbertus,  etei  vollem  tegere  peccatum 
meum,  indicium  esset  mearum  inquietudo  venarum  et  motus 
membrornm.  Qnod  nt  qnisque  cognoscat  ob  quam  causam  acciderit 
et  nt  mihi  pro  Deo  impendat  elemosinam,  legere  yolentibus  per 
5  ordinem  pandam.  Eramus  X  et  VIII,  XV  viri  et  tres  mulieres, 
in  villa  Colbizce  regionis  Saxonicae,  ubi  sanctns  Magnus  marti- 
rium  consummavit.  Qui  in  sanctissima  nativitate  Domiui  expletis 
matutinis  cum  missarum  sollempniis  interesse  deberemus,  suadente 
diabolo  choros  in  cimiterio  duximus.     Presbiter  vero  nomine 

•o  Rüthbertus  iam  primam  missam  inchoaverat,  sed  heu!  ita  nostra 
cantilena  impediebatur,  ut  idipsum  inter  sacra  verba  personaret. 
Commotus  hac  importunitate  nos  adiit,  monens  ut  quiescentes  a 
tali  opere  ecclesiam  intraremus.  Spretus  ergo  a  nobis  hac  im- 
precatus   est  yoce:  „Utinam   potentia   Dei  et   merito  sancti 

15  Magni  martiris  sie  inquieti  annum  cantando  ducatis."  Nos  eins 
verba  snbsannantes  perstitimus  cantantes.  Erat  vero  una  trium 
mulierum  filia  presbiteri  nomine  Mersint.  Quam  iussu  patris 
frater  ipsius  mulieris  vocatus  Johannes  brachio  apprehendens 
conabatnr  a  choro  retrahere.  Sed  mox  brachium  a  corpore  abs- 
traxit;  attamen  una  gutta  sanguinis  non  manavit.    Quodque  est 


Überschrift:  Miraculum  sancti  Magni  martiris  (rot)  1;  darauf:  Mira- 
culum  inauditum  quod  evenit  moderno  tempore  in  Saxonia  in  monasterio 
sancti  Magni  martiris  regnante  Heinrico  imperatore  1.  2.  3;  Relatio  mi- 
raculi  in  regione  Saxonum  facti  tempore  sancti  Heriberti  Coloniensis 
archiepiacopi  (6  bis  facti)  7.  8;  fehlt  4.  5. 

Prolog:  Omnibus  Deum  diligentibus  et  magnalia  eius  magnificando 
amplectentibus  universus  Saxonicae  regionis  (regionis  Saxonicae  6)  po- 
pulus  divina  expertuB  miracula  nuperrimis  temporibus  inaudita  ex  quo 
primus  homo  est  conditus  prosperitatem  transitoriae  huius  vitaeqne 
caelestis  perennitatem  angelicis  cum  civibus  6—8. 

i.  Otpertus  3.  Otbertus  7.  Odbertus  G.  Osbertus  5;  Stephanus  4 
si  5  —  2.  indiciä  d.  i.  indicium  1;  indicio  4—8  —  3.  membrornm 
motus  3.  nnusquisque  6  agnoscat  7.  8  culpam  4—8  —  4.  et 
—  impendat  fehlt  3  elemosinam  (e.  orationis  7.  8)  pro  Deo  impendat 
6.  7.  8  —  5.  X  et  VIII  fehlt  5  quindeeim  scilicet  4—6.  Colbisse  3. 
Colouize  4.  6.  7.  8.  Coleuze  5.  m.  c]  consummavit  martyrium  5; 
magna  venera tione  recolitur  3.  —  7.  Domini]  da  1.  2.  dum  5  — 
h.  cum  fehlt  5  sollemniis  4.  6—8.  solemniis  5.  solennis  3  — 
9.  choros  in  coemeterio  duximus  suadente  diabolo  5  eimeterio  7. 
<*aemiterio  3  presbyter  stets  4—8  —  10.  Ruetpertus  3;  Robertus 
4 — 8  —  12.  imp.J  importnnitate  nostra  6—8  monens  nos  1.  3.  4. 
6 — 8  —  13.  opere]  insania  6  —  8  —  16.  annum  ducatis  cantando  4; 
cantando  annum  ducatis  5—8  Nos  —  cantantes  fehlt  3  —  16.  per- 
sistimus  4  una  tr.  roul.]  in  a  tri  um  mulier  4  —  17.  praedicti 
(praedicta  4)  presbyteri  4—8      Mersent  5—8.    Mersenz  4.  Mer- 

3  —  18.  frater  unleserlich  1      Ioannes  vocatus  5  apprehendens] 
tenebat  4  —  19.  conabatnr  bis  Z.  21  brachio  fehlt  4  —  20.  ac  tarnen  2 
est  fehlt  6.  8 


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SCHKÖDEK, 


mirabile  dictu,  sine  brachio  nobiscum  cantando  et  terendo  pedibus 
secundum  imprecationem  presbiteri  annum  peregit.  Ergo  VI 
mensibus  evoiutis  usque  ad  genua  terre  immersi  sumus,  post 
annum  redounte  eadem  sanctiasima  nativitate  Domini  usque  ad 

26  latera  dimersi  in  circuitu  choros  duximus.  Et  tunc  per  dominum 
et  sanctum  Herbertum  Colonie  civitatis  episcopum  Christo  volonte 
liberati  sumus.  Idem  ad  nos  eadem  die  nativitatis  veniens  et 
orationem  super  nos  complens  a  ligatura,  qua  invicem  manu  ad 
manum  tenebamur,  solvit  nos,  et  ante  altare  Sancti  Magni  pre- 

so  ciosi  martiris  ecclesie  reconciliavit.  Sic  demam  gravissimus  sopor 
invasit  nos  atque  ibi  ante  altare  obdormivimus  et  tribus  diebus 
cum  tribus  noctibus,  Deum  testamur,  continue  dormivimus.  Unus 
ergo  ex  nobis,  Jobannes  nomine,  cum  supradicta  presbiteri  filia 
et  com  duabus  aliis  feminis   ante  ipsum  altare  prostrati  terre 

3&  statim  spiritum  emiserunt.  Post  excitationem  nostram  ad  propria 
reversi  accepimus  cibnm,  et  ita  bactenus  tremor  membrorum  in 
signo  recordationis  vel  potius  approbationis  non  nos  deserit. 
Sic  in  toto  illo  anno  non  manducavimus  neque  bibimus  nec 
sompnum  cepimus  nec  pluvia  irrigati  sumus.    Nichil  sensimus, 

4  0  nichil  egimus,  quam  cantantes  sine  sensu  fuimus.  Frequenter 
super  nos  fabrica  tecti  ob  arcendas  pluvias  erigebatur,  sed  hoc 
nutu  Dei  dissipabatur.  Vestimenta  nostra  et  calciamenta  non 
sunt  attrita,  nec  ungule  capillive  in  modico  crevere,  sed  ita  ut 
^cepimus  insensati  per  totura  annum  mansimus.    Aliqui  iam  ex 

4  5  nobis  obierunt  et  miraculis  choruscant,  aliqui  liberati  Deo  laudes 
decantant. 


21.  dictu  mirabile  6—8  uobiscum  4  tremendo  5  —  22.  pere- 
gimus  4  —  23.  ad  fehlt  4  omorsi  3  —  24.  annum  rodeuntej  agnunü  (V) 
rodeuntem  4  sacratissiroa  1.  2  —  25.  demersi  6—8;  demersi  sumus  5; 
dimersi  sumus  et  3  circuitu]  amictu  3  tunc  feJdt  5  dorn,  et 
fehU  4  —  26.  Heribertum  4.  5.  6.  8;  H.  Col.  civ.]  Col.  civ.  Horbertum  7 
Christo  volento  fehlt  5  —  27.  ita  liberati  4-8  Idem]  Isdem  4; 
Idcirco  3  eodem  4  uat.  Domini  4.  6 — 8  —  28.  complens  super 
nos  5  litura  (über  dem  i  verwischte  letter  l)  1.  3  —  29.  nos  et]  et 
nos  4  martyris  preciosi  4.  6;  preciosi  fehlt  3  —  30.  ecclesie  fehlt 
1—  3  gratissimus  4  —  8 1 .  atque  ibi  4.  6—8]  nur  atque  5 ;  nur  et  1  —3 ; 
et  fehlt  4  —  32.  Deum  testamur]  et  Dominum  testamur  qnod  4;  fehlt 
ganz  1 — 3  continuo  obdormivimus  3.  4  —  33.  ex]  e  3  nomine 
Iohannes  4.  5.  6  praedicta  4  filia  presbyteri  4.  6.  8;  filia 
fehlt  5;  nur  filia,  presbyteri  —  feminis  fehlt  6  —  34.  cum  fehlt  3  aliis 
duabus  4 — 8  altare  fehlt  1.  2  —  35.  spiritum  statim  6—8  — 
36.  eibum  accepimus  5  actenus  1  —  37.-  Signum  3  non  deserit 
nos  4  —  38.  anno  illo  6—8  non]  nec  5  —  39.  somnum  3.  5.  6—8 
nihil  3.  5.  6.  8  —  40.  quam  (q)]  quia  4.  7.  8  —  4t.  nos  fehU  6  ob] 
ad  2.  4.  6.  8  hoc]  haec  4 — 8  —  4  2.  nostra  et  calc]  atque  cal- 
ciamenta nostra  4 — 8  non  sunt  attrita  fehlt  6 — 8  —  4  3.  unguli 
5;  ungula  6—8;  ungues  3  nec  capilli  4  in  modica  3  creve- 
runt  3—8  ut  ita  7  —  44.  ex  nobis  iam  6;  ex  nobis  fehlt  4  —  45.  co- 
ruscant  3.  5.  6.  8       alii  4. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


103 


Acta  sunt  hec  anno  incarnationis  Dominice  BT  XXr  indictipne 
quarta  regnante  Heinrico  secundo. 

Hec  littere  date  sunt  nobis  a  domino  Peregrino  Coloniensi 
so  episcopo,  domini  Herberti  snccessore  venerando. 

4  7.  sunt  fehlt  6—8  dominicae  incarnationis  4.  6—8  —  2.  mit 
millesimo  vicesimo  primo  schliefst  5;  inc.  —  secundo]  Domini 
1005  regn&nte  Henrico,  anno  sui  imperii  secundo  3  —  4  9.  50.  Hec  —  vene- 
rando] fehlt  4.  5.  [in  3  nur  bei  Knaut  und  Vulpius,  während  Beck- 
mann, der  sonst  Vulpius  abschreibt,  diesen  Schlusssatz  nachtrugt] ; 
statt  dessen:  Has  litteras  in  monte  sancti  Michaelis  (Mtchahelis  7)  die 
octavaruro  epiphaniarum  fecimue,  quia  priores  qnas  portabamus 

nimio  sudore  ac  vetustate  comiptao  erant,  quas  nobis  dominus  Peregrinus 
(ubergeschrieben:  pilegrinus  7,  vel  Pilegrinus  8)  Coloniensis  episcopus 
prefati  domini  Heriberti  (Herberti  6)  successor  fecerat  venerandus  6.  7.  8. 

Ich  habe  oben  die  deutschen  Hss.  vorangestellt  und 
ihre  Lesart  besonders  in  zweifelhaften  Fällen  der  Wort- 
folge bevorzugt,  für  die  Schreibung  namentlich  1  zugrunde 
gelegt,  —  durchaus  nicht,  weil  ich  ihnen,  die  sämtlich  in  der 
thüringisch  -  sächsischen  Heimat  der  Sage  zutage  getreten 
sind,  darum  von  vornherein  eine  höhere  Autorität  zuspräche. 
Aber  ich  glaube  allerdings,  dals  die  deutschen  Hss.  und 
speziell  1  weniger  Zwischenstufen  durchgemacht  haben:  die 
z.  Tl.  nicht  gewöhnlichen  Abbreviaturen,  die  wir  hier  noch 
bewahrt  finden,  bin  ich  geneigt,  dem  Archetypus  bereits  zu- 
zuschreiben. Die  Abkürzung  indicifi  (Z.  2)  in  1,  die  sich 
hier  in  triü,  brach iü  wiederholt  *,  liefert  die  einfachste  Er- 
klärung für  das  indicio  4—8;  das  tironische  9  für  co(n), 
das  in  1  oft  wie  a  aussieht,  erklärt  das  agnoscat  7.  8,  aus 
q  =  quam  (Z.  40)  konnte  am  leichtesten  quia  4.  7.  8  entstehn. 
Diese  Erklärungen  sind  nicht  notwendig,  aber  wo  sie  sich 
förmlich  aufdrängen,  wird  man  sie  nicht  zurück  weisen. 

Keiner  der  beiden  Hauptgruppen  lassen  sich  absicht- 
liche Änderungen  oder  Zusätze  nachweisen:  die  Auslassung 
des  fast  notwendigen  ecclesie  (Z.  30)  und  des  Deum  testa- 
mur  (Z.  32)  wird  man  1—3  unbedingt  zutrauen;  die  Vor- 
lagen von  9  und  10,  welche  diese  kleinen  Lücken  teilen, 
stellen  sich  schon  dadurch  zur  deutsehen  Gruppe,  ihre  Les- 
arten aufzuführen  hatte  keinen  Wert. 

Was  das  Alter  angeht,  so  reicht  keine  Hs.  über  Wil- 


1)  Sie  ist  mir  —  and  kundigem  Freunden!  —  sonst  nie  begegnet. 


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104 


SCHRÖDER, 


heim  von  Malmesbury  hinauf;  dieser  zweifelt  nicht  an  der 
Authenticität  des  Berichts,  und  dafs  er  hoch  ins  11.  Jahr- 
hundert hinaufreicht,  erkennen  wir  sofort  an  der  unbedenk- 
lichen Art,  wie  dem  würdigen  Priester  Sohn  und  Tochter 
beigelegt  werden ;  nach  dem  Durchdringen  der  gregorianischen 
Reformen  war  dies  Familienbild  unmöglich. 

Wir  dürfen  aber  getrost  noch  weiter  gehn:  diejenigen, 
welche  den  Bericht  persönlich  verbreiteten,  gaben  sich  als 
Teilnehmer  jenes  Tanzes,  den  ihr  angeblich  von  Erzbischof 
Piligrim  von  Köln  (1021 — 1036)  autorisiertes  Pergament 
ins  Jahr  1021  setzte. 

Was  waren  das  für  Leute?  Die  Erneuerung  von  Mont- 
Saint-Michel  (6 — 8)  läfst  es  uns  am  deutlichsten  erkennen: 
es  waren  fahrende  Bettler,  Ncrvenleidende ,  Epileptiker, 
Neuralgiker  —  vielleicht  auch  bare  Simulanten,  die  ein 
wirkliches  oder  geheucheltes  Leiden  mit  der  furchtbaren 
Gottesstrafe  jenes  jahrlangen  Tanzes  zusammenbrachten.  Sie 
reisten  offenbar  zu  mehrern  und  hatten  wohl  einen  Führer, 
der  sich  gelegentlich  selbst  als  den  Verfasser  oder  richtiger: 
als  den  direkten  Gewährsmann  des  geschriebenen  Berichtes 
vorgestellt  haben  mag,  den  er  dem  Pfarrherrn,  Abt  oder 
Propst,  bei  dem  sie  vorsprachen,  zu  überreichen  pflegte.  Man 
beachte,  wie  das  Schriftstück   mit  Ego  peccator  nomine 

Othbirtus  ut  mihi  pro  Deo  impendat  clemosinam1 

einsetzt,  und  schliefst  Hec  lifterc  date  swit  nob  'ts  a  domino 
Peregrino,  und  wie  die  Rezension  von  Mont-Saint-Miehel  in 
ihrem  Schlufswort  an  diesem  Plural  festhält.  Gewifs  ging  der 
„fromme  Betrug'*  nicht  ursprünglich  von  Leuten  aus,  die  auf 
der  Bildungsstufe  der  Kölbigker  Bauern  standen,  aber  die  Ver- 
breiter des  Berichts  werden  die  Angabe  oder  Fiktion  seines 
Urhebers,  dafs  sie  nicht  lesen  und  sehreiben  könnten,  stets 
aufrecht  erhalten  haben:  der  Führer  las  nicht  etwa  vor, 
sondern  er  überreichte  sein  Pergamentblatt  ,,l<gercvolentibusu. 
,,Has  litteras  nobis  dedit"  etc.  hiefs  es  zum  Schlufs  —  und 
feeimus"  sagen  die  Urheber  der  Erneuerung 
6 — 8  ,  denen  das  alte  Exemplar,  das  sie  mit  sich  herum- 


1)  Der  ZuBatz  orationis  7.  8  ist  eine  rein  litterariaehe  Variante! 


1>IK  TÄNZER  VON  K<  »LBIGK 


105 


geführt  hatten,  durch  Schweifs  und  Alter  ruiniert  war.  Und 
wenn  ihr  schriftkundiger  Helfer  in  dem  neu  hinzugefügten 
Prolog  trotz  Beibehaltung  der  Jahreszahl  1021  noch  von 
,,nuperrimis  tcmporibus"  redet,  so  kann  selbst  diese  Redak- 
tion nicht  allzu  lange  nach  dem  wirklichen  Vorfall  ent- 
standen sein. 

Ihre  Herstellung  in  einem  normannischen  Kloster 1 
scheint  festzustehen.  Aber  die  Leute,  denen  man  hier  ihren 
Bettelbrief  erneuerte,  gaben  sich  doch  als  Sachsen,  und  in 
Sachsen  wird  man  am  ersten  den  Ursprung  des  Scliriftstücks 
suchen  wollen.  Mit  Unrecht.  Zunächst  ist  Kölbigk  selbst 
ausgeschlossen,  denn  wenn  auch  die  Namensform  CoVnzce 
der  deutschen  und  selbst  Colovize  der  französischen  Hss. 
sich  gut  vereinen  lassen  mit  denen,  welche  im  11.  und  12. 
Jahrhundert  urkundlich  bezeugt  sind  8 ;  wenn  es  auch  richtig 
ist,  dafs  die  Kirche  des  Ortes  wie  spater  das  Kloster  unter 
dem  Schutze  des  heiligen  Magnus  stand,  neben  dem  der 
heilige  Stephan  mehr  und  mehr  zurücktrat  8,  so  ist  doch  die 
Angabe  „tibi  sanctus  Magnus  martirium  consummnrit"  völlig 
aus  der  Luft  gegriffen.  Niemals  ist  auf  deutschem  Boden 
ein  heiliger  Magnus  gemartert  worden  oder  hat  es  eine  der- 
artige Legende  gegeben.  Unter  den  verschiedenen  Heiligen 
dieses  Namens  kommen  für  Deutschland  nur  der  ober- 
schwäbische  Einsiedler  „Sanct  Mang",  dessen  Tag  auf  den 
6.  September  fällt  und  die  verschiedenen  S.  Magni  in  Frage, 
die  sich  um  den  19.  August  streiten.  Sanct  Mang  ist  von 
Oberdeutschland  aus  nur  in  die  Kaiendarien  der  nordwest- 
lichen Reichshälfte  vorgedrungen  (vgl.  Grotefend ,  Zeitrech- 
nung, Bd.  II):  Mainz,  Köln,  Lüttich,  Hamburg  haben  unsern 
Namen  für  beide  Tage  verzeichnet.    Lübeck,  Hildesheini, 

1)  Es  giebt  freilich  in  Frankreich  und  Deutschland  der  Michaelsberge 
viele,  aber  wo  in  franzosischen  Hss.  so  ohne  Beisatz  von  Möns  S.  Michaelis 
die  Bede  ist,  wird  man  in  erster  Linie  an  das  grofse,  reiche  und  litte- 
rarisch thätige  Kloster  der  Nonnandie  denken. 

2)  Cod.  dipi.  Anhalt.  I  88:  Chokbize  (1036),  93:  Cholibez  (1043), 
216 f.:  Kolbxcensis  (1142)  -  227:  Cholwize  (1144)  u.  s.  w. 

3)  In  den  spätem  Urkunden,  welche  das  aus  dem  16./17.  Jahrhundert 
stammende  Copiarium  von  Kölbigk  zusammenfafst,  heifst  es  immer  nur 
ecclesia  (cenobium)  saneti  (beatx)  Magni  mariiris. 


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106 


SCHttÖDEli, 


Magdeburg,  Merseburg  (Hs.  2,  die  älteste  bei  Grotefend),  Halle, 
Goslar,  Halberstadt  kennen  einen  heiligen  Magnus  nur  zum 
19.  August.  Es  ist  offenbar  derselbe,  dem  1031  die  für  die 
Entwickelung  der  Stadt  Braunschweig  so  bedeutungsvolle 
S.  Magni-Kirche  geweiht  ward,  und  nach  dem  Herzog  Or- 
dulf  von  Sachsen  seinen  Sohn  nannte.  Ob  wir  dahinter 
den  unter  Decius  und  Valerianus  gemarterten  italienischen 
Bischof  oder  den  früh  mit  ihm  zusammengeworfenen  Mär- 
tyrer von  Cäsarea  unter  Aurelian  zu  suchen  haben,  und 
weiter,  ob  es  der  ersterc  ist,  dessen  Gebeine  friesische 
Männer  zur  Zeit  Karls  (Jos  Grofsen  aufgefunden  und  auf 
göttliche  Mahnung  nach  Rom  gebracht  haben  sollen,  das 
bleibt  hier  für  uns  gleichgültig1.  Ein  im  Harzgebiet  ge- 
marterter S.  Magnus  ist  ein  Unding. 

Das  hat  denn  auch  der  Kölbigker  Stiftsgeistliche,  der 
im  Ausgange  des  MA/s  eine  Fassung  unseres  Berichts  (3)  in 
der  Kirche  anbringen  liefs,  empfunden :  er  änderte  den  Satz 
(tibi  sanetus  Magnus)  martirium  consumtnavit  einfach  ab 
in  .  .  .  magna  veneratiotw  recolitur. 

An  etwas  anderm,  was  die  Abfassung  des  Berichts  für 
die  ganze  Halberstädtcr  Diöcese  zu  verbieten  scheint,  nahm 
auch  er  noch  keinen  Anstofs :  mitten  im  AVinter,  zur  Weih- 
nachtszeit erscheint  hier ,  an  der  östlichen  Grenze  des 
Mainzer  Sprengeis  der  Erzbisehof  von  Köln,  um  das 
gottgewollte  Wunder  zu  vollziehen!  Und  zwar  ist  es  jener 
Heribert,  der  bis  kurz  vor  seinem  Tode  (16.  März  1021) 
von  Heinrich  II.  als  sein  ärgster  Feind  behandelt  wird*:  er 
betritt  als  Wunderthäter  einen  Boden,  den  Kaiser  Heinrieh 
bald  darauf  dem  Bistum  Bamberg  geschenkt  hat  Mit  Recht 
haben  sieh  spätere  niedersächsische  Geschichtsschreiber  nach 
einem  berufenem  Wunderthäter  umgesehen:  die  Magde- 
burger Schöppenchronik  (Deutsche  Städte-Chroniken  VII,  90) 
nennt  den  „bischop  van  Meinze",  und  die  beiden  Braun- 
schweiger Herman  und  Konrad  Bote  fügen  dem  ungenannten 
Mainzer  noch  „sunte  Berwerd  to  Hildessem"  hinzu. 

1)  Vgl.  über  diese  und  andere  heilige  Träger  des  Namens  AA.  SS. 
Aug.  III,  70t  ff. 

2)  Hirsch-Bresslau,  Jahrbücher  Heinrichs  II.,  III,  176  f. 


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DIE  TÄNZEK  VON  KÖLMGK. 


107 


Weist  uns  Erzbischof  Heribert  aus  der  Halberstadter 
Diöcese  hinaus,  so  wäre  es  doch  voreilig,  nun  direkt  auf 
Köln  zu  raten.  Wir  besitzen  eine  Lebensbeschreibung  des 
heiligen  Heribert,  sogar  aus  einer  Zeit,  die  den  angeblich 
von  Heriberts  Nachfolger  Piligriin  autorisierten  Bericht  des 
Otbert  bereits  gekannt  hat:  der  Deutzer  Mönch  Lantbert 
hat  sie  (vor  1060)  geschrieben  und  Rupert  von  Deutz  hat 
sie,  ehe  er  Abt  ward  (also  vor  1117),  überarbeitet1.  Aber 
obwohl  hier  zur  Erhöhung  des  Heiligen  und  seines  Erz- 
stuhles  mit  Wundergeschichten  nicht  gespart  wird,  bleibt 
das  Heilungswunder  von  Kölbigk  unerwähnt,  und  erst  einem 
spätem  Epitomator  blieb  seine  Einschaltung  vorbehalten: 
Cod.  Brux.  8515,  daraus  abgedruckt  im  Catal.  codd.  mss. 
hagiographic.  bibl.  reg.  Bruxell.  der  Bollandisten  n  (1889), 
383.  Also  zu  dem  offiziellen,  von  der  Kölner  Kirche  an- 
erkannten Wunderbestande  hat  die  Geschichte  nicht  gehört, 
und  so  kann  es  nicht  wunder  nehmen,  dafs  die  Person 
Heriberts  auch  später  in  den  kölnischen  Drucken  des 
„Seelentrosts"  fehlt. 

Eine  weitere  Beobachtung  erregt  Bedenken  gegen  die  Ab- 
fassung des  Otbert-Briefes  innerhalb  des  deutschen  Sprach- 
gebiets überhaupt.  Von  Personen  nennt  unser  Bericht  aufser 
dem  Gewährsmann  Othbertus  und  dem  Priester  Rüthbertus 
nur  noch  des  Priesters  Tochter  Mersint  und  zwei  Träger  des 
Namens  Johannes:  den  Sohn  des  Priesters  und  einen  der 
tanzenden  Bauern.  Nun  kommt  dieser  Taufname  wohl  ver- 
einzelt auf  deutschem  Boden  seit  dem  1 1 .  Jahrhundert  vor,  aber 
er  bleibt  doch  im  Innern  Deutschlands  noch  Jahrhunderte  hin- 
durch selten  —  und  erscheint  bei  einem  sächsischen  Freibauern 
völlig  undenkbar.  Jm  Codex  diplomatiens  Anhaltinus  tritt  er 
nicht  vor  dem  Jahre  1256  auf  (s.  d.  Register  in  Bd.  VI,  S.  138). 
Wesentlich  früher  als  hier  und  in  Oberdeutschland  ist  er 
am  Niederrhein  in  Brauch :  in  den  Kölner  Schreinsurkunden 
des  12.  Jahrhunderts,  welehe  Höniger  herausgegeben  hat, 
erscheint  er  schon  recht  oft,  vgl.  das  Register  in  Bd.  II  2, 
S.  180  f.  und  die  Grofsbürgerlisten  ebd.  S.  37,  wo  ebenso 


1)  MG.  SS.  IV,  739-753;  vgl.  Wattenbach,  Geachqq.  IP,  137. 


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108 


SCHRÖDER, 


viele  Johan(nes)  wie  Lambreht  stehn.  Wie  fast  alle  grofsen 
und  kleinen  Kulturwellen  dieser  Zeit  komrut  auch  diese 
Mode  aus  Frankreich  und  hat  ihren  Weg  über  Ix)thringen 
und  die  Niederlande  genommen :  dort  ist  der  Name  Johannes 
schon  im  10.  und  11.  Jahrhundert  massenhaft  zu  finden. 
Ein  Autor  aus  der  ersten  Hälfte  des  11.  Jahrhunderts,  der 
unbedenklich  zweimal  zu  diesem  Namen  greift,  darf  nach 
meiner  Empfindung  nicht  auf  deutschem  Sprachgebiet  ge- 
sucht werden :  im  romanischen  Grenzgebiet  mag  er  zuhause 
gewesen  sein1,  vielleicht  im  Bistum  Lüttich,  das  ja  zum 
Sprengel  Kölns  gehörte  und  wo  uns  die  doppelte  Bezug- 
nahme auf  Heribert  und  Piligrim  nicht  auffällig  erseheint. 

Auf  die  Vorgeschichte  des  Berichtes  geh  ich  zunächst 
nicht  ein,  seine  Bedeutung  für  die  Verbreitung  der  Sage 
aber  will  ich  schon  hier  erledigen.  Gewifs  haben  sieh 
Stiftsgeistliche  und  Mönche  frühzeitig  Abschriften  von  dein 
kecken  Machwerk  genommen,  aber  der  Englander  Wilhelm 
von  Malmesbury  stellt  doch  auf  lange  hinaus  mit  seiner 
Verwertung  in  einem  Geschichtswerk  isoliert  da,  bis  gegen 
die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts  Franciskaner  und  Domini- 
kaner, jene  selbständig,  diese  mit  direkter  Benutzung  seinem 
Beispiel  folgen. 

Albert  von  Stade  begann  sein  Geschichtswerk  kurz 
nach  dem  Eintritt  in  den  Minoritenorden  (1240):  er  fand  im 
Kloster  offenbar  ein  Exemplar  unseres  Schriftstücks  vor,  das 
er  zum  Jahre  1021  grofsenteils  wörtlich  aufnahm,  natürlich 
mit  Beseitigung  des  Ich  -  Berichts  (MG.  SS.  XVI,  313, 
22 — 45).  Unter  den  sonstigen  Änderungen  ist  bemerkens- 
wert die  Art,  wie  er  die  abenteuerliche  Behauptung  des 
Schlufses,  einige  der  Tanzer  hatten  nach  ihrem  Tode  Wun- 
der 2  gethan,  abschwächt: 


1)  Darauf  würde  auch  die  Form  -Mersent  fuhren,  die  ich  freilich 
nicht  in  den  Text  gesetet  habe :  sie  wird  aber  von  der  französischen 
Handschriftengruppe  geboten  und  (als  Merset)  von  Meraet  3  vorausge- 
setzt. 

2)  Die  Bollandisten  haben  daran  begreiflicherweise  den  ärgsten  An- 
stofs  genommen. 


DIE  TÄNZEli  VON  KÖLHIGK. 


109 


Otbert:  Alb.  v.  Stade: 

Aliqui  iam  ex  tioiris  ofrie-        Aliqui  se  emendaverunt  et 

runt  et  miraculis  chorttscant,  yrofecerunt  in  tantum,  ut  ex 

aliqui  liberati   Leo   laudes  divina  gratia  post  mortem 

decantant.  miraculis  clwruscarent. 

Die  für  1.  2.  3  charakteristische  Auslassung  von  ccclesiae 
(reconeUiavit)  und  die  Namensformen,  besonders  Cotbiece,  be- 
weisen die  Zngehörigkeit  der  Vorlage  zur  deutschen  Gruppe. 
Entstellt  ist  der  Name  des  Priesters:  Egberttis;  bemerkenswert 
die  Sclu'eibung  Mcrswindis,  weil  sie  bei  Alberts  Erfurter 
Ordensbruder  wiederkehrt.  Aus  dem  Stader  Chronisten 
haben  jüngere  Geschichtschreiber  der  benachbarten  Hanse- 
städte die  Sage  abgeschrieben,  so  die  Annalcs  Hamburgenses 
(bis  1265,  Qucllcnsammlung  der  Gesellschaft  für  Schleswig- 
Holstein-Iiaucnburg.  Gesch.  IV,  410)  und  noch  wörtlicher 
die  Historia  archiepiscoporum  Bremensium  bei  Lindenbrog, 
Script,  rer.  Germ.  sept.  (ed.  Hamburg  1700),  S.  76  f.  Spater 
hab  ich  nur  noch  eine  unsichere  Spur  des  Stader  Annalisten 
bei  Alb.  Krantz  (f  1517)  gefunden. 

Etwas  knapper  ist  der  Auszug,  den  bald  darauf  der  na- 
menlose Erfurter  Autor  der  Chronica  minor  (er  ge- 
langt bis  1261)  seinem  weitverbreiteten  Werke  einverleibte: 
zum  Jahre  1020,  MG.  SS.  XIV  188,  22  ff.  Von  seinen 
Änderungen  sind  die  folgenden  bemerkenswert:  1)  er  hat 
aus  Ortskunde  die  damals  zur  Geltung  gelangte  Namens- 
forra  Colbeke  (vgl.  z.  B.  Cod.  dipl.  Anhalt.  I,  493  v.  ca. 
1190)  eingeführt  und  die  nähere  Bestimmung  Halberstatensis 
dioecesis  beigegeben;  2)  er  hat  den  „Otpertus",  indem  er 
ihn  der  Rolle  des  Berichterstatters  entkleidete,  dafür  zum 
Führer  des  Reigens  gemacht;  3)  er  hat  die  Episode  mit 
Sohn  und  Tochter  des  Priesters  als  anstöfsig  beseitigt,  aber 
den  Namen  der  „Merswind"  (vgl.  Alb.  von  Stade)  unmo- 
tivierterweise doch  beibehalten  (tribus  feminis,  quarum  una 
vocabatur  Merswind);  4)  er  hat  die  zweifelhaften  Wunder 
der  seligen  Tänzer  unterdrückt.  An  diesen  vier  Ver- 
schiebungen, besonders  aber  an  1)  und  2)  erkennt  man  leicht 
das  direkte  und  indirekte  Gefolge  des  Erfurter  Chronisten: 


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110 


SCHRÖDER, 


er  hat  die  Sage  erst  in  die  thüringisch-sächsische  Geschicht- 
schreibung hineingetragen  und  zu  einem  festen  Bestandteil 
derselben  werden  lassen ,  er  hat  die  niedersachsischen 
Quellen  1  hier  und  da  beeinflusst  und  durch  die  jüngere 
Redaktion  C  seines  Werkes  das  Mirakel  auch  in  Ober- 
deutschlandf  bekannt  gemacht  *. 

Auf  seine  engern  Landsleute  hat  der  Erfurter  Minorit  wohl 
zumeist  durch  das  Medium  desSifrid  von  Balnhausen 
gewirkt,  den  ehedem  „Sifridus  presbyter  Misnensis"  ge- 
nannten Autor,  mit  dessen  richtiger  Würdigung  Holder- 
Egger  die  Reihe  seiner  Verdienste  um  die  ältere  thürin- 
gische Historiographie  eingeleitet  hat  Rud.  Wustmann  hat 
mir  aus  dem  Cod.  bibl.  univ.  Lips.  1315,  fol.  289b  die 
Stelle  5  zum  Jahre  1020  abgeschrieben:  sie  erweist  sich,  wie 
zu  erwarten  war,  als  einfache  Kopie  der  Chronica  minor 
und  als  direkte  Vorstufe  des  Joh.  Rothe  von  Eisenach, 
der  ihr  mehr  als  hundert  Jahre  später  die  lebhafte,  durch 
Rede  und  Gegenrede  des  Bauern  „Albrecht"  und  des 
Priesters  „Ruprecht"  gewürzte  Darstellung  gab4,  die  sich 
durch  abermalige  Vermittlung  gedruckter  Chroniken  in  die  - 
Sagen  Sammlungen  unseres  Jahrhunderts  gerettet  hat 

In  der  Folgezeit  ist  freilich  selten  die  reinliche  Be- 
nutzung einer  einzigen  Quelle  zu  konstatieren:  Vincenz 
von  Beauvais  und  seine  zahllosen  Benutzer  waren  so  weit 
verbreitet,  Handbücher  der  „Chronologie"  und  Weltgeschichte 
so  allgemein  zugänglich,  dafs  man  selten  auf  die  eine  Vor- 


1)  Unter  diesen  ist  die  bei  Leibnitz,  Script  rer.  Brunsvic.  III  ge- 
druckte „Chronika  S.  Aegidii  in  Brunswig'4  in  ihrem  Grundstock  einfach 
Wiederholung  der  Chronica  minor. 

2)  Eine  Hs.  dieser  Redaktion,  die  dem  Herausgeber  entgangen  ist, 
liegt  in  Einsiedeln:  vgl.  Schubiger,  Musikal.  Spicilegien,  S.  152,  wo 
die  Geschichte  mit  den  charakteristischen  Lesarten  von  C:  Corbelie  — 
Bubertus  mitgeteilt  ist 

3)  Überschrieben:  „De  chorizantibus  per  annum". 

4)  Düring.  Chronik  ed.  Lilie ncron,  S.  193 f.:  c.  249.  „Von  dem 
tantze  yn  der  cristnacht Der  Ortsname  BoUocke  ist  wohl  nur  Fehler 
der  Hs.;  Sifrid  hat  Corbecke  und  könnte  dabei  an  das  heutige  Zörbig 
(Kr.  Bitterfeld)  gedacht  haben,  für  das  diese  Form  bezeugt  ist 


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DIE  TÄNZEU  VON  KÖLBIGK. 


111 


läge  allein  angewiesen  war.  So  berichten  die  beiden  Hauptge- 
währsmünner  der  Brüder  Grimm,  Joh.  Bange  von  Eschwege, 
Thüringische  Chronik  oder  Geschichtblich  (Mühlhausen  1599), 
Bl.  39  und  Joh.  Becherer,  Newe  Thüringische  Chronica 
(Mühlhausen  1601),  S.  193  beide  die  Geschichte  in  selb- 
ständigem Anschlufs  an  Rothe  (Albrecht  —  Ruprecht  u.  s.  w.), 
aber  jener  setzt  davor  das  Jahr  1012,  das  auf  Vincenz  von 
Beauvais  zurückgeht,  dieser  weifs  aus  einer  ähnlichen  Quelle 
von  der  Teilnahme  der  Priesterstochter. 

Zwei  weitere  Ableitungen  unseres  „Originalberichts"  sind 
ohne  bemerkenswerte  Nachwirkung  geblieben: 

Die  fragmentarisch  in  den  MG.  SS.  XXX  zur  Ausgabe 
gelangenden  Annales  S.  Blasii  Bruns vicenses  1  ent- 
halten S.  17 f.  zum  Jahre  1021  einen  kurzen  Bericht,  der 
sich  schon  dadurch  als  von  jeder  indirekten  Quelle  unab- 
hängig erweist ,  dafs  er  die  fluchbringenden  Worte  des 
Priesters  in  engerem  Anschlufs  an  das  Original  bietet: 
„  Utinam  potentia  Del  et  meritis  saneti  Magni  martyris 
sie  totum  annum  cantando  peragatis."  Hier  haben  die 
Chronica  minor  sowie  Wilhelm  von  Malmesbury  (Vincenz) 
frei  geändert,  dem  Albert  von  Stade  fehlt  totum  und  can- 
tando. Die  Form  Kolebeke  stimmt  zur  Erfurter  Chronik, 
hat  aber  in  der  Nähe  des  Schauplatzes  nichts  Auffallendes. 

Bern.  Wittius  (s.  o.  S.  98),  dessen  Werk  erst  durch 
die  Ausgabe  von  1778  weitere  Verbreitung  fand,  sei  hier 
nur  deshalb  noch  einmal  erwähnt,  weil  er  einen  Sagen- 
sammler des  19.  Jahrhunderts  verführt  hat,  die  Geschichte 
auf  westfälischem  Boden,  in  Körbecke  bei  Soest  zu  loka- 
lisieren. Ich  meine  H.  Stahl,  Westphälische  Sagen  und 
Geschichten  (Elberfeld  1831),  S.  J03f.:  „  Die  Gotteslästerer 
in  Körbecke". 

Wir  wenden  uns  nun  jenem  breiten  Strom  der  Uber- 
lieferung zu,  der  auf  Wilhelm  von  Malmesbury  zurückgeht 
und,  während  er  in  England  früh  versiegt,  auf  dem  Fest- 
lande den  altern  Ableitungen  bald  den  Platz  streitig  macht, 


1)  Holder-Eggers  Freundschaft  verdank  ich  die  Kenntnis  eines  Aus- 
hängebogens. 


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112  SCHKÖDKK, 

sich  vor  allem  aber  durch  zahlreiche  litterarische  Ausläufer 
mit  ihnen  vermischt. 

Wilhelm  von  Malme sburv  selbst  hatte  dem  Bericht 
des  Otbert  noch  seine  ursprüngliche  Form  belassen  und  sich 
nur  wenig  einschneidende  Änderungen  erlaubt.  Woher  er  zu 
einer  neuen  Zeitangabe  gelangte,  wissen  wir  nicht  (doch  s.  u.) : 
er  setzt  das  Ereignis  ins  Jalir  1012  und  läfst  zum  Schlüsse 
1013  den  Brief  durch  Peregrinus  ausgefertigt  werden  —  der 
aber  erst  1021  den  Kölner  Erzstuhl  bestieg!  Fortgefallen 
ist  bei  ihm  der  Name  des  Ortes  (es  heifst  nur  in  villa 
qnadam  Saxoniae,  ubi  erat  ecclesia  Magni  martyris)  und 
der  der  Priesterstoehter.  Die  Zahl  der  Teilnehmer  erscheint, 
da  sich  Otbert  nicht  mit  einzahlt,  auf  19  gewachsen  und 
wechselt  von  hier  ab  in  Jüngern  Fassungen  mit  18.  Die 
Sache  mit  dem  Schutzdach  ist  m ifsv erstände n :  Fabrica 
tecti  alir/uando  nutu  Dei  super  nos  erigebatur,  ut  plurias 
arcerä,  und  da  der  Zug  so  keinen  reehten  Sinn  mehr  hat, 
ist  er  später  vielfach  fortgelassen  worden. 

Aufserst  lehrreich  für  die  ungemeine  Verbreitung  unserer 
Geschichte  und  ihrer  alten  Grundlagen  im  12.  und  13.  Jahr- 
hundert wie  überhaupt  für  die  Entstehung  von  Misch- 
versionen auf  rein  litterarischem  Wege  ist  das  Verhalten 
der  englischen  Landslcutc  Wilhelms,  die  aus  ihm  schöpfen. 

Da  ist  zunächst  Matthäus  Paris  (ed.  Luard  I,  484): 
„De  chorea  quadam  nefanda  per  inobedientiam  facta".  Er 
hat  den  Bericht  des  Otbert,  wie  er  ihn  bei  Wilhelm  fand, 
in  die  dritte  Person  umgesetzt,  mit  Beibehaltung  auch  der 
Irrtümer:  aber  er  hat  ihn  dann  mit  dem  Text  des  Origi- 
nals verglichen  und  daraus  ergänzt  die  beiden  fehlenden 
Namen:  im  Eingang  nomine  ('oUvize,  nachher  nomine  Mer- 
set Aufscrdcm  hat  er  dem  Kirchenpatron  das  ilun  ge- 
bührende sanetus  wiedergegeben  und  aus  eigenem  richtig 
hinzugefügt:  cuius  festum  celebratur  XIV  Kai.  Se^embris.  — 
Die  früher  unter  dem  Namen  des  Matthäus  von  West- 
minster  gehenden  Floreshistoriarum  (ed.  Luard  1,  531  f.) 
schrieben  diesen   modifizierten  Bericht   einfach  ab.  Aber 


1)  Beide  führen  auf  eine  Vorlage  aus  der  Gruppe  4—8. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


113 


dem  Urheber  der  wichtigen  in  M ertön  geschriebenen  Hs.  E 
(Eton  College)  genügte  die  Fassung  nicht:  er  kontrolierte 
sie  mit  einem  Exemplar  des  ausführlichen  Berichts  des 
Dietrich  (unten  S.  123  ff.)  und  trug  daraus  ein  den  dort 
überlieferten  Anfang  des  Tanzliedes  sowie  die  abweichen- 
den Namen  der  Priesterkinder  (Azo  —  Ana);  ferner  renkte 
er  die  Geschichte  mit  der  „fabrica  tecti"  wieder  ein.  — 
Noch  radikaler  als  beide  verfuhr,  wie  ich  schon  hier  vor- 
ausnehmen will,  Robert  of  Brunne,  der  in  seiner  1303 
geschriebenen  „Handlvng  Synne"  direkt  den  Bericht  des 
Dietrich  einführte  an  Stelle  des  von  seiner  Quelle  Wilham 
de  Wadington  gebotenen  Otbert-Briefes. 

Auf  dem  Festland  vermittelte  die  Verbreitimg  der  Kopie 
Wilhelms1  der  französische  Dominikaner  Vincenz  von 
Beauvais  (1244),  dem  die  Geschichte  wichtig  genug  erchien, 
um  im  welthistorischen  Teil  seiner  grofsen  Encyklopädie 
Platz  zu  finden.  Er  stellt  sie  zum  Jahre  1012  ein:  Spe- 
culum  historiale  XXVI,  10,  und  giebt  als  seine  Quelle  den 
„Guillermus"  an,  aus  dem  er  nur  den  Prolog  fortgelassen  hat. 
Bei  der  Umschrift  in  die  dritte  Person  erhält  „Othberthus" 
unwillkürlich  und  unabsichtlich  den  Anschein,  Reigenführer 
zu  sein :  ähnlich,  aber  doch  nicht  so  entschieden,  wie  in  der 
Chronica  minor.  Im  übrigen  ist  gegen  die  direkte  Vorlage 
sachlich  nichts  geändert  ,  und  am  Schlüsse  wird  die  Beru- 
fung auf  Piligrim  wörtlich  wiedergegeben. 

Die  schwere  Umgänglichkeit  der  alten  Iucunabel-Folianten 
läfst  es  ratsam  erscheinen,  diese  Version  hier  abzudrucken, 
und  zwar  nach  dem  ersten,  undatierten  Druck.   Die  Stellen 

» 

wo  Vincenz  vom  Wortlaut  des  Wilhelm  abweicht,  heb  ich 
durch  kursiven  Satz  heraus. 

De  ultione  Dei  super  ducentes  choreas  in  eimiterio. 

Guillermus. 

Hoc  anno  contigü  in  quadam  villa  Saxonie,  ubi  erat  ecclesia 
Magni  martiris  tale  quod  in  vigilia  natalis  Domini  Robertos  pres- 

1)  Auch  diese  selbst  blieb  in  Deutschland  nicht  unbekannt  So  fand 
ich  im  chn.  11346  (Polling  46)  membr.  saec.  XIV  unter  andern  Wunder- 
•reschiebten  aus  W.  v.  M.  auch  die  unsere:  fol.  78»  „De  quibusdam 
choreas  ducentibus." 

Zaitschr.  f.  K.-G.  XVII.  1.  u.  2.  8 


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114 


SCHRÖDER, 


biter  primam  missam  de  nocte  inchoaverat;  at  in  cimiterio 
Othbertbus  quidam  cum  XVIII  sodalibus,  viris  XV  [et  !]  feminis 
tribus  cboreas  ducens  et  cantilenas  secolares  peratrepens  ita. 
sacerdotem  impediebanf,  ut  ipsa  Terba  eorum  inter  sacra  mis- 
sarum  solemnia  invitus  resonarer.  Ille  mandavit  eis  ut  tacerewf. 
Quo  neglecto  imprecatuB  est  dicens:  „Placeat  Deo  et  sancto 
Magno,  ut  ita  cantantes  permaneatis  usque  ad  annum!"  Verba 
pondus  haboerunt.  Filius  presbiteri  Johannes  sororem  suam  can- 
tantem  per  bracbium  arripuit  et  statim  illud  a  corpore  avulshV 
sed  gutta  sanguinis  inde  non  exivit  lUa  vero  toto  anno  cum 
ceteris  pennansit  cboreas  ducens  et  canttlans.  Pluvia  non  cecidit 
super  eos,  non  frigus  non  calor,  non  fames  non  sitis,  non  lassi- 
tudo  eos  affecit.  Indumenta  vel  calciamenta  non  sunt  attrita, 
sed  quasi  vecordes  cmtabant.  Primum  usque  ad  genua,  deinde 
usque  ad  femora  terre  dimersi  sunt.  Fabrica  tecti  aliquando 
super  eos  nutu  Dei  erigebatur,  ut  pluvias  arceret.  Evoluto  anno 
Herbertus  Coloniensis  episcopus  eos  absolrit  a  nodo,  quo  manus 
eorum  ligabantur,  et  ante  altare  s.  Magni  reconciliavit.  Filia 
presbiteri  cum  aliis  duobus  continuo  exanimata  est.  Ceteri  con- 
tinuis  tribus  noctibus  dormierwnf,  aliqui  postea  obierunt  et  mi- 
raculis,  ut  fertur,  choruscarMwf ,  guia  valde  penituerunt;  ceteri 
penam  suam  membrorum  tremore  yroüiderunt.  Hoc  ita  scrip- 
tum reliquit  Othberthtts  ipse  qui  fuit  unus  ex  eis.  —  Date  sunt 
nobis  litere  a  domino  Peregrino  beati  Herberti  successore.  anno 
domini  MXIII. 

Man  beachte,  wie  es  der  französische  Predigermönch 
ähnlich  dem  deutsehen  Minoriten  Albert  von  Stade  für  nötig 
hält,  die  Wundcrwirksamkeit  der  toten  Tänzer  ein  wenig 
zu  erklären  —  ernsthaften  Anstofs,  wie  der  Erfurter  Chronist, 
hat  er  daran  nicht  genommen. 

Aus  dem  Speeulum  historiale  ist  die  Geschichte  mit 
oder  ohne  Nennung  dieser  Autorität  dutzendfältig  ausgehoben 
worden,  bald  buchstäblich ,  sogar  mit  der  Überschrift  und 
ihrer  Quellenangabe  *,  bald  in  mehr  oder  weniger  gekürzten 
Auszügen.  Sie  wanderte  gelegentlieh  in  dieser  Fassung 
nach  England  zurück,  wo  z.  B.  das  sogen.  Chronicon  des 
John  Bromton,  in  Wahrheit  eine  Kompilation  des  14.  Jahr- 

1)  Fehlt  in  ms.  lat.  18600.  2)  Dies  z.  B.  in  der  von  Gas  ton  Ray- 
naud in  den  Etudes  romanes  dediees  ä  Gaston  Paris  (Paris  1891),  p.  53,  1 
citierten  Hs.  der  Bibl.  nat.  ms.  lat.  18600  f.  1.  2  —  wie  mir  eine  von 
Lic.  Preusehen  gütig  hergestellte  Abschrift  beweist. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLB1GK. 


115 


hunderte  (Historiae  anglicanae  scriptores  X  ed.  Twysden, 
Ixmd.  1612,  p.  891),  aus  Vincenz  von  Beauvais  und  nicht 
aus  Wilhelm  von  Malmesbury  schöpft,  und  sie  fand  in  dem 
Lande,  dem  der  Schauplatz  der  Sage  angehört,  in  Deutsch- 
land eine  gröfsere  Verbreitung  als  alle  altern  Versionen 
zusammengenommen.  Erst  seit  Vincenz  von  Beauvais  ge- 
hört das  sächsische  Tanzwunder  allgemein  zum  festen  That- 
sachenbestand  der  Weltgeschichte,  und  mehr  noch  als  die 
Historiker  tragen  die  Prediger  und  Moralisten  des  aus- 
gehenden Mittelalters  dazu  bei ,  das  grausige  Exempel  po- 
pulär zu  machen.  Wo  irgend  in  diesen  tanzlustigen  Jahr- 
hunderten vor  den  Sünden  und  Gefahren  des  Tanze6  gewarnt, 
wo  die  Heilighaltung  des  Sonntags  und  der  Respekt  vor 
dem  Priester  eingeschärft  wird ,  da  können  wir  darauf  ge- 
fafst  sein,  den  Tänzern  auf  dem  Friedhof  des  heiligen 
Magnus  zu  begegnen  l.  Sie  befinden  sich  da  gern  in  der 
Nachbarschaft  der  Juden,  die  ums  goldene  Kalb  tanzen,  und 
der  Tochter  der  Herodias. 

Mir  sind  nicht  alle  nächsten  Ableitungen  und  Ver- 
mittler der  Vinccnz-Version  zugänglich  gewesen.  Wenn  der 
italienische  Dominikaner  Gabriel  Barletta  (oder  Barelete, 
ca.  1470)  für  die  Geschichte  den  Jacobus  de  Vitriaco 
citiert  *,  so  halt  ich  dies  wie  manche  ähnliche  Citate  für 
einen  Irrtum;  feststellen  kann  ich  nur,  dafs  sich  das  Tanz- 
wunder  unter  den  Exempla  des  Jacques  de  Vitry,  von 
denen  wir  jetzt  eine  höchst  verdienstliche  Edition  (durch 
Thom.  Fred.  Crane,  London  1890)  besitzen,  nicht  vor- 
findet 3.  —  Wer  der  „Gallus  Malverius"  war,  auf  den  sich 
Johannes  Junior  (s.  u.)  für  seine  sicher  auf  Vincenz  zurück- 
gehende Version  beruft,  und  was  es  mit  Johannes  de 
Colum[na?]  für  eine  Bewandtnis  hat,  den  Nauclerus  neben 


1)  Für  mich  sind  die  spätmittelalterlichen  Traktate  und  Predigten 
„De  Chorea",  die  ich  seit  meiner  Ausgabe  von  Ingolds  „Goldenem  Spiel4' 
(Strafsburg  1882)  beständig  im  Auge  gehabt  habe,  geradezu  der  Aus- 
gangspunkt dieser  Studie  geworden. 

2)  Sermone«  Fr.  Gabr.  Barelete  ord.  praed.,  Lugd.  1505,  fol.  LXXXIL 

3)  Vgl.  auch  Crane  a.  a.  0.,  p.  LXV1*. 

8* 


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116 


SCHRÖDER, 


Vincenz  citiert,  darüber  vermag  ich  keine  Auskunft  zu 
geben. 

Im  Gefolge  dieses  Autors  treten  natürlich  seine  Ordens- 
brüder besonders  hervor:  ich  nenne  unter  ihnen  aufser  dem 
Westfalen  Heinrich  von  Herford  ( —  1355)1  den  Südfranzosen 
Johannes  Junior  (um  1350),  der  als  Verfasser  der  „Scala 
celi"*  gilt  (vgl.  Cranr,  The  exempla  of  Jacques  de  Vitry, 
p.  LXXXVI),  Johannes  Herolt  von  Basel  (um  1425)  und 
den  unbekannten  niederländischen  Verfasser  des  „Speculuni 
exemplorum"3  (um  1480),  dem  freilieh  Quetif  und  Echard 
die  Zugehörigkeit  zum  Orden  bestreiten. 

Aus  dem  „Speculuni  exemplorum"  entnahm  der  Minorit 
Joh.  Pauli  die  Geschichte  für  nr.  388  seines  „Schimpf  und 
Ernst"  (ed.  Österlev  S.  236),  und  diesen  wieder  benutzt 
neben  andern  Quellen  die  „Epitome  historiarum"  von  Bütner- 
Steinhart  1596  (s.  u.). 

Joh.  Herolts4  „Sermones  diseipuli",  ein  viel  abgeschrie- 
benes, früh  und  oft  gedrucktes  Predigtmagazin,  bieten  das 
„exemplum"  an  der  zu  erwartenden  Stelle,  in  einer  Predigt 
„de  chorea":  sermo  XXXVII  (dominica  in  quinquagesiraa, 
sermo  2°')  &.  Man  erkennt  die  Ableitungen  daraus  leicht  an 
dem  entstellten  Namen  des  wunderthätigen  Erzbischofs,  der 
hier  Gilbertus  (Gybertus)  heifst.  Ich  kenne  solche  1)  aus 
clm.  16229  (S.  Nicol.  Patav.  229),  chart.  s.  XV,  wo  auf 
einen  „Tractatus  de  corea  cancionibus  instrumentis  musicis 
ad  populum  Bude  predicatus"  (fol.  1  —  llb)  noch  reicheres 
Material  zu  diesem  Predigtstoff  folgt,  darunter  fol.  15*  unser 
„Exemplum  de  chorea  .  .  .  quae  prope  locum  sanetum  fit" 
nach  Herolt;  und  2)  aus  clm.  2778  (Aid.  248),  chart.  s.  XV, 
wo  fol.  363b  gleichfalls  in  einem  Sermon  über  den  Tanz 
Herolt  auch  sonst  stark  benutzt  erscheint. 

Unter  den  Exempelbüchern  des  ausgehenden  Mittelalters 
hat,  wie  wir  seit  K.  Gocdeke  wissen,  die  „Scala  celi"  des 

1)  Henr.  de  Hervordia  ed.  Potthast  (Göttingen  1859),  S.  96  f. 

2)  ed.  Ulmae  1480,  fol.  62  8.  v.  „corea". 

3)  ed.  Argen tinae  1495,  fol.  p*  a. 

4)  Vgl.  Crnel,  Geschichte  d.  d.  Predigt  im  Mittelalter,  S.  480  ff. 

5)  Ich  benutzte  die  ed.  Nuremb.  1480. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLB1GK. 


117 


Johannes  Junior  für  die  Ausbreitung  von  Sagen,  Märchen 
und  Anekdoten  eine  ganz  besondere  Bedeutung  gewonnen. 
Wir  können  das  auch  hier  wieder  leicht  konstatieren:  der 
Verfasser  hat  nämlich,  während  er  sonst  fast  wörtlich  die 
Version  des  Vincenz  abschreibt,  aus  den  „XVIII  soda- 
libus,  viris  XV  [et]  feminis  tribus"  des  Otbert,  die  jener 
bewahrt  hat,  gemacht:  „cum  XVIII  sodalibus  viris  et  XV 
feminis"  —  und  dieser  Zahl  (18  -f-  15  =  33)  begegnen  wir 
in  der  Folge  vor  allem  in  Hartm.  Schedels  illustrierter 
Weltchronik:  „Liber  cronicarum  cum  nguris  et  ymaginibus 
ab  inicio  mundo"  (1493)  fol.  CLXXXVIP  „Coreizantes  per 
annimi",  wo  zugleich  die  imgenaue  Angabe  „in  ruadebur- 
gensi  diocesi"  hinzugefügt  ist.  Die  Fassung  Schedels  ist 
mit  diesen  beiden  Fehlern  direkt  übergegangen :  a)  in  das 
„Nve  schip  van  Xarragonia"  (Lübeck  1497;  ich  benutze 
C.  Schröders  Neudruck  der  Rostocker  Ausgabe  von  1517, 
Schwerin  1892),  dessen  Verse  4 143  ff.  wieder  ausschreibt  das 
Niederdeutsche  Reimbüchlein  (ed.  Seelmann  1885)  V.  2961  ff.; 

b)  in  Herrn.  Botes  Niedersächsische  Weltchronik  (Hannover, 
kgl.  Bibl.  Ms. XI,  669,  B1.88.  —  Mitteilung  von  Dr.K.  Meyer); 

c)  in  Seb.  Francks  viel  gelesene  und  viel  ausgeschriebene 
„Chronica  Zeitbüch  vnnd  üeschichtbil>ell"  (1536)  Bl.  CCXV; 

d)  in  Henr.  Kornmannus  „De  miraculis  vivorum"  (Francof. 
1614),  p.  287  „De  choreizantibus  per  annum",  wo  durch  - 
einen  Druckfehler  aus  18:  108  wird;  mit  diesem  neuen 
Fehler  übernommen  in  Jo.  Petri  I^ange  Liber  secundus  de- 
liciarum  academicarum  (Heilbr.  1665),  p.  133,  c.  XXXIV 
(1.  Fassung). 

In  Deutschland  bot  sich  leicht  Gelegenheit,  die  seit 
Wilhelm  v.  Malmesbury  fehlende  Ortsangabe  zu  ergänzen 
und  so  gewissermafsen  den  alten  Bericht  des  Otbert  zu  re- 
konstruieren:  das  konnte  unter  Heranziehung  einer  weitern 
schriftlichen  Quelle  geschehen,  geschah  aber  gewifs  auch 
oft  genug  auf  Hörensagen  hin.  So  bietet  clm.  3588  (Aug. 
civ.  88)  vom  Jahre  1479  in  einem  „Tractatus  de  chorea" 
(fol.  31*)  die  Geschichte  mit  dem  entstellten  Citat  „libro 
XXVI0  Speciali  lüstorialis  capitulo  decimo",  aber  unter  Ein- 
schaltung des  richtigen  Ortsnamens  —  und  am  Schlüsse  folgt 


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118 


SCHRÖÜEK, 


dann  noch  die  personliche  Mitteilung  eines  Gewährsmannes, 
der  den  Schauplatz  des  Ereignisses  selbst  besucht  hat 

Kontaminiert  wohl  aus  den  Berichten  des  Vincenz  und  des 
Erfurter  Minoriten  ist  die  Fassung,  die  Alb.  Krantz  (f  1517) 
in  seiner  „Saxonia"  Lib.  IV,  cap.  33  (ed.  Francof.  1575, 
p.  97  f.)  in  durchaus  selbständiger  sprachlicher  Form  bietet 
Charakteristisch  für  ihn  ist  die  Beseitigung  aller  Personen- 
namen, die  Ersetzung  des  Priestersohnes  Johannes  durch 
einen  „quidam",  des  hl.  Heribert  durch  „aliquot  saneti  viri". 
Krantz  wird  seit  dem  Erscheinen  der  Frankfurter  Ausgabe 
bei  katholischen  wie  protestantischen  Schriftstellern  viel 
citiert,  wie  denn  überhaupt  vom  16.  Jahrhundert  ab  die 
Wiederholung  der  Geschichte  fast  nur  noch  unter  Quellen- 
angabe geschieht. 

Aus  der  vorangehenden  Zeit  wären  noch  einige  kürzere 
Fassungen  zu  erwähnen.  Die  Chronica  coraituni  et  prin- 
eipum  de  Clivis  (bis  1392)  aus  dem  15.  Jahrhundert,  die 
bei  Seibertz,  Quellen  d.  Westfäl.  Gesch.  II  gedruckt  ist, 
erwähnt  die  Geschichte  von  den  „  in  villa  Saxoniae  Colbeca 
chorizantes"  (S.  151)  bei  Gelegenheit  des  hl.  Heribert.  —  Der 
Kölner  Karthäuser  Werner  Rolcvinck  im  „Fasciculus  tem- 
porum"  (gedruckt  1474)£foI.  LXXI  erzählt  sie,  anscheinend 
aus  dem  Gedächtnis  auf  das  Speculum  historiale  zurück- 
greifend. Ihn  citiert  um  1500  der  hessische  Chronist  Wigand 
Gerstenberg  (Schmincke,  Monimenta  Hassiaca  II,  88  f.),  der 
aber  noch  eine  andere  Ableitung  des  Vincenz  gekannt  haben 
wird.  Direkt  aus  Vincenz,  aber  ohne  Citat,  schöpften  die 
Koelhoffsche  Chronik  (1499,  D.  Städte-Chroniken  XIJI,  483) 
und  Joh.  Trithemius  im  „Chronicon  Hirsaugiense "  zum  Jahre 
1012  (Opp.  bist.  ed.  Francof.  1601,  n,  47)  K  J.  Nauclerus 
(t  1510)  Chronica  Vol.  II  gen.  XXXIIII  (ed.  1544,  S.  685) 
citiert  wieder  Vincenz  und  daneben  „Joh.  de  colum".  Auch 
an  Bern.  Wittius  mag  hier  noch  einmal  erinnert  werden. 


1)  Konrad  Bothe  im  Chronicon  Brunsvioensium  picturatura,  gedr.  1492, 
(bei  Leibnitz,  Script.  Brunsvic  IQ,} 322)  hat  z.  J.  1020  einen  Hinwei« 
(▼gl.  oben  8.  107),  der  auf  die  Magdeburger  Schöppenchronik  und  durch 
sie  auf  die  Erfurter  Quelle  zurückgeht. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


119 


Man  sieht,  die  Geschichte,  die  noch  dem  Verfasser  der 
grofsen  Sächsischen  Wcltchronik  ans  der  ersten  Hälfte  des 
13.  Jahrhunderts  unbekannt  oder  gleichgültig  gewesen  war, 
erfreut  sich  am  Ausgange  des  Mittelalters  eines  Interesses, 
das  ihr  einen  festen  Platz  in  den  historischen  Darstellungen 
sichert  Und  so  bleibt  es  bis  tief  ins  1 7.  Jahrhundert  hinein. 
Noch  in  der  „Historischen  Chronica",  die  Joh.  Phil.  Abelin 
von  Strafsburg  unter  dem  Pseudonym  Joh.  Lud.  Gottfrid 
um  1630  zuerst  herausgab,  wird  sie  auf  Grund  von  „mehr 
als  zehen  bewehrten  Historicis,  deren  der  mehrer  Teil  zur 
selben  Zeit,  oder  nicht  lang  hernach  gelebt  haben",  be- 
richtet und  mit  einem  Merianschen  Kupfer  ausgestattet 
(Frankfurter  Folio- Ausgabe  1642,  S.  526),  auf  dem  auch 
die  Augen  der  Frau  Rat  Goethe  und  ihres  Sohnes  Wolfgang 
mit  Interesse  geruht  haben  mögen  (vgl.  Dichtung  und  Wahr- 
heit I,  1  und  Goethe-Jahrb.  VI,  334). 

Aus  dem  Kreise  der  anhaltischen  und  halberstädtischen 
Lokal-  resp.  Territorialhistoriker,  die  dem  Gegenstand  ein 
begreifliches  Interesse  schenken,  gehen  seit  dem  Ende  des 
17.  Jahrhunderts  (Knaut)  wichtige  Quellennotizen  und  im 
Anfang  des  18.  auch  die  Anfänge  einer  historisch-kritischen 
Betrachtung  hervor  (Beckmann),  die  freilich  keine  Fortsetzung 
erfahren  haben.  Im  1 9.  Jahrhundert  haben  die  vortrefflichen 
Jahrbücher  Heinrichs  II.  von  Hirsch  und  Bresslau  der  Sage 
gar  keine  Beachtung  geschenkt,  und  die  gesamte  neuere  Litte- 
ratur,  die  mir  zur  Verfügung  stand,  beschränkt  sich  auf  ein 
paar  bibliographische  Notizen  L.  Delisles  im  Journal  des  Sa- 
vants  1860,  S.  578  f.,  W.  Wattenbachs  in  seinen  Geschichts- 
quellen (jetzt  II6,  137)  und  Osterleys  (resp.  Goedekes!)  zu 
»Schimpf  und  Ernst"  No.  388. 

Schon  oben  hab  ich  angedeutet,  dafs  es  mehr  noch 
als  die  Historiker  die  Prediger  und  Moralisten  waren,  die 
dem  Mirakel  seine  Verbreitung  verschafften  und  seinen  Reiz 
erhielten.  Auch  das  gilt  weit  über  das  sogenannte  Mittelalter 
hinaus:  für  die  Katholiken  wie  für  die  Lutheraner.  Eine 
Ausnahme  machen  nur  ein  paar  reformierte  Schriftsteller: 
Henri  Estieune  (Henricus  Stephanus)  in  seiner  zuerst  1567 
erschienenen  „Apologie  pour  Herodote  ou  traite*  de  la  con- 


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120 


SCHRÖDER, 


formitl  des  merveilles  anciennes  avec  les  modernes"  (ed. 
Le  Dudat,  La  Haye  1735,  II,  428)  wirft  unsern  „au  pays  de 
SaxeM  passierten  Tanz  mit  einem  ähnlichen  Mirakel  vom 
heiltumtragenden  Priester  (s.  u.  S.  158)  zusammen  und  nennt 
das  ganze  „une  chose  fort  ridicule",  von  den  Pfaffen  zur 
Erhöhung  ihres  Ansehens  erfunden.  Und  der  mehr  als 
derbe  Verfasser  von  „Den  roomschen  Uylenspiegel  ofte 
Lusthof  der  Catholijken"  (Amsterdam  1671)  giebt  das  Tanz- 
wunder, das  er  dem  „Seelentrost"  entnimmt,  geradezu  als 
Probe  der  abgeschmackten  Mirakel,  von  denen  alle  ka- 
tholischen Bücher  so  voll  seien  wie  ein  Bettlerpelz  voll 
Lause. 

Unter  den  Katholiken  nenn  ich  zunächst  den  kölnischen 
Theologen  und  asketischen  Schriftsteller  Tilmann  Breden- 
bach, der  in  seinen  zuerst  Col.  1592  erschienenen  „Colla- 
tionum  sacrarum  libri  VIII"  die  Geschichte  in  zwei  Ver- 
sionen auftischt  (Lib.  I,  cap.  LVI;  ed.  1592,  p.  111  f.):  nach 
Krantz  und  Vincenz  —  ohne  die  Identität  zu  bemerken  • 
Die  Glaubwürdigkeit  des  Mirakels  behauptet  noch  mit  Ent- 
schiedenheit der  französische  Jesuit  Theophile  Raynaud 
„Hagiologium  exoticum"  Tom.  X  (Lugd.  1665),  p.  590  in 
dem  Kapitel  „De  gladio  et  pileo  a  pontifice  initiatis".  Und 
er  konnte  sich  dafür  aulser  auf  Vincenz,  Tritheim,  Krantz, 
Bredenbach  auch  auf  neuere  französische  Theologen  und 
Historiker  berufen,  von  denen  er  Gilb.  Genebrardi  theo- 
logi  Parisiensis  „Chronographiae  libri  IV"  (zuerst  Paris  1580) 
citiert  (die  Geschichte  wird  hier  nach  Vincenz  und  Krantz 
erzählt1),  während  er  des  Reformierten  Calvisius  „Opus 
chronologicum"  (zuerst  c.  1620),  das  die  Fassung  des  Albert 
v.  Stade  giebt  (4.  Ausg.  Frankf.  1650)  nicht  gekannt  haben 
wird. 

Die  Litteratur  der  Mirakel  und  Wunder  war  mit  der 
Reformation  keineswegs  überwunden.  Gerade  jene  mittel- 
deutschen Landschaften,  in  denen  Luthers  Heimat  und  der 
Wirkungskreis  seiner  getreuesten  Anhänger  lag,  haben  in 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  jene  Teufellitte- 


1)  «d.  Lugd.  1609,  p.  577. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


121 


ratur  entstehen  sehen,  die  uns  neuerdings  Max  Oshorn  (Acta 
Germanica  III,  3,  Berlin  1893)  lehrreich  vorgeführt  hat,  ohne 
ihre  sämtlichen  litterarischen  Verwandten  erschöpfen  zu  wollen. 
Zu  ihnen  rechne  ich  auch  noch  Bücher  wie  des  Jobus  Fincelius 
„Wunderzeichen.    Warhalf tige  beschreibung  vnd  gründlich 
verzeichnus  schrecklicher  Wunderzeichen  vnd  Geschichte, 
die  von  ...  1517  bis  ...  1556  geschehen  vnd  ergangen  sind" 
(Jhena  1556),  wo  bei  den  einzelnen  schreckhaften  und  wunder- 
barlichen  Ereignissen  analoge  Fälle  aus  älterer  Zeit  ver- 
zeichnet werden:  so  zu  einem  Veitstanz  vom  Jahre  1551 
unsere  angeblich  1005  passierte  Geschichte,  ohne  Citat,  aber 
sicher  nach  Alb.  Krantz.    Auch  die  Exempelbücher  ziun 
Gebrauch  der  Prediger,  wie  sie  im  Mittelalter  die  Cister- 
cienser  und  Franciscaner,  vor  allem  aber  die  Dominicaner 
so  zahlreich  hervorgebracht  hatten,  leben  fort,  und  in  ihnen 
herrscht  eine  starke  Vorliebe  für  das  Übernatürliche,  mehr 
noch  für  das  Unnatürliche  und  Widernatürliche.    Es  ist 
der  Geschmack  des  Mittelalters,  nur  jedes  Humors  und 
jedes  ästhetischen  Moments  entkleidet.  Selbst  die  alten  Titel 
leben  wieder  auf,  und  das  „  Promptuarium  exemplorum"  des 
Droifsiger  Pfarrers  Andr.  Hondorff  vom  Jahre  1571 ,  das 
das  Kölbiger  Tanzwunder  (zweimal:  nach  Seb.  Franck  und 
Alb.  Krantz)  unter  den  Exempeln  des  dritten  Gebots  er- 
zählt1, entnimmt  den   seinen   direkt   von  den  Prediger- 
mönchen des  14.  und  15.  Jahrhunderts.  Der  bekannte  Mans- 
f eider  Flacianer  Cyr.  Spangenberg,  übrigens  eine  der 
sympathischsten  Gestalten  dieser  Zeit,  hat  die  Geschichte 
in  die  d6.  Brautpredigt  seines  „Ehespiegels"  (zuerst  Strafs- 
bnrg  1561)  verflochten  (Bl.  177 b  der  Ausgg.  von  1561.  1562. 
1567)  und  ihn  schreibt  wörtlich  ab  Florian  Daule  in  seinem 
„Tantz-Teuffel"  von  1567  (Theatrum  Diabolorutn  ed.  1575 
Bl.  233"),  nennt  als  eine  seiner  Quellen  das  umfangreichste 
derartige  Exempelbuch ,  die  „Epitome  Historiarum"  von 
Wolfg.  Bütner  in   der  vennehrten   Ausgabe   von  Georg 
Steinhart  (Leipzig  1596),  fol.  70",  wo  aufserdem  Krantz, 

1)  Frankfurter  Ausgabe  v.J.  1574,  Bl. 86";  dieselbe  Darstellung  findet 
sich  auch  in  Hondorffs  „Calendarium  sanctorum  et  historiarum"  (1573) 
II,  149 b  zum  25.  Dezember. 


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122 


SCHRÖDER, 


Pauli  und  Fincel  citiert  werden.  Es  sei  das  ein  Exempel, 
meint  der  Herausgeber,  so  recht  für  das  Bauernvolk,  das 
oft  vor  lauter  Kurzweil  auf  dem  Kirchhofe  nicht  in  die 
Kirche  hineinkäme.  Da  sitzet  etwan  ein  hindernder  vnd  ein- 
äugiger Krämer,  mit  Pfefferkuchen,  hr antenwein,  kleinen  spieg- 
lein vnd  würfflein,  die  haben  die  krafft  vnd  eigenschaß, 
zehn  oder  zwantzig  Bawren  vor  der  Kirchen,  biß  zum  Evan- 
gelio  auff zuhalten,  auch  wol  noch  so  viel  herab  von  der 
Emporkirchen  hienaus  zu  lecken  (!).  Viel  anders  wird  die 
*  Anwendung  des  Exempels  bei  den  Minoriten  und  Domini- 
canern auch  nicht  gewesen  sein.  Nur  freilich  der  hl.  Magnus 
und  der  wunderthätige  Erzbischof  von  Köln,  die  waren  in 
einer  Predigt  für  protestantische  Bauern  nicht  mehr  am 
Platz,  während  sie  in  den  Geschichtsbüchern  dieser  Zeit 
natürlich  fortleben. 

Ein  anderer,  noch  weniger  beachteter  Litteraturzweig,  in 
dessen  Obhut  unser  Mirakel  fortlebt,  sind  die  Sammlungen 
von  Anekdoten  und  Kuriositäten  in  lateinischer  Sprache,  die, 
ein  Seitentrieb  der  Faceticnlitteratur,  alle  Schattierungen  bis 
zum  Schulbuch  herab  aufweisen.  H.  Kornmanns  „  De  mira- 
culis  vivorum  seu  de  varia  natura  variis  singularitatibus  etc. 
hominum  vivorum  über  novus  et  singularis",  Francofurti 
1614,  p.  287:  „De  choreizantibus  per  annum"  ward  schon 
erwähnt;  ebenso  J.  P.  I^ange,  „Liber  secundus  Deliciarum 
academicarum  sive  admirandorum  et  horribilium  casuum 
exempla  tragica.  In  usuni  juventutis  pro  stvli  exercitio  et 
quorumvis  pro  condimento  graviorum  studiorum  eongesta" 
(Heilbronnae  1665,  p.  133  „Choros  ducentes  toto  anno 
continenter").  Auf  katholischer  Seite  nenn  ich  des  (bel- 
gischen?) Jesuiten  Jacobus  Pontanus  „Attica  Bellaria", 
Francof.  1644,  p.  456:  in  dem  Kapitel  „Mira  mirorum". 

Es  sind  mir  im  ganzen  aus  der  Zeit  zwischen  1240  und 
1715  allein  aus  Deutschland  mehr  als  vierzig  Aufzeichnungen 
der  Sage  bekannt  geworden  l,  die  alle  direkt  und  indirekt 
mit  dem  Bericht  des  Otbert  zusammenhängen.  Die  einzige 
deutsche  Fassung,  die  ich  hier  nicht  mit  Sicherheit  einzu- 


1)  Einzelne  sollen  weiter  unten  noch  zur  Besprechung  kommen. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK.  123 

ordnen  wage,  die  des  „  Seelentrosts spar  ich  mir  für  später 
auf.  Zunächst  wend'  ich  mich  einem  anderen  Zweige  der 
Überlieferung  zu. 

II.  Der  Bericht  des  Dietrich  (Theoderious). 

Auch  hier  haben  wir  eine  gute  alte  Überlieferung,  die 
sich  freilich  auf  wenige  Handschriften  englischer  und  nord- 
französischer Herkunft  beschrankt. 

1.  Paris,  ßibl.  nat.  ms.  lat.  6503,  perg.  s.  XII,  fol.  61: 
mit  Fortlassung  des  Schlu&abschnitts  abgedruckt  bei  Du  Meril, 
Etudes  sur  quelques  points  d'archeologie  et  d'histoire  littet 
raire  (Paris  -  Leipzig  1862),  S.  498  —  502;  benutzt  MG. 
SS.  XXVI,  28  f.  (vgl.  S.  11).  Der  betreffende  Teil  der  Hand- 
schrift gehört,  wie  L.  Delisle,  Bibl.  de  l'ecole  des  chartes 
XXXIV,  271  gezeigt  hat,  zu  denjenigen  Manuscripten, 
welche  der  Kirchenhistoriker  Ordericus  Vitalis,  Mönch  von 
St.  Evroul,  geschrieben  hat.  Die  litterarische  Thätigkeit  des 
OrdericiiH  wird  begrenzt  durch  die  Jahre  1124  und  1142: 
danach  wird  man  auch  unsere  Aufzeichnung  datieren  dürfen. 

2.  Oxford,  Bodleiana  Ms.  Rawlinson  C  938,  perg. 
s.  XIII,  fol.  22b — 24.  Das  Stuck  ist  hier  mit  der  Kapitel- 
überschrift „De  adttena  aborrendo  et  ittgi  satiatu  (!)  liberato" 
den  Wundern  eingereiht,  welche  den  Anhang  der  mit  fol.  1 
beginnenden  und  durch  einen  „Prologus  ad  sanetum  Lan- 
franchum"  eingeleiteten  „Vita  Sancte  Edithe"  des  Gocelinus 
monachus  bilden.  —  Abgedruckt  ist  es  nach  dieser  Hand- 
schrift von  Furnivall,  Handlyng  Synne  p.  XXVHI— XXXI; 
Beschreibung  und  teilweise  Kollation  verdank  ich  Herrn.  Prof. 
Napier  in  Oxford;  sie  war  besonders  für  die  Eigennamen  nötig. 

3.  Oxford,  Bodleiana  Ms.  Fairfax  17,  perg.  s.  XII 
(ohne  Paginierung).  Die  Handschrift  stammt  aus  dem  im 
Jahre  1139  gestifteten  Kloster  zu  Louth  Park  in  Lincoln- 
shire,  wie  aus  der  auf  der  letzten  Seite  stehenden  Inhalts- 
angabe hervorgeht.  Das  Mirakel  steht  an  neunter  Stelle  : 
voraus  geht  eine  „Lamentatio  Gervasii  Abbatis  de  Parco", 
es  folgen  zum  Schlufs  Visionen,  darunter  auch  die  „Visio 
Wettini".  —  Benutzt  ist  diese  Handschrift  nach  einer  Kopie 
Fei.  Liebermanns  in  den  MG.  SS.  XXVI,  28  f.;  mir  hat 


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124 


SCHRÖDER, 


Prof.Napier  eine  Beschreibung  und  die  Kollation  wichtiger 
Stellen  zurj^erf  ügung  gestellt. 

4.  Ehemals  York  oder  Dur h am,  nach  der  zweifeln- 
den Aussage  des  Nie.  Harpsfield  !,  der  in  seiner  „Historia 
Anglicana  ecclesiastica  "  (Duaci  1622),  p.  205  f.  unser  Stück 
zum  gröfsten  Teil  daraus  abgedruckt,  Eingang  und  Schlul's 
aber  so  genau  paraphrasiert  hat,  dafs  wir  deutlich  sehen: 
seine  Vorlage  war  vollständig  und  hatte  auch  den  Schlufs 
von  2.  3.  —  Der  Abdruck  ist  voller  Druck-  und  Lesefehler, 
von  denen  ich  in  den  Varianten  nur  wiederhole,  was  immer- 
hin in  der  Handschrift  gestanden  haben  könnte. 

Ein  Blick  auf  den  wenig  umfangreichen  Apparat  zeigt,  dafs 
die  Handschriften  1 .  2  einerseits  und  3.  4  anderseits  enger  zu- 
sammengehören;  beide  Gruppen  haben  Fehler  und  müssen  im 
Einzelfalle  gegeneinander  abgewogen  werden.  Dafs  die  ge- 
meinsame Vorlage  von  1  und  2  wieder  eine  englische  Hand- 
schrift war,  zeigt  —  zum  Uberflufs  —  der  lehrreiche  P'ehler 
Folpoklus  statt  Fd{c)ioaldus:  p  und  w  können  um  diese  Zeit 
nur  eben  in  England,  wo  die  alte,  dem  p  ähnliche  w-Ruue 
fortlebt,  verwechselt  werden.  Wo  2.  3.  4  gegen  1  stehen, 
gebührt  ihnen  unbedingt  der  Vorzug:  das  gilt  insbesondere 
für  den  Schlufs,  der  die  Herkunft  des  Denkmals  bezeugt 

Auf  1  und  3  basiert  der  Text,  den  Waitz  im  Anhang 
zu  den  Excerpten  aus  des  Ordericus  „Historia  ecclesiastica" 
MG.  SS.  XXVI,  28  f.  gegeben  hat  und  der  hier  aus  rei- 
cherem Material  mehrfach  berichtigt  werden  konnte.  Diese 
kleinen  kritischen  Ergebnisse  allein  würden  den  neuen  Ab- 
druck kaum  rechtfertigen:  ich  brauche  aber  für  die  nach- 
folgenden Erörterungen  eine  präsente  Gnuidlage  und  habe 
mir  auch  gleich  erlaubt,  durch  Sperrdruck  die  intimeren  Be- 
ziehungen dieser  Version  des  Dietrich  (II)  zu  der  Version 
des  Otbert  (I)  hervorzuheben. 

Für  die  Eigennamen  hab  ich  in  deu  I^esarten  noch  die 
beiden  Bearbeitungen  in  mittelcnglischen  Versen  heran- 
gezogen, die  ich  darum  schon  hier  zur  Besprechung  bringe. 


1)  „Incidi  in  vetustum  quendam  Eborac.  «ut  Dunelmensis  ut  arbitror 
ecclesiae  codicem." 


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DIE  TANZER  VON  KÖLBIGK.  125 

B.  Roberts  von  Brunne  „Handlyng  Synne"  V. 
8990 — 9253  (od.  Furnivall  für  den  Roxhurghe  Club,  London 
1860).  Der  Verfasser  schrieb  im  Jahre  1303  in  Lincoln- 
shire  !,  sein  Werk  ist  zum  gröfsten  Teil  eine  einfache  Be- 
arbeitung des  „Manuel  des  pcchiez"  von  Wilham  de  Wa- 
dington,  aber  freilich  mit  Zusätzen  und  Exkursen  aus  eigener 
Belesenheit.  Als  er  an  die  Geschichte  von  dem  Tanzwunder 
kam,  welches  Wilham  V.  6886—6938  nach  einer  Handschrift 
des  Otbert  -  Briefes  ohne  Ortsangabe,  aber  mit  Beibehal- 
tung der  Namen  („Marscnt",  „Johan",  „Herbert")  als 
Exempcl  erzählt  hatte,  erinnerte  er  sich  der  ausführlicheren 
Fassung  und  bearbeitete  nun  in  der  Hauptsache  diese,  wo- 
für er  begreiflicherweise  das  Fünffache  der  Verszahl  brauchte. 
Er  behielt  freilich  die  französische  Vorlage  neben  sich  liegen 
und  notiert  bei  der  Fluchformel  des  Priesters  Robert  aus- 
drücklich die  Discrepanz  seiner  Quellen.  Den  Eingang  des 
Tanzliedes  liat  er,  wie  er  ihn  in  II  fand,  lateinisch  herüber- 
genommen und  ihm  den  Versuch  einer  englischen  Über- 
setzung beigefügt.  Seine  Wiedergabe  des  Ganzen  ist  reich 
an  Mifsverständnissen  und  Entstellungen  *. 

E.  Die  mittelenglischc  Legende  der  hl.  Editha,  die 
zuletzt  Horstmann  (Heilbronn  1883)  ediert  hat 8,  ein  jammer- 
volles Reimwerk  aus  dem  ersten  Drittel  des  15.  Jahrhunderts, 
berichtet,  wie  ihre  wohl  im  Manuscript  Rawlinson  C  938  er- 
haltene Quelle  4,  die  Geschichte  des  Tänzers  „Theodoricus" 
unter  den  Mirakeln  vom  Grabe  der  hl.  Editha,  zu  deren 
Preise  das  ganze  Opus  wohl  in  Wilton  selbst  verfafst  ist. 
Die  Darstellung  schleppt  sich  schlimmer  als  die  ödeste  Prosa 
durch  neunundfünfzig  vierzeilige  Strophen  (V.  4067 — 4302)  — 
und  kein  Name  wird  uns  dabei  geschenkt. 

Wenn  ich  nun  noch  daran  erinnere,  dafs  der  Schreiber 


1)  wo  von  den  obigen  Handschriften  3.  herstammt. 

2)  Bobert  sagt  freilich  V.  9024  f.  Here  names  of  aüc  thus  fände  y 
toryte,  And  as  y  toott  noto  shiä  gt  toyte,  hält  aber  dann  dies  Versprechen 
doch  nicht 

3)  Vgl.  meine  Rezension  Anz.  f.  d.  Altertum  X  (1884),  391  ff. 

4)  Der  wichtige  Hinweis  auf  dies  Manuskript  in  Furaivalls  Ausgabe 
der  „Handlyng  Synne"  war  Horstmann  und  mir  früher  entgangen. 


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f 

126  SCHRÖÜEli, 

der  Handschrift  E  der  „Florcs  historiarum"  der  Fassung  des 
Matthäus  Paris  resp.  Wilhelm  von  Malmesbury  einige  Korrek- 
turen und  Zusätze  aus  der  Dietrich-Fassung  einverleibt  hat 
(oben  S.  1 1 3),  so  bin  ich  auch  schon  mit  dem,  was  ich  über 
die  Verbreitung  dieser  Version  zu  sagen  habe,  zu  Ende. 

TEXT. 

Incfpit  de  duodecim  socils  toto  anno  girantibus. 

Romanos  orbis  novit  et  hodierna  iuventus  recolit  homines 
nova  inquietodine  corporum  divinitns  percussos  et  ubivis  gentium 
pervagatos,  ex  qnibus  qaattuor  nobis  conspectf  et  adhuc  superesse 
possunt  aliqui. 

&  Primo  tante  novitatis  relationem  dilecte  Christo  virgini  Edithe 
dedicamus,  apud  quam  tante  cladis  collega  memorabiliter  sanatus 
est  unus  nomine  Theodericus.  Hic  quoqne  multis  terris  sacrisque 
oratoriis  pererratis  ac  rnari  permenso,  novum  spectaculum  in 
anglicam  Britanniam  ipsique  regnatori  Eadwardo  in  admirationem 

10  venerat  debitam,  tandemque  piam  requietionis  sancte  Editbe  con- 
tigerat  basilicam.  Gepere  plerique  rüdes  hominem  quasi  vecor- 
dem  horrere,  et  ipse  sacre  virgines  tantam  miseri  penam  flere. 
Verum  ille  prudentia  notabilior  exponit  caosam  snam  et  testem 
de  pera  profert  cartam,  quam  in  persona  illius  chori  dictaverat 

15  Bruno  Tnllanns  episcopus  in  medio  civitatis  [/  in  Mettio  civitate?], 
qui  postea  papa  Leo  dictus  sanctissimum  lumen  emicuit  nostri  tetn- 
poris.  Cuios  descriptionis  vel  narrationis  hic  sensns  est  memorabilis. 

In  nocte  natalis  Domini  lucifera,  qua  lux  seculorum  est  orta, 
nos  duodecim  socü  in  vanitate  et  insania  venimus  ad  locum  qui 

20  dicitur  Colebecca  ad  basilicam  dedicatam  sancto  Magno  martiri 
sancteque  Buccestre  eius  sorori.  Dux  nobis  erat  nomine  Ger- 
h*vus,  ceteri  quoque  duodecim  maioris  fidei  gratia  hic  inserendi; 
sie  fuimu8  dicti:  Theodericus,  Meinoldue,  Odbertus,  Bovo,  Gerar- 
dus,  Wetzelo,  Azelinus,  Folcwaldus,  Hildebrandus,Alwardus,  Benna, 


Die  Überschrift  nur  in  1.  3;  in  1  folgt  noch:  Protest  saltirago 
res  haec  nova  miraque  mundo.  —  Z.  l  — u  nur  in  1.  2  [4  umschreibt];  im 
Zusammenhang  von  2  vorher  als  Übergang:  His  ergo  fidelitor  evo- 
lutus  (l.  evolutis)  cetera  exequamur  nostri  temporis.  Haec  eo  recensemus 
liberius  quo  visa  quam  audita  pereipiuntur  facilius.  —  7.  Teodricus 
immer  1.  Thedericus  (wechselnd  mit  Theodoricus,  Thedoricus)  E.  — 
9.  angelicam  2.  Edwardo  2.  —  12.  et  fehlt  2  —  13.  suam  cau- 
sam 2.  —  17.  inarrationis  2.  —  18  lucifera  fehlt  4.  —  10.  celebeca  2; 
Colebek  E.  Colbek  B.  —  21.  Gerleue  3.  4.  Gerlew  B.  Gerlevn  (Ger- 
len)  E.  —  23.  hic  fehlt  1.  4.  intereerendi  3;  fehlt  4.  25.  Ma- 
noldus  4.  Otbertus  4.  öbberte  E.  Bono  4.  E;  Beuo  B.  Gi- 
rardus  1.  —  24.  Weteelo  3.  Verselo  4;  WetzelinuB  1.  Atrelinus  3. 
Astelmus  (aus  Ateelinus?)  4.    Azelene  E.      Eoltwoldus  4;  Folpoldua 


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DIE  TÄNZER  VON  KÜLBIGK. 


127 


26  Odricus.  Quid  moramor  infelicitatem  nostram  exponere?  Tota 
causa  hec  erat  damnosi  conventus  nostri,  ut  uni  sodalium  nostro- 
rum  in  superbia  et  in  abusione  poellam  raperemus,  parrochiani 
presbiteri  filiam  nomine  Eodberti;  pnella  vero  dicebatnr  Ava. 
Kon  virginalis  nativitas  Domini,  non  christianitatis  memoria,  non 

so  totius  fidelis  populi  ad  ecclesiam  concurrentis  reverentia,  non  di- 
vine  laudis  audita  preconia  impudentiam  nostram  a  tanta  tempe- 
ravit  audacia.  Mittimus  geminas  pnellas,  Merswinden  et  Wibe- 
cinam,  qne  similes  similem  de  ecclesia  allactarent  ad  iniqnitatis 
nostre  choream,  quam  venabamur  predam.    Qnid  hoc  aucupio 

35  facilius?  Adducitur  Ava  ut  avicnla  irretita,  colligit  advenientes 
Bovo,  tarn  etate  prior  quam  stulticia.  Conserimus  manus  et 
chorollam  confusionis  in  atrio  ordinamus.  Ductor  furoris  nostri 
al luden s  fatale  Carmen  orditor  Gerlevus: 

Equitabat  Bavo  per  silvam  f rondosam, 
40  Ducebat  sibi  Merswinden  formosam. 

Quid  stamus?  cur  non  imus?" 

Istud  ioculare  inceptum  iusto  Dei  iudicio  miserabile  nobis 
est  factum.  Istud  enim  Carmen  noctes  et  dies  incessabiliter 
girando  per  continuum  redintegravimus  annnm.    Quid  multa? 

45  Finitis  nocturnalibus  sacris  prima  missa  tante  noctis  reverentie 
debita  incipitur,  nos  maiori  strepitu  quasi  Dei  ministros  ac  Det 
laudes  nostro  perdendo  cboro  superaturi  debacbamur.  His  auditis 
presbiter  de  altari  ad  ecclesie  ianuam  congreditur  nosqne  emissa 
voce,  ut  divinitati  daremus  honorem  et  more  christianorum  in- 

&o  traremus  ad  divinum  officium  contestatnr.  Sed  cum  nemo  ad- 
quiescere  vel  audire  vellet  obdurato  corde,  sacerdos  divino  zelo 
Dei  ultionem  per  sanctum  Magnum  martirem  imprecatus  est 
nobis  et  „Ab  isto"  inquit  „officio  ex  Dei  nutu  amodo  non  ces- 
setis!"    Dixerat,  atque  ita  nos  prolata  sententia  alligavit,  ut 

55  nullus  nostram  ab  incepto  cessare,  nullus  ab  alio  dissolvi  po- 
tuerit  At  presbiter  niittit  filium  nomine  Azonem,  ut  raptam  de 
medio  nostmm  in  ecclesiam  adducat  Avam  suam  sororem.  Sed  non 

1.  2.  £.  Heldebraudus  3.  4;  Hilbronde  £.  Alwarde  E.  Aluuardu» 
ton  and.  Hand  aus  Aluardus  2.  Aiuardus  4.  Aelwardus  3.  Benno  E. 
25.  Odoricus  E.  —  28.  presbiteri  fehlt  4.  Roberti  4.  Robert  B. 
Robarde  E.  Aue  B;  Ana  4.  Anna  E.  —  29.  nativitatis  4.  —  3t.  im- 
prudentiam  4.  temperant  4.  —  32.  Mersuinden  1.  2.  Mersuuidem  4. 
Merswynde  B.  Merfunden  E.  Wibetinam  4.  Uuibeccinam  3.  Vibe- 
cynam  1.  2.  Vmbecrnam  (d.  i.  Vuibecynam)  E.  Wybessyne  B.  —  33.  alleo- 
tarent4.  —  85.  farilius]  foelicius  4.  collegit4;  colligitque  1.  3;  eollegitr 
qne  MG.  —  37.  chorellam4.  Dux  4.  —  39.  frondosam  bis  4  0.  Mersuin- 
den lüfgt  aus  4.  —  41.  sibij  secum  B.  —  42.  nobis  fehlt  4.  —  4  3.  dies  et 
noctes  4.-4  5.  reuerentia  4.-4  6.  Dei  laude«]  de  laudes  2.  —  47.  su- 
peraturi fehlt  3.  debacamur  2.  —  60.  coutestatur  corr.  aus  testatur  3.  — 
56.  Azone  BE.  —  57.  nostro  nur  MG. 


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128 


SCHUUDEK, 


ita  resolubilem  inieoerat  nobis  manicam,  nimisque  tarde  ei  filie 
salus  venit  in  memoriam.    It  ille  patrio  precepto  arreptamque 

«o  mann  sororem  trahebat.  Inauditum  seculis  miraculum!  Totum 
brachium  sequutum  est,  suaque  compage  avulsum  in  man  am  tra- 
hentis  uJtro  recessit,  atque  illa  cum  reliqao  corpore  sociali  choro 
inseparabilis  adhesit  Maximoque  boc  maius  additur  prodigium, 
quia  exhansto  brachio   nnlla   nnqnam  gutta  sanguinis 

et  effluxit  Refert  filius  patri  munus  lamentabile,  refert  partem 
uate  quasi  ramum  de  arbore,  cetero  corpore  remanente,  cum  tali 
animadvereione:  „En  pater,  suscipe:  bec  est  soror  mea,  bec  filia 
tua,  quam  me  iussisti  adducere."  Tum  ille  luctuosus  et  sero 
penitens  sentencie  sue  solum  bracbium  sepelit  superstitis  nate. 

70  Miracola  miraculis  repensantur.  Sepultum  membrum  invenit  se- 
quenti  die  sammotenus  proiectum.  Iterum  sepelit,  iterum  postera 
die  inhumatum  repperit.  Tercio  sepelit;  tercio  nicbilominus  die 
altius  eiectum  offendit.  Quod  ultra  temptare  timens  in  ecclesia 
bracbium  recondidit    Nos  nullo  momento  intermittimus  chori- 

75  zando  circuire,  terram  pede  pulsare,  lacrimabiles  plausus  et  saltus 
dare,  eandem  cantilenam  perpetuare.  Semper  vero  insultabat 
nostre  pene  cantilene  regressus: 

„Quid  stamus?  cur  non  imus?" 

qui  nec  restare  nec  circulum  nostrum  mutare  potuimus.  Sicut 
80  autem  nullus  alius  rerum  nobis  dabatur  modus,  ita  quicquid  est 
humane  necessitatis  nec  fecimus  nec  passi  sumus.  Revera  enim 
in  toto  anno  illo  districte  expedicionis  nostre  nec  come- 
dimus  nec  bibimus  nec  dormivimus,  sed  neque  famem 
neque  sitim  neque  somnolentiam  nec  quicquam  carnalis  condi- 
86  cionis  sensimus.  Nox,  dies,  estas  torrida,  biems  gelida,  teni- 
pestates,  inundationes,  nivea,  grandines  uniyersaque  aeris  intem- 
periea  omnino  nos  non  tetigere,  nec  lassati  sumus  circulationis 
diuturnitate.  Non  capilli,  non  ungule  nostre  cresce- 
bant,  non  sunt  attrita  vestimenta  nostra.  Ita  cle- 
90  mens  erat  pena,  ita  suaviter  nos  torquebat  superna  dementia. 
Quas  terras  bec  fama  non  adiit?  Que  gens,  que  natio  ad  boc 
spectaculum  non  cucurrit?  Ipse  christianissimus  imperator  Hen- 
ricus  ut  audivit,  a  facie  altissimi  imperatoris  ut  cera  a  facie 
igni8  defluxit,  surTususque  ubertim  lacrimis,  iudicia  Domini  vera 


»9.  It]  $o  1.  2  (he  dude  go  E);  At  3.4.  arreptamque]  arreptam4; 
parot  arreptamque  3.  —  61.  avulsi3.  manu  4.  —  64.  exausto  2.  un- 
quam  fehlt  4.  —  67.  pater,  ait  3.  —  68.  me]  tu  4.  —  70.  Miraculis 
miracula  4.  invenit]  invenitur  3.  —  73.  ultro  4.  —  74.  condidit  4. 
—  7*.  circumire  1.  pulsare  et  1.  (MG.)  et]  ac  1.  (MG.)  —  76.  eandem- 
que  1.  (MG.)  perpetrare  1.  3.  (MG.)  —  7  9.  circulum]  sutulum  2.  — 
80.  autem]  ante  4.  —  84.  sitim  nec  2.  —  86.  que/eAA4.  —  87.  tetigere] 
tangere  4.  —  90.  nos  suaviter  4.  —  91.  Heinricus  nur  MG.     ut]  ubi  4. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


129 


S5  magntticavit  Tom  humana  benignitate  iussit  super  nos  tecta 
a  celi  turbine  defensoria  fabricari;  sed  frustra  laboraverunt 
artifices  lignarii,  quia  qoicquid  in  die  edificabatur  in  nocte  pe- 
nitns  evertebatur.  Hoc  semel,  hoc  bis,  hoc  eciam  tercio  coeptum 
et  caasatum  est  Sic  nobis  cum  toto  anni  circnlo  sub  nudo  aere 

loorotatis  rediit  mundo  fausta  et  remediabilis  nox  dominici  natalis. 
Illa  nos  alligarit,  illa  reversa  absolvit.  In  eadem  qoippe  hora 
temporis  reToluti  qua  vel  cepimus  iocari  vel  constricti  sumus  ore 
sacerdotali,  repentina  violentia,  quasi  in  ictu  oculi,  singulis  ma- 
nibus  ab  invicem  sumas  excussi,  ut  nullus  ab  alio  posset  reti- 

tosneri.  Eodemque  impetu  ecclesiam  ingressi  sobitoque  in  pavi- 
mentam  proiecti  post  longas  vigilias  triduo  integro  obdormivimus 
immoti.  Tercio  demum  die,  ubi  per  Resurgentem  a  mortuis 
surreximus  et  erecti  sumus,  tu  comes  longe  inquietudinis ,  tu 
causa  et  exemplum  taute  animadversionis,  que  dextram  amiseras, 

tiodatam  sociis  prevaricationis ,  iam  tuos  labores  fi nieras  et  somno 
perpetue  pacis,  ut  credimus,  dedita  quiescebas.  A?a  puella,  pa- 
terna  virga  nobiscam  percussa,  nobis  surgentibus  iacebas  mortua, 
Stupor  et  tremor  omnibus  hec  videntibus  facta!  Beata  cuius 
periit  unum  membrum,  ne  perires  tota,  que  divinis  flagellis  a 

1 1  &  corrupcione  servata  et  moriendo  a  morte  es  liberata!  —  Ipse 
quoque  presbiter  Rodbertus  proxima  morte  filiam  est  sequutus. 
Brachium  vero  puelle  insepelibile  imperator  Henricus  auro  argen- 
toque  fabricatum  ad  exemplum  Dei  magnalium  in  ecclesia  iussit 
dependere.  Nos,  licet  abinvicem  essemus  dissoluti,  tarnen  eosdem 

<20saltus  et  rotatus,  quos  simul  feceramus,  fecimus  singuli,  atque 
ita  singuli  iactu  membrorum  videbamur  tumultuari.  Stipat  nos 
frequens  populus  et  intuetur  nos,  quasi  tunc  primum  cepissemus. 
Notant  vestes  nostras,  crines,  ungulas  et  cetera  spectabilia  in- 
veniuntque  eodem  modo  omnia,  quo  fuerant  ante  fera  discri- 

t2&mina:  munda,  nitida,  integra.  Ita  ergo  ab  invicem,  quasi  con- 
versa  in  aliam  vindicta  penam,  sumus  seiuncti,  ut  qui  prius  non 
poteramus  separari,  iam  non  possimus  amplius  aggregari.  Ita 
vagamur  per  omnes  terms  dbpersi,  ut,  quibus  antea  nusquam 
licuit  prodire,  iam  nusquam  liceat  stabiles  durare.  Quocumque 

i30fogimu8,  iBte  nos  rotatus  membrorum  fugat  et  comitatur,  iamque 
nobis  plures  anni  tarn  districte  evagationis  censentur.  PropU 


96.  Tunc  4.  hum.  beo.]  humane  2.  humana  bis  tecta  fehlt  4.  — 
97.  lignarpm  1.  fabricabatur  3.  penitus  fehlt  3.  4.  —  98.  aver- 
tebatur  MG.  (Druck fehler) \  aubvertebatur  3.  4.  Hoc]  Nec  4.  in- 
coeptum  4.  —  102.  reaoluti  4.  —  103.  quasi  fehlt  4.  singuli  4.  —  104.  ad 
invicem  4.  ut  bis  106.  ingressi  fehlt  4.  —  108.  resurroximus  atque  4. 
ut  comes] coraestu 4.  —  lio.  datum  1.  (MG.)  aociis]  locus  4.  —  in.  vi- 
dentibus haec  facta  4.  —  ti&.  correptione  1.  —  ne.  morte]  nocte  2.  — 
U6.  dependi  4.  —  123.  et  ung.  1.  ac  ung.  MG.  —  126.  et  integra  1. 
(MG.)  —  127.  agregari  2.  —  129.  iam]  tarn  MG.  (Druckfehler). 

Zeit»cbr.  f.  K.-G.  XVII,  1  n.  2.  9 


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130 


SCHRÖDER, 


cius  Dens  propicietur,  quicumque  piis  precibus  nostram  vicera 
miseretur. 

Hec  Theodericu8  ille  et  ore  referens  et  litteris  testibus 

135  ostendens,  ipsoque  adhuc  motu  affirmans  aaltu  et  plausu  suo  inio- 
cundo  propicatricem  Editham  interpellabat  Hluxerat  mundo 
celebris  dies  dominice  annunciationis ,  et  omnibus  egressis  re- 
mansit  solus  apud  sanctam  virginem  advena  spectabilis:  cum  ecce 
prostratus  coram  obdorinivit  et  —  o  Dei  omnipotentia  et  apud 

noDeum  dilecte  sue  gracia!  —  evigilaus  homo  totus  sanus  surrexit. 
Videt  se  de  instabili  stare  posse  immobilem,  videt  se  totum 
factum  aui  compotem,  signansque  se  miratur  tarn  repentinam 
mutationem ,  miratur  deletam  sacerdotalis  alligationis  sentenciam 
indelebilem.    Concurrunt  passim  ad  maius  spectaculum,  magisque 

HS  iam  obstupescunt,  bominem  potuisse  ab  inquietudine  cessare,  quem 
obstupuerant  non  potuisse  quiescere.  Supervenientibus  quibusque, 
qua  leticia  poterat  exclamare:  „Videte",  inquit  „hec  benedicta 
doinina,  quam  vix  invocare  vix  nominare  recte  sciebam,  quid 
mihi  desperatisaimo  fecit,  quomodo  me  mihi  restituit  et  obpro- 

i5o  brium  meum  omnium  oculis  conspicuum  ab  omnibus  detersit.  Tot 
sancto8  requisivi,  sed  lucet,  quia  omnipotens  Deus  salutem  meam 
annuit  buic  sancte  virginil"  Quäle  tunc  erat  videre  eundem 
hominem  alium  atque  alium  factum:  prius  instabilem,  deinde 
constabilem,  bodie  importune  saltantem,  modo  opportune  astantem! 

155  Competenter  eciam  solutus  est  per  virginem  in  die  gaudii  vagi- 
nalis, in  die  dominice  conceptionis,  qui  ligatus  fuerat  in  die  do- 
minice nativitatis. 

Hec  in  presencia  Brichtive  ipsius  loci  abbatisse  declarata  et 
patriis  litteris  sunt  mandata,  Explicit 

Die  Handschrift  des  Ordericus  Vitalis  (1)  ist  allem  An- 
schein nach  die  älteste,  die  uns  das  Stück  überliefert, 
und  L.  Delisle,  der  den  schriftstellernden  Mönch  von  Saint- 
Evroul  als  Schreiber  auch  dieser  Blätter  erkannte,  glaubte 
a.  a.  O.  eine  deutliche  Stil  Verwandtschaft  mit  gewissen  viel- 


132.  Deus]  Uli  setzt  zu  3.  (MG.)  —  1 33.  miseratur  1 ;  misereatur  MG.  — 
134.  Von  Hec  bis  zum  Schlüsse  aus  4  nicht  erhalten.  —  136.  planxu  3.  — 
136.  Eadgithara  3.  —  137.  omnibusque  2.  —  139.  coram]  altari  Zusatz 
von  and.  Hand  3.  omnipotentiani  2.  —  14  0.  gratiam  2.  —  144.  in- 
delebilem] insolubilem  3.  —  14  9.  obprobium  2.  —  150.  ab  omnibus 
fehlt  3.  —  161.  liquet  3.  —  164.  et  hodie  3.  —  155.  eciam]  itaque  1. 
(MG.)  —  158.  Hec  —  mandata  fehlt  1:  stand  sicher  in  4.  Br.  i.  1. 
abbatisse]  memorate  abbatisse  Brihgtive  2.  —  169.  sunt]  sint3.  2  leitet 
zur  Fortsetzung  über:  Sed  bis  pro  magnitudine  sua  ae  uovitate  effusis 
liberius  cetera  que  reatant  suggeranms. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLUIGK. 


131 


gelesenen  Partieen  der  „Historia  ecclesiastica"  zu  entdecken. 
G.  Waitz  scheint  seiner  Beobachtung  stillschweigend  zuzu- 
stimmen, wenn  er  das  Tanzwunder  im  Anhang  zu  den  Aus- 
zügen aus  des  Ordericus  Kirchengeschichte  zum  Abdruck 
bringt 

Dafs  aber  Ordericus  diesmal  nicht  mehr  als  ein  ge- 
wissenhafter Abschreiber  gewesen  ist,  ergiebt  sich  schon  aus 
meinen  Andeutungen  über  das  Handschriftenverhältnis.  Wir 
haben  in  dem  erschliefsbaren  Archetypus  zunächst  ein  ent- 
schieden englisches  Produkt  vor  uns,  das  nach  dem  aus- 
drücklichen Zeugnis  von  Z.  5.  6  der  hL  Editha,  d.  h.  ihrem 
Kloster  zu  Wilton  gewidmet  ist :  an  ihrem  Grabe  zu  Wilton 
ist  Theodericus,  einer  der  Teilnehmer  des  ruchlosen  Tanzes, 
nach  langjährigen  Wanderungen  von  seinen  qualvollen  Lei- 
den erlöst  worden,  und  eben  um  dieser  Heilung  willen  ist 
das  ganze  Schriftstück  an  Ort  und  Stelle  abgefalst,  in 
welchem  ein  von  Bischof  Bruno  von  Toul  autorisierter  Be- 
richt des  Theodericus  über  das  eigentliche  Tanzwunder  den 
breitesten  Raum  einnimmt. 

Das  ganze  Werkchen  enthält  keine  Jahreszahl,  weder 
für  den  Tanz  zu  Colbeke,  noch  für  die  Heilung  zu  Wilton: 
es  weifs  nur,  dafs  der  Tanz  zur  Zeit  „Kaiser  Heinrichs"  1 
stattfand,  der  sich  persönlich  lebhaft  für  die  Unglücklichen 
interessierte,  und  es  setzt  dies  Auftreten  des  Theodericus  in 
England  in  die  Zeit  König  Edwards  (1042—1066).  In  Wilton 
hatte  man  wenigstens  später  genauere  Angaben,  die  uns  z.  B. 
das  mittelenglischc  Gedicht  des  15.  Jahrhunderts  (E.  V.  4299) 
umständlich  mitteilt:  danach  geschah  das  Heilwunder  im 
23.  Jahre  König  Edwards  des  Bekenners,  ein  Jahr  vor  seinem 
Tode,  d.  i.  1065  *. 

Die  Eingangszeilen  des  Schriftchens  stellen  die  Wande- 
rungen der  unglücklichen  Tänzer  über  den  ganzen  „orbis 
Romanus"  als  etwas  den  ältern  Zeitgenossen  durchaus  Be- 
kanntes hin:  „ex  quibtis  quattuor  nobis  conspecti,  et  adhuc 

1)  Der  Ausdruck  „  chriatianisßimus  imperator "  genügt  natürlich  nicht 
zum  Beweis,  dafs  der  Engländer  dabei  an  Heinrich  II.  denkt 

2)  Den  Tanz  setzt  dieser  Autor  allerdings  ins  17.  Jahr  König  Edwards, 
das  er  dann  fälschlich  als  1062  (statt  1059)  bezeichnet. 

9* 


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SCHBÖDEIt, 


superesse  possunt  aliqui".  Wir  haben  keinen  Grund,  an  der 
Wahrheit  dieser  Aussage  zu  zweifeln;  der  Verfasser,  der 
vom  Papst  Leo  IX.  (f  1054)  offenbar  als  einem  Verstorbenen, 
aber  doch  seinem  Zeitgenossen  (qui  postea  —  sanctissimum 
lumen  emicuit  nostri  temporis)  spricht,  der  für  Edward  den 
Bekenner  nur  den  schlichten  Ausdruck  „ipse  regnaior  Ed- 
wardus "  braucht,  er  schrieb  gewifs  noch  vor  der  normanni- 
schen Eroberung  und  kann  die  Heilung  des  Theodericus  am 
Grabe  der  hl.  Editha  so  gut  erlebt  haben,  wie  die  altern 
Klosterbrüder  Lamberts  von  Hersfeld  die  Heilung  des  Tän- 
zers Rudhard  am  Grabe  des  hl.  Wigbert.  Und  auch  der 
Schlufssatz  wird  alt  und  ursprünglich  sein,  wonach  der  Be- 
richt über  den  Vorgang  alsbald  in  Gegenwart  der  Äbtissin 
Brichtive  in  der  Landessprache  fixiert  wurde.  Ob  der  Ge- 
heilte wirklich  einer  der  Kölbigkcr  Bauern,  oder  ob  es  ein 
Schwindler  war  —  das  ist  eine  Frage,  die  wir  hier  nicht 
zu  entscheiden  haben  \ 

Entstand  der  Wiltoner  Bericht  schon  zur  Regierungszeit 
Edwards  des  Bekenners,  so  kann  ihn  recht  wohl  der  Mönch 
Goscelin,  oder  wer  immer  die  „Vita  S.  Edithae"  des  Ms. 
Rawlinson  C  938  schrieb  und  dem  Lanfranc  (f  1089)  zu- 
eignete, schon  selbst  in  den  Mirakelanhang  seiner  Biographie 
aufgenommen  haben. 

Älter  als  der  Wiltoner  Archetypus  unserer  Handschriften 
ist  natürlich  der  eingeschlossene  Bericht  vom  Tanzwunder, 
jenes  Schriftstück,  das  Theodericus  aus  seinem  Pilgergewande 
hervorzuziehen  pflegte.  Nach  seiner  Angabe  hatte  es  Bruno 
von  Toul  für  ihn  verfafst  Dafs  das  eine  Mystifikation  ist, 
erscheint  von  vornherein  wahrscheinlich  und  wird  gleich 
noch  deutlicher  werden.  Denn  wie  kam  der  Fälscher  gerade 
auf  den  lothringischen  Bischof?  Bei  Piligrim  von  Köln, 
den  der  Bericht  I  vorschiebt,  liegt  die  Sache  einfach  genug: 
das  war  eben  der  Nachfolger  des  sei.  Heribert,  der  nach 

1)  Um  eben  diese  Zeit  (ca.  1054)  eifert  der  Biograph  Godehards  von 
Hildesheim,  Wolfhere  HG.  SS.  XI,  226  heftig  gegen  das  Treiben  solcher 
Simulanten,  welche  „ante  dttaria  vel  sepulchra  sanetorutn,  w  cor  am 
populo  rolutanUs  pugnisque  tundentes,  sanatos  se  ilico  proclamant — 
blofe  um  den  Leichtgläubigen  das  Geld  aus  der  Tasche  zu  locken! 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


133 


dieser  Version  der  Kölbigker  Tanzwut  durch  sein  Gebet 
Einhalt  gethan  hatte,  also  die  berufenste  Autorität  Bruno 
von  Toul  hingegen  ist  über  die  Grenzen  seines  kleinen 
Sprengeis  und  gar  des  deutschen  Reiches  hinaus,  mag  er 
auch  (1027  —  1048)  das  Muster  eines  thätigen  Bischofs  und 
obendrein  ein  Vetter  des  deutschen  Kaisers  gewesen  sein, 
doch  erst  allbekannt  geworden,  als  er  im  Jahre  1048  zum 
Papst  gewählt  war.  Es  war  ein  kecker  Streich,  die  höchste 
Autorität  unter  dem  anspruchslosen  Gewände  ihrer  Ver- 
gangenheit zu  annektieren:  Bischof  Bruno  von  Toul  — 
das  war  eben  Papst  Leo  IX.  selbst. 

Ich  vermute  also,  dafs  der  Bericht  des  Dietrich  unter 
dem  Papat  Leos  IX.  (Dez.  1048  —  Apr.  1054)  auf  dem 
Kontinent  zustande  gekommen  ist,  wesentlich  in  der  Form, 
in  der  man  ihn  dann  in  den  letzten  Jahren  Edwards  des  Be- 
kenners zu  Wilton  dem  Mirakel  seiner  Heilung  einverleibt  hat. 

Aber  der  Bericht  *TI 1  hat  eine  Vorgeschichte :  er  ist  aus 
einem  ältern  Bericht  abgeleitet:  demselben,  der  auch  für  I 
die  Quelle  gebildet  hat  *II  aus  I  abzuleiten,  ist  direkt  un- 
möglich ;  gegen  die  umgekehrte  Herleitung  erheben  sich  ge- 
wichtige Bedenken,  und  unbedingt  ausgeschlossen  erscheint 
sie  jedenfalls  gegenüber  der  uns  allein  überlieferten  Wil- 
toner  Fassung  von  IL  Also  bleibt  nur  die  gemeinsame 
Quelle.  Dafs  das  eine  litterarische  Vorlage  war,  darüber 
lassen  die  durch  Sperrdruck  aus  II  herausgehobenen  Aus- 
drücke, die  sich  zum  Teil  wörtlich  so  in  I  wiederfinden, 
keinen  Zweifel,  dafs  sich  auch  diese  Vorlage  als  Bericht 
eines  Teilnehmers  gab,  ist  eine  Annahme,  der  mindestens 
nichts  widerspricht,  während  die  Hypothese,  die  beiden  seien 
selbständig  auf  die  Form  des  Originalberichtes  gekommen, 
oder  es  habe  dem  einen  von  beiden  die  von  dem  andern  be- 
reits gewählte  Einkleidung  als  Muster  vorgeschwebt,  ge- 
künstelt erscheinen  mufs. 

Diese  erschliefsbare  „Originaldarstellung"  nun,  die  wir 
fortan  OD.  (Otbert  -f-  Dietrich)  nennen  wollen,  ist  in  *II 


1)  so  will  ich  den  eigentlichen  Bericht  des  Dietrich  zum  Unterschied 
von  II,  dem  Wiltoner  Erzeugnis,  das  ihn  umschliefst,  nennen. 


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134 


SCHRÖDER, 


inhaltlich  treu  und,  wie  es  scheint,  Zug  um  Zug  bewahrt  und 
nur  mit  stilistischer  Prätension  ausgestattet,  zu  der  aber 
vielleicht  schon  OD.  durch  die  Vorliebe  für  Anapher,  Asyn- 
deton, Streben  nach  Variation  und  Antithese  Anregung  gab; 
der  bequeme  Schmuck  des  Endreims  ist  hinzugekommen, 
ohne  mit  fester  Absicht  durchgerührt  zu  werden.  —  Die  Fort- 
lassung der  bestimmten  Angaben  von  Zeit  und  Land  (Saxonia!) 
hat  wohl  erst  die  Wiltoner  Umschrift  verschuldet,  in  der 
anderseits  der  hl.  Magnus  offenbar  mit  einem  insularen 
Namensgenossen  konfundiert  und  ihm  eine  Schwester  des 
heimischen  Namens  Buccestra  beigegeben  worden  ist. 

In  I  dagegen  ist  die  Vorlage  wesentlich  gekürzt  und  in 
einer  Weise  entstellt,  die  nur  bei  Niederschrift  aus  dem 
Gedächtnis  möglich  war.  Hinzugekommen  ist  die  Person 
und  Wunderthätigkeit  des  Kölner  Erzbischofs  Heribert 
(999—1021). 

Der  Autor  von  I  schrieb  im  romanischen  Teil  der 
Kölner  Erzdiöcese  und  berief  sich  auf  Heriberts  Nachfolger 
Piligrim  (1021 — 1036),  der  Autor  von  *II  war  wohl  auch 
ein  Westromane,  der  zur  Zeit  Leos  IX.  seine  Redaktion 
herstellte. 

Dafs  I  aus  dem  Gedächtnis  schrieb,  dafür  spricht  Fol- 
gendes : 

1)  I  giebt  die  Zahl  der  Teilnehmer  auf  18  an:  15  Männer 
und  3  Frauen;  in  II  dagegen  sind  es  aufs  er  dem  Reigen- 
führer 12  Männer  und  3  Frauen.  Man  sieht  deutlich,  wie 
die  Zahl  in  I  entstanden  ist:  die  Gesamtzahl  wird  nur  auf 
die  Männer  bezogen,  und  dann  werden  die  Frauen  nochmals 
addiert.  Ganz  ähnlich  ist  es  später  dem  Johannes  Junior 
gegenüber  Vincenz  von  Beauvais  ergangen:  aus  „18  : 15  -f-  3" 
hat  er  gemacht  „33:18  +  15";  aber  bei  I  wäre  der  Fehler 
doch  nicht  recht  begreiflich,  wenn  er  die  Quelle,  die  die 
12  namentlich  aufzählte,  vor  sich  liegen  hatte. 

2)  Die  (1  +)  12  -f  3  Namen  der  Teilnehmer  sind  noch 
in  II  in  einer  Weise  überliefert,  die  unbedingt  Vertrauen 
erwecken  mufs:  lauter  gute  deutsche  Namen  und  bei  latei- 
nischen Endungen  großenteils  echte  niedersächsiche  Formen 
—  trotz  dem  mehrfachen  Durchgang  durch  nichtdeutsche 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


135 


Handschriften.  I  dagegen  hat  mit  II  nur  den  Namen  des 
Priesters  (Bätkberius  I,  Rotbertus  II),  ferner  den  einer 
Tänzerin  ( Mersint  I,  Merswinda  \I)  und  den  eines  Tänzers 
gemeinsam,  der  eben  hier  der  Erzähler  ist  (Othbertus  I, 
Odbertus  Tl);  die  übrigen  Namen  sind  ihm  offenbar  ent- 
fallen, denn  nur  so  ist  es  erklärbar,  dafe  er  in  der  Ver- 
legenheit beidemal,  wo  er  doch  einen  Namen  brauchte,  zu 
„Johannes"  gegriffen  hat» 

3)  Auch  dafs  I  die  Mersint  gerade  zur  Priesterstochter 
macht,  halt  ich  für  eine  Kontamination  des  Gedächtnisses. 
Von  den  drei  Frauen  der  Vorlage  OD.  traten  zwei  bemer- 
kenswert hervor:  die  Priesterstochter  in  II:  Am  und  die 
Heldin  des  Tanzliedes  (in  II  Merstcindis).  In  I  fiel  nur  das 
Tanzlied  fort,  aber  der  Name  klang  dem  Autor  noch  im 
Ohre,  und  so  ward  er  auf  die  Priesterstochter  übertragen, 
deren  Name  ihm  ebenso  wie  der  Name  des  Bruders  ent- 
fallen war. 

Bei  der  sichtlichen  Knappheit  von  I  und  der  rhetori- 
schen Umständlichkeit  von  H  würde  die  Rekonstruktion  der 
gemeinsamen  Vorlage  immerhin  unsicher  bleiben,  wenn  uns 
nicht  zur  Kontrole,  wieder  durch  Gelegenheitsaufzeichnung, 
noch  eine  dritte  Fassuug  erhalten  wäre. 

IU.  Die  Erzählung  der  Pariser  Handschrift  9560. 

Die  Handschrift  der  Bibliotheque  nationale  zu  Paris: 
Fonds  latin  9560  (ehemals  Suppl.  lat.  1539),  aus  der  allein 
ich  den  folgenden  Text  kenne,  ist  ein  Pergaraentcodex  des 
11.  Jahrhunderts  mit  den  Homilien  des  Gregor:  auf  der 
Vorderseite  des  ersten  Blattes,  die  leer  gelassen  war,  hat 
„une  main  allemande  du  XIIe  siecle"  das  Tanz  wunder  ein- 
getragen. Die  erste  Kunde  von  dieser  Version  gab  L.  De- 
lisle  (Journal  des  Savants  1860,  p.  578  f.),  und  seiner  oft 
gerühmten  hilfsbereiten  Gefälligkeit  verdank  ich  auch  eine 
eigenhändige  Abschrift  des  merkwürdigen  Stückes. 

TEXT. 

Anno  incarnationis  domtni  nostri  Jhesu  Christi  millesimo  XVIII 
indictione  XV  in  loco  qui  dicitur  Colebeke,  ubi  reliquie,  Ma&ni 
martyris  in  ecclesia  habentur,  faerant  in  ipsa  nocte  natiyitatis 


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136 


SCHRÖDER, 


Salvatoris  domini  nostri  Jhesu  Christi  in  atrio  ipsius  aecclesi^ 
&  lnsibus  et  lasciviis  dediti,  choreis  et  saltationibus  operam  dantes 

hi  XXVII,  quorum  hec  nomina  sunt:  Othelrihc,  Hereman,  Thie- 
derihc,  Meinnolf,  Gerold,  Oerlahc,  Martin,  Lambreth,  Heinrich, 
Wezel,  Fritherich,  Arnolt,  Johan,  Siwart,  Hezzel,  Amelrich,  Alret, 
Bdoto,  Wunekin,  Berenarth,  Bio,  Wilhelm,  Oerath,  Vocco,  Adel- 
te olt,  Walthelm,  Mersnit,  quae  sola  inter  alios  femina  erat;  qui 
omne8  ipsam  eacrosanctam  nativitatem  Domini  cum  debito  honore 
non  venerantes  (!).  At  sacerdos  Dei  dorn  ad  missam  celebrandam 
indutus  esset  et  eos  ad  misaarum  sollempnia  invitaret,  pre.ceptum 
eins  despicientes  obe^dire  ei  noluerunt  Cumqne  secondc  ac  tertio 

ift  exiens  eadem  repeteret,  respondernnt ,  se  propter  miasam  nullo 
modo  recessuros,  donec  cantilena  finita  esset. 

Tnnc  presbiter  commotus  in  iram  dixit:  „Quia  Dei  precepta 
per  me  indignum  eins  sacerdotem  contempnitis  et  divinum  offi- 
cium spectante  popnlo  celebrare  non  sinitis,  faciat  Deus  per  me- 

20  rita  sancti  martyris  sui  MAGNI,  nt  toto  ißto  anno  non  recedatis 
de  loco  in  quo  ambulatis,  nec  alind  quam  qnod  modo  in  ore 
habetis  dicatie."  Qni  nondum  preceptis  Dei  et  sacerdotis  ein» 
obtemperare  volnerunt 1 ,  ideo  ultionem  divini  flagelli  meruerunt. 
Et  martyr  Christi  quam  preclarus  extat  in  nomine,  tarn  magni- 

26  ficue  effulsit  insigni  huios  ammiratione.  Et  post  predicta  verba 
accessit  presbiter  ad  filiam  suam,  que  etiam  cnm  aliis  chorum 
ducebat,  eam  per  brachinm  apprehendebat,  ut,  si  fieri  posset, 
secum  traheret  et  ad  Qcclesiam  reduceret  Quod  statim  tarn 
leviter  secutum  est,  ac  si  nullo  modo  corpori  adhereret,  ita 

so  tarnen,  quod  mirum  dictu  est,  ut  neqne  sangois  exiret  neque 
lesionem  ullam  sentirei  Quod  dum  factum  secum  ipse  miraretur, 
apprehensum  brachinm  portavit  in  qcclesiam,  ut  peracto  divino 
officio  terra  cooperiret,  sed  illud  vi  quadam  divina  cum  summa 
velocitate  velut  avis  in  medium  chori  circulum  pervenit  ibique 

3»  in  modum  angmJle.  volutari  cej>it.  Post  peracta  missam m  sol- 
lempnia  iterum  brachium  sumentos  terra  cooperuerunt,  sed  illud 
nihilominu8  velut  vermis  de  terra  exiliens  iterum  in  medium 
chorum  pervenit,  ibique  in  medio  usque  ad  annum  duravit.  Im- 
plentur  verba  sacerdotis  divino  nutu  loquentis.    Totum  illum 

40  annum  in  eiadem  cantationibus  et  saltationibus  duxerunt:  non 
manducantes  neque  bibentes  neque  frigus  neqne  aestum  sentientes, 
non  scissuram  in  calciamentis  vel  in  aliis  vestimontis  habentes, 
donec  ad  umbilicum  terram  inambulaverunt  At  parentes  eorum 
dum  sepe  fabricam  super  eos  construerent,  quod  vespere  ^difica- 

4  t  verunt,  mane  non  invenerunt.  In  ipsa  hora  nona  cottidie  odor 
quidam  suavissimus  velut  aura  lenis  eorum  näres  et  pectora  re- 
pleverat,  quo  refocilati  et  velut  omni  dulcedine  ciborum  repleti 

1)  Handschr.  voluemnt. 


- 


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DIE  TANZER  VON  KÖLBIGK. 


137 


nullam  fameni  senserunt  In  hoc  labore  et  mira  Dei  potentia 
per  totum  epacium  anni  durantes  perveniunt 1  ad  ipsam  sacram 

&o  noctem  nativitatis  Domini.  In  ipsa  hora  et  in  eodem  momento 
quo  ligati  erant  solvit  divina  dementia,  et  mox  venernnt  in 
ecclesiam  pro  delictis  suis  deprecantes.  Ubi  prostrati  per  duas 
noctes  et  unum  diem  iacentes  nnllum  verbum  locuti  sunt,  et 
nullum  motum  patientes(l).    Quo  loco  filia  presbiteri  et  unus  ex 

s»eis  obierunt  Tertio  quoque  die  ad  se  ipsos  redeontes  de  Qcclesia 
expulsi  sunt  et  capti  a  parentibus  non  sine  quadam  violentia 
balneati  et  vestiti  sunt.  Ad  quorum  tactum  vestimenta  sua,  que. 
illesa  permanserunt  et  amplius  ei  liceret  eis  uti  non  vetera- 
scerent,  ut  tela  aranearum  defecerunt  et  velut  fumüs  evanuerunt. 

«o  Ex  quo  tempore  per  totum  orbem  dispersi  sunt,  ut  in  eis  exem- 
plum  ostendat  Dens  omnibns,  quantae  ultionis  sit  opus  Dei  negle- 
gere  et  sacerdotibus  eins  non  obedire. 

Den  deutschen  Ursprung  der  Handschrift  bestätigt  auf 
den  ersten  Blick  die  korrekte  und  dabei  dialektisch  gefärbte 
Schreibung  der  Eigennamen.  Da  es  sich  um  eine  Auf- 
zeichnung des  12.  Jahrhunderts  handelt,  so  wird  schon  durch 
das  th  in  Thiederihc  und  besonders  in  Öthelrihc,  Fritherich 
ganz  Oberdeutschland  und  der  Bereich  der  sogen,  ober- 
frankischen  Dialekte  von  vornherein  ausgeschlossen.  Ander- 
seits sprechen  die  Diphthonge,  speziell  das  uo  in  Buovo  und, 
mit  anderer  Schreibung,  in  Othel-  und  das  konstante  vier- 
malige hochdeutsche  -rieh  (-rihe)  mehr  oder  weniger  be- 
stimmt gegen  Niedersachsen.  Es  bleibt  das  mittelfrankische, 
trierische  und  besonders  kölnische  Gebiet  übrig.  In  der 
That  treffen  wir  alle  auffälligen  Erscheinungen  der  Ortho- 
graphie in  den  Namenlisten  der  kölnischen  Schreinsurkunden 
(ed.  Höniger,  Bonn  1884—1894)  wieder.  Sehr  üblich  ist 
hier  die  Schreibung  des  di  als  he:  es  genüge,  auf  die  ver- 
schiedenen Diederihc  Bd.  II  2,  49  und  auf  die  Gerldhc 
Bd.  II  2,  50  zu  verweisen;  th  für  hl  ist  an  der  Tages- 
ordnung: unser  Lambreth  steht  Bd.  II  2,  37  neunmal!* 
Für  den  Ausfall  des  h  in  Bernart  (Bd.  II  2,  27)  und  Gerart 


1)  Handschx.  perveni  .  .  . 

2)  Auch  einlaches  -t  ist  häufig:  der  Alret  unserer  Liste  wird  doch 
wohl  nur  Entstellung  aus  Albret  sein,  das  sehr  oft  (z.B.  Bd.  II  2,  61  f. 
mehrfach)  vorkommt. 


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SCHBÖDEli, 


(Bd.  II  2,  32)  bedarf  es  am  Niederrhein  noch  weniger  der 
Belege.  Ganz  charakteristisch  kölnisch  aber  erscheint  der 
differenzierende  Ausfall  des  zweiten  r  in  der  Form  Garath 
unserer.  Handschrift:  sie  ist  in  der  zweiten  Grofsbürgerliste 
(IV  2)  als  Gerat,  in  der  Gildeliste  als  Gerradus  und  Geradh 
(Bd.  II  2,  50  f.)  überliefert  \ 

Mit  dem  konsequenten  th  für  normalhochdeutsches  d 
erhalten  wir  auch  ein  Mittel  zur  chronologischen  Begren- 
zung. Dies  th  beginnt  im  Inlaut  schon  in  der  ersten  Hälfte 
des  12.  Jahrhunderts  dem  d  (zuweilen  t)  zu  weichen,  im  An- 
laut hält  es  sich  nur  vereinzelt  bis  ins  letzte  Drittel  des 
Jahrhunderts  hinein.  Die  beiden  nach  Höniger  die  Zeit 
zwischen  ca.  1135  und  1180  umspannenden  Grofsbürgerlisten 
(Bd.  H  2,  16—45)  und  die  wohl  annähernd  der  gleichen 
Zeit  angehörige  Gildeliste  (Bd.  II  2,  47—57)  kennen  die 
Schreibung  gar  nicht  mehr  2,  in  den  Bürgerlisten  der  Laurenz- 
pfarre  1135—1175  (Bd.  II  2,  68—74)  und  der  Martins- 
pfarre ca.  1159  —  1169  (Bd.  II  2,  58 — 67)  kommt  sie  ver- 
einzelt, in  den  ältesten  Schreinsurkunden  von  Niederich 
(ca.  1150—1172)  noch  Öfter  vor. 

Die  Datierung  unserer  mittelfränkischen  Handschrift  mit 
„vor  1170"  mag  der  Vorsicht  Genüge  thun,  mit  „um  1150" 
werden  wir  aber  wohl  dem  richtigen  näher  kommen. 

Eine  Aufzeichnung  also,  die  zeitlich  fast  mit  der  ältesten 
Uberlieferung  von  I  (Wilhelm  von  Malniesbury:  um  1140) 
und  von  II  (Ordericus  Vitalis:  vor  1142)  zusammenfällt,  — 
die  Abfassung  ist  auch  hier  wesentlich  früher  anzusetzen. 
Zwar  hat  HI  keinerlei  Berufung  auf  eine  Autorität  noch 
sonstigen  chronologischen  Anhalt,  aber  wenn  es  am  Schlüsse 
von  den  Tänzern  heifst:  Ex  quo  tempore  per  totum  orbem 
dispersi  sunt,  ut  in  eis  exemplum  ostendat  Deus  etc.,  so 
scheint  dies  Präsens  doch  auf  die  Zeit  hinzuweisen,  wo  die 
schweifenden  Tänzer  noch  vielfach  gesehen  wurden:  also 
vor  oder  um  die  Mitte  des  11.  Jahrhunderts. 

Die  objektive  Darstellung  in  der  dritten  Person  würde 


1)  Höniger  deutet  sie  irrig  als  Ger- rat 

2)  abgesehen  natürlich  von  der  Latinisiening  Theodericus  etc. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


allein  nicht  hindern,  die  Fassung  III  aus  OD.  abzuleiten: 
wir  haben  ja  schon  gesehen,  wie  im  13.  Jahrhundert  Vincenz 
von  Beauvais  den  Ich-Bericht  des  Otbert  ganz  ähnlich  um- 
geschrieben hat.  Allein  der  ganze  Bericht  steht  in  der 
legendarischen  Umbildung  des  Vorgangs  noch  auf  einer 
früheren  Stufe. 

Am  weitesten  vorgeschritten  ist  I:  die  Tänzer  werden 
durch  die  Fürsprache  eines  wunderthätigen  Kirchenfürsten 
nicht  nur  von  der  Tanzwut  erlöst,  sondern  auch  ante  aUare 
sandi  Magni  ecclesiae  (so  4 — 8)  reconciliati;  ein  Mann  und 
die  drei  Frauen  geben  sofort  den  Geist  auf,  andere  sterben 
bald  darauf  und  thun  gar  Wunder  (miraetdis  choruscant)  — 
kurzum  der  alte  Zug,  dafs  die  Überlebenden  noch  dauernd 
von  einem  heftigen  tremor  membrorum  geplagt  werden,  ist 
bei  dieser  Darstellung  eigentlich  sinnlos.  Er  ist  nur  bei- 
behalten, um  die  Existenz  des  landfahrenden  Epileptikers  und 
seinen  Bettelbrief  zu  rechtfertigen,  und  er  wird  törichter 
Weise  damit  erklärt:  das  sei  von  Gott  in  signo  recordaüonis 
vel  potius  approbationis  ( ! )  geschehen. 

II  ist  nicht  so  unvorsichtig:  mit  der  Auflösung  des 
tollen  Reigens,  die  auch  hier  nach  genau  einem  Jahre,  aber 
ohne  Eingreifen  frommer  Fürsprache  erfolgt,  ist  nur  der 
erste  Teil  der  Strafe  abgebüfst :  nach  einem  dreitägigen  Schlaf 
auf  dem  Pflaster  der  Kirche  beginnt  die  Unruhe,  das  Tanz- 
fieber von  neuem,  nur  dafs  jetzt  die  einzelnen  für  sich  weiter 
rasen  und  sich  bald  über  die  Lande  zerstreuen.  Aber  schon 
hier  bilden  die  Tänzer  einen  Gegenstand  schauriger  Er- 
bauung für  die  herbeigeströmte  Menge.  Und  wenn  Kaiser 
Heinrich  gar  den  abgerissenen  Arm  der  Pfarrerstochter  wie 
eine  Reliquie  in  Gold  und  Silber  fassen  lälst1,  so  ist  doch  wohl 
schon  in  OD.  halbwegs  die  Auffassung  von  I  angebahnt. 

III  dagegen  hat  davon  ganz  und  gar  nichts.    Hier  wer- 

1)  Nach  Harpsfield  8. 207  »oll  dieaer  Ann  im  Jahre  1098  nach  Eng- 
laad gelangt  sein.  Der  prosaische  „Brut",  den  er  citiert,  offenbar  der  des 
Ms.  Hart.  636,  war  mir  unzugänglich ;  aber  wenn  der  Verf.  sich  wirklich  auf 
Eadmer  von  Canterbury  beruft,  so  ist  das  verdachtig:  Eadmer  (ed.  Rule 
S.  107  ff.)  berichtet  nämlich  gerade  beim  Jahre  1098,  wie  die  Königin  Imma 
(vor  1085)  einen  Armknochen  des  hl.  Bartholomäus  erworben  habe! 


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140 


SCHRÖDER, 


den  die  nach  Jahresfrist  von  ihrer  Tollheit  befreiten  Tänzer, 
als  sie  nach  dreitägiger  Sprach-  und  Regungslosigkeit  wieder 
zu  sich  kommen,  aus  der  Kirche  hinausgetrieben  (ezptdsi), 
von  ihren  Eltern  eingefangen  (capti)  und  non  sine  quadam 
violentia  gebadet  und  bekleidet.  Das  ist  gewifs  ursprüng- 
lich, ja  wir  dürfen  getrost  sagen:  historisch! 

Wir  können  nunmehr,  wenn  wir  von  der  nicht  ganz  abzu- 
leugnenden Möglichkeit  komplizierter  Mischverhältnisse  ab- 
sehen, als  genügende  Grundlagen  für  eine  Rekonstruktion  von 
OD. bezeichnen :  1)  die  Ubereinstimmung  von  I  und  II;  2)  die 
Ubereinstimmung  von  I  und  III;  die  von  II  und  HL 

Daraus  ergiebt  sich,  dafs  OD.  aufser  dem  gemeinsamen 
Bestand  von  I.  II  angehörte: 

1)  aus  I  die  Fluchformel,  welche  den  Kirchensclulndern 
sofort  wünscht,  dafs  sie  ein  ganzes  Jahr  so  forttanzen  mö- 
gen. Wahrscheinlich  ist  das  amodo  von  II  nur  eine  Ver- 
lesung aus  anno  (abgekürzt  am  resp.  äo); 

2)  ebenfalls  aus  I  der  Zug,  dals  sich  die  Leiber  der 
Tanzenden  immer  tiefer  in  die  Erde  einwühlen ; 

3)  aus  II  die  vollständige  Namenliste  der  Tänzer; 

4)  aus  II  die  ganze  Spukepisode  mit  dem  ausgerissenen 
Arm  der  Priesterstochter,  der  aller  Versuche,  ihn  zu  be- 
graben, spottet.  Sie  ist  in  II  und  III  mit  annähernd  glei- 
cher Ausführlichkeit  erzählt,  aber  doch  im  einzelnen  so  ab- 
weichend, dafs  auch  dadurch  ein  direkter  Zusammenhang 
zwischen  II  und  III  ausgeschlossen  erscheint. 

Immerhin  bleibt  auch  nach  Festlegung  dieser  Grundsätze 
der  Rekonstruktion  noch  allerlei  zur  Erledigung  übrig.  Hier 
seien  zunächst  zwei  Punkte  besprochen.  Als  Schauplatz 
des  Tanzes  wird  in  I  Z.  9  und  demnach  in  der  breiten 

— _  _ 

Uberbeferung  das  „eimiterium"  bezeichnet,  in  II  Z.  37  und 
HI  Z.  4  das  „atrium",  das  also  auch  für  OD.  sicher  anzu- 
setzen ist  Unter  „atrium"  aber  kann  freilich,  wie  man  aus 
Du  Cange  (ed.  Favre)  I,  453  f.  und  Otte,  Handbuch  der 
christl.  Kunstarchäologie  I5,  82  f.  ersieht,  recht  Verschiedenes 
verstanden  werden.  Für  das  „atrium"  der  Kirche  zu  Kölbigk 
ist  jedenfalls  zweierlei  zu  beachten:  1)  es  war  unbedacht, 
wie  die  von  allen  drei  Fassungen  überlieferte  Geschichte 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK.  141 

vom  Schutzdach  zeigt ;  2)  es  war  ungepflastert,  denn  nur  so 
hat  der  Bericht  von  I  Z.  23  ff.  und  III  Z.  43  Sinn,  dafe  sich 
die  Leiber  der  Tanzenden  tief  in  die  Erde  einwühlen.  Dadurch 
erfahren  die  Ausführungen  Ottes  eine  Ergänzung:  es  gab 
offenbar  in  jener  frühen  Zeit  unter  einfachen  Verhältnissen 
geweihte  (und  mit  Asylrecht  ausgestattete)  Vorräume,  die  wohl 
oft  nur  in  primitiver  Weise,  etwa  durch  behauene  Steine  mit 
dem  Kreuzeszeichen,  markiert  waren.  Das  „cimeterium" 
konnte  ein  Teil  dieses  „atrium"  oder  mit  ihm  identisch  sein. 

In  I  ist  nur  einmal  von  nosira  cantilena  die  Rede,  in 
III  bringen  sie  das  Jahr  in  eisdem  cantattonibus  et  salta- 
tionibus  hin:  nur  II  giebt  den  Anfang  des  Tanzliedes  und 
mit  ihm  den  Refrain  „Cur  Sturmis?  quid  tum  imus?"  dessen 
schauerliche  Ironie  das  Treiben  des  Rasenden  das  ganze 
Jahr  hindurch  begleitet.  Dies  bedeutungsvolle  Motiv  kann 
kein  Zusatz  von  II*  oder  gar  II  sein,  um  so  weniger  als 
die  beiden  ersten  Zeilen  der  Strophe  durch  zwei  Namen 
mit  der  Liste  der  Tänzer  eng  verknüpft  sind.  Und  diese 
liste  der  Tänzer  in  II  ist  alt :  also  mit  ihr  auch  das  Lied, 
das  in  I  und  III  fortgefallen  ist. 

Wir  wenden  uns  nun  dieser  Liste  zu :  sie  umfaßt  in  II 
1  und  12  Männernamen,  zu  denen  sich  gleich  beim  Beginn  der 
Erzählung  die  Namen  dreier  Frauen  gesellen ;  in  III  werden 
27  Teilnehmer  namentlich  aufgeführt  Dabei  kehren  die  folgen- 
den Namen  in  beiden  Listen  wieder  —  ich  füge  jedesmal  den 
Platz  bei,  der  ihnen  hier  und  dort  in  der  Reihenfolge  zukommt: 
II  III 

2  Theodericus  3  Thiederihc 

3  Meinoldus  4  Meinnolf 

[4  Odbertus  fehlt,  vgl.  aber  I] 

5  Bovo  18  Buovo 

6  Gerardus  23  Gerath 

7  Wezelo  10  Wezel 

(15)  Merswindis  27  Mersuit 

Man  beachte:  1)  daTs  unter  den  sechs  zusammenstim- 
menden Namen  sich  Buovo  und  Mersuit  d.  i.  die  beiden 
befinden,  die  auch  im  Eingang  des  Tanzliedes  auftreten; 


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142 


SCHRÖDER, 


2)  dals  die  Namen  2—3,  5—7,  also  eine  fast  geschlossene 
Gruppe  aus  dem  Eingang  der  Liste  von  II,  in  III  wieder- 
kehren, freilich  versprengt,  aber  doch  so,  dals  auch  hier  gleich 
zu  Anfang  die  Namen  Thiederihc  und  Meinnolf 1  in  gleicher 
Folge  erscheinen.  Es  hat  durchaus  den  Anschein,  als  ob  der 
Urheber  von  HI  die  Liste,  wie  sie  in  II  überliefert  ist,  trümmer- 
haft im  Gedächtnis  bewahrte  und  nun  ohne  viel  Bedenken  er- 
gänzte und  vermehrte.  Möglich,  dals  dieser  Liste  noch  der 
Vocco  (24)  angehörte,  der  dem  Folctoaldus  in  II  (9)  als  Kose- 
form entsprechen  könnte;  auch  Othelrihe  (III,  1)  und  Odricus 
(II,  13)  Gerlahc  (II,  6),  und  Gerkvus  (II,  1)  könnten  immerhin 
zusammenhangen,  Wunekin  liefse  sich  als  Entstellung  aus  dem 
Frauennamen  Wibecina  (Wiuekin)  erklären  (s.  u.);  bei  dem 
Rest  der  Namen  ist  jeder  Zusammenhang  ausgeschlossen. 

Dafs  es  sich  bei  III  um  eine  Zusammenstellung  aus 
Erinnerung  und  Willkür  handelt,  wird  durch  folgende  Be- 
obachtungen noch  wahrscheinlicher  gemacht:  1)  Unter  den 
Namen  von  III,  die  in  II  keinerlei  Entsprechung  haben, 
befinden  sich  die  beiden  kirchlichen  Namen  Martin  und 
Johan:  sie  sind  beide  auf  romanischem  Boden  wie  in  den 
niederrheinischen  Grenzlanden  häufig;  für  sächsische  Bauern 
des  11.  Jahrhunderts  sind  sie  unmöglich.  II  bietet  denn 
auch  ausschließlich  deutsche  Namen.  —  2)  Die  Namenformen 
in  OD.  waren  durchgehends  latinisiert,  die  von  III  werden 
in  der  heimischen  Form  geboten,  und  dabei  lassen  sich 
neben  vorwiegend  mittelfränkischer  Schreibimg  nur  in  Mer- 
suit  und  in  Wunekin  niederdeutsche  Lauterscheinungen 
beobachten.  —  3)  In  II  dagegen  widersprechen  die  Namen, 
wenn  wir  die  Latinisierung  in  Rechnung  ziehen,  der  Her- 
kunft aus  dem  ostsächsischen  Gebiet  in  keinem  Falle,  was 
um  so  bemerkenswerter  ist,  als  die  Überlieferung  des  Arche- 
typus doch  von  einem  angelsächsischen  Schreiber  herrührt 
und  die  ihm  vorauslicgende  Fassung  *II  auch  schwerlich 
auf  deutschem  Boden  zustande  gekommen  ist.  So  ist  echt 
niederdeutsch  Gerleves  (ahd.  Gcrleip,  angels.  Garlaß,  und 


1)  Über  die  ganz  gewöhnliche  Vertauschung  der  Namen  mit  -old 
und  -olf  vgl.  meine  „Zwei  altdeutschen  Rittermären"  a  XLV. 


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DIE  TANZER  VON  KÖLBIGK. 


143 


als  ein  besonders  charakteristischer  Name  erscheint  Wi- 
becina,  wo  nur  (dem  Gerlevus  entsprechend)  Wivecina  noch 
sauberer  wäre  1.  Mersuind  und  Mersuid  (Mersuit)  halten 
sich  auch  in  Niederdeutschland  die  Wage  *.  Nur  das  a  statt 
o  in  Benna  ist  eine  wohl  unwillkürliche  Änderung  des 
Angelsachsen.  —  4)  Verräterisch  ist  besonders  das  Ver- 
halten von  III  gegenüber  dem  weiblichen  Teil  der  Tanz- 
gesellschaft :  er  schliefst  seine  Liste  mit  Mersuit,  quae  sola 
i»ter  alios  femhm  erat.  Später  heifst  es:  accessit  presbüer 
ad  fdiam  suam,  que  etiam  cum  aliis  chorum  ducebai  —  und 
zum  Schlüte  ist  nochmals  von  der  filia  presbüeri  die  Rede, 
ohne  dafs  sie  beim  Namen  genannt  wird.  Die  Leser  müssen 
natürlich  den  Schlüte  ziehen,  diese  Tochter  habe  Mersuit 
geheifscn 8.  Aber  so  liegt  die  Sache  für  den  Autor  von 
III  schwerlich:  ihm  fiel  nur  der  eine  Frauenname  ein,  der 
Frauenname  aus  dem  Tanzlied,  und  da  setzte  er  voreilig 
hinzu:  das  sei  das  einzige  Frauenzimmer  beim  Tanze  ge- 
wesen; indem  er  aber  die  Geschichte  fortschreibend  aus 
seinem  Gedächtnis  herausspann,  kam  er  auch  an  die  Episode 
mit  der  Priesterstochter,  und  nun  blieb  diese  namenlos. 

Es  gab  also,  das  ist  das  Ergebnis  meiner  Untersuchung, 
bereits  vor  der  Mitte  des  11.  Jahrhunderts,  ja  wahrschein- 
lich recht  bald  nach  dem  wirklichen  Vorfall  eine  Dar- 
stellung, welche  die  Tanzwut  der  Kölbigker  Bauern  mit 
wunderbaren  Zügen  ausstattete :  dafs  sie  genau  auf  die  Stunde 
ein  Jahr,  von  Christnacht  zu  Christnacht  gedauert  habe; 
dafs  die  Tanzenden  von  keinem  Mangel  und  keiner  Unbill 
der  Witterung  gelitten  hätten  etc.;  schliefslich  der  grausige 
Spuk   mit   dem   ausgerissenen  Arm    der  Priesterstochter. 

1)  Der  Name  ist  auf  dem  ganzen  niederdeutschen  Gebiet  zu  be- 
legen: aas  dem  11.  Jahrhundert  hab  ich  freilich  nur  westfälische,  aus 
dem  12.  Jahrhundert  nur  kölnische  Belege  ;  aber  z.  B.  im  14.  Jahrhun- 
dert hiefs  so  die  Mutter  des  Till  Eulenspiegel:  ((Anna)  Wibeken  —  und 
die  war  aus  Ostsachsen. 

2)  Mcrsint  in  I  beruht  wieder  auf  Vertauschimg  des  zweiten  Kom- 
positionsteils. 

3)  Dafs  sie  diesen  Namen  in  I  wirklich  führt,  bat  andere  Gründe 
(S.  135);  I  weifs  ja  auch  von  drei  Frauen. 


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144 


SCHRÖDER, 


Sonst  war  diese  Darstellung  wohl  im  wesentlichen  zuver- 
lässig in  der  Angabe  der  Personen  l,  und  sie  liefs  die  Tänzer 
einfach  das  sein,  was  sie  waren:  arme  siechhafte  Menschen, 
die  von  ihren  Angehörigen  mit  Gewalt  eingefangen,  gebadet 
und  gekleidet  wurden,  sich  dann  aber  weithin  zerstreuten, 
um  durch  den  Anblick  ihrer  Ix?iden  die  Mitmenschen  zu 
einer  milden  Spende  zu  bewegen. 

Ich  glaube,  dafs  diese  Darstellung  in  der  dritten  Person 
gehalten  war,  dafs  der  Ich -Bericht  erst  von  OD.  ein- 
geführt wurde,  während  die  im  einzelnen  weit  ungenauere 
Fassung  III  doch  die  äufsere  Form  jener  ältesten  Schil- 
derung beibehielt.  Beweisen  kann  ich  das  nicht  :  es  könnte 
immerhin  auch  die  Urfassung  „Bericht  eines  Teilnehmers" 
gewesen  und  von  OD.  nachgeahmt,  von  III  umgegossen 
worden  sein.  Aber  ich  hoffe,  das  andere  doch  wahrschein- 
lich zu  machen.  Der  Urheber  von  OD.  hatte  nämlich  nach 
meiner  Ansicht  ein  berühmtes  Muster  vor  Augen :  den  vom 
heiligen  Augustin  mit  seiner  Autorität  ausgestatteten  Bericht 
des  Paulus  von  Caesarea. 

Die  Geschichte,  um  die  es  sich  handelt2,  erzählt  Augustin 
in  dem  grofsen  Wunderkapitel  „De  civitate  Dei"  XXII,  8 
(Migne  41,  769  f.):  10  Kinder  einer  Witwe  zu  Caesarea  in 
Kappadokien  —  7  Söhne  und  3  Töchter  —  die  ihre  Mutter 
unehrerbietig  behandelt  haben,  werden  mit  einem  furchtbaren 
Zittern  der  Glieder  gestraft  und  zerstreuen  sieh,  um  ihren 
Anblick  den  Augen  der  Mitbürger  zu  entziehen,  über  das 
ganze  römische  Reich.  Zwei  von  ihnen,  Paulus  und  Pal- 
ladia,  kommen  auf  ihren  Irrfahrten  auch  nach  Hippo,  und 
hier  findet  Paulus  in  der  Kirche,  wo  er  den  heiligen  Ste- 
phanus  15  Tage  verehrt  hat,  vor  den  „cancclli"  einge- 
schlafen, Heilung.  Augustin  fordert  ihn  auf,  seine  Geschichte 
luederzuschreiben,  bringt  diesen  Bericht  im  Gottesdienst  zur 
Verlesung,  und  im  Anschlufs  daran  wird  auch  die  Schwester 
unter  ganz  ähnlichen  Umständen  gesund.    Den  „libellus" 

1)  Dafs  der  von  Lambert  von  Hersfeld  erwähnte  Rathart  in  keiner 
liste  wiederkehrt,  soll  freilich  nicht  verschwiegen  werden. 

2)  Ich  verdanke  den  Hinweis  darauf  den  Bollandisten  AA.  SS. 
Sept.  V,  369;  vgl.  auch  Harpsfield  Hist.  occl.  Angl.  p.  207. 


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DIE  TÄNZER  VON  KOLB1GK. 


145 


des  Paulus  selbst  besitzen  wir  in  sernio  322  des  Augustin 
(Migne  38,  1443  ff.). 

Die  Geschichte  dieses  Paulus  sieht  freilich  auf  den  ersten 
Blick  der  des  Theodericus  (in  II),  der  nach  langen  Irrfahrten 
am  Grabe  der  heiligen  Editha  einschläft  und  dort  von  seinem 
langjährigen  Zittern  geheilt  wird,  weit  ahnlicher,  als  dem,  was 
in  der  Quelle  *II  resp.  in  OD.  berichtet  wird:  denn  hier  fehlt 
ja  noch  die  Heilung!  Immerhin  konnte  die  Idee,  den  siechen 
Menschen  einen  „  libellus "  mitzugeben,  der  mit  ihren  eigenen 
Worten  ihre  Leidensgeschichte  schilderte,  sehr  wohl  durch 
jenes  von  Augustin  publizierte  Schriftstück  angeregt  wer- 
den *.  Die  Ähnlichkeiten  im  einzelnen  und  besonders  die 
Wortanklänge  verteilen  sich  auf  I  und  II,  und  darum  schieb 
ich  die  Nachahmung  des  Augustin  eher  OD.  zu  als  II. 
Ich  führe  einige  davon  an,  indem  ich  den,  geringen  Um- 
fang der  beiderseitig  verglichenen  Schriftstücke  ausdrücklich 
betone. 

Augustin  41,  769  f.:  Alle  Einwohner  von  Hippo  kennen 
die  Geschichte  jener  unseligen  Geschwister,  die  .  .  .  tote  fere 
vagabantur  orbe  Romano  etc.  —  II,  1:  Romanus 
orbis  novit  .  .  .  ubivis  gentium  perv agatos.  Der 
„orbis  Romanus"  hat  bei  Augustin  Sinn,  ist  in  OD.  aber 
nur  noch  eine  rhetorische  Wendung  —  am  auffälligsten 
allerdings  im  Munde  des  englischen  Redaktors  von  II. 

Augustin  41,  770:  ...  divinitus  coerciti  .  .  .,  ut  hor- 
ribiliter  quaterentur  tremore  membrorum;  Paulus 
bei  Augustin  38,  1443:  ...  tremor  membrorum  tantus 
nos  invasit.  —  II,  3:  inquictudine  corjwrum  divinitus 
percussos,  —  I,  25:  tremor  membrorum  non  nos 
deserit. 

Paulus  bei  Augustin  38,  1443  nennt  seinen  ältesten 
Bruder,  den  Anstifter  des  Unheils:  fratrem  nostrum  aetate 
ctdpaque  maiorem;  II,  20  heifst  der  Arrangeur  des  un- 
seligen Reigens  llovo,  tarn  aetate  prior  quam  stuUUia. 

Auffällig  oder  gar  entscheidend  sind  diese  Ähnlichkeiten 


1)  Der  Zufall,  data  es  auch  dort  neben  einer  grofaeren  Brüderschar 
gerade  drei  Schwestern  sind,  konnte  noch  mehr  dazu  herausfordern. 
Ztitecbr.  f.  K.-O.  XVII,  1  u.  t.  10 


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146 


SCHRÖDER, 


an  sich  nicht,  wo  es  sich  um  einen  ähnlichen  Vorwurf  han- 
delt Aber  dafs  der  Vorfall  des  11.  Jahrhunderts  über- 
haupt zum  Gegenstand  eines  Ich-Berichtes  gemacht  wurde, 
das  darf  man  doch  wohl  auf  das  Vorbild  des  Kirchenvaters 
zurückführen,  dessen  „Gottesstaat'*  und  dessen  Predigten  1 
zu  den  gelesensten  Werken  dieser  Zeit  gehörten. 

Ich  habe,  von  dem  Briefe  des  Otbert  ausgehend,  die 
litterarische  Entwickelung  und  Verbreitung  der  Sage, 
d.  h.  den  gröfsten  Teil  ihrer  Gescluchte  vorwärts  und  rück- 
wärts verfolgt.  Mit  den  zeitlichen  und  örtlichen  Be- 
ziehungen des  Mirakels  und  dem  Fortleben  der  Kunde 
davon  in  der  Heimat  kann  ich  mich  wesentlich  kürzer 
fassen. 

Das  Jahr  des  Kölbigker  Vorfalls  wird  in  den  Quellen 
des  11.  bis  1 6.  Jahrhunderts  allgemein  der  Regierung  Hein- 
richs II.  zugewiesen,  aber  innerhalb  dieser  Zeit  sehr  verschie- 
den angegeben  2.  Da  jedoch  die  meisten  hier  in  Frage  kom- 
menden Zeugnisse  nachweisbare  Ableitungen  aus  I  sind,  so 
verdienen  ihre  Zeitangaben  kaum  eine  Berücksichtigung. 
Wilhelm  von  Malmesbury,  dem  Vincenz  von  Beauvais  und 
seine  ganze  Sippschaft  folgen,  soll  nur  um  des  Alters  und 
der  Verbreitung  seiner  Angaben  willen  berücksichtigt  wer- 
den. Er  giebt  im  Eingang  das  Jahr  1012  an,  läfst  am 
Schlüsse  den  Brief  des  Otbert  durch  Peregrin  von  Köln  im 
Jahre  1013  ausgefertigt  werden:  Piligrim  hat  aber  erst  1021 
diese  Würde  erlangt.  Ich  vermute,  dafs  einfach  eine  Ver- 
lesung von  MXXI  in  MX1I  stattgefunden  hat 

Da  in  II  alle  Zeitangaben  fehlen,  so  stehen  sich  die 
Jahreszahlen  von  I  (am  Schlufs):  1021  und  von  III  (am 
Eingang)  1018  zur  Entscheidung  gegenüber.  Zwei  an  sich 
gleich  imzuverlässige  Konkurrenten,  denn  ich  habe  ver- 
mutet und  zu  beweisen  gesucht,  dafs  beide  aus  dem  Ge- 


1)  Auf  die  im  Gottesstaat  ausdrücklich  hingewiesen  wird! 

2)  Das  Schwanken  der  Angaben  wird  noch  dadurch  gesteigert,  dafs 
der  Tanz  sich  von  Weihnacht  zu  Weihnacht  hinzieht,  also  beständig  zwei 
Jahreszahlen  in  Frage  kommen. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


147 


dächtnis  aufgezeichnet  seien:  I  nach  OD.,  III  nach  der  Ur- 
fassung.  Aber  während  es  für  1018  bei  der  alleinigen 
Uberlieferung  durch  das  unsichere  III  bleibt,  läfst  sich  die 
Zahl  1021  mit  einiger  Gewifsheit  OD.  zuweisen:  sie  steht 
nämlich  im  Widerspruch  zu  der  hauptsächlichsten  Neuerung 
von  I,  der  Einführung  des  heiligen  Heribert:  Heribert  ist 
am  16.  März  1021  gestorben!  Die  Zahl  1021  ist  also  für 
den  auch  sonst  zuverlässigsten  Tenor,  den  wir  erreichen 
können,  den  von  OD.  gesichert.  Diese  Zahl  meint,  gemäfs 
ihrer  Stellung  am  Schlufs  des  Berichts,  das  Jahr  der  Dauer 
und  des  Abschlusses  der  Tanzerei,  nicht  ihren  Beginn. 

Da  wir  OD.  ziemlich  dicht  an  das  Ereignis  heranrücken 
muteten  und  seine  Entstehung  auf  Grund  der  niedersäch- 
sischen Namenformen  in  II  auch  in  der  ostsächsischen  Hei- 
mat der  Sage  gesucht  haben,  so  scheint  seine  Zeitangabe 
zuverlässiger,  als  die  aus  Lambert  von  Hersfeld  (ed.  Holder- 
Kgger  S.  351)  erechliefsbare:  jener,  übrigens  in  keiner  Liste 
wiederzufindende,  Ruthart,  der  im  Jahre  1038  Heilung  fand, 
wird  als  Iremulus  per  annos  iam  viginti  tres  bezeichnet; 
damit  kämen  wir  auf  1015  resp.,  da  hier  doch  wohl  vom 
Beginn  der  Tanzwut  an  gezählt  wird,  auf  1016  als  das 
eigentliche  Tanzjahr.  Dürfen  wir  abermals  1  auf  eine  Ent- 
stellung, hier  von  XXIII  aus  XVIII  raten? 

Den  Schauplatz  des  Ereignisses  nennen  die  vier  dem 
11.  Jahrhundert  zuzuweisenden  Quellen:  Colbicze  (Cdwize) 
I ;  Colebecca  U ;  Colebeke  HI ;  Cottebecce  Lambert.  Es  ist 
kein  Zweifel,  dals  damit  der  heutige  anhaltische  Ort  Köl- 
bigk  an  der  Wipper,  eine  Meile  westlich  von  Bernburg, 
gemeint  wird,  jetzt  eine  herzogliche  Domäne,  bei  der  eine 
Kirche  mit  romanischem  Turm  und  sonstigen  geringen  Besten 
der  gleichen  Periode  erhalten  ist  *.  Der  Ort  liegt  im  alten 
Gau  Suevon  (nicht  im  Harzgau,  wie  eine  Urkunde  von  1043 
fälschlich  angiebt,  vgl.  Heinemann,  Albrecht  der  Bär,  S.  298) 


1)  Man  bedenke  die  trüinmerhafte  Überlieferung  der  betr.  Schrift 
Lamberts. 

2)  Abbüdung  bei  Büttner  Pfänner  zu  Thal,  Anhalts  Kunstdenkmäler 
8.  171. 

10* 


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SCHRÖDER, 


und  er  führte  wohl  ursprünglich  einen  slavischen  Namen  *, 
denselben  wie  das  heutige  Kolbitz  im  Kreise  Wolmirstädt 
(Brückner,  Die  slavischen  Ortsnamen  in  der  Altmark  S.  38. 
69).  Da  aber  in  eben  dieser  slavisch-deutschen  Grenzgegend 
der  Zetacismus  des  germanischen  (niederdeutschen)  k  zu- 
hause ist,  also  deutsche  Namen  wie  das  heutige  „Walbeck" 
und  „Salbke"  als  Wallebizi  und  Sahbizi  erscheinen  (Seel- 
mann im  Niederdeutschen  Jahrb.  XII,  72),  so  lag  es  nahe, 
umgekehrt  auch  Colbize  als  CoJbfke  zu  behandeln  und  umzu- 
deuten. Während  die  ältesten  Belege  im  Cod.  dipl.  Anhal- 
tinus  I  88  (1036)  und  I  93  (1043)  noch  Cholebizc  und  Cho- 
libez  lauten  und  sich  Formen  mit  z  noch  bis  um  die  Mitte 
des  12.  Jahrhunderts  (Cod.  dipl.  Anhalt.  I,  227  [1144]  Chol- 
wize)  erhalten,  tritt  doch  daneben  schon  im  11.  Jahrhundert 
die  neue  Schreibung  mit  k  und  bei  Lambert  von  Hersfeld 
auch  gleich  eine  naheliegende  Deutung:  Collebecce  i.  e.  „pru- 
narura  rivus"  (Kohlenbach)  auf.  In  Ostsachsen  brauchte 
man  offenbar  um  1050  schon  beide  Formen,  die  mit  z  und 
die  mit  k,  nebeneinander,  und  wenn  die  beiden  Spröfslinge 
von  OD.  Colbizce  (I)  und  Colebecca  (II)  schreiben,  so  werden 
die  verschiedenen  Hss.  von  OD.  offenbar  mit  diesen  For- 
men abgewechselt  haben.  Damit  ist  unsere  Vermutung, 
OD.  stamme  aus  der  Heimat  der  Sage,  noch  weiter  gefestigt : 
nur  hier  war  das  Nebeneinander  beider  Formen  ohne  An- 
stofs  möglich. 

Unsere  Sagenberichte  sind  die  ältesten  Zeugnisse  für 
den  Ort.  Ans  einer  Urkunde  von  ca.  1142  (Cod.  dipl.  An- 
halt. I,  218)  erfahren  wir  freilich,  dafs  die  „praepositura 
Cofbeckensis  in  episcopatu  Halberstadensi  sita,  nobiliter  pri- 
mum  in  nomine  Domini  et  in  honore  beatorum  martyrum 
Steffani  et  Magni  instituta  et  a  pio  Heinrico  imperatore 
sanete  Bambergmsi  ecclesiae  donata"  war;  und  wenn  im  Jahre 
1036  Konrad  II.  „in  loco  Cholebize  dicto"  einen  Markt 
errichtet  und  Ort  und  Markt  seiner  Gemahlin  schenkt  (Cod. 
dipL  Anhalt.  I,  88;  Stumpf  Nr.  2082),  so  dürfen  wir  einen 
Zusammenhang  zwischen  dieser  Marktgründung  und  dem 


1)  Vgl.  auch  Zeitschr.  d.  Harzvereins  VIII,  185  f. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


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Mirakel  von  1021  wohl  vermuten.  Die  übrigen  Markt- 
Gründungen  Konrads  II.  betreffen  Donauwörth  und  Würz- 
burg (1030),  Stade  (1032),  Amberg  (1034),  Bremen  und 
Nienburg  (1035):  neben  diesen  verkehrreichen  Orten  er- 
scheint das  zu  allen  Zeiten  unbedeutende  und  an  keiner 
grofsen  Heerstrafse  gelegene  Kölbigk  recht  auffällig,  wenn 
wir  nicht  annehmen,  dafs  der  Pilgerstrom,  welcher  sich 
nach  dem  Zeugnis  von  II  (III)  frühzeitig  nach  der  Statte 
des  schauerlichen  Vorfalls  lenkte,  dazu  die  Veraidassung 
gab.  Der  Zusammenhang  zwischen  kirchlichen  Festen  und 
Märkten  bedarf  keiner  Belege;  ich  citiere  nur  aus  Rathgen, 
Die  Entstehung  der  Märkte  in  Deutschland  (Diss.  Strafs- 
burg 1881)  S.  59:  „Zahlreich  sind  die  Zeugnisse  vom  Markt- 
verkehr  in  ciineterio." 

So  verdankte  nach  meiner  Vermutung  das  kleine  Köl- 
bigk nicht  nur  seine  Berühmtheit  im  Auslande,  auch  seine 
Propstei  und  seinen  Markt  den  unglücklichen  Bauern,  die 
dort  im  Jahre  1021  einen  Anfall  von  Tanzwut  durchmach- 
ten :  den  frühesten,  der  uns  aus  dem  Mittelalter  bezeugt  ist 
Denn  als  einen  Ausbruch  der  grofsen  Chorea  fassen  die  Ge- 
schichtschreiber der  Volkskrankheiten,  Hecker  ^HäserjLersch 
den  Vorfall  auf,  der  unserer  Sage  zugrunde  liegt,  und  schon 
protestantische  Schriftsteller  des  16.  Jahrhunderts  wie  Fin- 
celius  in  den  Wunderzeichen  1556  und  noch  entschiedener 
Letzner  in  der  „Corbeischen  Chronica"  (Hamburg  1590) 
Kap.  XX  haben  die  Sache  als  Veitstanz  bezeichnet  und 
durch  andere  Beispiele  erläutert  Das  epidemische  Auf- 
treten der  Tanzwut  fällt  stets  in  Zeiten  und  Landschaften, 
wo  die  Phantasie  und  das  Nervensystem  der  Menschen 
durch  erschütternde  Naturereignisse,  Entbehrung  und  Seuchen 
krankhaft  erregt  ist ;  und  das  trifft  auch  liier  wieder  durch- 
aus zu.  In  wahrhaft  erschreckender  Häufung  berichtet  die 
nächstliegende  historische  Quelle,  die  Fortsetzung  der  Quedlin- 
burger Annalen*,  aus  diesen  Jahren:  zum  Jahre  1017  vom 


1)  Die  grofsen  Volkskrankheiten  des  Mittelalters  (ed.  Hirsch,  Berlin 
1865),  8.  153  f. 

2)  MG.  SS.  III,  84  ff. 


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150 


SCHRÖDER, 


Ausbruch  einer  grofsen  Pest  und  Sterblichkeit  des  Volkes,  die 
den  Zug  Heinrichs  II.  gegen  Boleslaw  hinderte;  zum  Jahre 
1018  von  einem  Kometen,  der  der  elenden  Welt  abermals 
Pestilenz  und  Sterben  ankündigte;  zum  Jahre  1020  schliefe- 
lich  von  einer  ganzen  Kette  von  Schicksalsschlägen,  die 
ganz  besonders  das  östliche  Sachsen  betrafen :  ein  ungewöhn- 
lich langer  und  rauher  Winter,  der  viele  Menschenleben 
forderte;  zum  Frühjahr  ein  unerhörtes  jähes  Sterben,  das 
die  Menschen  mitten  aus  der  Gesundheit,  ja  von  den  Freu- 
den der  Tafel  wegraffte ;  im  Sommer  merkwürdige  meteo- 
rische Anzeichen;  schliefslich  im  Spätjahr  eine  nie  da- 
gewesene, von  wundersamen  Erscheinungen  (wie  feurigen 
Dämpfen)  begleitete  Überschwemmung  der  Weser  und  der 
Elbe :  sie  hinterliefs  beim  Zurücktreten  wahre  Leichenwälle, 
deren  Beseitigung  durch  allerlei  scheuGsliches  Getier  den 
Überlebenden  fast  unmöglich  gemacht  wurde.  An  den  Ab- 
schlufs  dieses  Jahres  der  Schrecken  verlegen  unsere  Zeug- 
nisse den  Ausbruch  der  Tanzwut  zu  Kölbigk.  Die  Schnellig- 
keit, mit  der  das  Ereignis  sagenhafte  Gestalt  annahm,  hat 
nichts  Überraschendes,  wenn  man  die  von  einer  erregten 
Phantasie  diktierten  Schilderungen  des  Quedlinburger  An- 
nalisten daneben  hält.  Dem  Unheimlichen  gesellte  sich 
spontan  das  Übernatürliche  —  und  erst  nach  einiger  Zeit 
wird  sich  auch  schwindelhafte  Reklame  landfahrender  Leute 
des  Ereignisses  bemächtigt  haben. 

Die  ältesten  erschliefebaren  Darstellungen  sind  gewifs  in 
der  ostsächsischen  Heimat  der  Tänzer  entstanden:  Schritt 
für  Schritt  ist  unser  Vertrauen  in  die  hauptsächlich  durch 
II  repräsentierte  Fassung  OD.  gewachsen;  auch  die  per- 
sönliche Anteilnahme  Kaiser  Heinrichs  II.  am  Schicksal 
der  Tänzer,  obwohl  in  II  stark  übertrieben,  mag  auf 
Wahrheit  beruhen:  der  Kaiser  hat  gerade  im  Jahre  1021 
sowohl  im  Frühling  als  im  Herbst  längere  Zeit  in  Sachsen 
zugebracht  und  in  unmittelbarer  Nähe  des  Schauplatzes,  im 
Kloster  Walbeck  und  in  der  Pfalz  zu  Allstedt  wiederholt 
verweilt1;  und  die  Gründung  der  „prepositura  Colbecken- 

1)  Hirsch-BressUu,  Jahrbb  K.  Heinrichs  II,  Bd.  Dl,  179ff.  191ff. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


151 


sis"  wie  ihre  Überweisung  an  Bamberg  mufs  in  seine  letzten 
Lebensjahre  fallen:  im  Jahre  1021  gab  es  zu  Kölbigk  nur 
einen  schlichten  „presbiter",  einen  Dorfpfarrer  mit  Sohn 
und  Tochter. 

Mit  dieser  Sicherung  des  inhaltlichen  Bestands  von  II 
—  die  rhetorische  Haltung  des  ganzen  mag  jünger  und 
vielleicht  gar  nicht  deutscher  Herkunft  sein  —  gewinnt 
nun  auch  ein  kostbarer  Einschlufs  an  Wert,  den  eben  nur 
diese  Fassung  bewahrt  hat,  der  Beginn  jenes  Liedes,  wel- 
ches der  Bauer  Gerief  zum  Tanz  anstimmte  und  dessen 
Refrain  „Cur  stamus?  Quid  non  intus?"  die  Schar  ohne 
Rast  und  Ruh  wiederholen  mufste.  Die  lateinische  Um- 
schreibung gestattet  uns  nicht,  über  die  Form  ein  sicheres 
Urteil  abzugeben.  Wir  haben  eine  Strophe  vor  uns  aus  zwei 
Zeilen  und  einem  Refrain;  die  Reimwörter  frondosam:  for~ 
mosam  wollen  offenbar  „klingende  Versausgänge"  wieder- 
geben, also  wird  man  unter  den  verschiedenen  Ober- 
setzungen, die  sich  darbieten,  groni:  sconi  bevorzugen,  und 
damit  wachsen  die  Zeilen  über  das  Mafs  vierhebiger  Kurz- 
verse hinaus.  Vielmehr  scheint  unsere  lateinische  Uber- 
lieferung Equitdbat  Bovo  \  per  stimm  frondosam  \\  Ducebat 
sibi  |  Merstvindem  formosam  auf  Langverse  zu  führen,  die 
durch  eine  Casur  in  Halbverse  von  3  und  4  Hebungen  zer- 
legt wurden. 

Viel  sicherer  und  darum  wichtiger  sind  andere  Erkennt- 
nisse. 

Der  Reigenführer  („duetor  furoris  nostri"  U)  stimmt 
das  Lied  an,  das  er  improvisiert  oder  für  den  bevorstehen- 
den Zweck  neu  gedichtet  hat:  zwei  Personen  der  vorher  mit 
Namen  aufgeführten  Tanzgesellschaft  ,  Bovo  und  Merswind, 
treten  in  der  ersten  Strophe  auf,  waren  offenbar  die  Helden 
des  Gedichts. 

Denn  dies  Tanzlied  war  episch  oder  hatte  jedenfalls 
epische  Einkleidung:  es  war  eine  richtige  „Ballade"! 

Diese  Ergebnisse  haben  nichts  Überraschendes,  ihr  Wert 
liegt  im  Alter  und  der  Zuverlässigkeit  der  Urkunde.  Wer 
in  Bielschowskvs  Geschichte  der  deutschen  Dorfpoesie  im 
*3.  Jahrhundert  (Acta  Genn.  n,  2,  Berlin  1891)  S.  1  ff. 


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SCHRÖDER, 


die  gesammelten  Zeugnisse  überblickt,  wird  einsehen,  wie 
wertvoll  diese  den  Germanisten  bisher  unbekannte  Ergän- 
zung ist.  Und  verblüffend  wirkt  es  immerhin,  hier  im  11.  Jahr- 
hundert  plötzlich  dem  Eingang  eines  Tanzliedes  zu  begegnen, 
der  an  so  viele  typische  Balladenanfänge  des  16.  Jahrhun- 
derts und  der  späteren  Zeit  erinnert:  mau  schlage  nur  einmal 
in  Mittlers  „Deutschen  Volksliedern"  das  Register  S.  974 
unter  „Es  reit"  oder  „Es  ritt"  auf.  —  Anderseits  hat  sich 
Gaston  Paris,  der  erste  Gelehrte,  der  m.  W.  das  litterar- 
historische  Interesse  unseres  Dokuments  erkannt  hat,  offen- 
bar lebhaft  an  gewisse  französische  Pastourellen  aus  den 
ritterlichen  Kreisen  des  13.  Jahrhundert«  erinnert  gefühlt: 
er  hat  nämlich  unversehens  die  erste  Zeile  so  abgeändert  lT 
dafs  das  Lied  in  höfische  Kreise  gerückt  scheint: 
Equitabat  <dt«?>  Bovo  per  silcam  frondosam. 
Der  berühmte  Romanist,  auf  dessen  persönliche  Aufmunte- 
rung hin  ich  meine  früher  nur  unter  der  Hand  gesammelten 
Lesefrüchte  zu  dieser  Untersuchung  erweitert  habe,  wird 
mir  nicht  grollen,  wenn  ich  das  Tanzlied  sächsischer  Frei- 
bauern dem  ostniederdeutschen  Boden,  von  dem  es  stammt, 
zurückgewinne.  Es  könnte,  so  wie  es  uns  überliefert  ist, 
recht  wohl  im  Jahre  1021  zu  Kölbigk  gesungen  worden  sein; 
wahrscheinlicher  freilich  ist  es,  dafs  es  von  dem  Redaktor 
des  Urberichts  um  des  wirkungsvollen  Kontrast«  der  Re- 
frainzeile willen  aus  dem  Liederschatze  seiner  Landsleute 
ausgewählt  und  zurechtgestutzt  ward.  Damit  bleibt  es  immer 
ein  zuverlässiger  Repräsentant  der  Gattung  wie  der  Zeit. 

Die  Formen,  in  denen  die  Geschichte,  bald  genug  die 
Sage  Verbreitung  bis  zu  den  Küsten  Frankreichs  und  Eng- 
lands fand,  sind  oben  ausführlich  besprochen  worden.  Ost- 
sachsen selbst  scheint  an  der  Weiterbildung  des  Mirakels 
nach  dem  Jahre  1050  keinen  Anteil  mehr  zu  haben.  Das 
Rheinland,  die  romanischen  Niederlande,  Frankreich  und 
Englands  sind  es,  denen  wir  die  Fassungen  III,  I,  *II  und 
II  verdanken.    Und  als  um  1250  die  Sage  in  Deutschland 


1)  Lea  origines  de  la  poesie  lyrique  en  France  (Paris  1892,  Extr.  du 
Journal  des  savants),  p.  47. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIOK. 


153 


neu  auflebt,  da  bildet  ihre  litterarische  und,  wie  ich  ver- 
muten möchte,  ihre  einzige  Grundlage  der  kürzende  und 
vielfach  entstellte  Bericht  des  Otbert.  Es  sind  die  Domi- 
nikaner (Vincenz  von  Beauvais,  Johannes  Junior  u.  s.  w.) 
und  die  Franziskaner  (Albert  von  Stade,  der  Erfurter  Mi- 
norit),  die  Hauptpfleger  also  des  Predigtmärleins,  die  dem 
lehrhaften  Mirakel  sein  Fortleben  durch  die  Jahrhunderte 
und  seinen  Platz  in  der  Darstellung  der  Weltgeschichte  sichern. 

Die  zahlreichen  Wiederholungen,  die  ich  aus  der  Zeit 
zwischen  1240  und  1700  oben  aufgezählt  habe ,  lassen  sich 
trotz  allen  ihren  Mifsverstandnissen  und  Umbildungen  aus 
I  ableiten,  ohne  dafs  jemals  erkennbare  Spuren  mündlicher 
Überlieferung  und  speziell  lokaler  Tradition  zutage  treten. 
Man  kann  hier  recht  hübsch  verfolgen,  dafs  eine  ganz  be- 
stimmt festzulegende  Einzelversion  bei  fortgesetzter  schrift- 
licher Ableitung  sich  doch  so  zu  spalten  vermag,  dafs 
schliefslich  die  Spröfslinge  späteren  Sammlern  als  ganz  ver- 
schiedene Geschichten  erscheinen.  So  ist  es  dem  gelehr- 
ten, freilich  nichts  weniger  als  kritischen  Joh.  Letzner  in 
seiner  „Corbeischen  Chronica"  (1590)  gegangen,  der  Bl. 
Miij  f.  eine  auf  Johannes  Junior  zurückgehende  Version 
richtig  zu  „Colbeck",  daneben  aber  die  des  Joh.  Rothe  „im 
Stifft  Cölln"  spielen  läfst,  ohne  die  Identität  zu  erraten. 

In  der  gesamten  litterarischen  Oberlieferung  dieser  Jahr- 
hunderte ist  mir  auf  deutschem  Boden  nur  eine  Spur  be- 
gegnet, die  ich  mir  nicht  getraue,  ohne  weiteres  auf  I  zu- 
rückzuführen. Der  in  Niedersachen  um  1400  entstandene, 
am  Niederrhein  früh  verbreitete  „  Seelentrost "  enthält  unter 
seinen  zahlreichen  erbaulichen  Erzählungen  auch  die  unsere: 
sie  findet  sich  in  dem  zweiten  Druck,  „Collen  durch  Lud  wich 
van  Renchen  1484",  fol.  XXXIII  (in  Sassen  in  eijner  stat 
heisch  Koylberge)  und  ist  aufserdem  nach  einer  Papierhand- 
schrift des  15.  Jahrh.  gedruckt  in  Frommanns  „Deutschen 
Mundarten"  I,  203  (Nr.  30  „Von  eim  danze  in  der  hilger 
kristnacht":  Dat  geschach  zo  Sassen  in  einem  dorpe  und 
heisch  Goltbecke).  Auffällig  ist,  dafs  nicht  nur  Heribert, 
sondern  überhaupt  geistliche  Fürbitte  fehlt:  Doe  dat  jair 
umb  quam,  hoirden  si  np,  wie  in  II,  III;  auch  von  dem 


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154 


Stil  KÖDER, 


raschen  Bekanntwerdeu  des  Vorgangs  und  dem  Zuströmen 
einer  grofsen  Menge  ist  nur  in  II,  III  die  Rede.  Die  naive 
Schilderung,  wie  die  „vrilude  up  dem  kirchove "  1  den  Tanz 
verabreden,  um  sich  zu  wärmen,  und  dann  nicht  davon 
lassen  können,  spricht  für  mündliche  Herleitung  *.  III  selbst 
ist  als  Quelle  schon  ausgeschlossen ,  weil  die  Zahlen  so  wie 
in  I  gegeben  sind. 

Dies  erbauliche  Unterhaltungsbuch  wurde  frühzeitig 
auch  nach  Schweden  gebracht  und,  man  nimmt  an  um 
1430,  im  Kloster  Vadstena  übertragen  (ed.  Klemming,  Stock- 
holm 1871—1873):  S.  142  f.  steht  auch  die  Geschichte  vom 
Tanz  zu  „Holtbeke".  Noch  leichter  fand  das  Werk  von 
Köln  aus  seinen  Weg  nach  den  Niederlanden,  wo  u.  a.  noch 
der  früher  erwähnte  „Roomsche  Uylenspiegel  ofte  Lusthof 
der  Catholijken"  (Amsterdam  1671),  aus  ihm  schöpft. 

Für  ein  Fortleben  der  Sage  im  Volksmund  ihrer  Heimat 
sind  mir  in  der  ganzen  Fülle  der  Überlieferung  nur  wenige 
Zeugnisspuren  begegnet.  Aus  einem  „Liber  conscientiae " 
(des  13.  Jahrhunderts?)  im  Mscr.  lat.  14883  der  Pariser 
Nationalbibliothek  teilt  Haureau  in  seinen  Notices  et  Ex- 
traits  III]  (1891)  p.  245  eine  Fassung  unserer  Geschichte 
ohne  Namen,  und  auch  sonst  wesentlich  gekürzt,  mit,  die 
mit  keiner  schriftlichen  Aufzeichnung  zusammenhängt:  sie 
stammt  aus  dem  Munde  eines  „quidara  frater  de  Sancto 
Victore,  qui  erat  natus  in  Saxonia".  Der  erzählte,  dafs  in 
seiner  Heimat  ein  frevelhafter  Tanz  bei  dem  Feste  „eines 
gewissen  Heiligen"  begonnen  habe:  nach  Ablauf  eines  Jahres 
„ceciderunt  incinerati".  Das  beruht  sicher  auf  Hörensagen, 
aber  obendrein  wohl  auf  ungenauer  Erinnerung  des  Erzäh- 
lers, der  das  hohe  kirchliche  Fest  und  die  Rolle  des  Schutz- 
patrons der  Kirche  zu  der  Vorstellung  vom  „festuin  cuius- 
dam  sancti"  verwirrte. 

1)  Dafs  der  Tanz  „  up  dem  kirchove "  erfolgt,  braucht  nicht  auf  das 
„eimiterium"  in  I  hinzuweisen,  sondern  kann  sehr  wohl  das  „atrium" 
meinen,  so  wie  wir  es  oben  ermittelt  haben. 

2)  Unter  den  vom  Verfasser  in  der  Einleitung  angegebenen  Quellen 
(Geffcken,  Bilderkatechismus,  8. 47)  befindet  sich  auch  das  „Speculum 
historiale das  aber  hier  sicher  nicht  benutzt  wurde. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


155 


Ebenso  kurz  läfst  sich  ein  später  Versuch  abthun ,  die 
Sage  anderweitig  zu  lokalisieren :  er  ist  mir  zuerst  in  Reim- 
manns  Grundrifs  der  Halberstädtischen  Historie  (HahWstadt 
1702)  ad  a.  1005  begegnet:  „der  unglückselige  Tanz  ...zu 
Collbeck,  welches  itzo  Danstedt  genannt  wird".  J.  G. 
Leuckfeld,  dem  im  übrigen  reichste  eigene  Belesenheit  zur 
Verfügung  steht,  hat  diese  Identifizierung  „Colbeck  . .  .  das 
itzige  Dannstedt  zwischen  Halberstadt  und  Zylli"  einfach 
übernommen:  „ Antiquitates  Halberstadenses  (Wolfenbüttel 
1714),  S.  329  f.  Offenbar  deutete  man  den  Namen  des 
1$  Meile  westlich  von  Halberstadt  gelegenen  Dorfes  Dan- 
stedt als  „Tanzstatte"  —  und  so  hat  denn  gar  J.  Vulpius, 
„Magnificentia  Parthenopolitana"  (1702)  S.  292,  Reimmann 
und  Knaut  konfundierend,  daraus  „Kolbick  anitzo  Tantz-Dorff 
eine  Meile  von  Bernburg"  (!)  gemacht. 

Ein  paar  Nachrichten  des  15.  und  16.  Jahrhunderts  sind 
in  hohem  Grad  geeignet,  eine  Wifsbegier  anzuregen,  für 
die  ich  leider  keine  Befriedigung  weifs. 

Den  Schmellerschen  Collectaneen ,  die  mir  die  stets  be- 
reite Freundlichkeit  des  kundigen  Fr.  Keinz  erschlossen  hat, 
verdank  ich  die  Bekanntschaft  des  clm.  3588  (Aug.  civ.  88), 
einer  Papierhs.  vom  J.  1479,  die  hauptsächlich  litterarische 
Arbeiten  der  Karthäuser  enthält.  In  einem  „Tractatus  de 
chorea"  (f.  27*  —  35b)  findet  sich  u.  a.  auch  unsere  Geschichte 
mit  Quellenangabe  aus  dem  Speculum  historiale,  aber  unter 
Hinzufügung  einmal  des  Ortsnamens  „Kolbeke"  und  dann 
mit  folgendem  merkwürdigen  Schlufs:  Et  quidam  nomine 
Othbertus  clericus  littcrotus  (!)  unus  chorisantium  fuit  et 
predida  conscripsit.  Et  audivi  a  quodam  nobili  et  experto, 
qui  fuit  in  ista  villa  ,  qui  dixit,  quod  predida  viUa  sit  in 
diocesi  Halberstadensi  1  sita,  et  ibidem  in  memoria  prediäi 
miraetdi  sint  lapides  sculpti  habentes  formam  virorum  et 
mulierum  ducentium  choream. 

Von  derartigen  Bildwerken  hat  dann  um  1500  auch  der 
Frankenberger  Chronist  Wigand  Gerstenberg  gehört  Nur 


1)  Handschrift:  Halberstudetm.  Auch  andere  Schreibfehler  beweisen, 
dafs  wir  keine  Originalaufzeichnung  ?or  uns  haben. 


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156 


SCHRÖDER, 


beziehen  sie  sich  nach  ihm  auf  einen  andern  ähnlichen  Vor- 
fall. Er  läfst  nämlich  auf  die  Kölbigker  Geschichte,  die  er 
mit  einem  Hinweis  auf  den  „Fasciculus"  (W.  Rolevincks) 
schliefst,  aber  freilich  nach  „West -Saßen"  verlegt,  die 
Notiz  folgen:  Desglichen  geschieh  auch  in  Saßen  hie  Halle, 
des  nach  zu  eyme  tzeichin  steyne  dar  siehin  so  vil  als  der 
dentzer  was.  Und  ein  halbes  Jahrhundert  später  flocht 
Cyr.  Spangenberg,  damals  Hofprediger  zu  Mansfeld  und 
Superintendent  der  Grafschaft,  in  die  46.  Brautpredigt  seines 
„Ehespiegels"  (Stralsb.  1561,  fol.  177b)  die  Geschichte  vom 
vnzeytigen  Tantz  zü  Colbeck,  im  Stifft  Halber  statt  (nit  weyt 
von  hinnen  gelegen)  ein  und  fügte  zum  Schlufs  hinzu:  Das 
ist  gescJiehen  Anno  1021,  vnnd  haben  die  Landtsherren  da- 
selbst zürn  geddehtnufs,  also  vil  steynem  Bilder  hauwen  lassen, 
als  vil  der  personen  gewesen,  so  getantzt  K 

Der  erste  Gewährsmann  bleibt  uns  fremd  —  aber  er 
versicherte  ja  doch,  an  Ort  und  Stelle  gewesen  zu  sein !  Der 
letzte  ist  uns  als  zuverlässig  bekannt  —  und  er  war  so  nahe 
bei  Kölbigk  zuhause,  dafs  es  fast  wunderbar  wäre,  wenn 
er  seinen  Zuhörern  und  Lesern  eine  derartige  Nachricht 
unverbürgt  geboten  hätte.  Giebt  es  noch  irgendeine  spätere 
Kunde  von  diesen  merkwürdigen  Bildwerken?  Sollten  sie 
wirklich  spurlos  verschwunden  sein?  Ganz  abgesehen  von 
ihrem  künstlerischen  Wert  oder  Unwert  würden  sie  schon 
durch  den  Vorwurf  an  sich  auch  kunsthistorisch  bemerkens- 
wert sein. 

Freilich:  man  kann  einen  Zweifel  nicht  unterdrücken, 
dafs  den  Berichterstattern,  was  sie  gesehen  haben,  auch 
richtig  gedeutet  worden  sei.  Die  Plastik  des  15.  Jahrhunderts 
hat  ja  in  den  „Olbergen"  einen  Anlauf  zur  Bewältigung 
umfangreicher  Gruppenmotive  genommen  —  aber  von  da 
bis  zu  einer  (freistehenden?)  Gruppe  doch  wohl  lebensgrofser 
Tänzer  ist  noch  ein  weiter  Schritt,  und  einer  früheren  Zeit 
wird  man  ein  solches  Unternelimen  noch  weniger  zutrauen. 


1)  Wörtlich  übernommen  von  Florian  Daule  in  seinen  „Tantz-Teuffel " 
1567  („Theatrum  diabolorum  '\  1575,  iol.  233*),  fast  wörtlich  in  Bfitner- 
Steinharts  „Epitome  bistoriarum "  (Leipzig  1596)  fol.  70». 


DIE  TÄNZEit  VON  KÖLBIGK 


157 


Die  Nachricht  läfst  sich  auch  nicht  gut,  wie  das  J.  Grimm, 
Kl.  Schriften  VII,  373,  mit  der  ganzen  Sage  versucht,  ab- 
leiten etwa  aus  einer  Vorstellung  von  frevelnden 
Tänzern,  die  in  Steine  verwandelt  werden.  Derartige 
Sagen  sind  oft  genug  in  Gegenden  anzutreffen,  wo  Häu- 
fungen erratischer  Blöcke  oder  prähistorische  Steinsetzungen 
die  Phantasie  der  Bevölkerung  anregen:  so  ganz  besonders 
die  oft  phantastischen  Cromlechs,  Dolmen  und  Menhirs 
auf  altkeltischem  Boden,  in  England  und  Westfrankreich. 
Zu  den  litterarischen  Notizen,  welche  Adalbert  Kuhn  in 
seinen  „Westfälischen  Sagen"  I,  32  bietet,  füg  ich  hier 
hinzu:  die  Sagen  aus  Buryan  in  Cornwall  (Cromlech  von 
Dawns  Myin:  24  Mädchen  und  2  Dudelsackpfeifer),  aus 
Saint -Just  in  Devonshire,  Revue  des  traditions  populaires 
V,  336;  —  aus  Pontusval  (im  Dep.  Leon)  und  aus  Langon 
(Ille  et  Vilaine)  Ebda;  aus  Plouneour-Trez  (Leon)  Ebda  II, 
135  f.;  aus  Miradoux  (Gers)  bei  Blad£,  Contes  populaires  de 
Ja  Gascogne  II  (1886),  177.  Eine  Entstellung  dieses  Mo- 
tivs ist  es,  wenn  in  zwei  Sagen  aus  dem  Poitou,  die  Leon 
Pineau,  Le  Folklore  du  Poitou  (Paris  1892),  p.  161  ff.  165 
unter  dem  üblichen  Titel  „Les  danseurs  maudits"  mitteilt, 
die  tanzenden  Schäfer  und  Schäferinnen  von  der  Erde  ver- 
schlungen werden  oder  in  einen  Abgrund  stürzen,  während 
ihre  Hunde  und  Schafe  versteinert  zurückbleiben. 

Auf  deutschem  Boden  ist  die  Sage  vom  Adamstanz  bei 
Wirchow  in  der  Mark,  die  Ad.  Kuhn,  Märkische  Sagen  und 
Märchen  S.  251  ans  Beckmanns  Beschreibung  der  Mark 
Brandenburg  mitteilt,  die  bekannteste:  14  Tänzer  sieht  man 
dort  versteinert,  und  dazu  in  der  Mitte  die  beiden  Bier- 
schenker,  aufserhalb  des  Kreises,  ganz  wie  in  der  Sage  aus 
Cornwall,  die  beiden  Spielleute. 

Eigenartig,  aber  gewifs  ein  sehr  alter  Zug,  ist  hier  die 
Begründung  der  Sünde:  die  Tänzer  haben  am  Pfingsttag 
ihren  Reigen  nackt  ausgeführt.  Das  ist  o.  Zw.  ein  heidnisch 
sakraler  Rest  1 ,  und  er  weist  uns  auf  die  Sphäre  hin ,  aus 

1)  Vgl.  Weinhold  in  den  Phil.-histor.  Abhandlungen  der  Berliner 
Akademie,  1896,  I,  8.  30. 


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158 


SCHRÖDER, 


der  die  ganze  Sagenfamilie  erwachsen  ist,  in  der  sie  jeden- 
falls ihre  uns  zugänglichen  Formen  erhalten  hat  Es  ist 
der  Kampf  der  mittelalterlichen  Kirche  gegen  jene  Uber- 
reste heidnischer  Bräuche,  die  sich  an  die  kirchlichen  Feier- 
tage anklammerten  und  mit  Schmausen  und  Trinken,  vor 
allem  aber  mit  Gesang  und  Tanz  selbst  an  die  heiligen 
Stätten  drängten.  Hatte  man  vorher  etwa  in  jenen  Stein- 
setzungen eine  „chorea  gigantum"  erblickt  *,  so  lehrte  jetzt 
der  christliche  Priester,  es  seien  Tanzgesellschaften ,  die 
gegen  die  Satzungen  der  Kirche  gefrevelt  hätten. 

Einigen  der  oben  angeführten  Versionen  genügt  für  den 
himmlischen  Rächer  der  Tanz  am  Sonntag,  andere  nennen 
einen  hohen  Festtag,  wieder  andere  betonen  das  Läuten  der 
Glocken  oder  den  Beginn  der  Messe.  In  einigen  wird  der 
Frevel  dadurch  aufs  äufserste  gesteigert,  dafs  die  Tänzer 
den  Priester  nicht  achten  oder  gar  verspotten,  als  er  mit 
dem  heiligen  Sakrament  vorüberschreitet 

Das  ist  z.  B.  der  Fall  in  mehreren  bretonischen  Sagen, 
wie  der  von  Plounöour-Trez  (Revue  des  tr.  pop.  II,  135  f.) 
und  namentlich  derjenigen,  welche  Luzel,  Legendes  chr6- 
tiennes  de  la  Basse  -  Bretagne  (Paris  1881)  II,  367  ff.  aus 
einem  „gwerz"  von  33  vierzeiligen  Stophen  übersetzt  hat 
Der  bretonische  Bänkelsang,  der  als  gedrucktes  Flugblatt  ver- 
breitet ward,  erzählt,  wie  eine  Schar  von  32  jungen  Leu- 
ten, in  ausgelassenem  Tanzen  begriffen,  den  Priester  verhöhnt^ 
der  einem  Sterbenden  das  Sakrament  bringen  will:  sie  wer- 
den in  scheufsliche  schwarze  Gespenster  verwandelt,  ver- 
bleiben so  3  Monate  und  werden  am  Tage  Marien  Himmel- 
fahrt, trotz  allen  Gebeten  des  Volkes  und  der  Geistlichkeit, 
von  einem  Erdbeben  verschlungen. 

Dieser  Typus:  „Tänzer  verhöhnen  einen  Geist- 
lichen mit  dem  Sakrament  und  werden  das  Opfer 
einer  jähen  Katastrophe"  hat  seinen  ältesten  Vertreter 
in  einer  Geschichte,  die  sich  als  historisches  Ereignis  giebt 


1)  Vgl.  das  Zeugnis  des  Giraldus  Cambrensis  in  J.  Grimms  D.  My- 
thologie I4,  457,  Anm.  2;  dazu  Waces  „Brut"  v.  8383 f.  „karole  as 
gaians". 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIUK. 


und  gewife  auch  auf  einen  wirklichen  Vorgang  zurückzu- 
führen ist  Im  Jahre  1277  oder  1278,  so  melden  verschie- 
dene Historiker,  deren  Zeit-  und  Ortsangaben  variieren1, 
soll  die  Brücke  über  die  Maas  zu  Maestricht  (alias:  „eine 
Moselbrücke",  „die  Brücke  zu  Utrecht")  eingestürzt  und 
sollen  dadurch  200  Menschen  ertrunken  sein,  die  dort  einen 
Tanz  aufführten  und  selbst  beim  *  Herannahen  des  Priesters 
mit  dem  Sakrament  nicht  aufhören  wollten.  Diese  Ge- 
schichte hat  ihre  Verbreitung  gleichfalls  vor  allem  als 
Predigtmärlein  gefunden,  ja  sie  begegnet  uns  wohl  ein 
dutzendmal  direkt  in  Gesellschaft  der  älteren  Tänzersage, 
bis  zu  Spangenberg  und  Bredenbach  herab.  Bei  Henricus 
Stephanus  sahen  wir  sie  mit  ihr  geradezu  konftindiert.  Und 
sie  hat  auf  deutschem  Boden  Doubletten  erzeugt,  wie  die 
in  einem  Zusatz  der  sogenannten  Gmünder  Chronik  aus  Cod. 
Gotting.  Theol.  293,  Bl.  103  f.  enthaltene,  die  ich  in  der 
Anmerkung  nach  einer  Abschrift  Wilh.  Meyers  mitteilen 
darf  3);  der  betr.  Vorgang  wird  dort  in  die  erste  Regierungs- 
zeit  Karls  IV.  verlegt 

Eine  direkte  Sprofsform  der  Kölbigker  Sage  dagegen 
ist  mir  in  litterarischer  Uberlieferung  nicht  aufgestofsen. 

Am  Orte  ihrer  Entstehung  hat  man  die  Sage  von  den 
verwünschten  Tänzern,  die  Kolbigks  Namen  bis  in  ferne 

1)  Der  älteste  mir  augenblicklich  zugängliche  ist  Martinus  Minorita 
MG.  8S.  XXIV,  241  z.  J.  1278. 

2)  cessare  nolebant,  donec  plebanus  transiret ...  bei  Martinus  Min. 
wird  kaum  richtig  sein. 

3)  Eins  tag  beschach  by  Fryburg  an  dem  Schwarczwald  ze  Kupf en- 
töl, das  die  leut  die  silber  und  ärezgraber  so  verlässenlich  6n  gots 
forcht  lebten  und  ains  tags  by  clarem  UechUm  tagscheyn  und  by  lutter 
liechter  sunnen,  da  kain  wölk  gesehen  mocht  werden,  die  leut  danezeten 
in  mutwillen  mit  fackeln  und  kerezun.  Es  beschach  das  ain  priester 
mit  dem  sacrament  für  gieng.  Der  da  vortanezet  sprach:  „wir  [BL 
104*]  wellen  uff  hSren."  „Nain",  sprach  die  seüofi  die  mit  im  vor- 
tanezet; „min  vaüer  hat  der  glöcklin  vil  an  sinem  fych."  Und  also 
danezeten  sie  alle  und  verachteten  das  hailig  sacrament.  Zu  stund 
kam  ain  wolkenbrust  by  liechtem  clarem  sunnemehyn  und  verdarbt 
leut  und  güt,  hexiger  und  teas  im  tal  was,  das  ir  kains  nie  gesehen 
ward,  dann  ettKche  wiegen  mit  totten  kinden  warent  uff  den  bäumen 
Itelianget. 


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160 


SCHRÖDEU, 


Ijande  getragen  hatte,  im  Mittelalter  um  so  eher  festgehalten, 
als  sie  es  vor  allem  war,  welche  der  Kirche  Gläubige  und 
dem  Markte  Käufer  zuführte.  Speziell  dürfen  wir  uns  wohl 
die  Prämonstratenser,  deren  Regel  1142  hier  eingeführt 
wurde,  als  die  Pfleger  der  Sage  vorstellen.  Wenn  die 
Propstei  noch  im  Jahre  1142  „in  honore  beatorum  mar- 
tyrum  Steffani  et  Magni  instituta"  heifst  (Cod.  dipl.  Anhalt. 
1,218),  später  aber  nur  noch  von  dem  „cenobium"  oder  der 
„ccclesia  b.  Magni  inartyris"  die  Rede  ist1,  60  hat  gewifs 
das  Mirakel  dem  Heiligen  seine  Rolle  gesteigert.  Ich  ver- 
mute, dafs  man  schon  im  12.  oder  13.  Jahrh.  im  Kloster  ein 
Exemplar  von  I  besafs,  —  wann  die  doppelte,  „lateinische 
und  deutsche  Schrift",  welche  „auf  beyden  Seiten  der  Wände 
in  der  Kirchen  vor  -dessen  gestanden  hat " 2,  angebracht 
wurde,  läfst  sich  aus  Knauts  Antiquitates  com.  Ballenstad. 
et  Ascan.  96 f.,  der  dafür  unsere  Quelle  ist,  nicht  ersehen 
und  auch  nicht  mit  unbedingter  Sicherheit  ermitteln,  weil 
K.  erstens  die  Schriftstücke,  die  er  wortgetreu  mitzuteilen 
scheint,  offenbar  nicht  mehr  selbst  sah,  sondern  Abschriften 
mitgeteilt  erhielt,  zweitens  die  Sprachformen  des  deutschen 
Stückes  von  ihm  oder  seinem  Gewährsmann  hier  und  da 
modernisiert  sein  mögen. 

Verdächtig  ist  zunächst  die  beidemal  wiederkehrende 
Angabe  der  Jahreszahl  „1005",  denn  anderweitig  vermag 
ich  diese  Zahl  erst  bei  Fincelius,  Hondorff,  Letzner,  Büttner- 
Steinhart  nachzuweisen  s.  Wenn  wir  sehen,  wie  ganz  un- 
bedenklich Beckmann,  der  doch  hier  einfach  Knaut  ab- 
schrieb, aus  besserm  Wissen  die  Jahreszahl  1021  in  beide 

1)  Zuerst  in  Schmidts  Urkundenbuch  d.  Hochstifts  Halberstadt 
I,  262  zum  Jahre  1180 ;  in  den  späteren  Urkunden,  welche  das  mir  vom 
Herzogl.  Anhalt.  Haus-  und  Staats  -  Archiv  zu  Zerbst  gütigst  zugänglich 
gemachte  Copiarium  aus  d.  16.  u.  17.  Jahrhundert  vereinigt,  hab  ich 
nur  noch  diese  Bezeichnung  gefunden. 

2)  So  Knaut  (1698);  Beckmann  schreibt  (1710):  „vor  alters*4  und 
„auf  zweien  Tafeln". 

3)  Sie  hängt  offenbar  damit  zusammen,  dafs  mau  aus :  regnaote  Hen- 
rico  secundo  (wie  in  I,  Hs.  3  ersieh tlich)  gemacht  hat:  regnante  Henrico 
[anno  sui  imperii]  secundo ;  Knaut  selbst  kennt  S.  95  die  verschiedenen 
Angaben  und  setzt  zu  1005  hinzu:  „wie  Letznerus  haben  will"! 


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DIE  TANZER  VON  KÖLBIGK. 


161 


Schriftstücke  wieder  eingeführt  hat,  so  verdient  dieser 
Punkt  von  vornherein  kein  besonderes  Vertrauen.  In  ihrem 
Kern  giebt  die  lateinische  Fassung,  wie  schon  die  Beibe- 
haltung des  (entstellten)  Ortsnamens  CoTbisse  zeigt,  jeden- 
falls eine  gute  Hs.  des  12.  oder  13.  Jahrhunderts  wieder,  die 

a 

sogar  noch  mit  der  Hs.  1  den  Lesefehler  litura  (aus  litura 
=  ligatura)  gemeinsam  hat. 

Ganz  anders  steht  es  mit  der  deutschen  Fassung.  Diese 
ist  überraschenderweise  nicht  aus  der  lateinischen  über- 
setzt, sondern  sie  weist  verschiedene  Änderungen  auf,  die 
anderweitig  erst  bei  Schriftstellern  von  der  Wende  des  15.  und 
16.  Jahrh.  vorkommen;  dazu  pafst  die  Sprache,  die,  auch 
wenn  man  einige  Modernisierung  durch  Knaut  zugiebt,  nicht 
gestattet,  das  Schriftstück  über  1500  hinaufzurücken.  An 
die  Stelle  von  Sohn  und  Tochter  des  Priesters  sind  getreten 
der  „Kirchner"  und  seine  Schwester;  diese  Neuerung  stammt 
aus  Trithemius,  der  allein  gegenüber  dem  Text  des  Speculum 
historiale  den  zumeist  unangefochten  passierenden  Priesters- 
sohn durch  den  „aedituus"  ersetzt  hat,  während  Krantz  nur 
von  einem  „cjuidam  vir"  spricht,  andere  die  anstöfsige  Figur 
ganz  weglassen.  Noch  charakteristischer  ist  aber,  dafs  hier 
„die  heiligen  zweene  Bischöff,  der  von  Cölln  und  der  von 
Hildesheim"  erscheinen:  dafür  ist  offenbar  bereits  das  „Chro- 
nicon  Brunsvicensium  picturatum"  von  Konrad  Bote  die 
Quelle  gewesen  x.  Nun  ist  dieses  letztere  Werk  im  Jahre 
1492  bei  Schöffer  in  Mainz  gedruckt  worden,  das  „Chro- 
nicon  Hirsaugiense "  des  Trithemius  ist  erst  1514  zur  Ver- 
öffentlichung gelangt.  1525  aber  wurde  das  Kloster  Kol- 
bigk  durch  den  Bauernkrieg  zerstört  *,  und  hinterher 
wird  man  dort  für  die  Erneuerung  des  Mirakels  und  den 
Ruhm  der  „heiligen  zweene  Bischöff"  gewifs  keinen  Sinn 
mehr  gehabt  haben.  Also  zwischen  1514  und  1525  wird 
die  Anbringung  der  deutschen  und  wahrscheinlich  die  Er- 

1)  An  die  kaum  über  Braunschweig  hinaus  verbreitete  handschrift- 
liche Chronik  des  Herman  Bote,  die  gleichfalls  den  heiligen  Bernward 
als  einen  von  den  zwei  Wunderthätern  kennt,  ist  nicht  zu  denken. 

2)  Vgl.  Stenzel.  „Das  Mönchskloster  Kölbigk",  in  den  Mitteilungen 
d.  Ver.  f.  Anhalt.  Gesch.  IV,  225  ff. 

Zütechr.  f.  K.-0.  XVII,  |g.|,  11 


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162 


SCHRÖDER, 


neuerung  der  lateinischen  Tafel  fallen.  Dazu  stimmt  vor- 
züglich die  Nachricht,  dafs  im  Jahre  1515  Erzbischof 
Albrecht  von  Mainz  für  das  Kloster  einen  Indulgenzbrief 
ausgestellt  hat,  um  die  Wiederherstellung  der  baufälligen 
Kirche  zu  ermöglichen. 

Die  beiden  Tafeln  in  der  Kirche,  eine  die  direkte  Wieder- 
gabe von  I,  die  andere  eine  Paraphrase  mit  Varianten,  die 
wieder  aus  Ableitungen  von  I  stammen,  sind  offenbar  auch 
über  die  Reformation  hinaus  in  Kölbigk  und  seiner  Um- 
gebung die  Stützen  der  Tradition  geblieben.  An  sie  knüpfen 
die  anhaltischen  Historiker  Knaut  und  Beckmann  an,  welche 
um  1700  das  Andenken  des  sagenumwobenen  Vorfalls  er- 
neuert haben;  von  einer  mündlichen  Überlieferung,  die  der 
litterarischen  zur  Seite  stünde,  wissen  sie  nichts,  und  so 
oft  in  der  neuern  Speciallittcratur  Anhalts  die  Rede  auf 
die  Geschichte  kommt:  Knaut  und  Beckmann  sind,  wie  man 
deutlich  merkt,  die  ausschliefslichen  Quellen.  Aus  ihnen 
haben  auch  die  beiden  anhaltischen  Poeten  geschöpft,  welche 
in  jüngster  Zeit  den  „Tanz  von  Kölbigk"  behandelt  haben: 
W.  Hosäus  1  als  Erzählung  in  Reimversen  und  H.  Wäschke  8 
als  Kantate.  Die  mündliche  Uberlieferung  an  Ort  und  Stelle 
erscheint  daneben  sehwach,  und  sie  ist  jetzt  wohl  dem  Unter- 
gang geweiht,  nachdem  der  ehemals  mit  Kirschbäumen  be- 
pflanzte und  umfriedete  „Tanzplatz"  (an  der  Ostseite  des 
Ortes)  „in  die  Ackerflur  einbezogen  und  nicht  einmal  mehr 
genau  seiner  Lage  nach  zu  bestimmen  ist"  s. 

Dagegen  hat  jener  gelegentlich  von  einer  thörichten  Ety- 
mologie gestüzte  Versuch,  die  Sage  anderweit,  in  Danstedt 
bei  Halbcrstadt,  zu  lokalisieren ,  den  wir  zum  erstenmale 
bei  Reimmann  (1702)  antrafen,  wirklich  Erfolg  gehabt:  die 
Tänzersage ,  welche  Kuhn  und  Schwartz ,  Norddeutsche 
Sagen,  Märchen  und  Gebräuche  (Leipzig  1848),  S.  161  f. 
aus  mündlicher  Überlieferung  bieten  und  die  sich  dort  auf 
einen  tiefen  Graben  beruft,  den  die  Tänzer  rings  um  die 

1)  Askania.    Vaterländische  Gedichte  (Röthen  1885),  S.  8  ff. 

2)  Das  litterarische  Anhalt,  2.  Ausg.  (Dessau  o.  J.  [1889]),  S.  225  ff. 

3)  Hosaus,  Mitt.  d.  Ver.  f.  Anhalt.  Gesch.  II,  198  and  Askania, 
S.  92. 


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DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


163 


Kirche  getanzt  haben  soUen,  diese  Sage  geht  deutlich  auf 
die  deutsche  Tafel  der  Kölbigker  Kirche  zurück,  aus  der 
sie  den  Küster  und  seine  Tochter  1  allein  entnommen  haben 
kann  *. 

Im  übrigen  bieten  die  Sagensammlungen  der  neuern  Zeit 
nichts  über  den  wundersamen  Tanz,  was  nicht  aus  oben 
besprochenen  litterarischen  Quellen  stammte.  Die  Fassung 
der  Brüder  Grimm,  die  von  Bange  ausgeht  und  sich  gegen 
den  Schlufs  an  Spangenberg  hält 3 ,  ist  die  einzige  Quelle 
nicht  nur  für  H.  Gröfslers  Sagen  der  Grafschaft  Mansfeld 
und  ihrer  nächsten  Umgebung  (Eisleben  1880),  S.  96,  son- 
dern auch  für  Ludwig  Bechstein  in  seinem  Deutschen 
Sagenbuch  (Leipzig  1853),  S.  275,  der  aber  nach  seiner  Art 
den  Wortlaut  absichtlich  verändert,  um  den  Eindruck  selb- 
ständiger Quellenbenutzung  hervorzurufen,  und  nur  zum 
Schlufs  die  Identifikation  von  „Kolbeck"  mit  „Danstedt" 
oder  vielmehr  in  Vulpius  Verbalhornung  „Tanzdorf"  hin- 
zufügt. 

Wir  haben  die  Sagenüberlieferung  durch  neun  Jahrhun- 
derte verfolgt  und  neben  einer  frühen  litterarischen  Filiation 
und  einer  ständig  wachsenden  litterarischen  Verbreitung  nur 


1)  So  hier  statt  Schwester! 

2)  Mitteüungen  des  Herrn  Kantor  Büke  zu  Danstedt  ermöglichen  mir 
folgenden  Nachtrag:  Die  Übertragung  der  Sage  ist  darauf  zurückzuführen, 
dafs  nach  einer  bestimmt  auftretenden  Überlieferung  unter  den  vier  Dör- 
fern, die  in  Danstedt  aufgegangen  sein  sollen,  sich  auch  ein  „Colbeck'' 
befand,  dessen  Bewohner  siel»  in  der  Querstrafse  ansiedelten.  Die  bei 
Vulpius  auftretende  Etymologie  ist  also  nur  sekundär.  An  der  Kuhn- 
schen  Fassung  ist  nach  meinem  Gewährsmann  die  Angabe  von  einem 
„tiefen  Graben"  unrichtig:  es  sei  nur  ein  Wall  vorhanden,  der  sich  in 
einer  Entfernung  von  4  —  6  Metern  um  die  Kirche  herumziehe.  Heute 
ist  die  Sage  im  Erlöschen,  auch  die  ältesten  Leute  wissen  auf  Befragen 
nur  noch  anzugeben,  „dafs  man  einmal  um  die  Kirche  getanzt  hat". 
Anderseits  dringen  gelegentlich  litterarische  Versionen  auch  jetzt  noch 
dortbin:  der  Lehrer  Vogler  hat  in  einer  1852  gedruckten  Chronik  des 
Ortes  die  Abelinsche  (Gottfridsche)  Darstellung  mitgeteüt  —  und  ein 
intelligenter  Einwohner  wufste  aus  anderer  Quelle  sogar  zu  berichten, 
dafs  „paatoris  filia"  dabei  gewesen  sei! 

3)  Was  ist  unter  den  Iitteraturaogaben  „Cosner  p.  564"? 

11* 


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1»>4 


SCHRÖDER,  DIE  TÄNZER  VON  KÖLBIGK. 


geringe  Spuren  und  keinerlei  erkennbare  Einwirkungen  der 
spätem  Lokaltradition  gefunden.  Ja  deren  Fortexistenz 
war,  wie  wir  sahen,  in  den  späteren  Jahrhunderten  geknüpft 
an  zwei  Repräsentanten  jener  schriftlichen  Version  I,  die 
wahrscheinlich  gar  nicht  auf  deutschem  Boden  entstanden 
und  jedenfalls  selbst  nur  eine  Verkümmerung  des  reichern 
Urberichts  ist,  während  diesen  selbst  weit  vollständiger  und 
zuverlässiger  gerade  das  im  Westen  Englands  redigierte  und 
nur  einmal  über  die  Insel  hinausgedrungene  Heilungsmirakel  II 
bewahrt  hat  Eine  Überlieferungsgeschichte,  die  des  über- 
raschenden viel  bot  und  hoffentlich  bei  aller  Umständlich- 
keit auch  in  dem  bunten  Beiwerk,  das  ich  ihr  zugesellen 
mufste,  für  manchen  etwas  gebracht  hat. 

NACHTRAG.  Auf  S.  115  Anm.  1  konnte  stehn  ein  Hinweis  auf 
den  deutschen  Traktat  „Was  schaden  tanzten  bringt"  der  Wiener  Hand- 
schrift 3009  (Papier,  15.  Jh.):  Altdeutsche  Blätter  I,  54  steht  daraus 
unsere  Geschichte.  Den  Traktat  „Von  den  manigfaltigen  schaden  des 
tanz"  der  Hs.  B  223/780  der  Wasserkirch-Bibliothek  vom  Jahre  1393 
kenn  ich  nur  aus  den  Angaben  bei  Wackernagel,  Altdeutsche  Pre- 
digten und  Gebete,  S.  259. 


4 


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Kritische  Erörterungen 

zur  neuen  Luther-Ausgabe. 

Von 

Theodor  Brieger. 

IL 

Zu  einigen  Einleitungen  Knaakes  im  I.,  II.  und 

VI.  Bande  l. 

6. 

Die  Resolutionen  von  1518  *. 

Auffallend  unzutreffend,  ja  voll  von  Fehlern  ist  die 
Einleitung  zu  Luthers  Resolutionen  von  1518  (I,  522  f.). 

Nach  Knaake  hat  Luther  die  Resolutionen  bereits  An- 
fang Februar  („vermutlich"  am  6.)  an  den  Bischof  von 
Brandenburg  geschickt,  um  die  Genehmigung  zu  ihrer  Ver- 
öffentlichung nachsuchend.  Am  30.  Mai  hat  er  sie  dann 
handschriftlich  seinem  Ordensoberen  Staupitz  übersendet, 
„zur  Weiterbeförderung  an  den  Papst,  dem  sie  gewidmet 
waren".    „In  Rom  müssen  sie  in  der  zweiten  Hälfte  des 

1)  S.  diese  Zeitschrift  Bd.  XI,  S.  101—154. 

2)  Die  folgende  Untersuchung  ist  bereits  1889  niedergeschrieben, 
der  im  dritten  Artikel  sich  anschliefsende  Beitrag  zur  Textkritik  der 
Resolutionen  Ostern  1892.  Da  diese  beiden  kleinen  Arbeiten  in  der 
Zwischenzeit  durch  etwa  von  anderer  Seite  angestellte  Forschungen 
leider  nicht  überflüssig  gemacht  sind,  bringe  ich  sie  auch  heute  noch 
—  als  Abschlufs  meiner  Erörterungen  zur  neuen  Lutherausgabe  —  zum 
Abdruck.   (Leipzig,  Mai  1896.] 


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166 


HRIEGEU, 


Juni  eingetroffen  sein:  Prierias  wufate  von  ihnen  schon  bei 
der  Abfassung  seines  Dialogus  in  praesumptuosas  Martini 
Luther  conclusiones. "  Endlich  heisst  es  inbezug  auf  die 
Wirkung  in  Rom:  „Eine  unmittelbare  Folge  der  eingereichten 
Schrift  haben  wir  in  seiner  Vorladung  dorthin  zur  Verant- 
wortung zu  erblicken"  (welche  Luther  bekanntlich  am 
7.  August  1518  erhalten  hat). 

Die  von  mir  ausgehobenen  Sätze  bezeichnen  eben  so 
viele  Fehler  —  und  zwar  solche,  welche  für  einen  so  scharf- 
sinnigen Gelehrten  wie  Knaake  höchst  auffallend,  für  eine 
den  heutigen  Anforderungen  der  Wissenschaft  entsprechende 
Ausgabe  der  Schriften  Luthers  ungeziemend  sind. 

Bei  sorgsamer  Benutzung  der  für  die  Entstehungs- 
geschichte der  Resolutionen  in  Betracht  kommenden  Briefe 
Luthers  gewinnt  man  ein  stark  abweichendes  Bild  —  vor- 
ausgesetzt selbstverständlich,  dafs  man  sie  richtig  datiert 
oder  die  mit  richtigem  Datum  überlieferten  nicht  unrichtig 
ansetzt 

1.  Das  letztere  ist  Knaake  freilich  gleich  bei  einem  der 
wichtigsten  der  hier  einschlagenden  Briefe  begegnet.  Ich 
meine  Luthers  Brief  an  den  Bischof  von  Brandenburg 
(Enders,  Luthers  Briefwechsel  1,  147 ff.),  welcher  uns  mit 
dem  Datum  Sabbntho  Exaudi  (d.  i.  22.  Mai)  anno  15 IS 
überliefert  ist.  Unter  diesem  Datum  steht  er  richtig  bei 
de  Wette  (I,  112  ff.).  Enders  dagegen  hat  ihn  auf  den 
13.  Februar  verlegt,  was  er  in  folgender  Weise  begründet: 
„Aus  dem  Briefe  selbst  geht  nämlich  hervor,  dafs  Luther 
seinem  Ordinarius  die  Resolutiones  noch  vor  deren  Ver- 
öffentlichung zusendet  und  sie  seinem  Urteil  unterwirft. 
Noch  am  5.  März  hatte  er,  wie  sich  aus  seinem  Brief  an 
Scheurl  von  diesem  Tage  ergiebt,  keinen  Bescheid,  worüber 
er  klagt,  dafs  der  Bischof  tarn  diu  me  retardat.  Es  mufs 
also  unser  Brief  um  eine  beträchtliche  Zeit  vor  dem  5.  März 
geschrieben  sein."  Auf  Grund  dieser  „gewichtigen  Be- 
denken" gegen  die  Richtigkeit  des  überlieferten  Datums 
sucht  nun  Enders  aus  letzterem  das  zutreffende  zu  gewinnen, 
indem  er  scharfsinnig  vermutet,  das  Datum  habe  ursprüng- 
lich gelautet:  „Sabbatho  Lx  (Samstag  nach  Sexagesimae  = 


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DIE  NEUE  LITHER-AUSGAHE  II. 


167 


13.  Februar)",  was  der  erste  Herausgeber  fälschlich  Ex 
gelesen  und  solches  in  Exaudi  aufgelöst  habe.  Knaake  ist 
bei  seinem  Ansatz  auf  den  6.  Februar  offenbar  von  denselben 
Erwägungen  ausgegangen  wie  Enders  und,  wie  Kawerau 
uns  mitgeteilt  hat  \  zu  seinem  Datum  mit  Hülfe  der  näm- 
lichen Textänderung  gekommen:  Sabbat o  Lx  —  nur  dafs 
er  dieses  Datum  dann  falsch  aufgelöst  hat  *. 

Der  Brief  hat  aber  weder  mit  dem  6.  noch  mit  dem 
13.  Februar  etwas  zu  thun,  pafst  vielmehr  sehr  wohl  in  den 
Mai.  Die  Bedenken  dagegen  entspringen  nur  einer  ober- 
flächlichen Lektüre. 

Zunächst  wäre  ich  begierig  auf  den  Beweis  dafür,  „dafs 
Luther  seinem  Ordinarius  die  Resolutiones  noch  vor  deren 
Veröffentlichung  zusendet".  Der  Brief  verrät  viel- 
mehr eine  ganz  andere  Situation  und  einen  ganz  anderen 
Zweck.  In  welcher  Absicht  mag  wohl  Luther  seinem  Bischof 
die  Veranlassung  zu  dieser  Schrift  in  der  Weise  erzählen, 
dafs  er  bis  auf  Anlafs  und  Entstehung  der  Thesen  zurück- 
greift? d.  h.  dem  Bischof  etwas  erzählen,  was  dieser  nicht 
blofs  im  allgemeinen  bereits  weifs,  sondern  was  er  durch 
Luther  selbst  vor  Monaten  erfahren  hat?  Denn,  um  von 
den  im  Februar  und  März  zwischen  beiden  gepflogenen 
Verhandlungen  ganz  abzusehen,  wenngleich  ein  früherer 
Brief  Luthers  an  den  Bischof  von  Brandenburg  nicht  auf  uns 
gekommen  ist,  so  kann  doch  die  einstmalige  Existenz  eines 


1)  Theol.  Studien  und  Kriüken  1886,  S.  187  f. 

2)  Was  Kawerau  a.  a.  0.  S.  188  gegen  die  richtige  Auflösung 
von  Enders  verteidigt.  Sabbato  Lx  bedeutet,  wovon  Knaake  sich 
schon  aus  Grotefends  „Handbuch  der  historischen  Chronologie  des 
deutschen  Mittelalters  und  der  Neuzeit"  (Hannover  1872),  S.  89 f.  hatte 
überzeugen  können:  Sonnabend  nach  Sexages. ,  ganz  gleich  ob  post 
dabei  steht  oder  nicht.  In  denselben  Fehler  ist  Knaake  noch  ein  paar- 
mal verfallen,  wenn  er  (s.  I,  522)  vollständige  Druckexemplare  von 
Luther  am  21.  August  versendet  sein  läfst  (so  wie  auch  Enders  I, 
218  das  sabbato  octavae  A&sumptionis  D.  Mariae  1518  (=  28.  August] 
falsch  auflöst)  und  wenn  er  (II,  2)  behauptet,  Luther  habe  die  „Acta 
Augustana"  am  1 1.  Dezember  1518  verschickt  (so  auch  Enders;  Sab- 
baüio  Dominica«  3.  Adventm  1518  —  End.  I,  217  —  ist  der  18.  De- 
zember). 


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168 


KRIEGER, 


solchen  keinem  Zweifel  unterliegen:  ein  vollgewichtiges  Zeug- 
nis ist,  was  Luther  darüber  am  19.  November  1518  an 
seinen  Fürsten  schreibt  (End.  I,  298). 

Bedenkt  man,  dafs  der  in  Rede  stehende  Brief  nicht  der 
erste  ist,  den  Luther  in  dieser  Sache  dem  Bischof  schreibt^ 
so  wird  man  sich  gleich  bei  dem  Exordium  dem  Eindruck 
nicht  entziehen  können,  dafs  dieser  Brief  vielmehr  für  die 
Öffentlichkeit  bestimmt  war  1  —  und  das  wird  im  weiteren 
Verlaufe  durch  eine  beiläufige  Wendang  ausdrücklich  be- 
stätigt: vgl  das  ut  omnes  sciant,  quam  nihil  audacter  asser  am  r 
non  solum  permitto,  sed  etiam  obsecro,  ut  Reverenda  Paternitas 
tua  accepto  calamo  quaecunque  visu m  est  aboleat  aut  igne  facto 
totum  comburat,  mea prorsus  nihil  refert  (End.  1, 151).  Ut  omnes 
sciant,  dafs  er  nicht  kühnb'ch  behaupte,  sondern  nur  dispu- 
tiere, erteilt  er  seinem  Ordinarius  jene  Erlaubnis,  beschwört 
ihn  vielmehr,  nach  Gefallen  mit  seinem  Werke  zu  verfahren. 
So  pflegt  man  in  Privatbriefen  nicht  zu  reden. 

Es  ist  klar,  der  Brief  ist  nichts  anderes  als  eine  Dedi- 
kationsepistel  zu  den  Resolutionen.  Dazu  stimmen  auch  die 
Sätze,  welche  dem  mitgeteilten  Abschnitte  unmittelbar  vor- 
ausgehen und  in  denen  sich  die  Widmung  vollzieht:  da  der 
Bischof  von  Brandenburg  sein  Ordinarius  sei,  justissimttm 
fuit,  ut  tibi,  ad  quem  pertinet  hujus  loci  studio  inspicere  et 
judicare,  potissimum  off  er  rem  et  pedibus  tuis  primum 
subjicerem,  quicquid  id  fuerit  quod  operor.  Itaque  dignerisf 
clementis8ime  Praesul,  stiscipere  has  meas  ineptias,  atque  ut 
omnes  sciant  u.  s.  w. 

Unter  diesen  Umständen  spricht  nicht  das  Mindeste  gegen 
das  überlieferte  Datum  des  22.  Mai.  Für  dasselbe  könnte 
man  wohl  die  Verwandtschaft  geltend  machen,  welche  zwi- 
schen dieser,  anfangs  für  die  Resolutionen  beabsichtigten 
Dedikationsepistel  und  jenem  Dedikationsbriefe  besteht,  dem 
sie  dann  —  wir  wissen  nicht,  auf  Grund  welcher  Er- 


1)  Einen  Anlauf  zu  richtiger  Auffassung  nimmt  Kolde,  Luther  I, 
155:  „Am  22.  Mai  schickt  er  sie  [die  Resolutionen]  an  den  Bischof 
von  Brandenburg  mit  einem  demütigen,  wohl  auch  für  die  Öffent- 
lichkeit bestimmten  Schreiben"  u.  8.  w. 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  II. 


169 


wägungen  1  —  den  Platz  hat  räumen  müssen,  dem  Briete 
an  Leo  X.,  den  man  wohl  deswegen  Ende  Mai  anBetzen 
darf,  weil  der  ihm  voraufgehende  Dedikationsbrief  an  Stau- 
pitz, der  zweite,  mit  dem  Luther  seine  Resolutionen  aus- 
gehen zu  lassen  für  gut  ansah,  das  Datum  des  30.  Mai 
trägt  In  beiden  Briefen  —  dem  an  Scultetus  und  dem  an 
den  Papst  —  ist  der  Gedankengang  ein  ähnlicher,  wie  wir 
ihn  allerdings  nicht  anders  erwarten  können,  wenn  beide 
Briefe  demselben  Zwecke  dienen  sollten  und  etwa  aus  glei- 
cher Zeit  stammen.  Doch  ist  auf  diese  Verwandtschaft  kein 
Gewicht  zu  legen,  und  die  Wahrnehmung  der  ursprünglichen 
Bestimmung  des  Briefes  an  den  Bischof  ist  eine  so  sichere, 
dafs  sie  keiner  weiteren  Bestätigung  bedarf. 

Es  braucht  nun  auch  nicht  noch  erst  die  Vorstellung 
zerstört  zu  werden,  als  müsse  unser  Brief  vom  22.  Mai  dem- 
jenigen voraufgehen,  und  zwar  „um  eine  beträchtliche  Zeit", 
in  welchem  Luther  schreibt:  Ita  probationes  earum  coactus 
sum  parare,  quas  tarnen  nondum  licuit  edere,  quia  reverendus 
et  gratiosus  Dominus  Episcopus  Brandeburgensis ,  cujus  Ju- 
dicium consului  in  hac  re,  multum  impeditus  tarn  diu 
me  retardat  *.  Denn  hier  sagt  Luther  keineswegs,  dafs  er 
die  Resolutionen  dem  Bischof  überschickt  habe,  sondern  nur: 
er  habe  das  Urteil  desselben  in  dieser  Sache  (ob  er  zur  Er- 
läuterung der  Thesen  Resolutionen  herausgeben  solle  oder 
nicht)  erbeten. 

2  In  dem  vom  30.  Mai  datierten  Schreiben  an  Staupitz, 


1)  Luther  scheint  in  der  Zeit  nach  dem  22.  Mai  Nachrichten  aus 
Rom  erhalten  zu  haben,  wie  übel  er  an  der  Kurie  beleumdet  sei 
(s.  den  Brief  bei  End.  1,  200).  Deswegen  zieht  er  vor,  sich  mit  dieser 
Verteidigungsschrift  lieber  gleich  unmittelbar  an  den  Papst  selbst  zu 
wenden:  emitto  ecce  meas  nugas  declaratorias  mearum  disputationum. 
Emitto  autem,  quo  tutior  sim,  sub  tui  nominis  pratsidio  et  tuae  pro- 
tectionis  umbra  u.  s.  w.  Vgl.  auch  den  Schlufs  der  Resolutionen 
(S.  628):  nec  ausus  fuissem  nomen  Summi  Pontifitis  hiis  meis  buUis 
appdlare,  nisi  vidissem  amicos  meos  iUius  terrore  quam  maxime  con- 
fidere,  deinde  quod  Summi  Pontificis  pcculiare  tit  offitium,  ut  debi- 
torern  agat  sapientibus  et  intipientibus,  Gr  actis  et  Barbari*. 

2)  Luther  an  Scheurl,  5.  März,  End.  I,  166. 


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170  BKIEGfilty 

welches  Luther  in  seinem  Drucke  der  Resolutionen  dem 
Briefe  an  den  Papst  noch  voraufgehen  liefs,  lesen  wir  frei- 
lich: üogo  itaque  hos  meas  ineptias  suscipias  et  qua  fieri 
polest  industria  ad  Optimum  Pontificem  Leonem  decimum  trans- 
mittas,  ut  sint  ibi  mihi  adversus  studio,  malignantium  vice  all- 
cujus  paracleti  (End.  I,  198  f.).  Aber  in  dem  ganzen  Briefe 
ist  keine  Andeutung,  dafs  Luther  hiermit  handschriftlich 
die  Resolutionen  zur  Weiterbeförderung  an  den  Papst  über- 
sendet habe;  vielmehr  macht  auch  dieser  Brief  von  Anfang 
bis  zu  Ende  den  Eindruck,  dafs  er  von  vornherein  als 
eine  Vorrede  zu  den  Resolutionen  für  die  Öffentlichkeit  be- 
stimmt gewesen  ist.  Man  vergleiche  aufserdem  die  Wen- 
dung: Haec  est  causa,  Bever ende  Pater,  quod  ego  nunc  infeli- 
citer  in  publicum  prodeo,  qui  semper  angüli  amator  fui 
(End.  1 ,  1 98).  Und  ebenso  wenig  erweckt  der  Widmungs- 
brief an  den  Papst  die  Vorstellung,  dafs  er  handschriftlich 
mit  einem  handschriftlichen  Werke  übergeben  sei,  wenn  wir 
hier  lesen:  Itaque  quo  et  ipsos  adversarios  mitigem  et  desideria 
multorum  cxpleam,  emitto  ecce  meas  nugas  declaratorias  mea- 
rum  disputationum.  Emitto  autem  . . .  sub  tui  nominis  praesidic 
u.  s.  w.  (End.  I,  203).  Auch  dieser  Brief  ist  also  für  die 
Öffentlichkeit  verfafst,  und  nichts  deutet  darauf  hin,  dafs  er 
vor  dem  Abdruck  in  den  Resolutionen  noch  zu  einem  an- 
dern Zwecke  verwendet  sei.  Hätte  Luther  die  Resolutionen 
im  Manuskript  dem  Papst  zugehen  lassen,  würde  er  kaum 
in  der  Lage  gewesen  sein,  später  an  Cajetan  zu  schreiben: 
Praeterea  edito  libello  Resolutionum  wie  et  omnia  mca  sub  pedibus 
suae  Sanctitatis  projeci 1.  Überdies  sind  wir  zufallig  im  Stande 
nachzuweisen,  dafs  auch  Staupitz  die  Resolutionen  erst  ge- 
druckt zu  Gesichte  bekommen  hat.  Am  1 .  September  schreibt 
Luther  an  Staupitz :  Vidcbis  Itesolutioncs  et  responsiones  meas  *, 
in  aliquot  locis  liberiores,  quam  forte  et  tu  ipse  j)robare  possis 
[also  hatte  Staupitz  sie  noch  nicht  gesehen],  porro  adulatori- 
bu8  Romanis  intolerabiles  (End.  I,  223)  3. 

1)  Luther  an  Cajetan,  16.  Oktober  1518,  End.  I,  266. 

2)  An  Spalatin  hatte  Luther  die  Resolutiones  am  28.,  die  Responsio 
ad  Dial.  Silv.  Prieriatis  am  31.  August  geschickt;  s.  End.  I,  219.  221. 

3)  Wenn  Luther  fortfährt:  ud  Rt$olutionts  editae  fuerant,  ofto- 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  II. 


171 


3.  Hat  nun  Luther  keineswegs  die  Resolutionen  Ende 
Mai  handschriftlich  zur  Weiterbeförderung  nach  Rom  an 
Staupitz  geschickt,  so  lallt  schon  damit  die  Möglichkeit,  dafs 
sie,  wie  Knaake  will,  in  der  zweiten  Hälfte  des  Juni  in 
Rom  eingetroffen  sind.  Knaake  behauptet  zwar,  Prieria» 
habe  von  ihnen  schon  bei  Abfassung  seines  Dialogus  ge- 
wufst  Nach  einem  Belege  für  diese  Behauptung  sieht  man 
sich  vergeblich  um,  doch  hält  es  nicht  schwer  zu  vermuten, 
welche  Sätze  Mazzolinis  Knaake  im  Sinne  gehabt  hat.  In 
dem  Widmungsbriefe  an  Leo  X.,  welchen  Prierias  seinem 
Dialog  vorangeschickt  hat,  heilst  es:  Ubi  vero  is  sua  funda- 
me?tta  in  lucem  exttderit,  sua  probat urus  aut  impro- 
baturus  nostra,  quiddam,  volente  Deo,  moliar  et  majus  et 
accuratius  expolitum  (E.  A.  Op.  v.  a.  I,  345).  Und  ähnlich 
redet  er  Luther  an:  Quoniam  vero  codicis  abs  te  (ut  fertur) 
editi  fundament  a  cemere  non  datur,  nec  tu  conclusio- 
nibus  tuis  probationem  ullam  attulisti,  so  wolle 
er  den  Kampf  in  der  und  der  Weise  eröffnen,  ttt  quibus 
innitaris  fundament  is  edoceas  (S.  346).  Und  am  Schlufs 
der  Schrift  ruft  er  Luther  zu:  Eia,  nunc  age,  aut  improba 
rnea  aut  tua  proba.  Diese  Stellen  sind  aber  nur  ein  Be- 
weis, dafs  Prierias  bei  Abfassung  seines  Dialogs  von  Luthers 
Resolutionen  noch  nichts  wufste,  sondern  nur  teils  voraus- 
setzte, dafs  Luther  Beweise  für  seine  Thesen  beibringen 
werde,  teils  es  für  nötig  hielt,  ihn  zur  Veröffentlichung  der- 
selben anzustacheln. 

Wenn  die  Schrift  nicht  nur  handschriftlich  nach  Rom  ge- 
schickt ist,  sondern  dort  auch  die  Citation  Luthers  veranlafst 
hat,  so  sollte  man  meinen,  dafs  sie  dem  mit  der  Angelegen- 
heit vertrautesten  theologischen  Mitgliede  der  Kommission, 
eben  dem  Silvester  Prierias,  zu  Gesichte  gekommen  sei,  und 
dafs  Luther  in  seiner  Antwort  sich  demgemäfs  auf  sie  als 
eine  seinem  Gegner  mittlerweile,  d.  h.  bald  nach  Abfassung 
seines  Dialoges,  bekannt  gewordene  beziehen  müfste.  Jeden- 


qui  eas  tempera&sem ,  so  kann  sich  das  nach  dem  voraufpcganpenen 
Satze  nur  auf  eine  allgemeine  Mahnung  zur  Mäßigung  beziehen,  welche 
Luther  jüngst  von  Staupitz  erhalten  haben  wird. 


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172 


HltlfiGEU, 


falls  mufste  sie,  als  Luther  im  August  seine  Antwort  schrieb, 
dem  Prierias  läugst  bekannt  sein.  Allein  Luthers  Entgegnung 
auf  den  Dialog  Mazzolinis  zeigt  deutlich,  dafs  er  bei  diesem 
eine  Kenntnis  seiner  Resolutionen  keineswegs  annahm.  Nicht 
selten  verweist  er  ihn  auf  diese  ausfuhrlichere  Erläuterung 
seiner  Thesen  l.  Zwar  scheint  Luther  dabei  an  zwei  Stellen 
die  Möglichkeit  vorauszusetzen,  dafs  Prierias  sie  bereite  ge- 
sehenhabe: so  662,  12 f.:  de  quibus  late  in  declarationibus,  si 
pervenerunt  aut  pervenient  in  manus  tuas  und  S.  684, 
8f.:  Caetera,  credo,  vidisti*  aut  videb is  in  declarationibus 
meis.  Allein  Luther  versetzt  sich  hier  in  die  Zeit,  wo 
Prierias  diese  seine  Antwort  lesen  wird,  und  denkt  dabei 
an  die  Möglichkeit,  dafs  die  Resolutionen  seiner  Responsio 
vorauseilen  möchten  s.  Das  beweisen  schlagend  die  Stellen, 
in  denen  Luther  sich  ausschliefslich  des  Futurums  bedient: 
S.  656,  27:  rationes  meas  videbis  in  declarationibus,  S.  658, 
41:  ut  videbis  in  resolutionibus ,  desgl.  S.  661,  38.  Hier 
liegt  also  nicht  ein  einfaches  argumentum  e  silentio  gegen 
Knaakes  Annahme  vor;  sondern  die  Art,  wie  Luther  hier 
von  seinen  Resolutionen  redet,  schliefst  bestimmt  die  Mög- 
lichkeit aus,  dafs  sie  dem  Prierias  bereits  vor  Erlafs  der 
Vorladung  vorgelegen  haben. 

4.  Nach  alledem  Hegt  der  Ungrund  der  weiteren  Be- 
hauptung Knaakes  klar  zutage,  eine  unmittelbare  Folge  der 
eingereichten  Schrift  sei  Luthers  Vorladung  nach  Rom  ge- 
wesen 4.    Knaake  weifs  auch  noch  von  einer  andern  Wir- 


1)  Aufser  den  im  Folgenden  erwähnten  Stellen  vgl.  W.  A.  I,  666, 
22.  658,  12.  668,  12.  664,  4  f.  666,  17.  681,  38.  Auch  das  alias  S.  667, 
10  geht  auf  die  Resolutionen;  vgl.  diese  S.  673 f. 

2)  So  ist  in  dem  Drucke  C  das  videris  der  ersten  Drucke  (A  und 
B)  verbessert.  Vgl.  über  die  Bedeutung  dieses  revidierten  Druckes 
diese  Zeitschrift  VII,  683  ff. 

3)  Thatsächlich  haben  sie  allerdings  nur  wenige  Tage  früher  die 
Presse  verlassen;  doch  hat  Luther  vermutlich,  als  er  die  Antwort  an 
Prierias  niederschrieb,  noch  auf  einen  früheren  Abschlufs  des  Druckes, 
der  ihm  langst  zu  langsam  gegangen  war  (s.  Luther  an  Lang,  10.  Juli, 
End.  I,  219),  gehofft 

4)  Vgl.  auch  Knaakes  Einleitung  zu  den  „Acta  Augustana'1  II,  1: 


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DIE  NEUE  LUTHEK-AUSG  AHE.  II. 


173 


kung  in  Rom  zu  erzählen :  „  In  Rom  war  man  bestürzt  über 
ihren  Inhalt:  man  dachte  an  Gift  und  Meuchelmord,  um 
sich  des  Reformators  zu  entledigen/'  Ganz  richtig.  So 
schreibt  Luther  an  Spalatin:  Denique  nuper  ex  urbe  scripsit 
Olsnitzer  Canceüario  Ducis  Pomerani  nostri ,  me  adeo  contur- 
basse  totam  Bomam  Resolu  tionibus  et  Dialogo,  ut  ne- 
sciant  u.  s.  w.  (de  Wette  I,  260.  End.  II,  lf.).  Aber 
es  steht  das  in  einem  Briefe,  der  frühestens  in  den  Februar 
1519  angesetzt  werden  kann  1,  so  dafs  das  nuper  nicht  auf 
eine  Wirkung  der  Resolutionen  im  Sommer  1518  bezogen 
werden  kann.  Zudem  ist  es  nicht  zufällig,  dafs  Luther  hier 
die  Wirkung  der  Resolutionen  und  seines  Dialogs  zusammen- 
fafst;  denn  in  der  That  sind  sie,  wie  sie  fast  in  den  näm- 
lichen Tagen  fEnde  August)  *  die  Presse  verliefsen,  so  auch 
zu  gleicher  Zeit  in  Rom  bekannt  geworden;  Silv.  Prierias 
wenigstens  versichert  ausdrücklich,  dafs  er  beide  Schriften 
zugleich  erhalten  habe  s. 

Die  Frage,  welche  Schriften  Luthers  zur  rechtlichen  Be- 
gründung seiner  Vorladung  vor  das  Gericht  des  Papstes 
verwendet  sind,  ist  geschichtlich  so  wichtig,  dafs  wir  noch 
kurz  bei  ihr  verweilen  müssen.  Luther  selbst  läfst  über  den 
Thatbestand  keinen  Zweifel. 

Cajetan  hatte  in  seinem  Verhör  den  Thesen  als  Anklage- 
objekt die  Sermone  Luthers  beigesellt  und  ebenso  in  seinem 
Briefe  an  den  Kurfürsten  Friedrich  4 :  was  Luther  in  seinen 
Thesen  nur  disputative  gesagt,  das  habe  er  in  seinen  Sermonen 
affirmative  et  assertive  behauptet 5.  Hieran  anknüpfend  fuhrt 

„Auf  seine  demütig  eingereichten  Resolutionen  antwortete  dem  Refor- 
mator der  Papst  mit  einer  Anklage  auf  Ketzerei.1' 

1)  Wohl  sicher  um  den  24.  Februar. 

2)  S.  oben  S.  170  Anm.  2. 

3)  S.  seine  Replica,  Weim.  Ausg.  II,  50:  cum  resolutione  tuarum 
positionum  etiam  tuam  responsxonem  ad  nostrum  Dialogum  excepi. 
Das  ist  auch  Knaake  nicht  entgangen;  s.  II,  48. 

4)  S.  Cajetan  an  Kurf.  Friedrich,  25.  Oktober,  End.  I,  269. 

5)  Ebenda  I,  271.  Von  den  Resolutionen  ist  in  diesem  Briefe  nicht 
die  Rede;  dafs  aber  Cajetan  aus  ihnen  ebenfalls  Stoff  zur  Anklage  gegen 
Luther  entnahm,  kann  nicht  aberraschen:  Luther  sollte  ja  in  den  Re- 
solutionen falsch  über  das  Verhältnis  ?on  Sakrament  und  Olauben  ge- 


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174 


BKIEOER, 


Luther  in  seiner  Beleuchtung  dieses  Briefes  aus,  mit  diesem 
Zugeständnis,  er  rede  in  den  Thesen  nur  disputative,  habe 
Cajetan  selber  ihn  freigesprochen,  das  ganze  Verfahren  gegen 
ihn,  das  in  Rom  angestrengte  rechtliche,  wie  sein  eigenes 
verurteilt:  denn  einzig  wegen  seiner  Thesen  sei  er  citiert 
worden:  Nam  (sagt  er  von  sich  in  der  dritten  Person)  super 
disputatione  fuit  citatus,  non  super  sermonibus:  super 
sermones  enim,  postquam  fuerat  citatus,  facti  sunt  certiores  l. 
Luther  hätte  von  seinen  Resolutionen  dasselbe  behaupten 
können  wie  hier  von  seinen  Sermonen.  Weit  entfernt  da- 
von, in  der  Citation  eine  Folge  seiner  Resolutionen  zu  er- 
blicken, hat  er  diese  Schrift  vielmehr  als  seine  Antwort 
auf  die  Citation  betrachtet  (als  eine  Art  von  Appel- 
lation von  der  ungerechten  Citation  der  päpstlichen  Gerichts- 
kommission  an  den  Papst  selbst),  so  dafs  ihm  zur  Zeit 
nichts  zu  thun  obliege,  dafs  er  nur  den  Spruch  abzuwarten 
habe:  er  meint,  er  sei  von  Rechts  wegen  gar  nicht  dazu 
verpflichtet  gewesen,  dem  Kardinal  Cajetan  Rede  zu  stehen, 
praesertim  cum  Resolutionen  meae  essent  oblatae  et  significatae 
Summo  Fontifici,  ita  ut  ad  me  nihil  pertineret  haee  causa,  nisi 
ut  expectarem  sententiam  2. 


lehrt  haben;  s.  Acta  August.  W.  A.  II,  7  (vgl.  II,  13);  ebenso  Luther 
an  den  Kurfürsten,  19.  November,  End.  I,  286.  Auch  sonst  hatte  Ca- 
jetan die  Resolutionen  gelesen:  s.  denselben  Brief  End.  I,  290. 

1)  Luther  an  den  Kurfürsten,  19.  November,  End.  I,  293 f.  In 
der  That  betraf  der  Auftrag  des  Papstes  nur  die  Thesen;  s.  Luther  in 
den  Acta  Augustana  (II,  8):  de  mandato  Papae  .  .  .  proposuit  et 
exegit,  ut  super  disputatione,  quam  de  indulgentiis  habui, 
tria  haec  facerem. 

2)  End.  S.  295.  Ähnlich  Luther  an  Cajetan,  18.  Oktober,  End. 
I,  266  und  in  den  Acta  August.,  W.  A.  II,  18,  12f.  (Vgl.  die  „Appel- 
latio  ad  Papam",  W.  A.  II,  30.  32  und  „Eine  Freiheit  des  Sermons 
päpstl.  Ablafs  und  Gnade  belangend",  W.  A.  I,  393.) 

[Leipzig  1889.] 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  HL 


175 


III. 

Zar  Kritik  des  Textes  der  Resolutionen  von  1518* 

Ich  hatte,  als  ich  vor  drei  Jahren  [1889]  die  vorstehen- 
den Bemerkungen  zu  Knaakes  Einleitung  in  die  Resolutionen 
niederschrieb  >,  nicht  die  Absicht,  auch  den  Text  der  Reso- 
lutionen einer  Kritik  zu  unterziehen.  Als  ich  mich  aber 
jüngst  im  Zusammenhang  umfassenderer  Studien  über  den 
Abi  aisstreit  aufs  neue  eingehender  mit  dieser  für  dieses 
Gebiet  wichtigsten  Schrift  Luthers  zu  beschäftigen  hatte, 
sah  ich  mich  genötigt,  bei  den  Zweifeln,  zu  denen  mir  hie 
und  da  der  Text  der  Weimarer  Ausgabe  Anlafs  bot,  aut 
die  Originaldrucke  zurückzugehen.  Die  Wahrnehmungen,  die 
ich  dabei  machte,  sind  von  Wert  fiir  eine  künftige  Konsti- 
tuierung des  Textes  *,  wenngleich  sie  nicht  den  Anspruch 
erheben  können,  eine  erschöpfende  Verwertung  der  Ur- 
drucke  darzustellen. 

Dafs  ich  meine  Bemerkungen  an  die  neueste  Ausgabe 
anknüpfe,  ist  schon  durch  die  Achtung  vor  dieser  geboten. 
Wenn  die  Vergleichung  des  Knaakeschen  Textes  mit  seinen 
Vorlagen  zu  erneuten  Bedenken  an  der  Richtigkeit  seiner 
textkritischen  Grundsätze  führt,  so  ist  dieses  Ergebnis  frei- 
lich aufserordentlich  bedauerlich  —  aber  im  Interesse  der 
Sache  gleichwohl  nicht  zu  unterdrücken. 


Knaake  I,  523  führt  vier  Urdrucke  (A  —  D)  auf, 
von  denen  drei  dem  Jahre  1518  angehören,  der  letzte  die 
Jahreszahl  1519  aufweist.  Die  beiden  ersten  stammen  aus 
der  Druckerei  Grunenbergs  in  Wittenberg,  der  3.  und  4. 
aus  der  Werkstatt  Melchior  Lotthers  in  Leipzig.  Von 
diesen  vier  Drucken  ist  der  zweite  (B)  auszuscheiden;  denn 
er  deckt  sich  völlig  mit  A,  nur  dafs  den  später  ausgegebenen 


1)  Dieselben  wurden  damals  wegen  Raummangel  zurückgelegt 

2)  Eine  neue  Ausgabe  der  Streitschriften  Luthers  gegen  den  Ablafs 
würde  sich  schon  für  den  akademischen  Unterricht  empfehlen. 


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176 


bUlEGER, 


Exemplaren  ein  umfangreiches  Druckfehlerverzeichnis  an- 
gehängt ist l.  Nach  Knaake  hat  nun  Melchior  Lotther  den 
Druck  C  nach  B  veranstaltet  und  ihn  „durch  den  Verfasser 
selbst  von  mehreren  Fehlern  gesäubert"  genannt,  während 
D  dann  wieder  von  C  abgedruckt  sei.  Aus  diesem  Verhält- 
nis der  Urdrucke  zieht  Knaake  die  Folgerung  (S.  524): 
„Grundlage  für  unsern  Text  kann  nur  A  mit  Benutzung 
des  Fehlerverzeichnisses  in  B  sein;  hin  und  wieder  ziehen 
wir  andere  Ausgaben  an"  *. 

Hier  ist  zunächst  die  Geringschätzung  auffallend,  mit 
welcher  Knaake  sich  über  die  Titelbemerkung  des  ehrsamen 
Leipziger  Buchdruckers  Melchior  Lotther  hinwegsetzt:  ab 
ipso  earutn  autore  a  pluribus  mendis  repurgatae;  sie  wird  um 
so  auffallender,  wenn  man  bedenkt,  dafs  es  der  nämliche 
Lotther  ist,  mit  dem  Luther  in  demselben  Monat,  in  welchem 
seine  Resolutionen  die  Wittenberger  Presse  verliefsen,  in 
geschäftliche  Verbindung  getreten  ist 3,  bei  dem  er  im 
Sommer  1519  während  der  Disputation  in  Herberge  gelegen 


1)  Eben  die  Exemplare  mit  den  Errata  bezeichnet  Knaake  als  B. 
Das  Richtige  schon  bei  von  Dommer,  Lutherdrucke  auf  der  Ham- 
burger Stadtbibliotbek  (Leipzig  1888),  S.  16. 

2)  Es  wird  denn  auch  einige  Male  auf  C  und  D  Bezug  genommen, 
desgleichen  auf  die  Ausgabe  von  Muhlius  von  1717,  auf  die  Baseler 
Sammlungen  und  auf  die  Wittenberger ,  Jenaer  und  Erlanger  Gesamt- 
ausgaben.  Doch  sind  das  Ausnahmen. 

3)  Indem  er  im  August  1518  seine  Antwort  auf  den  Dialog  des 
Silvester  Prierias  seiner  Presse  übergab  mitsamt  dem  neu  aufzulegenden 
Dialogus  selbst  Die  Resolutionen  konnte  Luther,  wie  bekannt,  am 
28.  August  versenden,  die  Entgegnung  auf  Prierias  am  31.  S.  En- 
ders, Luthers  Briefwechsel  I,  219  (vom  28.,  nicht  21.,  August).  221. 
236.  —  Von  sonstigen  Schriften  des  Jahres  1518,  die  zuerst  bei  Grunen- 
berg  herauskamen,  hat  Lotther  gedruckt:  1)  Sermon  von  Ablafs  und 
Gnade,  1519.  2)  Sermo  de  poenitentia,  1518  und  noch  zweimal  1519 
(überhaupt  fallen  von  den  acht  bekannten  Drucken  desselben  drei  auf 
ihn;  s.  Knaake  I,  316 f.).  3)  Decera  praeeepta,  1519.  4)  Sermo  de 
virtute  exeommunicationis,  1519.  5)  Auslegung  des  109.  Psalms,  1518. 
1519.  6)  Acta  Augustana,  zweimal  s.  a.  7)  Appellatio  ad  Concilium 
(s.  a.  —  v.  Dommer  Nr.  35;  vgl.  S.  23).  8.  Sermo  de  triplici  iustitia, 
1519.    Waren  das  sämtlich  nur  Nachdrucke? 


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DIE  NEUE  LUTHEK-At'SOABE.  III. 


177 


hat  \  auch  eine  seiner  Hauptschriften  dieses  Jahres  hat 
drucken  lassen  *. 

Es  ist  bekannt,  wie  sehr  die  Langsamkeit  des  Druckes 
der  Resolutionen  bei  Grunenberg  Luthers  Ungeduld  heraus- 
forderte5, und  wie  er  sich  mehrmals  tadelnd  über  die 
allerdings  durch  seine  vorübergehende  Abwesenheit  von 
Hause  mitverschuldete  Inkorrektheit  des  Druckes  äufserte  *. 
Dieser  Druck  war  aber  nicht  blofs  äufserst  fehlerhaft, 
sondern  auch  unschön,  „unrein  und  schlecht  lesbar"  6.  Man 
könnte  daher  auf  den  Gedanken  kommen,  Luther  habe  in 
gerechtem  Unmut  über  dieses  Erzeugnis  der  Wittenberger 
Presse  dem  Johann  Grunenberg,  wie  er  das  auch  ein  Jahr 
später  mit  der  Erläuterung  seiner  dreizehnten  Leipziger  These 
that6,  den  neuen  Druck  seiner  Resolutionen  entzogen  und 
ihn  selber  der  ungleich  leistungsfähigeren  und  eine  bessere 
Ausstattung    verbürgenden  Leipziger   Offizin  übertragen 7. 


1)  Vgl.  F.  Seifert,  Die  Reformation  in  Leipzig  (Leipzig  1883), 
S.  42. 

2)  Seinen  Kommentar  zum  Galaterbrief,  desgleichen  1519  die  zweite 
überarbeitete  Auflage  seiner  Resolutio  super  propositione  XIII.,  seine 
Auslegung  des  Vaterunsers  und  seine  Streitschrift  gegen  Eck  (Contra 
malignum  Eccii  iudicium). 

3)  Luther  an  Lang,  10.  Juli  (End.  I,  210 f.):  Misissem  Probationes 
mearum  positionum,  R.  Pater,  sed  tarn  segnis  est  noster  chafcographus, 
ut  et  ipse  tnire  discrucier  ea  dilatione;  sunt  ferme  18  conclusiones 
absoluta*,  quas  tentavi  ut  mitterein.  Darnach  sind  damals  die  ersten 
sechs  Bogen  gedruckt  gewesen  (von  15.).  Der  Druck  wird  in  den 
ersten  Tagen  des  Juni  begonnen  haben  (s.  Luther  an  Spalatin,  4.  Juni, 
End.  I,  204),  hat  also  fast  drei  Monate  gedauert. 

4)  Luther  an  Spalatin,  28.  August  (End.  I,  219):  Mitto  Reso- 
luttones mearum  propositionum,  sed  mendose  excusas ,  ita  obfuit  mea 
aliquanta  absentia  (nicht  die  Reise  nach  Heidelberg,  wie  Enders  will, 
sondern  seine  Reise  nach  Dresden,  in  der  zweiten  Hälfte  des  Juli),  und 
2.  September  (End.  I,  226):  Resolutiones  meas  corruptissime  excusas  etc. 

5)  VgL  v.  Dommer  S.  15. 

6)  S.  oben  Anm.  2. 

7)  Es  läge  dann  die  Vermutung  nahe,  Lotther  habe  unmittelbar 
nach  Beendigung  des  Druckes  des  Dialogus  Silv.  Prieriatis  und  der 
Lutherschen  Gegenschrift  sieh  an  den  Neudruck  der  Resolutionen  ge- 
macht, also  etwa  noch  im  September  oder  Anfang  Oktober.   Nach  An- 

Z«lt»chf.  f.  K.-o.  XVII,  u.  ».  12 


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178 


BKIEGKK, 


Ks  war  dann  selbstverständlich,  dafs  er  auf  eine  Beseitigung' 
der  Fehler  bedacht  war:  das  ,ab  ipso  earum  avtore  a 
plurüms  mendis  repurgatae'  würde  sich  so  leicht  erklären. 

Doch,  möglicherweise  ist  Melchior  Lotther,  der  Geschäfts- 
mann, wirklich  der  eitle  Reklameheld  gewesen,  für  welchen 
ihn  die  neueste  Lutherausgabe  ausgiebt,  und  der  Reformator 
ist,  gutmütig  darüber  hinwegsehend,  bei  dem  Flunkerer 
eingekehrt.  Denn  wir  haben  uns,  wenn  auf  das  Wort 
Lottbers  nichts  zu  geben  ist,  ja  bisher  in  blofsen  Ver- 
mutungen bewegt 

Allein  es  bedarf  dieser  überhaupt  nicht.  Sein  Druck 
elber  kann  entscheiden  —  für  ihn  oder  gegen  ihn.  Es  ist 
sonderbar,  dafs  Knaake  diese  Instanz  nicht  befragt  hat 

Es  würde  noch  immer  auf  einen  geschäftlichen  Kunst- 
griff hinauslaufen,  hätte  Lotther  seine  Titelbemerkung  blofs 
darauf  gestützt,  dafs  er  sich  die  ,  Errata '  in  den  später  aus- 
gegebenen Exemplaren  des  Wittenberger  Druckes  zu 
Nutzen  machte.  Dafs  die  hier  angegebenen  Verbesserungen 
(einige  fünfzig  an  der  Zahl)  in  den  Text  des  neuen  Druckes 
aufgenommen  worden  sind,  erwarten  wir  von  vornherein  als 
selbstverständlich.  In  der  That  ist  das  fast  ausnahmslos 
geschehen  l. 


tritt  seiner  Augsburger  Reise  wird  Luther  bis  zu  Ende  des  Jahres  auch 
schwerlich  Mufse  gehabt  haben,  sich  um  den  Druck  zu  kümmern. 

1)  Stehen  geblieben  sind  nur  vier  Fehler  von  A,  deren  Verbesse- 
rung die  Errata  bieten;  sie  drängen  sich  auf  sechs  Zeilen  des  Urdruckes 
zusammen  (Bl.  C  3bsq.): 

S.  642,  18:  cum  haemorrhoisse. 

S.  542,  19:  ptnis  et  peius. 

S.  542,  40:  docendi. 

S.  543,  1:  contemnerentur. 
(Die  drei  letzten  Fehler  sind  dann  in  dem  zweiten  Lottherschen  Drucke, 
D,  nach  Anleitung  der  Errata  verbessert.)  Halb  ausgefühlt  ist  die 
Verbesserung  S.  545,  1,  indem  statt  des  verosimihmus  von  A,  was  die 
Errata  in  verisimilius  ändern ,  in  C  D  vero  similius  gesetzt  ist  — 
S.  600,  29  liest  A:  Optimi  sane  Theoiogi  et  Christiani,  qui  facta nt 
hoc  hominibus,  quod  sibi  vellcnt  fieri.  Nach  den  Errata  soll  dafür  ge- 
lesen werden:  qui  non  faciunt.  Hier  setzt  0  zwar  faciunt,  läfst 
aber  das  non  aus  (ebenso  D,  Bas.4,  Jen.,  Lösch.,  Erl.,  mit  Recht  von 


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DIE  NEUE  LUTHER- AUSGABE.  III. 


J79 


Auch  der  Umstand,  dafs  C  einige  Druckfehler  auf  eigene 
Hand  verbessert  hat  *,  würde  noch  nicht  das  Recht  Lotthers  zu 
seiner  Behauptung  erweisen.  Dieses  Verdienst  wird  sich  sein 
Korrektor  erworben  haben.  Einzelne  Korrektoren  von  tieferer 
wissenschaftlicher  Bildung  haben  damals  durch  ihre  Sorgfalt 
es  dahin  gebracht,  dafs  ihre  Nachdrucke  sich  vorteilhaft 
vor  den  Originalausgaben  der  Schriften  Luthers  auszeich- 
neten. Was  die  Baseler  Drucke  eines  Froben,  Adam  Petri, 
Andreas  Cratander  Männern  wie  Jacob  Näf,  Beatus  Rhena- 
nus und  Conrad  Pellikan  verdanken,  ist  bekannt  Zu  den 
ihrer  Aufgabe  vollauf  gewachsenen  Korrektoren  ist  indessen 
unser  Leipziger  Unbekannte  nicht  zu  zählen.  Denn  von  den 
in  den  Errata  übersehenen  Druckfehlern  von  A  hat  er  mehr 
als  zwei  Drittel  herübergenommen  *,  seine  Sorglosigkeit  über- 


Knaake  eingesetzt).  —  Endlich  bieten  vier  weitere  Stellen  Abwei- 
chungen von  den  in  den  Errata  von  A  angegebenen  Korrekturen,  da 
hier  C  seinerseits  sachliche  oder  stilistische  Verbesserungen  an- 
gebracht hat 

1)  Es  sind  folgende: 

539,  SO:  hae  statt  heae. 

549,    5:  si  quam  statt  st  qua. 

554,  33  :  ut  digrediar  statt  ut  digredior. 

559,  34:  ablationem  statt  oblationem. 

565,   8 :  vre  in  damnationem  statt  irae  . . . 

570,  11:  quod  probent  statt  quae  probent. 

572,  23:  XXV  statt  XXXV. 

573,  80:  indignitaie  statt  in  dignitate. 
588,  23  :  veüent  statt  veUet 

595,  26:  nunquam  statt  nanquam. 
600,    1 :  XLIII  statt  LX11I. 
602,  22:  Simonienses  statt  Simonenses. 
611,  22:  Aug.  Ancon.  statt  Ang.  Ancon. 

627,  29:  concilium  statt  consilium. 

628,  11:  essent  statt  esset. 

—  ,16:  tiUficationem  statt  viUficationum. 
— ,  35 :  appellare  für  appeUere. 

2)  Darunter  recht  schlimme,  sinnstörende,  wie  z.  B.  S.  647,  3: 
umissae,  S.  565,  6:  parabile,  S.  672,  37:  tarnen  statt  tan  tum,  S.  683, 
26:  Sed  für  scüicet,  S.  585,  1:  non  afjirmant  (statt  affirmant),  S.602, 
15:  et  agere  statt  quam  agere,  S.  614,  27:  iüius  statt  huius,  S.  618, 
6:  eonati  statt  coronari.  —  Sorgsamer  als  C  ist  D  korrigiert,  sofern 

12* 


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180 


BKIEGER, 


dies  dadurch  bekundet,  dafs  er  eine  nicht  eben  spärliche 
Anzahl  neuer  Fehler  hat  durchschlüpfen  lassen  l. 

Alles  in  allem  genommen  zeichnet  sich  also  C  (abgesehen 
von  der  Verbesserung  der  angegebenen  ,  Errata')  kaum 
durch  Korrektheit  vor  A  aus. 

Von  einem  Korrektor  dieses  Schlages  wird  niemand 
erwarten,  dafs  er  eine  nicht  geringe  Anzahl  von,  zum  Teil 
feinen,  stilistischen  Verbesserungen  oder  gar  leichte  sachliche 
Änderungen  vorgenommen  habe,  wie  diese  C  aufweist. 

Aber  noch  mehr!  Ein  Teil  der  Änderungen  ist 
so  beschaffen,  dafs  sie  nur  aus  der  Feder  des 
Verfassers  selbst  stammen  können. 

Ich  gebe  im  Nachfolgenden  eine  Zusammenstellung 
dieser  Abweichungen  des  Lottherschen  Druckes  von  dem 
Wittenberger  Urdruck.    Dabei  mufs  ich  die  wichtigeren, 


von  den  aus  A  übernommenen  Fehlern  etwa  ein  Drittel  beseitigt  ist. 
Noch  gröfsere  Sorgfalt  zeigt  in  dieser  Hinsicht  der  vierte  Baseler 
Druck  der  Opera  Lutheri  (von  Andreas  Cratander,  vollendet 
im  März  1520;  vgl.  v.  Dommer  S.  22  und  dazu  „Briefwechsel  des 
Beatus  Rhenanus"  von  Horawitz  und  Hartfelder,  Leipzig  1886,  S.  188). 
Ob  die  hier  sich  findenden  Verbesserungen  nicht  auf  eine  der  früheren 
Baseler  Sammlungen  (die  beiden  ersten  derselben,  die  von  Fr  oben  ge- 
druckten aus  dem  Oktober  1518  [vgl.  v.  Dommer  N.  34,  S.  21  f.]  und 
dem  Februar  1519,  waren  ein  Unternehmen  des  Beatus  Rhenanus: 
opera  et  Submission*  Beati  Bhenani  sagt  Conr.  Pellikan,  Chronicon, 
herausgegeben  von  B.  Riggenbach,  Basel  1877,  S.  75)  zurückgehen,  ver- 
mag ich  nicht  zu  sagen,  da  sie  mir  hier  nicht  zur  Verfügung  stehen. 

1)  Sie  erreicht  mindestens  die  Höhe  der  selbständig  von  C  aus- 
gemerzten.   Ich  nenne  nur  folgende: 
536,  30:  Ac  «  statt  Ac  sie. 
549,  13:  mirantur  statt  mirentur. 
568,  28:  vides  statt  viles. 
588,   1 :  formidate  statt  formidare. 
592,   4:  salutarerd  statt  saloarent. 
602,  37:  corrodere  statt  corradere. 

616,  8f:  eine  Zeile  ausgefallen  (nee  aliquid  —  liberum  facerc). 

625,  12:  nos  statt  non. 

—  ,  14 :  surgere  statt  fugere. 
Einige  der  neuen  Druckfehler  vou  C  sind  in  D  verbessert,  dafür  sind 
aber  wieder  einige  andere  hinzugekommen. 


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DIK  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  III. 


181 


eben  die,  welche  deutlich  den  Lutherschen  Ursprung  ver- 
raten, kurz  besprechen. 

Im  voraus  sei  daran  erinnert,  dafs  Knaake  —  geniäfs 
seinem  Grundsatze  sich  an  A  zu  halten  —  keine  einzige 
der  abweichenden  Lesarten  von  C  in  den  Text  aufgenommen 
hat.  Ja,  die  meisten  —  ich  will  sie  durch  ein  Sternchen 
kenntlich  machen-- —  hat  er  nicht  einmal  einer  Er- 
wähnung unter  dem  Texte  für  wert  gehalten1. 

*1.  S.  531,  16  ff.  (Cond.  I):  Vera  enim  sunt  et  non  con- 
temnenda  debita,  pro  quibus  orare  iubemur;  etiam  si  sint  ve- 
nicUia,  non  tarnen  nisi  eis  remissis  salvari  possumus  statt: 
.  .  .  possimus  *. 

*2.  S.  541,  10  (Cond.  VII):  etiam  si  plus  millies 
absolvatur  a  Papa  ipso  statt:  etiam  si  millies  millies  etc.  3. 

*3.  S.  552,  22  (Cond.  XIII):  Ostendamus  haec  et 
faciamus  saltem  verisimilia  statt:  Osten demits  .  .  .  facia- 
tnus  etc. 4. 

*4.  S.  553,  35  (Cond.  XIII):  servire  uxori  et  liberis 
opere  manuum  et  victum  quaerendo  statt:  ...  victu  quae- 
rendo. 

*5.  S.  558,  14  (Cond.  XV):  Et  est  ignis  ille  inter- 
nus multo  atrocior  quam  externus  statt:  Et  hic  est  ignis 
ille  etc. 

*6.  S.  561,  4  (Cond.  XVII):  hic,  inquam,  deus  non  re- 
mittit  Septem  dies  etc   statt:  .  .  .  Septem  illos  dies  etc. 


1)  Dagegen  hat  die  Erlanger  Ausgabe  (Opera  v.  a.  II)  sie  in 
den  Text  aufgenommen,  da  sie  —  trotz  ihrer  „liederlichen  Bibliographie 
unserer  Schrift4'  (um  mit  Knaake  S.  523  zu  reden)  —  den  Druck  C 
zugrunde  gelegt  hat.  —  Alle  diese  Änderungen  finden  sich  auch  in  dem 
zweiten  Lottherschen  Drucke  (D),  der  sich  aller  weiteren  Änderungen 
enthalten  hat  (man  müfste  denn  dahin  rechnen:  S.  559,  25:  quae  sunt 
fide  imperfecta  statt  q.  8.  f.  imperfectae  und  553,  35  die  Fortlassung 
des  et  vor  victum).   Doch  s.  unten  S.  197  Anm.  4. 

2)  Der  falsche  Konjunktiv  auch  in  Bas.4  und  Bas.*  beseitigt,  desgl. 
von  Muhlius. 

3)  plus  millies  auch  Bas.4  und  Bas.6. 

4)  Die  Verbesserung  von  0  verdient  ohne  Frage  den  Vorzug  vor 
der  Änderung:  Ostend emus  —  faciemus  (so  schon  Bas.4,  Bas.*,  Wit, 
Jen.,  Lösch.,  Knaake). 


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182 


BKIEGER, 


(Allerdings  schon  vorher,  S.  560,  41,  „7  Tage  Fasten  oder 
dergl."  genannt,  bo  dafs  das  Mos  seine  Erklärung  findet. 
Dennoch  ist  die  Fortlassung  entschieden  feiner,  da  in  der 
Fortsetzung  des  Satzes  dem  Erlafs  von  sieben  Tagen  das 
omnia  remitiere  vonseiten  Gottes  gegenübergestellt  ist.) 

*7.  S.  561,  7  (Cond.  XVII):  sed  de  his  statt:  sed  de 
iis  (es  geht  iis  schon  in  derselben  Zeile  voraus). 

*8.  S.  566,  17  f.  (Cond.  XIX):  ut  .  .  .  nesciant,  an 
sint  damnatae  an  salvandae  statt:  .  .  .  vel  salvandae.  (Vgl. 
Asterisd  S.  291,  5.) 

*9.  S.  569,  34  ff.  (Cond.  XX):  Bemissio  iüa  .  .  .  tenet 
tarn  apud  deum  quam  apud  ecclesiam,  eo  quod  deus  appro bat 
hanc  ecclesiae  sitae  remissionem  statt:  . . .  eo  quod  deus  appro- 
bet  etc. 

*10.  S.  573,  38  f.  (Cond.  XXV):  Ego  dubito  et  disputo, 
an  habe at  potcstatem  iurisdictionis  in  purgatorinm  statt:  .  .  .  an 
habeant  etc.  Luther  redet  hier  ausschliefslich  von  der  po- 
testas  iurisdictionis  des  Papstes.  Worauf  sollte  der  Plu- 
ralis  gehen?  Die  voraufgehenden  Plurale  sind  Uli  Z.  35, 
identisch  mit  den  temerarii  suorum  somniorum  assertores 
Z.  38. 

*11.  S.  583,  2—4  (Cond.  XXVI):  Alioquin,  cum  Papa 
Sit  unus  homo,  qui  errare  potest  in  fide  et  moribus,  periculo  assidue 
laboraret  totius  ecclesiae  fides,  si  quicquid  ei  visum  fucrit  ne- 
cesse  sit  verum  credi  statt:  .  .  .  si  quicquid  sibi  visum 
fuerit  etc. 

*12.  S.  587,  37  (Cond.  XXXII):  Certe  populi  redar- 
guendi  sunt  aures  tarn  iüotae,  ut  etc.  statt:  ...  üloti  etc.  K 

*13.  S.  588,  3  f.  (Cond.  XXXII):  tarn  pia,  religiosa  et 
sancta  statt:  tarn  pia  et  religiosa  et  sancta. 


1)  Diese  Verbesserung  hätte  wohl  in  die  oben  S.  179  Anna.  1  ge- 
gebene Liste  aufgenommen  werden  können,  wäre  sie  nicht  sicher  von 
Luther  ausgegangen,  welcher  die  Erläuterung  der  32.  These  sorgsam 
durchgesehen  hat  Deswegen  werden  auch  die  Veränderungen  Nr.  13 
und  15  auf  ihn  zurückzuführen  sein.  (Wie  €  und  D  lesen  auch  Bas.4, 
Bas.6,  Wik,  Jen.,  Lösch.,  Erl.  Einzig  Knaake,  so  viel  ich  sehe,  liest 
mit  A:  iUoti.) 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  III. 


183 


*14.  S.  588,  8  (Cond.  XXXII) :  0  vos  duros,  duros 
«/  negligentes  statt:  0  duri,  duri  et  negligentes. 

*15.  S.  588,  11  f.  (Cond.  XXXII):  8i  vel  unam  solam 
tunicam  habes  statt:  .  .  .  haberes. 

16.  S.  588,  17  ff.  (Cond.  XXXII):  Nam  qua  via  fieri 
potest  alia,  ut  Uli  audiant  tarn  aliena  ab  iis  quae 
isti  loquuntur?  statt:  Nam  qua  via  fieri  possit  alia,  ut 
tili  tarn  aliena  loquantur  ab  iis  quae  audiuntur?  Es 
folgt  in  A  noch:  quis  possit  intelligere?  Unde  istae, 
quaeso,  verborum  larvae?  Dieser  Zusatz  ist,  da  es  sich 
nach  der  Änderung  nicht  mehr  um  verborum  larvae  handelt, 
fortgelassen.  Diese  Stelle  könnte  schon  für  sich  allein  als 
Beweis  dafür  gelten,  dafs  Luther  seine  Resolutionen  (jeden- 
falls einzelne  von  ihnen)  einer  Durchsicht  unterzogen  hat. 
Die  unzutreffende  Wendung  der  ersten  Ausarbeitung,  welche 
die  Geschlossenheit  der  Gedankenentwickelung  störte,  hätte 
sicher  kein  anderer  als  er  selbst  beseitigt.  Es  ist  nötig, 
genauer  auf  den  Zusammenhang  unserer  Stelle  einzugehen  — 
mit  teilweiser  Wiedergabe  des  Voraufgehenden.  Wir  stehen 
bei  der  berühmten  32.  Resolution,  in  welcher  der  Reformator 
-einen  seiner  assertorischen  Hauptsätze,  der  ihm  gleich  bei 
Aufstdlung  seiner  Thesen  aulser  allem  Zweifd  stand,  auf- 
recht erhält  und  geharnischt  verteidigt:  Damnabuntur  in 
aeternum  cum  suis  Magistrisf  qui  per  literas  veniarum  securos 
sese  eredunt  de  sua  salute.  „Hone",  ruft  er  aus,  „assero  et 
probo!"  „Pereat  fiducia  in  mortuis  literis!*1  Hier  ergiefst 
er  die  Schale  seines  Zornes  über  die  Verführer  des  christ- 
lichen Volkes,  bricht  er  in  Wehklagen  aus  über  das  arme 
verführte  Volk.  Docentur  confidere  in  scriptam  et  ceratam 
papyrum!  Er  stützt  sich  für  diese  Behauptung  auf  seine 
eigenen  Erfahrungen:  Audivi  ego  ipse  multos,  qui  datis  pe- 
cuniis  et  redemptis  literis  totam  fiduciam  in  Utas  posuerunt. 
Denn  so  hatten  sie  es,  wie  sie  sagten,  von  den  Ablafspredigern 
gehört  oder,  wie  er  zur  Ehre  der  letzteren  annimmt,  so 
hatten  sie  dieselben  verstanden.  Er  hat  die  Ablafsprediger 
nicht  selber  gehört.  Deswegen  tadelt  er  sie  nicht:  sie  mögen 
sich  entschuldigen  und  schneeweifs  waschen.  Gewifs  sind  die 
Ohren  des  Volkes,  das  man  der  Unwahrheit  zeihen  mufs,  so 


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184 


BUIEGER, 


ungewaschen,  dafs  sie  ganz  anderes  hören,  als  was- 
jene  sagen:  Certe  populi  redarguendi  sunt  aures  tarn  iüotae, 
ut  Ulis  salutaria  dicentibus  ipsi  non  nisi  pestif er a 
audiant.    „Nämlich,  während  jene  sagen:  ,Vor  allem, 
Brüder,  glaubet  an  Christum  und  setzet  euer  Vertrauen  auf 
ihn  und  thut  Bufse,  nehmet  euer  Kreuz  auf  euch,  folget 
Christo  nach,  tötet  euere  Glieder,  lernt  euch  vor  Strafen  und 
Tod  nicht  fürchten.    Vor  allem  habt  Liebe  untereinander, 
dienet  einander,  selbst  mit  Hintansetzung  des  Ablasses,  helft 
zuerst  den  Armen  und  Dürftigen.'  Während,  sage  ich,  jene 
dieses  und  ähnliches  Frommes,  Gewissenhaftes  und  Heiliges 
vortragen,  hört  dag  unverständige  Volk,  wie  durch  ein  neue» 
Mirakel  verzaubert,  weit  anderes,  dieses  nämlich "  —  und 
nun  folgen  die  bekannten  Sätze,  welche  Luther  ohne  Frage 
aus  Tetzeis  „Instructio  pro  sacerdotibus "  entnommen  hat: 
0  vos  insensatos  et  crassi  cordis  homines,  bestiis  prope  similesr 
qui  non  pereipitis  tantam  effusionem  gratiarum!  u.  8.  w.  Dar- 
auf heifst  es  nach  Ablauf  des  Citates :  „Wenn  sie  dann  aber 
auf  diejenigen  zu  sprechen  kommen,  welche  der  Ablafsgnade 
widersprechen,  so  steht  das  Volk,  während  jene  eine  Flut 
von  Segens  Worten  ergieisen,  zitternd  da,  furchtet,  dafs  der 
Himmel  einstürzen,  die  Erde  sich  aufthuen  werde,  und  hört 
Drohungen  von  Strafen  viel  schlimmer  als  Höllenpein,  so 
dafs  es  wohl  wahr  ist,  dafs,  wo  jene  fluchen,  spricht  Gott 
den  Segen  zu  ihrem  Fluch,  und  wo  jene  segnen,  flucht 
Gott."  —  Wir  sehen:  das  unverständige  Volk  mit  seinen 
aures  iüotae  hört  fortwährend  etwas  ganz  anderes,  als  was 
die  Ablafs verkünder  predigen;  das  kann  man  nur  in  der 
angedeuteten  Weise   erklären.     Diesen   letzten  Gedanken 
nimmt  Luther  nach  dem  wörtlich  mitgeteilten  Satze  im  re- 
vidierten Drucke  mit  dem  Worte  auf:  Nam  qua  via  fieri 
potest  alia,  ut  Uli  audiant  tarn  aliena  ab  iis,  quae  isti  loquun- 
tur?  —  während  er  in  A  mit  der  Frage,  auf  welche  andere 
Weise  es  geschehen  könne,  dafs  die  Ablafsprediger  etwas  ganz 
anderes  sprechen,  als  was  vernommen  werde,  aus  dem  con- 
cinnen  Gedankenzusammenhang  und  dem  richtigen  Gedanken- 
fortschritt herausgefallen  war.    Denn  es  handelte  sich  bei 
der  ironischen  Schonung,  welche  Luther  den  Ablafshändlern 


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DIE  NEl'E  LUTHEU-AUSGAHE.  III 


185 


angedeihen  läfst,  um  die  Erklärung  des  Verhaltens  des  po- 
pulus,  der,  novo  miracuh  subversus,  allein  Tadel  verdient  — 
im  Unterschied  von  den  unschuldigen  Ablafspredigern. 

*17.  S.  588,  20  f.  (Cond  XXXII):  Alioquin  haeretica, 
impia,  blasphema  iüis  ctiam  praedicata  putarem.  Hier  etiam 
eingeschoben. 

*18.  S.  588,  21  f.  (Cond.  XXXII):  Non  credo  verum 
esse,  quod  unus  Worum  prohibuü  fieri  exequias  defunctorum  et 
sacerdotum  ref ectionem  statt:  .  .  .  sacerdotum  invita- 
tio nem. 

*19.  S.  588,  31  tT.  (Cond.  XXXII):  Non  credo ,  quod 
in  pulpitist  postquam  impetuoso  mugitu  despumaverint  suas  ex- 
Iwrtatumes  et,  ut  populus  imponat,  clamaverint:  t  impone, 
impone,  impone'  (hanc  enim  populus  vocem  caput  et  caudam, 
immo  et  ventrem  ac  totum  paene  sermonem  esse  fingit),  tum 
tU  Apostolici  praedicatores  rem  non  verbis  modo,  sed  exemplo 
quoque  docent,  descendunt  primique  ad  cistam  eunt  in  om~ 
nium  oculis,  irrUantes  et  provocantes  simplicem  et  stultum  po- 
pulum,  ut  penitus  exsugant  meduüas  eius.  Imponunt  itaque 
splendido  gestu  atque  sonoro  tinnitu,  tum  mirantur,  si  non  pluant 
caeteri  omnes  totum  aes  suum,  arrident  imponcntibus  etc.  Hier 
ist  nicht  nur  das  quoque  eingeschoben,  sondern:  et  ut  po- 
pulus imponat  clamaverint  für  ut  pop.  impon.  clamitent. 
Man  braucht  den  Satz  nur  aufmerksam  zu  lesen ,  um  zu 
sehen,  dafs  er  erst  durch  die  Korrektur  Luthers  einen  zu- 
treffenden Sinn  erhält  Nicht  das  will  Luther  tur  unglaub- 
lich erklären,  dafs  die  Ablafsprediger ,  nach  Gebrüll  und 
drastischen  Ermahnungen,  ihr  impone  schreien ,  sondern,  dafs 
sie  selber  von  der  Kanzel  herabsteigen  und  in  der  geschil- 
derten Weise  durch  ihr  Beispiel  zu  reizen  suchen  *.  Auch 
diese  Änderung  ist  daher  ein  Beweis  dafür,  dafs  der  Verfasser 
selbst  diese  Resolution  durchgesehen  und  verbessert  hat  *. 

*20.    S.  589,  3  f.  (Cond.  XXXII):   cum  prius  magis 

1)  et  ut  ...  clamaverint  liest  wie  CD:  Bas.4,  Bas.',  Erl.;  wie 
A  dagegen:  Wit.,  Jen.,  Lösch.,  Knaake. 

2)  Neben  der  32.  Resolution  hat  Luther  der  58.  die  gröfste  Auf- 
merksamkeit gewidmet. 


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186 


ßKIEGER, 


audire  sit  solitus  quae  ad  caritatem  et  humilitatem  pertinent 
statt:  .  .  .  pertineant  l. 

*21.  S.  589,  7  f.  (Cond.  XXXII):  ut  vel  hau  sola  causa 
satis  iusta  fuerit,  ut  universae  taller  entur,  statt:  ut  vel  haec 
sit  sola  causa  satis  iusta,  ut  etc.  * 

*22.  S.  591,  17 ff.  (Cond.  XXXV):  Quis,  rogo,  furor 
Ate  est?  qui,  ut  vüissimae  poenae  remissionem  et  ad  salutem 
inutüem  magnißcet,  peccata,  quorum  poenitentia  sola  fuerat 
magnißcanda ,  extenuat  statt:  .  .  .  magnificent  .  .  .  ex- 
tenuent*.  Eine  Verbesserung  zugleich  von  zwei  Versehen. 
Denn  was  soll  der  Pluralis?  und  der  Konjunktiv  extenuent 
ist  geradezu  fehlerhaft  *. 

23.  S.  594,  lff.  (Cond.  XXXVIII):  Non  quod  necessaria 
sit  illa  declaratio,  quae  in  literis  indulgentiarum  et 
publice  fit  (sufficit  enim  ea  quae  fit  in  privata  confessione)f 
sed  etc.  statt:  .  .  .  quae  in  literis  publicis  fit  indul- 
gentiarum  etc.6.  Dafs  die  Änderung  eine  Verbesserung 
bedeutet,  ist  klar. 

*24.  S.  599,  22  ff.  (Cond.  XLII):  dum  täte  opus  non 
facerent,  nisi  veniae  essentt  ac  sie  finis  operis  huiusmodi  fit 
venia,  immo  ipse  homo,  qui  quaerit  quae  sua  sunt,  cum  de- 
berent  opus  propter  deum  et  gratis  facere  statt:  .  .  .  cum 
debe ret  etc.  6.  Letzteres  falsch,  oder  soll  etwa  homo  Subjekt 
zu  deberet  sein  ?    Offenbar  ist  ac  sie  bis  sua  sunt  als  Paren- 


1)  Der  unmotivierte  Konjunktiv  auch  Bas.4,  Bas.0,  Wit.,  Jen.,  Lösch, 
und  in  Kewohntem  Anschlufs  an  A  Knaake. 

2)  Hier  trifft  Luthers  Verbesserung  ein  Erratum  von  A,  das  ur- 
sprünglich las:  ut  vel  hac  sola  causa  satis  iusta,  ut  etc.  —  Wie  CD 
lesen  Bas.*,  Bas.6.  —  Wit,  Jen.,  Lösch,  stellen  eigenmächtig  das  st t 
von  A  um:  satis  iusta  sit,  ut  etc. 

3)  Auch  diese  Verbesserung  trifft  wieder  eine  Korrektur  der  Er- 
rata4 von  A,  welches  ursprünglich  magnificent  .  .  .  extenuat  brachte. 
Hier  wurde  die  Korrektur  also  an  falscher  Stelle  angebracht 

4)  Wie  C  D  lesen  Bas.*,  Bas.6,  Erl.,  die  falsche  Lesart  bieten  Wit., 
Jen.,  Lösch.,  Knaake. 

5)  In  diesem  Falle  teilt  Knaake  die  Lesart  von  C,  D  zwar  mit, 
aber  nur  als  die  der  ed.  Erlang.  Sie  findet  sich  auch  in  Bas.*,  Bas.* 
(Wit,  Jen.,  Lösch,  folgen  A). 

6)  Das  falsche  deberet  auch  Bas.*,  Bas.6,  Wit,  Jen.,  Lösch. 


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DIE  KEL'E  LUTHER-AUSGABE.  III. 


187 


these  gedacht  Mit  dieser  Verbesserung  steht  in  innigster 
Verbindung  die  folgende: 

*  25.  S.  599,  25  f.  (Concl.  XLII) :  [cum  deberent  opus  . . . 
gratis  facere]  et  venias  non  aliter  acceptare  quam  gratis  sibi, 
non  propter  contributionem  datas,  ut  sie  Uli  venias  non  emant 
nec  isti  vendant  statt:  ille  venias  non  emat  etc.  *. 

*26.  S.  603,  6  f.  (Concl.  L):  pro  veniis  sibi  forte  non 
necessariis  statt:  ...  sibi  non  necessariis  forte. 

*27.  S.  610,  9  (Concl.  LVIII):  Nec  solvitur  ibidem 
per  hoc,  quod  sit  meerta  remissio,  sed  blasphemantur  potius 
claves  ecclesiae,  licet  etc.  Das  eingeschobene  ibidem  (nämlich 
in  der  kurz  vorher  citierten  Glossa  zu  de  poenit.  et  remiss. 
c.  ,  Quod  autem ' *)  dient  entschieden  zur  Verdeutlichung. 

28.  S.  610,  10 f.  (Concl.  LVIII):  licet  eum*  iuvent  in 
hac  solutione  omnes  ferme  doctores  scholastici  statt:  .  .  . 
iuvent  in  hac  sententia  etc. 

29.  S.  610,  11  f.  (Concl.  LVIII):  IUud  autem,  quod  nescit 
homo,  an  amore  dignus  sit,  quo  probat  Solution  em  suam1, 
inteUigitur  etc.  statt:  dignus  sit,  intelligitur  etc. 

30.  S.  610,  28  (Concl.  LVIII):  Hinter  pro  peccatis  wird 
hinzugesetzt:  ut  arguit  ista  glosa. 

31.  S.  610,  29  (Concl.  LVIII):  Solutio  autem  ipsius 
glosae  etiam  impia  est  in  Christum,  quia,  si  per  venias 
mihi  impenduntur  merita  Christi  et  ego  adhuc  incertum  habeo, 
mihi  esse  peccata  remissa,  ideo  adhuc  operandum  pro  eorum 


1)  A  las  ursprünglich  ille  .  .  .  emant,  in  den  ,  Errata'  wieder 
falsch  gebessert.  Richtig  lesen  nach  C,  D:  Bas.4,  Bas.*,  Wit.,  Jen., 
Lösch.,  Erl.;  falsch  mit  A  allein  Knaake. 

2)  Es  heifst  in  der  von  Luther  angeführten  Glossa :  Nunquid  ultra 
ieiunare  tenetur?  Respondetur:  Si  in  veritate  satisfecerit  ecclesiae, 
non  tenetur  ex  necessitate  ieiunare,  sed  ex  honestate,  et  si  contetnnat, 
peccat  mortaliter  pro  contemptu.  Debet  enim  Semper  dolere  de  pec- 
cato        quia  nescit  an  dimissa  sint  ei  peccata. 

3)  Auffallend  das  eum;  man  erwartete  eam  (seil,  glossam),  aber 
man  hat  wohl  dem  Sinne  nach  glossator  zu  ergänzen,  wenn  Luther 
nicht  an  einen  bestimmten  Gegner  denkt,  der  uns  unbekannt;  das 
scheint  die  Anm.  4  konstatierte  Thatsache  nahe  zu  legen. 

4)  Dieses  Argument  kommt  in  der  Glossa  nicht  vor ;  Luther  müfste 
denn  eine  reichhaltigere  gehabt  haben. 


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188 


B  KI  EG  EU, 


remissione.  Tunc  sequitur.  quod  dubito,  an  merita  Chrisiir 
appilicata  et  donata  mihi,  sint  sufßcientia  ad  remissionem  pcc- 
catorum.  —  A  liest:  Sed  quod  ista  sententia  sit  impia 
in  Christum,  quin  etc.  Nach  den  »Errata*  soll  dafür  gelesen 
werden:  Secundo  quod  ista  solutio  sit  impia  etc.  Das 
war  abgesehen  von  dem  Einsetzen  von  solutio  für  sententia 
teils  eine  unzureichende  Verbesserung,  teils  eine  Verball- 
hornung, die  nirgends,  so  viel  ich  sehe,  Aufnahme  gefunden 
hat:  Bas.4,  Bas.5,  Wit,  Jen.,  Lösch,  lesen  ohne  Berück- 
sichtigung der  , Errata':  Sed  quod  ista  sententia  sit  etc. 
Es  blieb  der  Weimarer  Ausgabe  vorbehalten,  den  Willen 
des  Verfassers  der  , Errata 1  zu  vollstrecken.  Diese  Lesart 
hat  den  doppelten  Nachteil,  dafs  l)  das  Secundo  keinen 
Sinn  hat,  denn  es  ist  kein  primo  voraufgegangen,  und  dafs 
2)  der  Satz  unvollständig  ist!  Wovon  soll  denn  die  Kon- 
junktivkonstruktion  quod  ...  sit  abhängig  sein?  Beide 
Mängel  hat  Luther  selbst  in  C  abgestellt.  —  Übrigens  ist, 
um  das  gleich  hier  anzumerken,  die  von  Knaake  gegebene 
Interpunktion  remissione.  Tunc  verfehlt  (so  auch  Bas.*,  Wit., 
Jen.,  Lösch.,  Erl.).  Denn  sie  verdunkelt  den  Gedanken. 
Das  Ganze  ist  als  eine  Periode  zu  fassen:  quia,  si  .  .  . 
tunc  .  .  .  Das  ist  auch  der  Sinn  der  Interpunktion  der 
Urdrucke;  denn  A  liest:  remissione,  Tunc;  ebenso  D,  Bas.4 
und  Muhl. ;  C :  remissione'  Tunc  (den  Punkt  nach  remissione 
über  der  Linie). 

*32.  S.  612,  6  (Cond  LVIII):  ut  erant  humili  sensu 
statt:  .  .  .  humiles  sensu  l. 

*33.  S.  612,  26.  39  (Cond.  LV11I):  Das  Iam  causa, 
welches  in  A  der  causa  ,  Quinta'  voraufgeht,  hier  entfernt 
und  vor  die  causa  ,Ultitna'  gesetzt  (an  das  Ende  der  vor- 
aufgehenden Zeile,  nach  Zwischenraum). 

*34.  S.  624,  30  ff.  (Cond.  LXXX)  liest  A:  Ideo  altera 
Clavis,  est  clavis  scientiae*,  cui  si  adderetur,  Alter  gladius, 

1)  humili  auch  Bas.4. 

2)  Vgl.  Luk.  11,  52.  —  Mit  der  bekannten  scholastischen  Unter- 
scheidung von  Clavis  potestatis  und  Clavis  scientiae  hat  Luther  spater 
sich  eingehend  beschäftigt  in  seiner  Schrift  „Von  den  Schlüsseln**  (1530), 
E.  A.  31,  156-163. 


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DIE  NEI  E  LUTHEK-Al'SGABE.  III. 


est  yladius  scientiae  Apostolicae  diceret,  In  iis 
omnibus  nondum  est  aversus  furor  domini  etc.  —  C  verbessert: 
.  .  .  cui  si  adderetur  alter  gladius  qui  est  gladius  scientiae 
Apostolicae ,  dicertt,  In  iis  omnibus  etc.  Ebenso  D,  Bas.4, 
Bas.5.  Die  Einfügung  von  qui  wird  richtig  sein,  im  übrigen 
aber  scheint  die  Stelle  auch  hier  noch  nicht  genügend  ge- 
bessert zu  sein.  Die  Wittenberger  Ausgabe  hat  auf  eigene 
Hand  zu  verbessern  gesucht:  .  .  .  alter  gladius,  id  est  gla- 
dius scientiae,  apostolice  id  est  recte  et  sancte  dicerent: 
In  his  omnibus  etc.  Ebenso  Jen.,  Lösch,  (und  Walch). 
Knaake  schliefst  sich  an  A  an,  doch  mit  veränderter  Inter- 
punktion, mit  Verwendung  von  Anfuhrungszeichen  und  mit 
stillschweigender  Änderung  des  Apostolicae:  Idco  altera 
Clavis  est  clavis  scientiae:  cui  si  adderetur  ,  Alter  gladius  est 
gladius  scientiae Apostolice  diceret.    In  iis  omnibus  etc 

*35.  S.  624,  35  f.  (Cond.  LXXX):  Compendium  illud 
laboris  nobis  placet,  non  ut  haereses  aut  errores  destruamus, 
sed  haereticos  et  errantes  cancrememus  statt:  .  .  .  placet,  ut 
non  etc.,  also  ein  offenbarer  Fehler  verbessert l. 

Das  ist  eine  ganz  stattliche  Reihe  von  Abweichungen, 
die  schon  bei  einer  gelegentlichen  (keineswegs  durchgehen- 
den) Vergleichung  von  C  mit  A  auffallen.    Es  gilt  von  ihnen, 

1)  Trotzdem  ut  non:  Bas.4,  Bas.5,  Wit,  Jen.,  Lösch.,  Knaake.  — 
Bas.4  geht  auf  die  Baseler  Sammlung  der  Opera  Lutheri  vom  Marz 
1520,  als  deren  Drucker  neuerdings  Andreas  Cratander  erwiesen  ist;  Bas} 
auf  M.  Lutheri  Lucubrationum  pars  una,  welche  (me  colKgente 
et  ordinante  sagt  Conrad  Pellikan  in  seinem  Chron.  S.  76)  Adam  Petri 
im  Juli  1520  gedruckt  hat.  Dagegen  standen  mir  hier  die  drei  ersten 
Baseler  Drucke  der  Opera  Lutheri  (s.  über  sie  v.  Dummer 
S.  21  f.  vgl.  oben  S.  180)  nicht  zur  Verfügung ;  ebenso  wenig  die  1717  von 
dem  Kieler  Professor  Heinr.  Muhl  ins  veranstaltete  Separatausgabe 
der  Thesen  und  Resolutionen  (s.  den  Titel  bei  Knaake  I,  523).  Doch 
habe  ich  mir  diesen  Druck  später  von  auswärts  kommen  lassen  und 
ihn  nachträglich  hier  und  da  verglichen.  Muhlius  giebt  angeblich  einen 
Abdruck  des  zweiten  Lottherschen  Druckes  von  1519  (D),  hat  aber 
diesen  stellenweise  stillschweigend  gebessert,  und  mitunter  in  einer 
Weise,  die  ihm  zur  Ehre  gereicht  (vgl.  unten  S.  200  Anm.  1). 


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19U 


BKIBGEU, 


was  Lenz  und  ich  von  den  eigentümlichen  Lesarten  de» 
dritten  Druckes  der  Antwort  auf  den  Dialog  des  Silvester 
Prierias  bemerkt  haben1,  dafs  es  einesteils  formelle  Än- 
derungen sind,  „der  Mehrzahl  nach  stilistische  Glät- 
tungen, welche  die  humanistische  Schulung  Luthers  zum 
Teil  in  geradezu  überraschender  Weise  darthun",  andernteils 
aber  auch  sachliche  Verbesserungen,  und  unter 
ihnen  wahrlich  wichtige  *. 


1)  S.  diese  Zeitschr.  Bd.  VII ,  S.  585.  S.  über  diesen  Druck  (C) 
S.  582  ff. 

2)  Über  die  Bedeutung  des  Druckes  C  von  „Ad  Dialogum  Sil?. 
Prieriatis"  und  unsere  Würdigung  desselben  hat  Knaake  inzwischen 
(1893)  ein  ergötzliches  Urteil  gefallt,  welches  den  Lesern  der  Zeitschrift 
vorzuenthalten  Unrecht  sein  würde  (W.  A.  IX,  783).  „Über  die  Ent- 
stehung des  Druckes  C  wird  S.  583  gesagt,  dafs  er  ,von  Luther  höchst 
sorgsam  durchgesehen  und  vielfach  korrigiert  worden1  sei.  Nun  sind 
freilich  ,eine  Reihe  von  Druckfehlern  stehen  geblieben,  sind  auch  in 
allerdings  kleiner  Anzahl  neue  hinzugekommen;  aber  trotz  dieser  Ver- 
sehen zeigt  fast  jedes  Blatt  eine  teils  formell ,  teils  sachlich  bessernde 
Hand,  welche  nur  die  des  Verfassers  gewesen  sein  kann1.  Das  ist  der 
ganze  Beweis,  den  Brieger  und  Lenz  (S.  584  f.)  für  Luthers  eigenhändige 
Korrektur  der  Schrift  führen,  —  hinfort  fufsen  sie  darauf  und  ziehen 
weitere  kühne  Folgerungen  daraus,  wie,  dafs  ,  die  stilistischen  Glättungen 4, 
die  er  dem  Texte  gegeben,  ,die  humanistische  Schulung  Luthers  in  ge- 
radezu überraschender  Weise  darthun4  etc.  Behauptung  gegen  Behaup- 
tung: wir  erklären,  dafs  A  in  €  nicht  von  Luther  korrigiert  sein  kann; 
der  Beweis  dafür  liegt  in  den  Änderungen,  welche  in  C  vorgenommen 
sind."  —  Wenn  übrigens  Knaake  IX,  782  schreibt:  „Es  giebt  auch 
einen  Druck  mit  dem  Fehler  ,  Pieratis aber  über  die  Identität  des- 
selben mit  C  soll  kein  Zweifel  sein44,  so  sind  wir  (Lenz  und  ich)  an 
dem  dieser  falschen  Mitteilung  zugrunde  liegenden  Mifsverständnis 
ohne  Schuld.  Wir  hatten  (VII,  584)  von  C  angemerkt,  der  Druck  be- 
finde sich  auch  in  der  Frankfurter  Stadtbibliothek,  und  hatten  dafür 
in  einer  Anmerkung  auf  den  von  K eich n er  1883  veröffentlichten 
Katalog  der  Luther -Drucke  dieser  Bibliothek,  S.  8,  verwiesen  und 
hier  hinzugefügt:  „Nach  gefälliger  Mitteilung  des  Herrn  Dr.  Kelchner 
ist  das  hier  sich  findende  Pitratis  ein  Druckfehler  und  stimmt  das  Ver- 
zeichnis der  Errata  am  Ende  mit  demjenigen  in  dem  uns  vorliegenden 
Exemplar  überein,  so  dafs  über  die  Identität  des  Druckes  kein  Zweifel 
obwalten  kann.44  Knaake  mutet  uns  die  Naivität  zu,  dafs  wir  bei 
Dr.  Kelchner  angefragt  haben,  ob  ein  angeblich  in  (einer  Variante  von) 
C  sich  findendes  Pieratis  ein  Druckfehler  sei,  und  die  Bestätigung  un- 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  III. 


191 


Die  bessernde  Hand  Luthers  hat  so  ziemlich  umsonst 
geschafft.  Von  den  bisherigen  Gesamtausgaben  hat  nur  die 
Erlanger  die  Verbesserungen  aufgenommen.  Für  die  neueste, 
iür  die  erste  „kritische"  Ausgabe  ist  die  ganze  Summe 
seiner  Arbeit  verloren.  Denn  der  Herausgeber  unserer 
Schrift  hat  nicht  nur  grundsätzlich  den  ersten,  Grunen- 
bergischen  Druck  zur  Textgrundlage  gemacht,  sondern  die 
Nichtachtung  des  verbesserten  Druckes  so  weit  getrieben, 
dafs  er  dessen  Lesarten  nur  ganz  ausnahmsweise  einer  Mit- 
teilung unter  dem  Texte  für  wert  hält:  nämlich  nur  S.  588 
(s.  oben  Nr.  16)  und  S.  610  (s.  oben  Nr.  28  —  31)  1  — 
allerdings  reichen  gerade  die  auf  diesen  beiden  Seiten  mit- 
geteilten Abweichungen  von  C  D  hin,  um  den  Forscher  auf 
die  Vorzüge  von  C  aufmerksam  zu  machen,  ihn  dazu  zu 
veranlassen,  die  „kritische"  Ausgabe  einstweilen  beiseite 
zu  legen  und  auf  die  Urdrucke  zurückzugehen. 

Demnach  steht  es  in  dieser  Hinsicht  mit  dem  Texte  der 
Resolutionen  genau  so  wie  nach  dem  von  Lenz  und  mir 
gelieferten  Nachweis  bei  der  Schrift  ,Ad  Dialogum  Silvestri 
Prieriatis'.  Nur  inbetreff  des  Herausgebers  waltet  ein 
Unterschied  ob :  bei  Luther's  Antwort  an  Prierias  konnte 
sich  Knaake  mit  dem  Umstand  entschuldigen,  dafs  ihm  die 
revidierte  Ausgabe  entgangen  war;  hier  hat  er  sie  gekannt 
und  mit  Bewufstsein  beiseite  geschoben  —  für  eine 
kritische  Ausgabe  ein  unerhörtes  Verfahren  und 
zugleich  verhängnisvoll! 

Denn  seine  Schuld  ist  es,  wenn  die  kritische  Gesamt- 
ausgabe, was  die  Resolutionen  anbelangt,  einen  Rückschritt 
bedeutet  im  Vergleich  zu  ihrer  Vorgängerin,  der  Er  langer  *  — 

serer  scharfsinnigen  Vermutung  der  Welt  verkündet  haben.  [Zusatz 
von  1896.] 

1)  Dazu  wird  noch  S.  594  (s.  oben  Nr.  23)  die  Lesart  von  C  als 
die  der  Erlanger  Ausgabe  mitgeteilt. 

2)  Nebenbei  sei  eine  orthographische  Unart  erwähnt,  welche 
die  W.  A.  als  eine  berechtigte  Eigentümlichkeit  vor  der  Er  langer 
Ausgabe  in  Anspruch  nimmt.  Seinem  Bd.  I,  Vorrede  S.  xx  ent- 
wickelten Grundsatz  gemäfs  hat  Knaake  auch  in  den  Resolutionen  das 
e  des  Urdruckes  A  beibehalten,  wo  es  hier  völlig  regellos  das  nicht 
minder  häufige  ae  vertritt  (so  lesen  wir  in  derselben  Zeile  incerte  neben 


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192 


B  KI  KU  EU, 


und  dieses  trotz  der  „liederlichen  Bibliographie  unserer 
Schrift"  in  der  letzteren. 


Um  so  lieber  wird  der  Kritiker  anerkennen,  dafs  Knaake 
trotzdem  an  einigen  Stellen  die  Textkritik  gefördert  hat 

Die  Zahl  derselben  ist  freilich  nicht  grofs. 

Wo  Knaake  von  seiner  Vorlage  A  abweicht  oder  ver- 
loren gegangene  richtige  Lesarten  derselben  wiederherstellt, 
ist  das  unter  dem  Text  verzeichnet 1 :  ich  zähle  ungefähr 
75  solche  Stellen. 

Man  kann  sie  in  fünf  Klassen  teilen: 

1)  Die  schon  vor  Knaake  ziemlich  allgemein 
aufgenommenen  Verbesserungen. 

2)  Diejenigen  Verbesserungen,  welche  nur 
vereinzelt  oder  doch  nicht  allgemein  vor  Knaake 
angenommen  sind. 

ä)  Diejenigen  Verbesserungen,  welche  in 
Wiederherstellung  des  Ursprünglichen  bestehen. 

4)  Die  selbständigen  Verbesserungen  Knaakes. 

5)  Die  angeblichen  Verbesserungen  der  Wei- 
marer Ausgabe. 

Ich  habe  für  mich,  um  mir  ein  Urteil  über  den  Gang 
der  Textkritik  zu  bilden,  beiläufig  Listen  dieser  verschiedenen 
Klassen  angelegt.  Doch  würde  sich  eine  Mitteilung  der 
Liste  der  ersten  Klasse,  welche  übrigens  mehr  als  die  Hälfte 
aller  bei  Knaake  vorkommenden  Verbesserungen  umfafst  *, 

incertae-,  ferner  vilimmt  poenae  und  male  et  noxiae).  Diese  meist 
unschädliche  Unebenheit  empfindet  der  Leser  doch  gelegentlich  als  ein 
Hemmnis  für  die  schnelle  Erfassung  des  Sinnes;  man  vgl.  das  plene 
683,  32  neben  dem  Adverbium  plene  in  der  voraufgenden  Zeile.  Schon 
die  Lotth  er  sehen  Drucke  (C  und  D)  haben  dieses  willkürliche  e 
ausgemerzt!  —  Umgekehrt  wäre  das  coeperunt  der  Urdrucke  573,  36 
(welches  bei  Walch  sogar  falsch  übersetzt  ist)  in  ceperunt  zu  verändern 
gewesen  (so  allein  Muhlius  richtig). 

1)  Wohl  nur  ausnahmsweise  ist  das  infolge  eines  Versehens  unter- 
blieben.  So  hat  Knaake  608,  12  das  nos  in  tum  geändert. 

2)  Es  sind  49  Nummern.   Ich  rechne  dahin  also  diejenigen  Ver- 


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DIE  NEUE  LUTHER- AUSGABE.   III.  193 

nicht  verlohnen.    Es  kann  hier  ftir  uns  nur  auf  die  kurzen 
Verzeichnisse  der  vier  letzten  Klassen  ankommen. 

1. 

Nicht  allgemein  angenommene  Verbesserungen. 

1.  543,  24:  remis s um  (Bas.4,  Bas.5)  für  remissam  (C, 
D,  Wit.,  Jen.,  Lösch.,  Erl.). 

2.  545,  28 f.:  cum  .  .  .  debeat  (Bas.4,  Bas.6,  Wit.,  Lösch.) 
für  cum  ...  debet  (C,  D,  Jen.,  Erl.). 

3.  551,  6:  remissionem  plenariam  (Wit,  Jen.,  Lösch.) 
für  satisfactionem  plenariam  (C,  D,  Bas.4,  Bas.6,  Erl.). 

4.  602,  15:  quam  (Wit.,  Jen.,  Lösch.)  für  et  (C,  D, 
Bas.4,  Bas.5,  Erl.). 

5.  607,  13:  Olymp i um  (Bas.4,  Bas6,  Lösch.)  für  Olym- 
pum  (C,  D,  Wit,  Jen.,  Erl). 

6.  613,  21  ff.:  Quo  circa  nunc  vide,  num  quo  tempore 
coepit  theologia  scholastica  .  .  .  eodem  evacuata  est  theologia 
crucis  suntque  omnia  plane  conversa  (Wit,  Jen.,  Lösch.)  für 
.  .  .  num  .  .  .  est  .  .  .  sintque  etc.  (C,  D,  Bas.4,  Bas.6, 
Muhl.,  Erl.)  \ 

7.  614,  27:  huius  (Bas.4,  Bas.6,  Wit,  Jen.,  Lösch.) 
für  illius  (C,  D,  Erl.). 

8.  620,  18:  ut  mit  Löscher  gegen  alle  Drucke  für  et. 

9.  624,  7:  facta e  mit  Muhlius  und  Löscher  gegen  alle 
Drucke  für  facta s. 

2. 

Die  Wiederherstellung  ursprünglicher  Lesarten. 

1.  533,  6:  Aut  quis  (A,  C,  1),  Erl.)  für  At  quis  (Bas.4, 
Bas.5,  Wit ,  Jen.,  Lösch.). 

2.  547,  3:  amissae  (1),  Bas.4,  Bas.5)  für  omissae  (A,  C, 
Wit,  Jen.,  Lösch.,  Erl.). 

besserungen  in  A  sich  findender  Fehler,  welche,  schon  ron  C,  D  oder 
den  späteren  Herausgebern  herrührend,  in  dem  Mafse  Billigung  gefunden 
haben,  dafs  sie  als  landläufige  gelten  können.  Sie  sind  fast  alle  selbst- 
verständlich und  finden  sich  sämtlich  auch  in  der  Erlanger  Ausgabe. 
1)  Vgl.  624,  17 ff.:  Hic  vide,  num  .  .  .  fecit. 

ZeiLebr.  f.  K  -O.  XVII.  1  u.  «.  13 

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1 94  BKIEGER, 

3.  575,  35:  cahos  (A,  C,  D)  für  cados  (alle  späteren 
Drucke  mit  Ausnahme  von  Muhl.). 

4.  578,  1:  l u d a mus  (A,  C)  für  laude mus  (Bas.4,  Bas.5, 
Wit,  Jen.,  Lösch.,  Erl.). 

5.  582,  37:  Prdba  (A,  C,  D,  Bas.4,  Bas.4)  für  Pröbo 
(Wit,  Jen.,  Lösch.,  Erl.). 

6.  600,  29:  Einschiebung  von  non  nach  den  ,  Errata 1 
von  A  1  gegen  alle  späteren  Drucke. 

7.  61 J,  22:  Aug.  Anc.  (C,  D)  für  Ang.  Anc.  (A,  Bas.*r 
Bas.6,  Wit.,  Jen.,  Lösch.,  Erl.)  *. 

3. 

Selbständige  Verbesserungen  Knaakes. 

1.  556,  22:  Deut.  XXVIII  fiir  Deut.  XXXII. 

2.  557,  13:  lutum  für  lud  um  in  dem  Vulgata-Citat. 

3.  585,  15:  Die  Änderung  des  falschen  praedicat  (A, 
C,  D)  in  praedicant  verdient  den  Vorzug  vor  der  Lesart 
praedicat ur  (Bas.4,  Bas.s,  Wit,  Jen.,  Lösch.,  Erl.)3. 


Das  sind  alle  Verbesserungen,  welche  man  in  der  kriti- 
schen Ausgabe  antrifft:  diese  drei  Listen,  welche  allein  in 
Betracht  kommen  können,  wenn  es  sich  um  das  Verdienst 
dieser  Ausgabe  handelt,  ergeben  zusammen  die  Zahl  von  19 
Verbesserungen;  darunter  befinden  sich  18,  welche  die  Er- 
langer Ausgabe  nicht  hat,  11,  die  man  auch  bei  Löscher 
vergeblich  sucht. 

1)  Von  Knaake  nicht  erwähnt  (trotz  der  entsprechenden  Bemerkungen 
zu  Nr.  1,  3,  4,  5).    Übrigens  ist  das  non  allenfalls  entbehrlich. 

2)  Es  ist  das  derselbe  Druckfehler,  den  Wit.,  Jen.,  Lösch.,  Erl.  an 
einer  früheren  Stelle  (S.  568,  3)  verbessert  hatten. 

3)  Von  den  selbständigen  Textverbesserungen  Knaakes  kann  ich 
hier  nur  diese  drei  aufführen.  Allerdings  ist  er  —  abgesehen  von  einer 
Änderung  der  Interpunktion,  auf  welche  er  unter  dem  Texte  aufmerk- 
sam macht  (sie  betiifft  das  Citat  aus  Clem.  de  pe.  et  re.  8.  581,  37: 
ut  assenmt  mendacitcr,  extrahunt  für  ut  asserunt,  mendaciter  extra- 
hunt) —  noch  an  einigen  anderen  Stellen  zu  einer  selbständigen  Ände- 
rung des  Textes  geschiitten,  allein  ohne  Glück  (s.  das  folgende  Ver- 
zeichnis). 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  DI. 


195 


Nun  treffen  wir  allerdings  noch  auf  etwa  ein  Dutzend 
weiterer  Abweichungen  von  A.  Allein,  wie  schon  angedeutet, 
als  Verbesserungen  raufs  man  sie  beanstanden:  die  einen 
sind  unnötige  Änderungen,  andere  sind  von  zweifelhaftem 
Werte,  andere  endlich  falsch.  Dieses  Urteil  ist  kurz  zu  be- 
gründen. 

4. 

Unnötige,  fragliche  und  falsche  Verbesserungen 

Rnaakes. 

1.  536,  30:  Ac  sie  solo  intens  ionis  gradu  distaret  a 
quinia.  Dazu  die  Bemerkung:  „  inten  t ionis  aufser  dem 
Urdruck  alle  Ausgaben/'  In  der  That  schon  C  hat  so  ge- 
bessert, d.  h.  an  die  Stelle  von  intensio  die  im  klassischen 
Latein  gebräuchlichere  Wortform  gesetzt 

2.  537,  35:  Tercio  extra,  de  pe:  et  re:  Ii:  V.  c.  Quod 
atttern.  Hier  ist  der  Punkt  hinter  extra  falsch  und  irreführend, 
als  ob  eine  Extravagante  citiert  würde,  während  das  Citat 
(nach  der  doch  auch  Knaake  sicher  nicht  unbekannten 
Citierweise)  auf  die  Decretalen  Gregors  IX.  geht.  Die  Er- 
langer Ausgabe  liest  richtig  extra  mit  allen  früheren  Drucken  *. 

3.  566,  15 ff.:  Sed  et  insignes  quidam  autores  ...  audent 
dicere ,  quasdam  animas  pro  suae  trepiditate  vitae  per 
mortem  rapi  et  a  deo  sie  proiici,  tä  usque  in  finem  mundi 
nesciant,  an  sint  damnatae  vel  salvandae  (Bas.4,  Wit,  Jen., 
Lösch.,  Erl.)  für  .  .  .  tep iditate  etc.  (A,  C,  D,  Bas.6).  Die 
Änderung  trepiditate  ist  nicht  blofs  unnötig  a,  sondern  falsch  8. 

4.  568,  5  und  570,  1:  Mayronis  für  Maronis. 
Hiernach  wäre  auch  der  Titel  der  Schriften  des  bekannten 
Scholastikers  zu  ändern :  „  Sermones  .  . .  Francisci  Maronis" 
weist  der  Baseler  Druck  von  1498  auf. 

5.  581,  2 6 ff.:  ...  nisi  non  tantum  indtdgentias  largiatur, 

1)  Falsch  allein  Muhlius:  Extra v. 

2)  Upidus:  dubius  animi,  medius  inter  confidentem  et  cUsperan- 
ttm  (du  Cange). 

3)  Tepidm  ist  hier  nämlich  nicht  im  Sinne  von  trepidus  zu  neh- 
men, sondern  wie  Apoc  3,  16  (vgl.  Joh.  de  Palt z,  Celifodina,  Erfurter 
Druck  von  1502,  VI»:  propter  vivtnHum  tepiditattm). 

IS* 

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19fr  BRIEGEK, 

immo  Ulis  vclut  in  superabundantem  catäelam  datis  (velut 
solent  ctiam  mortui  absolvi  in  facie  ecclesiae)  simul  inrolvat 
.  .  .  applicationem  meritorum  ecclesiae  (Wit,  Jen  ,  Lösch.) 
für  .  .  .  (vel  ut  solent  .  .  .)  etc.  (A,  C,  D  \  Bas.*,  Bas.6, 
Erl.).  Das  ißt  natürlich  nicht  eine  blofse  graphische  Ver- 
schiedenheit: der  Gedankeninhalt  des  Satzes  legt  nahe,  das 
zweite  rel  ut  nicht  als  „wie",  sondern  als  „oder  wie"  zu  fassen. ' 

6.  582,  38 f.:  cum  solius  Papae  non  sit  novos  fidei  statuere 
articulos,  sed  secundum  statutos  iudicare  et  rescindere 
quaestiones  fidei  für  . .  .  descindere  quaestiones  fidei  (so  alle 
Ausgaben).  Was  soll  rescindere  heifsen?  Es  ist  natürlich 
decidere  zu  lesen  (oder  in  demselben  Sinne  [s.  du  Cange] 
qlescidere). 

7.  583,  32:  plenitudinem  indulgentiarum  (wie  582,  36; 
583,  25)  für  plenitudinem  indulgentiac  (so  alle  Drucke). 
Warum  denn  nicht  auch  Z.  20  das  plenituditiem  indulgeti- 
tiae  geändert?  * 

8.  584,  37  und  585,  4:  Quarto  —  Quinto  für  Quinto  — 
Sexte  3.  Es  lag  kein  Grund  vor,  den  Text  zu  ändern ;  es 
genügte,  in  einer  Anmerkung  darauf  aufmerksam  zu  machen, 
dafs  die  Zählung  nicht  stimmt,  und  auf  die  nach  Knaake 
vorliegende  Möglichkeit  hinzuweisen. 

9.  587,  6ff:  Berum  eorum  loquor  senientia,  ut  videant 
suac  licenciosae  praedicationis  temeritatem,  immo  contradic- 
tionem.  Qui  mm  tarn  multis  eas  prodesse  clamitent  et  tarnen 
confdeantiir  paueos  esse,  qui  angustam  viam  ambulant, 
nondum  erubescunt  neque  attendunt  quid  loquantur  für  et 
tarnen  confitentur  etc.  (alle  Ausgaben).  Zweifelhaft.  Es  soll 
ja  der  Selbstwiderspruch  ihrer  Predigt  hervorgehoben  werden. 


1)  Die  drei  ürdrucke  bringen  das  unmittelbar  voraufgehende  veltU 
im  Unterschied  von  dem  zweiten  als  ein  Wort. 

2)  Jeder  Kenner  des  Sprachgebrauches  weifs,  das  in  demselben 
Aktenstück  (vgl.  z.  B.  die  bek«nnte  Bulle  Sixtus'  IV.  von  1577  bei 
Eusebius  Amort,  Historia  Indulgentiarum,  Venetiis  MDCCXXXVIII, 
II,  417 sq.),  in  derselben  Erörterung  (vgl.  z.  B.  Gabriol  Biel  bei  Gie- 
seler II,  4,  356 f.)  Singularis  und  Pluralis  wechseln. 

3)  So  nach  Knaake  alle  Ausgaben.  Aber  Bas.*  hat  wie  er  ge- 
ändert 


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DIE  NEL'E  LUTHEK- AUSGABE.  111 


197 


Daher  dürfte  den  Vorzug  verdienen,  das  et  vor  tarnen  zu 
streichen  *. 

10.  592,  28:  Si  quando  (Bas.*,  Bas.5,  Wit,  Jen.,  Lösch., 
Erl.)  für  Si  quomodo  (A,  C,  D).  Unnötig. 

11.  595,  24:  solum  informandis  contritionilms  labora- 
mus  für  solum  in  fortnandis  etc.  (wie  alle  Drucke)  *. 

12.  602,  37:  ut  omnino  nullus  sil  (Bas.4,  Bas.*,  Wit., 
Jen.,  Lösch.,  Erl.)  für  et  omnino  nullus  sit  (A,  C,  D).  Un- 
nötig 3. 

13.  614,  2:  Die  Zahl  des  Psalms  hinzugefügt;  will- 
kürlich; vergl.  613,  16. 

Man  würde  fehlgreifen,  wollte  man  aus  dem  Umstände, 
dafs  die  kritische  Ausgabe  nur  in  ganz  verschwindenden 
Ausnahmefällen  Anlafs  zu  selbständigen  Änderungen  des 
Textes  gefunden  hat,  den  Schlufs  ziehen,  der  Text  der  Reso- 
lutionen sei  hier  nachgerade  von  allen  Fehlern  gesäubert. 

Eine  Anzahl  von  kleinen  Ungenauigkeiten  wird  sich  ver- 
mutlich bei  sorgsamer  Vergleichung  der  revidierten  Drucke 
€  und  D  beseitigen  lassen  4. 

Aber  auch  dort,  wo  sämtliche  Urdrucke  zusammen- 
stimmen, hat  unzweifelhaft  die  Textkritik  öfter  einzusetzen, 
als  von  Knaake  geschehen  ist  Ich  nenne  ein  paar  solcher 
Stellen,  die  mir  aufgefallen  sind. 

1.  531,  39  ff.  Huc  perlinet,  quod  um  consensu  doctores 
scholasti-ci   discernunt  poenitenimm  virtutis  a  poentientia 

1)  Es  wäre  zu  interpungieren :  contradictionem,  qui  [so  Bas.4,  Bas.5, 
Wit.,  Jen.,  Lösch.,  Erl  ;  schon  A  :  contradictionem ,  Qui]  .  .  .  arnou- 
lant.    Nondum  etc. 

2)  Da  Knaake  hier  stillschweigend  von  seiner  Vorlage  abweicht, 
mag  hier  ein  Druckfehler  vorliegen. 

3)  Die  Stelle  ist  dann  natürlich  anders  zu  interpungieren ,  nämlich 
vor  et  Z.  37  und  denique  Z.  38  nicht  mit  A,  Knaake  u.  a.  eiu  Komma, 
sondern  mit  C,  D  ein  Punkt  zu  setzen. 

4)  Auch  D  ist,  wie  es  scheint,  noch  wieder  aufmerksam  durch- 
gesehen und  bietet  Verbesserungen,  welche  sich  in  C  noch  nicht  rinden. 
So  liest  D:  615,  38  includat  für  includit.  Auch  das  ut  patet  618, 
19  verdient  wohl  den  Vorzug  vor  et  patet. 


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198  BRIEGER, 

sacramentali,  ponentes  poeniieniiam  virtutem  velut  materiam 
seu  subiectum  poenitentiae  sacramenti.  Hier  ist  gegen  alle 
Drucke  auch  das  erste  Mal  poenitentiam  virtutem  zu  lesen  !. 
Uber  die  in  der  That  ganz  landläufige  Unterscheidung  der 
poenitentia,  als  virtus  und  der  poenitentia  als  sacramentum 
kann  jeder  Scholastiker  verglichen  werden  *.  Auch  in  seiner 
Antwort  an  Silv.  Prierias  kommt  Luther  auf  sie  zu  reden, 
da  dieser  in  seiner  konfusen  Scholastik  eine  dreifache  poeni- 
tentia unterschieden  und  an  erster  und  zweiter  Stelle  die 
poeniientia  als  virtus  und  als  sacramentum  aufgeführt  hatte 
(W.  A.  I,  650,  5  ff.  28.  31)  s. 

2.  33  ff.    Adversus  has  tres  meas  conclusiones  gui- 

dam  .  .  .  posuit  deblaUerans ,  errorem  esse,  si  quis  verbum 
ittud  poenitentia  4  negaverit  etiam  de  sacramento  poeni- 
tentiae intelligi.  —  Hier  giebt  poenitentia  überhaupt  keinen 
Sinn.  Es  ist  zu  lesen:  verbum  illud  , poenitentiam  agite' 
(oder  v.  i  }poenitentiam  etc.'),  mit  welchem  sich  Tetzel,  auf 
den  Luther  sich  hier  ja  bezieht,  an  der  betreffenden  Stelle 


1)  Man  kann  natürlich  sehr  wohl,  wie  die  Scholastiker  unzählige 
Male  thun,  von  der  virtus  poenitentiae  reden,  nicht  aber  von  der 
poenitentia  virtutis!  —  Die  Jenaer  Ausgabe  (ihr  folgt  auch  hier  wie 
so  oft  die  Erlanger)  hat  gefühlt,  dafs  hier  ein  Fehler  steckt,  aber 
fälschlich  das  poenitentiam  virtutem  in  poenitentiam  virtutis  ge- 
ändert 

2)  Vgl  schon  den  Lombarden  (IV,  Dist.  14);  weiter  z.  B.  Bona- 
ventura, Sent,  IV,  Dist.  XIV,  I,  Dub.  2  und  Art.  I,  Qu.  lff.  (auch 
Dist.  XVI,  I,  Dub.  1 :  poenitentia  sumitur  dupliciter,  seilicet  pro  poeni- 
tentia virtute  et  pro  poenitentia  sacramento) ;  desgl.  Thomas,  Sum. 
ttieol.  III,  Qu.  85.  Zu  vgl.  über  die  poenitentia  als  Tugend  bei  Thomas 
Karl  Werner,  Thomas  von  Aquino  II  (Regensb.  1859),  S.  685—687; 
ferner  Werners  Werk  „Die  Scholastik  des  späteren  Mittelalters"  (Wien 
1881  —  1887)  über  diese  Unterscheidung  bei  Duns  Scotus  I,  478-480, 
in  der  nachscotistischen  Scholastik  (Aureolus,  Baconthorp,  Durandus, 
Occam)  II,  396-402,  bei  Gabr.  Biel  IV,  1,  294  —  Schwane, 
Dogmengeschichte  der  mittleren  Zeit,  Freiburg  1882,  streift  den  Gegen- 
stand blofs  (S.  664.  665). 

3)  S.  unten  (S.  207 ff.)  den  Anhang. 

4)  So  alle  Drucke,  nur  dafs  Jen.  und  Erl.  poenitentia  in  Kommata 
setzen,  Knaake  in  Anführungszeichen. 


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DIK  NEUE  LUTHER-AI  SG ARE.  III. 


199 


seiner  Gegenthesen  1  ebenso  wohl  beschäftigt  wie  Luther  in 
These  1—3. 

3.  551,  14 ff.:  Si  declarat,  ergo  impossibile  est  ut  relaxet 
ecdesia  easdem,  quia  non  imposuit,  sed  impositas  a  deo 
declarat.  Welchen  Sinn  giebt  hier  das  in  sämtlichen 
Drucken  sich  findende  Si  declarat?  Luther  bekämpft  hier 
die  Behauptung  poenas  canonicas  esse  declaratorias 
poenarum  a  iusticia  divina  requisitarum.  Es  ist  daher  „Si 
declarat."  oder  deutlicher  „Si  declaratoriae"  zu  lesen. 

4.  558,  2 8 ff.:  cum  in  caelo  credamus  regnarc  pacem, 
gaudium  et  securitatem  in  luce  dei,  in  inferno  vero  contra 
servire  desperationetn,  dolorem  et  horribilem  fugam  in  tene- 
bris  exterioribus  u.  s.  w.  Welcher  aufmerksame  Leser  sollte 
nicht  an  dem  servire  Anstofs  nehmen  und  sofort  saevire  da- 
für einsetzen?  Knaake  hat  die  Lesart  von  A,  C,  D,  mit 
Bas.4,  Bas 5  und  Wit  beibehalten,  obgleich  schon  Jen.,  Muhl., 
Lösch,  und  Erl.(!)  das  Richtige  boten*. 

5.  579,  1  ff.  Unde  Christus  velut  de  industria  non  dixit 
,Ego  solvam  in  caelis',  sed  , solutum  erit  in  caelis1,  ut,  si 
quis  primo  verbo,  scilicet  ,Quodcunque  solveris  super  terram', 
falsae  intelligentiae  calumniam  quaereret,  in  sequente  retun- 
deretur  nee  permiäeretur  ad  solvendum  aptare,  quia  solu- 
tum in  caelis  cogit  certe  intelligi  solutum  in  terra,  non  sol- 
ventem,  et  ligatum  in  caelis  cogit  intelligi  non  ligantem,  sed 
ligatum  in  terra.  Hier  ist  Z.  5  statt  ad  solvendum  zu  lesen: 
ad  solventem  aptare.  Man  vergl.  aufser  der  hier  ab- 
gedruckten Fortsetzung  der  Periode  noch  577,  27  f.  und 
578,  7.  37  ff!  Wer  hier  solvendum  drucken  kann,  hat 
den  springenden  Punkt  der  ganzen,  S.  577,  15  beginnen- 


1)  These  3  und  4:  Quisquis  ergo  dicit,  Christum,  dum  praedi- 
cavit:  ,poenüentiam  agite*  .  .  .  errat  (Erl.  Ausg.,  Op.  y.  a.  I,  296). 

2)  In  dem  inzwischen  (Ende  1893)  erschienenen  9.  Bande  der  W. 
A.,  welcher  nur  Nachtrage  und  Berichtigungen  zu  den  ersten  Bänden 
enthält,  lesen  wir  S.  781  (zu  Bd.  II,  558,  29):  „  E.  Nestle  in  den  Theol. 
Studien  aus  Württemberg  X.  Jahrg.  S.  312  hält  servire  für  einen  Druck- 
fehler; dies  ist  es  in  unserer  Gesamtausgabe  nicht,  denn  wir  hatten  es 
nach  unserer  Vorlage  gegeben:  er  will  dafür  saevire  gesetzt  haben,  eine 
vortreffliche  Konjektur.4'   [Zusatz  von  1896  ] 


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200 


BKIEGEK, 


den  Erörterung  Luthers  nicht  beachtet  oder  —  nicht  ver- 
standen l. 


i)  Nachträglich  sehe  ich,  dafs  wenigstens  einer  der  Herausgeber 
der  Resolutionen  sich  hier  frei  von  sträflicher  Gedankenlosigkeit  ge- 
halten hat:  Muhlius  (s.  über  ihn  oben  S.  169  Anm.  1)  hat  stillschwei- 
gend das  sohendum  in  solventem  geändert.  —  Beiläufig  mag  hier  an- 
gemerkt werden,  dafs  Luther  an  dieser  Stelle,  wie  so  oft  in  den  Re- 
solutionen, sich  mit  Joh.  von  Paltz  oder  einem  von  dessen  Hinter- 
männern auseinandersetzt.    Zur  Erhärtung  seines  Satzes,   dafs  de» 
Papstes  potestas  clavium  sich  nicht  aufs  Fegefeuer  erstrecke  (S.  574) 
bringt  Luther  an  dritter  Stelle  (577,  15)  das  Argument  bei,  daß  das 
die  Schlüsselgewalt  übertragende  Wort  des  Herrn  ausdrücklich  den 
Zusatz  super  terram  habe  (Non  frustra  adiecit  ,  super  terram').  Aber 
die  superstitio  quonindam,  qui  sine  scitu  et  sine  voluntate  Papae  ro- 
lunt  in  Ms  verbis  potestatem  ei  dare,  ubi  ipse  suffragium  sibi  usurpat 
duntaxat,  verdrehen  die  Worte  Chiisti  dicentes:  Illud  ,super  ter- 
ram' potest  dupliciter  construi,  uno  modout  ad  solventem, 
alio  modo  ut  ad  solvendum  pertineat;  et  primo  modo  esse 
Christum  intelligendum,  scüicet:  ,Quodcunque  Petrus  dum  fuerit 
super  terram  solverit,  solutum  erit  in  caelis."    Hierzu  vgl. 
man  die  ,Celif odi na',  wo  Paltz  in  der  vom  Jubiläum  handelnden 
Additio  (des  Hauptwerkes)  in  der  9.  Quaestio  principalis  (An  sit  cre- 
dendum  quod  per  iubileum  et  indulgentias  animabus  in  purgatorio 
veraciter  subveniatur)  vor  allem  die  Frage  erörtert,  an  papa  possit  dare 
indulgentias  pro  animabus  in  purgatorio  detentis  (Bl.  T  3b  des  Er- 
furter Druckes  von  1502) ,  und  selbstverständlich  bejaht.    Hier  kommt 
Paltz  (T  5b)  bei  Besprechung  der  gegnerischen  Einreden  auf  folgenden 
Einwurf  zu  reden:  Christus  non  dedit  potestatem  Petro  et  suis  suc- 
cessoribus  ligandi  et  solvendi  nisi  iüos  qui  sunt  super  terram,  iuxta 
illud  Mathei  XVI:  Quodcunque  etc.    Sed  animae  in  purgatorio  exi- 
stentes non  sunt  super  terram,  ergo  videtur  quod  papa  non  habeat 
potestatem  vel  iurisdictionem  super  eas  et  per  consequens  non  possit 
eas  a  penis  solvere  per  indulgentias.  Die  in  dieser  scheinbar  entgegen- 
stehenden Autorität  von  Matth.  16  liegende  Schwierigkeit  läfst  sich  in- 
dessen auf  dreifache  Weise  heben :  theologice,  logice  et  similitudinarie. 
Logisch  hat  diese  Schwierigkeit  unter  anderen  in   einem   für  den 
Kardinal  Raim.  Peraudi  ausgestellten  Gutachten  gelöst  der  Magister 
Nicolaus  Richardi,  sacrae  theologiae  professor  Universitatis  Picta- 
viensis.   (Dieser  ist  mir  sonst  nicht  bekannt   Doch  läi'st  sich  biblio- 
graphisch ein  Traktat  von  ihm  nachweisen,  welcher  sich  mit  der  durch 
Sixtus'  IV.  bekannte  Ablafsbulle  für  die  Kirche  von  Saintes  [August 
1476]  hervorgerufenen  Streitfrage  von  der  Ausdehnung  des  Ablasses  ins 
Fegefeuer  beschäftigt  und  vermutlich  1476  oder  1477  geschrieben  ist 
[der  einzige  datierte  Druck  weist  das  Jahr  1487  auf.  Sämtliche 


Uigitizea  Dy 


DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  III. 


1>01 


ü.  5T0,  131".  tyuin  amplius  f'acivmus  et  rogetnus  Papatn, 
ut  u.  s.  w.    So  Knaake  mit  A,  C,  D,  Muhl,  und  Erl.  Es 


Drucke  dieses  Tractatus  des  Nie.  Richardi  rinden  sich  übrigens  an- 
gehängt einem  Tractatus  des  Magisters  Johannes  de  Fabrica  in 
Paris  von  U76  ,  super  relaxationc  penarum  animarum  purgatorii  .  .  . 
pro  dubio  quodam  tollendo  ex  bullis  Xanctonensium  indulgentiarum']. 
Es  ist  zweifellos  derselbe  Traktat,  aus  welchem  Amort,  Hist.  indulg., 
Venet.  1738,  p.  333,  ein  paar  Sätze  mitteilt,  und  höchst  wahrschein- 
lich auch  identisch  mit  dem  von  Paltz  erwähnten  Gutachten  des 
Mag.  Nie.  Richardi  für  Peraudi.    Denn  nach  Paltz,  der  es  wissen 
konnte,  ist  Peraudi,  der  übrigens  im  Sprengel  von  Saintes  geboren  ist, 
eben  hier  noch  unter  Sixtus  IV.  als  AblaAskommissar  thätig  gewesen; 
s.  Celifod.  Bl.  T  5».  —  Nach  Paltz  hat  auch  Job.  de  Fabrica  für  Pe- 
raudi ein  Gutachten  geliefert;  auch  dieses  wird  nichts  anderes  sein  als 
der  oben  erwähnte  Traktat).  Nach  Paltz  hat  Richardi  sich  folgender* 
mafsen  geäufsert:  Nota  quod  ista  propositio:  Quodcunque  solveris  etc. 
habet  duplicem  sensum,  secundum  quod  iüa  additio  , super  terram' 
potest  determinare  illud  pronomen  ,tu'  vel  lij  [so!]  ,quodcunque'.  Si 
determinat  pronomen  , tu',  tunc  est  sensus:  Quodcunque  tu, 
Petre,  existens  vicarius  tneus  super  terram,  solveris,  illud 
reputabo  et  aeeeptabo  solutum  et  in  celis.    Et  sie  vera  est  propo- 
sitio, quod  papa  solvit  animas  a  purgatorio,  ipso  existente  vicario 
Christi  super  terram,  sicut  etiam  solvit  vivos  (Bl.  T  6b).   Voll  Un- 
willen und  Zorn  zieht  Luther  spöttisch  die  Folgerungen,  welche  sich 
aus  dieser  gewaltsamen  Verdrehung  der  Worte  des  Herrn  ergeben,  und 
ruft  dann,  den  Nie.  Richardi  und  den  diesen  mit  stiller  Zustimmung 
citierenden  Joh.  v.  Paltz  zusammenfassend,  aus:  Si  enim  ita  non  sa~ 
piunt,  quid  aestuant,  quid  laborant  ostendere,  quod  , super  terram' 
ad  solventem  pertinet?  Ecce  o  vere  aureum  opusculum  aurei  doctoris 
et  aureis  literis  dignissimum  et,  ne  nihil  non  sit  aureum,  aureis  dis- 
cipulis  tradendum!   Das  geht  zweifellos  (trotz  des  opusculum)  auf  die 
Coelifodina.  —  Bemerkenswert  ist  es,  dafs  Silvester  Prierias 
in  seiner  Hauptschrift  gegen  Luther,  welche  großenteils  eine  Wider- 
legung der  Resolutionen  ist,  („Errata  et  Argumenta  Luteris"  —  Rom 
1520  —  Bl.  CXCVIIsq.)  die  von  Luther  verspottete  Auslegung  des  super 
terram  ganz  ernsthaft  aufrecht  erhält,  ja  als  allgemein  angenommene  hin- 
stellt :  contra  se  recitat  (sagt  er  von  Luther)  unam  solutionem  preclaris- 
simorum  doctorum,  qui  lange  antequam  iste  nasceretur  hoc  argumentum 
(das  von  Luther  S.  577,  15 — 21  vorgebrachte)  dissolverunt  .  .  immo 
hec  solutio  est  omnium  antiquorum  et  modernorum,  scilicet 
ut  Ii.  super  terram  referatur  ad  solventem,  ut  sit  sensus:  quodcunque 
solveris  dum  existis  super  terram  sive  dum  es  in  loco  fori  tui  et  vivus 
tneus  vicarius,  erit  solutum  in  celis,  id  est  in  foro  dei  sive  apud  deum, 
sive  hic  qui  solcitur  sit  in  terra  »ive  sub  terra;  immo  nunquam  est 


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202 


BRIEGEK, 


ist  aber  mit  Bas.4,  Bas.6,  Wit.,  Jen.,  Lösch,  faciamus  zu 
lesen. 

7.  570,  22  f.  .  .  .deponamus  totum  officium  defunctorum, 
satis  hodie  molestum  et  negleetum  tarnen.  So  alle  Drucke. 
Der  Sinn  erfordert  selbstverständlich  tan  tum  l. 

8.  599,  8 f.:  Patet  atäem  conclusio,  quia  praeceptum  dei 
infinita  dignitate  praestat,  eo  quod  per  hominem  quoque 
})ermittitur  ac  nullo  modo  praecipitur.  So  sinnlos  alle  Drucke 
für  ei,  quod.  Der  einzige,  der  den  Fehler  bemerkt  hat,  ist 
Joh.  Jac.  Greif  in  seiner  Ubersetzung  (bei  Walch  XVIII, 
462). 

9.  602,  39 f.:  cum  indulgentiae  sit  vilissimum  bonum. 
So  Knaake  mit  A,  C,  D,  Bas.*,  Bas.6,  Wit,  Lösch.,  während 
mit  Jen.,  Muhl,  und  Erl.  sint  zu  lesen  ist. 

10.  603,  26:  .  .  ut  est  in  dccretis  ex  eodem  Ambrosio 
sumptum.  So  alle  Drucke.  Es  verdient  aber  jedenfalls 
sumptis  den  Vorzug.  Was  Luther  hier  citiert,  findet  sich 
in  der  That  m  verschiedenen  aus  Ambrosius  entnommenen 
Decreten  (c.  18  D.  LXXXVI  und  c.  70.  C.  XII  qu.  2,  C. 
J.  C.  ed.  Friedb.  I,  302.  710). 

Vielleicht  noch  häutiger  als  durch  falsche  Lesarten  sieht 
sich  bei  den  ältesten  Schriften  Luthers  der  Leser  an  der 
richtigen  und  schnellen  Erfassung  des  Sinnes  durch  eine 
falsche  oder  doch  unzweckmäfsige  Interpunktion  ge- 
hindert*. Hier  bedarf  es  noch  einer  eindringenden  Thätig- 
keit. 


in  celis  qui  solvitur,  cum  nullus  ibi  sit  Ugatus,  undt  in  celis  er- 
ponitur:  id  est  in  foro  dei  vel  apud  deum  (bald  darauf  begegnet  es 
dann  dem  Prierias  im  Eifer  des  Gefechtes,  dafs  er  bei  Wiedergabe  des 
in  Rede  stehenden  Satzes  Luthers  ruhig  nec  permitteretur  ad  solven- 
dum  aptart  druckt). 

1)  In  den  ürdrucken  steht  das  unzählige  Male  mit  tm  verwech- 
selte <». 

2)  Inwiefern  die  ersten  Bände  der  W.  A.  den  Anforderungen,  welche 
man  an  eine  sinngemäße  Interpunktion  stellen  darf,  im  allgemeinen 
nicht  genügen,  ist  in  dieser  Zeitschrift  (VII,  695—609)  eingehend  er- 
örtert worden.    Es  genügt  hier  ein  Hinweis  darauf. 


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DIE  NEUE  LUTHER-AI  SOABE.  III. 


203 


Dafs  dies  auch  von  den  Resolutionen  gilt,  mag  die  Be- 
sprechung einiger  in  der  W.  A.  falsch  interpungirter  Stellen 
zeigen  *. 

5$7,  4  f.  (Cond.  V.):  quia  est  alia  ab  iis  quae  imponun- 
tur,  ut  supra  dictum  in  poena  quinta.  Hier  ist  in  poena 
quinta  zu  imponuntur  zu  ziehen,  folglich  mufs  nach  dictum 
ein  Komma  stehen.  (Das  ut  supra  dictum  verweist  nicht 
auf  etwas,  was  Luther  bereits  bei  der  Besprechung  der  poena 
quinta  gesagt  hat;  wohl  aber  kommt  es  in  seiner  Erörterung 
der  poena  sexta  vor:  536,  28.) 

58$,  27  (Cond.  XXVI):  solum  quod  non  agunt,  ut 
indulgentiae,  sed  ut  suffragium.  Das  falsche  Komma  nach 
agunt,  wdches  Knaake  aus  A  übernommen  hat,  ist  schon 
in  C  und  D  gestrichen. 

586,  1 3  ff.  (Cond.  XXIX) :  Sed  volui,  ut  etiam  iUis  remissis 
non  evolarent,  nisi  et  sanarentur  in  gratia  perfecte,  posse 
tarnen  fieri,  ut  aliquae  noUent  redimi  ex  nimia  dei  cari- 
täte,  ex  eo  fit  verisimile,  quod  Patäus  et  Moses  potuerunt 
velle  esse  anathema  et  separatio  a  deo  in  aeternum.  Indem 

1)  Als  Stellen,  wo  die  Zeichensetzung  nicht  geradezu  falsch,  aber 
doch  unzweckmäfsig  ist,  nenne  ich  beiläufig  folgende.  631 ,  17  ist  das 
Komma  nach  iubemur  durch  ein  stärkeres  Zeichen  zu  ersetzen.  Das- 
selbe gilt  von  dem  Komma  hinter  patet  533,  1.  —  Wie  viel  Übersicht- 
licher Hefse  sich  die  lange  Periode  566,  5—12  gestalten!  Wiederholt 
(Z.  6  und  11)  ist  sie  durch  einen  Punkt  mit  darauffolgendem  grofsen 
Buchstaben  unterbrochen,  während  an  ihrem  Schlüsse  (Z.  12)  ein  Komma 
steht  und  mit  kleinem  Buchstaben  fortgefahren  wird!  —  580,  18  ist 
hinter  parochiae  statt  des  Punktes  ein  Fragezeichen  zu  setzen.  — 
683,  17 ff. :  Non  possum  esse  alieni  verbi,  multo  minus  Summt  Pontißcis 
interpres.  Quare  donec  sc  ipsum  interpretetur,  interim  opinemur,  ho- 
noris gratia,  defendendo  dictum  tale  incognitum.  Dupliciter  potest 
id  ipsum  intettigi.  Hier  ist  das  Komma  nach  gratia  zu  streichen,  und 
nach  incognitum  dürfte  ein  Kolon  den  Vorzug  verdienen  (A  liest:  in- 
cognitum, Dupliciter).  —  595,  5  ist  gröfsercr  Deutlichkeit  wegen  nach 
inteUigo  das  Komma  zu  tilgen.  —  596,  7  liest  man  für  Ita  hic.  Ab- 
solutio u.  s.  w.  besser  :  Ita  hic  absolutio  u.  s.  w.  —  G02,  12  ist  hinter 
reniae  und  hinter  operibus  ein  Komma  zu  setzen,  desgleichen  Z.  13 
hinter  suseipiendae.  —  625,  4  f.  sind  die  Anführungszeichen  unvorsichtig 
gebraucht;  wie  kann  Luther  hier  auch  das  immo  zizania  cum  tritico 
denen,  die  er  hier  redend  einführt,  in  den  Mund  legen? 


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204  BKIEGER, 

Luther  den  Sinn,  in  welchem  er  seine  These  1  gemeint  hat, 
erläutert,  sagt  er  zunächst,  was  er  mit  ihr  nicht  habe  in 
Abrede  stellen  wollen  *,  und  giebt  dann  mit  dem  Satze  Sed 
volui  .  .  .  perfecta  positiv  seine  Meinung  an.  Und  jetzt 
folgt  die  Begründung  seiner  Meinung:  wenigstens  fiir  mög- 
lich hält  er,  dafs  dem  so  ist:  „dafs  es  aber  möglicherweise 
geschehen  könne,  wird  wahrscheinlich  aus  dem  Umstände, 
dafs .  .  . "  .  Eis  ist  also  zu  lesen :  perfecie.  Posse  .  .  .  cari- 
tate,  ex  eo  fit  verisimile  u.  s.  w.  * 

58?,  27  ff.  (Cond.  XXXII):  Infoelicissimi  Christiani, 
qui  nec  in  suis  meritis  mc  in  sua  conscientia  bona  possunt 
confidere  de  salute.  Docentur  confidere  in  scrijdam  et 
ceratam  papyrum.  Welcher  aufmerksame  Leser  sähe  nicht 
sofort,  dafs  der  Gedanke  Luthers  erst  zum  richtigen  Aus- 
druck kommt,  wenn  man  salute,  docentur  liest.  Man  sieht 
bei  Vergleichung  der  Urdrucke  4  und  der  späteren  Ausgaben, 
dafs  diese  Verschlechterung  Knaake  eigentümlich  ist. 

590,  lff.  (Cond.  XXXIII):  Hanc  primam  gratiam  vuU 
cum  esse  qua  maius  dici  nihil  potest  et  quam  consequitw 
homo  privatim  gratia,  quod,  nisi  d*><  iustificaiüe  gratia  spirittis 
inU'Uigi  mm  potest,  nec  ijmim  aliter  hrfellcxissc  clarum  est. 


1)  Quis  seit,  si  omnes  animae  velint  redimi  a  purgatorio,  sicut 
de  Sancto  Severine  et  Paschali  factum  narratur. 

2)  Non  .  .  .  negavi,  quin  et  alias  poenas  luant  animae  in  pur- 
gatorio  quam  supra  dixi. 

3)  So  liest  richtig  A  (nur  dafs  nach  perfecte,  das  am  Ende  der 
Zeile  steht,  der  Punkt  fortgefallen  ist;  dafür  aber  ist  das  Posse  in  der 
folgenden  Zeile  etwas  eingerückt;  weiter:  charitate,  ex  eo  fit).  Völlig 
korrekt  Bas.4;  auch  Bas.6  verrät  noch  das  richtige  Verständnis. 
Später  ist  dies  aber  allgemein  verloren  gegangen.  Schon  in  C  und  D 
beginnt  die  Verschlechterung:  beide  haben  zwar  nach  perfecte  einen 
Punkt,  aber  auch  nach  charitate,  und  überdies  hat  eine  graphische  Un- 
ebenheit von  A  (das  Binden  von  Posse  und  tarnen:  Possetü)  sie  zu  dem 
Druckfehler  Posset  tarnen  verleitet.  An  D  hat  sich  Muhl,  angeschlossen, 
der  nun  vollends  charitate.  Ex  eo  schreibt;  ebenso  (nur  Posse  als 
Variante  beibringend)  Erl.  —  Wit.,  Jen.  und  Löscher:  perfecte.  Posse 
.  .  .  charitate.  Ex  eo  .  .  .  —  Falsch  übersetzt  hat  auch  Greif.  — 
Prierias  (Bl.  CLXXXIIII»)  hat  sich  eine  leise  Änderung  erlaubt:  .  .  . 
perfecte.    Posse  tarnen  .  .  .  charitate:  quod  ex  eo  fit  u.  s.  w. 

4)  A  und  C  lesen  salute,  Docentur;  vollends  D:  salute,  docentur. 


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DIE  NEUE  LUTHER-AUSGABE.  III 


205 


In  dem  überhaupt  jeden  Sinn  ausschliefsenden  Komma 
vor  nisi  haben  wir  hoffentlieh  nur  einen  Druckfehler  zu 
erblicken  l. 

590,  1 1  ff.  (Cond.  XXXIII) :  Delj)hicum  audivimus  ora- 
culum,  ut  nihil  omnino  dubitat,  qui  omnia  ignorat:  de  pote- 
state  clavium  in  purgatorium  secure  pronuntiat.  Zu  lesen 
oraculum!    Ut  .  .  .  ignorat,  de  u.  s.  w.  2 

5W,  29  ff.  (Cond.  XXXIII):  Sit  satis  indicasse  fkklibus, 
pestilentiam  eorum  serinonum  tarn  insigni  (ut  par  erat)  invo- 
lutam  inscitiae  ä  ruditati.  Diese  Zeichensetzung  (der  Ur- 
drucke)  schwächt  den  Sinn  ab;  Luthers  Absicht  in  dieser 
Resolution  war  eine  andere.  Es  ist  zu  ändern:  fidelibus 
pestilentiam  eorum  sermonum,  tarn  u.  s.  w. 8. 

59t,  28  f.  (Cond.  XXXVI):  Et  *  per  casum,  Si  quando  5 
ei  non  daretur  eiusmodi  remissio,  debetur  tarnen  ei,  ut  dicit 
Papa.  Es  ist  zu  lesen:  Et  per  casum  si  u.  s.  w. :  „Und 
wenn  zufällig  ihm  (dem  Christianus  vere  compunctus)  die 
remissio  plenaria  a  poena  et  culpa  irgendwie  nicht  zuteil 
[auf  irgendeine  Weise  vorenthalten]  werden  sollte,  so" 
u.  s.  w.  6. 

599,  5  (Cond.  XLII):  Papam  intelligo  . . .  prout  sonat, 
personam  publicam,  id  est  ut  per  canones  nobis  loquitur. 
Das  sinnlose  Komma  ist,  so  viel  ich  sehe,  der  W.  A.  vor- 
behalten geblieben. 

1)  Erl.  mit  den  Urdruckcn  richtig. 

2)  So  richtig,  vou  den  Urdrucken  abweichend,  schon  Muhlius. 

3)  Auch  hier  hat  schon  Muhlius  das  Richtige. 

4)  Auch  im  Voraufgehenden  ist  die  Zeichensetzung  verfehlt:  Neque 
peccant,  qui  eas  ncgligunt,  nec  ideo  in  periculo  salutis  sunt.  Quod 
ex  eo  patet,  quia  tales  tarn  sunt  in  via  mandatorum  dei,  Et  per 
casum,  Si  .  .  ./  Und  doch  beginnt  mit  dem  Et  ein  neuer  Gedanke, 
wie  schon  das  auf  die  These  zurückgehende  eiusmodi  remissio 
zeigt.  —  Knaake  ist  hier  sklavisch  seiner  Vorlage  A  gefolgt.  Schon  C 
und  D  haben  wenigstens  das  Komma  vor  Et  per  casum  in  einen  Punkt 
verwandelt. 

5)  Dafs  Knaake  mit  Bas.4,  Bas.5  und  den  Gesamtausgaben  ohne 
Not  quando  für  das  quomodo  der  Urdrucke  eingesetzt  hat,  wurde  schon 
oben  (S.  197)  angemerkt. 

6)  Falsch  Greif:  „Und  gesetzt  auch,  es  würde  dergleichen  Erlas- 
sung auch  nicht  erteilet." 


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206 


BRIEGEK, 


603,  36  —  604,  2  (Cond.  LH):  Ät  inquiunt  ,Non  toüi- 
mus  timorem  dei'.  Sipotest  securüas  per  venias  stare  cum 
timorc  dei,  vere  non  tollitis,  sed  popultts  acceptis  lüeris 
cum  ianto  iuramenti  hiatu  commendatis.  Si  timet,  qtuxi 
non  sufficiunt  Wierae  coram  deo,  quomodo  erit  vera  iüa 
gloriosa  securitatis  promissio?  Sin  confulit  sufficere ,  quo- 
modo timebit?  Hier  ist  der  Sinn  in  einer  kaum  glaublichen 
Weise  verkannt!  Knaake  schliefst  sich  mit  dem  toUÜis, 
sed  an  A  an,  verschlechtert  aber  die  Interpunktion  dieses 
Druckes  noch,  indem  er  hinter  commendatis  einen  Punkt 
setzt!  (A:  commendatis,  Si)1.  Sinngemäß  sind  die  Zeichen 
zu  setzen:  toüitis.  Sed  .  .  .  commendatis,  si  timet  .  .  .  pro- 
missio? sin  confulit  u.  s.  w. 


Doch  genug!  Der  vorstehende  Beitrag  zur  Textkritik 
der  Resolutionen  wird  gezeigt  haben,  wie  weit  das  Weimarer 
Unternehmen  bei  dieser  Schrift  hinter  der  Aufgabe  einer 
„Kritischen  Gesamtausgabe"  zurückgeblieben  ist! 

Dieser  Fall  steht  leider  nicht  vereinzelt  da. 

Bei  der  Wichtigkeit  der  ältesten  Schriften  Luthers 
—  welche  übrigens  zugleich  die  meisten  Schwierigkeiten 
bieten  —  mufs  daher  die  Forderung  aufgestellt  werden, 
dafs  uns  von  ihnen  (etwa  bis  1519  hin)  in  absehbarer  Zeit 
eine  neue  Ausgabe  geliefert  wird,  welche  nicht  blofs  den 
Anspruch  erhebt,  eine  kritische  zu  sein,  sondern  diesem 
Anspruch  insoweit  gerecht  wird,  wie  das  auf  dem  heutigen 
Standpunkte  der  Wissenschaft  überhaupt  möglich  ist. 

Die  Verdienste,  welche  sich  der  Begründer  der  Weimarer 
Ausgabe  als  solcher,  sowie  —  als  Bearbeiter  der  ersten 
Bände  (I.  II.  VI.)  —  durch  seinen  von  reichem  Erfolge 
gekrönten  Eifer  im  Sammeln  der  Urdrucke,  durch  die  Auf- 
hellung dunkler  Punkte  in  der  Entstehungsgeschichte  dieser 
oder  jener  Schrift  Luthers,  durch  glückliche  Textverbesse- 

1)  Ebenso  C:  tollüis,  sed  .  .  .  commendatis.  Si,  Schon  D  hat 
gebessert  commendatis,  si.   Dies  hat  auch  die  Erl.  A.  richtig! 


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207 


DIE  NEUE  LUTHEK-AUSGAIIE.  III. 


rangen  an  einer  grösseren  Anzahl  von  Stellen  erworben  hat, 
sollen  ihm  unvergessen  bleiben,  aber  —  plus  ultra! 

[Leipzig,  Ostern  1892.] 


Anhang. 


Es  war  oben  (S.  198)  beiläufig  die  Rede  davon,  dafs  Luther 
auch  in  seiner  Antwort  anf  den  Dialog  des  Silvester  Prierias, 
durch  seinen  Gegner  veranlagst,  anf  die  scholastische  Be- 
stimmung der  poenitentia  als  virtus  zu  sprechen  komme 
(W.  A.  I,  650,5  ff.  28  f.  31  ff.). 

Hier  lesen  wir  (650,  28):  Tertio,  poenitent  iam  vir- 
tutetn  dolorem  voluntatis  definis.  Qua,  rogo,  ati- 
toritate?  Der  Druck  C  dieser  Schrift1  schiebt  hier  hinter 
virtutem  ein  tan  tum  ein,  eine  zweifellose,  allerdings  erst  in  den 
,Erratis*  gebrachte  Verbesserung.  Lenz  und  ich  bemerkten  bei 
dieser  Gelegenheit2,  Knaake  hindere  das  Verständnis  durch  ein 
hinter  virtutem  gesetztes  Komma.  Dies  hat  Knaake  (W.  A.  IX, 
783)  den  Ausruf  entlockt:  „Wenn  uns  nur  dabei  gesagt  wäre, 
wie  die  dunkle  Stelle  richtig  verstanden  werden  müfste!  Mit  dem 
Komma  hinter  virtutem  soll  eben  eine  andere  Auffassung  an- 
gedeutet werden,  als  die  wäre,  welcher  man  zu  folgen  hätte, 
wenn  das  Komma  fehlt.  Von  letzterer  sagt  wenigstens  Ambrosius 
Catharinus  in  seiner  ,Excusatio  disputationis  contra  Martinum', 
Florentiae  1521,  Bl.  a  8b,  dafs  sie  der  Meinung  des  Prierias 
nicht  entspreche".  —  Unsere  Meinung  ist  natürlich  die  gewesen, 
dafs  Knaakes  Interpunktion  das  richtige  Verständnis  der  im 
übrigen  keineswegs  dnnklen  Stelle  hindere.  Wer,  mit  Luthers 
damaliger  Anschauung  von  der  Bofse  bekannt  und  einigermafsen 
vertraut  mit  den  einschlagenden  scholastischen  Distinktionen,  die 
Darlegung  Luthers  auf  S.  650  in  ihrem  Zusammenhang  und 
Fortschritt  erwägt,  kann  Über  den  Sinn  jener  Stelle  keinen  Augen- 
blick im  Zweifel  sein.  Es  verdriefst  fast  für  andere  denn  An- 
fänger bei  einer  solchen  Stelle  erst  eine  Erläuterung  geben  zu 
müssen. 


1)  S.  diese  Zeitschr.  VII,  583  ff. 

2)  Ebenda  S.  689. 


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20s 


RKIKttEK, 


Der  zweiten  These  Luthers:  das  Wort  Christi  „Thut  Bufse" 
o.  s.  w.  dürfe  nicht  vom  Sakrament  der  Boise  verstanden  werden, 
hatte  Prierias,  einen  dreifachen  Gebrauch  des  Wortes  poenitentia 
(als  virtus,  sacramentum,  satisf actio  iniuncta)  konstatierend,  die 
Behauptung  entgegengesetzt:  de  qualibet  .  .  Harum  tri  um 
äico  praedictum  verbum  Christi  non  solum  posse,  verum  eiiam  et 
debere  intelligi  l.  Luther  widerlegt  das  (S.  650  f.)  in  sieben 
Punkten.   Von  diesen  gehen  uns  hier  aber  nur  die  drei  ersten  an  *. 

1.  Luther  beantwortet  (primo)  die  Gegenthese  Mazzolinis  mit 
der  Frage  (650,  18  ff.),  wer  ihm  oder  dem  Divus  Thomas  die 
Erlaubnis  gegebeu  habe,  verbttm  simplicissinum  .  .  Christi  in 
tres  dividere  sectas.  —  2.  Prierias  hatte  die  erste  Art  der 
poenitentia  in  folgender  Weise  beschrieben  (von  Luther  wieder- 
gegeben S.  650,  6 ff.):  est  virtus  quacdam,  cuius  obiectum 
est  peccatum  sub  ratione  emendabilis,  actus  vero  eins  est 
dolor  voluntatis  de  peccato,  ipsa  vero  est  habitus  mora- 
lis  eliciens  dictum  actum  respectu  praedicti  obiecti.  Hiergegen 
wendet  Luther  Zweierlei  ein:  erstens  im  allgemeinen  (in  seinem 
Secundo),  dafs  das  ja  der  alte  abgestandene  Aristotelische  Brei 
sei  (iterum  ructuas  Aristotelicam  philosophiam  de  vir  tute  morali 
[man  sollte  habitu  morali  erwarten],  de  obiecto,  de  actu  elicito, 
quasi  ego  talin  nunquam  audierim!) ;  und  zweitens  bemängelt 
er  (in  seinem  Tertio)  einen  besonderen  Punkt:  poenitentiam  vir- 
tutem  dolorem  voluntatis  definis.  Qua,  rogo,  autoritate?  Nach 
Knaakes  Interpunktion  würfe  Luther  dem  Prierias  nun  vor,  dafs 
er  die  poenitentia  zu  einer  virtus,  zu  einem  dolor  voluntatis 
mache,  sie  als  virtus  oder  [genauer?]  als  dolor  voluntatis 
definiere  s.  Wie  aber  sollte  Luther  dazu  kommen ,  gerade  die 
Definition  der  poenitentia  als  virtus  zu  bemängeln?  Hatte 
er  sich  denn  nicht  noch  so  eben  in  seinen  Resolutionen  darauf 
berufen,  dafs  doch  selbst  noch  die  Scholastik  die  Bufse  nicht 
blofs  als  Sakrament,  sondern  daneben  auch  noch  als  Tugend 
gekannt  habe? 

Bei  richtiger  Interpunktion  bemängelt  Luther  vielmehr,  dafs 
Prierias  von  der  Bufse  als  Tugend  aussage,  sie  sei  ein 
dolor  voluntatis,  oder,  wie  in  C  der  Gedanke  noch  deut- 
licher zum  Ausdruck  kommt,  sie  sei  blofs  ein  dolor  voluntatis. 
Das  hatte  Prierias  in  der  That  als  das  Wesentliche  dieser 


1)  Erl.  Ausg.,  Op.  v.  a.  I,  348. 

2)  In  den  folgenden  zeigt  Luther,  in  welche  Widersprüche  sich 
die  krause  Thomistik  seines  Gegners  verwickelt. 

3)  So  hat  auch  Tittel  (bei  Walch  XVIII,  127)  übersetzt:  „Drit- 
tens, macht  ihr  aus  der  Bufse  eine  Tugend,  einen  Schmerz  des  Willen». 
Ans  was  vor  Macht?  frage  ich/1 


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DIE  NEUE  LUTHER- AUSGABE.  III 


209 


Tugend,  sofern  man  sie  nämlich  auf  ihre  Aktivität 
hin  ansieht,  angegeben. 

Diese  Beschränkung  der  poenitentia  als  virtus  auf  einen 
blolsen  dolor  voUtntatis  —  das  war  es,  was  Luther  nicht  genügte  *. 
Warum  sie  ihm  aber  bei  seiner  damaligen  Anschauung  ron  der 
Buise  nicht  genügen  konnte,  bedarf  für  den  Kenner  Luthers 
keiner  Erläuterung*.  — 

Was  soll  nun  hier  eine  Berufung  auf  Ambrosius  Catha- 
rinus?  Soll  er  uns  unsere  Auffassung  erst  bestätigen?  oder 
soll  er  uns  eines  besseren  belehren  ?  Er  urteilte  auf  Grund  der 
Worte  des  Prierias  wie  der  Antwort  Luthers.  Beide  aber  liegen 
uns  so  gut  vor  wie  ihm.  Wenn  er  etwa,  indem  er  für  seinen 
Ordensgenossen  eintritt,  diesen  oder  aber  Luther  oder  auch  beide 
müsverstanden  haben  sollte,  was  macht  das  für  das  richtige  Ver- 
ständnis aus?    Doch  hören  wir,  was  er  sagt. 

Nachdem  Catharinus  die  Auseinandersetzung  des  Prierias  über 
den  dreifachen  Gebrauch  von  poenitentia,  desgleichen  den  hier 
untersuchten  dritten  Punkt  der  Antwort  Luthers  8  mitgeteilt  hat, 
fährt  er  fort:  An  non  igitur  vera  et  manifesta  sum  locutus, 
quod  expugnat  hic  homo  ea  quae  non  capit?  An  quaeso  in 
praedictis  verbis  Mapistri  illud  quisquam  reperiat,  quod  poeni- 
tentia sit  dolor  voluntatis?  quando  contradicatur  explicitissime, 
scilioet  quod  poenitentia  virtus1  est  habitus:  et  quod  dolor 
voluntatis  non  habitus,  et  ideo  non  virtus  ipsa,  sed  est  actus 
eius?  Das  ist  so  klar  wie  möglich  und  zeigt,  dafs  Catharinus 
die  Äußerung  Luthers  richtig  verstanden  hat.  Nicht  das  macht 
er  ihm  zum  Vorwurf,  dafs  Luther  den  Prierias  die  poenitentia 
als  virtus  hinstellen  lasse,  sondern  dieses,  dafs  er  seinem  Gegner 
die  Definition  in  den  Mund  lege,  sie  sei  (als  virtus)  ein  dolor 
voluntatis,  während  doch  durch  die  Bezeichnung  der  Bufse  als 


1)  Wenn  Luther  im  Fortgang  seiner  Widerlegung  des  Prierias  aus 
der  poenitentia  als  virtus  auch  die  Mortificatio  carnis  und  die  werk- 
thätige  satisfactio  ableitet  (650,  32;  651,  5),  so  soll  das  nur  die  ver- 
worrene Dreiteilung  seines  Gegners  treffen,  nicht  aber  den  Thomas,  der 
ja  mit  seiner  Definition  der  Tugend  der  Bufse  als  eines  dolor  volun- 
tatis eine  operatio  der  virtus  poenitentiae  nicht  verneinen  wollte. 

2)  Man  braucht  sich  nur  seines  „Sermo  de  poenitentia 41  von  1518 
zu  erinnern,  sowie  der  allerdings  in  das  folgende  Jahr  fallenden  3.  These 
gegen  Eck  und  ihrer  Verteidigung,  W.  A.  II,  421  f.  Von  1518  auch  zu 
vergleichen  die  „Decem  praecepta",  W.  A.  I,  446. 

3)  Tertio  poenitentiam  virtutem  dolorem  voluntatis  deßnis.  So 
ohne  Komma  wie  in  A. 

4)  Es  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  damaligen  Interpunktion,  wenu 
Catharinus  hier  nach  virtus  ein  Komma  setzt,  welches  andeuten  soll, 
dafs  poenitentia  und  virtus  zusammen  das  Subjekt  ausmachen. 


ZaiUchr.  f.  K.-G.  XVII.  1  n.  *. 


14 


210  BRIEGER,  DIE  NEUE  LUTHER- AUSGABE.  III. 

Tagend  eben  dieses  ausgeschlossen  sei !  „  Hat  denn  nicht  Prierias 
ausdrücklich  das  Gegenteil  gesagt?  dafs  nämlich  die  Bufse  als 
Tugend  ein  Habitus  ist;  somit  kann  der  dolor  voluntatis  nicht 
die  Tugend  selbst  sein,  sondern  nur  ihre  Wirkung"  K 


1)  Warum  übrigens  dieser  Einwurf  in  dem  Munde  eines  Thomisten 
kaum  Gewicht  hatte,  kann  ein  Blick  auf  Thomas,  Sum.  th.  Qu.  85, 
art  I  zeigen. 

[Leipzig  1896.) 


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ANALEKTEN. 

1. 

Uber  ßachiarius  und  Peregrinus. 

Von 

0.  F.  Fritzsche  in  Zürich  \ 


Von  einem  Bachiarius  haben  sich  zwei  kleine  Schriften  er- 
halten, der  „Liber  de  fide"  2,  den  zuerst  Muratori  veröffentlicht«  3, 
und  der  schon  früher  wiederholt  gedruckte  „Liber  de  reparatione 
lapsi"  4.  Die  letztere  Schrift  ist  an  einen  Januarius  gerichtet, 
der  als  beatissimus  frater  angeredet  wird.  Sie  ist  in  einem  mil- 
den und  um  das  Heil  der  Gefallenen  besorgten  Sinne  geschrieben: 
man  solle  diese  nicht  durch  allzu  grofse  Strenge  zur  Verzweif- 
lung treiben,  sondern  sie  durch  freundliches  Entgegenkommen 
wieder  zu  gewinnen  suchen,  eingedenk,  dafs  auch  wir  Fleisch, 
der  Fleischeslust  unterworfen  seien.  Es  handelte  sich  um  Fleisches- 
vergehen  in  Klöstern,  vgl.  c.  1046:  illud  quäle  est,  quod  a  quibus- 
dam  audivimns  dici:  ut  illa  vel  ille,  qui  criminis  peccatique 
consortes  sunt,  veluti  in  matrimonio  coniugioque  iungantur.  Ab- 
sit  hoc  a  christiani  oris  eloquio,  und  c.  1058:  Ac  forsitan 
suggesserat  tibi  ille  consiliator  antiquns  (Gen.  3,  1)  quia  possis 
istam  paenitentiam  quam  suademus  tibi  in  senectute  tua  agere 
et  nunc  famem  desiderii  tui  sub  coniugii  nomine  satiare.  In 


1)  Von  dem  inzwischen  dahingegangenen  hochverdienten  Gelehrten 
ist  der  Redaktion  eine  Arbeit  über  den  Priscillianismus  zugegangen, 
deren  erster,  die  äufsere  Geschichte  behandelnder  Teil  in  einem  der 
nächsten  Hefte  erscheinen  wird  Der  zweite  über  die  Lehre  ist  leider 
unvollendet  geblieben.  Es  ist  bisher  noch  nicht  gelungen,  einen  ge- 
eigneten Bearbeiter  dafür  zu  finden. 

2)  Migne,  Patrol.  lat.  XX,  col.  1019—1036. 

3)  Anecdot.  II,  (Mediol.  1698.  4),  p.  9-26. 

4)  Migne  1.  1.,  c  1037-1062. 

14* 


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212 


ANALEKTEN. 


gleicher  Tendenz,  gegen  Gefallene  nicht  zn  grofse  Strenge  an- 
zuwenden, schrieb  damals  ein  Bischof  Paulus  eine  Schrift  „De 
paenitentia     s.  Genad.  De  vir.  ill.  32. 

Da  Bachiarins  in  einer  der  Häresie  anheimgefallenen  Pro- 
vinz geboren  war,  wurde  er  als  Häretiker  verdächtigt.  Dagegen 
wehrte  er  sich  im  „Liber  de  fide",  den  er  an  einen  beatissimus 
frater  richtete.  So  weit  ich  sehe,  schreibt  er,  macht  mich  nicht 
die  Rede,  sermo,  sondern  die  Gegend  verdächtig,  und  wie  ich 
nicht  des  Glaubens  wegen  erröte,  so  schäme  ich  mich  wegen  der 
Provinz;  aber  es  sei  ferne,  dafs  mich  bei  heiligen  Männern  der 
Flecken,  macula,  der  irdischen  Geburt  anstecke  (c.  1019X  Nach 
dem  Spruche,  sententia,  gewisser  Vorsteher,  praesidentum ,  werde 
ich  verurteilt,  iudicamur,  als  ob  ich  vom  Irrtum  getäuscht  sein 
inü&te  (c.  1020).  Si  agnoscimus  patriam,  erubescamus  et  cul- 
pam;  mihi  enim  civitas  cui  renovatus  sum  (der  Staat,  dem,  für 
den  ich  getauft  bin,  nämlich  der  christliche)  regio  effecta  vel 
patria  est 1  (ich  brauche  mich  also  nicht  zn  schämen).  Nihil 
mihi  de  terrennis  affinitatibus  ascribatur,  quibus  renuntiasse  me- 
mini  (c.  1022):  non  mihi  patria  confessionem ,  sed  confessio  pa- 
triam dedit  (c.  1024).  Wenn  nun  Bachiarius  seine  Rechtgläubig- 
keit  inbetreff  der  Trinität  zu  erweisen  sucht,  die  Seele  für  ge- 
schaffen erklärt,  die  nicht  ein  Teil  Gottes  sei  und  nicht  durch 
die  Zeugung  ex  transfusione  entstehe,  den  Teufel  nicht  für  in- 
genitus  hält,  sondern  als  guter  Engel  boni  et  mali  capax  sei  er 
geschaffen,  aber  durch  Hochmut  gefallen  und  der  ewigen  Strafe 
verfallen,  wenn  er  bemerkt,  dafs  alles  gut  geschaffen  sei,  aber 
die  Enthaltung  von  Speisen  pro  continentia  carnis  für  nützlich 
hält,  die  Ehe  billigt,  aber  die  Enthaltsamkeit  in  ihr  empfiehlt 
und  die  Virginität  hochhält,  das  Alte  und  Neue  Testament  gleich 
schätzt,  an  das  darin  gegebene  Geschichtliche  glaubt,  aber  auch 
nach  spiritualem  Sinn  forscht,  die  Lehrer  verdammt,  die  sich  im 
geheimen  hält  und  sich  scheut  an  die  Öffentlichkeit  zu  treten, 
sich  an  die  kirchlichen  Fasten  hält,  aber  den  sacerdotes  sive 
doctores  sich  unterwirft,  wenn  sie  Besseres  sagen  —  so  sind 
das  alles  Punkte,  die  beim  Pnscillianismus  in  Frage  kamen,  und  es 
ist  unverkennbar,  dafs  er  sich  inbetreff  desselben  zu  reinigen  sucht 

Bachiarius  war  nach  Gennadius  *  Mönch,  vir  Christian ae  philo- 
sophiae,  und  zwar  ein  sehr  eifriger,  nudus  et  expeditus  cavare 
deo  disponens.  Ferner  soll  er  artige  Schriftchen,  grata  opuscula, 
herausgegeben  haben,  von  welchen  Gennadius  selbst  nur  ein  Buch 
vom  Glauben  gelesen  habe.    Nun  das  ist  das  uns  vorliegende. 


1)  Nicht  verstanden  von  Garns,  Kirchengesch,  von  Spanien  II,  I, 
S.  412. 

2)  De  vir.  ill.  24. 


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FR1TZSCHE,  ÜBER  BACHIAR1US  UND  PEREGR1NUS.  213 


Wenn  Gennadius  weiter  erzählt,  dafs  Bachiarina  eine  peregrinatio 
unternommen  habe,  und  weil  er  wegen  derselben  in  üblen  Ruf 
gekommen  sei,  sich  in  dieser  Schrift  dem  Bischöfe  der  Stadt, 
pontifici  nrbis  gegenüber  rechtfertigen,  so  ist  dies  eine  irrige 
Annahme  des  Gennadius,  zu  welcher  ihn  folgende  Worte  des 
Bachiarius  verleiteten:  Nos  patriam  etei  secnndum  carnem  novi- 
mus,  sed  nnnc  iam  non  novimns  (2  Kor.  5,  16),  et  desiderantes 
Abrahae  filii  fieri,  terram  nostram  cognationemqne  reliqnimus 
(Gen.  12,  1),  c.  1019.  Von  einer  peregrinatio  des  Bachiarius 
ist  nichts  bekannt,  wie  schon  richtig  Muratori  bemerkte. 

Nach  der  Tradition  war  Bachiarius  Britannier.  Muratori  be- 
zweifelte dies,  ohne  jedoch  sein  Vaterland  zu  bestimmen.  Richtig 
erkannte  der  ungenannte  Verfasser  des  Bachiarius  illustratus  2, 
dafs  seine  Heimat  in  der  spanischen  Provinz  Gallaecia  zu  suchen 
sei.  Dort  gab  es  in  alter  Zeit  eine  ansehnliche  Stadt  mit  einem 
Bischofssitze,  Britona,  Britonia,  Britania  genannt,  zwei  Meilen 
von  Mondonedo  gelegen.  Später  ist  sie  zu  dem  armseligen  Dorfe 
Bretagna  herabgesunken.  So  erklärt  sich  auch  die  Angabe,  dafs 
er  Britannier  gewesen. 

Endlich  können  wir  auch  Aber  die  Zeit,  in  der  Bachiarius 
schrieb,  nicht  eben  in  Zweifel  sein.  Er  kennt  den  error  Helvi- 
dianus  (c.  1029)  und  schreibt  (c.  1023):  si  pro  culpa  unius 
totius  provinciae  anathemanda  generatio  est,  damnetur  et  illa 
beatissima  discipula,  h.  e.  Roma,  de  qua  nunc  non  una,  sed  duae 
vel  tres  aut  eo  amplius  haereses  pullularunt  — .  Das  führt  auf 
das  erste  oder  zweite  Jahrzehnt  des  5.  Jahrhunderts,  Bachiarius 
wird  ein  älterer  Zeitgenosse  des  Orosius  gewesen  sein.  Übrigens 
hatte  damals  der  Priscillianismus  in  Galläcien  solche  Verbreitung 
gefunden,  dafs  selbst  der  Name  Galläcier  verdächtig  machte. 


Von  Priscillian  haben  sich  in  einer  Reihe  von  Handschriften 
„Canones  in  Pauli  Ap.  epistulas  a  Peregrino  Episc.  emendati" 
erhalten,  deren  Text  neuerlich  Ge.  Schopfs  in  seiner  Ausgabe: 
„  Priscillian  i  quae  supersunt"  (Vindob.  1889)  nach  guten  Hand- 
schriften berichtigt  und  mit  einem  kritischen  Kommentar  heraus- 
gegeben hat.  Dieser  Schrift  sind  zwei  Vorreden  vorausgeschickt, 
die  eine  ist  von  Priscillian.  Er  richtet  sie  an  einen  Freund, 
der  oft  mündlich  oder  schriftlich  von  ihm  verlangt  hatte,  dafs  er 
gegen  die  Ränke  der  Häretiker  eine  auf  scharfsinniger  Schrift- 
forschung beruhende,  kurze  und  gefällige  Scbutzwehr  aufstelle, 

1)  Unter  der  Stadt  versteht  man  Rom.  im  Sinne  des  Gennadius, 
dem  die  Worte  überhaupt  angehören,  wohl  richtig.  Aber  der  Adressat 
ist  in  einem  Kloster  zu  suchen. 

2)  S.  de  Priscilliani  haeresi  dissertatio  in  Raccolta  d'opuscoli  scien- 
tifice  e  filologici,  T.  XXVII  (Venezia  1742),  8,  p.  74—76. 


214 


ANALEKTEN. 


durch  welche  die  Unverschämtheit  derer  abgewiesen  würde,  welche 
die  ihnen  vorgehaltenen  wahrsten  Zeugnisse  in  ihren  schlechten 
Sinn  zu  verdrehen  suchen,  oder  wohl  leugnen,  dafs  sie  sich  ge- 
schrieben fanden.  Dazu,  meint  er,  bedürfe  es  nicht  eines  listigen 
rednerischen  Wortschwalles ,  noch  verführerischer  Syllogismen, 
vielmehr  müsse  die  lautere  Wahrheit  aus  der  Schrift  selbst  her- 
vorleuchten. Demnach  Labe  er  für  nützlich  erachtet,  aus  den 
vierzehn  Briefen  des  Apostels  Paulus  1  die  Zeugnisse  dem  Sinne 
nach  zu  sondern,  diese  der  Zahl  nach  zu  ordnen  und  diese  Zahlen 
von  jedem  Briefe  der  Menge  nach  mit  Tinte  kenntlich  zu  machen. 
Aufserdem  habe  er  aus  diesen  Zeugnissen  neunzig  Canones  ge- 
zogen und  die  Zahlen,  wo  die  Zeugnisse  zu  finden  seien,  unten 
angegeben.  Da  aber  die  Canones  ans  wenigen  Worten  bestehen, 
die  Zeugnisse  aus  vielen  Versen ,  so  stimme  von  einigen  Zeug- 
nissen nur  der  Anfang,  von  andern  die  Mitte,  von  einigen  aber 
das  Ende,  meistens  jedoch  das  Ganze  mit  den  Canones.  Ohne 
irgendjemandem  feind  zu  sein,  habe  er  den  Zusammenhang  der 
Schrift  treu  dargelegt,  um  den  Fremden  zuhilfe  zu  kommen. 
Übrigens  behandeln  die  Canoues  nicht  nur  das  Dogmatische,  son- 
dern auch  das  sonstige  Kirchenwesen. 

Vor  dieser  Vorrede  steht  in  den  Handschriften  die  eines 
Mannes,  der  sich  Bischof  Peregrinus  nennt.  Dieser  bemerkt,  dafs 
der  Verfasser  der  folgenden  Vorrede  und  der  Canones  nicht 
etwa  Hieronymus  sei,  sondern  Priscillian,  dafs  er  aber  für  nötig 
befunden  habe,  vieles  darin  im  üblen  Sinne  Gesagte  dem  Sinne 
des  katholischen  Glaubens  gemäfs  zu  gestalten:  aus  einer  sorg- 
faltigen Vergleichung  dieses  berichtigten  Exemplars  mit  dem  des 
Priscillian  werde  dies  erhellen.  Hat  sonach  Peregrinus  durch 
seine  Änderungen  die  Arbeit  des  Priscillian  wesentlich  korrum- 
piert, so  werden  wir  sie  nicht  eben  zu  beachten  haben. 

Aber  wer  war  Peregrinus?  Von  einem  spanischen  Bischof 
dieses  Namens  findet  sich  nirgends  eine  Spur.  Sicher  war  der 
Genannte  keine  unbedeutende  Persönlichkeit,  und  wir  werden  sie 
in  der  Zeit  zu  suchen  haben,  in  der  der  Priscillianismus  noch 
kräftige  Vertretung  hatte.  Dem  Namen  begegnen  wir  in  einer 
Reihe  spanischer  Handschriften,  in  der  vor  den  Proverbien  eine 
Vorrede  mit  den  Worten:  Tres  libros  Salomonis  beginnt  und  mit: 
Et  ideo,  qui  legis,  Semper  Peregrini  memento,  schliefst.  Ferner 
findet  sich  an  drei  Stellen  der  Bibel  des  heil.  Isidor  die  Unter- 
schrift: Et  Peregrini  f[ratres]  o  carissimi  memento  a.  Es  scheint, 
dafs  er  nicht  ein  blofser  Abschreiber  war.    Wie  nun,  wenn  sein 


1)  Paulioi8ch  ist  ihm  auch  der  Hebräerbrief. 

2)  Vgl.  auch  Sam.  Berber,  Hist.  de  la  Vulcrate  pendant  les  Pre- 
miers siecles  du  moyen  age  (Paris  1893),  p.  42  sqq. 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLIMBANI  ABBATIS.  215 


Name  Peregriuus  ein  verkappter  war?  Ist  dem  so,  so  dürfen  wir 
nach  dem,  was  vorliegt,  mit  vollem  Rechte  in  ihm  den  Bachia- 
rins  1  erblicken.  Dieser  stand  als  Galläcier  unter  der  schweren 
Anklage,  Priscillianist  zn  sein.  Mich  hat,  sagt  er,  nicht  mein 
Glanbe,  sondern  das  Vaterland  zum  Häretiker  gestempelt,  das 
Vaterland  secundnm  carnem  kenne  ich  nicht  mehr,  ich  habe  es 
und  die  irdische  Verwandtschaft  verlassen,  mein  Vaterland  ist 
durch  die  Taufe  die  civitas  christiana,  non  mihi  patria  confes- 
sionem,  sed  confessio  patriam  dedit.  Wenn  Berger  sagt:  Pelerin, 
voyageur  et  exile*  pour  sa  conscience,  il  parait  s'Ötre  fait  une 
gloire  de  son  exil  et  un  titre  du  nom  „  d'ötranger so  nimmt 
sich  das  zwar  recht  hübsch  aus,  aber  wahr  war  es  nicht,  er  war, 
wie  wir  sahen,  weder  Pilger,  noch  Reisender,  noch  Exilierter. 
Und  doch  konnte  er  sich  einen  Fremden  mit  Png  und  Recht 
nennen. 


2. 

Regula  coenobialis  S.  Columbani  abbatis. 

Herausgegeben 

von 

Dr.  0.  Seebars. 


Bei  dem  unten  folgenden  Texte  ist  die  ältere  Rezension  der  hier 
von  den  kleineren  Schriften  Columbas  d.  Jüng.  an  letzter  Stelle 
erscheinenden  sogen.  Cönobialregel  mit  grösseren  Lettern  zum 
Abdruck  gebracht.  Die  zweite  Rezension  (Reg.  coen.  II)  schliefst 
den  Wortlaut  der  älteren  nahezu  vollständig  in  sich  ein,  schiebt 
aber  eine  Reihe  von  Zusätzen,  teils  gröfseren,  teils  geringeren 
ümfangs  in  denselben  ein  und  hat  am  Ende  einen  längeren 
neuen  Abschnitt  aufzuweisen  *.  Diese  Zusätze  sind  mit  kleinerem 
Druck  wiedergegeben. 


1)  Vgl.  bei  Schopfs  den  Index  s.  v.  Peregrinus  und  Berger  a.a.O. 
S.  28. 

2)  Man  vergleiche  über  das  Verhältnis  der  beiden  Rezensionen  zu 
einander  und  zur  Regel  Columbas  überhaupt  vorderhand  meine  Disser- 
tation über  Columbas  Klosterregel  und  Bufsbuch,  S.  43  ff. 


216 


AN ALERTEN 


Der  Text  der  Begula  coen.  I  ist  in  erster  Linie  auf  Grund 
des  Cod.  Sangall.  915  (S.  170—184)  festgestellt.  Siehe  über 
diese  aus  dem  10.  — 11.  Jahrhundert  stammende  Handschrift 
Scherrer:  Verzeichnis  der  Handschriften  der  Stiftsbibliothek  zu 
St.  Gallen,  S.  336  ff.  und  Zeitschr.  für  Kirchengesch.  XV,  368. 

Zur  Vergleichung  konnten  herangezogen  werden: 

2)  Cod.  latin.  14949  der  Hof-  und  Staatsbibliothek  zu  Mün- 
chen, in  welchem  die  reg.  coen.  als  erstes  Stück  ver- 
zeichnet ist  (=  Cod.  E;  s.  Zeitschr.  f.  K.-G.  XV,  369). 

3)  Cod.  Vindob.  latin.  1550  (fol.  74b— 79b). 

4)  Cod.  Vindob.  latin.  3878  (fol.  173a— 175b). 

Die  Provenienz  der  beiden  letzten  Handschi  iften ,  von  denen 
die  erste  dem  12. — 13.  Jahrhundert,  die  zweite  dem  15.  Jahr* 
hundert  angehört,  ist  unbekannt.  Die  zweite  Handschrift,  obwohl 
nicht  unbeträchtlich  jünger,  bietet  im  ganzen  einen  besseren  Text 
als  die  erste  (vgl.  die  Noten  S.  219,  o;  220,  o;  222,  c,  cc; 
224,  gg,  11),  beider  Verwandtschaft  ist  nicht  zu  verkennen.  Ich 
unterscheide  in  den  Noten  V1  und  V;  wo  beide  übereinstimmen, 
gebrauche  ich  das  Zeichen  V. 

Die  einzige  bisher  erschienene  selbständige  Drucklegung  der 
Reg.  coen.  I  findet  sich  in  f  lemings  Collectanea  sacra  (s.  Zeit- 
schrift f.  K.-G.  XV,  371  f.;  ein  Abdruck  Max.  biblioth.  patrum, 
T.  XII,  p.  6 — 8).  In  der  Vorrede  bemerkt  Fleming,  dafs  er 
die  Kegel  nach  der  Abschrift  aus  einem  Codex  des  Klosters 
Ochsenhausen  veröffentliche ,  die  ihm  von  seinem  Landsmann 
Steph.  Vitus  zugeschickt  sei.  Es  ist  mir  nicht  möglich  gewesen, 
diesen  Codex  wieder  aufzufinden;  weder  in  der  Fürstlich 
Metternicbschen  Bibliothek  auf  Schlofs  Königswart  in  Böhmen,  wo- 
hin ein  beträchtlicher  Teil  der  Ochsenhäuser  Büchersammlung 
Überführt  worden,  noch  in  der  Königl.  Bibliothek  zu  Stuttgart 
hat  er  sich  vorgefunden  (ersteres  nach  freundlichst  erteilter 
Auskunft  des  Fürst!.  Metternicbschen  Bibliothekars,  Herrn  P.  A. 
Leuchtweifs).  Von  einer  zweiten  Handschrift  bat  Fleming  in 
seiner  Ausgabe  die  Varianten  am  Bande  angegeben.  Diese  stam- 
men aus  einem  Codex  von  St.  Ulrich  in  Augsburg,  der  im  Jahre 
1510  von  einem  Konventnalen  dieses  Klosters  in  Reichenau  an- 
gefertigt worden  war.  Nach  letzterer  Angabe  und  nach  dem  von 
Fleming  mitgeteilten  Inhalt  der  Handschrift  kann  kein  Zweifel  sein, 
dafs  dieselbe  identisch  ist  mit  dem  von  Mabillon  in  den  Vet. 
analecta  (1723)  p.  19  beschriebenen  Codex  August  SS.  Udalrici 
et  Afrae,  in  welchem  ebenfalls  an  siebenter  Stelle  die  Begula 
coen  ob.  patrum  de  Hibernia  verzeichnet  stand.  Nahe  Verwandt- 
schaft mit  dieser  Handschrift  von  St.  Ulrich  weist  der  bei  Braun, 
Notitia  histor.  litteraria  de  codd.  manuscr.  monast.  SS.  Udalrici 


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SEEBASS,  KEGULA  COENOBIALIS  S.  COLUMBANI  ABBAT1S.  217 

et  Afrae  IV,  101  unter  Nr.  XXIX  beschriebene  Codex  desselben 
Benediktinerstiftes  auf,  der  im  Jahre  1512  von  Sig.  Lang  in 
Reichenau  geschrieben  ist  und  in  seiner  zweiten  Abteilung  „Re- 
gulae"  die  Cönobialregel  an  fünfter  Stelle  enthielt.  Leider  waren 
die  von  mir  in  Augsburg  und  München  angestellten  Nach- 
forschungen nach  diesen  beiden  Handschriften  nicht  von  Erfolg 
begleitet.  —  In  den  Noten  bezeichne  ich  Flemings  Text  mit  F; 
wo  eine  Unterscheidung  seiner  beiden  Handschriften  möglich 
war,  führe  ich  die  Ochsenhäuser  mit  0,  die  Augsburger  mit 
A  auf. 

Was  nun  die  Regula  coenobialis  II  anlangt,  so  ist  dieselbe 
auf  Grund  des  Cod.  Colon.  231  (=  C,  vgl.  Zeitschr.  f.  K-G. 
XV,  247  rT.  367)  unter  steter  Vergleichung  des  (bei  Migne 
LXXX,  216—224  abgedruckten)  Holstenschen  Textes  (Codex 
regulär.  [1661]  (II,  164  —176;  =  H)  gegeben.  In  Cod.  C 
wird  für  ae  und  oe  stets  e,  für  t  vor  i  mit  nachfolgendem 
Vokal  stets  c,  für  u  am  Anfang  des  Wortes  stets  v  geschrieben; 
ich  habe  aber  in  diesen  Punkten  um  so  eher  mich  der  gewöhn- 
lichen und  aoch  von  Holsten  befolgten  Schreibweise  anschliefsen 
zu  dürfen  geglaubt,  als  dieselbe  der  in  den  älteren  Codices,  wel- 
chen die  Reg.  coen.  I  entnommen  wurde,  näher  steht  als  der 
Orthographie  des  15.  Jahrhunderts. 

Wie  schon  für  die  Regula  monachorum  kounte  ich  auch  für 
eine  Anzahl  von  Einzelabschnitten  der  Cönobialregel  die  Con- 
cordia  regularum  S.  Benedicti  Anian.  zur  Vergleichung  heran- 
ziehen. Es  haben  in  dieser  Hinsicht  (aufser  P  und  B,  worüber 
Zeitschr.  f.  K.-G.  XV,  369 f.  zu  vergleichen)  zu  bedeuten: 

M  =  Menards  Ausgabe  derselben,  abgedruckt  bei  Migne 
CHI,  713  ff. 

MP  =  das  von  Menard  angeführte  manusc.  Floriacense  der 
Reg.  coen.  II  (Liber  poenitentialis). 

Unter  dem  Zeichen  D  endlich  führe  ich  den  in  den  Kapp. 
17.  19.  23—34.  37.  49.  75  mit  der  Cönobialregel  parallel 
laufenden  Text  der  Nonnenregel  Donats  an,  indem  ich  dabei 
noch,  wo  es  erforderlich  war,  zwischen  Dc  (D  in  Cod.  C)  und 
Db  (D  bei  Holsten)  unterscheide.  — 

Die  an  die  Spitze  gestellten  Eapitelangaben  finden  sich  nur 
in  Gr  und  F  (0  und  A);  sie  sind  zweifellos  jünger  als  der 
Text.  —  Die  Seitenzahlen  des  Cod.  G  und  die  Folia  des  die 
Reg.  coen.  II  enthaltenden  Quaternio  f  in  Cod.  C  sind  am  Rande 
angemerkt. 


218 


ANALEKTEN. 


Incipit  regula  coenobiaüs  patruin  \ 

I.  De  confessione  ante  mensam  sioe  lectorum  b  [introitnm]  c 
et  cnstodienda  benedictione  d  ad  mensam,  similiter  et  silentio  e. 

II.  Ut  lucerna  signata  fiat  f,  et  qui  suum  proprium  aliqoid 
5  dixeritt  et  de  obseruatione  cultelli  ad  mensam,  et  qui  ministrando 

aliquid  perdiderit,  et  de  humiliatione  in  sinaxi,  et  qui  perdiderit 
micas  *. 

III.  De  eo  qui  aliquid  negligenter  perdiderit,  et  qui  effudit 
aliquid  super  mensam  h,  et  qui  obliuiscitur  orationem  ante  opus, 

10  et  qui  comedit  sine  benedictione,  et  qui  regrediens  *  domum  non 
se  curuauerit,  et  de  eo  qui  haec  omnia  confessus  fuerit. 

IUI.  Qui  in  exordio  psalmi  bene  non  cantauerit,  et  qui 
calicem  domini  dentibus  pertunderit,  et  qui  ordinem  suum  non 
custodierit,  et  qui  riserit  in  sinaxi,  et  qui  eologias  k  accipit  l,  et 

15  qui  obliuiscitur  oblationem  facere.  De  fabulis  otiosis  et  de 
excusatione  et  de  consilio  contra  consilium  et  de  altare  m  con- 
cusso. 

V.  De  eo  qui  profert  sermonem  altum,  et  qui  se  excusat, 
et  qui  fratri  aliquid  indicando  contradicit,  et  quod  excusantes 

20  se  non  sint  filii  dei.  || 

VI.  De  eo  qui  superbum  uerbum  dixerit ,  et  qui  profert  ser-  s  i~' 
monem  altum,  et  qui  abscondit  alicuius  crimen  donec  proferat 
illud  in  malum,  et  qui  reprehendit  alterius  opera  n,  et  qui  profert 
correptionem  contra  correptionem. 

2&  VII.  De  eo  qui  detrahit  alterum  0  et  de  contentioso,  et  qui 
reprehendit  superiorem  sibi,  et  de  eo  qui  tristis  fuerit,  et  qui 
consauguineum  suum  sollicitat  ad  malum,  et  qui  uituperat  alterius 
obsequium. 

VIII.    De  eo  qui  docet  consanguineum  suum  contra  seniorein 
30 suum,  et  qui  priori  suo  causam  suam  contradicit,  et  qui  non 
postulat p  ueniam  cum  corripitur ,  et  qui  uisitator  uult  esse 

a)  S.  Columbani  abbatis  repula  coenobialis  fratrum;  siue  Liber  de 
quotidianis  poenitentiis  monachorum  F  (nach  0);  in  Cod.  A  fanden 
sich  verschiedene  Titel:  Regula  coen.  patrum  de  Hibernia  (Mabill.  Vet. 
anal.  S.  19«,  Flem.  S.  25a),  Reg.  coen.  fratrum  Hibernensium  (F).  Rejt. 
coen.  fratrum  de  Hibernia  (Mab.  Flem.);  in  dem  von  Braun  beschrie- 
benen Cod.  Aug.:  Reg.  coenobiaüs  fratrum  Hibernensium.  übrigens 
bemerkt  Fleming  (S.  3):  In  utroque  (seil,  codice)  qnindeeim  capitibus 
distineta  reperitur,  quae  seorsim  codex  quidem  Oxenhusanus  ad  finem, 
Augustanus  autem  ad  initium  collocauit  b)  lectionem  0,  lectorem  A. 
c)  introitnm  habe  ich  nach  dem  Text  des  Kapitels  zugefügt  d)  custo- 
diendam  benedictionem  in  6  von  späterer  Hand  zu  der  obigen  Form 
geändert.  e)  silentium  G,  de  silentio  F.  f)  fit  A.  ^)  raitras  A. 
h)  nach  mensam  in  F:  et  qui  egrediens  domum  non  se  humiliaverit  ati 
orationem.  i)  egrediens  0.  k)  eulogias  F.  1)  aeeeperit  A. 
m)  altari  F.      n)  opus  A.      o)  alteri  F.      p)  postolat  G. 


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SEEBASS,  REGULA  C0EN0BIAL1S  S.  COLCMBANI  ABBATIS.  219 

aliorum,  et  qui  coquinam  uisitant  iniussi  *,  et  qui  extra  claustra 
egrediuntur b ,  et  qui  conlocuntur  inuicem  prohibiti  0 ,  et  qui 
dicunt  d  quod  non  licet  eis  facere  rogata,  et  de  his  qui  dicunt 
facimus  quod  dicis,  et  qui  scientes  6  transgrediuntur ,  et  cui  ceci- 
sderit  suum  crismal. 

Villi.  De  eo  qui  profert  uerbum  otiosum,  et  de  poeniten- 
tibus  r  fratribus,  et  de  minutis  poenitentiis. 

X.  De  fratre  qui  inoboediens  fuerit,  et  qui  dicit  et  non  facit, 
et  qui  murmurat,  et  qui  ueniam  non  petit  aut  se  excusat ,  et 

10  qui  duos  g  fratres  ad  iracundiam  prouocat,  et  de  mendatio,  et 
qui  contradicit  fratri,  et  qui  interrumpit  mandatum,  et  qui  negli- 
genter  facit  opus  sibi  iniunctum,  et  qui  detractauerit  abbatem 
suum  \  et  qui  aliquid  1  obliuiscitor  ||  foras  k  uel  perdiderit.       s.  m 

XI.  De  eo  qui  loquitur  cum  1  seculare  m,  et  qui  opus  suum 
tsperficit  et  postea  sine  iussione  aliquid  fecerit,  et  de  eo  qui 

bilinguis  fuerit11,  et  qui  manducauerit  in  domo  aliena,  et  qui 
narrauerit  peccatum  praeteritum,  et  °  qui  de  saeculo  rediens  et  p 
saecularia  narrauerit,  et  de  eo  qui  consentit  ei  '  qui  aliquid  facit 
contra  regulae  praeceptum. 

20  XII.  De  eo  qui  suscitat  furorem  fratri  suo,  et  de  eo  qui  non 
uenit  ad  oraiionem  super  mensam,  et  qui  dormierit  ad  orationem, 
et  qui  non  responderit  amen,  et  qui  transgressus  fuerit  horam, 
et  qui  non  audierit  sonitum  oralionis,  et  qui  cum  noctnrno  cingulo 
communicauerit. 

2s  XIII.  De  eo  qui  quarta  et  sexta  feria  ante  nonam  mandu- 
cauerit, et  qui  dixerit  mendacium,  et  qui  dormierit  cum  muliere 
in  domo  una,  et  qui  non  claodit  ecclesiam  post  se,  et  qui  spn- 
taverit r  in  ecclesia,  et  qui  psallendi "  obliuiscitur. 

XIV.  De  eo  qui  tardius  ad  aliquod  signum  uenerit,  et  qui 
3oSonauerit  post  pacem,  et  qui  uelato  capite  intrauerit,  et  qui  non 

petit  orationem,  et  qui  manducat  sine  oratione,  qui  sonum  fecerit 
dum  oratur,  et  qui  iram  uel  tristitiam  1  retinet. 

XV.  De  negligentia  sacrificiorum.    Expliciunt  capitula.  || 


h 

a)  non  iussi  A.  b)  egreditur  V.  c)  proibiti  G.  d)  non 
dicunt  F,  bem.  am  Bande:  „non11  deest  in  Aug.      e)  escentes  G. 

f)  p^tentibus  G.  verbess  von  spät.  Hand.  jr)  suos  0;  8.  u.  Kap.  X. 
h)  abbati  suo  A.  i)  aliqnid  0  A.  k)  foris  F.  1)  cum  °  F.  m)  se- 
culare zu  seculari  geändert  von  späterer  Hand  G,  saeculaii  F. 
n)  est  A.      o)  et  de  eo  qui  A.      p)  etiaui  F.      q)  et  statt  ei  F. 

r)  spotauerit  G.       s)  psallendo  G.       t)  i  ä  tristia  G. 


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220 


ANALEKTEX. 


Ineipit  ipsa  •  regula  coenoblalis  fratrnm  \        s.  kj 

Diuersitas  culparum  diuersitatis  penitentiac  medicamento  sanari 
(lebet.  Itaque,  fratres  karissimi c  Statutum  est,  fratres  karissimi',  I. 
a  sanctis  patribus,  ut  de  mos  confessionem  ante  mensam  siue 
5  ante  lectorum  e  introitum  aut  quandocumque  f  faerit  facile  8  de 
omnibus  non  solum  capitalibus  criminibus  sed  etiam  de  minoribus k 
uegligentiis ,  quia  confessio  et  penitentia  1  de  morte  liberat  \ 
Ergo  nec  ipsa  parua  a  1  confessione  sunt  m  negligenda  peccata  B, 
quia  ut°  scriptum  est,  qui  parua  neglegit  paulatim  de- 

lofluit  1  ut  detur  confessio  ante  mensam,  ante  introitum  lectulorum  ?el 
quandocumque  P  fuerit  facile  dare. 

Ergo  qui  non  custodierit  ad  mensam  benedictionem  q  et  non 
responderit  amen,  sex  percussionibus  emendare  r  statuitur.  Simili 
modo  qui  locutus 8  fuerit  comedens  non  necessitate  alterius  1 

i  &  fratris ,  VI  emendare  statuitur  °.  Qui  dixerit  suum  proprium 
aliquid,  sex  percussionibus.  Et  qui  non  signauerit  coclear  quo  v 
lambit,  sex  percussionibus,  etw  qui*  locutus  fuerit  in  plausu  y,  id 
est  altiore  sono  solito  sonauerit:  VI  percussionibus  *. 

II.  Si  non  signauerit  lucernam",  hoc  est  cum  accensa  fuerit  II* 

20  a  iuniore  fratre  et  non  exhibeatur  ad  seniorem  ad  signandum: 
VI  percussionibus.  Si  dixerit  suum  proprium  aliquid,  VI  per« 
cussionibus  .  Si  aliquod  opus  uanum  fecerit,  sex  percussionibus. 
Qui  pertnnderitce  cultello  mensam  X  percussionibus  emendetur**. 

1)  Eccl.  19,  11. 


a)  ipsa  nur  in  6.  b)  fratrum  bibernensium  V  E ,  Ineipit  peni- 
tenciaUs  eiusdem  CH;  H  fügt  bei:  Cap.  X.  De  diversitate  culparum. 
c)  knfi  C,  hujusmodi  H.  d)  fr.  kar.  "CH.  e)  lectulorum  D. 
f)  quantumque  E.  g)  ante  mensam  —  facile  °  C  Ii.  h)  majoribus 
H.  i)  confessio  penitencie  D.  k)  So  nach  DVCEH,  bberant 
GF.  1)  a  "V1.  m)  sunt  a  confessione  F.  n)  cogitata  D. 
o)  ut  'D.  p)  so  C,  cui  cunque  Hl,  ubicunque  H3.  q)  bened.  a. 
mens.  CH.  D  im  Text:  Si  comederit  vel  biberit  non  petens  benedictio- 
nem, in  der  Kapitelüberschrift:  De  his  quae  non  custodierint  bene- 
dictionem ad  mensam.  r)  emendari  C.  s)  Si  locutus  C  H.  t)  ali- 
cujus  MP(Sp.  1193).  u)  percussionibus  statt  emendare  stat.  C  H. 
v)coclearequodCHMPCms;.  w)efV'CH.  x)SiCH.  y)plausoVE. 
z)  percussiones  VE.  aa)  Signatur  lucer  na  CHV.  bb)  Der  Satz  Si 
dixerit ...  *C  H  und  trotz  der  Kapitelangabe  auch  in  F,  too  statt  dessen : 
Operis  peculiaris  praesumptio  C  plagis  emendetur  und  A  überdies: 
Possessio  alicujus  rei,  quam  non  necessitas  generaliter  omnibus  fratri- 
bus  concessit,  amissione  eiusdem  et  C  plagis  coerceatur.  Vgl  unten. 
cc)  pertuderit  F.  dd)  Der  Satz  Qui  pertunderit  ...  *  H ,  findet  sich 
aber  in  C  und  M?(1193).  —  Den  Schluß  von  Kap.  I  und  den  An- 
fang von  Kap.  II  überliefert  D  (nach  Einscfuiltung  eines  am  Cae- 
sarius  entlehnten  Kapitels)  mit  Kap.  25  folgendermaßen:  Si  come- 
derit vel  biberit  non  petens  benedictionem  et  non  respondens  amen, 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLUMBANI  ABBATIS.  221 

Quicnmque  de  fratribus,  cai  sollicitudo  coquinandi*  uel  mini- 
strandi b  commissa  est,  quantulum  quid  effuderit,  oratione  in 
eccleeia  ||  post  expletum  cursum,  ita  ot  fratres  pro  eo  orent,  s.  174 
emendare c  statuitur.  Qui d  humiliationem  in  synaxi e,  id  est 
*in  cursu,  oblitus  fuerit,  haec  est  humiliatio  in  eccleeia  post 
finem  cuiuscumque'  psalmi,  eimiliter  poeniteat  *.  Simili  modo 
qni  perdiderit  micas  *  oratione  in  ecclesia  emendetur;  ita  tarnen 
haec  parua  poenitentia  ei 1  iudicetur k ,  si  parum 1  quid  effu- 
derit.   Quod m  si  ex  n  negligentia  nel  0  oblinione  sen '  trans-  III. 

togressione  securitatis  tarn  in  liquidis  quam 1  in  aridis  amplins 
solito  perdiderit,  longa  neoia  in  ecclesia 1  dum  dnodecim  psal- 
mos  ad  duodecimam  canunt  prostratus"  nulluni  membrum  mouens 
poeniteat.  Vel  certe  si  multnm  est  quod  effudit,  quantos  metra- 
nos  1  de  cernisa  0  aut  mensnras  qualinmcumque  rerum  intercidente  v 

1  &  negligentia  effundens  perdidit,  snpputansw  tot  diebus  illnd 1 
quod J  in  snmptus  proprios  rite  *  accipere  consueuerat,  sibi** 
ea bb  perdidisse  sciat,  nt  pro  cernisa  aquam  bibat  De  effuso 
super"  mensam  decidenteque  extra  eamdd  ueniam  in  discubitu" 
petere  dicimus  tf  sufficere. 

20      Qui  egrediens  domum  ad  orationem  poscendam  non  se**  humi- 
lianerit  et  post  acceptam  benedictionem hh  non  se  signauerit 
crncemkk  non  adierit,  XII  percussionibus  emendare11  statuitur mm. 
SimiliterM  qui  orationem  ante  opus  aut  post  opus00  oblitus  || 
fuerit,  XII  percussionibus.  Et  qui  comederit  sine  benedictione  pp,  s.  175 

«XII  percnssionibus qq.    Et"  qui  regrediens"  domum  orationem 


sex  percussionibus.  Et  quae  non  signauerit  coclear  quo  lambit,  sex; 
et  quae  locuta  fuerit  comedens  non  in  necessitate  alterius  somris,  sex; 
vel  pertunderit  cultello  mensam,  sex.  Et  si  dixerit  suum  proprium  ali- 
quid, sex  percussionibus  emendetur. 

a)  coquendi  A.  b)  coquinandi  uel  min.  soll.  V1.  c)  emendari 
C H.      d)  Et  qui  E.      e)  sinaxi  C  VE.      f)  cuiusque  0 ,  unius- 

o 

cuiusque  D.  g)  peniteat  G.  h)  mitras  A.  i)  ei  °  D.  k)  indi- 
cetur  VCFH.  1)  paruum  C  H.  m)  Quod  0  H.  n)  ex  0  C  H. 
0)  aut  C  H.  p)  vel  D  C  H.  q)  tarn  E  F.  r)  longa  v.  i.  eccl. 
*  V1.  s)  psalmi  ad  duodecimam  (-um  V1)  canuntur,  iacens  prostratus 
VE  (ad  duod.  eE).  t)  statt  quantos  metranos:  quadrauos  C  H, 
quantas  metranas  F.  u)  ceruisia  V  F.  v)  intercedente  V  E  C. 
w)  nach  F,  supputatis  GEVCH.  x)  illo  H.  y)  ille  qui  C. 
z)  vitae  H.  aa)  sibique  VE.  bb)  eam  CH.  cc)  DifTuso  supra 
G  H.  dd)  extranea  V  E.  ee)  discubito  V  E  C.  ff)  petere  dicimus 
mir  in  VE.  Der  Abschnitt  Vel  certe  si  . . .  dicimus  sufficere  * D,  der 
hier  den  Satz  hat:  et  quae  non  custodierit  ordinem  ad  sacrificium,  VI 
perc.  emendetur.  S.  u.  Kap.  4.  gg)  se  non  F.  hh)  0  D.  ii)  re- 
signauerit  für  se  sign.  V  E  A.  kk)  et  crucem  D.  11)  emendari 
CMPfl£?£jH.  mm)  emend.  stat.  *D.  nn)  et  statt  Sim.  D. 
00)  opus  "V1.  pp)  comedere  . . .  praesumpserit  0.  qq)  Dieser 
Satz  *D.   S.  Kap.  I,  Note  dd.   rr)  aut  D.   ss)  egrediens  D^\?(1228). 


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222 


ANALEKTEN. 


petens  non  se  curuauerit  intra  domom ,  XII  percussionibus  * 
omendetur.  Qui b  uero  frater  haec  omnia  confessus  fuerit  et 
cetera  usque  ad  superpositionem  c,  semipoenitentia  d,  id  est  media 
poenitentia  e,  et  de  bis  similia ;  sie  f  temperare  interim  f. 

i      Qui  tusse  ||  in  exordio  psalmi  non  bene  decantauerit  \  VI  IIII. 
percussionibus  emendare  '  statnitur.    Similiter  qoi  pertunderit k  if  sbJ 
dentibus  calicein  salutaris,  VI  percussionibus.   Ordinem  ad  sacri- 
ficium 1   qui  non  custodierit  ad  offerendum,  VI  percussionibus. 
Saeerdos  ofierens,  qui  ungulas  non  dempserit,  et  diaconus  cui  barba 

lotonsa  non  fuerit,  de  rustro01  sacrificium  aeeipientem  n  ad  calicem 
accedentem ,  sex  percussionibus.  Et  qui  subridens  0  in  sinaxi ,  id 
est  in  cursu  orationum  p,  VI  percussionibus ;  si  in  sonum  risus 
eruperit  q,  superpositione  r,  nisi  ueniabiliter  "  contigerit.  Saeer- 
dos offerens  et  diaconus  sacrificium  custodientes  *  cauere  °,  ne  vagis 

isoculis  oberrent;  quod  si  neglexerint,  sex  percussionibus  emendari.  Qui 
oblitus  fuerit  chrismal  ▼  pergens  procul  ad  opus  aliquod ,  quinis  quin- 
queisw  percussionibus;  si  super  terram  in  agro  dimiserit  et  inuenerit 
statim,  denis  quiuqueisw  percussionibus;  si  in  ligno  illud  leuauerit,  ter 
denis,  si  ibi  maneat  nocte,  superpositione.   Eulogias  x  1   inmundus  y 

ao  aeeipiens,  XII  percussionibus.  Obliuiscens  oblationem  facere  usque 
dum  itur  *  ad  officium      C  percussionibus. 

Fabulasbb  otiosas  proferens  ad  alterum cc,  statim dd  semet 
ipsum  reprehendens,  uenia ee  tantum ,f ;  si  autem  se  non  repre- 
henderithh    sed  detractauerit  qualiter  eas  excusare  debet,  super- 


1)  Menard  (Migne  103,  1223):  Eulogiae  panes  sunt  qui  in  ecclesia 
a  sacerdote  benedicuntur  olimque  distribuebantur  iis  qui  . . .  diebus 
lestis  et  dominicis  non  sumebant  eucharistiam. 


a)  persecutionibus  F.  b)  Statt  dieses  Satzes  in  D:  vel  quae 
facit  cursus  non  necessarios,  XII  percussionibus  emendetur.  c)  sup- 
positionem  stets  in  H  für  superpositionem.  d)  semipenitencie  C  U. 
e)   °0.       f)  sit  H.       g)  interim  °0,  in   CH  zum  Folgenden. 

h)  tussem  ...  non  bene  cauerit  CH,  tussiens  ...  non  bene  can- 
tauerit  0,  ob  tussim  ...  n.  b.  cantaueiit  "b1P(1165)f  cantauerit  E. 

i)  emendari  CH.  k)  percusserit  CH,  pertuderit  F.  1)  sacrificii 
für  ad  sacrif.  C  H.      in)  rastro  H.      n)  aeeipientes  . . .  accedentes  H. 

o)  subriden  V.  p)  orationum  *  C  H  MP(U64).  q)  erupit  E.  r)  super- 
positionem E,  cf.  D.  cap.  17:  et  quae  subriserit  in  cursu  orationum, 
sex  percussionibus,  si  in  sonum  eruperit  risus,  superpositionem.  s)  ve- 
nialiter  F.  t)  custodiens  H  u)  debent  cavere  H3.  v)  chrismale 
Hs.  w)  quinquies  H.  x)  eglogias  V9.  y)  in  mundo  A.  z)  eatur 
V'EA,  erat  C,  eat  H.  aa)  offerendum  C  H.  bb)  Der  vorau,f- 
gehende  Teil  von  Kap.  4  'D;  s.  S.  33,  Note  ff.  cc)  alienum  H. 
dd)  et  statim  D.  ee)  veniam  C,  ueniat  V1.  ff)  venia  decem  per- 
cussionibus; A,  tantum  sufticit  D.  gg)  non  se  D.  hh)  reprehen- 
dens A. 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLUMBANI  ABBAT18.  223 


positioiie  *  silentii  aut  L  percussionibus  b.  Excusationem  pro- 
ferens  cum  simplicitate  quando  in  aliquo  discotitur  et  non  di- 
cat e  8tatim  ueniam  petens:  „mea  culpa,  poenitet  me":  L  percue- 
sionibus  d.  Consilium  contra  consilium  cum  simplicitate  promens, 
&  L  percnssionibus  •.    Qui  altare  concusserit,  L  percussionibus  f. 

Proferens  *  sermonem  altum  sine  snppre&sione  h,  nisi  ubi  ne-  V. 
cessitas  fuerit,  snperpositione  1  silentii  ant  L  percussionibus.  Ei-  s*  1<c 
ousans  ad  ueniam  similiter  poeniteat  k.    Qui  fratri  aliquid  indi- 
canti  responderit:  „non  ita  est,  ut  dicis praeter  seniores 

loianioribus  dicentos  simpliciter,  superpositione  1  silentii  aut  L  per- 
cussionibus; nisi  hoc  tantum  licet  \  nt  respondeat™  coeqnali 
fratri  suo ,  si  ueratius  est  aliquid  quam  ille  n  dicit  et  recorda- 
tur  0 :  „  si  bene  recolis,  frater " ;  et  alter  baec  p  audiens  non  ad- 
firmet  q  sermonem  suum,  sed  bumiliter  dicat:  „spero,  quod  tu 
melius  recorderis;  ego  per  obliuionem  in  uerbo  r  excessi,  poenitet 
me  quod  male  dixi".  Ecce  uerba  filiomm  dei,  si  nihil 8  per 
contentionem,  ut  ait  apostolus,  neque  per  inanem  gloriam,  sed 
per  humilitatem  spiritus  alter  alterum  existimans 1  superiorem 
sibi.     Ceterum  qui  se  excusauerit  non  filius  dei  spiritalis  sed 

2  (»filius'  Adam  carnalis  iudicetur  T.    Quiquew  non  cito  ad  portum  Tl. 
requiei  humilitatis  dominicae  confugerit x,  nimie  y  contradictionis  * 
aditum  aliis*a  aperiens  in  superbiae  bb  uerbo cc  persistens,  de  über- 
täte sanctae  ecclesiae  in  cellula  ob  poenitentiam  agendam  sepa- 
retur,  usque  dum  bona  eins  uoluntas dd  cognoscatur  atque  per 

2&  humilitatem  ||  denuo  sanctae  congregationi  inseratur.  s  177 

Qai  profert  sermonem  altum  ad  reprehendendum  opus  ho- 
stiarii ,  ut  hostiarius ff  horas  w  non  bene  bb  custodierit ,  super- 
positione u  silentii  aut  L  percussionibus  kk.  Et  qui  abscondit 11  ali- 
quod  crimen  uidens  nm  ||  in  fratre  suo,  usque  dum nn  corrigatur  de  (r  3b> 

50  alio  nitio  uel  de  ipso,  et  tunc  profert 00  illud  aduersus  pp  fratrem. 

a)  tractantes  eas  superp.  D,  superpositioneui  VE.  b)  Lperc.  0  A* 
L  percussionibus  peniteant.  P.  c)  dicit  D  C  H.  d)  L  perc.  0  D 
e)  perc.  poeniteant.  D.  f)  Dieser  Satz  v  D.  g)  Von  hier  ab  an- 
dere Hand  in  G.  h)  pressione  A.  i)  superpositionem  E.  k)  per- 
cussionibus statt  sim.  poen.  C  H.  1)  liceat  V  E.  m)  respondeatur 
0,  responderit  A ,  ut  rospondeat  0  C  H.  n)  quod  ille  V  E.  0)  re- 
spondetur  A.  p)  hoc  H.  q)  affirmet  C.  r)  verba  0.  s)  si 
4  H,  sine  his  C.  t)  existimantes  C  H.  u)  filius  "  H.  v)  iudicatur 
O.  w)  Quicumque  0,  Qui  se  AEV'C,  Qui  si  H,  Qui  MV(1373). 
x)  non  confugerit  V1.  y)  nimirum  A  MP.  z)  nimiarum  contradictio- 
num  ECU.  aa)  so  CMPH,  aliquis  G,  aliquibus  F.  bb)  super- 
ficie  F.  cc)  in  superbia  CH;  MP  =  G.  dd)  voluntas  ejus  F. 
"e)  so  emendire  ich  für  aut ,  das  in  den  Codd.  und  Ausgaben, 
ff)  ostiarias  F.  pg)  si  horas  H,  horas  *A.  hh)  bene  non  CH. 
ii)  superpositionem  VE.  kk)  Kap.  5  und  Kap.  6  bis  hierher  0  D. 
11)  abscondeus  F.  mm)  uidens  0  D.  nn)  dum  "VE.  00)  prius 
pr«>fert  D.       pp)  adversum  D. 


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224 


ANALEKTEN. 


tribus  superpositionibus  *.  Reprehendens  aliorum  b  fratrum  opera 
aut  detractans  tribus  superpositionibus  poeniteat c.  Proferens 
correptionem  contra  correptionem  d,  hoc  est  casticans  •  castigantem 
so,  similiter  f  tribus  superpositionibus  peniteat  * 

&      Qai  b  detrahit  alicui  fratri  aut  audit  detrabentem  non  con-  TU. 
tinuo  corrigens  1  eum,  tribus  superpositionibus.  Qui  aliquam  con- 
temptionem  cum k  tristitia  promit *,  simili  modo  tribus  super- 
positionibus poeniteat.  Qui  aliquid m  reprehendens  praeposito  suo  n 
non  uult  indicare  0  usque  dum  patri  p  seniori  q  indicet ,  tribus 

i  o  superpositionibus  r,  nisi  haec  omnia  a  ■  confessione  1  uerecundiae  u 
fiant.  Si  quis  frater  tristis  fuerit  si  tieri  potest,  consolationem 
accipiat,  si  sustinere  ualet,  subprimat T  interim  confessionem w, 
ut z  uerecundius  dicat,  quando  tristitia 7  cessauerit  orent  pro  eo 
fratres. 

i  s      Si  quis  dicat  ad  consanguineum  suum ,  sollicitans  *  eum  "  in 
loco  optimo  habitantem  bb :  „  melius  est,  ut  nobiscum  habites  aut cc 
cum  aliquibus  " :  tribus  superpositionibus  dd.   Et  qui 66  nituperat " 
alicui  fratri  **  obse'lquium  dandum bb,  similiter  poeniteat".  Qaiyiii. 
consanguineum  docetkk  aliquam  discentem11  artem  autmm  quod- 

20  übet M  a  senioribus  inpositum00,  ut  melius  »  lectionem  discat, 
tribus  superpositionibus  qq. 

Qui  ad  praepo8itum n   audet   dicere  „  non  tu M  iudicabis 
causam  meam,  sed  noster  senior tt  aut  ceteri  fratres",  siue  uu  „ad 


a)  poeniteat  hinzugefügt  in  V*.  b)  autem  (?)  E.  c)  poeniteat 
°  C  H,  trib.  superp.  poenit.  °  D,  Repreh.  —  poen.  °  V1.  d)  correctio- 
nem  D  C  A.  e)  castigans  V E C.  f)  *DCH.  g)  Die  Ordnung 
der  letzten  drei  Sätze  ist  in  D:  Reprehendens  aliorum  ...  Proferens 
correct  . . .  Quae  soror  abscondit  . . . ;  in  C  und  H :  Proferens  correct. 
. . .  Et  qui  abscondit  . . .  Reprehendens  aliorum  ...  D  scheint  das 
Bichtige  ' zu  enthalten.  h)  Vel  quae  D.  i)  arguens  E.  k)  Et 
quae  aliquid  cum  contradictione  aut  D.  1)  promit  °  G  E  V  F.  m)  ali- 
quem  0.  n)  suo  °  D,  praepositum  suum  A.  o)  indicari  C  H.  p)  pa- 
trum  A.  q)  abbati  statt  pat.  sen.  C  H.  r)  similiter  poeniteat  statt 
tr.  superp.  D.  s)  a  °  C  H.  t)  conventione  A.  u)  verecunda  C  H. 
v)  supprimat  C.  w)  conpassionem  60  V1,  compassione  A,  cum  pas- 
sione  E  V1.  x)  et  statt  ut  0.  y)  tristitia  "  G  Ü.  z)  sollicitus  O. 
aa)  eum  *  0.  bb)  in  alio  loco  habitentem  CH.  cc)  quam  statt 
aut  V1.  dd)  nisi  haec  omnia  a  confessione  —  tribus  superp.  *  D. 
ee)  Quae  soror  D.  ff)  uituperet  G.  gg)  so  6VEDA,  aliquem 
fratrem  CHO.  hh)  so  D,  danti  G,  dantem  VCHF.  ii)  trib. 
superp.  statt  sim.  poen.  CU;  D:  dandum,  murmurat  et  dicit  „non 
faciam,  nisi  dicat  senior  aut  secuuda",  similiter  trib.  superpositionibus. 
kk)  suum  docet  0.  11)  decentem  Dh.  mm)  et  aliud  Db,  et  ei  aliud 
Dc.  nn)  quidhbet  V,  aliud  quidlibet  H.  aliud  illiquid  libet  C. 
oo)  fuerit  impositum  D.  pp)  dixerit  melius  ut  D.  qq)  superp. 
poeniteat  D.  rr)  praepositam  suam  D.  ss)  tu  non  H,  "tu"  non 
C,  wo  die  Häkchen  bedeuten,  daß  non  tu  zu  lesen  sei.  tt)  abbas 
C  H.      uu)  simul  G  0. 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLOIBANI  ABB  ATIS.  225 


patrem  monasterii  *  ibimos  omnes"  b:  XL  diebus  castigari  oportet 
in  poenitentia  c  in  pane  et  aqua,  niai  ipae  dicat  d  prostratus  coram 
fratribus :  poenitet  me  quod  dixi  *.  Frater  quilibet  in  aliquo 
opere  detentus ,  quamuis  fatigatus  sit ,  ita  tarnen  ad  oeconomum 
&  dicat  in  propria  causa :  „  si  tibi  placet  dicam  ad  abbatem  ,  sin 
autem ,  non  dicam 4* ;  in  alterius  causa :  si  tu  iteras ,  non  tibi 
difficile  videatur,  si  forte  ad  abbatem  dicam44,  ut  obedientia  custo- 
diatur. 

Qui  non  reportat  quod  commodat  usque  in  crastinum,  si  ipse  re- 

toportat  recordatus,  sex  percussionibtis;  si  oblitus  fuerit,  usque  dum 
quaeratur,  duodecim.  Si  quis  oblitus  fuerit  interrogare  debitum  poeni- 
tentiae  usque  in  crastinum,  VI  percussionibus.  Qui  murmurat,  qui  f 
dicit  „non  faciamr  nisi  dicat  abbas  uel  secundus",  tribus  superpositioni- 
bus.   Cursus  non  necessarios  k  aut  saltus  duodecim  plagis.  Prohibetur 

isne  quis  alterius  teneat  manum. 

Procuret  oeconomus  de  humanitate  aduenientibus  adhibenda  11  tarn 
peregrinis  quam  reliquis  fratribus;  et  omnes  fratres  parati  sint  ad  mi- 
nistrandum  cum  omni  famulatu  propter  deum.  Quamuis  oeconomus  non 
senserit »  aut  praesens  non  fuerit,  ceteri  faciant  diligenter  quod  ne- 

aocesse  est  et  custodiant  utensilia  eorum,  donec  assignent  ea  parata 
custodi ;  sin  autem  neglexerint,  poenitentia  k  de  his  ut  videatur  adhiberi 
ad  iudicium  sacerdotis. 

Qui  non  postulat  ueniam  correptns  1  superpositione  poeniteat™. 
Qui  uisitauerit  alios  fratres  in  cellulis  °  eorum  0  sine  interroga- 

istione,  simili  modo  poeniteat;  aut  in p  coquinam q  post  nonam 
sine  ordinationc  vel  iussione  ierit,  superpositione;  aut  extra  r  ual- 
lum  id  est  extra  sepem  t  monasterii  sine  interrogatione  ierit, 
superpositione  \  Juuenculi v  quibus  imponitur  terminus  ut  non 
se  appellentw  inuicem,  si  transgressi  fuerint,  tribus  superpositioni- 

30  bus  z.  Hoc  tantum  dicant:  Scis  quod  uobis  non  licet  loqui  te- 
cum.    Ety  si  quis  praeceperit  eis  quod  non  licet1,  ipsi  ||  dicant:  (f3b) 


a)  ad  abbatem  C  H.  b)  siue  —  omnes  °  D.  c)  poeniteat 
statt  cast.  op.  i.  p.  D.  d)  bumiliter  dicat  D.  e)  quod  male  C, 
quia  male  H.  f;  aut  statt  qui  H.  g)  necessarius  H.  h)  ex- 
hibenda  H.  i)  censuerit  H.  k)  penitentiam  H.  1)  correctus  V 
C  E  0  H.  m)  poen.  "VE.  n)  cellis  D.  o)  in  cella  seorsum  C  H. 
p)  qui  in  0,  in  •  A.  q)  coquina  C  H.  r)  qui  extra  F.  s)  cel- 
lam  A.  t)  so  G  V  C  F  MP  (1156),  septa  D ,  septum  H.  u)  superp. 
poeniteat  D.  Letzterer  fügt  hier  hinzu:  Prohibetur,  ne  pro  dilectioue 
aliqua  ulla  (nulla  Dc)  alterius  teneat  manum  siue  steterit  siue  sederit 
siue  ambulauerit.  Quodsi  fecerit  XII  perc.  emendetur.  v)  so  setze 
ich  Juuencule  D,  Vincula  G,  et  uinculis  0,  In  vincula  VEA,  Juueni- 
bus  C  H.  w)  appellant  V5,  appelant  se  E.  x)  XL  perc.  poeni- 
teant  D .  auch  E  fügt  peniteant  hinzu.  y)  Et  °  A.  z)  so  C  H, 
quod  libet  A  E,  quod  licet  G  V  0. 

ZoiUchr.  f.  K.-O.  XVII,  1.  15 


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226 


ANALEKTEN 


„scis,  qnod  nobis  non  liceat"*,  et  si  ipse  praeceperit  ultra, 
ipse  damnetur  tribos  superpositionibus  b,  ipsi  tarnen  dicant:  „faci- 
inus  c  quod  dicis",  ut  bonum  oboedientiae  seruetur.  Illud  uero 
specialius  cavendum  est,  ut  quomodo  inter  se  mutuo  non  loquun- 

6  tnr  d,  sie  nec  per  os  alterius  fratris  6  conloquantur  f.  Quodsi 
scientes  tranagressi  fuerint,  simili  modo  quasi  inter  se  locuti  ]]  s.  179 
fnissent,  poeniteant 

Cui  *  ceciderit  crismal  h  et  nihil  confringens  duodeeim  per- 
cussionibus  1  emendetur  k. 

10  Qui  profert  uerbum  1  otiosnm  silentio™  inter  duas  horas  con- 
sequentes  condempnari  n  aut  XII  percussionibus  {. 

Poenitentes  fratres,  quamuis  opera  difficilia  et  sordida  effi-Vmi 
ciant  °,  non  lauent  capita  nisi  in  p  die  dominica,  id  est  octaua 
sin  r  autem,  XV  8  diebus  *,  aut  certe  propter  fluentiom  capillorum 

15  incrementum  arbitrio0  senioris  in  T  lauando  unusquisquew  utatur. 
Declinatio  de  uia  sine  interrogatione  aut  benedictione  sex  per- 
cus8ionibus  x.  Poenitentias  minutas y  iuxta  mensam  si  scierit 1 
praepositus  mense  imponat,  et"  amplius  quam bb  XXV cc  per- 
cussiones  simul  non  dentur. 

20  Penitentes  dd  fratres  et  indigentes  poenitentia ee  psalmorum, 
hoc  est ,  cui ff  necesse  fuerit w  ut  psalmos  adhuc  pro  uisione 
nocturna  decantethh,  quia  pro  inlusione  diabolica,  aut"  pro 
modo  uisioniskk  alii  XXX11  alii  ™m  XXIII I  m  psalmos  in  ordine, 
alii  XV  00  alii  XII  indigentes  poenitentia  psalmorum  pp  decantare 


a)  licet  CH,  non  liceat  nobis  F.  b)  trib.  superb.  "  E.  c)  fa- 
ciemus  CH.  d)  loquantur  F.  e)  fratris  UCH.  f)  loquantur  V» 
CH,  non  loquantur  E  V\  g)  Cum  0.  h)  chrismal  ceciderit  H, 
"chri8mal"  ceciderit  C  (s.  oben S.  224,  Note  ss).  i)  percussiones  E  V. 
k)  emendetur  0  E  V  C  II.  1)  sennoiiem  C  H.  m)  silentium  V  E. 
n)  debet  condemnari  F,  condempnare  E.  0)  faciant  G.  p)  in  0  F. 
q)  die  dominico.  i.  e.  octavo  UV(1193).  r)  si  F.  s)  XII  V,  12  E. 
t)  quinto  deeimo  die  CH,  sin  autem  nisi  in  quinto  dcc.  die  MP.  Hier 
beginnt  (mit  . . .  deeim  dies  aut  certe)  das  im  16  Bande  dieser  Zeit- 
schrift S.  465  von  mir  veröffentlichte  Nonnenregel- Fragment ,  das  für 
einen  großen  Teil  des  noch  folgenden  Textes  der  Cönobialregel  zu  ver- 
gleichen war;  ich  bezeichne  dasselbe  mit  X.  u)  in  arbitrio  C.  v)  in 
u  C.  w)  quisque  A.  x)  Et  si  quis  praeeeperit  . . .  (oben  Kap.  8) 
bis  hierher  fehlt  bei  I) ,  der  den  folg.  Satz  am  Schluß  seines  aus 
Caes.  16  entlehnten  Kapitels  33  („Ut  sedentes  ad  mensam  taceant") 
nach  Einschaltung  von:  Namquaeloqui  praesumpserit  vel  XX  vel  XXX 
percuss.  aeeipiat  anfügt.  y)  Poen.  vero  min  D.  z)  fecerit  HD*», 
aa)  et  °DX.  bb)  quam  8CH.  cc)  XXII  V1,  22  E  {und  V8?). 
dd)  Das  Folgende  in  D  als  Kap.  34:  Qualiter  aut  quibus  temporibus 
genua  flectantur.  ee)  penitentiam  VE.  ff)  quibus  D,  cum  V*. 
dg)  est  DX.  hh)  decantent  D  V».  ii)  ac  DCEV'H,  aut  •  X. 
kk)  aut  pro  m.  uis  0  V1.  11)  alii  XXX  "DXCEV1  H.  mm)  alü 
•  D.  nn)  XXVI  D,  34  F.  00)  alii  XV  *X.  pp)  psalmos  CH, 
indigent  peue  (=  poena)  psalmorum  X. 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLUMBANI  ABBATIS.  227 


debent;  quamnis  »  ergo  in  nocte  dominica  et  tempore0  quinqua- 
ireaimae  c  poenitentes  d  genua  flectant  *. 

Si  cui  iniuiLxerit  abbas  aut  praepositus  de  fratribus  ire(  agere, 
ita  obseruandum  est,  ut  seniori  iunior  obediat,  si  tarnen  rectum  fuerit; 
s  quod  ei  *?  indicauerit,  obseruare  studeat.  Si  quid  praeceperit  abbas 
uel  oeconomus  maior  et  alius  humilior  iterauerit  oeconomus,  ipse  obe- 
dire  debet,  indicans  tarnen  in  silentio,  quod  praeceperit  alius  maior; 
infra  raonasterium  uero  nullus  tarnen  alio  imperio  praecellente  imperet 
nisi  qui  praeest. 

10  Ab  initio  diei  usque  noctem  commutatio  uestimenti  et  altera  in 
nocte.  Interrogentur  separatim  .  .  .  Qui  ministrat  in  die  dominico  ^ 
aut  in  alio  solemni »  ad  lauachrum  aut  ad  k  quamcumque  necessitatem, 
una  oratione  ante  exitum  et  introitum  eget.  Interroget  tarnen,  si  non 
procul  exeat,  signo  crucis  indiget.   Quamuis  ambulans  signet  se,  non 

uest  autem  necesse  ad  orientem  se  vertere.  Exiens  extra1  domum  qui- 
Hbet  festinans  et  se  signans,  non  eget  ad  orientem  conuersionera  m.  Ita 
et  in  ambulando  conueniens  quemquam  n  faciat,  si  festinet,  postula ns 
orationem  et  se  humilians.  In  domu  <>,  in  qua  non  congrua  fiat  genu- 
flexio,  curuatio  tantum  statuetur. 

20  Si  quis  voluerit,  in  die  sabbati  praeparet  oblationem  dominicae; 
consumraato  lauachro  commutare  sacerdotes,  si  facile  fuerit,  diacones 
autera  aut  ante  praeceptum  aut  post  praeceptum  ministerium  p  oportu- 
num  perficiant  i. 

Si  quis  viderit  somnium  iramundum  aut  coinquinatus  fuerit  aut 
25poenitens,  quando  detur  praeceptum,  stare  praecipitur.    In  magnis 
autem  solempnitatibus  quando  audiunt  sonum  sedcre  in  cotidiano  prae- 
cepto  pene  mediante  iubentur  r  ||  sedcre.  Dcinde  sonum  omncs  audientes  (f  «») 
ad  sinaxira  imitantem  8  diei  conuentus  lauent  ante  oratorii  introitus 
nisi  prius  lauerint.   Primarius  ut  pritnus  psallat  statuetur  et  secundus 
30  et  non  flectatur  genu,  sed  tantum  curuatio  fiat.    Ordines  qui  priores 
in  medio  flaut  oratorii,  ceteri  dextra  laeuaque  assistant,  praeter  offeren- 
tem  eidemque  adhaerentem.   In  omnique  dominica  solempnitate  ymnus 
diei  cantetur  dominicae 1  et  in  die  inchoante  paschae.    Aut  qui  ad 
altare  inchoaverit  accedere  a  sacrificium  accepturus  ter  se  bumilict. 
35  Et  noui,  quia  indocti,  et  quicumque  fucrint  tales  ad  calicem  non  acce- 
dant,  et  quando  offertur  oblatio  nullus  cogatur  coactus  accipere  sacri- 


a)  so  DXCH,  qui  GVEF.  b)  in  temp.  CH.  c)  quinqua- 
gesimi  CD^X.  d)  poen.  *D.  e)  so  CH,  genuflectant  D  X, 
rlectunt  OFVE.  f)  so  P  (S.  129),  B  (f.  143 <>) ,  iter  CHMd(1376). 
g)  so  CMn,  eis  H.  h)  so  CMPO^?;,  dominica  H.  i)  so  MP,  in 
alia  solemni  H,  in  alia  solemnia  C.  k)  ad  0  MP.  1)  autem  extra  H. 
xn)  conversione  H.  n)  nach  X,  quidquam  C  II.  o)  domo  H.  pj  se 
ministerium  C.  q)  perficieut  H.  r)  iubetur  H.  s)  so  C,  imitanteX, 
incitantem  H;  (initiantem?).  t)  do-minici  H.  u)  so  setze  ich  nach 
X,  inter  C  II. 

15* 


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228 


AXALEKTK.V 


ficium  praeter  uecessitatem.  In  omnique  dominica  die  et  solcmpnitate, 
qui  non  fuerit  in  coetu  fratrum  ad  dominum  fundentium  preces,  oret 
ipse  aljqua  necessitate  copente.  Et  quamdiu  offeratur,  non  multum 
discurratur.  Poenitens  quoque  necessitate  itineris  occupatus  ambulans- 
6  que  cum  ceteris  utentibus  licito  cibis,  si  aduenerit  hora  tertia  et  longe 
proficiscantur  *,  accipiat  et  ipse  quiddam  cibi  pro  modo  quodam,  et 
quod  ei  defuerit  accipiat  ubi  quiescat. 

In  commnne  b  autem  omnes  fratres c  omnibus  diebus  ac d 
noctibus  tempore  orationum  in  fine  omninm  psalmorum  genna 

1  o  in  oratione  ° ,  si  non  infirmitas  corporis  offecerit f ,  flectere  aeqno 
animo  K  dcbent,  snb  silentio  dicentes:  Dens11  in  adintorinm 
raeum  intende,  domine  ad  adiunandnm  ||  me  festina  l.  s. 
Quem  uersicnlum  postquam  ter 5  in   oratione  tacite k  decanta- 
uerint,  aequaliter  a  1  flexione™  orationis  surgant,  excepto  n  die- 

ubu8  dcminicis  et  a  prima0  die  sancti  p  paschae  usque  ad  quin- 
quage8imura  11  diem,  in  quibus  r  moderate  se  in  s  tempore  psal- 
modiae  humiliantes,  genua  non  flectentes1,  sed  11  sedule  v  domi- 
numw  orent. 

Si  quis  frater  inoboediens  fuerit,  dnos  dies  nna  paxmate  1  et 
20  aqua  y.  Si  quis  dicit8:  non  faciam  **,  tres  bb  dies  nno  paxmatio 
et  aquacc.  Si dd  quis  murmurat,  duos  dies  uno  paxmatio  et  X. 
aqua.  Si  quis  ueniam  non  petit  aut 00  dicit  excusationem dnos 
dies  uno  paxmatio  et  aqua**.  Si  duo  fratres  contenderint hh 
aliquid  et  ad  furorem  uenerint u,  duos  dies  uno  paxmatio  et  aqua. 


1)  Ps.  70,  2. 

a)  proficiscatur  Hs.  b)  communi  MV(Sp.  930).  c)  so  DXC 
A  H  MP,  cum  omnibus  fratribus  statt  autem  ora  fr.  G  0  E  V.  d)  die- 
bus ac  °  C  H  MP,  et  statt  ac  D  X.  e)  ad  orationem  D  X.  f)  so 
CH,  hoc  fecerit  GVEF,  officerit  D«,  nocuerit  X,  obfuerit  MP. 
p)  moderamine  D  X.  h)  dominus  G  F.  i)  ter  *D,  quater  V*. 
k)  tacite  °  E  MP.  l)inGO.  m)  flexu  D,  curuatione  X.  n)  so 
GX,  excepta  D,  exceptis  VCEHFMP  (Ute).  o)  so  D,  etiam  et 
prima  G  F,  etiam  proxima  E ,  etiam  prima  V,  et  a  die  primo  C  H  MP. 
p)  sancto  VE,  et  a  primo  die  sancto  X,  sancti  °MP.  q)  quinqua- 
pesiroara  II.  r)  quo  D.  s)  se  in  *D.  t)  flectant.  X,  flectentes. 
Et  quando  ad  communionem  altaris  accedunt,  ter  se  humilient  D.  Hier' 
mit  schließt  der  mit  reg.  coen.  I  parallel  laufende  Abschnitt  in  D. 
u)  et  statt  sed  E,  sed  'CH.  v)  so  nach  G  V*MP,  sedulo  die  übr. 
Codd.  u.  Ausg.  w)  deura  CIL  x)  uno  paximate  0.  y)  unum 
paximatium  et  aquam  V  E  A  C  H  (paxamacium  V1).  z)  dicat  C  U. 
aa)  dicit  et  non  facit  A  E  (et  °  E)  dicit  non  faciat  V.  bb)  dnos  V1. 
cc)  unum  paximatium  et  aquam  E  C  H.  Der  acc.  statt  des  abl.  er- 
scheint in  dieser  Strafbestimmung  stets  in  VECH;  paxmatium  (statt 
paximatium)  nur  in  G.  dd)  Dieser  Satz  fehlt  bei  F,  obwohl  die  Ka- 
pitelüberschrift auf  denselben  hinweist.  ee)  et  V1.  ff)  excusationem 
dicit  E.  gp)  similiter  poeniteat  statt  duos  dies  etc.  E.  hh)  con- 
tendentes  ACH.      ii)  venientes  C  II.    Si  quis  viderit  (nid.  'V')  duos 


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SEEHA&S,  REGULA  C0KS0BIAL1S  S.  COLUMHAXI  ABIUTIS.  229 

Si  aliquis  *  contendit  mendacium  et  distinctionem  b  confirmat,  duos 
dies  uno  paxmatio c.  Si  quis  contradicit  fratri  et  non  petit 
eum  d  ueniam ,  duos  dies  uno  paxmatio  '*.  Si  quis  interrumpit f 
mandatum  et g  regulam  frangit ,  duos  dies  uno h  paxmatio  et 
»  aqua '.  Si  quis  opus  quod  ei  iniungitur  k  negligenter  facit,  duos 
dies  uno  paxmatio  et  aqua  '.  Si  quis  detractauerit m  abbati  suo  ", 
VII 0  dies  uno  paxmatio  et  aqua  p ;  si  quis  fratri  suo  q,  uiginti 1 
IIU  psalmos,  si  seculari,  duodecim  psalmos  h.  Si  quis  obli- 
uiscitur  aliquid  Ibras,  si  minus  XII  j|  psalmos ,  si  maius  *  XXX  s.  m 

iopsalmo8B.  Si  quis  perdiderit  uel  deciderit  T  aliquid,  sicut  pretiuni 
eius  ita  etw  poenitentia  eius. 

Si  quis  facit  colloquium  cum  saeculari  sine  iussu,  XXIIII  XI. 
psalmos.  Si  quis  quando  consummauerit  opus  suum  et  aliud  *  if  *»>) 
non  requirity  et1  fecerit  aliquid  sine  iussu**,  viginti  IUI bb 
psalmos  cantet.  Si  fuerit  aliquis  biliuguis  et  conturbet cc  corda 
fratrum  dd,  I  diem  in  paxmatio  et  aqua  Si  quis  mauducauerit 
in  domoff  aliena  sine  iussu  et  uenerit  domui  suae  «,  I  diem  in 
paxmatio hh.  Si  quis  enarraverit  praeteritum  peccatum ,  unum 
diem  cum H  paxmatio.    Uel  qui  ambulauerit  in  saeculo  et  dicit 

20  de  saeculi  peccato kk,  diem  unum 11  in  pane  et  aqua.  Et  tepi- 
dusmm  qui  aliquem  audierit nu  murmurantem  et  detrahentem  aut 
facientem  aliquid  contra  regulam  et  consentit00,  a  confessiono 
diem  unum  paxmatio  pp. 

Si  quis  suscitat  furorem  fratri  suo  et  satisfaciet m  ei  postea,  XU. 


fratres  et  tacuerit  (et  tac.  '  Y7)  contendentes  aliquid  et  in  (ad  V1)  furo- 
rem uenientes  V  E. 

a)  alius  G  F  E  V.  b)  distinctione  C ,  dictionem  0.  c)  pax.  et 
aquam  VC  II;  similiter  poeniteat  statt  duos  dies  etc.  E.  d)  cum  *  A, 
ei  V  C  E  H.  e)  pax.  et  aquam  V*  C  H.  f)  contradicit  C  II.  g)  aut 
CH.  h)  uuo  "  0.  i)  et  aqua  "VC  II.  k)  so  E,  Si  quis  cum 
(«  V*)  iniungitur  ei  opus  et  V'GF,  Si  quis  iniungit  ei  opus  et  C  II, 
Si  quis  detiactaverit  cui  iniungitur  opus  V1.  I)  et  aqua  "EV'C  II. 
m)  detraxerit  rCö^CH,  detrect.  V*.  n)  abbatem  suum  VECAII 
Mn  (995).  o)  4  E.  p)  et  aqua  "CEV  II.  q)  fratrem  suum  V" 
ECHMn,  in  V1  zu  fratri  suo  korr.  r)  uenieuti  G  F,  viginti  *  E. 
s)  si  sec.  duodecim  psalmos  *  G  F  (secularein  P  C  II)  t)  magis  V1. 
u)  psalmos  "  E.  v)  so  C  H,  dederit  G  E  0,  dixit  A,  dicit  V.  w)  et 
VCH.  x)  aliquid  Hs.  y)  requirens  A.  z)  aut  E  F.  aa)  sine 
iussione  aliquid  fecerit  C  II.  bb)  uenientis  III  GÜ,  ueuieus  III  A, 
iussu,  tres  E,  venienti  tres  V.  cc)  conturbat  E  V.  dd)  fratres  statt  corda 
fr  C  H.  ee)  duos  dies  unum  paximacium  C1I,  1  diem  paxim.  EV; 
fratrum,  unum  paxamacium.  V1.  ff)  domu  C.  gg)  dorn  um  suam 
A,  et  uen.  domui  s.  "  E.  bh)  uno  die  paximacium  C  II,  I  diem  paxim. 
EV,  in  pax.  et  aqua  F.  ii)  in  F.  uno  die  paximacium  CH,  unum 
diem  paxim.  E  V.  kk)  dicit  saeculi  peccata  F,  de  saeculo  peccatum 
V!.  U)  uno  (°  V)  die  V  E  C  II.  mm)  tepidus  -  V  E,  Et  tepidus  *  0. 
uu)  audierit  aliquem  V  E  C  II.  oo)  consensit  H.  pp)  uno  die  paxi- 
macium CH,  uno  die  pax.  et  aquam  VE.  qq)  so  GEV,  satisfacit 
CH,  satisfaciat  FV\ 


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230  ANALEKTEN 

et  ipse  non  remittit  ei  sed  mittit a  eum  b  suo  seniori c :  qoi 
suscitauit  furorem  d  viginti  *  IUI  psalmos  et  ille  diem  I  in  f 
pane  et  aqua.  Si  quis  uoluerit  aliquid  g  et  prohibet  economus b 
et  iubet  abbas ' ,  quinque  dies.  Si  quis  non  uenerit k  ||  ad  ora-  s.  ut 
b  tionem  super  1  mensam  et  post  cibnm ,  XII  psalmos  cantet m.  Si 
quis  dormierit  dum"  oratur,  si  frequens,  XII  psalmos,  si  non 
frequen8,  VI  0  psalmos.  Si  quis  non  dicit  amen,  XXX  uerbera. 
Si  transgressus  erit  p  horam,  XV  psalmos,  cantica  graduum  4,  nisi 
matntina  hiemps  r,  XII  psalmos.    Et  qui 8  non  audierit  sonitus 

10  orationum  i,  XII  psalmos11.  Si  quis  ueniet  T  ad  sacrificiom  etv 
nocturnum  cingulum  nel  uestis  x  circa  y  eum,  XII  psalmos. 

Si  quis  ante  horam  nonam  quarta  seitaque  feria  manducatXIII. 
nisi  infirmus,  duos  dies  in  pane  *  et  aqua  uiuat.    Si  quis  dixerit 
mendacium  nesciens,  L  uerbera;  si"  sciens  et  audax  dicit bb, 

1 6  duos  dies**  in  pane  et  aqua.  Si  detegaturdd  mendatium  eius  et 
ille  contendit,  VII  dies  in  pane  et  aqua.  Si  quis  monachus  dor- 
mierit in  una  domo00  cum  muliere,  duos*  dies  in  pane  et  aqua; 
si  nesciuit  quod  non  debet,  unum  diem.  Si  quis  non  claudit*? 
ecclesiam,  XII  psalmos.    Si  quis  emittit  Sputum  et  attingitbh 

aoaltare,  XXIIII  psalmos;  si  parietem  attingit,  VI".  Si kk  obli- 
uiscitur  psallendi 11  seu  lectionis  mm,  III  nn  psalmos. 

8i  quis  tardius  ueniat00  orationibus  pp,  L,  uel  ^  plausu  "»XIIII. 
LM ,    uel    segnius    exequerit"    quod    iubetur    ei uu ,   L.  Si 
post  pacem  sonauerit,  L  ?T.    Si  contumaciter  ww  respon  derit s.  iw 

16  L.     Si   ueniet"    uelato  capitc   in   domum",  L  uerbera*". 


a)  dimittit  (J  H,  remittit  A.  b)  eum  "  V  C  H  A.  c)  sed  mittit 
.  .  .  seniori  E.  d)  qui  suscitauit  furorem  "CH.  e)  uenienti 
GVF,  uiginti  *  E.  f)  et  illo  die  in  VECH  A.  g)  quid  vol.  ali- 
quis  C  H.  Ii)  enchonomus  E.  i)  abas  V1.  k)  ueniet  VEA. 
1)  supra  CH.  m)  canet  V.  n)  cum  C  H  VLV(919).  o)  III 
E  V1.  p)  fuerit  E  C  H.  q)  XII  psalmos  (si  H)  canticum  graduum 
CAH,  XII  psalmos,  si  cantica  graduum  E,  XII  psalmos.  Cantica  «rrad. 
V.  r)  hiemis  A.  s)  Si  quis  }AP(115%).  t)  in  oratione  E,  ora- 
tione  V.  u)  psalmos  °  E.  v)  ueniat  C  H.  w)  cum  H.  x)  nocturno 
cingulo  vel  veste  VECH.  y)  non  circa  E.  z)  paximacio  A 
(Kap.  XIII  stets).  aa)  si  •  MP(974).  bb)  dixit  E  V.  cc)  dicit, 
duos  dies  °CMPH.  dd)  so  nach  M¥(974),  denegatur  alle  Codd.  u. 
Ausgg.  ee)  domu  C.  ff)  tres  CH,  in  paxiraatio  uel  tres  dies  in 
p.  e.  a.  A.  gg)  cludit  C.  hh)  Sputa  et  contingit  C  WP(932)  H. 
ii)  sex  psalmos  A.  kk)  Si  quis  C  H.  11)  rtsalmum  E ,  psalmi  A. 
psallendo  H.  mm)  lectiones  V  C  E  H.  nn)  IUI  C  H.  oo)  uenerit 
E,  venit  F.  pp)  so  G  V,  orationi  C  M1VH53) ,  ad  orationes  E  F,  ad 
orationem  H.  qq)  uel  cum  0.  rr)  plausum  E  V  C.  ss)  uel  plagis 
quinquaginta  H.  tt)  so  C  V*  Signum  exsequerit  G .  signis  exequatur 
O,  signis  (ohne  exequatur)  A ,  sesruius  exequitur  V  E  H.  uu)  ei  *  F. 
vv)  sonitum  fecerit,  uerberum  L  E.  ww)  contumaci  CH,  contumace 
A  V*.  xx)  respondet  V1,  respondit  V*.  yy)  venit  F ,  ueniat  C  II. 
zz)  domo  C H.      aaa)  uerbera  'F. 


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SEEBASS,  REGULA  COENOBIALIS  S.  COLUMBANI  ABBATIS.  231 

Si*  non  petit  orationem  dam  intrat  domum,  L.  Si  manducat 
sine  oratione ,  L  b.  Si  locutus  est  aliquid  in  ore  suo ,  L.  Si 
sonum  fecerit  dum  oratur,  L  uerbera  c.  Si  quis  iracundiam  vel 
tristitiam  uel  inuidiam  retinet  d  contra  fratrem  suum ,  ut  tempns 
stenuerit,  ita  •  erit  poenitentia  eius  in  pane  et  aqua;  si  uero 
primo  die  confessus  fuerit,  XXIIII f  psalmos  cantet  e. 

Quicnmque  sacrificium  perdiderit  et  nescit  nbi  sit,  annum 
peniteat  \    Qni  negligentiain  fecerit  orga  sacrificium  ut  siccetur 
et  a  uermibus  consumetur  k,  ita  ut  ad  nichilura  deuenerit,  dimi- 

todium  annum1  peniteat.  Qui  negligentiam  erga  sacrificium m  in- 
currerit D  ut  inueniatur  uermis  in  eo  et  tarnen 0  plenum p  sit, 
igne  comburat  q  [cum]  r  uermibus  *  et  iuxta  altare  abscondat  ci- 
nerem  eius  *  in  terra  u  et  ipse  poeniteat  XL  diebus.  Et T  qui 
neg||iigit  sacrificium  et w  immutatum  fuerit  et  panis  amiserit  sa-  ('  &») 

1 5  porem,  si  rubre  colore,  XX  diebus  1  peniteat,  si  iaeinetino  7,  XV  1 
diebus  1  poeniteat  Si  autem  non  immutatum  fuerit  coloro  **  sed 
conglutinatum ,  VII  dies  poeniteat.  Qui  autem  merserit  sacri- 
ficium continuo  bibat bb  aquam ,  quae  cc  in  crismali  dd  fuerit 6e, 
sacrificinm  comedat  Si  de  eimba tt  uel  de  ponte  seu  de  equo    ||  s.  im 

loceciderit,  et  non  per  negligentiam  sed  casu  aliquo:  diem  unum  hh 
poeniteat;  si  autem  per  contemptum  submerserit",  id  est  exierit 
aqua  et  non  considerauerit  de  periculo  sacrificii kk,  XL 11  dies  mm 
peniteat.  Si ,,n  autem  obtentu  insoliti  pinguioris 00  cybi  et  non 
uitio  saturitatis  sed  stomachi  enomnitw  in  die  sacrificii  coonam, 

55 XX  diebus;  si  infinnitatis  gratia™,  X  diebus  peniteat  in  pane 
et  aqua  rr. 

Qui  seit  fratrem  suum  peccare  peccatum  ad  mortem  et  non 
arguit  eum,  legis  ewangclii  transgressor  notetur,  donec  arguat  eum 
cuius  malum  retieuit  et  fateatur  sacerdoti,  ut  quamdiu  conscientia  mala 


\    a)  Dieser  Satz  '  F  (obwohl  in  der  Überschrift  angedeutet).     b)  L 

•  E.  c)  uerbera  ° E.  d)  tenet  PCEH.  e)  ad  tempus  tenuerit 
et  tacuerit,  ita  A.  f)  XXXIIII  V,  34  (?  24)  E.  g)  cantet  'PE 
CHMu,  deeantet  A.  h)  anno  CH,  annum  1  in  G.  i)  in  poeni- 
tentia O.  k)  consumatur  0  H.  1)  dimidio  anno  C  H.  m)  sacr. 
'  F.  n)  commisit  E.  o)  n  (?  non)  E.  p)  plenus  V  E  A.  q)  com- 
buretur  A.  r)  cum  setze  ich  hinzu.  s)  so  C,  uermes  G  VF,  uer- 
mem  E,  uermib.  et  0  H.  t)  ejus  cinerem  E.  u)  intra  sub  altare 
statt  in  terra  CH.  v)  Et  'CH.  w)  ut  V,  ita  ut  E.  x)  dies 
CH.      y)  so  GCE,  accinetino  colore  A.      z)  12  E  V.      aa)  colore 

•  V1.  bb)  bibet  H ,  ebibat  A.  cc)  qui  G  V,  aquara.  Qui  C  H. 
dd)  crismal  CH',  chrismale  Ha.  ee)  fuderit  H  (C?).  ff)  cymba  C. 
gg)  ligno  C  H.  hh)  uno  die  C  H  A.  die  uno  E  V.  ii)  submersit  E. 
kk)  sacrificiü  G  V.  11)  decem  A  E  V.  mm)  diebus  0.  nn)  Evo- 
muit  si  V.  oo)  pinguiorisque  E.  pp)  euomuerit  E.  qq)  causa 
0.  rr)  si  infinnitatis  ...  et  aqua  0  F,  si  autem  per  contemptum  sub- 
merserit —  et  aqua  °  C  H.  In  V1 :  Explicit  Regula  Hibernensium ,  in 
V*:  Explicit  regula  cenobialis. 


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232 


AN  ALF.  KT  KN. 


reticuit  tamdiu  in  afdictione  peniteat  Qui  paruum  peccatum  reticuit, 
simili  correptione,  non  eadem  afdictione  poeniteat,  sed  plagis  triginta 
aut  quindecim  psalmos  canat.  Si  de  reliquo  spernens  minima  neglexe- 
rit,  in  pane  et  aqua  poeniteat,  ut  peccans  iuxta  mandatum  domini 
5  corripiatur.  Qui  vero  arguit  non  leniter ,  notetur  donec  petat  vcniam 
a  fratre  correpto  et  plagis  triginta  aut  quindecim  psalmos.  Qui  pec- 
catum pudendum  alicui  *  exprobrat  b  priusquam  inter  semet  e  ipsum 
solum  arguat,  sicut  dominus  dicit,  corripiatur  donec  exprobrato  satis- 
faciat  et  tribus  diebus  iu  pane  et  aqua  poeniteat. 
to  Qui  transgreditur  regulam  iussionis  vel  disciplinae  generalis  maneat 
expulsus  sine  cibo  ut  in  crastinum  recipiatur. 

Qui  solus  cum  sola  femina  sine  personis  certis  familiariter  loqui- 
tur,  maneat  sine  cibo  vel  duobus  diebus  in  pane  et  aqua  vel  ducentis 
plagis. 

1 5  Qui  praesumit  facere  ambasciam  d  »  non  permittente  eo  «  qui 
praeestt  libera  et  ineffrenata f  processione  absque  necessitate  s,  quin- 
quaginta  plagis  inbibeatur.  Operis  peculiaris  praesumptio  centum 
plagis,  possessio  alicuius  rei,  quam  non  necessitas  generaliter  fratribus 
concessit,  amissione  ciusdem  et  centum  plagis  coerceatur.  Necessarium 

20  vero  ac  licitum  aliquid  facere  dare  accipere  sine  iussione  duodecim 
plagis,  nisi  ratio  aliqua  dcfendat,  ut  supplex  satisfactio  remittat. 

Qui  coraeden8  loquitur  b,  sex  plagis.  Et  cuius  vox  obstrepit  de 
mensa  ad  mensam,  sex  plagis;  si  de  domo  foras  vel  de  foris  iu  domuin 
sonuerit,  duodecim  plagis. 

2h       Egredi  vel  ingredi  in  domum  *  aut  opus  facere  sine  oratione  et 
signo  crucis  duodecim  plagis,  si  aliter  fuerit,  quinque  plagis. 
Meum  vel  tuum  dixisse  sex  plagis. 

Verbum  contra  verbum  simpliciter  dictum  sex  percussionibus;  si 
ex  contentione,  centum  plagis  vel  superpo6itione  silentii. 
30       Si  ordinem  psallcndi  nun  seruauerit,  sex  percussionibus. 

Si  statuto  tempore  taciturnitatis  loqui  praesumpserit  sine  necessi- 
tate, decem  et  Septem  plagis. 

Si  quis  de  supellectile  monasterii  per  contemptum  amiserit  vel 
dissipauerit  quid  k,  proprio  sudore  et  operis  adiectione  restituat  vel  pro 
3t  aestimatione  arbitrio  sacerdotis  superpositione  poeniteat,  aut  una1  die 
in  pane  et  aqua.    Si  non  conteraptu  sed  casu  aliquo  amiserit  aut 
fregerit,  non  aliter  negligentiam  suam  quam  publica  diluat  poenitentia, 


1)  aus  (andbahti,  got.)  anibahti,  altbodid.,  =  Amt,  Dienst  (vgL 
ambasciata,  ital.). 

a)  alieubi  $lu(982).  h)  deferaut.  exprobrat  Cod.  Paris.  10S79 
(p.  63).  c)  so  B  (fol.  09 a)  ursprünglidi,  CMn,  se  et  Cod.  Paris., 
Korrekt,  in  B,  H.  d)  ambascias  MY(975).  e)  eudem  MP.  f)  effre- 
nata  H  MP.  g)  absque  necessitate  "  MP.  b)  loquens  C  MPfim?). 
i)  Ingredi  vel  egredi  domum  MV(1195).      k)  quis  C.      1)  uno  H. 


Bic 


SEK  BASS,  REGULA  C0EX0BIAL1S  S.  COLUMISA3I  ABBATIS.  233 


cunctis  ||  in  sinaxi  fratribus  congregatis  tamdiu  prostratus  in  terram  (f  5b) 
yeniam  postulabit,  donec  orationura  consummetur  solempnitas,  impe- 
traturus  eani  cum  iussus  fuerit  abbatis  iudicio  de  solo  surgere.  Eodem 
modo  satisfaciat  quisquis  ad  oratiouein  vel  opus  aliquod  arcersitus  * 
stardius  occurerit. 

Si  decantans  psalinum  titubauerit,  si  superrluo,  si  b  durius  c,  si  con- 
tumacius  responderit:  superpositione.  Si  negligentius  obsequia  iniuncta 
impleuerit,  superpositione.  Si  vel  lcuiter  murmurauerit,  superpositione. 
Si  lectionem  operi  obedientiaeue  praeferens,  superpositione.  Si  officia 
10  statuta  segnius  fuerit  exsecutus,  superpositione.  Si  demissa  d  sinaxi 
non  continuo  e  ad  cellam  recurrerit,  superpositione.  Si  cum  aliquo  ad 
modicum  substiterit f ,  superpositione.  Si  ad  modicum  temporis  uspiam 
secesserit,  superpositione.  Si  cum  illo  fcr,  qui  cellae  suae  cohabitator 
non  est,  confabulari  quantulumcumque  praesumpserit,  superpositione  h. 
16  Si  alterius  tenuerit  manum,  superpositione.  Si  orauerit  cum  illo  qui 
est  ab  oratione  suspensus,  superpositione. 

Si  parentum  quempiam  vel  amicorum  saecularium  viderit  vel  col- 
locutus  ei  fuerit»  sine  iussione,  si  epistolam  cuiuscumque  susceperit, 
si  tribuere  praesumpserit  sine  suo  *  abbate :  superpositione.  Si  ira- 
iopedierit  aliquem  a  necessarü  facti  cxpletione,  superpositione.  Si  per 
ardorera  mentis  legitimum  religionis  excesserit  modum,  superpositione. 
Si  alium  feruentem  a  legitimo  facto  retinere  teporis  sui  gratia  prae- 
sumpserit, superpositione. 

Hucusque  et  in  siinihbus  commissis  1  procedit  animaduersio  spiri- 
25talis,  ut  increpatio  quac  fit  a  pluribus  peccanti  proficiat  inm  salutem 
et  de  cetero  cautior  et  diligentior  emendatione  morum  deo  propitio  sal- 
uatus  existat. 

Qui  autem  rixam  commiserit,  septera  diebus  n  poeniteat.    Qui  uero 
suum  praepositum  °  despexerit  aut  regulam  blaspbcmauerit,  foras  re- 
3fl  pellendus  est,  nisi  ipse  dicat:  pocnitet  me  quod  dixi.    Si  autem  non 
se  p  humiliauerit,  quadraginta  diebus  poeniteat,  quia  superbiae  inorbo 
detinetur. 

Verbosus  taciturnitate  damnandus   est ,   inquietus  mansuetudine, 
gulosus  ieiunio,  somnolentus  vigilia,  superbus  carcere,  destitutor  repul- 
36  sione.    Unusquisque  iuxta  quod  meretur  coaequalia  sentiat,  ut  iustus 
iuste  uiuat.  Amen. 

In  omni  loco  et  opere  silentii  regula  magnopere  custodiri  <J  cen- 
setur,  ut 1  omne     quantum  valuerit  bumana  fragilitas,  quae  1  prono  Q 


a)  accersitus  II  MP(1153).  b)  sit  H.  c)  so  Cassian,  De  inst, 
coen.  IV,  16;  durus  C  H.  d)  dimissa  H.  e)  coustitutus  C. 
f)  subsisterit  C.  g)  so  PBCMufy0<>),  ullo  II.  h)  ;superpositio 
PBMn.  i)  fuerit  ei  H,  "fuerit"  ei  C.  k)  suo  0  MV(1223). 
1)  amissis  C.  m)  ad  II.  n)  dies  P  13  Hn(996).  o)  praepositum 
suum  MP.  p)  se  non  H.  q)  custodire  D  (Kap.75).  r)  et  C.  s)  so 
CD«X,  omni  HD»'.     t)  quod  Dc.     u)  so  X,  prono  '  D,  prona  C II. 


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234 


AN  ALERTEN. 


ad  vitia  praecipitare  »  solet  cursu  oris  b,  mundemur  c  uitio,  aedifica- 
tionemque  potius  proximorum  d,  pro  quibus  4  saluator  noster  Jesus ' 
sanctum  e  effudit  sanguinem,  quam  dilacerationem  absentium  in  pectore 
conceptam  b  et  otiosa *  passim  verba,  de  quibus  iusto  sumus  retributori  k 
5  rationem  1  reddituri,  ore  promamusm. 

Haec  superum  n  volentibus  carpere  iter  tendens  alti  ad  fastigia 
summa  °,  relictaque  humo  p  cum  flagitiis  atro  •>  ambientibus  uni  ad- 
haerere  deo  bac  r  in  tellure  8  misso,  statuimus.  Qui  *  immortalia  ni- 
mirum  sunt  praemia  accepturi  cum  gaudio  summo  nunquam  decken  te 
i  o  in  aeuum  ». 

Explicit  regula  coenobialis  sancti  Columbani  abbatis  T. 


3. 

Die  angeblich  Aillische  Schrift  „Deter- 
minatio  pro  quictatione  conscientiae  sim- 
plicium"  —  ein  Werk  Oersons. 

Von 

Prof.  D.  Tsch ackert  iu  Göttingen. 


In  der  Bibliotheca  Casanatensis  zu  Born  befindet  sich  ein 
Codex  chartaceuß  12  D.  I.  20  folio,  welcher  im  Jahre  1470 
durch  einen  römischen  Abschreiber  vollendet  worden  ist.  Der 
Codex  enthält  Eopieen  kirchengeschichtlicher  Materialien,  und  der 
Schreiber  desselben  giebt  auf  S.  632  der  Handschrift  über  sein 
Werk  selbst  folgende  Nachricht:  „Opus  1470  die  socunda  Aa- 


a)  praecipitari  X ,  unde  praecipitare  C  H.  1»)  cursu  oris  *  C  H. 
c)  muudemus  C.  d)  proximorum  siue  proximarum  D  X.  e)  quo  C. 
f)  Jesus  Christus  D.  g)  suum  sacrum  statt  sanctum  X.  h)  con- 
cepta  Dc.  i)  et  quam  otiosa  D  X.  k)  iuxta  s.  retributorem  Dc. 
1)  rat.  retr.  C  H.  m)  ore  prom.  nach  verba  D  X.  n)  supernum  X. 
o)  summi  X.  p)  an  Stelle  von  relictaque  humo  haben:  rudique 
humi  C,  rudere  Qui  eü  X.  q)  ultro  H.  r)  ac  CX.  s)  haue 
in  tellurem  H.  t)  statui  visa  C,  statui  Quo  visa  X.  u)  euum.  amen 
X.     v)  Zusatz  in  C  H. 


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TSCHACKE RT;  EINE  ANGEBLICH  A1LLISCHE  SCHRIFT.  235 


gusti  completum  ...  per  me  Aureliam  Cornelinm,  physicum  Bo- 
manum,  ad  instantiam  reverendissimi  in  Christo  patris  et  domini, 
domini  Job.  Baptistae  de  Sabellis,  88.  romanae  ecclesiae  protonotarii, 
legati  Bononiae  dignissimi  et  bene  meriti  cito  f.  c."  —  In  diesem 
Codex  begegnet  uns  auf  5}  Foliospalten,  nach  alter  Paginierung 
auf  Spalte  430  a — 432  b,  nach  neuerer  auf  Spalte  470 — 472, 
die  Kopie  eines  Traktates  aus  der  Zeit  des  grofsen  abendländi- 
schen Schismas  mit  dem  Kopftitel:  „Determinatio  domini 
Petri  de  Aliaco  \  doctoris  in  sacra  theologia,  episcopi  Camera- 
censis  et  cancellarii  universitatis  Parisiensis,  pro  quietacione 
conscienciae  simplicinm."  Nachdem  ich  diese  Schrift  be- 
reits im  Jahre  1879  in  Born  abgeschrieben  hatte,  ist  auch  Finke 
auf  sie  gestofsen  und  hat  in  seinen  lehrreichen  „  Forschungen  und 
Quellen  zur  Geschichte  des  Konstanzer  Konzils'4  (1889)  S.  104 
darüber  Mitteilung  gemacht  Ein  Zweifel  an  der  Echtheit  des 
Traktates  ist  diesem  Forscher  so  wenig  aufgestiegen  wie  früher 
mir.  Finke  schreibt  a.  a.  0.  über  diese  Schrift:  „Sie  ent- 
spricht ganz  der  gemäfsigten  Anschauung  Aillis."  Jüngst  wurde 
ich  nun  bei  der  erneuten  Lektüre  der  Arbeiten  von  Lenz,  Theod. 
Müller,  Karl  Müller  und  Beruh.  Befs  wieder  auf  meine  römische 
Ailli- Kopie  aufmerksam;  ich  vergegenwärtigte  mir  die  von  diesen 
Forschern  dargestellte  Kirchenpolitik  der  beiden  burgundischen 
Herzöge  Philipp  (t  1404)  und  Johann  (t  1419)  und  erkannte, 
dafs  in  der  angeblich  Aillischen  Determinatio  die  Ausführung  des 
burgundiachen  kirchenpolitischen  Programms  als  Radikalmittel 
zur  Herbeiführung  der  Kirche  empfohlen  wird. 

Mit  diesem  Umstände  wufste  ich  zunächst  nicht  fertig  zu 
werden;  denn  Ailli  bat  in  den  uns  bekannten  Quellen  nie  bur- 
gundische Kirchenpolitik  getrieben.  Also  dürfte  unsere  Schrift 
der  Ailli-Forschung  und  der  Geschichte  der  französischen  Parteien 
zor  Zeit  des  Schismas  Überhaupt  ein  neues  Problem  stellen;  so 
meinte  ich.  Ihre  Veröffentlichung  erschien  deshalb  wünschens- 
wert. 

Leider  ist  aber  die  Beschaffenheit  der  römischen  Handschrift 
eine  sehr  schlechte;  denn  der  Abschreiber  hat  an  zahlreichen 
Stellen  seine  Vorlage  nicht  verstanden,  hat  dazu  viele  Schreib- 
fehler begangen  und  sogar  an  mehreren  Stellen  einzelne  Wörter 
und  Satzteile  ausgelassen;  auch  sind  seine  Abkürzungen  nicht 
selten  so  willkürliche,  dafs  ihre  Enträtselung  Schwierigkeiten 
macht,  welche,  wenn  man  auf  diese  Handschrift  allein  angewiesen 
wäre,  kaum  sicher  gehoben  werden  könnten.  Die  Aufgabe,  nach 
der  römischen  Handschrift  einen  Druck  herzustellen,  dürfte  also 
keine  leichte  sein. 


1)  Handschr.  Heliaco. 


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236 


AXALEKTEX. 


Zum  Glück  braucht  aber  diese  Aufgabe  überhaupt  nicht  in 
Angriff  genommen  zu  werden;  denn  unsere  Schritt  ist  be- 
reits gedruckt,  aber  als  ein  Werk  Gersons;  sie  steht 
in  Gersonii  opera  ed.  Du  Pin,  Tom.  II  (Antwerpiae  1706)  folio, 
Spalte  3 — 7. 

Wer  das  Chaos  Aillischer  und  Gersonscher  Traktate  kennt, 
wird  wissen,  wie  schwierig  ein  solcher  Thatbestand  festgestellt 
werden  kanu.  Dennoch  ist  die  Konstatierung  desselben  diesmal 
ganz  leicht  gewesen,  und  das  Verdienst,  den  Druckort  schnell 
aufgefunden  zu  haben,  kommt  dem  Uerrn  Kollegen  Wilhelm  Meyer 
hierselbst  zu,  welcher  ein  von  ihm  hergestelltes,  mir  bis  dahin 
noch  unbekanntes  Initienverzeichnis  auf  der  Göttinger  Bibliothek 
zurate  zog  und  mit  einem  Handgriff  obiges  Resultat  zutage 
brachte  l.  Dabei  ergab  sich  zugleich,  dafs  es  von  unserer  Schrift 
noch  drei,  bei  Du  Pin  nicht  benutzte  Handschriften  giebt,  näm- 
lich in  München  Codex  latinus  (Monacensis)  6194,  fol.  308  bis 
310,  in  Brüssel  11468,  beide  unter  dem  Namen  Gersons,  dazu 
in  Brüssel  2212  ohne  Namen. 

Auf  einer  solchen  anonymen  Kopie  wird  ein  Rubrikator  oder 
irgendein  anderer  Mensch  aus  Verseben  oder  Unkenntnis  den 
Namen  Aillis  in  den  Kopftitel  geschrieben  und  überhaupt  den 
Kopftitel  subjektiv  nach  dem  Inhalte  des  Traktates  formuliert 
haben.  So  erklärt  sich  leicht  die  Nennung  Aillis  und  die 
Form  des  Titels  in  der  römischen  Handschrift.  Im  Du  Pinschen 
Druck  (Gersonii  opera  t.  II)  lautet  der  Titel  nämlich  anders: 
„Tractatns  super  praesenti  schismate"  und  „Sententia  de  modo 
habendi  se  tempore  schismatis". 

Die  Textgestalt  des  Du  Pinschen  Druckes  erweist  sich  sodann 
als  die  erheblich  bessere  im  Vergleich  zu  der  des  römischen 
Manuskripts.  Ein  nur  äufserlicher  Unterschied  liegt  dabei  in  dem 
Umstände  vor,  dafs  im  Drucke  die  acht  „Conclusiones"  (Grund- 
thesen) vorangestellt  sind,  und  die  Argumentation  für  alle  acht 
als  ein  Ganzes  darauf  folgt,  während  in  der  römischen  Hand- 
schrift an  jede  einzelne  Conclusio  der  betreffende  Abschnitt  der 
Argumentation  angeschlossen  wird. 

Bei  diesem  Thatbestande  kann  von  dem  oben  angenommenen 
„  Problem "  natürlich  nicht  mehr  die  Rede  sein ;  denn  in  die  Ge- 
schichte Aillis  gehört  die  „  Determinatio "  nicht  mehr. 

WTas  nun  die  Benutzung  des  Gersonschen  Traktates  durch  die 


1)  Das  Göttinger  Initien- Verzeichnis  kann,  soweit  es  von  Buch- 
stabe A  an  fertig  ist,  bei  der  Bibliotheksverwaltung  eiugcseheu  wer- 
den. Wegen  der  hohen  Wichtigkeit  desselben  folgt  darüber  eiue  be- 
sondere Mitteilung  im  Nachtrag  aus  der  Feder  des  Herrn  Kollegen 
Wilh.  Meyer. 


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TSCIIACKERT,  EINE  ANGEBLICH  AILLISCIIE  SCHRIFT.  237 


Geschichteforscher  betrifft,  so  ist  er  Schwab  1  und  Befs  2  nicht 
entgangen;  jener  bat  ihn  im  Leben  Gereons,  dieser  ihn  in  der 
Darstellung  der  französischen  Kirchenpolitik  benutzt.  Beide  For- 
scher gehen  von  der  Voraussetzung  aus,  dafs  der  Traktat  nach 
der  im  Jahre  1398  erfolgten  Neutralitätserklärung  Frankreichs, 
im  Jahre  1398  oder  1399,  geschrieben,  und  dafs  sein  Verfasser 
darin  noch  bnrgundisch  gesinnt  sei.  Eine  höhere  Bedeutung  ge- 
wönne Gersons  Arbeit  aber,  wenn  diese,  zuerst  von  Schwab  ein- 
geführte Zeitbestimmung  zu  modifizieren,  und  der  Traktat  vor 
1398  anzusetzen  wäre.  Eine  erneute  Besprechung  desselben 
dürfte  daher  angezeigt  sein.  Wir  richten  unser  Augenmerk  zu 
diesem  Zwecke  auf  den  Inhalt,  die  Abfassungszeit  und 
die  geschichtliche  Bedeutung  dieser  Gersonschen  „De- 
terminatio  pro  quietatione  conscientiae  simplicium". 

Der  Inhalt  des  Traktates. 

Der  Verfasser  versetzt  uns  in  die  Gewissensnöte  der  katho- 
lischen Laien  zur  Zeit  des  grofsen  abendländischen  Schismas. 
Angesichts  der  Thatsache,  dafs  sich  zwei  Prätendenten  um  den 
Besitz  der  päpstlichen  Würde  streiten,  geraten  viele  derselben  in 
Verlegenheit,  wo  die  wahren  Priester,  wo  die  wirkungskräftige 
Taufe  und  das  rechte  Abendmahl  vorhanden  sei.  Durch  das 
Schisma  war  den  Katholiken  die  Sicherheit  ihres  Heils  ge- 
fährdet. Eine  zweite  Wirkung  desselben  wurde  durch  die  Ex- 
kommunikationen, mit  welchen  ein  Papst  den  andern  und  dessen 
Anhang  treffen  wollte,  an  den  Grenzen  beider  Obödienzen  her- 
vorgebracht; denn  wenn  sich  die  Katholiken  nach  diesen  Ex- 
kommunikationen richteten,  so  durften  die  Anhänger  des  einen 
Prätendenten  mit  denen  des  andern  nicht  mehr  verkehren.  Das 
mufste  zu  schlimmen  gesellschaftlichen  Konsequenzen  führen. 
Brennend  wnrde  diese  Frage  im  Norden  Frankreichs,  wo  Flan- 
dern zum  römischen  Papste  hielt,  während  Frankreich  den  av iro- 
nischen anerkannte,  und  gerade  von  den  Flandrern  berichtet 
der  Verfasser,  dafs  sie  „alberne  und  gefahrliche  Spaltungen  her- 
vorrufen und  die  brüderliche  Liebe  verletzen".  Darum  richten 
sich  speziell  gegen  sie  seine  fundamentalen  Sätze. 

Wenn  sich  zwei  Prätendenten,  so  führt  der  Verfasser  aus, 
um  das  Papsttum  streiten,  so  sei  es  keine  Häresie,  zu  sagen: 
„Der  eine  (A)  ist  nicht  Papst";  denn  es  liege  in  einer  solchen 
Behauptung  kein  Irrtum  im  Glauben  vor,  vorausgesetzt,  dafs  der 


1)  Schwab,  Gereon  (1858),  S.  154f. 

2)  Befs,  Bcrnh.,  Zur  Geschichte  des  Konstanzer  Konzils  I  (1891), 
S.  37. 


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238 


ANA  I.K  KT  EX. 


Behauptende  nicht  etwa  „durch  Offenbarung  oder  anf  andere 
Weise"  von  der  Rechtmäßigkeit  der  Wahl  und  Weihe  des  be- 
treffenden Prätendenten  vergewissert  worden  sei.  Dem  ent- 
sprechend dürfen  anch  die  Anhänger  des  einen  Papstes  nicht 
von  der  Gegenpartei  für  exkommuniziert  erklärt  werden;  ein  sol- 
ches Urteil  wäre  „unüberlegt,  beleidigend  und  anstölsig".  Der 
objektive  Grund  für  die  Meinung  des  Verfassers  liegt  in  dem 
Umstände,  dafs  vielen  Personen  auf  beiden  Seiten  und  unter  den 
„Neutralen"  der  Hergang  der  streitigen  Papstwahl  nicht  klar 
gemacht  worden  ist,  und  selbst  die  Ansichten  der  gelehrtesten 
Männer  einander  jetzt  in  diesem  Punkte  entgegenstehen.  Unter 
solchen  Umständen  sei  es  im  gegenwärtigen  Schisma  erlaubt,  ja 
durch  die  Vorsicht  geboten,  dem  einen  oder  dem  andern  Präten- 
denten bedingterweise  (unter  einer  stillschweigend  angenommenen 
oder  ausdrücklich  ausgesprochenen  Bedingung)  Gehorsam  zu  leisten, 
nämlich  unter  der  Voraussetzung,  dafs  derselbe  kanonisch  erwählt 
und  geweiht  und  mit  Häresie  und  Schisma  nicht  befleckt  sei. 
„  Ferner  werde  die  Wirkungskraft  der  Kirche,  Priester  zu  weihen 
und  Sakramente  zu  spenden,  weder  durch  ein  Schisma  noch  durch 
eine  Häresie  aufgehoben;  denn  Bedingung  für  die  Wirksamkeit 
der  Sakramente  sei  aufseiten  der  sie  verwaltenden  Priester  nur 
die  Absicht  (intendant),  zu  thun,  was  Christus  und  die  Kirche 
angeordnet  haben,  und  aufseiten  der  Empfanger  die  Absicht,  das 
Sakrament  in  demselben  Sinne  anzunehmen.  Daher  dürfen  sich 
die  Anhänger  beider  Obödienzen  nicht  gegenseitig  vom  Anhören 
der  Messe  und  von  der  Teilnahme  an  den  Sakramenten  aus- 
schließen. Im  Gegensatze  zu  solchem  lieblosen  Richten  erklärt 
es  der  Verfasser  für  möglich,  dafs  man  zwar  dem  jetzt  nicht 
irrenden  Teile  der  Christenheit  äufserlich  angehöre,  aber  doch 
innerlich  ein  Schismatiker  sei,  und  umgekehrt.  Daher  er- 
klärt er  es  für  unbesonnen  und  gefährlich,  dafs  die  eine  Partei 
die  andere  generell  bekämpfe  und  von  der  Gemeinschaft  mit  ihr 
zurückweiche. 

Auf  diesen  Versuch  zur  Beruhigung  der  Gewissen  folgt  ein 
ausführlicher  praktischer  Vorschlag:  Statt  dafs  die  Obödienzen 
der  streitenden  Päpste  durch  Exkommunikation  oder  andere  Mittel 
gequält  werden  und  sich  gegenseitig  die  Gemeinschaft  verweigern, 
ist  es  heilsamer,  gerechter  und  sicherer,  die  Union  der  Kirche 
zu  erstreben,  indem  man  auf  die  Prätendenten  selbst  einwirkt 
Dafür  schlägt  der  Verfasser  1)  den  Weg  der  Cessio  beider  Päpste 
oder  2)  den  der  Obödienzentziehung  oder  endlich  3)  den  eines 
andern  erlaubten  Zwanges  vor  („viam  cessionis  utriusque 
vel  substractionis  oboedientiae  aut  alterius  licitae 
coactionis").  Wo  nämlich  das  Übel  des  Schismas  seinen  Ur- 
sprung habe,  da  müsse  es  entwurzelt  werden.  Denn  die  Streiten- 


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TSCHACKERT,  EINE  ANGEBLICH  AILLISCHE  SCHRIFT.  239 


den  selbst  seien  es,  welche  gesündigt  haben;  sie  haben  den  Sturm, 
welcher  sich  auf  dem  Ozean  der  Kirche  erhob,  verschuldet,  sind 
daher  auch  bei  ihrer  Seligkeit  verpflichtet,  das  Ärgernis,  welches 
sie  gegeben  haben  und  noch  geben,  hinwegzuräumen. 

So  sucht  der  Verfasser  zugleich  mit  der  Beruhigung  der  Ge- 
wissen auf  die  Herbeiführung  der  Einheit  der  Kirche  hinzu- 
arbeiten. 

Ob  diesen  Gedanken  eine  geschichtliche  Bedeutung  zukomme, 
werden  wir  erst  untersuchen  können,  wenn  wir  über  die  Zeit  ihrer 
Entstehung  genügend  sicher  zu  urteilen  vermögen. 

Die  Zeit  der  Entstehung  des  Traktates. 

Es  geschah  am  30.  Juni  1394,  dafs  von  der  französischen 
Regierung  zn  Paris  ein  Universitätsgutachten  angenommen  wurde, 
welches  drei  Wege  zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit  em- 
pfahl: 1)  die  freiwillige  Cession  beider  Päpste,  2)  einen  Kompro- 
niis (?or  einem  Schiedsgericht),  3)  als  äußerstes  Mittel  ein  all- 
gemeines Konzil.  Mit  Nachdruck  wurde  der  erste  Weg  empfohlen, 
weil  er  der  einfachste  und  sicherste  sei.  In  diesen  drei  Vor- 
schlägen aber  sah  die  Universität  selbst  die  Zusammenfassung 
aller  ihrer  Bemühungen  zur  Herstellung  der  kirchlichen  Einheit 
seit  sechzehn  Jahren  K  Dennoch  ist  alsbald  die  französische 
Kirchenpolitik  über  die  Linie  dieses  Vorschlages  hinausgegangen, 
ja,  hat  ihn  ganzlich  hinter  sich  gelassen,  indem  1398,  da  die 
feierliche  Cession  nicht  zn  erreichen  war,  nicht  der  zweite  oder 
der  dritte  von  der  Universität  empfohlene  Weg  betreten,  sondern 
—  ein  völliges  Novum  —  die  Obödienzentziehung  beschlossen 
und  Frankreich  in  kirchlicher  Hinsicht  für  neutral  erklärt  wurde. 
Die  Anwendung  dieser  Gewaltmafsregel  ist  auf  die  Initiative  des 
Herzogs  Philipp  von  Burgund,  des  mächtigsten  Mitgliedes  der 
Staatsregierung  unter  dem  geisteskranken  Könige  Karl  VI.,  mit 
gntem  Grunde  zurückzuführen  *.  Es  lag  nämlich  im  Interesse 
der  burgundischen  Hauspolitik,  möglichst  schnell  die  Union  der 
Kirche  herbeizuführen.  Denn  während  das  Herzogtum  Burgund 
mit  Frankreich  zu  dem  avignonischen  Papste  hielt,  erkannte 
die  Grafschaft  Flandern,  welche  Philipp  1384  geerbt,  aber  erst 
1385  mit  Waffengewalt  sich  unterworfen  hatte,  mit  England  den 


1)  Vgl.  Schwab,  Gereon  (1858),  S.  130ff.  —  Tschackert,  Peter 
von  Ailli  (1877),  S.  89.  —  Th.  Müller,  Frankreichs  Unionaversuch 
unter  der  Regentschaft  des  Herzogs  von  Burgund  (Gütersloh,  Progr. 
1881),  S.  9.  —  B.  Befs  a.  a.  0.  S.  37ff. 

2)  Belege  bei  Th.  Müller  a.  a.  O.  S.  12ff.  —  K.  Müller  in 
Zeitschr.  f.  K.-G.  VIII,  232 f.  —  Befs  a.  a.  0.  S.  27 ff.  33 ff. 


240 


AXALEKTEX. 


römischen  Papst  als  den  rechtmäßigen  an  l.  Das  war  für  den 
Beherrscher  des  Landes  ein  unerträglicher  Znstand,  welcher  im 
Notfall  durch  Anwendung  von  Gewalt  beseitigt  werden  sollte. 
Unter  solchen  Umständen  lautet  das  kirchenpolitische  Programm 
des  Burgunders  nicht  wie  das  der  Universität  „Cession,  Kom- 
promiß oder  Generalkonzil ",  sondern  „Cession  oder  Obödienz- 
entziebung",  und  mit  dieser  Forderung  ist  er  1398  durchge- 
drungen ;  die  Substraktion  erscheint  als  der  Sieg  der  burgundischen 
Kirchenpolitik. 

In  diese  Verhältnisse  spielt  Gersons  Traktat  hinein;  er  wird 
in  dieser  Zeit  entstanden  sein. 

Damals  gehörte  nämlich  Gerson  zu  den  Vertrauenspersonen 
des  Herzogs  von  Burgund,  welcher  als  Begent  ihn  mehrere  Jahre 
in  seiner  Umgebung  bei  Hofe  hielt,  ihm  nach  Aillis  Beförderung 
zum  Bischöfe  von  Cambrai  1397  die  Kanzlerwürde  der  Universität 
Paris  verschaffte  und  ihm  um  dieselbe  Zeit  die  Dechantenstelle 
zu  Brügge  in  Westflandern  als  Pfründe  verlieh;  im  Oktober  1397 
erschien  Gerson  in  einer  Deputation  seines  Kapitels  vor  dem 
Herzoge  *.  Wenn  nnn  in  unserm  Traktat  gleich  im  Anfang  ein 
heftiger  Angriff  auf  die  Flanderer  vorkommt,  dafs  sie  „verderb- 
liche Spaltungen  anrichten  und  die  brüderliche  Liebe  verletzen, 
indem  sie  die  Leute  von  dem  pflichtmäfsigen  Gehorsam  gegen  ihre 
unmittelbaren  und  gewissen  Vorgesetzten  abbringen*4  3;  wenn  so- 
dann der  Vorschlag  gemacht  wird,  „im  Gegensatz  zu  den  beiden 
päpstlichen  Prätendenten  die  Einheit  der  Kirche  auf  einem  der 
drei  Wege,  Cession  beider  Päpste,  Gehorsamsentziehung  oder  An- 
wendung eines  anderen  erlaubten  Zwanges,  zu  erstreben4:  so 


1)  VrI.  Th.  Müller  a.  a.  0.  S.  4  nach  Barante,  Histoire  des 
ducs  de  Bourgogne  (Brüssel  1838),  T.  I,  p.  61  ff.  87  ff. 

2)  Schwab  a.  a.  0.  S.  97. 

3)  Gersonii  op.  T.  II,  p.  3C:  Ad  tollendam  quorundatn  in  prae- 
senti  schismatt'  pertinaciam  improbitatemque  nimiam,  specialiter  in 
Flandrienses  <so  liest  der  Codex  Casanatensis ;  Dupin  hat  „in  patria 
Flandrensi4',  was  aber  wohl  ,.in  parte  Fland:onsi "  gelesen  werden 
mufs>,  qui  <so  der  Cod.  Cas. ;  Dupin:  si>  pro  incertis  <so  Cod.  Cas. 
Dupin:  meritis>  aut  falsis  assertinnibus  suis  ineptissima  <so 
Cod.  Cas. ;  Dupin:  certissima>  et  pernitiosissi  nia  Schismata  for- 
mant  et  fraternam  violant  charitatem.  dum  homines  ab 
o  1) o e d i e n t i a  d e b i t a  superiortnu  suorum  i m ni e d i a t o r u in  et 
certorum  retrahunt  etc.:  dignum  duxi  ...  quaedaiu  fundamentaliter 
per  me  posita  . . .  proponere. 

4)  a.  a.  0.  S.  4A:  „Salubrius.  iustius  et  tutius  est,  quaerere  uni- 
tatem  ecclesiae  insistendo  contra  contendentes  de  papatu,  et  hic  per 
viam  cessionis  utriusque  vel  subtractionis  oboedientiae 
vel  alterius  licitae  coactiouis,  quam  subditos  per  excomruuni- 
cationis  censuram  vel  aliter  vexare  seti  turbare,  aut  quod  una  pars 
christianitatis  ab  alterius  communione  pertinaciter  separetur." 


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TSCHACKEKT,  EINE  ANGEBLICH  AILLISCHE  SCHRIFT.  241 


sprechen  diese  beiden  Umstände  dentlicb  für  das  damalige  bnr- 
gondische  Interesse  Gersons.  —  Nehmen  wir  hinzu,  dafs  in  nn- 
serm  Traktat  die  in  Frankreich  1398  vollzogene  ObÖ- 
dienzentziehung  nicht  erwähnt  wird,  so  dürfen  wir  die 
Entstehung  desselben  vor  diesem  Ereignis  ansetzen.  Das  Jahr 
1398  wäre  demnach  der  äufserste  „Terminus  ad  quem"  unserer 
Untersuchung.  Rückwärts  aber  werden  wir  nicht  bis  zu  dem  Jahre 
1385,  wo  Flandern  burgundisch  wurde,  zurückgehen  dürfen,  auch 
nicht  einmal  bis  zum  Jahre  1394,  weil  damals  Gereon  noch  auf 
dem  Standpunkte  des  Universitätsgutachtens  stand  l.  Dann  bleibt 
nur  die  Zeit  zwischen  1395  und  1398  übrig,  in  welcher  der 
burgundische  Herzog,  in  dessen  Diensten  Gereon  stand,  seine  das 
offizielle  Universitätsgntachten  beiseite  lassende  Kirchenpolitik 
trieb;  möglich  ist  es  weiter,  dafs  unsere  Schrift  1396  oder 
1397  entstand,  als  Gereon  selbst  durch  seine  Ernennung 
zum  Decbanten  in  Brügge  auch  persönliches  Interesse  an  der 
kirchlichen  Haltung  Flanderns  hatte,  und  die  vorhin  angeführte 
Stelle,  worin  er  6einem  Unmut  über  die  Flandrer,  welche  die 
Leute  „von  dem  schuldigen  Gehorsam  gegen  ihre  unmittelbaren 
und  gewissen  Vorgesetzten  abbringen",  unverhohlenen  Ausdruck 
giebt,  klingt  allerdings  so,  als  ob  er  nicht  blofs  für  den  Herzog 
von  Burgund,  sondern  auch  für  sich  selbst  spreche. 

Danach  dürfte  die  Schrift  ohngeffthr  in  die  Jahre 
1396  oder  1397  gehören2. 

Gegen  diese  Zeitbestimmung  kann  der  Umstand  sprechen,  dafs 
in  dem  Traktate  zweimal  „Neutrales"  erwähnt  werden,  d.  h.  die- 
jenigen Katholiken,  welche  sich  weder  für  den  einen  noch  für 
den  andern  Papst  entscheiden;  aber  daraus  folgt  noch  nicht,  dafs 
eine  solche  Neutralitätspartei  schon  da  ist;  sie  kann  recht  gut 
nur  hypothetisch  gemeint  sein,  und  der  Gedanke  an  Substraktion 
der  ObÖdienz  lag  ja  seit  Jahren  in  der  Luft. 

Schwerer  wiegt  auf  alle  Fälle,  dafs  gerade  gegenüber  den 
Flanderern,  welche  von  der  ObÖdienz  des  römischen  Papstes  ab- 


1)  Schwab  a.  a.  0.  S.  126 ff.  —  Befs  a.  a.  0.  S.  34f. 

2)  Schwab  a.  a.  0.  S.  155  legt  sie  in  das  Jahr  1398  oder  1399, 
und  Befs  folgt  ihm  in  dieser  Zeitbestimmung  a.  a.  0.  S.  37.  Schwab 
begründet  seine  Ansicht  aus  dem  ganzen  Inhalt  der  Schrift  im  allge- 
meinen und  speziell  aus  dem  Ausdruck  „in  patria  Flandrensi '* ;  aber 
ob  Gerson,  der  aus  Gerson  in  Rethel  stammte,  Flandern  sein  Vaterland 
nennen  konnte,  selbst  nachdem  er  Dechant  von  Brügge  geworden  war, 
ist  zweifelhaft;  ferner  dürfte  die  Lesart  Dupins,  wie  ich  oben  schon 
angab,  zu  beanstanden  sein;  denn  da  der  Cod.  Casanatensis  an  dieser 
Stelle  „  in  Flandrienses  "  liest,  vermute  ich,  dafs  in  der  Vorlage  Dupins, 
welcher  oft  fehlerhafte  Lesarten  bietet,  die  Worte  „in  parte  Flandrensi'* 
gestanden  haben. 


Z«it*chr.  f.  K.-O.  XVU,  l  u.  *. 


lü 


242 


ANA  LEUTEN. 


gebracht  werden  sollten,  die  Neutralitätserklärung  Frank- 
reichs, welche,  wenn  sie  bereits  geschehen  wäre,  kaum  hätte 
verschwiegen  werden  können,  nicht  erwähnt  wird. 

Gehurt  der  Traktat  danach  in  die  Zeit  vor  1398,  so  modi- 
fiziert sich  seine  geschichtliche  Bedeutung  nicht  unerheblich. 

Die  jB^eschlcht liehe  Bedeutung  des  Traktates. 

Mit  Recht  hat  man  die  Selbständigkeit  der  Kirchenpolitik  des 
kühnen  Herzogs  Philipp  von  Burgund  anerkannt;  allerdings  mögen 
ihn  die  Interessen  seiner  Hauspolitik  (nach  dem  Erwerbe  Flan- 
derns für  Burgund)  auf  seinen  eigenen  Weg  auch  auf  kirchlichem 
Gebiete  geführt  haben;  aber  der  Erfolg  des  Jahres  1398  sprach 
doch  für  die  Realisierbarkeit  seiner  Gedanken.  Und  gegenüber 
den  egoistischen  Prätendenten  des  Papsttums  waren  Badikalmittel 
durchaus  am  Platze:  die  streitenden  Päpste  sollten  durch  An- 
wendung von  Gewaltmafsregeln  zur  Herbeiführung  der  Einheit 
der  Kirche  gezwungen  werden.  So  berührten  sich  die  Interessen 
der  burgundischen  Hauspolitik  mit  denen  der  Gesamtkirche;  und 
für  sie  zu  arbeiten  war  eine  höhere  Autgabe  als  dem  Nutzen  des 
einen  oder  andern  Prätendenten  zu  dienen.  Auch  gehörte  mehr 
Mut  dazu,  gegen  den  avignonischen  Starrkopf  Benedikt  XIII. 
Gewaltmafsregeln  anzuraten,  als,  wie  es  Ailli  gleichzeitig  that, 
von  ihm  sich  reiche  Pfründen  schenken  zu  lassen.  Es  ist  das 
Verdienst  Gersons,  den  schwächlichen  Universitätsstandpunkt  von 
1394  verlassen  und  dem  charaktervollen,  energischen  Programm 
des  Burgunders  beigetreten  zu  sein.  Dies  beweist  unser  Traktat 
Er  hat  weiter  für  das  burgundische  Programm  in  der  öffentlichen 
Meinung  Propaganda  gemacht  und,  wenn  unsere  Zeitansetzung 
richtig  ist,  gerade  durch  diesen  Traktat  die  Substraktion  von 
1398  vorbereitet 

Von  dem  hier  aufgestellten  Programm,  entweder  Cession  beider 
Päpste  oder  Substraktion  der  Obödienz  oder  „Anwendung  eines 
anderen  erlaubten  Zwanges  (altera  licita  coactio) 
gegen  sie"  ist  bis  zu  der  Forderung  der  Absetzung  eines 
Papstes  nur  ein  kleiner  Schritt  auf  geradem  Wege.  So  enthält 
diese  „  Determinatio "  auch  schon  den  Keim  der  Schrift  Gersons 
„De  auferibilitate  papae".  Als  dann  1415 — 1417  zu  Konstanz 
die  Notwendigkeit  eintrat,  diesen  Gedanken  zu  verwirklichen,  ist 
Gerson  davor  nicht  zurückgeschreckt  Im  Zusammenhange  mit 
diesen  späteren  Thatsachen  liefert  unsere  Schrift  einen  deutlichen 
Beweis  für  die  Charakterfestigkeit  des  Kirchenpolitikers  Gerson; 
sie  enthält  weit  mehr  als  eine  Anleitung  zur  „Beruhigung  der 
Gewissen  der  Einfaltigen";  denn  sie  ermutigt  die  Leser,  mit  den 


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TSCHACKERT,  EINE  ANGEBLICH  AJLLISCHE  SCHRIFT.  243 


streitenden  Päpsten  im  Notfalle  knrzen  Prozefo  zu  machen.  So  ist 
es  auch  schließlich  geschehen. 

Zum  Schlüsse  folgen  hier  die  wichtigsten  Varianten 
des  Codex  Casanate nsis;  sie  beziehen  sich  auf  diejenigen 
Stellen,  wo  Du  Pin  anscheinend  falsch  liest. 


Du  Pin 
(in  Oersonii  opera  T.  II,  p.  3sqq.). 

p.  3B:  Titel:  „Tractatus  super 
praesenti  schismate "  und 
„Sententia  de  modo  habendi 
se  tempore  schismatis." 

p.  3C:  specialiter  in  patria 
Flandrens},  si  pro  meritis  ant 
falsis  assertionibus  suis  cer- 
tissima  et  pemiciosissima 
Schismata  formant. 

p.  4A:  in  schismate  praesenti 
tarn  dubio. 

p.  4A:  neutrales  etiam  abso- 
lutos. 

p.  5A:  quin  etiam  suppletis  eis. 


6  A :  Altera  pars  conclusionis 
patet 

6  8 :  singularitas  in  opinione 
propriacontumaciteralios  con- 
demnans  incomparabiliter  vi- 
detur  esse  periculosior. 

6  B :  nec  oportet  allegare  iura. 
6B:  sententiis  alligati. 
7A:  communiter  loquendo. 

7  B :  ista  diversitas. 

7B:  Am  Schlüsse  des  ge- 
druckten Textes  steht  eine 
Strophe  „Fac  pacem"  bis 
„mi8erere  sui". 


P- 
p. 

P- 
P- 
P- 


Cod.  Cas. 

.  „Determinatio  pro  quieta- 
tione  conscientiae  simplicium." 


.  specialiter  in  Flandrienses, 
qui  pro  incertis  ac  falsis 
assertionibus  suis  ineptissima 
et  perniciosa  scismuta  for- 
mant. 

.  in  scismate  dubio. 

.  neutrales  et  {adversarios^ 
(Handschr.  adu't'os). 

.  immo  etiam  praesuppositis 
eis. 

.  Secunda  pars  patet. 

.  singularitas  in  opinione  pro- 

pria  contumaciter  alios  con- 

temnens  et  condemnans  in 

comparatione  est  periculosior. 

.  nec  obstat  allegare  iura. 

.  sententiis  obligati. 

.  consequenter  loquendo. 

.  ista  dubietas. 

.  Diese  Strophe  fehlt.  Die 

Handschrift  endigt  mit  „inter- 

secant  et  confundunt  etc." 


16* 


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ANALERTEN. 


Anhang: 

Cber  das  tittttinger  Initien- Verzeichnis. 

Mitteilung  des  Herrn  Kollegen  Prof.  Dr.  Wilh.  Meyer 

(aus  Speyer). 

Dies  wissenschaftliche  Hilfsmittel  hat  Andreas  Sc h melier 
erdacht  und  ausgeführt.  Zu  seinen  grofsartigen  Arbeiten  für  die 
Beschreibung  des  unschätzbaren  Handschriftenschatzes  in  München, 
welche  Konrad  Hofmann  in  der  Denkrede  auf  Schmeller 
(Münchener  Akademie  1885,  S.  24/6  und  29/36)  skizziert  hat, 
gehört  ein  alphabetisches  Verzeichnis  der  Initien  d.  h.  der  etwa 
sechs  ersten  Wörter  der  selbständigen  Schriftstücke  oder  Werke 
in  lateinischer  Sprache  (Kasten  357 — 398  von  Schmellers  Re- 
pertoriun  in  München).  Für  dies  Verzeichnis  sind  zunächst  die 
Münchener  Handschriften  ausgezogen  worden,  dann  besonders  die 
verlässige  Beschreibung  der  Wiener  Handschriften  von  Denis 
und  der  leider  oft  fehlerhafte  Brüsseler  Katalog.  Nach  dem  Vor- 
bild und  zum  Teil  mit  Hilfe  des  Schmellerschen  Verzeichnisses 
sind  kleinere  entstanden,  so  Wattenbachs  Initien  der  Vaganten- 
lieder, die  Wiener  Initia  patrum,  Chevaliers  Repertorium  hym- 
nologicum.  Als  ich  die  Beschreibung  der  Handschriften  in  Preofsen 
begann,  erhielt  ich  von  der  Direktion  der  Königlichen  Staats- 
bibliothek in  München  in  liberalster  Weise  die  Erlaubnis,  das 
Initienverzeichnis  kopieren  zu  dürfen.  Die  Kopie  und  eine  Neu- 
redaktion (ich  machte  z.  B.  aus  Schmellers  vier  Alphabeten  ein 
einziges),  sowie  die  Fortführung  besonders  aus  den  Göttinger 
Handschriften,  kostete  viel  Geduld  und  Zeit :  allein  diese  bat  sich 
gelohnt  und  wird  bei  Fortsetzung  der  Beschreibung  der  Hand- 
schriften sich  noch  vielfach  lohnen;  denn  solche  Fälle,  wie  der 
obige  mit  der  Schrift  des  Job.  Gerson  oder  Petrus  de  Alliaco 
werden  sehr  oft  mit  Hilfe  dieses  von  Schmeller  erdachten  In- 
strumentes schnell  und  einfach  abgemacht  Das  von  mir  redi- 
gierte Verzeichnis  befindet  sich  augenblicklich  in  Berlin ;  Göttingen 
wird  aber  nächstens  im  Besitz  einer  vollständigen  Abschrift  sein, 
so  dafs  dieses  Verzeichnis  manchen  Dienst  der  Wissenschaft  wird 
leisten  können. 


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BORSEKT,  SANGEKHAUSEN. 


245 


4. 

Sangerhauseii  in  dem  Brief  Luthers  vom 
19.  November  1521. 

Vou 

Dr.  6.  Bossert,  Pfarrer  in  Nabern. 

Eine  dunkle  Stelle,  um  welche  sich  die  Lutherforscher  mannig- 
fach bemühten,  ist  die  Äußerung  Luthers  über  Sangerhansen  in 
dem  Widmungsschreiben  Luthers  an  Graf  Albrecht  von  Mansfeld 
vom  19.  November  1521,  das  er  den  Predigten  von  Christtag  bis 
Epiphanien,  dem  Kern  der  Winterpostille,  voranschickte.  (Erl. 
Ansg.  7,  5.  53,  82.  De  Wette  2,  99.)  Luther  sagt  dort  nach 
dem  Urdruck:  „,ßo  genaw  suchen  die  heyligen  leut  vrsach  zu 
lestern  vnd  schmehen,  das  sie  auch  vbir  myr  die  frumen  vn- 
schuldigen  leutt  tzu  Sangerhufsen  der  grentz  halben  nit  haben 
laugen  vngeschendt  lassen ,  ßo  es  doch  noch  vnuorvrteyllet  ist, 
ob  Cuntz  schmid  odder  der  graw  sperling  erger  ketzer  oder  katzen 
sey."  Was  De  Wette  in  den  Nachtragen  des  dritten  Bandes  zu 
2,  99,  was  Burkhardt  S.  42  und  Enders  3,  248  zur  Erläuterung 
der  Stelle  bieten,  genügt  nicht,  um  ein  volles  Verständnis  zu 
ermöglichen,  und  führt  teilweise  ganz  irre. 

Es  ist  daher  nötig,  das,  was  Luther  über  Sangerhausen  sagt, 
in  seinen  einzelnen  Teilen  festzustellen. 

1.  Die  Stadt  hatte  einen  Grenzstreit  („der  Grentz  halben"). 
Doch  ist  nicht  klar,  ob  es  sich  dabei  um  die  Markung  oder 
Grenzen  von  Jagdrecht,  Holzrecht,  Fischrecht  oder  Parochialrecht 
handelte.  Ebenso  wenig  ergiebt  sich  aus  Luthers  Worten,  mit 
wem  Sangerhausen  den  Rechtsstreit  führte.  Doch  scheinen  die 
Grafen  von  Mansfeld  in  irgendeiner  Weise  dabei  beteiligt  gewesen 
zu  sein,  da  sonst  Luther  die  Sache  in  dem  Brief  kaum  erwähnen 
würde  Der  Streit  mufs  einen  ziemlichen  Umfang  angenommen 
und  Aufsehen  erregt  haben,  so  dafs  in  weiten  Kreisen  davon 
gesprochen  wurde.  Auffallenderweise  geben  die  bisherigen  Dar- 
stellungen der  Geschichte  von  Sangerhausen  kein  Licht  über  den 
Grenzstreit.  Doch  ist  immer  noch  zu  hoffen,  dafs  die  Urkunden 
der  Stadt,  die  Batsprotokolle  und  die  Stadtrechnungen  bei  ge- 
nauerem Nachforschen  Auskunft  geben.  Kennen  wir  einmal  den 
Gegner,  mit  welchem  Sangerhausen  zu  streiten  hatte,  so  wird 


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246 


ANALEKTEN. 


man  aach  auf  gegnerischer  Seite  noch  Aufzeichnungen  über  den 
Handel  nachspüren  dürfen.    (Ob  Herzog  Georg  von  Sachsen?) 

2.  Klar  ergiebt  sich  ans  Luthers  Worten  ;,vbir  myr",  dafs 
er  eine  gute  Anzahl  Anhänger  in  Sangerhausen  hatte,  welche 
in  der  Stadt  von  Einflufs  gewesen  sein  dürften  und  wohl  im 
Rate  safsen,  so  dafs  man  sie  für  die  Haltung  der  Stadt  in  der 
Reformationsbewegung  verantwortlich  machen  konnte.  Von  geg- 
nerischer Seite  aber  fand  man  die  Haltung  der  Stadt  durchaus 
begreiflich.  Auf  der  Leipziger  Disputation  war  es  Ecks  Bestreben 
gewesen,  Luther  mit  den  Böhmen,  „den  Pickarden",  welche  den 
Schrecken  Norddeutschlands  bildeten,  in  möglichst  nahe  Beziehung 
zu  setzen.  Eifrig  verschrieen  ihn  seine  Gegner,  wie  Augustinus 
Alveld,  als  Böhmen. 

Nun  aber  stammte  aus  dem  Eisleben,  Luthers  Geburtsort, 
benachbarten  Sangerhausen  der  Prophet  der  Thüringer  Geifeler 
Konrad  Schmid.  Dreimal  erwähnt  ihn  Augustinus  Alveld  in 
seiner  dritten  Schrift  gegen  Luther  neben  Wiclif  und  Hus  (vgl. 
die  von  De  Wette  1.  c.  beigebrachten  Stellen).  Das  zeigt,  dafs 
Ecks  Licht  in  Leipzig  nicht  umsonst  geleuchtet  hatte.  In  den 
altgläubigen  Kreisen  Sachsens  brachte  man  1520/21  die  neue 
Bewegung  mit  den  alten  in  Zusammenhang.  Man  betrachtete 
Sangerhausen  als  altes  Ketzernest,  von  wo  das  Gift  leicht  nach 
Eislehen  gekommen  sein  konnte.  So  mochte  Sangerhansen  in 
den  Augen  von  Männern,  wie  Alveld,  die  Brücke  bilden,  um  den 
Beweis  für  jenen  vermeintlichen  Zusammenhang  Luthers  mit  den 
mittelalterlichen  Ketzern  für  erbracht  anzusehen.  Für  derartige 
Geister  kommt  die  Frage  gar  nicht  in  'Betracht,  ob  Konrad 
Schmid  wirklich  mit  Wiclif  und  Hus  in  Verbindung  zu  bringen 
sei.  Ihnen  genügt  das  gemeinsame  Merkmal  des  Zerfalls  mit 
der  Kirche.  Doch  scheint  Alveld  Schmid  als  Vorläufer  von 
Wiclif  und  Hus  zu  betrachten,  denn  es  ist  gewifs  nicht  zufällig, 
wenn  er  die  Ketzerhäupter  der  letzten  Jahrhunderte  in  folgender 
Ordnung  aufführt:  Kunz  Schmid  von  Sangerhausen,  Job.  Wiclif 
und  Job.  Hus. 

3.  Aus  Luthers  Worten  ergiebt  sich,  dafs  die  Äusserungen 
Alvelds  über  Sangerhausen  auf  einen  fruchtbaren  Boden  fielen 
und  von  den  Gegnern  der  Stadt  verwertet  wurden,  so  dafs  der 
Rechtsstreit  wegen  der  Grenze  eine  ungünstige  Wendung  nahm. 
Man  mufs  annehmen,  dafs  die  Stadt  Sangerhausen  nunmehr  bei 
den  Richtern  in  ein  schlimmes  Licht  gestellt  wurde,  wobei  unent- 
schieden bleiben  mufs,  ob  die  bischöfliche  Kurie,  das  Reichs- 
kammergericht oder  ein  anderes  weltliches  Gericht  in  der  Sache 
zu  entscheiden  hatte  („vbir  myr  —  nit  vngeschendt".)  Wenn 
Luther  die  Sache  in  seinem  Schreiben  an  den  Grafen  Albrecht 
von  Mansfeld  erwähnt,  so  kann  ihn  nur  die  Absicht  leiten,  den 


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BOSSEßT,  SANGERHAUSEN. 


247 


ungünstigen  Einflute,  welchen  die  Ausstreuungen  Alvelds  auf  den 
Rechtsstreit  ausgeübt,  zu  beseitigen,  indem  er  sich  an  den  dem 
Evangelium  geneigten  Grafen  Albrecht  wandte. 

4.  Nunmehr  sind  wir  auch  in  der  Lage  festzustellen,  wer 
der  graue  Sperling  ist,  welchen  Luther  Konrad  Schmid  gegen- 
überstellt. Burkhardt  bat  auf  den  sonderbaren  Heiligen  des 
Franciskanerordens  „Kurt  Eierflicker",  Konrad  Milianus,  einen 
Schüler  des  h.  Franciskuß,  geraten,  und  Enders  ist  ihm  in  dieser 
Deutung  gefolgt.  Aber  unwillkürlich  fragt  man  sich,  was  denn 
dieser  Heilige  in  dem  Zusammenhang  von  Luthers  Worten  soll. 
Irgendeine  Ideenverbindung  mufste  doch  bestehen.  Auch  die 
Wunder  des  Eierflickers  passen  nicht  hierher.  Je  näher  man 
nachdenkt,  um  so  mehr  erkennt  man,  dafs  Burkhardts  Deutung 
auf  ein  totes  Geleise  führt,  wo  man  nicht  weiter  kommt. 

Offenbar  hatte  ihn  ein  richtiger  Gedanke  zu  weit  geführt 
Er  hatte  ganz  richtig  erkannt,  dafs  Luther  mit  dem  grauen 
Sperling  ein  Mitglied  des  Franciskanerordens  meint.  Aus  Luthers 
Tischreden  wissen  wir,  dafs  die  Tracht  der  Orden  Anlafs  gab, 
sie  mit  Tieren  zu  vergleichen.  Die  Dominikaner  wurden  teils 
mit  Elstern  teils  mit  Schwalben  verglichen,  die  Franciskaner  mit 
Sperlingen.  Erl.  A.  60,  342.  Tischreden  n.  d.  Aufzeichnungen 
Schlaginhauffens  ed.  Preger  S.  136,  n.  532,  wo  Preger  die  An- 
spielung auf  die  Franciskaner  (vgl.  das  Register)  übersehen  hat. 
Aber  offenbar  ging  nun  Burkhardt  einen  Schritt  zu  weit,  indem 
er  annahm,  Luther  wolle  dem  einen  Konrad  einen  andern  gegen- 
überstellen, und  suchte  in  dem  Franciskanerorden  einen  Konrad, 
der  sich  etwa  hierherziehen  liefse.  So  geriet  er  auf  den  heil. 
Konrad.  Ihn  in  den  Verdacht  der  Ketzerei  zu  bringen  hatte 
für  Luther  keinen  Zweck.  Für  ihn  ist  die  Frage,  ob  es  denn  für 
Sangerbausen  nachteilig  sein  könne,  dal's  es  die  Ueimat  des  Konrad 
Schmid  sei.  Gerade  auf  der  Seite,  auf  welcher  man  Sangerhausen 
damit  zu  belasten  suchte,  sollte  man  vorsichtig  sein.  Denn 
möglicherweise  konnte  sich  „der  graue  Sperling"  als  viel  grösserer 
„Ketzer"  erweisen  als  Konrad  Schmid.  Jedermann  erkennt,  dafs 
Graf  Albrecht  von  Mansfeld  niemals  an  den  h.  Konrad  denken 
konnte,  als  er  Luthers  Brief  las.  Dagegen  mufste  ihm  alsbald 
klar  werden,  dafs  der  graue  Sperling,  den  Luther  meinte,  kein 
anderer  sein  könne  als  der  Franciskaner  Alveld,  der  im  Streit 
mit  Luther  immer  wieder  auf  Konrad  Schmid  hingewiesen  hatte. 
Dafs  Lutber  Alveld  als  einen  gefährlicheren  Ketzer  ansehen 
konnte,  als  Konrad  Schmid,  wird  niemand  bezweifeln.  Für  ihn 
stand  der  Romanist  Al?eld  dem  Worte  Gottes  viel  ferner  als 
der  wahrscheinlich  ihm  noch  näher  bekannte  Schmid.  Ketzerei 
aber  war  für  Luther  jede  Abweichung  von  Gottes  Wort.  Die 
Deutung  auf  Alveld  ist  so  naheliegend,  dafs  man  fragen  möchte, 


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248 


AXALEKTEN. 


wie  Burkhard  so  in  die  Ferne  schweifen,  wie  der  vorsichtige 
Enders  ihm  folgen  konnte.  Aber  manchmal  sieht  man  den  Wald 
vor  lauter  Bäumen  nicht 


5. 

Wiedertäufer  in  Schwaben. 

Von 

Christian  Meyer. 


Der  unten  folgende,  bisher  ungedruckte  und  unbekannte  Be- 
richt 1  behandelt  das  Wiedertäufertum  in  der  Stadt  Augsburg 
und  ist  deshalb  auch  von  einer  über  das  blofse  lokale  Interesse 
hinausgehenden  Bedeutung,  weil  jene  Stadt  der  Mittelpunkt  für 
die  wiedertäuferischen  Unruhen  gewesen  ist  Nicht  ganz  zufallig. 
Fast  unmittelbar  nach  dem  Bauernkrieg  entspannen  sich  hier  die 
Faden  eines  weitverzweigten  Gewebes.  Es  ist  nicht  mit  Bestimmt- 
heit zu  sagen,  ob  Dr.  Balthasar  Uubmair  auf  seinem  Wege  (seiner 
Flucht?)  von  Eonstanz  nach  Mähren  zu  Anfang  des  Jahres  1526 
in  Augsburg  einen  längeren  Aufenthalt  genommen  hat.  Wahr- 
scheinlich ist  es,  schon  deshalb,  weil  sein  Geburtsort  Friedberg 
nur  eine  Stunde  von  Augsburg  entfernt  liegt.  Auch  der  mit 
Hubmair  von  Waldshut  aus  eng  verbfindete  Jakob  Grofs  kam  um 
dieselbe  Zeit  nach  Augsburg.  Ein  weiterer  Führer  der  wieder- 
täuferischen Bewegung,  Ludwig  Hetzer  aus  Bischofszell,  soll  schon 
im  Jahre  1524  mit  Empfehlungen  Zwingiis  nach  Augsburg  ge- 
kommen und  mit  dem  reichen  und  angesehenen  Bürger  Georg 
Kegel  in  engere  Verbindung  getreten  sein.  Eine  im  gleichen 
Jahre  veröffentlichte  Schrift  widmete  er  dem  Augsburger  Bürger 
Andreas  Bosner;  eine  zweite  wurde  1526  in  Augsburg  gedruckt 
Jedenfalls  befand  er  sich  im  Sommer  1527  in  Augsburg  und  war 
neben  Denk  und  Hütt  ein  eifriger  Verbreiter  wiedertäuferischer 
Grundsätze,  bis  er  sich  nach  Donauwörth,  vielleicht  zu  Sebastian 
Frank,  wandte  und  dann  nicht  mehr  nach  Augsburg  zurückkehrte. 


1)  Entnommen  dem  Cod.  geim.  nr.  1355  der  Münchener  Hof-  und 
Staatsbibliothek. 


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MEYER,  WIEDERTÄUFER  IN  SCHWABEN. 


249 


Hans  Denk  war,  aof  Veranlassung  Oslanders  von  Nürnberg,  wo 
er  als  „Schulmeister"  gewirkt  hatte,  ausgewiesen,  nach  Augsburg 
gekommen  und  hatte  hier  schon  im  Mai  152G  an  Hans  Hütt  die 
Wiedertaufe  vorgenommen.  Dieser  letztere  hielt  sich  damals  nur 
wenige  Tage  in  Augsburg  auf;  Anfang  Marz  1527  kam  er  zum 
zweitenmal  dahin  und  wohnte  diesmal  bei  dem  Patrizier  Eitel 
Hans  Langenmantel  und  bei  dem  Nestler  Konrad  am  Obstmarkt. 
Diese  beiden  taufte  Hütt  um  diese  Zeit,  ebenso  den  Münchener 
Sigmund  Salminger,  einen  ehemaligen  Klostergeistlichen,  und  dessen 
Ehefrau. 

Im  August  1527  ergriff  der  Rat  der  Stadt  Angsburg,  nach- 
dem er  schon  länger  das  Treiben  der  zahlreichen  Wiedertäufer 
oder  Gartenbrüder  1  aufmerksam  verfolgt  hatte,  die  ersten  Sicher- 
heitemafsregeln  gegen  dieselben.  Die  Leitung  der  peinlichen 
Untersuchung  gegen  die  Wiedertäufer  —  diese  gewifs  ebenso 
schwere  als  schmerzliche  Pflicht  —  war  dem  berühmtesten  Rechte- 
gelehrten  Augsburgs,  Dr.  Konrad  Peutinger,  übertragen.  Es  ist 
eine  der  wichtigsten  Arbeiten,  der  er  sich  noch  in  den  letzten 
Jahren  seiner  amtlichen  Thätigkeit  unterzog. 

Der  erste  Wiedertäufer,  der  im  August  des  Jahres  1527  ein- 
gezogen wurde,  war  vermutlich  Hans  Kießling,  ein  Maurer  aus 
Friedberg.  Von  ihm  erfuhr  man  die  übrigen  Mitglieder  der 
Täufergemeinde,  die  dann  alle,  wie  man  ihrer  habhaft  werden 
konnte,  als  eine  „böse  Faction"  —  wie  sie  Peutinger  nennt  — 
eingezogen  wurden. 

Unter  den  in  dieser  ersten  Zeit  gefänglich  Eingezogenen  be- 
fand sich  auch  der  ehemalige  Augustinermönch  von  S.  Anna, 
Jakob  Dachser  *.  Schon  am  folgenden  Tage  (26.  August)  hatte 
er  ein  Verhör  zu  bestehen  und  sollte  anzeigen,  ob  die  Vorsteher 
der  Wiedertäufer  noch  in  Augsburg  seien.  Seine  Aussagen  auf 
diese  wie  andere  Fragen  sind  nicht  bekannt.  Gewifs  ist  nur, 
dafs  Hans  Denk  und  Ludwig  Hetzer  entweder  schon  vorher  die 
Stadt  verlassen  hatten  oder  sogleich  auf  die  Verhaftung  Dachsers 


1)  So  genannt,  weil  sie  ihre  Zusammenkünfte  meist  in  Gärten 
hielten.  Ob  die  Angabe  des  Augsburger  Chronisten  Clemens  Sender,  es 
seien  an  1100  Menschen  in  Gärten  zusammengekommen,  um  sich  wieder- 
taufen zu  lassen,  nicht  zu  hoch  gegriffen  ist,  lasse  ich  dahingestellt. 
„Die  frawen"  —  fügt  derselbe  Chronist  bei  —  „wann  sie  getauft  wur- 
den ,  legten  sye  nider  wadt  an  wie  die  man,  dati  man  ir  schäm  nit  sech, 
sunst  wassen  sye  gantz  nackent." 

2)  Sender  berichtet,  dafs  dieser  „biß  an  das  3.  jar  in  eysen  ge- 
legen14. Dann  fährt  er  fort:  ,,er  hat  seine  junger  gelernet,  die  armut 
zu  halten,  und  nachdem  man  in  gefangen  hat,  hat  ain  rat  sein  haus 
gesuchen  lassen;  da  hat  man  ain  volls  haus  gefunden  mit  allem  dem, 
das  darein  kert,  und  mit  klaydungen,  kleinoden  und  Silbergeschirr  gantz 
reich 


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250 


ANALEKTEN. 


bin.  Hans  Hütt  kam  jetzt,  Anfangs  September,  zum  drittenmal 
nach  Augsburg  und  wurde  zugleich  mit  Jakob  GrcTs,  einem 
Kürschner  von  Waldshut,  am  15.  September  bei  einem  Weber 
an  der  Mauer  gefangen  genommen.  Auf  sein  Verhör  hin  wurde 
eine  grofse  Anzahl  anderer  Taufgenossen  eingezogen,  unter  diesen 
auch  Sigmund  Salminger.  Somit  waren  alle  Häupter  in  der  Ge- 
walt des  Bates,  nur  Denk  nnd  Hetzer  waren  entronnen. 

Zwei  Männer  sind  es,  welche  in  dem  unten  folgenden  Bericht 
eine  Hauptrolle  spielen:  Hans  Eitel  Langenmantel  und 
Hans  Hütt 

Eitel  Hans  Langenmantel  war  der  Sohn  des  Augsburger 
Bürgermeisters  Hans  Langenmantel,  verlor  jedoch  den  Vater  schon 
frühzeitig.  Nach  einer  nur  knrz  bestandenen  Ehe  begab  sich 
Eitel  Hans  nach  Frankreich,  wo  er  ein  ziemlich  lockeres  Leben 
geführt  haben  soll.  Gleich  nach  dem  Bauernkrieg  treffen  wir 
ihn  wieder  in  Augsburg,  und  zwar  als  einen  der  eifrigsten  An- 
hänger Hütts.  Ein  streng  religiös -sittliches  Leben  ist  von  nun 
an  sein  innerstes  Bedürfnis.  Noch  viele  andere  sind  durch  das 
Wiedertäufertum  von  einem  lockeren  Lebenswandel  zu  Ernst  und 
Bufse  geführt  worden:  er  ist  ohne  Zweifel  denselben  Weg  ge- 
gangen. Als  Grund,  warum  er  sich  habe  wiedertaufen  lassen, 
führt  Langenmantel  an:  „Dieweil  die  newen  predicanten  zu  Augs- 
burg, als  meister  Michel,  Hansen  Frosch  und  ander  selbs  durch 
nnd  mit  einander  zwiespaltig,  einer  Christum,  der  ander  das  oll 
oder  schmalz,  auch  liechter  nit  gebraucht  und  genommen,  hab  er 
sich  im  namen  gottes  vater,  gottes  des  suns  und  gott  des  hailigen 
geists  widertaufen  lassen.'*  Er  wurde  gefangen  gesetzt 1  und  vor 
den  Rat  gefordert,  um  daselbst  mit  den  lutherischen  Prädi kanten 
zu  disputieren.  Er  widerrief  sogleich  seine  Wiedertaufe  und  er- 
kannte die  Kindertaufe  für  recht  an.  Nnn  wurde  er  aus  seiner 
Haft  befreit,  mufste  aber  die  Stadt  auf  unbestimmte  Zeit  ver- 
lassen. Da  er  aber  auch  an  seinem  neuen  Aufenthaltsort  (Lei- 
tershofen bei  Augsburg)  fortfuhr,  Anhänger  für  seine  Lehre  zn 
werben,  so  wurde  er  am  24.  April  1528  von  dem  Hauptmann 
des  Schwäbischen  Bundes,  Diepold  von  Stein,  mit  seinem  Knecht 
und  seiner  Magd  neuerdings  gefangen  genommen,  nach  Weissen- 
born abgeführt  und  hier  samt  den  Knechten  am  12.  Mai  ent- 
hauptet, die  Magd  aber  ertränkt.  „Sie  alle  haben  widerrufen 
und  sind  im  rechten  Glauben  gestorben"  —  fügt  Sender  bei. 


1)  „Es  ist  auch  gefangen  worden"  —  berichtet  Sender  —  „von 
den  4  statknechten  Eytel  Hans  Langenmantel  in  seinem  aygnen  bans. 
Der  ist  oberherr  yber  die  widertäufer  gewesen.  Der  hat  das  podajira 
heftig,  da  satzten  in  die  statknecht  auf  ain  roB  und  fürten  in  in  die 

eysen." 


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MEYER,  WIEDERTÄUFER  IN  SCHWABEN 


251 


Hans  Hütt  war  beheimatet  zu  Hain  bei  Grimmenthal  und 
vier  Jahre  Kirchendiener  in  Bibra  gewesen.  Nach  dem  Auf- 
kommen der  reformatorischen  Ideen  betrieb  er  im  Herumziehen 
einen  Handel  mit  Flugschriften.  Bei  dieser  Gelegenheit  traf  er 
im  Jahre  1524  zuerst  in  Weilsenfels  mit  Wiedertäufern  zusammen. 
Später  trat  er  in  nahe  Beziehungen  zu  Thomas  Münzer,  reiste 
dann  längere  Zeit  in  Süddeutechland  und  Österreich  hemm,  Aber- 
all  predigend,  taufend  und  Anhänger  werbend.  Auf  diesen  Keisen 
traf  er  auch  mit  Dr.  Balthasar  Hubmair  genannt  Friedberger 
(von  seinem  Geburtsort  bei  Augsburg),  der  später  in  Wien  ver- 
brannt wurde,  zusammen.  Bei  seiner  dritten  Anwesenheit  in  Augs- 
burg wurde  er  gefangen  gesetzt  und  bestand  mehrere  peinliche 
Verhöre.  Sein  Ausgang  wird  in  dem  unten  folgenden  Bericht 
ausführlich  erzählt  „Es  haben"  —  erzählt  Sender  —  „ihrer 
viele  seinen,  wie  sie  sagten,  unschuldigen  Tod  beweint,  und  da 
man  ihn  verbrannt  hatte  und  die  Asche  in  die  Wertach  gestreut 
worden  war,  sind  die  Leute  von  seiner  Sekte  an  den  Ort  der  Brand- 
stätte gegangen,  haben  die  Asche,  die  noch  vorhanden  war,  samt 
dem  Erdreich  zusammengescharrt  und  für  Heiligtum  am  7.  Tag 
Dezember  (1527)  in  die  Stadt  Augsburg  getragen." 

Wir  lassen  jetzt  den  Bericht  selbst  sprechen. 

• 

Aigentliohe  besohreibang  der  handlangen,  so  sieh 
mit  den  widertenfern  zu  Augspurg  zugetragen  und 

werlanfen  hat,  wie  volgt. 

Wie  zw  Augspurg  und  an  andern  vil  orten  eiu  grosser  irsal, 
irmng  und  Spaltung  im  glauben  auferstanden  den  widertauf  be- 
langen!. 

■ 

Anno  1527  jar,  am  frieling,  kamen  etliche  frembde  man  her 
ghen  Augspurg,  die  khamen  zu  etlichen  webem  und  sunst  an- 
dern leuten  und  prodigeten  inen  in  iren  heusern  und  künden  vil 
sprich  aus  der  hailigen  Schriften  und  sagten,  sy  weren  von  gott 
gesandt,  und  hielten  für,  wie  der  kinder  tauf  nichts  were,  man 
miesse  sie  wiederumb  taufen  lassen.  Darauf  zohen  sy  vil  Schriften 
ans  dem  alten  und  neuen  testament,  sagten  von  nachvolgung  im 
creuz  und  nachfolgung  Christi  und  briederlicher  liebe.  Es  sagten 
auch  etlich  under  inen,  wie  alle  ding  selten  gemein  seien;  doch 
hielten  das  der  wieniger  thail  derselben.  Und  wiewol  sy  under 
einander  auch  vil  guts  dings  sagten,  so  theten  sy  solich  ir  ding 
also  baimlicher  weis,  das  werde  aber  sich  also  heimlich  ausbreiten, 
daß  einer  dem  andern  dazu  saget    Und  khamen  also  bey  nacht 


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252 


AXALEKTEN. 


und  am  morgen  gar  frue  in  heusern,  auch  in  gärten  zusameu, 
predigeten  und  tauften  einander.  Das  triben  sy  also  ain  kleine 
zeut,  daß  ein  ratb  nichts  darum b  west  Doch  ward  ain  rath 
soliches  gewar  nnd  beschickt  die,  so  also  in  heusern  zusamen 
komen,  und  befraget  sy,  was  da  gehandlet  wurde:  die  zeigten 
an,  wie  sy  nichts  theten  dan  das  evangelium  lehren,  redeten  dar- 
von  und  underwisen  einander  im  wort  gottes;  und  welicher  dan 
das  wort  gottes  bericht  were  und  dem  Herren  im  creuz  und  lei- 
den, was  iine  der  Her  auflegte,  willigelich  nachzuvolgen  und 
tragen  wolte,  auch  allen  menschen  guet  thon,  der  mecht  sich 
lassen  zeichnen,  und  wer  das  zaichen,  daß  sy  mit  einem  wasser 
ainem  ein  creuz  an  die  stiroe  machten.  Und  das  ding  nam  gar 
vast  under  dem  gemeinen  man  zu,  daß,  wo  ein  rath  nit  darein 
gesehen,  in  kurzer  zeut  der  mebrer  theil  des  gemeinen  volks  der 
secten  wem  angehangen  nnd  vertiert  worden.  Den  es  zog  sich 
all  ir  ding  auf  vast  grosse  hilf,  daß  jederman  dem  andern  thon 
solt  aus  briederlicher  liebe.  Und  wo  nit  zu  besorgen  gwesen, 
daß  ander  ding  dahinder  gesteckt,  so  mecht  bei  dem  gemeinen  man 
nichts  änderst  gedacht  sein,  die  sach  were  £anz  gnot  und  recht. 

Sobald  aber  ein  rath  oder  die  bnrgermeister  sich  der  Sachen 
erfarn  und  gewar  wurden,  wer  dieselben  herkommen  leut  waren 
und  daß  sy  vor  an  den  orten,  da  man  das  wort  gottes  lauter 
prediget,  vertriben  und  nendert  gedult  werden  mochten,  allain 
von  ires  fürnemens  wegen,  da  gebot  ein  rat  denselben,  so  solich 
leut  gehauset  haben,  daß  sy  soliches  abstenden ,  solicher  und  der 
gleichen  leyt  miessig  ghen  und  nit  herbergen  solten;  das  sy  zu 
thon  zusagten. 

Des  gleichen  Hessen  die  bnrgermeister  dieselben  frembden,  so 
vil  man  da  erfaren  und  ankörnen  mocht,  beschicken  und  für  sy 
bringen;  da  ward  gesagt,  daß  sy  sich  solten  aus  der  statt  thon, 
ire  pfening  nit  hie  verzern;  dan  wa  sy  weiter  zn  Aogspurg  be- 
treten oder  erfarn  wurden,  so  wurd  änderst  mit  inen  gehandlet; 
das  sagten  sy  auch  zu  thon  zue. 

Und  seind  das  die,  mit  denen  geredt  worden  ist,  des  dings, 
auch  der  frembden  Winkelprediger  und  widerteufer  miessig  zu 
sten:  Gall  Viecher,  weber,  Kisling,  maurer,  Eytel  Hans  Lange- 
mantel, ein  krank  man,  Endris  Widholtz  der  hucker  Zunftmeister, 
Laux  Vischer,  Hafner,  der  zimerleut  Zunftmeister. 

Und  auf  soliche  handlung  versach  sich  ein  raths  nichts  än- 
derst dan  daß  soliches  gar  gestilt  sein  solte.  Da  belieben  aber 
dieselben  frembden  hie  und  wurden  also  vom  volk  heimlich  ent- 
halten, selten  mehr  dan  ain  tag  oder  nacht  an  einem  ort.  Und 
hielten  wider  bey  nacht  und  tag  in  gärten  und  an  andern  orten 
versamlungen,  dafs  vil  volks  zusamen  kam.  Des  ward  ain  rath 
wider  gewar.    Und  an  einem  suntag  frue  ließ  ein  rath  dem  Gall 


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MEYER,  WIEDERTÄUFER  IN  SCHWABEN. 


253 


Viseber,  weber,  in  sein  baue  fallen:  da  wurden  gefanden  bis  in 
60  personen,  man  und  weib,  aueb  etliche  der  gesellen,  denen 
vor  die  burgermeister  die  statt  selber  under  äugen  verpoten  hot- 
ten, die  sieb  vorsteer  nennten  der  cbristenlichen  gemein.  Nemlich 
einer  biesse  Hans  Huet  und  einer  Jacob  Kirschner,  was  auch  ein 
kirschner;  die  wurden  gefangen  und  in  die  eysen  gelegt,  die  an- 
dern aber  muesten  geloben,  dafs  sy  sich  für  ain  rath  stellen 
gölten;  das  tbaten  sye. 

Als  sy  sich  nun  stelleten,  Hesse  sy  ain  rath  alle  hinein  und 
ward  ain  jeder  gefragt,  ob  er  tauft  were  und  von  wem.  Da 
erfand  sich,  daß  der  mehrer  thail  wider  getauft  was;  die  Hesse 
man  an  ain  ort  sten,  und  die  so  nit  wider  getauft  waren,  auf 
ein  ander  ort. 

Und  ward  inen  also  rurgehalten  erstlichen  denen,  so  nit  wider 
getauft  waren  ond  doch  bey  den  winkelpredigen  gewesen  warn: 
nemlichen  welicbe  wolten  geloben,  daß  sy  das  dings  wolten  ab- 
sten  und  hinfüro  miessig  gben,  sich  weiter  nit  taufen  lassen,  so 
wolt  sy  ain  rath  zu  gnaden  aufnemen;  das  that  derselben  der 
mehrer  thail. 

Darnach  ward  denen,  so  wider  getauft  worden,  gesagt  und 
mit  ernst  fürgehalten :  ain  erbar  rat  hette  und  hielt  mit  ganzem 
grund  darfür,  daß  solicher  widertauf  wider  gott  were  und  sy 
betten  also  wider  gott  und  einen  erbaren  rat  getban,  und  hett 
ain  rat  erkannt  und  also  angesehen,  daß  sy  solten  schweren  ain 
ayd  zu  got  dem  allmechtigen,  daß  sy  ir  leib  und  guet  nit  wolten 
verkeren  oder  verendern  ohne  aines  raths  wissen  und  willen. 
Zum  andern:  daß  sy  hinfüro  solicher  Sachen  miessig  stan  und 
nit  mehr  zu  solichen  winkelpredigen  und  rottierungen  gen  und 
was  an  solichen  Sachen  hieng  miessig  ghen  solten. 

Als  nun  denselben  getauften  solichs  ward  fürgehalten,  da 
waren  ir  etlich  under  inen,  die  sagten,  sy  wolten  nit  schweren, 
und  als  sy  gefragt  wurden ,  warumb  sy  nit  schweren  wolten, 
sagten  sy,  ir  gaist  sagte  in  nit,  daß  man  solt  ayd  schweren,  es 
stunde  auch  in  der  sebrift,  man  solt  mit  nichten  schweren;  und 
dergleichen  sagten  sy  gar  vil.  Dagegen  ward  inen  vast  vil 
gueter  dings  gesagt,  aber  under  inen  warn  etlich,  die  warn  gar 
halssterk  und  beliben  stetz  für  und  für  auf  irer  meinung.  Da 
ward  ein  rath  bewegt  und  Hesse  alle  die  fordern ,  die  wider  ge- 
tauft worden,  und  in  die  rathstuben  kommen.  Und  ein  rat  hette 
vor  darzu  auch  verordnet  die  vier  predigkanten,  so  das  evan- 
gelium  predigen,  nemlich  doctor  Urban  Begium,  doctor  Steffan, 
doctor  Hans  Frosch  und  maister  Michel,  die  zeigten  inen  durch 
die  heilig  geschrift  an,  daß  sy  irten  und  der  widertauf  wider  gott 
und  die  sebrift  were,  auch  der  kindertauf  recht  were.  Dargegen 
beliben  sy  auf  irer  meinung,  dafs  der  kindertauf  nit  recht  were, 


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254 


ANALE  K  T  EN. 


Sündern  man  miest  sy  wider  taufen  lassen.  Und  werdt  solich 
gesprech  etwan  wenige  stund;  es  half  aber  wienig  an  inen.  Es 
ward  auch  da  gepraucht,  daß  man  der  oberkayt  schwern  solt: 
die  halsterigen  aber  harten  stetz  für  und  für  auf  baider  mainung* 
des  widertaufs  und  schwerens  halben. 

Also  nach  vil  gehabter  mie  und  arbayt,  so  ain  rath  gehabt 
aus  treyem  mitleyden,  kunt  doch  ein  rath  nit  hinumb  und  ließ 
sy  fragen,  weliche  schwein  wolten,  die  solten  in  ain  andern 
stuben  ghen  und  warten,  was  ein  rath  mit  inen  weiter  handien 
wurde.  Da  stunden  der  mehrtbail  an  ain  ort  und  erbuten  sich 
zu  schweren.  Under  denselben  war  des  Hegels  weyb,  von  ir 
gepurt  ein  Manlichen,  und  Laux  Miller,  ein  kaufman,  und  sein 
weib  und  Alexander  Wirschings  weib,  ein  Meyerin  von  geburt, 
sunst  gar  nichts  von  namhaftem  volk:  die  schwuren  zulest 

Die  andern,  so  man  in  die  stuben  geschafft  hatte,  Hesse  sy 
ein  rath  nochmalen  gar  treulich  warnen  und  underweisen.  Und 
als  gar  nichts  half,  da  ließ  sie  ain  rath  alle  aus  der  statt  fieren 
und  verbot  inen  die  statt.  Da  stelleten  sy  sich,  als  ob  inen 
gar  nichts  daran  lege,  und  trösteten  ainander.  Und  waren  der- 
selben pershonen  bis  in  die  40  und  verHessen  also  weib,  man 
und  kinder. 

Nach  solichem  allem  ließ  ein  rath  za  Augspurg  ein  beruef 
ausgcn  und  den  öffentlichen  anf  allen  pletzen  beriefen:  daß 
meniglich  solt  gewarnet  sein,  sich  vor  den  widertauf  nieten 
und  sich  nit  wider  taufen  lassen,  auch  ir  rottierung  und 
winkelpredigens  miessig  sten  in  all  weg,  auch  der  winkel- 
prediger  oder  der  widerteufer  keinen  weder  behausen  noch  hofen, 
auch  weder  essen  noch  trinken  geben,  sunder  solicher  leut  und 
des  handels  gar  ab  und  miessig  sten:  dan  wa  ein  rath  soliches 
erfier,  gegen  denselben  mechte  ain  rath  mit  ernstlicher  straf 
handien;  darnach  solt  sich  menigklich  wissen  zu  richten,  mit 
mehren  anhang. 

Auf  soliches  belib  ein  kleine  zeut  ansten,  daß  es  des  dings 
halben  still  was.  Und  doch  kam  Hans  Hut  und  der  Kirschner 
Waltzhudt,  denen  vor  die  statt  durch  die  purgermeister  verpoten 
Warden,  wider  herein  und  kamen  gen  dem  Eytelhans  Langen- 
mantel.  Der  was  ain  ganz  krank  man  und  kunt  nit  ausgen. 
Den  überredten  sy  auch,  daß  er  sich  Hesse  taufen.  Sy  kamen 
auch  gen  den  Endris  Widtholtz,  der  Hucker  zunftmaister,  und 
Laux  Haffhern,  der  zimerleyt  Zunftmeister,  und  gen  dem  Gall 
Vischer,  ain  weber,  und  gen  dem  Hans  Kisling,  ein  maurer  und 
wirt.  Das  ward  ain  rath  innen  und  Hesse  der  Langenmantel  und 
bede  Zunftmeister,  Gall  Vischern  und  Kieling  rohen,  und  nach 
langer  handlung  verbot  man  inen  die  statt  Und  Eytel  Hans 
Langenmantel  kauft  zu  Leytershofen  ein  heyslin,  da  aas  er  etliche 


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MEYER,  WIEDERTÄUFER  IN  SCHWABEN. 


255 


wuochen,  wie  dan  hernach  volgen  wirt.  Weiter  aber  der  wider- 
taufer  ward  kainer  betreten. 

Das  stond  aber  etlich  wuochen  an,  fieng  sich  wider  an  in  des 
Gall  Vischers  haus.  Das  man  aber  mit  den  dingen  rottiert,  doch 
haimlicher  weyse,  das  wurd  ain  rath  aber  gewar,  und  an  ainera 
sontag  frue  fiel  man  in  Gall  Vischers  haus  und  fieng  vil  persbonen, 
darunter  auch  Hans  Hütt  und  den  Jacob  Kürschner,  die  waren 
vorsteer  und  Wiedertäufer,  und  leget  sy  alle  in  die  eyBen. 

Darnach  liefs  ain  rath  fragen,  welich  tauft  worden  oder  nit, 
und  weliche  nit  getauft  waren,  niufsten  hinder  ain  rath  schwern, 
daß  sy  hinfüro  solichs  sollen  miessig  stehen.  Die  andern  aber, 
so  nach  dem  beruef  getauft  send  worden,  die  muesten  hinaus  aus 
der  statt  schweren  offenlich  bey  der  rathstiegen  und  wurden  hin- 
ausgefiert  und  bekennten,  dafs  sy  unrecht  gethan  betten;  der 
warn  vil.  Und  aber  die,  so  nit  schweren  wolten,  die  wurden  mit 
rueten  ausgehauen;  dem  warn  auch  vil. 

Und  die  sich  in  diser  Sachen  ungeschickt  vor  den  andern 
gehalten,  auch  des  dings  noch  stetz  waren  und  nit  absteen  wol- 
ten, die  wurden  etwan  vil  auf  die  bagken  mit  ainem  kreitzlin 
gebrent  und  gezeichnet,  und  besunders  die  sich  auch  zu  schwern 
widerten  und  redlinfierer  waren. 

Ks  ward  auch  gefangen  herr  Jacob,  etwan  ain  priester,  auch 
ain  vorsteer  gewesen  und  ain  widerteufer.  Und  fieng  auch  ainen, 
hiefs  Sigmund  Selminger,  war  ain  minich  gewesen,  auch  ain  vor- 
steer  und  ain  taufer;  die  wurden  all  nach  notturft  gefragt, 
was  sy  für  anschleg  bei  in  hetten.  Und  vermaint  ain  rath  an 
den  Vorstehern  vil  zu  erkundigen,  auf  was  bieberei  sie  legen  und 
umbgiengen,  aber  es  fand  sich  nichts  änderst,  dann  daß  sie  von 
dem  evangelium  redeten  und  dafs  sie  vermainten,  der  widertauf 
recht  und  guot  sein.  Also  erkannt  ain  rath,  daß  man  die  vier 
solt  behalten.  Das  waren  Hans  Hütt,  Jacob  Kirschner,  das 
pferTlin  herr  Jacob  und  Sigmund  Salminger  ain  minich  gewesen. 

Und  als  die  vier  nun  etliche  wochen  gelegen  und  gleich wol 
etlich  kundtschaften  komen  von  den  orten,  da  Hans  Hütt  gewohnet 
hat,  mit  was  Sachen  er  umbgaugen,  die  zur  aufruor  in  der  bau- 
ren  aufruor  gedient  und  wol  nit  guot  waren,  die  er  Hütt  auch 
bekant,  und  wie  er  besorget,  er  hett  im  zu  vil  gethan  und  man 
wurd  gegen  im  handien,  da  bracht  er  ain  butzen  oder  ain  liecht 
zuwege,  das  wicklet  er  in  hader  und  machet  ain  grossen  rauch 
und  ward  vast  schreyen  und  vermaint,  wan  der  eysenmaister 
kam  und  den  rauch  secht,  so  wolt  er  sich  krank  stellen,  so 
wurde  der  eysenmeister  vast  eylen,  im  die  ketten  aufthun;  so 
wolt  er  den  eysenmaister  erwürgen  und  die  schlissel  nemen  und 
im  selber  aushelfen.  Das  ward  im  aber  zu  lange  weren,  dann 
der  eysenmaister  war  lang  aus  und  das  fem*  gar  zu  vil  überhand 


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25<; 


ANALKKTEX. 


uam.  Und  wilt  der  eysenmaister  allain  nit  zu  ime,  wecket  die 
stattknecht  auf  und  kam  erst,  da  der  rauch  so  grofa  im  gewelb 
worden,  daß  Haus  Hütt  gar  genach  erstickt  was  und  krank  her- 
ausbracht und  mit  muhe  zu  im  selber  kam.  Da  leget  man  in  in 
ain  stiblen  und  tbet  leit  zu  im;  da  sagt  ers,  warumb  ere  gethan, 
und  lag  also  etliche  tag  und  starb.  Da  nam  man  in  und  macht 
ain  stuol,  darauf  setzt  man  in  also  todter  und  fuert  in  heraus 
und  thet  ain  beruof  über  in.  Darnach  fuort  man  in  hinaus  zu 
der  haubtstatt,  da  verbrandt  man  sein  todten  kerper.  Und  er  war 
in  seinen  klaidern  angethan  und  saß  gleich  als  schlief  er.  Die 
andern  ließ  man  gelangen  ligen. 

Und  darnach  am  aftermontag  im  1528.  jar  da  war  abermals 
ain  solche  versamblung,  da  ergriff  man  sie  bei  ainander  und  fieng 
sie  alle,  jung  und  alts,  und  fuertens  die  stattknecht  allwege  vier 
mit  ainander  in  die  eysen,  und  ward  das  bans  dieweil  bewaret 
Das  trieb  man,  bis  man  sie  all  in  die  eysen  bracht.  Dern  warn 
gar  vil,  darunter  waren  vil  bayrischen  bauren  und  andere  banren: 
die  wurden  am  morgen  hinaus  gefuert  und  die  statt  verboten: 
die  andern,  so  nit  getauft  und  getauft  waren,  die  wurden  gehal- 
ten, wie  hie  vor  auch  geschriben  ist;  doch  welche  nit  wolten 
schweren  die  wurden  mit  ruoten  ansgehauen. 

Und  under  denen,  so  am  ostertag  also  bei  einander  gefunden 
worden,  da  ward  auch  gefunden  und  gefangen  ain  Schneider,  hieß 
Hans  Leupoldt,  der  war  ain  taufer  und  ain  Vorsteher  und  hat  vil 
Versandungen  zusamen  beruofen  lassen;  und  er  war  auch  zu  Augs- 
purg  vormals  hinaus  gefuert  worden  und  hat  auf  dem  land  gar 
vil  paursvolks  in  den  tauforden  bewegt  und  sich  selber  getauft 
und  des  herren  nachtmal  den  leiten  geraicht.  Demselben  Schnei- 
der ward  der  köpf  auf  der  haubtstatt  abgeschlagen. 

Darnach  nit  lang  nach  ostern  da  kam  Diepuld  von  Stain  dem 
Eytel  Hans  Langenmantel  bei  der  nacht  für  sein  haus  zu  Leyters- 
hofen  mit  ainem  raisigen  zeug,  den  der  schwebisch  bund  zu  der- 
selben zeit  hett.  Und  Diepold  vom  Stain  war  derselbigen 
bluotigen  häufen  haubtman.  Der  fieng  den  Langenmantel  und 
sein  magd  und  ain  halbgewachsnen  jungeu,  der  war  sein 
knecht,  und  fuerten  sie  also  gefangen  und  gebunden  gen  Bobingen 
und  von  dannen  geen  Weisenhorn.  Daselbst  lagen  sie  etlich  tag, 
darnach  liefs  im  der  bluotige  haubtmann  den  köpf  abschlagen,  des- 
gleichen dem  jungen  menschen,  seinem  knecht,  und  die  uiagi 
liefs  er  ertrenken.  Und  thet  das  ohn  alle  recht,  das  sie  kain 
recht  über  sie  erfordert,  noch  urtel  über  sie  gesprochen  ward, 
wiewol  derselb  bluotige  haubtmann  saget,  im  hets  der  bund  be~ 
volchen.  Und  hat  sich  über  das  gar  nit  erfunden,  daß  der  Lange- 
mantei  kain  taufer  noch  vorsteer  gewesen,  und  nachdem  als  er 
getauft  worden  ist,  darumb  er  dan  zu  Augspurg  schwerlichen  ge- 


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MEVER,  WIEDERTÄUFER  IX  SCHWABEN 


257 


fangen  gelegen  and  ime  darnach  die  statt  verboten,  das  ist  seines 
Vaterlands,  seins  haus  beraubt  sein  miessen,  und  dann  also  Ver- 
stössen nnd  schwerlichen,  wie  gehört,  gestraft  worden.  Item  es 
hat  sich  auch  erfunden,  daß  er  nach  solicher  straf,  so  in  zu 
Augspurg  auferlegt  worden,  solich  widertaufer  und  dergleichen 
leit  gar  nit  gebaust  noch  gehoft  hat,  sunder  ist  also  umb  ein 
sach  zu  zwaymalen  hertigelichen  gestraft  worden,  das  dann  wider 
alle  recht  und  billicbayt  ist  Es  weist  auch  ein  jeder  recht 
verständiger  wol,  was  es  für  ain  straf  ist,  wan  einem,  so  in  hab 
und  guet  und  hansheblichem  wesen  sitzt,  sein  Vaterland,  statt 
oder  land  verboten  ist,  besonder  dieweil  er  auch  sunst  vor  und 
nach  der  Sachen  von  menigelichen,  so  in  gekant  haben,  für  ain 
frumen  redlichen  man  gehalten  worden  ist.  Soliche  straf  werden 
bey  den  verstendigen  neben  leyb-  und  lebenstraf  gehalten,  aber 
das  alles  ist  an  dem  frumen  redlichen  und  ganz  kranken  man, 
der  weder  gebn  noch  stehn,  allain  hat  liegen  miessen  und  mehr 
den  ain  jar  also  krank  gewesen,  nit  angesehen,  sunder  ime  un- 
recht geschehen.    Gott  hab  in  in  seinem  bevelcb,  amen! 

Item  nach  solchem  allem  und  gar  vil  mer  gehandleten  sachen 
nach  längs  zu  schreiben  nit  not  und  gar  zue  lang  were,  und  be- 
sonders so  man  auch  die  sach  des  widertaufens  und  garten  predi- 
gens  ab.  Da  redet  ein  wolversambleter  rath  darvon,  was  den, 
so  sich  in  aines  erbarn  raths  strafen  geben  beten  und  von  einem 
rath  also  angenomen  weren,  für  straf  solt  aufgelegt  werden.  Und 
ward  also  beschloßen,  daß  dieselben  personen,  so  vormals  hinder 
ain  rath  geschworen  haben,  solten  für  die  steurherren  gefordert 
und  komen,  die  solten  gestraft  werden,  nemblich  ain  jeder 
haushebige  umb  zwuo  steur,  was  er  nechst  hievor  versteurt  het, 
und  das  jung  volk  iedes  nach  gelegenhait.  Dasselbe  gelt  ward 
zusamen  gelegt  und  in  das  spital  zu  dem  heiligen  gaist  geben 
den  armen  an  den  bau.  Dann  es  war  ain  großer  notturftiger 
bau  desselben  jars  vorhanden  und  wolt  das  fachwerk  eingefallen 
sein.    Und  ein  rath  hat  von  disem  gelt  gar  nichts  behalten. 

Item  es  waren  auch  etliche  namhafte  personen  aus  der  statt 
Augspurg  gewichen  und  gen  Nürnberg  und  gen  Straßburg  kommen, 
die  auch  in  diesen  sachen  befleckt  waren.  Sy  hatten  aber  geld 
genug  und  schlugen  in  sich  selber,  und  kamen  ire  freind  mit 
suplication  für  ain  rath,  die  waren  so  ganz  cleglich  gestelt,  daß 
sy  erbärmlichen  zu  hören  waren.  Darin  betonten  sie,  daß  sy 
unrecht  gethan  gegen  gott  und  ainem  rath  und  wisten,  daß  so- 
lichs  ain  irthumb  und  unrecht  were,  und  böslich  vertiert  worden 
weren;  wolten  auch  solichs  nit  mehr  thon  und  von  solich  und 
allem,  was  daran  hang,  hinfüro  absteen  und  miessig  gebn,  und 
sunst  gar  vil  mehr  anhengs.  Und  was  die  erst,  so  soliche  tref- 
fenliche bekentnus  thet,  des  Wilhelm  Muntzen  weib  und  aino 

ZMUchr.  f.  K.-G.  XVII.  1  o.  !.  17 


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258  AKALEKTEN. 

witeb,  beist  die  Lorenz  Krafterin.  Die  wurden  gewert  von  einem 
rath  nnd  wider  eingelassen  mit  der  erst  bievor  gemelten  straf. 
Darnach  wurden  vil  mer  personen,  weib  nnd  man,  auch  begnadt 
nnd  wider  eingelassen  auf  ire  wirkliche  bekentnus  nnd  wider- 
ruefen. 


6. 

Über  einen  römischen  Reunionsversuch 

vom  Jahre  1531. 

Von 

D.  Th.  Kolde  in  Erlangen. 


Über  eine  sehr  eigentümliche  Episode  der  deutschen  Refor- 
mationsgescbichte  berichtet  J.  Schlecht  in  seinem  Aufsatz:  „Ein 
abenteuerlicher  Keunionsyersuch "  in  der  Römischen  Quartalschrift 
1893,  8.  333  ff.  Dafs  der  Papst  nach  dem  Scheitern  der  Augs- 
burger Ausgleichsverhandlungen  und  der  Gründung  des  Schmal* 
kaldischen  Bundes  geheime  Unterhandlungen  mit  den  Protestanten 
pflog,  ist  bekannt1.  Benrath  hatte  auch  bemerkt,  dafs  der  in  der  vene- 
tianischen  Reformatioimgeschicbte  eine  Rolle  spielende  Bartolomeo 
Fonzio  um  jene  Zeit  einen  geheimen  Auftrag  des  Papstes  hatte 
und  in  Augsburg  Einflute  gewann  *.  Auf  der  andern  Seite  hatte 
Ludwig  Pastor  8  auf  einen  andern  Unterhändler  hingewiesen,  von 
dessen  Treiben  der  kaiserliche  Geschäftsträger  in  Rom,  Mnscettola, 
am  30.  Nov.  1531  an  Kardinal  Loaysa  berichtet4.  E3  war  ein 
mailändischer  Kaufmann,  wie  wir  jetzt  wissen,  Rafael  de  Palazzolo, 
identisch  mit  dem  in  einem  Brief  Muscettolas  vom  19.  April  1532 
(Heine  S.  231  Anm.  vgl.  Pastor  S.  82)  erwähnten  Palizoli.  Schon 
aus  dem  oben  citierten  Briefe  Muscettolas  vom  30.  Nov.  1531 


1)  Salviati  an  Campeggi,  dat.  Rom  12.  September  1531  bei  Läm- 
mer, Monumenta  Vaticana  (Frib.  1859),  p.  78. 

2)  Benrath,  Geschichte  der  Reformation  in  Venedig,  Schriften 
des  Vereins  für  Ref.-Gesch.,  Nr.  18  (Halle  1886),  S.  11  ff.,  vgl.  S.  62ff. 
Vgl.  auch  Maurenbrecher,  Geschichte  der  katholischen  Reformation 
(Nördlingen  1880)  I,  328  und  413. 

3)  L.  Pastor,  Reunionsbestrebungen  (Freib.  1879),  S.  80 ff. 

4)  Heine,  Briefe  an  den  Kaiser  Karl  V.  (Berlin  1848),  S.  231. 


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KOLDE,  ÜBER  EINEN  RÖMISCHEN  REUNIONSVERSUCH.  259 

konnte  man  ersehen,  dafs  der  dort  noch  nicht  genannte  Unter- 
händler einen  italienischen  Prediger,  einen  Meister  Bartholomaus 
aas  Venedig,  „der  früher  ein  grofser  Lutheraner  gewesen  war", 
für  sein  Unternehmen  gewonnen  hatte,  aber  erst  aus  den  inter- 
essanten urkundlichen  Mitteilungen  Schlechts  kann  man  mit  Sicher- 
heit entnehmen,  dafs  dies  wirklich  Bartholomeo  Fonzio  war,  die 
Unionsbestrebungen  beider  sich  auf  denselben  Auftrag  bezogen, 
und  dem  Palazzolo  noch  ein  Deutscher,  Caspar  Estrich,  zur  Seite 
stand. 

Das  Ganze  beruht,  wie  es  scheint,  auf  einem  Vorschlag  Pa- 
lazzolos,  auf  den  die  Kurie  eingegangen  war,  und,  worum  es  sich 
handelte,  war,  „gegen  Gewährung  der  nötigen  finanziellen  Unter- 
stützung und  entsprechende  Belohnung  die  Getrennten  in  Deutsch- 
land wieder  zur  Kirche  zurückzuführen". 

Nach  den  vorliegenden  Urkunden  hätte  nun  Palazzolo  bei 
einer  ersten  Sendung,  etwa  April — Juni  1531  mit  einem  Ver- 
trauten des  Kurfürsten  von  Sachsen  Jacobo  daTrese  oder  M.  Jacobo 
da  Saxonia  wertvolle  Verhandlungen  angeknüpft  \  über  welche 
er  in  Born  persönlich  berichtete,  und  die,  wie  wenig  Hoffnungen 
man  auch  darauf  setzte ,  doch  die  Kurie  bestimmten  *,  ihn  mit 
einer  zweiten  Sendung  zu  betrauen,  bei  deren  Bethätigung  er 
dann  durch  Fonzio,  den  er  durch  Urban  Rhegius  in  Augsburg 
kennen  gelernt  haben  will,  aufs  lebhafteste  unterstützt  wurde. 

Eine  Anzahl  Briefe  des  genannten  Jacob  von  Sachsen,  die 
dessen  gute  Dienste  beweisen  sollten,  hat  Palazzolo  dem  Salviati 
Übermittelt  s.  Dieselben  liegen  leider  nicht  vor,  wohl  aber  das 
Bicordo  des  Unterhändlers  über  seine  Tbätigkeit  bei  der  zweiten 
Sendung,  welches  von  Schlecht  aus  dem  vaticanischen  Archiv  ab-  * 
gedruckt  ist.  Danach  begann  er,  nachdem  er  am  9.  Okt.  über 
Mailand  nach  Augsburg  gekommen  war,  zunächst  Unterhandlungen 
mit  den  dortigen  Predigern.  Ein  erstes  Schriftstück  berichtet 
über  Verhandlungen  mit  Urban  Rhegius,  Sebastian  Mayer,  Wolf- 
gang Musculus  und  Fonzio4,  ein  zweites  über  die  Besprechungen 


1)  Die  Verhandlungen  begannen  seiner  Angabe  zufolge  (Schlecht 
375)  im  Juni.  Dafs  er  schon  auf  seiner  ersten  Sendung  in  Wittenberg 
und  am  kurfürstlichen  Hof lager  gewesen ,  wie  Schlecht  S.  342  angiebt, 
ist  aus  den  Urkunden  nicht  zu  lesen,  vielmehr  setzt  seine  Rechnung 
(S.  877)  diese  Reise  erst  nach  dem  Augsburger  Aufenthalt  Wo  er 
auf  der  ersten  Sendung  verhandelt  hat,  wissen  wir  nicht. 

2)  Wie  man  die  Sache  in  Rom  auffafste,  ergiebt  das  auch  von 
Schlecht  citierte  Schreiben  Salviati 8  an  Campeggi  vom  12.  September 
bei  Lämmer,  Monumenta  Vaticana,  p.  78.  Weiteres  bei  Schlecht 
S.  343. 

3)  Schlecht  S.  375. 

4)  II  parere  del  dottor  Urbano  maestro  Bastiano  et  di  macstro 
Bartolomen  et  del  dottor  Muschulo.    Schlecht  a.  a.  0.  S.  378. 

17* 


260  AXALEKTEX. 

mit  Michael  Keller,  dem  bekannten  Zwinglianer  ».  Dann  begab 
sich  der  Unterhändler  nach  seiner  Angabe  auf  die  Reise  nach 
Wittenberg,  verhandelte  unterwegs  in  Nürnberg  mit  dem  früheren 
Augsburger  Prediger  Frosch,  hatte  eine  Unterredung  mit  Luther, 
über  welche  ebenfalls  ein  kurzer  Bericht  vorliegt,  und  begab  sich 
endlich  auch  an  dem  sachsischen  Hof.  Während  nun  das  sogenannte 
Parere  di  M artin o  Lutbero,  wovon  noch  zu  sprechen  sein  wird, 
ein  paar  nichtssagende  Redensarten  enthält,  gehen  nach  dem  Be- 
richte des  Unterhändlers  doch  die  Augsburger  Prediger,  jeder  in 
seiner  Weise  auf  die  Unionsbestrebungen  zum  Teil  mit  grofser 
Lebhaftigkeit  ein,  und  Paiazzolo  weifs  schließlich  am  Ende  seiner 
Mission  dem  Papste  zu  berichten,  dais  Rhegius,  Fonzio  und  Michael 
Keller,  wenn  es  der  Papst  wünsche,  bereit  sind,  zum  Papste  zu 
kommen,  am  „mit  Erlaubnis  Luthers  die  Concordie  abzuschließen", 
wofür  er  den  genannten  Predigern  alsbald  zu  ihrem  Unterhalt 
nur  400  Scudi  zu  zahlen  haben  würde,  während  ihnen  nach  dem 
endlichen  Abschlufs  an  Beneficien  in  ihrem  Lande  im  Werte 
von  im  ganzen  dreitausend  Scudi  zu  verleihen  wären.  Um  den 
Kurfürsten  von  Sachsen,  den  man  dabei  wie  einen  Reformator 
des  christlichen  Glaubens  und  einen  Konservator  des  apostolischen 
Stuhls  behandeln  müsse,  zu  befriedigen,  würde  genügen,  einen 
seiner  Söhne  zum  Kardinal  zu  machen  und  ihm  Beneficien  in 
seinem  Lande  zuzuweisen  3. 

Das  sind  ohne  Zweifel  überraschende  Mitteilungen,  und  man 
begreift,  dafs  der  Unterhändler  selbst  Sorge  hatte,  dafs  man  ihm 
nicht  Glauben  schenken  würde.  Er  schliefst  seine  Angaben 
mit  der  Beteuerung,  „weil  man  Verdacht  hat,  dafs  diese  Ab- 


1)  II  parere  ikl  il«>Uor  maestro  Michele.    S.  381  ff. 

2)  Schlecht  S.  370  vgl.  mit  dem  Brief  von  Mai  vom  30.  No- 
vember 1531  bei  Heiue  S.  232  Anm. 

3)  Die  wichtige  Stelle  lautet  bei  Schlecht  S.  376:  SS»*  Pater! 
Quando  vostra  santita  voplia,  il  dottor  Urbano  et  maestro  Bartolomeo 
Venitiauo  et  maestro  Michele  verrano  da  vostra  santita  con  licentia  di 
Martino  Luthero  ad  affermar  detto  accordio,  et  vostra  santita  non  ha 
a  spendere  di  presente  che  scudi  400,  per  dare  a  questi  quattro  predi- 
catori  in  parte  per  intertenerli.  Poi  fatto  Taccordio  v.  santita  havera  a 
dare  in  beneficii  in  lor  paese  per  scudi  tre  milia  in  tutto.  Poi  per 
compiacere  al  duca  di  Sassonia  v.  santita  fara  cardinale  un  suo  figlio; 
et  Ii  beneficii  che  Ii  dark  V»  St»  saranno  in  lor  paesi,  et  questo  s'in- 
tende  oltre  litre  mila  scudi,  et  questodono  che  farä  v.  santita  al  duca  di 
Sassonia ,  sarä  corac  a  buono  reformatore  de  la  fede  christiana  et  con- 
servatore  de  la  sedia  apostolica.  Et  questo  <•  quanto  vi  va  per  far 
detto  accordio.  Dafs  der  Kurfürst  „den  Titel  Reformator  des  Glaubens 
und  Retter  des  heiligen  apostolischen  Stuhles"  erhalten  soll,  wie 
Schlecht  S.  355  diese  Stelle  wiedersieht,  was  er  wohl  aus  dem  Schlufs 
des  Parere  di  Luthero  (S.  385)  entnommen  hat,  kann  ich  daraus  nicht 
lesen. 


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KOLDE,  ÜBER  EINEN  RÖMISCHEN  REL'NION'SVERSL'CH.  261 


mach un gen  nicht  gelingen  und  die  besagte  Einignng  nicht  zu 
stände  kommen  könnte,  so  will  ich  mich  verpflichten,  dafs  ich, 
wenn  ich  nicht  innerhalb  vier  bis  fünf  Monaten  jemand  mit  Briefen 
vom  Herzog  von  Sachsen  und  Doktor  Martinus  des  Inhalts  gesandt 
haben  werde,  dafs  sie  mit  besagter  Concordie  nach  Inhalt  und 
Form,  wie  ich  es  vorgeschlagen  habe  (in  quel  grado  et  modo 
che  io  ho  proposto)  einverstanden  sind,  das  Geld  innerhalb  zweier 
Monate  zurück  zu  erstatten",  —  während  er  sich  im  anderen 
Falle  die  sofortige  Ausbezahlung  von  tausend  Scudi  und  eine 
Jahresrente  von  600  aus  Beneficien,  die  im  Mailändischen  gelegen 
sind,  ausbedingt l. 

Was  ist  nun  von  dem  allen  zu  halten? 

An  der  Echtheit  der  Schriftstücke,  d.  h.  dafs  man  dem  Papste 
wirklich  diese  Berichte  gesandt  hat,  ist  nicht  zu  zweifeln,  zum 
Überflufs  werden  sie  auch  noch  in  einem  Briefe  des  Kardinals 
Loaysa  vom  16.  April  1532  erwähnt2,  der  erst  durch  den  Fund 
Schlechts  verständlich  wird.  Aber  ist  ihr  Inhalt  echt?  Haben 
jene  Verhandlungen  mit  den  Aogsburger  und  Nürnberger  Predigern, 
mit  dem  Kurfürsten  von  Sachsen  und  mit  Luther  wirklich  statt- 
gehabt, und  wenn  das,  haben  wir  in  jenen  Schriftstücken  wirklich 
getreue  Überlieferungen  dessen,  was  jene  geäufsert,  oder  sind 
sie  von  den  Unterhändlern  in  zweckdienlicher  Weise  überarbeitet 
worden  u.  s.  w.? 

Der  gelehrte  Herausgeber,  der  mit  kundiger  Hand  alles  zu- 
sammen getragen  bat,  was  zum  Verständnis  derselben  dienen 
kann,  und  was  über  den  Ausgang  des  Handels  aus  gleichzeitigen 
Quellen  zu  entnehmen  ist,  hat  sich  diese  Fragen  auch  vorgelegt, 
aber  sie  wohl  etwas  zu  schnell  beantwortet  Er  findet  zwar  auch 
das  Entgegenkommen  der  Augsburger  Prediger  überraschend,  aber 
angesichts  der  hierbei  in  Betracht  kommenden  Persönlichkeiten,  ihrer 
dürftigen  Lage,  ihrer  Neigung  zur  Diplomatie,  der  Verhältnisse 
überhaupt,  der  inneren  Wahrscheinlichkeit  nicht  entbehrend,  und 
sieht  keinen  Grund,  daran  zu  zweifeln,  „dafs  Palazzolo  in  der 
That  diese  Punkte  mit  den  Genannten  besprochen  und  gleich 
danach  schriftlich  fixiert  habe"  s,  und  auch  in  den  angeblichen 
Worten  Luthers  findet  er  „unschwer  Lnther  wieder"  *.  Eine 
eingehendere  Untersuchung  dürfte  aber  zu  andern  Resultaten 
kommen. 

Zuerst,  wer  ist  Jacobo  da  Trese,  was  jedenfalls  Dresden 
bedeuten  soll,  oder  Jacobo  di  Saxonia,  der  den  Palazzolo  auf 


1)  Schlecht  S.  378. 

2)  Heine  a.  a.  0.  S.  231. 

3)  a.  a.  0.  S.  360. 

4)  Ebenda  S.  363. 


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262 


ANALEKTEN. 


Urban  Rhegius  verwiesen,  das  besondere  Vertrauen  des  Kurfürsten 
..besessen  haben  und  als  der  eigentliche  Vermittler  zwischen  beiden 
Parteien  fungiert  haben  soll  ?  Schlecht,  der  sonst  die  handelnden 
Persönlichkeiten  trotz  ihrer  unklaren  Bezeichnungen  in  den  Akten- 
stücken richtig  indentifiziert  hat,  weifs  hier  keine  Auskunft,  und 
unter  den  diplomatischen  Agenten  des  Torgauer  Hofes  finde  auch 
ich  diesen  Namen  nirgends  erwähnt.  Jedenfalls  wird  man  an 
einen  Mann  denken  müssen,  der  sowohl  in  Sachsen  als  in  Augs- 
burg Beziehungen  hatte.  Etwas  Sicheres  läfst  sich  darüber  nicht 
aussagen,  aber  ich  vermute,  dafs  dieser  Jacob  eine  ganz  unter- 
geordnete Person  war,  dessen  Dienste  sich  der  betriebsame  Kauf- 
mann erkauft  hat  oder  der  sich  den  Schein  einer  einflafsreichen 
Persönlichkeit  zu  geben  verstanden  hat,  und  ich  möchte  an  einen 
Magister  Jacob  denken,  der  im  Jahre  1535  in  Luthers  Briefen 
als  Briefbote  erwähnt  wird  l,  er  ist  vielleicht  identisch  mit 
dem  M.  Jacob,  mit  dem  Luther  schon  1523  seinen  Trostbrief  au 
die  Christen  zu  Augsburg  beförderte  *.  Das  würde  dann  seine 
Aagsburger  Beziehungen  erklärlich  machen.  Aber  eine  klare 
Vorstellung  von  diesem  M.  Jacob  nnd  seiner  Wirksamkeit,  bezw. 
der  Bolle,  die  ihn  die  Unterhändler  spielen  Hefsen,  können  wir 
uns  nicht  machen,  da  die  Briefe  desselben,  auf  die  Palazzolo 
sich  bezieht,  bis  jetzt  nicht  zum  Vorschein  gekommen  sind. 
Wichtiger  für  die  Beurteilung  des  Ganzen  sind  die  Berichte 
über  die  Unterredungen  mit  den  Augsburger  Predigern  und  mit 
Luther. 

Es  ist  nicht  zu  leugnen,  dafs  wenigstens  die  ersteren  auf 
den  ersten  Blick  den  Schein  der  Echtheit  erwecken  können.  Die 
einzelnen  Persönlichkeiten  nehmen  einen  verschiedenen  Standpunkt 
ein.  Man  könnte  geneigt  sein  zu  meinen,  ein  Fälscher,  der  doch 
das  Interesse  haben  mufste,  die  Geneigtheit  der  Kolloquenten  zur 
Concordie  möglichst  hervortreten  zu  lassen,  würde  leichter  der 
Gefahr,  zu  schabionisieren,  verfallen  sein.  Aber  bei  näherer 
Betrachtung  erkennt  man ,  dafs  der  Berichterstatter ,  obwohl 
er,  zumal  eine  Entlarvung  durch  den  pästlichen  Legaten,  der 
die  Verbältnisse  kannte,  zu  fürchten  war,  mit  grofser  Vorsicht 
und  Schlauheit  seinen  Berichten  den  Stempel  der  Authenticität 
aufzudrücken  versucht,  doch  unmögliche  Situationen  schildert  und 
höchst  unwahrscheinliche  Aussagen  berichtet 

Wir  hören,  dafs  die  Unterhändler,  —  es  kann  nicht  vor  dem 
10.  Okt.  1531  gewesen  sein  —  auf  Grund  spezieller  Instruktion  des 
Jacob  von  Dresden  ihre  Operationen  damit  begannen,  mit  Dr.  Urban 


1)  De  Wette  IV,  635. 

2)  De  Wette  II,  443  Anra.  Vjzl.  Enders,  Luthers  Briefwechsel 
IV,  265. 


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KOLDE,  ÜBER  EINEN  KOMISCHEN  REl'NIONSVEKSrCH.  263 

Rhegius  zu  verhandeln  1.  Nun  wufste  man  bisher  nicht  anders, 
als  dafs  Rhegius  seit  dem  Spätsommer  1530  in  Diensten  des 
Herzogs  von  Lüneburg  in  Celle  war.  Schon  dies  mufs  schwere 
Bedenken  gegen  den  Bericht  erwecken,  indessen  meint  Schlecht 
S.  344  Anm.:  „damit  ist  eine  (bis  jetzt  nicht  bekannte)  zeit* 
weilige  Bückkehr  desselben  von  Lüneburg  nachgewiesen",  und 
verweist  darauf,  dafs  Uhlhorn  *  Über  den  Aufenthalt  des  Rhegius 
vom  4.  Sept  bis  zum  Mai  1532  keinen  Aufschlufs  gebe.  Das 
letztere  ist  richtig,  indessen  sind  wir  doch  nicht  so  ganz  un unter- 
richtet über  die  fragliche  Zeit,  so  dafs  wir  ohne  Weiteres  aus 
dem  fraglichen  Bericht  uns  belehren  lassen  müfsten.  Wir  wissen, 
dafs  der  Herzog  von  Lüneburg  trotz  der  dringenden  Bitte  der 
Lüneburger,  ihn  noch  länger  bei  sich  behalten  zu  dürfen,  am 
18.  Juni  1531  erklärte,  seinen  „lieben  Pfarrherrn  und  Bischof 
nicht  länger  entbehren  zu  können"  3,  danach  ist  eine  Anwesenheit 
des  Rhegius  in  Augsburg  im  Herbst  dieses  Jahres  —  und  wohl 
zu  beachten,  derselbe  wird  im  Ricordo  eingeführt,  als  ob  er 
noch  Augsburger  Geistlicher  wäre  —  sehr  schwer  an- 
zunehmen. Immerhin  könnte  man  jedoch  daran  denken,  daJs  der 
Herzog  ihm  für  kurze  Zeit  Urlaub  zu  einer  Reise  in  die  Heimat 
gegeben  hatte.  Da  aber  die  Unterhändler  ihrer  eignen  Angabe 
zufolge  am  9.  Okt  in  Augsburg  eintrafen 4,  müfsten  die  Ver- 
handlungen mit  Rhegius  also  in  diese  Zeit,  um  die  Mitte  Oktober, 
fallen.  Eine  Anwesenheit  des  Rhegius  in  Augsburg  um  diese 
Zeit  wird  jedoch  fast  zur  Unmöglichkeit,  da  wir  eine  von  ihm 
vom  28.  Okt  1531  zu  Celle  datierte  Schrift  besitzen:  „Eine 
wunderbar  liehe  ungeheuere  Absolution  der  Klosterfrauen  im  Fürsten- 
tum Lüneburg4*6.  Und  dieses  Resultat- wird  bestätigt,  wenn  man 
ganz  abgesehen  von  der  sonstigen  Stellung  des  Rhegius  diese 
scharfe  Schrift  vergleicht  mit  den  Berichten  über  seine  Aussagen 
bei  den  vermeintlichen  Verhandlungen  und  die  Situation  in 
Betracht  zieht,  unter  welcher  dieselben  vor  sich  gegangen  sein 
sollen. 

Das  erste  Parere,  welches  der  Unterhändler  mitteilt,  enthält 
die  Verhandlungen  mit  Rhegius,  den  Augsburger  Predigern  Musculus, 
Sebastian  Mayr  und  Fonzio  6.  Hier  fallt  uns  zunächst  zweierlei 
auf,  erstens  dafs  Rhegius  und  Musculus,  die  doch  sehr  verschiedene 


1)  Schlecht  a.  a.  0.  S.  375f.  378. 

2)  Uhlhorn,  Urban  Rhegius  (Elberfeld  1861),  S.  186ff. 

3)  Ad.  Wrede,  Die  Einführung  der  Reformation  im  Lüneburgi* 
sehen  durch  Herzog  Ernst  den  Bekenner  (Güttingen  1887),  S.  144. 

4)  Abreise  aus  Mailand  vom  25.  September:  Schlecht  S.  375. 
Dann  die  Reiserechnung  S.  377:  Da  Milano  in  Augnsta  giorni  14. 

5)  Urb.  Rhegius'  deutsche  Schriften  IV,  33. 

6)  Schlecht  S.  378. 


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26-1 


ANAL  ICKTEN. 


Standpunkte  vertreten,  zusammen  behandelt  werden  —  allerdings 
der  extreme  Zwinglianer  Michael  Keller  bildet  eine  Gruppe  für  sich, 
und  zweitens,  dafs  Fonzio  mit  unter  die  gerechnet  wird,  mit  denen 
zu  unterhandeln  ist,  und  die  eigentlichen  Wortführer  sind  Rhegius 
und  Fonzio.  Ihre  Erklärungen  beginnen  damit,  dafs  sie  ihre 
Ergebenheit  gegen  den  Papst  in  Born  zu  vermelden  bitten.  Ist 
das  schon  bei  einem  Mann  wie  Rhegius  überraschend,  so  noch 
mehr,  dals  er  wie  seine  Kollegen  ihre  Hoffnung  auf  Einigung 
auf  die  Zwietracht  zwischen  Lutheranern  und  Zwinglianern  und 
das  Aufkommen  von  Sekten  (!)  gründen.  Deshalb  halten  sie  den 
Augenblick  für  gut  gewählt,  wenn  nämlich  der  Papst  die  Einigung 
wirklich  suche ;  leichter  als  mit  den  Zwinglianern  würde  die  Sache 
mit  den  Lutheranern  sein,  weil  sie  in  Lehre  und  Zeremonien  der 
römischen  Kirche  näher  ständen.  Allerdings  dürfe  nicht  gezögeit 
werden,  denn  das  Luthertnm  wachse  in  der  Gunst  der  Städte 
und  Fürsten,  auch  würden  die  ürheber  des  Schismas  geeigneter 
sein,  dasselbe  beizulegen,  als  ihre  Nachkommen,  die  die  Lehre 
der  Vorfahren  eigensinniger  verteidigen  dürften  als  die  ürheber 
selbst.  Auch  würde  man  etwas  nachlassen  müssen,  da  es  un- 
möglich sei,  nachdem  die  Dinge  eine  solche  Änderung  erfahren, 
sie  völlig  in  den  alten  Znstand  zu  versetzen. 

Schon  das  Mitgeteilte,  namentlich  der  Hinweis  auf  die  Sektiererei 
unter  den  Evangelischen,  schon  damals  wie  heute  bei  den  Römern 
ein  Hauptgrund  für  die  Hoffnung  auf  den  Untergang  der  Gegner, 
dürfte  zur  Genüge  erkennen  lassen,  dafs  wir  es  hier  nicht  mit 
Aussagen  des  Rhegius  und  seiner  Genossen ,  sondern  mit  den 
Hoffnungen  Fonzios  zu  thun  haben,  noch  mehr  hört  man  aber 
den  Italiener  heraus,  wenn  er  Vorsorge  getroffen  haben  will,  dals 
allen  Predigern  für  die  bevorstehende  Fastenzeit  aufgegeben  werde, 
sich  aller  beleidigenden  Auslassungen  über  die  Gegner  auf  den 
Kanzeln  zu  enthalten,  „weil  es  an  Leuten  nicht  fehlt,  welche 
von  Italien  her  oder  sonst  nach  dieser  Richtung  Anweisung 
geben".  Daran  ändert  nichts,  dafs  auf  Augustana  und  Apologie 
als  Grundlage  der  Einigungsbestrebungen  verwiesen  wird,  und  die 
Unterhändler  bereit  sind,  dem  Papste  aus  griechischen  und 
lateinischen  Schriftstellern  Erläuterungen  zu  den  einzelnen  Artikeln 
zu  übersenden,  und  schwerlich  wird  jemand  den  Augsburger 
Predigern  zumuten,  dafs  sie  als  Haupteigenschaft  der  Personen 
für  die  weitere  Verhandlung  gefordert  haben,  dafs  sie  Geschick 
hätten,  sich  indieferocitadi  barbarizu  finden.  Des  Weiteren 
sollen  sie  die  Kompetenz  haben,  den  Gegnern  spezielle  Vorteile  zu 
bieten,  auch  Credenzbriefe  an  den  Herzog  von  Sachsen  erhalten, 
weil  ohne  ihn  nichts  zu  machen.  Man  könne  ja  Deutschland  einige 
Privilegien  und  Reformationen  bewilligen,  ohne  sie  andern  Nationen 
zu  gewähren,  und  dabei  vertraulich  die  Fürsten  wissen  lassen. 


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KOLDE,  ÜBER  EINEN  KOMISCHEN  KELNlONSVEItSrCH.  265 


dafs  dies  im  Interesse  der  Einigkeit  der  Kirche  geschehe,  die 
auf  anderem  Wege  nicht  zu  erreichen  sei.  In  vier  Monaten, 
dessen  möge  der  Papst  versichert  sein,  werde  die  Einigung 
zustande  kommen. 

Das  zweite  Parere,  mit  dem  Zwinglianer  Michael  Keller,  dessen 
angebliche  Aussagen  in  11  Abschnitten  mitgeteilt  werden,  hat  eine 
etwas  andere  Färbung.  Dafs  Fonzio  mit  diesem  Manne  persönliche 
Fühlung  gehabt  hat,  erscheint  mir  zweifellos.  Er  kennt  den 
Volksredner  und  sucht  seine  Eigenart  zum  Ausdruck  zu  bringen  !. 
Die  Religionssache,  so  läfst  er  ihn  sprechen,  ist  zur  Zeit  in 
Deutschland  eine  Angelegenheit  der  Fürsten  und  der  Städte,  und 
zunächst  handelt  es  sich  darum,  vertrauenswürdige  Leute  zu  finden, 
die  Einflufs  auf  das  Volk  haben;  an  diese  würden  sich  die 
päpstlichen  Unterhändler  zuerst  zu  wenden  haben.  Sie  müfsten 
sich  bemühen,  die  Ehre  Gottes,  das  Heil  der  Seele  und  die  Ver- 
mehrung der  Liebe  zu  fördern,  dann  würden  alle  sich  geneigt 
zeigen.  Nicht  aber  dürfe  man  die  Meinung  aufkommen  lassen, 
dafs  man  das  göttliche  Wort  hindern  wolle,  sondern  vielmehr, 
dafs  man  danach  strebe,  das  Volk  durch  gelehrte  und  erprobte 
Leate  zum  wahren  Glauben  nach  dem  Inhalt  der  Schrift  und  zur 
Ehrbarkeit  zu  führen  etc.  Das  alles  könnte  man  sich  sehr  wohl 
als  Äufsemngen  Kellers  gefallen  lassen,  nicht  minder  wenn  weiter 
unten  die  mangelnde  Kenntnis  des  Evangeliums  beim  Volke  und 
die  Verfolgung  der  evangelischen  Predigt  für  die  Volksaufstände 
und  die  Forderung  absoluter  Freiheit  von  allen  Zehnten,  Zinsen  etc. 
verantwortlich  gemacht  werden,  ferner  Zusammenlegung  der  vor- 
handenen Stiftungen  zur  Giündung  von  Pfarreien  und  zum  Unter- 
halt der  Kirchendiener  gefordert  wird,  wobei  das  etwa  Übrig- 
bleibende dem  Bischof  oder,  wen  der  Papst  dazu  bestimme,  zur 
Verwaltung  übergeben  werden  könne,  Äufsemngen,  die  freilich  nur 
oft  wiederholte  Forderungen  wiedergeben,  sodafs  man  nicht  nötig 
hätte,  nach  einer  besonderen  Quelle  zu  suchen.  Dasselbe  gilt  von  der 
Warnung,  zwangsweise  die  alten  Zeremonien,  so  weit  sie  der  Schrift 
zuwider  wären,  in  Deutschland  wieder  einführen  zu  wollen,  aber  wenn 
die  Abneigung  dagegen  u.  a.  auf  allgemeine  „teuflische  Verstrickung14 
zurückgeführt  wird  (perche  tutti  sono  eretti  al  laccio  demoniale), 
so  ist  offenbar,  dafs  der  Berichterstatter  hier  der  päpstlichen  Auf- 
fassung entgegenkommend  seine  eigene  Meinung  eingeflochten  hat. 
Und  wenn  der  entschiedene  Zwinglianer  im  7.  Punkte  für  den 
Fall,  dafs  die  päpstlichen  Unterhändler  beim  Volke  die  Meinung 


1)  Beachtenswert  dafür  ist  das  Betonen  der  „Ehre  Gottes"  S.  382 
Nr.  4:  honor  divino,  la  salute  dell'  anima  et  augmento  della  carita  und 
weiter  unten  S.  384:  il  vero  et  giusto  honore  divino,  la  salute  de 
P anima,  beatitudine  del  prossimo. 


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2  f ;  6 


AXALEKTEN. 


hervorrufen,  es  zum  wahren  Glauben  und  zur  Ehrbarkeit  zurück- 
fahren zu  wollen,  und  es  keinem  Prediger  gestattet  werde,  jemand 
zu  schmähen,  namentlich  auch  nicht  die  kirchlichen  Oberen,  es  für 
ein  leichtes  erklärt,  eine  vollständige  Anerkennung  des  Papstes 
als  snmmus  pontifex  und  Wächter  der  Herde  Christi,  ohne 
Schädigung  seiner  Würde  und  seines  Ansehens  *  zu  erreichen,  6o 
wird  jeder,  der  das  Auftreten  dieses  Keller  kennt,  zum  mindesten 
ein  grofses  Fragezeichen  machen  müssen. 

Auch  der  Herausgeber  der  Aktenstücke  findet  die  mitgeteilten 
Anfserungen  Kellers  überraschend,  bemerkt  aber  dazu:  „Inwie- 
weit die  100  Dukaten  darauf  Einflufs  geübt,  kann  natürlich  nicht 
näher  bestimmt  werden;  dafs  aber  Zwingiis  Schüler  und  Freund 
nicht  gesonnen  war,  sie  zu  einer  Romreise  zu  verwenden,  darf 
man  wohl  annehmen"  (S.  361),  und  sieht  schliefslich  darin  doch 
„eine  getreue  Wiedergabe  der  von  Keller  ausgesprochenen  Ge- 
danken, wenn  nicht  die  Übersetzung  einer  von  ihm  verfaßten 
deutschen  oder  lateinischen  Vorlage'4,  S.  362.  Darauf  ist  zu 
sagen,  dafs  nichts  von  dem,  was  wir  über  das  Leben  und  den 
Charakter  der  hier  in  Betracht  kommenden  evangelischen  Geist- 
lichen wissen,  uns  ein  Recht  giebt,  an  ihre  Bestechlichkeit  zu 
glauben,  und  wenn,  wie  der  Herausgeber  durchblicken  läfst,  aus 
dem  Zusammenhalt  von  Kellers  Standpunkt  und  den  hier  mit- 
geteilten Äufserungen  sich  ein  innerer  Widerspruch  ergiebt,  so 
läfst  sich  derselbe,  worauf  bereits  hingewiesen,  mit  weit  grösserer 
Wahrscheinlichkeit  aus  der  tendenziösen  Berichterstattung  als 
aus  einer  sonst  durch  nichts  zu  belegenden  Unehrlichkeit  eines 
so  schroffen  Mannes  wie  Keller  erklären. 

Aber  wir  haben  noch  ein  drittes  Parere,  welches  von  Luther 
herrühren  soll,  S.  384.  Der  Inhalt  des  farblosen,  kurzen  Schrift- 
stückes ist  folgender.  Wenn  der  Papst  anerkennen  wolle,  was 
man  vernünftigerweise  in  dem  sächsischen  Bekenntnis  acceptieren 
und  gut  heifsen  könne,  so  sei  die  Hauptsache,  friedliebende,  red- 
liche, schriftkundige  Leute  auszuwählen,  die  ohne  die  Absicht, 
dem  Papste  zu  gefallen,  und  ohne  irgendwelchen  Verdacht 
fürchten  zu  müssen,  freimütig  nach  ihrem  Gewissen  über  Augustana 
und  Apologie  urteilen  und  ihre  Gründe  für  Lob  oder  Tadel  schrift- 
lich aufsetzen  sollten.  Denn  mit  diesem  Bestreben,  irgendwelche 
Art  der  Übereinstimmung  zu  suchen,  würden  sie  dem  Papste 


1)  Facilmente  di  quello  poträ  seguire  che  il  papa  sarä  tenuto  pro 
uno  animad?ertente  et  sutnrao  pontifice  et  vigilatore  della  gregge  chri- 
stiana  riputato,  senza  digradatione  della  sua  dignitä  et  honore;  bencht» 
lui  in  persona  propria  non  predicarä  al  popolo  et  non  porrä  fare,  tarnen 
se  sarä  contento,  che  lui  consentirä,  imo  nrdinara  che  per  gli  altri  huo- 
mini  dotti  di  buona  vita  sarä  predicato,  S.  382. 


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KOLDE,  I  BER  EINEN  RÖMISCHEN  REUNIONSVERSI  CH.  267 


den  gröfsten  Gefallen  thun.  „Das  alles  versteht  sich  von  den 
Artikeln,  Aber  welche  man  auf  dem  letzten  in  Augs- 
burg abgehaltenen  Reichstage  nicht  ein  ig  geworden 
ist  Und  wenn  dabei  sich  auch  eine  Meinungsverschiedenheit 
ergeben  sollte,  so  wird  mun  doch  einen  Modus,  übereinzukommen, 
finden,  mit  dem  unser  Herr  zufrieden  sein  wird,  (nur)  dafs  man 
4ie  ganze  Ehre  des  Übereinkommens  und  der  Einigung  dem 
Herzog  von  Sachsen  gebe ,  und  zwar  nicht  nur  in  Rücksicht  auf 
seine  Person  und  sein  Gebiet,  sondern  auch  in  Rücksicht  auf 
alle  ihm  anhängenden  Fürsten  und  freien  Städte,  als  dem  all- 
einigen Generalreformator  und  Wiederhersteller  des  Friedens  in 
der  Kirche/* 

„An  diesen  wenigen  wortreichen  8ätzen",  fügt  J.  Schlecht 
hinzu,  „die  keinerlei  Zugeständnis,  aber  die  alten  Vorwürfe  gegen 
die  Kurie  enthalten,  erkennt  man  unschwer  Luther  wieder,  dem 
ja  Melanchthon  in  Augsburg  schon  viel  zu  weit  gegangen  war, 
und  der  vor  Zorn  schier  bersten  wollte,  ob  seiner  Nachgiebig- 
keit Für  ihn  gab  es  nur  dann  eine  Verständigung,  wenn  der 
Papst  das  Papsttum  aufgäbe.  Um  nicht  von  der  päpstlichen 
Suprematie  sprechen  zu  müssen,  hält  er  es  für  klug,  anch  über 
das  andere  Postulat  sich  auszuschweigen ,  das  er  in  der  That 
mit  den  Freunden  in  Augsburg  teilte,  über  die  Wiederherstellung 
der  bischöflichen  Gewalt  als  eines  Gegengewichtes  gegen  die 
Fürstenmacht  Hatte  Palazzolo  in  Sachsen  Gehör,  Entgegenkommen 
gefunden,  so  war  es  jedenfalls  am  Hofe  mehr  der  Fall  gewesen 
als  in  Wittenberg;  darauf  deutet  auch  die  Sehl ufs wen dung  des 
Gutachtens  hin.  Und  mit  diesem  Schriftstück  in  der  Hand  wollte 
der  Agent  in  Rom  glauben  machen,  dafs  es  ihm  gelingen  werde, 
innerhalb  weniger  Monate  die  Getrennten  mit  der  Kirche  wieder 
zu  vereinigen?    Welch  abenteuerlicher  Gedanke!4' 

Dem  letzten  Ausrnf  des  Erstaunens  wird  man  sich  anschließen 
müssen,  aber  mir  will  es  fast  nicht  minder  erstaunlich  erscheinen, 
dafs  man  dieses  Gutachten  für  inhaltlich  echt  halten  kann.  Auf 
das  argumentum  e  silentio  will  ich  kein  Gewicht  legen,  obwohl 
es  immerhin  sehr  auffallend  ist,  dafs  sich  nirgends,  weder  in 
Luthers  oder  Melanchthons  Briefen,  noch  in  einer  Tischrede  eine 
Notiz  über  eine  Zusammenkunft  mit  dem  sonderbaren  Unterhändler 
erhalten  haben  sollte,  wenn  sie  wirklich  stattgefunden  hätte,  —  der 
Inhalt  des  Gutachten  spricht  schon  zur  Genüge  gegen  die  Echtheit 
Nicht  der  unversöhnliche  Charakter,  den  Schlecht  unverständlicher- 
weise darin  findet,  sondern  die  versöhnliche  Haltung  desselben 
macht  es  auf  den  ersten  Blick  für  jeden  Kundigen  verdächtig. 
Zwar  haben  die  Agenten  oder  ihr  Gewährsmann,  —  und  es  wäre 
sehr  gut  denkbar,  dafs  sie  selber  die  Düpierten  wären,  und  jener 
rätselhafte  Jacob  von  Dresden  ihnen  das  Schriftstück  überliefert 


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2t;8 


AXALfiKTEN. 


hätte  — ,  insofern  der  augenblicklichen  Situation  in  deu  all- 
gemeinsten Zügen  Rechnung  getragen,  als  Augustana  und  Apologie 
als  die  selbstverständliche  Grundlage  aller  Einigungsversuche 
hingestellt  werden,  aber  die  Art  und  Weise,  wie  dies  geschieht 
und  die  Form,  in  der  dabei  des  Kurfürsten  gedacht  wird,  läfst 
die  Autorschaft  Luthers  geradezu  als  unmöglich  erscheinen.  Luther 
soll  damit  einverstanden  gewesen  sein,  dafs  die  zukunftigen 
Einigungsbestrebungen  mit  den  vom  Papste  bevollmächtigten 
Unterhändlern  sich  nur  auf  die  in  Augsburg  nicht  verglichenen  Ar- 
tikel bezögen.  Aber  Aber  welche  Artikel  war  man  denn  wirklich 
einig  geworden?  Thatsächlich  hatte  sich  doch  schliefslich  alles 
zerschlagen,  und  vor  allem  hatte  Luther  selbst  mehr  als  einmal, 
was  freilich  der  Verfasser  jenes  „Parere"  nicht  wissen  mochte, 
jene  zeitweilig  als  verglichen  geltenden  Artikel  mit  aller  Ent- 
schiedenheit verworfen  l.  Luther  wird  also  in  dem  Gutachten 
ein  Standpunkt  supponiert,  den  er  absolut  nicht  haben  konnte. 
Und  anfserdem  soll  Luther  verlangt  haben,  dafs  man  im  Falle 
des  Gelingens  den  Buhm,  die  Einigung  hergestellt  zu  haben, 
allein  dem  Kurffirsten  von  Sachsen  zuschreibe,  „als  dem  all- 
einigen Generalreformator  und  Wiederhersteller  der  Einheit  und 
des  Friedens.44 

So  niedrig  dachte  Luther  von  seinem  Kurffirsten  nicht,  dem 
er  wenige  Monate  später  an  seinem  Sarge  nachrühmte,  dafs  er 
„ein  sehr  frommer  freundlicher  Mann  gewesen  ist,  ohne  alles 
Falsch,  in  dem  ich  noch  nie  mein  Lebtag  einigen  Stolz,  Zorn 
noch  Neid  verspüret  habe,  der  alles  leichtlich  tragen  und  ver- 
geben konnte,  und  mehr  denn  zuviel  mild  gewesen  ist"2.  Und 
was  würde  der  fromme  Kurfürst  selbst  gesagt  haben,  wenn  man 
den  Versuch  gemacht  hätte,  ihn  mit  dergleichen  Titeln  ködern 
zn  wollen?  Dergleichen  Vorschläge  konnten  nur  von  einer  niedrig 
denkenden  Seele  ausgeben,  und  es  ist  bezeichnend,  dais  Palazzolo, 
indem  er  dieselben  in  seinem  oben  erwähnten  Briefe  3  aufnimmt, 
damit  zugleich  den  Vorschlag  verbindet,  einen  der  Söhne  des 
Kurffirsten  zum  Kardinal  zu  machen  und  ihn  mit  Beneficien  ab- 
zufinden, und  endlich  ans  den  besprochenen  Gutachten  heraus- 
liest, dafs  Rhegius,  Fonzio  und  Michael  Keller  bereit  sind,  zum 
Papste  zu  reisen,  um  „mit  Erlaubnis  Luthers"  die  Concordia 
abzuschliefsen. 

In  der  That,  fibersieht  man  nach  eingehender  Untersuchung 
das  Ganze,  so  handelt  es  sich  nicht  nur  um  einen  „abenteuerlichen** 

1)  Es  genügt,  dafür  auf  meine  ausführlichen  Darlegungen  in  meiner 
Lutherbiographie  II,  353  ff.  356  ff.  367  f.  zu  verweisen. 

2)  E.  A.a  18,  197  f. 

3)  Siehe  oben  S.  72  Anm.  3. 


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KOLDE,  i'HEK  EINEN  RÖMISCHEN  KEL'NIONSVEHM'CIf.  269 


Union svereucb ,  sondern  um  einen  geradezu  schwindelhaften,  dem 
die  Kurie  eine  Zeit  lang  in  Gefahr  war,  zum  Opfer  zu  fallen. 
Dieser  Palazzolo  war  offenbar  ein  sehr  geriebener  Geschäftsmann, 
der  alle  Menschen  für  Geld  zu  gewinnen  hoffte,  wie  ihm  selber 
der  ganze  Handel  nur  eine  Geschäftsangelegenheit  war.  Fonzio 
mag  einige  protestantische  Regungen  gehabt  haben,  er  mag  auch 
geglaubt  haben,  durch  seine  Bemühungen  der  guten  Sache  dienen 
zu  können,  und  dafs  er  mit  Augsburger  Predigern  auf  Einigung 
abzielende  Gespräche  geführt  hat,  wird  richtig  sein,  aber  er  war 
and  blieb  ein  „dunkler  Ehrenmann4',  der  in  seinen  Mitteln  nicht 
wählerisch  war,  und  dem  es  damals  um  jeden  Preis  darauf  ankam, 
sich  bei  der  Kurie  zu  rehabilitieren.  Die  an  die  Kurie  übersendeten 
Gutachten  der  Prediger  sind  teils  überarbeitet  und  gefälscht,  —  mit 
Rbegins  kann  Fonzio  zur  angegebenen  Zeit  kein  Gespräch  gehabt 
haben  \  teils  wie  das  Parere  Luthers  geradezu  untergeschoben, 
wobei,  wie  schon  bemerkt,  der  rätselhafte  Jacob  von  Sachsen 
seine  Hand  im  Spiele  gehabt  haben  mag,  und  jedenfalls  hat  man, 
so  lange  nicht  vollgültigere  Beweise  dafür  aufgebracht  werden, 
kein  Recht,  die  Augsburger  Prediger  eines  so  schmählichen 
Paktierens  mit  der  Kurie  zu  zeihen,  wie  das  der  Herausgeber 
der  Aktenstücke  gemeint  hat. 


1)  Nicht  näher  eingegangen  bin  ich  auf  die  Behauptung  des 
Unterhändlers,  auch  mit  dem  damals  in  Nürnberg  angestellten  Dr.  Job. 
Frosch  erfolgreiche  Verhandlungen  gepflogen  zu  haben.  Offenbar  lag 
es  ihm  nur  daran,  den  Schein  zu  erwecken,  auch  in  dieser  Stadt  bereits 
wichtige  Verbindungen  zu  haben.  Dazu  schien  dann  niemand  geeigneter 
als  Frosch,  den  Fonzio  von  Augsburg  her  kennen  mochte.  Damit  man 
ein  Zusammengehen  des  schroffen  Lutheraners  mit  den  Augsburger  Pre- 
digern, die  ihn  vor  kurzem  seines  Standpunktes  halber  verdrängt  hatten, 
nicht  in  kundigen  Kreisen  für  unglaublich  halten  soll,  meldet  Palazzolo 
auffallend  unvermittelt,  dafs  sich  Michael  Keller  mit  dem  Prior  von 
St.  Anna,  womit  wohl  Frosch  gemeint  ist.  obwohl  er  es  seit  1525  nicht 
mehr  war  und  sich  verheiratet  hatte  (vgl.  Eberh.  Schott,  Beiträge 
zur  Geschichte  des  Karmeliterklosters  und  der  Kirche  zu  St.  Anna  in 
Augsburg.  Zeitschr.  d.  histor.  Ver.  für  Schwaben  und  Nürnberg  IX 
[1882],  S.  332)  versöhnt  habe  (s'  e  aecordato  maestro  Michelc  il  quäle 
e  uno  de  Ii  primi  de  la  setta  Zwingliana  col  priore  di  St»  Anna. 
Schlecht  S.  376),  was  aber  mehr  als  unwahrscheinlich  ist. 


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NACHRICHTEN. 


Inquisition,  Aberglauben, 
Ketzer  und  Sekten  des  Mittelalters  (ein- 
schliefslich  Wiedertäufer). 

Ii». 

Von 

Hernian  Haupt. 


*90.  Emilio  Comba,  I  nostri  protestanti.  I.  Avanti 
la  riforma.  Firenze,  Tipografia  Claudiana,  1895.  521  S.  8. 
Preis:  Lire  3.50.  —  Das  an  weitere  Kreise  sich  wendende,  aber 
auch  für  die  gelehrte  Forschung  beachtenswerte  Werkchen  bietet 
eine  Sammlung  von  Biograpbieen  italienischer  „Pro* 
testanten  vor  der  Reformation".  „Questi  pagine  sono 
sacre  alle  proteste  della  coscienza,  e  vi  sara  luogo  per  ogni 
proteetante  che,  neir  ambiente  della  civilta  cristiana,  pratica  il 
motto:  vitam  impendere  vero.  Li  vedremo  sorgere  difenson  della 
verita,  a  nome  della  ragione,  della  liberta  e  della  patria.  L'unita 
loro,  oltre  che  nel  motivo  profondo  e  invariabile  ch'e  l'amore  de' 
cristiani  ideali,  si  palesa  nel  fine  immediato,  ch'e  l'opposizione 
alle  prevaricazioni  papali"  (prefaz.  S.  IX).  Den  Beigen  der 
biographischen  Schilderungen  eröffnet  diejenige  des  altchristlichen 
Hermas,  den  allerdings  kaum  jemand  unter  den  italienischen 
„Protestanten"  suchen  wird;  es  folgen  die  Abschnitte  Über 
Hippolytus,  Novatianus,  Jovinian,  Claudius  von  Turin,  Arnold  von 
Brescia,  Petrus  Valdes,  Jochim  von  Fiore,  Dolcino,  Dante,  Mar- 
silius  von  Padua,  endlich  Savonarola.    Die  Darstellungsweise  des 

1)  Vgl.  Bd.  XVI,  S.  512—536.  Vorliegender  Bericht  wurde  Ende 
Dezember  1895  abgeschlossen. 


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NACHRICHTEN. 


271 


Verfassers,  auf  dessen  Auffassungen  nnd  Urteile  hier  selbstver- 
ständlich nicht  im  Einzelnen  eingegangen  werden  kann,  ist  eine 
in  hohem  Grade  anziehende.  Die  Fnfsnoten  enthalten  reichhaltige 
Quellenbelege  und  Angaben  Über  die  einschlägige  Litteratur, 
die  von  dem  Verfasser  in  fleißiger  und  kritischer  Weise  benutzt 
worden  ist.  Im  Anhang  bespricht  Comba  die  Ergebnisse 
E.  Dflmmlers  über  Leben  und  Schriften  des  Claudius  von  Turin 
in  ihrem  Verhältnis  zu  seinen  eigenen  Forschungen  und  teilt 
Fragmente  aus  einer  ungedruckten  italienischen  Übersetzung  des 
„Defensor  Pacis"  des  Marsilios  von  Padua  mit. 

91.  Adolf  Hausrath,  Weltverbesserer  im  Mittel- 
alter. I.  Peter  Abälard.  Leipzig,  Breitkopf  u.  Härtel,  1895 
(1893).  8.  Mk.  6.—.  II.  Arnold  von  Brescia.  Ebenda.  1896 
(1891).  Mk.  3.—.  III.  Die  Arnoldisten.  Ebenda.  1895. 
Mk.  8.—. 

*$t*  Bocquain,  F6*lix,  La  cour  de  Borne  et  Tesprit 
de  reforme  avant  Luther.  Tome  II.  Lea  Abus.  Deca- 
dence  de  la  papaute\  Paris.  Thorin  et  fils.  1895.  574  S.  8. 
—  Auch  von  diesem  Bande,  der  den  Zeitabschnitt  von  1216 
bis  1378  behandelt,  mufs  gesagt  werden,  dafs  er  die  durch  den 
Titel  und  die  Vorrede  des  Werkes  (vgl.  Zeitschr.  f.  K.-G.  XIV, 
S.  439)  erweckten  Erwartungen  nicht  erfüllt  Wieder  erhalten 
wir  nur  eine  Beihe  von  Päpste-Biographieen,  welche  die  äulsere 
Geschichte  des  Papsttums  nnd  dessen  wechselnde  Beziehungen  zu 
den  weltlichen  Mächten  in  den  Vordergrund  stellen,  ein  tieferes 
Verständnis  für  die  treibenden  religiösen  Ideen,  die  die  Beform- 
bewegung  des  späteren  Mittelalters  bestimmten,  dagegen  durchweg 
vermissen  lassen.  Die  selbständige  Quellenbenutzung  und  das 
scharfe,  aber  nicht  ungerechte  Urteil  des  Verfassers  bewährt  sich 
auch  in  diesem  Bande.  Anderseits  zeigt  sich  Bocquain  gar  zu 
oft  über  den  Stand  der  neneren  Forschung  über  die  Geschichte 
der  religiösen  Opposition  des  Mittelalters  als  wenig  unterrichtet; 
namentlich  die  einschlägigen  neueren  deutschen  und  italienischen 
Arbeiten  sind  grösstenteils  zum  Schaden  des  Werkes  unberück- 
sichtigt geblieben. 

*9S.  Die  Geschichte  des  Sozialismus  in  Einzel- 
darstellungen von  E.  Bernstein,  C.  Hugo,  K.  Kantsky, 
P.  Lafargue,  Fr.  Mehring,  G.  Plechanow.  Band  I,  Teil  1.  Auch 
unter  dem  Titel:  Die  Vorläufer  des  neueren  Sozialismus.  Erster 
Band,  erster  Teil:  Von  Plato  bis  zu  den  Wiedertäufern. 

 Von  Karl  Kautsky.    Stuttgart,  Dietz,  1895.    XIV  u. 

436  S.  8.  —  Band  I,  Teil  2.  Auch  unter  dem  Titel:  Die 
Vorläufer  etc.    Erster  Band,  zweiter  Teil:  Von  Thomas  More 

bis  zum  Vorabend  der  französischen  Revolution   Ebenda. 

1895.    4  Bl.  u.  S.  437—890.  —  Die  Vorrede  des  für  weitere 


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272 


NACHRICHTEN. 


sozialistische  Kreise  geschriebenen  Werkes  erörtert  eingehend  die 
Notwendigkeit,  „eine  nach  wissenschaftlichen  Grundsätzen  ge- 
schriebene umfassende  Geschichte  des  Sozialismus",  deren  Behand- 
lung die  bürgerlichen  Gelehrten  aus  dem  Wege  gegangen  seien, 
abzufassen;  diese  Geschiebte  müsse  vor  allem  die  allgemeine  Rich- 
tung der  sozialistischen  Gesamtentwickelung  zur  Darstellung  bringen. 
In  dem  ersten  Abschnitte  des  ersten  Halbbandes  wird  der  plato- 
nische und  der  urchristliche  Kommunismus  (S.  1 — 39),  im  zweiten 
die  Geschichte  der  Lohnarbeit  im  Mittelalter  und  im  Zeitalter  der 
Reformation  (S.  40—103),  im  dritten  der  Kommunismus  im  Mittel- 
alter und  im  Zeitalter  der  Reformation  (S.  104—430)  behan- 
delt; der  Darstellung  des  „ketzerischen  Kommunis- 
mus" der  Waldenser,  Begharden,  Lolharden,  Taboriten, 
Böhmischen  Brüder,  Münzers  und  der  Wiedertäufer 
ist  der  Hanptteil  des  Bandes  gewidmet.  Für  die  Kirchengeschichte 
bietet  der  erste  Ualbband  des  Werkes  dadurch  ein  eigenartiges 
Interesse,  dafs  hier  versucht  wird,  das  Hervortreten  der  einzelnen 
kirchlichen  Oppositionsparteien  des  Mittelalters,  einschliefslich  der 
Wiedertäufer,  vorwiegend,  ja  fast  ausschliefslich  auf  soziale  und 
wirtschaftliche  Beweggründe  zurückzuführen.  Es  braucht  kaum 
gesagt  zu  werden,  dafs  dieser  nach  einem  von  vornherein  fest- 
stehenden Schema  folgerecht  durchgeführte  Versuch  einer  Aus- 
schaltung des  religiösen  Moments  aas  der  Geschichte  der  religiösen 
Opposition  des  Mittelalters  nur  zur  Zeichnung  eines  Zerrbildes  der 
thatsächlichen  Verhältnisse  führen  konnte.  Es  kommt  dazu,  dafs 
Kautskys  Vorstudien  zum  Teil  recht  ungenügende  gewesen  sind,  was 
sich  mit  seiner  scharfen  Bemänglung  der  Gründlichkeit  und  Wahr- 
heitsliebe der  „bürgerlichen"  Geschichtscbreibung  schlecht  verträgt. 
Für  die  wissenschaftliche  Forschung  könnte  das  Werk  nur  inso- 
fern einige  Bedeutung  erlangen,  als  durch  die  notwendige  Zurück- 
weisung der  irreführenden  Ergebnisse  dieser  sozialistisch-materia- 
listischen Geschichtsbetrachtung  zugleich  eine  Anregung  gegeben 
würde,  dem  Zusammenhange  gewisser  Richtungen  der  religiösen 
Opposition  des  Mittelalters  mit  sozialen  Erscheinungen  noch  auf- 
merksamer, als  bisher  geschehen,  nachzugehen.  Erwähnt  mag 
noch  werden,  dafs  der  Abschnitt  über  die  Wiedertäufer  eine 
höchst  ausführliche  zu  scharfem  Widerspruche  herausfordernde 
Apologie  der  Schreckensherrschaft  der  Münsterer  Wiedertäufer 
enthält 

*94.  B.  Hauröaus  „Notice  sur  le  numero  16400  des 
mannscrits  latins  de  la  bibliotheque  nationale"  (Notices  et  extraits 
des  manu8crits  de  la  bibl.  nationale,  Tome  XXXIV,  1895, 
S.  319 — 362)  bringt  Mitteilungen  über  eine  grofse  Anzahl 
dogmatischer,  zum  Teil  als  ketzerisch  verurteilter 
Thesen  und  Streitschriften  Pariser  Theologen  aus 


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NACH  RICHTEN. 


273 


der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Die  offenbar  aus 
gleicher  Quelle  geflossenen  Angaben  von  Du  Plessis  d'Argenträ's 
„  Collectio  judiciorum "  werden  durch  Haureaus  Auszüge  und  sach- 
kundige Erläuterungen  in  sehr  willkommener  Weise  ergänzt. 
„Nous  allons  assister,  en  lisant  ces  pieces",  so  charakterisiert 
Haurlau  treffend  diese  eigenartige  Litteratur,  „ä  de  tres  vifs 
debats  oü  la  logique  des  docteurs,  s'exercant  en  pleine  liberte 
sur  la  matiere  thäologique,  se  fera  justement  accuser  de  discrl- 
diter  la  religion  qu'elle  prätendait  servir.  Elle  sera  plus  funeste 
encore  ä  la  philosophie,  quo  Ton  rendra,  non  sans  raison,  respon- 
sable de  tous  les  soucis  causes  ä  la  foi  des  simples  par  l'indiö- 
crete  curiosite  de  ces  effrenes  logiciens." 

•95.  Die  in  unserem  früheren  Berichte  (Bd.  XVI,  S.  51 6 j 
aufgeführte  Abhandlung  von  A.  Battisteila,  Alcuni  docu- 
menti  sul  s.  officio  in  Lombardia,  ist  Separat-Abdruck 
aus  dem  „Archivio  storico  lombardo",  XXII,  I. 

*  96.  In  der  „Internationalen  theologischen  Zeitschrift  (Bevue 
internationale  de  thöologie)",  Jahrgang  III,  Nr.   11  (1895) 

5.  559 — 563  polemisiert  ein  Aufsatz  von  E.  Hichaud,  Borne 
et  Tlnquisition  gegen  die  Artikel  von  Mazoyer  (Beyue 
catholique  des  Heynes  des  deux  mondes,  1895,  Janvier  p.  56  ff.) 
und  von  P.  Pins  a  Langonio  (Revue  romaine,  Analecta  eccle- 
siastica,  1895,  janv.  S.  29 — 32)  über  den  gleichen  Gegenstand. 
Herzerquickend  ist  die  Aufrichtigkeit,  mit  welcher  sich  letzterer 
Verfasser  Qber  die  Verdienste  der  Inquisition  ausspricht:  „0 
benedictas  rogorum  flammas,  quibus,  e  medio  sublatis 
paucissimis  et  quidem  vaferrimis  homuncionibus,  centenae  cen- 
tenaeque  animarum  phalanges  a  faucibus  erroris  .  .  .  ereptae 
fuere",  und  an  anderer  Stelle:  „si  lopi  sint,  inter  lupos  remane- 
ant;  si  vero  ovina  pelle  praeinduti  oves  vorare  tentent,  ab  ovili 
extorbentur  igni  et  ferro.14 

Nach  Angabe  Michauds  enthält  der  in  Bern  erscheinende 
„Katholik44  (1895,  13.  April)  statistische  Mitteilungen 
des  Luzerners  Caspar  Schumacher  über  die  Opfer 
der  spanischen  Inquisition  während  des  15.  — 18. 
Jahrhunderts  auf  Grund  einer  Benutzung  des  Inquisitions- 
archivs zu  Sevilla  im  Jahre  1810;  dieselbe  Zeitschrift  (1895, 

6.  April)  teilt  ein  im  Jahre  1404  gegen  einen  Priester 
von  Cordova  erlassenes  Inquisitionsurteil  mit 


*97.  Samuel  Eynard,  L'enthousiasme.  Tours  1894. 
100  S.  8.  These  der  Faculte*  de  theologie  protestante  zu  Paris. 
—  Als  Aufgabe  seiner  Arbeit  bezeichnet  Eynard  „studier 
renthousiasme;  en  connaitre  les  elements,  les  limites;  d&erminer 

ZeiUehr.  f.  K.-G.  XVII,  1  u.  2.  18 


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274 


NACHRICHTEN. 


l'utilite  pratiqne  de  la  spontan&te  religieose;  signaler  des  eiage- 
rations  däraisonables,  rexaltation  des  agites  et  des  fanatiques". 
Des  Verfassers  Augenmerk  ist  ausschliefslich  auf  die  psychologischen 
Unterlagen  des  religiösen  Enthusiasmus  und  dessen  Bedentang 
für  das  kirchliche  Leben  der  Gegenwart  gerichtet 

*98.    A.  Graf,  Geschichte  des  Teufelsglanbens. 
Einzig  rechtmässige  Ausgabe.    Ans  dem  Italienischen  von  Dr. 
Tenscher.    2  (Titel-)  Auflage  der  „Naturgeschichte  des  Teufels". 
Jena.    U.  Costenoble.    1893.   XVIII  u.  448  S.    8.   Mk.  3.—. 
Nach  der  vom  Jahre  1889  datierten  Zueignung  an  E.  de  Amicis 
wollte  der  Verfasser  mit  der  Herausgabe  der  Schrift  „ein  popu- 
läres Buch  liefern,  das  jeder,  der  nicht  gerade  ein  Gelehrter  von 
Beruf  ist,  ohne  Anstrengung,  aber  vielleicht  nicht  ohne  Wohl- 
gefallen lesen  könnte".    In  leichtgeschürzter,  aber  offenbar  auf 
eine  ausgebreitete  Belesenheit  sich  gründender,  Darstellung  plau- 
dert der  Verfasser  über  Ursprung  und  Entstehung  des  Teufels- 
glaubens, Eigenschaften,  Bangordnung,  Wissen  und  Macht  der 
Teufel,  ihre  Versuchungen,  Betrügereien  und  Gewalttaten,  Teufels- 
spuke, Liebschaften  und  Kinder  des  Teufels,  Zauberei  und  Hexerei, 
die  volkstümlichen  Vorstellungen  von  der  Hölle,  über  die  Kämpfe 
gegen  den  Teufel  und  über  dessen  Niederlagen,  endlich  über  das 
angebliche  Ende  des  *  Teufelsglaubens  mit  dem  Anbrechen  der 
neuen  Zeit.     Der  wissenschaftlichen  Verwertung  des  anregend 
geschriebenen  Werkchens  steht  das  Fehlen  aller  Quellenangaben 
im  Wege. 

99.  Wilhelm  Meyers  Abhandlung  über  „Nürnberger 
Faust  geschienten"  in  den  Abhandlungen  der  philosophisch- 
philologischen Classe  der  königlich  bayerischen  Akademie  der 
Wissenschaften,  Bd.  XX,  Abt  2  (1895),  S.  325—402  enthalt 
beachtenswerte  Abschnitte  über  die  volkstümlichen  An- 
schauungen des  Mittelalters  vom  Teufelsbunde  und 
über  die  Ansichten  der  Beformatoren  über  Zauberei, 
Besessenheit  und  Teufels bündnisse. 

*l(Mk  W.  Mannhart,  Zauberglaube  und  Gehe  im  wissen 
im  Spiegel  der  Jahrhunderte.  Mit  44  teils  farbigen  Abbildungen. 
2.  Auflage.  III.  u.  284  S.  8.  Leipzig.  H.  Barsdorf,  1896. 
Preis:  4  Mk.  —  Ist  nach  den  Nachweisen  von  Johann  Moser 
(Zeitschrift  für  Kulturgeschichte,  Bd.  III,  Heft  1  und  2  [1896] 
S.  131  ff.)  ein  aus  Horsts  „Zauberbibliothek"  und  den  Schriften 
Kiesewetters  über  Faust  und  den  Occultismus  kritiklos  und 
in  leichtfertigster  Weise  zusammengetragenes  wertloses 
Plagiat. 

101.  G.  van  Elven,  La  magie  au  moyen  äge,  in: 
Dietsche  Warande,  T.  VII.  —  J.  Bois,  Le  satanisme  et  la 
magie.    5.  ädit    Paris,  Chailley,  1895.    8.    8  Francs. 


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NACH  RICHTEN. 


275 


102.  Weibel,  Warum  die  orientalischen  Kirchen 
von  den  Hexenprozessen  sich  frei  erhielten,  in  der 
Internationalen  theologischen  Zeitschrift  (Rovue  internat.  de  thäo- 
logie),  Jahrgang  III  (1895),  Nr.  10,  8.  193—216.  Nach  der 
Auffassung  des  allerdings  den  Stoff  nicht  hinreichend  beherrschen- 
den Verfassers  sind  die  Hexenprozesse  das  Produkt  des  Papst- 
tums und  seiner  Inquisition.  Da  die  „ehrwürdigen  orientalischen 
Kirchen die  der  Verfasser  offenbar  in  hohem  Grade  idealisiert, 
sich  von  jenen  Mächten  und  Instituten  frei  erhielten,  blieben  sie 
auch  von  deren  Ausgeburten,  dem  Hexen wahn  und  den  Hexen- 
verfolgungen, frei. 

103.  Curt  Müller,  Hexenaberglaube  und  Hexen- 
prozesse in  Deutschland.  Leipzig,  Beclam.  173  S.  16. 
Geb.  Mk.  0,80  (üniversalbibliothek  Nr.3166/67).  —  Perd.  Heigl, 
Der  Hexenglaube.  Ein  Rückblick  als  Perspektive  für  die 
Spiritisten  unserer  Zeit  Bamberg,  Handelsdruckerei.  1 6.  Mk.  0,20 
(Volksschriften  zur  Umwälzung  der  Geister  Nr.  7).  —  B.  Emil 
König,  Ausgeburten  des  M enschen wahns  im  Spiegel 
der  Heienprozesse  und  der  Auto  da  fes.  Historische 
Schandsäulen  des  Aberglaubens.  .  .  .  Ein  Volksbuch.  Rudol* 
Stadt,  Bock,  1893.  UI  u.  811  S.  mit  7  Bildern.  Mk.  5.  — 
Carl  Reiterer,  Hexen-  und  Wildererglauben  in  Steier- 
mark, in  der  Zeitschrift  für  Volkskunde,  Jahrg.  V,  Heft  4  (1895), 
S.  407—413. 


*  104.  Emilio  Comba,  Claudio  di  Torino  ossia  la 
protesta  di  un  vescovo.  Cenno  storico.  Firenze,  Libreria  Clau- 
diana,  1895.  157  S.  8.  Lire  1,50.  —  In  seiner  wichtigen 
Abhandlung  über  Claudius  von  Turin  hatte  E.  Dümmler 
(Sitzungsberichte  der  Berliner  Akademie  1895,  Nr.  23;  vgl. 
unsere  Notiz  in  dieser  Zeitschrift  XVI,  521)  auf  die  lohnende 
Aufgabe  hingewiesen,  die  zahlreichen  Schriften  des  Claudius  nach 
den  in  ihnen  verborgenen  Zeugnissen  des  reformatorischen  Geistes 
des  Turiner  Bischöfe  zu  durchforschen.  Noch  bevor  Dümmlers 
Mitteilung  gedruckt  vorlag,  war  bereits  die  Schrift  Combas  er- 
schienen, der  an  der  Lösung  jener  Aufgabe  mit  dem  erfreulich- 
sten Eifer  und  Erfolg  gearbeitet  hat.  Auf  eine  Ausnutzung  des 
gesamten  ungedruckten  Nachlasses  des  Claudius  hat  Comba  leider 
verzichten  müssen ;  immerhin  haben  die  bisher  gedruckten  Bruch- 
stücke aus  den  Schriften  des  Claudius  in  Verbindung  mit  den 
von  Comba  aus  den  Handschriften  geschöpften  Zeugnissen  eine 
genügend  sichere  Grundlage  für  die  Darstellung  des  Lebens  und 
der  Wirksamkeit  des  Claudius  geboten.  Combas  Arbeit  selbst 
zeichuet  sich  durch  sorgfältige  Benutzung  der  Quellen  und  früheren 

18* 


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'276 


NACHRICHTEN. 


Untersuchungen,  wie  durch  sicheres  und  zugleich  unbefangenes 
Urteil  aus;  namentlich  gilt  dies  von  seiner  Charakterisierung  der 
kirchlichen  Stellung  des  Claudius,  die  in  den  wesentlichen  Punkten 
mit  dem  Urteile  Dümmlers  in  dessen  später  veröffentlichter  Ab- 
handlung übereinkommt.  Eingehend  wird  in  dem  Schluiskapitel 
„La  leggenda  valdese"  die  in  der  kirchengeschichtlichen  Litte- 
ratur  der  piemontesischen  Wal  denser  bis  auf  die  neueste  Zeit 
festgehaltene  Annahme  eines  Zusammenhangs  zwischen  der  von 
Claudius  ausgegangenen  Beformbewegung  und  der  Entstehung  des 
Waldensertums  zurückgewiesen.  Im  Anhange  werden  Angaben 
über  die  verschiedenen  Handschriften,  welche  Claudianische  Schriften 
enthalten,  unter  Beifügung  kurzer  Auszüge,  gegeben.  In  seinem 
gleichzeitig  erschienenen  Werkchen  „I  nostri  protestanti" 
(vgl.  oben  Nr.  90  S.  681)  hat  Comba  eine  gedrängtere  Dar- 
stellung des  Lebens  und  der  Lehre  des  Claudius  gegeben  und 
im  Anhang  sich  mit  den  wichtigeren  Ergebnissen  der  Dümmler- 
schen  Abhandlung  auseinandergesetzt. 

105.  A.  Allaria,  The  Culdees,  in  The  Scottish  Review 
49  (1895),  Januar-Heft  Betrachtet  die  Culdeer  als  regulierte 
Kanoniker. 

106.  Fechtrup,  Die  Paulicianer,  in  Wetzer  und 
Weltes  Kirchenlexikon,  2.  Aufl.,  Bd.  IX,  Sp.  1646—1651.  — 
D.  E.  Takela,  Ehemalige  Paulikianer  und  jetzige 
Katholiken  in  der  Gegend  von  Philippopel,  in  Sbornik 
des  bulgarischen  Unterrichtsministeriums  XI  (1894),  S.  103 — 134 
(Bulgarisch). 

107*  B  Twigge,  Albi  and  the  Albigen sians,  ia 
Dublin  Beview  1894,  S.  309—332. 

108.  Gaetano  Salvemini,  L'abolizione  dell*  or- 
dine  dei  templari  a  proposito  di  unarecente  pubbli- 
cazione.  In:  Archivio  storico  italiano,  Ser.  V,  Tomo  XV  Disp. 
2.  del.  1895,  p.  225—264.  Bespricht  die  Ergebnisse  der  neuen 
Werke  von  Prutz,  Schottmüller,  Lea  und  namentlich 
von  Gmelin.  In  der  Beurteilung  des  letztgenannten  Werkes 
kommt  der  Verfasser  im  wesentlichen  mit  der  unsrigen  (Zeitschr. 
f.  K.-G.  XV,  448)  überein.  Beachtenswert  sind  des  Verfassers 
Bemerkungen  über  die  tieferen  Ursachen  des  Unter- 
gangs des  Templerordens:  „ Topposizione  in  cui  l'ordine  si 
trovava  contro  tutto  l'ambiente  religioso  e  politico,  che  dal  se- 
colo  XII.  in  poi  era  vennto  formandosi  in  Francia  e  in  Europa, 
doveva  prima  o  dopo  condurlo  inevitabilmente  alla  rovina  .  . 
Di  fronte  a  questa  necessitä  le  individualitä  del  re  di  Francia  e 
del  Papa  passano  in  seconda  linea;  la  loro  azione  non  fu  se 
non  il  prodotto  delle  condizioni  politiche  e  religiöse  dell'  eta 
loro"  (S  256).  In  einem  Exkurs  untersucht  Salvemini  die  Glaub- 


NACHRICHTEN. 


277 


Würdigkeit  der  Angaben  Giov.  Villaris  (lib.  VIII,  cap.  92)  über 
die  Geschichte  des  Templerprozesses  und  weist  die  Entstehung 
und  die  Quellen  dieses  bisher  nicht  hinreichend  gewürdigten  Be- 
richtes nach.  —  Vgl.  auch  Hagenmeyers  Besprechung  des 
Gme linschen  Werkes  (le  proces  des  Templiers,  ä  propos  d'un 
Ii  vre  recent)  in  der  Revue  de  l'orient  latin  3,  107  (auch  separat 
erschienen,  Paris,  Leroux,  1895). 

100.  F.  Lacoste,  Nouvelles  Stüdes  eur  Clement  V, 
in  der  Revue  catholique  de  Bordeaux,  Annee  1895;  behandelt 
u.  a.  des  Papstes  Stellung  zum  Templerprozefs. 

110.  A.  Trudon  des  Ormes,  Note  sur  un  fragment-  de 
la  Regle  latine  du  Temple,  in  den  Melanges  Julien  Havet 
Recneil  de  travaux  d'lrudition  de'die's  ä  la  memoire  de  J.  Havet, 
p.  355—358  (Paris,  Leronx,  1895).  Veröffentlicht  die  drei 
letzten  Kapitel  der  ersten  Ordensregel  der  Templer  nach  dem 
Ms.  lat.  10478  der  Bibüotheque  nationale,  saec.  XIII. 

111.  In  der  dem  russischen  Historiker  Tb.  Sokolow  von 
dreizehn  Schülern  dargebrachten,  in  russischer  Sprache  abgefafsten 
Festschrift  -t {yuvoq  (St.  Petersburg,  Skorochodow,  1895, 
182  S.)  handelt  B.  Melioranski  über  antichristliche  Be- 
wegungen in  Macedonien  im  1 4.  Jahrhundert,  speziell 
über  dort  sich  verbreitende  judaisierende  Ketzereien  (nach 
Lit  Centralbl.  1896,  Nr.  2,  Sp.  57). 

IIS.  Einen  höchst  wichtigen  Beitrag  zur  Kenntnis  der  hä- 
retischen Bewegungen  innerhalb  des  Franziskaner- 
Ordens  in  der  Zeit  von  1294  — 1340  liefert  die  Ab- 
handlung von  Feiice  Tocco  „I  fraticelli  o  poveri  eremiti  di 
Celestino  secondo  i  nuovi  documenti"  (Bollettino  della  Societä 
Storica  Abmzzese,  Anno  VII,  Puntata  XIV,  1895,  S.  117—159). 
An  der  Hand  der  neuerdings,  namentlich  von  Ehrle,  bekannt- 
gemachten wichtigen  Quellen  und  unter  Heranziehung  bisher  un- 
bekannt gebliebener  Aktenstücke  giebt  Tocco  eine  sorgsame  Dar- 
stellung der  Geschichte  des  auf  Veranlassung  des  Papstes  Cö- 
lestin  V.  von  den  beiden  Franziskaner-Spiritualen  Pietro  da  Ma- 
cerata  (Liberato)  und  Pietro  da  Fossombrone  (Angelo  Clareno) 
gestifteten  Ordens  der  „Pauperes  eremitae  domini  Coelestini"  in 
der  Zeit  von  1294—1337,  die  bald  ebenso  wie  die  toskanischen 
Dissidenten  des  Franziskanerordens  im  Volksmunde  den  Namen 
„Fraticellen"  erhielten;  er  weist  auf  die  zwischen  den  eigent- 
lichen Spiritualen  und  den  Fraticellen  bestehenden  tiefgreifenden 
Gegensätze  hin,  macht  auf  die  Besonderheiten  gewisser  Gruppen 
innerhalb  der  Gemeinschaft  der  Fraticellen  aufmerksam  und  zeigt, 
wie  es  geschehen  konnte,  dafe  der  von  Johann  XXII.  als  „nequam 
hereticus"  verfehmte  Führer  der  Fraticellen,  Angelo  Clareno  (gest. 
1337),  einen  Platz  unter  den  „Seligen"  der  Icatholischen  Kirche 


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278 


NACHRICHTEN 


erhielt.  Von  den  im  Anhange  beigefügten  Aktenstücken  sind  ein 
Brief  Angelos  an  seinen  Ordensgenossen,  den  Prinzen  Filippo  von 
Majores,  nnd  Fragmente  seines  „ Breviloquium u  von  besonderer 
Wichtigkeit. 

*11S.  Hans  Schulz,  Peter  von  Murrhone  (Papst 
Cölestin  V.),  Teil  I.  Berliner  Inaugural-Dissertation.  Berlin, 
W.  Weber,  1894.  46  S.  8.  Die  beiden  ersten  Kapitel  der  anf 
gründlichen  Quellenstadien  beruhenden  Erstlingsschrift  behandeln 
Peters  Leben  und  Bedeutung  als  Einsiedler  und  Ordensstifter  und 
seine  Wahl  zum  Papste  1294.  Das  dritte  Kapitel  beleuchtet 
CMestins  V.  Stellung  zu  der  reformato risch-apoka- 
lyptischen  Bewegung  seiner  Zeit,  seine  engen  Bezie- 
hungen zu  den  Franziskaner-Spiritnalen  und  die  weit- 
gehenden Erwartungen,  welche  die  joachimitischen  Kreise 
auf  den  dem  Geiste  strengster  Askese  huldigenden  neuen  Papst 
gesetzt  haben. 

114.  Petrus  Johannes  Olivi  widmet  einen  beachtens- 
werten Artikel  der  Franziskaner  J.  J  e  i  1  e  r  in  Wetzer  und  Weltes 
Kirchenlexikon,  2.  Aufl.,  Bd.  IX,  Sp.  828 — 834.  —  Crivelucci, 
La  penitenza  di  frate  Elia  (Documento  inedito  1253),  in 
Studi  storici  IV,  1  (1895),  S.  41—54. 

115.  Gasquet,  The  great  pestilence  1348/49. 
London,  Simpkin  and  Marshall,  1893.    XX  u.  244  S.  8. 

116.  Franz  Kampers,  K aiserpr ophetieen  und 
Kaisersagen  im  Mittelalter.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  deutschen  Kaiseridee  (Historische  Abhandlungen,  hrg.  von 
Th.  Heigel  und  H.  Grauert,  Heft  8).  München,  H.  Lüneburg, 
1895.  262  8.  8.  Mk.  8.  Auf  ausgebreiteten  Studien  und  Be- 
nutzung ungedruckter  Quellen  beruhende  und  von  gründlicher 
Beherrschung  des  Stoffes  zeugende  Darstellung;  der  dem  Werke 
angefügte  Exkurs  „Über  die  tibur tinische  Sibylle  des 
Mittelalters"  ist  separat  als  Inaugural-Dissertation  (München 
1894,  32  S.)  erschienen. 

11*7.  Franz  Jostes,  Meister  Eckhart  und  seine 
Jünger.  Ungedruckte  Texte  zur  Geschichte  der  Deutschen 
Mystik.  Freiburg  i.  Schw.,  Univ.-Bnchhandlung,  1895  (Collectanea 
Friburgensia.    Vol.  IV).    4.    XXVIII  n.  161  S. 

*  118.  Paul  Fredericq,  De  geheimzinnige  ketterin 
B 1  oemaer dinn e  (zuster  Hadewijch)  en  de  secte  der 
„Nuwe"  te  Brüssel  in  de  14d*  eeuw.  Overgedrukt  uit  de 
Verslagen  en  Mededeelingen  der  kon.  akademie  van  Wetenschappen, 
Afd.  Letterkunde  3do  reeks,  Deel  XII.  Amsterdam,  Johannes 
Müller,  1895.  22  S.  8  (S.  77—98).  —  Zu  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts machte  in  Brüssel  eine  im  Rufe  der  Heiligkeit  stehende 
Mystiker  in  „  B  foemaerdinne"  durch  die  Visionen,  die  sie 


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NACHRICHTEN. 


279 


sich  zuschrieb,  und  die  von  ihr  verfafsten  mystischen  Schriften 
grofses  Aufsehen;  Johann  von  Kuysbroecks  Polemik  gegen  ihre 
angeblichen  Ketzereien  konnte  es  nicht  bindern,  dals  sie  noch 
nach  ihrem  Tode  (ca.  1336)  als  Heilige  und  Wunderthäterin  an- 
gerufen wurde.  In  dem  vorliegenden  Aufsatze  unterrichtet  uns 
der  verdienstvolle  Erforscher  der  niederländischen  Inquisitions- 
und Ketzergeschichte  zunächst  über  die  Ergebnisse  der  Untersuchung, 
welche  der  1888  verstorbene  Brüsseler  Bibliothekar  Karel 
Ruelens  über  jene  Mystikerin  und  ihren  litterarischen  Nachlafs 
geführt  hat.  Danach  scheint  festzustehen,  dafs  jene  „Bloe- 
mardine"  (vermutlich  die  Tochter  eines  Brüsseler  Patriziers 
Bloemaert)  mit  der  mystischen  Schriftstellerin  „Schwe- 
ster H  ade  wich"  identisch  ist.  Unter  deren  Namen  ist 
uns  eine  nicht  geringe  Zahl  von  poetischen  und  prosaischen 
Schriften  erhalten;  nur  ihre  Gedichte  sind  1875  veröffentlicht 
worden,  während  die  Herausgabe  ihrer  Prosaschriften  J.  Ver- 
coullie  vorbereitet.  Aus  den  ungedrnckten  Schriften  der 
Hade wich-Bloemardinne  giebt  uns  Fredericq  Aus- 
züge, die  uns  höchst  wertvolle  Aufschlüsse  über  die  Geistes- 
richtung der  dem  Kreise  der  Sekte  vom  freien  Geiste  wohl  nicht 
allzu  ferne  stehenden  Mystikerin,  über  ihre  Auffassung  der  all 
ihr  Denken  beherrschenden  „goddelijken  Minne",  ihre  Visionen, 
Verzückungen  und  Prophezeinngen  gewähren.  Wichtig  sind  auch 
Fredericqs  Nachrichten  über  den  Anhang  Hadewichs,  die  Sekte 
der  „Nu wen"  (Neuen),  die  sich  vorwiegend  aus  Klosterleuten 
zusammensetzte;  trotz  wiederholter  Verfolgungen  durch  die  Inqui- 
sition hat  sich  die  mystische  Sekte  in  Brabant  noch  bis  in  den 
Anfang  des  15.  Jahrhunderts  erhalten. 

119.  Das  Leben  des  Lütticher  Priesters  Lambert  le 
Begue  (gest.  um  1177),  auf  welchen  die  Entstehung  der 
niederländischen  Beginenkonvente  zurückgeht,  war  bisher  fast 
ganz  in  Dunkel  gehüllt;  namentlich  die  über  Lamberts  Bekämpfung 
der  sittlichen  Ausschreitungen  der  Lütticher  Geistlichkeit  vor- 
liegenden Nachrichten  waren  sehr  lückenhaft,  so  dafs  von  Lam- 
berts neuestem  Biographen  J.  Daris  (Hist.  du  diocese  et  de  la 
princip.  de  Liege,  1890)  die  von  Lambert  gegen  den  Lütticher 
Klerus  geführten  Angriffe  als  unberechtigte  und  ketzerische  be- 
zeichnet werden  konnten.  Um  so  erwünschter  ist  P.  Fredericqs 
Hinweis  auf  eine  Anzahl  von  Aktenstücken,  die  eben  jene  Kon- 
flikte betreffen  und  in  einer  Handschrift  des  Museum  Hunteria- 
num  in  Glasgow  erhalten  sind  (Les  documents  de  Glasgow 
concernant  Lambert  le  Begue  in  Bulletin  de  l'acad&nie 
royale  de  Belgique,  3e  sene,  T.  XXIX,  no  1  [1895],  S.  148— 
165);  ein  Teil  derselben  ist  von  Ulysse  Robert,  der  die  in  das 
Pontifikat  Caliitus'  III.  gehörenden  Stücke  irrigerweise  auf  Ca- 


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28u 


NACHRICHTEN 


lixtus  II.  bezog,  in  seinem  „Bullaire  du  pape  Calixte  II."  (1891) 
erstmals  veröffentlicht  worden.  Wir  entnehmen  ihnen  u.  a,, 
dafs  Lambert  sich  vorwiegend  gegen  die  simonistischen  Müs- 
bräuche  in  der  Lütticher  Diöcese  gewandt  hatte,  dais  ihm  in 
formlosester  Weise  der  Prozels  als  Ketzer  gemacht  wurde,  dafs 
aber  Calixtus  mit  Entschiedenheit  für  Lambert  eintrat,  der  als- 
dann in  Rom  selbst  seine  Rehabilitierung  betrieb.  —  In  Er- 
gänzung des  vorstehend  erwähnten  Aufsatzes  teilt  P.  Fredericq 
(Note  complömentaire  sur  les  documents  de  Glasgow 
concernant  le  Begue,  in  den  Bulletins  de  l'academie  royale 
de  Belgique,  3.  sene,  T.  XXIX,  no.  6  [juin],  1895,  S.  990—1006), 
ferner  aus  der  gleichen  Glasgower  Handschrift  eine  bisher  un- 
bekannt gebliebene  ausführliche  Denkschrift  mit,  die  von  Lambert 
le  Begue  zu  seiuer  Verteidigung  an  Papst  Calixtus  III.  gerichtet 
wurde.  Lambert  weist  hier  auf  eine  Reihe  von  Ketzereien  hin, 
die  ihm  von  seinen  Gegnern  zur  Last  gelegt  wurden:  Bekämpfung 
der  Pilgerfahrten  und  der  Sonn-  und  Festtagsfeier,  Verbreitung 
von  Übersetzungen  der  biblischen  Schriften ,  Verächtlichmachung 
des  Weltklerus  u.  8.  w.  Inwieweit  Lamberts  Apologie  und  die 
gegen  seine  Gegner  erhobenen  Anklagen  Glauben  verdienen, 
wird  erst  noch  festzustellen  sein.  Jedenfalls  sind  die  neu  er- 
schlossenen Quellen  über  die  Persönlichkeit  des  merkwürdigen 
Mannes,  die  uns  zugleich  ein  ungemein  farbenreiches  Bild  der 
damaligen  religiösen  Zustände  in  den  Niederlanden  entwerfen,  von 
dem  höchsten  Interesse. 

120.  K.  K.,  Etwas  von  den  Beghinen,  In  Deutscher 
Merkur,  Jahrgang  26  <1895),  Nr.  49.  —  Schildert  die  Einrich- 
tungen der  Belgischen  und  namentlich  der  Genter  Beginen-Höfe 
in  der  Gegenwart. 

121.  Eine  populäre  Darstellung  des  Lebens  und  der 
Wirksamkeit  Savonarolas,  giebt  eine  Artikelreihe  von 
E.  Z.,  Girolamo  Savonarola  im  Deutschen  Merkur,  Jahrg.  26 
(1895),  Nr.  50.  51  und  52. 

122.  Eng.  Arnaud,  Histoire  des  persäcutions  en- 
dure"es  par  les  Vaudois  du  Dauphine"  aux  XIIP,  XIV* 
et  XV6  siecles,  im  Bulletin  de  la  soci^te*  d'histoire  vaudoise, 
Nr.  12  (1895),  p.  17-140.  Die  fleifsige  Untersuchung  ge- 
winnt durch  die  Benutzung  ungedruckter  Quellen,  namentlich  der 
waldensischen  Handschriften  von  Dublin  und  Cambridge,  beson- 
deren Wert. 

123.  Franz  Jostes,  Die  „ Waldenserbibeln"  und 
Meister  Johannes  Rellach  (Historisches  Jahrbuch  der 
Görresgesellschaft,  Bd.  XV,  Hffc.  4  [1894],  S.  771  —  795).  — 
Der  erste  Teil  des  Aufsatzes  polemisiert  gegen  einzelne  Auffas- 
sungen Walthers  in   dessen  „Deutscher  Bibelübersetzung  des 


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NACHRICHTEN. 


281 


Mittelalters",  namentlich  gegen  dessen  Stellang  zu  der  von  Keller 
nnd  dem  Referenten  vertretenen  Hypothese  von  dem  waldensischen 
Ursprung  der  vorlutherischen  Bibeldrucke.    Im  zweiten  Teile 
sucht  Jostes  auf  Grund  der  bereits  von  Walther  herangezogenen 
Prologe  einer  Nürnberger  deutscheu  Bibelhandschrift  den  Beweis 
zu  erbringen,  dafs  die  gedruckte  vorlutherische  Bibel- 
übersetzung das  Werk  eines  aus  dem  Bistum  Eon- 
stanzstammenden, wahrscheinlich  dem  Dominikaner- 
orden angehörenden  Magisters  Johannes  Rellach  ist, 
und  dafs  ihre  Entstehung  in  die  Zeit  nach  1450 
fällt.    Jostes'  Polemik  wie  Beweisführung  ist  sehr  schneidig, 
aber  nicht  überzeugend  geführt;  man  mute  die  Zuversicht  be- 
wundern, mit  der  er  seine  Hypothese  auf  den  nach  seinem 
eigenen  Zugeständnis  „heillos  verworrenen"  Nürnberger  Prologen, 
die  durch  zwei  Abschreiber  in  gewalttätigster  Weise  abgeändert 
worden  sind,  aufgebaut  hat.    Es  wird  aber  bei  dem  in  durchaus 
besonnener  Weise  gewonnenen  Ergebnis  Waltbers  bleiben  müssen, 
dafs  Bellach  nicht  der  Urheber,  sondern  ein  Bearbeiter  der  ihm 
von  Jostes  zugeschriebenen  Bibelübersetzung  war;  der  Umstand 
dafs  spätere  Abschreiber  seiner  Bearbeitung,  die  von  Jostes  selbst 
als  höchst  oberflächlich  und  roh  arbeitend  charakterisiert  werden, 
Bellach  als  „Meister  des  Buches"  nennen,  hätte  denn  doch  nicht 
ernstlich  der  Auffassung  Walthers  als  Gegenargument  entgegen- 
gehalten werden  dürfen.    Jostes*  in  Aussicht  gestelltes  Werk 
über  die  deutsche  Bibelübersetzung  des  Mittelalters,  will  er  darin 
an  der  besprochenen  Hypothese  festhalten,  wird  auch  zunächst 
den  Nachweis  zu  erbringen  haben,  dafs  alle  Handschriften  des 
ersten  Obersetzungskreises  der  Zeit  nach  1450  angehören.  Auf- 
fallenderweise geschieht  in  Jostes1  Aufsatz  der  nach  Walther 
(S.  703)  diesem  Kreise  angehörenden  Übersetzung  der  Apokalypse 
in  der  Münchener  Handschrift  Cgm  292  mit  keinem  Worte  Er- 
wähnung, obwohl  die  von  Walther  verzeichnete  Datierung  dieser 
Handschrift  —  1424  —  allein  genügen  würde,  Bellachs  An- 
spruch auf  die  Urheberschaft  der  ihm  von  Jostes  zugeschriebenen 
neutestamentlichen  Bibelübersetzung  zurückzuweisen.  —  Die  Ent- 
deckung von  Jostes  ist  bereits  von  G.  Krupp  in  seinem  gleich- 
falls gegen  Walthers  Ergebnisse  eifrig  polemisierenden  Aufsatze 
über  „Die   deutsche  Bibelübersetzung   des  Mittel- 
alters" (Historisch-politische  Blätter,  Bd.  CXV  [1895],  S.  931 
bis  940)  behufe  Widerlegung  des  „  Waldenser-Märchens"  ver- 
wertet worden. 

194.  H.  van  Druten,  Geschiedenis  der  Neder- 
landsche  bijbel vertaling.  1.  Deel,  1.  stuk.  Leiden  1895. 
XII  u.  170  S.  8.    Mk.  6,75. 

125.    E.  Arnaud,  Becit  historique  de  la  conversion  au 


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282 


NACHRICHTEN. 


protestantisme  des  Vaudois  des  Alpes  I — III,  in  Revue 
de  theol.  et  des  quest.  rel.  IV,  5  (1895),  S.  449—473. 

126.  In  dem  „Bolletin  de  la  socie'te*  d'histoire  vandoise4* 
Nr.  12  (1895),  S.  1—16  wird  die  „Deklaration  de  .  .  . 
Ernest  Louis,  landgrave  de  Hesse  .  .  .  en  faveur 
des  Vandois"  vom  Jahr  1699  nach  dem  Originaltext  mit- 
geteilt. In  deutscher  Übersetzung  erschien  die  Deklaration  zu- 
sammen  mit  anderen,  die  in  Hessen-Darmstadt  angesie- 
delten Waldenser  betreffenden  Aktenstücken  in  dem  von 
Bon  in  herausgegebenen  Heft  10  des  3.  Zehnts  der  „Geschichts- 
blätter des  Deutschen  Hugenotten- Vereins"  (1895).  —  Ein 
Schreiben  der  Piemontesischen  Waldenser  vom  Jahr 
1  72  8  an  den  Herzog  von  New-Castle,  die  den  Waldensern  ge- 
währten englischen  Unterstütze  ngsgelder  betreffend,  veröffentlichen 
die  Proceedings  of  the  Huguenot  Society  of  London,  Vol.  V,  no.  1 
(1894),  p.  199sqq.  —  D.  Bonin,  Die  Wal  denserdör  fer 
Bohrbach,  Wembach  und  Hahn.  Magdeburg,  Heinrichs- 
hofen, 1895.  23  S.  Mk.  0,50.  (Geschichtsblätter  des  deutschen 
Hugenottenvereins.  4.  Zehnt,  9.  Heft.)  —  0.  Co  cor  da,  La 
verite"  sur  le  räveil  dissident  et  sur  le  räveil  vau- 
dois ä  propos  de  Topuscule  de  Mr.  W.  Meille.  Pine- 
rolo  1894.  8.  Vgl.  unsere  Notiz  in  Zeitschr.  f.  K.-G.  XIV, 
8.  459,  Nr.  63. 

1*27.  J.  Loserth,  Über  Wiclifs  erstes  Auftreten 
als  Kirchenpolitiker.  Sonderdruck  aus  der  Festgabe  für 
Franz  von  Krones.  8  S.  (Graz,  Leuschner  &  Lubensky,  1895. 
Mk.  4.)  —  Man  hatte  bisher  allgemein  die  Anfänge  der  kirchen- 
politischen Tbätigkeit  Wiclifs  in  das  Jahr  1366  gesetzt,  indem 
man  annahm,  dafs  Wiclif  als  Wortführer  der  Opposition  auf- 
getreten sei,  welche  die  Zurückweisung  der  Ansprüche  Papst  Ur- 
bans V.  auf  Empfang  des  englischen  Lehenszinses  damals  ver- 
anlafste.  Nach  Loserths  Darlegung  läfst  sich  jedoch  Wiclifs 
Beteiligung  an  jenem  Konflikte  nicht  nachweisen;  die  Wiclifsche 
Streitschrift,  die  man  mit  der  Angelegenheit  des  von  der  Kurie 
geforderten  Lehenszinses  in  Verbindung  gebracht  hatte,  gehört 
vielmehr  in  die  Zeit  nach  1376.  Die  näheren  Ausführungen  und 
Beweise  für  seine  These,  durch  die  Wiclifs  Stellung  zu  den 
kirchlichen  Fragen  in  jener  Periode  in  ein  ganz  neues  Licht  ge- 
setzt wird,  soll  ein  demnächst  in  der  English  Historical  Review 
erscheinender  Aufsatz  bringen. 

128*  J.  Loserth,  Das  vermeintliche  Schreiben 
Wiclifs  an  Urban  VI.  und  einige  verlorene  Flug- 
schriften Wiclifs  aus  seinen  letzten  Lebenstagen, 
in  der  Historischen  Zeitschrift,  Neue  Folge,  Bd.  XXXIX  (1895), 
S.  476 — 480.    Von  verschiedenen  Wiclif-Forschern  ist  ein  von 


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NACHKICHTEN. 


283 


Wiclif  an  Papßt  Urban  VI.  gerichtetes  Schreiben  in  das  Jahr 
1384  verlegt  worden.  Loserth  weist  nach,  dafs  man  dieses 
Schreiben,  dessen  Echtheit  von  Lechler  mit  Unrecht  angezweifelt 
wurde,  nicht  als  einen  wirklichen  Brief,  sondern  als  ein  zu  Agi- 
tationszwecken verbreitetes  Fingblatt  auffassen  mufs,  und  dafs 
seine  Entstehung  in  die  unmittelbar  auf  Urbans  VI.  Wahl  folgende 
Zeit  zu  setzen  ist  Aus  Wiclifs  Schrift  über  den  Antichrist  ist 
ersichtlich,  dafs  Wiclif  im  Jahre  1383  oder  1384  Flugschriften, 
die  an  den  Papst,  an  der  Bischof  von  Lincoln  und  an  die  Orofsen 
des  Landes  gerichtet  waren,  und  welche  die  Lehre  vom  Altars- 
sakramente und  die  Frage  der  geistlichen  Orden  behandelten, 
verbreitet  hat. 

129.  F.  D.  Matthew,  The  Authorship  of  the  Wy- 
cliffite  Bible,  in  English  Historie.  Review,  Nr.  37,  Vol.  X 
(1895),  S.  91 — 99.  —  Dafs  die  in  zwei  verschiedenen  Rezen- 
sionen vorliegende  erste  englische  Bibelübersetzung  auf  Wyclif 
und  dessen  Jünger  zurückgehe,  war  bisher  ohne  Widerspruch 
angenommen  worden.  Dem  gegenüber  hatte  ein  Artikel  Gas- 
quets  in  dem  Juli-Heft  des  Jahrgangs  1894  der  „Dublin  Re- 
view" nachzuweisen  gesucht,  dafs  diese  Annahme  der  Grundlage 
entbehre  und  dafs  wir  jene  Bibelübersetzung  als  eine  aus  ortho- 
doxen Kreisen  stammende,  von  der  Kirche  autorisierte  zu  be- 
trachten hatte.  Mit  Gasquets  Widerlegung  befafst  sich  der  oben 
erwähnte  Artikel  Matthews,  der  den  Ursprung  jener  mittel- 
alterlichen englischen  Bibel  aus  dem  Kreise  Wiclifs  in  hohem 
Grade  wahrscheinlich  macht.  Immerbin  bleibt  nach  den  nun 
einmal  erhobenen  Zweifeln  eine  eingehende  Untersuchung  dieser 
Bibelübersetzung  und  der  auf  ihren  Wicüfschen  Ursprung  hin- 
weisenden Eigentümlichkeiten  noch  dringend  zn  wünschen. 

130«  J.  Baker,  A  forgotten  great  Englishman,  or 
the  life  and  work  of  Peter  Payne.  In:  Academy  1895, 
März  23. 

131.  Matyas  kiräly  levelei.  Külügyi  osztaly.  1.  kötet 
1458 — 1479.  Közz.  Fraknöi  Vilmos  (Briefe  des  Königs 
Mathias.  Sektion  für  äufsere  Angelegenheiten.  Bd.  I,  1458 
bis  1479.  Herausg.  von  V.  Fraknöi).  Budapest,  Akademie,  1893. 
XIII  und  496  S.  8.  Enthält  320  zum  Teil  bisher  ungedruckt 
gebliebene,  zum  Teil  schwer  erreichbare  Briefe  des  Königs  Ma- 
thias von  Ungarn,  die  u.  a.  für  seine  Stellung  zu  Böhmen 
und  zum  Husitismus  von  Interesse  sind.  Eine  wahrhafte 
Mifshandlung  der  Benutzer  der  ausnahmslos  aus  deutschen  und 
lateinischen  Stücken  sich  zusammensetzenden  wichtigen  Urkunden- 
sammlung bedeutet  es,  dafs  sämtliche  Regesten,  Ursprnngsvermerke 
und  Anmerkungen  sowie  das  Register  in  magyarischer  Sprache 
abgefafst  sind.  —  G.  Hes,  Über  den  Einflufs  des  Jo- 


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284 


NACHRICHTEN. 


hann  Vitez  von  Zredno  und  des  Georg  von  Podie- 
brad  auf  die  Wahl  des  Mathias  Corvinus  zum  unga- 
rischen König.  Programm  des  Gymnasiums  zu  Neuhaas  1894 
(Tschechisch).    Mit  Benutzung  ungedruckter  Quellen. 

132.  Jaroslaw  Göll,  K.  Sigmund  und  Polen  1420 
bis  1436.  I  und  II.  In  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  öster- 
reichische Geschichtsforschung,  Bd.  XV  (1894),  S.  441—478.  — 
Derselbe,  Artikel  III  und  IV,  ebenda,  Bd.  XVI  (1895),  S.  222 
bis  275.  Wichtiger  Beitrag  für  die  Kenntnis  der  Beziehungen 
z wis eben  P olen  und  dem  Husitismus  in  der  bezeichneten 
Periode.  Unter  steter  Auseinandersetzung  mit  den  neueren  pol- 
nischen Arbeiten  von  A.  Prochaska,  St.  Smolka,  A.  Lewicki  und 
unter  umsichtiger  Benutzung  der  durch  die  Veröffentlichungen 
der  Krakauer  Akademie  erschlossenen  wichtigen  neuen  Quellen 
(namentlich  des  Codex  epistolaris  Witoldi,  1882,  und  der  drei 
Bände  des  Codex  epistolaris  saec.  XV.,  1876—1894)  sucht  der 
Verfasser  das  thatsächliche  Verhältnis,  das  zwischen  König  Wla- 
dislaw  von  Polen  und  den  litauischen  Grofsförsten  Witold  und 
Swidrigello  einerseits  und  den  Husiten  anderseits  bestand,  sowie 
die  Motive,  die  den  immer  wieder  zwischen  Polen  und  Böhmen 
angeknfipften  Verhandlungen  zugrunde  lagen,  festzustellen.  Der 
Gang  dieser  Verhandlungen  ist,  was  Polen  betrifft,  nach  Göll 
durchweg  durch  politische  Erwägungen  bestimmt  worden.  Die 
Annahme,  dafs  es  in  Polen  eine  förmliche  Husitenpartei  gegeben, 
und  dafs  die  husitischen  Ideen  einen  Teil  der  politisch  mass- 
gebenden Kreise  Polens  ergriffen  hätten,  ist  nach  Göll  abzu- 
weisen. 

13S.  J.  Klecanda,  Polsko  a  Cechy  za  välek  hu- 
sitskvch  od  sjezdu  v  Kezmarku  do  bitvy  u  Lipan  a  smrti 
kräle  Vlasdislava.  Dokontani.  (Polen  und  Böhmen  in  den  Hu- 
sitenkriegen  von  der  Zusammenkunft  in  Käsmark  bis  zur  Schlacht 
bei  Lipan  und  dem  Tode  König  Wladislaws.  SchluTs.)  Programm 
des  Gymnasiums  in  Pfibram  1895.  19  S.  4.  (Tschechisch. 
Fortsetzung  der  1891  und  1894  erschienenen  Programmabhand- 
lungen.) 

134«  Job.  Huemer,  Historische  Gedichte  aus 
dem  15.  Jahrhundert,  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für 
österreichische  Geschichtsforschung,  Bd.  XVI,  Heft  4  (1895), 
S.  633 — 652.  Aus  zwei  Handschriften,  einer  Münchener  und 
einer  Admonter,  teilt  der  Verfasser  fünfzehn  lateinische  Gedichte 
des  aus  Krain  stammenden  Nicolaus  Petschacher,  vermutlich  eines 
Kanzleibeamten  Kaiser  Friedrichs  III.,  mit,  von  denen  die  Mehr- 
zahl die  Frage  der  Wiederbesetzung  des  böhmischen 
Thrones  nach  dem  Tode  Sigmunds  (1437)  und  die 


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NACHKICHTEN. 


Polemik  gegen  Polen  nnd  gegen  den  Husitismus  zum 
Gegenstande  haben. 

*  185.  Em.  Beck,  Handschriften  und  Wiegendrucke 
der  Gymnasialbibliothek  in  Glatz.  Teil  I.  Programm- 
abhandlung des  kgl.  kathol.  Gymnasiums  zu  Glatz  1892.  —  Ja- 
roslaw  Göll,  Nektere  prameny  k  näbozenskym  dejinäm  v  15. 
stoleti,  in  Vestnik  kräl.  ceske*  spolecnosti  nauk,  tfida  filos- 
hist. - jazykozp.,  1895  (Einige  Urkunden  zur  Religions- 
geschichte  des  1  5.  Jahrhunderts,  in  den  Sitzungsberichten 
der  königl.  böhmischen  Gesellscb.  der  Wissensch.,  Philosoph.-hist- 
philol.  Klasse,  1895).  —  1d  der  an  erster  Stelle  verzeichneten 
Programmabhandlong  war  von  E.  Beck  auf  den  Inhalt  einer  aus 
dem  ehemaligen  Glatzer  Augustinerkloster  stammenden  Handschrift 
der  Gymnasialbibliothek  zu  Glatz,  welche  die  Geschichte  der 
böhmischen  Brüderunität  und  des  Utraquismus  im 
15.  Jahrhundert  beleuchtet,  hingewiesen  worden.  Nach 
den  ihm  von  Beck  zur  Verfügung  gestellten  Aaszügen  hat  als- 
dann Göll  ausführlichere  Mitteilungen  über  die  in  jener  Hand- 
schrift überlieferten  Aktenstücke  gegeben.  Wir  erhalten  erstlich 
Auszüge  aus  einem  um  1488  geführten  polemischen  Brief- 
wechsel zwischen  dem  katholischen  Magister  Jacob 
Weydener  aus  Neisse  und  verschiedenen  Gliedern 
der  böhmischen  Brüder-Unität,  namentlich  dem  ehe- 
maligen Priester  Jakob  Zelcze  in  Sternberg;  ferner  wird  von 
Göll  ein  ausführlicher  Bericht  über  ein  1480  zu  Glatz  ab- 
gehaltenes Religionsgespräch  mitgeteilt,  das  zwi- 
schen dortigen  Ordensgeistlichen  und  vier  böh- 
mischen Brüdern,  die  in  Oberschlesien  für  die  Unitat  Pro- 
paganda machten,  abgehalten  wurde;  endlich  giebt  Göll  die 
Beschlüsse  einer  utraquistischen  Synode  vom  Jahre 
14  8  6  bekannt,  die  unsere  Kenntnis  des  Utraquismus  in  seiner 
spateren  Entwickelung  wesentlich  fördern. 

*  136.  B.  Beifort  Bax,  German  Society  at  the 
close  of  the  middleages.  London,  Swan  Sonnenschein  &  Co., 
1894.  XI  und  276  S.  8  (The  Social  Side  of  the  Reformation 
in  Germany,  Vol.  I).  Das  Bändchen  bezeichnet  sich  als  den 
ersten  Teil  einer  G esammtdarstellung  der  sozialen  Be- 
wegungen der  Ref o rma ti o nsze i t  in  Deutschland,  die 
in  den  zwei  folgenden  Bänden  bis  zum  Sturze  des  Reiches  der 
Münsterer  Wiedertäufer  fortgeführt  werden  soll.  Als  seine  Haupt- 
quellen nennt  der  Verfasser  Ranke,  Janssen  und  Egelhaaf,  deren 
Auffassungen  gegenüber  er  jedoch  sein  Urteil  nicht  gefangen 
geben  will.  Die  religiösen  und  kirchlichen  Zustände,  welche  die 
deutsche  Reformation  vorbereiteten,  schliefst  Bax  von  seiner  Be- 
trachtung aus;  in  erster  Linie  will  er  Über  die  wirtschaftlichen, 


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286 


NACHRICHTEN. 


litterarischen  und  gesellschaftlichen  Verhältnisse  Deutschlands  zu 
Anfang  des  16.  Jahrhunderts  nuterrichten.  Für  englische  Leser 
mag  die  nichts  Neues  bietende  populäre  Darstellung  als  bequeme 
Einführung  in  die  neuere  deutsche  Geschichte  dienen. 

137.  Frank  P.  Goodrich,  Beiträge  zur  Geschichte 
der  öffentlichen  Meinung  in  Deutschland  um  die 
Wende  des  15.  Jahrhunderts  Halle  1893  (Inaugural- 
Dissertation  der  Uni?.  Halle).  40  S.  8.  Das  erste  Kapitel  be- 
handelt „Die  Stimmung  des  gemeinen  Mannes",  betont  die  tief- 
gehende Einwirkung  des  Husitismus  und  die  durch  ihn  geförderte 
Verbreitung  sozial-revolutionärer  Ideen,  neben  denen  aber  doch 
eine  starke  nationale  Strömung  zur  Geltung  kommt.  Das  zweite 
Kapitel  sucht  die  Grundstimmung  in  den  gebildeten  und  gelehrten 
Kreisen  des  Zeitalters  Maximilians  I.  darzulegen,  indem  sie  die 
politischen  und  kirchlichen  Auffassungen  Wimpfelings,  Brants, 
Geilers,  Bebels  und  anderer  Humanisten  charakterisiert  Neue 
Aufschlüsse  werden  in  dem  gut  geschriebenen  Schriftchen,  das 
die  religiöse  Spannung  am  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  fast  gar 
nicht  berücksichtigt  und  leider  eine  Reihe  von  Vorarbeiten  sich 
hat  entgehen  lassen,  nicht  geboten. 

188.  G.  Buchwald,  Zu  Luthers  Schrift:  Ein  Send- 
brief von  dem  harten  Büchlein  wider  die  Bauern, 
in  Theologische  Studien  und  Kritiken  1896,  1,  S.  140 — 150. 

139«  Die  Geschichte  des  Münzerschen  Bauernauf- 
stands beleuchtet  G.  Popp  es  Mitteilung  „Aus  der  Zeit  des 
Bauernkriegs*'  in  der  Zeitschrift  des  Harzvereins  für  Geschichte 
und  Altertumskunde.  Jahrgang  27  (1894),  S.  310 — 314.  Vom 
Verfasser  werden  u.  a.  ein  Brief  Thomas  Münzers  an  den 
Rat  von  Allstedt  ans  1524  nnd  zwei  Urkunden  des  Jahres  1526, 
welche  den  Bauern-Prediger  Leonhard  Burckhardt  in 
Martinsrieth  betreffen,  abgedruckt 

140.  Ernst  Müller,  Geschichte  der  Bernischen 
Täufer.  Nach  den  Urkunden  dargestellt  Frauenfeld,  Huber, 
1895.  3  Bl.  u.  411  S.  —  Toth,  Über  die  Wiedertäufer 
in  Siebenbürgen  und  ihre  Bekehrung  durch  den  Jesuiten 
Delpini  (Magyarisch),  in:  Katholikus  Szemle  1892  (nach  dem  Re- 
ferate in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  Österr.  Geschichts- 
forschung, Bd.  XV  [1894],  8.  541). 

141.  Dem  Wolfgang  Ulimann,  genannt  Schorank,  aus 
St  Gallen,  einem  der  ersten  und  bedeutendsten  Führer  der 
Schweizer  Wiedertäufer  (gest  1528)  und  dem  den  wieder- 
täuferischen Kreisen,  namentlich  Johann  Denck,  nahestehenden 
gelehrten  Mainzer  Buchdrucker  Jacob  Vielfeld  (Po)ychorius, 
Multager,  Multicampianus)  widmet  L.  Keller  biographische  Auf- 


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NACHRICHTEN. 


287 


sätze  in  der  Deutschen  Biographie,  Bd.  XXXIX,  S.  I87f. 
677  f. 

*  142.  J.  Loserth,  Zwei  biographische  Skizzen 
ans  der  Zeit  der  Wiedertäufer  in  Tirol.  (Selbstverlag. 
Druck  von  Wagner  in  Innsbruck,  1895.  26  8.  8.  Sonder- 
abdruck aus  der  Zeitschrift  des  Ferdinandeums  für  Tirol  und 
Vorarlberg,  III.  Folge,  39.  Heft)  Mit  Benutzung  der  bekannten 
reichhaltigen  Beckschen  Quellensammlung  für  die  Geschichte  der 
Wiedertäufer  giebt  Loserth  erstlich  ein  Lebensbild  des  hervor- 
ragenden Täufer-Hauptes  Pilgram  Marpeck  aus  Battenberg, 
der  erst  unter  den  Tiroler  Wiedertäufern  eine  führende  Bolle 
spielte,  dann,  aus  Tirol  vertrieben,  in  Augsburg,  Strafsburg,  Ulm 
und  zuletzt  wieder  1540 — 1546  in  Augsburg  als  Führer  der 
Wiedertäufer  begegnet;  über  dessen  Disputationen  mit  den  Strafs- 
burger  Predigern,  namentlich  mit  Butzer  im  Jahre  1531  und 
eine  1543 — 1546  gegen  Schwenkfeld  geführte  litterarische  Fehde 
Marpecks  giebt  Loserth  ausführliche  Mitteilungen.  Die  an  zweiter 
Stelle  gegebene,  aus  der  Feder  J.  von  Becks  herrührende  Bio- 
graphie des  Innsbrucker  Hofpredigers  Gallus  Müller 
macht  uns  mit  dessen  hervorragendem  Anteil  an  der  Bekämpfung 
der  Tiroler  Wiedertäufer  in  den  Jahren  1535 — 1546  bekannt. 

143«  Einen  Auszug  aus  seiner  ausführlichen  Darstellung  des 
„Kommunismus  der  mährischen  Wiedertäufer  im  16.  und  17. 
Jahrhundert "  (vgl.  unsere  Notiz  in  Zeitschr.  f.  K.-G.  XV,  464) 
giebt  Lo s erths  Aufsatz  über  den  „Kommunismus  der  Hu- 
terischen  Brüder  in  Mähren  im  16.  und  17.  Jahr- 
hundert" in  der  Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte, 
Bd.  III  (1894),  S.  61—92.  —  Vgl.  auch  H.  Haupt,  Die 
mährischen  Wiedertäufer  und  ihre  kommunistische 
Verfassung,  in  Nr.  53/54  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zei- 
tung, wo  über  die  Hauptergebnisse  von  Loserths  Forschungen  be- 
richtet worden  ist 

144.  V.  M.  Beimann,  Mennonis  Simonis  qualis 
fuerit  vita  vitaeque  actio  exponatur.  Jena  1893. 
32  8.  8. 


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288 


NACHRICHTEN. 


Reformationsgeschichtliches. 

Von 

G.  Kawerau,  Th.  Kolde  u.  a. 


*  1.  Die  Fortführung  des  trefflichen  Lehrbuchs  der  Kirchen- 
geschichte von  W.  Möller  hat  nach  der  Verf.8  Tode  (8.  Jan.  1892) 
G.  Kawerau  übernommen.  Vor  seiner  kundigen  Hand  liegt  jetzt 
der  2.  Band  vor,  Reformation  und  Gegenreformation  umfassend 
(Lehrbuch  der  Kirchengesch,  von  W.  Möller,  3.  Band. 
Reformation  und  Gegenreformation,  bearbeitet  von 
G.  Kawerau.  Freiburg  i.  B.  und  Leipzig,  J.  C.  R.  Mohr,  1894. 
XVI  u.  440  S.)  Diese  Fortsetzung  darf  nach  allgemeinem  Urteile 
als  das  Muster  eines  Lehrbuchs  bezeichnet  werden,  indem  es 
allenthalben  auf  gründlichen  selbständigen  Forschungen  beruhend, 
in  erster  Linie  darbietet,  was  ein  Lehrbuch  bieten  soll,  eine  ge- 
drängte, möglichst  objektiv  gehaltene  Zusammenstellung  der 
Resultate  der  historischen  Forschung,  und  dabei  doch  durch  reiche 
Litteratur-  und  Quellennachweise  dem  etwaigen  Bedürfnisse  nach 
weiterer  Informierung  über  Einzelfragen  entgegenkommt.  Vielleicht 
wird  man  fragen  können,  ob  für  den  Studierenden  der 
Literaturnachweis  nicht  hier  und  da  etwas  zu  reichlich  ausge- 
fallen ist,  aber  der  Fachgenosse,  der  bei  der  Überfülle  der  Einzel- 
forschungen kaum  noch  Zeit  findet,  dieselben  zu  notieren,  wird 
gerade  für  diese  relative  Vollständigkeit  dem  Verf.  Dank  wissen. 
Im  übrigen  wäre  es  leicht,  auf  eine  Reihe  von  Kapiteln  zu  ver- 
weisen, in  denen,  wie  ich  glaube,  zum  ersten  male  die  Resultate 
neuerer  Forschung  in  einem  Lehrbuche  verarbeitet  sind,  so  in 
dem  Kapitel  über  „die  Verfassung  der  evangelischen  Kirchen" 
nach  dem  Augsburger  Religionsfrieden  S.  351  ff.  Aber  gerade 
hier  ist  mir  von  neuem  eine  sehr  fühlbare  Lücke  entgegenge- 
treten, nicht  so  sehr  des  vorliegenden  Buches,  denn  der  Ver- 
fasser hat  das,  was  wir  darüber  wissen,  trefflich  zusammen- 
gestellt, als  unseres  Wissens  von  diesen  Dingen  überhaupt 
Wir  operieren  da  doch  oft  mehr  mit  den  vorhandenen  Theorieen, 
die  ja  wohl  die  faktischen  Verhältnisse  begründen  sollen  und 
darum  ein  Recht  geben,  von  der  Theorie  auf  die  Praxis 
zurückzuschlielsen ,  als  mit  klaren  Erkenntnissen  von  der  Einzel- 
entwickelung. Es  ist  in  den  letzten  Jahren  namentlich  durch 
Schmollers  Forschungen  vieles  zur  Aufhellung  der  Entstehung 


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NACHRICHTEN. 


289 


und  Entwickelung  des  deutschen  Beamtenstaates  seit  der  Refor- 
mation geschehen,  aber  wie  es  zu  unserem  modernen  Landes- 
kirchentum  mit  seinem  kirchlichen  Beamtentum,  was  um  1600  schon 
überall  fertig  ist,  im  einzelnen  gekommen  ist,  unter  welchen  all- 
mählichen Entwickelungen  aus  dem  „Diener  am  Wort*'  der 
kirchliche  Beamte  wurde,  darüber  wissen  wir  m.  £.  noch 
recht  wenig,  und  ich  möchte  es  bei  dieser  Gelegenheit  als  eine 
sehr  wichtige  Aufgabe  bezeichnen,  in  allen  Gebieten  die  Ver- 
fassungs-  und  V erwaltungsgeschichte  der  evan- 
gelischen Landeskirchen  zu  erforschen,  wie  dies  Georg 
Müller  in  Dresden  für  die  sachsische  Landeskirche  gethan  (vgl. 
Oeorg  Müller,  Verfassungs-  und  Verwaltungsgeschicbte  der 
sächsischen  Landeskirche  in  „Beiträge  zur  sächsischen  Kirchen- 
gescbichte",  9.  Hft.  [1894]),  und  zwar  unter  besonderer  Berück- 
sichtigung der  grundlegenden  Entwickelung  von  1555 — 1600. 
Man  wird  dabei  wahrscheinlich  finden,  dafs  in  den  ineisten  Fällen 
nur  sehr  lose  Zusammenhänge  mit  der  Entwickelung  vor  dem 
Interim  vorhanden  sind,  und  dafs  die  durch  die  Lehrstreitigkeiten 
hervorgerufenen  Unruhen  ein  wichtigerer  Faktor  gewesen  sind, 
als  man  gemeinhin  annimmt.  Th.  Kolde. 

*  %,  Als  Einleitung  in  eine  Lutherbiographie  behandelt  der 
Bonner  Privatdocent  Arnold  E.  Berger  „die  Enlturaufgabe 
der  Reformation"  (Berlin,  E.  Hofmann  k  Co.,  1895.  VIII 
u.  300  S.)  Es  genügt  ihm  nicht,  dafs  man  die  Lutherbiographieen 
meist  nur  mit  einem  Rückblick  auf  die  religiösen  und  kirchlichen 
Zustande  und  das  Geistesleben  am  Ende  des  Mittelalters  einleitet, 
also  etwa,  wie  Kolde  gethan,  bei  1450  mit  der  Betrachtung 
anhebt.  Die  Ansätze  und  Vorbereitungen  auf  die  neue  Welt- 
anschauung und  die  neuen  Kulturideale  müssen  viel  weiter  zurück- 
verfolgt werden.  In  4  Entwickelungsreihen  weist  er  daher  die 
Überwindung  des  Mittelalters  nach:  in  der  allmählichen  Aus- 
bildung des  Nationalbewufstseins  seit  dem  13  Jahrhundert;  in  dem 
Aufkommen  einer  Laienkultur  im  Zosammenhang  mit  dem  Auf- 
streben der  Städte  und  dem  Emporkommen  der  Geldwirtschaft; 
im  Durchbruch  des  Individualismus  (Renaissance  und  Humanismus) 
und  in  dem  Werden  einer  Laienreligion.  Der  Verfasser,  dessen 
Studien  den  kulturgeschichtlichen  Gesichtspunkt  voranstellen,  er- 
innert uns  Theologen  durch  seine  gut  geschriebenen,  stoff-  und 
gedankenreichen  Ausführungen  an  die  Fülle  von  Beziehungen,  die 
uuiser  den  religiösen  und  kirchlichen  zusammengewirkt  haben, 
die  mittelalterliche  Welt  für  den  Anbruch  einer  neuen  Zeit  vor- 
zubereiten. Leider  verzichtet  die  Arbeit,  die  ursprünglich  nur 
das  einleitende  Kapitel  seiner  für  die  Bettel heimsche  Sammlung 
„Geisteshelden"  übernommene  Lutherbiographie  bilden  sollte,  auf 

ZnUchr.  f.  K.-G   WH,  1  u.  2 


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29n 


NACHRICHTEN. 


Quellennachweisungen;  man  mufs  das  am  so  mehr  bedauern,  als 
hier  gründliche  Studien  vorliegen. 


3.  Wertvolle  Notizen  über  die  Pflege  der  Predigt  am 
Ende  des  Mittelalters,  besonders  vonseiten  der  Ordensgeistlicbkeit 
(Carmeliter,  Dominikaner,  Franziskaner,  Benediktiner,  Cisterzienser) 
hat  N.  Paulus  in  der  Zeitschr.  Katholik,  74.  Jahrg.,  II,  279 ff. 
(Sept  1894)  in  einem  Artikel  „Zur  Geschichte  der  Predigt  beim 
ausgehenden  Mittelalter"  zusammengetragen.      G.  Eawerau. 

*  4.  Pieper,  Anton,  Dr.  Theol.,  Privatdocent  an  der  Kgl. 
Akademie  zu  Münster,  Zur  Entstehungsgeschichte  der 
ständigen  Nuntiaturen.  Freiburg  i.  B.,  Herderscbe  Verlags  - 
handlung,  1894.  222  S.  8.  Mk.  3.50.  In  diesem  inhaltsreichen 
Werke  behandelt  der  Verf.  zuerst  einleitungsweise  die  allgemeinen 
Ursachen  der  Einrichtung  ständiger  Nuntiaturen,  bei  der  die 
Kurie  dem  znerst  bei  den  italienischen  Staaten  aufgekommenen 
Brauche  folgte,  Form  nnd  Subjekt  der  Sendung,  die  verschiedenen 
Bezeichnungen,  Beglaubigung,  Gehaltsverhältnisse,  Fakultäten,  In* 
struktionen  etc.,  bespricht  dann  (Absch.  II)  die  Anfänge  ständiger 
Nuntiaturen  seit  dem  Ausgang  des  15.  Jahrb.  bis  Clemens  VII. 
(erster  ständiger  Nuntius  der  von  Alexander  VI.  am  25.  Mai  1500 
in  Venedig  beglaubigte  Angelo  Leonini;  am  deutschen  Kaiserhofe 
zuerst  seit  10.  Okt.  1513  Lorenzo  Campeggi),  weiter  (III.  Absch.) 
die  diplomatische  Vertretung  des  päpstlichen  Stuhls  unter  diesem 
Papste,  während  dessen  Begierung  infolge  der  stets  wechselnden 
Politik  die  aufserordentlichen  Missionen  überwogen,  und  endlich 
(IV.  Absch.)  das  päpstliche  Gesandscbaftswesen  unter  Paul  III., 
unter  welchem  das  Institut  der  ständigen  Nuntiaturen  als  ge- 
sichert erscheint,  während  der  Name  nuntius  Ordinarius,  obwohl 
schon  in  den  Depeschen  Morones  (S.  11)  nachweisbar,  erst  in 
der  zweiten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  die  allgemeine  angenom- 
mene Bezeichnung  ist.  Beigegeben  sind  in  IG  Nummern  eine 
Reihe  wert?oller  Analekten  und  eine  chronologische  Übersicht 
über  die  ordentlichen  und  aufserordentlichen  Nuntien  und  Le- 
gaten aus  der  Zeit  von  1500 — 1550. 

*  5.  Unter  dem  Titel  „Ungedruckte  Briefe  zur  all- 
gemeinen Keformationsgeschichte.  Aus  Handschriften 
der  Königlichen  Universitätsbibliothek  in  Göttingen"  (Abdruck  aus 
Bd.  XL  der  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  in  Göttingen).  Göttingen  1894.  57  S.  4°  ver- 
öffentlicht Tschackert  teils  im  Auszuge  (Nr.  XVIII,  XXII— XXV) 
teils  in  extenso  25  wertvolle  Briefe  resp  Schriftstücke,  von  denen 
Nr.  14,  wie  der  Herausgeber  noch  selbst  bemerkt  hat,  schon 


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NACHRICHTEN. 


291 


bei  De  Wette  III,  465  sieb  findet,  Nr.  I,  II  u.  V,  Briefe  des 
Eobanus  Hessns  an  Hieronymus  Baumgartner,  vor  kurzem  von 
Emst  Weber  (Virornm  clarorum  saecnli  XVI  et  XVII  epistolae 
Lipsiae  1894)  aber  nicht  immer  mit  richtiger  Lesung  abgedruckt 
sind.  Die  übrigen  sind  bisher  unbekannt  gewesen  und  umfassen 
den  Zeitraum  von  1527 — 1569.  Obwohl  wir  in  der  sehr  dankens- 
werten Publikation  die  verschiedensten  Namen  finden  u.  a.  (Justus 
Jonas,  Veit  Dietrich,  Friedrich  Myconius,  Bugenhagen,  Herzog 
Moritz,  Oslander,  Martin  Frecht ,  Joachim  Mörlin)  so  beziehen  sie 
sich  zumeist  auf  Nürnberger  Verhältnisse  und  gewähren  wichtige 
Einblicke  in  die  Entwickelung  des  dortigen  Kirchentums.  Hervor- 
zuheben sind  als  vom  allgemeinsten  Interesse  Nr.  VII  und  VIII, 
welche  sich  auf  den  von  Osiander  herbeigeführten  Streit  über 
die  offene  Schuld  beziehen,  und  das  wichtige  Schreiben  Osianders 
an  den  Nürnberger  Bat,  Nr.  XVI,  in  welchem  er  wegen  des 
Interims  seinen  Dienst  aufkündigt 

*  6.  L.  Fürsten  werth,  Die  Verfassungsänderungen  in 
den  oberdeutschen  Reichsstädten  zur  Zeit  Karl  V.  (Göttingen, 

-Vandenhoeck  &  Ruprecht,  1893.  205  S.)  bringt  nicht,  wie 
man  aus  dem  Titel  schliefsen  könnte ,  eine  Darstellung  der  Ver- 
fassungsveränderungen ,  die  in  den  oberdeutschen  Städten  unter 
dem  Einflufs  der  Reformation  entstanden  sind,  wie  das  Cornelius 
für  einige  niederdeutsche  Städte  dargethan,  sondern  z.  T.  auf 
Druffels  Vorarbeiten  fufsend,  aber  unter  Beibringung  vielen  archi- 
valischen  Materials,  eine  Darstellung  der  in  den  Grundzügen 
gleichen  Veränderung  des  Stadtregiments,  welches  Carl  V.  einer 
Anregung  Wilhelms  von  Bayern  folgend,  um  den  Widerstand 
gegen  das  Interim  zu  brechen,  mit  Augsburg  und  Ulm  beginnend, 
in  weiteren  25  oberdeutschen  Städten  durchsetzte. 

*  ?.  Die  Entstehung  des  Schmal kaldischen  Bundes,  seine  erste 
Entwickelung,  sowie  die  Verhältnisse,  welche  den  Nürnberger 
Frieden  herbeiführten,  die  bisher  einer  eingehenden  wissenschaft- 
lichen Untersuchung  entbehrten,  hat  der  verdiente  Archivar  der 
Stadt  Strafsburg,  Otto  Winckelmann  (der  Schmalkaldische 
Bund  1  530  — 1532  und  der  Nürnberger  Religions- 
friede. Strafsborg,  J.  H.  Ed.  Heitz  (Heitz  &  Mündel),  1892. 
VII  u.  313  S.  8.  Mk.  6)  zum  Gegenstand  einer  auf  reicher 
Quellenforschung  ruhenden,  ausführlichen  Monographie  gemacht. 
Die  allgemeinsten  Resultate  des  trefflich  geschriebenen  Buches 
bat  bereits  Baumgarten  in  seinem  Karl  V.,  dem  der  Verf.  seiner 
Zeit  in  der  liebenswürdigsten  Weise  sein  Manuskript  zur  Ver- 
fügung gestellt  hatte,  verwenden  können.  Aber  auch  wer  von 
Baumgarten  kommt,  wird  von  der  Fülle  des  Neuen,  und  zwar 
wohl  fundierten  Neuen,  dankbar  überrascht  sein.  Natürlich  hat 
der  Verfasser  auch  den  kirchlichen  Unionsbestrebungen  behufs 

19* 


292 


NACHKICHTEX. 


Überbrückung  dee  Abendmahl  sstroits  seine  Aufmerksamkeit  zuge- 
wandt. Hier  würde  ich  dem  Urteile  über  die  Stellung  des  Landgrafen 
in  der  Abendmahlsfrage  nicht  beistimmen,  dafs  derselbe  „innerlich 
für  Zwingli  gewonnen"  war  (S.  23),  wie  dieser  freilich  selbst 
wähnte,  oder  dafs  die  „freiere  Abendmahlslehre'4  Zwingiis  „ihm 
aufserst  sympathisch *'  war,  wird  mau  nicht  erweisen  können. 
Seine  Stellungnahme  zeigt  sich  sehr  deutlich  in  seinem  Briefe 
an  den  Kurfürsten  bei  J.  J.  Müller,  Historie  von  der  Protestation  etc. 
(1705),  S.  267  ff.    Die  nach  und  nach  erfolgende  Annäherung 
der  Sachsen  an  die  Oberländer  kann  durch  politische  Erwägungen 
mit  bedingt  sein,  bei  Luther  jedenfalls  nicht  und  auch  bei  dem 
Kurfürsten  nur  insofern,  als  es  Bucer  gelungen  zu  sein  scheint, 
ihn  davon  zu  Überzeugen,  dafs  die  Strafsburger  nicht  Zwinglianer 
seien.    Sehr  wertvoll  sind  die  reichhaltigen  Untersuchungen  und 
Mitteilungen  über  den  Nürnberger  Frieden,  aber  gegenüber  der 
geringen  Schätzung  seiner  Bedeutung  kann  ich  mein  auch  mit 
Baumgarten  III,  107  zusammenstimmendes  Urteil  (Martin  Luther 
S.  394  ff.)  nicht  ändern.  —  Dem  Werke  sind  7  wertvolle  archi- 
valische  Beilagen,  aber  leider  kein  Namenregister  beigegeben. 

8.  Das  namentlich  nach  den  Publikationen  A.  v.  Druffels 
in  reicher  Fülle  vorhandene  Material  für  die  Geschichte  des 
Passauer  Vertrages,  welches  durch  verschiedene  auf  Dresdner 
Akten  beruhende  Arbeiten  von  Isleib,  Trefftz  etc.  noch  vermehrt 
wurde,  behandelt  zum  erstenmale  in  eingehender,  fleifsiger  Unter- 
suchung und  grösserer  monographischer  Darstellung  H.  Barge, 
Die  Verhandlungen  zu  Linz  und  Passau  und  der  Ver- 
trag von  Passau  im  Jahre  1552.  Stralsund,  Karl  Meinertsche 
Bachhandlung  (E.  Warnke),  1893.  161  S.  Mk.  2  50.  Un- 
mittelbar darauf  erschien  eine  zweite  sorgfältige  Arbeit  über 
denselben  Gegenstand  von  G.  Wolf,  Der  Passauer  Vertrag 
und  seine  Bedeutung  für  die  nächstfolgende  Zeit 
(Neues  Archiv  für  säebs.  Gesch.  und  Altertumskunde,  Bd.  XV, 
[1894].  S.  237  fl).  Die  letztere  Abhandlung  ist  in  vielen 
Punkten  eine  unbeabsichtigte  Korrektur  der  Arbeit  Barge's,  über 
die  sich  Wolf  in  derselben  Zeitschr.  S.  333  in  einer  ausführlichen 
Anzeige  ausgesprochen  hat.  In  den  meisten  Punkten,  nament- 
lich was  die  Beurteilung  der  Politik  und  Ziele  des  von  Barge 
etwas  idealisierten  Kurfürsten  Moritz,  seine  Absichten  beim  Zuge 
nach  Tirol,  dann  die  Rolle,  welche  die  in  Paseau  anwesenden 
Fürsten,  besonders  Albrecht  von  Bayern  spielten  etc.,  wird  man 
G.  Wolf  beistimmen  müssen.  Th.  Kolde. 

*8Ä.  Hilliger  (Bruno),  Die  Wahl  Pius*  V.  zum  Papste 
(Leipzig,  1891).  Durch  Benutzung  zahlreicher  archivalischer 
Quellen  aus  dem  spanischen  Staatsarchive  zu  Simankas  verbreitet 


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XACIIKlL'HTEtf. 


293 


Hilliger  zunächst  Ober  den  Pontifikat  Pius1  IV.  neues  Licht. 
Während  noch  Ranke  behauptet  hatte,  dafs  das  alte  Geschlecht 
der  Nepoten,  welche  selbständige  Fürstentümer  erstrebten,  mit 
den  Caraffa  zu  Grunde  gegangen  sei,  beschuldigt  Hilliger  Pius 
den  IV  mit  Grund  des  Nepotismus,  so  dafs  dessen  Nepoten  im 
stände  gewesen  seien,  im  Kardinalkolleg  jede  ihnen  unangenehme 
Wahl  zu  verhindern.  So  habe  sich  das  Kardinalkolleg  auf  Ales- 
sandrius  als  Pius  V.  geeinigt.  (Vgl.  Virk  in  Th.  L.  Ztg.,  [1891], 
Nr.  24)  Tschackert. 

*  tf.  Als  zweite  Abteilung  seiner  „Briefe  und  Akten  zur 
Geschichte  Maximilians  II."  veröffentlicht  W.  £.  Schwarz, 
zehn  Gutachten  über  die  Lage  der  katholischen  Kirche  in  Deutsch- 
iand  (1573/76)  nebst  dem  Protokolle  der  deutschen  Kongregation 
(1573/78)  (Paderborn  1891.  LH  und  135  S.  Mk.  4.40), 
die  er  nach  Inhalt,  Herkunft  und  Bedeutung  in  einer  ausführlichen 
Einleitung  bespricht,  wobei  auch  die  Entstehung  der  deutschen 
und  namentlich  der  Kölnischen  Nuntiatur  S.  XXXIV  ff.  behandelt 
wird.  Aus  diesen  sehr  wertvollen  Gutachten,  die  dazu  bestimmt 
waren,  als  Richtpunkte  für  die  1568  errichtete  und  Januar  1573 
von  neuem  ins  Leben  gerufene  deutsche  Kardinalskongregation 
zu  dienen,  ist  hervorzuheben  dasjenige  des  Kardinals  Truchsefe 
in  Augsburg,  dann  Nr.  4,  die  Denkschrift  eines  Unbekannten, 
welche  die  Vorteile  des  Collegium  Germanicum  schildert  und  eine 
bessere  Ausnutzung  desselben  befürwortet,  wobei  zn  bedauern  ist, 
dafs  der  Herausgeber  nicht  einige  erläuternde  Notizen  Über  die 
daselbst  S.  41  angeführten  Musterkandidateu  und  ihre  gegenrefor- 
matorische  Wirksamkeit  beigebracht  hat,  und  Nr.  VIII,  das  echt 
jesuitisch  gehaltene  responsum  de  recuperanda  Saxonia  S.  52  ff., 
«las  jedenfalls  von  einem  Sachsen  herrührt,  schwerlich  aber,  wie 
der  Herausgeber  vermutet,  von  dem  Konvertiten  Joachim  Delins, 
weil  der  Verfasser  ein  Sachse  im  engeren  Sinne,  d.  h.  ein  Landes- 
kind des  Kurfürsten  August  gewesen  sein  dürfte. 


10.  Seit  dem  1.  Oktober  1894  erscheint  speziell  im  Interesse 
der  Belebung  der  kirchengeschichtlichen  Forschung  in  Bayern 
eine  kleine  Zeitschrift  unter  dem  Titel:  „Beiträge  zur 
baye rischen  Kirchengeschich teu  herausgegeben  von 
D.  TheodorKolde.  Erlangen,  Friedrich  Junge,  jährlich  6  Hefte 
ä  3  Bogen.  Preis  per  Jahrgang  4  Mk.  Der  erste  vollständig 
vorliegende  Band  wird  eingeführt  durch  eine  längere  Abhandlung 
des  Herausgebers  Über  „Andreas  Althamer,  der  Humanist  und 
Reformator"  (auch  besonders  erschienen,  erweitert  durch  eine  Reihe 
archivalischer  Beilagen  zur  Geschichte  der  Reformation  in  Franken 


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294 


NACHRICHTEN. 


und  durch  den  ersten  vollständigen  Abdruck  des  Katechismus 
des  Andreas  Althamer  von  1528  und  eine  Bibliographie  seiner 
Schriften  unter  dem  Titel:  Tb.  Kolde,  Andreas  Althamer  der 
Humanist  und  Reformator  in  Brandenburg-Ansbach.  Mit  einem 
Neudruck  seines  Katechismus  von  1528  und  archivalischen  Bei- 
lagen. (Erlangen,  Friedrich  Junge,  1895.  VI  und  138  S. 
Mk.  2.)  —  Als  weitere  Aufsatze  ?on  allgemeinerem  Interesse 
sind  hervorzuheben:  F.  Stieve,  Zur  Geschichte  der  Konkordien- 
formel  I,  25  ff.  (betr.  die  Stellung  Donauwörth  zur  Konkordien- 
formel).  —  J.  Hans,  Die  ältesten  evangelischen  Agenten  Augs- 
burgs, I,  145 ff.  —  J.  Miedel,  Zur  Memminger  Reformations- 
geschichte I,  171  ff.  (enthält  u.  a.  die  viel  gesuchten  Artikel,  die 
Chr.  Schappeler,  nach  dem  Siege  der  Reformation  in  Memmingen 
aufstellte,  in  denen  man  eine  Vorlage  der  12  Bauernartikel  ver- 
mutete). —  Lud.  Enders,  Caspar  Löners  Briefbuch  (Abdruck 
einer  zahlreichen  Sammlung  von  Briefen  Melanchthons,  Nie.  Medier, 
Joh.  Forster  und  anderer  bekannter  Persönlichkeiten  an  den  in 
Hof,  Naumburg,  und  endlich  in  Nördlingen  wirkenden  bekannten 
Caspar  Löner).  —  Zucker,  Dürers  Stellung  zur  Reformation, 
I,  275 ff.  —  Th.  Kolde,  Zur  Geschichte  Eberlins  von  Günzburg, 

I,  265  (ein  Brief  desselben  und  einer  des  Kanzlers  Vogler  von 
Ansbach  betr.  Eberlins  Bewerbung  um  die  Predigerstelle  in 
Rothenburg).  Derselbe,  Briefwechsel  zwischen  Urban  Rhegius  und 
Markgraf  Georg  von  Brandenburg,  II,  26 ff.  Derselbe,  Markgraf 
Georg  von  Brandenburg  und  das  Glaubenslied  der  Königin  Maria 
von  Ungarn  (der  Markgraf  als  Zeuge  für  die  Königin  Maria  als 
Verfasserin   des   Liedes:   „Mag   ich   Unglück   nit  widerstan"), 

II,  82 ff.  Endlich  soll  noch  erwähnt  werden,  dafs  0.  Rieder, 
Reichsarchivrat  in  München  unter  dem  Titel  „Kirchengeschicht- 
licbes  in  Zeitschriften  der  historischen  Vereine  in  Bayern"  ein 
durch  alle  Hefte  fortlaufendes  Repertorium  der  in  den  Zeitschriften 
und  Publikationen  einzelner  Vereine  zerstreuten  Arbeiten  aus  dem 
Gebiete  der  bayerischen  Kirchengeschichte  liefert. 

*  11.  Unter  dem  wunderlichen  Titel  „Roligionsgeschichte 
von  Oberbayern  in  der  Heidenzeit,  Periode  der 
Reformation  und  Epoche  der  Klosteraufhebung44. 
München  (Litterarisches  Institut  Dr.  M.  Huttier),  1895.  Preis 
5  Mk.,  liefert  der  greise  Münchener  Historiker  Dr.  Joh.  Sepp 
in  lose  miteinander  zusammenhängenden  Abschnitten  eine  Menge 
Bilder  aus  dem  religiösen  Volksleben  Oberbayerns.  Einiges 
historisch  Wertvolle,  was  man  sich  mühsam  heraussuchen  mufs, 
findet  sich  neben  sehr  vielen  Unrichtigkeiten  namentlich  in  den 
das  Mittelalter  und  die  Reformation  betreffenden  Abschnitten, 
in  den  auf  das  Ende  des  vorigen  und  Anfang  des  jetzigen  Jahr- 
hunderts bezüglichen  Partieen,  z.  B.  in  den  Auslassungen  über 


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NACH  NICHTEN 


•205 


Eus.  Amort,  wobei  der  Verfasser,  wenn  auch  etwas  scharf,  aber 
nicht  ganz  ungerechtfertigt  gegen  die  jetzt  übliche  Überschätzung 
des  mit  Amort  oft  auf  gleiche  Stufe  gestellten  Döllinger  polemi- 
siert, S.  287.  Bedauerlich  ist,  dafs  das  Neue  oder  wenigstens 
Unbekannte,  was  der  feine  Beobachter  seinen  Lesern  in  seiner 
plaudernden  Weise  mitteilt,  meistens  nicht  quellenmäßig  belegt  ist 

12.  Biezler,  Sigmund.  Die  bayerische  Politik  im 
8chmalkaldischen  Kriege  (Abhandlungen  der  Königl  baye- 
rischen Akademie  der  Wissenschaften,  III  Kl.,  Bd.  XXI.  1.  Abt.) 
München  1895.  4. 

13.  K.  von  Beinhardstötter,  Volksschriftsteller  der 
Gegenreformation  in  Altbayern  (in  dessen  Forschungen  zur 
Kultur-  und  Literaturgeschichte  Bayerns.  München  und  Leipzig 
1894.  II.  Buch.  S.  46—139)  giebt  eine  gute  Obersicht  über 
die  gesamte  Polemik  mit  reichem  Literaturnachweis  und  besonderer 
Berücksichtigung  des  letzten  hervorragenden  Münchener  Volks- 
schriftstellers vor  dem  Dreißigjährigen  Kriege,  Aegidius  Alber- 
ttnus  t  1620. 

14.  Jaeger,  Job.,  Die  Cisterzienser- Abtei  Ebrach  zur 
Zeit  der  Reformation.  Nach  den  Visitationsakten  des  Würzburger 
Bischöfe  Konrad  von  Thüngen  vom  Jahre  1531  und  andern  urkund- 
lichen Quellen.  Eine  kirchen-  und  kulturgeschichtliche  Studie. 
Erlangen,  Fr.  Junge,  1895.    S.  163.    Mk.  2.       Th.  Kolde. 

15.  Ober  „Lübeck  und  den  Schmalkaldischen  Bund  im 
Jahre  1536"  teilt  H.  Virck  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  für 
Lübeckische  Geschichte  und  Altertumskunde  (Bd.  VII,  Heft  1 
{Lübeck  1894],  S.  23 ff.)  hauptsächlich  aof  Grund  des  in  Weimar 
beruhenden  archivalischen  Materials  Genaueres  mit.  Lübeck  hatte 
mit  dem  Anschlufs  an  den  Bund  egoistische  Zwecke  verfolgt; 
als  es  im  Krieg  gegen  Dänemark,  von  Bundesgliedern  eher  ge- 
hemmt als  unterstützt,  wenig  Glück  gehabt  hatte,  erlosch  das 
Interesse  Lübecks  für  die  Schmalkaldener.  Diese  bemühten  sich 
dagegen,  die  Stadt  festzuhalten  und  bedienten  sich  dabei  des 
Herzogs  Ernst  von  Lüneburg  und  der  Städte  Hamburg  und 
Bremen  als  Unterhändler.  Infolge  der  unglücklichen  äufseren 
Politik  Lübecks  war  dort  der  1531  beseitigte  Bat  und  mit  ihm 
•der  altgläubige  Bürgermeister  Nicolaus  Brömse  wieder  ans  Ruder 
gekommen,  sodafs  der  Unterhändler  eine  schwierige  Aufgabe 
wartete.  Der  Bat  suchte  zunächst  alles  in  die  Länge  zu  ziehen, 
and  die  Stellung  zum  Bund  möglichst  unklar  zu  lassen.  Immer 
mehr  regte  sich  deshalb  unter  den  Evangelischen  die  Besorgnis, 
Lübeck  würde  der  evangelischen  Lehre  ganz  untreu  werden. 
Das  stellte  der  Rat,  durch  Schrift  und  Wort  gedrängt,  allerdings 
in  Abrede,  erklärte  aber,  zu  unvermögend  zu  sein,  den  Bundes- 


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29ti 


NACHRICHTEN. 


beitrag  zu  leisten.  Der  Kurfürst  von  Sachsen  schlug  vor,  diesen 
Beitrag  zu  ermäfsigen,  doch  wollte  man  über  Lübecks  Stellung 
vorher  klarer  sehen  und  schickte  doshalb  eine  groise  Gesandtschaft 
dahin.  Der  Rat  lehnte  es  ab,  ohne  die  Gemeinde  etwas  Endgültiges 
.zu  äufsern.  Die  Gesandten  beantragten  infolgedessen  die  Berufung 
der  Gemeinde.  Der  Rat  betief  nur  einen  Teil,  den  er  vorher 
durch  allerhand  Ausstreuungen,  als  sei  es  den  Schmalkaldenern 
nur  um  das  Geld  zu  thun,  für  sich  gewonnen  hatte.  So  verlief 
auch  dieser  Versuch  resultatlos,  verschaffte  aber  den  Schmalkal- 
denern die  Überzeugung,  dafs  Lübeck  für  sie  verloren  war. 

Redlich. 

C.  P.  Hofstede  de  Groot,  Hundert  Jahre  aus 
der  Geschichte  der  Reformation  in  den  Niederlanden. 
Aus  dem  Holländischen  von  0.  Greeven.  Mit  Vorwort  von  D.  Fr.  Nip- 
pold.  Gütersloh  1893.  S.  434.  Das  vorliegende  Werk  ist  eine 
allem  Anschein  nach  getreue,  jedenfalls  sehr  lesbare  und  im 
zweiten  Teil  sogar  schwungvoll  geschriebene  Wiedergabe  des  Werkes 
des  jüngeren,  1884  verstorbenen  Hofstede  de  Groot,  welches  nach 
einer  weit  ausholenden,  aber  kurzen  Einleitung  die  Reformation 
in  den  Niederlanden  von  1518  bis  zur  Dortrechter  Synode 
schildert.  Das  Ganze  durchzieht  der  Patriotismus  des  Nieder- 
länders gegenüber  dem  Spanier,  und  der  zweite  Teil,  der  den  Kampf 
mit  Spanien  behandelt,  ist  nicht  nur  der  lebendiger  geschriebene, 
sondern  auch  derjenige,  bei  dem  der  Deutsche  es  am  meisten 
begrüfsen  wird,  eine  geschickte  Zusammenfassung  der  uns  ferner 
liegenden  und  im  einzelnen  weniger  bekannten  Resultate  der  nieder- 
ländischen kirchengescbichtlichen  Forschung  über  jene  Zeit  zu 
erhalten.  Mit  Recht  betont  der  Verfasser  die  Eigenart  der  nieder- 
ländischen Reformation,  aber  die  Thatsache,  dafs  der  Protestantis- 
mus in  den  Niederlanden  zeitweilig  mit  dem  Täufertum  zusammen- 
fallt, kommt  doch  nur  gelegentlich  (z.  B.  S.  236)  zum  Ausdruck, 
und  wie  das  allen  niederländischen  Historikern  namentlich  aber 
denen  der  Gröninger  Schule  eigen  zu  sein  pflegt,  wird  die  Be- 
deutung der  sogenannten  Vorreformation  und  des  Erasmus  erheb- 
lich überschätzt,  wenn  auch  gewifs  in  der  allgemeinen  Reformations- 
geschichte mehr  betont  werden  sollte,  als  es  gewöhnlich  geschieht, 
dafs  für  die  Eigenart  der  Anfange  niederrheinischer  Reformation, 
der  Einflufs  erasmischer  Gedanken  besonders  wirksam  war,  viel- 
leicht auch  dafür,  dafs  der  Anabaptismus  mit  seinem  gleichartigen 
Lebensideal  daselbst  eine  so  bedeutende  Macht  wurde.  Überschweng- 
lich ist  das  Urteil  über  des  Erasmus  Enchiridion,  „eine  Christus- 
predigt so  reich  und  so  rein,  als  es  vielloicht  seit  den  Tagen 
des  Apostels  Paulus  keine  gegeben  hat"  S.  35,  und  auffallend 
ist,  dafs  der  Verfasser  Job.  v.  Wesel  1479  verbrannt  werden 


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XACHKICHTEN. 


297 


lftfst  S.  24.  Der  Kritiker  würde  manches  Fragezeichen  machen, 
aber  die  Arbeit  ist  es  doch  wert  gewesen,  ins  Deutsche  übersetzt 
und  gelesen  zu  werden.  Th.  Kokk. 

17.  Julius  Denk,  Die  Einführung  des  exercitium  Augu- 
stanae  confeasionis  in  der  Grafschaft  Ortenburg  und  die  daraus 
entstandene  Irrung.  (Verhandlungen  des  Historischen  Vereines 
für  Niederbayern.  Bd.  XXX,  [Landshut  1894],  S.  1—64.)  Graf 
Joachim  von  Ortenburg  hatte  bereits  im  Marz  1661  auf  dem 
Landtag  zu  Ingolstadt  der  Einführung  der  Augsburgischen  Kon- 
fession in  Bayern  das  Wort  geredet,  als  er  im  Oktober  desselben 
Jahres  förmlich  zur  Konfession  übertrat.  Er  geriet  damit  sofort 
mit  Herzog  Albrecht  V.  in  Konflikt,  der  dem  reichsunmittelbaren 
Grafen  wegen  seiner  Lehnspflichten  das  Recht  nicht  zuerkennen 
wollte,  ohne  den  herzoglichen  Willen  Neuerungen  vorzunehmen, 
zumal  auch  über  die  staatsrechtliche  Stellung  der  Grafschaft 
Ortenburg  noch  ein  Prozeüs  beim  Kammergericbt  schwebe.  Aufser- 
dem  beanspruchte  der  Herzog  auf  Grund  alter  Verträge  die 
Öffnung  der  Ortenburgischen  Schlösser  und  Häuser;  Graf  Joachim 
mufsrte,  da  er  dies  nicht  gutwillig  zugestand,  sich  der  Gewalt 
fügen,  die  Schlösser  wurden  eingenommen  und  die  Prediger  über 
die  Grenze  gebracht.  Der  Zulauf  zu  ihren  Predigten  von  aus- 
wärts war  sehr  bedeutend  gewesen.  Das  Bedenklichste  war  aber 
für  den  Herzog,  dafs  Graf  Joachim  nicht  allein  stand;  als  seine 
Kanzlei  zu  Matt  ich  koten  in  Albrechts  Hände  fiel,  entdeckte  dieser, 
dafs  eine  grofse  Anzahl  Adeliger  dem  Grafen  gesinnungsverwandt 
war.  Mit  Strenge  ging  der  Herzog  gegen  die  Freunde  wie  gegen 
Graf  Joachim  vor,  um  so  mehr,  als  er  einen  Zusammenhang  zwischen 
diesem  und  Wilh.  v.  Grumbach  vermutete,  was  sich  allerdings 
nicht  bestätigte.  Ebenso  war  es  nicht  zu  beweisen ,  ob  oine 
förmliche  Verbindung  zwischen  Joachim  und  dem  Adel  ob  der 
Enns  bestand.  Der  Verfasser  nimmt  es  jedoch  für  wahrschein- 
lich an,  dafs  Joachim  eine  landesverräterische  (!)  Verschwörung 
unter  den  bayrischen  Landsassen  angestiftet  habe,  —  eine  Ver- 
schwörung, die  allerdings  nichts  Schlimmeres  beabsichtigte  als 
die  Einführung  der  „neuen  Lehre44.  Redlich. 

18.  P.  Schwenke,  Zur  altpreufsischen  Buch- 
druckergeschic h  te  (Sammlung  bibliothekswissenschaftlicher 
Arbeiten.  Herausgegeben  von  K.  Dziateko.  8.  Heft.  [Leipzig 
1895].  S.  62 — 83).  —  Schwenke  bringt  den  Nachweis,  dafs 
der  in  der  Königsberger  Reformation  bekannte  Buchdrucker  Wein- 
reich reformatorische  Drucke  nicht  erst  seit  1523  in  Königs- 
berg, sondern  schon  1520  in  Danzig  hergestellt  hat.  Schwenke 
führt  aus  dem  Jahre  1520  einen  Weinreichschen  Druck  von 


■ 


298  NACHRICHTEN. 

Luthers  „Beichtbüchlein"  an,  welches  in  der  Wehn.  Ausg. 
I,  247 ff.  unter  dem  Titel  „Die  zehn  Gebote  Gottes"  u.  s.  w. 
vorliegt.  Darauf  folgt  wahrscheinlich  aus  dem  Jahre  1521  ein 
reformatorisches  Gedicht  gegen  die  Geistlichen  von  Kunz  Löffel , 
welches  bei  Wackernagel,  Das  deutsche  Kirchenlied  III,  387 f. 
wiedergegeben  ist  —  Es  mufs  also  schon  1520  und  1521  für 
solche  Drucksachen  in  Danzig  Stimmung  vorhanden  gewesen  sein. 
Sehr  interessant  für  die  preufsische  Druckergeschichte,  aber  min- 
der wichtig  für  die  Kirchengeschichte  ist  Schwenkes  Entdeck™  tr 
„eines  Liedes,  wie  der  Hochmeister  in  Preufsen  Mariam,  anruft" 
(1520  im  Kriege  mit  Polen).  Dieser  Weinreichsche  Druck  bringt 
einen  neuen  Beweis,  dafs  der  Hochmeister  Albrecht  von  Branden- 
burg in  Preufsen  vor  1522  gut  katholisch  war.  . 

P.  Schwenke,  Zwei  Lieder  für  den  Hochmeister 
Albrecht  von  Brandenburg.  (Altpreufs.  Monatsschrift, 
Bd.  XXXII,  Hft.  1  o.  2,  S.  153—173.)  Schwenke  giebt  hier 
zunächst  einen  Neudruck  des  von  ihm  entdeckten  Marienliedes 
für  den  Hochmeister  Albrecht  vom  Jahre  1520,  sodann  aber  ein 
zweites  und  zwar  reformatorisch  gerichtetes  Lied  auf  Albrecht 
selbst,  als  dessen  Verfasser  Schwenke  Lazarus  Spengler  in  Nürn- 
berg wahrscheinlich  macht.  Er  legt  seine  Abfassung  in  die  Jahre 
1522  bis  1523.  Das  Lied  ist  zwar  schon  von  Th.  Muther  in 
den  N.  Pr.  Prov.-Bl.,  3.  Folge,  Bd.  711  (1861),  S.  339f.  ge- 
druckt, wird  aber  hier  S.  163 — 169  nach  der  von  Joachim  im 
K.  St -Archiv  zu  Königsberg  wieder  aufgefundenen  Handschrift 
neu  gedruckt. 

18*.  Paul  Bött icher,  Die  Anfänge  der  Reformation  in 
den  preußischen  Landen  ehemals  polnischen  Anteils  bis  zum 
Krakauer  Frieden,  8.  April  1525.  Diss.  Königsberg,  W.  Koch, 
1894. 

18b.  S.  Issleib,  Das  Interim  in  Sachsen  1548 — 1552  in: 
Neues  Archiv  für  Sächs.  Gesch.  u.  Altertumskonde  XV  (1894). 

Tschackert. 

\9.  Im  Korrespondenzblatt  des  Vereins  für  Geschichte  der 
evangelischen  Kirche  Schlesiens,  Bd.  IV  (Liegnitz  1894)  prüft 
Eberlein  (S.  65 ff.)  die  Überlieferung,  nach  welcher  die  älteste 
evangelische  Predigt  in  Schlesien  auf  dem  Gate  derer 
v.  Zedlitz  in  Neukirch  (bei  Schönau)  1518  gehalten  sein  soll. 
Mit  Hilfe  von  Nachrichten,  die  bis  1573  zurückreichen,  sucht  er 
zu  erweisen,  dafs  Georg  v.  Zedlitz  schon  bis  zum  Jahre  1526 
drei  evangelische  Prediger  bei  sich  gehabt,  aber  freilich  erst 
c.  1526  die  Pfarre  in  Neukirch  mit  einem  evangelischen  Pfarr- 
berrn  habe  besetzen  können.  Derselbe  veröffentlicht  S.  82  f. 
einen  gleichzeitigen  Bericht  über  die  „Bauernprediger",  in  denen 


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1 

KACHRICHTEN.  299 

1587  ff.  in  der  Nahe  des  Gröditzberges  die  Schwenkfeldische 
Bewegung  nachwirkte ;  desgl.  S.  84  ff.  eine  gleichzeitige  Nachricht 
aber  eine  Kindererweckung  in  Steinseifen  1730  and  die  Reaktion 
der  katholischen  Geistlichkeit  gegen  dieselbe.  Es  erhellt  daraas, 
dafs  dieses  „Kinderbeten"  auf  pietistische  Einwirkungen  zurück- 
zuführen sein  wird.  Konrad  macht  S.  98  ff.  Mitteilungen  über 
Briefe  aus  den  Jahren  1521 — 1538,  die  auf  der  Breslauer  Stadt- 
bibliothek neuerdings  aufgefunden  sind.  Darunter  befindet  sich 
«in  —  leider  recht  fehlerhaft  reproduziertes  —  Schreiben  von 
Jacob  Montanus  und  Antonius  Meiensis  (so  zu  lesen  statt  Wiciensis), 
den  Vorstehern  der  Schule  zu  Herford,  an  den  Breslauer  Bat, 
von  1521 ,  das  die  Verbindung  dieser  Schule  mit  Breslau  und 
die  dort  gehandhabte  Disziplin  unter  den  Schülern  beleuchtet. 
Ferner  ein  Schreiben  des  Bischofs  Jakob  von  Salza  an  den  Bres- 
lauer Bat,  betr.  die  Einführung  von  Job.  Hefs  als  Pfarrer  an 
St  Magdalenen  vom  17.  Oktober  1523.  G.  Kawerau. 

Gegenüber  der  „bei  manchen  Elsasser  Protestanten" 
zu  beobachtenden  „Sitte,  die  Neuerer  des  16.  Jahrhunderts,  na- 
mentlich Butzer  und  Capito  als  Vei  treter  und  Vorkämpfer  der 
Gewissensfreiheit  zu  betrachten",  sucht  N.  Paulus,  Die  Strafs- 
burger  Reformatoren  und  die  Gewissensfreiheit, 
Freiburg  i.  B.  1895,  106  S.  (Strafsbarger  theologische  Studien 
II,  2)  in  Jaussenscher  Manier  Wahres  und  Unrichtiges  mischend 
aus  den  Auslassungen  derselben  ihre  Unduldsamkeit  und  ihren 
Fanatismus  darzuthun,  beschränkt  sich  aber  nicht  auf  die  Strafs- 
bnrger,  sondern  giebt  eine  lange  Blumenlese  von  angeblich  fana- 
tischen Aussagen  auch  anderer  Reformatoren,  die  dem  behaupteten 
Eintreten  für  die  Gewissensfreiheit  nach  seiner  Auffassung  schnur- 
stracks widersprächen.  Das  Wertvolle  der  Auszüge  aus  den 
leider  sehr  selten  gewordenen  Schriften  Bucers  und  Capitos  soll 
nicht  bestritten  werden,  auch  nicht,  dafs  namentlich  Bucer,  wenn 
des  Verfassers  Auszüge,  was  ich  leider  nicht  kontrollieren  kann, 
richtig  sind,  das  Recht  der  Obrigkeit  zur  Zwangsbekehrung  in 
einer  Weise  betont,  die  von  Luther,  was  der  Verfasser  wissen 
konnte,  nie  gebilligt  wurde,  ferner  dafs  die  Strafsburger  die 
zwinglUche  Auffassung  von  dem  der  Obrigkeit  zustehenden  Recht 
der  Regelung  der  Religionsangelegenheiten  derart  auf  die  Spitze 
trieben,  dafs  sie  an  Intoleranz  hinter  den  Römern  nicht  zurück- 
standen, gleichwohl  mufs  gesagt  werden,  dafs  die  Gesamtbeurtei- 
lung  der  vom  Verfasser  gesammelten  Aussagen  eine  falsche  ist, 
weil  er  zwischen  Gewissensfreiheit  und  Religionsfreiheit  nicht  zu 
unterscheiden  vermag.  Dafs  es  den  Reformatoren  nicht  einge- 
fallen ist,  für  Religionsfreiheit  einzutreten,  weil  dieser  Be- 
griff dem  ganzen  Zeitalter  fehlte  (vgl.  Die  Einheitsideen  bei  Ca- 


300 


NACH  WICHTEN. 


pito,  S.  34)  und  auf  Grund  der  gesamten  mittelalterlichen,  von 
dem  Verfasser  doch  hoffentlich  für  normal  gehaltenen  Entwick- 
lung fehlen  muf6te,  dafs  sie  den  Gedanken,  zwei  verschiedene 
Religionsübungen  könnten  gleichberechtigt  nebeneinandergehen 
—  nur  einmal  entsinne  ich  mich  einer  daran  anklingenden  Äusse- 
rung bei  Luther  aus  dem  Jahre  1530,  vgl.  Th.  Kolde,  Martin 
Luther  II,  349  — ,  gar  nicht  fassen  konnten,  und  deshalb  gegen 
jedes  unberufene  Lehren  und  die  öffentliche  Leugnung  eines  „der 
Artikel  des  Glaubens"  auftreten  muteten,  wird  von  keinem  Kenner 
der  Reformationsgeschichte  geleugnet  werden,  vgl.  meine  Dar- 
legungen: Luther  Ober  Sektierer  und  Ketzer  in  „Christliche 
Welt"  1888,  Nr.  46.  Ebenso  fest  steht  aber,  dafs  sie  gleich- 
wohl mit  Entschiedenheit  für  das  Becht  der  Gewissensfrei- 
heit eingetreten  sind,  oder  wie  ich  es  anderswo  (Martin  Luther 
1,  349)  ausgedrückt  habe,  für  den  damals  ganz  neuen  Gedanken, 
„dafs  der  einzelne  auch  ein  Recht  habe  gegenüber  dem  Ganzen, 
das  Recht,  auf  die  eigene  Gefahr  hin  auch  irren  zu  dürfen". 

tl.  Emil  Egli,  Zürich  am  Vorabend  der  Refor- 
mation (Züricher  Taschenbuch  für  1896,  S.  1 — 25)  behandelt 
in  einer  sehr  lesenswerten  Skizze  die  kirchlichen,  politischen  und 
sozialen  Verhältnisse  von  Stadt  und  Kanton  Zürich  vor  dem 
Auftreten  Zwingiis.  Th.  Kolde. 


23.  Bernhard  Rogge,  Deutsch  -  evangelische  Charakter- 
bilder. Leipzig,  H.  Ebbecke,  1894.  237  S.  8.  Mk.  2.80.  — 
Das  populär  geschriebene  Büchlein  enthält  in  höchst  fesselnder 
Darstellung  18  Charakterbilder  von  deutsch  -  evangelischen  Män- 
nern, welche  in  der  Geschichte  der  evangelischen  Kirche  Deutsch- 
lands zu  besonderer  Bedeutung  gelangt  sind.  Manche  von  ihnen, 
wie  die  Abschnitte:  Luther,  Melanchthon,  Speratus,  Bugenhagen, 
Markgraf  Johann  von  Küstrin,  Paul  Gerhardt  und  A.  H.  Fiancke 
sind  vom  Verfasser  schon  im  Gustav- Adolf- Kalender  oder  selb- 
ständig erzählt,  werden  aber  in  dieser  umfassenden  Sammlung 
gern  noch  einmal  gelesen  werden.  Besonders  haben  den  Re- 
ferenten die  Lebensbilder  von  Luther,  Melanchthon,  Bucer,  Fried- 
rich dem  Weisen,  Philipp  von  Hessen,  Ernst  dem  Frommen, 
Spener  und  Francke  angezogen.  Löschhorn. 

23.  Von  dem  auf  dem  Gebiete  der  Reformationsgeschichte, 
speziell  was  die  Bekämpfung  der  Reformation  anlangt,  mehr  als 
Üeifsigen  N.  Paulus,  kath.  Priester  in  München,  sollen  noch 
folgende  Arbeiten  aus  den  letzten  Jahren  notiert  werden,  die, 
wie  bei  dieser  Massenproduktion  begreiflich,  zwar  selten  ausgefeilt 
und  abschliefsend  und  leider  fast  immer  polemisch  gehalten  sind, 


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NACHRICHTEN. 


301 


aber  doch  allenthalben  wertvolles  bio-  und  bibliographisches  Ma- 
terial zumeist  aus  der  in  dieser  Beziehung  so  reichen  Münchener 
Bibliothek  enthalten. 

N.  Paulus,  Dr.  Konrad  Braun.  Ein  katholischer  Bechts- 
gelebrter  des  16.  Jahrhunderts.  Hist.  Jahrb.  d.  Görresgesellsch., 
Bd.  XIV  (1893),  S.  517  —  548,  eine  ausführliche  Abhandlung 
Ober  Leben  und  Wirksamkeit  des  an  den  verschiedensten  deut- 
schen Höfen  wirkenden  Bekämpfe  rs  der  Reformation,  geb.  1491, 
gest.  20.  Juni  1563. 

Derselbe,  Wolfgang  Mayer,  ein  bayerischer  Cistercienserabt 
des  16.  Jahrhunderts  (ebenda  Bd.  XV,  8.  575  ff.).  Behandelt 
Leben  und  schriftstellerische  Thätigkeit  des  niederbayerischen 
Historiographen  W.  Mayer  (Marius),  der  von  1514 — 1549  Abt 
des  Cistercienserklosters  Alderspach  gewesen  ist  und  die  Annales 
seines  Klosters  bis  zum  Jahre  1542  geschrieben  hat,  die  (hand- 
schriftlich in  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek)  nach  den 
Mitteilungen  von  Paulus  sehr  viele  interessante  Nachrichten  zur 
Geschichte  seiner  Zeit  enthalten  müssen. 

Derselbe,  Urban  Bhegius  über  Glaubenszwang  und  Ketzer- 
strafen.   Historisch-politische  Blätter  1892,  S.  817  ff. 

Derselbe ,  Christoph  von  Schwarzenberg ,  ein  katholischer 
Schriftsteller  und  Staatsmann  des  16.  Jahrhunderts.  Ebenda 
1893,  S.  10. 

Derselbe,  Der  Benediktiner  Wolfgang  Seidl.  Ein  bayerischer 
Gelehrter  des  16.  Jahrhunderts  (geb.  1491,  gest.  1562)  in  Hist  - 
pol.  Blätter,  Bd.  CXIU  (1894),  S.  165  ff. 

Derselbe,  Der  Franziskaner  Stephan  Fridolin.  Ein  Nürnberger 
Prediger  des  ausgehenden  Mittelalters.  Ebenda  S.  464.  (Auf 
die  Bedeutung  dieses  hervorragenden  Predigers  bei  S.  Clara  in 
Nürnberg  hatte  bereits  Vasenmeyer,  Sammlung  von  Aufsätzen  zur 
Erläuterung  der  Kirchengesch.  [Ulm  1827],  S.  198  ff.  aufmerk- 
sam gemacht.) 

Derselbe,  Dr.  Matthias  Kretz,  ein  bayerischer  Gelehrter  des 
16.  Jahrhunderts.  (Nachfolger  des  Urb.  Bhegius  auf  der  Dom- 
kanzel zu  Augsburg.)  Hist  -pol.  Blätter,  Bd.  CXIV  (1894),  S.  1  ff. 

Derselbe,  Beichshofrat  Dr.  Georg  Eder  (geb.  1523,  gest.  1587). 
Ein  katholischer  Rechtsgelehrter  des  16  Jahrhunderts.  Ebenda 
Bd.  CXV,  S.  13  ff.  80  ff. 

Derselbe,  Matthias  Sittardus.  Ein  kaiserlicher  Hofprediger 
des  16.  Jahrhunderts.    Ebenda  Bd.  CXVI,  S.  237 ff.  329ff. 

Derselbe,  Johann  Wintzler,  ein  Franziskauer  des  16.  Jahr- 
hunderts. In  der  „Katholik",  III.  Folge,  Bd.  IX  (1894),  S.  40 ff. 

Derselbe,  Conrad  Kling.  Ein  Erfurter  Domprediger  des  16. 
Jahrhunderts.  In  der  „Katholik",  III.  Folge,  Bd.  IX  (1894), 
S.  146  ff. 


302 


NACHRICHTEN. 


Derselbe,  Gerhard  Lorichius,  ein  Konvertit  des  16.  Jahr- 
hunderts.   Ebenda  S.  503. 

Derselbe,  Zar  Geschichte  des  Katechismos.  Ebenda  Bd.  X, 
S.  185  ff.  (handelt  unter  anderem  von  einem  um  1515  zu  Lands- 
hut gedruckten  Katechismus). 

Derselbe,  Michael  Heiding,  ein  Prediger  und  Bischof  des  16. 
Jahrhunderts     Ebenda  S.  410  ff.  481  ff. 

Derselbe,  Pseudonyme  Schriften  von  Georg  Wizel.  Ebenda 
S.  473  ff. 

Derselbe,  Zur  Revision  des  Index.  Zensurierte  katholische 
Schrittsteller  Deutschlands  des  16.  Jahrhunderts.  Ebenda  Bd.  II 
(1895),  S.  193  ff. 

Derselbe ,  Zur  Geschichte  der  Kreuzwegandacht.  Ebenda 
S.  326  ff. 

Derselbe,  Adam  Walasser,  ein  Schriftsteller  des  16.  Jahr- 
hunderts.   Ebenda  S.  453. 

Derselbe,  Caspar  von  Gennep.  Ein  Kölner  Drucker  und 
Schriftsteller  des  16.  Jahrhunderts.    Ebenda  Bd.  XI,  S.  408  f. 

Derselbe,  Die  Vernachlässigung  der  Pestkranken  im  16.  Jahr- 
hundert.   Ebenda  Bd.  XII.  S.  280  ff. 

Derselbe,  Paul  Scriptoris,  ein  angeblicher  Reformator  vor 
der  Reformation  in  der  Tübinger  theol.  Quartal schrift,  Bd.  LXXV 
(1893),  S.  289  ff. 

24.  Unter  dem  Titel:  Die  Bürgermeister  G.  Agricola 
und  J.  Hasz  bespricht  F.  Falk  in  den  Hist-pol.  Blättern 
1894,  I.  Bd.  CXVIII,  S.  140  die  Stellung  des  bekannten  Mi- 
neralogen G.  Agricola,  des  späteren  Bürgermeisters  von  Chemnitz 
(geb.  1496,  gest.  1555)  und  des  Görlitzer  Bürgermeisters  Job. 
Hasse  zur  Reformation  auf  Grund  der  in  den  scriptores  rerum 
Lausaticarum  Görlitz  1850—1870  erschienenen  Görlitzer  Staats- 
annalen.  Th.  Kolde. 

25.  Als  erstes  Heft  einer  Sammlung  von  „Beiträgen  und 
Urkunden  zur  deutschen  Geschichte  im  Zeitalter  der  Reformation u 
veröffentlicht  Kurt  Krebs  ein  Heft  unter  dem  Titel:  „Haugold 
von  Einsiedel  auf  Gnandstein,  der  erste  Luthe- 
raner seines  Geschlechts"  (Leipzig,  Rufsberg,  1895.  129  S. 
Mk.  3).  Er  bezeichnet  es  als  erste  Frucht  seiner  vierjährigen 
Arbeiten  in  den  Archivalien  der  Familie  von  Einsiedel  auf  Gnand- 
stein. Die  folgenden  Hefte  sollen  sich  besonders  mit  Heinrich 
von  Einsiedel  beschäftigen.  Die  gröfsere  Hälfte  dieses  ersten 
Heftes  nimmt  der  Abdruck  von  Urkunden  ein.  So  fleifsig  auch 
der  Verfasser  die  Archivalien  und  neben  ihnen  die  gedruckte 
Litteratur  zusammengetragen  hat,  so  ist  doch  zu  bedanern,  dafis 
für  die  ersten  Reformationsjahre  —  Haugold  starb  bereits  1522  — 


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NACHRICHTEN. 


303 


sich  fast  nichts  von  neuen  Materialien  bat  finden  lassen.  Die 
wichtigeren  Urkunden  stehen  schon  im  Corp.  Ref.  Dabei  ist  die 
Art  bedenklich,  wie  der  Verfasser  die  kirchlichen  Dinge  beurteilt. 
Nachdem  er  S.  20  ff.  einige  Skandale  von  katholischen  Geistlichen 
archivalisch  nachgewiesen  hat,  fährt  er  fort:  „Solche  Vorkomm- 
nisse mulsten  mit  der  Gewalt  eines  reifsenden  Stromes  die  Chri- 
sten jener  Gegend  der  katholischen  Kirche  entfremden.  Sie 
mufsten  Haug.  v.  Einsiedel  mit  Sehnsucht  nach  einem  Reformator 
erfüllen"  (S.  22).  Ebenso  schnell  wird  ans  Corp.  Ref.  I,  556 
„wohl  wüfste  8.C.G.,  dafa  Gott  der  Allmächtige  durch  Fischer 
und  andere  geringe  und  verachtete  Leute  grofse  und  wunderliche 
Dinge  gehandelt"  gleich  die  Entwickelung  der  evangelischen 
Gesinnung  des  Kurfürsten  erschlossen.  Und  wenn  in  einem 
Prozefs  über  das  Besetzungsrecht  einer  Pfarre  Zeugen  im  Februar 
1518  über  den  Pfarrer  despektierlich  reden,  so  erblickt  er  darin 
„gar  wohl  eine  Stellungnahme  aus  dem  Volke  zu  Luthers  Schritte 
am  letzten  31.  Oktober".  An  dieser  vorschnellen  Art,  für  die 
evangelische  Sache  Zeugnisse  zu  finden,  haben  wir  kein  Wohl- 
gefallen; denn  sie  verrät  nur  wenig  geschichtlichen  Sinn.  Auch 
schreibt  der  Verfasser  einen  ganz  eigenen,  weder  klaren  noch 
schönen  Stil.  Möchten  die  späteren  Hefte  für  die  Reformations- 
gescbichte  selbst  reichere  Ausbeute  bringen;  das  wünschen  wir 
dem  Verfasser,  der  es  an  peinlichem  Fleifs  nicht  hat  fehlen 
lassen.  Ein  neues  urkundliches  Datum  zur  Geschichte  des  Auf- 
tretens des  Miltitz  in  Sachsen  bietet  übrigens  S.  44. 

*?6.  Einen  interessanten  Beitrag  zur  Geschichte  der  re- 
formierten Kirche  in  der  Pfalz  hat  Aug.  Bonnard  in  seiner 
Schrift  Thomas  Eraste  (1  52  4— 1  58  3)  et  la  discipline 
eccUsiastique  (Lausanne,  G.  Bridel  &  Cie.,  1894.  '218  S.) 
veröffentlicht.  Nicht  handelt  es  sich  um  eine  vollständige  Bio- 
graphie des  bedeutenden  Arztes  Th.  Erastus  (eigentlich  Lüber), 
der  auf  manchen  Gebieten  der  Naturwissenschaften  einen  ge- 
sunden Fortschritt  vertrat,  aber  doch  in  Fragen  des  Hexenwesens 
gegen  Wier  den  überlieferten  Aberglauben  verfocht,  sondern  we- 
sentlich um  seine  Teilnahme  an  den  Kämpfen,  die  sich  in  der 
Pfalz  um  die  Aufrichtung  der  presbyterialen  Kirchenzucht  nach 
Genfer  Muster  1568  ff.  erhoben.  Zwinglianismus  und  Calvinis- 
mus stiefsen  hier  in  charakteristischer  Weise  in  den  Personen 
Erasts  einerseits,  des  Olevianns,  Ursinus,  Boquin  u.  a.  anderseits 
aufeinander;  Bullinger  und  seine  Züricher  Kollegen  standen  auf 
Erasts  Seite,  Beza  auf  der  Seite  der  Gegner.  Zuwartend  stand 
Friedrich  III.  eine  Zeit  lang  zwischen  den  Parteien,  bis  die 
Entdeckung  der  antitrinitarischen  und  antichristlichen  Irrlehren 
der  Parteigänger  Erasts,  Neuser  und  Sylvan  am  13.  Juli  1570 
der  calvinischen  Partei  den  Sieg  verschaffte  (wenn  auch  mit 


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NACHRICHTEN. 


einigen  Modifikationen  zugunsten  des  landesherrlichen  Kirchen- 
regiments).   In  einem  kurzen  ersten  Teile  schildert  Verfasser 
Erasts  Leben  und  sein  auch  theologisches  Wirken  bis  1568  und 
den  Stand  der  Kirchendisziplin  in  der  Pfalz  bis  znm  Ausbruch 
des  Streites,  im  zweiten  den  Streit  selbst  nach  seinem  äufseren 
Verlauf,  im  dritten  die  theologischen  Positionen  beider  Parteien 
in  ihren  Streitschriften,  im  vierten  Erasts  spätere  Lebensschick- 
sale und  die  Verpflanzung  des  „  Erastianismus "  nach  England 
durch  die  posthume  Veröffentlichung  seiner  8chriften  über  Kircben- 
zurht  (London  [auf  dem  Titel  steht  verheilend  Pesclavii]  1589). 
Appendices  über  Namen  und  Geburtsort  (Baden  in  der  Schweiz, 
nicht  Auggen)  des  Erast,  Ober  ihn  als  Verfasser  des  „Büchlein 
vom  Brodbrechen"  n.  dgl. ,   sowie   eine  Bibliographie  seiner 
Schriften  bilden  den  Schlofs  der  sorgfältigen  Studie.    Ihren  be- 
sonderen Wert  bildet  die  reichliche  Ausbeutung  des  Briefwechsels 
des  Coli.  Simleriana  in  Zürich.    Zur  Bibliographie  trage  ich 
einen  Plakatdruck  seiner  Thesen  de  natura  et  causis  epilepsiae 
1573  (fol.)  und  Theses  de  sudore.  Basil.  1581  (4°)  nach.  Ge- 
druckte Briefe  von  und  an  Erast  stehen  zahlreich  in  Joh.  Cra- 
tonis  Consiliorum  et  Epistolarum  medicinalinm ,  libri  VII  (ed. 
Lanr.  Scholz),  Francof.  1671  in  lib.  I,  III  u.  V.    Unter  diesen 
Briefen  medizinischen  Inhalts  enthält  der  vom  18.  April  1581 
einige  Nachrichten  über  seine  Übersiedelung  nach  Basel  (III, 
233).    Die  Breslauer  Stadtbibliothek  besitzt  eine  Anzahl  Briefe 
Erasts  im  Original  aus  den  Jahren  1576—1581,  die  jedoch  fast 
ausschliefslich  medizinischen  Inhalts  sind.  Bedauerlicher  ist,  dafs 
der  Verfasser  H.  Hagens  Briefe  von  Heidelberger  Professoren 
und  Studenten,  Heidelberg  1886,  übersehen  hat;  hier  ist  be- 
sonders der  Brief  Erasts  vom  12.  September  1567  an  Haller  in 
Bern  von  Bedeutung,  da  er  den  Kampf  über  die  Kirchendisziplin 
bereits  ankündigt,  die  Entlassung  des  Joh  Brunner  schon  mit 
dieser  Streitfrage  in  geheimen  Zusammenhang  bringt  und  sein 
gespanntes  Verhältnis  zu  den  quidam,  qui  pro  bar  i  ab  omnibus 
volunt  quod  ipsis  placuit,  bekundet  (S.  31).     Dafs  Bonnard 
den  Druck  der  Schriften  Erasts  über  Kirchenzucht  mit  Recht 
nach  London  verlegt,  läfst  sich  meines  Eracbtens  besonders  ans 
den  darin  verwendeten  Typen  für  deutschen  Text  erhärten.  Bei 
der  sonst  bemerkenswerten  Gerechtigkeit  des  Verfassers  in  seinen 
Urteilen  mufs  es  auffallen,  dafs  er  S.  26  den  Widerstand  der 
lutherischen  Oberpfalz  gegen  Friedrichs  Calvinismus  auf  Rechnung 
der  beliebten  intolerance  luthärienne  setzt    Wie  unpopulär  auch 
in  der  Kurpfalz  zunächst  Friedrichs  calvinische  Reform  war,  be- 
zeugt uns  Erasts  lehrreiche  Bemerkung :  Vix  trigesima  populi  pars 
doctrinam  intelligebat  et  approbabat:  ceteri  omnes  hostes  nobis 
erant  infestissimi  (S.  41).  G.  Kauerau. 


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NACHRICHTEN. 


♦27.  Martin  Philippson,  Ein  Ministerinin  unter  Phi- 
lipp II.  Kardinal  Granvella  am  spanischen  Hofe  (1579  bis 
1586).  Berlin,  Siegfried  Cronbach,  1895.  VII  und  642  S. 
12  Mk.  Nach  einer  Skizze  des  Lebensganges  des  Anton  Per- 
renot,  des  späteren  Kardinals  Granvella,  dessen  Thätigkeit  wie 
Erlebnisse  als  Rutgeber  der  Regentin  Margarete  von  Parma  in 
den  Niederlanden  mehrfach  der  Gegenstand  eingehender  Darstel- 
lung gewesen  sind  (weshalb  sie  hier  nur  gestreift  werden,  wäh- 
rend der  Verfasser  bei  den  weiteren  Schicksalen  deshalb  aus- 
führlicher verweilt)  und  einer  daran  sich  an  schliefsenden  Skizze  der 
Zustände  Spaniens  zu  der  Zeit,  als  Granvella  sein  Amt  als  erster 
Minister  antrat,  schildert  der  Verfasser  mit  grofser  Ausführlich- 
keit die  Geschichte  seines  Ministeriums,  die  bei  der  damaligen 
Stellung  der  spanischen  Weltmonarchie  nnd  dem  weitreichenden 
tiinflufs  Granvellas  natnrgemäfs  die  Geschichte  aller  europäischen 
Staaten  berührt  und  nicht  am  wenigsten  die  Geschichte  des  sich 
regenerierenden  Katholicismus  in  seinem  Kampfe  gegen  den  Pro- 
testantismus. Bei  der  Reichhaltigkeit  des  Quellenmaterials,  das 
der  Verfasser  zu  nicht  kleinem  Teile  erst  gehoben  hat,  während 
für  anderes  die  Correspondance  Granvellas  in  der  Ausgabe  von 
Piot  die  vorzüglichste  Quelle  war,  ist  es  ihm  möglich,  ins  ein- 
zelne zu  gehen,  und  es  begreift  sich,  dafs  auch  der  Kirchen- 
historiker in  nicht  wenigen  Punkten  spezielle  Belehrung  findet,  fallt 
doch  in  die  geschilderte  Zeit,  abgesehen  von  den  Verwickelungen  in 
den  Niederlanden  die  thatkräftige  Unterstützung  der  katholischen 
Liga  in  Frankreich,  die  Ausrüstung  der  Armada,  die  Zettelung 
mit  Maria  Stuart,  das  Eingreifen  in  die  Kölner  Wirreu  etc. 

28«  Ludwig  Enders  hat  in  der  bekannten,  trefflichen 
Sammlung  der  Niemeyerschen  Neudrucke  deutscher  Litteratur- 
werke,  Flugschriften  aus  der  Reformationszeit,  begonnen,  aus- 
gewählte Schriften  Eberlins  von  Günzburg  herauszugeben. 
Die  erste  Abteilung  (Nr.  139 — 141  der  Neudrucke.  Halle  1896. 
Mk.  1.80)  umfafst  die  „15  Bundesgenossen",  denen  der  Her- 
ausgeber eine  kurze  Einleitung  voranschickt  und  erklärende  An- 
merkungen folgen  läfst.  Zu  dem  dem  Heransgeber  unverständ- 
lich gebliebenen  Ausdruck  „epikierung"  (S.  22,  Z.  18  vgl.  211), 
was  von  imtixtfa  abzuleiten  ist,  verweise  ich  auf  Conf.  Aug. 
Art.  26  und  mein  Cität  aus  Thomas  Aquinas  in  „Die  Augs- 
burgische Konfession ",  lateinisch  uud  deutsch,  kurz  erläutert  von 
Th.  Kolde  (Gotha  1896),  S.  77.  Th.  Kolde. 

29.  G.  Bauch  behandelt  in  Zeitschr.  d  Vereins  f.  Gesch. 
u.  Altert.  Schlesiens,  Bd.  XXIX,  S.  159—196,  den  Schöpfer 
der  hernach  durch  Trotzendorf  so  berühmt  gewordenen  Gold- 
berger  Schule,  Hieronymus  Gürtler  von  Wildenberg  (auch 

Zeitschr.  f.  K.-O.  XVII.  1  u  2.  20 


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NACHRICHTEN. 


Cingulator,  Cingulatorinus,  Cingularias,  Aurimontanus  a  Ferimon- 
tanis  u.  a.  genannt).  Mit  grolser  Sorgfalt  ist  dem  verschlungenen 
Lebenswege  des  93  Jahre  alt  gewordenen  Pädagogen  und  Medi- 
ziners nachgegangen:  geb.  c.  1465  in  Goldberg,  Student  in  Köln 
seit  1496,  1501  mag.,  wird  er  Rektor  der  Schule  der  Brüder 
des  gemeinsamen  Lebens  in  Kulm  in  Westpreufsen.  (Dabei  er- 
halten wir  Nachrichten  Ober  den  seit  1386  bestehenden  Plan 
der  Hochmeister,  in  Kulm  eine  Universität  zu  errichten.  Aber 
trotz  päpstlichen  Privilegs  für  ein  Studium  generale  kommt  nur 
und  erst  1472  ein  Studium  particulare  mit  Hilfe  des  Bruder- 
hauses Zwoll  zustande,  das  drei  Brüder  als  Lehrer  entsendete.) 
1504  siedelt  er  nach  Goldberg  über,  wo  der  Rat  die  alte  Stadt- 
schule mit  der  neuen  Schule  vereinigt,  die  bald  durch  den  auch 
als  Schriftsteller  (Grammatik)  thätigen  Rektor  an  Ruf  gewinnt. 
Aber  1511  zieht  er  nach  Wittenberg  zum  Studium  der  Medizin, 
taucht  1515  in  Thorn  als  Stadtphysikus  auf.  Bis  an  sein  Lebens- 
ende (1558)  bleibt  er  aber  auch  in  dieser  veränderten  Berufs- 
stellung litterarisch  und  mit  seinen  persönlichen  Interessen  dem 
Schulwesen  zugewendet,  ein  unermüdlicher  Freund  der  Kulmer 
und  der  fernen  Goldberger  Schule. 

30.  Eine  sehr  schätzenswerte,  fleißige  Studie  zur  Biographie 
des  Mitarbeiters  am  Augsburger  Interim  und  Bischofs  von  Merse- 
burg, Michael  Heiding  (Sidonius)  veröffentlicht  N  i  k.  Paulus, 
der  unermüdliche  Biograph  katholischer  Theologen  der  Refor- 
mationszeit, im  „Katholik",  74.  Jahrg.  (1894),  II,  S.  410ff.  u. 
481  ff.  G.  Kawerau. 

*81.  In  umfassenderer  Weise  sucht  Ludwig  Schmitt 
(S.  J.,  der  Karmeliter  Paulus  Heliae,  Vorkämpfer  der  ka- 
tholischen Kirche  gegen  die  sogenannte  Reformation  in  Dänemark. 
Freiburg  im  Breisgau,  Herdersche  Yerlagsbandlung.  XI  u.  172  8. 
Mk,  2,30)  das  Andenken  des  wohl  bedeutendsten  litterarischen 
Bekämpfers  des  Luthertoms  in  Dänemark  zu  erneuern,  wobei  er 
denselben,  den  die  älteren  Biographen  als  früheren  Anhänger 
Luthers  in  Anspruch  nahmen  und  den  die  zeitgenössische  Satire 
schon  als  „Wendepelz"  bezeichnete,  als  stets  getreuen  Sohn  der 
römischen  Kirche  zu  zeichnen  bestrebt  ist  Wie  weit  das  richtig  ist, 
können  nur  Kenner  der  meist  dänisch  geschriebenen  Quellen  be- 
urteilen. Jedenfalls  wäre  eine  genaue  Untersuchung  der  doch 
auch  nach  Schmitt  in  vielen  Punkten  nicht  ganz  rein  katholischen, 
purgierten  Obersetzung  von  Luthers  „Betbücblein"  sehr  wün- 
schenswert und  wohl  für  die  Frage  entscheidend.  Dafs  dieser 
Paul  Eliae  nicht  der  Verfasser  der  Schrift  „vom  alten  und  neuen 
Gott  ist",  möchte  auch  ich  annehmen. 

Th.  Kölde. 


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NACHRICHTEN. 


307 


32.  Über  die  persönliche  Begegnung  des  Wernigerode r 
Dechanten  Job.  Kerkener  mit  Luther  im  Hause  des  Witten- 
berger Mediziners  Th.  Eschaus  um  Martini  1520  berichtet  E.  Ja- 
cobs in  seinem  Aufsatz  „Aas  dem  Rechnungsbuche  Joh.  Ker- 
keners von  1507  — 1541"  in  Zeitschrift  des  Harzvereins  XXVII, 
S.  593 ff.  Luther,  von  Otto  Beckmann  bei  Tische  angeredet: 
„Her  doctor  Martine,  gy  mothen  ock  noch  frygen"  giebt  die 
entschiedene  Antwort:  „Neynich  ick,  wer] ich  des  en  d6  ick 
nicht44.  Kerkener  hält  diese  persönliche  Erinnerung  an  seine 
Begegnung  mit  Luther  fest,  um  an  ihr  den  späteren  Abfall  des- 
selben von  seinem  Wort  und  Entschlufs  grell  zu  beleuchten. 
Was  Jacobs  sonst  aus  Kerkeners  Rechnungsbuch  mitteilt,  bezieht 
sich  besonders  auf  lokale  Bausachen  und  eine  Wernigeröder,  jetzt 
nicht  mehr  erhaltene  Bibliothek.  Cr.  Katcerau. 

33.  Der  beste  Kenner  Salzburgs  im  Beformationszeitalter, 
der  gelehrte  Benediktiner  W i  1 1  i b a  1  d  Hauthaler  veröffentlicht 
wesentlich  auf  Grund  des  von  ihm  neugesichteten  Salzburger 
Konsistorialarchivs  auf  wenigen  Seiten  des  Jahrbuchs  der  Leo- 
Gesellschaft  (auch  sep.  Wien  1895,  Selbstverlag  der  Leo-Gesell- 
schaft) eine  sehr  instruktive  Skizze  Ober  „Des  Kardinals  and 
Salzburger  Erzbischofs  Matthäus  Lang  Verhalten  zur  religiösen 
Bewegung  seiner  Zeit"  (1519  bis  1540),  die  freilich  den  Wunsch 
nach  einer  gröfseren,  mit  Aktenstücken  belegten  Publikation  von 
neuem  hervorruft  Auffallend  ist,  dafs  sich  bis  jetzt  keine  Briefe 
des  Kardinals  gefunden  haben,  die  doch  schwerlich  alle  verloren 
gegangen  sein  können.  Th.  Kolde. 

*34.  Georg  Lösche,  Johannes  Mathesins.  Ein 
Lebens-  und  Sittenbild  aus  der  Reformationszeit  Zwei  Bände. 
Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1895.  —  Seinen  mancherlei 
Vorarbeiten  zu  einer  Geschichte  des  Reformators  Joachimsthals 
hat  Georg  Lösche  nunmehr  ein  umfangreiches  Lebensbild  des 
Mathesius  folgen  lassen,  das  dank  der  Reichhaltigkeit  seines 
Materials,  dank  der  sorgfaltigen  Detailforschung  und  nicht  zuletzt 
auch  dank  seiner  anziehenden  Darstellung  als  ein  wertvoller  Bei- 
trag zur  deutschen  und  böhmischen  Reformationsgeschichte  mit 
lebhaftem  Danke  zu  begrfifsen  ist.  Aber  auch  die  Kulturgeschichte 
wird  aus  diesem  Buche  reichen  Gewinn  ziehen,  wie  denn  der 
Verfasser  mit  Fug  und  Recht  seine  Arbeit  als  Lebens-  und 
„Sittenbild"  bezeichnet  hat;  denn  bei  der  Eigenart  der  Predigten 
des  Mathesius  war  es  nur  natürlich,  gerade  die  mannigfachen 
darin  enthaltenen  sittengeschichtlichen  Mitteilungen  nachdrücklich 
hervorzuheben,  gerade  aus  ihnen  reichliche  Auszüge  zu  geben 
und  sie  zu  einem  lebensvollen  und  farbenreichen  Kulturbilde  zu 

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NACHRICHTEN. 


vereinigen.    Durch  diese  umfangreichen  Mitteilungen  aus  den 
Schriften  des  mit  der  Volkssitte  so  intim  vertrauten  Pfarrers  zu 
Joachimsthal  ergab  sich  ganz  von  selbst  die  Disposition  dieses 
Lebensbildes.    Lusche  behandelt  zunächt  ansscbliefslich  das  Bio- 
graphische, bespricht  alsdann  eingebend  die  einzelnen  Werke  und 
giebt  endlich  im  zweiten  Bande,  in  dem  auch  der  „Dichterling" 
nicht  vergessen  ist,  noch  eine  systematische  Charakteristik  der 
Predigten.  Es  folgt  als  Anhang  in  187  Nummern  (darunter  sechs 
neue  Melanthoniana)  der  Briefwechsel  des  Mathesius,  ein  Abdruck 
seiner  Rechtfertigungsschrift  an  König  Ferdinand  vom  17.  De- 
zember 1546  und  zuletzt  eine  sehr  sorgfältige  Bibliographie  seiner 
eigenen  sowie  der  Schriften  über  ihn.    In  jenem  ersten,  rein 
biographischen  Teile  liegt  der  Schwerpunkt  in  den  Kapiteln  über 
Joachimsthal,  die  dem  Verfasser  zu  einer  vollständigen  Mono- 
graphie Ober  die  Stadt  anwuchsen,  in  der  neben  einer  erschöpfen- 
den Darstellung  ihrer  Reformationsgeschichte  auch  die  durch  den 
Bergbau  beeinflufsten  eigentümlichen   sozialen  und  kulturellen 
Verhältnisse  in  einer  Fülle  lehrreicher  Einzelzüge  geschildert 
sind.    Des  Mathesius  bedeutsame  Kirchen-,  Schul-  und  Spital- 
ordnung von  1551  hatte  der  Verfasser  schon  früher  behandelt 
und  giebt  nun  hier  im  wesentlichen  eine  neue  und  verbesserte 
Auflage  jener  früheren  Abhandlung,  der  mancherlei  berichtigende 
und  ergänzende  Rezensionen  zustatten  kamen;  schon  aus  dieser 
„  Ordnung u  ergiebt  sich  ein  reiches  sittengeschichtliches  Material, 
das  dann  durch  die  Predigten  in  ganz  aufserordentlichem  MaTse 
ergänzt  und  bereichert  wird.    Lösche  gruppiert  diese  in  solche 
über  normierte  Texte,  in  solche  über  freie  Texte  und  textlose 
Predigten  (Sarepta,  Lutherhistorien);  es  folgen  die  Katechismus- 
predigten und  die  Kasualien,  worauf  dann  die  Gesamtmasse  dieser 
homiletischen  Arbeiten  noch  einmal  nach  den  Gesichtspunkten: 
Exegese,  Dogmatik,  Aberglauben,  Polemik,  Ethik,  Form,  Sprache 
und  Stil,  ausführlich  erörtert  wird.   Die  sorgsame  Analyse  dieser 
Predigten,  die  reichlichen  Auszüge  daraus,  sowie  jene  besonnene 
systematische  Charakteristik  sind  überaus  dankenswert  und  bieten 
neben  dem  Theologen  auch  dem  Kultur-  und  Literarhistoriker 
ein  reiches,  übersichtlich  gruppiertes  und  dank  des  Verfassers 
aufserordentlicher  Belesenheit  mit  reichen  Erläuterungen  versehenes 
Material,  das  für  die  Sittengeschichte  des  Reformationszeitalters 
von  sehr  erheblichem  Werte  ist.  Nur  waren  natürlich  bei  dieser 
doppelten  Behandlung   der  Predigtlitteratur   vielfache  Wieder- 
holungen unvermeidlich,  und  die  Frage,  ob  nicht  überhaupt  eine 
etwas  knappere  Zusammenfassung  dieses  weitschichtigen  Stoffes 
sich  empfohlen  hätte,  läfst  sich  meines  Eracbtens  bei  aller  dank- 
baren Anerkennung  des  Gebotenen  nicht  von  der  Hand  weisen. 
Und  nicht  nur  in  der  behaglichen  Breite  dieser  Partieen,  sondern 


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NACHRICHTEN. 


309 


auch  sonst  ist,  wie  mir  scheint^  diese  auf  mehr  als  tausend  Seiten 
angeschwollene  Biographie  durch  ein  Zuviel  belastet,  das  die 
Lektüre  des  Buches  erschwert  und  zu  dem  Gegenstande  der 
Arbeit  doch  wohl  in  keinem  rechten  Verhältnis  steht.  Ein  Zu- 
viel im  Text,  wo  Wesentliches  und  Unwesentliches  nicht  immer 
scharf  genug  geschieden  ist,  ein  Zuviel  in  den  Anmerkungen,  die 
durch  das  Bestreben,  keine  Lesefrucht  unter  den  Tisch  fallen  zu 
lassen,  zu  ungebührlichem  Umfange  angeschwollen  sind,  ein  Zu- 
viel endlich  auch  im  Stil,  den  wohl  mancher  Leser  schlichter 
und  mit  elegantem  Zierrat  weniger  überlastet  wünschen  möchte. 
Indes  kann  dieses  subjektive  Bedenken  den  Wert  der  Arbeit 
selbst  nicht  im  mindesten  schmälern:  sie  ist  das  Ergebnis  mühe- 
voller und  sorgfaltiger  Studien  und  einer  jahrelangen,  liebevollen 
Beschäftigung  mit  dem  wackeren,  liebenswerten  Mann,  dem  sie 
gewidmet  ist.  Und  das  Bild  dieses  Mannes  zeichnet  sie  so  klar 
und  anschaulich,  mit  so  gewissenhafter  Treue  und  so  feinem 
Nachempfinden,  dafs  die  Reformationsgeschichte  dem  Verfasser  zu 
lebhaftem  Danke  verpflichtet  ist.  W.  Kawerau. 

*35.  Auf  Anregung  des  weiland  Prof.  Vilmar  hatte  Pfarrer 
Christian  Müller  in  Fürstenau  im  Odenwalde  langjährige  Vor- 
arbeiten für  eine  Mathesius-Biographie  betrieben;  er  starb  1892, 
ohne  zum  Abschlufs  gekommen  zu  sein.  Mit  Benutzung  seines 
Nachlasses  hat  Oberlehrer  Dr.  Karl  Amelung  in  Dresden 
jetzt  die  beabsichtigte  Biographie  fertiggestellt:  M.  Johannes 
Mathesius,  ein  lutherischer  Pfarrherr  des  16.  Jahr- 
hunderts. Gütersloh,  C.  Bertelsmann,  1894.  (VIII  u.  284  S. 
Mk.  3. 60.)  Der  Verfasser  war  in  der  günstigen  Lage,  nun 
auch  die  zahlreichen  bereits  gedruckten  Vorarbeiten  verwerten 
zu  köunen,  die  G.  Lösche  in  den  letzten  Jahren  seit  1888  ans 
Licht  hat  treten  lassen.  Zwar  befand  sich  bei  der  Herausgabe 
auch  Lösch  es  abschliefsende  eigene  biographische  Arbeit  bereits  im 
Druck,  diese  erhält  also  hier  durch  Amelungs  vorauseilende  Schrift 
eine  unliebsame  Konkurrenz.  Doch  will  Amelung  für  weitere 
Kreise  schreiben,  verzichtet  daher  im  allgemeinen  auf  Quellen- 
nachweisungen, obwohl  er  über  reichhaltige  Excerpte  aus  den 
Schriften  des  Mathesius  verfügt,  bei  denen  man  gern  den  Fund- 
ort angegeben  sähe.  Auch  giebt  er  seiner  Biographie  mehrfach 
recht  handgreifliche  Nutzanwendungen  wider  den  „kulturkämpfe- 
rischen Protestantismus"  oder  wider  die  „Leugner  der  Gottheit 
Christi"  unter  den  heutigen  evangelischen  Theologen  mit  auf 
den  Weg  und  meint  sich  als  Lutheraner  durch  Rohbeiten  gegen 
Zwingli  ausweisen  zu  müssen.  Schade,  dafs  der  Verfasser  bei 
dem  reichen  Material,  über  das  er  verfügte,  seine  Aufgabe  nicht 
etwas  höher  gegriffen  hat.    Aber  mit  Vergnügen  hört  man  es, 


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NACHRICHTEN. 


wenn  der  alte  Mathesius  hier  möglichst  viel  selber  zu  Worte 
kommt.  Von  S.  249  an  werden  in  mehreren  Anhängen  zwei 
Predigten,  einige  Gebete,  sieben  Dichtungen  und  zwei  Fabeln  des 
Mathesius  mitgeteilt.  Cr.  Katcerau. 

*36.  Arnold  E.  Berger,  Privatdozent  an  der  Universität 
Bonn,  Martin  Luther  in  kulturgeschichtlicher  Darstellung. 
Erster  Teil  1483—1525.  (Auch  unter  dem  Titel  Geisteshelden 
[Führende  Geister]).  Eine  Biographieen  -  Sammlung.  Heraus- 
gegeben von  Dr.  Anton  Bettelheim.  Bd.  XVI  u.  XVII.  Berlin, 
Ernst  Hofmann  &  Co.,  1895.  XXII  u.  506  S.  Luthers  Leben 
ist  so  reich,  seine  Persönlichkeit  bekann termafsen  eine  so  viel- 
seitige, dafs  man  auch  vom  humanistisch  -  germanistischen  Stand- 
punkt neue  Seiten  an  ihm  entdecken  könnte,  die  wertvolle  Er- 
gänzungen zu  den  bisherigen  Auffassungen  liefern  dürfte.  Aber 
der  Verfasser  beabsichtigt  mehr.  Er  begründet  sein  Unternehmen 
mit  dem  Ungenügenden  der  bisherigen  Darstellungen,  sowohl  von- 
seiten der  allgemeinen  Historiker  wie  der  Theologen,  „nament- 
lich Jürgens,  Plitt,  Köstlin,  Kolde,  G.  Kawerau  und  Albrecht 
Ritsehl,  theologische  Forscher  von  rastlosem  Fleifs  und  andacht- 
voller Gründlichkeit"  —  eine  köstliche  Stilblüte  1,  bei  den  letz- 
teren deshalb,  weil  der  protestantische  Theologe  „niemals  der 
Atmosphäre  seiner  geistigen  Erziehung  so  völlig  wird  entgehen 
können,  um  die  Heranbringung  (!)  aller  apologetischen  und  pole- 
mischen Gesichtspunkte  schlechthin  auszuschliefsen  •'.  Als  Beweis 
dafür  werden  ein  paar  Sätze  eines  ungenannten  „hervorragenden 
zeitgenössischen  Theologen  über  Luther,  „die  jeden  geschicht- 
lichen Kopf  befremden",  mitgeteilt,  dabei  aber  doch  anerkannt, 
dafs  man  bei  den  „theologischen  Forschern  von  einer  durch- 
weh onds  so  musterhaften  Besonnenheit,  wie  sie  den  oben  nament- 
lich angeführten  eignet",  dergleichen  vergeblich  suchen  wird. 
Gleichwohl  ist  die  nötige  Unbefangenheit  nicht  vorhanden,  und 
zwar  deshalb,  weil  sie  nicht  vorhanden  sein  kann,  deun,  so 
lesen  wir:  „die  völlige  Abwesenheit  apologetischer  Haltung  müfste 
bei  einem  theologischen  Biographen  Luthers,  der  doch  die  Ge- 
schichte der  protestantischen  Kirche  immer  unsichtbar  neben  sich 
hat  (1),  wie  ein  still  mitwirkendes  Regulativ  vollends  überraschen  (!). 
Und  wo  eine  solche  Haltung  auch  im  Ausdruck  noch  so  selten 
sichtbar  wird,  da  waltet  sie  unbewufst  in  der  Auswahl  des  Ma- 
terials und  in  der  Art,  wie  die  historische  Kausal  Verknüpfung- 
angeschaut  wird".  Weiter  findet  der  Verfasser,  dafs  „eine  sehr 
erklärliche  Eifersucht  darüber  wache,  dafs  der  religiösen  Ori- 
ginalität des  Reformators  nicht  das  Geringste  abgebrochen  werde, 
und  sie  drängt  das  Interesse  der  Theologen  ganz  natürlich  dar- 
auf hin,  diese  Originalität  von  der  Kultur  ihres  Zeitpunktes  (!) 


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NACHRICHTEN. 


311 


«o  viel  als  möglich  zu  isolieren "  (8.  VII),  eine  gewifs  starke  Be- 
hauptung vonseiten  eines  Mannes,  der,  wie  sein  Buch  auf  jeder 
Seite  ergiebt,  meine  Lutherbiographie  wenigstens  gelesen  hat  — 
Während  man  auf  eine  ähnliche  Kritik  der  allgemeinen  Histo- 
riker bereits  vorbereitet  ist,  unterläfst  der  Verfasser  sie  doch 
schlief8lich,  um  „die  Fülle  der  fruchtbarsten  Anregungen  in  jenen 
epochemachenden  Geschichtswerken"  zu  begrfifsen,  „die  aus  den 
sozialen  Kämpfen  der  Gegenwart  heraus  unser  historisches  Denken 
umgestimmt"  (S.  IX),  und  während  er  bei  aller  Hochschätzung 
des  Werkes  von  F.  v.  Bezold,  doch,  was  er  nur  andeutet,  „je 
mehr  die  vorwiegend  politische  Geschichtschreibung  von  der 
kulturellen  überholt  wurde",  eben  die  letztere  wohl  zu  wenig 
gewürdigt  findet,  offeubart  sich  ihm  „der  erfrischende,  universelle 
Anhauch  (!)  jener  Studien  ebenso  in  der  Art,  mit  welcher  Theo- 
logen wie  A.  Harnack  und  Herrmann,  Nationalökonomen  wie 
Schmoller,  Juristen  wie  Sohm  und  Gierke,  philosophische  Be- 
trachter wie  v.  Eicken  und  Dilthey  u.  a.  die  Probleme  der  Re- 
formation von  den  mannigfaltigsten  Gesichtspunkten  her  fruchtbar 
beleuchteten",  S.  X.  Nachdem  man  sich  durch  dieses  und  an- 
deres mühsam  hindurchgearbeitet  hat,  umschreibt  der  Verfasser 
die  Aufgabe  seines  Buches  endlich  mit  einem  Worte  S.  XII  da- 
hin: „er  wollte  das,  was  Albrecht  Ritsehl  als  die  neuen  Lebens- 
ideale der  Reformation  bezeichnet,  aber  zur  geschichtlichen  Be- 
gründung offen  gelassen  hat,  in  der  Notwendigkeit  seiner  Ent- 
stehung begreiflich  machen,  Luther  nicht  nur  als  das  religiöse 
Genie,  sondern  zugleich  als  Kulturhelden,  als  den  Schöpfer  des 
Protestantismus ,  zur  Anschauung  bringen ,  als  den  gröfsten 
Mittler  (!),  den  unsere  Geschichte  kennt,  und  sein  Werk  ver- 
folgen bis  in  seine  ältesten  Voraussetzungen  einerseits,  bis  in 
seine  Ausgänge  und  seine  Wirkungen  auf  das  Geistesleben  der 
Neueren  anderseits",  S.  XII.  Und  ebendazu  ist  nach  Bergers 
Meinung  der  Literarhistoriker  am  meisten  geeignet,  „denn  es 
ist  das  schöne  Vorrecht  des  Literarhistorikers,  mit  den  Gröfsten 
der  Geistesgeschichte  gleichsam  an  einem  Tische  sitzen  zu  dürfen, 
in  ihre  Wesensart  sich  einzuleben  und  ihr  Offenbarungen  ab- 
zugewinnen, wie  sie  nur  vertrautestem  Umgange  sich  erschliefsen 
mögen  etc.".  Da  ist  es  freilich  kein  Wunder,  wenn  es  uns 
andern  Lutherbiographen,  namentlich  den  armen  Theologen  nicht 
gelungen.  Erst  dem  Literarhistoriker  war  es  vergönnt,  Luther 
als  „religiösen  Mittler"  zu  erkennen  und  darzustellen,  wo- 
mit sich  der  erste  vorliegende  Band  beschäftigt  (1.  Kap.:  Luthers 
Erwählung  zur  Mittlerschaft.  2.  Kap.:  Luthers  Erwerbung  der 
Mittlerschaft  3.  Kap.:  Luthers  Bewährung  der  Mittlerschaft), 
während  der  zweite  Teil  Luther  als  „führenden  Geist"  behandeln 
soll.   Und  diese  Bezeichnung  Luthers  als  „religiösen  Mittler"  ist 


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312 


XACHUICHTEN. 


ganz  gewifs  etwas  Neues;  ob  sonst  aufser  der  Wiederholung* 
einiger  Ritscblscher  Gedanken,  der  Betonung  „des  Erlebnisses "r 
der  Lehre  von  der  christlichen  Vollkommenheit,  der  Bekämpfung 
des  meines  Wissens  von  keinem  anderen  Lutherbiographen  ver- 
werteten sogen.  Material-  und  Formalprinzips,  Neues  sich  darin 
rindet,  mögen  Unbefangenere  entscheiden. 

37.    Theodor  Brieger  unterzieht  in  seiner  Abhandlung: 
Ober  den  Prozefs  des  Erzbischofs  Albrecht  gegen 
Luther  (in  Kleinere  Beitrage  zur  Geschichte  von  Dozenten  der 
Leipziger  Hochschule,  Festschrift  zum  deutschen  Historikertage 
in  Leipzig,  Ostern  1894.    Leipzig  1894.    S.  191  ff.)  die  Frage 
nach  dem  Verhalten  des  Albrecht  von  Brandenburg  gegen  Luther 
bei  Beginn  des  Ablafsstreites  einer  sorgfaltigen  Untersuchung  und 
wendet  sich  gegen  die  von  Köstlin,  M.  L.  I4,  180,  ausgesprochene 
allgemeine  Annahme,  dufs  die  Räte  des  Erzbischofs  es  wohl  nicht 
angemessen  gefunden  haben ,  gegen  Luther  schon  öffentlich  mit 
dem  (vom  Erzbischof  in  Aussicht  genommenen)  Prozefs  voran- 
zugehen und  dafs  Albrecht  so  davon  abstand.  Er  findet  dagegen 
in  den  Tbeseu  Tetzeis,  in  den  Entgegnungen  K ar) Stadt s  und  an- 
deren gleichzeitigen  Auslassungen  deutliche  Spuren  davon,  „dafs 
Tetzel  den  Prozefs  angestrengt,  aber  freilich  bald  von  ihm  ab- 
zulassen sich  genötigt  sah".     Briegers  Nachweise   sind  sefcr 
dankenswert,  und  danach  steht  fest,  dafs  Tetzel  glaubte  Grund 
zu  haben,  darüber  zu  klagen,  dafs  der  Kurfürst  gegen  seine  Pflicht 
ihn  an  der  rechtmäßigen  Verfolgung  des  Ketzers  hindere,  frag- 
lich ist  aber,  ob  man  das  mit  dem  processus  inhibitorius  ver- 
binden darf,  über  weichin  Albrecht  seine  Bäte  nach  dem  be- 
kannten Schreiben  beraten  läfst,  wobei  es  einmal  auf  die  Fassung 
des  Begriffes  processus  inhibitorius  ankommen  wird,  zum  andern, 
welche  Stellung  der  Erzbischof  nach  dem  ganzen  Tenor  des 
Schreibens  in  der  ganzen  Angelegenheit  einnimmt.    Unter  dem 
processus  inhibitorius  ist,  so  meint  es  doch  wohl  auch  Brieger,  ein 
Schriftstück  zu  verstehen,  so  dafs  nur  in  Rücksicht  auf  den 
eventuellen  Erfolg  resp.  Nichterfolg  desselben  zugleich  von  der 
Einleitung  eines  Prozesses  (nach  modernem  Sprachgebrauch)  ge- 
sprochen werden  kann.    Was  nun  aber  den  Inhalt  desselben  an- 
belangt, so  kann  ich  es  nicht  für  wahrscheinlich  halten,  dafs 
Albrecht,  nachdem  er,  um  so  wenig  als  möglich  mit  der 
Sache  zu  thun  zu  haben  und  sich  die  Augustiner- 
eremiten nicht  auf  den  Hals  zu  laden,  die  Sache  in 
Bom  anhängig  gemacht  hat  (dafs  die  Bemerkung  im  Briefe  Tetzeis 
an  Miltitz  bei  Löscher,  Reform ationsakten  II,  568  sich  darauf 
bezieht,  habe  ich  schon  in  meinem  M.  Luther  I,  375  geltend 
gemacht)  zugleich  den  Tetzel  mit  der  Einleitung  eines  regulären 
Ketzerprozesses  beauftragt  haben  sollte.   Seine  ganze  weitere  Er- 


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NACHRICHTEN. 


wägung  ging  lediglich  dahin,  ob  und  wie  eventuell  dem  Umsich- 
greifen der  Bewegung  gesteuert  werden  solle,  „damit  solcher 
giftiger  Irrthumb  vnder  gemeynem  vokk  weither  nicht  gepflanzt 
werde".    Deshalb  wird  der  Processus  inhibitorius  schwerlich 
mehr  enthalten  haben  als  eine  strenge  Mahnung  (unter  Nam- 
haftmachnng  der  etwaigen  Folgen),  von  seinen  Angriffen  gegen 
die  Abiaispraxis  abzustehen,  ein  Schriftstück,  das  eventuell  Tetzel, 
den  es  zunächst  anging,  Luther  insinuieren  sollte.    Dafs  man 
darüber  eine  so  sorgfältige  Beratung  pflog  (Brieger  S.  194),  kann 
angesichts  der  Thatsache,  dafs  es  sich  um  den  bekannten  Professor 
an  der  Hochschule  des  sächsischen  Korfürsten  handelte,  doch 
nicht  Wunder  nehmen.  Ob  nun  die  Räte  für  gut  befunden  haben, 
den  processus  weiterzugeben,  wissen  wir  nicht,  ebenso  wenig, 
ob  Tetzel  den  Versuch  gemacht  hat,  wenn  er  ihn  erhalten,  den- 
selben Luther  zu  insinuieren.    Das  letztere  ist  mir  neuerdings 
sehr  zweifelhaft,  weil  wir  nirgends  etwas  davon  hören,  und,  was 
direkt  dagegen  zu  sprechen  scheint,  Luther  in  seinem  Sermon 
(Brieger  8.  196)  Tetzel  geradezu  auffordert,  ihn  persönlich  in 
Wittenberg  zu  belehren  etc.    Das  schliefst  aber  nicht  aus,  dafs 
Tetzel  auf  eigene  Fuust  gegen  Luther  prozessualisch  vorgegangen 
ist,  wobei  er  sehr  bald  aber  erfahren  mufste,  dafs  man  am  kur- 
fürstlichen Hofe  ihm  kein  Entgegenkommen  zeigte,  und  darauf 
nicht  auf  einen  im  Auftrage  des  Albrecht  von  Mainz  unter- 
nommenes Vorgehen,  an  welchem  man  ihn  hinderte,  möchte  ich 
die  spitzen  Bemerkungen  gegen  den  Kurfürsten  beziehen,  auf  die 
Brieger  in  dankenswerter  Weise  aufmerksam  gemacht  hat. 

38.  Baier,  Dr.  Johann,  Präfekt  des  Schulleb rerseminars 
in  Würzburg,  Dr.  Martin  Luthers  Aufenthalt  in  Würzburg. 
Würzburg,  Stähelsche  Buchhandlung,  1895,  35  S.,  konstatiert  nur 
gegenüber  falschen  Lokaltraditionen  das  Tatsächliche.    Der-  • 
selbe:  Geschiebte  des  alten  Augustinerklosters  Würzburg  (mit 

5  Abbildungen,  98  S.)  liefert  neben  einer  Baugeschichte  des- 
selben in  kurzer  Übersicht  für  die  ältere  Zeit  im  Anschlufs  an 
meine  Augustinerkongregation ,  später  an  A.  Höhn  und  einzelne 
Notizen  aus  dem  Ordinariatsarchiv  und  Klosterarchiv  zu  Münner- 
stadt  eine  gedrängte  Geschichte  des  Klosters  und  seiner  be- 
kanntesten Insassen.  Nicht  erweislich  ist  die  Behauptung,  dafs 
der  Würzburger  Konvent  zu  Staupitz'  Zeiten  zur  deutschen  oder 
sächsischen  Kongregation  gehört  hat,  doch  ist  die  Notiz  zu  be- 
achten, dafs  der  bei  Luthers  Aufenthalt  in  Würzburg  amtierende 
Prior  Petrns  Wieglin  im  Jahre  1515  in  Wittenberg  studiert  hat 
und  dann  wohl  auch  ein  Schüler  Luthers  gewesen  ist. 

39.  Ein  den  Lutherforschern  bisher  entgangenes  Mahn- 
schreiben des  päpstlichen  Legaten  in  Polen  Zacharias 
Ferren  (über  ihn  Bernardo  Morsolin,  Zaccaria  Ferreri,  episodio 


314 


NACHRICHTEN. 


biografico  del  secolo  XVI.  Vicenza  1877)  an  Luther  vom  20.  Mai 
1520  teilt  Job.  Fizalek  aus  einem  gleichzeitigen  Druck  mit  in 
Hiflt.  Jahrb.  d.  Görresges.,  Bd.  XV  (1894),  S.  374  ff. 

40.  H.  Z wey nert,  Luthers  Stellung  zur  humanistischen 
Schule  und  Wissenschaft  Leipzig  1895.  Diss.  — Luthers  Be- 
ziehungen zu  den  Böhmen  behandelt  in  einer  Spezialuntersuchung 
Fron  ins  in  dem  Jahrb.  d.  Gesellschaft  des  Protestantismus  in 
Osterreich  1895. 

*41.  Zu  dem  wertvollsten,  was  die  letzte  Zeit  auf  dem 
Gebiete  der  Lutherlitteratur  hervorgebracht,  gehört  ohne  Zweifel 
die  Publikation  von  P.  Drews,  Die  Disputationen  Dr.  Mar- 
tin Luthers  in  den  Jahren  1535—1545  an  der  Universität 
Wittenberg  gehalten.  Zum  erstenmale  herausgegeben.  1.  Hälfte. 
Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht,  1895  XLV  u.  346  S. 
Mk.  12.  Nach  einer  ausführlichen  Einleitung,  die  in  klarer,  im 
einzelnen  freilich  nicht  immer  einwandfreier  Darlegung  das  schwie- 
rige Thema  des  damaligen  Disputationswesens  in  seinen  ver- 
schiedenen Arten  behandelt  und  das  vom  Herausgeber  benutzte 
handschriftliche  Material  nach  Herkunft  und  Beschaffenheit  be- 
spricht, liefert  er  größtenteils  nach  unmittelbaren  Nachschriften 
den  Abdruck  einer  Reihe  von  Lutherische  Disputationen  mit  Thesen, 
Rede  und  Gegenrede  und  zwar  vom  Jahre  1535  an,  also  seit 
Wiederaufnahme  des  Promotionswesens  an  der  Wittenberger  Hoch- 
schule. Jeder  Disputation  ist  eine  litterarkritische  und  historische 
Einleitung  vorangeschickt.  Es  ist  offenbar,  dafs,  wenn  auch 
manches  Unbedeutende  mit  abgedruckt  werden  mulste,  man  doch 
erst  durch  einen  solchen  vollständigen  Abdruck  einen  unmittelbaren 
und  lebendigen  Eindruck  von  dem  ganzen  Verfahren  empfängt 
und  erkennen  kann,  wie  Luther  die  einzelnen  gerade  auftauchen- 
den Fragen  behandelte,  und  in  welcher  Weise  dies  heranwachsende 
Theologengeschlecht  erzogen  wurde.  So  wird  nicht  nur  die 
Lutherforschung,  sondern  auch  die  Universitäts-  und  Gelehrten- 
geschichte ans  diesem  Werke  nicht  Weniges  zu  lernen  haben, 
nnd  ist  die  baldige  Vollendung  derselben  dringend  zu  wünschen. 
Eine  ausführlichere  Besprechung  unter  Berücksichtigung  der  Einzel- 
punkte hoffe  ich  in  den  Gött.  Gel.-Anz.  zu  liefern. 

4%.  Der  Jesuit  Ernst  Michael  bebandelt  auf  Veranlassung 
der  früher  erwähnten  Publikation  Höflers  in  bekannter  Manier 
unter  dem  Titel:  Luther  und  Lemnius.  Wittenbergische  In- 
quisition 1538  in  der  Zeitschrift  für  katholische  Theologie  1895, 
S.  450 ff.  den  Streit  Luthers  mit  Lemnius.  Inzwischen  hat  man 
auch  in  Frankreich  Veranlassung  gefunden,  eine  französische 
Übersetzung  von  des  Lemnius  Schandpoem  ausgehen  zu  lassen: 
Lemnius  (S.)v  les  noces  de  Luther,  ou  la  monachopornomachie 
de  Simon  Lemnius  (XVI  s.).    Traduit  du  latin  pour  la  premiere 


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NACHRICHTEN. 


315 


fois  avec  le  texte  an  regard.  Paris  (1895)  Lisieux,  XX  &  120  p.t 
nach  dem  Preise  von  25  Fr.  zu  urteilen,  jedenfalls  eine  Lieb- 
haberausgabe. 

43.  N.  Paulus:  Ein  katholischer  Augenzeuge  über 
Luther 8  Lebensende.  Hist  Jahrb.  d.  Görresges.  Bd.  XV, 
1894,  S.  811  ff.  Bei  meinen  Verhandlungen  mit  Majunke  über 
Luthers  Lebensende  war  auch  ein  anonymer  Brief  eines  „Mans- 
felder  Bürgers"  über  Luthers  Tod  zur  Sprache  gekommen,  der 
von  1565  an  den  späteren  Auflagen  der  Schrift  des  Cochlaeus 
de  actis  et  scriptis  Lutheri  beigedruckt  ist.  Ich  konstatierte 
(Th.  Kolde,  Luthers  Selbstmord,  3.  Auflage,  Erlangen  und  Leipzig 
1890,  S.  16),  dafs  der  Verfasser  Katholik  war  und  dafs  der 
Bericht  ein  beinah  gleichzeitiger  ist,  da  er  von  dem  kranken 
Grafen  Philipp  von  Mansfeld  spricht,  der  nach  Krumhaar  (Die 
Grafschaft  Mansfeld,  S.  223)  am  9.  Jnni  1546  gestorben  ist.  In 
meiner  zweiten  Schrift  (Noch  einmal  Luthers  Selbstmord,  S.  25  f.), 
sprach  ich  die  Vermutung  aus,  dafs  jener  Bericht  wahrscheinlich 
eine  von  Majunke  gesuchte  Schrift  des  Georg  Wicel  sei,  indem 
ich  auf  eine  Stelle  des  Polemikers  Joh.  Nas  verwies,  der  in  seiner 
im  Jahre  1580  erschienenen  Quinta  centuria  p.  577  sich  auf  das 
beruft,  was  „von  stund  an  ein  Bürger  von  Mannßfeld,  der  mit 
und  bey  dem  Tod  geweßt,  zur  Cur  geholffen,  beschrieben  und 
dem  Wicelio  zugeschickt,  wie  es  denn  auch  in  öffentlichen  truck 
gegangen".  Daraufhin  ist  Panlus,  der  übrigens,  obwohl  jene 
Stelle  bei  Nas  für  seine  Annahme  „den  vollgültigen  Beweis 
liefert",  weder  meine  Schrift  noch  meine  auf  die  betreffende  Frage 
bezüglichen  Bemerkungen  mit  einem  Worte  citiert,  der  Sache  weiter 
nachgegangen,  und  macht  sehr  wahrscheinlich,  dafs  der  civis 
Mansfeldensis ,  der  den  fraglichen  Brief  an  Wicel  geschrieben, 
der  mit  ihm  seit  lange  bekannte  Apotheker  Johann  Landau  ge- 
wesen und  identisch  ist  mit  dem  Apotheker,  der  es  nach  dem 
Berichte  mit  dem  sterbenden  Luther  zu  thun  hatte,  wodurch  das 
Schriftstück  natürlich  einen  erhöhten  Quellenwert  erhalt.  Dafs 
Paulus  sich  mit  Entschiedenheit  gegen  Majunke  erklärt,  durfte 
man  von  diesem  Forscher  erwarten. 

44.  A.  Schröder,  Beiträge  zum  Lebensbilde  Nacht  i- 
galls,  Hist.  Jahrb.  d.  Görresges.,  14.  Band,  1893,  S.  83  ff., 
behandelt  wesentlich  die  kirchliche  Stellung  der  unter  dem  Namen 
Otmar  Luscinius  bekaunten  Humanisten  aus  Strafsburg,  der  als 
Kanonikus  von  St.  Moritz  in  Augsburg  von  1525 — 33  eine  Rolle 
in  der  Keformationsgeschichte  Augsburgs  spielt 

45.  Ein  wichtiges  Datum  zur  Lebensgeschichte  Ökolam- 
pads  hat  G.  Boss  er  t  festgestellt,  indem  er  in  den  Blättern 
für  Württembergische  Kirchengeschichte  1895,  S.  40  die  auf  der 
Universitätsbibliothek  zu  Tübingen  aufbewahrte  Urkunde  mitteilt, 


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316 


NACHRICHTEN. 


mittelst  welcher  Herzog  Ulrich  von  Württemberg  am  13.  April 
1510  dem  Bischof  Lorenz  von  Würzburg  den  von  Bürgermeister 
und  Rat  in  Weinsberg  zur  dortigen  Prädikatur  nominierten  Ma^r. 
Johann  Heusgiu  von  Weinsberg  präsentiert. 

46.  Zur  Geschichte  des  in  humanistischem  Sinne  reform- 
freundlichen Breslauer  Bischofs  Jacob  von  Salza  (1520—38) 
teilt  St.  Ehses  im  bist.  Jahrb.  d.  Görresges.  Bd.  XIV,  1893, 
S.  834  aus  einem  Briefe  desselben  an  Clemens  VII.  vom  2.  April 
1524  merkwürdige  Vorschläge  zur  Bekämpfung  der  Irrlehren  mit. 

47.  Ein  sehr  interessantes  zeitgenössisches  Gedicht  über 
Franz  von  Sickingen,  das  von  einem  Katholiken  verfafst, 
sich  auch  über  Sickingens  kirchliche  Stellung  ausläfst,  veröffent- 
licht aus  einer  Wolfenbütteler  Handschrift  0.  v.  Heinemann 
in  der  Westdeutschen  Zeitschrift  XIV,  1895,  S.  293  ff. 

*  48.  Zu  den  wertvollen  Publikationen  zur  Geschichte  des 
Vergerio,  die  uns  die  letzten  Jahre  gebracht  haben,  u.  a.  Job. 
Sembrzycki  die  Reise  des  V.  nach  Polen  1556/57  in  der  altpreufs. 
Monatsschrift  XXVII,  der  grofsen  Arbeit  von  W.  Friedensburg,  die 
Nuntiatur  des  Vergerio  in  den  „Nuntiaturberichte  aus  Deutsch- 
land", Gotha  1892,  dessen  Einleitung  für  die  Auffassung  der 
ersten  Zeit  Vergerios  nunmehr  grundlegend  sein  dürfte,  ist  neuer- 
dings gekommen:  Friedrich  Hubert,  Vergerios  publi- 
zistischeThätigkeit  nebst  einer  bibliographischen  Übersicht 
XV  und  323  S.  gr.  8.  Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht, 
1893.  Mk.  6.  —  Wie  schon  der  Titel  angiebt,  beabsichtigt 
der  Verfasser  keine  Biographie,  er  schickt  nur  eine  kurze  Skizze 
über  Vergerios  Leben  bis  zu  seinem  Obertritt  zum  Protestantis- 
mus voraus,  seine  eigentliche  Darstellung  beginnt  erst  mit  dem 
Mai  1549  und  hat  wesentlich  die  publizistische  Tbätigkeit  zum 
Gegenstande,  doch  so,  dafs  allenthalben  wertvolle  Untersuchungen 
und  Mitteilungen  über  den  Lebensgang  zur  Seite  gehen,  woraus  die 
Partieen  über  die  Tbätigkeit  in  Graubünden  und  seinen  Anteil 
an  dem  Geschichtswerk  des  Sleidan  S.  150  ff.  hervorzuheben  sind. 
Aber  im  Vordergrund  steht  der  unermüdliche  litterarisebe  Kämpfer, 
in  dessen  vielseitige  uud  geschäftige  Tbätigkeit  der  Leser  durch 
reiche  Mitteilungen  aus  den  vielen  kleinen  Schriften  Vergerios 
eingeführt  wird,  die  der  Verfasser  durch  emsige  Forschungen  auf 
deutscheu,  schweizerischen  und  italienischen  Bibliotheken  in  einem 
bisher  nicht  erreichten  Umfange  zusammengebracht  hat.  Darüber 
berichtet  mit  grofser  Genauigkeit  der  bibliographische  Anhang, 
der  nicht  weniger  als  171  Schriften  aufzählt        Th.  Kolde. 

49.  Als  1.  Heft  der  von  Aug.  Sauer  begründeten  „Bibliothek 
älterer  deutscher  Übersetzungen"  giebt  Joh.  Bolte  einen  Neu- 
druck von  Veit  Warbecks  Verdeutschung  der  französischen 


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NACHRICHTEN. 


317 


Erzählung1  „Die  schöne  Magelone"  nach  dem  in  Gotha  befind- 
lichen Autograph  vom  Jahre  1527  (Weimar,  E.  Felber,  1894, 
LXVII  u.  8G  S.).  Von  kirchengeschichtlichem  Interesse  ist 
Kap.  III  der  mit  bekannter  Gelehrsamkeit  und  Sorgfalt  gearbeiteten 
Einleitung,  in  dem  die  verstreuten  Notizen  über  Warbecks  Leben 
gesammelt  und  geordnet  sind.  Geboren  kurz  vor  1490  in  Scbwä- 
bisch-Gmünd,  vom  Vater,  einem  wohlhabenden  Bürger,  zur  diplo- 
matischen Laufbahn  bestimmt,  bezieht  Veit  W.  1506  die  Uni- 
versität Paris,  wo  er  Mag.  wird  nnd  die  französische  Sprache 
erlernt.  Dann  studiert  er  seit  1514  in  Wittenberg  Jura,  wird 
Luthers  Schüler ,  Spalatins  vertrauter  Freund  und  durch  dessen 
Vermittelung  Erzieher  des  natürlichen  Sohnes  Friedrichs  des 
Weisen.  1519  läfst  er  sich  zum  Priester  weihen  und  erhält  ein 
Altenburger  Kanonikat.  Er  ist  Zeuge  der  Leipziger  Disputation, 
begleitet  den  Kurfürsten  zur  Kaiserwahl  nach  Frankfurt,  zur 
Krönung  Karls  V.  und  zum  Wormser  Reichstag.  Dann  lebt  er 
am  Hofe  als  Hofmeister  Johann  Friedrichs  und  des  Herzogs 
Franz  von  Lüneburg  und  versieht  zugleich  die  Dienste  eines  Se- 
kretärs und  Bibliothekars.  Kurfürst  Johann  Friedrich  machto 
seinen  Lehrer  zum  Rat  nnd  Vicekanzler  in  Torgau;  er  starb  aber 
schon  1534.  Von  Interesse  ist  auch  der  Katalog  der  Bücher 
in  französischer  Sprache,  die  sich  in  der  kurfürstlichen  Bibliothek 
(nach  einem  Verzeichnis  von  c  1547)  befanden  (p.  XXXVIII  ff.). 
Von  Warbecks  Schreiben  an  Herzog  Johann,  22.  Okt.  1520 
(=  Tentzel,  Hist.  Bericht  I  454,  Walch  XV  1875)  giebt  Bolte 
S.  XXV  ff.  einen  korrekteren  Abdruck.  Der  Brief  zeigt  bekannt- 
lich, wie  sehr  Friedrichs  des  Weisen  Interesse  für  Luther  zu- 
nächst dem  Professor  und  der  durch  ihn  zur  Blüte  gebrachten 
Universität  galt.  G.  Kawerau. 

50.  F.  W.  E.  Roth,  Johannes  vom  Wege  (Johannes  a 
via)  ein  Kontrovertist  des  16  Jahrhunderts.  Eine  bio-biblio- 
graphische  Studie.  Hist.  Jahrb.  der  Görresgesellschaft,  16.  Band, 
1895,  S.  598  ff. 

*  51.  Als  eine  der  erfreulichsten  Erscheinungen  auf  dem 
Gebiet  der  reformationsgeschichtlichen  Litteratnr  mufs  R.  Stähelins 
Zwinglibiographie  (Rud.  Stähelin,  Huldrei ch  Zwingli,  sein 
Leben  und  Wirken  nach  den  Quellen  dargestellt.  Basel  1895. 
1.  Halbband.  256  S.  Mk.  4.80),  von  der  bis  jetzt  wenigstens 
der  erste  Halbband,  der  den  Leser  bis  zum  Jahre  1523  führt, 
vorliegt.  Wer  Stähelins  frühere  Zwinglistudien ,  seine  Skizze  in 
den  Schriften  des  Vereins  für  Reformationsgeschichte  und  seinen 
Artikel  Zwingli  in  der  protest.  Realencyklopädie ,  sowie  seine 
rahige,  besonnene  Art,  das  feinsinnige  Urteil  und  die  allen  äufseren 
Prunk  ablehnende,  einfache  Darstellungsweise  kannte,  niufste  sich 


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318 


NACHRICHTEN 


Treffliches  tod  seiner  Arbeit  versprechen  nnd  wird  daran  seine 
Freude  haben.  Obwohl  der  Verfasser  fast  nnr  mit  schon  gedruck- 
tem Material  arbeitet,  so  bietet  doch  namentlich  auch  in  chrono- 
logischer Beziehung  schon  das  vorliegende  Stück  vieles  Neue,  sind 
doch  die  Arbeiten  Stricklers,  Eglis  etc.,  aufser  zu  anderem  Zwecke 
bei  A.  Baur,  noch  kaum  irgendwo  in  größerem  Rahmen  verwertet 
worden,  und  jedenfalls  darf  man  schon  nach  diesem  Teile  1,  in 
dem,  um  wenigstens  auf  eine  Einzelheit  hinzuweisen,  z.  B.  der 
oft  überschätzte  Einflufs  des  Wittenbach  auf  sein  richtiges  Mafs 
zurückgeführt  wird  (und  vielleicht  dürfte  derselbe  noch  geringer 
sein,  als  es  den  rückblickenden  Leo  Judft  und  Oswald  Myconius 
erscheinen  mochte),  mit  voller  Zuversicht  sagen,  dafs  wir  jetzt 
endlich  eine  wirklich  wissenschaftliche  und  doch  dabei  auch 
grösseren  Kreisen  zugängliche  Biographie  Zwingiis  erhalten  haben. 
Möchte  sie  zum  Anlafs  werden,  endlich  auch  an  eine  kritische 
Ausgabe  seiner  Werke  oder  wenigstens  seiner  Briefe  zu  gehen. 


1)  Inzwischen  ist  auch  der  zweite  Halbband,  bis  zum  Jahre  1525, 
dem  Kampf  mit  den  Schwärmern  reichend  erschienen. 

Th.  Kolde. 


Druck  ton  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Gotha. 


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Inhalt. 


8«iU 

l  ntersuchunseii  und  Essays: 

1.  Seeck,  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Kicitnischen 
Konzils   1 

2.  Priesack,  Zur  Sachsenhäuser  Appellation  Ludwigs  des 
Bayern  72 

8.  Schröder,  Die  Tanzer  von  Kölbigk  94 

4.  Brieger,  Kritische  Erörterungen  zur  neueu  Luther-Aus- 
gabe II  (zweite  Abteil.).  III  IÄ 

Analekten : 

1.  Fritzaclte,  Über  Bachiarius  und  Peregrinus  .  .  .  .  311 
'2.  Stchaß,  Regula  coeuobialis  S.  Columbaui  abbatis    .    .  L'lfi 

3.  TttcJmckert ,  Die  angeblich  Aillische  Schrift  „Dctermi- 
natio  pro  quictatione  conscicutiae  sim])liciuinu  —  ein 
Werk  Gersous  881 

4.  Boasert,  Sangerhausen  in  dem  Brief  Luthers  vom  19.  No- 
vember 1521    245 

5.  Meyer,  Wiedertäufer  in  Schwaben  248 

<>.  Kolde,  1* bereinen  römischen  Reunions  versuch  vom  Jahre 

1531    268 

Nachrichten : 

1.  Haupt,  Inquisition,  Aberglauben,  Ketzer  und  Sekten 

des  Mittelalters  (einschlieltilich  Wiedertäufer^  II.    .    .  :.'7<» 

2.  Kaiserau,  Kolde  u.  a.,  Rclorm:itionsgesi'hieht  liehen  .  288 


r 


Auagegeben  den  15.  Oktober  1896. 


ZEITSCHRIFT 

KIRCHENGESCHICHTE. 

IIBRAU80KGKUKN  VON 

D.  THEODOR  BRIEGER, 

OMIKNTU  rRcFKHSOR  DER  K  IRCIlKN'lEMrillCHTR  AH  DIA  I  Sivui-Il  u  I.KirZIO, 

UND 

i      Lic.  BERNHARD  BESS, 

zur  zerr  nOLPRARBcireii  an  heb  kql.  l'mt£rsitätsbimliotukk  zu  uöttinokk. 


XVII.  Band,  3.  Heft. 


GOTHA. 

FRIEDRICH  ANDREAS  PERTHES. 
1896. 


\ 


Die  Hefte  der  „Zeitschrift  für  Kirchengeachiohte"  erscheinen 


au  Beginn  eines  jeden  Quartals. 


Mitteilung  der  Redaktion. 

Die  geehrten  Herren  Mitarbeiter  werden  gebeten,  hinfort  in 
der  Regel  ihre  Manuskripte  an  den  zweiten  Redakteur  au  senden. 

Auch  sei  darauf  hingewiesen,  daft  mit  dem  Wegfall  der  Nach- 
richten vom  nächsten  Jahnrang  ab  ein  bedeutend  schnellerer  Ab- 
druck der  eingesandten  Beiträge  erfolgen  wird. 

Die  Nachrichten  werden  durch  eine  Bibliographie  ersetzt 
werden. 


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Untersuchungen 
zur  Geschichte  des  Nicänischen  Konzils. 

Von 

OttO  Seeck  in  Greifswald. 


lO  \ 

Uber  den  ersten  Ausbruch  des  arianischen  Streites  be- 
sitzen wir  vier  Berichte,  die  alle  voneinander  unabhängig 
sind.  Philostorgius  (I,  4)  erzählt,  nach  Arius,  der  an  der 
Spitze  der  alexandrinischen  Presbyter  stand,  habe  ein  ge- 
wisser Alexander  mit  dem  Spitznamen  Baukalis  die  zweite 
Stelle  eingenommen.  Der  sei  bemüht  gewesen,  seinen 
Vormami  herauszubeifsen ,  und  habe  deshalb  den  gleich- 
namigen Bischof  zu  der  Verkündigung  des  Homousion  an- 
gestiftet. Diese  Nachricht  findet  darin  ihre  Bestätigung,  dafs 
in  den  Unterschriften  des  Kundschreibens,  das  uns  S.  15 
schon  beschäftigt  hat,  thatsächlich  ein  Presbyter  Alexander 
an  zweiter  Stelle  erscheint  Vor  ihm  steht  nur  Kolluthos, 
der  zu  der  Zeit,  wo  der  Streit  begann,  wie  wir  sogleich 
sehen  werden,  noch  Schismatiker  war;  er  wird  sich  später 
dem  Bischof  unterworfen  haben  und  dann  in  den  leeren 
Platz  des  Arius  eingetreten  sein.  Ob  der  arianische  Kirchen- 
bistoriker  die  Motive  des  Presbyters  Alexander  böswillig 
verfälscht  hat  oder  nicht,  können  wir  nicht  beurteilen ;  darin 
wird  er  jedenfalls  recht  haben,  dafs  dieser  schon  kraft  seiner 


1)  S.  oben  S.  1. 

ZeiUchr.  f.  K.-G.  XVII.  3.  21 


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320 


SKEC  K, 


hervorragenden  Stellung  im  Priesterkollegium  bei  der  Ent- 
scheidung der  dogmatischen  Frage  durch  den  Bischof  dessen 
einflufsreichster  Berater  war. 

Der  Bericht  des  Philostorgius  läfst  sich  mit  den  drei 
übrigen  sehr  gut  vereinigen,  diese  selbst  aber  stehen  in  unlös- 
barem Widerspruch.    Eusebius  geht  zwar  in  seiner  eigenen 
Erzählung  über  die  Ursachen  des  Streites  schweigend  hinweg ; 
aber  in  einem  angeblichen  Briefe  Konstantins  (II,  69,  l)  läfst 
er  den  Kaiser  sagen,  der  alexandrinische  Bischof  habe  seine 
Presbyter  über  eine  dunkle  Stelle  der  Schrift  um  ihre  Mei- 
nung gefragt  und  die  Antwort  des  Arius  habe  den  Zwist 
entfacht.   Hier  ist  Alexander  der  Vorwitzige,  der  ganz  über- 
flüssigerweise die  verfängliche  Frage  stellt;  Arius  gehorcht 
nur  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  dem  Befehle  seines 
Bischofs.    Sokrates  (I,  5)  dagegen  erzählt,  Alexander  habe 
in  Gegenwart  seiner  Presbyter  über  die  heilige  Dreieinigkeit 
gepredigt,  Arius  aber  habe  aus  Streitsucht  sich  gegen  die 
Ansichten,  die  der  Bischof  aussprach,  aufgelehnt  und  ihnen 
seine  Ketzerei  entgegengestellt    Nach  Sozomenus  (I,  15) 
endlich  gaben  vielmehr  die  Predigten  des  Arius  den  ersten 
Anstofs.    Zwar  habe  Alexander  die  häretischen  Lehren,  die 
in  ihnen  zum  Ausdruck  kamen,  anfangs  gar  nicht  beachtet; 
doch  als  andere  ihn  selber  deshalb  angegriffen  hätten,  sei  er 
zum  Einschreiten  gezwungen  gewesen.    Er  habe  daher  die 
streitenden  Parteien  vor  sein  Schiedsgericht  geladen  und 
unter  Assistenz   seines  Klerus   das  Religionsgespräch  mit 
höchster  Unparteilichkeit  geleitet    Zeitweilig  habe  er  selbst 
den  Gründen  des  Arius  seine  Zustimmung  ausgesprochen, 
ihm  aber  doch  zuletzt  Unrecht  gegeben  und  den  Presbyter 
zum  Widerruf  aufgefordert.    Erst  die  Weigerung  desselben 
habe  den  Bischof  zu  seiner  späteren  energischen  Parteinahme 
getrieben. 

Von  diesen  drei  Versionen  kann  nur  eine  wahr  sein; 
irgendeine  Art  der  Ausgleichung  dulden  sie  nicht.  Trotz- 
dem fehlt  es  keiner  von  ihnen  an  Anhaltspunkten  in  der 
sicheren  Überlieferung.  Was  zunächst  die  erste  betrifft,  so 
ist  es  ganz  richtig,  dafs  die  Spekulationen  des  Arius  von 
der  Auslegung  einer  bestimmten  Schriftstelle  ausgegangen 


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DAS  NICÄNISCIIE  KONZIL. 


321 


sind ;  es  war  das  Spr.  Sal.  8,  22  l.  Aber  dies  gewährt  dem 
Eusebius  keine  Bestätigung.  Denn  bei  einem  Zeitgenossen, 
der  so  lebhaft  an  der  ganzen  Bewegung  beteiligt  war,  ist 
es  selbstverständlich,  dafs  er  jene  Thatsache  kannte,  und 
aus  ihr  kann  alles  Übrige  herausgesponnen  sein.  Sokrates 
stimmt  mit  folgender  Stelle  aus  dem  Briefe  des  Arius  an 
Eusebius  von  Nikomedia 8  ziemlich  genau  überein :  nawa 
xaXttiv  yuvel  sar#'  jj/utöv  ö  i7tfoxo7Zogy  Cuate  xat  estdißfat 
i)näg  «t  t?jQ  rtöletog  ihg  dv&Qibnovg  d&iovg,  tzceidt)  ov  ov/.i- 
(fiovotfuev  afaCi  b\fiooi(jt  liyovxi :  „  du  ö  &eög ,  du  6  vtög. 
äfta  /zarfQ,  apa  vi6g  sc.  %.  L".  Aber  es  ist  sehr  wahrschein- 
lich, dafs  Sokrates  diese  Urkunde  benutzt  hat,  und  seine 
Erzählung  enthält  nicht  mehr,  als  was  er  aus  den  fünf 
Worten  ov  ovfiipwvoCftep  avrQ  diyuooiy  Xiyovti  herauslesen 
konnte.  Diese  aber  lassen  auch  eine  Auslegung  im  Sinne 
des  Sozomenus  zu.  Denn  mit  jener  öffentlichen  Erklärung 
Alexanders  braucht  keine  Predigt  gemeint  zu  sein,  die  den 
Anlafs  zu  dem  ganzen  Streite  gab;  man  kann  darin  auch  das 
Schlufsergebnis  des  Religionsgespräches  sehen,  das  Arius  sich 
anzunehmen  weigerte.  Mithin  kann  dasjenige,  was  Eusebius 
und  Sokrates  bieten,  auf  Schlufsfolgerungen  beruhen,  die 
möglicherweise  falsch  sind;  die  Erzählung  des  Sozomenus 
dagegen  ist  so  reich  an  klaren  und  bestimmten  Einzelheiten, 
dafs  jene  Annahme  ausgeschlossen  erscheint.    Zudem  erhält 

1)  Epiph.  haer.  69,  12:  "Aqtwg  —  InijQtv  airroö  xifv  yX&rtav  xarä 
10C  ld(ov  dtanorov,  /£  «(yfflff  <T^<»>  tijv  naqa  x#  ZoXopGivi  iv  ratg 
avroO  nuQOifitaig  X&iv  iQfAijviCoai  ßovXöfitvog,  rö:  „<5  xÖQiog  Ixuot  fit 
ÜQXhy  MQv  ainoO,  7iQÖ  tov  atQvog  itefieXiotoi  pe.  (v  &qx§  71  Qo  roü 
itp  yijv  norfoai  xal  nQÖ  ioO  rag  äßvaaovg  noiijoat,  jtqö  toO  nootX&eiv 
rag  nqyäg  tOv  vdärutv,  ngd  toö  öorj  i&Qao&rjvat ,  npö  ök  ndvrutv  ßov- 
vGv  ytrvif  fit.1'  fv&tv  ain^  ij  tloaytoyi)  rijg  nXävi\g  yty€vi)tai.  14:  & 
TttvTt)s  ovv  rffc  X^ftag  rijg  tv  naQotfuaat^  ycyQafAft&njg,  8ti  „xvQiog 
fXTiot  fic  «ejf^v  ö^Ov  ainoO  elg  Zoya  avroD"  Xotnbv  rä  navra  avxotg 
tmvotiiat,  6aa  re  dvvaiai  avfjafiwa  r<p  Xöytp  (7vtu  xal  lao($onti  xal 
Svvaiai  awtjtdtiv.  Auch  Eustathius  von  Antiochia  schrieb  über  dieses 
Bibel  wort,  offenbar  um  durch  seine  Auslegung  den  Arius  zu  widerlegen 
(Theodor.  H.  e.  1 ,  7,  18),  und  die  zweite  Rede  des  Athanasius  gegen 
die  Arianer  beschäftigt  sich  fast  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  mit  diesem 
Spruche.   Harnack  II3,  S.  216. 

2)  Theodor.  H.  e.  I,  5,  1.   Epiph.  haer.  69,  6. 

21* 


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322 


SEECK, 


sie  durch  das  erste  Rundschreiben  Alexanders  Bestätigungen, 
die  alle  weiteren  Zweifel  an  ihrer  Richtigkeit  ausschliefsen. 

Gleich  im  Anfange  desselben  findet  sich  die  folgende 
Stelle:  ^Quog  yoty  xeri  ^AyiÜMg  owufAoaiav  Ivayxog  noirr 
od^ievoi,  ir)v  Ko)lovl>ov  (pihxqziav  nolv  x&QOv  fj  ixelvog 
iLtpAooav.  6  uiv  yaq  avzöig  zovtoig  ty/alGnt,  %ftg  eavzoC 
/.iOx^Qäg  nqoaiqiamg  e£(>e  7CQ6(paaiv  ot  6i  t^v  ineivov 
XQiOTiLt7ioqiav  &ecoQOÜvz:ßgy  ova  I'ti  jijg  tKxXrjpiag  VTtoyetQioi 
fitvuv  t/AXQTtqrfpav.  Doch  diese  dunklen  Anspielungen  wer- 
den wir  erst  verstehen  können,  nachdem  wir  untersucht 
haben,  wer  Kolluthos  war. 

Aus  den  Unterschriften  des  zweiten  Rundschreibens  haben 
wir  bereits  ersehen,  dafs  er  um  das  Jahr  320  die  erste  Stelle 
unter  den  Presbytern  Alexanders  einnahm  (S.  319).  Nach 
Epiphanius  predigte  er,  wie  dies  allen  alexandrinischen  Pres- 
bytern zukam,  in  einer  der  städtischen  Kirchen  und  bildete 
sich  hier  eine  schismatische  Partei,  die  sich  nach  seinem 
Namen  Kolluthianer  nannte  Anlafs  und  Zweck  der  Spal- 
tung ist  dem  Berichterstatter  offenbar  unbekannt,  doch  bietet 
uns  darüber  Athanasius  (Apol.  c.  Ar.  12.  75)  den  nötigen 
Aufschlufs.  Wie  er  angiebt,  mafste  sich  Kolluthos  den  Epi- 
skopat an  und  zwar  denjenigen  von  Alexandria;  denn  er 
nahm  im  mareotischen  Gau,  der  zum  alexandrinischen  Sprengel 
gehörte,  Priesterweihen  vor.  Jetzt  verstehen  wir,  warum 
Alexander  ihn  in  der  oben  wiedergegebenen  Stelle  der  (pil- 
ctQyJa  bezichtigt  * :  es  ist  eben  sein  eigener  Gegenbischof, 
von  dem  er  spricht. 

Vor  dem  Jahre  320  hatte  sich  Kolluthos  unterworfen, 

1)  69,  2:  «f  ow  IZqyttTO  txaaxoi  Iv  rrj  iä(a  txxXrjotcc,  äXXoe  älXo 
rt  xai  äXXoq  äXXo,  ix  rfjg  JiQooxXqattoe  xai  inafvou  <f£  roö  naQ*  ainG>\> 
ol  fiiv  KoXXovSiavovs  invrovs  utv6fiaaav,  äXXot  dl  'jiQfiavovs.  xai  yaQ 
6  KöXXov&ös  t*v«  nttQaitTQttfifxtva  tdiöa$tv  aXX'  ovx  tvtfiuvtv  i)  tov- 
rov  aiqtois,  aXX'  iv&vs  &ttoxoQn(ad-t}. 

2)  Auch  der  erste  Satz  des  Briefes:  ij  <fJXuQxos  röv  fio/^t\QSii- 
&v&Qta7i(ov  xai  (filitQyvQos  7tQ6&(ais  rats  doxovoats  üei  (xi(£oat  ntti>oi- 
xiat$  nitfvxtv  Int-ßovXtvtiv,  dut  noutiXtav  7iQO<fdoean>  röv  xoiomtav  int- 
n&tfj,{vtov  ry  IxxXrjoiaoxixrj  tvotßeftf  ist  wohl  auf  Kolluthos  zu  beziehen; 
denn  Arius  hatte  sich  in  keiner  Weise  der  (f*XaQx(a  oder  (fiia^yv^a 
schuldig  gemacht. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


323 


wie  jene  Unterschrift  beweist  Doch  mufs  er  später  seine 
Ansprüche  erneuert  haben;  denn  nach  Athanasius  wurde  er 
erst  auf  einer  Synode,  der  Hosius  von  Corduba  präsidierte, 
endgültig  abgesetzt.  Wahrscheinlich  geschah  dies  während 
der  Reise,  die  dieser  unmittelbar  vor  dem  Konzil  von  Nicäa 
nach  Ägypten  unternahm  (Winter  324/25). 

Athanasius  (Ap.  c.  Ar.  71)  legt  die  Liste  vor,  die  Me- 
letius  von  den  ihm  folgenden  Klerikern  dem  Alexander  ein- 
gereicht hatte,  um  damit  zu  beweisen,  dafs  ein  gewisser 
Ischyras,  der  durch  Kolluthos  zum  Priester  geweiht  war, 
nicht  zu  den  Meletianern  gehöre.  Wenn  eine  solche  Wider- 
legung erforderlich  war,  so  ergiebt  sich  daraus,  dafs  Ischyras 
selber  behauptete,  ein  Meletianer  zu  sein,  und  folglich  auch 
der  alexandrinische  Gegenbischof,  dem  er  seine  Weihen  ver- 
dankte, von  dieser  Sekte  aufgestellt  war.  Durch  seine  Unter- 
werfung war  er  freilich  aus  ihr  ausgeschieden,  und  dies  wird 
der  Grund  gewesen  sein,  warum  er  selbst  und  die  von  ihm 
bestellten  Geistlichen  in  jene  Liste  nicht  aufgenommen  waren. 

Dies  vorausgeschickt,  kehren  wir  zu  jener  Stelle  des 
Briefes  zurück,  von  der  wir  ausgegangen  sind.  Alexander 
schreibt  dort,  Kolluthos  habe  für  sein  böses  Vorhaben  einen 
Vorwand  gefunden,  indem  er  Arius  anklagte.  Sozoraenus 
berichtete,  wie  wir  uns  erinnern,  Alexander  sei  nicht  frei- 
willig gegen  Arius  eingeschritten ,  sondern  .  gezwungen  von 
andern  Leuten,  die  ihm  selbst  ein  Verbrechen  daraus  machten, 
dafs  er  die  ketzerischen  Predigten  seines  Untergebenen 
duldete  Offenbar  hängt  beides  zusammen;  Kolluthos  hat 
eben  aus  den  Irrlehren  des  Anus  für  seinen  Gegenbischof 
einen  Strick  drehen  wollen.  Als  Bestätigung  kommt  endlich 
noch  hinzu,  dafs  Epiphanius  (68,  4.  69,  3)  erzählt,  Meletius 
habe  den  Arius  auf  seiner  Häresie  ertappt  und  bei  Alexan- 
der denunziert  l.  Ob  hier  Meletius  fälschlich  an  die  Stelle 
der  Meletianer,  vertreten  durch  ihr  alexandrinisches  Haupt 

1)  Auch  Athanasius  bestätigt,  dafs  Arianer  und  Meletianer  ur- 
sprünglich im  Gegensätze  zu  einander  standen.  Epist.  ad  ep.  Aeg.  et 
Lib.  22:  dnilrt  yaQ,  wj  ru  n  qöx  (qov  pttxofi  t  v  oi  7i()6f  i  a  vt  ovg, 
vCv  o>s  '//(Kiafijff  xttl  JlAvnoi  owftfwvriaav  tt$  rrjv  xara  roO  xiQtov 
rj/ußv  'JnaoO  XQtOToü  ßXuO(fr){i(«v. 


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324 


BEECK, 


Kolluthos,  gesetzt  worden  ist,  ob  er  zu  jener  Zeit  thatsäch- 
lich  in  der  Hauptstadt  Ägyptens  war  und  die  Schritte  seines 
Anhängers  unterstützt  oder  selbst  hervorgerufen  hat,  wagen 
wir  nicht  zu  entscheiden.  Jedenfalls  stimmen  diese  drei 
Zeugnisse  so  gut  überein  und  sind  doch  voneinander  so 
unabhängig,  dafs  die  Glaubwürdigkeit  des  Sozomenus  dadurch 
über  jeden  Zweifei  erhoben  wird. 

Fragen  wir  nun,  wo  dieser  späte  Schriftsteller  so  vor- 
zügliche Nachrichten  hergenommen  hat,  so  ist  zunächst  zu 
beachten,  dafs  Sozomenus,  wenn  er  von  seinen  Vorgängern, 
Eusebius,  Rufinus  und  Sokrates,  abweicht,  sich  meist  auf 
urkundliche  Quellen  stützt.  Auch  in  diesem  Falle  kann  ihm 
nicht  die  Erzählung  irgendeines  Historikers  vorgelegen  haben ; 
denn  eine  solche  wäre  jedenfalls  bis  zu  einem  natürlichen 
Abschlufs  hingeführt  worden,  sei  es  das  Konzil  von  Nicaa, 
sei  es  der  Tod  Konstantins.  Bei  Sozomenus  dagegen  bricht 
die  gute  Überlieferung,  die  ihm  eigentümlich  ist,  kurz  vor 
der  Synode  von  Alexandria  plötzlich  ab;  von  da  an  läuft 
er  wieder  in  das  gewöhnliche  seichte  Fahrwasser  des  Eu- 
sebius und  Sokrates  ein  l.  Ferner  hätte  ein  Historiker,  wenn 
er  ein  Verzeichnis  der  arianischen  Kleriker  von  Alexandria 
geben  wollte,  entweder  diejenigen  aufgezählt,  die  im  ersten 
Anfang  des  Streites  abfielen,  oder  alle,  die  sich  während 
seiner  ganzen  Dauer  an  Arius  anschlössen.  Sozomenus  thut 
weder  eins  noch  das  andere.  Seine  Ketzerliste  ist  einerseits 
unvollständiger,  als  die  der  beiden  Rundschreiben  Alexan- 
ders, denn  Lucius  und  Gaius  fehlen  darin,  anderseits  voll- 
ständiger, denn  nur  er  bietet  den  Namen  des  Macarius 
(S.  17).  Sie  pafst  also  nur  auf  einen  ganz  bestimmten 
Zeitpunkt,  als  die  beiden  ersten  schon  verstorben  oder  in 
die  rechtgläubige  Kirche  zurückgekehrt,  der  dritte  dafür  neu 
hinzugetreten  war;  und  von  einem  solchen  zeitweiligen  Be- 
stände, der  zufällig  und  wechselnd  ist,  die  Kunde  zu  erhalten, 


1)  An  dieser  Stelle  enthält  nur  das  fünfzehnte  Kapitel  des  ersten 
Buches  neues  Material;  das  sechszehute  ist  aus  Socr.  1,  7,  1 — 8,  3 
und  mittelbar  aus  Euseb.  Vit.  Const.  II,  63 — 72  entnommen,  das  vier- 
zehnte aus  Socr.  I,  13  und  Heiligenleben  der  ganz  gewöhnlichen  Sorte. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


325 


entspricht  wohl  den  Zwecken  einer  Urkunde,  aber  nicht  den 
allgemeineren  eines  Geschichtschreibers. 

Gleichwohl  enthielt  dies  Schriftstück  einen  historischen 
Bericht,  der  mit  der  Vorgeschichte  des  Streites  schon  seit 
den  Zeiten  des  Bischofs  Petrus  begann  und  dann  die  Er- 
zählung im  Zusammenhange  weiterführte.  Es  mufs  also 
zur  Instruktion  für  irgendjemand  bestimmt  gewesen  sein,  der 
über  die  Ereignisse  nur  mangelhaft  unterrichtet  war.  Eine 
relative  Zeitbestimmung  gewährt  das  Ketzerverzeichnis  in 
seinem  Verhältnis  zu  den  beiden  andern,  wie  wir  sie  S.  16 
zusammengestellt  haben.  Wie  man  sich  leicht  überzeugen 
kann,  steht  die  Liste  des  zweiten  Rundschreibens,  das  um 
das  Jahr  320  erlassen  ist,  in  der  Mitte  zwischen  denen  des 
ersten  und  des  Sozomenus  1 ;  daraus  darf  man  schliefsen, 
dafs  sie  auch  zeitlich  in  der  Mitte  stand,  mit  andern  Worten, 
dafs  die  Urkunde,  welche  Sozomenus  benutzte,  später  war 
als  das  Jahr  320. 

Als  Konstantin  nach  Besiegung  des  Licinius  324  die 
Herrschaft  über  den  Orient  antrat,  kann  er  über  die  Händel, 
die  unterweil  in  dem  fernen  Ägypten  ausgebrochen  waren, 
nicht  sehr  viel  gewufst  haben.  Da  er  sich  jetzt  vor  die 
Aufgabe  gestellt  sah,  der  Kirche  ihren  Frieden  zurück- 
zugeben, so  mufste  er,  um  gerecht  über  die  Parteien  urteilen 
zu  können,  sich  zunächst  über  den  ganzen  Streit  von  seinen 
ersten  Anfängen  her  unterrichten.  Die  Sendung  des  Hosius 
nach  Ägypten  bezweckte  wahrscheinlich  nicht  so  sehr,  die 
Gegner  zu  versöhnen,  als  an  Ort  und  Stelle  die  nötigen  Er- 
kundigungen einzuziehn,  damit  er  nachher  dem  Kaiser  als 
unparteiischer  Berichterstatter  dienen  könne.  Ich  möchte 
daher  vermuten,  dafs  die  von  Sozomenus  benutzte  Urkunde 
der  Brief  war,  in  dem  Hosius  aus  Alexandria  dem  Konstantin 
die  Ergebnisse  seiner  Nachforschungen  mitteilte. 

Dies  mufs  natürlich  nur  Vermutung  bleiben,  doch  wür- 

1)  Der  Name  Lucius  steht  nur  in  den  beiden  Rundschreiben,  fehlt 
aber  bei  Sozomenus;  der  Name  Karpones  steht  bei  diesem  und  in  dem 
zweiten  Rundschreiben,  fehlt  aber  in  dem  ersten.  Aufserdem  stimmen 
Sozomenus  und  das  zweite  Schreiben  in  der  Reihenfolge  der  Namen 
gegen  das  erste  Oberein. 


326 


SEECK, 


den  sich  aus  ihr  alle  die  Eigentümlichkeiten  erklären,  die 
dieser  höchst  merkwürdige  Bericht  dem  Auge  des  sorgsamen 
Forsebers  darbietet.  Wie  Hosius  später  in  den  Sitzungen 
des  Konzils,  so  steht  auch  hier  der  Erzähler  aufseiten  Ale- 
xanders; doch  trägt  er  äufserlich  eine  so  kühle  Ruhe  und 
Unparteilichkeit  zur  Schau,  wie  sie  in  den  ecclesiastischen 
Schriften  jener  Zeit  sonst  ganz  unerhört  ist.  Auch  beschäf- 
tigt er  sich  ganz  im  Sinne  seines  Auftraggebers  nicht  mit 
der  dogmatischen  Frage  —  diese  sollte  erst  das  Konzil  ent- 
scheiden — ,  sondern  er  sucht  einfach  festzustellen,  wer  als 
der  eigentliche  Anstifter  des  ganzen  Lärmes  zu  betrachten 
sei.  Er  rühmt  daher  dem  Alexander  keineswegs  eine  un- 
erschütterliche Festigkeit  des  Glaubens  nach;  vielmehr  hebt 
er  ausdrücklich  hervor,  dafs  der  Bischof  anfangs  zweifelhaft 
gewesen  sei,  ob  er  nicht  dem  Arius  recht  geben  müsse. 
Dieser  habe  sich  dagegen  schon  unter  Petrus  als  unruhiger 
Kopf  von  sehr  mangelhafter  Disziplin  erwiesen ;  trotzdem  sei 
Alexander  ihm  freundlich  gesinnt  gewesen  und  habe  den 
Streit  durchaus  nicht  vom  Zaune  gebrochen,  sondern  sei 
erst  durch  die  Tadelreden  anderer  zum  Einschreiten  ge- 
zwungen worden.  Wenn  diese  anderen  nicht  genannt  wer- 
den, so  hat  dies  seinen  Grund  wahrscheinlich  darin,  dafs 
Kolluthos  sich  dem  Urteilsspruche  des  Hosius  willig  gefügt 
hatte  und  wieder  in  die  Reihen  der  alexandrinischen  Pres- 
byter zurückgetreten  war  *.  Für  diesen  Gehorsam,  der  ihm 
gewifs  nicht  leicht  wurde,  erhielt  er  die  Belohnung,  dafs  er 
nicht  dem  Kaiser  gegenüber  als  böswilliger  Urheber  der 
Zwistigkeit  blofsgestellt  wurde.  Diese  schonende  Verschwiegen- 
heit über  den  wirklichen  Unruhstifter  erscheint  mir  in  dem 
Berichte  des  Sozomenus  ganz  besonders  charakteristisch; 
denn  ich  kann  mir  kaum  vorstellen,  dafs  irgendeiner  aufser 
Hosius  dazu  Ursache  haben  konnte.  Auch  dafs  der  Name 
des  Licinius  gar  nicht  erwähnt  wird,  halte  ich  für  sehr  be- 
achtenswert; nur  ganz  diskret  wird  auf  ihn  hingedeutet,  in- 
dem der  Bericht  die  Hofgunst,  deren  Eusebius  von  Niko- 
media  genofs,  als  wesentlichen  Faktor  der  Bewegung  her- 


1)  Äthan,  apol.  c.  Ar.  12:  K6Uov&oi  iiQiaßvitQos  &v  hrtfvrrjoty. 


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DAS  NICÄNISCIIE  KONZIL. 


JW7 


vorhebt.  Man  mufs  sich  eben  erinnern,  dafs  Konstantin  mit 
dem  besiegten  Gegner  damals  seinen  Frieden  gemacht,  ja  ihn 
sogar  an  seine  Tafel  gezogen  hatte  und  ihm  alle  Ehren  des 
kaiserlichen  Schwagers  gewahrt  wissen  wollte  l.  Man  durfte 
daher  in  einem  amtlichen  Schriftstück  weder  gar  zu  schlecht 
von  ihm  reden,  noch  auch  sein  Verhalten  loben  —  denn 
der  gestürzte  Tyrann  blieb  er  doch  immer  — ;  man  schwieg 
also  am  liebsten  ganz  von  ihm,  wie  man  es  ein  Jahr  später 
nach  seiner  Hinrichtung  wohl  nicht  mehr  gethan  hätte. 

Dafs  Hosius  aus  Alexandria  Berichte  an  den  Kaiser 
schickte,  ist  wohl  nicht  zu  bezweifeln;  dafs  man  sie  später 
im  Archiv  aulbewahrte,  ebenso  wenig.  Sie  konnten  also 
jedenfalls  von  späteren  Schriftstellern  benutzt  werden,  und 
da  hier  alles  so  vorzüglich  für  die  Zeit  und  die  Person  des 
Bischofs  pafst,  halte  ich  es  ftir  sehr  wahrscheinlich,  dafs  uns 
Sozomenus  den  Auszug  aus  einem  seiner  Briefe  erhalten  hat 

Allerdings  sollte  man  in  diesem  Fall  erwarten,  dafs  die 
Erzählung  bis  auf  die  ägyptische  Reise  des  Hosius  herab- 
reichen müsse;  aber  man  beachte  wohl,  an  welchem  Punkte 
sie  abreifst  Was  unmittelbar  hinter  den  erhaltenen 
Teilen  kommen  mufste,  ist  der  Bericht,  wie  Alexander  die 
arianischen  Kleriker  wieder  in  ihre  Stellen  einsetzte  und 
einige  davon  zu  Presbytern  ernannte,  also  gerade  dasjenige 
in  der  Vorgeschichte  des  Konzils,  was  die  Rechtgläubigen 
später  am  sorgfältigsten  zu  verschleiern  strebten  (S.  13). 
Hat  also  Sozomenus  die  Urkunde  nicht  im  Original  gelesen, 
sondern  nur  aus  einer  jetzt  verlorenen  Schrift  des  Athanasius 
oder  irgendeines  andern  orthodoxen  Heifssporns  gekannt, 
wie  dies  keineswegs  unwahrscheinlich  ist,  so  begreift  man 
leicht,  dafs  und  warum  sie  am  Ende  verstümmelt  war. 

Damit  man  dies  nicht  tür  eine  unbegründete  Hypothese 
halte,  sei  gleich  auf  ein  genau  entsprechendes  Beispiel  hin- 
gewiesen. In  der  Apologia  contra  Arianos  bringt  Athanasius 
die  Urkunden  fast  alle  in  ihrem  vollen  Umfange,  ja  et  setzt 
sogar  Dubletten  desselben  Schriftstücks,  die  sich  nur  durch 
die  Adresse  und  einige  unbedeutende  Forraalien  unterscheiden, 

1)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  171. 


328 


SEECK, 


unverkürzt  nebeneinander  (77.  78).  Im  Gegensatze  zu  dieser 
regelmäfsigen  Praxis  steht  das  Schreiben  Konstantins,  durch 
welches  er  dem  Athanasius  die  Kommunion  mit  Arius  und 
seinen  Genossen  anbefiehlt  Hiervon  ist  nur  der  Schlufs 
mitgeteilt  und  durch  die  Ueberschrift  ausdrücklich  als  Bruch- 
stück gekennzeichnet,  so  dafs  nicht  etwa  an  eine  zufallige 
Lücke  gedacht  werden  kann  (59): 

MIqos  imoTolr(g  rot  ßaoiUiog  KuivoTavxlvov. 

"Exwv  xoiwv  xfjg  ififjg  ßovXfoeiog  tb  yvtjQio^a  ftnaai  roig 
ßovXo^tvoig  etg  t/}>'  l/.yJkr^aiav  eloelxteiv  äyutßXvvov  rtaQaaxov 
ttjv  uaodov  iav  yctQ  yvd^  iog  /.eMükv/Ag  xivag  axtGiY  tffi 
i'A7L?^afag  ^tiarcoLOVfilvovg  3J  ärttiQ^ag  tfjg  eioddov,  dnooTeXß 
naQctvxUa  röv  v.ai  Y.a&aiQr}ooird  ae  i$  t^f^g  /.O^votiog  v.ai 

Es  läfst  sich  fast  mit  Sicherheit  annehmen,  dafs  Kon- 
stantin in  den  vorhergehenden  Teilen  des  Briefes  die  An- 
sicht begründet  hatte,  dafs  sein  Befehl  den  Geboten  der 
Kirche  nicht  zuwiderlaufe,  und  in  diesem  Zusammenhange 
war  es  so  gut  wie  unvermeidlich,  auf  den  Präzedenzfall 
unter  Alexander  hinzuweisen.  Was  in  dieser  Urkunde  weg- 
gelassen ist,  enthielt  also  genau  dasselbe,  was  auch  an  dem 
Berichte  des  Hosius  fehlte,  als  Sozomenus  ihn  auszog.  Wer 
die  Mache  des  Athanasius  kennt,  wird  dies  Zusammentreffen 
gewifs  nicht  für  zufallig  halten. 

Soweit  uns  dies  möglich  war,  sind  hiermit  die  notwendig- 
sten Voruntersuchungen  abgeschlossen,  obgleich  im  Einzelnen 
noch  genug  zu  thun  übrigbleibt.  Auf  Grund  des  Ge- 
fundenen sei  es  uns  jetzt  gestattet,  die  Vorgeschichte  des 
Konzils  und  dieses  selbst  in  möglichster  Kürze  darzustellen. 

11. 

Als  303  die  Religionsedikte  Diocletians  ergingen,  wird 
der  Bischof  von  Alexandria  als  Vorsteher  einer  der  zahl- 
reichsten und  vornehmsten  Gemeinden  der  Christenheit  ge- 
wifs in  erster  Linie  die  Augen  der  Verfolger  auf  sich  ge- 
zogen haben.  Petrus  wurde  eingekerkert,  und  es  entbrannte 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


jener  Streit  mit  Meletius,  der  den  Sektengeist  der  Christen 
sogar  in  die  Gefängnismauern  hineintrug.  Mit  der  Ab- 
dankung der  alten  Kaiser  (1.  März  305)  trat,  wie  überall, 
so  auch  im  Orient  ein  zeitweiliges  Nachlassen  der  Verfolgung 
ein.  Die  entzweiten  Bischöfe  wurden  wieder  in  Freiheit  ge- 
setzt, und  schon  in  der  Osterzeit  306  fand  Petrus  den  Mut, 
eine  Synode  zu  versammeln  und  seinen  Gegner  exkommuni- 
zieren zu  lassen  (S.  62).  Der  Presbyter  1  Arius  hatte  sich 
anfangs  der  strengeren  Richtung,  wie  sie  in  der  „Kirche 
der  Märtyrer"  vertreten  war,  angeschlossen;  doch  unterwarf 
er  sich  wieder  dem  Petrus,  wahrscheinlich  durch  den  Spruch 
der  Synode  bestimmt,  und  liefs  es  sich  sogar  gefallen,  dafs 
er  nur  mit  der  geringeren  Würde  eines  Diakonen  in  die 
alexandrinische  Kirche  wiederaufgenommen  wurde.  Als 
aber  der  Bischof  in  seiner  Erbitterung  gegen  die  Meletianer 
so  weit  ging,  nicht  einmal  ihre  Taufhandlungen  als  gültig 
anzuerkennen,  sagte  sich  Arius  zum  zweitenmale  von  ihm 
los  und  schlofs  sich  der  bedrückten  Partei  wieder  an.  Unter- 
dessen hatte  durch  den  Fanatismus  des  Maximinus  Daja  die 
Verfolgung  neue  Kraft  gewonnen,  und  das  Toleranzedikt  des 
Galerius  schuf  nur  eine  kurze  Pause.  Am  25.  November 
311  erwarb  sich  auch  Petrus  den  Ruhm  des  Martyriums, 
und  Achillas  trat  an  seine  Stelle  (S.  66).  Der  Glanz  der 
Heiligkeit,  der  jetzt  die  Person  des  hingerichteten  Bischofs 
umgab,  scheint  auch  auf  das  Gemüt  des  Arius  seine  Wirkung 
ausgeübt  zu  haben.  Er  bekannte  seine  Reue,  wurde  von 
Achillas  wieder  unter  die  Diakonen  der  katholischen  Kirche 
zugelassen  und  gleich  darauf  zu  seiner  früheren  Stellung 
als  Presbyter  befördert,  offenbar  ein  Zeichen,  dafs  der  neue 
Bischof  das  bisherige  Verhalten  des  Arius,  wenn  nicht  bil- 
ligte, so  doch  sehr  entschuldbar  fand  8. 

Auch  die  Gemeinde  teilte  diese  Ansicht.  Als  im  Früh- 
ling 312  Achillas  starb,  stand  Arius  unter  den  Kandidaten 

1)  Da  er  um  das  Jahr  312  der  Älteste  im  Kollegium  der  Presbyter 
war  (S.  319),  wird  man  seine  Aufnahme  in  dasselbe  wohl  schon  der 
Zeit  vor  dem  Meletianischen  Streite  zuschreiben  müssen. 

2)  Sozom.  I,  15.  Diesem  ist  auch  die  Fortsetzung  zum  gröfsten 
Teil  entnommen. 


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330 


SEECK, 


für  den  erledigten  Stuhl  in  erster  Linie,  trat  aber  zugunsten 
Alexanders  zurück  und  erwarb  sich  so  dessen  Dankbarkeit  K 
Wenn  aber  der  zweimal  Abgefallene  schon  vorher  den  Me- 
letianern  verhafst  gewesen  war,  so  mufste  es  ihren  Zorn 
aufs  äufserste  steigern,  dafs  jetzt  seine  einflufsreiche  Stimmer 
auf  die  sie  wahrscheinlich  gehofft  hatten,  gegen  ihren  Kan- 
didaten Kolluthos  in  die  Wagschale  fiel.  Freilich  liefs  dieser 
sich  nicht  abschrecken,  sondern  behauptete  sich  als  schisma- 
tischer  Gegenbischof  (S.  322).  Gleich  der  donatistiscben 
Spaltung  ist  auch  die  so  viel  folgenreichere  arianische  aus 
einer  streitigen  Bischofswahl,  d.  h.  aus  einem  Kampfe  des 
Ehrgeizes,  hervorgegangen. 

Bald  fanden  die  Meletianer  Gelegenheit,  ihr  Mütchen  zu 
kühlen.  In  der  Kirche  Baukalis,  in  der  ihm  das  Pfarramt 
übertragen  war2,  predigte  Arius  einmal  über  einen  Text 
aus  den  Sprüchen  Salomonis  (8,  22)  und  entwickelte  dabei 
seine  Lehre,  dafs  Gott  seinen  Sohn  aus  dem  Nichts  erschaffen 
habe,  dafs  es  eine  Zeit  gab,  in  der  dieser  nicht  vorhanden 
war,  dafs  seine  Natur  auch  das  Böse  in  sich  hätte  aufnehmen 
können,  er  aber  aus  freiem  Willen  das  Gute  gewählt  habe, 
endlich  dafs  er  ein  Geschöpf  Gottes  sei.  Arius  war  ein  ge- 
waltiger Redner,  dessen  Kirche  immer  von  begeisterten  Zu- 
hörern überfüllt  war.  Der  Inhalt  Reiner  Predigt  wurde  da- 
her viel  besprochen  und  kam  auch  dem  Kolluthos  zu  Ohren, 
der  sie  alsbald  im  Parteiinteresse  der  Meletianer  ausbeutete, 
öffentlich  erhob  er  Lärm  über  die  Ketzereien  des  Presbyters 
und  über  den  nachlässigen  Bischof,  der  solche  Dinge  in 
seiner  Gemeinde  dulde,  und  nach  langem  Zaudern  3  sah  sich 
Alexander  zum  Eingreifen  gezwungen.  Die  gleiche  Streit- 
frage war  schon  früher  durch  ein  Schreiben  des  Dionys  von 
Alexandria  angeregt  und  von  dem  römischen  Bischof  in 
orthodoxem  Sinne  entschieden  worden;  aber  weil  sie  damals 
zu  keiner  Spaltung  geführt  hatte,  scheint  die  Sache  in  Ver- 


1)  Philost.  I,  3. 

2)  Epiph.  haer.  68,  4;  69,  2. 

3)  Brief  Alexanders  bei  Theodor.  H.  e.  I,  4,  6:  J<«  t6  XnvSuvu» 
ßQttdtws  intarijaavres. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


331 


gessenheit  geraten  zu  sein.  Jedenfalls  hatte  sich  Alexander 
über  das  Verhältnis  von  Vater  und  Sohn  noch  keine  ent- 
schiedene Ansicht  gebildet  und  meinte  wohl  kaum,  seinem 
Freunde  zu  schaden,  wenn  er  es  zum  Gegenstande  einer 
Disputation  mache;  denn  dafs  Arius  dabei  den  Kürzeren  ziehn 
werde,  sah  er  keineswegs  voraus. 

So  fand  denn  das  Religionsgespräch  unter  Vorsitz  des 
Bischofs  und  in  Gegenwart  seiner  sämtlichen  Presbyter 
statt  und  dehnte  sich  über  zwei  Sitzungen  aus.  Auch 
Kolluthos  und  seine  Parteigenossen  scheinen  ihm  beigewohnt 
zu  haben  1 ;  denn  Alexander  wollte  jeden  Schein  der  Partei- 
lichkeit vermeiden.  Er  gab  daher  auch  in  seinen  Zwischen- 
reden bald  der  einen,  bald  der  andern  Anschauung  recht, 
und  scheint  das  Urteil  nicht  selber  gelallt,  sondern  den 
Presbytern  überlassen  zu  haben.  Nach  dem  Vorgange  ihres 
Altermannes  Alexander  Baukalis  verdammten  diese  mit  Ein- 
stimmigkeit die  Lehre  des  Arius  *,  was  um  so  auffalliger 
ist,  als  die  Mehrheit  der  Alexandrinisehen  Diakonen  sie  an- 
erkannt hatte  3.    Doch  bei  den  nächsten  Kollegen  des  An- 

1)  Epiph.  haer.  69,  3:  avyxaldtai  toCvw  to  TtQtaßiT^Qtop  6  'AH- 
£av$Qoe  xal  ällovg  rtväg  intaxonovs  nuQOvrttg^  xal  ävftttotv  rovrov 
nouttai  xal  AväxQtacv.  Von  Bischöfen,  die  der  Disputation  beigewohnt 
hatten,  sagt  Alexander  selbst  in  seinem  Rundschreiben  nichts,  obgleich 
er  es  dort  doch  kaum  unterlassen  hätte,  sich  auf  ihre  Zustimmung  zu 
berufen.  Wahrscheinlich  Bind  Kolluthos  und  wohl  auch  noch  andere 
Parteigenossen  von  ihm  gemeint.  Diese  galten  zwar  der  Melctianischcn 
Quelle,  die  Epiphanius  ausschreibt,  nicht  aber  dem  Alexander  als  wirk- 
liche Bischöfe;  daher  ist  es  erklärlich,  dafs  jener  sie  ausdrücklich  er- 
wähnt, dieser  unberücksichtigt  läfst. 

2)  Brief  Alexanders  6:  n  ap%f>i)(pti  ri}s  TtQooxwovotis  XQtoroD  rijv 
9t6Trjra  avxous  Ixxltjofas  tSrjXftoafifv.  43:  ovöl  1}  lOv  avlliuov^ydv 
ovfitftovog  7I(q\  XpiCToö  tvltißtut  tip  x«r'  auroö  d-QaovTipa  ttirrßv 
TtfiauQa>oev.    Philost  1,  4. 

S)  Während  die  Zahl  der  Presbyter  durch  die  vorhandenen  Kirchen 
bestimmt  ist  und  daher  in  beiden  Verzeichnissen  des  Alexandrinischen 
Klerus  (S.  15),  obgleich  sie  fünfzehn  Jahre  auseinanderliegen,  dieselbe, 
nämlich  17,  bleibt,  finden  sich  in  den  Unterschriften  des  zweiten  Rund- 
schreibens 13  Diakonen,  bei  Athen,  ap.  c.  Ar.  73  nur  5.  Ihre  Anzahl 
scheint  also  gewechselt  zu  haben,  doch  dürfte  sie  wohl  niemals  so  grofs 
gewesen  sein,  dafs  jene  Neun,  die  dem  Arius  beitraten,  nicht  die  Mehr- 
zahl gebildet  hätten. 


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-332 


SEECK, 


geklagten,  deren  Kirchen  lange  nicht  den  Zulauf  hatten,  wie 
die  seine,  mag  der  Brotneid  gegen  den  beliebten  Prediger 
wohl  auch  ein  Wörtchen  mitgeredet  haben.  Natürlich  konnte 
der  Bischof  nicht  umhin,  die  Entscheidung  seines  Priester- 
kollegiums zu  bestätigen. 

Wenn  er  jetzt  an  Arius  und  die  Diakonen,  welche  auf 
seine  Seite  getreten  waren,  das  Ansinnen  stellte,  sich  der 
dogmatischen  Ansicht  der  Mehrheit  anzuschliefsen,  so  ge- 
schah dies  wohl  in  der  Meinung,  die  später  von  den  Arianern 
am  eifrigsten  vertreten  ist,  dafs  es  sich  hier  um  keine  we- 
sentliche Frage  des  christlichen  Glaubens  handele,  es  also 
kein  gar  zu  grofses  Opfer  sei,  der  Kirchendisziplin  dies 
sacrifizio  MV  intellctto  zu  bringen.  Denn  dafs  er  demselben 
Manne,  dem  er  seine  Erhebung  auf  den  bischöflichen  Stuhl 
verdankte ,  schon  damals  schaden  wollte ,  ist  kaum  an- 
zunehmen. War  doch  Arius  ein  höchst  beweglicher  Geist, 
der  schon  zweimal  seine  religiöse  Stellung  gewechselt  hatte: 
warum  sollte  er  es  nicht  auch  in  einem  Streite  von  schein- 
bar so  untergeordneter  Bedeutung  thun  ?  Aber  in  demselben 
Augenblick,  wo  er  sich  eben  im  Eifer  der  Disputation  für 
seine  Sache  noch  mehr  erhitzt  hatte,  vielleicht  auch  das  Ur- 
teil seiner  Kollegen  als  neidische  Ungerechtigkeit  empfand, 
konnte  er  sich  nicht  zum  Nachgeben  entschliefsen. 

Bald  trat  auch  die  Gemeinde  des  Arius,  namentlich  der 
weibliche  Teil  derselben,  der  an  seinem  glänzenden  Prediger 
mit  abgöttischer  Verehrung  hing,  in  den  dogmatischen  Kampf 
ein,  und  jene  berauschende  Macht,  wie  sie  die  Begeisterung 
grofser  Massen  auszuüben  pflegt,  machte  sich  geltend  und 
rief  Auftritte  hervor,  die  den  Gegensatz  der  Parteien  ver- 
schärften l.    Die  Heiden  und  die  zahlreiche  Judengemeinde 


1)  Während  im  übrigen  die  Darstellung  vorzugsweise  auf  Sozom. 
1,  15  beruht,  ist  dies  und  das  Folgende  aus  dem  Briefe  des  Alexander 
bei  Theodor.  1,4,5  geschöpft :  trjv  yoOv  'Eklfytov  rt  xal  'lovdattov 
ttOfßij  7ii{>l  XqiotoC  d6$av  xqccivvovt($  xbv  nag*  avrßv  fnaivor  tof  fvt 
ftdltottt  &i)QQvrai'  navra  piv  Saa  xa&'  tyQv  naQ%  avxoiq  ytXaxai 
7t^uyfxaJtv6ixtvot,  ardotic  <ft  fyiv  xad-*  t)fi^av  xal  öuoyfxoi's  Intyci- 
Qorrff  xal  roCro  fxlv  öixaon?iQUi  avyxQoxoOvm  <ft'  ivrv^fas  ywai- 
xagiotv  uTtixTtov,  ii  i)ndtr]aav'  toOto      töv  /pumavurpov  dtaovQovTtq 


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DAS  N1CÄNI8CHE  KONZIL. 


333 


von  Alexundria  fanden  ihre  Freude  an  den  Zwiatigkeiten 
der  verhafsten  Christen  und  schürten  hämisch  die  Erregung; 
selbst  in  ihren  Theatern  sollen  sie  über  den  Zank  gespottet 
haben  l.  Es  kam  zu  Aufläufen  in  den  Strafsen  der  Stadt, 
durch  welche  der  Bischof  sogar  seine  Person  bedroht  sah. 
Da  ist  es  denn  nicht  zu  verwundern,  dafs  auch  er  in  Zorn 
geriet  und  seine  Gegner  exkommunizierte  *.  Jetzt  aber  warf 
man  ihm  vor,  er  habe  eigenmächtig,  ohne  eine  Synode  zu 
beiragen,  sein  Urteil  gesprochen  und  einflufsreiche  Frauen 
aus  dem  Anhange  des  Arius  riefen  gegen  ihn  sogar  die 
weltlichen  Gerichte  an.  Die  Gebannten  selber  hörten  nicht 
auf,  gottesdienstliche  Versammlungen  zu  halten  und  ihre 
Lehre  weiter  zu  verkündigen,  und  hinderte  er  dies  bei  Tage, 
so  wählten  sie  die  Nacht  dazu 4.  Zuletzt  wufste  er  sich 
nicht  anders  zu  helfen,  als  indem  er  sie  kraft  seiner  geist- 
lichen Disziplinargewalt  aus  Alexandria  auswies  *  So  wurde 
Alexander  immer  tiefer  in  einen  Kampf  hineingetrieben,  den 
er  wahrlich  nicht  gern  und  leichten  Herzens  unternommen 


Wenn  hier  von  täglichen  ortiottg  xttl  öiuyfxot  die  Rede  ist,  so  kann 
das  nur  Aufstande  bedeuten,  die  das  Leben  der  Geistlichen  und  na- 
mentlich des  Bischofs  bedrohten.  Dafs  viele  Weiber  sich  dem  Arius 
anschlössen,  sagen  auch  Äthan,  or.  I  c.  Ar.  23  (—  Migne  26,  S.  60) 
und  Epiph.  haer.  68,  4.  69,  3,  und  jener  Brief  redet  auch  im  §  58  von 
yirvaixtxQttt  ototofftvfitva  (ifjnQjiaig. 

1)  Euseb.  Vit.  Const.  II,  61,  5. 

2)  Dafs  dies  nicht  sogleich  geschehen  sei,  sagt  Gelas.  II,  2:  toö 
'jtXtEMQOv  n^fOTijrt  tfuoteag  tov  ^ottov  inl  rö  äfittvov  &4Xovxog  ptra- 
ßaXtiv  TtQtnovotus  nagcuvtaeoi ,  /iiyJ^w  dl  xnivovrog  anotf  iiau  XQ*T 
oao&ai,  und  auch  Sozomenus  scheint  auf  dasselbe  hinzudeuten. 

3)  Sozom.  I,  16:  tag  f^ixrjfi^yovg  MfovvTtg  xul  ri)g  ixxXt)o(ttg  uxqC- 
rtag  ixßfßkrifxivovs.  Das  Wort  ax^nog  kann  sich  nur  auf  den  Mangel 
eines  Synodalspruches  beziehen;  denn  Alexander  selbst  hatte  ja  nach 
allen  Formen  des  kirchlichen  Rechtes  geurteilt. 

4)  Brief  3:  o&x  hi  rljg  IxxXijotag  vnox^Qtot  pivtiv  ixaQT^Qi}aav, 
äXX*  tavjotg  onrjXnta  XyatQv  oixodofi^auyrtg  ütiiuXtimtog  tv  aviwg 
noioOvTtti  ovvöüovg,  vvxt<üq  rt  xal  fit&*  i)p(Quv  {p  jaig  xatä  XqiotoD 
xai  tjfiQp  JtaßoXaig  aaxoi/aevoi. 

5)  Brief  des  Arius  bei  Theod.  II.  e.  1,  5,  1  und  Epiph.  haer.  69,  6 : 
wäre  xai  txJißfcu  Jjfiäg  Ix  rijg  nökttog  ätg  (ty&fxuTi  oig  a&tovg. 


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334 


SEECK, 


hatte,  und  mit  der  Erbitterung  gegen  seine  störrischen  Ge- 
meindeglieder  wuchs  in  ibm  die  Uberzeugung,  dals  auch  ihre 
Lehre  falsch  und  gottlos  sei. 

Trotzdem  war  er  damals,  wie  es  scheint,  seiner  Sache 
nicht  sicher  genug,  um  eine  Synode  zu  versammeln  und  die 
Wesensgleichheit  von  Vater  und  Sohn  durch  sie  zum  binden- 
den Dogma  der  gesamten  Kirche  erheben  zu  lassen,  sondern 
behandelte  den  Streit  noch  lange  als  interne  Angelegenheit 
der  alexandrinischen  Gemeinde  l.  Desto  mehr  drang  Arius 
darauf,  dafs  ein  höheres  Forum,  als  das  seiner  neidischen 
Kollegen,  über  ihn  zu  Gericht  sitze.  Denn  schon  um  seine 
Gemeinde  in  ihrer  Treue  zu  befestigen,  schien  es  ihm  nötig, 
sich  nicht  nur  auf  die  Diakonen  von  Alexandria,  sondern 
auch  auf  die  Zustimmung  von  Bischöfen  berufen  zu  können  *. 
Da  er  bemerken  mufste,  dafs  in  Ägypten  selbst  die  Stim- 
mung ihm  nicht  günstig  war,  unternahm  er,  aus  Alexandria 


1)  Über  die  drei  orientalischen  Bischöfe,  die  dem  Arius  zustimmten, 
lehnt  Alexander  in  seinem  ersten  Rundschreiben  ausdrücklich  jedes -Ur- 
teil ab,  weil  sie  seiner  kirchlichen  Jurisdiktion  nicht  unterstanden. 
Theod.  I.  4,  37:  xai  ovx  o?$\  Sntog  Iv  2vgtq  xuQoxovi]9£vxes  tnloxonot 
xgiig  diA  to  owtuvitv  ctvxolg  Inl  xö  xttQOP  vntxxalovai'  nea\  Ji v  ^ 
xgtois  avaxt(a&(o  r§  vpitxtotf  doxifxttaln.  Syrien  ist  wohl 
hier  in  dem  allgemeineren  Sinne  zu  verstehen,  wie  es  auch  Lact,  de 
mort.  pers.  36  braucht,  nicht  von  der  Provinz,  sondern  von  der  ganzen 
Diöcese  des  Orients.  Denn  die  ersten  Bischöfe,  die  sich  auf  die  Seite 
des  Arius  stellten,  müssen  jedenfalls  nicht  eigentliche  Syrer,  sondern 
Palästinenser  gewesen  sein.  —  Wenn  Arius  in  seinem  Briefe  an  Eu- 
sebius bei  Theodor.  H.  e.  I,  5,  2  von  allen  Bischöfen,  die  sich  ihm  an- 
geschlossen hatten,  sagt:  avd&tfta  lytvovxo,  so  ist  das  wohl  nur  eine 
ironische  Wendung,  die  soviel  sagen  will,  wie:  „sie  sind  mit  mir  in 
gleicher  Mitschuld  und  Verdammnis'1.  Denn  dafs  Alexander  thatsäch- 
lieb  gegen  sie  den  Bann  ausgesprochen  hätte,  findet  weder  in  irgend- 
einer anderen  Quelle  noch  in  dem  späteren  Verlauf  der  Ereignisse 
eine  Bestätigung.  Dies  hat  schon  Hef ele,  Konziliengeschichte  1\  S.  268 
richtig  bemerkt. 

2)  Brief  7:  axtofiviMtxitHt  yodfifittxtt  natf  avrßv  alxoövxts,  Fva 
nttQavayiyvtAoxovrts  avrä  xotg  vn*  avxQp  ijnaxfifiipotg  afi(xavot'txovg, 
(if  oig  taifdXrjauv ,  xaxaoxtvd£tootv,  imxQißofiivovg  ctg  aof'ßtutv,  <bg 
&v  o  vptyrnf-ovg  avxoig  xal  df*6<pnov  ctg  Ijfovre;  tmoxorx  ovg. 
58:  yodfifittxa  di&ovai  xai  kapßdvHv  nobg  rö  nlaväv  tT*a  xovxojv  xa 
in'  avxQv  tjnaxTjfitva  ÖUytt  yuvaucdfHtt  oiOtßQ*vp£va  UfittQxicu;. 


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DAS  K1CÄK ISCHE  KONZIL. 


335 


verbannt,  eine  Agitationsreise  in  die  Nachbarprovinzen,  zu- 
nächst nach  Palästina  !,  und  seine  Briefe  und  Unterredungen 
blieben  nicht  ohne  Erfolg.  Drei  der  dortigen  Bischöfe  nah- 
men ihn  in  ihre  Kommunion  auf,  unterzeichneten  sein  Be- 
kenntnis 2  und  richteten  an  Alexander  umfangreiche  Briefe  3, 
in  denen  sie  ihr  Vorgehen  begründeten  und  ihn  zur  Auf- 
hebung des  Bannes  zu  veranlassen  suchten. 

Natürlich  sorgten  die  Arianer  dafür,  dafs  auch  in  der 
Gemeinde  Abschriften  verbreitet  wurden,  und  der  Erfolg 
war  unverkennbar.  Alexander  bekämpfte  daher  die  Gegner 
mit  ihren  eigenen  Waffen  und  sammelte  auch  seinerseits 
Zustimmungserklärungen,  um  sie  dem  Volke  von  Alexandria 
mitzuteilen4.  So  verfafste  er  denn  ein  Hundschreiben,  das 
nach  und  nach  an  alle  Bischöfe  versandt  wurde,  auf  deren 
Unterstützung  er  hoffen  zu  können  meinte  5 ;  später  konnte 
man  es  in  den  meisten  Kirchenarchiven  des  Orients  finden  6, 
und  auch  uns  ist  eine  Abschrift  davon  erhalten.  Man  er- 
sieht daraus,  dafs  Alexander  unterdessen  die  Streitfrage 

1)  Epiph.  Haer.  03,  4.  69,  1.    Brief  2.  7.  58.    Snzom.  I,  15. 

2)  Brief  9:  öfav  xttl  av^ißntvu  rivas  ro/"V  yQÜufinatv  tti  xßv  vtjo- 
yQdtfovTfg  tl<;  txxliyafttv  ttaMx*a9tu.    Vgl.  S.  334  Anm.  1. 

3)  Brief  7:  OTotuvXo'ntnu  yQduuaxu.    Sozom.  I,  15. 

4)  Brief  60:  nollQv  ytio  tiot  ßoij&tjuaTuw  noog  rovg  ßXaßtvru*;  71t- 
n o(HOfi (vow ,  xat  toDto  tvQTjrat  Ivauf'ttouaxov  toO  vji*  avjQv  Änttirj- 
&{vtos  XaoO,  7itt&ou(v(ov  xa)  t«/V  tCüv  avlkdjovoyüiv  fjitGiv  avyxaru- 
&(atatv  d(  fttitivoHtv  J*«  rot-rot»  ?QX(oö«t  anovöaioviuiv.  Vgl.  Sozom. 
I,  15,  der  dieses  Briefes  gleichfalls  erwähnt. 

5)  An  alle  Bischöfe  des  Orients  ohne  Ausnahme  kann  es  nicht  ge- 
richtet gewesen  sein.  Denn  in  Tyrus  wurde  es  nicht  dem  zweifelhaften 
Bischof  Paulinus ,  sondern  einem  frommen  Laien ,  Zenon ,  überschickt, 
der,  wie  die  Teilnehmerliste  des  Konzils  von  Nicäa  beweist,  später 
allerdings  zum  Bischof  des  Stadt  gewählt  worden  ist.  Epiph.  haer. 
69,  4. 

6)  Theodoret  (I,  4,  62)  kannte  Exemplare,  die  an  Alexander  von 
Byzanz,  Philogonios  von  Antiochia  und  Eustathios  von  Bciöa  adressiert 
waren,  Epiphanius  (69,  4)  an  Eusebius  von  Cäsarea,  Makarios  von  Je- 
rusalem, Asklepios  von  Gaza,  Longinus  von  Ascalon,  Macrinus  von 
Jamnia  und  an  den  Tyrier  Zenon.  Diese  Liste  ist  deshalb  von  Inter- 
esse, weil  sie  zeigt,  dafs  Eusebius  von  Cäsarea  sich  damals  noch  nicht 
zugunsten  des  Arius  ausgesprochen  hatte;  denn  sonst  wäre  ihm  ebenso 
wenig  wie  dem  Paulinus  von  Tyrus  ein  Exemplar  zugestellt  worden. 

Zeitschr.  f.  K.-Q.  XVII,  3.  22 


336 


SEECK, 


gründlich  untersucht  hatte  und  zu  einer  klaren  und  uner- 
schütterlichen Überzeugung  gelangt  war.  Wer  die  Unfehl- 
barkeit der  Schrift  zugiebt,  der  mufs  in  dem  Briefe  trotz 
seines  etwas  schwülstigen  Stiles  ein  wahres  Musterstück 
scharfer  und  bündiger  Argumentation  bewundern.  Seine 
Wirkung  überstieg  alle  Erwartungen.  Zwar  hatten  vorher 
wohl  die  meisten  Bischöfe,  wie  vor  kurzem  Alexander  selbst, 
sich  die  Frage  nach  dem  Verhältnis  von  Vater  und  Sohn 
noch  gar  nicht  vorgelegt;  doch  unter  den  Drangsalen  der 
Verfolgung  hatte  sich  in  der  Christenheit  eine  so  innige 
und  begeisterte  Hingebung  für  die  Person  des  Erlösers  aus- 
gebildet, dafs  alles,  was  seine  Majestät  zu  gelahrden  schien, 
für  sie  zum  unverzeihlichen  Frevel  wurde.  Als  Alexander 
das  Exemplar  abschickte,  das  nach  Byzanz  bestimmt  war, 
konnte  er  sich  am  Schlüsse  schon  auf  den  Beitritt  aller 
Bischöfe  von  Ägypten  und  Thebais  und  sehr  vieler  aus 
Kyrene,  Syrien,  Lykien,  Pamphylien,  Asia  und  Kappadokien 
berufen.  Nicht  lange  darauf  veröffentlichte  er  eine  Samm- 
lung aller  der  Zustimmungsbriefe,  die  er  erhalten  hatte ;  doch 
freilich  konnte  Arius  ein  ganz  ähnliches  Buch  dem  seinen 
gegenüberstellen  l. 

Denn  unterdessen  hatte  er  seine  Agitationsreise  fort- 
gesetzt, und  neben  manchen  Abweisungen  hatte  er  auch 
viele  Erfolge  zu  verzeichnen.  Falls  er  früher  daran  gedacht 
haben  sollte,  seine  Lehre  zum  Dogma  erheben  zu  lassen, 
war  er  jetzt  in  seinen  Forderungen  bescheidener  geworden. 
Er  verlangte  nur  noch,  dafs  jede  Partei  der  andern  um  der 
Eintracht  willen  eine  gewisse  Berechtigung  zuerkenne  und 
beide  Lehren  innerhalb  der  katholischen  Kirche  geduldet 
würden  2.    Zugleich  hatte  er  auch  manche  seiner  schärfsten 


1)  Socrat.  I,  6,  40.  41.  Bruchstücke  aus  der  Sammlung  des  Arius 
finden  sich  bei  Athanasius  de  synod.  17  =  Migne  26,  S.  712. 

2)  Brief  Alexanders  7 :  ax^uart  filv  tlgqvrjg  xal  ivmattag  &S(a>oiv 
vnoxQivöpevot.  58:  ntQi^QXOvrai  yäg  rüg  nöXtig,  ovöiv  €tiqov  anov- 
tf«Vo»'T<f  fi  j$  rtfi  (ftXltts  7tQoa%riuttn  xal  r^I  rijs  (lQip>r)g  dvöfian 
inoxQiottog  xal  xokaxtiag  yQttpipaia  öiüüvai  xal  Xnfißdvtiv.  Dies  ist 
offenbar  auf  die  Forderung  zu  beziehen,  welche  die  Arianer  später 
immer  wiederholt  haben.    S.  7 — 13. 


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- 


DAS  NICÄNISCHE  KON7JL. 


337 


Behauptungen  ganz  fallen  gelassen  und  andere  abgeschwächt 1 ; 
namentlich  erkannte  er  jetzt  an,  dafs  Christus  Gott  und  von 
unveränderlicher  Natur  sei  *.  In  dieser  gemilderten  Form 
wurde  seine  Lehre  vielen  annehmbar,  die  sie  anfangs  viel- 
leicht zurückgewiesen  hätten,  und  dazu  kam  seine  persön- 
liche Überredung,  die  eine  grofse  Macht  besafs.  So  traten 
ihm  denn  von  den  Bischöfen  der  orientalischen  Diöcese  nur 
Philogonius  von  Antiochia,  Makarius  von  Jerusalem  und 
Hellanikus  von  Tripolis  direkt  entgegen ;  Eusebius  von  Cae- 
sarea, Theodot  von  Laodicea,  Paulinus  von  Tyrus,  Atha- 
nasius von  Anazarbus,  Gregorius  von  Berytus  und  Aetius 
von  Lydda  führt  er  in  einem  Briefe  an  Eusebius  von  Niko- 
media  als  seine  Anhänger  auf.  Freilich  wagten  manche 
davon  noch  nicht,  entschieden  Farbe  zu  bekennen ;  Paulinus 
z.  B.  hüllte  sich  lange  in  Schweigen,  und  es  bedurfte  eines 
sehr  energischen  Briefes  des  Nikomedensers  an  ihn,  ehe  er 
sich  entschlofs,  im  Sinne  des  Arius  an  Alexander  zu  schrei- 
ben. Dagegen  zeigte  sich  Eusebius  von  Caesarea  von  An- 
fang an  als  einen  der  eifrigsten  8. 

Arius  wufste  nicht  nur  auf  die  Bischöfe  zu  wirken.  Wie 
in  Alexandria,  so  trug  er  überall,  wohin  er  kam,  die  Be- 
wegung in  die  grofsen  Massen  und  hatte  damit  den  be- 
deutendsten Erfolg.  Den  meisten  Gebildeten,  die  ihren  Ge- 
schmack an  Homer  und  Piaton  entwickelt  hatten,  war  die 
Schwerfälligkeit  theologischer  Streitschriften  ein  Greuel;  so 
brachte  er  denn  seine  Spekulationen  in  Verse  und  veröffent- 
lichte das  Lehrgedicht  unter  dem  Titel  Thalia.  Für  das 
gemeine  Volk  aber  schuf  er  kleine  Lieder,  denen  er  sang- 


1)  Brief  8:  oty  &ntQ  yoOv  nuQ  flfttv  7iov*}QOs  i$täa$itv  je  xtä 
äunQdZavTo,  öftoloyoüaiv  airrots,  di  II  xai  ittoo&rjoav'  oU'  1j  oiomy 
TttüTtt  naQ€tdrt6aaiv  1j  ntnkaoftf'vois  Xöyoti  xal  lyyQtttfois  imoxtdCovrts 
nnaTßoiv.  Auch  in  seinem  zweiten  Briefe  bei  Sokr.  I,  6,  22  beschuldigt 
Alexander  die  Arianer  der  Wandelbarkeit:  xai  ndkiv  /apcuAlovrf? 

fJilltßäXXoVTO. 

2)  Brief  des  Arius  bei  Theod.  I,  5,  3 :  «XX'  ou  «eA^an  xal  ßovXjj 
infaTT)  nqb  xq6v<ov  xal  nqi>  alt&vtav  nlfyns  &*os>  f^ovoytytji,  avttX- 
Xoiwof. 

3)  Theod.  h.  e.  I,  6.   Äthan,  de  synod.  17.   Apol.  c  Ar.  6. 

22* 


338 


SEECK, 


bare  Melodien  unterlegte  *,  und  verlieh  damit  seinen  Gottes- 
diensten einen  Kciz,  welcher  der  orthodoxen  Kirche  sehr 
gefährlich  wurde.  Nur  um  dieser  Lockung  entgegenzuwirken, 
haben  Ambrosius  in  Mailand  und  Johannes  Chrysostomus 
in  Konstantinopel  den  Chorgesang  auch  in  ihren  Gemeinden 
eingeführt  *,  und  von  den  beiden  Residenzen  aus  hat  er 
sich  dann  über  die  Provinzen  verbreitet  3.  Auf  diese  Weise 
wurde  Arius  der  Vater  des  christlichen  Kirchengesanges. 

Eine  neue  Phase  des  Streites  begann  mit  dem  Eingreifen 
des  Eusebius  von  Nikomcdia,  der  mit  Arius  durch  alte 
Studiengemeinschaft    verbunden    war.     Der  antiochenische 


1)  Philost.  II,  2. 

2)  August,  conf.  IX,  7,  15.  Sncrat.  VI,  8.  Ob  Ambrosius  und 
Chrysostomus  die  syrischen  Gesänge  des  Ephrem  zum  Vorbilde  ge- 
genommen haben  (W.  Meyer,  Abhandl.  d.  Münch.  Akad.  XVII,  S.  375) 
oder  alle  drei  den  Arius  nachahmten,  was  natürlich  eine  gegenseitige 
Beeinflussung  nicht  ausschliefsen  würde,  mufs  einstweilen  offene  Frage 
bleiben.  Jedenfalls  steht  es  nach  den  angeführten  Zeugnissen  fest,  dafs 
sowohl  in  Mailand  als  auch  in  Konstantinopel  der  Kirchengesang  aus 
dem  Kampfe  gegen  den  Arianismus  hervorgegangen  ist,  und  da  Ephrem 
in  Syrien  denselben  Kampf  zu  führen  hatte,  halte  ich  es  für  sehr  wahr- 
scheinlich, dafä  auch  bei  ihm  die  Hymnendichtung  nur  Mittel  für  diesen 
Zweck  war. 

ü)  August,  retract.  TI,  11:  inter  haec  Jlüarus,  vir  tribunicius, 
laicus  catholicu8  —  mortm,  qui  tunc  esse  apud  Carthaginem  coeperat, 
ut  hymni  ad  altare  dicerentur  de  psalmorutn  Ubro  —  maledica  re~ 
prehemione.  ubicunque  poterat,  lacerabat,  asserens  fieri  non  oportere. 
Also  erst  in  der  Zeit  Augustins  fing  man  in  Karthago  an,  beim  Gottes- 
dienst Hymnen  zu  singen,  und  dies  erregte  bei  einzelnen  rechtgläubigen 
Männern  Anstofs,  offenbar  weil  es  ungewohnt  und  von  den  Häretikern 
entlehnt  war.  Von  ähnlichen  Bedenken  redet  Augustin  auch  epist.  55, 
18,  34.  Wenn  Job.  Kayser  (Beiträge  zur  Geschichte  und  Erklärung 
der  Kirchenhymnen)  die  Einführung  des  kirchlichen  Gesanges  schon  in 
sehr  viel  frühere  Zeit  verweist,  so  ist  ihm  dies  nur  dadurch  möglich, 
dafs  er  erstens  jeden  Hymnus,  d.  h.  jedes  religiöse  lyrische  Gedicht, 
auch  für  ein  gesungenes  Lied  hält,  zweitens  bildliche  Ausdrücke,  wie 
laudes  domini  canere  u.  dgl.,  immer  wörtlich  interpretiert  und  drittens 
auf  Alter  und  Glaubwürdigkeit  der  Quellen  gar  keine  Rücksicht  nimmt. 


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DAS  XICÄXISCHl«;  KONZIL. 


339 


Presbyter  Lucianus,  dessen  Schüler  beide  gewesen  waren, 
halte  schon  früher  ähnliche  Lehren  verkündet,  wie  Arius, 
und  war  infolge  dessen  unter  drei  Bischöfen  von  der  Kirchen- 
gemeinschaft ausgeschlossen  gewesen  1 ;  doch  das  Martyrium, 
das  er  unter  Maximinus  erlitt 2,  hatte  sein  Andenken  gereinigt 
und  auch  den  Vorwurf  der  Heterodoxie  ausgelöscht,  so  dafs 
diejenigen,  welche  aus  seiner  Schule  hervorgegangen  waren, 
wieder  mit  ungetrübtem  Stolze  auf  ihren  Lehrer  zurück- 
blicken konnten.  Während  seiner  syrischen  Reise  schrieb 
nun  Arius  an  den  Bischof  von  Nikomcdia,  bat  ihn,  sich 
seiner  Nöte  zu  erinnern,  und  mahnte  ihn  zugleich  an  die 
frühere  Schulgenossenschaft  3.  Eusebius,  der  in  dem  Freunde 
seine  eigenen  Lehrmeinungen  angegriffeu  sah,  war  alsbald 
gewonnen  und  durch  ihn  auch  die  Unterstützung  des  Hofes 
endgültig  sicher  gestellt. 

Wie  Konstantin  an  der  Milvischen  Brücke,  so  hatte  Li- 
cinius  auf  dem  Campus  Serenus  unter  dem  Zeichen  des 
Kreuzes  gefochten  und  seitdem  den  eifrigen  Schützer  der 
Christenheit  gespielt,  ohne  freilich  mit  dem  Heidentum  ganz  zu 
brechen  4.  Die  Kirchenspaltung,  in  der  seine  geistlichen  Rat- 
geber ein  Werk  des  Teufels  und  ein  Vorzeichen  des  göttlichen 
Zornes  erblickten,  hatte  den  abergläubischen  Mann  ernstlich 
beunruhigt  und,  wie  es  scheint,  hatte  er  schon  früher  versucht, 
Alexander  durch  Drohungen  zum  Nachgeben  zu  bewegen 
(S.  6)    Doch  wenn  der  Tyrann  auch  Folter  und  Scheiter- 


1)  Brief  Alexanders  36.  Epiph.  haer.  43,  1;  ancor.  33.  Sozom. 
III,  5.  Hai  nack  11*,  S.  183.  Auch  wenn  Alexander  in  seinem  zweiten 
Bnef  (Socr.  I.  6,  7)  davon  redet,  bei  Eusebius  von  Nikomedia  sei  i} 
m'tUu  avioö  xaxövota  i?  XQ^H*  oiomri&tiaa  bei  seiner  Parteinahme  für 
Arius  wieder  hervorgetreten,  so  bezieht  sich  dies  gewifs  nicht  auf  eine 
„alte  Feindschaft"  des  Bciytensers  und  des  Alexandriners  (Harnack 
S.  189),  die  sich  wahrscheinlich  nie  vorher  persönlich  begegnet  waren, 
sondern  auf  die  frühere  Teilnahme  des  Eusebius  an  der  Ketzerei  seines 
Lehrers  Lucianus 

2)  Euseb.  bist.  eccl.  IX,  6,  3;  VIII,  13,  2. 

3)  Der  Brief  des  Arius  schliefst:  Mk3o#«/  at  fv  At(^i  ttf/ow«* 
Htuvwtvov  ißiv  »H\ptun>  %uQv,  atXlovxtaviaiu  itXr}dQs  Evo^Ut.  Vgl. 
Philost.  II,  14. 

4)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  145. 


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340 


SEECK, 


häufen  gegen  seine  weltlichen  Unterthanen  viel  mehr  als 
nötig  zur  Anwendung  brachte,  gegen  die  Priester  des  Gotte3, 
den  er  als  starken  Siegbringer  kennen  gelernt  hatte,  wagte 
er  keinen  Zwang.  Auch  als  jetzt  der  Bischof  seiner 
Residenz ,  der  bei  ihm  und  mehr  noch  bei  seiner  Gattin 
grofsen  Einflute  besafs,  für  Arius  eintrat,  griff  er  doch  zu 
keinem  andern  Mittel,  als  das  die  Kirchen  Verfassung  selbst 
ihm  an  die  Hand  gab.  Er  berief  den  Arius  an  seinen  Hof 1 
und  suchte  durch  wiederholte  Briefe  des  Eusebius,  vielleicht 
auch  durch  eigene,  seine  Rückberufung  bei  Alexander  zu 
erwirken ;  als  dies  aber  keinen  Erfolg  hatte,  übertrug  er  die 
Entscheidung  einer  Synode. 

In  die  Zeit  jener  Versöhnungsversuche  liillt  wohl  auch 
das  noch  erhaltene  Glaubensbekenntnis  des  Arius  und  seiner 
Genossen,  das  sie  aus  Nikomedia  an  Alexander  übersandten  2. 
Sie  sind  darin  so  weit  von  ihren  früheren  Behauptungen  zu- 
rückgewichen, wie  Arius  dies  schon  während  seiner  syrischen 
Reise  war,  d.  h.  sie  erkennen  Christus  als  unwandelbar  und 
unveränderlich  (cItqejütoi;  y.ai  dva'/.lo/toTog)  an,  beharren 
aber  sonst  ganz  fest  auf  ihrem  Standpunkte.  Zugleich  neh- 
men sie  die  Gelegenheit  wahr,  darauf  hinzuweisen,  dafs 
Alexander  selbst  in  früheren  Predigten  ganz  ähnliche  Lehren 

1)  Nach  Epiph.  haer.  69,  7  befand  sich  Arius  im  weiteren  Verlauf 
des  Streites  zu  Nikomedia.  Auch  die  S.  5  angeführte  Stelle  des  Hie- 
ronymus deutet  auf  seinen  Aufenthalt  am  Hofe  hin. 

2)  Äthan,  de  synod  16.  Epiph.  haer.  69,  7.  8.  Die  Unterschriften, 
welche  der  letztere  der  Urkunde  folgen  läfst,  können  nicht  echt  sein. 
Denn  erstens  nennt  die  Überschrift,  die  bei  beiden  wörtlich  überein- 
stimmt, als  Absender  des  Briefes  nur  ol  notaßvttooi  xat  ol  öidxovoi, 
während  in  den  Unterschriften  auch  Bischöfe  erscheinen;  zweitens  stehen 
diese  nicht,  wie  es  ihrem  Range  zukäme,  an  der  Spitze,  sondern  folgen 
erst  hinter  den  Diakonen;  drittens  fügt  wohl  Sccundus  seinem  eigenen 
Namen  den  Namen  seines  Bistums  hinzu,  aber  nicht  Theonas  und 
Pistos,  sondern  jener  nennt  sich  Atßvg ,  dieser  hv  xux^ar^aav  tlg  'AU- 
SavSptinv  ol  Uottavot,  Zusätze,  die  in  offiziellen  Unterschriften  undenk- 
bar sind.  Wo  übrigens  Epiphanius  die  Namenreihe  herhat,  vermag 
ich  nicht  anzugeben;  denn  richtig  ist  sie,  und  doch  aus  keinem  der 
drei  beglaubigten  Ketzei  Verzeichnisse  (S.  14)  abgeschrieben.  Vgl. 
Hefele,  Konziliengeschichte  I',  S.  276,  der  noch  andere,  nicht  minder 
schlagende  Gründe  für  die  Unechthcit  der  Liste  hinzufügt. 


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i 


DAS  NICÄMSCHE  KONZIL. 


341 


verkündet  habe,  und  dafs  nicht  sie,  sondern  er,  von  seinem 
ursprünglichen  Glauben  abgewichen  sei,  was  gewifs  richtig 
sein  wird.  Auch  deshalb  ist  die  Urkunde  lehrreich,  weil 
sie  zeigt,  wie  die  Erfolge,  die  Arius  auf  seiner  Reise  er- 
rungen hatte,  auch  in  Alexandria  selbst  seinen  Anhang  ver- 
mehrt hatten.  Denn  während  anfangs  alle  Presbyter  der 
Stadt  ihn  einstimmig  verurteilt  hatten  und  er  infolge  dessen 
in  dem  ersten  Briefe  Alexanders  noch  als  der  einzige  unter 
den  Gebannten  erscheint,  der  diese  Würde  bekleidet,  nennt 
die  Uberschritt  des  Glaubensbekenntnisses  schon  TrgeaßvTeQOi 
in  der  Mehrzahl;  mindestens  einer  mul's  also  schon  damals 
zu  ihm  abgefallen  sein.  Dies  war  Karpones,  der  nebst  dem 
Diakonen  Gaius  zuerst  in  der  zweiten  Ketzerliste  erscheint, 
während  beide  in  der  ersten  noch  gefehlt  hatten  (S.  16). 

Die  Synode  trat  in  Bithynien  zusammen,  wahrscheinlich 
in  Nicäa  oder  Nikomedia,  und  beschlofs  natürlich  im  Sinne 
des  Eusebius  und  des  Hofes.  Das  Rundschreiben,  das  sie 
an  alle  Bischöfe  der  «Christenheit  erliefs,  forderte  diese  auf, 
mit  den  Arianern  zu  kommunizieren  und  auf  Alexander 
einzuwirken,  damit  er  das  Gleiche  thue.  Diesem  gegenüber 
hatten  sich  freilich  schon  so  viele  Bischöfe  durch  schrift- 
liche Zustimmungserklärungen  gebunden,  dafs  nur  eine  kleine 
Zahl  dem  Ansinnen  der  Synode  Folge  geben  konnte,  und 
wie  vorauszusehen  war,  erreichte  dieses  Häuflein  in  Ale- 
xandria nichts.  Licinius  zauderte  auch  jetzt  noch,  zum 
Zwange  zu  greifen.  Arius  wandte  sich  daher  wieder  nach 
der  Nachbarprovinz  Ägyptens,  Palästina,  und  suchte  bei 
einigen  Bischöfen,  die  ihm  nahe  standen,  um  die  Erlaubnis 
nach,  dafs  die  Presbyter  unter  den  Gebannten,  d.  h.  er  selbst 
und  Karpones,  bei  ihnen  ihres  Predigtamtes  walten  dürften, 
wie  sie  es  in  ihrer  Heimat  gewohnt  gewesen  waren.  Eine 
Provinzialsynode  versammelte  sich,  um  über  diese  Forderung 
zu  beraten,  gewährte  sie  unter  dem  Vorbehalt,  dafs  Arius 
und  seine  Genossen  noch  immer  als  Glieder  der  alexandri- 
nischen  Kirche  zu  betrachten  seien,  und  fügte  eine  neue 
Mahnung  an  Alexander  hinzu  !. 


1)  S.  8.   Vielleicht  war  diese  Mahnung  in  dem  Briefe  des  Metro- 


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342 


SKECK, 


Nachdem  jetzt  schon  zwei  Synoden  sich  zugunsten  der 
Arianer  ausgesprochen  hatten,  eutschlofs  sich  Licinius  end- 
lich, gegen  den  widerspänstigen  Bischof  mit  Zwangsmitteln 
vorzugehn,  und  dieser  war  zu  einem  Martyrium  in  so  zweifel- 
hafter Sache  denn  doch  nicht  geneigt.  Er  nahm  nicht  nur 
die  Arianer  in  die  Kirchengemeinschaft  auf,  sondern  be- 
torderte auch  vier  von  ihnen,  die  bisher  Diakone  gewesen 
waren,  zu  Presbytern,  womit  der  Verkündigung  ihrer  Lehre 
sechs  von  den  achtzehn  Kirchen  Alexandrias  ausgeliefert 
waren  (S.  14).  Auch  Kolluthos  wurde  veranlafst,  seine 
Ansprüche  auf  die  Bischofswürde  aufzugeben  und  sich  mit 
dem  ersten  Platze  unter  den  Presbytern  Alexanders  zu  be- 
gnügen (S.  323).  So  schien  jede  Spaltung  beseitigt  und  in 
der  Kirche  von  Alexandria  die  schönste  Einigkeit  hergestellt. 

Was  den  Konflikt  von  neuem  hervorrief,  wissen  wir 
nicht;  auch  kommt  wenig  darauf  an.  Denn  wo  so  viel 
Brennstoff  aufgehäuft  war,  verstand  es  sich  ganz  von  selbst, 
dafs  er  endlich  aufflammen  mufste,  und  es  ist  ziemlich  gleich- 
gültig, welches  Fünkchen  den  Anlafs  dazu  bot.  Der  ent- 
scheidende Grund  war  jedenfalls,  dafs  die  geschilderten 
Vorgänge  die  Meinung  verbreitet  hatten,  in  religiösen  Sachen 
brauche  man  vor  Licinius  keine  grofse  Furcht  zu  hegen. 
Bisher  hatte  er  nur  das  ausführende  Organ  der  kirchlichen 
Autoritäten  gespielt*,  wenn  man  den  zwei  Synoden,  denen 
er  gefolgt  war,  eine  noch  ansehnlichere  entgegenstellte,  so 
konnte  man  erwarten,  dafs  er  sich  auch  dieser  lügen  werde. 
Als  es  wieder  zu  Reibungen  kam,  versammelte  darum  Ale- 
xander nahe  an  hundert  Bischöfe  aus  Ägypten  und  der 
Kyrenaika,  welche  die  Ketzerei  fast  einstimmig  verurteilten; 
nur  zwei  Männer  aus  der  Heimatprovinz  des  Arius,  die 
vielleicht  zu  ihm  in  persönlichen  Beziehungen  standen,  Se- 
cundus  von  Ptolemais  und  Theonas  von  Marmarica,  wider- 
sprachen und  nahmen  auch  ihrerseits  das  Anathem  auf  sich. 


puliten  von  Palästina,  Eusebius  von  Caesarea,  an  Alexander  aus- 
gesprochen, von  dem  bei  Mansi  XIII,  S.  316  Fragmente  erhalten  sind. 
Jedenfalls  ist  er  um  diese  Zeit  geschrieben;  denn  die  erhaltenen  Stücke 
nehmen  Bezug  auf  das  eben  besprochene  Glaubensbekenntnis  des  Arius. 


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DAS  MCÄKISCHE  KONZIL. 


343 


So  waren  denn  Arius  und  seine  Genossen  zum  zweiten- 
mal  ihrer  Amter  entsetzt ;  doch  so  viel  an  ihm  war,  vermied 
es  Alexander,  offenbar  mit  Rücksicht  auf  den  Kaiser,  viel 
Lärm  von  seinem  Erfolge  zu  machen.  Auch  diesmal  wollte 
er  gern  die  Sache  abthun,  als  ob  sie  eine  innere  Angelegen- 
heit, zwar  nicht  nur  der  alexandrinischen  Gemeinde,  aber 
doch  seines  Metropolitanbezirkes  sei.  Er  hatte  daher  zu  der 
Synode  nur  ägyptische  Bischöfe  eingeladen  und  verkündigte 
ihr  Ergebnis  auch  nicht,  wie  es  sonst  Brauch  war,  durch 
ein  Kundschreiben  der  gesamten  Christenheit.  Desto  lauter 
und  regsamer  trat  Eusebius  auf.  Seine  Boten  eilten  nach 
allen  Richtungen,  um  die  Bischöfe  zum  Einspruch  gegen  die 
Anmafsung  der  Ägypter  aufzuregen,  und  endlich  sah  sich 
auch  Alexander  gezwungen,  zu  seiner  Verteidigung  jenes 
zweite  Rundschreiben  zu  erlassen,  dessen  Unterschrilten  wir 
früher  besprochen  haben.  Dieselben  nennen  nur  den  nie- 
deren Klerus  von  Alexandria,  obgleich  das  Aktenstück  über 
die  Beschlüsse  einer  Bischofsversammlung  Bericht  erstattet; 
aber  da  seit  derselben  Monate  vergangen  waren,  hatten  die 
Teilnehmer  der  Synode  sich  schon  in  alle  Welt  zerstreut 
und  konnten  daher  ihre  Unterschriften  nicht  hinzufügen. 

Ganz  gegen  seine  Natur  erwies  sich  Licinius  noch  ein- 
mal sanftmütig;  freilich  sollte  es  das  letzte  Mal  sein.  Da 
die  bisherigen  Synoden  nur  die  Bischöfe  weniger  Provinzen 
umfafst  hatten ,  berief  er  Anfang  32 1  ein  ökumenisches 
Konzil  nach  Nicäa,  von  dem  er  eine  endgültige  Schlichtung 
des  Streites  erwartete  (S.  28).  Unterdessen  liefen  aber  die 
Antworten  auf  die  Briefe  des  Eusebius  ein,  und  man  konnte 
sich  überzeugen,  dafs  die  Mehrheit  der  Bischöfe  dem  Ale- 
xander recht  gab  und  zum  Beharren  auf  ihrem  Standpunkte 
fest  entschlossen  war.  Und  auch  die  Arianer  waren  damals, 
wo  sie  eben  erst  in  zwei  Synoden  den  Sieg  errungen  hatten 
und  auf  die  Unterstützung  des  Hofes  bauen  konnten,  lange 
nicht  so  nachgiebig,  wie  sie  sich  später  unter  Konstantin 
erwiesen.  Man  konnte  mit  Sicherheit  voraussehn,  dafs  das 
Konzil  nicht  den  Frieden  bringen,  sondern  die  Spaltung  nur 
erweitern  werde,  und  jetzt  rifs  dem  Licinius  die  Geduld. 
Er  hatte  sich  auf  die  Seite  des  Christengottes  gestellt,  weil 


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344 


SEECK, 


er  nach  den  Siegen,  die  Konstantin  und  er  selbst  unter 
seinem  Zeichen  erfochten  hatten ,  ihn  für  den  mächtigsten 
Schutzpatron  hielt.  Da  jetzt,  wie  die  christlichen  Bischöfe 
selber  sagten,  der  Teufel  seine  Macht  bewiesen  hatte,  indem 
er  trotz  aller  Bemühungen  des  Kaisers  das  Schisma  nicht 
zur  Ruhe  kommen  liefs,  trat  auch  Licinius  wieder  auf  die 
Seite  des  Teufels  über  und  erneuerte  sein  Verhältnis  zu  den 
alten  Heidengöttern.  Die  Synoden,  die  ihm  soviel  Arger 
bereitet  hatten,  verbot  er  ganz ;  auch  fiel  es  ihm  nicht  mehr 
ein,  zum  anderen  Male  gegen  Alexander  Zwang  anzuwenden. 
Die  Einigkeit  der  Kirche  herzustellen,  war  sein  Ziel  ge- 
wesen, so  lange  er  ihren  Gott  noch  als  seinen  gnädigen 
Schützer  betrachtete.  Jetzt  lag  ihm  vielmehr  daran,  sie  zu 
verwirren,  weil  er  nach  echt  heidnischer  Anschauung  durch 
die  Störung  seines  Kultus  auch  den  Christengott  selbst  zu 
schwächen  raeinte  *.  So  liefs  er  denn  der  Spaltung  freien 
Lauf  und  begann  sehr  bald  auch  die  Christenverfolgung 
(321).  Der  Grund  derselben  lag  also  im  Arianismus  oder 
vielmehr  in  der  Hartnäckigkeit  des  orthodoxen  Bischofs,  der 
jede  Gemeinschaft  mit  den  Arianern  ablehnte. 

13. 

Hatte  die  Verfolgung  den  Streit  der  Parteien  zeitweilig 
zur  Ruhe  gebracht,  so  erwachte  er  alsbald  von  neuem,  als 
der  Sieg  Konstantins  die  Sicherheit  der  Kirche  hergestellt 
hatte.  Uber  die  ägyptischen  Wirren  sind  wir  zufallig  allein 
unterrichtet,  doch  waren  sie  gewifs  nicht  die  einzigen.  Denn 
reuige  Abgefallene  gab  es  überall,  wo  die  Verfolger  ihren 
Zwang  geübt  hatten,  und  über  ihre  Behandlung  werden 
noch  an  vielen  Orten  ähnliche  Kontroversen  entstanden  sein 
wie  die  Meletianische.  Auch  der  Kampf  um  die  Bischofs- 
sitze, der  diese  prinzipiellen  Gegensätze  so  oft  in  Zwistig- 
keiten  des  persönlichen  Ehrgeizes  umsetzte  und  sie  dadurch 
steigerte  und  verschärfte,  war  nicht  auf  Alexandria  be- 


1)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  163. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


345 


schränkt  Endlich  hatte  Arius  durch  seine  Wanderpredigten 
in  Syrien  und  Kleinasien  auch  den  dogmatischen  Streit  im 
ganzen  Orient  wachgerufen,  und  last  in  jeder  Stadt  waren 
Klerus  und  Gemeinde  gespalten. 

Den  neuen  Herrscher,  der  im  Herbst  324  siegreich  in 
Nikomedia  eingezogen  war,  kannte  man  als  treuen  Anhänger 
des  Christentums.  Man  wufste,  dafs  er  nach  bestem  Wissen 
für  das  Heil  der  Kirche  sorgen  werde,  und  da  natürlich 
jede  Richtung  sich  für  die  einzig  berechtigte  hielt,  knüpfte 
auch  jede  an  seine  Person  die  ausschweifendsten  Hoffnungen. 
So  regte  sich  den  überall  das  Schisma;  längst  begrabene 
Ansprüche  erhoben  sich  zu  neuem  Leben  2;  z.  B.  trat  Kol- 
luthos  wieder  als  Bischof  von  Alexandria  auf  (S.  323).  Kon- 
stantin, der  eben  erst  aus  dem  fernen  Illyricum  herkam, 
besafs  von  den  kirchlichen  Verhältnissen  des  Ostens  nur  sehr 
unzureichende  Kunde;  über  die  dogmatische  Frage  hatte  er 
gewifs  noch  weniger  nachgegrübelt  als  Bischof  Alexander, 
ehe  sein  Presbyter  Arius  bei  ihm  verklagt  wurde.  Von 
allen  Seiten  bedrängt,  konnte  er  kaum  anders,  als  sich  ganz 
neutral  verhalten  und  alle  die  zahlreichen  Entscheidungen, 
die  jetzt  von  ihm  gefordert  wurden,  der  Kirche  selbst  über- 
lassen, ein  Verfahren,  das  übrigens  auch  seinen  religiösen 
Anschauungen  am  besten  entsprach  3.  Er  kam  daher  auf 
den  Gedanken  des  Licinius  zurück  und  berief  ein  allgemeines 
Konzil  nach  Nicäa,  das  alle  streitigen  Fragen  ordnen  sollte. 


1)  Von  diesen  Kämpfen  redet  der  15.  Kanon  des  Konzils  von 
Nicäa. 

2)  Dafs  Konstantin  gleich  im  Beginn  des  Ökumenischen  Konzils  ein 
ganzer  Haufen  Anklageschriften  der  Bischöfe  gegeneinander  übergeben 
sei  und  er  sie  allesamt  habe  verbrennen  lassen,  weil  ein  weltlicher  Herr- 
scher nicht  Qber  Geistliche  zu  Gericht  sitzen  dürfe,  ist  an  sich  sehr 
wahrscheinlich.  Trotzdem  darf  kein  besonnener  Forscher  die  Geschichte 
nacherzählen,  weil  sie  quellenmäfsig  gar  zu  schlecht  beglaubigt  ist. 
Denn  sie  steht  einzig  und  allein  auf  der  Autorität  des  argen  Fälschers 
Rufinus  (I,  2),  aus  dem  Sokrates  (I,  8,  18),  Sozomenus  (I,  17)  und 
Gelasius  (II,  8)  sie  geschöpft  haben,  und  wenn  sie  wahr  wäre,  würde 
sie  Eusebius  im  Leben  Konstantins  sicher  nicht  mit  Stillschweigen  über- 
gangen haben. 

3)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  60. 


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34  G  SEECK, 

Bei  dieser  Gelegenheit  hoffte  er  zugleich  die  Einheitlichkeit 
der  Osterfeier,  die  er  31 G  auf  der  Svnode  zu  Arles  schon 
für  den  ganzen  Westen  durchgesetzt  hatte,  auch  auf  den 
Orient  ausdehnen  zu  können,  worauf  er  persönlich  den  höch- 
sten Wert  legte  (S.  59).  Vor  allem  aber  mutete  er  sich  über 
die  kirchlichen  Zustände,  die  es  jetzt  zu  regeln  galt,  genügend 
orientieren.  Mit  einem  Briefe,  der  sich  ganz  unparteiisch 
an  Alexander  und  Arius  zugleich  wandte  und  beide  zur 
Versöhnlichkeit  ermahnte  1 ,  entsandte  er  daher  eine  Ver- 
traucnsperson  nach  Alexandria,  um  hier  am  eigentlichen 
Herde  der  Unruhen  die  nötigen  Erkundigungen  einzuziehn 
und  zugleich  durch  vorläutige  Unterhandlungen  die  spätere 
Thätigkeit  des  Konzils  zu  erleichtern. 

Hosius  von  Corduba  war  schon  während  des  italienischen 
Feldzuges  (312)  Konstantins  geistlicher  Ratgeber  gewesen  * 
und  hatte  ihn  auch  bei  dem  letzten  Kriege  gegen  Licinius 
begleiten  müssen,  um  durch  sein  Gebet  die  Waffen  des 
Kaisers  zu  unterstützen.  Diesem  Manne,  der  als  Bekenuer 
bei  der  christlichen  Geistlichkeit  einer  hohen  Autorität  ge- 
nofs,  wurde  jetzt  die  schwierige  Mission  anvertraut  und  er 
entledigte  sich  seiner  Aufgabe  zur  vollen  Zufriedenheit.  Um 
seinen  Entscheidungen  gröfseres  Gewicht  zu  verleihen,  um- 
gab er  sich  mit  einer  Synode  ägyptischer  Bischöfe  und  ver- 
wies durch  deren  Spruch  den  Kolluthos  in  seine  Grenzen 
zurück  4 ;  doch  zeigte  er  schon  hierbei  seine  Mäfsigung ,  in- 
dem er  den  alten  Ruhestörer  nicht  etwa  aus  der  Kirchen- 
gemeinschaf't  ausschlofs,  sondern  ihm  das  Amt  eines  Pres- 
byters beliefs.  Die  Sache  des  Arius  konnte  er  in  Ägypten 
nicht  zu  Ende  fuhren,  schon  weil  einer  ihrer  bedeutendsten 

1)  Dieser  Brief  gehört  zu  den  Urkunden  der  Vita  Constantiui  (II, 
64—72),  die  ich  ihrem  Hauptinhalte  nach  für  echt  halte,  wenn  auch 
ihr  Wortlaut  von  Eusebius  herrührt  (S.  61).  Daf*  Einzelheiten  darin 
falsch  sind,  habe  ich  selbst  S.  H20  nachgewiesen. 

2)  Seeck  S.  455. 

3)  Euseb.  Vit.  Const.  II,  63.    Soor.  I,  7,  1;  III,  7,  12. 

4)  Äthan,  apol.  c.  Ar.  75:  KoXkovfrov  roO  nQtopi  Tt\)Qv  fft(t>Taa9tv- 
JOf  tnioxoTxrjv  x(ti  iax(f>ov  vtiö  xoivf^  avvotiov  'Off/or  xui  rßv  oev 
airtii  tmoxömav  xtUvotHvxoq  ngtaßii^Qou  ttvnt,  xaitb  xui  n(t6xtoov  ?tv. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


347 


Vertreter,  Eusebius  von  Nikomedia,  ferne  war;  auch  blieb 
sie  um  ihrer  dogmatischen  AYichtigkeit  willen  besser  dem 
Konzil  vorbehalten  l.  Immerhin  wird  der  Zuspruch  des  all- 
verehrten Bekenners  dahin  gewirkt  haben,  die  Erbitterung 
beider  Parteien  abzukühlen  und  die  versöhnlichere  Stimmung 
vorzubereiten,  die  sich  später  in  Nicäa  geltend  machte. 

Arn  20.  Mai  325  wurde  das  Konzil  in  dem  grofsen 
Saale  des  Kaiserpalastes  eröffnet  (S.  69).  Durch  die  Reihen 
der  versammelten  Väter,  die  sich  bei  seinem  Eintritt  erhoben 
hatten,  schritt  Konstantin  ,  umgeben  von  den  Spitzen  seines 
Hofes,  auf  den  Präsidentensitz  zu,  im  vollen  kaiserlichen 
Schmucke,  aber  ohne  das  übliche  Gefolge  seiner  Leibwächter. 
Und  nicht  nur  Vertrauen  wollte  er  den  Häuptern  der 
Christenheit  erweisen,  sondern  auch  Ehrerbietung:  nicht  eher 
setzte  er  sich,  als  bis  sie  ihm  die  Erlaubnis  gewinkt  hatten, 
und  dann  gestattete  er  auch  ihnen  Platz  zu  nehmen  Ä.  Da 
er  vor  litterarischen  Berühmtheiten  einen  grofsen  Respekt 
besafs8,  so  hatte  man  Eusebius  Pamphili  beauftragt,  ihm 
die  Begrüfsungsrede  zu  halten  4.  Je  fester  die  Mehrheit  ent- 
schlossen war,  die  Arianer  niederzustimmen,  desto  willkom- 
mener mufsto  es  ihr  sein,  sich  dem  Kaiser  gegenüber  einen 
gewissen  Schein  der  Unparteilichkeit  zu  geben,  indem  sie 
einem  Führer  der  Minderheit  diese  glänzende,  aber  wenig 
bedeutende  Aufgabe  übertrug. 

Konstantin  antwortete  mit  einer  lateinischen  Rede,  nicht 
etwa  weil  er  des  Griechischen  unkundig  gewesen  wäre 
—  hatte  er  doch  einen  grofsen  Teil  seiner  Knaben-  und 

1)  Dafs  übrigens  auf  der  alexandrinischen  Synode  des  Hofius  auch 
die  Frage  des  Verhältnisses  zwischen  Vater  und  Sohn  erörtert  wurde, 
zeigt  Socr.  III,  7,  12. 

2)  Euseb.  Vit.  Const.  III,  10. 

3)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  5t. 

4)  Eus.  Vit.  Const.  III,  11.  Die  Überschrift  des  Kapitels,  die  hier, 
wie  überall,  von  Eusebius  selbst  herrührt  und  schon  von  Sozomenus 
(I,  19)  gelesen  worden  ist,  nennt  den  toO  dtgioö  rdy^ttroi  nniorfitüv 
mit  Namen.  Wenn  Theodoret  I,  7,  10  dem  Eustathius  die  Begrüfsungs- 
rede zuschreibt,  so  hat  er  wohl  irgendeine  Stelle  aus  dessen  Schriften, 
in  der  er  von  seineu  Reden  auf  dem  Konzil  erzählte,  mifsverstanden; 
denn  dafs  er  ihn  benutzt  hat,  ergiebt  sich  aus  dem  Citat  I,  7,  18. 


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U48 


SEECK, 


Jünglingsjahre  in  der  östlichen  Hälfte  des  Reiches  zu- 
gebracht 1  — ,  sondern  weil  ihm  die  offizielle  Sprache  der 
Staatsregierung  der  Feierlichkeit  des  Augenblickes  würdiger 
erschien.  Nachdem  die  kurzen  Worte  des  Kaisers,  die  nicht 
viel  mehr  als  eine  Ermahnung  zum  Frieden  enthielten,  durch 
den  Dolmetscher  übersetzt  waren,  übernahm  er  die  Leitung 
der  Verhandlungen  in  griechischer  Sprache  und  erteilte  zu- 
nächst den  Metropoliten  das  Wort.  Dafs  er  persönlich  das 
Präsidium  führte  2,  war  für  das  Gelingen  des  Friedenswerkes 
von  höchster  Bedeutung.  Denn  je  ferner  ihm  selber  alle 
dogmatischen  Fragen  standen,  desto  mehr  durfte  jede  Rich- 
tung von  ihm  die  vollste  Unparteilichkeit  erwarten.  Und 
wenn  auch  die  Ehrfurcht  vor  dem  Herrscher  nicht  jeden 
Ausbruch  der  religiösen  Leidenschaft  unterdrücken  konnte, 
so  gebot  sie  doch  den  Streitenden  ein  gewisses  Mafshalten 
in  der  Form  des  Angriffs  und  raubte  so  der  Debatte  viel 
von  ihrer  Schärfe.    Übrigens  war  der  Kaiser  auch  nicht  zu 

1)  Seeck  S.  444. 

2)  Dafs  Konstantin  nur  eine  Art  von  Ehrenpräsidium  geführt  habe, 
ist  eine  ganz  willkürliche  Annahme.  Vielmehr  zeigt  die  Schilderung 
des  Eusebius  sowohl  iu  der  Vita  III,  13  als  auch  in  seinem  bekannten 
Briefe,  dafs  der  Kaiser  die  ganze  Leitung  der  Debatten  fortwährend  in 
seiner  Hand  behielt  und  ihnen  durch  Zwischenreden,  Beifalls*  und  Mifs- 
fallensbezeigungen  u.  dgl.  immer  ihre  Richtung  gab.  Theologisches 
Wissen  war  wohl  für  die  Disputierenden  erforderlich ,  aber  keineswegs 
für  den  Präsidenten,  der  nur  zu  hören,  das  Wort  zu  erteilen  und  den 
Mifsbrauch  der  Redefreiheit  zu  hiudern  hatte.  Die  oft  citierte  Stelle 
des  Eusebius,  nachdem  er  von  der  Rede  des  Kaisers  gesprochen  hat, 
nttQtdltiov  töv  Xoyov  rot?  rifr  awödov  n^o^Qotq,  bedeutet  nicht:  „er 
trat  ihnen  das  Präsidium  ab",  sondern:  „er  gab  ihnen  das  Wort'*,  wie 
wir  noch  heute  von  dem  Vorsitzenden  sageo.  Unter  den  n^otioot, 
möchte  ich  die  Metropoliten  verstehen;  dafs  sie  den  Anfang  machen, 
würde  der  Geschäftsordnung  des  römischen  Senats  entsprechen,  nach 
der  die  Vornehmsten  vom  prineeps  senatus  an  zuerst  gefragt  werden. 
Will  man  aber  das  zweifelhafte  Wort  auf  die  Führer  der  Parteien  deuten, 
so  habe  ich  auch  dagegen  nicht  viel  einzuwenden,  obgleich  mir  dies 
minder  wahrscheinlich  vorkommt.  Von  einem  Präsidium  des  Hosius 
rindet  sich  in  den  Quellen  auch  nicht  die  leiseste  Andeutung.  Wenn 
er  in  der  Teilnehmer  liste  des  Konzils  an  erster  Stelle  genannt  wird,  so 
verdankte  er  das  sicher  nur  dem  hohen  Anselm  seiner  Persönlichkeit, 
nicht  irgendeinem  formellen  Rechte. 


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DAS  NICÄN1SCIIE  KONZIL. 


349 


blöde,  denjenigen,  welche  ihrem  Herzen  übereifrig  Luft 
machten,  das  Wort  zu  entziehen  und  die  gemäfsigteren  Ele- 
mente der  Versammlung  entschieden  zu  bevorzugen  *. 

Unter  dem  frischen  Eindruck  der  Christenverfolgung  und 
der  Niederlage  ihres  Urhebers  war  das  Konzil  zusammen- 
getreten. Hatten  schon  vorher  die  meisten  Bischöfe  die 
arianische  Lehre  als  Lästerung  gegen  den  Gottessohn  ver- 
abscheut, so  machte  jetzt  der  allgemeine  Hafs  gegen  Licinius 
die  Stellung  seiner  ehemaligen  Schützlinge  erst  recht  zu 
einer  äufserst  schwierigen.  Nur  zweiundzwanzig  Bischöfe, 
kaum  ein  Zehntel  der  ganzen  Versammlung,  wagten  eB,  sich 
offen  zu  ihnen  zu  bekennen  *.  Eusebius  von  Nikomedia,  der 
am  Hofe  des  gestürzten  Herrschers  so  viel  vermocht  hatte, 
scheint  sich  ganz  im  Hintergrunde  gehalten  zu  haben.  Die 
Kepräsentation  der  Partei  übernahm  in  erster  Linie  der 
gleichnamige  Bischof  von  Caesarea  3,  weil  er  einerseits  min- 


1)  Eustathius  bei  Theod.  I,  8,  3:  6fioG  uvts  ix  avaxnfls  roövofta 
nQoßidkofitvot  Ti}s  tigt'itnjg  xctTtotyTjOav  /4h  Hnavtag  xovg  äfnartc  Xiytw 
üuy&öxag.  Wenn  diejenigen,  welche  nach  der  Ansicht  des  Eustathius 
am  besten  zu  reden  pflegten,  d.  h.  die  orthodoxen  Heifssporne,  durch 
die  Friedfertigen  zum  Schweigen  gebracht  wurden,  so  kann  dies  nur 
mit  Hilfe  des  kaiserlichen  Präsidenten  geschehen  sein.  Dafs  Athanasius 
auf  dem  Konzil  irgendeine  Rolle  gespielt  habe,  beruht  nur  auf  seinem 
eigenen  Zeugnis  (Apol.  c.  Ar.  6),  ist  also  sehr  zweifelhaft.  Denn  alle 
übrigen  Schriftsteller,  die  davon  reden,  Ruf.  I,  14.  Socr.  I,  8,  13. 
Sozom.  I,  17.  Theod.  I,  26,  2.  Gelas.  II,  6.  7.  Greg.  Naz.  or.  21,  14 
=  Migne  Gr.  35,  S.  1096  gehen  auf  die  angeführte  Stelle  der  Apologie 
zurück,  besitzen  also  keinen  eigenen  Quellenwert.  Vgl.  Zahn,  Mar- 
cellus von  Ancyra,  S.  18. 

2)  Diese  Zahl  giebt  Philostorgius  (Migne  65,  S.  623),  und  da  er 
jeden  einzeln  mit  Namen  nennt,  duldet  seine  Angabe  keinen  Zweifel. 
Die  17  Arianer  der  orthodoxen  Zeugen  6ind  nur  aus  der  traditionellen 
Zahl  318  für  das  ganze  Konzil  hervorgegangen  (S.  61).  Man  wollte 
eben  über  300  für  die  Rechtgläubigkeit  haben  und  formuliert  dies  als 
301.    Vgl.  Theod.  I,  7,  14. 

3)  Man  nimmt  gewöhnlich  an,  der  Eusebius,  der  nach  Eustathius 
bei  Theod.  I,  8,  1.  3  als  Sprecher  der  Arianer  auftrat,  sei  der  Niko- 
medenser  gewesen.  Aber  dem  syrischen  Bischof  war  der  Mann,  der  in 
seiner  Nachbarprovinz  Palästina  eine  so  einflufsreiche  Wirksamkeit  ent- 
faltete, ohne  Zweifel  eine  viel  vertrautere  Persönlichkeit  als  der  Metro- 
polit des  fernen  Bithynien.   Wo  er  einen  Eusebius  ohne  genauere  Be- 


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350 


SEECK, 


der  kompromittiert  war,  anderseits  durch  seine  Gelehrsam- 
keit und  seine  vielbewunderten  Stilblüten  bei  Konstantin  in 
hohem  Ansehn  stand.  Hatten  aber  seine  rhetorischen  Fähig- 
keiten ihm  anfangs  auch  die  Ehre  verschafft,  den  Kaiser  im 
Namen  des  Konzils  begrüfsen  zu  dürfen,  so  war  damit  fürs 
erste  die  Glanzrolle  der  Arianer  ausgespielt. 

Man  forderte  sie  auf,  ihr  Glaubensbekenntnis  vorzulegen; 
aber  als  Eusebius  es  verlas,  vermochte  selbst  die  Anwesen- 
heit der  kaiserlichen  Majestät  den  Sturm  der  Entrüstung 
nicht  niederzuhalten.  Man  hörte  den  Vortragenden  gar  nicht 
zu  Ende,  sondern  entrifs  ihm  das  Blatt  und  zerfetzte  es. 
Seitdem  kamen  die  Arianer  auf  diejenigen  Lehren,  die  ihnen 
eigentümlich  waren ,  gar  nicht  mehr  zurück ;  sie  begruben 
sie  in  Schweigen  1  und  strebten  nur  noch  nach  einer  Be- 
kenntnisformel, die  beiden  Richtungen  freien  Spielraum  ge- 
währte. 

Eusebius  und  seine  Genossen  hoben  jetzt  hervor,  dafs 
der  leitende  Gesichtspunkt  für  die  ferneren  Verhandlungen 
nur  die  Herstellung  des  kirchlichen  Friedens  sein  könne  *, 
was  durchaus  im  Sinne  des  hohen  Präsidenten  war,  und 
erklärten  sich  bereit,  jedes  Bekenntnis  anzunehmen,  das 
nicht  über  den  klaren  Wortlaut  der  Schrift  hinausgehe s. 
Mit  grofsem  Geschicke  kamen  sie  den  Schritten  der  Gegen- 
partei zuvor,  indem  sie  selbst  eine  neue  Formel  vorlegten, 

Stimmung  nennt,  ist  es  daher  jedenfalls  wahrscheinlicher,  dafs  er  jenen 
ersteren  meint.    Vgl.  S.  9. 

1)  Synodalschreiben  bei  Socr.  I,  9,  3.  Theod.  I,  9,  5.  Gelas.  II, 
33:  oi'<fk  oaov  axoOaai  rijg  aatßoOq  Jo£»??  x«\  jijg  üriovotns  xn\  rßy 
ßXaoyt'ifiotv  (>t)uttr(tn>  avuayo^v^.  Vgl.  Eustathius  bei  Theod.  I,  8.  7, 
15.    Äthan,  de  decr.  syn.  Nie  3. 

2)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  10:  toO  rfc  «/pqvqc  axonoü  nnb  ötffrttl- 
udv  ffudv  xuiifrov.  Eust.  bei  Theod.  I,  8,  3 :  nvig  tx  ovoxtvfc  roi'- 
vofitt  7t QoßakXöuivot,  rijg  tl(ttjvr)S. 

3)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  15:  dtä  rb  ant(Qyuv  «yp«V/oic  yni)o9«i 
tfinvms,  <f*'  «c  ayttidv  J)  nüaa  tyeyövu  avyyvaig  xtti  axrtmaraafa  Tifr 
fxxlrjafag.  Ich  citiere  den  Btief  des  Eusebius  nach  Theodoret,  doch 
findet  er  sich  auch  bei  Socr.  I,  8,  35;  Gelas.  II,  34;  Äthan,  am  Ende 
der  Schrift  De  decretis  Nicaenae  synodi. 


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DAS  NICÄNISCI1E  KONZIL. 


351 


die  alle  trennenden  Schlagworte  vermied  und  nur  das  beiden 
Richtungen  Gemeinsame  aufnahm  \ 

Sobald  sie  verlesen  war,  machte  der  Kaiser  von  dem 
Rechte  des  Vorsitzenden  Gebrauch  und  erklärte,  ehe  er  die 
Gegner  zum  Worte  liefs,  dafs  d  Bekenntnis  seinen 
eigenen  Uberzeugungen  vollkommen  entspreche  *.  Damit 
war  der  Debatte  ihre  Richtung  gegeben.  Denn  die  recht- 
gläubige Partei  wagte  jetzt  nicht  mehr,  die  ganze  Formel 
abzuweisen  und  etwa  auf  diejenige  zurückzugreifen,  die 
Alexander  in  seinem  ersten  Rundschreiben  aufgestellt  hatte, 
sondern  sie  mufste  den  Entwurf  des  Eusebius  zu  Grunde 
legen  und  konnte  ihn  nur  noch  in  ihrem  Sinne  zu  amen- 
dieren  versuchen.  Dies  that  sie  denn  auch  redlich,  und 
die  Arianer  stimmten  allem  zu,  was  sich  mit  ihrer  Auf- 
fassung noch  irgendwie  vereinigen  liefs.  Wurde  z.  B.  ver- 
langt, dafs  für  &eöv  ix  tooC,  wie  Eusebius  vorgeschlagen 
hatte,  gesetzt  werden  solle:  Oeöv  <xht$tvöv  ix  &eot>  üh\tttvof), 
so  forderten  sie  zwar  Erklärungen,  wie  dies  gemeint  sei, 
beruhigten  sich  aber  dabei,  sobald  sie  dieselben  als  schrift- 

1)  Das  Symbol  des  Eusebius  (Tbeod.  I,  12,  3)  beginnt  mit  den 
Worten :  xa&ws  nuQtlitßoutv  napä  tQv  kqö  i^uGf  Iniaxontav  xal  Iv 
rjj  nfxoTy  xaTiy(ii<j(i  xal  Sr<  ro  Xovtqöv  ilctußdvojutv ,  xa&wg  and  tQv 
dtlurv  yQttqßv  [iifitt&rjxttfitv  xal  at$  tv  avjqi  rtp  ngtoß vT ((>{({>  xal  (v  aury 
ry  (rnaxontj  fniaTevojitv  t<  xal  Itfiddaxoptv,  oitoj  xal  vOv  nujxtvovrts 
ttjv  JjutTtyav  7i(ativ  7i{iooava(f(Qop(v.  Hieraus  hat  man  geschlossen, 
es  sei  das  Taufsymbol  von  Caesarea  oder  doch  ein  anderes  innerhalb 
dieser  Gemeinde  überlicfeitcs  Bekenntnis  gewesen,  das  er  dem  Konzil 
vorlegte.  Dabei  übersieht  man  nur,  dafs  diese  Formel  nach  der  Ab- 
sicht des  Eusebius  von  allen  versammelten  Vätern  angenommen  und 
als  ihr  gemeinsames  Glaubensbekenntnis  verkündet  werden  sollte.  Sie 
durfte  also  gar  nichts  enthalteu,  was  nur  auf  den  Bischof  von  Caesarea, 
nicht  auf  alle  Bischöfe  der  Christenheit  in  der  gleichen  Weise  pafate. 
Mithin  können  jene  Einleitungsworte  nichts  anderes  sagen  wollen,  als 
was  zu  allen  Zeiten  jedes  christliche  Symbol  von  sich  behauptet  hat, 
dafs  es  nämlich  nichts  Neues  bringe,  sondern  nur  den  überlieferten 
Glauben  der  Väter  formuliere.  Ähnlich,  nur  minder  wortreich,  beginnt 
auch  das  Bekenntnis  des  Arius  (Epiph.  haer.  69,  7):  1)  ntaxn  i)fi<üv  1} 
ix  nqoyövtov,  ijv  xal  and  aoö  fttfia&tjxafittv,  fxaxaQU  nana,  taxtv  aüxTj. 

2)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  7:  airxos  te  nQßxog  6  &ewf>t.M(fxaxog 
^u0v  ßaoiltvg  ÖQ&öxaxa  ntq^xuv  tt^JV^  fj^tt^xvQtjaev. 

Zaitscbr.  f.  K.-O.  XVII,  S.  23 


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352 


üEECK, 


gemäfs  erkannten  *.  Nur  die  Worte:  toi  ttoctv  i/.  cFtg  oioiag 
lou  nuiQog  und  öftootoiov  rot  jiuuqL  bereiteten  ernste 
Schwierigkeiten,  weil  sie  eben  aus  der  Bibel  nicht  unmittel- 
bar zu  belegen  waren.  Aber  nachdem  die  Ketzereien,  welche 
die  Arianer  hinter  ihnen  witterten,  alle  von  ihren  Gegnern 
ausdrücklich  abgewiesen  waren  und  diese  den  Beweis  ge- 
führt hatten,  dafs  schon  ältere  Theologen,  die  allgemein  als 
rechtgläubig  anerkannt  waren,  sich  dieser  Worte  bedient 
hatten,  wurden  auch  sie  last  einstimmig  angenommen. 
Namentlich  dafs  Konstantiu  selbst  diese  Amendements  sehr 
entschieden  vertrat 2  und  auch  seine  Schwester  Konstantia, 
welche  die  Arianer  als  ihre  treue  Freundin  und  Beschützerin 
verehrten,  ihnen  zur  Fügsamkeit  riet  brach  ihren  Wider- 
stand. Nur  Arius  selbst  und  seine  alten  Genossen,  Secundus 
von  Ptolemais  und  Theonas  von  Marinarica,  beharrten  bei 
ihrer  Ablehnung.  Sie  wurden  daher  mit  dem  Kircheubanne 
belegt  und  aus  ihren  Gemeinden  ausgewiesen  *. 

Sehr  bald  sollten  sie  Genossen  ihres  Schicksals  rinden. 
Nachdem  der  positive  Teil  des  Bekenntnisses  vereinbart  war, 
schritt  mau  dazu,  ihn  durch  einen  negativen  zu  vervoll- 
ständigen. Eusebius  war  so  unvorsichtig  gewesen,  in  das 
Nachwort,  das  er  seinem  Entwurf  hinzugefügt  hatte,  auch 
die  Verfluchung  aller  gottlosen  Ketzereien  [dva tieft aiuotreg 
näoar  uihov  ai'gtotv)  aufzunehmen.  Daran  hielten  sich  jetzt 
die  Rechtgläubigen  und  beanspruchten,  dafs  diejenige,  welche 
sie  iür  die  allergottloseste  hielten,  ausdrücklich  verflucht 
werden  solle.  Sie  formulierten  daher  als  Schlufs  des  Symbols 
ein  Anathema  gegen  alle,  die  sich  zu  den  alten  arianischen 
Schlagworten  bekannten.  In  vollem  Mafse  wurde  zwar  da- 
durch nicht  einmal  Arius  selber  getroffen.  Denn  auch  er  hatte 


1)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  14:  y  oi't>t<ftiivr)0(tfitv  oi  nuvit;  ovx 
ttvtj-tiuonng,  ukkä  xMii  Mai  ünoJu&tiaits  üttxvolai  in*  avioö  rov  $to- 
qtXtotdiuv  ßuoiXfos  t£iiuo&i(oas  xttl  loii  tlfir)fi£vui£  loytOfiois  ow- 
ofAokoyrj&tfatts.  Die  Bereitwilligkeit  der  Aiianer,  auf  alles  einzugehen, 
schildert  auch  Äthan,  epist.  ad  Afi.  5.  G.    De  decr.  Nie.  syu.  19. 

2)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  7. 

3)  Philost.  I,  9. 

4)  Philost.  I,  9.    Socr.  I,  8,  31  ff.    Theod.  J,  7,  15.  8,  18. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


853 


manche  der  verdammten  Irrlehren,  z.  B.  dafs  Christus  wandel- 
bar und  veränderlich  sei,  zwar  ursprünglich  ausgesprochen  *, 
doch  seitdem  längst  zurückgenommen.  Aber  es  war  und 
blieb  die  immer  wiederholte  Taktik  der  Orthodoxen,  ihm 
jede  seiner  falschen  Behauptungen  stets  von  neuem  vor- 
zurücken, auch  wenn  er  selbst  davon  zurückgekommen  war. 
In  diesem  Falle  erleichterten  jene  veralteten  Anzapfungen 
den  früheren  Anhängern  des  Arius  nur  ihre  Zustimmung, 
und  wenn  auch  einzelne  der  verurteilten  Lehrsätze  noch 
immer  ihrer  Meinung  entsprachen,  so  beruhigten  sie  sich  doch 
damit,  dafs  sie  unbiblisch  und  es  daher  besser  sei,  sie  künftig 
nicht  mehr  zu  brauchen  *. 

Nur  Eusebius  von  Nikomedia  und  die  Bischöfe  der  beiden 
Städte,  die  seiner  Gemeinde  am  nächsten  lagen,  Theognis 
von  Nicäa  und  Maris  von  Chalkedon,  verweigerten  ihre 
Unterschrift  für  das  Anatheraa  s.  Alle  drei  waren  sie,  wie 
Arius,  Schüler  des  Märtyrers  Lucianus  gewesen  4 ;  auch  hatten 
sie  auf  der  früheren  bithynischen  Synode,  die  den  Arius 
als  rechtgläubig  anerkannt  hatte,  nach  der  Lage  ihrer  Sitze 
die  ersten  Köllen  gespielt  und  konnten  sich  jetzt  nicht  ent- 
schliefsen,  eine  Lehre,  die  sie  so  entschieden  in  Predigten 
und  Rundschreiben  verfochten  hatten,  jetzt  für  ketzerisch  zu 
erklären.  Das  öfjoovoiov  hatten  sie  zugelassen,  weil  es  nach 
ihrer  Ansicht  noch  eine  reservatio  mentalis  duldete ;  bei  jener 
Schlufsklausel  dagegen  war  jede  Zweideutigkeit  ausgeschlossen, 
und  eben  dieses  war  es,  was  die  Orthodoxen  gewollt  hatten. 
So  mufsten  denn  auch  jene  drei  in  die  Verbannung  ziehen, 
und  ihre  Bistümer  wurden  anders  besetzt.    Dem  verhafsten 


1)  Bei  der  Disputation,  die  er  in  Alexandria  gehalten  hatte,  scheint 
er  durch  die  Fragen  der  Gegner  zu  dieser  Erklärung  gedrängt  zu  sein. 
Alex,  bei  Socr.  I,  6,  12:  fjQCJTtjae  yoOv  ti$  avrovg,  ti  Svvktki  6  ioO 
&eoö  Xöyoi  rp«7i^v«*,  ths  u  diäfioXoq  IjQuni)'  xai  ovx  itfoßrj&yoav  tlntiv, 
vtti  üvvuiiu'  TQfnrfc  yäo  tfvottag  lax),  yevrjrög  x«i  T(W^tAj  u7tuQXbn'. 

2)  Euseb.  bei  Theod.  I,  12,  15. 

3)  Brief  des  Eusebius  und  Theognis  bei  Socr.  I,  14,  3.  Theod.  I, 
19,  3.  Äthan,  apol.  c.  Ar.  7  =  Migne  25,  S.  261.  Den  Maris  nennt 
nur  Sncr.  I,  8,  31. 

4;  Philost.  II,  14 

23* 

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354 


SEECK, 


Eusebius,  der  früher  Bischof  von  Berytus  gewesen  und  dann 
erst  nach  Nikomedia  versetzt  war  l,  that  das  Konzil  noch 
den  Schimpf  an,  solch  ein  Übertreten  der  Geistlichen  aus 
einer  Gemeinde  in  die  andere  durch  seinen  15.  Kanon  zu 
untersagen.  Das  Verbot  ist  niemals  durchgeführt  worden, 
ja  die  heiligen  Väter  von  Nicäa  verletzten  es  selbst,  indem 
sie  dem  Eustathius  von  Beröa,  der  sich  unter  ihnen  als  Hort 
der  Rechtgläubigkeit  ausgezeichnet  hatte,  den  vakanten 
Metropolitansitz  von  Antiochia  übertrugen  *.  Solche  Aus- 
nahmen zu  rechtfertigen,  wird  man  um  Gründe  nicht  ver- 
legen gewesen  sein;  auf  dem  Ketzer  blieb  darum  doch  die 
Schmach  sitzen. 

Nachdem  die  Verhandlungen  über  das  Symbol  im  Ver- 
lauf eines  Monats  beendet  und  am  19.  Juni  das  Ergebnis 
verkündet  war 3,  schritt  man  zur  Regelung  der  Osterfrage. 
Von  irgendeiner  Opposition  wird  uns  hierbei  nichts  berichtet; 
das  lebhafte  Interesse,  welches  der  Kaiser  gerade  an  diesem 
Gegenstande  nahm,  schlug  wohl  jeden  Widerspruch  nieder. 
Bis  zu  Konstantins  Tode  ist  dann  in  der  rechtgläubigen 
Kirche  die  Einheitlichkeit  der  Ostorfeier  erhalten  geblieben  4; 


1)  Brief  Alexanders  bei  Socr.  I,  6,  6.    Äthan,  apol.  c  Ar.  6. 

2)  Sozom.  I,  2:  T^g  J£  'Avxiox^utv  iQv  uqos  jqi  'Oqovtt)  fitiä  'Pat- 
fiavöv  oönto  rtg  IniifrQttnxo,  rOv  öttoypQv,  f/xof,  fitf  ovyxw(>rlat*y~ 
tittv  ytv(a&tu  tifv  xitQOT0V^(tv-  *'?  fiaxQuv  ol  tlq  Nfxaiav  avy 
tirfkv&oTts  &avtidoavits  roO  filov  xat  rßv  kdytuv  Euorti&iov,  ä^ior  iäo- 
xtpttaav  roO  anootohxoO  &oövov  rjyeiod-ai  xal  Inlaxonov  övxa  rifc 
ytirovos  ßffifioias  tts  'sivriö/Hav  fiiT(oir\(jttv.  Eine  solche  Nachricht 
des  Sozomenus  ist,  wie  wir  S.  324  gesehen  haben,  desto  beachtens- 
werter, je  vereinzelter  sie  steht.  Denn  stimmt  er  mit  Athanasius,  So- 
krates,  Rufinus  oder  Eusebius  überein,  so  kann  man  annehmen,  dafs 
er  aus  ihnen  geschöpft  hat,  während  er  andernfalls  meist  auf  Urkunden 
zurückgeht.  Dafs  der  Bischof  Romanus  in  der  traditionellen  Liste  von 
Antiochia  nicht  vorkommt,  ist  nur  ein  weiterer  Beweis  für  die  gute 
Überlieferung  bei  Sozomenus. 

3)  Dies  Datum  findet  sich  im  Chron.  Pasch,  und  in  den  Akten  des 
Konzils  von  Chalkedon.  Manai  VI,  S.  966.  Über  die  Behauptung  des 
Athanasius,  das  Symbol  sei  nie  datiert  gewesen,  s.  Zeitschr.  f.  K.-G.  X, 
S.  524. 

4)  Ideler  konnte,  auf  unvollständiges  Material  gestützt,  noch  an- 
nehmen, dafs  in  den  Jahren  326,  330,  333,  340,  341  Ostern  in  Rom 


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DAS  NJCÄNISCHE  KONZIL 


355 


erst  das  zwiespältige  Regiment  seiner  Söhne  zerrifs  auch  in 
dieser  Beziehung  den  Zusammenhang  des  Reiches. 

Viel  schwieriger  war  die  Unterdrückung  des  mele- 
tianischen  Schismas.  Meletius  und  seine  Anhänger  hatten 
seit  zwei  Jahrzehnten  das  gesetzliche  Kirchenregiment  mit 
verbissener  Hartnäckigkeit  gestört  und  bekämpft;  durch 
ihre  Zettelungen  war  der  arianischc  Streit  hervorgerufen 
und  die  religiöse  Spaltung  über  den  ganzen  Orient  verbreitet 
worden.  Doch  wenn  man  hiernach  allen  Grund  hatte, 
strenge  gegen  sie  zu  sein,  so  durften  sie  sich  doch  ander- 
seits nicht  mit  Unrecht  „die  Kirche  der  Märtyrer"  nennen, 
und  gerade  jetzt,  nachdem  man  eben  erst  die  Schrecken 
der  Christen  Verfolgung  von  neuem  durchlebt  hatte,  besafs 
dieser  Name  einen  besonderen  Zauber.  Den  Greis,  der  als 
treuer  Bekenner  in  den  fürchterlichen  Bergwerken  von 
Phaino  1  geschmachtet  hatte,  und  die  Geistlichen,  welche 
seiner  Handauflegung  ihre  Weihen  verdankten,  jetzt  als  Auf- 
rührer aus  der  Kirchengemeinschaft  auszuschliefsen ,  das 
konnte  weder  das  Konzil  noch  der  Kaiser  übers  Herz 
bringen.  Wurde  doch  gerade  damals  der  ausschweifendste 
Kultus  mit  den  Männern  getrieben,  die  um  ihres  Glaubens 
willen  gelitten  hatten.  Paphnutius,  dem  Maximinus  das 
rechte  Auge  hatte  blenden  lassen,  lud  Konstantin  wiederholt 
in  seinen  Palast,  um  ihm  begierig  die  leere  Augenhöhle  zu 
küssen 2.    Man  suchte  also  einen  Mittelweg,  der  zugleich 

und  Alexandria  auf  verschiedene  Tage  fielen;  aber  Ilefele,  Koozilien- 
geschichte  1*,  S.  333  durfte  ihm  dies  nicht  nachschreiben.  Denn  jetzt 
kennen  wir  aus  dem  Chronographen  von  354  (Mommsen,  Chronica 
rainora  I,  p.  62)  die  thatsächlichen  Osterfeste  der  römischen  Gemeinde, 
aus  den  Festbiiefen  des  Athanasius  die  der  alexandrinischen,  und  beide 
stimmen  bis  342  überein.  Erst  343  tritt  die  erste  Differenz  ein;  aber 
die  Synode  von  Sardica,  welche  in  demselben  Jahre  tagte,  fafste  auch  aus 
diesem  Grunde  sogleich  wieder  neue  Beschlüsse  über  die  Einheitlichkeit 
der  Feier.  Offenbar  war  also  damals  die  Abweichung  etwas  Ungewohntes 
und  Schreckenerregendes.  Später  hat  sie  sich  freilich  noch  öfter  (350. 
357.  360.  373)  wiederholt. 

1)  Äthan,  hist.  Ar.  ad  mon.  60:  t)£/a><r«v  tfs  fittaHov  unoata- 
Xijvtti,  xal  fidakkov  oi<x  u7iÄßs,  nXl'  ttg  tö  tijg  ^Paivto,  tv&a  xril  yovfvg 
xajadixaiofjitvos  6Uyaq  ijptyas  [x6yti  dvvtriai  {ijoai. 

2)  Rufin.  h.  e.  I,  4. 


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356 


SEECK, 


die  Disziplin  der  Kirche  und  die  Würde  der  Bekenner  zu 
wahren  gestatte;  aber,  wie  alle  Halbheiten,  sollte  er  später 
die  übelsten  Folgen  nach  sich  ziehn. 

Die  von  Meletius  geweihten  Geistliehen  blieben  in  ihren 
Stellungen,  sollten  aber  denjenigen,  welche  der  Bischof  von 
Alexandria  eingesetzt  hatte,  an  Hang  und  Macht  nachstehen 
und  keine  Amtshandlung  ohne  deren  Einwilligung  vornehmen. 
Dafür  machte  man  ihnen  Hoffnung,  wenn  die  rechtmäfsigen 
Inhaber  der  Kirchenämter  stürben,  an  ihre  Stelle  gewählt 
zu  werden;  auf  diese  Weise  gedachte  man  wohl,  durch  all- 
mähliches Aussterben  der  Gegenbischöfc  das  Schisma  in  der 
mildesten  Weise  zu  beseitigen.  Nur  gegen  Meletius  selbst 
verfuhr  man  strenger.  Wegen  der  Unruhen,  die  er  in  den 
Gemeinden  angestiftet  hatte,  wurde  ihm  jede  Amtshandlung 
untersagt,  aber  Titel  und  Ehren  eines  Bischofs  von  Lykopo- 
lis  doch  gelassen  l.  Damit  die  Zahl  der  schismatisehcu 
Kleriker  nicht  noch  später  vermehrt  werde,  liefs  sich  Ale- 
xander von  Meletius  ein  Verzeichnis  aller  Geistlichen  ein- 
reichen, welche  dieser  als  Angehörige  seiner  Sekte  betrach- 
tete und  die  demgemäß»  auf  die  Wohlthaten  des  Konzils- 
beschlusscs  Anspruch  hatten  *  Dafs  diese  Anordnungen 
nicht  sehr  weise  waren  und  den  Streit  keineswegs'  schlichte- 
ten, sondern  nur  in  Permanenz  erklärten,  bedarf  wohl  keines 
Wortes. 

Gleichwohl  war  man  hocherfreut,  fast  mit  Einstimmig- 
keit etwas  geschaffen  zu  haben,  was  zunächst  wie  Frieden 
aussah.  Triumphierende  Synodalbriefe  wurden  an  alle  Ge- 
meinden versandt;  der  Kaiser  liefs  es  sich  nicht  nehmen, 
die  hergestellte  Einheit  des  Osterfestes  auch  seinerseits  durch 
ein  Rundschreiben  der  ganzen  Christenheit  kundzuthun ;  und 
nachdem  sie  noch  am  25.  Juli  325  seine  Vicennalien  mit- 
gefeiert hatten,  gingen  die  Mitglieder  der  Synode  sehr  be- 
friedigt auseinander. 

Bald  sollten  Ereignisse  eintreten,  die  zuerst  bei  dem 


1)  Synodalschreiben  bei  Soer.  I,  9,  Gff.  Theod.  I,  9,  7  ff.  Gelas. 
II,  33  =  Mansi  II,  S.  909.    Vgl.  Äthan,  apol.  c.  Ar.  59. 

2)  Äthan,  apol.  c.  Ar.  71. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


357 


Kaiser,  dann  auch  bei  seiner  getreuen  Geistlichkeit  einen 
vollständigen  Umschlag  der  Stimmung  herbeiführten.  Kon- 
stantia stand  von  jeher  bei  ihrem  Bruder  in  hohem  Ansehen, 
und  durch  den  Sturz  ihres  Gemahls  wurde  ihr  Einflufs  kaum 
vermindert.  Obgleich  sie  den  Titel  Augusta  ablegen  mufste, 
liefs  Konstantin  doch  noch  später  auf  ihren  Namen  Münzen 
schlagen,  eine  Ehre,  deren  eine  Seitenverwandte  des  Herrschers 
sonst  nie  gewürdigt  wurde  K  Und  zu  ihr  gesellte  sich  in  dieser 
Zeit  noch  ein  anderer  Fürsprecher  der  Arianer,  der  gleich- 
falls aus  dem  Lager  des  Licinius  hervorgegangen  war. 

Konstantin  hatte  es  immer  als  Pflicht  der  Gerechtig- 
keit betrachtet  ,  die  treuen  Diener  seiner  gestürzten  Feinde 
nicht  zu  strafen,  sondern,  falls  sie  dessen  würdig  waren,  so- 
gar ganz  besonders  zu  ehren  und  auszuzeichnen  2.  So  hatte 
er  auch  den  PrUfectus  Prätorio  des  Licinius,  Caeionius 
Julianus,  seinen  eigenen  Beamten  als  Muster  aufgestellt,  ihn 
gleich  nach  dem  Siege  zum  Konsuln  für  das  Jahr  325  er- 
nannt und  verheiratete  dessen  Tochter  Basilina  später  so- 
gar mit  seinem  Bruder  Julius  Konstantius  3.  Dieser  Mann 
war  mit  Eusebius  von  Nikomedia  verwandt 4  und  machte 


1)  Cohen.  Medailles  imperiales  VTF,  S.  211.  Die  Aufschrift 
lautet:  Constantia  n(obilis8itna)  f(emina)  und  auf  dem  Revers:  soror 
Constantini  Aug(usti).  —  Pietas  publica.  Da  die  Buchstaben  im  Ab- 
schnitt schon  die  Münzstätte  von  Konstantinopel  nennen  (Com.  B),  so 
kann  die  Münze  nicht  vor  330  geschlagen  sein. 

2)  Seeck,  Geschichte  des  Untergangs  der  antiken  Welt  I,  S.  132. 

3)  Seeck,  Symmachus,  p.  CLXXVII.  An  dieser  Stelle  habe  ich 
noch  geglaubt,  der  Tyrann,  in  dessen  Diensten  Julianus  stand,  sei  Ma- 
xeutius  gewesen.  Dazu  veranlafste  mich  namentlich  eine  Urkunde,  in 
der  ein  Julianus  schon  um  das  Jahr  316  als  Präfekt  Konstantins  ge- 
nannt wird.  Seitdem  aber  habe  ich  Zeitschr.  f.  Kirchengesch.  X,  S.  551 
sie  als  Fälschung  erwiesen.  Da  nun  dieser  Grund  hinwegfällt,  ist  um 
so  mehr  der  andere  zu  berücksichtigen,  dafs  jener  Julianus  ein  Ver- 
wandter des  Eusebius  von  Nikomedia  war,  und  dieses  weist  ihn  ent- 
schieden in  den  Kreis  des  Licinius. 

4)  Amm.  XXII,  9,  4  sagt  von  Kaiser  Julian,  er  sei  in  Nikomedia 
educatus  ab  Eusebio  episcopo,  quem  genere  longius  contingtbat.  Diese 
Verwandtschaft  kann  nur  durch  Basilina,  die  Mutter  des  Julian,  ver- 
mittelt sein,  da  sich  für  die  Familie  Konstantins  unmöglich  irgendeine 
Beziehung  zu  dem  Bischof  annehmen  lafst.   Hierzu  pafst  es,  dafs  Ba- 


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358 


SEKCK, 


begreiflicherweise  seinen  mächtigen  Einflufs  tur  ihn  geltend. 
Und  bald  machten  Umstände,  die  scheinbar  von  den  kirch- 
lichen Fragen  ganz  unabhäagig  waren,  aber  doch  auf  sie 
zurückwirkten,  den  Kaiser  seinen  Ratschlägen  zugänglich. 

Bis  zum  Konzil  von  Nicäa  war  Konstantin  ein  Glücks- 
kind sondergleichen  gewesen ;  jedes  Unternehmen,  mochte  es 
noch  so  halsbrechend  scheinen,  war  ihm  günstig  ausgeschlagen ; 
der  Segen  Gottes  hatte  ihn,  wie  er  selber  dies  auslegte,  sicht- 
barlich  begleitet.  Kaum  aber  waren  Arius  und  seine  Ge- 
nossen in  die  Verbannung  gezogen,  so  trafen  ihn  die  schwer- 
sten Schicksalsschläge.  Schon  dafs  Licinius,  dem  er  kurz 
vorher  das  Leben  geschenkt  hatte,  wieder  neue  Ränke  spann 
und  er  sich  325  gezwungen  sah,  den  Gatten  seiner  Schwester 
hinrichten  zu  lassen,  wird  ihm  sehr  schmerzlich  gewesen 
sein.  Im  Jahre  326  wurde  dann  sein  ältester  Sohn  Crispus 
der  Blutschande  und  des  Ehebruchs  bezichtigt  und  fiel  diesem 
Verdachte  zum  Opter;  nicht  lange  darauf  stellte  sich  die 
Kaiserin  Fausta  als  die  wirklich  Schuldige  heraus  und  mufste 
auch  ihrerseits  den  Tod  erleiden.  Zu  keiner  Zeit  war  man 
bereitwilliger,  in  jedem  Ereignis  den  Finger  Gottes  zu  er- 
blicken, als  im  vierten  Jahrhundert.  Konstantia  und  Ju- 
lianus kann  es  nicht  schwer  gefallen  sein,  dem  tiefgebeugten 
Kaiser  klar  zu  machen,  dals  sein  Familien unglück  eine 
Strafe  datur  sei,  weil  er  den  Arm  der  weltlichen  Macht  da- 
zu hergeliehen  habe,  um  Männer,  die  bei  den  Ihrigen  im 
Gerüche  der  Heiligkeit  standen,  von  ihren  Gegnern  unter- 
drücken zu  lassen. 

Dazu  kam  noch  ein  Zweites.  Gerade  um  jene  Zeit 
wurde,  wie  es  scheint,  der  Märtyrer  Lucianus  plötzlich  zum 
Modeheiligen.  Die  Gründe  dafür  kennen  wir  nicht;  doch 
pflegt  in  unterdrückten  Gemeinden  die  gläubige  Begeiste- 
rung ja  raeist  am  gröfsten  zu  sein,  und  „das  Wunder  ist 
des  Glaubens  liebstes  Kind".  Danach  ist  es  sehr  wahr- 
scheinlich, dafs  von  den  Reliquien  des  Blutzeugen,  den  die 
A rianer  als  ihren  besonderen  Schützer  betrachten  mufsten, 


silina  bei  Äthan,  hist.  Ar.  ad  mon.  6  6  als  sehr  entschiedene  Partei- 
gängerin der  Arianer  auftritt. 


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DAS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


359 


gerade  jetzt,  wo  ihre  Sekte  geschmäht  und  bedrückt  war, 
sehr  viele  und  glänzende  Wunderzeiclien  bekannt  wurden. 
Doch  wie  dem  immer  sein  mag,  jedenfalls  schwärmte  die 
Kaiserin  Mutter,  die  über  ihren  Sohn  sehr  viel  vermochte, 
für  den  heiligen  Lucianus,  und  als  Konstantin  ihr  die  Ehre 
erwies,  eine  Stadt  des  Reiches  neuzugründen  und  nach  ihrem 
Namen  umzubenennen,  wählte  sie  dazu  Drepana  in  Bi- 
thynien,  wo  seine  Gebeine  aufbewahrt  wurden.  Bei  der 
Einweihung  der  neuen  Helenopolis  im  Herbst  327  wurde 
der  Kultus  des  arianischen  Märtyrers  zum  Mittelpunkte  der 
ganzen  Feier  *.  Vielleicht  wurden  auch  diejenigen,  welche 
Schüler  des  Heiligen  gewesen  waren,  Arius  und  Eusebius, 
Maris  und  Theognis,  zu  diesem  Feste  eingeladen  und  ihre 
Verbannung  bei  dieser  Gelegenheit  aufgehoben  oder  unter- 
brochen. Jedenfalls  stand  der  abgesetzte  Bischof  von  Niko- 
media,  wie  wir  sogleich  sehn  werden,  um  jene  Zeit  und 
selbst  schon  früher  zu  dem  Kaiserhofe  wieder  in  engen  Be- 
ziehungen. 

•  * 

Unterdessen  war  in  Ägypten  eingetreten,  was  jeder 
Scharfblickende  hätte  voraussehn  können.  Die  meletianischen 
Kleriker  waren  in  ihren  Stellungen  geblieben  und  zu  jeder 
Amtshandlung  befugt,  aber  nur  —  wenn  ihre  katholischen 
Kollegen  es  erlaubten.  Da  dies  selbstverständlich  niemals 
geschah,  sahen  sie  sich  völlig  kaltgestellt.  Wenigstens  ihre 
Gottesdienste  wollten  sie  nach  wie  vor  abhalten,  und  da 
Alexander  sie  als  Metropolitan  von  Ägypten  daran  hinderte, 
auch  nach  dem  Wortlaute  des  Konzilienbcschlusses  dazu 
berechtigt  war,  schickten  sie  eine  Gesandtschaft  an  den 
Kaiser,  um  sich  von  ihm  die  Erlaubnis  zu  erwirken. 

1)  Philost.  II,  12:  ij  toO  ßttoiXtos  Kwaxuvrlvov  fitjrriQ'EXtvr}  Im  itp 
OTÖuttTi  toO  rijf  Nucoutjötiaf  xöXnov  noXtv  (SttfAuro,  'EXtvonoXtv  ai'Tfjv 
Inovoutiotiaa '  aanäoaa9at  rö  ytoofov  xax'  äXXo  uiv  oirdfv,  6r*  <T£ 
^iovxmvbi  6  fiaQTvg  fxtiot  ri'yfo*  fiträ  top  /uaQjvgutöv  d-üvajov  vnö  ötX- 
yivos  lxxofAtod-t(g.  Dies  bestätigt  auch  die  halboffizielle  Chronik  von 
Konstantinopel,  in  der  nach  den  übereinstimmenden  Zeugnissen  des 
Hieron.  chron.  2343,  des  Socr.  I,  17,  1  und  des  Chronikon  Paschale 
unter  dem  Jahre  327  folgende  Notiz  stand:  Drepanam  Bithyniac  civi- 
tatem  in  honorem  martyris  Luciani  ibi  conditi  Constantinu» 
inttaurans  ex  vocabula  matris  suae  Helenopolin  nuneupavit. 


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360 


SEECK, 


Seit  sich  in  Konstantin  die  Empfindung  geregt  hatte, 
dafs  seine  Entscheidung  des  arianischen  Streites  sündig  ge- 
wesen sei,  machte  ihm  das  neuerwachte  Scbuldbewufstsein 
die  ägyptischen  Wirren  tief  verhafst:  namentlich  gegen  die 
Meletianer,  die  den  ganzen  Sturm  erregt  hatten,  hegte  er 
den  gröfsten  Widerwillen.  Als  sie  nun,  nachdem  das  Kon- 
zil sie  scheinbar  so  milde  behandelt  hatte,  wieder  mit  neuen 
Klagen  kamen,  wollte  er  ihre  Abgesandten  gar  nicht  vor- 
lassen. Unthätig  und  hoffnungslos  trieben  sie  sich  in  der 
damaligen  Residenz  des  Kaisers  umher,  ohne  ihren  Auf- 
trag erfüllen  zu  können.  Da  gesellte  sich  Eusebius  von 
Nikomedia  zu  ihnen  und  versprach,  den  Einflufs,  deu  er 
wieder  bei  Hofe  gewonnen  hatte,  zu  ihren  Gunsten  geltend 
zu  machen,  falls  sie  ihrerseits  mit  Arius  und  seinen  Genossen 
in  Kommunion  treten  wollten.  Freilich  hatten  diese  sich 
vorher  verpflichtet,  das  nieänische  Symbol  anzuerkennen, 
jedenfalls  mit  denselben  Mental reservationen ,  wie  Eusebius 
von  Caesarea  und  mancher  andere.  Auf  diesen  Vorschlag 
gingen  die  Meletianer  ein  und  fanden  jetzt  sogleich  bei 
Konstantin  williges  Gehör.  Denn  da  er  den  stillen  Wunsch 
hegte,  seine  Urteile  gegen  die  verbannten  Kleriker  rück- 
gängig zu  machen,  so  konnte  ihm  nichts  willkommener  sein, 
als  wenn  eine  Sekte,  deren  Rechtgläubigkeit  keiner  bezweifelte, 
ja  die  sogar  den  Streit  gegen  die  arianischen  Lehren  selbst 
eröffnet  hatte,  die  Schüler  des  Lucianus  jetzt  als  kirchen- 
ßihig  gelten  liefs  *. 

Allerdings  konnte  sieh  der  Kaiser  nicht  cntschliefsen, 
die  Beschlüsse  eines  Konzils,  das  mit  so  grofsem  Pomp  als 
vollgültiger  Vertreter  der  gesamten  Christenheit  gefeiert 
war,  durch  eine  andere  Synode  umstofsen  zu  lassen.  Doch 
diese  Schwierigkeit  liefs  sich  heben,  wenn  auch  in  diesem  Falle 
dieselbe  Waffe,  welche  die  Wunde  geschlagen  hatte,  sie  wie- 
der heilte.  Er  berief  daher  nicht  ein  zweites  Konzil,  sondern 
dasselbe  zum  zweitenmal  (S.  70).  Freilich  bestand  dieser 
Unterschied  nur  im  Namen.  Denn  zu  einer  ökumenischen 
Synode  mufsten  selbstverständlich  die  Einladungen  an  alle 


1)  Epiph.  haer.  Ü8,  5.  6 


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IMS  NICÄNISCHE  KONZIL. 


361 


Gemeinden  der  Christenheit  versandt  werden.  Jeder  an- 
erkannte Bischof,  auch  wenn  er  der  ersten  Tagung  nicht 
beigewohnt  hatte,  konnte  also  bei  der  zweiten  erscheinen; 
der  Personalbestand  wird  daher  gewifs  ein  wesentlich  ver- 
schiedener gewesen  sein.  Immerhin  blieb  die  Form  gewahrt, 
dafs  die  Verfügungen  des  grofsen  Konzils  von  Nicäa  nur 
durch  dasselbe  Konzil  reformiert,  nicht  durch  ein  anderes 
umgeworfen  wurden,  und  die  katholische  Kirche,  Athanasius 
an  der  Spitze,  hat  auch  wirklich  die  Identität  der  beiden 
Versammlungen  anerkannt.  Unmittelbar  nach  der  Ein- 
weihung von  Helenopolis,  noch  voll  von  Begeisterung  für 
den  heiligen  Lucianus,  erschien  Konstantin  zum  zweitenmal 
in  der  Mitte  seiner  Bischöfe,  und  dafs  er  jetzt  Milde  für 
die  Schüler  des  Märtyrers  predigte,  verstand  sieh  von  selbst. 
Irgendeinen  Druck  aufser  dem  moralischen  seiner  persön- 
lichen Uberzeugung  wird  der  Kaiser  kaum  ausgeübt  haben; 
aber  er  genügte,  um  die  Schwachen  und  Unentschlossenen, 
die  hier,  wie  in  jeder  grofsen  Versammlung,  die  ungeheure 
Mehrheit  bildeten,  zur  Umkehr  zu  bewegen.  Prinzipiell  freilich 
vergab  man  sich  nichts;  Arius  mufste  das  Bekenntnis  unter- 
schreiben. Aber  er  wurde  doch  zur  Unterschrift  zugelassen, 
und  mit  ihm  zugleich  wohl  auch  Secundus,  Theonas  und 
Maris  Bald  darauf  gaben  auch  Eusebius  von  Nikomedia 
und  Theognis  von  Nicäa  durch  ihren  noch  erhaltenen  Brief 
Erklärungen  ab,  die  dem  Konzil  genügten  (S.  36).  Sie 
wurden  in  ihr  Bischofsamt  zurückgeführt  und  diejenigen, 
welche  es  in  der  Zwischenzeit  bekleidet  hatten,  mufsten  wei- 
chen. Auch  die  Meletianer  erhielten  ihren  Lohn,  indem 
man  ihre  Sonderversammlungen  gestattete  und  damit  auf  jede 
Hoffnung  verzichtete,  das  Schisma  beizulegen  *. 

Ende  November  327  löste  Konstantin  das  Konzil  zum 
zweitenmal  auf,  diesmal  endgültig  (S.  69).  Alexander,  der  trotz 
seines  hohen  Alters  wieder  in  Nicäa  erschienen  war,  kehrte 
in  sein  Bistum  zurück  und  machte  sich  schweren  Herzens 


1 )  Über  das  spätere  Fortleben  der  meletianischen  Sekte  vgl.  Theod. 
Haer.  fab.  IV,  7  =  Migue  Gr.  83,  S.  425.  Äthan,  hist.  Ar.  ad 
mon.  78. 


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362 


SEECK,  DAS  KICÄXISCHE  KONZIL. 


bereit,  den  Arius  und  die  übrigen  Kleriker,  mit  denen  er  so 
lange  Jahre  in  erbittertem  Streit  gelegen  hatte,  wieder  in 
ihre  kirchlichen  Amter  einzusetzen.  Doch  sollte  diese 
Schmach  dem  tiefgebeugten  Greise  erspart  bleiben.  Nach- 
dem er  von  der  weiten  Reise  heimgekehrt  war,  verfiel  er 
sehr  bald  in  eine  Krankheit,  die  ihm  am  17.  April  328  den 
Tod  gab,  und  jetzt  trat  mit  Athanasius  ein  anderer  Kämpe 
auf  die  Walstatt,  der  mit  grofsartiger  Uberzeugungstreue 
und  rücksichtsloser  Energie  den  Streit  wieder  aufnahm  und 
ihn  endlich  nach  vielen  Wechseltallen  auch  siegreich  zu 
Ende  führte. 


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Peter  von  Murrhone  als  Papst  C  ölest  in  V. 

Von 

Dr.  Hans  Schulz  in  Berlin. 


1.  Die  Wahl. 

Peter  1  war  um  1215  in  den  Abruzzen  als  Sohn  ein- 
facher Leute  geboren.  Mit  20  Jahren  trat  er  in  den  Bene- 
diktinerorden und  lebte  dann  längere  Zeit  zurückgezogen 
auf  dem  Murrhone,  später  auf  dem  Majella.  Aus  der  Menge 
Weltflüchtiger,  die  sich  trotzdem  bald  um  ihn  sammelten, 
bildete  sich  der  Orden  der  Murrhoniten,  welchen  Urban  IV. 
1264  dem  der  Benediktiner  unterstellt  haben  soll 8.  Aus 
neueren  Veröffentlichungen  Ehrles  3  ergiebt  sich ,  dafs  Peter 
schon  als  Prior  des  Klosters  vom  heiligen  Geiste  bei  Majella 
Beziehungen  zu  Spiritualen  hatte,  namentlich  zu  Angelus 
de  Clarino  und  Peter  von  Macerata.  Dagegen  ist  der  Be- 
richt von  seiner  Reise  zum  Konzil  in  Lyon  (1274)  mit 
seiner  Wunderausstattung  wohl  zurückzuweisen;  auch  die 
Angaben  über  die  bedeutende  Vergröfserung,  welche  der 
Orden  infolge  der  dort  von  Gregor  X.  erhaltenen  Bestäti- 

1)  Ich  fasse  hier  kurz  den  Inhalt  meiner  Dissertation  „Peter  von 
Murrhone  (Papst  Cölestin  V.)",  Berlin,  W.  Weber,  1894,  zusammen.  — 
Das  erste  Kapitel,  welches  die  Vergangenheit  Peters  und  seine  Person 
behandelt,  beginnt  mit  einer  kurzen  Betrachtung  der  Hauptquellen  über 
das  Leben  des  merkwürdigen  Mannes,  unter  denen  das  Gedicht  des 
Kardinals  Stephaneschi  sowohl  dem  Umfang  als  dem  Werte  nach  die 
erste  Stelle  einnimmt. 

2)  Die  Echtheit  dreier  auf  den  Orden  bezüglicher  Bullen  aus  den 
Jahren  1249,  1264,  1272  ist  fraglich. 

8)  Arch.  f.  Litt.  u.  Kirchengesch.  d.  Mittelalt.  II,  308  ff. 


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364 


SCHULZ, 


gung  erfahren  haben  soll,  mögen  auf  Rechnung  der  späteren 
Cölestiner  zu  setzen  sein. 

Die  Aussagen  der  Quellen  über  Peters  Persönlichkeit 
sind  stark  beeinflulst  durch  die  spätere  Stellung  der  Ver- 
fasser zu  Bonifaz  VIII.  So  viel  wir  sehen,  taugte  Peter 
einzig  und  allein  zum  Asketen,  für  gröfsere  Verhältnisse 
fehlte  ihm  jeder  Sinn;  auch  auf  dem  Throne  blieb  er  der 
einfache,  nur  auf  sein  Seelenheil  bedachte  Mönch.  Ohne 
den  Pomp  der  Kurie  brach  er  auf  einein  Esel  von  seinem 
Berge  auf,  und  im  Palast  zu  Neapel  bewohnte  er  nur  ein 
einziges  Zimmer,  schliefslich  nur  eine  hölzerne  Zelle.  Ein 
ebenso  asketisches  Leben  sollten  nach  seinem  Wunsche  die 
Kardinäle  führen.  Seiner  geringen  geistigen  Fähigkeiten 
war  er  sich  selbst  wohl  bewufst:  die  Quellen  berichten,  dafs 
die  Kardinäle  sich  vor  ihm  sogar  in  den  Konsistorien  des 
Italienischen  bedienen  mufsten  und  er  zumeist  einen  anderen 
mit  seiner  Vertretung  beauftragte,  wenn  es  galt,  öffentlich 
zu  reden.  Die  Versuche  des  Lelius  Marinus  und  Hefeies, 
ihm  höhere  Bildung  zuzuschreiben,  müssen  demnach  als  ver- 
fehlt gelten;  auch  die  umfangreichen  Schriften,  die  er  nach 
Telera  verfafst  hat,  dürften  schwerlich  von  ihm  herrühren. 

Nachdem  das  von  Parteiinteressen  zerrissene  Kardinals- 
kolleg während  zweier  vollen  Jahre  zu  keiner  Einigung 
hatte  kommen  können,  griff  im  März  1294  Karl  II.  von 
Neapel  ein  in  der  Absicht,  sich  ein  Werkzeug  für  seine 
gegen  Sizilien  gerichtete  Politik  zu  schaffen.  Bei  einem 
kurzen  Besuche  in  Perugia  wurden  die  ersten  Beziehungen 
angeknüpft,  nicht  ohne  sofort  den  lebhaften  Widerstand  der 
Partei  der  Kolonna,  an  deren  Spitze  Benedikt  Gaetani  (der 
spätere  Bonifaz  VIII.)  stand,  zu  erregen.  Natürlich  traten 
nun  ihre  Gegner,  die  Ursini,  geführt  von  Latinus  Malabran- 
ka,  auf  die  Seite  des  Königs.  Da  die  Kandidatur  eines 
Mitglieds  des  Kollegiums  aussichtslos  war,  lenkte  Latinus 
die  Aufmerksamkeit  Karls  auf  jenen  Einsiedler  in  den 
Abruzzen,  zu  dem  er  seit  längerem  Beziehungen  unterhielt; 
es  gelang  am  5.  Juli  1294,  die  Gegner  zu  überrumpeln  und 
die  Wahl  des  „heiligen  Mannes"  durchzusetzen.  Dieselbe 
war  also  ein  Ergebnis  des  Zusammenwirkens  Karls  II.  mit 


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PETEK  VON  MUKKHONE  ALS  PAI'ST  CULESTIN  V. 


365 


einer  Partei  der  Kardinäle,  welche  ebenso  wie  ihre  Gegner 
unter  der  Regierung  eines  schwachen  und  unerfahrenen 
Papstes  ihre  Rechnung  zu  finden  hofften. 

Sogleich  nach  der  Wahl  begann  das  Intriguenspiel  von 
neuem,  denn  jede  Partei  wollte  sich  des  Papstes  zuerst  be- 
mächtigen. Auch  der  König  und  sein  Sohn  hielten  sich  in 
der  Nähe,  als  bei  dem  Einsiedler  die  Gesandtschaft  des 
Kardinalskollegs  erschien,  welche  ihm  die  höchste  Würde  der 
Christenheit  anbot.  Nachdem  Peter  sich  von  seinem  Er- 
staunen erholt  und  im  Gebete  mit  sieh  zu  Rate  gegangen, 
erklärte  er,  die  Wahl  annehmen  zu  wollen,  um  nicht  die 
Strafe  Gottes  auf  sich  und  grofses  Unheil  über  die  Kirche 
heraufzubeschwören ,  wenn  er  um  seines  eigenen  Friedens 
willen  den  römischen  Stuhl  im  Stich  liefse. 

Diese  eigentümliche  Wahl  findet  aber  ihre  volle  Er- 
klärung erst  aus  den  schon  angedeuteten  Beziehungen  Peters 
zu  den  Spiri^ialen.  Das  ganze  Jahrhundert  hindurch  war 
man  schon  in  Italien  mit  reformatorischen  und  apokalyp- 
tischen Anschauungen  erfüllt.  Die  Ideeen  des  Abtes  Joachim 
von  Fiore,  besonders  seine  Lehre  von  den  drei  Weltperioden, 
deren  letzte,  die  der  Mönche,  im  Jahre  1260  hatte  beginnen 
sollen,  waren  aufgenommen  von  der  sich  allmählich  im 
Franziskancrordeu  bildenden  strengeren  Partei.  In  Schriften 
wie  dem  Introductorius  in  evangelium  aeternum  von  Gerard 
um  1254,  der  Postilla  super  Apocalypsi  des  Johann  von 
Olivi  und  den  Kommentaren  zu  Jesaja  und  Jereraia,  die 
unter  dem  Namen  Joachims  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhun- 
derts geschrieben  wurden,  zeigt  sich  die  Vereinigung  deut- 
lich, und  man  sieht  zugleich,  dafs  die  Verfasser  sich  der- 
selben voll  bewufst  waren.  Die  Bewegung  ergriff  sowohl 
die  höheren  Kreise  der  Hierarchie  —  selbst  den  Ordens- 
general Johann  von  Parma,  der  wiederum  zu  Innocenz  IV. 
und  Alexander  IV.  in  Beziehungen  stand  —  als  auch  ganz 
besonders  die  unteren  Bevölkerungsschichten:  1231  ver- 
urteilte Gregor  IX.,  1245  Jnnocenz  IV.  die  Anhänger 
dieser  Richtung,  1255  und  1260  (1263?)  wurden  ihre 
Schriften  verdammt,  1257  Johann  von  Parma  gestürzt,  aber 
ihre  Lehren  fanden  immer  neue  Vertreter,  unter  denen  Jo- 


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366 


SCHULZ, 


hann  von  Olivi  wohl  der  bedeutendste  war.  Die  gleiche 
Tendenz  verfolgten  die  um  1260  von  Gerard  Segarelli  ge- 
stifteten Apostelbrüder  und  dessen  Schüler  Dolcino  von  No- 
vara  in  Dalmatien. 

An  dem  Hauptsitz  der  Bewegung,  der  von  jeher  in 
Unteritalien  gewesen  war,  verbrachte  Peter  seine  gesamte 
Lebenszeit.  Die  Eiferer  aber  erblickten,  sobald  seine  Wahl 
bekannt  geworden  war,  in  ihm  den  Papst,  welchen  die  zahl- 
reichen Prophezeihungen  verheifsen  hatten.  Ptolemäus  von 
Lucca  berichtet  als  Augenzeuge,  wie  zahllose  Scharen  zur 
Krönung  Cölestins  V.  in  Aquila  zusammenströmten  und 
der  Papst  immer  wieder  an  das  Fenster  treten  mufste,  um 
das  Volk  zu  segnen.  Bald  erschien  eine  vom  Franziskaner- 
general geschickte  Gesandtschaft,  welche  die  günstigste  Auf- 
nahme fand.  Peter  lud  sie  ein,  in  seinen  eigenen  Orden 
einzutreten,  und  als  die  Franziskaner  das  aus  leicht  begreif- 
lichen Gründen  ablehnten ,  gewährte  er  ihnen  weitgehende 
Freiheiten,  stellte  sie  unter  seinen  besonderen  Schutz  und 
legte  ihnen  den  Namen  der  Cölestinereremiten  bei.  Der  be- 
kannte Jakopone  von  Todi  aber,  dem  seine  eigene  Partei 
noch  nicht  weit  genug  ging,  wandte  sich  mit  einem  Gedichte 
unmittelbar  an  Cölestin,  welches  die  hochgespannten  Er- 
wartungen wiederspiegelt,  mit  denen  man  auf  den  mönchi- 
schen Papst  blickte. 


2.  Der  Pontiflkat. 

Es  ist  selbstverständlich,  dafs  ein  Papst  von  der  Art 
Peters  die  Zügel  der  Regierung  nicht  selbständig  fuhren 
konnte,  sondern  anderen  Händen  überlassen  mufste.  In 
dieser  Erwartung  hatten  ja  auch  Karl  IL,  Latin u 8  und 
Benedikt  der  Wahl  zugestimmt,  wie  verschiedenartig  auch 
sonst  ihre  Absichten  waren.  Aber  der  nur  für  einen  Augen- 
blick zugedeckte  Widerstreit  ihrer  Interessen  mufste  sofort 
von  neuem  zu  Tage  treten,  sobald  einer  von  ihnen  sein 
Ziel  wirklich  erreichte. 


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PETER  VON  MUKRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  367 

Der  erste ,  welcher  zugriff ,  war  der  König  l.  Als  der 
neu  Gewählte,  begleitet  von  Karl  Martell,  Peter  Colonna 
und  den  Gesandten  der  Kardinäle,  von  denen  jeder  seine 
Rechnung  bei  ihm  zu  finden  hoffte,  vom  Murrhone  herab- 
stieg und  am  Fufse  desselben  einige  Tage  im  Kloster  des 
heiligen  Geistes  bei  Sulmona  verweilte,  erschien  Karl  II. 
dort  und  wich  fortan  nicht  mehr  von  seiner  Seite  *.  Durch 
seine  persönliche  Gegenwart  erlangte  er  ein  entschiedenes 
Übergewicht  über  die  noch  in  Perugia  weilenden  Kardinäle: 
er  bestimmte  den  Papst  nicht  allein  zu  einer  abschlägigen 
Antwort  auf  die  vom  Kardinalskollegium  zugleich  mit  dem 
Wahldekret  an  Peter  gerichtete  Bitte,  nach  Perugia  zu 
kommen  3,  sondern  er  wufste  ihn  auch  für  mehrere  Monate 
dem  Einflüsse  der  Kardinäle,  welche  die  rechtmäfsigen  Ver- 
treter des  unfähigen  Papstes  gewesen  wären,  fast  völlig  zu 
entziehen  und  seinen  eigenen  an  dessen  Stelle  zu  setzen. 

Um  denselben  zu  befestigen  und  leichter  ausnutzen  zu 
können,  umgab  er  vor  allem  den  neuen  Papst  mit  Männern, 
welche  ihn  nach  seinen,  d.  h.  des  Königs  Wünschen,  leiteten  4. 
Johannes  von  Castrocoeli  6,  der  Erzbischof  von  Benevent, 

1)  Neues  Material  zu  der  folgenden  Darstellung  böte  vielleicht  noch 
„eine  umfangreiche,  ziemlich  ordnungslose  Kompilation  eines  Minoriten, 
der  wohl  zweifellos  im  Konvent  zu  Assisi  schrieb",  welche  Holder- Egger 
einer  Mitteilung  im  Neuen  Archiv  X,  227  zufolge  in  Assisi  gesehen  hat. 
,,Quateruio  XV  schliefst  mit  Papst  Cölestin  V.  und  einem  Bericht  über 
Karl  II.  von  Sicilien."  Nach  X,  236  handelt  ein  Kapitel  ,.I)e  s.  Ce- 
lestino  papa  et  Honifacio  papa  etc."  ...  „Da  noch  20  eng  geschriebene 
Folien  folgen,  ist  die  Geschichte  des  13.  Jahrhunderts  veihältnismäfsig 
ausführlich  behandelt." 

2)  Das  Itinerar  Cölestius  V.  bei  Potthast  II,  1919;  zu  dem  Karls  II. 
vgl.  Amari,  La  guerra  del  vespro  sicil.  (Paris  1843),  II,  60—62  Anm. 
Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Rom  (1678),  V,  497— 498  Anm.  Hiccio, 
Saggio  di  cod.  diplom.  1882. 

3)  Bei  Raynald  1294,  7  das  Wahldekret.  Vgl.  Ptol.  Luc.  XXIV, 
30:  -iimul  cum  decreto  cardinales  eidem  literas  transmittunt  et  suae 
Sanctitati  significant,  ut  ad  locum  communem,  ubi  sua  facta  erat  electio, 
dignaretur  venire,  llle  vero  ad  instautiam  rejzis  venire  recusat,  quin 
immo  eisdem  mandavit,  ut  ad  ipsam  veniant. 

4)  Jac.  Card.  III  I,  74  ff. 

5)  Nikolaus  von  Castrocoeli  wurde  Bischof  von  Aquila.  Ughelli, 
Ital.  Sac.  I,  382. 

Zeitschr.  f.  K  -0.  XVII.  3.  24 


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3G8 


SCHULZ, 


wurde  Peters  Vizekanzler  und  Bartholomäus  von  Capua, 
ein  Laie,  sein  Geheimsehreiber.  Auch  die  wichtige  Stelle 
des  Kapitäns  des  Kirchenstaates  wurde  mit  einem  Unter- 
thanen  Karls  besetzt  l. 

Die  Gefahr,  welche  die  Ernennung  so  wichtiger  Beamten 
der  Kurie  durch  Karl  II.  schon  von  vornherein  in  sich  barg, 
wird  noch  ersichtlicher,  wenn  man  einen  kurzen  Blick  auf 
die  Vergangenheit  der  genannten  Männer  wirft.    Der  erste 
von  ihnen  hatte  in  früherer  Zeit,  obwohl  er  ein  hoher  kirch- 
licher  Würdenträger  war,   Rom  gegenüber  eine  ziemlich 
zweifelhafte  Rolle  gespielt.    Die  Kirche  hatte  sich  in  dem 
Vertrage  mit  Karl  I.  von  Anjou  die  Stadt  Benevent  aus- 
drücklich vorbehalten  *,  Johann  von  Castrocoeli  aber,  der 
Erzbischof,  suchte  im  Jahre  1289  den  päpstlichen  Rektor, 
Johann  Boccaporco,   beiseite  zu  drängen   und  sich  selbst 
die  Rechtsprechung  anzueignen  3.    Wegen  der  Überschrei- 
tungen seiner  Befugnisse  zur  Rechtfertigung  nach  Rom  ge- 
laden, versammelte  4  er  die  Bewohner  der  Stadt,  verschaffte 
sich  die  Schlüssel  zu  allen  Thoren  und  erklärte,  er  werde 
deshalb,  „weil  er  die  Bürgerschaft  aus  den   Händen  der 
Rektoren  der  römischen  Kirche  oder  aus  den  Händen  der 
romischen  Kirche  selbst  habe  befreien  wollen",  vor  die  Kurie 
gerufen!  —  Nach  alledem  scheint  es  nicht  nur  auf  einem 
Zufall  zu  beruhen,  dafs  sich  später  die  Unzufriedenheit  der 
Kardinäle  mit  Cölestins  Regierung  gerade  bei  des  Erzbischofs 
Ernennung   zum   Kardinal   zuerst   und    so  nachdrücklich 
geltend  machte  5. 

1)  Pflugk-Hartung.  Her  Italicum  (1883),  p.  567.  —  Pottbast 
Nr.  23960.  23961. 

2)  Raynald  1289,  2.  —  Sterufeld,  Karl  von  Anjou  (1888), 
S.  224. 

3)  Das  Nähere  bei  Stefano  Borgia,  Meinorie  istoiiche  .  .  .  di 
Benevento  (Rom  1769)  II,  265—270. 

4)  a.  a.  0.:  ipse  fecit  vocari  totam  vel  maiorem  partem  universi- 
tatis  et  dixit  et  proposuit  inter  eos,  quod  propterea,  quia  volebat  eos 
liberare  de  manibus  Rcctonmi  Ecclesiae  Romanae  sive  de  manibus 
ipsius  ecclesiae  et  dare  eis  libertatem,  ipse  vocatus  erat  ad  Curiam. 

5)  AusAnlafs  der  sechsten  Centenarfeier  des  Pontifikats  Cölestins  V. 
hat  Ant.  Lud.  Antinori  als  „Prima  pubblicazione  straordinaria  del 


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PETER  VON  MURKHOXE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


3G9 


Wenn  so  der  neue  Vizekanzler  früher  in  einem  gerade- 
zu feindlichen  Verhältnisse  zur  Kirche  gestanden  hatte,  so 
war  es  unter  den  augenblicklichen  Umständen  nicht  minder 
bedenklich,  dafs  der  neu  ernannte  Geheimschreiber  des  Papstes 
vorher  einer  der  höchsten  und  von  Karl  II.  aufserordentlich 
geschätzten  Beamten  im  Königreich  Neapel  gewesen  war  l. 
Bei  den  Verhandlungen  mit  Frankreich  und  Aragon  hatte 
sich  Bartholomäus  von  Capua  während  des  Jahres  1290  als 
Begleiter  oder  Bevollmächtigter  des  Königs  rege  beteiligt 
und  wegen  der  bedeutenden  Verdienste,  welche  er  sich  schon 
um  Karl  I.  wie  auch  um  dessen  Sohn  erworben  hatte,  und 
welche  Karl  II.  gern  und  rühmend  anerkannte  3,  erfreute  er 
sich  der  Gunst  desselben  in  hohem  Mafse.  Dafs  er  aber  gar 
dem  weltlichen  Stande  angehörte  und  so  mit  ihm  ein  Laie 
in  eines  der  bedeutendsten  Amter  der  Hierachie  gelangte, 
war  ein  an  der  Kurie  bisher  unerhörtes  Vorkommnis  4. 


bollettino  della  societi\  di  storia  patria"  ein  Werk  unter  dem  Titel:  „Ce- 
lesüno  V  ed  il  VI  Centenario  della  sua  incoronazione ,  Aquila  1894" 
herausgegeben,  dessen  einzelne  Teile  von  verschiedenen  Verfassern  her- 
rühren. In  demselben  nennt  Casti  S.  158  den  Johann:  uomo  subdolo, 
avaro,  ambizioso,  al  quäle  dalla  concorde  testimonianza  degli  storici 
contempnranei  s'ascrive  la  colpa  di  tutti  i  non  ben  temperati  atti,  com- 
piuti  sotto  il  breve  pontiiieato  di  Pier  Celestino.  Ähnlich  Vittori  bei 
Antinori  319. 

1)  In  einer  Urkunde  Karls  II.  vom  18.  November  1292  (bei  Riccio, 
Saggio  di  codice  diplom.  Supplem.  I  [Neapel  1882],  p.  62)  heifst  Bar- 
tholomäus: miles  Regni  nostri  sicilie  Prothonotarius  et  magne  Curie 
nostre  raagister  Rationalis  dilectus  Consiliarius  familiarius  et  fidelis 
noster  eiusdem  Andree  genitus.  Sein  Vater  Andreas  nahm  gleichfalls 
bei  Karl  I.  und  Karl  II.  eine  Vertrauensstellung  ein. 

2)  Giannone,  Ist.  civ.  del  regno  di  Napoli  (1753)  III,  112 — IIS. 

3)  S.  die  angeführte  Urkunde  bei  Riccio:  Nos  itaque  advertentes 
grandia,  grata  et  aeeepta  servitia  per  eundem  Bartholomaeum  predicto 
domino  Patri  nostro  et  nobis  exhibita  et  que  incessanter  exhibet,  quibus 
apud  nos  ab  olim  dignura  se  reddidit  et  reddit  etc.  Vom  23.  Juli  1294 
bis  14.  Januar  1295  unterzeichnet  Bartholomäus  nicht  mehr,  wie  vor- 
her, die  Urkunden  Karls  IL,  wird  also  in  der  Zwischenzeit  an  der  Kurie 
thätig  gewesen  sein. 

4)  Riccio,  Cenni  storici  intorno  i  graudi  uffizii  del  regno  di  Si-  ' 
cilia  (Neapel  1872),  p.  135—156  giebt  eine  Lebensbeschreibung  des 
Bartholomäus. 

24* 


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370 


SCHULZ, 


Der  Papst  freilich,  ebenso  unbekannt  mit  dem  Geschäfts- 
wesen der  Kurie  wie  abhängig  von  Karl,  bediente  sich  un- 
bedenklich der  Stützen  l,  welche  der  König  ihm  darbot; 
denn  die  Kardinäle  waren  zu  weit  entfernt,  als  dafs  er  für 
jeden  Fall  den  Rat,  dessen  er  auf  Schritt  und  Tritt  bedurfte, 
von  ihnen  hätte  einholen  können,  und  die  geschickten  und 
erfahrenen  Beamten  des  Königs  erleichterten  ihm  in  Karls 
und  im  eigenen  Interesse  die  Last  des  Regierens  im  aus- 
gedehntesten Mafse.  So  gab  er  sich  ihnen  ganz  hin,  und 
sie  ihrerseits  verabsäumten  nicht,  ihn  gegen  die  Kardinäle 
mifstrauisch  zu  machen. 

Die  Kirchenfürsten  in  Perugia  blieben  sich  nicht  lange 
über  die  Gefahr,  welche  ihrem  Einflüsse  drohte,  im  Un- 
klaren und  forderten  deshalb  Peter  von  neuem  auf 2,  mög- 
lichst bald  zu  ihnen  zu  kommen,  damit  sie  ihn  zur  Krönung 
nach  Rom  führen  könnten.  Da  dies  nichts  anderes  hiefs, 
als  Peter  solle  die  Bevormundung  durch  Karl  mit  der  ihrigen 
vertauschen,  so  erhielten  sie  die  Antwort,  der  Papst  dürfe 
sich  bei  seinem  Alter  und  während  der  Sommerhitze  der  an- 
strengenden Reise  über  das  Gebirge  nicht  unterziehen,  sie  möch- 
ten sich  zu  ihm  bemühen  oder  schriftlich  mit  ihm  verhandeln. 

Durch  die  erhaltene  Absage  noch  mehr  beunruhigt s, 
deckten  die  Kardinäle  in  einem  zweiten,  ergebeneren  Schreiben 
die  bisher  verschwiegenen  Gründe  für  ihr  Ausbleiben  auf: 
es  sei  ihnen  zu  gefährlich,  sich  in  das  Königreich  Karls  zu 

1)  Jacob.  Card.  III.  I,  25.  ap.  Acta  SS.  Mai  IV,  455: 

laicaeque  manus  subrepere  passim 
Consilüs  tentant  divi  in  praecordia  patris 
Ecclcsiae.  ...... 

Peter  war  unkundig  der  Geschäfte,  daher  kam  es:  ut  sibi  niagni  cre- 
deret  hic  laicos,  die  er  für  rechtskundig  und  klug  hielt: 

Serpit  hic  ncscia  ritus 
35:     Gens  nova,  dum  inetuit  pater  almus  fraudibus  aretum 
Ingenium  vinci  procerani,  dubüque  sodales 

Redduntur  fratres,  proprium  ne  forte  senatus 
Compellat  mutare  gradum;  si  gloria  mundi 
Cesserit,  ut  pridem,  rubra  in  collegia  patrum.  .  .  . 

75 ff.:  deerat  fiducia  cleri. 

2)  Jac.  Card.  III.  I,  40-50.    Lei.  Marin.  519,  85. 

3)  Jac.  Card.  III.  I,  100-140.    Lei.  Marin.  519,  86. 


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l'ETEK  VON  MU  KUH  ONE  ALS  PAPST  CÖLKSTIN  V. 


371 


begeben,  denn  sie  lieferten  sich  damit  vollständig  in  seine 
Hände.  Indem  sie  ferner  auf  einen  früher  gefafsten  Be- 
schlufs  verwiesen,  demzufolge  nicht  einmal  der  franzosen- 
freundliche Martin  IV.  mit  den  Kardinälen  die  Stadt  Rom 
verlassen  habe,  um  den  König  von  Neapel  gegen  die  Arago- 
nesen  zu  unterstützen,  ermahnten  sie  Peter,  nicht  durch 
längeres  Verweilen  bei  Karl  II.  gegen  den  alten  Brauch 
zu  verstofsen.  Wenn  sein  Alter  und  die  Hitze  ihm  die  Reise 
zu  beschwerlich  machten,  könne  er  ja  eine  Sänfte  benutzen. 
Er  möge  sich  nur  nicht  von  dem  gleifsnerischen  Könige 
umgarnen  lassen,  der  ihn  übel  berate  und  nicht  die  Sache 
Christi,  sondern  seine  eigene  zu  fördern  suche.  Die  Kar- 
dinäle Hugo  Seguin  und  Napoleon  Orsini  \  also  die  An- 
hänger Karls,  trafen  mit  dem  Schreiben  beim  Papste  ein; 
aber  wiederum  entschuldigte  sich  derselbe  mit  den  bekannten 
Gründen.  Darauf  baten  die  Kardinäle,  er  solle  wenigstens 
in  das  Gebiet  des  Kirchenstaates  kommen,  aber  Karl  II. 
sorgte  dafür,  dafs  sie  auch  zum  drittenmale  abschlägig  be- 
schieden wurden  2.  Ja,  Karl  scheint  sogar  den  Versuch  ge- 
macht zu  haben,  in  den  Besitz  der  päpstlichen  Insignien  zu 
gelangen,  indem  er  durch  Peter  die  Kardinäle  um  Übersendung 
derselben  für  die  bevorstehende  Krönung  ersuchen  liefs  3. 


1)  Jac.  Card.  III.  I,  136  sagt  nur  Ursiuo  stipite  natum  levitam, 
man  konnte  daher  zweifelhaft  sein,  ob  Napoleon  oder  Matthäus  Orsini 
gemeint  ist.  denn  beide  waren  Kardinaldiakonen  (levitae);  die  Bollan- 
disten  (Anm.  y)  entschieden  sich  für  Napoleon,  Tosti,  Storia  di  Boni- 
fazio  VIII.  e  ile  suoi  tempi  (Montecassino  1646  [2.  Aufl.  Rom  1889]) 
I,  228  für  Matthäus.  Da  aber  der  KardinalJakob  bei  der  ersten  Krö- 
nung ausdrücklich  Napoleon  erwähnt  (Vers  168),  mufs  er  auch  hier  ge- 
meint sein,  denn  während  jener  Krönung  waren  die  übrigen  Kardinäle 
noch  in  Perugia.  S.  S.  375 ff.  —  Danach  istDamberger,  Synchronist. 
Gesch.  1851 ;  Kritikheft  zum  12.  Band,  S.  19  zu  berichtigen. 

2)  Jac.  Card.  III.  I,  140—150.  —  Ptol.  Luc.  XXIV,  31  ap.  Mu- 
ratori,  Script,  rer.  Ital.  XI,  1200:  Redeundum  est  ad  Coelestinum,  quia 
sibi  persuaderi  non  potuit,  ut  veniret  Perusium,  sed  in  Aquila  aliquo 
tempore  pedem  fix  it. 

3)  Jac.  Card.  III.  I,  155: 

Haec  inter  coetum  repetisse  insignia  praesul 
Chrismate  sacrandus  (quamvis  non  venerit  ardens 
Ordo  patrum)  fertur. 


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372 


SCHULZ, 


Schon  die  zweite  Gesandtschaft  der  Kardinäle  hatte 
Peter  nicht  mehr  in  Sulmona,  sondern  in  Aquila  angetroffen, 
wohin  ihn  der  König  gegen  Ende  des  Juli  gebracht  hatte  l. 
Dieser  Ort  war  unter  den  augenblicklichen  Umständen  jeden- 
falls am  geeignetsten,  den  König  mit  seinem  Papste  auf- 
zunehmen. Aquila,  dessen  Kommune  sich  in  den  Jahren 
1270—1294,  namentlich  unter  Führung  des  Nikolaus  von 
Isola,  bildete,  hatte  den  Anjou  in  seinem  Kampfe  gegen 
Manfred  wirksam  unterstützt  und  nahm  deshalb  eine  be- 
vorzugte Stellung  unter  den  Städten  Mittelitaliens  ein;  es 
galt  mehr  als  Verbündete  des  Königs  denn  als  ihm  unter- 
geben. Wegen  seiner  Lage  auf  der  Grenze  zwischen  dem 
Kirchenstaat  und  dem  Königreich  Neapel  konnte  es  ander- 
seits auch  den  Kardinälen,  deren  Ankunft  der  König  (fach 
demnächst  herbeiführen  mufste,  als  sozusagen  neutrales  Ge- 
biet noch  am  annehmbarsten  erscheinen  *.  Schlielslich  ist 
auch,  da  Aquila  in  nordwestlicher  Richtung  von  Sulmona  liegt, 
die  Annahme  nicht  ganz  von  der  Hand  zu  weisen,  dafs 
Karl  seinen  Schützling  nach  Rom  fuhren  wollte  s,  damit  er 
dort,  wie  die  Kardinäle  wünschten,  gekrönt  werde,  aber 
natürlich  in  seinem  Beisein  und  ohne  unter  die  Leitung  der 
Kardinäle  zu  geraten. 

Auf  einem  Esel  reitend,  welchen  Karl  und  sein  Sohn  am 
Zügel  führten,  hielt  der  ehemalige  Einsiedler  seinen  Einzug. 
Viele  lobten  Peter  wegen  dieses  Zeichens,  das  er  von  seiner 


1)  Casti  bei  Antinori  S.  155  sagt:  A'  27  del  mese,  verso  Tora  di 
vespro,  giunse  il  corteo  su  i  campi  di  Bagno  (vor  den  Thoren  Aquilas), 
wohl  auf  Grund  von  Cirillo,  Annali  dell'  Aquila  oder  Antinori,  Opere 
inedite,  die  er  S.  156,  17  als  Quellen  nennt;  beide  waren  mir  nicht  zu- 
gänglich, und  in  den  bekannten  Quellen  finde  ich  keine  genauen  An- 
gaben aufser  bei  Buccio  Ranallo:  Sanctu  Petru  venne  dcllu  mese  de 
Agosto  (Muratori,  Antiqu.  Ital.  Med.  Aevi  VI,  556,  Stanze  186),  doch 
schrieb  Buccio  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  nächsten  Jahrhunderts. 

2)  Litt.  i.  d.  Jahresber.  d.  Geschichtswissensch.  XIII.  HI,  35.  — 
Casti  „L* Aquila  degli  Abruzzi  ed  il  pontificato  di  Celestino  V"  bei  An- 
tinori 1.  c.  p.  130  sqq.  155. 

3)  So  auch  Peter  d'Ailly  II,  11:  „Cum  peractis  ibi  aliquot  diebus 
ire  Romam  disponeret"  und  Hefele,  Konziliengesch.,  herausggb.  von 
Knöpfler  1890,  VI,  272. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLEST1N  V. 


373 


Demut  gab.  Bereits  aber  wurden  auch  Stimmen  laut,  welche 
sich  mifsfallig  über  ein  solches  Gebahren  des  Hauptes  der 
Christenheit  äufserten,  denn  durch  seine  übel  angebrachte 
Demut  schädige  er  das  Ansehen  der  Kirche;  man  warf  ihm 
geradezu  Hochmut  vor,  denn  mit  dieser  ausgesucht  erscheinen- 
den Einfachheit  könne  er  nur  seine  Vorgänger  und  die 
Bischöfe  tadeln  wollen,  die  seit  den  Zeiten  des  Papstes  Sil- 
vester stets  grofsen  Pomp  in  Gewändern  und  sonstigem 
äufseren  Schmuck  entfaltet  hätten.  Und  doch  hätten  sie 
damit  nicht  ihren,  sondern  Christi  und  seiner  Kirche  Ruhm 
zu  erhöhen  getrachtet.  Das  ungestüme  Drängen  der  Mönche 
auf  apostolische  Einfachheit  wiesen  diese  Leute  ab,  indem 
sie  eben  den  Unterschied  zwischen  Bischöfen  und  Mönchen 
hervorhoben :  „Vieles  gezieme  den  Bischöfen,  was  den  Mön- 
chen nicht  gezieme"  !. 

Dem  also  Einziehenden  bereiteten  die  Bürger  von  Aquila 
einen  begeisterten  Empfang,  zumal  da  sie  schon  seit  geraumer 
Zeit  in  dem  freundschaftlichsten  Verhältnis  zu  ihm  standen  2. 
Freilich  ist  die  durch  zeitgenössische  Berichte  ohnehin  nicht 
beglaubigte  Erzählung,  dafs  Peter  bei  einem  früheren  Auf- 
enthalte in  Aquila 3  zu  dem  thatkräftigen  Volkstribunen 
Nikolaus  von  Isola  in  Beziehung  getreten  sei,  in  anbetracht 
der  ganzen  Persönlichkeit  des  Einsiedlers  vom  Murrhone 
wenig  wahrscheinlich.  Aber  schon  seit  vielen  Jahren  befand 
sich  unmittelbar  vor  den  Thoren  der  Stadt  bei  Collemaggio 
ein  der  Jungfrau  und  dem  hl.  Benedikt  geweihtes  Oratorium  4, 
und  nachdem  im  Jahre  12b7  der  Bischof  von  Aquila  dem 
Murrhonitenorden  die  Erlaubnis  zum  Bau  von  Kirchen  und 
Konventen  innerhalb  seines  Sprengeis  erteilt  hatte  6,  flössen 
die  Gaben  namentlich  vonseiten  der  Bewohner  des  Stadt- 

1)  Jac.  Card.  III.  I,  50  ff.  Peter  d'Ailly  1.  c.  495,  11.  Buccio  Ra- 
nallo  1.  c.  Stanze  192.    Vgl.  auch  Casti  bei  Antinori  155  ff. 

2)  Casti  bei  Antinori  147  ff.  und  155  ff.  auf  Grund  von  Antinori, 
Op.  ined.  sez.  1,  vol.  10,  anno  1294. 

3)  Nach  Casti  1.  c.  132  und  147  auf  dem  Rückwege  vom  Lyoner 
Konzil  1274,  welches  er  jedoch  meines  Erachtens  gar  nicht  besucht 
hat.   S.  meine  Dissertation  S.  12. 

4)  Antinori  419  und  477. 

5)  Murat.  Antiq.  Ital.  VI,  943. 


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374 


SCHULZ, 


teils  della  Torre  in  Aquila  1  so  reichlich,  dafs  Peter  binnen 
kurzem  dort  ein  Kloster  und  an  Stelle  des  Oratoriums  eine 
prächtige  Kirche  errichten  konnte,  welche  am  25.  August 
1288  eingeweiht  wurde2. 

Jetzt  kam  den  Bürgern  Aquilas  ihre  alte  Freundschaft 
mit  dem  ehemals  so  unscheinbaren  Einsiedler  trefflich  zu 
statten.  Sie  waren  von  Karl  II.  für  ein  Vergehen  zur  Zah- 
lung von  2000  Unzen  Gold  verurteilt  worden,  fanden  aber 
in  dem  gutherzigen  Papste,  dessen  Vermittelung  sie  in  An- 
spruch nahmen,  einen  wirksamen  Fürsprecher.  Der  König, 
stets  darauf  bedacht,  sich  in  allerlei  Kleinigkeiten  dem  Papste 
gefallig  zu  erweisen,  erliefs  ihnen  die  Strafe  „mit  Rücksicht 
auf  die  besondere  Verwendung  und  Fürbitte  des  heiligen 
Vaters"  8. 

Kurze  Zeit  nach  dem  Einzüge  Peters  in  Aquila  trat  eine 
erhebliche  Änderung  der  Sachlage  ein  durch  den  Tod  des 
Latinus  Malabranka.  Erst  am  Anfange  des  erstrebten  Zieles 
stehend  war  der  alte  Kardinalbischof  plötzlich  am  10. 
August  4  in  Perugia  gestorben.  Er  wird  oft  als  die  eigent- 
liche Stütze  Peters  hingestellt 5,  erst  nach  seinem  Tode  sei 
Peter  ganz  von  Karl  II.  abhängig  geworden.    Aber  dals 


1)  Antinori  147  und  477  nach  Antinori,  Op.  iued.  sez.  IV,  vol.  47 
u.  48;  Casti  will  in  ihnen  die  Anhänger  des  Nikolaus  von  Isola  er- 
kennen. 

2)  Antinori  476  ff. 

3)  Die  Urkunde  Karls  vom  28.  September  1294  und  die  Verse  des 
Buccio  Ranallo  bei  Muiatori,  Antiq.  Ital.  VI,  556.  —  Casti  bei  An- 
tinori 183  ff. 

4)  Lei.  Marinus  519,  87.  —  Gregor ovius,  Gesch.  d.  Stadt  Rom 
(1878)  V,  497,  2  :  Das  Datum  (10.  August)  giebt  eine  in  der  Bibl.  Po- 
diana zu  Perugia  befindliche  handschriftliche  Dominikanerchronik.  — 
Gegen  Uzovius  a.  a.  1294,  39,  der  den  Kardinal  im  November  sterben 
läfst,  spricht  aufserdem,  dafs  Cölestin  V.  am  30.  September  das  Testa- 
ment des  Latinus  zugunsten  der  vatikanischen  Basilika  veröffentlicht 
(Bullarium  Basilicae  Vaticanae  I,  223). 

5)  Nach  dem  Vorgang  der  Magdeburger  Centurien,  Basel  1574: 
„Latino  cardinale  mortuo,  cuius  autoritate  ad  illud  usque  tempus  prae- 
fuerat  et  cuncta  gesserat"  und  Wadding  1294,  IV:  „cuius  consüio  et 
dexteritate  plurimum  Coelestini  pontificatus  nitebatur"  auch  von  mehreren 
Neueren. 


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PETER  VON  ML' U RHONE  ALS  PAPST  CÖLEST1N  V. 


375 


Latiuus  ihm  irgendwelchen  Beistand  geleistet  hätte,  ist 
weder  nachweisbar  noch  bei  der  räumlichen  Trennung  wahr- 
scheinlich, im  Gegenteil,  er  mag  unter  Gewissensskrupeln 
über  die  von  ihm  herbeigeführte  Wahl  Peters  gestorben  sein, 
denn  er  hauptsächlich  trug  die  Verantwortlichkeit  iür  die 
aus  derselben  entspringende  Schädigung  der  Kirche  l.  So 
viel  jedoch  ist  richtig,  dafs  der  König,  so  lange  der  all- 
gemein geachtete  Kardinal  lebte,  welchem  er  wegen  seiner 
Verdienste  um  die  Wahl  Peters  auch  persönlich  verpflichtet 
war,  auf  ihn  und  das  Kardinalskollegium  noch  manche  Rück- 
sichten genommen  hatte.    Jetzt  liefs  er  dieselben  fallen. 

Bei  Lebzeiten  des  Latinus  hatte  Karl  II.  namentlich  nicht 
gewagt,  das  Recht  der  Kardinäle  auf  die  Weihe  und  Krö- 
nung des  Papstes  zu  verletzen  *.  Bei  dieser  Handlung  wäre 
Latinus  die  erste  Rolle  zugefallen,  denn  Peter  hatte  bisher 
nur  die  Priesterweihe  erhalten,  und  gewohnheitsmäfsig  stand 
dem  Kardinalbischof  von  Ostia  die  Befugnis  zu  3,  dem  neu 
erwählten  Papst  kurz  vor  der  Krönung  die  etwa  noch  feh- 
lenden Weihen  zu  erteilen.  Sobald  Latinus  gestorben  war, 
liefs  Karl  durch  Peter  den  ihm  völlig  ergebenen  Hugo  Seguin 
zum  Nachfolger  in  dem  Kardinalbistum  Ostia  und  Velletri 
ernennen*  und  beschlofs,  nicht  mehr  zu  warten,  bis  alle 
Kardinäle  vollzählig  in  Aquila  versammelt  sein  würden, 
sondern  nötigenfalls  auch  ohne  sie  die  Krönung  vornehmen 
zu  lassen.  Drei  Kardinäle  waren  bereits  anwesend:  Peter 
Colonna,  welcher  mit  den  ersten  Gesandten  der  Wähler  zu- 
gleich eingetroffen  war,  Hugo  Seguin  und  Napoleon  Orsini. 
Durch  sie  liefs  Karl  seinen  Papst  mit  dem  Pallium  und  den 
übrigen    päpstlichen   Abzeichen    bekleiden 5   und  krönen. 

1)  Ptol.  Luc.  XXIV,  30:  D.  Latinus  graviter  infirmatur,  in  quo 
totura  pondus  ineumbebat  super  electione  Coelestiui. 

2)  Lei.  Marin.  519,  87. 

3)  Hinschius,  Kirchenrecht  I,  291. 

4)  Jac.  Card.  III.  I,  155  begleitet  die  Bemerkung,  dafs  Seguin 
wider  allen  Brauch  vom  Erzbischof  von  Beuevent  die  Weihe  empfing, 
mit  den  Worten:  est  modus  inventus  magnae  novitatis  et  argeus,  sper- 
nere  consilium  promptum.  —  Lei.  Marinus  519,  87. 

6)  Jac.  Card.  III.  I,  166  setzt  hinzu:  fuerant  haec  danda  Perusi 
Levitaeque  manu  rubri:  sed  tanta  Vetusto  Confert  Neapoleo. 


376 


SCHULZ, 


Peter  legte  sieh  den  Namen  Cölestin  V.  bei,  und  Napoleon 
Orsini  verkündete  darauf  allem  Volke  die  vollzogene  That- 
Bache. 

Diese  Krönung  des  Papstes  unter  dem  unmittelbaren 
Einflüsse  eines  weltlichen  Herrschers  in  demselben  Jahr- 
hundert, welches  einen  Innocenz  III.  und  den  Sturz  des 
Geschlechtes  der  Hohenstaufen  gesehen  hatte,  ist  eines  der 
seltsamsten  unter  den  seltsamen  Bildern,  an  denen  der  Ponti- 
tikat  Cölestins  so  reich  ist,  und  die  ganz  oder  fast  ohne 
Gegenstück  in  der  Geschichte  des  Papsttums  dastehen. 

Schwerlich  war  Karl  II.  des  Glaubens  gewesen,  die 
übrigen  Kardinäle  in  Perugia  würden  diesen  Eingriff  in 
ihre  ersten  Vorrechte  stillschweigend  hinnehmen  oder  gar 
anerkennen;  vielmehr  wollte  er  sie  wohl  dadurch,  dafs  er 
mit  einer  so  aufsergewöhnlichen  Handlung  die  gröfsten  Be- 
sorgnisse in  ihnen  erregte,  endlich  zur  Übersiedelung  nach 
Aquila  bewegen,  und  er  erreichte  auch  seine  Absicht  voll- 
kommen. Als  die  sieben  noch  in  Perugia  befindlichen  Kar- 
dinäle die  Kunde  von  dem  Vorgange  erhielten,  litt  es  sie 
nicht  mehr  lange  dort.  Jetzt  mu Taten  sie  sich  ganz  klar 
darüber  sein,  dafs  jeder  weitere  Versuch,  den  Papst  zu  sich 
herüberzuziehen,  aussichtslos  war  und  sie  mit  längerem 
Zögern  ihren  gesamten  Eintiufs  aufs  Spiel  setzten.  Die 
Eifersucht  auf  die  übrigen  drei  Amtsgenossen,  welche  schon 
eine  bedeutende  Stellung  bei  dem  neuen  Papst  erlangt 
hatten,  kam  hinzu  *.  Einer  nach  dem  andern  traf  in  Aquila 
ein,  zuletzt  von  allen  Benedikt  Gaetani,  der  wegen  seines 
Auftretens  in  Perugia  gegen  Karl  II.  nicht  im  Zweifel  sein 
konnte,  dafs  man  ihn  in  Aquila,  wo  dieser  vollständig  das 
Feld  beherrschte,  nicht  gern  sehen  werde  *.   Aber  er  mufste 


1)  Ptol.  Luc.  Ann.  a.  a.  1294:  factique  sunt  dumhii  cuiiae:  quod 
alii  cardiiiales  videntes  Aquilam  properant. 

2)  Ptol.  Luc.  XXIV,  31:  Interim  autem  cardinales  aliqui  procedunt 
ad  papam,  aliqui  subsequuntur  versus  Aquilam.  Ultimus  tarnen  ad  ve- 
niendum  fuit  D.  Benedictus  Gaytanua  et  dubitabatur,  quod  non  veniret, 
quia  regem  verbis  offenderat  in  Perusio.  Venit  igitur  ultimo  (deshalb 
haben  einige  geglaubt,  er  sei  bei  der  feierlichen  Krönung  Cölestins  nicht 
zugegen  gewesen)  et  sie  seivit  deducere  sua  negotia,  quod  factus  est 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


377 


entweder  den  gefährlichen  Gang  wagen  oder  auf  die 
führende  Rolle  verzichten,  um  derentwillen  er  doch  mü- 
der Wahl  Peters  zugestimmt  hatte.  Zunächst  freilich  be- 
schränkte er  sich  noch  wochenlang  auf  eine  durchaus  ab- 
wartende Haltung. 

Aber  doch  nicht  ganz  bedingungslos  ergaben  sich  die 
Kardinäle  dem  Könige.  Eine  spätere  Bulle  1  Cölestins  zeigt, 
dafs  Karl  ihnen  auch  entgegenkam,  indem  er  den  haupt- 
sächlichsten Grund  zur  Besorgnis,  der  sie  bisher  ferngehalten 
hatte,  wegräumte:  sein  Bevollmächtigter  leistete  ihnen  einen 
feierlichen  Eid,  dafs  der  König  die  Kardinäle,  falls  der 
Papst  im  Reiche  Sicilien  sterben  sollte,  nicht  zwingen  wolle, 
die  Neuwahl  innerhalb  seiner  Machtsphäre  vorzunehmen  * 

Gegen  eine  solche  Zusicherung  persönlicher  Freiheit  ver- 
sammelten sich  die  Kardinäle  vollzählig  um  den  Papst 3, 
aber  ihr  Verhältnis  zu  Karl  II.  blieb  nach  wie  vor  ein  ge- 


quasi  Dominus  Curiae.  —  Weniger  genau  sind  die  Annalen  z.  J.  1294, 
wie  schon  Tosti  I,  228—231  (vgl.  jedoch  Roviglio  bei  Antinori  224—227) 
erörtert  hat.  Ein  Blick  auf  die  Chronologie  der  Annalen,  den  Tosti 
leider  unterlassen  hat,  hätte  seine  Ausführungen  noch  sicherer  begründet; 
die  Ereignisse  sind,  und  zwar  ohne  sachliche  Gründe,  bunt  durch- 
einander geworfen:  zuerst  die  Ernennung  der  neuen  Kardinäle  (18.  Sep- 
tember), dann  die  Ankunft  in  Aquila  (nach  Latiuus'  Tod  am  10.  August), 
die  Krönung  (29.  August),  darauf  der  Briefwechsel  zwischen  Papst  und 
Kardinälen  (Juli)  und  Latinus  Tod  (10.  August).  Diesen  Uugenauig- 
keiten  entspricht  denn  auch  die  Angabe:  Tunc  venit  Aquilam  D.  Bene- 
dicts Gaetanus  .  .  .  qui  s  tat  im  suis  ministeriis  et  astutiis  factus  est 
dominus  curiae  et  amicus  regis.  Der  wirkliche  Leiter  der  Kurie 
wurde  Benedikt  erst  gegen  Ende  November,  als  Cölestin  an  Abdankung 
dachte,  und  eine  Annäherung  an  Karl  II.  erfolgte,  wenn  überhaupt,  noch 
später.  In  der  Hist.  eccl.  XXIV,  31  (s.  o.)  fehlt  sowohl  statim  wie 
amicus  regis. 

1)  Potthast  23998. 

2)  Freilich  liefs  sich  Karl  nachher  von  dem  Eide  entbinden,  s.  das 
nächste  Kap.  —  Rambach,  Uupartheiische  Historie  der  röm.  Päpste 
(1770)  VIII,  227  erzählt  aufserdem,  leider  ohne  Quellenangabe,  dafs  „sich 
der  König  anheischig  gemacht  hatte,  die  Unkosten  ihrer  Reise  zu  tragen 
und  sie  während  ihres  Aufenthaltes  zu  Aquila  frei  zu  unterhalten". 

3)  Es  mufs  in  der  Mitte  des  August  gewesen  sein,  denn  Latinus 
starb  am  10.  August  noch  in  Perugia,  und  am  29.  August  war  die 
zweite  Krönung. 


378 


SCHULZ, 


spanntcs,  ja  sie  beeilten  sieh  sogar,  die  auf  des  Königs  Ver- 
anlassung vorgenommene  Krönung  Peters  dadurch  für  nich- 
tig zu  erklären,  dafs  sie  ihrerseits  dieselbe  Handlung  noch 
einmal  vollzogen.  Am  29.  August,  einem  Sonntage,  fand 
auf  dem  Platze  vor  der  Kirche  St.  Maria  de  Kollcmaggio  1 
bei  Aquila,  welche  Peter  selbst  hatte  erbauen  lassen,  eine 
zweite,  sozusagen  offizielle  Krönung  im  Beisein  aller  Kar- 
dinäle statt;  der  neu  ernannte  Kardinalbischof  Hugo  salbte 
ihn,  dann  reichte  ihm  Matthäus  Ursini,  der  erste  der  Kar- 
dinaldiakonen, das  Pallium  und  setzte  ihm  nach  der  Messe 
die  von  Gold  und  Edelsteinen  strahlende  Bischofsmütze  aufs 
Haupt  *.  Umgeben  von  der  ganzen  Kurie,  die  nunmehr 
beisammen  war,  und  von  zahlreicher  Geistlichkeit  zog  der 
Gekrönte  sodann  in  Aquila  ein,  nicht  mehr  auf  einem  Esel, 
sondern  auf  einem  weifsen  Kosse,  dessen  Zügel  die  beiden 
Könige  von  Sizilien  und  Ungarn  führten  s.  Durch  die 
Strafsen  der  Stadt  bewegte  sich  der  Zug  nach  dem  könig- 
lichen Palaste,  in  welchem  Karl  II.  den  Kardinälen,  über 
die  er  nunmehr  einen  neuen  Sieg  davon  getragen  hatte,  ein 
Prunkinahl  nach  der  alten  Sitte  des  Hofes  von  Neapel  gab  4. 

1)  Casti  bei  Antinori  S.  166  nieint,  es  sei  Brauch  gewesen,  die 
Päpste  aufserhalb  Roms  zu  krönen,  wie  es  z.  B.  bei  Nikolaus  III.  1277 
in  Viterbo  geschehen  sei.  Letzterer  ist  jedoch  zu  Rom  in  der  Basilika 
St.  Peters  gekrönt,  und  was  die  übrigen  Päpste  dieser  Zeit  angeht,  so 
ist  mir  ein  festes  Herkommen  in  der  Wahl  des  Ortes  der  Krönung  nicht 
aufgefallen,  dieselbe  findet  bald  innerhalb,  bald  aufserhalb  Roms  statt. 

2)  Jac.  Card.  III.  1,  177-184.  —  Lei.  Marin.  520,  88-89.  Zu 
vergleichen  wäre  auch  das  Kapitel  „  De  obitu  Nicholai  pape  et  Coe- 
lestini  ordinatione*'  in  der  von  Holder-Egger  gefundenen  Kompilation 
eines  Minoriten:  Neues  Archiv  X,  239.  Vgl.  S.  367  Anm  1.  —  Be- 
achtenswert scheint  es  mir,  dafs  wir  hier  für  das  Papsttum  das  —  meines 
Wissens  —  einzige  Beispiel  einer  doppelten  Krönung  haben,  wie  sie  bei 
den  Königen  öfter  begegnet. 

3)  Tosti  wirft  den  ersten  Einzug  auf  dem  Esel  und  diesen  zweiten 
durcheinander.  —  Dem  Chronicon  Suessanum  a.  a.  1294  zufolge  wären 
auch  die  Gemahlinnen  Karls  II.  und  Karl  Martells  zugegen  gewesen, 
aber  kein  anderer  zeitgenössischer  Berichterstatter  weifs  davon,  auch 
Buccio  di  Ranallo  nicht,  der  Chronist  von  Aquila:  Casti  bei  Antinori 
S.  164.  S.  165  erörtert  derselbe  die  Möglichkeit  der  Anwesenheit  Dantes. 

4)  Casti  bei  Antinori  nach  Antinori:  Op.  ined.  vol.  X,  a.  1294. 


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PET  EU  VON  MUKRHOKE  ALS  PAPST  CÜLESTIN  V.  379 

Auf  die  aufaerordentlich  starke  Beteiligung  der  Bevölkerung 
an  der  Feier,  welche  beweist,  wie  allgemein  die  Massen 
von  der  besprochenen  reformatorisch  -  apokalyptischen  Be- 
wegung ergriffen  waren  und  in  Cölestin  den  verheifsenen 
Ketter  sahen ,  habe  ich  bereits  in  anderem  Zusammenhange 
lungewiesen  Immer  wieder  und  wieder  mufste  der  Papst 
ans  Fenster  treten  und  der  ihm  zujauchzenden  Menge  den 
apostolischeu  Segen  spenden. 

Der  gewaltige  Zuflufs  von  Fremden,  wie  überhaupt  der 
mehr  als  zweimonatliche  Aufenthalt  des  königlichen  und  zu- 
gleich des  päpstlichen  Hofes  in  Aquila  stellten  an  die  Opfer- 
willigkeit der  Bürgerachalt  nicht  geringe  Anforderungen, 
wenn  auch  der  König  in  dem  Bestreben,  den  Kurialen  den 
Aufenthalt  so  angenehm  als  möglich  zu  machen,  das  ganze 
benachbarte  Gebiet  Apuliens  und  der  Abruzzen  mit  Steuern 
belegte.  So  erhielten  denn  die  Stadt  Aquila  und  die  bei 
ihr  gelegenen  Stiftungen  Cölestins  wiederum  besondere  Ver- 
günstigungen. Zum  Zeichen  der  Anerkennung,  welche  er 
den  Anstrengungen  der  Bürger  zollte,  ernannte  Karl  II.  aus 
jeder  vornehmeren  städtischen  Familie  zwei  Mitglieder  zu 
Rittern,  und  der  Papst  verlieh  vielen  von  ihnen  sowie 
mehreren  Geistlichen  der  Stadt  kirchliche  Amter  und  Pfrün- 
den *.  Von  höherer  Bedeutung  für  die  Zukunft  Aquilas 
aber  war  ein  anderes  Privileg  Cölestins  V.  In  den  erbitter- 
ten Kämpfen  zwischen  den  letzten  Hohenstaufen  und  Karl  I. 
von  Anjou  war  Aquila  mehrfach  feindlich  gegen  die  ersteren 
aufgetreten;  Manfred  hatte  deshalb  seine  Mauern  geschleift 
und  die  Bürger  zerstreut.  Unter  der  Gunst  der  Anjous  war 
«s  dann  zwar  neu  erstanden,  aber  den  jungen  Kirchen  der 
Stadt  fehlte  es  an  Privilegien,  sodafs  sie  gegenüber  den  mit 
alten  Vorrechten  ausgestatteten  der  Umgegend  nicht  recht 
aufkommen  konnten;  auch  die  Stadt  selbst  hatte  davon 
manchen  Nachteil.  Wieder  wandte  man  sich  jetzt  an  Cölestin 
und  auch  dieses  Mal  nicht  vergebens.   Unbedenklich  verlieh 


1)  S.  meine  Dissertation  S.  41—42. 

2)  Casti  bei  Antinori  156—158  u.  161;  vgl.  dazu  Murat.,  Antiq. 
IUI.  VI,  569,  Anm.  35. 


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380 


SCHULZ, 


er  aus  dem  reichen  Sehatze  seiner  Gnade  den  neuen  Kirchen 
ebenso  nützliche  Vorrechte ,  wie  sie  die  alten  besafsen  l. 
Auch  zu  gunsten  der  Kirche  von  Collemaggio  verkündete 
Cölestin  nach  seiner  Krönung  einen  Ablafs  *,  während  Karl  II. 
dem  Kloster  eine  jährliche  Rente  von  40  Unzen  Gold  zu- 
wies 3. 


Der  Vergangenheit  des  Papstes  entsprach  ein  grofser  Teil 
seiner  Regierungsthätigkeit :  ein  erheblicher  Bruchteil  der 
Bullen  4  Cölestins  V.  beweist  seine  Fürsorge  für  das  Mönch- 

1)  Buccio  Ranallo,  Stanze  194—198.    Casti  bei  Antinori  188. 

2)  Buccio  Ranallo,  Stanze  193: 

Santo  Petro  beneditto  quando  se  coronao, 
All'  hora  ad  Colle  magio  la  indulgentia  donao. 
Ughelli,  Ital.  sac.  I,  382:  Nos  in  ip.sius  S.  (Johannis  Baptistae)  de- 
collatione  capitis  (=  29.  August)  in  ecclesia  S.  Mariae  de  Colle  Medio 
Aquilensi,  ord.  S.  Benedicti,  suseepimus  Diadematis  imposita  capiti 
nostro  insignia,  Hymnis  et  canticis  et  fidelium  devotis  oraculis  cepimus 

venerabilibus  honorari   dat.  Aquilae  3.  cal.  Ort.  —  Raynald 

1294,  13  bemerkt  die  ungewöhnliche  Fassung  der  Bulle.  Pottbast 
23981.  Casti  bei  Antinori  185—187  vertritt  die  Ansicht,  dafs  Cölestin 
auf  den  Rat  der  Kardinäle  die  Bulle  nur  mündlich  bestätigte,  weil  Bar- 
tholomäus von  Kapua  infolge  seiner  Unkenntnis  des  römischen  Kanzlei- 
wesens (s.  S.  369)  sie  in  ungenügender  Form  abgefafst  habe. 

3)  Casti  bei  Antinori  166.  —  Infolge  der  zahlreichen  Vorteile, 
welche  der  Stadt  aus  der  Anwesenheit  Cölestins  erwuchsen,  ist  das  An- 
denken au  ihn  in  Aquila  stets  lebendig  geblieben.  Bis  auf  den  heutigen 
Tag  feiert  man  dort  jährliche  E:innerungsfeste.  Muratori,  Autiq. 
Ital.  VI,  559,  Anm.  33  u.  235.  Moscardi  bei  Antinori  435—474.  Aus 
Cav.  Antonio  de  Nino,  Usi  e  costumi  Abruzzesi  (Florenz  1887),  T.  IV 
berichtet  Ludovisi  bei  Antinori  25  ff.,  dafs  noch  heute  unter  dem  Volke 
von  Aquila  die  Sage  geht,  Peter  habe  unter  den  Trümmern  des  Land- 
hauses Ovids  am  Fufse  des  Monte  Murrhone  ciuen  Schatz  gefunden, 
mit  Hilfe  dessen  er  nach  seiner  Abdankung  das  Kloster  des  Heiligen 
Geistes  bei  Sulmona  auf  das  Prächtigste  erbaute. 

4)  Leider  sind  seine  Rcgesten  nicht  vollständig  erhalten:  Raynald 
1294:  Plura  de  S.  Coelestino  adderemus,  si  integrum  illius  regestura 
extaret.  Vgl.  Kaltenbrunner  „Rom.  Studien"  i.  d.  Mittlgn.  d.  Inst 
f.  österr.  Geschichtsforschung  1884,  V,  281:  „Schon  unser  Inventar 
verzeichnet  von  .  .  .  Cölestin  V.  keine  Registerbände."  S.  a.  V,  290. 
Wahrscheinlich  sind  dieselben  bei  der  im  Januar  1295  erfolgten  Über- 
siedlung Bonifaz*  VIII.  von  Neapel  nach  Rom  verloren  gegangen,  denn 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  381 

tum.  Zunächst  galt  dieselbe  dem  von  ihm  gestifteten  Orden, 
welcher  jetzt  ihm  zu  Ehren  den  Namen  der  Cölestiner- 
eremiten  annahm.  Vor  allem  das  Hauptkloster  desselben, 
das  des  heiligen  Geistes  bei  Sulmona,  erfuhr  in  ausgedehn- 
testem Mafse  seine  Gunst ;  eine  grofse  Zahl  anderer  Klöster  1 
wurden  ihm  unterstellt  und  alle  von  jeder  fremden  Gerichts- 
barkeit befreit 2.  Um  sowohl  Ruhm  wie  Besitzstand  dieser 
Klöster  zu  heben,  erteilte  Cölestin  zahlreiche  und  weitgehende 
Ablässe  bis  zu  2000  Jahren  allen  Gläubigen,  welche  ihnen 
Schenkungen  machen  oder  an  gewissen  Festtagen  nach  dem 
Mutterkloster  wallfahren  würden  3,  einmal  wird  sogar  jedem, 
der  nur  überhaupt  dahin  pilgere,  ein  Ablafs  von  140  Jahren 
zugesagt4.  Wenn  es  Karl  noch  für  nötig  hielt,  um  die 
Gunst  des  Papstes  von  seinen  Gnaden  zu  werben,  so  war 
hier  der  sicherste  Weg  zu  ihr,  und  so  beschenkte  denn  auch 
er  das  Kloster  von  Sulmona  mit  Gütern  und  Privilegien, 
welche  Cölestin  nicht  versäumte,  noch  zu  vermehren  5.  Der 
Papst  selbst  war  aus  dem  Benediktinerorden  hervorgegangen 
und  schmeichelte  sich  jetzt  mit  der  Hoffnung,  diesen  ehr- 

„  die  Register  der  Geschäftsbücher  .  .  .  wanderten  mit  der  Kanzlei  und 
den  Päpsten,  und  so  ist  es  bei  dein  häufigen  Residenzwechsel  (auch 
Cölestin  ging  ja  von  Aquila  nach  Neapel)  .  .  .  wahrlich  zu  verwundern, 
dafs  nicht  mehr  libri  des  Registers  verloren  gegangen  sind"  (a.  a.  0. 
V,  277,  s.  a.  VI,  79)  und  zweitens  betont  Kaltenbrunuer  (V,  278)  als 
„wichtigste  Thatsache,  .  .  .  diifs  verhältnisiniifsig  bald  nach  Schlufs  des 
13.  Jahrhunderts  nur  um  weniges  mehr  von  den  Registern  vorhanden 
war  als  jetzt."  Zu  den  Regesten  von  Potthast  fügt  Casti  bei  Antinori 
168  noch  eiuige  hinzu. 

1)  Die  Bulle  vom  27.  September  1294  (Beurrier,  Hist.  du  mo- 
nasterc  et  couvent  des  peres  Celestins  de  Paris  [1654J,  p.  114)  nennt 
21  Klöster  und  Oratorien,  die  dem  Hauptklostcr  von  Sulmona  unter- 
standen ;  das  läfst  gegenüber  sonstigen  übertriebenen  Angaben  (s.  meine 
Dissert.  S.  12)  einen  Schlufs  auf  die  Ausdehnung  zu,  welche  der  Orden 
zu  jener  Zeit  hatte. 

2)  Potthast  23951.  23970.  23976.  23978.  24002.  24010.  24011. 
24017.    Muratori,  Antiqu.  Ital.  VI,  189,  XIII  -  190,  XIV. 

3)  Potthast  23975.  24004. 

4)  Potthast  23977. 

5)  Lei.  Marin.  520,  89.  —  Casti  bei  Antinori  1.  c.  159  erwähnt 
mehrere  Urkunden  Karls  II.  vom  31.  Juli,  3.  und  12.  August  1294  aus 
dem  Archiv  des  Klosters. 


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382 


SCHULZ, 


würdigsten  aller  abendländischen  Mönchsorden  nach  dem 
Muster  der  von  ihm  gestifteten  Abart  umzugestalten.  Als 
er  auf  dem  Zuge  von  Aquila  nach  Neapel  in  Montecassino 
eingekehrt  war,  suchte  er  die  Mönche  dieses  Hauptklostcrs 
zum  Übertritt  in  seinen  Orden  der  Cölestinereremiten  und  zur 
Annahme  von  dessen  Kleidung  zu  bestimmen  l.  Einen  an- 
deren Versuch,  seine  Brüderschaft  durch  die  Aufnahme  der 
Spiritualen  zu  erweitern  2,  haben  wir  bereits  früher  kennen 
gelernt. 

Auch  für  andere  Orden  sorgte  Cölestin.  Die  bisherige 
römische  Provinz  der  Dominikaner  teilte  er  in  eine  römische 
und  eine  des  Königreiches  Sizilien  3,  auch  hierin  einem 
Wunsche  Karls  II.  folgend 4,  welcher  natürlich  gröfsere 
Macht  über  den  Orden  in  seinem  Reiche  erhielt,  sobald  er 
den  Provinzial  6  desselben  in  seinen  Händen  hatte.  Bei  den 
inneren  Streitigkeiten  der  Franziskaner  begünstigte  Cölestin, 
wie  wir  sahen,  die  strengere  Partei  6 ;  den  Johannitern,  welche 

1)  Lei.  Marin.  522,  97-98.  Tosti,  Badia  di  Montecassino  (1843) 
III,  37  ff.  führt  eine  Stelle  aus  einer  Handschrift  des  Cassinesermöuchs 
Nicolo  della  Frattura  an,  die  sich  im  Cassineser  Archiv  befinde;  ihr 
zufolge  wurden  die  Mönche,  welche  sich  zum  Übertritt  nicht  verstehen 
wollten,  von  dem  Murrhoniten  Angelerius,  den  wir  auch  sonst  als  Heifs- 
sporn  kennen,  verjagt.  Aus  den  Handschriften  des  Nie.  della  Frattura 
e  Riccardo  da  S.  Angelo  Cassinesi,  che  vissero  in  questi  tempi,  und 
dem  ßreviario  monastico,  M.  S.  199,  del  XIV  secolo,  welche  Tosti  1.  c. 
p.  39  anfübit,  würde  man  jedenfalls  manchen. näheren  Aufschlufs  über 
diese  Vorgänge,  vielleicht  auch  über  Cölestin  und  seinen  Orden,  er- 
halten. 

2)  Epist.  excus.  (Archiv  für  Litt.  u.  Kirchengesch.  d.  Mittelalt.  I, 
526):  invitavit  nos,  quod  in  suo  habitu  nostram  regulam  et  vitam  ser- 
varemus.  .  .  .  Recommcndavit  nos  abbati  sui  ordiuis  verbo  et  sciipto 
et  voluit,  quod  nos  sicut  suos  fratres  pauperes  heremitas  reeiperet  et 
haberet,  et  quod  de  suis  heremitoiiis  ad  talem  vitam  dispositis  nobis 
providere  teneretur. 

3)  Potthast  23953. 

4)  Fontana,  Monumenta  Dominicana  (Rom  1C75),  a.  a.  1294, 
p.  140:  ad  Neapolitani  regis  petitionem. 

5)  Peter  von  Adria  wurde  als  Vikar  an  Stelle  des  vorigen  Pro- 
vinzials  eingesetzt,  Potthast  23959. 

6)  Zwei  den  Brüdern  und  Schwestern  von  der  Pönitenz  erteilte 
Privilegien  (Potthast  23954.  23955)  beweisen  dasselbe. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


383 


durch  ihre  tapfere  Verteidigung  und  den  Fall  Accons  starke 
Verluste  erlitten  hatten,  überwies  er  den  sogenannten  Gottes- 
zehnten 1  und  auf  die  Fürbitte  Karls  II.  einen  Anteil  an 
entwendeten  oder  sonst  unrechtmäfsig  erworbenen  Gütern, 
deren  rechtliche  Besitzer  sich  nicht  mehr  mit  Sicherheit  fest- 
stellen liefsen,  sowie  an  Erbschaften,  welche  der  Kirche 
durch  letztwillige  Verfügungen  ohne  nähere  Bestimmungen 
zugefallen  waren  *.  Es  ist  übrigens  ein  interessantes  Zu- 
sammentreffen, dafs  dieser  Orden  in  Odo  von  Pins,  welcher 
während  oder  bald  nach 3  der  Regierung  Cölestins  die 
Grofsmeisterw ürde  bekleidete,  ein  vollständiges  Gegenstück 
zu  dem  mönchischen  Papste  besafs.  Auch  Odo  war  bei 
allen  Ordensbrüdern  wegen  seiner  Frömmigkeit  hochgeachtet, 
„einmütig  wurde  er  daher  zum  Grofsmeister  gewählt.  Aber 
kaum  hatte  er  seine  Würde  angetreten,  so  entdeckten  die 
Ordensbrüder  mit  Schrecken,  dafs  ihm  seiner  Tugenden  un- 
geachtet alle  Eigenschaften  fehlten,  die  einem  so  einflufs- 
reichen  Oberhaupte  unumgänglich  notwendig  sind.  Von 
Sonnenaufgang  bis  spät  in  die  Nacht  lag  er  am  Fufse  des 
Altars  in  inbrünstigem  Gebet  versunken  und  bewies  sich 
ebenso  kalt  als  unkundig  in  der  Führung  der  Waffen"4. 
Wie  Cölestin  hat  auch  er  nicht  sein  Amt  bis  zu  seinem 
Lebensende  fortgeführt,  sondern  wurde  abgesetzt  ft. 

In  der  Sorge  für  die  Mönchsorden  erschöpfte  sich  die 
Regierungsthätigkeit  des   Papstes,  soweit  sie  aus  eigenen 


1)  Potthast  23965. 

2)  Potthast  2396C. 

3)  Odos  Regicrungszeit  wird  verschieden  angegeben,  von  Falken- 
st  ein:  „Geschichte  des  Johanniterordcns  1832 u  für  1291 — 1294,  von 
v.  Winterfeld:  ..Geschichte  des  Ritterordens  S.  Johann  1859"  für 
1294—1297,  von  Gauger:  „  Allg.  Geschichte  des  Ritterordens  d.  h.  Joh. 
von  Jerusalem  1844"  für  1297—1300. 

4)  Falkenstein  a.  a.  0. 

5)  In  diesen  Rahmen  würden  auch  die  von  Wadding,  Ann.  Mi- 
norum  a.  a.  1294  (Supplem.  P.  Antonii  Melissani  de  Macro  I)  erwähnten" 
litterae  Apostolicae  ad  universos  Christifidcles  pro  Terrae  sanetae  sub- 
ventione  „Inundant  in  cordis"  nonis  Octobris  gehören,  falls  sie  echt 
waren.  Wir  wissen  sonst  nichts  über  sie,  Potthast  verzeichnet  sie 
nicht. 

Zeitaclir.  f.  K.-G.  XVII,  3.  25 


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384 


SCHULZ, 


Willensentschlüssen  hervorging,  vollständig  *.  Seine  sonstigen 
Anordnungen  sind  durchgehends  auf  fremde  Einwirkung  zu- 
rückzuführen, und  der  bei  weitem  gröfste  Anteil  fallt  hier- 
bei Karl  II.  zu.  Wir  werden  im  folgenden  eine  lange  Reihe 
von  Regierungshandlungen  Cölestins  zu  betrachten  haben,  in 
welchen  ein  Fall  immer  deutlicher  als  der  andere  zeigt,  wie 
der  Papst  alles  that,  was  Karl  von  ihm  verlangte,  und  wie 
der  König  auf  das  Rücksichtsloseste  und  in  denkbar  gröfstem 
Mafse  die  Gewalt  ausbeutete,  welche  er  für  den  Augenblick 
über  den  Inhaber  des  päpstlichen  Stuhles  besafs.  Er  folgte 
hierin  ganz  dem  Beispiel  seines  Vaters,  welcher  über  Mar- 
tin IV.  solch  ein  Übergewicht  gehabt  hatte,  „dafs  der  Papst 
beinahe  nur  mehr  zur  Beförderung  der  Interessen  des  nea- 
politanischen Königs  vorhanden  zu  sein  schien li  *. 

Am  18.  September 3  ernannte  der  Papst  zwölf4  neue 
Kardinäle,  die,  höchstens  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  ins- 


1)  Ebenso  Casti  bei  Autinori  S.  17üff. :  Pareva  che  tutto  il  suo 
pensiero  si  fasse  assorto  nella  glorificazione  dcl  suo  ordine  morronese, 
omai  detto  de*  celestini.    S.  S.  381. 

2)  Höfler,  Abhandlungen  der  bayr.  Akademie  der  Wissenschaften 
1843. 

3)  Jac.  Card.  III.  II,  225  ff.  Nicol.  Trivetus,  ed.  Thom.  Hog.  1845, 
S.  332.  Wilh.  Rishanger,  Chronicon,  ed.  Th.  Riley  18C5,  S.  144. 
Memorie  Prenestine  1294:  „ProviJde  nel  sabato  giornu  diciotto  di  set- 
tembre  la  uostra  Cattedialc  .  .  .  creando  Cardiuale  Vescovo  Pienestina 
Simone  de  Heaulieu".  —  D'Ailly  II,  cap.  12,  Ugbelli  VI,  Neapel,  no.  71, 
Ciac.-Oldoin  II,  284  u.  a.  lassen  die  Ernennung  zu  Neapel  vor  sich 
gehen,  aber  bis  zum  5.  Oktober  war  Cölestin  in  Aquila  (s.  die  genaue 
Untersuchung  von  Casti  bei  Autinori  176—179).  Noch  gröfsere  Ver- 
wirrung richtet  Bower-Rambach  VIII,  228  an,  indem  er  die  Ernennung 
„bald  nach  der  Konsekration 41  Peters  und  vor  dem  Briefwechsel  mit 
den  Kardinälen  in  Perugia,  der  erst  durch  die  Wahl  der  Kardinale  her- 
vorgerufen sei,  ansetzt. 

4)  Ciuc-Oldoin  II,  264—292  zählt  dreizehn,  doch  fand  die  Be- 
förderung des  letzten,  des  Erzbischofs  von  Benevent,  nach  der  von  Ciac. 
II,  293  selbst  angeführten  Handschrift,  zu  welcher  auch  Jac.  Card.  III, 
II,  275  ff.  stimmt,  eist  am  24.  Oktober  in  Teanum  statt  (s.  u.  S.  396). 
Nach  Damberger,  Kritikheft  zum  12.  Band,  S.  19—20  giebt  es  zu- 
dem eine  Urkunde  vom  1.  Oktober  1294,  dat.  Aquilae  per  manus  Joh. 
archep.  Beneventani,  S.  R.  E.  vicecancellarii ,  in  welcher  er  also  noch 
nicht  Kardinal  heißt.  —  S.  a.  Vittori  bei  Antinori  302. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESHN  V.  385 

gesamt  das  Übergewicht  der  Partei  Karls  im  Kollegium 
stärkten;  sieben  von  ihnen  waren  Franzosen,  vier  andere 
gehörten  dem  hohen  Adel  des  Königreichs  Neapel  an  und 
waren  Karl  befreundet  Unter  ihnen  verdient  besonders 
Thomas  von  Okra  hervorgehoben  zu  werden,  welcher  bisher 
Kanzler  Karls  II.  gewesen  war  und  jetzt  zum  Kardinal- 
priester von  St  Cäcilia  an  Stelle  des  verstorbenen  Cholet 
gemacht  wurde.  Gleichzeitig  ernannte  ihn  Cölestin  zu  seinem 
Kämmerer5',  denn  Thoraas  gehörte  ebenso  wie  noch  ein 
anderer  der  neuen  Kardinäle  zu  dem  Orden  der  Murrhoniten  8. 


1)  Ciac.-Old.  II,  287:  Joannes  cognomento  Monachus  .  . .  famiUari- 
tatem  contraxit  cum  Carolo  II,  .  .  .  cuius  precibus  illum  Coel.  V.  car- 
dinalium  collegio  adscripsit.  —  II,  290:  Robertus  natione  Gallus,  .  .  . 
Philippo  Francorum  et  Carolo  Neapolitanorum  regibus  praecipue 
charus.  —  II,  291 :  Landulphus  Brancacius,  nobihs  Neapolitanus,  Carolo 

.  regi  pergratu8.  —  II,  293 :  Guilelmus  Longus  ...  in  Caroli  .  .  .  curia 
notus,  eiusdem  Caroli  cancellarius  fuit,  quo  rogante  a  Coel.  V.  inter 
diaconos  cardinales  .  .  .  cooptatus. 

2)  Im  Anfang  September  verzichtete  Johann  von  Castrocoeli,  der 
Erzbischof  von  Benevent,  auf  jegliche  Gerichtsbarkeit  über  das  Kloster 
St.  Giovanni  in  Piano  zugunsten  des  neuen  Abtes  Thomas  von  Okra 
(Telera,  Hist.  Sagr.  degli  Uomini  illustri  per  santita  della  congregaz. 
dei  Celestini  [Neapel  1689],  p.  116).  Wie  Thomas  von  Okra  im  Verein 
mit  Karl  II.  dann  seiue  Stellung  ausbeutete,  zeigt  eine  für  mehrere 
vornehme  Geschlechter  des  Königreichs  erlassene  Bulle  Cölestins 
(Cghelli,  Ital.  sac.  I,  385) :  Nuper  ...  Carolux  rex  ...  attendens  grata 
et  aeeepta  servitia,  quae  sibi  dil.  fil.  noster  frater  Thomas,  tit.  S.  Caec. 
presb.  cardM  cuius  consanguinei  estis,  apud  sedem  apostolicam 
studiose  impendit  hactenus  et  impendere  poterat  in  futurum,  vos  intuitu 
cardinalis  eiusdem  ab  omnibus  et  singulis  fiscalibus  etc.  etc.  .  .  .  duxit 
.  .  .  eximendo6.  Quare  nobis  humiliter  supplicastis,  ut  exemptionem 
.  .  .  confirmare  .  .  .  faceremus.  Nos  igitur  personas  vestras  ab  tem- 
pore cardinalis  eiusdem,  quem  claris  suis  exigentibus  meritis  syncera 
charitate  complectimur  et  eximiis  favoribus  confovemus,  gratiose  pro- 
sequi  intendentes  .  .  .  exemptionem  .  .  .  confirmare  .  .  .  communimus. 
Dat.  Neapoli  8  cal.  Dec. 

3)  Jac.  Card.  III.  II,  228 :  binos  fratres  sub  lege  morantes  instituit 
propria,  s.  a.  Vers  275.  Nach  Buccio  Ranallo,  Stanze  193,  waren  beide 
auch  aus  Aquila:  Dui  cardinali  de  Aquila  si  fece  et  coronao.  Dafs 
der  erste  der  beiden  t  äglichen  Kardinale  Thomas  von  Okra  war,  unter- 
liegt keinem  Zweifel,  aber  über  den  andern  herrscht  Streit.   Von  je- 

25* 


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386 


SCHULZ, 


und  es  ist  verständlich,  dafs  der  arme  Papst,  der  sich  auf 
seiner  Hohe  gewifs  vereinsamt  fühlte,  sich  nach  seinen  alten 
Genossen  sehnte,  um  mit  ihnen,  wie  früher  die  Anstrengungen 
der  Kasteiungen,  so  jetzt  die  Last  des  Pontifikate  gemein- 
sam zu  tragen  1  und  wenigstens  einige  Vertraute  um  sich 
zu  haben. 

Der  Kardinal  Jakob,  welcher  sich  bei  dieser  Gelegenheit 
vielleicht  in  seinen  Hoffnungen  getäuscht  sah 8 ,  schildert 
sichtlich  entrüstet  des  näheren  die  Art  und  Weise,  wie  die 
Ernennung  der  zwölf  Kardinäle  vor  sich  gegangen  sei s. 
Danach  hätte  der  König  einfach  die  Namen  derjenigen,  die 
er  zu  der  neuen  Würde  erhoben  wissen  wollte,  aufgeschrieben 
und  der  Papst  es  dann  als  eine  Gefälligkeit  angesehen,  seinen 
Wunsch  zu  erfüllen  4.  Nur  drei  Kardinälen,  Matthäus  Orsini, 
Jakob  Colonna  und  Hugo  Öeguin  hätte  Cölestin  vorher  Mit- 
teilung von  seiner  Absicht  gemacht,  aber  ihnen  Stillschweigen 
auferlegt;  die  übrigen  seien  bis  zum  Konsistorium  selbst  am 
18.  September  im  Unklaren  gehalten  worden.  In  diesem 
erst  habe  Cölestin  infolge  der  Veranstaltungen  des  schlauen 


her  viel  erörtert  ist  die  Person  des  neuen  Kardinalpresbyters  Peter: 
Papebroch  -  Muratori  in  der  Anmerkung  zu  Jac.  Card.  III.  II,  275. 
Oldoiu  II,  289.  Ughelli,  Ital.  sacra  I,  1379  unter  Valva  Nr.  33;  VIII, 
141  unter  Benevcnt.  Neuerdings  behauptet  Vittori  bei  Antinori  312 
und  318,  als  der  zweite  Ordensbruder  Cölestins  sei  Franz  Ronci  von 
Atri  anzusehen.  S.  S.  387  Anm.  5.  —  Die  verschiedenen  Angaben 
über  den  Orden,  welchem  der  Kardinal  Peter  angehörte,  lassen  sich 
daraus  erklären,  dafs  Peter  vielleicht  wie  so  viele  andere  Cassineser- 
raönche  dem  Wunsche  des  Papstes  folgend,  zum  Cölestinerorden  über- 
trat.   8.  S.  382  u.  396. 

1)  Card.  Cameracensis  ap.  Ciac.-Oldoin  II,  286:  Duos  cardinales  ex 
8uo  ordine  elegit,  ut  cum  illis  in  pontificio  spirituale  haberet  consortium, 
cum  quibus  ab  ipso  tyrocinio  militiae  spiritualis  seu  in  coenobio,  seu 
in  eremo  contubernium  ei  fuit. 

2)  Nach  einer  Vermutung  Castis  bei  Antinoii  173. 

3)  Jac.  Card.  III.  II,  233 ff.  Er  bezeichnet  es  nur  als  eine  Er- 
zählung, der  er  jedoch  beipflichtet :  fertur,  et  annuimus  etc. 

4)  Die  von  Casti  bei  Antinori  S.  174  versuchte  Widerlegung  der 
Angaben  Stephaneschis  scheint  mir  nicht  stichhaltig;  aus  den  bisher 
gedruckten  Quellen  läfst  sich  jedenfalls  eine  so  vielseitige  Thätigkeit, 
wie  sie  Peter  dort  zugeschrieben  wird,  nicht  entnehmen. 


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PETER  VON  BfUKBIIONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


387 


Bartholomäus  von  Capua  die  Namen  der  neu  Ernannten 
veröffentlicht,  und  selbst  Hugo  Seguin  sei  unangenehm  be- 
rührt gewesen,  dafs  ein  Freund  von  ihm,  den  er  vor- 
geschlagen hatte,  sich  nicht  unter  ihnen  befand  !. 

Die  einzige  Ausnahme  unter  den  neuen,  sonst  durch- 
weg angiovinisch  gesinnten  Kardinälen,  machte  wohl  Bene- 
dikt Gaetani  von  Anagni,  ein  Neffe  des  bekannten  gleich- 
namigen Kardinalpriesters  von  St.  Martin.  Wie  die  Stellung 
des  letzteren  zu  Karl  II.  in  den  Monaten  September  und 
Oktober  des  Jahres  1294  nicht  ganz  klar  ist,  so  können 
wir  auch  über  die  Gründe  für  die  Ernennung  des  ersteren 
nur  Vermutungen  aussprechen.  Er  war  der  einzige  unter 
den  zwölfen ,  der  aus  dem  Kirchenstaat  stammte 2,  und  es 
ist  wohl  am  wahrscheinlichsten,  dafs  man  in  seiner  Ernen- 
nung einen  Versuch  Karls  II.  zu  erblicken  hat,  sich  seinem 
alten  Feinde,  welcher  jedenfalls  der  Führer  der  Gegenpartei 
war,  zu  nähern  3,  eine  Vermutung,  welche  durch  einen  gleich- 
artigen späteren  Versuch  des  Königs,  der  urkundlich  bezeugt 
ist 4,  gestützt  wird.  Der  alte  Kardinal  konnte  sich  natür- 
lich mit  einem  so  winzigen  Zugeständnis  nicht  begnügen  und 
verharrte  weiterhin  in  seiner  ablehnenden  und  abwartenden 
Haltung  5. 


1)  Über  den  ordnungsmäßigen  Weg  der  Ernennung,  zu  dem  mehrere 
Versammlungen  des  Kardinalskollegs  gehörten,  9.  Ilinschius,  Kirchen- 
recht I,  340. 

2)  Jac.  Card  III.  II,  229  übersieht  dieses,  wenn  er  sagt:  nulluni, 
quem  subdita  sedi  immediata  parit  tellus  (doch  siehe  Anm.  5).  — 
Wenn  Ciac.-Old.  II,  292  seine  Erhebung  auf  den  grofsen  Einflufs  zu- 
rückführt, welchen  sein  Oheim  bei  Cölestin  besessen  habe,  so  ist  das 
für  den  Monat  September  wohl  noch  nicht  zutreffend. 

3)  So  auch  Tosti  I,  63,  wo  er  den  jüngeren  Gaetani  falschlich  Gio- 
vanni nennt. 

4)  Brief  Karls  vom  11.  November  1294.    S.  das  nächste  Kapitel. 
6)  Vgl.  auch  Tosti  I,  62:  Nel  qual  ncgozio  non  avendo  preso  parte 

il  Gaetani,  mostra,  che  ancora  si  guardassc  in  cagnesco  col  Re.  .  .  . 
Rimane  manifesto,  che  tino  ai  18  di  settembre  il  Gaetani  non  era  certo 
degli  amici  di  Carlo.  Derselbe  I,  230.  —  Nachträglich  finde  ich ,  dafs 
Vittori  bei  Antinori  316 ff.  an  die  Stelle  des  Gaetani,  welcher  erst  von 
Bonifaz  VIII.  zum  Kardinal  gemacht  sei,  Franz  Ronci  von  Atri  setzt 


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388 


SCHULZ, 


Nachdem  Karl  sich  so  eine  unbedingte  Mehrheit  im 
Kardinalskolleg  gesichert  hatte,  machte  er  sich  an  die  Lö- 
sung der  Aufgabe,  um  derentwillen  er  recht  eigentlich  die 
Wahl  Peters  betrieben  hatte:  die  Beilegung  des  Kampfes  mit 
Aragon  und  die  Wiedergewinnung  Siziliens  *.  Dezember 
1293  hatte  er  zu  Figueras  einen  Vertrag  mit  König  Jakob  II. 
geschlossen,  in  welchem  er  sich  verpflichtete,  die  Zurück- 
nahme des  über  Aragon  verhängten  Bannes  und  Interdikts 
und  die  Wiedereinsetzung  Jakobs  in  alle  alten  Rechte  zu 
erwirken ;  die  Sizilianer  sollten  von  ihm  wie  von  der  Kirche 
Verzeihung  erhalten.  Dafür  versprach  Jakob,  die  Söhne 
und  die  übrigen  Geiseln  Karls  so  wie  alle  Eroberungen  in 
und  bei  Sizilien  und  auf  dem  Festland  herauszugeben  und 
dafür  einzustehen,  dafs  bis  Allerheiligen  1297  die  Kirche 
ganz  Sizilien  mit  allen  zugehörigen  Inseln  in  dem  Umfang, 
wie  sie  einst  Karl  I.  beherrscht  hatte,  wieder  in  Besitz  habe. 

Aber  der  Vertrag  hatte  nicht  in  Kraft  treten  können, 
solange  der  Obcrlehensherr  des  Königreichs  Sizilien,  der 
Papst,  fehlte.  Am  1.  Oktober  1294  erwirkte  nun  Karl  II. 
von  Cölestin  die  Bestätigung  * ,  und  am  nächsten  Tage  liefs  er 
sich  reichliche  Geldmittel  zur  Wiedereroberung  Siziliens  und 
zur  Verteidigung  des  festländischen  Teils  seines  Reiches 
überweisen  8 :  den  Zehnten  aller  Kircheneinkünfte  aus  ganz 


mit  der  Begründung,  dafs  nach  Jac.  Card.:  1.  keiner  der  neuen  Kar- 
dinäle aus  dem  Kirchenstaate  gewesen  sei,  Benedikt  aber  aus  Anagni 
stammte;  2.  zwei  derselben  dem  Murrhonitenorden  angehört  hätten, 
8.  S.  385  Anm.  3;  3.  der  eine  von  beiden  bald  nach  der  Ernennung 
gestorben  sei,  während  Benedikt  noch  bis  zum  Oktober  1296  lebte. 
Alle  drei  Umstände  aber  träfen  bei  Franz  Ronci  zusammen:  er  sei  ge- 
boren in  Atri  im  Königreich  Neapel,  sei  Murrhonit  gewesen  und  am 
13.  Oktober  1294  in  Sulmona  gestorben.  Die  Übereinstimmung  ist  aller- 
dings überraschend,  doch  habe  ich  die  zum  Teil  ungedruckten  Quellen, 
aus  welchen  Vittori  schöpft,  nicht  nachprüfen  können.  —  Aus  Anlafs 
der  Krönung  und  der  Ernennung  der  neuen  Kardinäle  erliefs  Karl  II. 
eine  Amnestie  für  Aquila  (Muratori,  Antiqu.  Ital.  VI,  657,  31  und  Casti 
bei  Antinori  179,  35). 

1)  S.  Dissertation  S.  21. 

2)  Potthast  23984. 

3)  Potthast  23986  und  23986.  —  Damberger  XII,  101  und  Kritik- 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  389 

Frankreich  und  den  Kirchenprovinzen  Aix?  Arelat,  Embrun, 
Lyon,  Besancon,  Vienne  auf  vier  Jahre  und  den  aus  Eng- 
land auf  ein  Jahr.  Beide  mufsten  erst  dem  französischen, 
bezw.  englischen  Könige,  dem  Nikolaus  IV.  sie  übertragen 
hatte,  entzogen  werden,  und  Cölestin  ordnete  zu  diesem  Ende 
drei  Gesandten,  Unterthanen  Karls  IL,  nach  Frankreich 
-ab  J.  Schuf  sich  Karl  auf  diese  Weise  mit  Hilfe  Cölestins 
eine  neue  Einnahmequelle,  so  hatte  er  anderseits  schon  seit 
drei  Jahren  den  jährlichen  Lehenszins  von  8000  Goldunzen, 
welchen  er  gemüfs  dem  Vertrage  seines  Vaters  mit  Cle- 
mens IV.  an  Rom  zu  zahlen  verpflichtet  war*,  nicht  mehr 
entrichtet s.  Am  8.  Oktober  Hefs  er  ferner  Jakob  durch 
Cölestin  auffordern,  die  Ausführung  des  Vertrages  von 
Figueras  zu  beschleunigen  und  sich  zu  diesem  Zwecke  nach 
der  Insel  Ischia  zu  begeben  *. 

Aufser  auf  die  Stärkung  seiner  eigenen  Macht  dachte  er 
auch  trotz  des  Vertrages  mit  Jakob  auf  die  Schwächung 
Aragons,  denn  das  augenblickliche  gute  Verhältnis  war  von 
fraglicher  Dauer.  Cölestin  mufste  anordnen,  dafs  Jakob  II. 
auch  in  den  pyrrhenäi sehen  Ländern  des  aragonesischen 
Hauses  nicht  anerkannt  werden  sollte,  ehe  nicht  Sizilien 
wieder  an  das  Königreich  Neapel  zurückgegeben  sei  5.  In 
der  gleichen  Absicht  suchte  Karl  Jakob  des  Rückhalts  zu 
berauben,  den  ihm  seine  Verlobung  mit  Isabel,  der  Tochter 
des  Königs  von  Kastilien,  bot;  eine  päpstliche  Bulle  vom 
9.  Oktober6  ermahnte  den  König  von  Aragon,  schleunigst 


heft  S.  21  verdächtigt,  wie  viele  andere  Bullen  Cölestins,  auch  diese, 
denn  mit  ihr  reime  sich  nicht,  dafs  Karl  II.  zu  gleicher  Zeit  friedliche 
Unterhandlungen  mit  Philipp  IV.  und  Jakob  II.  gepflogen  haben  solle. 
Aber  die  Bulle  richtet  sich  nicht  gegen  diese  Herrscher,  sondern  gegen 
Sizilien,  und  wie  oben  gesagt,  hatte  sich  Jakob  II.  selbst  verpflichtet, 
Karl  zur  Wiedergewinnung  behilflich  zu  sein. 

1)  Urkunde  bei  Amari:  La  guerra  del  vespro  sicil.  1843,  II,  62'. 

2)  Raynald  1289,  2. 

3)  Digard  etc.  Les  Reg.  de  Boniface  VIII,  1884,  no.  128. 

4)  Potthast  23992. 

6)  Leo,  Oesch.  von  Italien  IV,  638. 

6)  Potthast  23993.  —  Auch  hier  meint  Daraberger  XII,  102:  „Dafs 
im  Jahre  1294  gerade  in  dem  Zeitpunkt,  da  man  den  König  Aragoniens 


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39M 


SCHULZ, 


die  wegen  zu  naher  Verwandtschaft  unerlaubte  Verbindung 
aufzuheben. 

Über  der  auswärtigen  Politik  vergafs  Karl  auch  nicht, 
für  seine  Familie  zu  sorgen,  denn  die  hier  oder  dort  er- 
rungenen Erfolge  muteten  einander  wechselseitig  fordern. 
Seinen  zweiten  Sohn  Ludwig  Hefa  er  zum  Erzbischof  von 
Lyon  ernennen,  da  der  bisherige  zum  Kardinal bisc hol'  von 
Albano  gemacht  war  Diese  Verfügung  Cölestins  ist  wie- 
derum ein  hervorragendes  Zeugnis  von  der  Allgewalt,  mit 
welcher  Karl  II.  über  seinen  Papst  bestimmte:  Ludwig 
weilte  noch  als  Geisel  in  Spanien  *,  er  war  erst  2 1  Jahre 
alt  und  hatte  bisher  weder  die  Tonsur  noch  die  niederen 
Weihen  erhalten;  aber  all  das  bildete  weder  für  den  König 
noch  für  Cölestin  ein  Hindernis,  ja  nicht  einmal  der  ordnungs- 
mäfsige  Weg  —  soweit  man  unter  solchen  Verhältnissen 
überhaupt  von  Ordnung  sprechen  kann  —  wurde  inne- 
gehalten: am  7.  Oktober  teilte  der  Papst  Ludwig  mit,  dafs 
er  ihm  das  Erzbistum  Lyon  übertragen  habe s,  und  erst 
nach  der  Ernennung  beauftragte  er  den  Minoriten  Franzis- 
kus von  Apta,  demselben  die  erste  Tonsur  und  die  niederen 
Weihen  zu  erteilen  *.  Die  Erhebung  Ludwigs  zu  einem  der 
höchsten  kirchlichen  Amter  erinnert  stark  an  die  Ernennung 
des  Laien  Bartholomäus  von  Capua  zum  Geheimschreiber. 
Infolge  dieser  aufserge wohnlichen  Ernennung  ist  denn  auch 


zu  einem  billigen  Vergleiche,  zur  Abtretung  Siciliens  stimmen  wollte, 
der  Papst  ihn  so  hart  und  beleidigend  wegen  eines  Verlöbnisses,  dem 
die  nötige  Dispense  folgen  konnte,  angelassen  habe,  ist  durchaus  nicht 
zu  glauben.  Die  Breven  sind  interpoliert ,  wo  nicht  ganz  unter- 
geschoben." Aber  Schirr  mach  er,  Gesch.  von  Spanien  V,  81  zeigt, 
dafs  die  Verlobung  und  der  1291  von  Jakob  mit  Kastilien  geschlossene 
Vertrag  durch  den  von  Figueras  schon  im  Dezember  1293  zerrissen 
war.    Die  Bulle  enthält  also  durchaus  keine  Beleidigung  Jakobs  11. 

1)  Ciac.-Oldoin  II,  286. 

2)  Rayuald  1294,  15. 

3)  Pottbast  23990.  23991.  —  Gallia  christiana  XIII,  32—33.  — 
Holder-Egger  meldet  N.  Archiv  X,  236  (s.  S.  367  Anm.  1),  dafs  in  der 
von  ihm  aufgefundenen  Kompilation  ein  Kapitel  „De  s.  Ludovico  episcopo 
de  ordine  fratrum  Minorum"  handele. 

4)  Potthast  23992.  23994. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  391 


Ludwig  nur  kurze  Zeit  im  Besitz  der  Würde  gewesen, 
Bonifaz  VIII.  beraubte  ihn  derselben,  wie  er  so  viele  Mafs- 
nahmen  Cölestins  V.  widerrief. 

Auch  betreffd  des  Gesetzes  Gregors  X.  über  die  Papst- 
wahl, welches  Hadrian  V.  zeitweilig  und  Johann  XXI. 
vollständig  aufgehoben  hatte,  wird  man  nicht  im  Zweifel 
sein ,  dafs  Cölestin  durch  die  Erneuerung  desselben  1  nicht 
etwa  nur  Sedisvakanzen  von  der  Dauer,  wie  sie  seiner  Er- 
nennung voraufgegangen  waren,  zu  verhüten  beabsichtigte,  — 
wenn  auch  Karl  mit  solchen  und  ähnlichen  Vorstellungen 
ihn  zu  der  Erneuerung  bewogen  haben  mag,  —  sondern 
dafs  sie  den  Plänen  des  Königs  dienen  sollte.  Die  in  dem 
Gesetze  einst  von  Gregor  X.  erlassene  Vorschrift,  dafs  die 
Kardinäle  zehn  Tage  nach  dem  Tode  des  Papstes  in  dem 
Palaste,  welchen  der  Verstorbene  bewohnt  hatte,  eingemauert 
werden  sollten  2,  raufste  in  Karl  II.  den  Wunsch  nach  Wieder- 
herstellung des  Gesetzes  erwecken,  denn  mit  einer  solchen 
Handhabe  konnte  er  hoffen,  auch  die  Wahl  des  nächsten 
Papstes  nach  seinem  Willen  zu  leiten  s.  Dafs  die  Kardinäle 
derartige  Absichten  bei  ihm  fürchteten  *,  zeigt  der  Eid, 
welchen  sie  sich  schwören  liefsen,  bevor  sie  nach  Aquila 
kamen.    Aber  Karl  verfügte  über  den,  welcher  binden  und 


1)  Potthast  23980:  28.  September  1294. 

2)  Die  Behauptung  Dambergers  XII,  99,  sowohl  diese  Bestimmung 
wie  die  fernere,  dafs  die  Kardinäle,  wenn  sie  sich  nach  drei  Tagen 
noch  nicht  geeinigt  hätten,  für  die  nächsten  fünf  zum  Mittag-  und 
Abendessen  nur  je  ein  Gericht  und  von  da  an  nur  noch  Brot,  Wein 
und  Wasser  erhalten  sollten,  sei  eine  erst  von  Cölestin  erfundene  Ver- 
schärfung, beruht  auf  einem  Irrtum;  vielmehr  befindet  sich  die  Vor- 
schrift schon  im  Gesetze  Gregors  X.:  s.  Lib.  sext.  cap.  3.  De  elect. 
I,  6  und  Hins chi us,  Kirchenrecht  I,  267. 

3)  So  erklärt  es  sich,  dafs  Tosti  I,  64  die  Erneuerung  des  Kon- 
klavegesetzes tadelt,  während  er  sie  später  bei  Bonifaz  VIII.  lobt.  Den 
Vorwurf  der  Parteilichkeit,  welchen  ihm  Ludovisi  bei  Antinori  S.  15 
deshalb  macht,  halte  ich  somit  in  diesem  Falle  —  ohne  Tosti  im 
übrigen  von  demselben  freisprechen  zu  wollen  —  mit  Rücksicht  auf  die 
Verschiedenheit  der  Lage  beider  Päpste  für  ungerechtfertigt. 

4)  Wegen  des  von  Karl  I.  gegebenen  Beispiels  hatten  sie  auch  allen 
Grund  dazu. 


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302 


lösen  konnte,  und  liefe  sich  am  17.  Oktober  von  dem  ge- 
leisteten Eide  ledig  sprechen  l.  Das  war  ein  entschiedener 
Sieg  über  die  römischen  Gegner,  der  bedeutendste  neben 
dem,  welchen  er  gegen  die  aragonesisch - sizilische  Macht 
erreicht  hat,  and  die  kurialistisch  Gesinnten  unter  den  Kar- 
dinälen mulsten  über  denselben  aufs  höchste  erbittert  sein. 

In  gleicher  Richtung  wirkte  die  Überführung  der  Kurie 
nach  Neapel,  welche  Karl  bereits  seit  Anfang  September 
plante  *  und  im  Laufe  des  Oktobers  bewerkstelligte s,  ohne 
dafs  das  Kardinalskolleg  darum  befragt  wurde;  vielmehr 
scheint  der  König  die  nötigen  Reisevorbereitungen  unter  dem 
Vorwande,  dafs  er  nach  Rom  wolle,  betrieben  und  den  Papst 
mitsamt  den  Kardinälen  in  letzter  Stunde  überrascht  zu 
haben 4.  Seit  dem  22.  Juli  war  er  bereits  seiner  Haupt- 
stadt fem,  und  die  von  neuem  aufgenommenen  Verhandlungen 
mit  Aragon  werden  seine  Anwesenheit  in  derselben  jetzt  um 
so  dringender  gefordert  haben.  Sollte  er  seinen  Papst  nun 
allein  in  den  Händen  der  Kardinäle  zurücklassen?  Dann 


1)  Pottbast  23998;  24019  eine  Bestätigung  auch  für  den  Fall  der 
Abdankung  des  Papstes. 

2)  Am  3.  September  benachrichtigt  Karl  von  Aquila  aus  die  Nea- 
politaner über  die  bevorstehende  Ankunft  des  Papstes:  C.  M.  Riccio, 
Saggio  di  cod.  dipl.  Supplem.  I  (1882),  no.  71.  No.  72— 74  vom  9.,  21. 
September  und  11.  Oktober  enthalten  Befehle  über  die  zu  treffenden 
Vorkehrungen. 

3)  Das  Itinerar  s.  bei  Potthast  II,  1919—1920;  Gallia  Christ.  1739 
VI,  392  wird  übrigens  noch  eine  Bulle  Cölestins  erwähnt:  data  Aversae  II 
non.  Novemb.  .  .  .  bulla  ex  tat  in  archivis  Dominicanorum  Claromonten- 
sium  in  Arvernia.  —  Bis  zum  6.  Oktober  befand  sich  Cölestin  in 
Aquila,  vom  13.  November  haben  wir  die  erste  Urkunde  aus  Neapel; 
nach  Casti  bei  Antinori  S.  197  war  er  schon  am  5.  November  dort  an- 
gelangt 

4)  Ptol.  Luc.  XXIV,  32.  —  Auf  eine  Täuschung  der  Kurie  lassen 
die  Verse  des  Kardinals  Jakob  schliefsen  (III.  II,  252 ff.): 

Dudumque  viam  succinctus  ad  urbem 
Tenderet  eximiam,  Petri  Paulique  dicatam 
Sanguine,  subductus  Carolo,  coetuque  sequente, 
Parthenopen  dcflexit  iter. 

Auch  Buccio  Ranallo  sagt  Stanze  199:  Et  poi  tomö  ad  Napoli  non  so 

per  che  mistero.  —  Casti  bei  Antinori  193  ff. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  393 

mufste  er  furchten,  dafs  sie  ihn  nach  Rom  brachten ;  es  war 
das  Sicherste,  wenn  er  ihn  mit  sich  nahm.  Und  noch  ein 
zweiter,  mindestens  ebenso  schwerwiegender  Vorteil  wurde 
damit  zu  gleicher  Zeit  erreicht:  der  Zusicherung  ihrer  per- 
sönlichen Freiheit  beraubt,  safsen  jetzt  die  Gegner  Karls 
unter  den  Kardinälen  in  der  Hauptstadt  ihres  Feindes  wie 
in  einem  Käfig  gefangen,  —  kein  Wunder,  dafs  sie  auf 
dem  Wege  nach  Neapel,  wie  Tolomeo  von  Lucca  erzählt, 
dem  Papst  aufs  ernstlichste  vorstellten ,  die  römische  Kirche 
gerate  unter  ihm  in  Gefahr  und  Verwirrung. 


Schon  längst  bestand  eine  Spannung,  welche  fast  mit 
jeder  Regierungshandlung  Cölestins  zunahm,  zwischen  diesem 
und  einem  grofsen  Teile  der  Kardinäle,  soweit  sie  nicht  dem 
Könige  ganz  und  gar  ergeben  waren.  Es  geschah  zu  viel 
des  Neuen  gegen  das,  was  seit  langen  Zeiten  an  der  Kurie 
Brauch  war  l,  und  dabei  war  die  Persönlichkeit,  welche  die 
Neuerungen  einführte,  zu  unbedeutend,  als  dafs  nicht  all- 
mählich die  Anhänger  des  Alten  hätten  die  Oberhand  ge- 
winnen müssen.  Doch  dafs  Cölestin  unerfahren  in  der  Aus- 
übung seines  Amtes  und  ohne  Verständnis  für  seine  Auf- 
gaben war,  hätten  ihm  die  Kardinäle  nicht  allein  verziehen, 
es  hätte  sogar  ihren  Wünschen  entsprochen.  Aber  nimmer- 
mehr konnten  sie  es  ruhig  mit  ansehen,  dafs  er  sich  ganz 
und  gar  von  einem  weltlichen  Fürsten  umgarnen  liefs,  auf 
welchen  sie  eigentlich  als  auf  den  Vasallen  Roms  herab- 
blicken zu  können  meinten.  In  Karl  II.  schienen  die  erst 
vor  wenigen  Jahrzehnten  niedergerungenen  Staufer  einen 
Nachfolger  zu  erhalten,  der  wie  sie  nach  der  Herrschaft  über 
die  Kirche  trachtete  und  zudem  wegen  seiner  unmittelbaren 


1)  Jacob,  de  Voragine  ap.  Murat.  IX,  54:  Multa  quoque  alia 
faciebat,  in  quibus  non  sequebatur  praecedentium  patrum  vestigia  nec 
eorum  statuta.  Ebenso  Ann.  Mellicensium  Contin.  Florian,  ap.  Mon. 
Germ.  IX,  749:  Unde  multa  fecit  sine  maturitate  et  preter  usitatum 
ordinem  curie. 


.-594 


SCHULZ, 


Nähe  doppelt  gefährlich  zu  werden  drohte.  Der  Hafs  der 
älteren,  römisch  gesinnten  Kardinäle  gegen  den  König  mufste 
durch  die  Verfügungen,  welche  Cölestin  auf  Betreiben  und 
zu  gunsten  Karls  II.  erlieis,  fortwährend  gesteigert  werden, 
denn  jeder  einzelne  Fall  bedeutete  einen  Eingriff  in  die  Vor- 
rechte, welche  sich  das  Kardinalskollegium  in  langem,  mühe- 
vollem Kampfe  errungen  hatte.  So  ist  es  in  der  That  ein 
„überaus  bezeichnender  Umstand"  l,  dafs  Jakob  Stephaneschi 
in  seinem  Gedicht  denjenigen  Handlungen  des  Papstes, 
welche  von  den  Kardinälen  nicht  gebilligt  wurden^  ein  eigenes 
Kapitel  widmete  2.  Stellen  wir  die  Punkte,  welche  den  Ku- 
rialen  hauptsächlich  Anlafs  zur  Unzufriedenheit  gaben,  hier 
noch  einmal  kurz  zusammen. 

Seit  der  Weigerung  Peters,  nach  Perugia  zu  kommen, 
deren  Urheber  die  Kardinäle  sehr  wohl  kannten,  war  der 
Unwille  derselben  gegen  den  König  und  seinen  Schützling 
in  stetem  Steigen  begriffen.  Ebenso  bitter  wie  den  welt- 
lichen Einflufs  des  Königs  empfand  man  das  Eindringen 
von  Laien  in  die  höchsten  geistlichen  Amter  wie  jenes  Bar- 
tholomäus von  Capua  und  des  Königssohnes  Ludwig.  Die 
Erteilung  zahlloser  Pfründen,  welche  Cölestin  ganz  planlos, 
nur  in  dem  Gefühl,  niemandem  eine  Bitte  abschlagen  zu 
sollen  3,  oder  auf  den  Wunsch  Karls  vornahm,  richtete  in 
der  ganzen  Kirche  eine  heillose  Verwirrung  an,  zumal  es 
bei  Cölcstins  Unkenntnis  der  Geschäfte  zuweilen  sich  er- 
eignete, dafs  drei,  vier  oder  noch  mehrere  dieselbe  Stelle  an- 
gewiesen erhielten;  soll  er  doch  sogar  Bullen  in  Blanko  mit 


1)  Souchon,  Die  Papstwahleu  von  Bonifaz  VIII.  bis  Urban  VI. 
(1688),  S.  8,  macht  auf  denselben  aufmerksam. 

2)  Lib.  III,  cap.  II  trägt  die  Überschrift :  Acta  Coelestini  in  ponti- 
ficatu  minus  probata  cardinalibus.  Auch  die  wenige  Jahre  spater  gleich- 
falls von  Kardinälen  verfafste  Schrift  bei  Bai  an,  II  processo  di  Boni- 
fazio  VIII  (Rom  1881),  p.  83  sagt:  Eraut  enim  defectus  et  insufficientie 
eius  non  solum  prudentibus,  sed  et  lippis  et  tonsoribus  manifeste.  — 
Vgl.  S.  893  Aum.  I. 

3)  Mon.  Germ.  IX,  750:  Tante  autem  mansuetudinis  et  beniguitatis 
fuit,  quod  petitiones  omnium  ad  se  recurrentium  liberaliter  exaudire 
consuevit.  —  Fcrrctus  Vicent.  ap.  Murat.  IX,  960. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLEST1N  V. 


Unterschrift  und  Siegel  ausgestellt  haben  *.  Die  Verzweif- 
lung der  Kardinäle  8  über  die  allgemeine  Unordnung  spricht 
deutlich  aus  den  Worten  des  damals  schon  an  der  Kurie 
thätigen  Jakob  Stephaneschi 3 : 

0  quam  multiplices  indocta  potentia  formas 
Edidit,  indulgens,  donans,  facieosque  recessu 
Atque  vacaturas  concedens  atque  vacantes! 

Gab  das  den  Kardinälen  Anlafs  zur  Besorgnis  um  das 
Wohl  der  Kirche,  so  waren  in  anderer  Beziehung  vielfach 
ihre  eigensten  Interessen  bedroht  *.  Die  Versuche  des  alten 
Asketen,  sie,  die  prachtliebenden,  ehrgeizigen  Weltmänner 
zu  seiner  stillen,  beschaulichen  Lebensweise  zu  bekehren, 
mochten  sie  nicht  allzu  ernst  nehmen;  aber  die  Verdoppe- 
lung ihres  Kollegiums  minderte  schon  an  sich  den  Einflute  des 
einzelnen  herab  und  nun  gar  noch  zu  gunsten  des  verhaisten 
Königs,  dem  die  neuen  Mitglieder  alle  unbedingt  Gefolg- 
schaft leisteten.  Doch  selbst  den  geringen  Rest  von  Einflufs, 
der  ihnen  noch  geblieben  war,  hatten  sie  kaum  Gelegenheit 
auszuüben,  denn  Cölestin  traf  seine  Verfügungen  häufig  ohne 


1)  Ptol.  Luc.  XXIV,  31:  Decipiebatur  tarnen  a  suis  officialibus 
quantum  ad  gratias,  quae  fiebaut,  quarum  ipse  notitiam  habere  non 
poterat.  .  .  .  Unde  inveniebantur  gratiae  aliquae  factae  tribus  vel 
quatuor  vel  pluribus  personis,  raembrana  ctiam  vacua,  sed  bullata. 

2)  Welche,  wie  Souchon  S.  18  bemerkt,  dabei  der  von  Nikolaus  IV. 
ihnen  zugestandenen  Hälfte  sämtlicher  Einkünfte  verlustig  gingen. 

3)  Jac.  Card.  III.  II,  267 ff.  Vgl.  auch  Jac.  de  Voragine  1.  c: 
Dabat  etiam  dignitates,  praelaturas,  officia  et  beneficia,  in  quibus  non 
sequebatur  curiae  consuetudinem ,  sed  potius  quorundam  suggestionem 
et  suam  rudern  simplicitatem ;  ferner  die  Bulle,  in  welcher  Bonifaz  VIII. 
die  Schenkungen  u.  s.  w.  Cölestins  widerrief  (bei  Barth.  Cotton  ap. 
Mon.  Oerm.  XXVIII,  614):  Olim  Coelestinus  .  .  .  devictus  instantia  et 
ambitione  nimia  plurimorum,  ignarus  eorum,  quae  et  iuris  dcbitum  et 
gravitas  pastoralis,  cui  presidebat,  ofticii  requirebant,  seductus  insuper 
atque  deceptus  per  capciosam  astuciam  deceptabilem  aliquorum,  fecit 
diversa  et  conccssit  varia  minus  digne,  inordinata  et  insolita,  quorum 
aliqua  subticemus  ex  causa,  sub  cuius  bulla  nonnulla,  ut  fertur,  preter 
ipsius  consdentiam  transierunt,  quae  non  indigne,  quin  immo  necessario, 
limam  apostolicae  correctionis  exposcuut.  —  Bzovius  zu  1294,  VI. 

4)  Vgl.  Souchon  a.  a,  0.  S.  7. 


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396 


SCHULZ, 


Befragung  des  Konsistoriums.  Zum  erstenmale  kam  der 
Unwille  der  Kardinäle  zum  Ausbruch,  als  der  Papst  am 
24.  Oktober  in  Teanum  nach  dem  Tode  eines  der  beiden 
neuen  Kardinäle  aus  dem  Murrbonitenorden  (s.  S.  367 
Anm.  ö)  wider  allen  Brauch  1  ganz  plötzlich  nach  dem 
Essen  *  seinen  Vizekanzler,  den  Erzbischof  von  Benevent, 
zum  Kardinal  machte.  Derselbe  wird  sich  nicht  allein  durch 
die  Führung  der  Geschäfte  dem  Papste  unentbehrlich  zu 
machen  gewufst  haben,  er  hatte  sich  auch  dessen  besondere 
Gunst  dadurch  errungen,  dafs  er  die  schwarze  Kutte  des 
Benediktinerordens,  dem  er  angehörte,  mit  der  weifsen  der 
Cölestiner  vertauscht  hatte.  Die  Erregung  unter  den  Kar- 
dinälen war  so  grofs,  dafs  der  Ernannte  wieder  zurücktreten 
mufste;  man  liefs  ihm  nur  die  Aussicht,  dafs  er  bei  der 
nächsten  Gelegenheit,  wenn  die  Kardinäle  ordnungsmäfsig 
ihre  Zustimmung  gegeben  hätten  3,  sein  Kardinalat  wieder- 
erhalten solle. 

Endlich  aber:  so  oft  sich  der  Papst  des  Rates  bedürftig 
fühlte,  wandte  er  sich  nicht  an  die  Kardinäle,  sondern  an 
den  König  oder  dessen  Kreaturen,  deren  Entscheidung  oft 
genug  zum  Nachteil  jener  ausfiel.  Die  Erneuerung  des 
Konklavegesetzes  Gregors  X.  unter  den  augenblicklichen 
Umständen  und  die  Befreiung  Karls  von  dem  ihnen  ge- 


1)  S.  S.  387  Anm.  1. 

2)  Jac.  Card.  III.  II,  275 ff.: 

Nam  cum  mors  atra  septikum 
Alterutrum  Procerum,  Pastoris  dogma  professum 
Acciperet,  monacbi  dimissis  vestibus  atris 
Praesulis  induitur  babitum,  pertingere  sperans 
Irrubiare  caput.  — 

Jac.  de  Vorag.  1.  c:  tempore  et  modo  debito  non  servato  (sonst  fanden 
behufs  der  Ernennungen  regelmäfsig  in  der  Quatemberwocbe  Versamm- 
lungen der  Kardinäle  statt:  Hinschius,  Kirchenrecht  I,  340)  de  pleni- 
tudine  siraplicitatis  (!)...  non  temporibus  institutum  nec  de  conailio 
cardinalium,  sed  ad  suggestioncm  aliquorum.  —  Tosti,  Badia  di 
Montecassino  III,  36  ff. 

3)  Gesetzliches  Anrecht  auf  eine  solche  hatten  sie  freilich  nicht. 
Hinschius  I,  339. 


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PETER  VON  MIR RHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


397 


leisteten  Eide  mufsten  die  Kardinäle  geradezu  als  einen  an 
ihnen  und  der  Kirche  begangenen  Verrat  ansehen.  Die 
Übersiedelung  Cölestins  mit  der  Kurie  nach  Neapel  besiegelte 
schliefslich  die  Auslieferung  des  Papsttums  in  die  Hände 
des  Anjou  und  trieb  den  Unwillen  der  Kardinäle  auf  den 
Höhepunkt. 

(Fortsetzung  im  nächsten  Heft.) 


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ANALEKTEN. 
i. 

Studien  zu  Luthers  Sendschreiben  an  die 
Christen  zu  Riga  und  in  Liefland  vom 

Jahre  1524. 

Von 

0.  Albrecht,  Pastor  in  Naumburg  a.  S. 


1.  Bibliographisches  und  Textkritisches. 

Diese  Lutherschrift,  welche  ich  für  die  Weimarer  Gesamt- 
ausgabe vorzubereiten  habe,  ist  bisher  noch  nicht  ausreichend 
untersucht  worden.  Auch  End  er  8  in  seinem  verdienstlichen 
Briefwechsel  Luthers,  Bd.  V  (1893),  S.  98,  Nr.  867  beschrankt 
sich  darauf,  zu  dem  in  der  Erlanger  Ausgabe  Bd.  XLI,  S.  130 
(vgl.  Bd.  LIII,  8.  281  und  De  Wette  Bd.  II,  S.  595)  dargebotenen 
Stoff  einige  bibliographische  Nachträge  zu  liefern.  Ohne  hier  auf 
die  Bibliographie  näher  eingehen  zu  wollen,  bemerke  ich,  Enders 
ergänzend,  nur  kurz,  dafs  von  der  bei  ihm  a.  a.  0.  erwähnten 
Ausgabe  des  Jahres  1534  nicht  zwei,  sondern  drei  verschiedene 
Drucke,  welche  alle  von  Jörg  Bhaw  in  Wittenberg  herstammen, 
bekannt  sind,  ferner  dafs  der  schon  von  Wellers  Repertor.  typogr. 
unter  Nr.  3007  aufgeführte  Nachdruck  unerwähnt  geblieben  ist, 
sodann  dafs  der  Wittenberger  Neudruck  der  Auslegung  des 
127.  Psalms  (ohne  Luthers  Vorwort  an  die  Rigaer)  im  Anhang 
der  Sieben  Bufspsalmen  v.  J.  1525  übersehen  worden  ist.  Es 
sind  demnach  elf  älteste  Ausgaben  zu  zählen.  Der  von  Enders 
richtig  erkannte  Urdruck  hat  folgenden  Titel: 

„Der  hundert  vnd  ||  Sieben  vnd  zwen-||tzigst  psalm  ausge-||legt 


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ALBRECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHERS  SENDSCHREIBEN.  399 


an  die  Chri-!  sten  zu  Rigen  ||  ynn  Liff-|  land.  ||  Martinas  Luther.  ||  " 
(In  der  unteren  Randleiste:)  „Wittenberg.  ||  M.D.XXIIII.  ||  "  Mit 
Titeleinfassung,  14  Bl.  in  4°,  letztes  Bl.  leer.  —  Einige  Exem- 
plare lesen  im  Titel  „zwen- ;zigst",  einige  haben  ebenda  den 
Druckfehler  „ausgc-  legt",  während  im  Text  selbst  abgesehen  von 
der  Richtigstellung  eines  verkehrt  stehenden  Buchstabens  sich 
keine  Abweichungen  finden.  —  Dieser  Originaldruck  ist  Lukas 
Cranach  in  Wittenberg  zuzuschreiben,  wie  D.  Knaake  in  seiner 
Abhandlung  „Über  Cranachs  Presse"  im  Centraiblatt  für  Biblio- 
thekswesen 1890,  S.  196  ff.  (Nr.  14)  nachgewiesen  hat;  hier  ist 
auch  S.  203  f.  der  Titelholzschnitt  genau  beschrieben. 

Der  überlieferte  Text  des  ersten  Druckes  enthält  verhältnis- 
mäfsig  viel  Fehler  und  üngenauigkeiten ,  mehr  als  sonst  in  den 
mir  bekannt  gewordenen  Erzeugnissen  der  Cranachschen  Presse 
vorzukommen  pflegen.  Es  wäre  daher  Ton  grofser  Bedeutung, 
wenn  die  Notiz  bei  Enders  a.  a.  0.  richtig  wäre:  „Nach  Arndt, 
Lieft.  Chronik  II,  185  soll  sich  das  Original  des  Briefes  auf  der 
rigaischen  Stadtbibliothek  befinden."  Allein  Enders  —  der  übrigens 
selbst  zweifelnd  beifügt  „aber  bat  Luther  wirklich  den  Brief  hand- 
schriftlich nach  Riga  gesandt?"  —  hat  sich  geirrt  In  jener 
Liefländer  Chronik  steht  a.  a.  0.  von  unserer  Lutherscbrift  nur 
dies,  dafs  dieselbe  sich  in  der  Leipziger  Ausgabe  Bd.  VI,  S.  550 
abgedruckt  finde;  dann  heilst  es  wörtlich:  „Auf  der  rigaischen 
Stadtbibliothek  liegen  noch  ein  paar  Briefe  von  Luthers  eigner 
Hand,  deren  Inhalt  sehr  kurz  und  zu  speziell,  auch  von  keiner 
Wichtigkeit  ist4';  in  der  Anmerkung  werden  sie  dann  erwähnt: 
1)  ein  deutscher  Brief  Luthers  von  Donnerstag  nach  Bartholo- 
mäi  1540  an  den  Rat  zn  Riga  über  Magister  Engelbrecht  (vgl. 
De  Wette  V ,  S.  302  f.) ,  2)  ein  lateinischer  Trostbrief  an  den 
Prediger  Georgium  Sicambrum,  datum  Wittenberg  feria  6  post 
purificationis  1540,  3)  ein  Brief  vom  31.  Oktober  1537  (dieser 
nur  in  Abschrift)  an  den  Rat  wegen  einer  Ehescheidungssache 
zwischen  Job.  Kannengiefser  und  Barbar  GÖche.  —  Anderweite 
Nachforschungen  nach  dem  Original  sind  erfolglos  geblieben. 
Man  wird  also  nicht  darauf  rechnen  dürfen,  den  Urdruck  nach 
der  Handschrift  verbessern  zu  können. 

Als  zweifellose  Textfehler  notiere  ich  die  folgenden,  natür- 
lich mit  der  Erwägung,  dafs  vielleicht  an  einzelnen  Stellen  schon 
die  Handschrift  das  Versehen  enthalten  haben  kann: 

Bl.  A  3*  Z.  4  lies:  „man  hungers"  statt  „manhungers",  B 
1*  Z.  3:  „Salomo  neyn"  statt  „Salomon  eyn",  B  2*  Z.  17: 
„wil  hie"  statt  „wie  hie",  C  lb  Z.  24:  „wol"  statt  „vbol", 
C  lb  Z.  32:  „mich  nicht  lassen"  statt  „mich  lassen",  C2  b  Z.  1 : 
„verbirgt'4  statt  „vertagt".  C  2b  Z.  6  gehört  noch  zum  ci- 
tierten  Text,  der  die  beginnende  Auslegung  markierende  Absatz 

ZeiUchr.  f.  K.-O.  XVII,  J.  26 


400 


ANALEKTEX 


ist  also  erst  bei  der  folgenden  Zeile  anzuwenden.  D  1*  Z.  32: 
„will  ich  ...  geschrieben  haben"  statt  „will  ich  ...  geschrieben 
habe". 

Wahrscheinlich  sind  anch  folgende  Lesarten  als  Druck- 
versehen  zu  beurteilen: 

Bl.  B  2b  Z.  22  f.  „Aller  äugen  herr  sehen  auff  dich  vnd 
du  gibst  yhm  zu  essen";  es  wird  „ybn"  (=  yhnen)  zu  lesen  sein, 
wie  die  meisten  Nachdrucke  haben. 

B  3b  Z.  3 f.  „ynns  fleyschs";  die  Mehrzahl  der  Nachdrucke 
liest  „fleysch";  erstere  Form  findet  sich  in  Ph.  Dietz'  Wörter- 
buch zu  Luthers  deutsch.  Sehr.  s.  v.  „Fleisch"  nicht  erwähnt, 
nur  als  Genetivform  „fleisches". 

C  2*  Z.  22  „her  selbe";  die  Nachdrucke  ändern  meist  „er 
selbs",  einer  „der  herr  selbs",  Ph.  Dietz  a.  a.  0.  s.  v.  „er" 
führt  an,  dafs  in  einigen  älteren  Schriften  Luthers  verschiedent- 
lich die  Schreibung  „ehr"  sich  finde,  seine  eigenhändigen  Briefe 
aber  nur  „er"  bieten,  die  Schreibung  „her"  wird  hier  gar  nicht 
erwähnt. 

.  G  4b  Z.  27  ff.  „Es  ist  alles  zu  thun,  das  er  vns  will  das 
regiment  vnd  sorge  vber  uns  nemen  vnd  weren,  auff  das  wyr 
wissen  sollen,  wie  er  selbs  alleyne  vns  regiere  vnd  für  vns 
sorge,  vnd  vns  erbeyten  vnd  schaffen  vnser  Ding". 
Ein  Nachdruck  ändert  im  Schlufssatz:  „vns  lasse  erbeiten". 
Dies  scheint  mir  die  richtige  Korrektur  zu  sein.  Zwar  könnte 
man  auf  den  ersten  Blick  das  Gegenteil  erwarten  („uns  nicht 
lasse  arbeiten")  und  daran  denken,  den  Schlufssatz  logisch  von 
„weren"  abhängen  zu  lassen.  Allein  unser  Arbeiten  und  Gottes 
Fürsorge  will  Luther  nicht  als  Gegensätze,  sondern  als  Korrelat- 
begriffe angesehen  haben,  wie  z.  B.  klar  hervorgeht  aus  dem 
Satz  Bl.  C  4b  Z.  4 ff.  „das  wyr  ia  sehen  sollen,  das  er  for  alle 
Ding  sorget,  vnd  vns  nichts  nyrgent  lassen  will  denn  die  erbeyt". 
Will  man  jene  Einschaltung  „lasse"  als  unnötig  abweisen,  so 
bleibt  nur  übrig,  den  Schlufssatz  „vnd  vns  erbeyten  etc."  als 
Accus,  c.  Inf.  abhängig  von  „das  wyr  wissen  sollen"  zu  fassen 
und  ihn  dem  voranstehenden  Satz  „wie  er  .  .  .  sorge'4  zu  coor- 
dinieren;  als  hätte  Luther  schreiben  wollen:  auf  dafs  wir  wissen 
sollen  ihn  selbst  allein  uns  regieren  .  .  .  und  uns  arbeiten  etc. 
Ich  möchte  aber  die  vorher  angegebene  Auskunft  für  richtiger 
halten.  Die  lateinische  Übersetzung  des  Obsopoeus  schafft  hier 
keine  Klarheit,  sie  hilft  sich  mit  folgender  Umschreibung  der 
Worte  „vnd  vns  erbeyten  vnd  schaffen  vnser  Ding":  „Quo  omnihns 
his  illi  nos  commendantes  tantum  nostris  laboribus  intenti  certa 
fiducia  de  se  omnia  nobis  prospera  et  foelicia  polliceremur". 

D  lb  Z.  1  „ewr  hertz  .  .  .  vleyssiger  seyen";  hier  ist  in 
den  meisten   Nachdrucken    die  Pluralform  „hertz  en",  einmal 


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ALBRECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHERS  SENDSCHREIBEN.  401 


„hertze"  eingesetzt;  so  viel  ich  sehe,  ist  „hertz"  als  Pluralforin 
nicht  nachweisbar. 

Vielleicht  ist  ferner  an  folgenden  beiden  Stellen  der  ur- 
sprüngliche Text  durch  Auslassungen  verderbt: 

Bl.  A  4b  20  „Aristoteles  schreybt  Oeconomia,  das  ist  von 
hausbauten";  alle  ältesten  Drucke  lauten  so,  während  in  Gesamt- 
ausgaben, z.  B.  Erl.  Ausg.  41,  S.  135,  De  Wette  2,  599,  ein 
„de"  vor  oeconomia  eingeschaltet  ist. 

Sodann  im  Titelblatt.  Ungenau  lautet  es  hier:  „zu  Eigen 
ynn  Liffland",  genauer  hat  der  Eingangsgrufs  „zu  Eigen  vnd 
yun  Liffland".  Als  Adressaten  sind  eben  nicht  blofs  die  Eigaer 
gemeint,  sondern  auch  die  sonst  in  Liefland  wohnenden  Christen, 
also  dieselben,  an  welche  Luther  bereits  im  Jahre  1523  ein 
Sendschreiben  (vgl.  Weim.  Ausg.  Bd.  XII,  S.  143 ff.)  erlassen 
hatte. 

Unnötig  dagegen  erscheint  es  mir,  an  folgender  Stelle  eine 
Textverderbnis  anzunehmen,  Bl.  C  4b  Z.  19 ff.:  „Drumb  laut 
diser  vers,  das  nicht  die  kinder  vnd  fruchte  des  leybs,  wilche 
er  Gottes  erbe  vnd  gäbe  nennet,  Sondern  die  kinder  iugent .  .  . 
ynn  der  band  hat".  De  Wette  und  Erl.  Ausg.  setzen  hier  das 
fehlende  Subjekt  ein  und  lesen  „das  er  nicht".  Allein  es  kommt 
bei  Luther  bekanntlich  häufig  vor ,  dafs  er  das  Subjekt,  wenn  es 
ein  Pronomen  ist  und  aus  dem  Zusammenhang  leicht  zu  er- 
gänzen, fortläfst;  hier  konnte  das  um  so  mehr  geschehen,  weil 
der  folgende  Relativsatz  („wilche  er  etc.")  auch  „er"  als  Sub- 
jekt hat,  welches  aber  eine  andere  Person  bezeichnet,  als  das  zu 
ergänzende  „er"  des  regierenden  Satzes. 

Noch  führe  ich  eine  Eeihe  von  Stellen  an,  die  durch  die 
damalige  teilweis  regellose  Interpunktion  für  uns  undeutlich  ge- 
worden sind,  und  wo  etwa  durch  genauere  Zeichensetzung  das 
Verständnis  des  urspünglichen  Sinnes  erleichtert  werden  kann. 

Bl.  A  3b  Z.  13  beginnt  ein  neuer  Abschnitt  mit  einem  un- 
gewöhnlichen Partizipialsatz:  „Nichts  bessere  denn  nur  eyn  an- 
ders vnd  ergers  Babstum  auffgericht  etc.".  Den  Sinn  hat  Ob- 
sopoeus  in  seiner  lateinischen  Obersetzung  richtig  so  umschrieben: 
„Nec  video  huic  nostrae  pertinaciae  et  negligentiae  curandae  melius 
posse  dari  remedium,  quam  quod  deintegro  peior,  si  fieri  possit, 
erigatur  papatus."  Die  Beziehung  der  absoluten  Partizipial- 
kon8truktion  wird  nun  sofort  verständlicher ,  wenn  man  den 
Druckabsatz  nicht  hier,  sondern  schon  sechs  Zeilen  vorher  ein- 
treten läfst  mit  den  Worten:  „Wolan,  was  Gott  daran  fnr  ge- 
fallen wird  haben,  das  werden  wyr  ynn  der  kftrtze  erfaren". 
Denn  dieser  Satz  bildet  die  logische  Voraussetzung  jenes  Parti- 
zipialsatzes. 

Bei  längeren  Perioden  und  ineinandergeschachtelten  Sätzen 

26* 


ANA LEKTKX. 


steht  öfter  mitten  inne  ein  Punkt  Es  würde  zu  weit  führen,  an 
Beispielen  wie  Bl.  C  1B  Z.  27—34,  Bl.  C  3b  Z.  9—18  zu  zeigen, 
auf  welche  Weise  durch  Parenthetisierong  der  Einschaltungen, 
durch  Einsetzung  von  Kolon  oder  Komma  statt  Punkt  die  Periode 
Obersichtlicher  gemacht  werden  kann. 

Schwieriger  ist  die  sinngemäße  Interpungierung  folgender  Pe- 
riode Bl.  lb  Z.  29 ff.:  „Also  sehen  wyr,  das  haushallten  soll  vnd 
mus  ym  glauben  geschehen,  so  ist  genug  da,  das  man  erkenne, 
Es  lige  nicht  an  vnserm  thun,  sondern  an  Gottes  segen  vnd 
beystand."  Es  fragt  sich,  ob  der  mittlere  Satz  „so  ist  genug 
da"  mit  je  verschiedenem  Sinn  zum  Vorangehenden  oder  zum 
Folgenden  gehört,  ob  demnach  nachher  oder  vorher  ein  stärkeres 
Satzzeichen  als  ein  Komma  zu  denken  ist.  Beides  ergiebt  einen 
passenden  Sinn.  Obsopoeus  scheint  sich  für  die  erstere  Möglich- 
keit entschieden  zu  haben,  er  übersetzt  etwas  unklar:  „Ita  vide- 
mus  rem  domesticaro  fide  dispensandam  esse,  volentes  nihil 
de  esse,  ut  cognoscamus"  etc.  Für  die  Beziehung  des  Zwischen- 
satzes zum  Vorangehenden  aber  könnte  man  den  zuvor  Z.  2 1  ff. 
ausgesprochenen  Oedanken  geltend  machen:  wer  im  Glauben  auf 
Gott  den  Hausherrn  6ehe,  erblicke  keine  ledigen  Winkel,  vielmehr 
„Es  dunckt  dich  alles  voll  seyn,  vnd  ist  auch  alles  vol". 

Einfacher  ist  der  Fall  Bl.  B  3b  Z.  8 ff.:  „So  finden  wyrs 
denn,  das  alle  vnser  erbeyt  nichts  ist,  denn  Gottes  gueter  finden 
vnd  auffheben.  Nichts  aber  mögen  machen  oddor  erhalten." 
Bichtig  übersetzt  Obsopoeus :  omnem  nostrum  conatom  et  laborem 
nihil  aliud  esse  quam  Dei  omnipotentis  bonorum  collectionem  et 
inventionem,  non  autem  acquisitionem  aut  custodiam.  Der  Punkt 
vor  „Nichts"  hat  nur  den  Wert  eines  Kommas;  das  „Nichts 
können  machen"  ist  blofs  eine  zweite  prädikativische  Bestimmung, 
gleichwertig  der  voranstehenden  „Gottes  Güter  finden". 

Schwierigkeiten  bietet  die  folgende  Satzverknüpfung  Bl.  C  4b 
Z.  2 ff.:  „Noch  füret  er  sie  [die  kinder  der  iugent]  ym  hause 
vnd  stad  wie  er  will,  Das  wyr  ia  sehen  sollen,  das  er  für  alle 
ding  sorget,  vnd  vns  nichts  nyrgent  lassen  will  denn  die  erbeyt. 
Damit  wyr  nicht  meynen  Gott  regiere  alleine  die  iungen 
kinder  ynn  der  wigen,  vnd  lasse  die  grossen  sich  ybrer  vernunfft 
vnd  freyes  willens  brauchen.  Ia  er  regirt  die  grossen  (spricht 
er  hie)  ia  so  mechtiglich  alls  die  iungen."  Man  könnte  zunächst 
bedenken,  ob  nach  dem  ersten  Punkt  nicht  ein  zweiter  Hauptsatz 
beginne,  also:  „Damit  [hiermit]  meinen  wir  nicht  etc.",  und 
könnte  dafür  anführen,  dafs  der  Ausdruck  „Kinder  der  Jugend" 
kurz  vorher  so  erläutert  ist,  dafs  deren  Unmündigkeit  hervorgehoben 
wird,  „als  die  noch  nicht  haushallten  noch  wechter  ynn  der  stad 
sind,  die  wyr  meynen  gantz  vnd  gar  vnser  kiogheyt  befolhen  zu 
haben".  Allein  die  folgende  Ausführung  ergänzt  diese  Definition; 


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ALBRECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHEKS  SENDSCHREIBEN.  403 


Kinder  der  Jugend  sind,  „die  na  gros  vnd  vernunfftig  sind", 
oder  „die  grossen",  die  „yhrer  vernunfft  vnd  freyes  willens 
braueben",  von  diesen  „spricht  er  hie",  während  er  von  den 
„jungen  Kindern  in  der  Wiege"  im  Verse  vorher  (Kinder,  Leibes- 
frucht) gesprochen  habe.  Es  wird  daher  vielmehr  der  Punkt  in 
Komma  zu  verwandeln  und  „Damit  etc."  als  Finalsatz  zu  fassen 
sein;  also:  Gott  fahrt  sie  [die  grofsen  Kinder]  im  Haus  und 
Stadt  wie  er  will,  .  .  .  damit  wir  nicht  meinen,  Gott  regiere 
allein  die  jungen  Kinder  in  der  Wiege  etc.  Dem  entsprechend 
giebt  auch  die  lateinische  Übersetzung  den  Sinn  wieder.  Oder 
aber,  was  vielleicht  noch  besser  ist,  man  beläfst  den  Punkt  und 
läfst  mit  dem  Finalsatz  „Damit  etc."  eine  neue  Periode  beginnen, 
deren  Hauptsatz  (Nachsatz)  lautet  „spricht  er  hie";  dann  müfste 
der  zweite  Punkt  in  ein  Komma  oder  Kolon  verwandelt  werden. 
Also:  „Damit  wir  nicht  meinen,  Gott  regiere  allein  die  jungen 
Kinder  in  der  Wiege  und  lasse  die  grofsen  sich  ihrer  Vernunft 
.  .  .  brauchen:  ja,  er  regiert  die  grofsen,  spricht  er  hier  etc.". 

Noch  einige  Worte  über  die  wichtigsten  Änderungen  und 
Zusätze  der  neuen  von  Luther  zehn  Jahre  später  besorgten  Aus- 
gabe der  Schrift.  Dieselbe  enthält  eine  dem  Text  der  Vollbibel 
vom  Jahre  1534  entsprechende  neue  Übersetzung  des  Psalms 
nebst  „Glosse"  und  „Summa"  vor  der  Auslegung,  ferner  im  Anhang 
den  Psalm  noch  einmal  „in  ein  schönes  Lied  verfasset"  mit 
Singnoten.  Verfasser  aber  dieses  Liedes  „Vergebens  ist  all  Müh 
und  Kost"  ist  nicht  Luther,  sondern  Lazarus  Spengler.  Letzterer 
erwähnt  dasselbe  im  Brief  an  Veit  Dietrich  vom  1.  Januar  1534: 
„Meinen  psalmus  Nisi  Dominus,  den  ich  vor  ettlichen  vnd  meins 
achtens  wol  vor  Sechs  oder  Siben  iaren  begriffen,  wie  ich  euch 
den  zugeschickt  hab,  der  auch  nun  dise  lange  zeit,  bifs  ich  euch 
das  zugeschickt,  on  ain  Compositio  gelegen  ist,  hat  auch  Eobanus 
Hessus  auf  mein  ansuchen  vor  guter  weile  in  Carmina  gepracht, 
der  ist  mir  warlich  allweg  sonderlich  lieb  gewest  etc."  (Mayer, 
Spengleriana  S.  136).  Nun  ist  freilich  jenes  Lied  schon  in  den 
Magdeburger  Gesangbüchern  seit  1540  und  vorher  in  dem  Valten 
Schuhmannschen ,  Leipzig  1539,  Luther  zugeschrieben.  Dieser 
Irrtum,  der  lange  nachgewirkt  bat,  erklärt  sich  durch  den  Um- 
stand ,  dafs  das  Lied  im  Anhang  einer  Schrift  Luthers  zuerst 
veröffentlicht  worden  ist.  Noch  W.  Thilo  hat  in  seinem  Send- 
schreiben an  einen  Freund  „Luther  oder  Spengler?  D.  i.  Wer 
ist  Verfasser  des  Liedes  Vergebens  ist  all  Müh  und  Kost"  (als 
Handschrift  gedruckt,  Berlin,  G.  Schade,  1860)  jene  irrige  Au- 
nabme  zu  verteidigen  gesucht,  doch  ist  sie  ausreichend  widerlegt 
durch  Ph.  Wackernagel,  Das  deutsche  Kirchenlied,  Bd.  I, 
S.  402 f.,  vgl.  Bd.  III,  S.  49,  und  neuerlich  durch  Fischer  in 
seinem  Kirchenliodcrkxikou  S.  295ff.    Die  Hauptgrüude  sind 


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404 


ANALKKTEK. 


folgende:  1)  Die  vorliegende  Schrift  Luthers,  in  der  er  selbst 
das  Lied  durch  den  Ausdruck  der  Überschrift  „in  ein  schönes 
Lied  verfasset"  als  ein  von  ihm  nicht  gemachtes  bezeichnet; 
2)  das  Valentin  Babstsche  Gesangbuch  von  1545,  in  welchem 
Luther  die  beiden  ihn  betreffenden  Irrtümer  jenes  Magdeburger 
Gesangbuches  dadurch  verbessert,  dafs  er  von  dem  Liede  „Nun 
lasset  uns  den  Leib  begraben"  in  der  Vorrede  sagt,  nicht  er, 
sondern  Mich.  Weifse  habe  dasselbe  verfafst,  und  dafs  er  das 
Lied  „Vergebens  ist  etc."  in  den  zweiten  Teil  des  Gesangbuchs 
verweist,  der  keine  Lieder  von  ihm  enthält,  sondern  „Psalmen 
und  geistliche  Lieder,  welche  von  frommen  Christen  gemacht  nnd 
zusammengelesen  sind";  3)  J.  B.  Biederers  Erklärung  in  seiner 
Abhandlung  vom  Jahre  1759,  worin  auf  den  oben  von  uns  ci- 
tierten  Brief  Spenglers  an  Dietrich  verwiesen  ist;  4)  sprachliche 
Gründe:  in  jeder  Strophe  kommen  Ausdrücke  und  Wendungen  vor, 
die  Luther  fremd  sind  (das  Nähere  bei  Wackernagel  a.  a.  0.). 


2.  Geschichtliche  Voraussetzungen,  Abfassungszeit. 

Die  geschichtlichen  Voraussetzungen  des  vorliegenden  zweiten 
Lutherschen  Sendbriefs  an  die  Livländer  sind  im  allgemeinen  die 
gleichen,  wie  die  des  ersten  vom  Jahre  1523;  sie  sind  in  der 
Einleitung  zu  letzterem  in  der  Weimarer  Ausgabe  Bd.  XII  (1891), 
S.  143 ff.  durch  Professor  D.  Kawerau  umsichtig  erörtert  worden. 
Doch  ist  ergänzend  hinzuzufügen,  dafs  der  vorjährige  Brief  an 
die  Christen  in  Riga,  Reval  und  Dorpat  bereits  vor  dem  11.  No- 
vember 1523  in  Riga  angelangt  ist;  denn  an  diesem  Tage 
schreiben  „  Burgermeister  vnd  Radtmanne  In  gemeiner  Christlicher 
Kirche  namen  zu  Riga"  eine  dankende  Antwort  an  Luther,  welche 
jüngst  nach  einer  im  Revaler  Staatsarchiv  entdeckten  Kopie  von 
Hörschelmann,  Andreas  Knopken  (Leipzig  1896),  S.  98 — 101, 
besser  auf  S.  255 — 257  erstmalig  veröffentlicht  worden  ist1.  Im 
Eingang  heifst  es  hier:  „Euwer  veterlichen  lieben  sendebrieff, 
myt  egen  Handt  —  wie  wir  beriebt  —  geschrieben,  auch  ge- 


1)  Hörschelmann  hat  diesen  wertvollen  Brief,  dessen  Datum  er 
mehrmals  irrig  als  „21.  November"  augiebt,  doch  nicht  genügend 
ausgebeutet.  Überhaupt  fehlt  es  seiner  Arbeit  mehrfach  an  Präcision. 
Die  Weimarer  Lutherausgabe  und  Enders'  Briefwechsel  Luthers  schei- 
nen ihm  unbekannt  geblieben  zu  sein,  dagegen  führt  er  die  neuere 
Spezi allittera tu r  zur  Refoi  mationsgeschichte  Livlands  genauer  an.  Lu- 
thers Brief  an  die  Christen  in  Riga  vom  Jahre  1523  datiert  er  ohue 
Grundangabc  auf  den  15.  August  (S.  93),  ebenso  inig  auch  Lohmüllers 
ersten  Brief  auf  den  10.  Oktober  1522  (S.  89)  u.  s.  w. 


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ALBRECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHERS  SENDSCHREIBEN.  405 

drugket  aufsgang,  die  drei  Hanbtstuck  Gelaub,  lieb  vfid  Hofhang 
.  .  .  begreiffend,  an  die  Christliche  vorsaml tragen  zu  Rige,  Derpt 
vnd  Beuel  In  Leiffland  lautend,  haben  wir  yn  bosunder  bogir- 
licher  andacht  vnnd  groser  frolockung  entfangen."  Später:  „Ferner 
haben  wir  vorstanden,  dafs  vnser  lieber  andechtiger  M.  Joan 
Lomüller  vnd  heimlich  getruwer  hie  vorn  an  e.  v.  1.  geschriben 
sali  haben  mit  bitlicher  andacht,  e.  v.  1.  sich  kegen  vnns  geleich 
wie  der  heilige  Paulus  den  Corinthern  vnd  andern  steten  vnd 
kirchen  myt  veterlicher  heilssamer  vnderrichtung  zu  irer  gelegen- 
heit  wold  erczegen,  dar  an  er  vns  dang  nemigen  (?)  willen  ge- 
than.  Hir  vmb  ist  auch  nach  vnser  gleichmessig  gutwillig  vnd 
fleissig  bett,  e.  v.  1.  wollen  hin  furder  sulch  angehabene  veter- 
lich  gutte  vnd  christlich  erinnerung  .  .  .  vnderweilen,  wen  sich 
e.  v.  1.  der  andern  grosen  vnd  mennigfaltigen  gescheften,  vleis, 
muhen  vnd  arbeite  christlicher  gemein  gnts  eczwes  entledigeth, 
vnd  vns  notroflich  (?)  vormercken  zu  irfolgen  nicht  ablassen." 
Daraus  ergiebt  sich  inbezug  auf  den  zweiten  undatierten  Brief 
Lobmüllers  an  Luther  (Enders  a.  a.  0.  Bd.  IV,  Nr.  748,  Ka- 
ys* er  au  a.  a.  0.  S.  145),  worin  das  Nichteintreffen  einer  Ant- 
wort, auf  die  sie  schon  „in  das  zweite  Jahr  hinein"  warteten, 
beklagt  wird,  dafs  derselbe  nur  in  den  wenigen  Tagen  zwischen 
dem  20.  Oktober  1523  (vom  20.  Oktober  1522  datiert  Loh- 
müllers erster  Brief)  und  11.  November  1523  verfafst  sein  kann. 
Vielleicht  ist  dieser  nur  als  Fragment  erhaltene  Brief  überhaupt 
Entwurf  geblieben  und  dann,  da  das  Eintreffen  von  Luthers  Ant- 
wort ihn  überflüssig  machte,  gar  nicht  zur  Absendung  gelangt. 
Ferner  ist  klar,  dafs  Luthers  frohe  Änfserung  im  Brief  an  Spa- 
latin  vom  1.  Februar  1524  über  die  Bigaer  „quorum  literas  et 
legatum  nuper  suscepi"  eben  jenes  erst  jüngst  wieder  aufgefundene 
Dankschreiben  der  Bigaer  Gemeinde  vom  11.  November  1523 
meint,  nicht  aber  den  zweiten  Brief  Lohmüllers,  wie  Enders 
Bd.  IV,  S.  271,  Anm.  1  und  Kawerau  a.  a.  0.  annehmen. 
Die  Vermutung  der  Jubiläumsschrift  für  Dr.  Ulmann  in  Peters- 
burg, Riga  1866,  S.  3*,  dafs  unter  „literae"  und  „legatus"  ein  Brief 
nnd  Abgesandter  des  Bigaer  Bates  zum  Dank  für  Luthers  vor- 
jähriges Schreiben  zu  verstehen  sei,  ist  durch  Hörschelmanns 
Entdeckung  zur  Gewifsheit  erhoben.  Übrigens  bezieht  sich  die 
Lohmüller  betreffende  Stelle  im  Dankbrief  der  Rigaer  augenschein- 
lich auf  Lohmüllers  ersten  Brief  an  Lutüer,  speziell  auf  folgende 
Stelle  desselben:  „non  .  .  .  quaerimus  .  .  .  aliam  gloriam  nobis 
comparare  tois  scriptis  quam  qualem  Paulus  suae  indidit  Corintho 
ac  reliqnis  ecclesiis"  (bei  Enders  Bd.  IV,  Nr.  581,  Z.  55 ff.). 
Dies  könnte  der  Vermutung,  dafs  Lohmüllers  zweiter  Brief  gar 
nicht  abgesandt  sei,  zur  Bestätigung  dienen.  Allein  da  die  bei- 
den Lobmüllerscben  Briefe  dem  Sinne  nach  als  einer  zu  begreifen 


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406 


AXALEKTEK 


sind  —  der  zweite  ist  hauptsächlich  nur  ein  Begleitschreiben 
zur  Kopie  des  ersten  mit  der  Bitte,  selbigen  endlich  zu  beant- 
worten — ,  so  ist  immerhin  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen, 
dafs  der  Rigaer  Rat  sie  beide  meint  und  gerade  durch  die  kürz- 
lich erfolgte  Ausfertigung  des  zweiten  an  den  Wortlaut  des  ersten 
erinnert  worden  ist.  Wie  dem  auch  sei,  es  ist  nicht  zu  be- 
zweifeln, dafs  Luther  die  Anregung  zur  Übersendung  eines  zweiten 
Sendschreibens  an  die  Livländer  durch  die  im  Brief  an  Spalatin 
vom  1.  Februar  1524  erwähnten  literae  et  legatus,  also  durch 
den  an  ihn  gelangten  Brief  des  Rigaer  Rats  vom  11.  November 
1523,  erhalten  hat.  Wenn  nuu  Luther  im  Eingang  seines  neuen 
Schreibens,  merkwürdigerweise  ohne  Erwähnung  des  vorjährigen, 
sich  entschuldigt,  allerlei  habe  ihn  gehindert,  ihnen  etwas  Christ- 
liches zu  schreiben,  er  sei  dazu  „längst  vermahnt",  und  es  sei 
[jetzt  wieder]  „solches  begehrt":  so  beziehen  sich  diese  Aus- 
drücke offenbar  auf  die  oben  citierte  Bitte  im  Schreiben  der  Ri- 
gaer zurück,  er  möge  seine  angehobene  väterliche  Erinnerung 
fortzusetzen  nicht  ablassen,  wie  denn  auch  ganz  in  ihrem  Sinne 
vordem  Lohmüller  ihn  gebeten  habe,  ihnen  gelegentlich  eine 
väterliche  Unterricbtung  zukommen  zu  lassen.  Und  gerade  das, 
was  Lohmüller  in  seinem  ersten  Brief  (bei  Enders  Bd.  IV, 
Nr.  681,  Z.  54)  als  besonders  erwünscht  bezeichnet  hatte,  dedi- 
care  aliquid,  führte  Luther  nun  aus.  Er  dedicierte  ihnen  die 
Auslegung  des  127.  Psalms,  welcher  die  Herzen  von  Sorge  und 
Geiz  ziehe  und  das  rechte  christliche  Verhalten  zum  zeitlichen 
Gut  lehre.  Die  Wahl  dieses  Stoffes  motiviert  er  aber  nicht 
durch  Hinweis  auf  die  ihm  mitgeteilten  Nachrichten  über  dortige 
Zustände,  er  geht  auf  die  Gemeindeverhältnisse  der  Rigaer  gar 
nicht  ein,  sondern  bemerkt  nur:  „Es  ist  freilich  [gewifslicb]  zu 
vermuten,  dafs  weder  bei  uns  noch  bei  euch  das  aufgangen 
Evangelium  werde  besser  haben  etc.";  die  dann  folgenden  Klagen 
über  den  die  Frucht  des  Evangeliums  hindernden  Geiz,  der  sich 
besonders  in  der  mangelnden  Fürsorge  für  Schulen  und  Pfarreien 
zeige,  ist  ganz  allgemein  gehalten.  Aus  diesem  Charakter  der 
Schrift  wird  es  von  vornherein  wahrscheinlich,  dafs  es  sogleich 
gedruckt  den  Rigaern  zuging  (vgl.  dazu  S.  399).  Zutreffend  ur- 
teilt K östlin ,  M.  Luther,  Bd.  V,  S.  659:  „Den  Anlafs  scheinen 
ihm  die  Erfahrungen,  die  er  überhaupt  damals  machte,  gegeben 
zu  haben;  sein  —  für  den  Druck  bestimmtes  —  Sendschreiben 
schliefst  sich  an  jenen  Aufruf  an,  welchen  er  damals  an  alle 
deutsche  Bürgermeister  und  Ratsherren  der  Schulen  wegen  rich- 
tete." Die  Rückbeziehung  auf  letztere  im  Januar  oder  Anfang 
Februar  1524  erschienene  1  grofse  Schrift  ist  ja  unverkennbar, 


1)  Sie  wird  als  soeben  erschieneu  erwähnt  im  Brief  Hummelbergs 


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ALBRECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHERS  SENDSCHREIBEN.  407 


wenn  er  hier  schreibt  Bl.  A  2b  Z.  5 ff.:  „Ich  habe  nu  viel  ge- 
predigt vnd  geschrieben,  das  man  ynn  Stedten  sollt  gute  schulen 
auffrichten,  damit  man  gelerte  menner  vnd  weyber  auffzöge, 
daraus  Christliche  gute  pfarrer  vnd  prediger  würden  etc."  (Aufser- 
dem  vgl.  man  noch  Luthers  Batschlage  wegen  der  Schulen  in 
der  Schrift  an  den  Adel,  Weim.  Ausg.  Bd.  VI,  S  457  f.,  in  der 
Leisniger  Kastenordnung,  ebenda  Bd  XII,  S.  15,  die  Briefe  an 
Straufs  vom  25.  April  1524,  de  Wette  Bd.  II,  S.  504f.  = 
Enders  Bd.  IV,  Nr.  785,  Z.  22  ff.,  und  an  Briefsmann  vom 
4.  Juli  1524,  De  Wette  S.  528  =  Enders  IV,  Nr.  805, 
Z.  89  ff.)  Luther,  noch  ganz  erfüllt  von  den  dort  in  umfassen- 
der Darlegung  ausgesprochenen  Gedanken,  wiederholt  hier  davon 
manches.  Aber  weil  er  doch  zugleich  klagt,  dafs  man  trotz  seines 
vielen  Predigens  und  Schreibens  in  der  Aufrichtung  guter  Stadt- 
schulen sich  lässig  und  faul  anstelle,  so  ist  wohl  anzunehmen, 
dafs  unsere  Schrift  nicht  unmittelbar  nach  der  Schrift  an  die 
Batsherren,  sondern  erst  nach  Verlauf  eines  gewissen  Zeitraumes, 
in  welchem  die  Berechtigung  zu  jener  verschärften  Klage  sich 
zeigte,  verfafst  worden  ist.  Diese  Erwägung  legt  es  nahe,  die 
Entstehungszeit  in  die  zweite  Hälfte  des  Jahres  1524  zu  ver- 
legen. Vielleicht  ist  dies  auch  der  Grund  des  kurzen  und  nicht 
weiter  erläuterten  Urteils  bei  Kolde,  M.  Luther,  Bd.  II,  S.  579 
Anm.  zu  S.  173:  Das  Sendschreiben  an  die  Rigaer  sei  „sicher 
erst  gegen  Ende  1524  gedruckt". 

Giebt  es  vielleicht  noch  andere  Anhaltspunkte  zur  näheren 
Bestimmung  der  Abfassungszeit?  Die  Äufserung  am  Schlufs  „wie 
wöllen  wyr  stehen,  wenn  nu  die  falschen  geyster  an  vns  komen, 
so  sich  itzt  schon  regen  vnd  anhebon?"  ist  zu  unbestimmt,  um 
daraus  einen  Schlufs  zu  ziehen;  ähnlich  lauten  dio  Aussagen 
schon  in  den  Briefen  vom  6.  Mai  1524  an  Gerbel  (De  Wette 
II,  509  =  Enders  IV,  Nr.  791,  Z.  13ff.)  und  vom  4.  Juli 
1524  an  Biielsmaun  (de  Wette  II,  526  =  Enders  IV,  Nr. 
805,  Z.  17  ff.). 

Wichtiger  für  die  Zeitbestimmung  würde  die  Bemerkung 
Köstlins  sein  a.  a.  0.  Bd.  I,  S.  609 f.,  wenn  sie  ganz  richtig 
wäre:  Luther  habe  noch  unmittelbar  vor  der  Ausgabe  des  ganzen 
Psalters  vom  Jahre  1524  zwei  deutsche  Psalmen,  den  120.  und 
127.,  in  Sendschreiben  an  auswärtige  Bekenner  des  Evangeliums 
(Miltenberger  und  Bigaer)  aufgenommen;  jetzt  im  Text  des  Psal- 
ters seien  dieselben  schon  bedeutend  verbessert,  einzelne  neue 
Änderungen  folgten  dann  gleich  in  der  Gesamtausgabe  vom  dritten 
Teil  des  Alten  Testamentes  und  weiter  in  einer  neuen  Ausgabe 


an  Vadian,  Datum  Ravensburg  den  28.  Februar  1524,  vgl.  Hart  fehler, 
Melanchthoniana  Paedagogica  (1892),  S.  125. 


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ANALEKTEN. 


der  Bufspsalmen  vom  Jahre  1525.  —  Also  der  Brief  an  die 
Bigaer  mit  der  Auslegung  des  127.  Psalms  wäre  dann  vor 
dem  „Psalter  deutsch"  vom  Jahre  1524  veröffentlicht,  also  wohl 
schon  vor  September;  denn  am  1.  September  1524  kündigt  Luther 
die  in  vier  Wochen  bevorstehende  Herausgabe  des  deutschen  Psal- 
ters an:  „Ad  Michaelis  festum  edotur  Psalterium  vernaculum  par- 
vum,  deinde  pars  illa  Bibliae  quao  sub  praelo  est,  modo  mer- 
catores  firmantur  typis"  (Enders  V,  Nr.  820,  Z.  59 ff.)  x.  Allein 
das  Textverhältnis  ist  doch  wenigstens  beim  127.  Psalm  nicht 
ein  derartiges,  wie  Köstlin  es  andeutet.  Man  vergleiche  einfach 
die  Zusammenstellung  in  der  kritischen  Ausgabe  der  Bibelüber- 
setzung von  Bindseil-Niemeyer  Bd.  III  (1850),  S.  296 f. 
Daraus  ergiebt  sich  ganz  klar:  eine  durchgreifende  Änderung  der 
Übersetzung  von  Ps.  127  findet  sich  erst  in  der  Ausgabe  von 
1534;  der  Psalmtext  unseres  Rigaer  Briefes  vom  Jahre  1524 
stimmt  dagegen  stetig  Qberein  mit  demjenigen  im  Anhang  der 
Bufspsalmen  von  1525,  er  weicht  jedoch  einige  Male  ab  von  dem 
der  Sonderausgabe  des  Psalters  1524  und  weist  dabei  zweimal 
in  der  Auslegung  selbst  die  Lesart  auf,  die  sich  im  Psalter 
findet,  während  nur  die  vorangestellte  Übersetzung  vom  Psalter 
abweicht.  Der  dritte  Teil  des  Alten  Testaments  vom  Jahre 
1524  hat  bis  auf  ein  Wort  den  Text  des  127.  Psalms  genau 
so,  wie  ihn  der  Psalter  1524  darbietet  Wie  geringfügig  die 
Textabweicnungen  der  Ausgaben  vom  Jahre  1524  — 1525  sind, 
veranschaulicht  die  folgende  Übersicht: 

V.  1  „Das  bans  nicht"  Riga  1524,  Bufsps.  1525]  „nicht 
das  haus"  Psalter  1524,  3A.  T.  1524.  —  „Die  stad 
nicht"  Riga  1524,  Bufsps.  1525]  „nicht  die  stad" 
Psalter  1524,  SA.  T.  1524. 

V.  3  „Vnd  des  leybs  frucht  ist  das  lohn"  Riga  1524,  Bufsps. 
1525  (beide  in  der  Übersetzung)]  „Vnd  die  frucht  des 
leybs  ist  das  lohn"  Psalter  1524,  3A.  T.  1524,  Riga 
1524,  Bufsps.  1525  (letztere  beide  nur  in  der  Aus- 
legung). 

V.  5  „seynen"  Riga  1524,  Bufsps.  1525,  SA.  T.  1524] 
„seyne"  Ps.  1524,  3A.  T.  1525.  —  „Reden  mit  yhren 
feynden"Riga  1524,  Bufsps.  1525  (beide  in  der  Über- 
setzung)] „mit  yhren  feynden  reden"  Riga  1524,  Bufsps. 


1)  Wie  stimmt  dazu  die  Notiz  im  Brief  Milichs  an  Blaurer  vom 
24.  Juni  1524  (bei  Hartfelder,  Melanchth.  Paedag.,  p.  141):  „Psal- 
terium Germanicum  excusuin  est?"  Ist  eine  grofse  Ausgabe  gemeint 
im  Gegensatz  zu  der  am  1.  September  erwähnten  „kleinen"?  Dann 
würde  in  unserer  hypothetischen  Schlußfolgerung  es  nicht  heifsen 
müssen  „vor  September",  sondern  ,.vor  Juni  1524". 


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ALBHECHT,  STUDIEN  ZU  LUTHERS  SENDSCHREIBEN.  409 


1525  (beide  in  der  Auslegung),  Psalter  1524,  8A.  T. 
1524. 

Bei  der  Unerheblichkeit  dieser  Abweichungen  wird  man 
schwerlich  mit  Sicherheit  behaupten  dürfen,  dafs  der  Psalmtext 
im  Brief  an  die  Rigaer  als  der  unvollkommenere  dem  verbesserten 
Text  des  Psalters  und  8A.  T.  1524  zeitlich  vorangegangen  sein 
müsse.  Beiderlei  Texte  können  als  wesentlich  übereinstimmend 
sehr  wohl  etwa  gleichzeitig  gedacht  werden.  Will  man  aber  im 
Text  des  Psalters  doch  absichtliche  Glättungen  erkennen  (etwa 
in  V.  1  einen  besseren  Rhythmus  in  der  veränderten  Wortfolge: 
Wo  der  HErr  nicht  das  Haus  bauet,  —  Wo  der  HErr  nicht  die 
Stadt  behütet),  so  müfste  man  freilich  mit  Köstlin  annehmen, 
dafs  der  Sendbrief  an  die  Rigaer  schon  vor  der  Ausgabe  des 
Psalters,  also  vor  September  oder  gar  vor  Juni  1524  ab- 
gefafst  ist. 

Als  negatives  Zeugnis  für  die  Datierung  der  Schrift  könnte 
noch  der  Brief  Felix  Raytbers  an  Tb.  Blaurer  vom  8.  April 
1524  angeführt  werden,  den  Hartfelder,  Melanchth.  Paedag. 
(1892),  p.  131  sqq.  veröffentlicht  hat.  Rayther,  damals  Student 
in  Wittenberg,  zählt  die  neu  erschienenen  Bücher  Luthers  auf: 
die  Sendschreiben  an  die  Ratsherren  aller  Städte  deutsches  Lands, 
an  die  Miltenberger,  die  Geschichte  einer  Klosterjungfrau  u.  a.; 
der  127.  Psalm  mit  dem  Brief  an  die  Rigaer  wird  nicht  erwähnt, 
folglich  war  er  am  8.  April  in  Wittenberg  noch  nicht  bekannt. 

Eine  zu  unbestimmte  Spur  dürfte  endlich  der  Umstand  sein, 
dafs  Luther  gegen  Ende  des  Jahres  1524  mehrfach  über  Ver- 
nachlässigung des  Schulwesens  heftig  klagt.  Am  1.  November 
richtete  er  die  wiederholte  erregte  Frage  an  Spalatin,  ob  es 
wahr  sei,  dafs  der  Kurfürst  die  Universität  eingehen  lassen  wolle? 
Dies  Gerücht  sei  so  allgemein  verbreitet,  dafs  daraufhin  die 
Nürnberger  Melanchthon  für  sich  zu  gewinnen  versucht  hätten 
(vgl.  auch  Corp.  Ref.  I,  Sp.  878  f).  Und  am  24.  November 
klagte  er  bitter,  dafs  der  Leifsniger  Pfarrer  Tilemann  Schnabel 
Hunger  leiden  müsse,  da  die  Leifsniger  Kastenordnung  immer 
noch  nicht  vom  Kurfürsten  bestätigt  sei.  (Ober  die  letzteren 
Verhältnisse  ist  Kaweraus  Einleituog  in  Weim.  Ausg.  XII,  S.  7 
zu  vergleichen.)  In  solcher  Stimmung  wäre  die  Abfassung  un- 
serer Schrift  wohl  verständlich.  Eine  sichere  Entscheidung  aber 
über  den  genauen  Zeitpunkt  ist  bei  dem  gegenwärtigen  Bestand 
der  geschichtlichen  Zeugnisse  nicht  wohl  zu  treffen. 

Auf  die  Eigenart  der  mit  dem  Brief  an  die  Rigaer  verbun- 
denen Auslegung  des  127.  Psalms  einzugehen,  würde  zu  weit 
führen.  Gern  schliefse  ich  mich  dem  Urteil  Koldes  an,  der  sie 
für  eine  der  schönsten  hält,  die  wir  von  Luther  besitzen;  sie 


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410 


ANALEKTEN 


„erhebt  sich  wirklich  zu  einem  Loblied  auf  Gottes  Gnade,  an 
dessen  Segen  allein  alles  gelegen  sei,  wie  viel  anch  der  Mensch 
arbeite,  schaffe  und  sorge,  und  zu  einem  Preise  der  stillen,  sich 
nicht  absorgenden,  allein  auf  Gott  vertrauenden  Arbeit  Es  sind 
die  Gedanken,  die  auch  ihn  in  jenen  schweren  Tagen  immer  wie- 
der aufrichteten  und  des  endlichen  Sieges  gewifs  machten" 
(M.  Lnther,  Bd.  II,  S.  174). 


2. 

Njichträge 

zur  preufsischen  Reformationsgeschichto. 

Von 

Paul  Tschackert. 

1)  Johann  von  Schwarzenberg, 

Landhofmeister  des  Markgrafen  Kasimir  von  Brandenburg-  Kulm* 
bach  (gest.  1528),  als  mutmafslicher  Verfasser  der  Königsberger 
Reformationsschrift  „Des  heiligen  Geistes  deutlicher  Warnungs- 
brief" vom  Jahre  1526. 

Im  Jahre  1890  habe  ich  in  meinem  „  Urkundenbucbe  zur 
Ref. -Gesch.  des  Herzogt.  Preufsen"  II,  Nr.  522  auf  eine  bis 
dahin  unbekannt  gebliebene,  gehaltvolle  Königsberger  Flugschrift 
zur  Verteidigung  der  Priesterehe  aus  dem  Jahre  1526  aufmerk- 
sam gemacht;  das  Jahr  ihrer  Abfassung  war  von  mir  durch 
Kombination  festgestellt,  und  als  Verfasser  nahm  ich,  da  Polentz 
und  Speratus  nicht  in  Betracht  kommeu  konnten,  auch  überhaupt 
von  den  theologischen  Reformatoren  keiner,  den  froheren  Ordens- 
ritter Friedrich  von  Heideck  an.  Durch  die  für  die  Reformations- 
geschichte des  Ostens  recht  wichtige  Arbeit  des  Königsberger 
Bibliotheksdirektors  Paul  Schwenke:  „Hans  Weinreich  und 
die  Anfänge  des  Buchdrucks  in  Königsberg"  (Königsberg  i.  Pr. 
1896),  S.  41  ff.  ist  aber  ein  bisher  unbeachteter  Umstand  gegen 
die  Annahme  der  Autorschaft  Heidecks  aufgetaucht  Schwenke 
beschreibt  nämlich  S.  41  f.  den  Königsberger  Druck  des  „Büch- 


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T SCHACHERT,  NACHTRÄGE 


411 


leins  Kuttenschlange"  von  Johann  von  Schwarzenberg 
und  findet,  dafs  der  „Warnungsbrief",  welchen  er  gleich 
darauf  typographisch  bespricht,  der  „Kuttenschlange"  ganz  ahn- 
lich sei  und  „vielfach  wörtlich  an  sie  anklinge",  so  dafs  man 
„unbedenklich"  für  beide  Schriften  denselben  Autor 
annehmen  dürfe.  Hätte  ich  den  Königsberger  Druck  der 
Schwarzenbergischen  „Kuttenschlange"  gekannt,  so  würde  ich 
wahrscheinlich  denselben  Scblufs  wie  Schwenke  gezogen  haben. 
Ich  sehe  daher  keinen  Grund,  mich  gegen  Schwenkes  Ansicht 
zu  erklären,  und  freue  mich,  dafs  durch  seine  bewonderungs- 
würdige  typographische  Scharfsichtigkeit  die  schriftliche  Hinter- 
lassenschaft des  ehrwürdigen  evangelischen  Juristen  der  fränkisch- 
brande uburgischen  Lande  um  ein  schönes  Denkmal  vermehrt 
worden  ist.  Der  Schrift  selbst  wird  nunmehr  vielleicht  noch 
mehr  Beachtung  zukommen.  Darum  möge  es  erlaubt  sein,  hier 
noch  besonders  darauf  hinzuweisen,  dafs  ihr  Verfasser  die  Ehe 
der  Bischöfe  und  der  Geistlichen  mit  Begeisterung  rechtfertigt 
und  gegen  die  Fastengebote  energisch  ankämpft;  er  verfolgt 
überhaupt  den  Zweck,  in  den  Kreisen  der  Gebildeten  und  speziell 
bei  der  Obrigkeit  für  die  evangelische  Weltanschauung  Propa- 
ganda zu  machen  (vgl.  mein  Urkundenbuch  I,  190):  „Gott  hat 
sein  evangelisch  Licht,  das  durch  die  Päpstlichen  lange  Zeit  ver- 
dunkelt, .  .  .  wieder  gnädiglich  scheinen  lassen"  (Blatt  C  4) 
schreibt  er  und  tritt  ein  für  diejenigen  Lehrer,  welche  vor  der 
Tyrannei  der  päpstlichen  Lehrer  „von  einer  Stadt  zur  andern 
fliehen". 

Die  Autorschaft  Schwarzenbergs  pafst  nun  gut  in  den  Königs- 
berger Aufenthalt  desselben  von  1526  bis  1527,  woiüber  die 
Urkunden  in  meinem  Urkundenb.  II,  Nr.  501—510  Aufschluß 
geben.  Er  war  1526  als  Vertreter  seines  Herrn,  des  Markgrafen 
Kasimir  von  Brandenburg-Kulmbach,  zu  den  Vermählungsfeierlich- 
keiten in  Königsberg  und  blieb  dann  mit  Erlaubnis  Kasimirs  ein 
Jahr  in  Preufsen  behnfs  Ordnung  dortiger  Begierungsangelegen- 
heiten. (Vgl.  Pbilippi  in  Zeitschr.  d.  westprenfs.  Geschichts« 
Vereins,  Heft  I  [Danzig  1880],  S.  45 — 69:  „Schwarzenberg  in 
Preufsen  ".) 

Ist  die  Ansicht  Schwenkes  richtig,  woran  ich  nicht  zweifle, 
so  bleibt  Heideck  immer  noch  als  Verfasser  der  „Christlichen 
Ermahnung  an  Walter  von  Plettenberg"  (Urkundenb.  II,  Nr.  434) 
für  uns  ein  merkwürder  Schriftsteller  aus  dem  Stande  der  Nicht- 
tbeologen. 


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412 


ANALEKTEN. 


2)  Paul  Speratus, 

nicht  der  Verfasser  der  satirischen  Flugschrift  „Absag  oder 
vhedschrift  des  hellischen  Fürsten  Lucifers  u.  s.  w."  vom  Jahre 

1524. 

In  meinem  „Urkundenbuche  zur  Reformationsgeschichte  des 
Herzogtums  Preufsen",  Bd.  II,  Nr.  257  ist  die  anonym  zu  Kö- 
nigsberg in  Preufsen  1524  gedruckte  Flugschrift  obigen  Titels 
dem  damals  dort  als  Schlofsprediger  fungierenden  D.  Paul  Spe- 
ratus zugeschrieben  und  dementsprechend  sowohl  in  der  Dar- 
stellung der  preufsischen  Eeformationsgeschichte  (Urkundenb.  I, 
S.  93)  als  auch  in  der  Monographie  Über  „Paul  Speratus  von 
Rötlen"  (Halle  1891),  S.  33  zur  Beschreibung  der  litterarischen 
Thätigkeit  des  angenommenen  Autors  von  mir  verwandt  worden. 
Durch  die  sehr  dankenswerte  bibliothekswissonschaftliche  Ab- 
handlung Paul  Schwenkes  über  „Hans  Weinreich  und  die  An- 
fange des  Buchdrucks  in  Königsberg"  (Königsberg  i.  Pr.  1896), 
S.  34  wird  dagegen  diese  Flugschrift  in  ein  anderes  Licht  ge- 
rückt. Schwenke  urteilt  nämlich,  dafs  die  Weinreichsche  Ausgabe, 
auf  welche  sich  meine  Annahme  stützte,  wegen  sinnstörender 
Druckfehler  nur  ein  Nachdruck  einer  in  Deutschland  bereits 
gedruckt  gewesenen  Flugschrift  sei,  derselben,  welche  sich  bei 
Strobel  „ Hiscellaneen  litterarischen  Inhalts,  zweite  Sammlung " 
(Nürnberg  1779),  S.  134 — 138  abgedruckt  findet.  Panzer  ver- 
mutet dazu  in  seinen  „Annalen  der  älteren  deutschen  Litteratur", 
2.  Band  (Nürnberg  1805),  Nr.  2437,  dafs  dasjenige  Exemplar 
dieser  von  Strobel  mitgeteilten  Schrift,  welche  sich  in  seiner 
Sammlung  befinde,  ein  „Leipziger  Druck"  zu  sein  scheine. 
Schwenke  berichtet  dann  weiter,  dafs  in  den  beiden  bei  Well  er, 
Repertorium  typographicum  (Nördlingen  1864),  S.  311  unter 
Nr.  2755  und  2756  angeführten  Drucken  „Absagbrief  des  Für- 
sten dieser  Welt"  u.  s.  w.  nur  „eine  veränderte  Version",  die 
das  Datum  in  „am  letzten  Tag  in  sempiternum"  verdreht  hat, 
vorliege. 

Unter  solchen  Umständen  mufe  die  Annahme,  dafs  diese  Schrift 
um  30.  September  1524  in  Königsberg  von  Speratus  verfafst  sei, 
aufgegeben  werden.  Freilich  folge  ich  dabei  lediglich  dem  Re- 
sultate der  bibliographischen  Untersuchung  Schwenkes,  wonach 
der  Königsberger  Druck  der  abgeleitete,  dagegen  der  von  Panzer 
als  „Leipziger"  Druck  bezeichnete  der  originale  ist 

Über  den  wahren  Autor  der  fraglichen  Schrift  läfst  sich  zur 
Zeit  noch  nichts  weiter  feststellen. 


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BERICHTIGUNG. 


413 


Berichtigung. 


Auf  S.  78  Anm.  1  meiner  Abhandlung  „Zur  Sachsenhäuser 
Appellation  Ludwigs  des  Bayern"  in  Heft  1/2  dieses  Jahrgangs 
ist  leider  durch  ein  Mißverständnis  meinerseits  die  Schreibung 
des  Datums  der  Appellation  ungenau  wiedergegeben.  Es  mufs 
beifsen:  in  |  die  VII;  nach  in  Ende  der  Zeile.  —  Übrigens 
hat  bereits  Müller,  was  mir  entgangen  war,  in  den  Berichtigungen 
am  Schlufs  des  zweiten  Bandes  seines  Werkes  die  gleiche  Mit- 
teilung über  die  Fassung  des  Datums  in  der  Wiener  Handschrift 
gemacht  J.  Priesack. 


NACHRICHTEN. 


Zur  neuesten  Kirchengeschichte. 

Von 

P.  Tschaekert  u.  a. 


*  1«  Karl  Rieker,  Die  rechtliche  Stellung  der 
evangelischen  Kirche  Deutschlands  in  ihrer  ge- 
schichtlichen Entwicklung  bis  zur  Gegenwart.  Leipzig 
1893.  XV  und  488  S.  Der  herrschenden  Meinung,  daTs  das 
Ideal  Luthers  eine  vom  Staat  unabhängige  Kirche  war  und  dafs 
nur  infolge  der  Ungunst  änfserer  Umstände  oder  infolge  des  dem 
Reformator  fehlenden  Verständnisses  für  Fragen  der  Kircben- 
verfassung  die  Entwickeltug  der  evangelischen  Kirche  in  Deutsch- 
land andere  Bahnen  eingeschlagen  hat  (S.  1),  wird  von  dem 
Verfasser  der  Krieg  erklärt.  Er  zeigt  (Kap.  II),  dafs  die  Re- 
formatoren durchaus  nicht  die  Trennung  von  Staat  und  Kirche 
verlangten,  sondern  Kirche  und  Staat  zusammen  als  ein  christ- 
liches Gemeinwesen  (S.  68)  auffafsten.  Sie  haben  damit  nicht 
eine  neue  Theorie  über  das  Verhältnis  von  Kirche  und  Staat  auf- 
gestellt, sondern  die  des  späten  Mittelalters  (Kap.  I)  übernommen, 
selbstverständlich  mit  den  Abstrichen,  welche  der  Gegensatz  gegen 
die  Hierarchie  forderte.  Die  Geschichte  der  evangelischen  Kirche 
(Kap.  III  bis  zum  Westfälischen  Frieden,  Kap.  V  bis  zum  Unter- 
gang des  alten  deutschen  Reiches,  Kap.  VI  bis  zur  Gegenwart) 
zeigt  mithin  nicht  in  der  Periode  des  Staatskirchenturas  (16.  u. 
17.  Jahrhundert)  einen  Abfall  von  dem  reformatorischen  Ideal, 
sondern  seitdem  unter  dem  Einflufs  der  naturrechtlichen  An- 
schauungen die  Begriffe  von  Staat  und  Kirche  sich  veränderten 
und  auf  Grund  der  nunmehrigen  Auffassung  der  Kirche  als  eines 
religiösen  Vereines  das  Territorial-  und  dann  das  Kollegial system 


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NACHRICHTEN 


415 


das  Verhältnis  beider  Gröfsen  bestimmte.  Dabei  ist  u.  a.  der 
Nachweis  (S.  255  ff.)  interessant,  dafs  das  erstere  durchaus  eicht 
die  Kirche  in  dem  Staat  aufgehen  liefs,  vielmehr  in  der  Unter- 
scheidung der  Kirche  als  eines  selbständigen  Lebenskreises  ihre 
Selbständigkeit  anerkannte.  In  einem  Schlufskapitel  giebt  der 
Verfasser  dann  noch  einen  vortrefflichen  Rückblick  und  Ausblick, 
in  welchem  die  Erörterung  über  das  landesherrliche  Kirchen- 
regiment besonderen  Anspruch  auf  Beachtung  hat.  Grofses  kirchen- 
geschichtliches Material  ist  in  diesem  Werk  ausgezeichnet  ver- 
arbeitet. Wir  wünschen  ihm  den  weiten  Leserkreis,  welchen  die 
vielfach  neue  Wege  weisende  und  niemals  ermüdende  Darstellung 
verdient.  Als  besonderen  Vorzug  des  lehrreichen  und  anregen- 
den Buches  nenne  ich  noch,  dafs  der  Verfasser,  auf  den  Bahnen 
Emil  Friedbergs,  die  rechtliche  Stellung  der  evangelischen 
Kirche  in  jedem  einzelnen  deutschen  Staate  besonders  behandelt 
(Kap.  VI).  Mirbt. 

2.  Der  Kirchenbau  des  Protestantismus  von  der  Re- 
formation bis  zur  Gegenwart  Herausgegeben  von  der  Vereini- 
gung Berliner  Architekten.  Berlin  1893.  —  Die  erste  umfassende 
Baugeschichte  der  evangelischen  Kirchen  von  fachmännischer  Seite 
mustergültig  dargestellt;  ein  für  die  Kirchengeschichte  unentbehr- 
liches Werk  mit  vielfach  ganz  neuen  Aufschlüssen. 

3.  Jul.  Müller  (Generalsekretär),  Das  gute  Recht  des 
reformierten  Bekenntnisses  innerhalb  der  Union. 
(20  S.)  Elberfeld  1894. 

4.  [Brandes.]  Nach  zehn  Jahren.  Geschichte,  Zweck 
nnd  Bedeutung  des  Reformirten  Bundes.    Berlin  1894. 

5.  Kirchenordnung  der  evang.  Brüder-Unität  in 
Deutschland  v.  J.  1894.    Gnadau  1894.    126  S.  8". 

6*  Ernst  Luckfield,  Der  Sozinianismus  und  seine 
Entwickelung  in  Grofspolen,  in  Zeitschrift  der  hist.  Gesellsch.  für 
die  Prov.  Posen.    VII  (1892). 


?.  Rob.  Kübel.  Über  den  Unterschied  zwischen  der  posi- 
tiven und  der  liberalen  Richtung  in  der  modernen  Theologie. 
2.  völlig  neubearbeitete  Aufl.  München  1893.  334  S.  gr.  8.  — 
F.  Nitzsch,  Die  romantische  Schule  und  ihre  Einwirkungen  auf 
die  Wissenschaften,  namentlich  die  Theologie.  [Preufs.  Jahrb. 
75.  Bd.,  2.  Heft  1894.]  —  Fried r.  Nippold,  Die  theologische 
Einzelschule  im  Verhältnis  zur  evang.  Kirche.  Ausschnitte  aus 
der  Geschiebte  der  neuesten  Theologie.  Dritte  und  vierte  Ab- 
teilung. Braunschweig  1893.  [Eine  persönliche  Polemik  gegen 
die  Ritschlscho  Schule.]    Soweit  die  Giefsener  theol.  Fakultät 

Zeitichr.  f.  K.-0.  XVII,  3.  27 


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410 


NACHRICHTEN. 


darin  betroffen  ist,  erwiderte  darauf  Bernb.  Stade,  Die  Re- 
organisation der  theo!.  Fakultät  zu  Giefsen  in  den  Jahren  1878 
bis  1882.  Giefcen  1894.  —  Fr.  H.  R.  Frank,  Geschichte  und 
Kritik  der  neueren  Theologie,  insbesondere  der  systematischen, 
seit  Schleiermacher.  Aus  dem  Nachlasse  des  Verf.  Herausg.  v. 
Schaarschmidt.    Leipzig  1894. 

*8.   Otto  Pfleidorer,  Theologie  und  Geschichts- 
wissenschaft. Bede  bei  Antritt  des  Rektorats  gehalten  in  der 
Aula  der  Kgl.  Friedrich-Wilhelms-Universität  am  15.  Oktober 
1894.  (Berlin  1894,  Julius  Becker,  22  S.  gr.  4°.)    Um  zu  be- 
weisen, dafs  die  Theologie  mit  Unrecht  „in  dem  Gerüche  steht, 
eine  absonderliche  Stellung  gegenüber  den  anderen  Wissenschaften 
einzunehmen",  will  der  Verfasser  „an  der  Hand  der  Geschichte 
zu  zeigen  suchen ,  wie  die  wissenschaftliche  Theologie  unseres 
Jahrhunderts  sich  vor  dieselben  Aufgaben  gestellt  sah  und  sie 
durch  dieselben  Methoden  zu  lösen  gesucht  hat,  wie  die  anderen 
Geisteswissenschaften ,   mit  welchen  sie  zunächst  in  Vergleich 
kommt."   Hauptsächlich  schildert  der  Verfasser  zu  diesem  Zwecke 
die  Lebensarbeit  Ferdinand   Christian   Banrs,  dessen  dogmen- 
geschichtliche Leistungen  er  zwar  fallen  läfst,  dessen  neutesta- 
mentliche  und  sonstige  urchristlich-kritische  er  dagegen  mit  voller 
Anerkennung  preist.    In  den  letztern  liege  „ein  Ergebnis  der 
Detailforschung  vor,  ...  mit  welchem  die  Hegelsche  Philosophie 
nichts,  schlechterdings  gar  nichts  zu  schaffen"  habe.    (S.  14  u. 
15.)    Dabei  ist  die  Kritik,   welche  Albrecht  Bitsehl  an  Baur 
geübt  hat,  mit  Stillschweigen  übergangen;  auch  wird  man  über- 
rascht sein,  Baur  als  Seitenstück  zu  Leopold  v.  Rauke  aufgefafst 
zu  sehen  *. 

*  9.  Otto  Pfleidorer,  Das  deutsche  National- 
bewußtsein in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  (Ber- 
liner Rrktoratsrede  v.  27.  Januar  1895.)  Berlin  1895.  28  S.  4°. 
Nach  einem  Rückblicke  auf  die  mittelalterlichen  Schicksale 
des  deutschen  nationalen  Bewuftseius  und  seines  Verfalles  leitet 
der  Verfasser  die  Wiedererhebung  desselben  in  der  Neuzeit  von 
zwei  Faktoren  ab,  von  der  Bildung  einer  neuen  deutschen  Litte- 
ratur  auf  protestantischer  Grundlage  und  von  der  Erstarkung  des 
preufsischen  Staates  zum  führenden  Staate  des  neuen  deutschen 
Reiches.  Darin  hat  der  Redner  recht  und  auch  im  einzelnen 
enthält  die  geistvolle  Rede  viel  beachtenswerte  Bemerkungen. 

10.  The  od.  Brieger,  Die  fortschreitende  Entfremdung  von 
der  Kirche  im  Lichte  der  Geschichte.  Leipzig  1894.  (1.  u.  2. 
Auflage.) 


1)  Auf  Anerkennung  seiner  Beurteilung  Hains  in  den  Kreisen  der 
Kirchenhistotiker  wird  Ptleiderer  wohl  aber  doch  nicht  rechnen  können. 


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JfACHKICUTKN. 


417 


11.  Christoph  Schrempf,  Eine  Nottaufe.  Kirchliche 
Aktenstücke  nebst  einem  Beibericht.  Stuttgart  1894.  56.  S. 
gr.  8°. 


*  12.  Moritz  Ritter,  Deutsche  Geschichte  im  Zeit- 
alter der  Gegenreformation  und  des  dreifsigjährigen 
Krieges  (1555  —  1648).  Zweiter  Band  (1586  —  1618). 
Stuttgart  1895.  J.  ü.  Cotta  Nachf.  482  S.  gr.  8°.  —  Dieses 
Bach  bildet  einen  Teil  der  von  H.  v.  Zwiedineck- Südenhorst 
herausgegebenen  „Bibliothek  deutscher  Geschichte";  es  behandelt 
die  Vorgeschichte  dos  Dreifsigjährigen  Krieges  bis  zu  dessen  Aus- 
bruch im  Jahre  1618,  eine  der  trübseligsten  Perioden  der  Ge- 
schichte unsers  Vaterlandes  und  zugleich  der  Kirchengeschichte. 
Um  so  dankbarer  mufs  man  dem  Verfasser  für  seine  streng  sach- 
liche, aufborst  lehrreiche  und  fliefsend  geschriebene  Darstellung 
sein.  Mit  bekannter  Meisterhand  entwirft  Ritter  ein  Bild  der 
Auflösung  der  Reichsverfassung  und  schildert  das  Herannahen 
des  Dreifsigjährigen  Krieges  und  zwar  die  Geschichte  der  Union 
und  der  Liga,  den  Jülichschen  Erbfolgekrieg  nnd  den  Ausgang 
Rudolfs  II.,  dio  Vermittel ungspolitik  des  Kaisers  Matthias  und 
die  Einleitung  des  Krieges  im  böhmischen  Aufstande.  Eine  vor- 
züglich orientierende  Übersicht  dor  Zustände  in  „Deutschland 
vor  dem  dreifsigjährigen  Kriege"  schliefst  diosen  Band. 

13.  Nuntiaturberichte  ans  Deutschland,  nebst  ergänzen- 
den Aktenstücken.  3.  Abt.  1572—1585.  2  Bde.  Der  Reichstag 
zu  Regensburg  1576.  Der  Pacificationstag  zu  Köln  1579.  Der 
Reichstag  zu  Augsburg  1582.  Bearb.  v.  Jos.  Hansen.  Berlin 
1894. 

14.  Ludwig  Wahrmund,  Prof.  d.  Rechte  in  Czernowitz, 
Die  Bulle  „Aeterni  patris  filius"  und  der  staatliche 
Einflufs  auf  die  Papstwahlen.  Mit  Benützung  römischer  Akten- 
stücke. (Separatabdruck  aus  Verings  Archiv  für  katb.  Kirchen- 
recht, Bd.  LXXII.)  Mainz  1894.  134  S.  gr.  8°.  Diese  Schrift  be- 
bandelt die  von  Gregor  XV.  im  Jahre  1621  erlassene  Wahlbulle 
und  zerfallt  in  drei  Abschnitte,  von  denen  der  erste  über  Motive 
und  Redaktion  der  Bulle,  der  zweite  über  die  zeitgenossische 
Interpretation  derselben  und  der  dritte  über  ihre  rechtliche  Be- 
deutung für  die  Gegenwart  handelt.  In  Betracht  kommt  wesent- 
lich das  staatliche  Recht  der  Exklusive  bei  Papstwahlen. 
Der  Verfasser  bewegt  sich  dabei  in  schroffem  Gegensatz  gegen 
Sagmüllers  Schrift  „die  Papstwahlbullen"  u.  s.  w.  Tüb.  1892  und 
gewinnt  als  Resultat  die  Behauptung,  dafs  sich  im  Zeitalter  der 
Bulle  „Aeterni  patris  filius"  der  Bestand  (resp.  die  staatliche 
Inanspruchnahme)  eines  Exklusionsrechtes  bei  den  Papstwahlen 

27* 


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418 


NACHRICHTEN. 


noch  nicht  nachweisen  lasse  und  data  die  genannte  Bulle  nicht 
den  Zweck  gehabt  habe,  einem  derartigen  Exklusionsrechte  ent- 
gegenzutreten. Der  Verfasser  hat  viel  unbekanntes  handschrift- 
liches Material  sorgsam  verwertet. 

*  15.  Franz  Jacobi,  Das  liebreiche  Religions- 
gespräch zu  Thorn  1645.  (Gotha,  F.  A.  Perthes  1895 
99  S.  8°.)  Ein  erweiterter  Sonderabdruck  aus  der  Zeitschr.  für 
K.-G.  Bd.  XV,  Heft  3  und  4.  —  Der  Verfasser  benutzte  viel 
bisher  unbekanntes  handschriftliches  Material  aus  Danzig  und 
Thorn.  Über  die  Hauptquelle  des  Religionsgesprächs,  die  „Acta 
conventus  Thoruniensis  etc.,  Varsaviae  1646",  urteilt  J.,  dafs  in 
diesem  offiziellen  Protokollbuche  Wichtiges  absichtlich  weggelassen 
sei.  Eine  wesentliche  Ergänzung  und  Berichtigung  bilden  daher 
die  „Scripta  partis  reformatio  in  colloqnio  Thoruniensi  .  . 
exbibita.  Berolini  1646.  Die  Konfession  der  Lutheraner  citiert 
J.  unter  dem  Titel  „Confessio  fidei,  quam  Status  .  .  .  invariatae 
confessioni  Augustanae  addicti  in  colloquio  charitativo  tradiderunt. 
Denuo  iuxta  exemplar  Lipsiense  a.  1655  recusa  Gedani  1735." 
Jacobis  Arbeit  ist  recht  dankenswert. 

16.  A.  Le  Roy,  Le  gallicanisme  au  XVIII'  siecle. 
La  France  et  Rome  de  1700 — 1715.  Histoire  diplomatique  de 
la  bulle  Unigenitus  jusqu'ä  la  mort  de  Louis  XIV,  d 'apres 
des  documents  inedits  etc.  Paris,  libr.  Perrin  et  C%  1892;  XVIII, 
et  794  p.  8°. 

17.  Aus  den  ersteu  Jaliren  der  prenfsischen  Gesandt- 
schaft beim  päpstlichen  Stuhle  finden  sich  interessante 
Mitteilungen  in  den  Hist.  pol.  Bl.  Bd.  108.  6  (1891),  S.  439 
bis  451.  P.  Tschackert. 

*  18.  Theodor  Lanter,  Pfarrer  in  Edelsfeld,  Die  Ent- 
stehung der  kirchlichen  Simultaneen.  Würzburg,  A.  Stuber  1 894. 
113  S.  Die  Litteratur  über  die  kirchlichen  Simultaneen  ist  in 
den  letzten  Jahren  rasch  angewachsen.  Aber  meist  hat  es  sich 
dabei  nur  um  die  Frage  nach  der  rechtlichen  Natur  dieser  eigen- 
tümlichen Erscheinung  gehandelt;  Verfasser  referiert  darüber  im 
L  Kapitel.  Die  vorliegende  wertvolle  Arbeit  beschäftigt  sich  mit 
der  Frage  nach  der  Entstehung  der  Simultaneen  und  bietet  zu 
ihrer  Beantwortung  ein  reiches  geschichtliches  Material. 

Bieter. 


*  19.  E.  Piaget,  Essai  sur  l'organisation  de  la 
compagnie  de  Je'sus.  Leide,  E.  A.  Brüll,  1893.  250  p.  8°.— 
Als  Einleitung  zu  einer  als  gleichzeitig  erscheinend  angekündig- 


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%  NACHRICHTEN. 


419 


ten  „Histoire  de  re*tablissement  des  Jesuites  en  France"  (1540 
bis  1640)  enthält  dieser  Essai  eine  objektive  Darstellung  der 
Organisation  der  Gesellschaft  Jesu  bis  1773,  hauptsächlich  unter 
Benutzung  der  Prager  Ausgabe  des  Institutum  Societatis  Jesu 
(1757,  2.  Bd.  Fol.);  der  Verf.  handelt  von  Novizen,  Scholastici, 
Koadjutoren,  Professen,  von  der  Regierung  des  Ordens  u.  8.  w.; 
richtig  beurteilt  er  (S.  230)  die  Jesuiten  als  die  Intransigenten 
des  Ultramontanismus  und  siebt  das  HanptQbel  des  Jesuitismus 
in  der  vom  Orden  geforderten  „Abdication  des  individuellen  Ge- 
wissens" (S.  246). 

*  $0.  Fr.  G.  Keusch,  Beiträge  zur  Geschichte  des 
Jesuitenordens  (München  1894.  C.  H.  Beck.  266  S  8°) 
enthält  I.  die  Lehre  vom  Tyrannenmorde;  II.  Französische  Je- 
suiten als  Gallikaner;  III.  Die  Versammlung  [französischer  Janse- 
nisten]  zu  Bourgfontaine  [bei  Paris  1621],  eine  Jesuitenfabel; 
IV.  Der  falsche  Arnauld.  Eine  Illustration  des  Satzes:  der  Zweck 
heiligt  die  Mittel;  V.  Kleinero  Beiträge.  —  Der  III.  und  IV. 
Beitrag  beziehen  sich  auf  den  Gegensatz  der  Jesuiten  gegen  die 
Jansenisten.  Alles  dankenswerte  Studien  zur  streng  sachlichen 
Charakterisierung  des  Jesuitenordens  aus  seiner  Geschichte.  — 
Bibliotheque  de  la  compagnie  de  J6sus.  Premiere  partie: 
Bibliographie  par  les  Peres  Augustin  et  Aloys  de  Backer.  Se- 
conde  partie:  Histoire  par  le  Pere  Auguste  Carayon.  Nouvelle 
Edition.  Bruxelles,  Sociöte'  beige  de  librairie  in  4°  cartonnee  ä  2 
colonnes,  1984  col.    30  fr. 

*  21.  Moderner  Jesuitismus.  Von  Graf  Paul  von 
Hoensbroech.  2.  Aufl.  (Berlin  1893.  Hermann  Walther, 
53  S.,  Sonderabdruck  aus  den  „Preufs.  Jahrbüchern".)  Der  Ver- 
fasser befriedigt  nach  seinem  Austritt  ans  dem  Jesuitenorden  das 
Bedürfnis,  seinen  „persönlichen  und  sachlichen  Gegensatz"  zu 
diesem  Orden  eingehender  und  schärfer  darzulegen.  Für  die- 
jenigen gebildeten  Protestanten,  welche  den  modernen  Jesuitis- 
mus anderweitig  bereite  kennen  gelernt  haben,  bietet  diese  Dar- 
stellung nichts  Neues.  Sie  ist  interessant  nur  um  des  Verfassers 
willen,  dessen  weiteren  Entwickelungsgang  man  als  Protestant 
gewifs  mit  Interesse  beobachten  wird.  Er  berichtet  von  sich, 
das  er  sich  weder  zur  jesuitischen  Lehre  von  Kirche,  Staat  und 
Schule,  noch  zur  jesuitischen  Gewissensleitung  habe  jemals  ex 
animo  bekennen  können".  Er  habo  versucht,  sich  diese  Theorieen 
und  diese  Praxis  anzueignen;  es  sei  nicht  gegangen.  —  Der 
Verfasser  ist  aus  dem  Jesuitenorden  ausgetreten,  weil  er  als 
deutscher  Patriot  die  jesuitische  Negation  des  Patriotismus  und 
als  »elbständiger  Charakter  die  jesuitische  Negation  der  Persön- 
lichkeit nicht  ertragen  konnte.  —  Er  ist  vor  kurzem  in  die 
evangelische  Kirche  übergetreten  und  wirkt  im  polemischen  Sinne 


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420 


NACHRICHTEN.  # 


energisch  gegen  römische  Anschauungen  und  Anmafsungen  durch 
Wort  und  Schrift. 


22.  Geizer,  Die  Ausbreitung  der  römischen  Hierarchie  unter 
dem  Pontificate  Leos  XIII.  in  Zeitschrift  für  prakt.  Theol.  XVI, 
4.  (1894). 

23.  General-Schematismus  der  kathol.  Geistlich- 
keit Deutschlands.  I.  Bayern.  II.  Köln,  Münster,  Pader- 
born, Trier.  Nach  amtl.  Quellen  bearbeitet  Passau.  Bedaktion 
des  General-Schematismus  1894.  —  Dazu  die  Schematismen  der 
einzelnen  bischöflichen  Diöcesen:  Schematismus  der  Diöcese 
Brixen  (Brixen  1894);  Schematismus  der  Geistlichkeit  des  Bis- 
tums Passau  (Passau  1894);  Schematismus  der  Geistlichkeit  des 
Erzbistums  Bamberg  (Bamberg  1894);  Schematismus  der  Diöcese 
Würzburg  (Würzburg  1894)  u.  s.  f.  unter  demselben  Titel  für 
alle  anderen  Diöcesen  Deutschlands  und  Österreichs. 

P.  Tschackert. 

*  24»  Paul  Guerin,  Lo  Pouvoir  Tempore  1.  Etüde 
sur  la  chute  et  sur  le  retablissement  de  la  souverainete*  terri- 
toriale du  pape.  Lyon  1892,  XI  384  S.  Der  Verfasser,  Advokat 
an  dem  Appellationsgerichtshof  in  Lyon,  plaidiert  mit  grofser 
Wärme  für  die  Wiederherstellung  der  weltlichen  Macht  des  Papstes. 
Ihr  Zusammenbruch  war  die  Frucht  des  Hasses  gegen  die  katho- 
lische Beligion  (S.  25),  und  alle  Versuche,  die  gewaltsame  Be- 
seitigung der  weltlichen  Herrschaft  des  Papstes  aus  der  italienischen 
Einheitsbewegung  und  der  schlechten  Kegierung  des  Kirchenstaates 
zu  rechtfertigen,  sind  nichtige  Vorwände  (S.  55  —  96).  Aber 
wichtiger  als  die  Erklärung  des  jetzigen  Zustandes  ist  unserm 
Publizisten  der  Nachweis,  dafs  die  Wiederherstellung  des  früheren 
notwondig  ist  Die  ganze  Menschheit  braucht  nur  ein  offenes 
Auge  für  das,  was  ihr  förderlich  ist,  zu  erhalten,  um  dieselbe 
dringend  zu  wünschen.  Ist  doch  das  Papsttum  die  Mutter  der 
christlichen  Zivilisation,  es  hat  die  Sklaverei  abgeschafft  und  die 
Entfaltung  alles  menschlichen  Wissens  befördert,  es  war  der 
Schiedsrichter  der  Völker  und  will  dies  auch  in  Zukunft  sein, 
speziell  zwischen  Frankreich  und  Deutschland  (dabei  wird  die 
Rückgabe  von  Elsafs  und  Lothringen  S.  156  als  selbstverständ- 
lich vorausgesetzt)  u.  s.  w.;  für  das  Papsttum  selbst  ist  auf  der 
anderen  Seite  der  Besitz  des  Kirchenstaates  unerläßlich,  wie  Ver- 
nunft und  Geschichte  beweisen.  Und  was  hindert  die  Wieder- 
herstellung des  Status  quo  ante?  Es  stehen  im  Wege  die  Ein- 
heit Italiens  und  die  aus  dem  Gegensatz  zwischen  Frankreich  und 
Deutschland  hervorgegangene  Tripelallianz,  vor  allem  aber,  und 


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NACHRICHTEN. 


421 


das  ist  die  Hauptsache,  die  Macht  der  Freimaurer  (S.  211 — 243). 
Trotz  alledem  mufs  die  Zurückgabe  des  Kirchenstaates  erfolgen, 
denn  die  Revolution  steht  vor  der  Thür,  welche  nur  durch  das 
restaurierte  Papsttum  niedergehalten  werden  kann.  Aber  wie  die 
Entwicklung  rückgängig  machen?  Wir  hören  verschiedene  Vor- 
schläge, zunächst  den  eines  freundschaftlichen  Vergleichs  zwischen 
Papsttam  und  italienischer  Regierung,  und  wenn  die  letztere  sich 
weigert,  sollen  die  auswärtigen  Mächte  intervenieren  und  auf  einem 
Kongress  die  grossen  internationalen  Fragen  lösen,  und  zwar  die 
Sklaverei  in  Afrika,  die  Arbeiterfrage,  die  Abrüstung  Europas 
und  —  la  question  du  pouvoir  temporel  (S.  287).  Die  Neutrali- 
sierung des  Kirchenstaates  unter  Garantie  der  Grofsmächte  ähnlich 
der  Belgiens  und  der  Schweiz  (S.  302)  wird  die  Lösung  bringen.  — 
Wir  sehen  also,  dafs  die  Gedankenfolge  des  französischen  TJltra- 
montanen  von  der  des  deutschen  sich  nur  dadurch  unterscheidet, 
dafs  sie  das  nationale  Kolorit  schärfer  hervortreten  läfst. 

Mirbt. 

25.  Th.  Kolde,  Die  kirchlichen  Bruderschaften 
und  das  religiöse  Loben  im  modernen  Katholizismus. 
Eine  zeitgeschichtliche  Studie.  Erlangen  1895.  Fr.  Junge.  8°. 
48  S.  M.  0,75.  Ein  sehr  interessantes  und  durchaus  zeitgemäßes 
Schriftchen,  welches  aus  einem  vom  Verfasser  im  Februar  d.  J. 
in  Frankfurt  a  M.  gehaltenen  Vortrage  hervorgegangen  ist.  Ver- 
fasser ist  es  trefflich  gelungen  nachzuweisen,  dafs  der  in  unsern 
Tagen  auch  an  politischer  Bedeutung  immer  mehr  zunehmende 
Ultramontanismus  gegenwärtig  hauptsächlich  durch  die  gewaltig 
entwickelten  und  ungemein  geschickt  organisierten  Bruderschaften 
gefördert  wird.  Kolde  charakterisiert  in  dieser  Hinsicht  vornehm- 
lich das  Treiben  der  marianischen  Kongregationen,  der  von  den 
Servitenmönchcn  geleiteten  Herz-Mariäbruderschaften,  des  grofsen 
marianischen  Sühnungsvereins ,  des  Gebetsvereins  Unserer  lieben 
Frau  vom  heiligsten  Herzen,  der  seinen  Hauptsitz  in  Innsbruck 
hat,  und  der  auf  die  Verehrung  des  heiligen  Antonius  von  Padua 
abzielenden  Bruderschaft  der  Tertiarier  unter  dem  Namen  des 
dritten  Ordens  des  hl.  Franziskus.  Besonders  dankenswert  er- 
scheinen die  ausführlichen  Mitteilungen  über  die  von  den  Servtten- 
mönchen  herausgegebene  Monatsschrift  „Monatrosen,  Sendbote  des 
heiligsten  Herzens  Mariae",  redigiert  von  P.  Joh.  Paul  M.  Moser, 
Servitenordenspriester.  Innsbruck,  Vereinsbuchhandlung,  bis  jetzt 
24  Jahrgänge,  nebst  dem  dazu  gehörigen  Nachrichtendienst  unter 
dem  Titel  „  Gnadenblüten  *\  d.  h.  besonderen  Gebetserhörungen 
und  die  deutschen  Organe  des  dritten  Ordens,  das  FranzisciglÖck- 
lein,  Monatsschrift  für  die  Mitglieder  dos  dritten  Ordens  des  hl. 
Franziskus  (Innsbruck,  ebendaselbst)  und  das  kleinere  vom  Welt- 


422 


NACIIItICHTEN. 


priester  M.  Müller  zu  Limburg  a.  d.  Lahn  herausgegebene  Fran- 
ziskusblatt. Leider  beträgt,  wie  Verfasser  angiebt,  z.  B.  die  Mit- 
gliederzahl des  Gebets  Vereins  Unserer  lieben  Frau  vom  heiligsten 
Herzen  1  612  036  Personen,  die  des  grofsen  marianischen  Snh- 
nungsvereins  etwa  50000,  ein  beredtes  Zeugnis  der  Zeit 

Löschhorn. 

26.  Felix  Kor  um,  Wunder  und  göttliche  Gnadenerweise 
bei  der  Ausstellung  des  heiligen  Rockes  in  Trier  im  Jahre 
1891.  Aktenmäfeig  dargestellt.  Trier  1894.  Der  Verfasser  zählt 
11  sichere  „Wunder"  und  27  „Gnadener weise"  auf,  welche  durch 
Berührung  Kranker  mit  dem  „heiligen  Rocke"  eingetreten  sein 
sollen.  —  Erwägt  man,  dafs  bei  der  Ausstellung  der  Reliquie 
circa  10000  bis  20000  Kranke  sie  berührt  haben  dürften,  so 
sind  die  38  „Heilungen"  ein  geringer  Prozentsatz.  Die  „Heilungen" 
betreffen  ferner  fast  alle  irgendwie  Gelähmte,  unter  diesen  neun- 
zehn ledige  ältere  weibliche  Personen,  nenn  Kinder  unter  vierzehn 
Jahren ,  sieben  Männer  und  nur  drei  Ehefrauen ;  ihre  physische 
Veränderung  ist  sehr  leicht  auf  natürlichem  Wege  erklärbar, 
nämlich  durch  „Selbstsuggestion".  Der  einzige  schwer  zu  er- 
klärende Fall  ist  die  Heilung  eines  Lupus- Kranken;  indes  kann 
Lupus,  wie  Tuberkulose,  gelegentlich  zum  Stillstand  kommen  und 
heilen,  wie  mir  ärztlicherseits  mitgeteilt  ist  —  Zur  Kritik  dieser 
Schrift:  Fried r.  Jaskowski,  Der  Trierer  Rock  und  seine 
Patienten  vom  Jahre  1891.   Saarbrücken  1894. 

(Leo  XIII.:)  Rundschreiben,  erlassen  am  22.  Sept.  1891, 
8.  Sept.  1892  und  8.  Sept  1893  von  .  .  .  Leo  XIII.,  über  den 
marianischen  Rosenkranz  (deutsch  und  lat).  Freiburg  1894. 
(80 Pf.)  —  Rundschreiben,  erlassen  am  18.  November  1893, 
über  das  Studium  der  heiligen  Schrift  (deutsch  und  lat).  Eben- 
daselbst (69  S.  gr.  8°)  70  Pf.  —  Sendschreiben  v.  20.  Juni 
1894  (über  die  Vereinigung  im  Glauben).    Ebendaselbst  40  Pf. 

*  27.  L.  v.  Hammorstein,  Begründung  des  Glaubens. 
Teil  III,  Katholizismus  und  Protestantismus.  Mit 
einer  graphischen  Darstellung  der  hauptsächlichsten  christlichen 
Konfessionen.  (Trier  1894.)  —  Die  vorliegende  Schrift  ist 
eine  jesuitische  Polemik  gegen  den  Protestantismus.  Sie  bildet 
den  dritten  Band  eines  Gesamtwerkes,  welches  don  Titel  „Be- 
gründung des  Glaubens"  führt  (Der  erste  Teil  war  den  „Gottes- 
beweisen", der  zweite  dem  Wesen  des  „Christentums"  gewidmet) 
Der  Unterschied  des  römischen  Katholicismus  und  des  Protestan- 
tismus wird  in  der  Form  eines  Zwiegesprächs  zwischen  einem 
lutherischen  Pfarrer  und  einem  römisch-katholischen  Mönche  der- 
artig vorgeführt,  dafs  die  jesuitisch-katholischen  Argumente  den 
nach  der  äufsereu  Einheit  der  Kirche  strebenden  Lutheraner 


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NACHRICHTEN. 


423 


schliefslich  zur  Konversion  bewegen.  Ein  echter  Jesuitenkniff 
(von  befreundeter  Seite  als  „Meistergriff"  charakterisiert)  ist  die 
beigegebene  „graphische  Darstellung  der  christlichen  Konfessionen". 
Eine  objektive  Geschichtsschreibung  braucht  sich  meines  Erachtens 
mit  diesem  neuesten  Produkte  des  Verfassers  des  „Edgar"  nicht 
zu  beschäftigen;  aber  als  Polemik  gegen  uns  ist  es  pathologisch 
interessant. 

*  $8.  L*  u  ni  versite*  catholique.  Revue  mensuelle 
publiee  sous  la  direction  d'un  comitö*  de  professeurs  des  facultas 
catholiques  de  Lyon  (A  Lyon,  Facultas  catholiques,  25  rue  du 
Plat  et  ä  la  librairie  Emmanuel  Vitte,  place  Bellecour  3).  — 
Noovelle  se'rie.  Tome  XII  (1  8 9  3)  enthält  zur  Kirchengeshichte 
p.  32 ff.:  Die  Fortsetzung  und  den  Schlufs  von  C.  Douais,  „Lea 
confessions  de  s.  Augustin";  p.  61  ff.  Die  Fortsetzung  und  den 
Schlufs  von  Comte  Joseph  Grabinski,  „La  renaissance  catholique 
en  Angleterre  et  le  cardinal  Newmann";  p.  409  ff.  Ant.  Ricard, 
„Le  cardinal  Fesch  ä  l'archevöchö  de  Lyon,  d'apres  des  docu- 
ments  inödits";  p.  481  ff.  Ph.  Gönnet,  S  Francois  de  Sales  et  la 
nouvelle  Edition  de  ses  oeuvres"  (publikes)  sur  Tinvisitation  de 
Mgr.  Isoard,  äveque  d'Annecy,  par  les  soins  des  Religieuses  de 
la  Visitation  du  premier  monastere  d'Annecy).  —  Tome  XIII 
(1893)  p.  186  ff.  R.  P.  Belon,  Jean  Brebal  et  la  rähabilitation 
de  Joanne  d'Arc;  p.  58 ff.  Pastor,  Jean  Janssen;  Fortsetzung 
p.  230  ff.  4 13  ff.  —  Über  Charakter  und  Tendenz  dieser  Revue 
ist  früher  berichtet 


*  29.  Geschicbt8b)ä*tter  des  deutschen  Hugenotten- 
Vereins.  Zehnt  III,  Heft  1  bis  10.  (Magdeburg.  Heinricbs- 
hofensche  Buchhandlung  1894.)  Durch  dieses  sehr  lehrreiche 
Unternehmen  soll  der  Sinn  für  die  Vergangenheit  der  hugenot- 
tischen Gemeinden  in  Deutschland  geweckt  werden;  die  Hefte 
1 — 9  sind  daher  mehr  volkstümlich  und  allgemein  verständlich 
gehalten;  das  Schlufsheft  aber  bringt  ansschliefslich  Quellen  zur 
Geschichte  reformierter  Emigranten-Gemeinden.  Der  Inhalt  ist  im 
einzelnen  folgender :  Heft  1 :  Zur  Geschichte  der  französisch- 
reformierten Gemeinde  in  Altona,  (v.  F.  Albreclit). —  Heft  2: 
Die  Fremdenkolonie  in  Billigheim  und  Umgebung  (v.  Th. 
Gflmbel).  —  Heft  3:  Geschichte  der  wallonisch-reformierten  Ge- 
meinden zu  Frankenthal  (von  Lic.  Cuno).  —  Heft  4:  Die  fran- 
zösische Kolonie  in  Halle  a.  S.  (von  G.  Beelitz).  —  Heft  5  und 
6:  Die  Waldensergemeinde  Perouse  in  Württemberg  (von  W. 
Kopp).  —  Heft  7  und  8:  Die  französische  Kolonie  in  Bücke- 
burg (von  D.  Fricdr.  II.  Brandes).  —  Heft  9:  Die  Waldenser- 
kolonie  Dorn  holzhausen  (von  L.  Archard).  —  Heft  10:  Ur- 


424 


NACHRICHTEN. 


kundon  zur  Geschichte  hugenottischer  Gemeinden  in  Deutsch- 
land (herausg.  von  Lic.  Dr.  Henri  Toll  in)  und  zwar:  Hessische 
Urkunden  zur  Waldensergeschichte  von  1699  bis  1717,  Ha- 
melnsche  Urkunden,  betreffend  die  dortige  fanzösische  Kolonie 
von  1699  und  Bückeburger  Urkunden  über  die  dortigen 
Refugies  von  1692 — 1738.  Angehängt  ist  ein  Register  zum 
III.  Zehnt  der  hugenottischen  Geschichtsblatter. 

*  30.  Richard  Ehrenberg,  Altona  unter  Schauen- 
burgischer  Herrschaft.  VIIp*"  Heft]:  Die  Jesuiten- 
Mission  in  Altona.  (Altona,  J.  Härders  Verlag  1893,  S. 
1 — 70,  gr.  8°).  In  einer  Sammlung  von  Arbeiten,  welche  den 
Zweck  verfolgen,  die  Geschichte  Altonas  unter  schauenburgischer 
Herrschaft  (von  1536  bis  1640)  wissenschaftlich  begründet  zur 
Darstellung  zu  bringen,  ist  dieses  das  siebente  und  letzte  Heft. 
Es  behandelt  einen  lehrreichen  Ausschnitt  aus  der  Geschichte  der 
Gegenreformation.  Unter  dem  Grafen  Adolf  XIV.  (1592—1601) 
begannen  hier  Jesuiten,  die  durch  private  Beziehungen  zu  aus- 
ländischen, meist  italien8chen  Kanfleuten  in  Hamburg,  wo  sie 
ansässig  waren,  Beziehungen  genommen  hatten,  auch  in  Altona 
mit  Feuereifer  ihr  Bekehrungswerk  und  betrieben  es  mit  vielem 
Geschick,  bis  sie  1612  verjagt  wurden.  —  Der  Verfasser  ist  der 
Meinung,  dafs  die  Jesuiten,  falls  sie  an  der  Religionsfreiheit  teil- 
nehmen dürfen,  nur  Zank  und  Unruhe  in  die  Bevölkerung  bringen. 
Die  Geschichte  ihrer  Mission  in  Altona  giebt  dafür  einen  neuen 
Beweis.  —  F.  Nägner,  Zur  Geschichte  der  Jesuiten- Mission  in 
Altona  in  „Zeitschrift  des  Vereins  für  Hamburger  Geschichte". 
Bd.  IX,  Heft  3  (1894). 

*  31.  A.  L.  Gräbner  (Prof.  der  Theologie  am  Konkordia- 
Kollege  zu  St.-Louis),  Geschichte  der  Lutherischen  Kirche 
in  Amerika.  Erster  Teil.  (St.  Louis,  Mo.,  Concordia  Publi- 
shing House,  1892 f.;  726  S.  gr.  8°.)  Auf  der  Grundlage  eines 
reichhaltigen  und  hier  zum  erstenmale  zusammengebrachten  Ma- 
terials erzählt  der  Verfasser  in  ausführlicher  Breite  die  Schicksale 
der  lutherischen  Pastoren,  ihrer  Gemeinden  und  Synoden  in  Amerika 
vom  17.  Jahrhundert  bis  zur  ersten  konstitutionellen  Versammlung 
der  lutherischen  Generalsynode  zu  Frederick  in  Maryland  1821, 
aber  ohne  jeden  Zusammenhang  mit  der  politischen  und  der  Kul- 
turgeschichte. Wie  man  früher  Missionsgeschichte  schrieb,  indem 
man  die  Bekehrungsgeschichten  der  einzelnen  Neophyten  an  ein- 
ander reihte,  so  ist  ähnlich  auch  dieses  Buch  verfafst  Der 
Charakter  desselben  wird  aufserdem  vom  erbaulichen  Interesse 
beeinflufst.  Dogmatisch  führt  sich  uns  der  Verfasser  als  „einen  in 
allen  Stücken  bekenntnistreuen  Lutheraner"  vor;  von  diesem 
Standpunkte  aus  habe  er  die  geschichtlichen  Erscheinungen  ge- 
schaut und  dargestellt.    Da  zahlreiche  Quellen  benutzt  sind,  die 


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NACHKICHTEN. 


425 


uns  in  Deutschland  nicht  zu  Gebote  stehen,  so  wird  man  das 
Buch  gern  zum  Nachschlagen  benutzen,  wozu  ein  beigefügtes  Re- 
gister gute  Dienste  leistet. 

33.  Ed.  Siedersieben,  Geschichte  der  Union  in  der 
evang.  Landeskirche  Anhalts.  Dessau,  ß.  Kahle,  1894.  175  S. 
gr.  8°.    [Auf  pietistisch-refonniertem  Standpunkte.] 

33*  A.  Gindely,  Geschichte  der  Gegenreformation 
in  Böhmen.  Nach  dem  Tode  des  Verfassers  hrsg.  von  Tb.  Tu- 
petz.    Leipzig,  Duncker  &  Humbl,  1893. 

34.  Carl  v.  Schmidt- Phiseldeck,  Das  evangelische 
Kirchenrecht  des  Herzogtums  Braunschweig.  Wolfenbüttel 
1894. 

35.  C.  Grünhagen,  Das  Bistum  Breslau  nach  dem 
Tode  Friedrichs  d.  Gr.  in  Zeitschr.  des  Vereins  f.  Geschichte  u. 
Altertum  Schlesiens,  Bd.  XXVIII. 

*  36.  Gegenreformation  auf  dem  Eichsfelde.  Levin  Frh. 
von  Wintzingeroda  -  Knorr ,  Die  Kampfe  und  Leiden  der  Evan- 
gelischen auf  dem  Eichsfelde  während  dreier  Jahrhunderte. 
Heft  II  (Halle,  Max  Niemeyer,  1893),  128  S.  8°.  —  Schriften 
dos  Vereins  f.  Bef.-Gesch.  Nr.  42.  Enthalt  die  Vollendung  der 
Gegenreformation  und  die  Behandlung  der  Evangelischen  auf  dem 
Eichsfelde  seit  der  Beendigung  des  Dreifsigjährigen  Krieges.  Die 
sehr  lehrreiche  Abeit  schliefst  mit  einem  Hinblick  auf  die  eichs- 
feldischen  Verhältnisse  der  Gegenwart,  die  „wieder  den  Zuständen 
vor  200 — 300  Jahren  ähnlich  zu  werden  beginnen4'  (S.  113). 

*  37.  F.  Frensdorff,  Halle  und  Göttingen.  Rede 
.  .  .  am  27.  Januar  1894  im  Namen  der  Georg  -  Augusts  -  Uni- 
versität gehalten.  Göttingen  (Universitätsschrift).  28  S.  gr.  8°. 
In  dieser  auf  sorgsamen  Quellenstudien  ruhenden  Festrede  be- 
handelt der  Verfasser  den  Einflufs  der  Universität  Halle  auf  den 
Betrieb  der  Wissenschaften  überhaupt  und  auf  die  Gründung  und 
Leitung  der  Göttinger  Universität  im  besonderen.  Uns  Theologen, 
die  wir  seit  Tholuck  zu  leicht  geneigt  sind,  in  Christian  Tho- 
masius  nur  den  aufgeklärten  oberflächlichen  Publizisten  zu  sehen, 
mufs  der  Nachweis  seiner  objektiv  begründeten  wissenschaftlichen 
Bedeutung  auf  dem  Gebiete  des  Rechtes  sehr  wertvoll  sein. 
Während  das  blofs  gelehrte  Wissen  der  Professoren  des  17.  Jahr- 
hunderts eine  Entfremdung  der  Wissenschaft  vom  Leben  herbei- 
geführt hatte,  wird  durch  Thomasius  in  Halle  die  Wissenschaft 
auf  das  im  Leben  Verwendbare  zurückgeführt.  In  ihrer  Weise 
erstrebten  die  pietistischen  Theologen  dort  Ahnliches.  Die  ganze 
Universität  repräsentiert  daher  eine  „Abwendung  vom  Pedantis- 
mus". In  vielfachen  Beziehungen  wurde  diese  schnell  aufgeblühte 
Hochschule  für  die  Stiftung  der  Universität  Göttingen  mafsgebend, 
und  erwähnt  mag  nur  noch  besonders  werden,  dufs  ihr  erster 


426 


NACHRICHTEN. 


gefeierter  Kurator,  Gerlach  Adolf  von  Münchhausen,  in  dessen 
Hand  ihre  Geschicke  fast  ein  halbes  Jahrhundert  lagen,  selbst 
in  Halle  studiert  und  der  Halleschen  Universitätseinrichtung  den 
Vorrang  vor  der  Jenaischen  gegeben  hatte.  Münchhausen  hatte 
in  Halle  als  aufmerksamer  Zuhörer  von  Thomasius  „die  Verhält- 
nisse aufmerksam  beobachtet  und  die  Methode  der  Dozenten 
ebenso  wie  die  wissenschaftlichen  nnd  sozialen  Zustände  unter 
Professoren  und  Studenten"  kennen  gelernt.  Es  war  auch  kein 
Zufall,  dafs  er  als  Kurator  von  Göttingen  in  die  theologische 
Fakultät  gerade  Lorenz  von  Mosheim  berief,  dem  bei  seiner  hohen 
Wissenschaftlichkeit  doch  auch  das  beste  Teil  vom  Pietismus 
eigen  war,  die  Betonung  des  praktischen  Christentums  und  die 
Erhabenheit  über  allen  schulmäfsigen  Formalismus. 

*38.  Waldenserkirche.  Jahresbericht  über  die 
Evangelisations-Th  ätigkeit  der  Waldenserkirche  in 
Italien  (für  das  Jahr  1893).  Herausgegeben  von  Dr.  M.  Pro- 
chet,  Präsident  des  Evangelisten- Komitees  in  Rom  1894.  —  Die 
Waldenserkirche  arbeitet  danach  in  der  Stille  weiter;  ein  greif- 
barer Fortschritt  ist  in  ihren  Erfolgen  nicht  zu  konstatieren.  Sie 
zählt  44  Gemeinden  mit  141  angestellten  Arbeitern  und  55  Sta- 
tionen; sonntagliche  Zuhörer  7408,  gelegentliche  Hörer  53862, 
Kommunikanten  4871.  Aber  die  Waldenser  arbeiten  in  unent- 
wegter Hoffnung  fort,  und  auch  über  ihre  zur  Zeit  „höchst 
schwierige"  finanzielle  Not  hoffen  sie  mit  Hilfo  der  evangelischen 
Glaubensgenossen,  an  welche  sie  hier  „einen  besonderen  Not- 
schrei" richten,  hinwegkommen  zu  können. 

39.  Franz  Blanckmeister,  Die  theologische  Fakultät 
der  Universität  Leipzig.  Geschichte  einer  altberühmtcn  theo- 
logischen Bildungsstätte.    Leipzig  1894.    [Populäre  Broschüre.] 

*40.  HenriTollin,  Geschichte  der  französischen 
Kolonie  von  Magdeburg.  Jubiläumsschrift.  Bd.  III,  Abtl. 
1,  B  (Magdeburg,  Verlag  der  Faberschen  Buchdruckerei,  1893. 
896  S.  8°).  Dieser  Teil  der  umfassenden  Jubiläumsschrift  soll 
auf  geschichtlichem  Wege  uen  Nachweis  der  Leistungen  der 
Magdeburger  französischen  Kolonie  erbringen;  sein  Spezialtitel 
lautet:  .,  Vom  Nutzen  des  Refuge  insbesondere  in  Magdebnrg". 
Dieser  Nachweis  ist  dem  ungemein  belesenen  und  unermüdlich 
fleifsigen  Verfasser  aufs  glänzendste  gelungen.  Er  handelt  zu- 
erst von  „den  Militärs  und  dem  Adel  der  französischen  Kolonie 
von  Magdeburg";  dabei  führt  er  uns  unter  den  französischen  Offi- 
zieren Magdeburgs  6  Generalissimi,  3  Generale  der  Infanterie, 
16  Generallieutenants,  16  Generalmajors,  13  Oberstlieutenants, 
22  Majors,  40  Hauptleute  uud  58  Lieutenants  vor.  Dem  huge- 
nottischen Adel  Magdeburgs,  dessen  Prinzip  war  „sauver  nos 
ämes",  zollt  Tollin  hohe  Bewunderung.  In  einem  zweiten  Teile 


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NACHRICHTEN. 


427 


wird  der  Einflufs  der  hugenottischen  Kolonie  Magdeburgs  auf 
Fabrikwesen,  Handel  und  Handwerk  nachgewiesen;  wir  sehen 
französische  Grofsmanufakturen ,  französische  Mühlen,  aber  auch 
Kleinbetriebe  mannigfachster  Art  entstehen.  Die  bunten  Mit- 
teilungen darüber  verdienen  alle  Beachtung  vonseiten  der  Kultur- 
historiker Deutschlands ;  aber  auch  der  Kirchenhistoriker  wird  mit 
Bewunderung  den  Segen  betrachten,  welcher  unsenn  Vaterlaude 
aus  der  Aufhebung  des  Ediktes  von  Nantes  erwachsen  ist  Die 
BenuUbarkeit  auch  dieses  starken  Bandes  hat  der  Verfasser  durch 
Hinzuziehung  eines  detaillierten  Inhaltsverzeichnisses  und  sorgsam 
angefertigten  Registers  wesentlich  erleichtert.  —  Bd.  III,  Abtl. 
1,  C  (1894.  1326  S.  8°).  Mit  bewunderungswürdiger  Detail- 
kenntnis hat  der  unermüdlich  fleifsige  Schriftsteller  hier  die  Ge- 
schichte seiner  Gemeinde  geschrieben,  um  den  Beweis  zu  er- 
bringen, dafs  innerhalb  der  Kirche  des  Befuge  in  Freufsen  der 
mag-de  burgischen  Gemeinde  ein  Ehrenplatz  gebührt.  Er  behandelt 
zu  diesem  Zwecke  den  Gottesdienst,  die  Kirchenbeamten,  die 
kirchlichen  Gebäude,  die  Arbeiten  des  Presbyteriums  und  das 
Verhältnis  der  Magdeburger  französischen  Gemeinde  zu  den  andern 
evangelischen  Gemeinden  Magdeburgs,  zu  den  französisch  -  refor- 
mierten der  Provinz  Sachsen,  zum  Consistoire  francais  de  Berlin 
u.  s.  w.  Seiner  Gemeinde  hat  der  Verfasser  ihre  Geschichte 
festgelegt  und  sich  daduich  ein  grofses  Verdienst  erworben;  wir 
Nicht-Magdeburger  können  eine  Kirchengemeinde  einer  einzelnen 
Gemeinde  von  1326  Seiten  nur  als  Nachschlagebuch  gebrauchen, 
was  der  Verfasser  uns  durch  sein  sorgsames  Register  erleichtert 
hat  Der  Standpunkt  des  Verfassers  ist  durch  seine  zahlreichen 
andern  Publikationen  bekannt;  in  seinem  Denken  durchaus  huge- 
nottisch, meiut  er  hier  (S.  1263):  „Calvin  nabin  die  Welt; 
Luther  Deutschland",  plädiert  aber  begeistert  für  eine  freie  Union 
zwischen  Lutheranern  und  Reformierten,  jedoch  unter  zäher  Fest- 
haltung und  Weiterbildung  der  reformierten  Kirche.  Dem  „Staats- 
episkopat" sagt  er  (S.  1290)  „Gemeingefahrlichkeit"  nach. 

41*  F.  Scheichl,  Bilder  aus  der  Zeit  der  Gegenrefor- 
mation in  Österreich,  im  Jahrbuch  der  Gesellschaft  für  die 
Geschichte  des  Protestantismus  in  Österreich,  15.  Jahrg.,  1.  Hft 
(1894). 

* 42.  L.  Schauenburg  (Pastor) ,  Hundert  Jahre 
Oldenburgischer  Kirchengeschichte  von  Hamelmann 
bis  auf  Cadovius  (1573—1667).  Ein  Beitrag  zur  Kirchen-  und 
Kulturgeschichte  des  17.  Jahrhunderts,  1.  Bd.  (Oldenburg,  Richard 
Stalling,  1894.  487  S.  8°.  Preis  9  Mk.).  Da  es  bis  jetzt  eine 
Gesamtkirchengeschichte  des  heutigen  Grofsherzogtums  Oldenburg 
nicht  giebt,  so  ist  diejer  Ausschnitt,  welcher  die  Kirchengeschichte 
der  alten  Grafschaften  Oldenburg  und  Delmenhorst  vom  Amts- 


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428 


XACIIIilCHTEN. 


autritt  des  ersten  lnth.  Superintendenten  Hamelmann  1573  bis 
zum  Tode  des  oldenburgischen  Grafen  Anton  Günther  1667  ent- 
hält, sehr  willkommen  zu  heifsen.  Gegen  diese  Abgrenzung  des 
Stoffes  ist  nichts  einzuwenden.  Der  Verfasser  beherrscht  sein 
Gebiet  ausgezeichnet,  hat  streng  sachlich,  aber  mit  innerer  Teil- 
nahme am  Gegenstande  geschrieben;  und  nicht  nur  kirchen- 
geschichtliches Material  im  engern  Sinne  bietet  er,  sondern  auch 
kulturgeschichtliche  Mitteilungen  von  allgemeinem  Interesse,  wie 
Güter-  und  Bauverhältnisse,  Bildungsstand,  Volksschulwesen 
u.  dgl.,  sind  in  dankeswertester  Weise  eingeflochteu.  Das  Buch 
ist  reich  an  bisher  unbekannten,  aus  archivalischen  Quellen  ge- 
schöpften Einzeldaten  über  Einzelgemeinden,  Superintendenten  und 
Fastoren  der  oldenburgischen  Grafschaft  und  wird  gerade  dadurch 
die  Forschung  auf  dem  Gebiete  der  niedersächsischen  Kirchen- 
geschichte erheblich  fördern.  Dringend  notwendig  ist  aber  ein 
Register  über  Personen  und  Sachen,  welches  hoffentlich  im  Schlufs- 
bande  dieser  wertvollen  Arbeit  nicht  fehlen  wird. 

*45.  J.  Pfotenhauer,  Die  Missionen  der  Jesuiten 
in  Paraguay,  drei  Teile  (Gütersloh,  Bertelsmann,  1893.  3.  Teil). 
Eiue  sehr  fleifsig  nach  den  Quellen  gearbeitete  Schrift;  ihr  Ver- 
fasser sieht  in  dem  Zusammenbruch  des  Missionsstaates  ein 
Gottesgericht  über  die  jesuitische  Mission. 

44.  Hof  mann,  Keformationsgeschichte  der  Stadt  Pirna. 
Nach  urkundlichen  Quellen  dargestellt.  [Aus:  Beiträge  z.  sachs. 
Kirchengesch.  1893.]  Loipzig,  Glauchau,  A.  Peschke,  1894. 
329  S.  gr.  8°. 

45.  Max  Lehmann,  Preufsen  und  die  katholische 
Kirche  seit  1640.  7.  (Schlufs-)Teil.  Leipzig  1894.  [Behandelt 
die  Zeit  von  1793  bis  1797  und  bringt  Nachtrüge  zu  allen 
Teilen.] 

*4<i.  Johannes  Sembrzycki,  Die  polnischeu  Be- 
formierten und  Unitarier  in  Preufsen.  Nach  gedruckten 
und  ungedruckten  Quellen.  Königsberg  i.  Pr. ,  Ferd.  Beyers 
Buchhandlung  (Thomas  &  Oppermann),  1893.  (Sonderabdruck 
aus  „Altpreufs.  Monatsschrift M,  Bd.  XXX,  1.  2,  S.  1—100.)  — 
Der  um  die  Geschichte  des  Protestantismus  in  Polen  sehr  ver- 
diente Autor  (ein  Nicht -Theologe  in  Ostproufsen)  hat  hier  auf 
Grund  zahlreicher  Handschriften  und  Druckwerke  wieder  einen 
schätzbaren  Beitrag  zur  polnischen  Reformations-  und  ostpreufsi- 
schen  Provinzialgeschichte  geliefert.  Da  er  bei  uns  in  Deutsch- 
land einer  der  wenigen  Schriftsteller  ist,  welche  die  polnische 
Sprache  verstehen  und  zugleich  mit  Liebe  die  Geschichte  der 
evangelischen  Polen  durchforschen,  so  darf  er  für  jede  Arbeit, 
welche  seine  sachkundige  Feder  uns  schenkt,  auf  unser  dank- 
bares Interesse  rechnen.    Die  vorliegende  Arbeit  handelt  I)  von 


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NACHRICHTEN. 


429 


den  litauisch  -  polnischen  Beformierten  bis  zum  Vertrage  von 
Wehlau  1657;  II)  von  den  Unitariern  in  Ostpreufsen;  III)  von 
den  litauisch  -  polnischen  Beformierten  seit  Ernennung  Boguslaws 
Badziwill  zum  Statthalter  bis  zur  Gründung  der  Königsberger 
Gemeinde  und  IV)  von  der  polnisch  -  reformierten  Gemeinde  in 
Königsberg  bis  zum  Tode  des  letzten  polnischen  Pfarrers  Stephan 
Wannowski  (gest.  1812).  In  einem  Anhange  giebt  Sembrzycki 
eine  Übersicht  über  die  aus  dem  polnischen  Litauen  stammenden 
Studenten  der  Universität  Frankfurt  a.  0.  —  Wenn  es  dem  Ver- 
fasser nun  auch  gelange,  eine  Geschichte  der  polnischen  Re- 
formationsbestrebungen von  etwa  1524  an  (das  ist  wohl  der  An- 
fang?) zunächst  bis  zum  Tode  Sigismunds  I. ,  sodann  bis  1572, 
aus  sicheren  Quellen  zu  geben  —  das  könnte  uns  ein  grofser 
Gewinn  sein! 

47.  Kleinert,  Der  preufsische  Agenden-Entwurf 
in  Theol.  Stud.  u.  Krit.  1894,  3.  —  Th.  Förster,  Bedeutung 
und  Gebrauch  des  apost.  Bekenntnisses  im  Kultus  mit  Bezug  auf 
die  neue  Agende.    Hallo  1894.  P.  Tschackert. 

*  48.  U.  Trusen,  Das  preufsische  Kirchenrecht 
im  Bereiche  der  evangelischen  Landeskirche.  Zum  praktischen 
Gebrauche  für  Geistliche,  Richter  und  Verwaltungsbeamte  aus  der 
Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Rechtsprechung  erläutert.  Zweite 
Auflage.  Berlin,  J.  Guttentag,  1894.  XII  u.  724  S.  Hierzu 
ein  im  gleichen  Jahre  erschienener  Nachtrag  S.  725 — 739.  — 
Das  Buch  ist,  wie  srhon  der  Titel  bemerkt,  nur  zum  prakti- 
schen Gebrauche  bestimmt  und  erfüllt  diesen  Zweck  in  treff- 
licher Weise.  Es  bringt  den  gegenwärtigen  Rechtszustand 
der  preufsischeu  evangelischen  Landeskirche  zur  übersichtlichen 
Darstellung,  indem  es  die  wichtigeren  Kirchengesetze  und  Staats- 
gesetze kirchlichen  Inhalts  abdruckt  und  unter  dem  Texte  Re- 
skripte des  Oberkirchenrats,  Verfügungen  des  Kultministeriums, 
Erkenntnisse  der  obersten  Gerichtshöfe  etc.  zur  Erläuterung  bei- 
fügt. Dafs  Verfasser  nicht  wenigstens  den  Text  der  Rheinisch- 
Westfälischen  Kirchenordnung  mitteilt,  bedauern  wir;  es  ist  dies 
ein  Mangel  des  Werks,  der  durch  den  im  Vorwort  angegebenen 
Grund  nicht  gerechtfertigt  wird.  Störend  ist  es  ferner,  wenn 
der  Text  durch  die  Erläuterungen  und  ergänzenden  Mitteilungen 
mehrere  Seiten  lang  unterbrochen  wird  (vgl.  z.  B.  S.  126 — 136, 
wo  unter  dem  Text  ein  Kirchengesetz  mit  59  Paragraphen  ab- 
gedruckt ist,  das  besser  in  den  Anhang  verwiesen  würe).  Der 
Nachtrag  giebt  u.  a.  insbesondere  das  wichtige  Staatsgesetz  vom 
28.  Mai  1894,  das  die  kirchliche  Gesetzgebung  von  einigen 
Fesseln  der  staatlichen  befreit.  Die  äufsere  Ausstattung  des 
Buches  verdient  alles  Lob.  Sieker. 


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430 


NACHK1CHTEN 


49.  Dr.  Friedrich  Biene  mann  jun.,  Werden  und  Wachsen 
einer  deutschen  Kolonie  in  Süd-Rufs  land.  Geschichte  der 
ev.-luth.  Gemeinde  zu  Odessa.  Riga  1893.  460  S.  gr.  8°.  — 
Quellenmäßig  und  mit  urkundlichen  Beilagen. 

50.  H.  Wäntig,  Die  Verfassungsgesetze  der  ev.-luth. 
Landeskirche  des  Königreichs  Sachsen  sowie  die  für  dieselbe 
erlassenen  Gesetze  und  Verordnungen.  Leipzig  1894.  563  S.  8°. 

*51.  Beiträge  zur  sächsischen  Kirchengeschichte, 
heransg.  von  Dibelius  und  Brieger.  9.  Heft.  Leipzig  1894. 
272  8.  gr.  8°:  Georg  Müller,  Verfassungs-  und  Ver- 
waltnngsgeschichte  der  sächsischen  Landeskirche. 
Der  Verfasser,  Oberlehrer  am  Wettiner  Gymnasium  zu  Dresden, 
hat  in  der  Gehe-Stiftung  daselbst,  welche  das  Interesse  an  der 
Verwaltung  von  Staat  und  Gemeinde  fordern  will,  über  obiges 
Thema  neun  zusammenhängende  Vorträge  gehalten,  von  denen  im 
vorliegenden  „Hefte"  ihrer  fünf  gedruckt  vorliegen;  sie  behan- 
deln auf  Grund  eines  reichen  gedruckten  und  handschriftlichen 
(archivalischen)  Quellenmaterials  das  Gebiet  der  sächsischen 
Landeskirche,  das  landesherrliche  Kirchenrogiment,  die  kirchlichen 
Behörden,  die  Kirchenvisitationen  und  Kirchenorduungen,  Lehre 
und  Bekenntnis,  Bekenntnisverpflichtung  und  Zensur.  Bin  dankens- 
wertes Register  erhöht  die  Brauchbarkeit  dieses  trefflichen  Werkes, 
das  weit  über  die  Grenzen  der  sächsischen  Landeskirche  hinaus 
Beachtung  verdient. 

*  52.  Franz  B lanckmeister:  „Aus  dem  kirchlichen 
Leben  des  Sachsenlandes".  Kuliurbilder  aus  vier 
Jahrhunderten.  Leipzig,  Druck  und  Verlag  von  Fr.  Richter, 
1893.  —  Der  verdienstvolle  Herausgeber  der  Zeitschrift  „Das 
Pfarrhaus",  Pastor  Blanckmeister  in  Dresden,  ist  seit  langer  Zeit 
damit  beschäftigt,  den  Sinn  für  die  Kirchengeschichte  seines 
engeren  Vaterlandes  in  den  weiteren  Kreiseu  der  Gebildeten  da- 
selbst zu  wecken,  weil  es  nach  seiner  Angabe  dort  noch  an 
Kenntnis  der  kirchengeschichtlicben  Vergangenheit  fehlt  Mit 
liebevollem  Verständnis  und  reichem  Wissen  bietet  er  zu  diesem 
Zwecke  die  vorliegenden  „Kulturbilder"  in  einzelnen  Heften.  Im 
orsten  Hefte  zeichnet  er  den  „sächsischen  Volkscharakter*'  und 
sein  Verhältnis  zum  Evangelium;  im  zweiten  bespricht  er  „die 
erste  theologische  Zeitschrift",  die  noch  heute  wertvollen  „Un- 
schuldigen Nachrichten"  Löschers;  im  dritten  „die  sächsischen 
Bufctage".  P.  Tschackert. 

53.  Seinem  Aufsatze  über  das  Breslauer  Bistum  nach  dem 
Tode  Friedrichs  des  Grofsen  in  Bd.  XXVIII  der  Zeitschrift  des 
Vereins  für  Gesch.  und  Altert.  Schlesiens  hat  C.  Grünhagen 
kürzlich  in  Bd.  XXIX  (1895),  S.  35fT.  eine  lehrreiche  Studie 


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NACHRICHTEN. 


431 


über  „Die  kath.  Kirche  in  Schlesien  am  Ausgange 
des  vorigen  Jahrhunderts"  folgen  lassen.  Man  sieht  hier, 
wie  die  Aussöhnung  des  kath.  Klerus  mit  der  preufsischen  Herr- 
schaft durch  den  Schrecken  gefördert  wurde,  den  Josephs  II.  sich 
übersteigende  Reformen  hervorriefen.  Preufsens  kühl  ablehnende 
Haltung  gegenüber  den  Bestrebungen  des  deutschen  Episkopats 
von  1786  führte  die  freundlichsten  Beziehungen  zwischen  Born 
und  Berlin  herbei.  Zahlreiche  Mitteilungen*  illustrieren  das  kol- 
legiale, freundschaftliche  Verhältnis,  da«  zwischen  beiden  Kon- 
fessionen unter  der  A.ufklärungszeitströmung  auf  den  verschie- 
densten Gebieten  der  kirchlichen  Praxis  Platz  griff.  Auch  die  im 
ganzen  sehr  wohlwollende  Behandlung  der  Klöster  durch  die  Re- 
gierung findet  urkundliche  Beleuchtung.  G.  Kawerau. 

*  54.  Strafsburger  Theologische  Studien,  herausg. 
von  Ehrhard  und  Müller.  2.  Band,  1.  Heft:  Die  Strafsburger 
Diöces an synoden  von  M.  Sdralok.  Freiburg  im  Breisgan 
1894.  168  S.  gr.  8°.  Der  Verfasser  erzählt  in  dem  ersten 
Teile  seines  Buches  die  Geschichte  der  Strafsburger  Diöcesan- 
synoden  vom  Ende  des  zehnten  bis  in  das  siebzehnte  Jahrhundert, 
wo  noch  unter  französischer  Zeit  Synoden  zu  Strafsburg  gehalten 
worden  sind.  Seine  Erzählung  ist  lediglich  wissenschaftlich  ge- 
halten, so  dafs  die  Geschichte  des  Strafsburger  Klerus  eine  sehr 
dankenswerte  Bereicherung  erfährt.  Der  Standpunkt  des  Ver- 
fassers ist  der  streng  vatikanisch  gläubige,  wonach  Synoden  Über- 
haupt nicht  mehr  nötig  sind;  sie  kommen  nur  noch  als  „ausser- 
ordentliche kirchliche  Begier ungsmittel"  in  Betracht,  und  es  sei 
„unleugbar,  dafs  ihre  Zwecke  durch  die  modernen  Verkehrsmittel 
rascher  erreicht  werden  können Im  zweiten  Teile  berichtet  der 
Verfasser  über  die  Handschriften  der  Strafsburger  Synodalstatuten 
nnd  veröffentlicht  eine  wertvolle  Reihe  von  Aktenstücken  zur 
Strafsburger  Kirchengeschichte  des  14.  Jahrhunderts. 

55.  Prof.  Dr.  Herrn.  Zschokke,  Geschichte  des  Metro- 
pol itankapitels  zum  heil.  Stephan  in  Wien  [nach  Arcbivalien]. 
Wien  1894.    428  S. 


50.  Mart.  Beck,  Abraham  a  Sancta  Clara.  Ein 
Erinnerungsblatt  u.  s.  w.  Wissenschaftliche  Beilage  Nr.  79  der 
Leipziger  Zeitung  (1894). 

57.  Prof.  D.  theol.  Michael  Baumgarton.  Ein  aus 
45jähr.  Erfahrung  geschöpfter  Beitrag  zur  Kirchenfrage.  Ans 
handschriftlichem  Nachlafs  herausgegeben  von  Past.  H.  H.  Studt 
2  Bände.    Kiel,  Homann  (1891). 

58.  Fr.  Leitschuh,    Franz  Ludwig  von  Ertbal, 

Z«itscbr.  f.  K.-G.  XVII,  3.  28 


432 


NACIJ  RICHTEN. 


Fürstbischof  von  Bamberg  und  Würzburg,  Herzog  tob  Franken. 
Ein  Charakterbild  nach  den  Quellen  bearbeitet  Mit  10  Voll- 
bildern. Bamberg  1894  (256  S.  8°).  —  [Ein  Panegyrikus  auf 
den  josephinisch  aufgeklärten  Prälaten,  den  der  Verfasser  noch 
über  Friedrich  II.  („den  Einzigen")  und  über  Joseph  II.  er- 
hebt] 

*  59.  (Georg  Forster.)  Deutsche  Litteraturdenk- 
male  des  18.  unQ  19.  Jahrhunderts,  begründet  von 
B.  Seuffert  u.  s.  w.  46/47:  Ausgewählte  kleine  Schrif- 
ten von  Georg  Forster,  herausg.  von  Alb.  Leitzmann. 
(Stuttgart,  Göschensche  Verlagshandlung,  1894.  165  S.  8°.)  — 
Georg  Förster,  der  bekannte  Mainzer  Demokrat  zur  Zeit  der 
französischen  Bevolutiou  soll,  dazu  will  diese  Ausgabe  helfen, 
nachdem  er  „über  Gebühr  vernachlässigt  und  fast  vergessen" 
sei,  „seine  wohlverdiente  Stellung  unter  den  Klassikern  des  deut- 
schen Gedankens  und  der  deutschen  Prosa"  wieder  erhalten. 
Unter  den  acht  hier  neu  gedruckten  kleineren  Schriften  inter- 
essiert uns  (Nr.  VI)  die  „über  Prosely tenmacherei "  (1789), 
worin  Forster  sein  eigenes  rein  individualistisches  Glaubens- 
bekenntnis gegen  jeden  Despotismus,  religiösen  wie  politischen, 
klar  und  umfassend  niedergelegt  hat  (S.  107 — 137  bei  Leitz- 
mann); er  verlangte  Freiheit,  politische  und  Gewissensfreiheit,  als 
Unbeschränktheit  des  Individuums.  Seine  darauf  bezüglichen 
Grundgedanken  finden  sich  hier  S.  136.  137. 

*  60.  Hugo  Landwehr,  Die  Kirchenpolitik  Fried- 
rich Wilhelms,  des  Grofsen  Kurfürsten.  Auf  Grund 
archivalischer  Quellen.  (Berlin,  Ernst  Hofmann  &  Co.,  1894. 
385  S.  8°.)  —  Über  die  evangelische  Kirchenpolitik  des  Grofsen 
Kurfürsten  wird  hier  zum  erstenmal  auf  Grund  umfassender  Ar- 
chivalien berichtet,  während  wir  aus  Max  Lehmanns  grofsem 
Werke  „Preufsen  und  die  katholische  Kirche,  1.  Band  die  ka- 
tholische Kirchenpolitik  dieses  Fürsten  bereits  kennen.  Neu  ist  an 
Landwebrs  Darstellung  aus  der  Fülle  von  bisher  unbekannten  ein- 
zelnen Thatsachen  die  Gesamtauffassung,  wonach  die  bisherigen  land- 
läufigen Darstellungen  die  Lutheraner  als  Friedenstörer  erscheinen 
lassen,  während  nach  Landwehrs  Urteil  die  Beformierten  ebenso 
kampflustig  waren  als  ihre  Gegner.  Sodann,  was  den  Kurfürsten 
selbst  betrifft,  so  habe  er  überhaupt  keine  sogenannte  kirchliche 
„Unionspolitik"  getrieben,  sondern  „eine  brüderliche  Verträglich- 
keit" der  Lntheraner  und  der  Reformierten  angestrebt,  weil  es 
ihm  als  Landesherrn  darauf  angekommen  sei,  dafs  seine  Religion 
nicht  von  seinen  lutherischen  Landeskindern  als  ketzerisch  an- 
gesehen, sondern  als  gleichberechtigt  mit  der  ihrigen  anerkannt 
werde.  Der  Verfasser  behandelt  in  zwei  Teilen  die  Kirchenpolitik 
des  Kurfürsten  1)  gegenüber  dem  deutschen  Reiche,  2)  gegen- 


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NACHRICHTEN. 


433 


über  seinem  eigenen  Lande.  Ob  dafür  die  gewählten  Titel 
„  Reichspolitik"  und  „  Lnndespolitik  "  richtig  sind,  ferner  ob  die 
Reihenfolge  dieser  beiden  Teile  glücklich  gewählt  ist,  bleibt  frag- 
lich, doch  ist  dies  Nebensache.  Das  Buch  bringt  eine  sehr 
wertvolle  Bereicherung  unserer  Kenntnis  der  Kirchengeschichte 
des  17.  Jahrhunderts. 

*  61.  (Götze.)  „Deutsche  Litteraturdenkmale  des 
18.  und  19.  Jahrhunderts,  begründet  y.  Seuffertu.  s.w. 
43/45.  Goezes  Streitschriften  gegen  Lessing.  Her» 
ausgegeben  von  Erich  Schmidt.  (Stuttgart,  Göschensche  Verlags- 
handlung 1893)  —  Die  Gerechtigkeit  des  Historikers  gebietet, 
dafs  neben  Lessing  auch  dessen  orthodoxer  Gegner  zu  Worte 
kommt;  deshalb  müssen  wir  es  mit  Freude  begrüfsen,  dafs  der 
Herausgeber  dieser  musterhaften  Edition  „zu  Leasings  Blättern 
die  Urkunden  seines  Gegners  legt".  Die  Ausgabe  enthält  die 
Neudrucke  von  Johann  Melchior  Götzes  folgenden  zwei  Streit- 
schriften: 1.  „Etwas  Vorläufiges  gegen  des  Herrn  Hofrate  Lessing 
mittelbare  und  unmittelbare  feindselige  Angriffe  auf  unsere  aller- 
beiligste  Religion  und  auf  den  einigen  Lehrgrund  derselben,  die 
heilige  Schrift"  (Hamburg  1778)  und  2.  „Lessings  Schwächen 
gezeigt  von  J.  M.  G.u.  Drei  Stücke  (Hamburg  1778).  Dazu 
einen  Anhang:  Aus  den  „Frey willigen  Beyträgen  zu  den  Ham- 
burgischen Nachrichten  aus  dem  Reiche  der  Gelehrsamkeit"  (Ham- 
burg 1774 — 1778)  und  Beitrag  zum  „Reichs-Postreuter"  (Altona 
1777  —  1780).  P.  Tschackert. 

63.  Karl  Fey,  Gustav  Adolf  im  Lichte  der  Geschichte. 
Eine  Antwort  auf  die  ultramontanen  Verlästerungen  des  Schweden- 
königs. Flugschriften  des  Evangelischen  Bundes.  100/101.  IX. 
Reihe  4/5.  Leipzig  1894.  C.  Braun.  8°.  48  S.  Hk.  0.50.  Ein 
interessantes  und  wegen  der  gewonnenen  Resultate  recht  beachtens- 
wertes Schriftchen.  Es  richtet  sich  hauptsächlich  gegen  die  be- 
kannten ultramontanen  Geschichtsschreiber  Gfrörer,  Onno  Klopp, 
Jannssen,  Knie  und  Annegarn,  aber  auch  gegen  die  protestan- 
tischen Historiker  H.  Leo,  K.  A.  Menzel  und  stellenweise  gegen 
des  jüngeren  Droysen  vielgelesenes  Werk:  „Gustav  Adolf",  das 
in  seinen  Ergebnissen  von  denen  des  älteren  Droysen  (Geschichte 
der  prenfsischen  Politik.  III,  1,  102  —  105)  wesentlich  abweicht. 
Verfasser  zeigt  an  der  Hand  namentlich  von  Ranke,  Opel :  „Onno 
Klopp  und  die  Geschichte  des  Dreifsigjährigen  Krieges".  1862, 
S.  83,  Venedeys  Kritik  des  Kloppschen  Werkes  in  Sybels  „Histor. 
Zeitschr."  1862,  S.  381-444,  Wittich:  „Magdeburg,  Gustav 
Adolf  und  Tilly"  I,  S.  600—502.  503.  564 f.,  der  sehr  wich- 
tigen Schrift  von  E.  Gutjahr:  „König  Gustav  Adolfs  Beweggründe 
zur  Teilnahme  am  deutschen  Kriege,  auf  Grund  bes.  der  schwe- 

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4  34 


NACH  RICHTEN. 


dischen  Quellen  aus  den  Jahren  1629  und  1630".  S.  71  (gegen 
Droysen),  Kluckhohn:  „Über  Gustav  Adolf"  im  45.  Bericht  des 
Gottinger  Hauptvereins  der  evangelischen  Gustav  Adolf-Stiftung. 
1891,  S.  14  f.  und  S.  18  f.  u.  a,,  dafs  die  alte  Ansicht  über 
Gustav  Adolfs  Person  und  Absichten  die  einzig  richtige  ist,  wenn 
auch  unzweifelhaft  feststeht,  dafs  den  König,  welcher  sich,  wie 
Fej  S.  22  treffend  hervorhebt,  in  einer  ähnlichen  Lage  befand 
als  Friedrich  der  Grofse  vor  Ausbrach  des  Siebenjährigen  Krieges, 
in  zweiter  Linie  politische  Beweggründe  nach  Deutschland  führten. 
Schließlich  stimmt  Verfasser  mit  Recht  den  Urteilen  Schillers, 
£.  M.  Arndts,  G.  Freytags  und  besonders  des  Kirchengeschichts- 
schreibers Kahnis:  „Per  innere  Gang  des  deutschen  Protest". 
3.  Auflage  I.  S.  75 — 78,  wie  auch  Moltkes:  „Gesammelte  Schriften". 
II.  S.  185—187  bei.  LöscMwrn. 

63.  Emil  Gutjahr,  König  Gustav  II.  Adolfe  von  Schweden 
Beweggründe  zur  Teilnahme  am  deutschen  Kriege,  auf  Grund 
besonders  der  schwedischen  Quellen  aus  den  Jahren  1629  und 
1630.  Der  evangelischen  Schule  ein  Beitrag  zur  dreihundert- 
jährigen Gedenkfeier  an  Gustav  Adolfs  Geburt.  Leipzig  1894. 
72  S.  8°.  [Der  Verfasser  weist  als  Haoptschlüssel  zur  Erkennt- 
nis der  Beweggründe  Gustav  Adolfs  das  Schreiben  desselben  an 
Oxenstjerna  vom  18.  Februar  1629  nach,  in  welchem  der  poli- 
tische Beweggrund  als  Voraussetzung  (aber  nur  als  diese)  zum 
religiös'en  Beweggrund  erscheint:  Die  Freiheit  Schwedens  sei 
die  Grundlage  der  Freiheit  der  evangelischen  Kirche  vom  Papste. 
Droysen  und  andere  Historiker  haben  dieses  Schreiben  nicht  be- 
rücksichtigt] 

»64.  Karl  von  Hases  Werke.  Band  VIII.  Theo- 
logische Streit-  und  Zeitschriften.  2.  Abteilung. 
Theologische  Ährenlese  I  und  II.  Leipzig  1892.  —  Die 
vorliegende,  von  D.  Gustav  Frank  herausgegebene  Sammlung  von 
circa  90  kleineren  Arbeiten  Uases  aus  den  Jahren  1824—1880 
verdient  das  sorgsamste  Interesse  aller,  welche  sich  wissenschaft- 
lich mit  der  Kirchengeschichte  des  XIX.  Jahrhunderts  zu  be- 
schäftigen haben.  Mit  gutem  Grunde  hat  der  Herausgeber  sie 
sachlich  nicht  chronologisch  geordnet.  „Zur  Kirchengeschichte" 
befinden  sich  darin  23;  „Zu  Kirchenrecht  und  Kirchenverfassung tf 
9;  „Zur  Geschichte  des  Gegensatzes  von  Rationalismus,  Super- 
naturalismiis  und  Orthodoxie  13".  —  Aber  auch  die  übrigen 
Rubriken  „Zum  Leben  Jesu",  „Zur  Dogmatik"  und  „Verschiedenes" 
bringen  kirchengeschichtlich  interessante  Beiträge.  Die  wichtigsten 
änfseren  Vorgänge  in  der  Geschichte  der  Kirche  und  tief  ein- 
greifende innere  Fragen  werden  hier  mit  der  bekannten  geist- 
vollen Eigenart  des  Verfassers  besprochen;  seine  Persönlichkeit 


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NACHRICHTEN. 


435 


tritt  gerade  hier  mit  ihrem  wahrhaft  glänzenden  Reichtum  an 
Geist  und  Wissen  hervor;  aber  abgesehen  von  diesem  persönlichen 
Charakter  scheint  mir  der  hohe  Wert  dieser  reichen  Sammlung 
darin  zu  liegen,  dafs  es  der  für  die  neue  Zeit,  die  ihn  umgab, 
voll  aufgeschlossene  Kirchenhistoriker  ist,  der  zu  uns  spricht  von 
seinem  Kampfe  gegen  den  vulgären  Rationalismus  an  bis  „zum 
anfangenden  Ende  des  Kulturkampfes".  Es  ist  hier  unmöglich, 
die  Titel  aller  einzelnen  Arbeiten  anzugeben.  Dem  Herausgeber 
aber  und  der  Verlagsbuchhandlung  mag  man  gratulieren,  dafs  es 
ihnen  gelungen  ist,  diese  reiche  „Ährenlese"  zusammenzubringen; 
es  sind  der  Ähren  recht  viel  volle  darunter. 

P.  Tschacker  t. 

*  65.  G.  A.  Deissmann,  Johann  Kepler  und  die  Bibel. 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Schriftautorität.  Marburg  1894. 
N.  G.  Elwertsche  Yeilagsbnchbandiung.  8°.  Mk.  0.  60.  34  S.  ist 
eine  verdienstliche  Arbeit,  welche  mit  schlagenden  Gründen  nach- 
weist, dafs  Luther  und  Kopernikus  sich  gegenseitig  nicht  ver- 
standen, vielmehr  dio  lutherische  Theologie  sich  erst  in  Kepler 
mit  der  Astronomie  versöhnt.  Im  einzelnen  wird  gezeigt,  dafs 
Kepler  in  echt  protestantischer  Weise  die  grundlegende  Bedeu- 
tung und  religiöse  Autorität  der  Bibel  klar  ausgesprochen,  sowie 
den  religiös-sittlichen  Gehalt  derselben  von  andern  nicht  in  das 
Glaubensgebiet  gehörigen  Schriftaussagen  sehr  wohl  unterschieden, 
also  schon  die  Grundlagen  zur  Lösung  des  Problems  über  das 
Verhältnis  der  Bibel  zur  Naturwissenschaft  richtig  gefunden  hat. 
Das  gesamte  einschlägige  Material,  namentlich  auch  das  der 
neuesten  Zeit,  ist  mit  kritischem  Urteil  benutzt,  auch  sind  mit 
Recht  oft  die  eigenen  Worte  Keplers  als  Belege  angeführt. 

Löschhorn. 

06.  Anna  de  Lagarde,  Paul  de  Lagarde,  Er- 
innerungen aus  seinem  Leben.    Göttingen  1894.  191  S. 

*  67.  J.  Kont,  Lessing  et  l'antiquitä.  Etüde  sur 
l'hellenisme  et  la  critique  dogmatique  en  Allemagne  au  XVII1C 
siecle.  Tome  premier.  Paris  1894,  314  S.  8°.  Das  Werk  ist 
eine  Studie  über  die  Pflege  des  klassischen  Altertums  vonseiten 
der  deutschen  Litteratur  im  18.  Jahrhundert,  speziell  über  die  Be- 
ziehungen Lessings  zur  altklassischen  Litteratur.  Die  „critique 
dogmatique  en  Allemagne  au  XVIIF  siecle"  ist  im  vorliegenden 
Bande  noch  nicht  berührt.  Man  wird  in  Deutschland  mit  grofsem 
Interesse  davon  Kenntnis  nehmen,  dafs  dem  französischen  Publi- 
kum in  diesem  Buche  zugemutet  wird,  sich  mit  dem  Manne  näher 
zu  beschäftigen,  dessen  schriftstellerische  Art  nach  Form  nnd 
In  alt  ihm  nicht  kongenial  ist.    Der  Verfasser  mufs  doch,  so 


436 


XACIUUCHTKN. 


vermuten  wir,  auf  ein  starkes  Bedürfnis  der  Franzosen  nach 
intensiver  Beschäftigung  mit  deutscher  Litteratur  rechnen  können. 

68.  G.  Richter  und  F.  Nippold,  Richard  Adalbert 
Li  peius.  Zwei  Gedächtnisreden.  Jena  1893.  Separat  aus  „Zeit- 
schrift für  Thüringer  Geschichte  und  Altertumskunde"  Bd.  XVII. 

69.  Frz.  B lanckmeist er,  Aus  dem  Leben  D.  Valentin 
Löschers,  in  Beitrage  zur  sächsischen  Kirchengeschichte. 
Leipzig  1893. 

70.  J.  Friedrieb,  Johann  Adam  Möhler,  der  Symbo- 
liker. [Aus  ungedruckten  Papieren.]    München  1894.  139  S. 

71.  J.  L.  Schultze,  D.  Julius  Müller  als  Ethiker,  in 
Neue  Jahrbücher  für  deutsche  Theologie  3  Bd.  (1894)  Heft  3. 

*7*2.  F.  Frensdorfs  Briefe  König  Friedrich  Wil- 
helns  I.  von  Prenfsen  an  Hermann  Beinhold  Pauli. 
Herausgegeben  und  eingeleitet  von  F.  Frensdorf!.  Göttingen 
Dieterichsche  Verlagsbuchhandlung  1893.  S.  1 — 58  in  4°.  (Se- 
paratabdruck aus  den  Abhandlungen  der  K.-Ges.  der  Wissen- 
schaften in  Göttingen,  Bd.  XXXIX.)  Der  Name  des  verstorbenen 
Göttinger  Historikers  Pauli  ist  auch  den  Kirchenhistorikern  wohl 
bekannt.  Aus  dessen  Nachlasse  stammen  die  vorliegenden  vier- 
zehn Briefe,  welche  König  Friedrich  Wilhelm  I.  an  den  refor- 
mierten Domprediger  G.  R.  Pauli  in  Halle  (geb.  1682  zu  Marburg, 
in  Halle  seit  1728,  gest.  1750)  geschrieben  bat.  Da  die  Familie 
Pauli  aus  Danzig  stammt,  geleitet  uns  der  Herausgeber  dieses 
Briefwechsels  zuerst  in  diese  altberühmte  Handelsstadt  und  führt 
uns  in  ihrem  reichen  Kulturleben  die  wichtigsten  Glieder  der  in 
Rede  stehenden  Familie  vor.  Das  Bild  ist,  dank  der  umfassend- 
sten Beherrschung  der  Quellen  und  der  meisterhaft  geübten  Kunst 
der  Kleinmalerei,  ein  höchst  anziehendes,  ein  schönes  Stück 
Kirchengeschichte  Westpreufkens ,  das  besonders  die  Freunde  der 
Geschichte  in  Altprenfsen  sich  nicht  sollten  entgehen  lassen.  Die 
edierten  Briefe  selbst  gehören  in  die  Zeit  von  1727  bis  1740. 
Sie  bieten  interessante  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Persönlichkeit 
des  königlichen  Schreibers.  In  Nr.  3,  vom  22.  Dezember  1731 
bekennt  sich  der  König  selbst  zur  „alleinseligmachenden  Lehre 
von  der  allgemeinen  Gnade  Gottes";  seinem  „reformierten" 
Standpunkte  war  also  der  calvinische  Prädestinatianismus  fremd. 
In  Nr.  11,  vom  16.  Februar  1739,  will  er,  dafs  gegen  die  „eitle 
Methode"  einer  „gekünstelten"  Predigtart  bei  den  Kandidaten 
eingeschritten  werde  n.  a.  m. 

73.  Jul.  Wilh.  Fleischer,  Pierre  Poiret  als  Philo- 
soph.   Erlanger  Pis.  1894. 

74.  Ludwig  Haug  (t  Pfarrer),  Darstellung  und  Beurtei- 
lung der  Theologie  Ritschis.  3.  Auflage.  Stuttgart  1894. 
159  S.  12. 


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NACHRICHTEN. 


437 


75.  J.  Edward  Litten,  Johann  Friedrich  Roesner 
und  das  Thorner  Blutgericht.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der 
Jesuiten  in  Polen.  Thorn.  E.  Lambeck  1894. 

*  76.  Hugo  Landwehr,  Barthol omäus  Stosch,  kur- 
brandenburgis che r  Hofprediger  1612  —  1686.  Ein 
Lebensbild.  (Sep.-Abdr.  aus  Forschungen  zur  brandenburgischen 
und  preursischen  Geschichte  VI,  1.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot, 
1893.  S.  89—140.)  —  In  dieser  Arbeit  ist  mit  exakter  For- 
schung und  reichem  handschriftlichen  Material  derjenige  Theologe 
behandelt,  welcher  als  Hofprediger  des  Grofsen  Kurfarsten  in 
Berlin  auf  die  kirchen politischen  Entschliefsungen  desselben  seit 
dem  Beginn  der  sechziger  Jahre  einen  sehr  grofsen  Einflufs  ge- 
habt hat  (S.  125.)  In  diesen  Zusammenhang  gehört  die  Frage 
nach  der  Entfernung  Paul  Gerhardts  aus  seinem  Amte.  Wange- 
mann hatte  Stosch  die  Schuld  daran  zugeschrieben;  dem  Verfasser 
aber  ist  es  nicht  gelungen,  im  geheimen  Staatsarchiv  zu  Berlin 
dafür  einen  Beweis  zu  finden.  (S.  118.) 

*  77.  Hermann  Petrich,  Hermann  Theodor  Wange- 
mann. Sein  Leben  und  Wirken  für  Gottes  Reich  und  für  das 
Missionswerk  insonderheit  Berlin  1895,  116  S.  —  Eine  popu- 
läre, erbauliche  Biographie  des  ehrwörden  Missionsdirektors  Wange- 
mann, geb.  1818,  gest.  1894,  entworfen  vou  Freundeshand,  auf 
Grund  von  „mancherlei  Briefen,  Erkundigungen  und  Nachrichten". 
Für  die  Zeit  von  1865  an,  wo  W.  das  Direktorium  der  Berliner 
Missionsgesellschuft  übernahm,  führt  das  Schriftchen  zugleich  am 
roten  Faden  des  Lebens  ihres  Direktors  durch  die  Geschichte  der 
Berliner  Mission.  Es  ist  gut  lesbar  und  recht  lehrreich.  —  Be- 
sonders anziehend  mutet  uns  die  Schilderung  der  Missionsreisen 
Wangemanns  unter  den  Litauern  (seit  1873)  an  S.  65 ff.;  ihr 
Christentum  ist  doch  eine  merkwürdige  Erscheinung  im  christ- 
lichen Leben  und  nicht  blofs  für  Ostpreufsen  interessant. 

P.  Tschackert. 


Englisches. 

Vou 
C.  A.  Wilkens. 


*  1.  Die  viel  umstrittene:  Frage  wer  waren  die  Culdeer, 
Culdei,  Coledei,  Cultores  Dei,  Coelicolae,  Chelidei,  Keledei,  Caeli- 
bes,  Culdeessor,  Keldeer,  Celle-De,  Cele-De'  hat  1860  Dr.  Reeves, 
Bischof  von  Connor  und  Downe  in  einer  Abhandlung  beantwortet, 


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438  NACHRICHTEN. 

die  er  in  der  Irish  Royal  Academy  las.  W.  Shene  im  Celtic 
Scotland,  der  Bischof  Grant  von  Aberdeen  in  der  Scottish  Review 
1888  bereicherten  das  Material  zur  Entscheidung  der  Sache. 
A.  Allaria  C.  E.  L.  D.  D.  zieht  die  Konsequenzen  aus  den  von 
den  Vorgängern  gelieferten  Daten  in  dem  Aufsatz  The  Culdees: 
The  Scottish  Review  1895,  Vol.  XXV,  p.  lsq.  Er  beweist  vornehm- 
lich aus  einem  Fragment  des  ursprünglich  zum  Book  of  Armagh 
(812)  gehörigen  Liber  Angueli:  die  Culdeer  waren  Geistliche, 
die  ähnlich  den  späteren  canonici  reguläres  in  Gemeinschaft  lebten, 
nicht  selten  Mönche  hiefsen,  durch  Patrik  und  seine  Schüler  in 
Irland  eingeführt  wurden  und  sich  von  dort  nach  Schottland  ver- 
breiteten, besonders  die  Armen-  und  Krankenpflege  übten, 
allmählich  zwei  Gruppen  mit  strenger  und  milder  Observanz 
umfafsten,  bis  die  erstere  mit  den  Augustinerchorherren  verschmolz 
oder  von  ihnen  verdrängt  wurde. 

*  2.  The  divine  Life  in  tho  Church.  Edinburg,  Gard- 
ner, 1895  2  Vols.  ist  der  Titel  der  zweiten  Serie  der  Scottish- 
Church- Society  Conferences.  Kirchenbistorisch  bemerkenswert 
ist  darin  eine  Abhandlung  von  Mc'Gregor  über  die  Cel tische 
Kirche.  Es  wird  Protest  erhoben  gegen  die  Bezeichnung  Cel- 
ten  für  die  alten  Bewohner  der  brittischen  Inseln  und  zu  erweisen 
gesucht,  Martin  von  Tours  sei  Oheim  St  Ninians,  St.  Patrik 
dessen  Grofsoheim  gewesen.  C.  A.  Wtikens. 

3.  A.  Bellesheim  erörtert  im  „Katholik"  74.  Jahrgang 
(1894)  II,  S.  502  ff.  aufs  neue  die  viel  verhandelte  Frage  nach 
der  Gültigkeit  oder  Ungültigkeit  der  anglikanischen  Weihen, 
anknüpfend  an  die  Schrift  von  F.  Dalbus,  Les  ordinations  angli- 
canes,  Arras  1894,  an  den  gegen  diese  gerichteten  Aufsatz  von  Du- 
chesne  im  Bulletin  critique  1894,  nr.  14,  (15.  Juli)  und  an  die 
Schrift  von  A.  Boudinghon,  Etüde  thcologique  sur  les  ordinations 
anglicanes.  Paris  1894.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  wie  in 
dieser  Frage  das  Urteil  katholischer  Theologen  und  Kanonisten 
differiert,  nicht  allein  in  der  Beurteilung  der  geschichtlichen  Vor- 
frage, ob  Rischof  Barlow,  der  Parker  weihte,  selber  eine  gültige 
Bischofsweihe  besafs ,  sondern  noch  mehr  in  der  Beantwortung  der 
Frage,  was  alles  zur  intentio  faciendi  quod  Ecclesia  facit  gehört,  ob 
ferner  die  Abweichungen  des  Cranmerschen  Ordinals  vom  römischen 
so  grofs  seien,  dafs  sie  das  Wesen  des  Sakraments  aufheben,  ob 
die  von  den  Anglikanern  unterlassene  Darreichung  der  heiligen 
Gefäfse  und  die  Salbung  der  Hände  wesentlich  sei  oder  nicht. 
Für  Beilesheim  steht  die  Ungültigkeit  dieser  Weihen  aufser  aller 
Frage,  Duchesne  ist  geneigt,  ihre  Gültigkeit  anzuerkennen,  und 
sieht  in  der  Reordination  convertierter  anglikanischer  Geistlichen  nur 
eine  Kondescendenz,  mit  der  die  römische  Kirche  den  Bedenken  der 


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NACHRICHTEN 


43«» 


katholischen  Gemeinden  Rechnung  trage.  Beilesheim  unterläßt 
nicht,  dem  berühmten  Gelehrten  recht  deutlich  zu  Gemüte  zu 
fuhren,  dafs  sein  Aufsatz  „in  einem  für  die  katholischen  Theo- 
logen Englands  keineswegs  freundlichen  Tone"  gehalten  sei,  ja 
dais  einzelne  Ausführungen  desselben  sogar  bei  Gatgesinnten 
„Befremden"  erregen  müssen.  G.  Kawerau. 

4.  An  Old  Kirk  Chronicle:  Being  a  History  of 
Auldhame  Tyninghame,  and  Whitekirk,  in  East  Lo- 
thian,  from  Session  Becords  161  6  — 1850  by  Roy.  P. 
Hately  Waddell.  B.  D.  Minister  ofthe  United  Paris  bes. 
Edinburgh  and  London,  William  Blackwood  <fc  Sons,  1893.  300  p. 
In  Frankreich  ist  der  überraschende  Nachweis  erbracht,  dafs  der 
gröfste  Teil  des  mittelalterlichen  Kirchenguts  nicht,  wie  die  tra- 
ditionelle Annahme  lautet,  Fürsten  und  Herren  zu  danken  ist, 
sondern  dafs  auch  hier,  wie  in  so  vielen  Dingen,  Geistliche  das 
gute  Beste  thaten.  Für  ein  nicht  minder  wichtiges  Kirchengut 
anderer  Art  im  historischen  Sinn  waren  sie  überall  von  jeher 
Trager  und  Pfleger  und  sind  es  noch ,  selbst  in  weltvergessenen 
Dörfern.  Haben  sie  Gemeinden  von  vielhundertjährigem  Alter, 
Kirchenbücher,  die  nicht  tote  statistische  Tabellen,  sondern  Chro- 
niken sind ,  hatten  sie  sachkundige  sammelnde ,  hütende  Amts- 
vorfahren, so  können  die  rechten  Leute  mit  dem  Material  aus 
kleinem  Kreise  der  Geschichte  des  kirchlichen  Lebens  unschätz- 
bare Dienste  leisten.  Dies  alles  trifft  zusammen  bei  dem  Autor 
des  Old  Kirk  Chronicle,  dessen  Motto  heifsen  könnte:  it  is  the 
duty  of  every  parish  minister,  so  far  as  it  is  possible,  to  coHftct 
and  to  publish,  whatever  may  be  historically  or  ecclesias*,:- 
cally  interesting  in  bis  own  parish,  so  as  to  leave  a  permanent 
record  of  what  he  and  his  people  have  inherited  from  the  past. 
Die  Hauptquelle  des  Buches  bilden  die  Protokolle  der  Kirk  Ses- 
sions  der  drei  nun  vereinigten  Pfarren.  Ihren  Reichtum  in  kultur- 
historischer ,  kirchlicher  und  politischer  Beziehung  verdanken  sie 
John  Lauder,  der  1660  starb,  nachdem  er  einige  50  Jahre 
Pfarrer  zu  Tyninghame  gewesen.  In  seiner  Hand  wurden  aus 
den  hölzernen ,  öden  Sitzungsberichten ,  wie  sie  etwa  der  Schul- 
meister zusammengestoppelt  hätte,  ausgezeichnete,  pfarrgeschicht- 
liche Annalen.  Mit  freigebiger  Ausführlichkeit  verzeichnet  Lauder 
seine  Amtserfahrungen  unter  Schafen  und  Böcken,  auch  die  Plage 
der  Eiders  bei  dem  Einpeitschen  der  säumigen  Kirchenbesucher. 
Er  war  der  Hauschronist  der  guten  und  bösen  Tage  der  Pfarr- 
kinder, der  sorgfaltige  Registrator  alles  dessen,  was  ihm  des 
Andenkens  wert  schien  betreffs  des  Kultus,  der  Disziplin,  der 
kirchlichen  Volkssitten.  Eine  Staatsaktion  wie  die  Einführung 
der  Agende  von  Westminsters  wird  natürlich  in  ihren  Wirkungen 


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440 


NACHRICHTEN. 


eingehend  geschildert.  Eines  solchen  Vorgängers  würdig  hat 
Hately  Waddell  den  Stoff  taktvoll  bearbeitet  und  giebt  aus  dem 
vollen  Leben  Frischeres  und  Wertvolleres  als  manche  anspruchs- 
volle Urkundensammlung  mit  Siegel  abdrücken,  Monogrammen  und 
Facsimile8.  C.  A.  Wilhens. 

5.  Eine  sehr  interessante  Publikation  liegt  vor  in  „Crom- 
wells  Soldiers  Bible":  being  a  reprint,  in  Facsimile,  of  „the 
souldiers  pocket  bible",  compiled  by  Edmund  Calamy,  and  issued 
for  the  use  of  the  Commonwealth  army  in  1643.  With  a  Biblio- 
graphical  Introduction ;  and  a  preface  by  Field  Marshal  The 
Et.  Hon.  Viscount  Wolseley.  London,  Elliot  Stock,  1895.  Während 
man  früher  annahm,  dafs  Cromwells  Soldaten,  die  der  Tradition 
nach  jeder  eine  Bibel  bei  sich  trugen,  ein  möglichst  klein  gedrücktes 
Exemplar  desselben,  welches  man  in  einer  Ausgabe  von  1653 
wiederfinden  wollte,  gehabt  hätten,  wurde  zuerst  1854  bekannt, 
dafs  die  „Soldatenbibel"  keine  vollständige  Bibel,  sondern  ein 
speziell  für  die  Armee  hergestellter  Auszug,  eine  Zusammen- 
stellung auf  Krieg  und  Sieg  bezüglicher  Bibelstellen  gewesen 
sei.  Das  eine  der  beiden  bisher  wieder  aufgetauchten  Exemplare, 
welches  sich  im  britisch  Musenm  befindet  (das  andere  ist  in  Nord- 
amerika), liegt  hier  in  trefflichem  Facsimile  vor.  Auch  der  prak- 
tische Einband  für  den  Gebrauch  der  Soldaten,  —  ein  braunes 
Stück  rauhen  Leders,  welches  durch  einen  dicken  schwarzen  Heft- 
faden mit  dem  Papier  zusammenhalten  wird,  ist  nachgemacht 
Die  Bibelstellen  des  nur  16  kleine  Oktavseiten  umfassenden 
Scbriftchens ,  sind  wie  zu  erwarten  wesentlich  dem  Alten  Testa- 
ment entlehnt,  in  Rubriken  geordnet  und  durchweg  geeignet, 
den  Soldaten  in  die  Sprechweise  der  Puritaner  einzuführen,  un- 
richtig ist  aber  die  Angabe  der  ziemlich  dürftigen  Einleitung,  die 
Edm.  Calamy,  einen  Londuer  Geistlichen,  als  Verfasser  wahrschein- 
lich macht,  dafs  nur  zwei  Stellen  aus  dem  Neuen  Testament  auf- 
genommen sind.  Es  sind  deren  sieben,  nämlich  Luk.  3,  14.  Eph. 
6,  10.  Jnk.  1,  5.  Matth.  10,  28.  Matth.  5,  44.  2  Kor.  1,  10. 
2  Kor.  12,  9.  Echt  englisch  ist  es,  dafs  man  es  für  nötig  hielt, 
den  angesehensten  englischen  General,  den  jetzigen  Oberbefehls- 
haber der  Armee,  Wolseley,  zu  diesem  Neudruck  eine  nichts- 
sagende Vorrede  von  6?  Zeilen  schreiben  zu  lassen. 

Th.  Kolde. 

*6.  Church  Folk-Lore.  A  Record  of  some  Post-Re- 
formation üsages  in  the  English  Church  by  the  Rev.  J.  E.  Vaux. 
London,  Grissith  and  Farfan,  1894.  320  p.  8.  So  eifrig  wie 
einst  Karl  der  Grofse  die  Reste  germanischen  Heidentums  aus- 
rottete, vertilgten  König,  Parlament  und  Volk  Englands  im  Grauen 


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NACHRICHTEN. 


441 


vor  dem  römischen  Antichrist  die  mittelalterlichen  Reminiscenzen 
in  Sitten  und  Bläuchen.  Dennoch  gelang  es  nicht  vollständig 
und  allgemein.  Die  grofsen  Bäume  liefsen  sich  fallen,  die  un- 
scheinbaren Schlingpflanzen  behaupteten  sich  mit  unverwüstlicher 
Zähigkeit.  Der  den  Engländern  eigene  historische  Sinn,  „die 
Pietät  für  die  Gebilde  der  Geschichte  kamen  den  Reliquien  der 
finstern  barbarischen  Zeiten"  trotz  Puritanismus  und  Radi- 
kalismus zugute.  In  der  Gegenwart  sind  sie  freilich  be- 
droht Etwa  achtzig  Prozent  der  alten  Kirchen  sind  zur  un- 
barmherzigsten Modernisierung  verurteilt  Den  altvaterischen 
Sitten  wird  es  unheimlich  in  der  fremden  Umgebung.  Sie  waren 
mit  den  altersgrauen  Heiligtümern  verwachsen  wie  der  tausend- 
jährige Rosenstock  mit  dem  Dom  in  Hildesheim.  Vertrieben 
starben  sie  ab.  Der  Verfasser  schildert,  was  sich  noch  erhalten 
hat  An  entlegenen  Stellen  hafteten  katholische  Kultusstücke 
ungestört  durch  das  Common  -Prayer-book.  Den  Kommunikanten 
wurde  bei  dem  Empfang  des  Sakraments  ein  Tuch  vorgehalten, 
sogar  das  Glöckchen ,  das  einst  zur  Wandelung  geläutet  war, 
wurde  nach  wie  vor,  noch  bis  an  den  Anfang  unseres  Jahr- 
hunderts, auf  die  unterste  Stufe  des  Altars  gestellt  Die  Stunden- 
gläser behaupteten  sich  auf  der  Kanzel.  Unermüdliche  Prediger 
kündigten  wohl  die  zweite  Stunde  der  geistlichen  Herzensergüsse 
damit  an,  dafs  sie  das  Stundenglas  umstülpten  mit  dem  erwecken- 
den Ausruf:  Brethren,  let's  have  another  glass  before  we  part 
Eine  ganze  Ausstellung  von  Seltenheiten  wird  unter  den  Rubriken 
Trauung,  Taufe,  Begräbnis,  Musik  vorgeführt,  auch  Abgeschmack- 
tes z.  B.  giebt  ein  Vater  seinen  vierzehn  Kindern  Namen,  die 
sämtlich  mit  H  beginnen  müssen,  auch  Horizontal  ist  willkommen. 

C.  A.  Wilkens. 

7.  Manners  Customs  and  Observances  by  Leopold 
Wagner.  London,  William  Heinemann,  1895.  Mk.  6.  Das 
recht  gut  ausgestattete  Werk  hat  zwar  keinen  eigentlich  wissen- 
schaftlichen Wert,  erscheint  aber  dennoch  als  Nachschlagebuch 
höchst  dankenswert,  zumal  es  eine  Fülle  kirchenhistorischer 
Notizen  in  trefflicher  Gruppierung  und  objektiver  Beurteilung  auf- 
weist. Es  behandelt  in  einzelnen  Abschnitten  insbesondere  die 
Gebräuche  in  der  englischen  Kirche,  wobei  vielfach  auf  den  da- 
selbst noch  ziemlich  verbreiteten  Knltus  der  Schutzheiligen  und 
die  kirchlichen  Feste  Rücksicht  genommen  wird,  und  zwar  so, 
dafs  auch  die  bei  den  jüdischen  Festen  üblichen  Riten  geschildert 
und  zur  vergleichenden  Charakteristik  herangezogen  werden.  Ver- 
fasser giebt  aber  nebenbei  auch  eine  genaue  Schilderung  der  Ge- 
bräuche im  gesamten  bürgerlichen  Leben,  soweit  dieses  mit  kirch- 
lichen Einrichtungen  in  Berührung  kommt,  z.  B.  bei  Eheschlie- 


442  NACHRICHTEN. 

fsungen,  Todesfällen  und  ähnlichen  Anlässen,  nicht  minder  beim 
Militär,  im  Gerichtshofe  und  im  Parlamente.  Selbst  die  mannig- 
fachen und  teilweise  höchst  primitiven  Spiele  mit  ihrem  mehr 
oder  weniger  sittlich  erziehenden  Charakter  werden  vom  Verfasser 
nicht  übergangen.  In  einem  längeren  Schlufskapitel  beleuchtet 
er  die  verschiedenen  weltlichen  Sitten,  welche  sich  in  den  ein- 
zelnen Gegenden  an  die  kirchlichen  Feste  anschließen,  in  hoch- 
interessanter Weise,  ebenfalls  so,  dafs  er  auf  andere  Völker  ver- 
gleichend sich  bezieht  und  das  historische  Moment  zum 
Ausgangspunkt  seiner  Beurteilung  macht. 

Löschhorn. 

*8.  The  English  Church  in  the  Nineteenth  Cen- 
tury by  John  H.  Over  ton.  D.  D.  London  and  Newyork,  Longmans, 
Green  &  Co.  1894.  Im  Juliheft  der  Scottish  Review  1894  giebt 
D.  G.  Ritchie  Auszüge  aus  dem  Tagebuch,  das  D.  David  Aitken, 
1827 — 1864  Pfarrer  zu  Minto,  auf  einer  Reise  in  Deutschland 
1826  führte.  Interessante  Notizen  finden  sich  darin  über 
Schleiermacher,  Neander,  Marheineke,  Strauß,  Hegel,  von  Raumer, 
Tieck,  Waagen,  Niemeyer,  Wegscheider,  Tholuck,  Cornelius  und 
Fr.  Schlegel.  Den  Reisenden  überrascht  die  Unbekanntscbaft  der 
theologischen  Professoren  mit  den  kirchlichen  Zuständen  Englands 
und  Schottlands.  Erst  die  Kämpfe  um  die  freie  Kirche  hier,  um 
die  Erneuerung  des  Anglokatholicismus  dort,  belebte  in  Deutschland 
das  Interesse  an  der  neuesten  Kircheugeschichte  Grofsbritanniens. 
Die  Litteratur  der  Oxforder  Bewegung  beleuchtete  auch  die 
Zeit  1800  —  1833.  Die  trefflichen  Artikel  im  „Herzog'4  be- 
seitigten teilweise  die  frühere  Unkunde.  Ein  Detail  konnten  8ie 
freilich  nicht  geben,  wie  es  in  Tagebüchern,  Korrevspondenzen,  Bio- 
graphieen,  Flugschriften,  Journalen  vorliegt.  Wir  verdanken  es 
Overton,  dem  Verfasser  des  „John  Wesley"  London  1891.  Mit 
Abbey  hat  er  sich  durch  das  umfangreiche  Material  hindurch- 
gearbeitet und  ein  farbenreiches  Kirchenbild  gezeichnet,  dessen 
Zentrum  die  Orthodoxen  einnehmen,  während  rechts  und  links  die 
Evangelischen  und  die  Liberalen  placiert  sind.  Leben  und  Wirken 
der  Geistlichen  steht  überall  im  Vordergrund.  Hatten  auch  die 
Anglikaner  nicht  das  volle  Bewufstsein  ihrer  historischen  Stellung 
und  Verantwortlichkeit,  so  bildeten  doch  jene  unglückseligen  Ge- 
schäftsleute der  Kanzel  und  des  Altars  hier  keinesweges  die 
Majorität,  deren  „Werke"  Fuchsjagd,  Börsenspiole ,  Oekonomie, 
Theilnahme  an  Bällen,  Versorgung  der  Familie  sind.  Es  gab 
gewifs  solche  säkularisirte  „two  bottles  Orthodoxes"  denen  der 
Tag,  wo  sie  den  Gehalt  einkassierten,  der  wichtigste  des  Kirchen- 
jahres war.  Pfarrer  im  Stile  des  Vicar  of  Wakefield  predigten 
mit  ihrer  pedantischen  Moral  sich  aber  nicht  Christum.  Solche 


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NACHRICHTEN. 


443 


indes  fehlten  nicht,  die  treu  dem  Bekenntnis  ihrer  Kirche  die 
Vorzüge  derselben  hoch  hielten,  Männer  von  schlichter,  ernster 
Frömmigkeit  bei  reicher  Bildung.  Durch  sie  behaupteten  die 
Väter  von  Hooker  bis  Waterland  sich  in  gröfserm  Ansehen  als 
Bouth,  Davison,  Miller,  Kye,  Rose.  Die  Bischöfe  Wilson,  Hörne, 
Andrewes,  Taylor,  Ken  blieben  Vorbilder  für  solide,  klare,  Über- 
schwenglichem abholde  Predigten.  Die  Historisch -konservative 
Richtung,  die  Pietät  in  Sachen  des  Kultus,  die  Antipathie  gegen 
Subjektivismus  hebt  Overton  hervor  an  diesen  Anglikanern 
milder  Observanz,  ohne  die  Nachteile  der  Winterkälte  zu  leugnen, 
die  Paley  verbreitete.  Den  Führern  des  Keveil  läfst  er  volle 
Gerechtigkeit  werden,  den  Kernmännorn  der  Heilserfahrung  des 
Kanzelzeugnisses,  der  Vereinsthätigkeit,  der  Mission,  der  Sklaven- 
befreiung, einem  Wilberforce,  der  im  Lapidarstile  den  Unterschied 
zwischen  halben  und  ganzen  Christen  predigte,  dem  Burke  noch 
sterbend  für  den  Practical  View  of  Christianity  dankte,  durch  den 
Thomas  Chalmers  bekehrt  ward.  Man  fühlt,  mit  welcher  Freude 
er  Zachary  Macaulay  betrachtet,  der  der  Sklavensache  Gesund- 
heit, Vermögen,  Buhe,  Ruhm  opferte  und,  wenn  man  ihn  lobte, 
weniger  als  nichts  gethan  zu  haben  meinte.  Neben  Henry  Mar- 
tin, der  mit  dem  Magnet  der  Bibel  durch  die  Wüste  zur  Heimat 
ziehend,  unterwegs  Mission  trieb  wie  wenige,  steht  Hannah  More, 
die  edle  Dichterin,  die  den  mittelst  kleiner  Luftballons  nach 
England  importierten  französischen  Revolutionspamphleten  ihre  in 
zwei  Millionen  Exemplaren  verbreiteten  Tracts  entgegenstellte. 
Fletcher,  Thomas  Scott,  Simeon,  Milner,  Marsh,  Newton,  Hervey, 
Romeine  erscheinen  als  ausgezeichnete  Repräsentanten  des  Pietis- 
mus. Freilich  sinkt  in  der  zweiten  und  dritten  Generation  seine 
Lebenskraft.  In  den  Predigten  zeigen  sich  Monotonie,  Dürftig- 
keit, ja  Phrasenwesen,  im  Leben  schwinden  der  heilige  Ernst,  die 
Einfalt,  die  Tapferkeit  vor  der  Weichlichkeit,  Konnivenz,  Populari- 
tätslust. It  gave  a  gentle  Stimulus  to  temper,  which  required 
to  be  oxcited  by  novelty.  It  recommended  itself  by  gift  of  flo- 
wing  or  high-pitched  rhetoric  to  those,  who  expected  some  de- 
mands  to  bo  made  on  them  and  tbe  demands  were  not  to  strict 
Die  Broadchurchmen  Oxfords  Dawison,  Copleston,  Hawkins,  Milman, 
Whately,  Coleridge,  Arnold,  Stanley  hatten,  nach  Overtons  Urteil, 
ein  gewisses  Recht,  die  Schwächen  der  Evangelicals  zu  rügen. 
Weit  mehr  verdanke  freilich  die  anglikanische  Kirche  der  Ox- 
forder Bewegung,  die  viele  Pfarrer  zu  Geistlichen  machte,  für  die 
Parität  von  Reichen  und  Armen  im  Gotteshause  eintrat,  die 
Schönheit  der  Heiligkeit  proklamierte,  mit  der  Heiligung  es  sehr 
ernst  nahm,  den  Calvinistischen  Radikalismus  und  Nihilismus 
durch  lutherische  Wahrheiten  bekämpfte.  Um  dieser  Erfolge 
willen  bleibt  ihm  Pnsey  der  Grofse,  als  der  tief  fromme  ge- 


444 


NACHRICHTEN. 


lehrt«,  geistvolle  Restaurator  des  vom  puritanischen ,  methoditi- 
schen  und  rationalistischen  Sauerteig  gereinigten  Anglikanismus. 

*  9.  The  P resbjterian  Ch urch.  Its  Worship,  Functions 
and  ministerial  Orders  by  Rev.  Alexander  Wright  M.  A.  Edin- 
burgh and  London,  Oliphant,  Anderson  &  Co  Das  Buch  enthält 
eine  urkundliche  Geschichte  des  schottischen  Kultus  von  der  Re- 
formation bis  zur  Gegenwart,  der  Veränderungen  samt  den  Streitig- 
keiten, die  sie  hervorriefen.  Der  praktische  Zweck  ist  die  För- 
derang der  Rückkehr  zu  den  Ordnungen  aus  der  Blütezeit  litur- 
gischer Bildungen  1560 — 1650,  in  welche  die  Assembly  of 
Divines  at  Westminster  zerstörend  und  verödend  eingegriffen  habe. 
Ihren  Neuerungen  giebt  der  Verfasser  die  monströse  Geschmack- 
losigkeit und  Armseligkeit  des  schottischen  (Anti) Kultus  schuld, 
die  jetzt  in  weiten  Kreisen  gefühlt  und  deren  Beseitigung  er- 
strebt wird.  Haben  sogar  hier  und  da  wieder  gemalte  Fenster 
Gnade  gefunden,  die  doch  einst  wie  die  Orgeln  als  Greuel  des 
römischen  Antichrist  perhorresziert  und  zerschlagen  wurden,  im 
Widerspruch  mit  der  israelitischen  Kultusordnung,  die  Edelsteine, 
Gold,  Silber,  Kunstschmuck  in  den  Dienst  der  Andacht  und 
Anbetung  vorbildlich  gestellt  hat. 

10.  Robert  Howie  M.  A.,  Pfarrer  der  Free  Churcb,  hat 
dem  Verhältnis  der  kirchlich  Eingebflrgten  zu  den  kirchlich  Hei- 
matlosen in  Schottland  einen  prächtigen  Quartband  von  248  Seiten 
gewidmet  (The  Churches  and  tbe  Churchless  in  Sott- 
land. Facts  and  Figures.  Glasgow,  D.  Brjce  and  Son,  1893). 
Er  beantwortet  die  Frage:  wie  stellt  sich  von  1881  — 1891  die 
Bevölkerungsziffer  in  12  Synoden,  34  Kirchenkreisen,  4052  Ge- 
moinden  zu  den  Zahlen  der  Gemeinden,  Gemeindeglieder,  Kirchen- 
beiträge ,  Pfarrgehalte ,  Kirchenbesucher  (Sonntagsschüler)  für 
die  Staatskirche,  die  freie  Kirche,  die  unierte  presbyterianische 
Kirche,  die  übrigen  protestantischen  Denominationen,  die  Katho- 
liken. Aus  offiziellen  Urkunden,  Volkszählungsliaten ,  Jahres- 
berichten, Kornmunikantenregistern  wird  das  Thema  in  39  Ta- 
bellen mit  erschöpfender  Gründlichkeit  ausgeführt.  In  ihrem 
Netzwerk  von  Zahlen  und  Namen  bergen  diese  Muster  kirchlicher 
Statistik  eine  erstaunliche  Summe  von  Nachforschungen,  Re- 
visionen, Korrekturen,  Berechnungen,  die  eben  so  geschickt  ge- 
macht wie  verwendet,  in  immer  neuen  Kombinationen  und  Grup- 
pierungen vorgeführt  sind.  Die  numerische  Gröfse  der  Synoden 
und  Bezirke,  die  Ab-  und  Zunahme,  das  Entstehen  und  Vergehen 
der  Gemeinden,  die  Summen  der  kirchlichen  Opfer,  Reichtum  und 
Armut  der  Geber,  Erfolge  und  Erfolglosigkeit  der  Geistlichen, 
Eifer  und  Lauheit  der  Gemeindeglieder,  Stärke  und  Schwäche  des 
Kirchenbesachs,  das  alles  wird  ersichtlich.  Die  anziehende  Ein- 
leitung zeigt  Quellen  und  Methode  der  Arbeit.    Sie  polemisiert 


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NACHRICHTEN. 


445 


gegen  statistische  Kunststücke  kirchlicher  Eifersucht  und  lehrt 
die  Sprache  der  Ziffern  verstehen  nnd  die  Konsequenzen  ans 
den  Daten  ziehen.  Klagend,  anklagend,  mahnend,  warnend,  Mittel 
und  Wege  angebend,  trifft  sie  den  Nagel  auf  den  Kopf.  Kein 
Unterstützen  reicher  Gemeinden  zu  Nutz  und  Frommen  der  Gei- 
zigen! Keine  unsinnigen  Kirchenbauten  da,  wo  acht  Menschen 
auf  die  Quadratmeile  kommen!  Statt  neuer  Kirchen  neue  Pfarrer, 
die  Kirchen  füllen!  Keine  Kirchenleerer  im  Amt  lassen,  die 
ihren  Beruf  verfehlten  nnd  von  denen  nur  die  Kirchenkasse 
weifs!  Keine  Männer  für  wichtige  Stellen  berufen,  die  ho- 
mines  umbratici  sind,  oder  Leute  mit  grofsem  Kopf  und  kleinem 
Herzen,  nn verständig,  taktlos,  hölzern,  sie  sind  wie  die  Kuh,  die 
einen  guten  Eimer  Milch  giebt,  aber  mit  dem  Fufs  hineintritt! 
Auf  gesunder,  sicherer  Basis  Union  aller  presbyterianischen  Kir- 
chen, und  800  Geistliche  bekommen  Arbeit,  wo  sie  nötig  ist 
Gegen  die  stets  wachsende  Schar  der  Heimatlosen,  die  sich  selbst 
exkommunicierten,  wird  die  aggressive  und  attraktive  Methode  em- 
pfohlen. Die  Gemeindeglieder  müssen  das  versteckte  Wild  auf- 
scheuchen, damit  der  Pfarrer  zielen  könne.  Weg  mit  Gelderwerb 
aus  Kirchenstühlen,  er  schiebt  eine  Mauer  zwischen  den  Armen 
und  dem  Wort  Gottes.  Konstatiert  wird  der  Rückgang  der 
Staatskirche,  das  Aufblühen  der  Free  Church.  Dort  giebt  jedes 
Mitglied  jährlich  18  sh.  hier  48.  Dort  kamen  1876  auf  1000 
Mitglieder  730  Kirchenbesucher  hier  990.  1876  und  1881 
gingen  von  1000  500  in  die  Kirche,  1891  nur  192.  Den  faulen, 
behaglichen  Sophachristen ,  die  jede  Wolke  von  der  Kirche  fern- 
hält, werden  die  armen  Katholiken  entgegengestellt,  die  keine 
Kirchenkleider  haben.  Aber  bei  Nacht  und  Nebel  gehen  sie  in 
die  Messe  nnd  beschämen  die  protestantischen  Maulhelden,  die 
meinen  alles  getban  zu  haben,  wenn  sie  gegen  den  Papst  brüllen. 

*  11.  In  Neuengland  bildet  die  Kirche  den  nucleus  der 
bürgerlichen  Stadtregierung,  in  den  Staaten  des  Westens  das 
Schulhaus.  Diesen  folgt  der  Süden,  der  weniger  aus  religiösen 
Motiven  kolonisiert  wurde,  als  in  der  Lust  an  Auswanderung, 
Abenteuern,  Erwerb.  An  das  Bedürfnis  der  Schulen,  Behörden, 
Geldmittel  für  sie  ist  hier  die  Ausbildung  der  Lokalregierungen 
vornehmlich  geknüpft.  Man  weifs,  dafs  demokratische  Institutionen 
an  der  Ignoranz  des  Stimmviehs  zugrunde  geben  müssen,  dafs 
die  Schulen  verbessern  heifst,  gröfsere  Sicherheit  für  Eigentum 
und  Personen  garantieren,  die  republikanischen  Begierungsformen 
konsolidieren.  Bei  derartiger  Verflechtung  der  beiden  Faktoren 
kann,  ja  mufs  die  Geschichte  derselbeu  zusammengefafst  werden. 
Das  ist  in  einer  interessanten  Arbeit  geschehen,  zu  der  sich  der 
Professor  in  Chicago  E.  W.  Bewis  mit  Seniors  und  Graduates 
der  Vanderbilt  University  Webb,  Turner,  Nix,  Brockman,  Sander- 


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440 


NACHRICHTEN. 


son,  Dodson,  Fertig,  Nortbup  verbunden  hat  North  Carolina, 
Tennessee,  Alabama,  Qeorgia,  Missisippi,  Soath  Carolina,  Florida, 
Texas,  Arkansas,  Kentucky,  Missouri  sind  in  dem  Artikel  Local 
Government  in  tbe  South  and  Southwest,  den  die  John 
Hopkins  University  Studios  in  Uistorical  and  Political  Science 
edited  by  H.  B.  Adams  Eleventh.  Series  XI — XII,  p.  460  -  546, 
Baltimore  1893,  onthalten,  behandelt  Keine  detaillierte  Mono- 
graphieen  waren  beabsichtigt,  sondern  die  charakteristischen  Züge 
galt  es  zu  präcisieren.  Einleitungen  bringen  umfassendere  oder 
andeutende  historische  Rückblicke ,  Anhänge  ergänzende  sta- 
tistische Nachweisungen  aus  Bowis  Feder.  Im  Vordergrunde 
stehen  überall  die  Bildung  der  Schuldistrikte,  die  Organisation 
der  Unterrichtsbehörden,  die  Beschaffung  der  Geldmittel,  die 
Kompetenzen  der  höchsten  und  unteren  Instanzen  für  Aufsicht 
und  Anordnung.  Zuverlässige  Information  ist  das  Ziel  der  Au- 
toren, nicht  Bearbeitung  des  Stoffes  im  Stil  von  Alexis  de  Toque- 
villes  De"mocratie  en  Amörique.  Als  Kuriosität  verdient  ein 
monströses  Produkt  des  politischen  Doktrinarismus  Beachtung. 
Der  Earl  of  Shaftesbury  und  John  Locke  vergessen  so  sehr  das 
Werden  der  englischen  Verfassung,  dafs  die  von  ihnen  aus« 
gearbeiteten  Fundamental  Constitutions  of  Carolina  eine  treue 
Kopie  der  Konstitution  Englands  nach  der  normannischen  Er- 
oberung bieten! 

*  12.  Stephen  Beanregard  Weeks  giebt  in  den  John 
Hopkins  University  Studies  in  Uistorical  and  Political  sciences 
Baltimore,  XI  Series,  1893,  p.  5 — 65  unter  dem  Titel  Chnrch 
and  State  of  North-Carolina  eine  gut«,  aus  amtlichen 
Quellen  geschöpfte  Übersicht  des  Kampfes  der  unter  den  Lord 
Proprietors  und  den  königlichen  Gouverneuren  von  den  antikirch- 
lichen, radikalen,  aggressiven,  energischen,  begeisterten  und  fana- 
tischen Dissenters  gegen  die  Staatekirche,  den  Bischof  von  London, 
den  königlichen  Supremat  mit  Gewalt,  Klugheit,  Chikanen  und 
Recht  geführt  wird.  Er  endet  mit  dem  Untergang  des  Establish- 
ment, der  durchgeführten  Trennung  von  Kirche  und  Staat  und 
der  unbeschränkten  Religionsfreiheit.  Der  Verfasser  hafst  jede 
Staatskircho,  schwärmt  für  die  Resultate  des  Streits  und  verkenut 
die  Nachteile  des  Sektenwesens  in  amerikanischer  Weise. 

*  13.  The  Struggle  of  Protestant  Dissent  for  re- 
ligious  Toleration  in  Virginia  by  H.  R.  Mc'Ilwaine 
in  John  Hopkins  University  Stndies  in  Historical 
and  Political  Science.  XII  Series  IV.  Baltimore  1894. 
In  Virginien  herrschte  die  anglikanische  Staatskirche.  Doch  in 
Knechtsgestalt.  Nominell  war  der  Bischof  von  London  Ordi- 
nasius.  Seine  und  des  Vikars  Amtsgewalt  bedeutete  nichts.  Der 
Gouverneur  fungierte  als  Haupt  der  Kirche  und  Patronatsherr 


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NACHRICHTEN. 


447 


aller  Pfründen.  Ihm  erstand  in  den  lokalen  Kirchenregimenten 
ein  Nebenbuhler,  den  er  fürchtete,  da  die  Mitglieder  der  Vestries 
meist  Deputierte  für  das  House  of  Borgees  es  waren.  Sie  be- 
anspruchten das  Patronat  für  die  Fundatoren  der  Pfarren,  lehnten 
bischöfliche  Visitationen  und  Spiritual  Courts  ab,  machten  sich 
zu  Herren  der  auf  Kündigung  gestellten  Geistlichen,  regelten 
Kultus,  Disziplin,  Kirchengut  und  modifizierten  die  episkopale 
Verfassung  im  Sinne  eines  demokratischen  Independentismus. 
Innerhalb  dieser  seltsam  gestalteten  Staatskirche  mit  bischöflichem 
Namen  und  puritanischen  Einrichtungen  errangen  sich  ein- 
gewanderte Quäker  und  Presbyterianer  1649 — 1730  Toleranz. 
Die  Motive,  Mittel,  Ziele,  Resultate  hat  Mc'Ilwaine  anschaulich 
geschildert.  Seine  Quellen  sind  neben  den  Werken  über  die  Ge- 
schichte Virginias  von  Beverley,  Burke,  Campbell,  Cook,  Neill: 
Briggs  American  Presbyterianism ,  Foote  Sketches  of  Virginia, 
Uawks  Contributions  to  the  Ecclesiastical  History  of  the  United 
States  of  America  Honings  Statutes  at  Large,  Janney  History  of 
tue  Religio us  Society  of  the  Friends,  Jones  Present  State  of 
Virginia,  Meade  Old  Churches  and  Families  of  Virginia,  Perry 
Historical  Collection  relating  to  the  American  Colonial  Church, 
Spottswood  Letters,  Sprague  Annais,  Tracy  The  Great  Avakening, 
Winsor  Narrative  and  Critical  History  of  America.  Die  Quäker 
wies  anfangs  ein  Cordon  harter  Gesetze  ab,  als  Ketzerproteuse, 
Anzetteler  schismatisch  er  Ranke,  schleichende  Schwätzer  des  Un- 
sinns, Schmäher  der  Pfarrer,  Rebellen,  Gotteslästerer.  Doch  die 
Integrität  und  die  Stocks  der  gesuchten  Eingewanderten  schützten 
sie  vor  der  Anwendung  der  Statuten,  die  dann  die  Toleranzakte 
von  1689  abrogierte.  Da  durch  schmähliche  Abhängigkeit  von 
den  Gemeinden  die  anglikanische  Geistlichkeit  gesunken  war, 
bedurfte  es  oft  nur  a  learned,  talkative,  snbtle  Quaker,  um 
„Freunde"  in  Menge  zu  werben.  Hugenottische  Opfer  der  Re- 
vokation, Deutsche  schlössen  sich  der  Landeskirche  an,  erwünschte 
Barrieren  gegen  die  Indianer.  Nach  der  grofsen  Erweckung  von 
1740  eroberten  sich  die  Presbyterianer  durch  kühne  Prediger 
Duldung.  Sie  besiegten  den  Argwohn  der  Kirchenmänner  gegen 
die  „Neuen  Lichter",  diese  intriganten,  verschlagenen  Schisma- 
tiker, Feinde  der  Staatskirche,  Proselytenmacher,  die,  jede  gesetz- 
liche Schranke  durchbrechend,  predigten  wo  sie  wollten.  Die 
nationalökonomischen  Interessen  der  Kolonie  waren  für  den  Sieg 
nicht  minder  ausschlaggebend,  wie  die  Ratschläge  des  trefflichen 
Dr.  Doddridge  in  Northampton  und  des  jeder  Gewaltmafsregel 
abgeneigten  Bischofs  von  London. 

*14.  The  Catholic  University  Bulletin.  A  Quar- 
terly  Publication  devoted  to  the  interests  of  religion  and  science, 
conducted  by  Professors  of  the  Catholic  University  of  America, 

ZeiUchr.  f.  K.-G.  XVII,  3.  29 


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448 


NACHRICHTEN. 


edited  by  Rev.  Thomas  J.  Shahan  D.  D.    Vol.  I.   N.  1.  Was- 
hington 1895.    146  p.  8.     Auf  Leos  XIII.  Vorliebe  für  die 
Vereinigten  Staaten  konnte  sich  Präsident  Cleveland  berufen,  als 
er  seine  Jubiläumsgabe  in  den  Vatikan  sandte,  eine  kostbare 
Sammlung    Ton  Manuskripten   zur  Geschichte  Amerikas.  Der 
scholastischeste  und  modernste  aller  neueren  Päpste  hat  aus  dem 
Lande  der  freien  Kirche  im  freien  Staate  viel  Erfreuliches  er- 
lebt.   1883  hatte  das  Provinzialkonzil  in  Baltimore  erklärt:  per- 
magni  interest ,  ut  ecclesiae,  hisce  in  regionibus  militanti,  non- 
quam  desint  viri  philosophiae  et  Theologiae  disciplinis  eruditissimi, 
qui  causam   veritatis   strenue  et  invicte  tueri   valeant  contra 
omnigena  errorum  monstra  et  opinionum  deliramenta  ex  insanae 
philosophiae  latebris  in  dies  emergentia.    Sofort  schenkte  eine 
Dame   300000  Dollars  zum  Anfang.    1888  stiftete  Leo  die 
jüngste  katholische  Universität,  die  42.  seit  1552.   Am  13.  No- 
vember 1889,  bei  der  Centenariumsfeier  der  Aufrichtung  der 
Hierarchie  in  den  Vereinigten  Staaten  fand  die  Einweihung  des 
Institutes  statt,  von  dem  der  Papst  für  Amerika  Erfolge  voraus- 
sieht, die  sich  kein  Sanguiniker  träumen  lasse.    Nach  der  Weise 
der  dortigen  Akademieen  und  Universitäten,  die  auf  dem  Frei- 
willigtaitssystem  ruhend,  weite  Kreise  in  ihr  Interesse  ziehen 
müssen,  will  die,  der  Hilfe  und  Sympathie  so  sehr  bedürftige, 
Hochschule  in  Washington  sich  durch  das  Bulletin  mit  den  über 
den  Erdteil  zerstreuten  Freunden  höherer  katholischer  Bildung  in 
Connex  erhalten.     Die  Zeitschrift  soll  die  äufsere   uud  innere 
Geschichte  der  Anstalt,  der  Collegien,  Sammlungen,  Bibliotheken 
erzählen,  über  Geist,  Plan,  Methode  des  Unterrichts,  die  Arbeiten 
der  Lehrenden  und  Lernenden  kritisch  referieren,  Diskussionen 
anregen,  Promotionen,  Preisaufgaben,  Prüfungen   in   die  freie, 
scharfe  Luft  der  Publizität  bringen,  einen  gründlichen,  fafslichen 
Oberblick  über  die  Bewegungen  in  der  wissenschaftlichen  Welt 
vermitteln.   Das  erste  Heft  legt  nach  Quantität  und  Qualität  des 
Gebotenen  ein  viel  gewährendes  und  viel  verheifsendes  Zeugnis 
für  die  Ausführung  des  Programms  ab.    Der  Kanzler  Kardinal 
Gibions  sieht  in  der  neuen  Universität  den  wahren  Ausdruck  der 
Beziehungen  zwischen  Katholicismus  und  Wissenschaft.  Der  wahren 
Autorität  beuge  sich  trotz  allem  die  Welt,  ihr  Gericht  gebühre 
in  der  Domäne  des  Wissens  den  Meistern;  zur  wissenschaftlichen 
Meisterschaft  in  allen  Fächern  seien  die  Katholiken  berufen,  deren 
Kirche  für  dus  aufser  ihrer  Lehrmission  Liegende  Prinzipien  und 
Methoden  nicht  oktroyiere.    0.  Gormau  schildert  die  mittelalter- 
lichen Universitäten  und  ihre  demokratische  Freiheit.    Wie  sie 
Offenbarongs-  und  Vernunfterkenntnis  versöhnt  hätten,  sei  es 
Aufgabe  der  heutigen  kirchlichen  Hochschulen  den  Bund  zwischen 
den  Naturwissenschaften  und  dem  Christentum   zn  schliefsen. 


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NACHRICHTEN. 


449 


Leo  XIII.  Labe  grofse  Impulse  gegeben  für  die  Philosophie  durch 
„Aeterni  patris",  für  die  Geschichtsforschung  durch  „Saepe- 
numero",  für  die  Theologie  durch  „Providentissimus".  Th.  Bouquillon 
zeigt  die  Notwendigkeit,  den  amerikanischen  Klerus  im  Lande 
auszubilden,  nicht  in  Rom,  Frankreich,  Belgien,  Irland,  damit  er 
durch  und  durch  das  amerikanische  Volksleben  verstehe.  Es  sei 
heilsam,  wenn  die  theologischeu  Hörsäle  an  die  Laboratorien 
stiefsen,  wie  in  der  Bibliothek  die  kirchlichen  Bücher  an  die 
weltlichen.  Schlössen  sich  die  Priester  in  die  Sakristei  ein,  bliebe 
die  Theologie  auf  der  Kanzel  und  die  Moral  im  Beichtstuhl,  so 
verschwinde  der  Einflufs  auf  das  Leben  des  Volkes.  Charles 
Graman  giebt  ein  Stück  Encyklopädie  in  Form  von  Ausführungen 
der  in  „Providentissimus"  gegebenen  Direktiven,  die  sich  auf 
die  biblische  Einleitung  beziehen.  E.  A.  Pace  beschreibt  den 
Universitätspallast,  Don  Quinn  das  amerikanisch  archäologische 
Institut  in  Athen.  Sehr  tüchtige  Bücherkritiken,  Nekrologe, 
schliefsen  sich  an  Berichte  über  Geschenke,  in  denen  die  Ziffern 
50000,  100  000  eine  beneidenswerte  Eolle  spielen.  Wohltbuend 
ist  der  noble  Ton  auch  gegen  die  Protestanten,  der  sehr  absticht 
gegen  die  unwürdige  Art,  in  der  die  methodistisch  -  pietistische 
Presse  Amerikas  zu  polemisieren  liebt. 


*  15.  Asbury  Lowrey  schildert  in  den  Papers  of  the 
American  Society  of  Church-History.  Vol.  VI  (1894).  Life  and 
Work  of  Bishop  Francis  Asbury.  Nicht  wie  ein  gepeitschter 
Windhund,  wie  ein  ins  Joch  gespannter  Ochs,  wie  ein  geprefster 
Soldat  ging  Asbury  an  seine  Arbeit,  als  ihn  1771  John  Wesley 
nach  Amerika  sandte.  Wohin  gehe  ich?  fragte  er  sich.  In  die 
neue  Welt?  Was  will  ich?  Ehre?  Nein,  wenn  ich  mein  Herz 
kenne.  Geld?  Nein.  Ich  gehe  hin  einzig  und  allein,  um  für 
Gott  zu  leben  und  andere  dahin  zu  bringon,  es  auch  zu  thun. 
Eine  Bauern-  und  Heldennatur,  geboren  zu  schaffen  und  zu 
wagen,  vollbrachte  er,  was  die  Wesleys,  Fletcher,  Whitefield, 
Clarke,  Watson,  Benson  nicht  konnten.  Als  erster  Methodisten- 
bischof war  er  eine  eiserne  Säule  und  eherne  Mauer  inbezug  auf 
die  Kirch enzuebt.  Ohne  sie  habe  man  einen  frommen  Mob,  eine 
v  agieren  de,  aufgelöste,  demoralisierte  Armee.  Unermüdlich  thätig 
für  Schulen  aller  Kategorieen,  gründete  er  die  Missionskollekten, 
die  jetzt  jährlich  1|  Millionen  Dollars  geben.  Den  Wander- 
Predigern  lebte  er  ihren  Beruf  vor,  indem  er  jährlich  6000  Meilen 
meist  zu  Pferde  reiste,  auf  dem  Boden  schlief,  Hitze,  Kälte, 
Stürme,  Fieber,  Gefahr  unter  den  Indianern  ertrug.  Ein  schlichter, 
zündender  Prediger  der  Urwälder,  der  die  Apfel  nie  so  hoch 
hing,  dafs  die  Leute  unten  sie  nicht  pflücken  konnten,  wurde  er 

29* 


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4  5U 


KACIJKICHTEN. 


der  J.  Wesley  Amerikas  durch  die  Organisation  der  Wander- 
predigt. Bei  seiner  Ankunft  gab  es  dort  600  Methodisten  bei 
seinem  Tode  1816  eine  Viertel  Million.  Er  hatte  seinen  Lieb- 
lingsvers  zur  Tbat  gemacht:  Long  as  my  God  shall  lend  me 
breath,  My  every  pulse  shall  beat  for  him.  Dem  Freunde  Was- 
hingtons ist  ein  Ehrenplatz  unter  den  Schöpfern  der  amerika- 
nischen Nation  geworden,  nicht  als  Entdecker,  General,  Denker, 
Gesetzgeber,  Staatsmann,  but  as  a  purifier  of  bis  nation's  moral 
in  its  germ. 

*  10.  Als  ein  Werk  of  first  rate  importance  for  the  reli- 
gious  history  of  Scotland  dnring  the  last  thirty  or  forty  years 
bezeichnet  die  Scottish  Review,  July  1895:  Life  and  Letters 
of  John  Cairns  D.  D.  L.  L.  D.  by  Alexander  R.  Mac 
Ewan  D.  D.  London,  Hodder  and  Stoughton,  1895.  Schon  als 
Pfarrer  zu  Golden  Square  in  Berwick  sei  Cairns  eine  Macht  in 
Schottland  gewesen,  mit  der  jede  Bewegung  religiösen  oder  philo- 
sophischen Denkens  im  Lande  habe  rechnen  müssen.  Die  Briefe 
zeichneten  die  Stellung  des  Schreibers  zu  Menschen,  Büchern, 
Autoren  seiner  Zeit  und  die  ihm  nahe  tretenden  Persönlichkeiten. 

*  17.  Adamnani  Vita  S.  Columbae.  Edited  from 
Dr.  Reeves  Text  with  an  Introduction  on  Early  Irish  Chnrch 
History,  Notes  and  Glossary  by  J.  T.  Fowler  M.  A.  D.  C.  L. 
Oxford,  Clarendon  Press,  1894.  Eine  gute  Handausgabe  des 
Meisterstücks  der  Uagiographie  mit  Angabe  der  wichtigsten  Va- 
rianten und  kurzen,  den  topographischen,  biographischen  und 
historischen  Inhalt  der  Vita  gut  erläuternden  Noten.  Die  Ein- 
leitung bebandelt  die  Codices,  die  Biographieen  Columbas  skizziert 
die  alte  irische  Kirchengeschichte  und  das  Leben  des  Heiligen 
wie  das  seines  Historikers.  Aus  Pinkertons  Vitae  antiquae 
Sanctorum  Scotiae  hat  W.  M.  Metcalfe  Adamnans  Werk  über- 
setzt in  Ancient  Lives  of  Scottish  Saints.  With  an  Introduction 
London  1895.  Aufserdem  die  für  das  second-sight  zeugenden 
Wunder  Columbas  von  Cuimine  the  Tair,  Ailreds  of  Rievaux' 
Life  ot  S.  Ninian,  Jocelin  of  Furness  Life  of  S.  Kentigern,  das 
anonyme  Life  of  S.  Scof,  Life  of  S.  Margaret  Queen  of  Scotland 
by  Turgot  und  Life  of  S.  Magnus  of  the  Isles.  Die  Übersetzung 
soll  vornehmlich  dem  historischen,  kulturhistorischen  und  poeti- 
schen Interesse  dienen.  Von  der  Schilderung  des  Charakters  und 
Todes  der  schottischen  Königin,  Gemahlin  Malcolm  Canmores, 
sagt  Forbes:  there  is  an  atmosphere  of  calm  unexcited  truth- 
fulness  about  the  narrative,  as  well  as  an  absence  of  the  mythi- 
cal,  which  commends  it  to  us  as  the  work  of  an  eminent,  truth- 
loving  man  and  the  incident&l  allusion  to  the  current  history 
bear  the  test  of  all,  that  we  know  of  the  times.  Das  Leben 
S.  Magnus  von  Magister  Robert  ward  ins  Isländische  übertragen 


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NACHRICHTEN. 


451 


und  durch  Jonas  .Tonaeus  wieder  ins  Lateinische  übersetzt  Met- 
calfe  hält  sich  an  den  Text  der  Sagas.  Die  Einleitung  zeigt  den 
wertvollen  Ertrag  der  Biographieen  auf. 

*  18.  Vie  du  bienheureux  martyr  Jean  Fisher 
Cardinal,  Evßque  de  Rochester  (H  535).  Texte  anglais 
et  traduction  latine  duXVI®  siecle  publice  et  anno- 
t<$8  par  Fr.  van  Ortroy  S.  J.  Bollandiste.  Extrait  des 
Analecta  Bollandiana,  T.  X  (1891)  et  T.  XII  (1893)  Bruxelles 
1893.  435  p.  8.  Als  Margaretha  Beaufort,  die  Mutter  Hein- 
richs VII.,  in  Cambridge  Christ  und  St.  Johns  Colleges  stiftete, 
unterstützte  sie  dabei  mit  Hat  und  That  ihr  Beichtvater  John 
Fisher.  Auf  dem  Stuhle  von  Rochester  hat  er  dem  christlichen 
und  katholischen  Bischofeideale  nachgetrachtet  mit  Cilicium,  Geifsel, 
Totenschädel  auf  Altar  und  Mittagstafel,  als  sorg-  und  sparsamer 
Haus-,  Armen-  und  Krankenvater,  der  in  unerträglichem  Rauch 
stundenlang  neben  den  Leidenden  safs,  dem  keine  Leiter  von 
Dachkammern  fern  hielt.  Lebenslänglich  Kanzler  von  Cambridge, 
setzte  er  lutherischen  Regungen  Thränen,  Exkommunikationen, 
Verurteilungen  entgegen.  Befreundet  mit  Erasmus,  dem  es  graute 
vor  dem  zugigen  Bibliotheksparadies  des  Prälaten,  hat  er  in  ge- 
lehrten, schwerfälligen,  doch  nicht  unwirksamen  Schriften  gegen 
Luther  und  Oecolampadius ,  diese  Ungeheuer,  die  babylonische 
Gefangenschaft  der  Kirche  und  die  Realpräsenz  verteidigt.  Freilich 
erwiderte  er  später  Lobrednern :  besser  wäre  es  gewesen  zu  beten 
als  zu  polemisieren.  Seiner  von  allen  verlassenen,  schuld-  und 
wehrlosen  Königin  Katharina  war  er  ein  ritterlicher  Verfechter 
des  Rechts  und  des  päpstlichen  Dispenses  gegen  die  Skrupel  des 
ehebrecherischen  defensor  fidei.  Für  die  päpstliche  gegen  die 
angemafsto  königliche  Tiara  ist  er  mit  Thomas  More,  seinem 
Freunde,  um  des  Gewissens,  des  Rechtes,  der  Kirchenfreiheit 
willen,  eingetreten.  Nicht  König,  nicht  Bischöfe  konnten  ihn 
überreden,  Überzengen,  überüslen,  überrumpeln  zu  dem  Supremats- 
eide, wie  Heinrich  ihn  verstand,  nicht  um  den  Preis  der  ganzen 
Welt.  Paul  III.  hoffte  den  gefangenen,  in  seinen  Lumpen  einer 
wandelnden  Leiche  ähnlichen  Greis  durch  den  Purpur  dem  Tower 
zu  entreifsen.  Den  roten  Hut  mufs  er  auf  den  Schultern  tragen, 
höhnte  der  König.  Heldengrofs,  with  a  verio  good  desire  and 
Willing  mind  to  die,  schlief  er  noch  ruhig  zwei  Stunden  nach  der 
Ankündigung  der  Hinrichtung  um  5  für  9  Uhr.  Auf  dem  Todes- 
wege betet  er  um  ein  Bibelwort.  Sein  Bück  trifft  Joh.  17,  2.  3: 
here  is  even  learning  ynongh  for  me  to  my  lives  end!  Die 
Sonne  strahlte  ihm  ins  Antlitz,  als  er  zum  Schaffot  leicht  hin- 
aufstieg: „accedite  ad  enm  et  illuminamini  et  facies  vestrae  non 
confundentur rief  er  fröhlich.  „Y  forgive  thee  with  all  my 
harte  and  y  tru^t,  thou  shalt  see  me  ovorcome  this  storm  lustily4^ 


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452 


KACHRICHTKX. 


sagte  er  zu  dem  vor  ihm  knieenden  Henker.  Als  gebe  e6  zur 
Hochzeit  legte  er  sein  Haupt  unter  das  Beil.  Mit  Blut  hat  er 
seinen  Namen  der  englischen  Geschichte  eingeschrieben.  Man 
begegnet  dem  ehrwürdigen  Manne  in  den  neueren  Arbeiten  über 
Cambridge  (Documents  relating  to  the  University  and  |Colleges  of 
Cambridge  1852.  J.  E.  B.  Mayor  Early  Statutes  of  the  College 
of  St.  John  1859.  Th.  Baker,  History  of  the  College  of  St.  Jobn 
ed.  J.  E.  B.  Mayor.  1869.  2  Vol.  J.  B.  Mullinger,  The  Uni- 
versity  of  Cambridge.  1873.  2  Vol.  Ch.  H.  Cooper,  Memoir  of 
Lady  Margaret.  1874),  über  die  cause  celebre  der  Ehescheidung 
(J.  S.  Brewer  und  Gairdner,  Letters,  Papers  foreign  and  domestic 
of  the  reign  of  Henry  VIII.  9  Vol.  Dnko  of  Manchester,  Court 
and  Society  from  Elisabeth  to  Ann.  1864.  2  Vol.  H.  W.  Dixon, 
History  of  two  Queens.  1873.  T.  I.  F.  Lee,  Sketches  of  the 
Reformation.  1878.  A.  Harpsfield,  A  Treatise  on  the  pretended 
divorse  ed.  N.  Pocock.  1878.  N.  Pocock,  Records  of  the  Re- 
formation. The  divorce  1527— 1533.  1872.  2  Vol.  A.  du  Bois, 
Catharine  d'Aragon.  1880,  engl.  1881.  2  Vol.  P.  Friedmann, 
Anne  Boleyn.  1884.  2  Vol.  M.  Creighton,  Cardinal  Wolsey. 
1891.  J.  A.  Freude,  Divorce  of  Catharine  of  Aragon.  1891, 
1893),  über  die  englische  Reformation  (R.  W.  Dixon,  History  of 
the  Church  of  England.  I.  Henry  VIII.  1529—1537.  1878. 
H.  E.  Jacobs,  The  Lutheran  Movement  in  England  dnring  the 
roigns  of  Henry  VIII  and  Edward  VI.  1892.  F.  D.  Ingram, 
England  and  Rome.  1892).  Als  die  aus  dem  Status  persecutio- 
nis  erlösten  englischen  Katholiken  an  die  litterarische  Rehabili- 
tation ihrer  Ahnen  im  16.  und  17.  Jahrhundert  gingen,  ward 
der  Kardinal  von  Rochester  der  zweite  Thomas  Becket  durch 
Biographieen  geehrt.  T.  Hudson  Turner  edierte  J.  Lewis  Life 
of  the  Bishop  of  Rochester.  1855.  2  Vol.,  wertvoll  durch  viele 
Dokumente  aus  den  Archiven  von  Rochester  und  Cambridge. 
T.  E.  Bridgett  veröffentlichte  1888  sein  Life  of  Blessed  John 
Fisher.  Das  jüngste  dem  Gegenstande  gewidmete  Buch  ist  zu- 
gleich das  älteste.  Sein  Autor  ist  der  gelehrte  Bollandist  Fr. 
van  Ortroy,  der  Bearbeiter  St.  Karls  für  die  Acta  Sanctorum. 
Der  Convertit  Thomas  Bailey  edierte  1655  Tbe  Life  and  Death 
of  that  renowned  John  Fisher  Bishop  of  Rochester.  Comprising 
the  highest  and  hidden  Transactions  of  Church  and  State  in  the 
reign  of  Henry  the  8  th  with  divers  Morall  Historicall  and  Po- 
liticall  Animadversions  upon  Cardinal  Wolsey,  Thomas  More, 
Martin  Luther  with  a  füll  relation  of  Queen  Katharines  Divorce. 
Carefully  selected  from  several  ancient  Records.  Der  Herausgeber 
schrieb  sich  das  anonyme  Buch  zu,  verewigte  chronologische  Irr- 
tümer des  Manuskripts  und  verdarb  das  Werk  durch  alberne  Mifs- 
verstandnisse,  einfältige  Interpolationen,  willkürliche  Auslassungen 


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NACHRICHTEN. 


453 


und  Bombast.    Es  gelang  ihm  so,  die  wertvolle  Biographie  zu 
diskreditieren.    Nur  mit  Vorsicht  meinten  spätere  Autoren  sie 
benutzen  zu  dürfen.    Und  doch  verdient  sie  volles  Vertrauen. 
Vorbereitet  unter  Maria  Tudor,  abgeschlossen  nicht  vor  1577, 
ruht  sie  auf  authentischen  Nachrichten  zuverlässiger  Zeitgenossen, 
zeugt  von  Kritik  und  Takt.   Elle  est  preparäo  et  composäe  avec 
un  soin  jaloux  et  nvec  une  sollicitude  constante  de  la  verite*  a 
une  äpoque,  ou  la  memoire  des  travaux  et  des  äpreuves  de 
Fisher  6*tait  encore  vivace     sagt  van  Ortroy.    Der  Autor  por- 
trätiert stellenweise  wie  mit  Uolbeins  Pinsel,  redet  die  markige 
Sprache  ehrlicher  Überzeugung,  trifft  den  Ton  der  besten  mittel- 
alterlichen Biographieen.    Wie  in  frischen,  anschaulichen  Me- 
moiren erscheint  ein  reiches  charakteristisches  Detail.  Natürlich 
kannte  der  Darsteller  manche  Partieen  des  Labyrinths  der  Schei- 
dungssache nicht,  die  erst  300  Jahre  später  zutage  kamen.  Doch 
zeigt  die  jetzt  mögliche  Kontrolle,  wie  gut  er  informiert  war. 
Fisher  wird  mafsvoll  gelobt.    Der  König  erhält  als  Nero,  was 
ihm   gebührt.     Bleibt  doch  Heinz  trotz  Froudes  Mohrenwäsche, 
was  er  war.    Je  näher  man  Anna  Boleyn  tritt,  um  so  mehr 
verliert  sie  von  dem  Ansehen,  das  sie  der  Unkunde  und  dem 
konfessionellen  Übereifer  dankt.    Bei  einem  so  wertvollen  Buche 
verlohnte  sich  die  Restitution  der  Urgestalt,  die  van  Ortroy  treff- 
lich gelungen  ist.    Das  Manuskript,  nach  dem  Bailey  sein  Mach- 
werk fabrizierte,  ist  verloren.    Doch  finden  sich  im  Brittischen 
Museum  Handschriften  des  englischen  Textes  und  der  lateinischen 
Übersetzung.   Die  beste  Arundel  152,  die  durch  Brand  sehr  litt, 
hat  ein  Anonymus  stilistisch  retouchiert.    In  ihr  fehlen  die  Le- 
genden von  der  Aasgrabung  und  Verbrennung  der  Leichen  Bu- 
cers  und  Fagius',  von  den  Ohrfeigen,  die  Anna  Boleyn  dem  ihr 
gebrachten  Kopfe  Fishers  gegeben.    Aufser  Cod.  Harley  7047, 
Cod.  Stonyburst  ist  eine  sehr  genaue,  nach  einer  verlorenen  Kopie 
des  Arundelcodex  gemachte,  neue,  wertvolle  Notizen  bringende 
lateinische   Übersetzung  in   der   Barberina  benutzt,  mit  einer 
Akribie,  wie  sie  etwa  von  Härtel  den  Werken  Cyprians  angedeihen 
liefs.    Man  erhält  einen  authentischen  Text  aus  einem  Gufs,  den 
die  Early  English  Text  Society  1876  bei  Herausgabe  der  English 
Works  of  J.  Fisher,  XXII  and  428  p.  8,  in  Aussicht  gestellt 
hatte.    Cod.  Arundel  151.  152  enthalten  die  Collectaneen  und 
Studienblätter  zu  dem  Life,  Fragebogen  an  Urheber  sicherer 
Überlieferungen  mit  den  Antworten.  Der  erste  Entwurf,  die  erste 
und   die   Schlufsredaktion  sind   vorhanden    und  lassen   in  die 
Werkstätte  blicken,  wo  der  Verfasser  mit  den  Gehilfen  arbeitet, 
die  nur  geben,  was  sie  sicher  wissen,  Zweifel  und  Nichtwissen 
eingestehen.   Van  Ortroys  Dissertation  pre'liminaire  behandelt  den 
Apparat,  die  Abfassung,  die  Quellen,  die  Zeit  der  Schlufsredaktion 


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454 


XACHKKJ1TEX. 


mit  der  Solidität  und  kritischen  Schärfe  der  alten  Bollandisten, 
nach  den  Prinzipien  der  historischen  Methode,  die  de  Smedt  so 
ausgezeichnet  entwickelt  hat.  Jedes  Stück  des  Quellenmaterials 
wird  geprüft,  datiert,  kontrolliert.  Wer  das  Buch  schrieb,  weifs 
niemand.  Richard  Hall,  Kanonikus  in  Saint  Omer,  gest.  1604, 
gilt  irrig  als  Verfasser.  Viele  sehr  wichtige  Fragen  erledigen 
die  Noten,  Irrtümer  bis  in  die  Quellen  verfolgend.  Übereinstim- 
mung oder  Widerspruch  von  Angaben  mit  offiziellen  Dokumenten 
werden  konstatiert.  Kein  Phantasiebild  erhält  Gnade;  wo  unser 
Wissen  nichts  ist,  wir  nur  dem  Gerüchte  lauscnen,  wird  es  ge- 
sagt. Wolsey,  den  der  Autor  zu  schwarz  malt,  nennt  der  Her- 
ausgeber ein  politisches  Genie  ohne  gleichen,  das  England  zum 
Bang  einer  malsgebenden  Macht  erhob  und  die  Politik  des  Gleich- 
gewichts inaugurierte,  als  Prinzip  der  Gröfce  des  Reiches,  das 
der  Kardinal  regierte,  und  als  Pfand  der  Ruhe  Europas. 

*  19.  Pieter  Johannes  Kromsigt  (Predikant  te  Scher- 
penisse),  John  Knox  als  Kerkhervormer.  Proefschrift  ter 
Verkrijging  von  don  Graad  van  Doctor  in  de  Godgeleerdheid  aan 
de  Rijks - Universiteit  te  Utrecht.  Utrecht,  A.  H.  ten  Bokkel 
Heimink,  1895.  XII  and  360  p.  8.  Knox  ist  in  Licht  und 
Schatten  Anfänger  uud  Vollender  des  schottischen  Puritanismus, 
whom  God  has  made  both  the  first  planter  and  also  the  chief 
waterer  of  his  kirk  amonges  us.  Unter  den  Reformatoren  und 
ihren  ersten  Jüngern  hat  er  seinesgleichen  nicht  an  kirchlichem, 
politischem,  theoretischem  und  praktischem  Radikalismus,  an  buch- 
stäblich-gesetzlichem ,  beschränktem  Biblicismus,  an  Gleichgültig- 
keit gegen  historisches  Recht  und  historische  Bildungen,  an  Ge- 
waltsamkeit, Zerstörungslust,  erbarmungsloser  Intoleranz  gegen  die 
Synagoge  des  Satans,  an  Härte,  Schroffheit,  unbändiger  Heftig- 
keit. Dennoch  hat  er  Schottlands  heroische,  rauhe,  streit-  und 
opferfrohe  Frömmigkeit  und  kulturelle  Blüte  mit  begründet  und 
gehört  zu  den  Glories  und  Worthies  der  Nation.  Daher  konnte 
die  erste,  meisterhafte  Knoxbiographie  Th.  M'Cries  1811  bis  1881 
in  sieben  Auflagen  ihren  Rang  behaupten.  Die  Hauptquelle  des 
Buches  Knox'  Schriften  publizierte  David  Laing  für  den  Banatyne 
Club  und  die  Wodrow-Society  in  zwei  durch  aufgefundene  Inedita, 
gelehrte  Einleitungen  und  Anmerkungen  sehr  wertvollen  Aus- 
gaben, Edinb.  1846—1864.  6  Vols.  8.  Dokumente  und  Briefe 
von  Wichtigkeit  für  Knox'  Wirken  in  England  teilte  P.  Lorimer 
mit  in:  John  Knox  and  the  Church  of  England,  London  1875. 
Da  der  Reformator  entscheidend  in  die  Regierung  Maria  Stuarts 
eingreift,  mufsten  die  Bearbeiter  der  Geschichte  der  unglücklich- 
sten Fürstin  sich  mit  ihm  beschäftigen:  J.  Hosack,  Mary  Queen 
of  Scotts  and  her  Accusers.  2  Ed.  1870.  2  Vols.  Derselbe, 
M.  Stuart,  A  brief  Statement  of  the  principal  charges  brought 


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NACH  RICHTEN. 


455 


against  her  with  awnsers  to  the  same.  1888.  Th.  Opitz,  M.  Stuart. 
1879.  2  Bde.  J.  Small,  Queen  Mary  at  Jedburgh  in  1566. 
1881.  E.  Bekker,  Maria  Stuart,  Darnley  and  Bothweli.  1881. 
B.  Sepp,  Tagebuch  der  Königin  Maria  Stuart.  1882.  J.  Steven- 
son, Tbe  History  of  Maria  Stuart  from  the  murder  of  Biccio  until 
her  flight  unto  England  by  Claude  Nau  her  secretary.  1883. 
Desselben,  Maria  Stuart,  A  Narrati ve  of  the  first  eighteen  years 
of  her  life.  1886.  Colin  Lindsay,  Mary  Queen  of  Scots  and  her 
marriage  with  Bothweli.  1883.  M.  Philippson,  Etüde  sur  l'hi- 
stoire  de  Maria  Stuart  1889.  Desselben,  Histoire  du  regne  de 
Marie  Stuart  1892,  1893.  3  Vol.  Die  Aktenrevision  der  schot- 
tischen Reformation  auf  katholischem  Standpunkte  unternahmen 
J.  Walsh,  History  of  the  Catholic  Church  in  Scotland.  1847. 
E.  Beilesheim,  Geschichte  der  katholischen  Kirche  in  Schottland. 
1883.  2  Bde.  W.  Forbes  Leith,  Narratives  of  Scottish  Catholics 
nnder  Mary  Stuart  and  James  VI.  1885.  J.  Shelton,  Maitland 
of  Lethington  and  the  Scottland  of  Mary  Stuart  1888.  2  Vols. 
Diese  Autoren  haben  den  reichen  Stoff  für  die  Leidensgeschichte 
der  alten  Kirche  gesammelt,  die  Ungerechtigkeiten,  Gewalttaten, 
die  Barbareien  eines  Glaubenshasses  wider  die  Katholiken  so 
stark  wie  der,  welchem  in  der  ßarthelemi  die  Hugenotten  zum 
Opfer  fielen.  Dies  Audiatur  et  altera  pars  modifizierte  stellen- 
weise die  Auffassung  der  kirchlichen  Umwälzung,  die  Knox,  Historie 
of  the  reformation  of  religion  within  the  realm  of  Scotland, 
sanktioniert  hatte ,  und  deren  Alleinherrschaft  W.  Scott  erschüt- 
terte, indem  er  als  Dichter  und  Historiker  das  Schuldbuch  beider 
Teile  unparteiisch  —  als  Anglikaner  —  ans  Licht  zog.  Den 
altschottischen  Standpunkt  vertritt  das  Buch  Kromsigts.  Dem 
Verfasser  ist  Knox  Schottlands  auserwählter  Prophet,  Schotte  aus 
den  Schotten,  praktisch,  radikal,  nüchtern,  selbst  mehr  oder  min- 
der borniert,  ein  Mann  voll  heiligen  Geistes,  dessen  feuriger 
Glaube  Herzen  entflammt,  der  Urheber  der  geistlichen  Wieder- 
geburt seines  Vaterlandes,  dieses  Fundamentes  der  religiösen, 
sittlichen,  sozialen  Blüte,  der  Leader  aus  mittelalterlicher  Barbarei 
zur  neuen  Geschichte  mit  ihren  großartigen  Errungenschaften  auf 
allen  Gebieten.  Knox  früheste  Entwickelung,  erstes  Auftreten, 
Gefangenschaft,  Irrfahrten  in  England  und  auf  dem  Kontinent, 
Rückkehr  nach  Schottland ,  Aufenthalt  in  Genf,  Wirken  in  der 
Heimat  darzustellen  und  die  Lehre  eingehender  als  M'Crio  gethan 
zn  berücksichtigen,  ist  die  Aufgabe.  Sie  wird  gelöst  durch  um- 
fassendes, tiefdringendes  Studium  aller,  auch  der  praktisch  parä- 
netischen ,  innige  Frömmigkeit  vorzugsweise  dokumentierenden, 
Schriften  des  Helden.  Keine  biographisch  brauchbare  Stelle  ist  über- 
sehen. Mit  der  holländischen  Autoren  eigenen,  hier  erwünschten, 
Aosführlichkeit  werden  die  urkundlichen  Belege  in  Analysen,  Ci- 


4r>o 


NACHMCHTEX 


taten  reichlich  beigebracht  und  erläntert.  Für  das  Zeitgeschicht- 
liche bietet  Knox  eigene  Darstellung  die  Grundlage,  Froudes  Er- 
gänzungen werden  nicht  verschmäht.  Man  kennt  freilich  die 
Perfidie,  Roheit,  Unzuverlässigkeit  und  Kirchenfeindlichkeit  dieses 
Antors,  dessen  Praxis  das  Gegenteil  der  Forderung  von  Sybels 
zeigt:  Es  ist  Pflicht  des  Historikers,  kein  fortdauerndes  Urteil 
Ober  eine  Handlung  oder  über  einen  Menschen  zu  fallen,  bis  die 
belastende  Ankluge  durch  zwingende  Beweise  bestätigt  ist  (Tgl. 
J.  F.  Meline,  Mary  Queen  of  Scots  and  her  latest  English  Hi- 
storian.  1893).  —  So  neu  wie  verdienstlich  ist  die  detaillierte, 
sorgfältige  Exposition  der  Beziehungen  zwischen  Knox  und  Calvin. 
Widerlegt  wird  die  herkömmliche  Annahme,  die  Abhängigkeit  des 
Schotten,  der  kein  grofser  Theolog  und  Denker,  sondern  ein  Mann 
der  Tbat  war,  der  Oberzeugte  wie  ein  Schmiedehammer,  datiere 
von  dem  Aufenthalt  in  Genf.  Koox  Wirken  und  Lehren  werden 
an  Calvin  gemessen.  Gebilligt  wird  beides,  soweit  es  die  vom 
Genfer  Reformator  gezogenen  Grenzen  inne  hält.  Überschrei- 
tungen, auch  wenn  sie  nur  Konsequenzen  der  Sätze  des  Meisters 
sind,  trifft  Tadel.  GerOgt  wird  z.  B.  der  Radikalismus,  der  sich 
starr,  beschränkt,  abstrakt  an  den  Buchstaben  der  Schrift  klam- 
mert, den  Malsstab  buchstäblicher  Übereinstimmung  mit  dem  piain, 
express  word  auf  die  Spitze  treibt  und  an  alles  legt.  Dadurch 
werde  alles  gleich  wichtig  und  prinzipiell ,  das  Aufserliche  trete 
zn  sehr  in  den  Vordergrund,  Kultus-  und  Verfassungsfragen  er- 
hielten  dieselbe  Bedeutung  wie  die  Lehre,  für  Indifferentia  bliebe 
kein  Raum,  jeder  nicht  wörtlich  in  der  Schrift  befohlene  Kultusakt 
werde  götzendienerischer  Greuel.  Ohne  Perspektive  und  historischen 
Sinn  sehe  Knox  alles  in  der  Bibel  auf  gleicher  Linie,  vermische 
alt-  und  neutestamentliche  Ökonomie.  Es  heifst  nun  umgekehrt 
wie  bei  Augustin  Novum  testamentum  in  vetere  patet.  Ohne 
jede  Röcksicht  aut  Zeit,  Ort,  Volk  werden  israelitische  Zustände 
und  Gebote  auf  die  Schotten  des  16  Jahrhunderts  übertragen. 
Daher  der  theokratisch  gesetzliche  Charakter  der  puritanischen 
Reformation.  Knox  Landsleute  werden  zum  auserwählten  Bundes- 
volk, die  Prediger  —  mutinous  knaves  nannte  sie  aus  bitterer 
Erfahrung  unhöflich  Jakob  I.  —  empfangen  Stellung  und  Macht 
der  Propheten.  Die  Erwählteu  Olingen,  in  Ermangelung  des 
Feuers  vom  Himmel,  gegen  die  Verworfenen  nämlich  die  teuf- 
lischen, verpesteten,  ungläubigen  Papisten  Gottes  Kriminal-  und 
Vertilgungsjustiz  wider  die  Kanoniter  in  Anwendung  und  strafen 
dreimaliges  Hören  der  Messe  mit  dem  Tode.  Gebilligt  wird 
weder  Knox  Teilnahme  am  diplomatischen  Intrigoiren  Elisabeths, 
die  in  dieser  Kunst  Katharina  Medici  gleich  kam,  noch  seine 
Empörungslehre,  bei  der  eine  Monarchie  nicht  bestehen  kann. 
Schrieb  doch  der  Mann  der  That,  des  kraftvollen,  individualisti- 


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NACHRICHTEN. 


•157 


sehen,  prophetischen  Bewufstseins dessen  Ideal  Calvins  Gent 
war,  jedem  Gliede  des  Volkes  Gottes  das  Recht  zn,  darüber  zu 
entscheiden,  ob  der  Fürst  nach  Gottes  Ordnnng  regiere.  Wo 
nicht,  so  durfte  der  Kontrakt  gebrochen  und  der  Souverän  ab- 
gesetzt werden.  Katholischen  Fürsten,  Weibern  sprach  Knox  das 
Thronrecht  ab  und  bediente  auf  und  unter  der  Kanzel  seine  Kö- 
niginnen mit  pastoralen  Admonitionen ,  die  Pasquillen  sehr  ähn- 
lich sehen,  und  die  sich  kein  Souverän  gefallen  lassen  kann  und 
darf.  Die  Ermordung  Beatons  hatte  Knox  als  heilige  Ausübung 
des  Zelotenrecht«  verteidigt,  was  ihm  die  Galere  eintrug  (Car- 
dinal Beaton  Priest  and  Politician  by  J.  Herkless  1891).  Krom- 
sigbt  teilt  diese  Auffassung  nicht,  geht  vielleicht  etwas  zu  scho- 
nend über  die  Schändlichkeiten  hinweg,  welche  Pöbelhorden  bei 
der  Zerstörung  und  Verwüstung  von  Cupar,  St.  Andrews,  Holy- 
rood,  Melrose,  Skone,  Dunnfermline,  Paisley  u.  s.  w.  ausübten. 
Von  Maria  Guise  und  ihrer  Tochter  fordern,  dafs  sie  die  kirch- 
liche Revolution  nicht  nur  als  fait  accompli  anerkennen  und  dul- 
den, sondern  positiv  fördern  und  die  Hand  bieten  sollen  zur 
völligen  Vernichtung  der  eigenen  Kirche,  der  viele,  von  brutaler 
Gewalt  niedergetretene,  Anhänger  nicht  fehlten,  ist  etwas  zu  viel 
verlangt.  Natürlich  stellt  der  Autor  Calvin  über  Luther,  dessen 
Doktrin  Knox  aus  Schottland  verdrängte.  Bekenner  der  Angti- 
stana  können  nicht  einräumen,  bei  dem  Verfasser  der  Institutio 
finde  sich  das  Gleichgewicht  zwischen  den  beiden  Prinzipien  der 
Keformation,  bei  Luther  habe  das  materiale,  bei  Knox  das  for- 
male die  Oberhand  Hat  doch  Calvin  ein  ganz  anderes  Material- 
prinzip als  den  Solafidismus.  Nicht  richtig  ist,  dafs  nur  die 
reformierte  Theologie  den  usus  didacticus  legis  kenne.  Das  mit 
Recht  gepriesene  Kleinod  der  Kirchenzucbt  glänzte  doch  allezeit 
mehr  auf  dem  geduldigen  Papier  als  in  der  ungeduldigen  Wirk- 
lichkeit. Selbst  der  eiserne  Donnerer  konnte  sie  nicht  durchsetzen 
gegen  die  avaritiousness  of  the  corrupt  generation,  die  mercilesso 
devourers  of  the  patrimonie  of  the  church.  Trotz  der  Kirchen- 
zucht spotteten  die  adligen  Herren,  gröfstonteils  Virtuosen  in 
Treulosigkeit,  Verechwörungskunst  und  Kirchenraub,  nicht  blofs 
über  den  steten  Refrain  idolatry  sondern  auch  über  die  Forde- 
rung, einen  Teil  der  Beute  Schulen  und  Universitäten  zu  über- 
lassen, als  über  eine  wohlgemeinte,  undurchführbare  Phantasterei. 
Trotz  der  Kirchenzncht  mufste  Knox  am  Ende  seines  Lebens  er- 
fahren, dafs  es  leichter  sei,  uralte  Autoritäten  brechen,  als  neue 
aufrichten.  Kromsigt  hat  seiner  alttestamentlich-schottischen  Heroen- 
gestalt alle  Ehre  erwiesen.  Dem  ehrfurchtsvollen  Staunen,  das 
sie  erweckt,  ist  ein  leises  Grauen  beigemischt  Trefflich  resümiert 
das  Schlufskapitel  die  Sonderlehren  und  entwickelt,  von  der 
Wurzel  aus,  mit  feinen  Distinktionen ,  ihr  Verhältnis  zu  den  re- 


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NACHRICHTEN 


formierten  Zentraldogmen.  Dennoch  bleibt  Stahls  Urteil  über  den 
Puritanismus  und  seine  Theokratie  von  nüchternstem  und  streng- 
stem Charakter  stehen:  der  christliche  Glaube  soll  das  Zentrum 
des  öffentlichen  Lebens  sein,  der  Puritanismus  macht  ihn  zum 
alleinigen  Inhalt  desselben.  In  weitem  Umfange  werden  natür- 
liche Zustände  nnd  natürliche  Bestrebungen  vertilgt,  statt  sie  im 
christlichen  Qlaubeu  zu  läutern  und  zu  verklären.  Es  ist  ein 
Vorzieht  auf  Lebensgebiete  und  menschliche  Leistungen,  die  Gott 
selbst  will,  bei  Unnatur  nnd  Manieriertheit  der  Frömmigkeit 
Falsch  ist  der  politische  Grundsatz  des  Rechtes  zur  Empörung, 
falsch  ist  die  Herabdrückung  des  Königtums,  falsch  ist  die  spiri- 
tnalistische  Gründung  der  Gewalt  auf  ein  geistliches  Element, 
statt  auf  die  organische  Ordnung,  ein  Irrtum  ist  der  Bruch  mit 
der  Geschichte,  mit  der  geschichtlichen  Autorität,  dem  geschicht- 
lichen Recht,  der  geschichtlichen  Sitte  und  Bildung,  um  das 
Leben  nur  nach  eigenem  Plane  zu  gestalten. 

*  20.  In  England  hat  sich  der  Gebrauch  eingebürgert ,  je- 
<lein  Bischof,  mag  er  eine  celebrite  oder  nur  eine  actualite  ge- 
wesen sein,  eine  zweibändige  Biographie  aufs  Grab  zu  legen. 
Man  ist  deshalb  nicht  unangenehm  von  einer  Ausnahme  über- 
rascht: Bishop  Lightfoot.  Reprinted  from  the  Quar- 
terly  Review  with  a  prefatory  note  by  Brooke  Foss 
Westcott,  Bishop  of  Durham.  London,  Macmillan,  1894. 
XII  and  139  p.  8.  Es  beifst  auf  dem  Denkmal  in  der  Kathe- 
drale zu  Durham  von  Joseph  Barberhein,  Lighfoot  1828 — 1889: 
qualis  fuerit  antiquitatis  investigator ,  evangelii  interpres,  eccle- 
siae  rector  testantur  opera,  ut  aequalibus  ita  posteris  profutura, 
ad  majorem  Dei  gloriam.  Dieses  In  merooriam,  von  Westcott  ver- 
fafst,  erweiterte  ein  Anonymus  aus  der  Familia  des  verstorbener. 
Bischofs  zu  einer  Lebensskizze,  die,  ein  Tribut  dankbarer  Liebe, 
sich  auf  das  Interessante  aus  Leben  und  Schriften  beschränkt, 
und  es  mit  dem  Lobe  gnädig  macht.  Man  sieht  den  scheuen, 
reservierten  Gelehrten,  dem  in  der  Kindheit  Bücher  als  Arzenei 
dienten,  werden  und  wirken.  Auf  den  Cantab  von  enormem  Fleifs 
folgt  der  fellow  of  Trinity,  der  das  Journal  of  classical  and 
sacred  philology  gründet  und  versorgt,  der  Professor,  dessen  Hör- 
saal die  von  dem  Meister  der  Ezegese  scharenweise  herangelockten 
und  elektrisierten  gownsmen  kaum  fafst,  dessen  Kommentare  zu 
den  Paulinen  an  die  Galater,  Philipper,  Kolosser  in  immer  neuen 
Auflagen  sich  als  Standard  works  behaupten.  In  den  fünf  Bän- 
der Apostolic  fathers  schuf  der  Patristiker  ein  unübertroffenes 
Monument  des  Scharfsinns,  der  Gelehrsamkeit  und  vollkommener 
Beherrschung  des  spinösen  Gebietes.  Durchaus  kein  homo  um- 
braticus  wirkt  der  bücherseiige  Autor  in  Cambridge,  Oxford, 
Whitehall  durch  kraft-  und  gedankenvolle  Predigten.  In  England 


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NACHK1CHTKN. 


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waren  die  Bekenner  des  neuen  Glaubens,  denen  der  ehrliche  Straufs 
den  Christennamen  absprach,  nahe  daran  Dechanten,  ja  Bischöfe  zu 
werden.  Wider  einen  derselben,  der  Fichtes  Kritik  aller  Offenbarung 
-erneute,  vertheidigte  Lightfoot  in  Essays  on  supernatural  Religion 
den  christlichen  Glauben  gegen  solchen  Deismus  reüivivus.  In 
Auckland  Castle  mit  der  schönsten  Schlofskapelle  Englands,  lebte 
der  schlichte,  allem  Glanz  abholde  Bischof  nur  seinem  Amte,  das 
ihm  monatelang  nicht  erlaubte,  auch  nur  eine  Zeile  Gelehrtes  zu 
schreiben.  Für  vier  neue  von  seiner  Diöcese  abgezweigte  Bis- 
tümer gaben  ihm  drei  Freunde  sofort  37  000  «£,  für  den  Diö- 
cesanfond  brachte  ein  meeting  30  000  £.  Der  Jahresbeitrag  des 
Prälaten  dazu  betrug  den  Gehalt  eines  preufsischen  Generalsuper- 
intendenten. Zur  Abhilfe  der  Kircheunot  baute  er  in  fünf  Jahren 
40  Kirchen  und  Kapellen.  Schweigsam  im  Oberhause,  in  der 
Gegenwart  Gottes  wandelnd,  verstand  er  so  die  Sprache  der  Liebe, 
des  Seins  und  der  That  zu  reden,  dafs  er  70  Theologen  in  seinem 
Pallaste  ausbilden  konnte  für  besonders  arme  und  schwierige  Stel- 
lungen. Im  Blick  auf  das  grofsartige  durch  den  Reichtum  der 
main  morte  auch  hier  bedingte  Wirken  des  Kirchenfürsten  be- 
greift man,  dafs  er  Disestablishment  bekämpft  als  ein  nationales 
Unglück  und  ein  unabsehbare  Erschütterungen  hervorrufendes 
nationales  Verbrechen. 

21.  Life  of  the  Right  Rev.  William  Reeves  D.  D. 
Lord  Bishop  of  Down,  Connor  and  Dromore,  Presi- 
dent of  the  Royal  IrishAcademy,  by  Lady  Ferguson. 
Dublin ,  Hodges  Figgis  &  Co.  London ,  Longmans  Green  &  Co., 
1893.  VI.  210  p.  8.  Zu  den  kostbarsten  Denkmälern  derNational- 
litteratur  Irlands  gehört  das  812  geschriebene  Book  of  Armagh. 
Nach  S.  Bergers  kompetentem  Urteil  (Histoire  de  la  Vulgate, 
Paris  1893,  p.  33)  repräsentiert  dieses  Neue  Testament  la  juxta- 
position  d'au  moins  deux  textes,  dont  Tun  paraSt  avoir  dte*  ex- 
cellent,  l'autre  procedant  de  l'ancienne  traduction  sous  sa  forme 
irlandaise.  Der  Codex  trägt  noch  das  Reisekleid,  worin  er  die 
Missionsmönche  begleitet  hat.  Er  birgt  ein  merkwürdiges  Zeug- 
nis dafür,  wie  wert  das  Andenken  des  Pelagius  den  Landsleuten 
blieb.  Als  der  Schatz  der  grünen  Insel  für  Geld  auswandern 
sollte,  kaufte  ihn  für  300  £  ein  armer  Dorfvikar,  dessen  Jahres- 
einkommen 100  £  betrug,  um  ihn  in  der  lieben  Heimat  fest- 
zuhalten. Es  war  William  Reeves  gestorben  als  Lord  Bischof  von 
Down,  Connor  and  Dromore.  Schon  als  Kind  ein  Stück  Anti- 
quary  fand  er  sich  als  Curate  in  Ballymena  unter  Altertümern 
aller  Art  in  dem  Zauberkreise  von  Studienobjekten,  denen  seine 
begeisterte  Liebe  gehörte.  Sein  Haus  wurde  ein  Zentrum  für 
alle  gleicbgesinnten  Freunde  der  Vorzeit  Oft  hat  es  an  einem 
T;ige  dreifsig  Briefe  ausgesendet.    Der  Schreiber  galt  als  einer 


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4ÜU 


NACH1ÜCI1TEN 


der  gelehrtesten  Archäologen  Irlands.  Es  gab  nur  eine  Stimme 
höchster  Anerkennung  seiner  Verdienste  um  die  irische  Kirchen- 
geschichte, seit  1845  The  ecclesiastical  Antiquities  of  Down, 
Connor  and  Dromore  erschienen  waren.  1855  folgte ,  ein 
wahres  Prachtwerk  innerlich  und  äufserlich,  die  Edition  von 
Adamnans  Vita  Coiumbae,  dieser  Perle  unter  den  Heiligenleben. 
1864  drang  der  Autor  mit  den  Culdees  of  the  British  Islands 
bahnbrechend  in  eines  der  donkeisten  Gebiete  der  ältesten  eng- 
lischen Kirchengeschichte.  Eine  Reibe  von  Arbeiten  schlössen 
sich  an,  den  gediegenen  liebevollen  Forscher  auf  jeder  Seite  be- 
kundend. In  das  innerlich  so  reiche  von  Entdeckerglück  and 
Entdeckerfreude  erfüllte  Stillleben  des  originellen,  liebenswürdigen 
Curate,  Vikar,  Rural  Dean  und  Bischofs  hat  Lady  Ferguson  ein- 
geführt, indem  sie  die  reichhaltige  Korrespondenz  ihres  Freundes, 
worin  Personal ia  und  Antiquaria  anziehend  abwechseln  mit  dem 
sorgfältig  gearbeiteten  Rahmen  einer  Lebensskizze  umgab. 

*  ZZ,  Eine  schöne  Ergänzung  zum  Semi-Centennial  of  Phi- 
lipp Schaff  New- York  1893  bildet  der  Bericht  über  The  Schaff 
Memorial  Meeting  27.  Dezember  1893  in  den  Papers  of  the 
American  Society  of  Church-History.  Vol.  VI.  1894.  Schaff, 
dreifacher  Doktor  der  Theologie  und  der  Rechte,  wohl  der  viel- 
seitigste Kosmopolit  unter  Neanders  Schülern  war  Gründer,  Zen- 
trum ,  Präsident  und  bester  Freund  der  amerikanischen  Gesell- 
schaft für  Kirchengeschichte.  Noch  kurz  vor  seinem  Tode  be- 
mühte er  sich,  ihr  einen  Fond  zu  schaffen  zur  Förderung  nicht 
lukrativer  aber  notwendiger  gelehrter  Untersuchungen.  Sieben 
Redner  hatten  sich  bei  der  Gedächtnisfeier  in  der  Charakteristik 
des  gröfsten  Kirchenbistorikers  Amerikas  geteilt,  who  bad  learning,  * 
fervor,  picturessness  and  iron  diligence.  Der  niederländisch 
Refoimieite  T.  W.  Chambers  schildert  den  Bible-Student  and  Re- 
visor, der  Methodistenbischof  Hurst  den  Vereiniger  deutscher  und 
angelsächsischer  Gelehrsamkeit,  der  Lutheraner  H.  E.  Jacobs  den 
Freund  der  lutherischen  Kirche,  der  Anglikaner  C.  C.  Tiffany  den 
von  englischen  Erzbischöfen  und  Bischöfen  geehrten  Lobredner 
der  Episkopalkirche.  Der  Katholik  J.  Shahan  würdigte  Schaffs 
Stellung  zum  Katholicismns ,  der  Unitarier  J.  H.  Allen  schlofs 
sich  mit  einer  persönlichen  Huldigung  an,  E.  C.  Ricbardson  mit 
einem  Elogium  auf  den  Bibliophilen.  Nachdem  alles  dessen  ge- 
dacht war,  was  die  Partikularkirchen  dem  Autor  und  den  Werken 
verdankten,  sagte  der  Sekretär  der  Gesellschaft  S.  M.  Jackson 
über  den  Menschen:  he  was  respected  and  trusted;  he  was  also 
beloved.  His  bright  smile,  bis  cordial  greeting,  his  hearty  laugb, 
bis  heen  interest  in  all  things  about  him,  his  comradeship  with 
persona  in  all  lines  of  occupation;  the  readiness,  with  which  he 
formed  acquaintances  and  the  tenacity,  with  which  he  held  them, 


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NACHRICHTEN. 


461 


these  are  traits  remembered  aud  emphasied.  ile  was  a  lovcr 
of  his  kind  aud  a  friend  of  men.  In  every  assembly  he  attrac- 
ted  attention  and  drew  people  towards  him.  And  yet  how  mo- 
deat,  almost  sby  he  was!  One  of  the  most  distinguished  men  of 
our  time,  he  bore  himself  quieltly,  unostentatiously  and  simply. 
He  hedged  himself  round  with  no  pomp  or  citcomstance.  He 
was  always  dignified  and  no  one  would  have  thought  of  being 
familiär  with  him,  yet  he  never  repelled  any  one,  rather  he  had 
a  welcome  for  every  one.  It  were  his  noble  qualities,  which  gave 
him  his  hoste  of  friends. 

23.  Seit  der  Cyprianus  anglicus,  Laud,  als  Märtyrer  der 
Konformität  des  Anglicanismus  nnd  Royalismus  unschuldig  auf  dem 
Schafott  geendet  hatte,  lautete  in  Schottland  das  kirchliche  Feld- 
geschrei nicht  nur  no  popery,  sondern  auch  no  prelacy.  Epi- 
skopat ,  apostolische  Succession ,  Liturgie ,  waren  so  verhalst  wie 
der  Katholicismus.  Die  Antipathie  gegen  beides  vererbte  sich  von 
den  alten  Covenanters  auf  die  spätesten  Nachzügler,  die  Dichter- 
hand in  Old  Mortality  und  dem  Heart  of  Mid-Lothian  verewigt 
bat.  Eine  nationale  Macht  wie  Staats-,  Freie-  und  Unierte  presby- 
terianische  Kirche  ist  der  Episkopalismus  nie  geworden.  Er  führte 
ein  so  aristokratisches  Stillleben,  dafs  man  ihn  auswärts  kaum  be- 
achtete. Ihn  kcunen  zu  lernen,  bietet  die  zweibändige  Auto- 
biographie des  Bischofs  von  St.  Andrews  Charles  Words- 
worth, Annais  of  uay  Life.  1847—1856  edited  by  W.  Barl 
Hodgson.  London,  Longmans,  1893.  XXXVI  and  230  p, 
treffliche  Mittel.  Wordsworth  üel  die  Aufgabe  zu,  den  Angli- 
canismus zu  beleben,  zu  popularisieren,  gegen  die  Presbyte rianer 
zu  vertreten  und  ihm  bei  den  englischen  Qeistlichen  Gunst  zu 
gewinnen,  die  sich  fürchteten  durch  die  genuinen  Doktrinen 
Lands  Puseyten  zu  werden.  Wie  erfolgreich  der  Bischof  das 
schwierige  Werk  durchführte  und  seine  Kirche  in  einer  Weise 
hob  wie  kein  Prälat  vor  ihm,  mit  welchen  Mitteln  ihm  dies 
gelang,  wie  er  der  litterarischen  Opposition  begegnete  und  als 
Kektor  des  Trinity  -  College  in  Glenalmond  für  den  geistlichen 
Nachwuchs  sorgte,  bat  er  in  der  Fortsetzung  der  Annais  of  my 
early  Life  1806—1846,  London  1891,  XVI  and  420  p.,  bis 
ins  Einzelste  zu  schildern  begonnen.  Ein  dritter  Band,  wahr- 
scheinlich aus  der  Feder  des  Bischofs  von  Salisbury,  dem  alle 
binterlassenen  Papiere  anvertraut  sind,  wird  von  Earl  Hodgson 
in  Aussicht  gestellt.  C.  A.  Wilkens. 


402 


NACHRICHTEN 


Französisches. 

Von 

C.  A.  Wiikens. 


1*  Memoire«  de  la  Sociäte*  de  l'Histoire  de  Paris  et  de 
risle  de  France  T.  XX.  Paris  1893.  p.  295—357  behandelt 
L6on  Le  Grand  Les  Beguines  de  Paris.  Gil  d'Orvals  oft 
angefochtenes  Zeugnis  für  Lambert  le  Begue  als  Stifter  des  Be- 
guinenwesens  wird  durch  ein  von  Paul  Meyer  entdecktes  Datum 
einer  Miniatur  bestätigt.  Ludwig  IX.  bereitete  in  Paris  400  ver- 
armten adeligen  Frauen  ein  Asyl.  Es  war  den  Nachfolgern  ein 
Pietäts-  und  Ehrenpunkt  zu  pflegen  Le  quel  monseigneur  saint 
Loys  fonda  Robert  de  Sorbon  gab  den  Beguinen  das  Zeugnis: 
au  jour  du  jugement  une  simple  beguine  pourra  peut-ötre  mon- 
trer  plus  d'assurance  que  de  savants  theologiens.  Ruteboeufs  Sa- 
tiren können  dieses  Urteil  nicht  umstofsen.  Weil  die  Frauen 
sich  der  Geistesgemeinschaft  und  des  Schutzes  wegen  den  Bettel- 
orden anschlössen,  traf  sie  der  Hafs  Gnillaumes  de  Saint  Amour. 
Von  schwarmgeistigen,  häretischen,  verbrecherischen  Verirrungen 
blieben  die  Pariser  Beguinen  frei,  wurden  daher  als  solche,  qui 
vivaient  pieusement  chez  elles  ou  en  commun  soumises  a.  leurs 
äveques  et  ä  leurs  cur 6s  von  der  Verurteilung  Clemens  V.  und 
Johanns  XXII.  nicht  getroffen.  Le  Grand  bespricht  Ursprung, 
Geschichte,  Errichtung  des  Pariser  Instituts,  die  Beschlösse  des 
Konzils  von  Vienne,  das  Verschwinden  der  Beguinage  und  deren 
teilweisen  Ersatz  durch  die  Haudriettes  und  die  Bonnes  Femmes 
Sainte  Atroye.  Die  Statuten  von  1341  S.  88— 95  und  die  Regle 
des  Bonnes  Femmes  sind  der  Abhandlung  angehängt. 

*  2.  Documents  inödits  pour  servir  ä  l'histoire  ecelfaiastique 
de  la  Belgique  publik  par  le  R.  P.  Dom  Ursmer  Berliöre, 
Be'nedictin  de  Tabbaye  de  Maredsous.  Tome  I.  Maredsous.  Ab- 
baye  de  Saint  Benoit.  1894.  VI.  325  p.  8.  In  den  achtziger 
Jahren  des  vorigen  Jahrhunderts  sah  man  auf  der  Ueerstrafse 
des  Rbeingaues  nicht  selten  eigentümlich  befrachtete  Wagen. 
Sie  führten  den  Trödlern  in  Mainz  und  Frankfurt  für  Buchbinder 
uud  Goldschläger  die  Handschriften  der  Klöster  als  wertlosen 
Plunder  zu.  Heute  liefse  sich  ein  litterarischer  Ehrenkatalog 
von  Werken  klösterlicher  Autoren  aus  den  letzten  50  Jahren  zu- 
sammenstellen, der  einen  eminenten  Fortschritt  aus  dem  auf- 


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NAC!  I K1CHTKN . 


463 


geklärten    Winterschlaf    dokumentierte.     Eine    der  schönsten 
Schöpfungen  des  1894  gestorbenen  Architekten  Baron  de  Bo- 
thnne  ist  die  Abtei  Maredsous.    Im  frühgotischen  Stil  erbaut, 
gewährt  sie  in  Wand-  und  Fenstergemälden,  Bildhauerarbeiten, 
Kirchengeraten,   Parumenten,  Altären  den  Genufs  einer  reinen, 
künstlerischen  Harmonie.    Auch  die  Studien  blühen  in  diesem 
einzig  schönen  Kloster,  für  die  der  Stoff  nicht  mangelt  Es  giebt 
keine  Kirchengeschichte  Belgiens,  nur  Vorarbeiten  dazu  in  Ur- 
kundenbüchern  und  Spezialmonographieen  einzelner  Klöster.  Die 
Analectes  pour  senrir  k  l'histoire  ecclesiastique  de  Belgique  sind 
zu  20  Bänden  gediehen,  und  doch  bergen  Archive  und  Biblio- 
theken noch  kostbare  Reste  an  Kartularien  und  Nekrologieen,  die 
Chroniken  ersten  Ranges  sind  den  Monuments  Germaniae  und  de 
Smedts  Corpus  Chronicorum  Flandriae  einverleibt    Doch  bleibt 
eine  Nachlese  solcher,  die  für  die  Entstehungszeit  und  als  Echo 
verlorener  Dokumente  von  Wert  sind:  quoniam  inter  multimodos 
primae  praevaricationis  poenas  etiam  oblivionis  morbo  genus  la- 
borat  humanum,   discretornm   virorum  providit  industria,  bene 
gesta  mortalium  posteritati  scriptis  mandari.    Hier  treten  die 
Benediktiner  ein.    Die  Sammlung   der   Documenta  iuedita  soll 
Urkunden  publizieren,  nicht  in  kostspieligen  Reproduktionen,  sondern 
nach  dem  alten  System,  die  Nekrologieen  von  Bonne  Esperance, 
Saint  Ghislain,  Broquevoie,  Saint  Amand,  Saind  Baron,  Parc,  Bau- 
deloo,  Moulins  u.  a.   Den  ersten  Band  eröffnen  Chartes  der  Abtei 
Florennes,  darunter  Kaiserui künden  von  authentischer  Grundlage, 
Ballen,  Bischofsdiplome.    Die  Gesta  Abbatura  monasterii  Sancti 
Jacobi  Leodiensis  aus  dem  15.  und  16.  Jahrhundert  enthalten 
interessante  Details  über  die  dunkelste  Zeit  dieses  Hauses,  eines 
Herdes  der  von  Bursfelde  ausgehenden  Reform  und  über  die 
Zustände  in  den  reformierten  Klöstern  Saint  Paul  in  Utrecht, 
Vlierbach,  Stavelot,  Gembloux  und  andern.    Die  Chapitres  G6- 
näraux  des  monasteres  be'nödictins  des  provinces  de  Reims  et  de 
Sens  13. — 15.  Jahrhundert  sind  proces  verbaux  der  Versamm- 
lungen zu  St  Quentin  1299,  Reims  1348,  Saint  Germain- des- 
Pr&  1363,  Compiegne  1379,  Saint  Germain  -  des  -  Präs  1408, 
Saint  Faron  de  Meaux   1410.    Man  sieht,  wie  diese  in  der 
Provinz  Reims   1135   wohl   vom  heiligen  Bernard  angeregten, 
dnrch  Innocenz  III  1215  für  den  ganzen  Orden  obligatorisch  ge- 
machten, durch  Gregor  IX.  und  Benedikt  XII.  modifizierten  Ka- 
pitel sich  mühen,  spinas  et  tribulos  exstirpare,  ne,  quos  timor 
J)ei  et  metus  Jehenne  a  malo  non  revocat,  saltem  districtio  et 
severitas  coherceat  discipline.    Zu  den  von  Piot  1881  edierten 
Cartulaire  de  l'abbaye  d'Eename  giebt  die  Chronik  der  Äbte  Er- 
läuterungen.   Der  Nekrologe  de  l'Abbaye  de  Saint  Martin  de 
Tonrnai  1360—1370  und  die  Actes  de  confraternite'  et  fon- 

ZeiUchr.  f.  K.-O  XVII.  3.  30 


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464 


X ACH  RICHTEN. 


daüoii8  d'Obit  sind  wegen  der  chronologischen  und  genealogischen 
Wichtigkeil  gedruckt.  Dom  Berliere  der  Bearbeiter  des  1890 
begonnenen  Monasticon  Beige,  der  fleifeige  Mitarbeiter  an  den 
Stadien  und  Mitteilungen  aus  dem  Benediktinerorden  und  an  der 
Revue  Benädictine  bewährt  in  den  Documents  seinen  gelehrten 
Ruf,  mag  er  Geschichte  und  Quellen  des  Unternehmens  darlegen 
oder  einzelne  Teile  mit  diplomatischen,  historischen,  mon astischen 
Nach  weisungen  einleiten.  Das  Nummer  Verzeichnis  zum  Nekrologe 
von  Saint  Martin  enthält  3500  Artikel  und  zu  106  Seiten 
590  Noten!!  Und  doch  gesteht  der  Verfasser,  noch  weit  mehr 
wurde  er  gegeben  haben,  hätte  er  die  Tausende  von  Urkunden 
des  Archivs  in  Tournai  untersuchen  können.  Wie  sorgfältig  sind 
die  Namen  identifiziert,  die  Urkunden  aufgespürt,  die  Licht  auf 
die  Geschichte  der  genannten  Personen  werfen  können.  In  den 
Noten  giebt  Berliere  wie  ein  Mann  von  altem  Reichtum,  der  den 
Prunk  verschmäht,  Genealogisches,  Biographisches,  Diplomatisches, 
Lexikalisches,  alles  aus  erster  Hand,  korrigiert  Interpolationen, 
ergänzt  Textlücken,  verweist  zu  weiterer  Information  auf  die 
Litteratur.  Mit  Konjekturen  wird  der  Leser  verschont  Wo  die 
Hilfsmittel  versagen,  wo  das  Reichsarchiv  und  die  Bibliothek  in 
Brüssel  die  Staatsarchive  in  Gent  und  Möns  im  Stiche  lassen, 
bleibt  es  hei  dem  ehrlichen:  nous  l'ignorons! 

*  3.  Histoire  religieuse  et  bagiologique  du  Diocese  de  Digne. 
Aix.  J.  Nicot,  1893.  XXXIII.  500.  p.  8.  Die  Troubadours  des 
19.  Jahrhunderts,  die  FeUiber  Jansemin,  Boumanille,  Aubanel, 
Mistral,  deren  Werke  Hunderttausende  lesen,  haben  für  die  durch 
sie  geadelte  Sprache  und  für  die  durch  sie  mit  beispiellosem  Erfolge 
geschaffene  Litteratur  ein  europäisches  Interesse  erweckt  Die 
Freude  an  der  occitaniscben  Renaissance  läfst  viele  mit  L.  Geo- 
froy  sagen:  T'ämi  moon  beu  pais!  T'ämi  bello  Prouveuce!  Ami 
toun  ceu  tant  clar!  Ami  toun  soule'n  rousl  Tei  coumbo  emai 
tei  baus,  e  toun  clima  tant  dous!  De  ta  masclo  beuta  gardi  la 
souvenence!  Die9e  Sympathie  mit  dem  Lande,  das  den  Ruhm  der 
bolle  France  rettet,  mit  der  Sprache  voll  musikalischen  Zaubers, 
mit  den  frommen  Traditionen  eines  gläubigen  Volkes,  dürfte  auch 
dem  Bilderalbum  zur  Kirchengeschichte  der  Provence,  der  „Histoire 
religieuse"  Freunde  gewinnen.  Der  Kanonikus  J.  F.  Cruvellier 
unternahm  dieses  Seitenstück  zu  Deperys  Histoire  bagiologique  dn 
Diocese  de  Gap  und  zu  Nadais  Histoire  hagiologique  du  Diocese 
de  Valence,  ohne  es  zu  vollenden.  Abbe'  Andrieu  that  es  in 
fünfjähriger  Arbeit.  Die  „Leben*4  der  Heiligen  und  Frommen 
sollten  so  in  die  Diöcesangeschichte  sich  einfügen,  dafs  klar  werde, 
wie  Zeiten,  Orte,  Personen,  Sachen,  Erfolge,  Leiden  auf  die  Be- 
treffenden wirkten  und  alles  sollte  seine  Stätte  finden,  im  Anschlufs 
an  Celebritäten  der  Kirche  und  Welt,  an  Facta  und  Institutionen, 


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NACHRICHTEN. 


465 


an  heilige  und  profane  Denkmäler,  Kirchen,  Kapellen,  Abteien, 
Klöster,  was  das  kirchliche  Leben  Dignes  berührte.  Die  Archive 
des  alten  Bistums  sind  untergegangen,  ausführliche  Vitae  nur 
aus  dem  13.  und  14.  Jahrhundert  erhalten.  Kritische  Unter- 
suchungen, wie  sie  die  beutigen  Bollandisten  fordern,  lagen  der 
Arbeit  fern.  Sie  folgt  weder  der  traditionalen  noch  der  histo- 
rischen Schule  ausschliefslich ,  schöpft  aus  Überlieferungen  und 
Urkunden.  Plausible  Induktionen  müssen  für  die  ältesten  Zeiten 
aushelfen.  Deductions  sans  logique ,  temoignages  suspectes  werden 
gerügt:  mieux  avouer  son  ignorance,  qne  de  recourir  ä  de  pa- 
reilles  argumentsl  Archaeologische  Fiktionen,  Fälschungen  zu- 
gunsten hohen  Alters,  Hypothesen  auf  Grund  von  suppositions, 
affirmations  gratuites,  interpretations  forcees  ou  deloyales  de  texte 
empfangen  ihre  Strafe.  Damit  der  Leser  richten  könne,  erhält 
er  das  Pro  und  Contra,  bei  divergierenden  Ansichten  die  an- 
erkannten Facta.  Legenden  sind  erzählt  samt  dem  Echo  in  ver- 
blaßten Lokalreminiscenzen,  die  Geschichten  der  den  Heiligen  ge- 
weihten Kirchen,  der  Beliquien.  Es  treten  Apostel-Missionare  auf, 
Bischöfe,  Einsiedler,  Grandseigneurs ,  Volksprediger,  Mystiker: 
Maxime  und  Fauste  von  Biez,  Majeuil  von  Cluny,  Gerard  Tanque 
Gründer  der  Hospitaliter  in  Jerusalem,  Jean  Mathe  Stifter  der 
Trinitarier.  Die  Bevolutionszeit  vertreten  Befractaires,  die  lieber 
starben  als  Assernientes  wurden,  wie  der  80jährige  Erzbischof 
von  Arles,  Nonnen,  die  bis  aufs  Schafott  bekannten,  la  loi  hu- 
maine  ne  peut  pas  nous  Commander  des  choses  opposles  ä  la  loi 
divine.  Ergreifend  ist  das  Bild  J.  H.  Chastans  1803—1839, 
der,  Missionar  in  Korea,  starb,  weil  er  das  rettende  Wort  der 
Apostasie  nicht  sprechen  wollte,  so  wenig  wie  150  in  gräfslicher 
Gefangenschaft  schmachtende  Christen.  Gern  hört  man  vieilles 
traditiona  aus  Alpenthälern,  ans  der  imposant  gelegenen  Bischofs- 
stadt am  Ufer  der  über  Felsen  in  die  Durance  stürzenden  Bleone. 
Altpro venzalische  Texte  erhöhen  den  Beiz  der  Heiligenleben,  von 
denen  selbst  Felix  Dahn  meint,  diese  Litteratur  biete  oft  einen 
edlen  Genufs,  eine  Fülle  von  Idealismus,  den  wir  am  fin  de 
siecle  brauchen  könnten. 

*4.  Le  Pere  Joseph  et  Bichelieu  (1577—1638)  par 
Gustave  Fagniez.  Paris  Hachette  et  Co  1894.  2  Vols.  605. 
514  p.  8.  Sind  wir  nur  eine  Stunde  ehrlich,  dann  sind  wir 
für  eine  Ewigkeit  verloren!  Dieses  antichristliche  Wort  des 
Karl  of  Chatäin  enthält  die  Signatur  der  diplomatischen  Maul- 
wurfsarbeit der  grauen  Eminenz  im  Dienste  der  roten,  zu- 
gunsten der  europäischen  Hegemonie  Frankreichs.  Paul  V.,  Fer- 
dinand II.,  Bichelieu,  Bmlart,  Spada,  Grotius  beglaubigen  Bankes 
Verdikt  über  den  zweizüngigen  verschlagenen  Mönch:  der  Pater 
hatte  nicht  allein  Kopf,  sondern  auch  Stirn  für  alles.  Nichts 

30» 


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466 


NACHRICHTEN. 


brachte  ihn  aufser  Fassung;  für  alles  fand  er  Entschuldigung. 
Das  Gehässigste  nahm  er  ohne  Bedenken  über  sich.  Er  hat  die 
labyrinthischen  Gänge  einer  vor  nichts  zorückscheuenden  Politik 
und  dunkelen  Gewaltsamkeit  eröffnet.  Alle  Skrupel  hatte  er  noch 
weiter  von  sich  geworfen  als  der  Kardinal.  Im  Himmel  und 
auf  Erden  beschäftigte  ihn  nichts  als  die  Politik  des  Moments. 
Der  tenebroso,  cavernoso,  mit  dem  goüt  pour  le  mystere  et  les 
menees  souterraines,  wie  ihn  sein  Gebieter  charakterisiert,  ist  im 
Metier  ein  Stern  erster  Gröfse.  Unübertrefflich  operierte  er  mit 
den  Giften  Zweizüngigkeit ,  Lüge,  Heuchelei,  Schmeichelei,  Ver- 
lockung, Bestechung,  Verrat,  Spionage.  Keines  versagte  ihm, 
wenn  er  es  für  einen  kühnen  Griff  d.  h.  für  eine  fourberie  seines 
Herrn  bedurfte,  dem  er  überlegen  war  an  Detailkenntnis  der  po- 
litischen Dinge  in  Europa,  an  Optimismus,  Mut,  Findigkeit,  Ar- 
beitskraft, Sachkunde,  Unerschöpflichkeit  an  Auskunftsmitteln,  Aus- 
wegen, Umwegen,  an  Spürsinn  für  die  entscheidende  Conjunktur, 
an  Geschick  mit  Kleinigkeiten  und  Privatinteressen  zu  rechnen,  an 
Verständnis  der  Preise,  für  welche  die  zu  haben  seien,  die  in  sein 
Netz  gerieten,  an  Clairvoyance ,  an  Kühnheit  der  Initiative  bis 
zum  Abenteuerlichen,  an  Taubheit  für  Recht  und  Sünde.  Und 
derselbe  Mann,  der  keine  Seele  hat,  sondern  an  ihrer  Stelle  Un- 
tiefen und  Lachen,  scheint  redlich,  bieder,  gütig,  arg-  und  selbst- 
los, voll  Friedensliebe.  Er  ist  orthodoxer  Katholik,  Tbeolog, 
Priester,  Mönch,  Ordensstifter,  Erbauungsschriftsteller,  Visionär, 
Mystiker,  Kreuzzugsagitator,  ein  Saulus  wider  die  Hugenotten,  zu 
Tausenden  erobert  er  Ketzer,  den  Principe  in  der  Rechten,  das 
Kruzifix  in  der  Linken.  Welch  ein  Beispiel  doppelter  Buch- 
führung zur  Erhärtung  der  Renanthese  von  den  Frommen,  die 
der  heilige  Geist  über  Ehrlichkeit  und  Wahrhaftigkeit  hoch  er- 
hebe, von  den  maskierten  Schurken  mit  der  Aureole.  Man  mufs 
den  nationalen  und  wissenschaftlichen  Heroismus  Fagniez'  be- 
wundern, der  an  die  Schilderung  einer  solchen  Persönlichkeit  ein 
grofses  Stück  seines  Lebens  setzte.  Im  Britischen  Museum  fand 
er  das  Autograph  der  Memoires  d'Etat  du  P.  Joseph,  betitelt 
Supplement  ä  THistoire  de  France,  ou  sont  expliquees  les  plus 
considerables  choses  de  cet  6tat  durant  l'administration  du  Car- 
dinal de  R.  depuis  l'annee  1624  jusqu'ä  16(38).  Man  wufste 
nicht,  das  Lepre*  Balain  diese  Denkwürdigkeiten  mit  Hilfe  des 
Sekretärs  P.  Ange  de  Montagne  aus  binterlassenen  Staatspapieren 
Josephs  zusammengestellt  habe,  den  Jünger  stellenweise  über 
den  Meister  erhebend.  Über  eine  unvollständige  Kopie  de** 
Buches  in  der  Bibliotheque  Nationale  Histoire  de  Louis  XI] I. 
pendant  les  annees  1634,  1635,  1636.  4  Vol.  fol.,  las  Ranke 
in  der  Academie  des  sciences  morales  et  politiques,  ohne  den 
Autor  zn  erraten.  Parmentiers  dachte  den  Prussien  zu  schlagen, 


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NACHRICHTEN. 


467 


indem  er  das  Werk  zum  Supplement  der  Memoiren  Richelieus 
machte.  Kaum  war  er  für  diese  Leistung  Doktor  der  Sorbonne 
geworden,  als  Fagniez'  Widerlegung  in  der  Berne  critique  1879 
den  vermeinten  Sieger  besiegte.  Er  durchforschte  zur  Ergänzung 
der  Mlmoires  nicht  nur  alle  deutschen,  franzosischen,  italienischen 
und  spanischen  Publikationen,  sondern  auch  sämtliche  Korrespon- 
denzen der  in  Frankreich  accreditierten  diplomatischen  Agenten 
mit  der  englischen,  bayerischen,  brandenburgischen,  holländischen, 
schwedischen,  kaiserlichen,  mantuanischen ,  savoyischen,  toska- 
nischen  und  päpstlichen  Regierung.  Das  Familienarchiv  der  Le 
Clerc  de  Tremblay  stand  ihm  offen  und  die  französischen ,  archi- 
valischen  Depots.  So  gewann  er  aus  erster  Hand  eine  Kunde  der 
politischen  Verhältnisse  der  Zeit,  wie  sie  Joseph  seinen  Reisen, 
dem  Aufenthalt  im  Auslande,  den  allgegenwärtigen  Kapuzinern, 
dem  Netz  seiner  Verbindungen  verdankte.  Mit  diesem  Material 
kann  er  jeder  Frage  nachgehen,  welche  die  beiden  Associes  in 
Atem  hielt  nnd  ans  Licht  ziehen,  was  im  Finstem  verborgen 
war.  Über  den  Heros  der  Kirche  instruierten  Lepre"  Balains 
handschriftliche  Biographie  aus  den  besten  Quellen  und  die  von 
den  filles  calvaires  gehüteten  autobiographischen  Reliquien  ihres 
Stifters.  Josef  war  es  zur  Natur  geworden,  sich  vor  Mit-  nnd 
Nachwelt  zu  verstecken.  Fagniez  treibt  Reineke  zum  Loch  heraus. 
Mit  Richelieu  fast  er  seinen  Liebling  zusammen,  da  sie  ein  Herz 
und  eine  Seele  sind  Über  jenen  giebt  er  nicht  sowohl  neue 
Züge,  als  dass  er  die  bekannten  Eigenschaften  sich  glänzender 
abheben  läfst  auf  der  Folie  der  Schwächen,  Härten,  Kleinlichkeiten, 
Veiwegenheiten.  Der  allgemeinen  Geschichte  entnimmt  er  den 
Zug  der  die  beiden  Politiker  occupierenden  Ereignisse,  der  Bio- 
graphie das  malerische  Detail,  sich  auf  das  für  die  Erkenntnis 
der  geistigen  Physiognomie  Wichtige  beschränkend.  So  bat  er  sich 
in  die  Gedanken-  und  Empßndungswelt  seiner  Helden  eingelebt, 
dafs  er  sie  durchsichtig  machen  kanu  wie  ein  Drama  Shakespeares. 
Und  das  Resultat?  Der  berüchtigte  Kapuziner  wird  aus  der  Ge- 
sellschaft der  abgefeimten  Schurken  befreit  nnd  in  den  Kreis  der 
bewundernswürdigen  Patrioten  und  grofsen  Christen  versetzt 
Also  eine  totale,  sittliche  Restauration,  bei  der  man  an  die 
Triumphscene  des  Schlusses  unseres  Thierepos  denken  mufs.  Aber 
haben  denn  wirklich  Papst  und  Kaiser,  Nuntien  und  Gesandte, 
Ordensbrüder  nnd  Historiker  sich  zur  moralischen  Ermordung  des 
ausgezeichneten  Mannes  verbündet?  Ist  hier  wirklich  nach  Leo XIII. 
Anspruch  die  Geschichtschreibung  eine  Verschwörung  gegen  die 
Wahrheit  gewesen?  Folgte  Ranke  blind  der  fable  convänue? 
Keinesweges.  Nur  verwandeln  sich  die  Vorwürfe  in  Vorzüge  unter 
dem  Zauberstabe  des  nationalen  Vorteils,  im  Sinne  der  natürlichen 
Grenzen  und  der  Beherrschung  Europas.    Was  diesen  Tendenzen 


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NACHRICHTEN. 


dient,  ist  legitim.  Richelieu  steht  über  Deutschland  wie  e»n 
Beate  spähender  Raabvogel.  Sein  Alterego  unterminiert  das  heilige, 
römische  Reich,  um  die  Ruine  mittelst  der  unter  Frankreichs 
Vormundschaft  gebrachten  Fürsten  zu  ruinieren;  den  Rosenkranz 
des  Hauses  Österreich  zu  zerreifsen,  das  Kaiserbaus  zum  Schatten 
herabzubringen.  Bs  ist  wahr,  was  ein  Edelmann  nach  einer 
Audienz  Josephs  bei  Tilly  ihn  vernehmen  liefs:  ihr  seid  als  Ka- 
puziner verpflichtet,  Friede  iu  der  Christenheit  zu  fördern  und 
entzündet  blutige  Kriege  zwischen  dem  Kaiser  und  den  Königen 
von  Spanien  und  Frankreich,  fort,  erröten  solltet  ihr  über  die 
Schande!  Fagniez  findet  diese  Schande  ehrenvoll,  da  sie  Frank- 
reich erhöhen  will.  Geduldig  verfolgt  er  des  Paters  Fährte 
durch  alle  Misere  der  Politik  auf  endlosen  Schneckengängen  der 
Verhandlungen  vom  ersten  Entwurf  der  geheimen  Instruktion  für 
einen  Gesandten  oder  Agenten  an.  Man  bewundert  ihn  wie 
einen  Anatomen,  der  ein  Präparat  arbeitet,  wenn  er  alle  Fäden 
des  von  Joseph  gewebten  Netzes  aufzeigt.  Man  meint  den  Ka- 
puziner zu  sehen,  wie  er  bei  Negotiationen  viel  spricht,  um  nichts 
zu  sagen,  den  Gegner  mit  Schwung  und  Fener  zum  Sprechen  ver- 
lockt, ihn  durch  allgemeine  Reflexionen  von  der  Hauptsache  ab- 
lenkt, zu  Konzessionen  überrumpelt,  in  weiten  Kreisen  auf  das 
Ziel  losgeht,  bald  kühn,  offen,  herrisch,  bald  herzlich,  liebens- 
würdig, einschmeichelnd ,  oder  bedenklich,  mifstrauisch,  versteckt. 
Mit  diesen  Künsten  bläst  er  z.  B.  in  Regensburg  die  Zwietracht 
an  und  predigt  Eintracht,  entflammt  die  Leidenschaften,  alarmiert 
die  Interessen ,  verbittert  die  Zwistigkeiten  zwischen  Kaiser  und 
Kurfürsten,  mildert  liebevoll  die  Differenzen  dieser  untereinander, 
mischt  als  ehrlicher  Makler  Religion  und  Politik,  Bestechung  und 
Berufung  auf  die  Traditionen  der  alten  fürstlichen  Freiheit.  Das 
ist  der  grofse  Patriot,  dem  die  Türken  gegen  Österreich  will- 
kommne  Alliierte  sind,  den  keine  Skrupel  stören,  wie  sie  Maxi- 
milian von  Bayern  und  die  geistlichen  Korfürsten  hinderten  ihre 
Eide  zu  brechen  und  vom  Kaiser  abzufallen.  Doch  wie  erhält 
man  den  grofsen  Christen?  Paul  V.  nannte  Joseph  l'apötre 
double  d'un  politique,  possede*  d'un  demon  aussi  seduisant  qu'in- 
qutötant.  Ist  das  Verleumdung?  keinesweges.  Freilich  hat  sich 
der  Mönch  bewufst  und  konsequent  für  den  gröfsten  Teil  seines 
Lebenswerkes  von  den  christlichen  Geboten  emanzipiert  Dennoch 
bleibt  er  ein  grofser  Christ,  weil  er  für  die  Macht  der  französischen 
Kirche  arbeitet  als  eines  Koefficienten  der  Oberherrschaft  Frank- 
reichs, und  weil  er  durch  das  Imperium  seines  Landes  die  heilige 
Kirche  zum  Siege  über  Ketzer  und  Ungläubige,  somit  zur  höch- 
sten Lebensentfaltung  führen  will.  Im  Bann  der  krummen  Wege, 
gleichgültig  gegen  die  Mittel  bleibt  er  auch  hier.  Drei  Tage 
vor  dem  Tode  seines  Getreuen  hat  ihn  Richelieu  zum  Theater  in 


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NACHRICHTEN. 


409 


Rueil  eingeladen,  das  Stück  sei  sehr  ernst.  Joseph  erwiderte: 
ich  will  lieber  Komödie  mit  meinem  Brevier  spielen.  Das  hat 
der  Diplomat  gethan,  der  sich  vom  Mönch  die  Absolution  holte 
wegen  des  Sündigens  zum  guten  Zweck,  und  den  Pferdefufs  fast 
zu  weit  hervorstreckte,  wenn  er  seinen  Calvairiennes  Offenbarungen 
suggerierte,  um  Ludwig  XI II.  als  Gewissensrat  politische  Projekte 
plausibler  machen  zu  können.  Jeden  Augenblick  hielt  er  für 
verloren,  der  nicht  der  Verkündigung  und  Ausbreitung  des  Ka- 
tholicismus  gewidmet  sei,  Richelieus  Lauheit,  Weltlichkeit,  Schlaff- 
heit in  dieser  Beziehung  sollten  die  Nonnen  durch  Gebete  bannen 
helfen.  Aber  die  schändlichsten  Mittel  sind  erlaubt,  um  hugenot- 
tische Geistliche  zum  Verrat  nnd  Abfall  zu  locken.  Fagniez 
hat  die  kirchenhistorische  Seite  seines  Stoffes  nicht  minder  gründ- 
lich, ausführlich,  weitsichtig,  mit  derselben  warmen  Anteilnahme, 
mit  demselben  Takt  für  das  Entscheidende,  för  die  eventuelle 
Wichtigkeit  des  kleinen  behandelt  wie  die  politische.  Er  ver- 
steht den  ungeheueren  Einflufs  der  kirchlichen  Fragen  und  be- 
urteilt sie  konfessionell  nicht  befangen.  Er  sieht  ein,  dafs  Hein- 
richs IV.  und  Richelieus  Maximen  auf  religiösem  Gebiet  ebenso 
zur  sittlichen  Verödung  führen ,  wie  auf  politischem  zu  Isoliertheit 
und  Erschöpfung.  Viel  Neues  in  geistvoller  Verarbeitung  dankt 
man  ihm,  wenn  er  den  Anteil  Josephs  am  Reveil  an  der  Re- 
katholisiernng  des  Poitou,  Languedocs,  an  der  Niederwerfung  des 
Hugenottenstaates  im  Staate,  an  den  Missionen,  an  der  Reform 
der  kirchlichen  Disziplin,  an  der  Bekämpfung  des  Richerismus, 
Illumini8mu8,  Jansenismus  schildert.  Die  Kreuzzugschimäre,  die 
Stiftung  eines  Ritterordens  zur  Erweiterung  nnd  Verteidigung  der 
christlichen  Republik,  die  Opposition  gegen  die  Patriarchatspläne 
Richelieus  und  die  konfessionelle  Politik  Berulles,  der  beiden 
Königinnen  nnd  der  Devote,  die  indirekte  Einwirkung  Josephs 
auf  den  Klerus  als  Pfleger  des  Patriotismus  und  der  bürgerlichen 
Tugenden,  die  Begünstigungen  des  politischen  nnd  religiösen 
Gallikanismu8 ,  die  Neubelebung  des  von  der  Renaissance,  dem 
Protestantismus  und  der  eigenen  Korruption  nullifizierten  Ordens- 
wesens, die  riesigen  Erfolge  bei  solchen  Hugenotten,  die  mit  dem 
Calvinismus  nur  noch  zusammengeleimt  waren  durch  Tradition, 
Herkommen,  Vorteile,  Vorurteile,  Negation,  Nebensachen  —  dieses 
alles  findet  eine  tiefdringende  Würdigung  in  dem  auch  für  die 
Kirchengeschichte  sehr  wertvollen  Buche.  Völlig  eins  mit  Fagniez 
in  der  Bewunderung  für  P.  Josephs  Gaben,  Tendenzen,  Mittel, 
Frömmigkeit,  Kirchlichkeit,  Bekehrungseifer  hat  Abbe*  L.  Dedouvres 
in  seinem  Werke  Le  Pere  Joseph  Polemiste.  Ses  premiers  ecrits 
1623—1626,  Paris,  Picard  et  fils,  1895,  637  p.  8,  ein  Supple- 
ment znr  obigen  Biographie  gegeben.  Es  behandelt  die  journa- 
listische Thätigkeit  des  Troglodyten  in  der  Kapuze,  der  anonym 


470 


NACHRICHTEN. 


und  Pseudonym  im  Mercure  francois,  dessen  geheimer  Direktor 
er  1624 — 1628  war,  für  seine  und  Riehe! ieas  Politik  Stimmung 
machte.  Die  „Meisterwerke"  werden  dem  Urheber  kritisch  zu- 
gesprochen, angeblichen  Autoren  abgesprochen,  analysiert,  gelobt, 
chauvinistisch  gewürdigt. 

5.  Im  Oids  1894  giebtFruin  eine  sehr  reichhaltige  Dar- 
stellung der  katholischen  Renaissance  in  Nordnieder- 
land zu  Anfang  des  17.  Jahrhunderts. 

*  6.  Histoire  des  Seminaires  de  Bordeaux  et  de 
Bazas  par  L.  Bertrand,  Directeur  au  Grand  Se'minaire  de 
Bordeaux.  3  Vol.  Bordeaux,  Ferat  freres,  1894.  Der  erste  Band 
der  Seminarmonographie  erzählt  die  Geschichte  der  Anstalt  in 
Bordeaux  bis  zur  Revolution,  der  zweite  die  Restauration  und 
Reorganisation  nach  dem  Konkordat,  der  dritte  ist  dem  Seminar 
in  Bazas  1644 — 1830  gewidmet.  Hundert  Jahre  vor  dem  Tri- 
enter  Konzil  hatte  Bischof  Pay  Barland  das  älteste  Priester- 
seminar in  Frankreich  gegründet.  Die  Beziehungen  desselben  zu 
den  Nachfolgern  des  Stifters  bilden  den  wichtigsten  Teil  der  Ge- 
schichte des  Hauses.  Sie  berührt  vielfach  die  allgemeine  und 
Provinzialkircbengeschichte.  Der  Verfasser  schöpft  aus  Urkunden 
und  guten  Lokal traditionen.  Auch  die  charakteristische  Anekdote 
aus  dem  Professoren-  und  Studentenleben  verschmäht  er  nicht. 
Napoleon  meinte  kraft  des  Konkordats  die  Geistichen  gleich 
Soldaten  be-  und  mifshandeln  zu  können.  Erzbischof  d'Aviau 
erwies  sich  jedoch  als  ein  sehr  begriffstütziger  Rekrut,  dem  weder 
der  Genius  noch  der  Despotismus  des  jüngstältesten  Sohnes  der 
Kirche  imponierte.  Seine  Renitenz  auf  dem  Nationalkonzil  würde 
ihm  eine  Retraite  in  Vincennes  eingetragen  haben,  wäre  er  dem 
Machthaber  mehr  als  eine  alte  Reliquie  gewesen,  die  freilich 
nichts  mehr  wirke,  die  man  aber  doch  nicht  anrühren  dürfe, 
ohne  ein  Volk  von  Tröpfen  aufzuregen.  Unter  vielen  Kämpfen 
ist  er  der  Wiederhersteller  des  Seminars  geworden.  Da  Bazas 
vor  der  Revolution  ein  eigenes  Bistum  mit  autonomen  Kollegien 
war,  erheischte  die  Geschichte  seines  an  die  pätites  äcoles  de 
Port-Royal  gelehnten  Seminars  eine  gesonderte  Behandlung. 

*  7.  Los  Be*n6dictins  de  Saint- Germain-des-Pres 
et  les  Sa v ante  Lyonnais  d'apres  leur  correspondance  in- 
e*dite,  par  rAbbe*  J.  B.  Vanel,  Vicaire  de  Saint  Germain-des- 
Pr&  Paris.  A.  Picard,  Lyon.  E.  Vitte  1894.  X.  379.  Die 
revolutionäre  Kulturbarbarei,  die  dem  durchaus  modernen  Hermann 
Grimm  seine  viel  verhöhnte  Klage  über  Roms  Vernichtung  aus- 
gepreist hat,  wollte  1803,  um  einen  freien  Platz  zu  gewinnen, 
eines  der  schönsten  Werke  französischer  Gotik  niederreifsen ,  die 
Sainte  Chapelle  Pierre  de  Montereaus  im  Pariser  Pallast  Lud- 
wigs IX.  Derselbe  Meister  hatte  als  Seitenstück  zu  diesem  Straufs 


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NACHRICHTEN. 


471 


von  Fensterrosen  die  ebenbürtige  Marienkapelle  in  Saint  Germain- 
des-Pres  gebaut,  die  1794  zugunsten  einer  neuen  Strafse  de- 
moliert war.  Dasselbe  Schicksal  traf  das  vieltürmige  Kloster,  von 
dem  nichts  blieb  als  die  Mauern  der  alten  Kirche  der  Merowinger 
und  der  Pallast  des  Abtes.  In  ihm  wohnen  jetzt  die  Pfarrgeist- 
lichen,  Hüter  grofser  Erinnerungen  an  die  Mauriner;  nous 
conservons,  sagt  Vanel,  en  he*ritage  leur  magnifique  Oglise,  nous 
veillons  sur  leur  cendres,  nos  enfants  recoivent  l'öducation  chre*- 
tienne  et  nos  pauyres  sont  assiste*  dans  le  palais  de  leurs  puis- 
sants  abbes.  Ergriffen  vom  genins  loci,  widmete  Vanel  in  ge- 
lehrter und  christlicher  Pietät  die  dem  Amte  abgesparten  Muße- 
stunden dem  serieux  et  agräable  töte  ä  tete  mit  den  Männern, 
über  dessen  Grabsteine  er  so  oft,  um  zu  celebrieren,  zu  der  Statte 
geht,  wo  einst  Mabillon  jedes  erste  geschriebene  Blatt  eines 
Werkes  auf  dem  Hochaltar  niederlegte.  Er  vergräbt  sich  in  die 
Mauriner-Papiere  der  Nationalbibliothek:  rien  ne  nous  semblait 
plus  reconfortant  et  plus  capable  de  nous  gagner  de  plus  en 
plus  aux  austeres  jouissances  de  la  science  et  de  la  critique, 
que  les  persuasives  1090ns  de  ces  pages  jaunis  par  le  temps  aux 
ecritures  plus  ou  moins  dechiffrables ,  de  pro?enences  si  diverses, 
mais  toutes  pleines  de  la  noble  preoccupation  de  servir  la  vente* 
et  de  la  faire  triompher  du  prejuge'  et  de  l'ignorance.  Diesen 
Gewinn  will  das  Buch  auch  andern  zuwenden,  die  Wahrheit  in 
der  unverhallten,  packenden  Gestalt  der  authentischen  Urkunde 
zeigend.  Die  litterarischen  Verbindungen  Saint  Germains  in  und 
aufser  Frankreich  mit  Mönchen  aller  Orden,  mit  Kapitularen,  Uni- 
versitätslehrern, Autoren,  Samlern  sind  bekannt.  Lyon  hatte  im 
17.  und  18.  Jahrhundert  in  seinen  Klöstern,  Schulen,  Drucke- 
reien, Komptoiren  Männer  von  so  regem  gelehrten  Interesse,  dafs 
die  Entdeckung  einer  Caracallamünze  den  Prävöt  des  marchands, 
die  Jesuiten,  den  General vikar  und  den  Erzbischof  in  Bewegung 
bringen  konnte.  Die  Zeugnisse  der  Beziehung  zwischen  Saint 
Germain  und  Lyon  befinden  sich  in  der  Correspondance  B^nädic- 
tine.  Von  ihren  70  Bänden  kommen  auf  Mabillon  11,  auf  Mont- 
faucon 13,  auf  de  Vic  5,  auf  d'Achery  7.  Manches  bergen  die 
Collectaneen  zum  Augustin,  zum  Monasticon  Gallicanum,  zur  Gallia 
christiana.  Daher  nimmt  Vanel  etwa  130  Briefe  1650 — 1775, 
die  er  in  8  Kapitel  verteilt.  Absender  sind  aus  der  Kongre- 
gation Mabillon,  Louvet,  Cousin,  Martianay,  Germain,  de  la  Serre, 
Gerard,  Clouet,  Fillastre,  Montfaucon.  Zu  den  Empfängern  ge- 
hören De  Vic,  Le  Tallier,  Le  Simon,  d'Achery,  Ruinart,  Martene, 
Bivet,  Montfaucon,  Porcheron,  Pommeryae,  Blampin,  Thuillier,  La- 
taste,  de  la  Vie,  Massuet,  Clouet,  Baffier.  Nicht-Mauriner:  ßey- 
naud,  —  Jesuite,  qui  a  beaucoup  ecrit,  unterschrieb  er  sich  als 
Verfasser  von  21  Folianten,  —  Montmorin.  Erzbischof  von  Vienne, 


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NACHRICHTEN. 


Drouet  de  Maupertuis,  Viennes  Kirchenhistoriker,  Gasparini,  Ge- 
neralabt von  St  Antoine,  der  Buchhändler  Jean  Anisson,  Chatean- 
nenf  de  Bocheion,  Bischof  von  Noyon,  Guerin  de  Tancin,  Erz- 
bischof  von  Embrun,  Kardinal  Fleury,  Erzbischof  Fontanini,  Stifts  - 
bibliotbekar  Müller  in  St  Gallen.  Es  ergehen  Schreiben  an  den 
Erzbischof  von  Lyon,  an  Gattola  Prior  von  Monte- Casino,  an  den 
Tübinger  Kanzler  Pfaff.  An  die  Spitze  der  Sammlung  stellt  Vanel 
Mabillons  dissertation  epistolaire  über  die  Series  Archiepisco- 
porum  Lugdnnensium  als  Aviso  nachfolgender  Diskussionen  über 
d'Acherys  Edition  des  Lanfranc,  des  Guibert  von  Nogent,  des 
Spicilegium,  über  die  Angnstinusausgabe ,  Ruinarts  Acta  Marty- 
rum,  Apologie  de  la  Mission  de  Saint  Maur,  Abrege  de  la  Vie 
de  Jean  Mabillon,  über  die  Histoire  litteraire  de  France,  Mont- 
faucons  Athanasius,  Antiquite's  et  Monuments,  Massuets  Irenaeus. 
Für  Personalien  und  Zeitfragen  lassen  die  gelehrten  Themen 
Baum.  Man  erfahrt  vom  Streit  Saint  Germains  mit  dem  Erz- 
bischof Perefixe  über  das  Privilegium,  kraft  dessen  die  Abtei  die 
quasiepiscopale  Jurisdiktion  über  das  Faubourg  beanspruchte. 
Die  Verstimmung  Clunys  über  gelehrten  Baub  wird  laut;  einer 
der  Anciens  schilt  Louvet,  er  habe  un  des  vötres  gesehen,  empör- 
ter plein  un  sac  de  papiers  et  que  cela  ötait  vole*  hautement 
Der  Kampf  der  Pariser  Buchhändler  gegen  Anissons  Etablisse- 
ment in  der  Stadt  interessiert  alle  Freunde  des  Hauses.  Mabillon 
erzählt  von  seiner  flandrischen  Reise  1672:  fromm  bis  znm  Aber- 
glauben seien  die  gutartigen  Einwohner,  prächtige  Kirchen  und 
Klöster;  die  alte  Disziplin  sei  fast  dahin.  Man  verschreie  in  Gent 
den  honnete  ecclesiastique  de  Buscum,  weil  er  die  Absolution 
den  zu  ihrem  Empfang  nicht  Disponierten  versage.  Die  Funde 
veranlafsten  den  Beschlufs  einer  General  Visitation  der  Häuser 
der  Kongregation,  um  die  Archive  zu  ordnen,  die  Fonds  zu  in- 
ventieren,  Kataloge  zu  machen,  die  Besitzer  der  Pergamente  mit 
Achtung,  Sorge  und  Lust  zur  Benutzung  zu  erfüllen.  Zwölf 
Jahre  widmete  sich  de  la  Serre  (Estiennot)  dieser  delikaten 
Wandermission,  bien  en  rapport  avec  ses  aptitudes  intellectu- 
elles,  sa  nature  affable  et  distinguee,  und  an  zwanzig  Stellen 
wirkte  la  flamme  de  sa  cnriosite*  et  l'exemple  de  l'assiduite  la 
plus  acharnöe  au  travail.  Beiträge  zu  der  noch  ungeschriebenen 
Geschichte  des  Jansenismus  von  Saint  Germain  und  des  Über- 
ganges vom  Zentrum  zur  Linken  zum  Streit  der  Constitutionaires 
und  Appellanten  finden  sich.  Vanel  giebt  seine  Texte  treu, 
nötigenfalls  mit  erläuternden  Noten.  Dem  Herausgeber  steht  der 
Historiker  gleich.  Der  Stoff  ist  in  die  Gruppen  gegliedert:  une 
lettre  ine'dite  de  Mabillon ,  Idsuite  et  Chartreux,  un  collaborateur 
de  bonne  volonte*,  variae,  une  maison  de  librairie  lyonnaise  et  la 
bibliotheque  du  Roi,  le  sons-prieur  Ambronay,  Constitutionnaires 


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NACHKICHTEN. 


473 


et  Appellants,  re*ditenr  de  Saint  Irenee.  Die  Einleitungen  sprechen 
über  Leben,  Charakter,  Studien,  Briefwechsel  der  Hauptfiguren 
und  enthalten  fein  gezeichnete  Porträts  von  Estiennot,  Menestrier, 
Thuillier,  Massuet,  den  Anissons.  Hier  zeigt  sich  Vanels  um- 
fassende Quellenforschung.  Er  geht  auch  auf  den  gelehrten  In- 
halt der  Briefe  ein,  resümiert  die  Fragen  und  sucht  sie  der  Ent- 
scheidung naher  zu  führen.  Den  Texten  entnimmt  er  Aufschlüsse, 
Fakta,  Ideeen  und  verwendet  sie  zu  Darstellungen,  ou  rimagi- 
nation  avec  ses  graces  et  ses  creations  deguise  la  se*cheresse  du 
document  et  orne  sa  nudite\  Einleitungen  und  Schlufs- 
betrachtungen  rahmen  geschmackvoll  die  Documente  ein;  man 
brauche  ja  die  Leser  nicht  abzustofsen,  indem  man  sie  belehre: 
le  gout  et  l'art  ne  sont  pas  necessairement  exclus  parcequ'on 
foumit  de  l'inödit.  Auch  die  note  gaie  fehlt  nicht.  Gegen 
Rances  Bekämpfung  der  Etudes  monastiques  tritt  er  auf  Mabillons 
Seite:  il  reste  invinciblement  demontre*,  que  les  Stüdes  ne  nuisent 
pas  ä  la  rägularite*  monastique,  et  que  la  science  n'est  pas 
diminule  par  la  pieHl.  Launoy,  den  denicheur  des  saints,  findet 
er  überall,  ou  la  critique  peut  exercer  ses  droits  de  reversion 
et  de  suppression.  Einer  der  Lieblinge  Vanels  ist  Estiennot,  le 
pe*lerin  de  l'erudition,  un  homme  capable  d'6crire  de  sa  main 
pres  de  L  volumes  en  folio,  sans  avoir  la  vanite'  d'imprimer  une 
seule  ligne  Immorior  studiis  lautete  sein  Motto  et  amore  senesco 
sciendi,  sed  ea  quae  mihi  prosunt  et  meis  aliquando  profutura 
sint.  Diesen  Freund  Mabillons  zu  behandeln  avec  tous  les  deve- 
loppements  qu'il  appelle,  wird  der  Inhalt  des  nächsten  Buches 
sein,  für  das  sich  der  Autor  legitimiert  hat  wie  wenige.  Ehe  er 
es  den  Freunden  der  Mauriner  darbot,  hat  er  den  Thesaurus  der 
Nekrologe  seiner  Abtei  in  der  Bibliotheque  Nationale  verwertet 
in:  Les  Bönödictins  de  Saint  Maur  ä  Saint  Germain  -  des  -  Pres 
1630 — 1792.  Necrologie  des  religieux  de  la  Congregation  de 
Saint  Maur  decedäs  a  l'abbaye  de  Saint  Germain  -  des  -  Präs  pu- 
blice avec  introduction,  Supplements  et  appendices.  Paris,  Cham- 
pion, 1896.    XIII  et  412  p.  4. 

*8.  L' Eglise  d'Agen  sous  l'ancien  regime.  Pouille'e 
Listorique  du  Diocese  d'Agen  pour  l'annöe  1789  par  TAbbe' 
Durangues.  Agen,  Ferran  freres,  1894.  XVI  et  750  p. 
avec  une  carte.  Toqueville  und  Taine  die  Historiker  des  Ancien 
Regime  wQrden  sich  dieses  Pfründenregisters  gefreut  haben  als 
eines  wichtigen  Beitrages  für  die  Erkenntnis  der  Vermögenslage 
der  alten  französischen  Kirche  und  zur  Widerlegung  vieler  Irr- 
tümer, die  über  diesen  Punkt  tradiert  werden.  Der  Verfasser 
verfügte  über  das  verläfslichste  Material,  Register,  Rechnungen, 
Protokolle  der  Kirchen  Visitationen,  und  kann  Hab  und  Gut  jeder 
kleinen  Dorfpfarre  notieren.    Wie  bei  Prozessionen  der  Bischof 


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174 


NACHRICHTEN 


zuletzt  kommt,  macht  er  die  Pfarren  zu  Ausgangspunkten,  denen 
Abteien,  Priorate,  Kapitel,  Eveche*  folgen. 

*  9.  L'ancien  Clerge  de  France,  deuxieme  partie:  les 
äveques  pendant  la  Revolution  par  PAbbe  Sicard.  Paris,  V.  Le- 
coffre,  1894.  513  p.  8.  Gegenfiber  den  aus  Unwissenheit  nnd 
Parteihafs  gebornen  traditionellen  Urteilen  über  den  Klerus  des 
ancien  regime  ist  Toqueville  für  denselben  mit  dem  Bekenntnis 
eingetreten:  je  ne  sais,  si,  a  tout  prendre  et  malgre*  les  vices 
eclatants  de  quelques -uns  de  ses  membres  il  y  eut  jamais  dans 
le  monde  un  clerge*  plus  remarquable  que  le  clerge  catholiqne 
de  France  au  moment,  ou  la  Revolution  l'a  surpris,  plus  eclairö, 
plus  national,  moins  retranchä  dans  les  seules  vertue  privees, 
mieux  pourvu  des  vertue  politiques  et  en  memo  temps  de  plus 
de  foi.  La  persecution  l'a  bien  montre*.  «Tai  commencö  Petude 
de  Pancienne  socie'tä  plein  de  prejugös  contre  lui  et  j'ai  fini 
plein  de  respect.  Der  Stoiker  Taine  bestätigt  das  Votum:  mon 
jagement,  fonde*  sur  les  textes,  coincide  comme  ailleurs  avec  celui 
de  M.  de  Toqueville.  Les  documents  trop  nombreuses  pour  $tre 
cites  se  trouvent  surtont  dans  les  biographies  et  les  histoires 
locales.  Aus  ihnen  mit  umfassender  Kunde  und  gerechtem  Ur- 
teile schöpfend,  hat  Abbe*  Sicard  im  ersten  Teile  seines  Werkes 
ein  reiches,  erschöpfendes  Beweismaterial  für  die  Urteile  de  Haistres, 
Bnrkes  und  der  beiden  neuesten  Darsteller  des  ancien  regime 
gesammelt  und  trefflich  verarbeitet.  Den  Kommentar  aus  glei- 
chem Stoff  zum  „la  persecution  l'a  bien  monträ"  liefern  Les 
Eveques  pendant  la  Revolution,  urkundlich,  sachlich,  unparteiisch, 
gründlich  gelehrt.  Das  erste  Buch  zeigt,  wie  der  Hafs  gegen 
Kirche  und  Monarchie,  gegen  jene  zum  Teil  um  dieser  willen 
zur  Vernichtung  beider,  zu  dem  der  Entchrtstlichung  Frankreichs 
dienenden  Raube  der  Kirchengüter  fortschreitet  Im  zweiten  wird 
der  Kampf  gegen  die  Zivilkonstitution  dargestellt,  der  dem  Klerus 
die  Bewunderung  der  Mit-  und  Nachwelt  erworben  hat.  Diese 
heroische  Treue  zwang  selbst  Mirabeau  zu  dem  Geständnis:  nous 
avons  pris  leur  bien,  mais  ils  ont  garde*  leur  honneur.  Alle  Ti- 
raden  von  der  allgemeinen  Korruption  der  hohen  Geistlichkeit  wer- 
den vor  Protesten  zu  Schanden,  wie  dem  des  Bischofs  von  Poitiers : 
j'ai  70  ans;  j'en  ai  passe"  35  dans  l'episcopat  ou  j'ai  fait  tout  le 
bien  que  je  pouvais  faire.  Accable*  d'annäes  et  infirmites  je  ne 
veux  pas  deshonorer  ma  viellesse,  je  ne  veux  pas  preter  le  ser- 
ment;  je  prendrai  mon  sort  en  esprit  de  penitence.  Die  Frevel- 
tbaten  der  brutalen  Gewalt  als  Antwort  auf  das  je  ne  veux  pas 
der  Eides-  und  Gottesfurcht,  des  Haltens  an  Amt  und  Recht 
waren  die  höchste  Ehre  für  die  130  Bischöfe  und  100000 
Priester,  in  deren  Sinn  der  Bischof  von  Senez  gesprochen  hatte : 
man  zwinge  mich  nicht,  mein  Amt  zu  verraten;  ma  tete  est  aux 


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NACHRICHTEN. 


475 


homme8,  mais  mon  äme  n'est  qu'ä  Dien;  und  ein  armer  eid- 
weigernder Vikar  dem  beeideten  Pfarrer  auf  die  Frage  comment 
ferez-vous  donc  pour  vivre?  erwiderte:  et  vous  Monsieur  le 
Recteur  comment  ferez-vous  pour  monrir? 

♦10.  A  la  Recherche  d'une  religion  civile.  Par 
l'abbe  Sicard.  Paris,  Lecoffre,  1895.  308  p.  8.  Napoleon  I. 
hat  erkannt  und  ausgesprochen:  ein  Volk  von  Atheisten  sei  nicht 
zu  regieren.  Schon  vor  ihm  hatte  sich  den  Häuptern  des  Ja- 
kobinismus die  Überzeugung  aufgedrängt,  dafs  Religionslosigkeit  und 
Anarchismus  Geschwister  seien.  Nachdem  sie  den  alten  Aber- 
glauben des  Christentums,  wie  sie  meinten,  in  Blutströmen  er- 
säuft hatten,  galt  es  nun  die  Lücke  auszufüllen,  indem  man 
eine  religion  civile  fabriziere,  in  der  auch  Rousseaus  Generaluhr- 
macher eine  Statistenrolle  übernehme.  Nach  dem  Rezepte  rühren 
und  amüsieren  wurde  ein  Sortiment  von  Festen  arrangiert,  Feste 
der  Gründung  der  Republik,  der  Ermordung  des  Königs,  der 
Ächtung  der  Girondisten,  der  Freiheit,  des  heiligen  Feldbans,  der 
Kindheit,  der  Jugend,  des  Alters,  der  Haus-  und  Staatstugenden, 
aller  Tugenden,  des  Höchsten  Wesens,  der  Unsterblichkeit.  Die 
Harlekinaden,  Kapuzinaden,  Albernheiten,  Schenfslichkeiten  dieser 
Karikaturen ,  dieses  teils  blödsinnigen,  teils  diabolischen  Treibens, 
das  seinen  Gipfel  im  Kultus  einer  Buhlerin  und  des  Herzens 
Marats  erreichte,  hat  Sicard  mit  gewohnter  Gründlichkeit  dar- 
gestellt, zur  heilsamen  Abschreckung  von  ähnlichen  Greueln  für 
alle  Zeiten.  C.  Ä.  Wükens. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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Druck  to»  Friedrich  Andres  PertbM  in  Gotha. 


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Inhalt. 


S.ut* 

Untersuehutlgeu  und  Essays: 

1.  Sceck,  Untersuchungen  zur  Geschichte  des  Nizäuischen 
Konzils  ^Fortsetzung  und  Schlufs)  319 

2.  Schulz,  Peter  von   Murrhone  als  Papst  Cölestiu  V. 

(I.  Teil)  363 

Anmlektea : 

1.  Albrecht,  Studien  zu  Luthers  Sendschreiben  an  die 
Christen  zu  Riga  und  in  Liefland  vom  Jahn-  l.VJ-t 

2.  Tschackert,  Nachträge  zur  preufsischen  Reformation»« 


geschichte   410 

Nachrichten : 

1.  Tuchackert,  Zur  neuesten  hirehengesebiebte    ....  414 

'J.   H'ilkens,  Englisches   l"«7 

...  U'ilkew,  Französisches   4G2 


Hierzu  Beilage: 

Verzeichnis  theologischer  Werke  aus  dem  Vel  lage  von 
Friedrich  Andreas  Perthes  in  Ciotha. 


Auagegeben  den  15.  Januar  1897. 


ZEITSCHRIFT 


Ki'i: 


KIRCHENGESCHICHTE. 


II  l'RAL'SGEGRBBX  VON 


D.  THEODOR  BRIEGER. 


IM» 


I       Li    BERNHARD  BESS, 

ttm  zrrr  hClvkakbkitv.r  an  df.r  kol.  tiKiv/.R8)TÄT»BiBi  iothkk  zu  o»Tn»OW. 


XVII.  Band,  4.  Heft. 


GOTHA. 

FKIEDKICH   ANDREAS  PERTHES. 
1897. 


Die  Hefte  der  „Zeitschrift  für  Kirchengeschichte"  erscheinen 
zu  Beginn  eines  jeden  Quartals. 


Mitteilung  der  Redaktion. 

Die  geehrten  Herren  Mitarbeiter  werden  gebeten,  hinfort  in 
der  Regel  ihre  Manuskripte  an  den  zweiten  Redakteur  au  Bonden. 

Auch  sei  darauf  hingewiesen,  dafs  mit  dem  Wegfall  der  Nach- 
richten vom  nächsten  Jahrgang  ab  ein  bedeutend  schnellerer  Ab- 
druck der  eingesandten  Beiträge  erfolgen  wird. 

Die  Nachrichten  werden  durch  eine  Bibliographie  ersetzt 
werden. 


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Peter  von  Murrlion^ls  Papst  £öfestin  V. 


Vom 

Dr.  Hans  Schulz  in  Berlin. 

(Schli  f-.) 


3.  Die  Abdankung;  l. 

Bereits  aber  war  es  auch  Colestin  zum  Bewufstsein  ge- 
kommen, dafs  er  seinen  Platz  nicht  ausfülle.  Man  wird 
nach  dem  bisher  geschilderten  Verlauf  seines  Pontifikates 
sagen  dürfen,  d«ifs  er  die  ihm  angebotene  Würde  über- 
nommen hatte,  ohne  eine  Ahnung  davon  zu  haben,  was  sie 
von  ihm  forderte:  welche  positiven  Kenntnisse  und  Lei- 
stungen und  welche  Aufopferung  alter  Gewohnheiten.  Erst 
als  er  sich  in  dem  neuen  Amte  selbst  befand,  lernte  er 
dessen  Anforderungen  kennen,  da  aber  wurde  er  sich  zu- 
gleich darüber  klar,  dafs  nicht  blofs  seine  körperlichen  wie 
geistigen  Kräfte  nicht  ausreichten  *,  sondern  dafs  er  auch 
keine  Befriedigung  in  den  neuen  Verhältnissen  fand. 

1)  8.  oben  S.  363. 

2)  „  Debilitate  corpoiis"  heifst  es  in  der  Abdankungsformel  (siehe 
S.  493  Anm.  -1).    Jac.  Card.  III.  III,  475: 

Defectus,  Senium,  mores,  inculta  loquela, 

Non  ptudens  animus,  non  mens  expeita,  nee  altum 

Ingenium,  trepidare  monent  in  sede  peritlum 
sagt  er  selbst  vor  den  Kardinälen.  —  Villaiii,  Hist.  Fiotentine  VIII,  5: 
ap  Murat.  SS.  rer.  Ital.  XIII,  347:  non  sentendosi  suftieicnte.  —  Schrei- 
ben der  Kardinäle  bei  IJalan,  II  processo  di  lionifazio  VIII.  Rom 
1881,  S.  82:  humiliter  defectus  proprio»  reeognoscens  patentes  et  n<  tos, 
propter  quos  iinpoteus  reddebatur  et  prorsus  inhabilis  ad  summi  aposto- 
latus  officium  exercendum,  in  tuntum,  quod  nee  mala,  que  e^eiat  in 
papatu,  revoeare  poterat,  nec  sciebat,  sed  nec  a  malis  agendis  in  antea 
Zeitschr.  f.  K.-0.  XVII,  4.  31 

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478 


SCHULZ, 


Wir  haben  gesehen,  wie  seine  Verfügungen  in  Ordens- 
angelegenheiten das  einzige  waren,  was  sich  in  seinem  bis- 
herigen Gesichtskreise  bewegte,   von  den   politischen  Ab- 
machungen zwischen  Aragon  und  Neapel,  welchen  seine 
Bullen  dienten,  verstand  er  nichts  l.    Mehr  aber  als  das 
Gefühl  seiner  Unzulänglichkeit  beunruhigte  es  ihn,  dafs  er 
zu  seinen  gewohnten  Bufsübungen  nicht  mehr  Zeit  genug 
fand,  und  als  er  sich  dieselbe  verschaffte,  geschah  es  auf 
Kosten  der  Pflichten,  die  er  als  Papst  hatte;  beim  Heran- 
nahen der  Advontszeit  liefs  er  sich  eine  hölzerne  Zelle  in 
einem  abgelegenen  Teile  des  Palastes  bauen  *,  die  fast  nur 
für  ihn  und  einen  Altar  Raum  bot    Hier  suchte  er  in  Ge- 
beten und  Bufskämpfen  die  verlorene  Ruhe  der  Seele  wieder- 
zugewinnen, und  hier  wird  es  gewesen  sein,  wo  ihn  eines 
Tages  Franzesko  da  Barberino,  der  provencalische  Dichter, 
erblickte,  wie  er  an  einem  Stück  Brot  nagte,  während  ein 
Diener  einen  Krug  hielt,  aus  dem  er  trank;  dies  sei,  sagte 
der  Papst,  die  weiseste  Art  zu  essen  und  zu  trinken,  die  es 
aut  der  Welt  geben  könne,  und  das  habe  ihn  seine  Mutter 
gelehrt.  Oft  erklärte  er  auch  den  Seinigen :  „  Wenn  es  nicht 
um  Euretwillen  wäre,  wollte  ich  nicht  Papst  sein";  als  sie 
ihn  fragten,  aus  welchem  Grunde,  antwortete  er:  ,,W7eil  ich 
des  Herrschens  so  sehr  überdrüssig  bin,  dafs  es  mir  ein 
gröfserer  Trost  ist,  wenn  ich  alles  durch  mich  selber  thue." 
In  solcher  Lage  mag  er  oft  genug  des  Bibelwortes  gedacht 
haben :  „  Was  hülfe  es  dem  Menschen,  so  er  die  ganze  Welt 
gewönne  und  nähme  doch  Schaden  an  seiner  Seele "  *. 

abstinere,  propter  que  anime  sue  peiiculum  reforuridans  elegit  magis 
papatui  cedere  etc. 

1)  Brief  bei  Barth.  Cotton  ap.  Mon.  Germ.  XXVIII,  611:  tempo- 
ralium  et  omnino  inexpertum. 

2)  Jac.  Card.  III.  III,  321  ff.    Anonymus  8.  den  Anbang  S.  605. 

3)  A.  T  h  o  m  a  s ,  Francesco  da  Barbe)  ino  et  la  letterature  provencale 
en  Italie  au  moyen  age  (Paris  1883),  p.  14  et  181  sqq.:  Vidi  quendan 
ponüficem,  cuius  nomen  taceo  in  presenti,  qui  de  vili  statu  ad  digni- 
tatem  pontifiris  promotus  eztiterat,  nec  servierst  unquam  ulli  nec  alius 
unquara  sibi.  Contigit  quod  rüdes  multi  sibi  similes  secuti  sunt  eum 
et  viventes  ut  rustici  ei  rustice  minist)  abant.  Semel  enim  per  quandam 
cameram  euntem  illum  inreni  cum  pane  uno  in  manu,  morden tem  illuro. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  479 

Die  Führimg  der  Geschäfte  überliefs  er  drei  Kardinälen ; 
zu  ihnen  wird  man  auch  Benedikt  Gaetani  zu  zählen  haben, 
welcher  von  nun  an  mehr  und  mehr  in  den  Vordergrund 
tritt  Die  übergangenen  Kardinäle  jedoch  waren  mit  der 
Übertragung  der  Regierungsgewalt  nicht  einverstanden ;  schon 
war  die  päpstliche  Verordnung,  welche  die  drei  Vertreter 
bevollmächtigen  sollte,  fertig  gestellt,  da  eilte  Matthäus  Orsini 
von  Rom  herbei  und  erhob  lebhaften  Widerspruch  dagegen, 
dafs  an  die  Stelle  eines  Papstes  drei  träten  l. 

Der  erste  Versuch  Cölestins,  sein  früheres  Mönchsleben 
wieder  aufzunehmen  und  mit  seinem  Papsttum  zu  vereinigen, 
war  somit  gescheitert  und  mufste  scheitern,  denn  nach  seiner 
Auffassung  sollten  bei  diesem  Ausgleich  die  Forderungen 
des  Papsttums  zurückstehen  hinter  dem  heiligeren,  unmittel- 
baren Dienste  Gottes,  aber  jene  hatten,  wie  die  Verhältnisse 
wirklich  lagen,  die  bei  weitem  gröfsere  Kraft,  sich  Geltung 
zu  verschaffen.  Wäre  Cölestin  auch  nur  etwas  mehr  Scharf- 
blick eigen  gewesen,  so  hätte  er  den  Konflikt  schon  voraus- 
sehen können,  als  die  Gesandten  der  Kardinäle  ihn  in  seiner 
Zelle  auf  dem  Murrhone  aufsuchten,  und  ihn  vielleicht  ver- 
mieden. Klarer  sehende  Köpfe  haben  ihn  thatsächlich  früher 
erkannt,  die  Kardinäle  Latinus  und  Benedikt  Gaetani  hatten 
ebenso  wie  Karl  II.  auf  diesen  Zwiespalt  ihre  Berechnungen 
gebaut,  aber  es  absichtlich  unterlassen,  Peter  aufzuklären, 
weil  sie  gerade  aus  der  Unvereinbarkeit  der  Gegensätze  in 


et  unum  ex  servitoribus  urceum  tenentem  vini,  cum  quo  bibebat,  et  di- 
centem  pontificem  quod  hoc  erat  sapidius  bibere  et  commedere  quam 

esse  posset  in  mundo  et  quod  hoc  sibi  dixerat  mater  sua  Dicebat 

etiam  iste  pontifex  sepe  suis:  „Nisi  propter  vos  nollem  pontifex  esse/1 
Querebant  quare.  Dicebat:  „Quod  in  tantum  me  imperare  tedet,  ut 
maius  sit  michi  sollatium  cum  omnia  facio  per  me  ipaum."  —  Casti  bei 
Autinori  S.  172  verlegt  die  Scene  vor  die  Ernennung  der  zwölf  Kardi- 
näle, welche  am  18.  September  in  Aquila  stattfand,  und  benutzt  sie 
zur  Begründung  derselben.  Doch  lafst  sich  Barberino  noch  am  22.  Sep- 
tember urkundlich  in  Bologna  nachweisen  (Thomas  S.  13),  und  der 
ganze  Text  scheint  mir,  namentlich  wegen  der  geschilderten  Oemttts- 
erregung  Cölestins,  ziemlich  sicher  auf  die  Zeit  vor  der  Abdankung  in 
Neapel  hinzudeuten. 

1)  Neben  Jacob.  Card.  tgl.  Lei.  Marin.  1.  c  p.  523,  104. 

81* 


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480 


SCHULZ, 


ihm  Vorteil  zu  ziehen  gehofft  hatten.  Menschlicher  fühlte 
und  handelte  Jakopone  von  Todi;  er  wufste,  dafs  Peter  ein 
ruhiges  Leben  dahingab,  um  entweder  Kampf  und  Streit 
oder  ein  drückendes  Joch  dafür  einzutauschen,  und  warnend 
rief  er  ihm  zu  1 : 

„Ist's  das  Amt,  das  Dich  berauschet, 
Hast  Du  wahrlich  schlecht  getauschet; 
Wohl  ein  Fluch  ist's,  Gott  zu  missen 
Wegen  eines  solchen  Bissen. 
Deine  Wahl  hört  ich  mit  Schmerzen, 
Rede  drum  aus  offnem  Herzen; 
Hast  ein  Joch  jetzt  auf  dem  Nacken, 
Dran  Dich  Satan  leicht  kann  packen. 
Wenn  ein  Held,  ein  kühner  Streiter, 
Steht  auf  höchster  Sturmesleiter, 
Soll  man  ihn  stets  sehon  fechten 
Mit  dem  Banner  in  der  Rechten. 
Du  stehst  auf  dem  höchsten  Turme, 
Mitten  im  Gedrang  und  Sturme, 
Wirst  wohl  auch  in  Deinen  Scharen 
Zwietracht  nur  zu  viel  erfahren." 

Aber  die  Ermahnung  des  Mönches  zu  mannhaftem  Aus- 
harren auf  dem  Platze,  auf  den  der  Papst  gestellt  war,  war 
umsonst.  Peter  war  nicht  aus  dem  Holze,  wie  Gregor  VII. 
und  seine  Streiter.  Diese  hatten  erkannt,  dafs  gerade  sie, 
die  geglaubt  hatten,  der  Welt  abgestorben  zu  sein,  nach- 
dem sie  ins  Kloster  gegangen  waren,  die  geeignetsten 
Vorkämpfer  der  Kirche  waren,  denn  sie  besafsen  nichts, 
was  sie  im  Kampfe  hätten  verlieren  können,  und  willig, 
wenn  auch  schweren  Herzens,  verliefsen  sie  auf  den  Ruf 
des  Papstes  ihre  Klosterzelle  und  stellten  all'  ihre  Kräfte  in 
den  Dienst  der  Kirche  und  ihres  streitbaren  Oberhauptes, 
durchdrungen  von  der  Uberzeugung,  dafs  nur  die  Welt- 
herrschaft der  Kirche  die  völlige  Weltflucht  ermöglichen 
werde.  Ein  solcher  Geist  hatte  die  Kirche  zum  Siege  über 
die  äufseren  Machtmittel  des  Kaisertums  führen  müssen. 
Cölestin  aber  versuchte,  sich  durch  heimliche  Flucht  von 

1)  Dissertation  S.  45—46. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


481 


der  Last  zu  befreien,  welche  er  auf  sich  genommen  hatte. 
Man  fand  ihn  in  einer  Kirche  versteckt,  und  auf  die  Frage, 
warum  er  sich  entfernt  habe,  erklärte  er,  er  sei  des  Papst- 
tums satt  und  zu  alt,  er  wolle  abdanken  zugunsten  eines 
anderen,  der  seinen  Platz  besser  auszufüllen  verstehe.  Man 
staunte  und  glaubte,  er  sei  von  Sinnen;  kaum  gelang  es, 
ihn  mit  Bitten  und  guten  Worten  zu  beruhigen,  und  man 
zog  ihn  schleunigst  wieder,  damit  nur  das  Volk  nichts  da- 
von erfahre,  auf  den  päpstlichen  Stuhl  l. 

Nachdem  der  Versuch,  die  eigentliche  Regierung  anderen 
zu  überlassen,  mifsglückt  war,  blieb  für  den  Papst,  wenn 
der  Tod  ihn  nicht  erlöste,  nur  noch  ein  Mittel:  die  Ab- 
dankung Aber  das  war  ein  Ausweg,  welchen,  so  lange  es 
einen  römischen  Bischof  gab,  noch  keiner  beschritten  hatte. 
Bei  der  grofsen  Rolle,  welche  die  Abdankung  Cölestins  später 
in  den  Kämpfen  Bonifaz'  VIII.  mit  den  Colonna  und  Phi- 
lipp IV.,  selbst  noch  jahrelang  über  den  Tod  des  Papstes 
hinaus  gespielt  hat,  dürfte  die  Frage,  wer  zuerst  auf  den 
bisher  unerhörten  Gedanken  gekommen  ist,  keine  müfsige 
sein.  Der  gewöhnlichen  Annahme  zufolge  waren  die  Kar- 
dinäle die  Urheber  des  Planes,  für  welchen  sie  zwei  Gründe 
anführten:  erstens  gerate  die  Kirche  unter  Cölestin  in  Ge- 
fahr und  Verwirrung,  daraus  folge  zweitens,  dafs  sein  eigenes 
Seelenheil  auf  dem  Spiele  stehe,  denn  dereinst  werde  er 
Rechenschaft  ablegen  müssen  vor  dem  Richterstuhle  Gottes 
und  sich  nicht  verantworten  können  wegen  des  Unheils, 
welches  er  als  Papst  angerichtet  habe;  Benedikt  Gaetani 
sei  damit  beauftragt  worden,  dem  Papste  die  Bedenken  der 
Kardinäle  nahe  zu  legen. 

Diese  Form  der  Darstellung  aber  beruht  allein  auf  To- 
lomeo  von  Lucca  *.  Ihm  zufolge  begannen  die  Kardinäle 
bereits  vor  der  Übersiedelung  der  Kurie  nach  Neapel  an- 
gesichts der  M ifs Wirtschaft ,  welche  im  Kirchenregiment 
herrschte,  dem  Papst  Vorstellungen  zu  machen  und,  indem 
sie  seine  Heiligkeit  zum  Vorwand  nahmen,  ihm  darzulegen, 


1)  Ferr.  Vicent.  ap.  Murat.  IX,  966. 

2)  Hist.  eccl.  XXIV,  32. 


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482 


SCHULZ, 


welche  Gefahr  ihm  drohte.  Auf  dem  Wege  nach  Neapel 
drängten  sie  ihn  dann  mit  den  oben  erwähnten  Gründen 
geradezu  zur  Abdankung.  Wenn  nun  auch  Tolomeo  sich 
damals  wohl  an  der  Kurie  aufhielt,  so  steht  doch  seine  Er- 
zählung nicht  blofs  vereinzelt  da,  sondern  auch  geradezu  im 
Widerspruch  mit  den  Mitteilungen  anderer  Zeugen,  welche 
noch  dazu  sehr  wohl  imstande  waren,  diese  Dinge,  um  die 
anfangs  gewifs  nur  ein  kleiner  Kreis  von  Eingeweihten 
wufste,  aus  gröfserer  Nähe  zu  beobachten  als  der  nicht  ein- 
mal zum  Personal  der  Kurie  gehörige  Bischof. 

Sowohl  unser  bestunterrichtetster  und  zuverlässigster  Ge- 
währsmann, der  Kardinal  Jakob,  wie  der  unbekannte  Ver- 
fasser einer  Lebensbeschreibung  Cölestins  *,  welcher  dem 
Papst  sehr  nahe  gestanden  zu  haben  scheint,  lassen  unver- 
kennbar den  Plan  der  Abdankung  im  Kopfe  Peters  ent- 
standen sein.  Jakob  Stephaneschi ,  dessen  Glaubwürdigkeit 
in  dem  vorliegenden  Falle  noch  erhöht  wird  durch  seine 
eigene  Versicherung,  er  habe  den  Papst  selbst  darüber  ge- 
hört schildert  im  Eingang  des  Kapitels ,  welches  die  Ab- 
dankung behandelt,  wie  Peter  sich  zunächst  ganz  allein 
mit  Gewissensbedenken  über  die  Frage  plagt,  ob  er  ab- 
danken dürfe,  darauf  aus  dem  kanonischen  Rechte  sich  Be- 
lehrung zu  verschaffen  sucht  und  erst,  als  er  dieselbe  nicht 
klar  und  deutlich  findet,  einen  Freund  zu  sich  rufen  läfst 
Auch  diesem  vertraut  er  seine  Gedanken  anfangs  nur  im 
geheimen,  dann  zieht  er  noch  einen  zweiten  hinzu,  und  erst 
mehrere  Tage  später  macht  er  dem  ganzen  Kardinalskolleg 
Mitteilung. 

In  vollkommener  Ubereinstimmung  hiennit  befindet  sich 
der  Bericht  des  Anonymus,  Cölestin  habe,  während  er  in 
seiner  hölzernen  Zelle  ganz  abgeschlossen  lebte,  nachgedacht 
über  die  Last,  welche  er  trug  und  über  die  Art  und  Weise, 
auf  welche  er  sie  ohne  Gefahr  für  seine  Seele  von  sich 
werfen  könne.  Auch  die  Darstellung  der  weiteren  Beratungen 
deckt  sich  durchaus  mit  der  des  Kardinals  Jakob. 


1)  Anhang  S.  504  ff. 

2)  Jac.  Card.  HL  III,  353:  ut  nos  vi?a  patris  docuit  vox. 


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PETER  VON  MUKRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


483 


An  die  beiden  so  unmittelbaren  Zeugnisse  reihen  sich 
zwei  andere,  welche  zwar  für  sich  allein  nichts  beweisen 
würden,  aber  in  Verbindung  mit  den  beiden  ersteren  doch 
nicht  ohne  Bedeutung  sind.  Das  eine  ist  die  vorhin  wieder- 
gegebene Erzählung  des  freilich  nicht  zuverlässigen  Ferretus 
Vicentinus,  in  welcher  Cölestin  nach  seinem  mifsglückten 
Fluchtversuch  gleichfalls  zuerst  den  Gedanken  einer  Ab- 
dankung äußert  und  die  Kardinäle  darüber  höchst  erstaunt 
sind ;  das  andere  liefert  Villani  l,  wenn  er  sagt,  Cölestin  habe 
in  dem  Gefühl  seiner  Unzulänglichkeit  und  in  der  Besorgnis 
um  sein  Seelenheil  nach  einem  Wege  gesucht,  auf  dem  er 
sich  des  Papats  entledigen  könne  *. 

Zu  einem  solchen  Quellenbefunde  kommt  die  Erwägung, 
dafs  die  Kardinäle,  falls  der  Plan  von  ihnen  ausgegangen 
wäre,  für  Peter,  dessen  Unbeholfenheit  sie  kannten,  die  Wege 
von  vornherein  mehr  geebnet  und  gegen  Karl  II.,  dessen 
lebhaften  Widerspruch  sie  fürchten  raufsten,  weit  umfang- 
reichere Vorkehrungen  getroffen  haben  würden,  als  es,  wie 
die  folgenden  Verhandlungen  zeigen,  in  der  That  geschehen 
ist.  Man  wird  daher,  wie  mir  scheint,  den  Ursprung  des 
Abdankungsplanes  durchaus  bei  Cölestin  zu  suchen  haben, 
wenn  auch  alte  wie  neue  Geschichtschreiber  3  fast  ausnahms- 
los die  ersten  und  zuverlässigsten  Quellen  aufser  acht  ge- 
lassen und  Tolomeo  von  Lucca  gefolgt  sind. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zur  Darstellung  zurück,  so 
war  für  Peter  jetzt  die  Frage  die,  wie  er  seinen  Plan  aus- 


1)  VIII,  5:  cereava  ogni  via,  come  potesse  renuntiare  il  papato. 

2)  Das  Zeugnis  beider  fällt  um  so  mehr  ins  Gewicht,  als  sie  aa 
mehreren  Stellen  ihrer  Abneigung  gegen  Bonifuz  VIII  deutlichen  Aus- 
druck verleihen,  man  also  gerade  im  Gegenteil  erwarten  könnte,  dafs 
sie  die  Erfindung  des  Abdankungsplanes  seinem  Ehrgeize  zuschrieben. 

3)  Wadding,  Ann.  Minorum,  Lugduni  1628  a.  a.  1294,  IV.  — 
Eggs,  Pontificium  doctum  (1718),  p.  499.  —  Bower-Rambach,  ün- 
parth.  Mist  d.  röm.  Päpste  (1770)  VIII,  229.  —  Planck,  Gesch.  d. 
christlich -kirchl.  Gesellschaftsverfassung  (1809)  V,  11.  —  Tosti  I, 
64.  —  Reumont,  Gesch.  d.  Stadt  Rom  (1867)  II,  617.  —  Sybel, 
Vorträge  und  Aufsätze  (1874).  S.  157.  —  Balan,  II  processo  di  Boni- 
fazio  VIII.  (1881),  p.  29. 


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SCHILZ, 


führen  könne.  Zunächst  suchte  er  im  kanonischen  Rechte 
nach  einer  Bestimmung  durch  welche  sich  der  bisher  un- 
erhörte Schritt  rechtfertigen  liefse,  aber  dort  war  ein  Ver- 
zicht ohne  weiteres  nur  bei  einer  einfachen  Pfründe  erlaubt, 
einem  Prälaten  jedoch  nur  „ex  causa  et  licentia,  scilicet 
propter  humilitatem  et  raeliorem  vitam,  propter  conscientiam 
criminis,  debilitatem  corporis,  defectum  scientiae,  malitiam 
plebis  et  irregularitatem  peraonae',  und  jedes  Amt  sollte  in 
die  Hände  dessen  zurückgegeben  werden,  von  dem  es  erteilt 
war.  So  kam  es  für  Cölestin  jetzt  darauf  an,  eine  causa 
und  eine  licentia  ausfindig  zu  machen.  Im  letzteren  Punkte 
lag  die  Hauptschwierigkeit,  denn  in  wessen  Hände  sollte 
der  Papst,  der  oberste  Herr  der  Christenheit  auf  Erden, 
seine  Würde  niederlegen? 

Um  darüber  zu  beraten,  lieis  Cölestin  „einen  Freund" 
zu  sich  kommen.  Mit  gewohnter  Zurückhaltung  verschweigt 
der  Kardinal  Jakob  a  den  Namen  desselben ,  aber  der  un- 
bekannte Freund  Cölestins  3  bezeichnete  ihn  ganz  bestimmt : 
es  war  Benedikt  Gaetani.  Von  nun  an  ging  die  Leitung 
der  Kurie  an  ihn  über. 

Eine  Zeit  lang  hatte  es  geschienen,  als  sollte  seine  Hoff- 
nung, auf  den  unfähigen  Papst  mafsgebenden  Einflufs  zu 
gewinnen,  durch  die  unbedingte  Übermacht  Karls  vereitelt 
werden,  und  Benedikt  war  klug  genug  gewesen,  sich  in 
diesen  Monaten  still  zurückzuhalten.  Selbst  bei  der  im  ganz 
ausschliefsiichen  Interesse  Karls  ins  Werk  gesetzten  ersten 
Krönung  Cölestins  und  der  Ernennung  der  zwölf  Kardinäle, 
welche  nach  jenem  Besuche  des  Königs  in  Perugia  gegen 
Ende  das  Jahres  1293  neue  unmittelbare  Eingriffe  desselben 
in  die  innersten  Angelegenheiten  der  Kirche  waren,  hatte 
Benedikt  sich  wohl  gehütet,  seinen  alten  Gegner  noch  ein- 
mal durch  einen  Widerstand  zu  reizen,  der  mitten  in  seinem 
Reiche  ohnehin  völlig  aussichtslos  gewesen  wäre. 


1)  Jac.  Card.  III.  III,  371  ff.  Lei.  Marinus  aj>.  Act.  Sanct  Mai 
IV,  524,  106. 

2)  III.  III,  392. 

3)  S.  Anhang  S.  505. 


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PETEU  VON  MÜRKHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  485 

Einem  solchen  passiven  Verhalten  gegenüber  scheint 
Karl  II.  die  verschiedensten  Versuche  gemacht  zu  haben, 
seinen  Gegner  entweder  zu  vernichten  oder  für  sich  zu  ge- 
winnen. Der  späteren  Aussage  des  Kardinals  Peter  Colonna 
zufolge  *,  welche  etwas  übertrieben  sein  mag,  aber  im  übrigen 
zu  der  Lage  der  Dinge  in  jener  Zeit  sehr  wohl  pafst,  fragte 
der  König  in  Aquila  einen  der  beiden  Colonna,  ob  er  auf 
die  Beihilfe  seiner  Partei  rechnen  könne,  wenn  er  Cölestin 
dahin  zu  bringen  suchte,  dafs  er  gegen  Benedikt  vorgehe 
und  ihn  als  Häretiker  des  Kardinalats  beraube.  Jakob  Co- 
lonna aber  riet  dem  Könige  ab,  weil  Benedikts  Häresie 
nicht  sicher  erwiesen  sei  und  weil  —  was  wohl  der  Haupt- 
grund für  den  Kardinal  war  —  ein  solches  Verfahren  sich 
mit  der  Ehre  der  römischen  Kirche  und  des  Kardinalats 
nicht  vertrage.    Da  gab  denn  Karl  seinen  Plan  auf. 

Wie  gesagt  ist  es  zweifelhalt,  ob  oder  inwieweit  man 
den  Worten  des  Kardinals  nach  alledem,  was  sich  in  dem 
voraufgegangenen  Jahrzehnt  zwischen  Bonifaz  VIII.  und  den 
Colonna  ereignet  hatte,  Glauben  schenken  darf.  Liegt  ihnen 
wirklich  ein  Kern  zugrunde,  so  hat  sich  der  König  bald, 
nachdem  er  die  Unaustührbarkeit  seiner  Absicht,  den  Feind 
zu  vernichten,  erkannt  hatte,  zu  dem  Versuche  entschlossen, 
auf  dem  entgegengesetzten  Wege  seiner  Herr  zu  werden, 
oder  zu  gleicher  Zeit  ein  doppeltes  Spiel  gespielt.  Schon 
bei  der  im  September  vollzogenen  Ernennung  des  jüngeren 
Benedikt  Gaetani  zum  Kardinal  sprach  ich  die  Vermutung 
aus,  dafs  dieselbe  ein  Annäherungsversuch  Karls  gewesen 


1)  Bei  Höfler,  „Rückblick  auf  Bonifaz  VIII.14  (Abhdlgn.  d.  bayer. 
Akad.  1843)  unter  den  Aussagen  der  Kardinäle  vor  Klemens  V.,  S.  üO: 
Carolus  ...  in  Aquila  requisivit  cardinalem  de  Colurana,  si  posset  seu 
potnisset  babere  assistcntiam  Columuensium,  quia  intendebat  procurare, 
quod  D.  Coelestinus  procedcret  contra  eum  et  privaret  eum  cardinalatu 
tanquam  haereticum.  .  .  .  Aber  Jakob  Colonna  riet  ihm  ab,  quia  de 
eius  haeiesi  forte  non  ad  pleuum  constaret,  .  .  .  abstineret  pro  honore 
ecclesiae  et  statu  cardinalatus;  et  quia  Rex  Siciliac  non  potuit  babere 
consensum  Colutnnensiuin  ad  processum  praedictum  privationis  fiendae 
ex  causa  baeresis  contra  Bonifacium,  tunc  Benedictum  G,  abstinuit  nec 
fuit  contra  ipsum  processum. 


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486 


SCHULZ, 


sei,  und  jetzt  haben  wir  vom  11.  November  1294  einen 
Brief 1  des  Königs  aus  Capua ,  welcher  dem  Jakob  von 
Avellino  befiehlt,  einer  Klage  des  Vikars  Benedikts,  „des 
Kardinalpriesters  von  St.  Martin  in  Montibus,  unsere  teuer- 
sten Freundes"  wegen  Schädigung  von  Rechten  auf  einen 
ihm  zugehörigen  Wald  Gehör  zu  geben. 

Aber  Benedikt  liefs  sich  weder  durch  die  eine  noch  die 
andere  Mafsnahme  des  Königs  beeinflussen.  Zwar  zeigen 
manche  Erlasse  der  päpstlichen  Regierung,  dafs  die  Kanzlei, 
obwohl  Cölestin  durchaus  in  den  Händen  Karls  II.  war, 
doch  vielfach  ihre  eigenen  Wege  ging 2,  und  gerade  an 
ihnen  mag  Benedikt  nicht  ganz  unbeteiligt  gewesen  sein. 
Im  wesentlichen  jedoch  beobachtete  er  die  gröfste  Zurück- 
haltung, und  dafs  er  es  verstand,  sich  bis  zu  dem  rechten 
Augenblick  zu  gedulden,  ist  nicht  das  letzte,  was  ihm  den 
Sieg  verschafft  hat.  Er  wufste  sehr  wohl,  dafs  der  Rück- 
schlag gegen  das  so  plötzlich  übermächtig  gewordene  fremde 
Regiment  an  der  Kurie  nicht  ausbleiben  konnte,  und  auf 
Grund  seiner  Vergangenheit  —  sowohl  wegen  des  Ansehens, 
welches  er  an  der  Kurie  genofs,  wie  seiner  Stellung  zu 
Karl  II.  halber  —  war  er  der  gegebene  Führer  der  Oppo- 
sitionspartei s.    Sobald  nun  die  Unzufriedenheit  unter  den 

1)  Gregorovius,  Gesch.  d.  Stadt  Rom  (1878)  V,  600,  1:  venerab. 
patris  D.  Benedict!  .  .  .  amici  nostri  carissimi. 

2)  So  Lorenz,  Deutsche  Geschichte  II,  557,  doch  zeigen  die  Re- 
gesten  Cölestins  nur  sehr  wenige  Beispiele  hierfür,  und  wenn  gar  Höfler 
S.  16  (s.  S.  485  Aum.  1)  von  der  „so  vielen  Historikern  entgangenen 
Thatsache"  spricht,  „dafs,  was  die  Behandlung  der  nicht  rein  geist- 
lichen Verhältnisse  betrifft,  .  .  .  zwischen  seinem  Pontifikate  und  dem 
seines  Nachfolgers  kein  merklicher  Unterschied  sich  zeigt,  ja  im  Gegen- 
teil ein  Geist,  der  des  Kardinals  Benedikt,  nachherigen  Bonifa  z  VIII., 
sich  in  dem  einen  wie  in  dem  andern  Pontifikate  erweist",  so  hält  es 
schwer,  hierfür  auch  nur  eine  kleinere  Anzahl  von  Belegen  zu  finden. 
Beweise  vom  Gegenteil  haben  wir  im  vorigen  Kapitel  zur  Genüge  kennen 
gelernt,  und  wie  Cölestins  Zeitgenossen  über  ihn  dachten,  sahen  wir  be- 
reits S.  393  Aum.  1  und  S.  394  Anm.  2.  In  wunderlichem  Gegeusatze 
zu  Höflers  Urteil  steht  auch  das  von  Damberger,  Synchronist. 
Gesch.  der  Kirche  u.  der  Welt  (1851),  XII,  99—102. 

3)  Zutreffend  scheint  mir  das  Urteil  Tostis  I,  61—62,  welcher, 
nachdem  er  von  der  päpstlichen  und  der  angiovinischen  Partei  der  Kar- 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAP8T  CÖLESTIN  V.  487 

Kardinälen  die  geschilderte  Höhe  erreicht  hatte,  war  die 
Zeit  fiir  ihn  gekommen,  es  bedurfte  nur  eines  geeigneten 
Anlasses,  der  ihn  zum  Aufgeben  seiner  bisherigen  Zurück- 
haltung scheinbar  zwang. 

Jetzt  bot  Cölestin  ihm  einen  solchen  dar.  In  seiner  Un- 
gewifsheit,  ob  das  Kirchenrecht  ihm  die  Abdankung  wirk- 
lich gestatte,  konnte  der  Papst  an  niemand  einen  besseren 
Berater  finden  als  an  dem  rechtskundigen  Benedikt  Gaetani. 
Er  trat  daher  mit  ihm  in  die  engste  Verbindung.  Aber 
noch  schien  die  Macht  Karls  zu  grofs  und  der  Plan  im 
Papste  selbst  zu  wenig  entwickelt,  als  dafs  der  kluge  Diplo- 
mat ohne  weiteres  seine  Zustimmung  gegeben  hätte  *.  Schein- 
bar erstaunt  fragte  er,  weshalb  Cölestin  sich  solche  Gedanken 
mache  und  riet  ihm,  sich  nicht  mit  derartigen  Dingen  selbst 
die  Ruhe  seines  Gemütes  zu  zerstören.  Natürlich  drang  der 


dinäle  gesprochen  hat,  fortfahrt:  Di  entrambi  queste  parti  non  poteva 
il  Gaetano  esser  signore,  perche  opposte;  e  a  dire  piuttosto  che  signo- 
reggiasse  quella  che  si  opponeva  agli  artifizi  dello  Zoppo,  cou  cui  er» 
acerbo.  E  questo  signoreggiare  era  appunto  nella  dipendenza  che  ave- 
vano  da  lui,  come  da  uomo  di  singolare  iugegno,  tutti  gli  altri  cardinali. 
S.  a.  Souchon,  Die  Papstwahlen  von  Bonifaz  VIII.  bis  Urban  VIII. 
(1888),  S.  8-9. 

1)  Jac.  Card.  III.  III,  399: 

Ille  tarnen  cautus  roentem  simulare  coegit: 
Cur,  pater,  hic  opus  est?  Quaenam  cunctatio  curam 
Ingerit?  Optatis  absiste  gravare  quietem. 
Die  anfängliche  Weigerung  Benedikts,  auf  Coelestins  Gedanken  ein- 
zugehen, nehmen  einige  so  ernst,  dafs  sie  aus  ihr  sogar  den  Schlufs 
ziehen,  Benedikt  sei  ein  Gegner  der  Abdankung  gewesen,  könne  also 
auch  nicht  beschuldigt  werden,  für  sich  nach  dem  Papsttum  gestrebt 
zu  haben:  Rubeus,  Bonifatius  VIII.  e  familia  Caietanorum  principum 
(Rom  1661),  p.  4.  Aegidius  Colonna:  De  renunciatione  papae,  cap.  23 
(s.  S.  502  Anm.  3):  Potest  quidem  ex  pluribus  adhuc  viventibus  com- 
probari,  d.  Bonifacium  p.  VIII.  .  .  .  persuasisse  d.  tunc  Coelestino, 
quod  non  renuntiaret,  quia  sufficiebat  collegio,  quod  nomen  Suae  Sancti- 
tatis  invocaretur  super  eos.  Auch  Act.  Sanct.  Mai  IV,  469  Anm.  y  zu 
Vers  538.  Wiseman:  Difesi  di  varj  punü  della  vita  di  Bonifazio  VIII. 
(Ann.  delle  scienze  religiöse  [1840]  XI,  261).  —  Meines  Erachtens  war 
es  nur  Vorsicht,  wenn  Benedikt  zunächst  an  sich  hielt;  so  versteht 
auch  Tosti  I,  67  die  Worte  des  Kardinals  Jakob,  er  sagt:  con  modi, 
che  celavano  la  interna  contentezza,  rispose  .... 


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488 


SCHULZ, 


Papst  nur  um  so  heftiger  in  ihn,  und  gleichsam  gezwungen 
erklärte  Benedikt  endlich,  er  könne  abdanken,  wenn  ein 
triftiger  Grund  vorhanden  sei.  Diesen  fand  Cölestin  bald 
in  den  Qualen,  welche  ihm  der  Zwiespalt  zwischen  seinem 
Hang  zum  Eremitenleben  und  seiner  völligen  Unzulänglich- 
keit einerseits  und  den  Anforderungen  des  Amtes  an  ihn 
anderseits  unablässig  verursachte.  Noch  ein  anderer  Ver- 
trauter wurde  gerufen,  der  sich  gleichfalls  einverstanden  er- 
klärte 1 ,  und  nachdem  endlich  auch  eine  gröfsere  Anzahl 
von  Kardinälen  in  das  Geheimnis  eingeweiht  und  um  ihre 
Meinung  befragt  war  * ,  gewann  für  Cölestin  die  Aussicht, 
endlich  seiner  Bürde  ledig  zu  werden,  immer  mehr  an  Wahr- 
scheinlichkeit. 

Es  leuchtet  ein,  dafs  Karl  IL,  dem  die  gepflogenen  Ver- 
handlungen nicht  verborgen  blieben  3,  einer  solchen  Ent- 
wickelung  der  Dinge  nicht  ruhig  zusehen  konnte,  und  nicht 
weniger  bedroht  als  er  waren  die,  welche  durch  ihn  erst 
zur  Macht  gelangt  waren,  die  neuen  Beamten  der  Kurie 
und  die  zwölf  kürzlich  ernannten  Kardinäle.  Dazu  kamen 
schliefslich  noch  die  Brüder  vom  Cölestinereremitenorden, 
deren  Zukunftsträume  zugleich  mit  Cölestins  Papat  zer- 
rinnen mulsten  4. 

Die  letztere  Partei  brach  zuerst  los,  im  geheimen  viel- 
leicht von  Karl  IL  bestärkt,  vom  Volke,  mit  dem  sie  ja  in 
enger  Beziehung  stand,  offen  unterstützt:  eine  erregte  Menge, 
unter  der  sich  zahlreiche  Cölestiner  befanden,  rottete  sich 
zusammen  und  erzwang  den  Eintritt  in  die  Burg,  in  welcher 
sich  der  dem  Papst  angewiesene  Palast  befand.  Der  König 
wird  den  Eindringlingen  keinen  Widerstand  haben  entgegen- 


1)  Jac.  Card.  III.  III,  409: 

Vocat  inde  alinm  quo  ccrtius  esset 
CoDsilium.    Firmabat  ideni. 

2)  Jac.  Card.  III.  III,  420: 

Attainen  absconsi  pandit  secreta  cubilia 
Nonnullis  procerum,  quorum  consulta  reposcit. 
Wie  ihre  Antwort  ausfiel,  erfahren  wir  nicht. 

3)  L.  c.  427:  Sed  verba  latenter  subrepunt  aures  houiinum. 

4)  Dissertation  S.  34  u.  44. 


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PETEK  VON  MTKRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


489 


setzen  lassen,  denn  sie  förderten  seine  Interessen.  Bis  an 
die  einsame  Zelle  Peters  im  Innern  des  Palastes  drang  der 
Haufe  und  verlangte  den  Papst  zu  sehen.  Der  drohenden 
Haltung  der  Menge  gegenüber  wagte  Cölestin  nicht,  seine 
wahren  Absichten  einzugestehen,  voller  Furcht  erklärte  er  *, 
der  Plan,  die  Regierung  niederzulegen,  sei  mehr  nur  ein 
Gedanke  als  ein  wirklicher  Herzenswunsch  von  ihm  gewesen. 

Doch  die  Verleugnung  seines  Abdankungsplanes  war  nur 
erzwungen  und  deshalb  ohne  Dauer.  Schon  wenige  Tage 
später  trat  er  im  Konsistorium  offen  mit  demselben  hervor 
und  forderte  die  Ansicht  des  Kardinalskollegs  über  ihn  ein: 
seine  Schwäche,  sein  Alter,  sein  Charakter,  seine  Unbeholfen- 
heit in  der  Sprache,  der  Mangel  an  Klugheit,  Erfahrung  und 
Geist  —  alles  das,  erklärte  er,  mahne  ihn,  Gefahr  zu  furchten, 
solange  er  den  apostolischen  Stuhl  inne  habe  *.  Die  Ant- 
wort, welche  ihm  das  Kardinalskolleg  nach  längerer  Be- 
ratung erteilte,  bestand  wie  dieses  selbst  aus  zwei  Teilen 
und  läfst  die  Absichten  der  beiden  Parteien  deutlich  hervor- 
treten 3;  einerseits  erkannte  man  die  Berechtigung  der  von 
Cölestin  angeführten  Gründe  an,  anderseits  aber  bat  man 
ihn,  von  seinem  Vorhaben,  welches  bisher  unerhört  und  des- 
halb gefährlich  sei,  abzustehen,  denn  er  drohe  den  Ruf  des 
Papsttums  damit  zu  beflecken ;  er  möge  sich  nicht  übereilen, 
sondern  es  noch  einmal  mit  der  Fortführung  der  Geschäfte 

1)  L.  c.  159: 

At  pater  attonitus  senior,  non  sponte  videndus 
Turbidus  cxibat,  faeiern  demissus  .  .  . 
Animo  maius,  quam  verba,  sod,  inquit, 
Cordis  iu  archivo  geriinus. 

2)  S.  S.  477  Anm.  2. 

3)  L.  c.  484: 

Sic  fantur:  Nunc  .  .  .  licet  alta  senectus 
Praecipitet  stupeatque  uovis  tarnen  insita  cordi 
Fovet.  .  .  . 

491:  Si  libet,  (ut  peumus)  pravis  avertere  mentem 

Consdiis,  quibus  omne  malum,  damnosaque  mundo 
Procedit  novitas;  placeat  desistere  tantis 
Ac  non  auditis,  quibus  et  maculare  videris 
Pomiticis  famam. 


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49U 


SCHULZ, 


versuchen,  vielleicht  könne  er  die  gethanen  Mifsgrifle  wieder 
gut  machen  und  in  Zukunft  sich  vor  ähnlichen  hüten  l. 

In  derselben  Sitzung  wurde  die  Abhaltung  einer  Pro- 
zession beschlossen,  in  welcher  man  Gott  um  seinen  Bei- 
stand in  der  schwierigen  Lage  der  Kirche  anrufen  wollte; 
es  war  das  letzte  Mittel  Karls  II.  und  der  angiovinisch  ge- 
sinnten  Kardinäle,  deren  numerisches  Ubergewicht  im  Kol- 
legium jetzt  durch  Cölestins  immer  stärker  werdende  Sehn- 
sucht nach  Befreiung  allmählich  hinfällig  wurde.  Durch  den 
Eindruck,  welchen  ein  Aufgebot  der  Massen  auf  ihn  machen 
mufste,  hoffte  man  den  Papst  umzustimmen,  und  ein  solches 
ins  Werk  zu  setzen,  fiel  bei  der  Stimmung  der  Cölestiner 
und  des  Volks  nicht  schwer.  Um  den  6.  Dezember  herum  * 
setzte  sich  ein  grofser  Zug,  an  welchem  viele  Bischöfe,  alle 
Mönche  und  die  ganze  Geistlichkeit  des  Königreiches  teil- 
nahmen, von  der  Kathedrale  aus  nach  Cölestins  Palast  in 
Bewegung. 

Als  der  Papst  mit  drei  Bischöfen  an  das  Fenster 
trat  und  den  apostolischen  Segen  erteilte,  bat  ein  Bischof 
aus  der  Prozession  um  Gehör  und  erklärte,  er  spreche  im 
Namen  des  Königs  sowie  der  Geistlichkeit  und  des  Volkes 
vom  ganzen  Königreich  Neapel :  alle  diese  liefsen  den  Papst 
durch  ihn,  den  Sprecher,  beschwören,  auf  keine  Stimme  zu 
hören,  welche  ihn  zur  Abdankung  überreden  wolle,  denn  er 
sei  der  Ruhm  des  Reiches,  und  alle  Völker  wollten  kein 
anderes  Oberhaupt  haben.  Seiner  Gewohnheit  gemäfs  beauf- 
tragte Cölestin  einen  der  ihn  umgebenden  Bischöfe  mit  der 
Antwort  und  liefs  sagen,  er  dächte  nicht  daran,  abzudanken, 
wenn  sich  nicht  etwas  herausstellen  sollte,  wodurch  sein  Ge- 
wissen beschwert  würde.  Mit  dem  Gesänge  eines  Tedeums 
erreichte  dann  die  Scene  ihr  Ende. 

Der  König  hatte  eine  entschiedene  Niederlage  erlitten, 


1)  Ebenso  die  Kardinale  bei  Bai  an  1.  c.  82:  Licet  a  .  .  .  cardi- 
nalibus  fuisset  inductus,  ut  saltem  cessionera  seu  renuntiationem  papa- 
tus  differet,  et  experiretur,  si  adhuc  nonnulla  de  malefactis  suis  posset 
corrijiere  et  a  similibus  abstinere. 

2)  Ptol.  Luc.  XXIV,  32,  welcher  bei  der  Prozession  zugegen  war. 


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PETER  VON  MÜKKHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


491 


die  Antwort  des  Bischofs  liefs  dem  Papste  völlige  Freiheit 
und  zeigte,  wohin  sein  Entechlufs  sich  neigte;  dieses  Mal 
verleugnete  er  nicht  mehr,  wie  einige  Tage  früher,  seine 
wahre  Absicht.  Vielmehr  wurde  er  von  nun  an,  soviel  er 
sonst  unschlüssig  hin  und  her  schwankte,  in  seinem  Ent- 
schlüsse abzudanken  so  fest,  dafs  er  sich  nicht  mehr  von 
demselben  abbringen  liefs  l.  Die  Unzufriedenheit  mit  seiner 
jetzigen  Lage  und  die  Sehnsucht  nach  dem  früheren, 
sorgenfreien  Eremitenleben  gewannen  jetzt  das  entschiedene 
Übergewicht  über  den  Einflufs  des  Königs  und  seiner 
Partei. 

Noch  immer  aber  quälten  zwei  Bedenken  den  Papst. 
Wenn  auch  das  Kardinalskolleg  anerkannt  hatte,  dafs  er 
sich  in  einer  raifs liehen  Lage  befinde,  so  hatte  es  ihn  doch 
zu  gleicher  Zeit  nachdrücklich  darauf  hingewiesen,  dafs  der 
von  ihm  beabsichtigte  Schritt  durchaus  ohne  Präcedenzfall 
sei  und  deshalb  die  schwersten  Folgen  nach  sich  ziehen 
könne.  Zweitens  war  auch  die  Frage,  in  wessen  Hände  der 
Papst  verzichten  solle,  noch  nicht  gelöst.  Unter  solchen  Um- 
ständen mufste  Cölestin  furchten,  dafs  entweder  die  Kardi- 
näle in  einem  zweiten  Konsistorium  seinem  Wunsche  ihre 
Zustimmung  versagen,  oder  die  Abdankung,  selbst  wenn  sie 
auf  irgendeine  Weise  zustande  kommen  sollte,  nicht  die 
allgemeine  Anerkennung  der  Kirche  finden  würde.  So  rief 
er  denn  den  rechtskundigen  Gaetani  von  neuem  und  ver- 


1)  Anonymus  s.  Anhang  S.  506 — 606:  Ita  in  hoc  consilio  finnavit  cor 

suura,  quod  nullus  itlum  ab  illo  potuit  removere   Audiens  et  videns 

idem  papa  tantam  pietatem  omnium,  qui  aderant  (bei  der  Prozession), 
distulit  illam  voluntatem,  sed  a  proposito  coneepto  nunquam  recessit, 
nec  fletibus  nec  clamoribus  nec  etiam  rogaminibus.  —  Die  Kardinäle 
bei  Balan  8.  83:  Firmiter  in  renuntiandi  papatui  proposito  persistebat. 
Cumque  a  Uli  proposito  non  posset  aliquatenns  revocari  etc.  —  Wenn 
jedoch  Conz,  Kleine  pros.  Schriften,  S.  351,  meint,  Cölestin  sei  durch 
die  Prozession  „nur  mehr  in  seinem  Entschlüsse  befestigt,  schien  ja 
das  Opfer  doch  jetzt  nur  gröfser  und  der  Ruhm  der  Entsagung  glän- 
zender, erhabener'4,  so  lagen  meines  Erachtens  derartige  Erwägungen 
Cölestin  völlig  fern,  er  wollte  nur  heraus  aus  einer  Lage,  in  der  er 
sich  vollkommen  unzureichend  und  daher  unglücklich  fühlte  und  oben- 
drein noch  für  sein  Seelenheil  fürchtete. 


49  2 


SCHULZ, 


handelte  ganz  geheim  mit  ihm;  so  geheim  l,  dafs  Fern- 
stehende und  selbst  der  König  über  den  Erfolg  der  Prozession 
vollkommen  getäuscht  wurden  und  schon  glaubten,  Cölestin 
habe  den  ganzen  Plan  fallen  gelassen.  Benedikt  wies  ihn 
nun  auf  Klemens  I.  hin2,  welcher,  wie  er  nach  damaliger 
Anschauung  3  auseinandersetzte,  vom  Apostel  Petrus  zu  seinem 
Nachfolger  ernannt,  abgedankt  hatte,  damit  nicht  die  Er- 
nennung eines  Nachfolgers  durch  den  regierenden  Papst  zur 
Gewohnheit  würde.  Auch  für  die  zweite  Schwierigkeit 
wufste  Benedikt  Rat,  indem  er  das  Kardinalskolleg  für  be- 
rechtigt erklärte,  die  Würde,  die  es  zu  vergeben  habe,  auch 
wieder  zurückzunehmen,  wenn  der,  dem  es  sie  übertragen, 
sie  nicht  weiter  führen  könne  oder  wolle.  Auf  Grund  dieser 
beiden  Erwägungen  erliefs  Cölestin  mit  Zustimmung  der 
Kardinäle  ein  Dekret  4,  demzufolge  es  dem  römischen  Papste, 
wenn  gewisse  genügende  Gründe  vorhanden  seien,  gestattet 
sein  sollte,  abzudanken  b. 


1)  Jac.  Card.  III.  III,  519: 

Interea  Murro  post  tot  consulta  virorum 
Atque  lepugnantes  animos  aveitere  verba 
Ccdendi  longeque  suas  protendere  curas 
Dissimulans  .  .  .  quoad  .  .  .  patres 
Crediderint.  hunc  nolle  giadum  dimittere  pritnum. 
Cumque  foret  geuerata  fides  omnesque  putarent 
Rex  etiam  etc. 

2)  Villani  VIII,  5.  Ptol.  Luc.  XXIV,  33.  Anonymus  S.  506.  An- 
tonius bei  Hayn.  1294,  19. 

3)  Infolge  eines  Mifsverständnisses  einer  Stelle  im  54.  Kapitel  des 
ersten  Klemensbriefes.  S.  Herzog  u.  Pütt.  Protest.  Rcalencyklopädie 
unter  „Klemens  von  Rom".    Ilcfele  VI,  273*. 

4)  Die  Kaid.näle  bei  Balan  S.  83:  circumspectio  ...  cardinalium 
persuasit  eideui,  ut  de  eorundem  fratrura  consilio  constitutionem  faceret 
.  .  .  quod  tarn  ipse  quam  Romaui  pontifiecs  qui  tempore  forent  possent 
renuntiare  papatui  in  manibus  sui  collegü,  quam  consitutionem  .  .  . 
fecit  de  eorundem  .  .  .  consilio  unanimi  et  concordi.  —  Corpus  iur. 
can.  Lib.  VI.  Decret  üb.  1,  tit.  Vll  De  renuntiatione:  Coelestiuus  V. 
.  .  .  deliberatione  habita  cum  .  .  .  cardinalibus,  de  quoruin  uumero 
tunc  eramus,  de  nostro  et  ipsorum  omnium  concordi  consilio  et  assensu 
.  .  .  statuit  etc. 

5)  Das  Dekret  wird  zwischen  dem  Tage  der  Prozession  und  dem 
10.  Dezember  erlassen  sein,  denn  in  der  Bestätigung  von  Gregors  X. 


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PETER  VON  MCJRRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


193 


In  den  Tagen  vom  10. — 13.  Dezember  mufs  das  Gegen- 
spiel der  beiden  Parteien  ein  äufserst  lebhaftes  gewesen 
sein:  am  10.  Dezember  setzte  Karl  II.  noch  einmal  die  Er- 
neuerung des  Konklavegesetzes  Gregors  X.  durch,  und  eben- 
so läfst  die  Ernennung  des  Königs  zum  Senator  von  Rom, 
welche  am  nächsten  Tage  erfolgt  sein  soll  l,  darauf  schliessen, 
dafs  die  Macht  Karls  am  päpstlichen  Hofe  noch  nicht  ganz 
gebrochen  war,  oder  dafs  man  ihr  Zugeständnisse  machte. 
Aber  bereits  zwei  Tage  später  vollzog  sich  das  Ereignis,  um 
welches  sich  der  heifse  Kampf  der  letzten  Zeit  gedreht  hatte. 
Am  13.  Dezember  1294  2  verzichtete  Cölestin  auf  die  höchste 
Würde,  welche  nach  damaliger  Autfassung  die  Christenheit  zu 
vergeben  hatte.  Im  vollen  Ornat  erschien  er  im  Konsistorium, 
und  nachdem  er  im  voraus  deu  Kardinälen  geboten  hatte, 
ihn  nicht  zu  unterbrechen,  verlas  er  folgende  Abdankungs- 
formel, welche  Benedikt  Gaetani  am  Tage  vorher  in  Über- 
einstimmung mit  ihm  verfafst  hatte  3 : 

„Ich4,  Papst  Cölestin  V.,  bestimmt  durch  gesetzliche 


Konklavegesetz  am  10.  Dezember  (Potthast  24019)  ist  bereits  die  Mög- 
lichkeit der  Abdankung  eines  Papstes  ins  Auge  gefafst.  Vgl.  auch 
Ptol.  Luc.  cap.  83:  Ante  istam  autem  cessionem  de  consilio  et  assensu 
Fratrum  Constitutionen!  facit,  quod  Papa  potest  in  certis  casibus  re- 
signare.  Damit  wird  die  Angabe  des  Jac  Card.  III.  III,  523.  655, 
welche  zudem  im  Gegensatz  zu  allen  anderen  Q  icllen  steht  und  auch 
unwahrscheinlich  ist,  widerlegt,  dafs  nämlich  die  Verzichtleistung  am 
13.  Dezember  den  Kardinälen  unerwartet  gekommen  sei  und  sie  erst 
nach  derselben  ein  solches  Dekret  verlangt  hätten.  Ihm  folgen  Tosti  I, 
IV,  82  (gegen  ihu  Roviglio  bei  Antinoii  230.  2)  und  Hefele  VI,  273 
bis  274.    Vgl.  Drumanu,  Gesch.  Bnnifaz'  VIII.  (1852)  I,  12—13. 

1)  Casti  bei  Antinori  200  ohne  Quellenangabe. 

2)  Potthast  II,  1921.  —  Auffallend  ist  die  falsche  Zeitbestimmung 
in  dem  Schriftstück  der  Kardinäle  bei  Ii  a  lau  S.  82:  A.D.  1295,  mense 
Januarii,  in  die  bcate  Lucie  Virginis.  Die  ülriueu  Zeitbestimmungen 
in  demselben  sind  richtig. 

3)  Anonymus:  D.  lienedictuni  et  fecit  se  dneeii  et  scrib-.  —  Jac*. 
Card.  HI.  Iii,  531:  nec  defuit  eius  auetor. 

4)  Ego,  Coelestinus  papa  V,  motus  ex  leu'itimis  causis,  i.  e.  causa 
hurailitatis  et  melioris  vitac  et  eouscirntiae  illaesae,  d.  bilitate  covpn-is, 
defectu  scientiae,  nialiguitate  plebis  et  iiitirmitatc  persona«  et  ut  p:ac- 
teritae  eonsolationH  vitac  possiin  i eparare  quietem,  spoute  ac  libere 

ZeiUtflir.  f.  K  -G.  XVII.  4.  32 


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494 


SCHULZ, 


Gründe,  nämlich  um  der  Demut  und  eine»  vollkommeneren 
Lebens  und  eines  verletzten  Gewissens  willen,  wegen  Ge- 
brechlichkeit meines  Körpers,  Mangels  an  Kenntnissen,  Müs- 
gunst des  Volkes,  persönlicher  Unzulänglichkeit  und  um  die 
tröstliche  Ruhe  meiner  früheren  Lebensweise  wieder  zu  ge- 
winnen, trete  aus  eigenem  Antrieb  und  freiem  Willen  vom 
Papsttum  zurück,  verzichte  ausdrücklich  auf  Stand  und 
Würde,  Last  und  Ehre  und  gebe  von  diesem  Augenblick 
an  dem  heiligen  Kollegium  der  Kardinäle  volle  und  un- 
beschränkte Freiheit  —  nur  dafe  es  den  Gesetzen  gemäfs 
geschehe  — ,  für  die  gesamte  Kirche  einen  Hirten  zu  wählen 
und  zu  bestellen." 

Die  Formel  war  eng  an  diejenige  angeschlossen,  welche 
das  Kirchenrecht  bereits  für  den  Verzicht  auf  die  höheren 
kirchlichen  Würden  enthielt,  natürlich  mit  entsprechenden 
Änderungen 

Darauf  stieg  Cölestin  von  seinem  Throne  herunter,  legte 
sämtliche  päpstliche  Abzeichen,  den  Hing,  die  Krone  und 
den  Mantel  ab  und  setzte  sich  auf  die  Erde  nieder.  Der 
Anblick  so  rührender  Demut  machte  selbst  auf  die  gewifs 
nicht  weichherzigen  Kardinäle  einen  tiefen  Eindruck,  „wenn 
auch  bei  vielen  die  Freude  gröfser  war  als  die  Trauer"*. 

cedo  papatui  et  ex  presse  rem.ntio  loco  et  dignitati,  oneii  et  bonori; 
dans  plenam  et  liberara  facultatem  ex  nunc  sacio  metui  cardiualium 
eligendi  et  provideudi ,  dumtaxat  ranonice,  universali  ecclesie  de  pa- 
store.  —  Ciac-Oldoin  11,  274.  Raynald  1294,  20.  Marini,  Vita  e 
miracoli  di  S.  Pietio  del  Moroiie  (Mail und  1640),  p.  400.  Bzovius 
1294,  X.  Über  <!en  wohl  unbegründeten  Zweifel  an  der  Echtheit  der 
Formel  s.  Lei.  Marinus  1.  c.  525,  109. 

1)  S.  S.  484:  conscientiae  illaesae  für  con seien tiam  criminis,  infirm  i- 
täte  personae  für  irregularitatem  pers.  Das  melioris  vitae  und  der  Zu- 
satz ut  praeteritae  —  q niete m  zeigt  ausdrücklich,  dafs  die  Sehnsucht 
nach  dem  alten  Eremitenleben  einer  der  hauptsächlichsten  Giüude  für 
die  Abdankung  war.  Auffallend  sind  bei  der  bekaunteu  Stimmung  des 
Volkes,  besonders  nach  dem  uugestümen  Auftteteu  desselben  in  der  Burg 
und  der  Prozession  die  Worte:  inalitmitate  plebis;  hier  scheint  man 
Cölestn  getäuscht  zu  haben.  Mit  dem  Schiufa:  dans  plenam  etc.  ist 
dem  Rate  Benedikts  gemäß  nunmehr  das  Kai  diuals-kolleg  an  die  Stelle 
des  sonst  erforderlichen  Vorgesetzten  getreten. 

2)  Der  Anonymus  bei  Balau  S.  33. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLEST1N  V.  495 

„Du  fliehst  das,  wonach  jeder  Thor  und  jeder  Weise  zu- 
gleich verlangt",  sagte  Matthäus  Orsini  zu  ihm ».  Auf 
Grund  des  vor  wenigen  Tagen  erlassenen  Gesetzes  schritt 
man  dann  zur  Beratung  darüber,  ob  die  von  Cölestin  vor- 
getragenen Gründe  in  der  That,  wie  es  in  jenen  Bestim- 
mungen verlangt  war,  ausreichend  seien  *.  Das  Ergebnis 
war  die  Annahme  der  Abdankung8,  wie  es  unter  den  ob- 
waltenden Umständen  nicht  anders  sein  konnte:  es  war  ja 
der  lebhafteste  Wunsch  der  Kardinäle  selbst,  dem  Zustande 
der  Verwirrung  und  der  fortwährenden  Beeinflussung  durch 
Karl  II.  sobald  als  möglich  ein  Ende  zu  machen.  Dazu 
kam  als  zweiter  nicht  zu  unterschätzender  Beweggrund,  dafs 
die  Abdankung,  welche  von  der  ausdrücklichen  Bewilligung 
des  Kardinalskollegiums  abhängig  gemacht  war,  von  neuem 
die  Stellung  desselben  gegenüber  dem  Papsttum  erheblich 
stärkte  *. 

Von  einer  Last  befreit,  welche  ihn  in  Wahrheit  zu  er- 
drücken gedroht  hatte,  eilte  Peter,  als  er  endlich  sich  selbst 
wiedergegeben  war,  mit  dem  Ausdruck  höchster  Freude  in 
den  Augen  und  Gesichtszügen  aus  der  Versammlung,  „als  6 


1)  Jac.  Card.  III.  III,  665: 

Refugis,  quod  postulat  omnis 
Iudoctus  prudensque  simul. 

2)  Wenn  auch  das  voraufgejrangene  Dekret  die  Möglichkeit 
einer  Abdankung  ausgesprochen  hatte,  so  mufste  doch  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  das  Kardinalskolleg  darüber  beraten,  ob  die  zur  Bedingung 
gemachten  Gründe  wirklich  vorhanden  waren.  Dafs  jenes  Dekret  früher 
erlassen  war,  ist  sicher  bezeugt,  und  die  Angaben  des  Kardinals  Jakob 
(s.  S.  492  Anm.  5)  sind  daher  hier  nicht  zuverlässig. 

3)  Vgl.  das  Schreiben  Bonifaz'  VIII.  vom  22.  Januar  1295  (Rayn. 
1296,  8):  Vacante  Rrnnana  ecelesia  per  .  .  .  Petri  de  Morone  .  .  .  ces- 
sioncm  .  .  .  a  cardiualibus  praedictis  admissam,  cum  illam  posse  sie 
legitime  fieri  et  primorum  gesta  pontificum  et  constitutio  declarent 
apertius  et  etiara  faciendam  expressus  accesserit  cardinalium  praedicto- 
rum  assensus.  —  Jac.  Card.  III.  III,  570.  —  Balan  S.  83:  babitaque 
deliberatione  solenni  idem  collegium  cessionem  et  renuntiationem  huius- 
modi  aeeeptavit. 

4)  So uc hon  S.  9  —  10  bezeichnet  die  Abdankung  geradezu  als 
„einen  neuen  Abschnitt  in  der  Entwickelung  des  Kardinalats". 

6)  Petrarca,  De  vita  solitaiia,  Lib.  II,  tract.  III,  cap.  18:  Au- 

32  ♦ 


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49G 


SCHULZ, 


wenn  er  nicht  seine  Schultern  einer  angenehmen  Last,  sundern 
den  Hals  dem  schrecklichen  Beile  entzogen  hätte"  Unver- 
züglich begab  er  sich  in  seine  Zelle  innerhalb  des  Palastes, 
legte  das  langersehnte  Mönchsgewand  wieder  an  und  harrte 
der  Wahl  seines  Nachfolgers,  um  vor  ihm  sein  Herz  aus- 
zuschütten und  volle  Absolution  zu  empfangen  l. 


Es  ist  kein  Zweifel:  neben  der  Sehnsucht  Cölestins  nach 
Freiheit  hatte  die  römische  Partei  des  Kardinalskollegiums 
den  Hauptanteil  daran,  dafs  die  Abdankung  wirklich  zu- 
stande kam.  Vor  allem  hatte  Benedikt  Gaetaui  als  Führer  * 
dieser  Partei  in  den  letzten  Tagen  eine  hervorragende  Rolle 
gespielt,  und  da  er  aus  all  diesen  Wirren  schliefslich  als 
Papst  hervorging8,  kann  es  nicht  wunder  nehmen,  dafs 
nicht  nur  zu  seiner  Zeit  seine  Feinde,  sondern  auch  viele 
Geschichtschreiber  bis  herab  auf  unsere  Tage  der  Ansicht 
Ausdruck  verliehen  haben,  das  Ganze  sei  von  ihm  ins  Werk 
gesetzt  und  durchgeführt  in  der  Absicht,  sich  an  Stelle 
Cölestins  auf  den  päpstlichen  Thron  zu  schwingen  *. 


divi  narrantes,  qui  viderunt  tanto  illum  fugisse  cum  gaudio  eaque  sign* 
lactitiae  spiritalis  oculis  ac  fronte  gestallte,  dum  a  conspectu  conrilii 
iain  tandem  sibi  redditur  ac  liber  abscederet,  quasi  non  humerum  blando 
oneri  sed  Collum  diria  securibus  subduxisset,  utque  eius  in  vultu  nescio 
quid  angelicum  reluceret 

1)  Jae.  Card.  III.  III,  578: 

babitus  mutaverat  omnes 
Papatue,  chlamydem  vestitus  terga  pilosam. 
Fit  monachu8,  qui  papa  fuit 
Lei.  Marinus  1.  c.  526,  110.  —  Eine  bereits  ausgeschmückte  Darstel- 
lung des  ganzen  Hergangs,  auch  mit  freierer  Fassung  der  Abdankung«- 
fonnel,  s.  bei  Barth.  Cotton  ap.  Mon.  Germ.  XXV11I,  611. 

2)  Carlo  de  Lellis,  Discorsi  delle  famiglie  nobili  del  regno  di  Na- 
poli  (Neapel  1654)  I,  186  berichtet,  Benedikt  sei  der  Beichtvater  Cö- 
lestins gewesen,  eine  Thatsache,  welche  sehr  interessant  wäre,  weun 
man  wüfate,  wie  de  Lellis  zu  seiner  Angabe  kommt. 

3)  Nie.  Wiseman,  Difesa  di  vaij  puuti  della  vita  di  Bonifa zio  VIII. 
(Annali  delle  scienze  religiöse  [1840]  XI,  260.  —  Ann.  de  philosophie 
chretienne  [1842J  V,  428). 

4)  Den  genau  entgegengesetzten  Standpunkt  vertritt  Tosti  I,  IV,  82 


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PETER  VON  MURR  HONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  497 


Treten  wir  der  so  oft  wiederholten  Meinung  näher,  so 
müssen  wir  zunächst,  nachdem  sich  uns  oben  als  die  gröfsere 
Wahrscheinlichkeit  ergeben  hat,  dafs  der  Ursprung  des  Ab- 
dankungsplanes bei  Cölestin  und  nicht  bei  den  Kardinälen 
zu  suchen  ist,  den  Vorwurf  zurückweisen,  der  Gaetani  habe 
den  Plan  erdacht  und  Cölestin  zur  Befolgung  desselben  über- 
redet l.  Eine  andere  Frage  ist  die,  inwieweit  er,  als  die 
Verhandlungen  in  Gang  gekommen  waren,  sie  in  seinem 
Interesse  zu  lenken  versucht  hat.  Auch  hier  haben  Spätere 
die  schwersten  Anschuldigungen  gegen  ihn  erhoben.  Man 
erzählt 2,  er  habe  öfter  des  Nachts  durch  ein  Rohr  oder  eine 
Öffnung  in  der  Wand  dem  in  seiner  Holzzelle  betenden 
Cölestin  zugeflüstert  oder  zuflüstern  lassen  —  sodafs  der- 
selbe einen  Engel  zu  vernehmen  glaubte  — ,  er  solle  die 
Verlockungen  der  falschen  Welt  fliehen  und  Gott  allein 
dienen,  sonst  werde  er  an  seiner  Seele  Schaden  leiden.  Nach 
anderen 3  hätte  er  heimlich  vor  das  Bett  des  schlafenden 
Papstes  Schriftstücke  werfen  lassen,  auf  denen  mit  goldenen 
Buchstaben  es  wie  göttliche  Offenbarung  geschrieben  stand, 
dafs  Cölestin  im  Papsttum  sein  Heil  nicht  finden  könne  4. 

Solche  Berichte  sind  schon  aus  äufseren  Gründen  ver- 


und  a.  a.  0.  Celest.  V.  rinunziö  al  pontificato  non  ispinto  da  alcimo  e 
meno  dal  Gaetani.    Gegen  ihn  Roviglio  bei  Antinori  210  ff.  228  ff. 

1)  Franc.  Pipimis:  persuasor  enim  fertur  abdicationis  Coelestini 
u.  a.  —  Dagegen  Rubeus  1.  c.  2G2— 263.  Wisemau  1.  c.  261—263 
Ann.  de  phil.  ehret.  V,  418—424.    Balan  1.  c.  29—31. 

2)  Ferr.  Vicent.  ap.  Murat.  IX,  966.  Job.  Victoriensis  ap.  Boehmer 
Fontes  Rer.  Germ.  I,  334.  Istore  et  Cron.  de  Flaudres,  ed.  K.  de, 
Lettenhove  (1879),  p.  199.  Piatina,  De  vitis  pontiiieum.  Phil  Bergo- 
mas Lib.  XIII  u.  a.  —  Job.  Lonaus,  Chron.  Monast.  S.  Bertini  ap. 
Mon.  Germ.  XXV,  866  sagt  wenigstens:  dicunt  aliqui,  foite  invidi  etc.  — 
S.  Graf,  Miti,  loggende  e  superstizioni  dei  Medio  Evo  (Torino  1893)  II, 
223—230. 

3)  Martini  Oppaviensis  Contin.  Brabautiua  ap.  Mon.  Germ.  XXIV, 
261;  er  sagt  zwar  zuerst  nur:  qnidam  cardinalis  ...  litteras  ...  iactari 
fetit,  nachher  aber  von  Bonifaz  VIII.:  Istc  ftiit  ille  Benedictas,  qui  p. 
Coelestiuum  circumvenit. 

4)  Mit  unbestimmten  Ausdrücken  finden  sich  Beschuldigungen  bei 
den  Ann.  Lubiceuses  ap.  Mon.  Germ.  XVI,  416.  —  Anu.  Haleslirunnenses 
Majores,  ibid.  XXIV,  46.  —  Sifridus  de  Balnhusin,  ibid.  XXV,  712. 


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498 


SCHULZ, 


dächtig,  da  kein  Zeitgenosse  von  ihnen  weifs;  vielmehr  tau- 
chen sie  erst  nach  jener  Zeit  auf,  in  der  gegen  Bonifaz  VIII. 
zahlreiche  ähnliche  Schmähungen  wegen  der  Verfolgung  der 
Colon  na  erhoben  worden  waren.  Selbst  die  letzteren  wissen 
in  ihrer  eigenen ,  gegen  den  Papst  verfafsten  Parteischrift, 
in  welcher  sie  die  Gültigkeit  der  Abdankung  Cölestins  be- 
streiten, nichts  von  solchen  Machenschaften  des  ehemaligen 
Kardinals,  und  sicher  würden  sie  diesen  Anklagepunkt  nicht 
vergessen  haben,  wenn  sie  auch  nur  die  geringste  Begrün- 
dung für  ihn  hätten  vorbringen  können  l.  Ein  Blick  auf  den 
Charakter  Cölestins  und  sein  hcifses  Verlangen,  die  Bürde 
des  Papsttums  möglichst  bald  von  sich  werfen  zu  können, 
zeigt  aber  auch,  dafs  solche  Kunststücke  ganz  unnötig  ge- 
wesen wären  *. 

Sind  mithin  diese  groben  Beschuldigungen  als  unberechtigt 
anzusehen,  so  wird  man  doch  auf  der  andern  Seite  zugeben, 
dafs  Benedikt  bei  der  Abdankung  Cölestins  ebenso  wenig 
wie  bei  der  Wahl  desselben  aus  reiner  Uneigennützigkeit 
gehandelt  hat,  wenn  er  den  Papst  in  seinem  einmal  gefafsten 
Entschlüsse  mehrmals  von  neuem  bestärkte  und  ihm  die  Aus- 
führung auf  jede  Weise  zu  ermöglichen  suchte*.  So  zu 
handeln  hatte  er  einen  doppelten  Grund.  Einmal  war  er 
Mitglied  des  Kardinalskollegiums,  dessen  Unzufriedenheit  mit 


1)  Rocquain,  Journal  des  Savants  (1875),  p.  67. 

2)  S.  Le  Clerc,  Bibliotheque  ancienne  et  moderne  (1718)  X,  I, 
44—46.  —  Bower-Rambach  VIII,  230.  —  Für  die  Glaubwürdigkeit  der 
Beschuldigungen  spricht  sich  8chroeckh,  Christi.  Kirchengesch.  (1798) 
XXVI,  621  aus. 

3)  Die  Schilderung  seines  Verhaltens  bei  Ferr.  Vicent.  ist  zwar  in 
etwas  bissigen  Ausdrücken  gehalten,  aber  im  wesentlichen  doch  woht 
zutreffend:  Quod  prudens  et  «atutus  Benedictus  Cajetanus  mente  con- 
cipiens  et  ad  id  decus  animum  suum  extollens  audacter,  Uli  se  familiä- 
rem et  gratum  snlito  magis  exhibuit.  et  ut  perhibent,  in  obsequio  stu- 
diosum.  Atque  interea,  dum  saepe  sibi  laudatum  vitae  solitariae  otium 
intelligeret,  rite  iudicasse  credebat,  ipsumque  magis  ceremoniis  et  tem- 
plorum  ministerio,  quam  rei  susceptae  vocitabat  aptissimum:  cuius  per- 
suasione  roaior  ei  subibat  impetus  resignandi.  —  Nie.  Trivetus,  ed. 
Th.  Hog  (1845),  p.  333  und  Wilh.  Rishanger,  ed.  Riley  (1865),  p.  145: 
de  consilio  Benedicti  Gaietani  cessit  papatui. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  499 

Cölestin,  Feindschaft  gegen  Karl  II.  und  Herrschaftsbestre- 
bungen  gegenüber  dem  Papsttum  sattsam  erörtert  sind,  und 
zweitens  wird  er  sehr  wohl  gewufst  haben,  dafs,  wenn  es 
ihm  gelang,  die  Abdankung  wirklich  herbeizufuhren,  niemand 
mehr  Aussichten  auf  den  Thron  hatte  als  er  mit  seiner  an 
Erfahrungen  und  Erfolgen  reichen  Vergangenheit,  in  seiner 
Stellung  als  Führer  der  römischen  Partei  und  als  derjenige, 
dem  hauptsächlich  das  Verdienst  zukam,  die  Kirche  von  der 
Regierung  eines  unf  ähigen  Papstes  und  eines  weltlichen  Fürsten 
befreit  zu  haben.  Zweifellos  war  sein  Blick,  während  er, 
äufserlich  betrachtet,  nur  die  Sache  Cölestins  und  seiner 
Anhänger  vom  Kardinalskollegium  führte,  bereits  auf  die 
päpstliche  Krone  gerichtet.  Man  wird  daher  schwerlich  in 
das  Lob  seiner  begeisterten  Verehrer  1  einstimmen,  welche 
ihm  die  Herbeiführung  der  Abdankung  als  eine  den  Papst 
und  die  Kirche  zu  gleicher  Zeit  befreiende  und  aus  reiner 
Sorge  um  das  Wohl  der  Kirche  unternommene  That  zur 
höchsten  Ehre  anrechnen;  aber  auch  eine  Anklage  auf  An- 
wendung verwerflicher  Mittel  wird  sich  nicht  rechtfertigen 
lassen,  seine  Handlungsweise  war  klug,  wenn  man  will, 
achlau,  aber  nicht  verurteilungswürdig. 

Was  nun  die  Abdankung  selbst  betrifft,  so  hat  die  Nach- 
welt sehr  verschieden  über  sie  geurteilt  *.  Dante  erblickt 3 
in  seiner  göttlichen  Komödie,  bevor  er  über  den  Charon 


1)  Rubeus  II,  258—264.  Wiseman  1.  c.  257—267.  Ann.  de  phil. 
ehret  V,  421—429. 

2)  Schon  Wadding  1294,  VII:  Varie  scripserunt  de  hac  abdicatione 
historici;  sunt  qui  digne  extollant,  atque  hi  melioris  notae;  alii,  qui 
reprehendant,  sed  ii  pauci,  atque  indigne  quidem. 

3)  Inferno  III,  69 ff.: 

Vidi  e  conobbi  l'ombra  di  cohü 

Che  fece  per  viltate  ü  gran  rifiuto. 

Incontanente  intesi,  e  cei  to  fui 

Che  quest*  era  la  setta  dei  cattivi, 

A  Dio  spiaeeoti  ed  ai  nemiti  sui. 
Die  gewöhnliche  Auslegung  bezieht  die  Verse  auf  Cölestin.  Vgl.  Murat. 
Antiqu.  Ital.  I,  1038.    Victorelli  bei  Ciac.-Old.  II ,  275  bezieht  sie  auf 
Esau.    Innocenzo  Barcellini  da  Fossombrone  (Cölestinerabt) :  Industrie 
filologiche  etc.  (Milano  1701).    Ludovisi  bei  Antinori  1.  c.  18—26. 


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500 


SCHULZ, 


gelangt,  unter  der  Schar  der  Charakterlosen,  welche  weder 
Himmel  noch  Hölle  aufnehmen  wollen,  „den  Schatten  dessen, 
der  aus  Kleinmut  den  grofsen  Verzicht  gethan",  und  an 
anderer  Stelle  läfst  er  Bonifaz  VIII.  sprechen  von  den  beiden 
Schlüsseln,  die  sein  Vorgänger  nicht  wert  gehalten  habe  l. 
Andere  dagegen  preisen  die  Handlungsweise  Cölestins  als 
„ein  Beispiel  der  Demut,  staunenswert  allen,  nachgeahmt 
von  wenigen4'  2,  und  Petrarca  scheint  sich  ausdrücklich  gegen 
Dante  zu  wenden,  wenn  er  sagt3:  „Mag  die  That  des  welt- 
flüchtigen und  heiligen  Vaters  dem  Kleinmut  zuschreiben, 
wer  da  will  —  ich  halte  sie  vielmehr  für  die  That  eines 
hohen  und  freien,  keine  Fessel  duldenden  und  wahrhaft 
himmlischen  Geistes".  Ja  er  scheut  sich  nicht,  Cölestin  um 
seiner  letzten  Regierungshandlung  willen  höher  zu  stellen 
als  die  Apostel  und  viele  Heiligen:  „Die  einen  haben  ihre 
Nachen  und  Netze,  andere  ihre  kleinen  Besitzungen,  die 
einen  ihr  Zollhaus,  andere  sogar  Königreiche  oder  Aussichten 
auf  solche  verlassen  und  sind  dem  Herrn  Christus  nach- 
gefolgt, sind  Apostel,  Heilige  und  Freunde  Gottes  geworden: 
den  Papat  aber,  das  Höchste  von  allem,  —  wer  hat  den 
jemals,  namentlich  seitdem  er  von  so  hohem  Wert  geworden, 
mit  so  bewunderungswürdigem  und  erhabenem  Sinn  ver- 
schmäht wie  Cölestin?" 

Und  welches  Urteil  sollen  wir  fällen?    Nach  all'  dem, 


1)  Inferno  XXVII,  103: 

.  .  .  perö  son  due  le  chiavi, 
Che  il  mio  autecessor  non  ebbe  care. 

2)  Jordanus  bei  Rayn.  1294,  21.  —  Franc.  Pipin.  ap.  Murat.  IV, 
736  sagt:  Exetnplum  tantue  humilitatis  et  abjoctionis  voluntariae  relin- 
quens  posteris,  a  nullis,  ut  reor,  aut  paucissimis  imitandum.  Uude  non. 
tarn  suam  electionern ,  quam  resiguationem  admirati  sunt  universi. 
Fertur  ante  papatum  et  post  miraculis  claruisse.  Quod  si  dicatur  inira- 
culum,  unde  inirantur  homines,  quod  rarum  est  et  insolitum  eveniret 
miraculosa  eius  resignatio  orbi  proponitur  in  exempluin. 

3)  De  vita  solitaria,  Lib.  II,  tract.  III,  cap.  18:  Quod  factum  soli- 
tarii  sauetique  patns  vilitati  (Dante  1.  c. :  per  viltate)  aniini  quisquis 
volet  attribuat,  —  ego  prorsus  altissimi  cuiusdam  et  liberrimi  et  iugura 
nescientiH  vereque  coelestis  anitni  factum  reor.  Vgl.  Ludovisi:  Giudizio 
di  Franc.  Petrarca  6ulla  Kinuncia  di  Cel.  V. 


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PETEK  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V 


501 


was  wir  von  Cölestin  gehört  haben,  werden  wir  weder  allein 
den  Heiligen,  noch  auch  nur  den  unfähigen  Papst  in  ihm 
sehen1.  Will  man  ihn  mit  dem  strengsten  Mafsstabe 
messen,  so  ist  es  freilich  leicht,  gegen  ihn  den  Vorwurf  zu 
erbeben,  dafs  er  die  Pflichten,  welche  er  als  Papst  auf  sich 
genommen  hatte,  nicht  erfüllt,  sondern  in  echt  mönchischem 
Egoismus  zugunsten  seines  Hanges  zur  Einsamkeit  und  As- 
kese vernachlässigt  habe.  Aber  wenn  es  wahr  ist,  dafs  der 
Historiker  nicht  nach  einem  absoluten  Mafsstabe,  sondern 
unter  Berücksichtigung  der  jeweiligen  Umstände  *,  und  nicht 
allein  nach  seinem,  sondern  aus  dem  Denken  und  Fühlen 
derjenigen  Zeit  heraus,  die  er  behandelt,  urteilen  soll,  so 
wird  der  Spruch  über  Cölestin  ein  milderer  sein.  Gewifs 
hat  sein  Pontifikat  der  römischen  Kirche  mehr  Schaden  als 
Nutzen  gebracht,  aber  Peter  hat  sich  wahrlich  nicht  aus 
seiner  Klause  zum  höchsten  Thron  der  Christenheit  heran- 
gedrängt; nicht  ehrgeiziges  Streben,  sondern  Pflichtgefühl 
oder  fremde  Einwirkung  bestimmte  ihn,  dem  an  ihn  ergan- 
genen Rufe  Folge  zu  leisten.  Und  auch  dafs  er  trotz  seiner 
völligen  Unzulänglichkeit  einen  solchen  Schritt  gewagt  hat, 
kann  man  ihm  gerechterweise  nicht  als  moralische  Schuld 
anrechnen,  denn  er  war  sich  seiner  Unfähigkeit  ebenso  wenig 
bewufst,  wie  er  die  Pflichten  seines  neuen  Amtes  kannte  3. 

Sodann  aber  wollen  wir  doch  Cölestin  nicht  ohne  Rück- 
sicht auf  die  Verhältnisse,  in  welchen  er  lebte,  beurteilen, 

1)  Vgl.  Casti  bei  Antinori  203:  La  rinuncia  di  Celestino  V  non  fu 
atto  ne  di  viltä,  ne  d'eroismo:  fu  il  sereno  couipimento  d'un  rigoroso 
dovere,  che  iueombe  a  chiunque  si  trovi  in  un  ufficio  nou  punto  pro 
porzionato  e  di  gran  hmga  superiore  alle  proprio  forze. 

2)  Vgl.  Casti  bei  Antiuori:  Celestino  V  etc.  154—155. 

3)  Ich  stimme  hier  dem  Urteil  von  Le  Clerc  1.  c.  p.  47  bei,  wel- 
cher meint:  ob  Cölestin  zu  loben  oder  zu  tadeln  sei  —  cela  dopend  de 
la  connoissance,  qu'il  pouvnit  avoir  de  lui  —  meine  et  de  l'etat  des 
choses.  .  .  .  S'il  sc  sentoit  en  eiat  de  remplir  diirnement  1c  poste, 
auquel  on  l'avait  elcve\  il  fit  mal  de  rabandonner  ä  des  cardinaux 

aussi  factieux   Mais  s'il  n'avait  pas   assez  de  lumiöres,  de 

Penetration  et  d'etcndue  d'esprit,  pour  s'aquitter,  conime  i!  falloit,  d'un 
emploi  si  difficile,  il  avait  malfait  de  l'aceepter  et  il  ne  fit  pas  mal  de 
s'en  defaire. 


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502 


SCHULZ, 


und  in  dieser  Beziehung  dürfen  wir  dreierlei  nicht  vergessen : 
erstens,  dafs  die  Schule  des  Lebens,  welche  Cölestin  durch- 
gemacht hatte,  höchst  unvollkommen  war:  sein  Mönchsleben 
hat  ihn  auf  Handlungen  von  der  Tragweite  und  der  Kom- 
pliziertheit, wie  man  sie  von  ihm  als  Papst  verlangte,  nicht 
im  mindesten  vorbereitet,  und  seine  kurze  Reise  nach  Rom 
scheint  die  einzige  Gelegenheit  gewesen  zu  sein,  bei  welcher 
er  aus  seiner  engen  Zelle  heraus  und  in  andere  Verhältnisse 
kam.  Zweitens  ist  zu  bedenken,  von  welchen  Ideeen  ein 
grofser  Teil  der  Menschen  jener  Zeit  und  namentlich  jener 
Gegend  erfüllt  war;  dieselben  Ideeen  lebten  auch  in  Cölestin, 
wenn  auch  nicht  mit  der  gleichen  Kraft  wie  in  den  eigent- 
lichen Spiritualen;  in  ihnen  allein  schien  die  Rettung  der 
Christenheit  zu  liegen,  und  gerade  weil  Cölestin  so  war, 
wie  er  war,  schien  er  ihnen  zum  Siege  verhelfen  zu  sollen  l. 
Endlich  aber  hat  bei  allen  seinen  Handlungen,  selbst  bei 
denjenigen,  welche  dem  Wohle  der  Kirche  schnurstracks 
zuwiderliefen,  jede  böse  Absicht  ihm  völlig  fern  gelegen  2. 
Selbst  seine  Gegner  haben  ihm  thatsächlich  schlechte  Hand- 
lungen nicht  nachgesagt,  und  zweifellos  war  er  bemüht, 
nach  bestem  Können  seines  Amtes  zu  walten.  Hält  man 
sich  alles  das  gegenwärtig,  so  wird  man  Cölestin  nicht  ver- 
dammen, vielmehr  die  Schuld  daran,  dafs  sein  Papat  die 
Interessen  der  Kirche  nicht  gefördert  hat,  weniger  ihm  als 
denen  zumessen,  welche,  wie  die  Kardinäle  es  bei  der  Wahl 
beabsichtigten  8,  seine  Schwächen  im  eigenen  Interesse  aus- 
beuten wollten  oder  wirklich  ausgebeutet  haben,  wie  Karl  II. 
und  seine  Kreaturen  thaten. 


1)  Der  Erörterung  dieses  Punktes  dient  das  dritte  Kapitel  meiner 
Dissertation. 

2)  Jacob,  de  Vorag:  Et  quamvis  non  ex  malitia,  sed  ex  quadam 
simplicitatc  haec  faceret. 

3)  Die  juristische  Frage  nach  der  Gültigkeit  der  Abdankung  dürfen 
wir  hier  wohl  aus  dem  Spiele  lassen.  Vgl.  dazu  die  Abhandlung  des 
P.  Joh.  Olivi ,  welche  Ehrle  im  Archiv  f.  Litteratur-  und  Kirchengesch, 
des  Mittelalters  III,  526  veröffentlicht  hat.  Dann  Aegidius  Colonua: 
De  renuntiatione  papae,  ap.  Roccaberti:  Biblioth.  maxima  pontirlcia 
(Rom  1695)  II,  cap.  23.    Hinschius,  Kirchenrecht  I,  295. 


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PETER  VON  MURRHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V.  503 

Wie  ein  Experiment  fa9t,  welches  die  Weltgeschichte 
einmal  auf  eine  kurze  Spanne  Zeit  sich  erlaubte,  erscheint 
der  Pontifikat  dieses  seltsamen  Mannes.  Seit  den  Tagen  der 
Rluniacenser  und  Gregors  VII.  hatten  die  beiden  grofsen, 
von  ihnen  verfochtenen  Ideeen,  so  entgegengesetzt  sie  waren, 
nebeneinander  fortbestanden:  die  Idee  der  Weltflucht  und 
die  der  Weltherrschaft  der  Kirche.  Aber  während  nach  dem 
Sinne  der  ersten  grofsen  Kluniacenser  die  Weltherrschaft 
nur  das  Mittel  zur  Herbeiführung  der  völligen  Weltflucht 
sein  sollte,  hatte  das  Streben  nach  ihr  allein  schnell  die 
Oberhand  gewonnen  und  war  von  einem  Innocenz  III.  zum 
Siege  geführt  worden;  im  13.  Jahrhundert  endete  das  ge- 
waltige Ringen  wider  das  Kaisertum  mit  der  völligen  Ob- 
macht  der  Kirche,  und  Päpste  wie  Gregor  IX.  und  Inno- 
cenz IV.  schraubten  bereits  die  Ansprüche  Roms  zu  einer 
Höhe  empor,  über  die  hinaus  es  keine  Steigerung  mehr, 
sondern  nur  noch  einen  Sturz  zu  geben  schien.  —  Da,  un- 
mittelbar bevor  der  anmafsendste  und  herrschsüchtigste  aller 
Päpste,  unter  welchem  dann  die  Katastrophe  über  das  Papst- 
tum hereingebrochen  ist,  sich  auf  den  römischen  Stuhl 
schwang,  kam  jenes  andere  Extrem  der  Kluniacenser  zum 
Durchbruch,  und  ein  Mann  wurde  auf  den  höchsten  Platz 
der  Christenheit  gestellt,  der  sein  Leben  lang  nichts  gethan 
hatte,  als  sich  in  völliger  Weltflucht  üben,  und  der  für  an- 
deres weder  Sinn  noch  Verständnis  hatte.  Wohl  jubelten 
die  Massen  ihm  zu,  und  die  Eiferer  für  kirchliche  Strenge 
erhofften  von  ihm  die  Erfüllung  ihrer  hochgespannten  For- 
derungen,  aber  der  Ubergang  geschah  zu  jäh,  der  Gegensatz 
gegen  das  Althergebrachte  war  zu  schroff,  und  der  Papst 
selbst  zu  wenig  zur  Durchführung  eines  so  gewaltigen  Wer- 
kes geeignet,  als  dafs  der  Umschlag  hätte  von  Dauer  sein 
können.  Bereits  wenige  Monate  nach  seiner  Wahl  fühlte 
Cölestin  selbst,  dafs  sich  das  Prinzip  der  Weltflucht  nicht 
vereinigen  lasse  mit  dem  weltbeherrschenden  Papsttum  und 
war  froh,  sich  schon  nach  einem  halben  Jahre  seiner  Würde 
entledigen  zu  können.  In  den  nächsten  Jahrzehnten  wurden 
dann  auch  seine  Anhänger,  welche  zunächst  als  Spiritualen, 
später  als  Fraticellen  mit  immer  wachsender  Heftigkeit  die 


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504 


SCHULZ, 


Rückkehr  der  Kirche  zur  apostolischen  Einfachheit  ver- 
langten, zum  Schweigen  gebracht 


Anhang. 


Rubeu8,  Bonifacius  VIII.  e  familia  Cajetanorum  (Rom  1651), 
S.  6.  12.  13.  (262).  —  Wisemann,  Annali  delle  scienze  reli- 
giöse (Rom  1840),  XI.  262  —  263.  —  Tosti,  Storia  di  Boni- 
fazio  VIII.  etc.  (Montecassino  18  46),  I.  232.  —  Bai  an,  II 
processo  di  Bonifazio  VIII  (Rom  1881),  S.  32 — 33  teilen  aus 
dem  vatikanischen  Archive  (Cod.  Arm.  VII.  Capsula  I  n.  I)  ver- 
schiedene Bruchstücke  einer  namentlich  die  Abdankung  Cölestins  V. 
behandelnden  Aufzeichnung  mit,  welche  ich  mehrfach  (S.  478.  482. 
484.  491 — 494)  verwendet  habe,  da  ich  sie  für  sehr  zuverlässig 
halte.  Um  dem  Leser  ein  Urteil  über  dieselbe  zn  ermöglichen, 
stelle  ich  im  folgenden  die  einzelnen  Teile,  welche  sich  an  den 
angeführten  Stellen  zerstreut  finden,  zusammen.  Wo  mehrere  Les- 
arten 1  vorhanden  sind,  lege  ich  den  von  Balan  gegebenen  Text 
zugrunde. 

Incipit  de  contlnua  eouversatione  8.  Celestinl,  quam 
quidam  suus  seripsit  devotus  *. 

.  .  .  Nam  3  contigit,  ut  una  diernm  apud  urbem  Perusinam 
Cardinales  ad  exequias  cuiusdam  Nobilis  4  congregarentur,  quorum 
nonnulli  de  Papali  electiono  coeperunt  tractare  ad  invicem  dicen- 
tes:  Eamus  in  nomine  Jesu  Christi  ad  Papam  eligendum;  et  forte 
Dens  pietate  sua  grcgi  suo  dignabitur  providere.  Iiis  igitur  in 
unum  convenientibus  post  factum  orationem,  qui  vocem  primam 
habebat  instigante  Spiritu  Sancto  dixit 5 :  In  nomine  Patris  et 
Filii  et  spiritus  saucti,  Ego  eligo  Fratrem  Petrum  de  Morone; 
ad  cuius  vocem  omncs  stupefacti  et  tanquani  spiritu  illuminati 


1)  Die  Anfangsbuchstaben  K,  W,  T.  B  geben  an,  bei  welchem  der 
oben  penannten  Autoren  die  Textabweiehnngcn  voi kommen.  2)  \V. 
262,  B  32.  3)  Nam  —  uon  tardamnt  nur  bei  R  6.  4)  Vgl.  Jac. 
Card.  II   I,  30 ff.       5)  Vgl.  Jac.  Card.  II.  I,  83  ff. 


PETER  VON  MUKRHONE  ALS  PAPST  CÖELSTIN  V. 


505 


unanimes  et  uno  ore  praefatom  Fratrem  Petrum  elegerunt,  et 
facto  decreto  ad  eundem  eloctom  illad  mittere  non  tardarunt  *. 


Adveniente  2  vero  quadragesima  s.  Martini  Papa  ille  sanctus 
decrevit  solus  raanere  et  orationi  vacare;  feceratque  sibi  cellam 
ligneam  3  intra  cameram  fieri,  et  caepit  in  eadem  solus  manere, 
sicnt  ante  facere  consueverat.  Et  4  sie  ibidem  permanente  6  cepit 
cogitare  6  de  onere,  quod  portabat,  si 7  quo  modo  posset  ülud 
abicere  absque  periculo  et  discrimine  sue  anime.  Ad  8  hos  suos 
cogitatus  9  convoeavit10  unumn  sagacissimunm  atque  18  probatissi- 
mnm  cardinalem18  tunc  temporis,  dominum  Benedictum u,  qui,  ut 
hoc  audivit,  gavisus  est  nimium  et  respondit  ei  dicens,  quod 
posset16  libere;  et16  dedit  eidem  exemplum  aliquorum  Pontificom, 
qualiter  olim  renuntiaverunt17.  Ille18  audito19,  quod  posset*0  pa- 
patum  renuntiare,  ita  in  hoc  consilio*1  firmavit  cor  sunm,  quod 
nullus  iüum  ab  illo  potuit  removere. 


Audiens28  et  videns  idem  Papa  tantam  pietatem  omnium,  qni 
aderant,  distnlit  illam  volnntatem,  sed  a*4  proposito  coneepto  nun- 
quam  recessit  nec  fletibus  nec  clamoribus  nec*6  rogaminüms;  sed 
contieuit  ad  tempns  fere  octo  diebus,  ut  non  molestaretur*6.  Et 
sie  per  istam  sufferentiam  omnes  credebant  ipsum  ab  illo  peni- 
tnisse  proposito.    Sed  infra  octo  dies  convoeavit  ad  se  istum, 


1)  Vgl.  jedoch  Dissertation  S  31  Anm.  35.  2)  Adveniente  .  .  . 
consueverat  bei  W  262.  3)  Vgl.  Jac  Card.  III.  III,  320 ff.  4)  Et 
—  aniine  bei  W  202  —  203,  B  32;  coepit  cogitare  —  animae  bei 
T  232.  5)  W:  Et  in  eudem  ibi  permanente.  6)  R  12:  cngitare 
coepit  ebenso  bis  absque  pe:irulo  animae  suac,  dagegen  S.  202  die 
Variante:  Anxio  pnntinVis  animo  cardinalium  voeibus  commoto  et  cogi- 
tanti  de  onere  —  animae  suac.  7)  W:  et.  8)  Ad  —  libere  bei 
W  263,  T  232,  B  32.  Ad  —  Bein  dictum  bei  R  13.  9)  R:  cogi- 
tatus suos.  10)  W,  T:  advoeavit.  11)  fehlt  R.  12)  R:  et.  B: 
ad  quo  13)  R,  T:  Cardinaiem  Benedirtum.  14)  Vgl.  Jac.  Card. 
III.  III,  392:  acciri  coram  eui  fatur  ainicum  15)  T:  posset  papatui 
libere  renuntiare.  16)  et  —  renuntiaverunt  bei  W  203,  T  232. 
17)  T:  renunciaverant.  18)  W,  T:  Hoc  illo  audito  19)  audito  — 
removere  bei  W  263,  T  232,  B  32.  20)  W,  T:  posset  papatui  libere 
renuntiare  (W  ohne  libere).  21)  consilio  fehlt  T.  22)  Hier  steht 
ein  StOrk  wie  aus  den  Worten  Wisemans  hervorgeht:  Lo  scrittore 
poi  continua  diceudo,  ehe  essendosi  Rparsa  largamente  voce  dello  iuten- 
dimento  di  Celestino.  il  clero  di  Napoli,  con  esso  l'arcivescovo  alla 
testa,  si  eondussero  al  Castel  Nuovo,  dove  egli  sogtriornava ,  per  pre- 
garlo  che  volesse  rimnove  o  dal  su<»  proposito.  23)  Nur  bis  sed  bei 
W  263.  24)  a  —  debe-et  bei  W  203,  B  33.  25)  W:  Nec  etiam. 
20)  Vgl.  Jac.  Card.  HI.  III,  519ff. 


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500 


SCHULZ, 


quem  prediximus  cardinalem  dominum  B.  et  fecit  se  doceri  et 
scribi  1  totam  renuntiationem,  qualiter  et  quomodo  facere  deberet 
Et  8  in  octa?a  die  intravit  consistorium  paratus  ad  tale  negotium 
peragendum  et  sedens  ipse  in  throno  pontificali  primo  omnibus 
cardinalibus  silentium  imposuit 3 ,  ut  ad  illa,  que  iacere  inten- 
debat,  non  contradicerent,  et  accepit  cartam  et  cepit  legere  illam 
sententiam  merore  plenam  et  renuntiavit  papatui  descendens  de 
sede,  anulum,  mitram  seu  coronam  et  mantum  pontificale  in  terra 
deposuit  et  in  terra  sedere  cepit.  Quod  cardinales  videntes,  quod 
ante  viderant,  ceperont  omnes  plorare  et  flere,  licet  qoamplures 
illorum  essent  magis  gaudentes  quam  dolentea. 

Et  ad  probandum,  quod  Domino  non  displicuerat  hoc,  quod 
8UU8  famulus  Petrus  fecerat,  tali  miraculo  ipse  Dominus  voluit 
comprobare  4  .  .  . 

Der  erste  Abschnitt  über  die  Wahl  in  Perugia  ist  kaum  von 
Bedeutung,  und  das  ist  leicht  erklärlich,  wenn  er,  wie  es  allen 
Anschein  hat,  von  einem  Cölestinermönch  verfafst  ist,  welcher 
naturgemäfs  nur  nach  späteren  Erzählungen  schreiben  konnte  und 
in  der  Wahl  Peters  durchaus  ein  göttliches  Wunder  erblickte. 

Um  so  gröfser  ist  der  Wert  desjenigen  Teiles,  welcher  die 
Abdankung  Cölestins  V.  behandelt  Durch  ihn  wird  die  freilich 
naheliegende  und  von  jeher  ausgesprochene  Vermutung,  dafs 
Benedikt  Gaetani  von  Anfang  an  der  Berater  des  Papstes  in  der 
heiklen  Sache  gewesen  sei,  zur  Gewi&heit  erhoben,  während  der 
Kardinal  Jacob  nur  von  einem  „Freunde"  spricht.  Ebenso  er- 
fahren wir  hier  bestimmt,  dafs  Benedikt  die  Abdankungsformel 
aufgesetzt  bat 

Die  Gesinnung  des  Verfassers  gegen  Benedikt,  den  späteren 
Bonifaz  VIII.,  welcher  seinen  Vorgänger  einkerkern  liefs  und  die 
Cölestinerereniiten  verfolgte,  ist  keineswegs  freundlich;  dadurch 
aber  gewinnt  seine  Beschreibung  der  Abdankung  nur  noch  mehr 
an  Bedeutung,  denn  sie  bietet  uns  ein  Gegenstück  zu  der  des 
Jakob  Stephaneschi,  welcher  eher  gegen  als  für  Cölestin  ein- 
genommen ist,  sicher  aber  zu  den  unbedingten  Verehrern  Boni- 
faz1 VIII.  gehört  Dafs  beide  Durstellungen  trotz  ihres  so  ent- 
gegengesetzten Standpunktes  in  allen  Hauptsachen  durchaus  über- 
einstimmen, beweist,  dafs  sie  Quellen  ersten  Banges  sind. 


1)  Jac.  Card.  III.  III,  581  sagt  nur:  nec  defuit  eius  auctor. 
2)  Alles  Folgende  nur  bei  B  33—34.  3)  Jac.  Card.  III.  III,  632: 
et  incipiens  vetuit,  ne  cardo  loquenti  obstaret.  4)  Balan  bricht  hier 
ab,  macht  jedoch  in  seinem  eigenen  Texte  über  das  Wunder  die  An- 
gabe: saoando  colla  benedizione  di  lui  un  ratratto.  S.  Peter  d'Ailly 
II,  cap.  13. 


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PETER  VON  MUKKHONE  ALS  PAPST  CÖLESTIN  V. 


507 


Der  Verfasser  scheint,  wie  schon  Wisemann  1  hervorgehoben 
hat,  den  Ereignissen  sehr  nahe  gestanden  zu  haben;  das  gebt 
aus  der  Genauigkeit  hervor,  mit  der  er  so  viele  Einzelheiten  be- 
richtet, und  die  Schilderung  der  Abdankung  selbst  macht  den 
Eindruck,  dafs  sie  von  einem  Augenzeugen  herrühre.  Jedenfalls 
hing  er  sehr  an  Cölestin,  und  vielleicht  rechtfertigen  das  „suus 
.  .  .  devotus"  der  Überschrift,  das  „sententiam  merore  plenam" 
und  der  schwerfallige  Stil  die  Vermutung,  dafs  er  unter  den 
Cölestinermönchen  zu  suchen  sei. 


1)  A.  a.  0.:  Ecco  dunque  la  testimonianza  di  un  discepolo  divota- 
roente  affezionato  a  Celeatino,  il  quäle  in  tutta  la  sua  istoria  mostra 
perfotta  conoscenza  di  ofrni  atto  di  lui,  e  che  costantemente  parla  di 
Bonifazio  con  parole  molto  acerbe. 


ANALEKTEN 


Bibliographische  Studien 
zur  Geschichte  der  ältesten  Ausgaben  von 
D.  Mart.  Luthers  kleinem  Katechismus. 

Vou 

Lic.  theol.  Eduard  Frhr.  von  der  Goltz. 


Ein  neuerdings  hergestellter  Sammelband,  der  sich  gegen- 
wärtig im  Besitze  des  Propst  D.  Freiherrn  von  der  Goltz  zu 
Berlin  befindet,  enthalt  folgende  sämtlich  in  Oktavformat  ge- 
druckte Schriften  Luthers,  durchweg  in  ausgezeichneter  Er- 
haltung: 

L 

Unternehmung  D.  Martini  |  Luthers,  wie  man  die  Kinder  |  m&ge 
füren  zu  Gottes  wort  |  vnd  dienste  |  welches  die  entern  vn 
verweser  zu  thun  |  schuldig  sein.  |  1527 
auf  4  Blättern ;  die  letzten  1  llt  Seiten  sind  leer. 

Die  Titelbordüre  zeigt  rechts  und  links  2  Säulen,  auf  deren 
oberem  Kapital  je  ein  nackter  Knabe  kauert,  der  den  oberen 
Kandbalken  hält;  auf  letzterem  2  geflügelte  Gestalten  mit  einem 
Schweif,  die  eine  Schale  halten.  Unter  dem  Boden  der  Säulen 
Blattornamente,  die  sich  an  die  untere  Einfassungsborte  an- 
schließen; auf  dieser  in  der  Mitte  eiu  geflügelter  Guom;  rechts 
und  links  je  ein  reich  ornamentiertes  nach  oben  gewundenes  Füll- 
horn. Leider  ist  mir  eine  sichere  Ermittlung  des  Druckers  und 
Druckorts  bisher  nicht  gelungen;  vielleicht  ist  es  ein  Nürnberger  *. 


I)  Herr  Dr.  A.  v.  Donnuer  in  Marburg,  dem  der  Druck  vorlag,  war 
so  gütig  mir  mitzuteilen,  dafa  ihm  derselbe  vou  Jobst  Gutknecht  in  Nürn- 
berg zu  stammen  scheine. 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN. 


509 


Der  Text  beginnt  anf  fol.  ib  mit  den  Worten: 
Auff8  erste  im  teutschen  gottesdienst  |  ein  grober  |  schlechter  | 

einfeltiger  |  gut  |ter  Catechismns  vo  nftten. 
und  schliefst  auf  fol.  iiii*: 

Ja  es  ist  aber  |  noch  nicht  in  die  hertzen  getriben. 

Von  demselben  Schriftchen  fand  ich  auf  der  Bibliothek  zu 
Wolfenbüttel  (996  Th.)  ein  anderes  Exemplar  von  1527  mit 
andrer  Titelbordüre  \  gedruckt,  wie  ein  Impressum  am  Schlufs 
besagt,  „zu  Nürnberg  durch  Friederichen  Peypus".  Die  Ortho- 
graphie ist  eino  etwas  abweichende;  so  auf  dem  Titel  seyn  st. 
sein,  MDXXVII  st.  1527.  Bei  den  biblischen  Zitaten  benutzt 
unser  Druck  arabische,  der  Nürnberger  römische  Ziffern.  Ersterer 
schreibt:  teutschen,  sunderliche ,  entbeyliget,  zeytlich,  secklein, 
beutelein,  gülden;  letzterer:  deutschen,  sonderliche,  entheiliget, 
zeitlich,  secklin,  beutlin,  golden.  Von  den  andern  zahlreichen 
kleinen  Druckvarianten  ist  nur  hervorzuheben,  dafs  der  Peypussche 
Druck  am  Schlufs  schreibt:  Ja,  es  ist  aber  noch  nicht  alles  in 
die  hertzen  getrieben,  während  der  andere  Druck  „alles",  offen- 
bar aus  Versehen,  aosläfst.  Überhaupt  scheint  der  Peypussche 
Druck  etwas  sorgfaltiger  hergestellt  zu  sein.  Je  ein  dem  Wolfen- 
büttler  gleiches  Exemplar  befindet  sich  auf  der  Berliner  Kgl.  Bi- 
bliothek (Luth.  4676)  und  auf  der  Nürnberger  Stadtbibliothek. 

Hermann  von  der  Hardt  erwähnt  in  seinen  Autographa 
Lutheri  IU  pag.  157  ebenfalls  ein  Exemplar  von  1527,  schreibt 
aber  „Vorweser"  st.  „Verweser"  und  „sind"  st  „sein".  Da 
das  jetzige  Wolfenbütteler  Exemplar,  wie  mir  auf  der  dortigen 
Bibliothek  versichert  wurde,  nicht  aus  der  Helmstädter  Sammlung 
stammt,  so  wird  es  auch  mit  dem  von  Hardt  citierten  nicht  iden- 
tisch sein. 

Das  Schriftchen  ist  ein  im  Jahre  1527  veranstalteter  unter 
diesem  besondern  Titel  herausgegebener  Separatdruck  eines  auf 
den  Unterricht  bezüglichen  Stücks  der  Vorrede  zur  deutschen 
Messe.  Eine  Vergleichung  unsres  Textes  mit  dem  entsprechenden 
Abschnitt  in  zwei  der  ältesten  Wittenberger  Drucke  der  deut- 
schen Messe  von  1526  2  ergab  eine  verhältnismässig  sehr  geringe 
Abweichung  in  Interpunktion  und  Orthographie,  indem  bald  unser 
Druck,  bald  der  Peypussche  da  mit  dem  Originaldruck  überein- 
stimmt, wo  sie  untereinander  verschieden  sind.    Der  Anfang 

1)  Säalenhalle  mit  Bogen,  oben  drei  Engel;  rechts  und  links  Ansatz 
zu  weiteren  Bogen;  zwischen  den  Säulen  unten  ein  Blattornament.  Zei- 
chen: F.  P. 

2)  Deutsche  |  Messe  vnd  Ordnung  Gottesdiensta  |  zu  Wittenberg  | 
forgenomen  |  M.  D.  XXVI.  (Wolfenbüttel  182.  4°.  Th.)  u.  Deutsche  [ 
Messe  vnd  ord-  |  nung  Gottisdiensts  |  Wittenberg.  (Bordüre :  Hirsche  am 
Wasser)  gedruckt  zu  Wittetnb.  M.DXXVI.  (Wolfenbüttel  151.  4°.  Th.). 

Z«itschr.  f.  K.-0.  XVII.  3.  33 


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510 


ANALEKTEN 


jenes  Abschnittes  der  Vorrede  zur  deutschen  Messe  „Wolan  in 
Gottes  Namen.  Ist  auffs  erbte  im  Teutschen"  n.  s.  w.  ist  in 
den  Sonderdrucken  von  1527  verändert  in  „Auffs  erste  ist  im 
teutschen"  u.  s.  w.  Am  Schlüte  des  vierten  Absatzes  steht  statt 
„anrichtet,  wie  gesagt  ist"  in  den  Sonderdrucken:  „anrichtet, 
wie  im  bßcblein  von  der  teutschen  messe  geschriben  ist"  Diese 
Änderungen  machten  sich  für  den  Sonderdruck  von  selbst  not» 
wendig.  Ob  derselbe  von  Luther  selbst  veranlagst  wurde,  läfat 
sich  zunächst  gar  nicht  sagen. 

Nun  findet  sich  das  gleiche  Stück  in  wesentlich  gleicher 
Form  abgedruckt  in  der  von  Anrifaber  veranstalteten  Eislebener 
Ergänzungsausgabe  zu  Luthers  Werken  T.  II  von  1565  fol.  13 
und  zwar  unter  folgender  Überschrift: 

„Vorrede  D.  Martin  Luthers  |  auff  das  Büchlin  |  Enchiridion 
Christlicher  vnterweisungen  |  nützlich  und  gut  fftr  die  jugent 
vnd  einfeltige  Leien  |  Ja  auch  fftr  alle  Christen  |  wie  man 
sie  zu  Gottes  worte  vnd  |  dienste  füren  möge  |  Anno  1529. 

Diese  Vorrede  ist  nicht  in  den  Wittenbergischen  vnd  Jhenischen 
Tomis  |  vnd  mir  nach  Vollendung  des  Ersten  Eislebischen  Tomi 
von  M.  Joachim  Pfarberrn  zu  H elber  in  der  Grafschaft  Mans- 
felt  zugeschickt  worden." 

Die  Altenburger  Ausgabe  (1661)  Bd.  IV  fol.  465  druckt  das 
Stück  mit  derselben  Überschrift  nach  der  Eislebener  Ausgabe 
ab,  und  zwar  zwischen  der  gewöhnlichen  Vorrede  und  dem  Text 
des  kleinen  Katechismus,  die  Leipziger  Ausgabe  Bd  XXII  p.  44 
an  derselben  Stelle  ebenso,  nur  ohne  die  Bemerkung  Aurifabers 
Erwähnt  als  eine  zweite  aber  zu  beanstandende  Vorrede  zum 
kleinen  Katechismus  wird  dieser  Eislebener  Druck  auch  bei  Lange- 
nbek \  Illgen  *  und  Walch  8.  Er  schliefst  sich  wie  der  Anfang 
„Auffn  erste"  u.  s.  w.  und  die  Lesart  „wie  im  bftchlein  von  der 
teutschen  Messe  geschrieben  ist"  nicht  direkt  an  einen  Druck  der 
deutschen  Messe,  sondern  an  unser  Schriftchen  von  1527  an.  Er- 
innert doch  auch  der  Schlufs  der  Überschrift  „wie  man  sie  zu 
gottes  wort  und  dienste  füren  mö^e,  deutlich  an  den  Titel  der 
Unterrichtong  1527.  Der  M.  Joachim  zn  Helber  in  der  Grafschaft 
Mansfelt  hat  augenscheinlich  einen  kleinen  Sonderdruck  dieser 
„Vorrede"  von  1529  an  Aurifaber  geschickt.  Es  ist  also  dieses 
die  katechetischen  Grundgedanken  Luthers  so  schön  zusammen- 
fassende Stück  von  ihm  selbst  oder  von  einem  Buchhändler  als 
Vorrede  zu  einer  kleinen  katechetischen  Schrift  des  Jahres  1529 


1)  Langemack,  Historiae  catecheticae,  II  p.  105. 

2)  Illgen,  Memoria  ntrioeque  catecbisroi  Lutheri  Commentatio  III 
p.  23  (Leipzig  1829.  30). 

3)  Walch,  Luthers  Werke  Bd.  X,  Einl.  §  VI,  S.  11. 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN. 


511 


abermals  benetzt  worden.  Welches  „büchlin  Enchiridion  Christ- 
licher Unterweisungen  u.  s.  w."  ist  aber  gemeint?  Es  findet  sich 
in  den  alten  bibliographischen  Nachrichten  und  Katalogen,  soviel 
ich  sehe,  nirgends  ein  Schriftchen  mit  diesem  Titel  *,  auch  nicht 
in  dem  von  Luther  selbst  mit  einem  Vorwort  1533  herausgege- 
benen Verzeichnis  seiner  Schriften  (Wittemberger  Exemplar  von 
1533  in  der  Herl.  Bibl.  Cn.  4215).  Dafs  erst  Aurifaber  ihn 
frei  gebildet  habe,  ist  wegen  des  Anklangs  an  den  Titel  von 
1527  nicht  wahrscheinlich.  Er  hat  offenbar  genau  so  in  dem 
von  M.  Joachim  übersandten  Exemplar  von  1529  gestanden. 
Das  Wort  „Enchiridion"  dagegen  läfst  an  Luthers  kleinen  Kate- 
chismus selbst  denken.  Allerdings  trägt  erst  die  dritte  Witten- 
berger Ausgabe  von  1529  diese  Bezeichnung,  und  keine  der  uns 
erhaltenen  Ausgaben  des  kleinen  Katechismus  trägt  den  Titel 
„Enchiridion  christlicher  Unterweisungen".  Dagegen  sagt  Luther 
in  der  Katechismuspredigt  vom  14.  September  1528  2 : 
„Ideo  etiam  dicitur  Catechismus  i.  e.  ein  Unterweisung  oder 
Christlicher  Unterricht,  das  yhn  alle  Christen  zum 
allerwenigsten  wissen  sollen,  post  hoc  sollen  sie  weiter  in  die 
schriflft  gefurt  werden.  Ideo  omnes  pueri  richten  sich  darnach, 
ut  discant.  Und  ybr  Eltern  seid  schuldig,  ut  liberi  vestri 
ista  discant.  Similiter  vos  heri  (Verweser?)  date  operam  etc." 
Diese  Worte  klingen  deutlich  an  den  Titel  der  Unterrichtung  von 
1527  an  und  nennen  den  Katechismus  wie  der  Eislebener  Druck 
eine  „unterweysung"  für  „alle  Christen".  Es  erscheint  deshalb 
wohl  denkbar,  dafs  Luther  selbst  das  Stück  aus  seiner  Vorrede 
zur  deutschen  Messe,  im  Jahr  1527  besonders  hat  ausgehen  lassen, 
so  wie  es  unsere  Exemplare  zeigen,  und  es  dann  wiederum  einer 
seiner  ältesten  Katechismusausgaben  von  1529  vorangestellt  hat. 
Nnn  haben  aber  auch  die  ältesten  Nachdrucke  des  kleinen  Kate- 
chismus von  1529,  welche  nach  der  editio  prineeps  der  Buch- 
ausgabe hergestellt  sind,  einen  anderen  Titel  und  die  gewöhnliche 
Vorrede  an  die  Pfarrherren  und  Prediger.  Es  bliebe  also  nur 
die  Möglichkeit,  dafs  jene  erste  Ausgabe  der  drei  ersten  Haupt- 


1)  Zu  vergleichen:  a)  Eyne  schone  vnd  |  sehr  nutte  Christlike  vuder| 
wysunge  allen  Christgelovigen  mynschen  (nicht  alleene  denn  Kyndern  vnde 
j  an  gen  lüden  |  sunder  ok  den  olden  wol  antomerkede)  na  der  wyse  eynen 
vrage  vn  antwordt.  MDXXX  gedr.  bei  Ludovich  Duetz  (Wolfenbüttel 
1882.  2.  Th.  v.  d.  Hardt  I,  222)  —  aber  es  findet  sich  nichts  von  Luther 
darin,  b)  Eene  schöne  nie  Verkläringe  des  Kinderbokelins  |  women  se  in 
den  rechten  Loven  vnde  werken  lehren  sehall  |  in  Bewüfs  der  H.  Schrifit 
gegründet  |  ganz  nützbarlich  simpeln  conscientien  to  den  andermal  gecor- 
rigieret.  Wittemb.  1526  u.  1529  [v.  d.  Hardt  II,  136;  111,  182J  ist  in 
Wolfenbüttel  leider  nicht  zu  finden. 

2)  G.  Buchwald,  Die  Entstehung  der  Katechismen  Luthers  und 
die  Grundlage  des  grofsen  Katechismus,  S.  1. 

33* 


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512 


ANALEKTEN. 


stücke  in  tabulis,  welche  Buchwald  nachgewiesen  hat,  von  Rörer 
am  20.  Januar  1529  als  „tabulae  complectentes  brevissime  simul 
et  crasse  catechismum  Lutheii  pro  pueris  et  familia"  namhaft  ge- 
macht \  zusammen  mit  einer  Vorrede  Luthers  ausgesandt  worden 
ist  und  dafs  als  solche  seine  Unterrichtung  von  1527  benutzt 
wurde. 

Legt  uns  die  Eislebener  Oberschrift  diese  Vermutung  schon 
nahe,  so  gewinnt  dieselbe  an  Wahrscheinlichkeit  durch  zwei  höchst 
interessante  Varianten ,  welche  der  Eislebener  Druck  (und  die 
von  ihm  abhängigen  Ausgaben)  bietet,  die  bisher  von  allen  For- 
schern, auch  von  Buchwald,  wie  es  scheint,  unbeachtet  geblieben 
sind.  Hinter  den  Worten  „fürgesagt  oder  gelesen  werde"  steht 
noch:  „auffs  aller  einfeltigste  |  wie  es  den  nu  auff  den  zeddeln 
gedruckt  ist"  und  eine  Seite  später  statt  „solche  fragen  mag 
man  nemen  aufs  dem  unsern  betbüchlein  |  da  die  drej  stuck 
kurtz  aufsgelegt  sind  |  oder  u.  8.  w.  findet  sich  hier  die  Lesart: 
Solche  fragen  mag  man  nemen  aus  den  zeddeln  |  darauf!  der 
Catechismus  kurtz  vnd  schlecht  gedruckt  ist  |  oder  u.  s.  w. 
Diese  Lesarten  bieten  zunächst  eine  glänzende  Bestätigung  der 
Untersuchung  Buchwalds,  wonach  Luther  zuerst  den  catechismus 
brevissime  simul  et  crasse  (auffs  allerein  fei  tigste  —  kurtz  und 
schlecht)  pro  pueris  et  familia  in  Tafelform  herausgegeben  hat. 
Es  erscheint  aber  auch  naheliegend,  dafs  diese  Vorrede  aus  dem 
Jahre  1529,  wie  sie  ausdrücklich  auf  die  „zeddel"  Rücksicht 
nimmt,  mit  den  Zetteln  versandt  worden  ist,  und  dafs  die  Zettel- 
ausgabe den  Titel  „Encbiridion  christlicher  Unterweisungen  (Plu- 
ral 1)  nützlich  vnd  gut  für  die  jugent  und  einfeltige  Laien  |  Ja 
auch  ffir  alle  Christen,  wie  man  sie  zu  gottes  wort  vnd  dienste 
füren  möge.  Anno  1529"  getragen  hat.  Damit  wäre  auch  er- 
klärt, wie  diese  Vorrede  so  isoliert  dem  Aurifaber  zugeschickt 
werden  konnte  und  den  Wittenberger  und  Jenenser  Ausgaben 
unbekannt,  dem  Aurifaber  aber  auch  nur  nachträglich  bekannt 
werden  konnte.  Da  sie  inhaltlich  auch  nur  auf  die  drey  stücke 
Vaterunser,  Glaube  und  Zehn  Gebote  Bücksicht  nimmt,  eignete  sie 
sich  auch  nur  für  jene  erste  Zettelausgabe,  welche  nur  jene  drei 
Stücke  enthielt und  mufste  in  dem  Katechismus  für  die  gemeine 
Pfarhern  und  Prediger  durch  eine  andere  ersetzt  werden.  Bemer- 
kenswert ist  auch,  dafs  Aurifaber  in  seiner  „Geschichtmeldung" 
für  1529  (Altenburger  Ausgabe  Bd.  IX  fol.  800)  von  einer 
Ausgabe  des  kleinen  Katechismus  im  Januar  berichtet8.  Dafs 

1)  Bachwald  a.  a.  0.  S.  XII. 

2)  Vgl.  Buchwald  a.  a.  0.  S.  XII  Sp.  2. 

3)  „Es  liefs  auch  im  Monat  Januario  D.  M.  Luth.  den  deutschen 
Katechifmum  erstlich  in  druck  aus  gehen ,  darinnen  für  die  Jugend  und 
den  gemeinen  Mann  die  Haupt  Stücke  Christlicher  Lehre,  mit  ihren  Aufs- 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN. 


513 


aber  gerade  dieses  Stück  aas  der  Vorrede  zur  deutschen  Messo 
in  wenig  veränderter  Form  im  Jahre  1529  als  Vorrede  zu  der 
Zettelausgabe  der  drei  ersten  Stücke  des  Katechismus  neu  ver- 
wendet wurde,  ist  um  so  begreiflicher,  wenn  es  schon  1527  als 
besondere  „Unterrichtung  etc."  erschienen  war.  Die  Zettelaus- 
gabe des  Januar  1529  konnte  mit  keinem  bessern  Begleitwort 
ausgesandt  werden  als  mit  diesem  Stück,  welches  bereits  in  den 
Jahren  vorher  Luthers  katechetische  Gedanken  bekannt  gemacht 
hatte.  Wenn  die  Altenburger  und  die  Leipziger  Ausgabe  das 
Stück  als  zweite  Vorrede  zum  kleinen  Katechismus  abdrucken, 
so  beruht  das  freilich  kaum  auf  einer  Erkenntnis  dieses  geschicht- 
lichen Sachverhalts,  sondern  auf  einem  naheliegenden  Schlufs  aus 
der  Oberschrift  in  der  Eislebener  Ausgabe.  Dahingestellt  mufs 
auch  bleiben,  ob  Luther  selbst  die  Sonderdrucke  von  1527  und 
die  Verwendung  als  Vorrede  im  Januar  1529  veranlafst  hat, 
oder  ob  —  und  das  ist  wahrscheinlicher  —  ein  Buchhändler 
das  Stück  so  benutzt  hat.  Jedenfalls  sind  diese  Sonderdrucke 
für  die  Geschichte  der  katechetischen  Arbeiten  Luthers  wichtig. 

IL 

Der  zweite  in  dem  Sammelband  enthaltene  Druck  ist  fol- 
gender : 

Der  kleyne  |  Catechismus  /  Für  |  die  gemeyne  Pfar-[herr  vn  pre- 
diger,  |  mit  de  alphabett  |  für  die  schftler.  |  Mart.  Luht  | 
mdixxi. 

Die  Titelbordüre  ist  die  von  Dommer  1  unter  Nr.  23  B  be- 
schriebene. Auf  der  Titelrückseite  steht  das  Alphabet.  32  Blätter 
in  8°. 

Signaturen  Ai — Dviii;  auf  der  vorletzten  Seite  unten:  Gedruckt 
zu  Mapurg  (sie!)  ym  |  Jar  MDXXXI.  Die  letzte  Seite  ist  leer 
(es  ist  der  Vers  „dein  Zion  streut  dir  Palmen",  von  einem  früheren 
Besitzer  ca.  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  Lorentz  Wag,  Für- 
sprech (?)  darauf  geschrieben;  derselbe  bemerkt  schon  auf  dem 
alten  Vorsatzblatt  von  I,  er  habe  dies  schöne  Buch  oder  Unter- 
richt zu  Strafsburg  auf  dem  Gimpelmatkt  um  1  fl.  6  kr.  gekauft. 
I  und  II  waren  also  schon  damals  zusammengebunden). 

Der  Druck  ist,  wie  sich  aus  dem  Buch  von  Dommer,  in  wel- 
chem aber  dies  Exemplar  noch  nicht  aufgeführt  ist,  ergiebt,  von 
dem  Marburger  Drucker  Franciscus  Rohde  hergestellt.  Derselbe 
druckte  nach  dor  editio  prineeps  den  kleinen  Katechismus  schon 

legungen  nützlich  zusammengetragen  und  gefasset  sind"  (Altenburger 
Ausg.  Bd.  IV,  S.  800  u.  Leipziger  Ai  sg.  Bd.  XXII,  S.  1). 

1)  A.  v.  Dommer,  Die  ältesten  Drucke  aus  Marburg  in  Hessen 
1527-66;  Marburg  1892,  S.  159. 


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ANALEKTEX 


Mitte  des  Jahres  1529  (bei  Dommer  Nr.  29,  herausgegeben  von 
Th.  Harnack  1856  *),  ebendenselben  lateinisch  1530  (Parvus 
catechismus  pro  pueris  Dommer  Nr.  33  a.  Panzer  VII  376 
Nr.  8);  den  grofseu  oder  „deutsch  Catechismus"  1529  (Dommer 
Nr.  28)  und  ebendenselben  lateinisch,  übersetzt  von  Joannes 
Lonicerus  im  September  1529.  (Dommer  Nr.  22.)  Es  sind  dies 
alles  Nachdrucko  nach  den  bei  Georg  Bhaw  oder  Nickel  Schir- 
lentz  in  Wittenberg  erschienenen  Originalausgaben,  nicht  ohne 
Sorgfalt  hergestellt. 

Unser  Druck  vom  Jahre  1531  ist  also  bereits  ein  zweiter 
Nachdruck  des  kleinen  Katechismus  durch  FranciscusRohde 
und  soll  von  uns  im  Unterschied  zu  jenem  ersten  (M  *),  kurz 
mit  M  '  bezeichnet  werden.  Robde  hat  M  1  nicht  einfach  wieder 
abgedruckt.  Das  Titelblatt  hat  er  freilich,  abgesehen  von  der 
Jahreszahl  und  dem  Dmckfehler  „Luht"  statt  „Luth",  beibehalten. 
Ancb  dieselben  Typen  und  Initialen  hat  er  wieder  gebraucht, 
wie  ich  in  Wolfenbüttel  durch  eigene  Vergleichung  der  Exem- 
plare feststellen  konnte.  Für  den  ganzen  Umfang  von  M  1  sind 
auch  die  Drucklage  der  Blätter,  die  Seitenabsätze,  die  Interpunktion 
und  Schreibweise  in  M  2  im  ganzen  genommen  dieselben.  Jedoch 
hat  er  auch  vielfach  korrigiert  bezw.  neue  Druckfehler  herein- 
gebracht, vor  allem  aber  die  Ausgabe  um  das  Taufbüchlein, 
die  Beichte  (in  der  älteren  Form)  und  die  deutsche  Litaney  ver- 
mehrt Auf  die  Vorrede  (aii— avib),  die  zehen  Gebot  (avib— aviiib), 
den  glauben  (Bi — Biib),  das  Vaterunser  (Biib — Bv),  das  Sakrament 
der  heiligen  Tauffe  (Bv — Bvib),  das  Sakrament  des  alters  (Bvib 
bis  Bviib,  ebenfalls  wie  in  M  1  ohne  die  dritte  Frage !) ,  Morgen- 
und  Abendsegen,  Benedicite,  Gratias  und  Haustafel  (Bviib — Ciii), 
das  Trawbüchlein  (Ciii — Cviib)  —  alle  im  wesentlichen  wie  in 
M  1  (vgl.  Harnack  a.  a.  0.)  gedruckt,  folgen : 

1)  Bl.  Cviib  unten  bis  Diiiib  Das  Tauffb&chlin  ver  deudschet,  vnnd 
auffs  newe  zugoricht  durch  |  Martinnm  Luther  |  .  Bei  dem 
Anfangswort  der  Vorrede  „Weil"  grofse  Initiale  W  (zwei  nackte 
Knaben,  die  das  W  umschlingen);  beim  Beginn  des  Textes 
kleine  Initiale  F,  in  Diii:  Z. 

2)  Diiiib  Z.  8— Dvb  Z.  8.  Eine  kurtze  weise  zu  beichte  für  die 
einfeltigen  dem  Priester 

W  (kleine  Initiale)  irdiger  lieber  herr  u.  8.  w. 

(Dv)  Ein  ander  bekentnis  der  Beicht 

I  (kleine  Initiale,  Nixe  mit  Fischschwanz)  CH  bekenne  mich 
für  Gott  vn  euch  u.  s.  w. 
bis  „ist  deste  besser". 

1)  Th.  Harnack,  Der  kleine  Katechismus  D.  Martin  Luthers  in 
seiner  Urgestalt.  Stuttgart  1856. 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN. 


515 


3)  Dvb  Z.  9 — Dviii*  Die  deutsch  Litaney,  hintereinander  mit 
gleichen  Typen  gedruckt,  ohne  Noten,  am  Schlüte  drei  Gebete. 
Dviii*  unten:  Gedruckt  zu  Mapurg  ym  |  Jar  MDXXXI. 
Dviiib  leer. 

Es  sind  dies  genau  dieselben  drei  Stücke,  welche  die  einzige 
uns  aus  dem  Jahre  1529  aufbehaltene  Wittenberger  Originalans- 
gabe (gedruckt  bei  Nickel  Schirlentz  in  16°,  jetzt  im  Germani- 
schen Museum  zu  Nürnberg,  von  nns  mit  Wn  bezeichnet)  1 
bietet.  Da  die  Beichtform  bereits  1531  von  Luther  durch  eine 
andere  ersetzt  wurde  und  die  Litaney  in  den  späteren  Ausgaben 
nicht  mehr  gedruckt  wurde,  so  ist  ausgeschlossen,  dafs  Bohde  für 
Ma  eine  spätere  als  diese  Wittenberger  Ausgabe  benutzt  habe. 
Da  aber  Wu  erst  die  dritte  Wittenberger  Ausgabe  des  Jahres 
1529  sein  wird2,  so  bleibt  die  Möglichkeit,  dafs  für  M2  die 
zweite  nns  nicht  mehr  erhaltene  Wittenberger  Ausgabe  benutzt 
wurde.  Um  diese  Frage  zu  entscheiden,  ist  zunächst  eine  genaue 
Vergleichung  des  Textes  von  Wn  und  M2  in  diesen  drei  Schlufs- 
stücken  anzustellen.  Diese  ergiebt  eine  ziemlich  grofse  Ähnlich- 
keit beider  Drucke,  auch  in  besonderen  Schreibweisen  (z.  B.  Nviüb 
wilchs);  dabei  aber  auch  eine  grössere  Zahl  von  Abweichungen, 
teils  aus  Versehen,  teils  aus  dialektischen  Eigentümlichkeiten  und 
andern  Gewohnheiten  der  Setzer  zu  erklären,  so  der  Wechsel  von 
b  und  p,  d  und  t,  y  und  i,  u  und  &,  n  und  nn,  t  und  tt  u.  dergl. 
Hervorzuheben  sind  dagegen  folgende  Verschiedenheiten,  bei  wel- 
chen M2  augenscheinlich  eine  bessere  Lesart  hat 3 : 

Lviil  Wn  kindein  M2  kindern 

Lviiö  Wn  geredt,  M2  geredet 

Lviib12  Wn  christlich  M2  Christliche 

Mii7  Wn  einmftgtiglich  M2  einmüttiglich 

Niii  7  u.  8  Wn  Vater  unser  der    M2  Vater  unser  der  du  bist  ym 

du  bist  etc.  bymel  etc. 

Niiii  5  Wn  alle  M2  allen 

Niiiib4  Wn  vnd  erden?  M2  von  der  erdö? 

Nv4  Wn  ein  M2  eine 


1)  Enchiridion.  Der  kleine  Catechitsmus  für  die  gemeine  Pfarher  vnd 
Prediger,  Gemehret  vnd  gebessert,  durch  Mart.  Luther.  Witteraberg.  Am 
Schlüte:  Gedruckt  zu  Wit-]teinberg  durch  |  Nickel  Schir  lentz  |  M.  D. 
XXIX  |  in  16°  vgl.  Th.  Harnack  a.  a.  0.  p.  XX-XX11I,  p.  XLV1II, 
ebenda  abgedruckt  S.  21—84. 

2)  Vgl.  die  Worte  Rörers  am  13.  Juni  1529  an  Roth:  „Parvua  ca- 
techismus  sub  inendem  jaro  tertio  revocatus  est,  et  in  ista  postrema  edi- 
tione  adauetus  ideo  hujus  j  exemplar  tibi  mitto".  Vgl.  Buchwald 
a.  a.  0.  S.  XIV. 

3)  Die  Bezeichnung  der  Stellen  nach  dem  Druck  von  Harnack  a.  a.  0„ 
S.  74-84. 


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516 


ANA LEUTEN. 


Nv5  Wn  kirche  gemeine  M8  Kirche,  gemoine 

Nviiibl  Wn  gebrehlich  M*  gebrechlich 

Nviiib4  Wn  nicht  M"  nichts 

Nviiib8  Wn  gegewiesen  M*  gewissen. 

Demgegenüber  finden  sich  bei  M*  natürlich  auch  eine  Reihe  offen- 
bare Versehen,  die  sich  bei  Wn  nicht  zeigen,  also  jedenfalls  auf 
Rechnung  von  Rohde  kommen.  Die  Litanei,  welche  Harnack  leider 
nicht  mit  abgedruckt  hat l,  ist  in  Wn  mit  Noten  in  der  Weise 
gedruckt,  dafs  die  Chöre  auf  zwei  nebeneinanderstehende  Seiten 
verteilt  sind.  M*  hat  nun  die  Noten  nicht  und  druckt,  nnter 
Anwendung  seiner  gewöhnlichen  Typen  ohne  irgendwelche  Her- 
vorhebung auf  */8  Breite  der  Seite  den  ersten  Chor  ab  und  stellt 
die  Responsorien  (Behüt  uns  lieber  Herr  Gott)  auf  derselben  Seite 
daneben,  hier  und  da  auch  einmal  dazwischen.  Abgesehen  von 
den  gewöhnlichen  orthographischen  Abweichungen  ist  sonst  der 
Text  in  Wn  und  M2  der  gleiche.  Nur  am  Anfang  und  Schiufa 
findet  sich  eine  Verschiedenheit: 

Am  Anfang  nämlich  druckt  WD: 

Oiib  u.  Oiii  Kyrie  Eleison 
Christe  Eleison 
Kyrie  Eleison 
Christe  Erhöre  uns 

Herr  Gott  Vater  ym  Himel 

Herr  Got  son  der  weit  Heiland       Erbarm  dich  über  uns 
Herr  Gott  heiliger  Geist, 

dagegen  hat  M*: 

Kyrie.  Christe.  Eleison. 

Kyrie.  Christe.  Eleison. 

Herr  Gott  vater  ym  bymel 

Erbarm  dich  über  uns 
Herr  Gott  Son  der  weit  heiland  | 

Erbarm  dich  vber  uns. 
Herr  Gott  heilgrr  geist  | 
Erbarm  dich  vber  uns. 

Am  Scblufs  der  Litanei  hat  Wn: 
Piiib  u.  Piiiid    Christe  Erhöre  uns 

Kyrie  Eleison 
Christe  Eleison 
Piiiib  Kyrie  Eleison 

Amen 

Dafür  hat  Ms  nur 

Christe  Eleison  Kyrie  etc. 

1)  Herr  stud.  theol.  Ernst  Heller  besorgte  mir  gütigst  eine  diploma- 
tisch genaue  Abschrift  nach  dem  Nürnberger  Exemplar. 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN.  517 

Der  Text  der  darauf  folgenden  Gebete  stimmt  dagegen,  von 
elf  ganz  unbedeutenden  Ausnahmen  abgesehen,  auch  in  der  Or- 
thographie ganz  genau.  Die  Abweichungen  in  der  Litaney,  be- 
sonders das  Fehlen  der  Noten  und  die  kürzere  Lesart  am  Ende 
können  durch  Raummangel  nicht  erklärt  werden,  da  ja  am  Ende 
noch  eine  Seite  leer  blieb.  Sie  finden  ihre  Erklärung  am  besten 
in  der  Annahme,  dafs  M*  in  diesen  Schlufsstücken  nicht  nach 
Wn  selbst,  sondern  nach  einem  mit  diesem  nahe  verwandten  Ex- 
emplar gedruckt  ist.  Dafs  dieses  ein  Wittenberger  gewesen  ist* 
darf  bestimmt  angenommen  werden,  da  Bohde  seine  anderen  Ka- 
techismusausgaben alle  nach  Wittenberger  Originalen  gedruckt  hat. 
Da  es  nun  schon  der  älteren  Beichtform  wegen  ein  späteres  Ex- 
emplar nicht  sein  kann,  läfst  sich  nur  annehmen,  dafs  es  jene 
zweite  Ausgabe  gewesen  ist,  welche  wir  nach  Rörers  Worten  noch 
zwischen  der  ersten  und  der  „gemehrten  und  gebesserten"  an- 
nehmen müssen.  Diese  hat  dann  vermutlich  auch  die  oben  an- 
gefahrten Lesarten  gehabt,  durch  welche  M*  sich  vor  W°  aus- 
zeichnet. Wn  zeigt  dann  einige  Fehler,  die  sich  in  W*  nicht 
befanden,  was  ja  leicht  erklärlich  ist,  während  viele  kleine  Fehler, 
die  sich  in  Ma,  nicht  aber  in  Wn  finden,  auf  Rechnung  von  W* 
kommen,  während  sie  in  W3  =  Wn  verbessert  wurden.  Auch 
wegen  der  Zugabe  der  Noten  konnte  WB  dann  „gemehret  und 
gebessert u  heifsen. 

Der  Einflufs  dieser  Wittenberger  Ausgabe,  welche  sie  auch 
gewesen  sein  mag,  zeigt  sich  nämlich  offenbar  auch  in  den  alten 
Stücken,  welche  Rohde  im  wesentlichen  nach  M1  wiederdruckte. 
Er  behielt  die  alte  Drucklage  und  den  alten  Text  bei  (es  fehlte 
also  auch  die  Verbeifsung  beim  vierten  Gebot,  die  Anrede  des 
Vaterunser  mit  Erklärung  und  die  dritte  Frage  im  fünfteu  Haupt- 
stflck),  aber  brachte  doch  nicht  nur  alte  Druckfehler  fort  und 
machte  neue  hinein,  sondern  korrigierte  unter  Benutzung  dersel- 
ben Ausgabe,  aus  welcher  er  die  SchlufsstGcke  hinzufügte.  Dies 
zeigt  Bich  am  deutlichsten  daran,  dafs  er  die  erste  Zeile  der 
Teilüberschriften  nicht  wieder,  wie  in  M1  mit  grösseren,  sondern 
mit  den  gewöhnlichen  kleinen  Textlettern  druckte  und  an  Stelle 
der  in  M1  hinter  der  Vorrede  stehenden  alten  Überschrift  „Ein 
kleiner  Katechismus  odder  Christliche  Zucht"  die  neue  Teilüber- 
»chrift  setzte,  wie  wir  sie  in  W"  finden:  „Die  zehen  gebot,  wie 
sie  ein  haufs- vater  seinem  gesinde  einfei- [tiglich  fürhalten  sol". 
Von  den  zahlreichen  kleinen  Abweichungen  aber,  die  ich  durch 
eine  auf  den  Buchstaben  genaue  und  vollständige  Kollation  mit 
M1  fentgestellt  habe,  sind  die  folgenden  hervorzuheben,  in  wel- 
chen M*  im  Unterschiede  von  M1,  die  Lesarten  von  Wn  teilt1: 


1)  Die  Bezeichnung  der  Stellen  ist  nach  Harnack  a.  a.  0.  S.  6ff. 


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518 


ANALEKTEN. 


M1 

» 
n 
»» 
>1 

» 


»» 


M1  Aib  2  Predigern  Gnad  — 

„  Aib17  jrih 

„  25  gestalt,  vnd 
Aii8  behüte 
Aiib4  kynd 
Aiib  6  seinem 
Aiib  25  weisse 
Aüi  6  ricblich 

Aiiib34  streiche  nur  wol  de" 

(==  El  u  *) 
Aiiiib13  beten  vnd  danken 


„    „    16  heiigen 

„  Avi  26  hoffe  (=  E 

„  Avii3  heyligen 

„  Avib19  auffgefaren 

„  Aviib12  Gotes 

„  Bib15  frilich 


1  u.  t> 


Bib25  reichlich  dorch 


„  BÜ27  jangern  (=  El°  *) 

„  BH28  Esset,  das 

„  ßiib24  zwivelt 

„  Biii  15  heiiger 

„  Biii  33  alles  ynn 

„  Biiib15  hymelischer 

„  Biiib  21  weisse 

„  Biiiil  Herrn  (=  E) 

„  Biiii24  gots 

„  Biiiib  1 6  ewre  (=  E1  Q  2) 

„  Biiüb26  Meiden 

„  Bv5  haushern 

„  Bv31  Trawbuchlin 

„  Bvb5  oder  (=  E») 

„  Bvb10  Etliche  —  Etliche 

„  Bvb18  dise  (=  E*) 

„  Bvil5  narreit  (=  E2) 

„  Bvi24  n.  27  oder 


M2  =  W°  Predigern  |  Gnad  (= 

E1  °  *) 

vihe  (=  E) 
„       gestalt  vnd  (=  E) 

sich  hftte  (=  El  n- ») 
„       kind  (=  E1  *) 
„       seinen  (=  E1  *) 
ii      weise  (=  E1  °- *) 
„      reichlich  (=  E1  *) 
„      streiche  nur  wol  aafo 

de 

„       beten  loben  vnd  dan- 
ken (=  E1  u- *) 
„  heiligen 
„  hofe 
„  heiligen 
„  Auffgefaren 
„       Gottes  (=  El  tt-  *) 
M»  freilich  W»  u.  E*  freylich 
M2  =  Wn  reichlich  |  durch  (= 
El  a  *) 
„  iungern 

Esset,  Das  (=  E1  *-*) 
M2  zweivelt  Wn  aweiflfelt 
M*  =  Wn  heiliger  (=  El  *) 
„       alles,  ynn 
„       hymlischer(=El  0  *) 
„       weise  (=  Eln») 
Herre 

Gottes  (=  E1  u-  *) 
ewere 

Meyden  (=  El  «•  *) 
„  hausherrn 
„  TrawbuchIin(Wntraw) 
odder  (=  E1) 
Etlich  —  Etlich 
„       diese  (=  E>) 
„       narheit  (El  narrheit) 
„  odder 


>» 
»» 


gemäfa  dem  Erfurter  Druck  von  1529  gegeben,  zu  welchem  Harnack  die 
Varianten  von  M1  giebt.  Zum  Vergleich  herangezogen  ist  auch  der  von 
HartuDg  herausgegebene  andere  Erfurter  Nachdruck  von  1529,  der  sich 
jetzt  in  Leipzig  befindet  und  von  mir  nach  dem  Hartungschen  Druck 
verglichen  worden  ist  (E*). 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN.  519 


M1  Bvib5  noch  (=  E8) 
Bvib7  gemeyn 
Bvii22  gemeyne 
Bviib2/3  gemeyne  (=  E1) 
B?üb  4  gemeine  ynn  Christo 


>» 


» 


Bviib  7  standt 
Bviib  7  geleget  (=  E1  8) 
Bviib  8  Weibe  (=  E1) 
Bviib12  er  wird  dein  herr 
sein 

Bviü9  bede 

Bviii  1 1  verornet 

Bviii  1 6  gescheffe  (=  E1  u  *) 

Bviii  20  Christ 


M2  =  Wn  nach  (=  El) 
gemein 
geraeine 

gemeine  (=  E8) 
M8  gemeyne  Christo 
WQ  geraeine  Christo  (=  El  f) 
M8  =  Wn  stand  (=  El  ■  8) 
gelegt 
„       weibe  (=  E8) 

er  8ol  dein  herr  sein 
(=  El  ■•  8) 
bete  (=  El  »•  8) 
verordnet  (Wn  denet) 
geschepf 
Christum 


»» 


Kann  anch  in  der  Mehrzahl  dieser  Fälle  die  Obereinstimmung 
von  Wn  und  M8  ans  Zufall  erklärt  werden ,  so  spricht  doch  so- 
wohl ihre  Anzahl  als  auch  der  Charakter  von  einzelnen  wie  Aii8, 
Aiiiö,  Aiiib34,  Aiiiib13,  BÜ28  und  vor  allem  Bviib12  entschie- 
den dafür,  dafs  Rohde  nach  der  Wittenberger  Ausgabe,  aus  wel- 
cher er  die  Scblnfsstflcke  abdruckte,  auch  die  alten  Stücke,  bei 
denen  er  sich  im  wesentlichen  an  Ml  hielt,  flberkorrigierte.  War 
dies  nicht  Wn  (=  W8)  sondern  W8,  so  dürften  noch  manche  der 
andern  noch  viel  zahlreicheren  Abweichungen1  von  M1,  welche 
nicht  mit  W"  übereinstimmen,  anf  den  Einflofs  dieser  zweiten 
Wittenberger  Ausgabe  zurückzuführen  sein.  Dazu  möchte  ich  vor 
allem  folgende  Sonderlesarten  rechnen,  in  welchen  M*  den  Vorzug 
vor  Ml  verdient,  ohne  doch  mit  Wn  übereinzustimmen: 

Ml  Av  28  feischlichen  (=  El    2     M8  feischlich  (=  Ausg.  v.  1531 


u.  W») 

M1  Avi  17  Schepffung  (=  E»  0  8 
u.  Wn) 

Ml  Avi  19  ScheprTer  (=  E1  Q-8 
n.  Wn) 

M»  B 10  solch  (=  El    8  u.  Wn) 


u.  39) 

M8  SchöprTung  (=  1539) 
M8  Scböpffer  (=  1539) 
M8  solche  (=  1539) 


Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  die  Benutzung  einer  der  äl- 
testen Wittenberger  Ausgaben  auch  für  die  erste  Hälfte  von  M* 
steht  fest  Warum  fehlt  dann  auch  in  diesem  Exemplar  wieder 
die  dritte  Frage  beim  Sakrament  des  Altars?  Aus  Baummangel 
nicht,  da  ja  die  letzte  Seite  leer  blieb;  aus  tendenziösen  Grün- 
den auch  nicht    Aus  Versehen?  —  das  scheint  mir  doch  bei 


1)  Heine  vollständigen  Kollationen  des  Druckes  M*  mit  H1  und  W» 
onter  Berücksichtigung  von  El  und  E*  stehen  jedem  zugebotc,  der  sich 
für  das  kleine  Detail  näher  interessiert. 


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520 


ANALKKTEN. 


dem  nachgewiesenen  Mafs  der  Benutzung  jener  Ausgabe  eine  schwie- 
rige Annahme.  Es  wird  deshalb  immer  noch  die  einfachste  Hy- 
pothese sein,  dafs  Rohde  auch  in  dem  von  ihm  benutzten  Witten- 
berger Exemplar  die  dritte  Abendmahlsfrage  noch  nicht  vorfand, 
und  dafs  dieses  eben  jene  uns  nicht  mehr  bekannte  zweite  Ori- 
ginalausgabe war,  von  deren  Existenz  wir  durch  Rörer  wissen. 
Dieselbe  enthielt  vermutlich  auch  das  Scholion  zu  dem  Benedicite 
und  Gratias  noch  nicht,  wie  dasselbe  auch  in  M*  fehlt;  freilich 
steht  es  schon  in  E*.  In  dem  Titel  von  W*  mögen  wie  bei  M* 
das  Wort  „Enchiridion"  und  „gemehret  und  gebessert"  gefehlt 
haben.  Dagegen  wird  das  Alphabet  auf  der  Rückseite  des  Titels 
von  M*  wohl  als  eigene  Zothat  Rohdes  gelten  müssen.  Die  Worte 
„gemehret  und  gebessert"  w Orden  sich  dann  bei  WD  auf  die 
Hinzufügung  der  dritten  Abendmahlsfrage,  des  Scholions,  der  Sing- 
noten bei  der  Litaney  und  einzelne  Verbesserungen  der  Schreib- 
weise beziehen,  wenn  sie  nicht  vielleicht  doch  schon  auch  auf  dem 
Titel  von  W8  standen. 

Der  niederdeutsche  „Katechismus  effte  Unterricht",  der  von 
Mönkeberg  herausgegeben  wurde,  könnte  trotz  unserer  Annahme  im 
Anschlnfs  an  die  alten  Katechismustafeln  hergestellt  seien  *,  frei- 
lich erst  nach  dorn  13.  Juni  1529,  unter  Berücksichtigung  der 
dritten  Buchausgabe.  Die  im  Oktober  1529  von  Sauromanuus 
augefertigte  lateinische  Obersetzung  des  kleinen  Katechismus  ist, 
wie  ich  mich  durch  Vergleich  mit  dem  in  Zwickau  befindlichen 
Originalexemplar  *  Oberzeugen  konnte ,  jedenfalls  nach  Ws  ge- 
macht, von  dem  sie  nur  in  der  Stellung  des  alten  Beichtstackes, 
durch  Zusätze  in  der  Haustafel  und  durch  Fortlassen  der  agen- 
darischen Stücke  abweicht  Ober  das  Verhältnis  der  ältesten 
deutschen  Ausgaben  zu  einander  ist  aus  ihr  nichts  zu  entnehmen. 
Mit  völliger  Sicherheit  ist  diese  Frage  überhaupt  noch  nicht  zu 
beantworten.  Auch  die  von  Buchwald  veröffentlichten  Katechis- 
muspredigten Luthers  von  1528  geben  keine  Gewifsheit  über  die 


1)  Vgl.  Buchwald  a.  a.  0.,  p.  XIII. 

2)  Zwickauer  Ratsschulbibliothek  1,  XIX,  5.  Parvus  {  Cate- chis- 
mus  Pro  |  Pueris  in  |  schola  j  Parve  pucr  parvom  tu  ne  con-jtemne  Übel- 
lum  |  Continet  bicsuromi  Dogmata  |  Minima  Dei  |  Mart.  Luther  |  MDXXIX. 
8°.  32  hlätUr.  Verheifsnng  beim  4.  Gebot:  „ut  eis  longenus  super  ter- 
ram".  Anrede  beim  Vaterunser  fehlt.  Zwischen  Sacr.  baptismi  und 
Sacr.  alteris  Bvii1»:  Quoraodo  Paedagogi  suos  pueros  brevem  confitendi 
rationem  simplicissime  docere  debeant  (die  ältere  Beicbtl'orm);  3.  Frage; 
Scholion.  Hei  d.  sententiae:  Quid  debeant  auditores  episcopis  suis  und 
quid  subditi  magistratibns  suis  debeant.  Am  Schlafs  Elementa  ehr.  re- 
ligionia  von  Sauromannus.  Ps.  iv.  cx  cxn.  Vvitembergae  apnd  Geor- 
gium  Rhan  Anno  MDXXIX,  vgl.  ein  gleiches  Exemplar  von  MDXXXI. 
Berl.  liibl.  Luth.  5631  (32  Bl.  8°)  und  ohne  Angabe  des  Jahres  (spater) 
in  der  Gotting.  Bibl.  Tu.  Thet  I,  71 


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VON  DER  GOLTZ,  BIBLIOGRAPHISCHE  STUDIEN.  521 

Sache;  denn  wenn  auch  die  zweite  und  dritte  Reihe  Gedanken- 
anklänge an  die  dritte  Abend mahlsfrage  enthalten  1)y  so  beweisen 
diese  doch  nicht  das  wirkliche  Vorhandensein  jener  Frage  im  Text 
der  ersten  Ausgaben,  zumal  die  Abendmahlspredigt  Fröscheis  vom 
Februar  1529  deutlich  nur  eine  Dreiteilung  der  Abendmahlsfragen 
voraussetzt  und  keine  Parallele  zur  dritten  Frage  des  Luther- 
schen  Katechismus  darbietet  *). 

Es  genfigt  hier,  auf  den  bisher  unbekannten  Marburger  Druck 
von  1531  und  seinen  Wert  för  die  Sache  aufmerksam  gemacht 
zu  haben  s). 

1)  Buchwald  a.  a.  0.  p.  XIII,  Sp.  2,  Anna.  3. 

2)  Vgl.  Buchwald,  Die  letzten  Wittenberger  Katechismuspredigten 
vor  dem  Erscheinen  des  kleinen  Katechismus  Luthers.  Aua  der  Festschrift 
für  Jul.  Köstlin  (bei  Friedrich  Andreas  Perthes,  Gotha),  S.  10  u.  11. 

3)  Aufser  den  beiden  hier  besprochenen  Drucken  enthält  der  genannte 
Sammelband  noch  folgende  Drucke,  die  anderweitig  bereits  bekannt  sind : 
a)  Deudsch  Ca|techisrous.  |  Mit  einer  newtn  vorrhede  und  vermanunge  zu 
der  Beicht.  |  Mart.  Luth.  [  1531,  gedruckt  bei  Georg  Rhaw;  vgl.  Erlanger 
Ausgabe  21.  Bd.  S.  4  Nr.  7.  b)  Ausle  gung  der  zehen  gepot  j  aus  dem 
XXIX.  rnd  XX.  Cap.  des  andern  buchs  Mosi  gepreiigt  durch  |  Mart. 
Luth.;  am  Schlafs:  Von  der  heimlichen  Beicht -vnterricht  |  Johan.  Poraer.' 
Die  Fünft*  frage  vom  Sacrament  des  Altars.  Gedruckt  bei  Georg  Rhaw 
in  Wittenberg;  vgl.  über  ein  Stuttgarter  Exemplar  Th.  Brieger,  Zeit- 
schrift f.  Kirchengesch.  IV  1881,  S.  581  Anm.  c)  Das  Vaterunser  u.  h.  w. 
durch  Martinum  Luther  Augustiner  zu  Wittenberg  uisgelegt,  gedr.  1522 
Basel  bei  Valentin  Kurio;  vgl.  Weimarer  Ausgabe  Bd.  II,  S.  78  N.  d)  Ein 
knrtzer  begriff  der  zehen  gebot  u.  s.  w.  u.  von  den  guten  werken  u.  s.  w. 
MDXXIII;  bei  Val.  Kurio.  Basel,  vgl.  Weimarer  Ausgabe  Bd.  VI  S. 
198  L. 


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NACHRICHTEN. 


Französisches. 

Von 

C.  A.  Willens. 

(Fortsetzung.) 


*  11.  Das  napoleonische  Konkordat  hat  drei  Dynastieen,  drei 
Revolutionen,  sechs  Regierungsformen  überdauert,  ist  jedoch  täg- 
lich von  einer  mächtigen  Partei  bedroht.  Bei  jeder  Beratung 
des  Kultusbudgets  erneuern  die  Radikalen  ihre  Vorstöfse.  In 
ihrer  Blindheit  und  Wut  meinen  sie,  heifse  es  nicht  mehr,  der 
Staat  übernimmt  eine  angemessene  Erhaltung  der  Kirche,  dann 
werde  sie  zur  vogelfreien  Sekte,  und  der  letzte  Tag  des  ver- 
balsten Christentums  breche  an.  Dann  brauche  man  die  Pfaffen 
nicht  mehr  zu  guillotinieren,  der  Hunger  werde  sie  dezimieren. 
Dabei  vergifst  man,  dafs  Amerika  kein  Kultusbudget  kennt,  die 
Kirche  blüht,  über  Millionen  gebietet,  und  die  Geistlichkeit  dort 
dem  Hungertyphus  noch  nicht  erlag.  Um  die  Aufhebung  des 
Konkordats  anzubahnen,  es  in  der  Öffentlichen  Meinung  zu  unter- 
wühlen, wird  es  nach  Inhalt  und  Geschichte  gefälscht  und  zur 
Vogelscheuche  gemacht.  Diese  Lügen  veranlagten  Forschungen, 
die  Waffen  liefern  werden  in  den  kommenden  Kämpfen.  Con- 
salvis  Memolres  1864,  2  Vol.,  d'Haussonvilles  l'Kglise  romaine 
et  le  premier  empire,  1800 — 14.  1868,  5  Vol.,  Theiners  Hi- 
stoire  des  deux  Concordats  1869,  2  Vol.,  Cretineau-Jolys  Bona- 
parte et  le  Concordat  1869,  hatten  den  Gegenstand  noch  nicht 
erschöpft.  Graf  Boulay  de  la  Meurthe  hat  1891  —  1893  in  drei 
grofsen  Bänden  Documenta  sur  la  negotiation  du  Concordat  et 
sur  les  autres  rapports  de  la  France  avec  le  Saint  Siege  en 
1800  et  1801  alles  einschlägige  Material  gesammelt,  geordnet, 
bearbeitet.  Es  besteht  in  diplomatischen  Noten,  Berichten,  Re- 
daktionsentwürfen, Korrespondenzen  der  Unterhändler  mit  den 
Regierungen,  der  französischen  Generäle  mit  dem  Quirinal,  der 
Agenten  Ludwigs  XVIII.  und  der  auswärtigen  Mächte.  Im  sechsten 


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NACHRICHTEN. 


Bande  seines  grofsartigen  Werkes  „Les  Origines  de  la  Pranco 
contemporaine "  1894  schilderte  Taine  auf  Grund  dieser  Publika- 
tionen, Entstehung,  Wesen  und  Wirkung  des  Konkordats  meisterhaft. 
Kaum  hatte  der  Duc  de  Broglie  die  Frage  staatsmannisch  beleuchtet, 
Le  Concordat  1893,  so  liefs  Leon  Se*ch6,  im  oppositionellen  Inter- 
esse, Les  Origines  du  Concordat  erscheinen,  1894,  2  Vol.  Pius  VI. 
und  VII.  benutzten  bisweilen  in  den  Beziehungen  zu  den  fran- 
zösischen Gewalthabern  die  Vermittlung  des  spanischen  Ge- 
sandten Marques  del  Campo  und  des  Ritters  d'Azara,  des  Mäcens 
der  Gelehrten,  dessen  Generosität  man  den  prächtigen  Bordoni 
Horaz  Arteagas  verdankt.  Die  Knrie  und  Napoleon  vertrauten 
dem  ehrlichen,  vorsichtigen,  wohlgesinnten  Agenten  Cacault,  dessen 
diplomatische  Korrespondenz  im  Pariser  Staatsarchiv  von  Seche* 
benutzt  wurde,  wie  die  der  beiden  Spanier  im  Archiv  zu  Alcala. 
Kein  Historiker  des  Konkordats  hatte  die  amtliche  Korrespondenz 
der  Präfekten  nnter  dem  Konsulat  benutzt.  Seche*  thut  es  mit 
Erfolg.  Sie  liefert  Detailberichte  über  die  Stellungnahme  des 
Volkes  gegen  die  Bekämpfung  des  Katholicismus  von  oben,  Ober 
die  Revolten  der  Männer  und  Frauen  in  Wort  und  That.  Die 
Memoiren  des  Gesandten  Ludwigs  XVIII.  Abbe*  Maury  führen  in 
die  dem  Konkordat  feindlichen  Kreise  von  Geistlichen  und  Laien, 
die  M£moires  inädits  de  l'Internonce  pendant  la  Revolution  sind 
benutzt,  und  ans  all  diesen  Quellen  hat  Seche*  die  Genesis  der 
Negotiationen,  die  fünf  Entwürfe,  Gregoire's  Einwirkungen  auf 
Kapoleon,  die  Bemühungen  des  Abbe*  Bernier  samt  allen  fördern- 
den und  hemmenden  Momenten  und  Elementen  vorführen  können. 
Den  neu  erschlossenen  Reichtum  an  Informationen  benutzte  Auguste 
Rivet  in  der  Universite  catholique  1895,  Nr.  4,  Les  nägo- 
tiations  du  Concordat  dapres  les  dernieres  publi- 
cations  übersichtlich  darzustellen,  eine  durch  die  andere  kontrol- 
lierend und  korrigierend.  Er  weist  in  den  kirchlichen  Zuständen 
die  Notwendigkeit  des  Vertrages  nach:  les  prötres  fideles  toleres 
dans  certaius  lieux,  proscrits  dans  d'autres,  e*taient  dans  une  Si- 
tuation ä  peu  pres  semblable  ä  celle  des  missionaires  en  pays 
infideles;  ils  avaient  contre  eux  la  legislation  et  la  haine  des 
magistrats,  des  philosopbes,  des  libertins,  des  rövolutionnaires  qui, 
pour  les  combattre  faisaient  cause  commune  avec  les  constitution- 
nels  leurs  plus  implacables  ennemis.  Die  Paganisierung  Frank- 
reichs drohte.  Die  Motive  des  ersten  Konsuls  und  Pius  VII. 
werden  dargelegt,  die  des  frommen  Papstes  mit  Verteidigung  gegen 
Insinuationen  Se'cbe's.  Es  folgen  die  Unterhandlungen  Spinas  und 
Bernier8  in  Paris,  die  Entwürfe,  das  do  ut  des,  die  Fortsetzung 
des  in  Paris  Begonnenen  dort  und  in  Rom.  Man  sieht,  wie  un- 
zugänglich Pius  VII.  und  Consalvi  der  Einschüchterung  und  der 
Überlistung  sind,  wie  viel  weiter  sie  ihre  unbeugsame  Festigkeit 


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524 


N  ACH  K I C  II  T  KN . 


fährt  als  Caprara  die  Konzessionsmaxime:  ä  tout  prix  gilt*s 
auf  den  Beinen  zu  bleiben,  denn  liegt  man  einmal,  so  giebt's 
kein  Aufstehen.  Das  Anti- Konkordat  der  77  organischen  Artikel 
wird  gewürdigt  und  die  Wirkung  der  päpstlichen  Protestation 
gegen  dasselbe  gezeigt,  durch  die  es  le  document  le  plus  informe 
geworden  ist  qui  est  place"  dans  le  Systeme  legislatif  trappe*  d'one 
dechlance  irremediable.  Das  Konkordat  blieb,  wie  Pius  VII. 
sagte,  un  acte  höroiquement  sauveur.  Daher  der  Ingrimm  der 
Feinde. 

*  12.  Napoleon  et  les  cardinaux  noirs  (1810 — 1814) 
par  Geoffroy  de  Grandmaison.  Paris,  Perrin,  1895.  IV. 
219  p.  12.  Bei  der  Trauung  Napoleons  I.  mit  Marie  Louise 
waren  rechts  vom  Altare  in  Notre  Dame  Sitze  für  die  27  ein- 
geladenen Kardinäle  reserviert.  Dreizehn  blieben  leer  und  demon- 
strierten Sr.  Majestät  ad  oculos,  dafs  ihre  Eminenzen  Mattei, 
Pignatelli,  Scotti,  della  Somaglia,  Cousalvi,  Brancadoro,  Saluzzo, 
Galeffi,  Litta,  Ruffo-Scilla,  Oppizoni,  Gabrielli,  di  Pietri  die  Ehe 
mit  Josefine  für  rechtsgültig,  die  Scheidung  für  null  und  nichtig 
hielten,  es  ihnen  deshalb  unmöglich  sei,  bei  der  Schliefsung  der 
kirchlich  unzulässigen  Ehe  mit  der  Tochter  des  Kaisers  Franz 
zu  erscheinen.  Sie  werden  es  nicht  wagen,  hatte  der  Bräu- 
tigam gesagt.  Und  siehe,  sie  wagten  es  doch,  obwohl  sie  die 
allerhöchste  Ungnade  voraussahen.  Die  traf  sie  freilich  in  voller 
Schwere.  In  der  ersten  Wut  sprach  der  Despot  von  Hinrichtung. 
Dazu  kam  es  nicht.  Dafs  er  die  kirchliche  Würde  so  wenig 
nehmen  wie  geben  könne,  mufste  er  einräumen.  Aber  aus  den 
roten  schwarze  Kardinäle  machen,  indem  er  ihnen  verbot,  die 
Insignien  zu  tragen,  ihre  Güter  sequestrieren,  die  Temporalien 
sperren,  sie  im  Osten  Frankreichs  in  Bethel,  Mezieres,  Reims, 
Sedan,  Charleville,  St.  Quentin,  Montbard,  Saulien,  Semur  inter- 
nieren, das  konnte  er  und  that  es  in  der  brutalsten  Form.  Was 
und  wie  sie  litten,  wie  die  treuen  Katholiken  zum  erstenmale 
sich  a8sociierten  zugunsten  der  auf  Almosen  Angewiesenen,  wie 
trotz  aller  Chicane  der  Polizei  die  Caisse  des  Confesseurs  de  la 
foi  sich  füllte  und  hier  der  heute  so  einflufsreiche  Laienapostolat 
entstand,  dies  alles  hat  Grandmaison  mit  voller  Sympathie  urkund- 
lich erzählt. 

IS*  Gallia  Christiana  novissima.  Histoire  des 
archevöches,  evöcbe*s  et  abbayes  de  France  aecompagneo  de  documents 
authentiques  recueillies  dans  les  registres  du  Vatican  et  les 
archives  locales  par  le  chanoine  1.  H.  A 1  b  a  n  e  s  T.  Ier  Premiere 
partie.  Province  d'Aix:  Archevöche*  d'Aix,  Evöche"  d'Apt  et  Frejus, 
Grand  in  4°  k  2  col.,  p.  1—240.  Montbeliard  HoMmann.  Unter 
diesem  Titel  erscheint  die  vierte  Bearbeitung  der  Gallia  christiana 
Es  sind  168  Jahre  vergangen,  seit  Claude  Robert  Archidiakon 


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2s'  ACI I  RICHTEN. 


525 


zu  Chalons,  angeregt  durch  den  Pariser  Parlamentsadvokaten  Jean 
Chenu,  den  ersten  Versuch  eines  derartigen  Werkes  1626  her- 
ausgegeben hatte.  1645  billigte  die  Assemblee  du  clerge  den 
Entwurf  einer  Fortsetzung,  den  ihr  die  Brüder  Scävola  und  Louis 
de  Sainte  Älarthe  vorlegten.  Doch  erst  Scävolas  Söhne  Pierre 
und  Abel  konnten  1656  nach  des  Vaters  und  Oheims  Tode  das 
Werk  abschüefsen.  So  wenig  genügten  die  vier  Folianten,  dafs 
1710  die  Assemble'e  Revision  und  partielle  dm  Schmelzung  ver- 
fugte. Die  Mauriner  Denis  de  Sainte  Martbe,  Edmond  Martene, 
Ursin  Durand,  Etienne  Brice,  Chrotien  du  Plessis,  Jaques  Roger, 
Jean  Thiroux,  Josephe  Duclow,  Claude  Bohier,  Petit  de  la  Croix, 
Felix  Hodin  übernahmen  die  Aufgabe.  Die  Kollektaneen  d'Acherys, 
Mabillons,  de  la  Serres,  du  Lauras  wurden  durch  Nachforschungen 
in  ganz  Frankreich  vervollständigt,  Massen  von  Dokumenten  in 
Originalen  und  Kopieen  nach  Saint  Germain  des  Pres  geliefert. 
1715  konnte  der  erste  Band  dem  Regenten  überreicht  werden. 
Bis  1770  folgten  noch  elf.  Doch  entsprach  die  Qualität  der 
Leistung  dem  alten  Ruhme  der  Kongregation  nicht,  und  das 
Journal  de  Trevoux  hatte  Grund,  die  Arbeiter  zweiten  Ranges  zu 
tadeln.  Etienne  Baluze  schrieb  Korrekturen  zum  ersten  Bande. 
Nachträge  zu  demselben  und  zum  zweiten  gab  Roger  de 
Gaignieres  der  Besitzer  einer  unschätzbaren  Sammlung  von  Zeich- 
nungen, Kupferstichen,  Gemälden,  Manuskripten  und  Büchern  zur 
französischen  Geschichte  des  Mittelalters.  Auf  Reisen ,  vom 
Zeichner  und  Kopisten  begleitet,  im  Archiv  der  chambre  de 
comptes  hatte  er  sie  zusammengebracht  und  rettete  durch  seine 
Abschriften  Tausende  von  Dokumenten,  deren  Originale  die  Re- 
volution vernichtet  hat.  Also  lange  vor  Vollendung  des  Ganzen 
war  schon  wieder  eine  Umarbeitung  in  Aussicht.  Noch  war  der 
XIII.  Band  nicht  gedruckt,  als  Saint  Germain  zerstört  wurde. 
Gleich  der  Histoire  litte'raire  de  France  und  dem  Recueil  des 
Historiens  de  Gaule  et  de  la  France  erlebte  auch  die  Gallia 
christiana,  nachdem  das  alte  Frankreich  und  die  alte  französische 
Kirche  untergegangen  waren,  eine  Fortsetzung  durch  die  Aka- 
demie. B.  Haureau  fügte  dem  Torso  drei  Bände  hinzu.  Eine 
nene  Ausgabe  begann  der  Benedictiner  zu  Solesmes  Dom  Piolin; 
deren  11.  Band  1874  erschien.  Eine  Nouvelle  Edition  avec  de 
nombreuses  notes,  des  commentaires  en  francais  et  des  preuves 
additionelles  dapres  les  travaux  modernes  begann  1891  der  Ver- 
leger Privat,  T.  I.  Premiere  partie  Provincia  Tolosana  in  8.  Ge- 
wifs  ist  die  Gallia  besser  als  ihr  Ruf.  Doch  haften  ihr  Mängel 
an,  die  nur  durch  eine  totale  Umarbeitung  zu  heben  sind.  Z.  B. 
die  Bischofskataloge  lassen  viele  Namen  aus,  führen  Prälaten  auf, 
die  nie  existierten  oder  an  anderen  Orten  Bischöfe  waren,  ver- 
weisen sie  auf  Sitze,  die  es  gar  nicht  gab.    Durch  Multiplikation 

Zeilachr.  f.  K.-0.  XVII,  4.  34 


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526  NACHRICHTEN. 

wurden  ans  einem  Bischof  fünf,  jeder  mit  eigenem  Namen  und 
eigener  Geschiebte.  Statt  Geburtsort,  Nationalität,  Familie  zu 
bezeichnen,  erscheinen  in  vielen  Fällen  nur  die  Vornamen  oder 
ein  Familienname,  aus  dem  der  richtige  nicht  zu  erraten  ist. 
Diplome  sind  falsch  datiert,  die  Chronologie  ist  oft  ungenau,  Ver- 
setzungen komineu  vor.  Hat  ein  Bischof  drei  Diöcesen  verwaltet, 
so  wird  er  zu  drei  Personen.  Durch  dieses  Exporiment  erhalten 
die  Bistümer  der  Provence  200  Namen  zu  viel.  Bei  solcher 
Sachlage  ist  also  der  Bau  an  vielen  Stellen  neu  zu  fondamentieren 
und  mit  echtem  Material  zu  errichten.  Dieses  ist  in  Hunderten 
von  Cartulaires  und  Spezialgeschichten,  in  topographischen  Werken 
aufgespeichert.  Zur  Richtigstellung  der  Bischofskataloge  sind  die 
Provisionsbullen  unentbehrlich,  von  denen  ein  Teil  im  vatikanischen 
Archive  liegt,  die  meisten  in  Lokalarchiven  zerstreut  sind.  Für 
die  Provinz  Aix  kommen  800  Stücke  in  Betracht.  Zwanzig  Jahre 
hat  Albanes  Vorstudien  gemacht.  Als  erstes  Resultat  ist  1896 
der  erste  Band  des  ersten  Teiles  der  neuen  Gallia  christiana  er- 
scheinen. In  fünf  Quartbänden,  je  von  1 200  Spalten  soll  die  erste 
Abteilung  die  Provinzen  Aix,  Arles,  Avignon,  Embrun  samt  den 
dortigen  Abteien  und  Klöstern  der  Benediktiner,  Augustiner,  Cister- 
zienser,  Franziskaner  und  Dominikaner  umfassen.  Jeder  Band  zer- 
fallt in  zwei  Teile.  Der  erste  erzählt  dir  Geschichte  der  Metro- 
pole, der  Erzbischöfe,  der  Suffraganbistümer  und  Bischöfe,  der  zweite 
giebt  alle  wichtigen  Urkunden.  Endlich  wird  man  also  durch  den 
Fleifs  eines  Mannes  erhalten,  was  seit  1610  als  notwendig  erkannt, 
begonnen,  verfehlt,  wieder  unternommen  wurde.  Den  Gedanken 
an  ein  Hemmnis  kann  man  freilich  nicht  unterdrücken.  Wie  alt 
ist  er,  fragte  Baronius,  als  er  von  Rosweydes  Plan  der  Acta  Sanc- 
torum  hörte;  40  Jahre,  war  die  Antwort.  Will  er  200  werden? 

*  14.  Cinquante  ans  de  ministere  paroissial  et  d'autorite" 
«Spiscopale  en  Anjou.  Mgr.  Argembault  et  Mgr.  Freppel. 
Etüde  par  J.  Subileau.  1842—1885.  1885—1893.  Paris, 
Marpon  et  Flammarion,  1894.  2  Vol.  VIII  et  336  p.  et  VI 
et  295  p.  8.  Snbileau  le  pauvre  pretre,  le  tout  petit  eure,  sur 
la  tele  de  qui,  par  sa  faute  ou  non,  se  sont  amassäes  nne  quan- 
titä  ä  peine  concevable  d'injustices,  d'abus  d'antoritä,  de  tortures 
morales,  bereitet  sich  das  Jubilaeum  der  Explosion  eines  in  50 
Amts-,  d.  h.  Kriegsjahren  angesammelten  Ingrimms  gegen  seine 
Feinde.  Die  beiden  Bande  enthalten  die  Akten  des  Prozesses. 
Wer  ist  der  Kläger?  Kein  Pfarrer,  der  fünf  Tage  der  Woche 
auf  Urlaub  geht,  meidet  sich  Feinde  zu  machen,  aus  seiner  Un- 
wissenheit die  Oberzeugung  schöpft,  ein  exemplarischer  Priester 
zu  sein.  Subileau  zeichnet  sich  als  eifrigen,  begabten,  populären, 
studienfrohen  Prediger  ohne  Phrasen  und  Bübnenkunstgriffe.  Er 
ist  der  Berater  der  Pfarrkinder  in  allen  Dingen,  auch  in  Vieh- 


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NACH  RICHTEN. 


527 


zucht  und  Abwässerung,  zugänglich,  gefällig,  wohlthätig,  honnete 
nomine,  tadellosen  Wandels,  ein  scharfer  Sittenrichter,  unermüdet 
im  Organisieren,  Gründen,  um  durch  charite  Gläubige  und  Un- 
gläubige einander  zu  nähern.  Freilich  auch  ein  Mann  von  an 
Rechthaberei  grenzendem  Bechtssinn,  von  einer  Lust  zu  regieren, 
die  für  fünf  Bistümer  ausreichte,  durch  Heftigkeit  oft  gehindert, 
kleines  klein  zu  sehen  und  als  animal  disputai  mit  dem  Talente 
begabt,  querelies  et  animosites  zu  erregen.  Dazu  moderater 
Gallikaner,  Bekenner  der  Volkssouveränität  und  Anhänger  der 
Bepublik,  Feind  ihrer  Feinde,  loyal  gegen  die  Pariser  Machthaber, 
deren  Kirchenhafs  er  ignoriert  Wer  sind  die  Angeklagten?  Die 
Bischöfe  von  Angers,  Archembault  und  Freppel,  diese  prinzipiellen 
Gegner  des  Galiikanismus,  der  Volkssouveränität,  der  Demokratie, 
der  Revolution,  ihr  allmächtiger,  dummer,  intriganter,  ordinärer, 
kleinlicher  Generalvikar.  Es  folgen  auf  der  Anklagebank  die 
Nonnen,  die  mit  Entsetzen  jeden  Priester  fliehen,  der  lauter  oder 
leiser  frondeur  gegen  Sa  Gran  den  r  zu  sein  wagt,  dann  die  Legiti- 
misten  unter  den  Pfarrkindern,  denen  die  Pariser  Regenten  Un- 
geheuer sind,  die  jeder  Christ  mit  dem  Gewicht  seiner  Verach- 
tung zermalmen  müsse.  Diese  adeligen  faiseurs,  turbulants, 
intriguants  verdächtigen  einen  Pfarrer,  der  keinen  Unterschied 
kennt  zwischen  dem  Seignenr  und  dem  Maire,  zwischen  Patrizier- 
und  Plebejerkatholiken ,  zwischen  Königsmördern  und  Königs- 
märtyrern, zwischen  der  heidnischen  Staats-  und  der  kirchlichen 
Privatschule.  Und  vollends  die  legitimistischen  Damen  mit  den 
devotions  hasardees  de  grimaces,  die  den  Glauben  als  ihre  Privat- 
domäne ansehen,  mit  ihrer  petitesse  des  idäes  sich  in  alles 
mischen  und  einen  trikoloren  Priester  zum  Teufel  wünschen. 
Worauf  lautet  die  Klage?  Auf  Mifstrauen,  Mifsliebigkeit,  Chi- 
kane,  Intriguen,  Kabalen,  Verfolgungen,  Zurücksetzungen,  Straf- 
versetzungen, pekuniäre  Schädigung,  moralischen  Totschlag.  Su- 
bileau  erscheint  sich  als  das  schuldlose  Opfer  einer  zu  seiner 
Vernichtung  verschworenen  Pharisäerbande,  die  ihn  mit  Schmäh- 
briefen, Denuntiationen ,  Verleumdungen,  von  Uaus  zu  Haus,  bei 
den  Amtsbrüdern,  in  der  Präfektur,  in  der  äveche'  verfolgt  in  der 
Intrigue  einen  Heroismus  der  Zähigkeit,  der  Lüge,  der  Abscheu- 
lichkeit entwickelnd.  Welches  sind  die  Beweismittel  für  die  An- 
klage? Klatsch,  Zwischenträgereien,  Lappalien,  Kirchenrechnungen, 
Gebührentarifsdifferenzen.  Den  Kirchenfürsten  wird  imputiert 
Taktlosigkeit,  Hoffahrt,  Dummheit,  Blindheit,  Verlogenheit,  Unter- 
schleife, Diebstahl,  monströse  Ungerechtigkeit,  Skandalmacherei, 
Zweizüngigkeit,  geistiger  Meuchelmord.  Beweise?  Schmähartikel 
gegen  Freppel  in  radikalen  Zeitungen  während  der  Wahlen,  Er- 
zählungen politischer  und  kirchlicher  Gegner.  Die  mitgeteilten 
Schreiben  der  angegriffenen  Bischöfe  stechen  im  Ton  und  Inhalt 

34* 


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528 


NACHRICHTEN. 


sehr  ab  gegen  die  Injurien  nnd  Invektiven  des  Pfarrers,  bei  dem, 
wie  er  gesteht,  le  savoir  faire  s'est  toujours  efface  devant  une 
nerte*  naturelle  und  dessen  starke  Seite  nicht  die  Obedienz  war. 
Man  merkt  nichts  von  den  interminables  tracasseries,  vom  annihiler, 
bailloner,  gavotter,  egorcher,  wundert  sich  vielmehr  über  die 
Mäfsigung,  womit  die  Bischöfe  die  ihnen  konkordatsmäfsig  zu- 
stehende Gewalt  in  diesem  Falle  übten.  Gegen  den  Klager  spricht, 
dafs  er  öffentlich  alles  wiederrufen  hat,  was  er  Injuriöses  und 
Empörendes  zum  Ärgernis  der  Glaubigen  gegen  seine  Bischöfe 
geschrieben  und  durch  den  Druck  verbreitet  habe,  und  dann  nach 
dem  Tode  der  Prälaten  den  Widerruf  revoziert,  alle  Anklagen, 
Schmähungen  und  Kritiken  erneut,  da  man  vom  Erwürgten  nicht 
fordern  könne,  dafs  er  seine  Mörder  anlächele  und  ihre  Grofsmut 
preise.  Natürlich  gilt  er  nun  als  ein  aus  Sakrilegien  zusammen- 
gesetzter Bebell.  Um  redliche,  gottvertrauende  Seelen  zu  stärken 
und  die  öffentliche  Meinung  auf  den  unerhörten  Skandal  zu  lenken, 
erzählt  er  in  der  leidenschaftlichsten  Weise  seine  Trübsale  im 
Anscblufs  an  den  Briefwechsel  mit  den  Bischöfen,  dem  General- 
vikar, Freunden  und  Feinden.  Man  mufs  alles  hören,  was  Sa 
Grandeur  dem  Pfarrer  A,  dem  Vikar  B,  der  Gräfin  C,  dem 
Marquis  D  gesagt  haben  soll,  was  Subileaus  Vikare  „diese  Lam- 
mer in  der  Höhle  Polyphems"  verbrochen,  um  die  bischöfliche 
Tyrannei  zu  konstatieren,  zu  brandmarken,  die  niedergetretenen 
Pfairer  zu  ermutigen,  den  Despoten  in  der  Mitra  die  Stirn  zu 
bieten.  Als  der  Autor  sein  Buch  las,  war  er  betroffen  über  den 
Ton,  der  einen  hochfahrenden  Charakter,  einen  der  Demut  baren 
Geist,  einen  Mann  bekunde,  der  sich  die  Miene  gebe,  in  dummer 
Weise  die  meistern  zu  wollen,  denen  er  Gehorsam  schuldig  sei. 
Diese  Autokritik  kommt  der  Wahrheit  sehr  nahe.  Einen  grofsen 
Teil  dessen,  was  ihn  traf,  hat  er  der  provozierenden  Art  zuzu- 
schreiben, womit  er  seine  politischen  und  kirchenpolitischen  An- 
sichten vertritt,  den  Gegnern  das  Existenzrecht  streitig  macht, 
und  nicht  fafst,  dafs  die  Bischöfe  volkssouveränen  Pfarrern  gegen- 
über auf  den  Gehorsam  bestehen,  auf  die  Seite  der  strengen  Ka- 
tholiken treten  müssen,  die  grofsartige  Opfer  bringen,  dafs  sie  die 
kirchliche  Schnle,  die  Kongregationen  mit  ihrer  Autorität  zu  stützen 
verpflichtet  sind. 

*  15.  Histoire  generale  de  la  Socilte*  des  Missions 
Etrangeres  par  Adrian  Launay.  3  Vol.  695.  594.  646.  p. 
Paris,  Tegni,  1894.  8.  Zehn  Jahre  hatte  der  Autor  im  Archiv 
der  Gesellschaft  das  überreiche  Material  an  Briefen,  Berichten, 
sonstigen  Dokumenten  aller  Art,  Publikationen  über  Entstehung, 
Wachstum,  Einrichtungen,  Arbeits fol der,  Hemmnisse,  Förderungen, 
Leiden,  Erfolge  der  8ociete"  durchforscht,  geprüft,  gesichtet  In 
seinem  Buche  erzählt  er  die  Geschichte  derselben  bis  1892. 


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NACHRICHTEN. 


529 


1968  Missionare  hat  sie  aasgesandt,  vornehmlich  nach  dem 
äußersten  Osten.  Ihr  Arbeitsfeld  umfafst  27  apostolische  Vika- 
riate,  2  Erzbistümer,  26  Bistümer,  852  Pfarren,  7091  Gemein- 
den, eine  Million  Katholiken.  Es  wirken  837  Missionare,  887 
eingeborene  Priester,  6652  Katecheten.  Die  Geschichte  der  ein- 
zelnen Missionen  wird  Launay  in  einem  eigenen  Buche  darstellen. 

16.  Der  Kanonikus  und  Akademiker  Ulysso  Chevalier 
will  seinem  Repertorium  hymnologicum  (Catalogue  des  chants, 
hymnes,  proses,  sequences,  tropes  en  usage  daus  TEglise  latine 
dopuis  les  origines  jusqu'ä  nos  jonrs)  ein  Repertoire  des 
cantiques  folgen  lassen,  d.  h.  eine  Bibliographie  kirchlicher 
und  geistlicher  Poesieen  in  französischer  Sprache  (d'oil,  d'oc, 
baskisch,  bretonisch).  Durch  einen  Aufruf  in  der  Universite*  Ca- 
tholique  1895,  Nr.  7  erbittet  er  sich  Nachweisungen  aus  hand- 
schriftlichen und  gedruckten  Gesangbüchern,  Heiligenlegenden  nach 
folgendem  Schema:  Incipit:  (18 — 20  Silben)  Saint:  Fete:  Ferie: 
Auteur:  Nombre  des  strophes:  de  vers  ä  la  Strophe:  Source 
MS.,  imprimäe:  Remarques. 

*  17.  La  Reaction  contre  le  Positivisme  par 
M.  L'Abbe  de  Broglie.  Paris,  Plön,  Nourrit  et  Cie  1894  XIII 
et  297  p.  8.  Einem  Religionsfabrikanten,  riet  Talleyrand  znr 
Besserung  des  Geschäftsganges,  sich  kreuzigen  zu  lassen  und  am 
dritten  Tage  aufzuerstehen.  Die  beifsende  Persiflage  dieses  To- 
desurteils traf  auch  Comte.  Das  Fiasko  der  atheistischen  Thoo- 
kratie,  die  der  aus  dem  Irrenhause  kommende  Oberpriester  des 
Menschheitskultns  gründete,  hielten  weder  die  Menschheitstempel 
auf  mit  Statuen  der  Humanitatsgöttin ,  noch  die  Anbetung  der 
weiblichen  Schutzengel  Mutter,  Frau,  Tochter  (Schwiegermutter 
fehlt),  nicht  die  neuen  Sakramente  und  das  Totengericht,  nicht 
die  Kalender  mit  dem  Sonntage  Humanidi,  den  schönen  Monats- 
namen Ehe,  Vaterschaft,  Sobnschaft,  mit  dem  Schaltfluchtage 
Julian  und  Napoleon.  Taine,  der  als  Fatalist  begann,  als  Pessi- 
mist endete,  sieht  im  Christentum  das  Schwingenpaar,  ohne  das 
die  Menschheit  in  den  Abgrund  stürze,  hält  es  aber  durch  die 
Wissenschaft  für  unwiderruflich  zum  Tode  verdammt.  Comtes 
antichristliches  Surrogat  hat  es  dennoch  überlebt.  Aber  die 
pseudophilosophische  Doktrin,  nichts  könne  man  wissen,  nichts  sei 
wissenswert  als  was  Erfahrung,  Beobachtung  und  Räsonnement 
auf  ihrer  Basis  lehrten,  hat  in  Frankreich  alle  Teile  des  sozialen 
Körpers  mittelst  der  Staatszwangsschule  durchdrungeu.  Das 
Credo  des  Gebildeten  schien  Littre  gegeben  zu  haben:  wir  sollen 
in  der  wissenschaftlichen  Domäne  bleiben,  wie  auf  einer  Insel, 
umgeben  von  einem  Ozean,  für  den  es  weder  Barke  noch  Segel 
giebt.  Doch  das  Unbehagen  an  dieser  Existenz  ä  la  Robinson 
regte  sich  und  Exkursionen  in  Nachen,  die  Spencer  ans  Hypo- 


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NACHRICHTEN. 


thesen  zimmerte,  fanden  wenige  Freunde.  Eine  Reaktion  trat 
ein,  die,  richtig  geleitet,  das  Millenium  des  Positivismus  verzögern 
kann.  Ihre  Kritik  bat  jetzt  Abbe'  de  Broglie  seinen  Schriften 
Le  positivisme  et  la  science  experimentale  2.  Vs  Conferences  snr 
la  vie  surnaturelle  3  Vs  Problemes  et  conclusions  de  l'bistoire 
des  religions,  La  Morale  sans  Dien  folgen  lassen.  Er  prüft,  was 
man  gegen  den  Feind  ohne  die  Waffen  der  christlichen  Welt- 
anschauung und  Philosophie  vermocht,  um  das  Joch  der  Negation 
abzuschütteln,  die  Rechte  der  Vernunft  und  des  Gewissens  wider 
die  tyrannische  Usurpation  des  mathematisch-physikalischen  Wissens 
zu  behaupten,  die  dumpfe  Angst  und  folternde  Unruhe  der  in 
einem  Hungerturme  eingesperrten  Geister  zu  bannen.  In  der 
Reaktion  hat  der  Enthusiasmus  des  Anfangs  nachgelassen.  Wo- 
her rührt  sie?  Das  widergeschichtliche  Hirngespinst  in  den  drei 
sich  ablösenden  Weltaltern,  dem  religiösen,  philosophischen,  ag- 
nostisch-atheistischen  ist  als  solches  erkannt.  In  der  Atmosphäre, 
die  ihnen  der  Positivismus  läfst,  können  Herz,  Gewissen,  Vernunft 
nicht  leben.  Mit  dem  Audelä  verliert  die  Phantasie  ihre  Ideale, 
die  Liebe  ihr  vollkommenes  Objekt,  die  Vernunft  die  Antwort  auf 
ihre  unaustilgbaren  Probleme,  das  Handeln  seine  Norm,  die 
Pflicht  ihre  göttliche  Sanktion,  das  Böse  seine  Zügel,  das  Sehnen 
nach  Seligkeit  seine  Erfüllung,  das  Bedürfnis  jenseits  der  Fakta 
und  Gesetze  die  Ursachen  zu  erkennen  resigniert  nicht  zugunsten 
der  Beobachtung  der  Phänomene.  Auf  die  Frage,  was  wird  aus 
der  armen  Menschheit,  falls  es  nichts  giebt,  als  das  gegen  die 
Sünde  machtloso  Wissen,  hört  man  die  Botschaft  von  der  Welt- 
verbessemng  statt  des  Individualglücks,  vom  Altruismus,  doch  es 
fehlt  der  Glaube.  Der  Zweifel,  ob  eine  neue  Menschheit,  deren 
Uraspirationen  zum  Audelä  durch  moderne  ersetzt  seien,  möglich, 
erhöhte  den  Mut  gegen  die  doktrinäre  Despotie  zu  reagieren. 
Herrscht  sie  durch  die  Behauptung,  die  Vielheit  der  Religionen  und 
Philosophien  beweise  die  Unfähigkeit  des  religiösen  Lebens  und 
der  Spekulation  zum  Audelä  und  seinen  transcendentalen  Rea- 
litäten zu  fuhren,  so  erwartet  man  den  Hauptangriff  der  Reaktion 
an  diesem  Punkte.  Aber  durch  die  Umgebung  dieser  unan- 
getasteten Positionen  sucht  sie  zu  siegen.  Die  Täuschung  eineä 
so  denkschwachen,  widerspruchsvollen  Unterfangens  mit  den  tra- 
ditionellen Respektsphrasen  von  Gott,  Pflicht,  Christentum  als 
Nationalsache,  mit  christlich  scheinenden,  sentimentalen  Vellei- 
täten  deckt  Broglie  auf.  Die  Positivisten  zweifelten  nicht  an  sieb, 
am  Fortschritt,  am  Himmel  auf  Erden.  Die  Opponenten  aber 
zweifelten  am  Positivismus,  an  sich,  an  den  Menschen  und  am 
Audelä,  versprächen  ein  höheres  Ideal,  böten  statt  der  zerstörten 
Illusion  Worte,  vermehrten  die  Negationen  um  eine  neue  nnd 
verschlimmerten  die  Lage  der  Getäuschten  und  Enttäuschten.  Sie 


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NACHRICHTEN. 


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ahnen   das  Chimärische  einer  Reaktion  mittelst  der  natürlichen 
Religion  Rousseaus  und  Jules  Simons.  Ein  vages  Pseudochristen- 
tum,  das  sich  pantheistischen  und  deterministischen  Lehren  ac- 
commodiert,  ce  partum,  wie  Renan  sagt,  qui  subsiste  encore 
quelque  temps,  quand  la  vase  est  briste,  gleicht  dem  Messer  ohne 
Klinge,  dem  der  Griff  fehlt    Nur  das  volle  Christentum,  zeigt 
Broglie,  sei  der  Stärkere,  der  den  Starken  binde.    Nur  durch 
Affirmation  desselben  als  absoluter  Wahrheit  seien  die  Geister 
vor  dem  Schiffbruch  des  Gewissens  zu  retten.    Attaquer  et  dd- 
truire  müsse  die  Parole  sein.    Um  den  halben  Freunden  und 
halben  Gegnern  aus  der  Halbheit  zu  helfen ,  zeigt  ihnen  Broglie 
die  Kraft  der  Hindernisse  des  Sieges  ihrer  Reaktion,  indem  er 
sie  anleitet,  dieselben  zu  zerstören.   Zuerst  gilt  es  das  Phantom, 
das  exakte  Wissen  absorbiere  so  alle  menschliche  Affirmations- 
kraft, dafs  aufser  ihm  nur  blinde  Schwärmerei  und  willkürliche 
Meinung  bleibe.    Religiöse  und  philosophische  Wahrheit  hätten 
ihre  eigenartige  Gewifsheit,  die  necessairement  militante  sich  nie 
aller  bemächtigen  könne,  weil  ihre  Objekte,  mit  dem  Willen,  dem 
Gewissen,  den  Leidenschaften  eng  verbunden,  in  der  menschlichen 
Natur  mächtige  Gegenwirkungen  aufriefen.  Gegen  das  Argument 
von  der  Gleichwertigkeit,  also  objektiven  Nullität  aller  Religionen 
werden  dann  die  der  Vernunft  und  dem  Gewissen  evidenten  Merk- 
male der  Transcendenz,  d.  b.  der  Superiorite*  eminente  des  Christen- 
tums komparativ  aufgezeigt,  als  eines  göttlichen  Phänomens,  das 
nicht  aus  den  Ursachen  zu  erklären  sei,  die  die  übrigen  Reli- 
gionen hervorriefen.    Gegen  den  Kultus  der  fünf  Sinne  wird 
geltend  gemacht:  eine  unsichtbare,  überweltliche  Ursache  fordert, 
was  die  Erfahrung  zeigt.    Nur  Gottes  Intelligenz  konnte  den 
Naturgesetzen  ihre  Gedanken  einprägen,  der  organischen  Welt 
den  Charakter  der  Zweckmäfsigkeit ,   dem  trägen  Stoff  Energie 
verleihen,  die  fortschreitende  Stufenfolge  bis  zum  Menschen  er- 
möglichen.    Das  Minus  kann  das  Plus  nicht  produzieren.  Es 
folgt  dio  Ausführung,  nur  christlicher  Glaube  und  christliche 
Philosophie  vermöchten  die  Bande  des  Positivismus  zu  sprengen. 
Das  schwankende  Terrain,  auf  dem  Rousseau  seine  Hütte  bauen 
wollte,  sinko  ein  bei  jedem  Schritt.    Blieben  die  Vertreter  der 
Reaktion,  statt  mit  dem  Positivismus  völlig  zu  brechen  und  das 
Christentum  energisch  zu  ergreifen,  bei  einer  vermeintlichen  Philo- 
sophie und  Religion,  die  sich  der  Wahrheit  beider  Gebiote  nähern 
wolle,  ohno  sie  zu  erreichen,  dann  verfalle  das  Unternehmen 
dem  Lose  aller  Halbheiten.    Nützen  könne  es  höchstens,  sofern 
die  acceptierten  partiellen  Wahrheiten  Menschen  guten  Willens 
weiter  drängten.     Dem  Positivismus  gehöre  nicht  die  Zukunft. 
Einer  Gedankenrevolution  entsprungen,  der  Menschenuatur  wider- 
sprechend, scheinbar  stark,  in  Wahrheit  schwach  fundamentiert, 


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NACHRICHTEN. 


werde  er  das  Idol  von  Kliquen  bleiben.  Scharfsinnig  vertritt 
Broglie  mit  voller  Überzeugung  die  christliche  Weltanschauung, 
natürlich  in  katholischer  Gestalt.  Er  denkt  mit  Sachen.  Die 
Netze  der  negativen  Dpktrin  zerreifsen,  wenn  man  sie  verachtet 
und  durch  die  Energie  des  Willens  wieder  zur  Freiheit  des  Ge- 
dankens kommt.  Es  giebt  Detail  Wahrheiten,  die  man  nur  durch 
subtile  Analyse  erkennt.  Der  Zentralwahrheiten  bemächtigen  sich 
allein  Intelligenz  und  Gewissen  zusammen.  Mit  solchen  operiert 
er  gegen  die  geistige  Epidemie,  diese  Strafe  der  Zeitgenossen, 
welche  durch  die  Gowöhnung  an  Kritik  und  Analyse  sich  um  die 
Fähigkeit  brachten,  die  Evidenz  wahrzunehmen,  die  erkannte 
Wahrheit  zu  konzentrieren,  festzuhalten,  gegen  Einwände  zu  ver- 
teidigen. Broglie  mifsbilligt  es,  die  Burg  der  christlichen  Wahr- 
heit so  zu  verpalli8adieren,  dafs  wohl  keiner  heraus,  aber  auch  nie- 
mand hinein  könne.  Als  vorzüglicher  Dialektiker  bringt  er  Rede 
und  Gegenrede  in  die  knappste,  vielsagende  Formel,  zerfasert  die 
alten,  blendend  kostümierten  Einwände,  zeigt  die  Erschleichungen 
und  Sprünge,  womit  man  zwingenden  Konklusionen  zu  entschlüpfen 
sucht,  oder  solche  zieht,  die  weit  über  das  Prinzip  hinausgehen. 
Unleugbare  Fakta  läfst  er  falsche  Axiome  widerlegen  und  er- 
schwert der  Begriffs-  und  Sprachverwirrung  das  Geschäft.  Die 
banalen  Phrasen  von  der  Natur,  die  thatsächlicher  Begründung 
entbehrenden,  sich  selbst  widersprechenden,  deterministischen  Hy- 
pothesen, die  Negation  der  Zwecke  in  der  Natur,  die  Annahme 
unbewufster  Zweckmäfsigkeit  werden  ihrer  scheinbaren  Stützen 
beraubt.  Der  absolute  Determinismus,  dieses  nichtigste,  chimä- 
rischeste, gransamste  aller  Phantome,  die  im  Denken  unserer  Zeit, 
die  sich  von  allem  Aberglauben  frei  dünkt,  nmgehen,  wird  so 
glücklich  bestritten  wie  das  Princip  de  la  superiorite*  necessaire 
que  la  cause  doit  avoir  sur  son  effot  glänzend  durchgeführt.  Die 
auf  das  künftige  Erdenparadies  ausgestellten  Wechsel  werden  als 
faul  mit  Protest  abgelehnt  und  verstohlene  Anlehen  bei  dem 
Christentum  auf  die  Provenienz  geprüft.  Gern  wüfste  Broglie, 
wie  der  Mensch  als  Rechenmaschine,  eingeschlossen  in  seine  ir- 
dischen Gedanken,  einzig  mit  den  Naturgesetzen  beschäftigt,  um 
die  Naturkräfte  auszubeuten,  dazu  komme,  sich  über  sich  selbst 
zu  erheben,  wie  zum  Altruismus,  dem  Zauberstabe,  der  die  Fäuste 
lähmen  soll,  die  sich  ballen  infolge  der  Lebren:  Gott  und  sein 
Gebot  ist  nichts,  gleiches  Glück  für  alle  ist  unmöglich,  da  es 
immer  Reiche  und  Arme  geben  wird,  wollen  nun  die  Armen  um 
jeden  Preis  die  Reichen  werden. 

*  18«  Kirchenhistorisch  beachtenswerte  Artikel  der  gedie- 
genen Universite"  Catholique  sind:  1894.  Nr.  1.  M.  J.  Belon, 
Le  Martyre  de  Jeannne  d'Arc.  Nr.  8.  F.  Vernet,  Le  pape  In- 
nocent  VII  et  les  Juifs.    Nr.  6.  Reure,  Les  deux  proces  de 


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NACH  RICHTEN . 


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Joanne  d'Arc  et  le  Manuscrit  D'ürsö.  Nr.  9.  C.  Douais,  Saint 
Augustin  et  le  Judaisme.  Nr.  10.  11.  P.  Vernet,  Saint  Bernar- 
din  de  Sienne  intime.  —  1895.  Nr.  1.  2.  A.  Devaux,  La  Priere 
dans  le  paganisme  Romain.  Nr.  2.  Ph.  Gönnet,  Plutarque,  di- 
rectenr  de  conscience.  Nr.  3.  4.  5.  Ch.  F.  Bellet,  Les  Origines  des 
Eglises  de  France  et  les  Fastes  Episcopaux.  Nr.  3.  4.  0.  Bey, 
Remarques  inedites  de  Bossuet  sur  la  Genese,  l'ßxode,  le  Levi- 
tique  et  les  Nombres.  Nr.  6.  F.  Vernet,  Papes  et  banquiere 
jnifs  an  XVIe  siecle. 


*  19.  G.  Lanson:  Bossnet  Paris  Lecene,  Oudin  et  Co. 
1894.  4*  edition.  XII.  522  p.  8°.  Die  Kommune  schoufslicben 
Andenkens  inaugurierte  1870,  den  Konvent  nachäffend,  mit  der 
Ermordung  des  Erzbischofs  von  Paris,  der  so  viel  gethan,  um 
Demokratie  und  Kirche  zu  versöhnen,  eine  Hochflut  aggressiven 
Antichristentums.  Sie  läfst  heute  nach.  L'horrible  vent  d'atheisme 
officiel  weht  augenblicklich  nicht  mehr.  Man  hört  die  Klage:  in 
Paris  werde  das  verrostete  Kirchgerät  wieder  blank  gerieben  und 
wird  an  Chateaubriands  Zeit  erinnert.  Bote  Sozialdemokraten  be- 
dauern, dafs  man  den  Enterbten  das  süfse  Wiegenlied  der  Reli- 
gion raubte,  das  sie  ihr  Elend  vergessen  liefs.  Eine  Celebrität 
wie  F.  Brunetiere,  obwohl  Nichtchrist,  hat  den  Mut,  den  Ban- 
krott der  atheistisch-materialistischen  Pseudowissenscbaft  zu  ver- 
künden, die  durch  Versprechungen  eines  Wissens-  und  GenuJs- 
paradieses  Schulden  gehäuft  habe,  die  sie  nicht  zahlen  könne.  Die 
Maulhelden  des  Quartier  latin  tobten  gegen  den  Reaktionär,  der 
Bossuet  pries,  Voltaire  nur  als  Vulgarisateur  Bayles  gelten  lieüs. 
Aber  die  Conferences,  die  Artikel  iu  der  Revue  des  deux  mondes 
waren  mächtiger  als  das  Studentengeheul.  Nachdem  Renan  den 
horame  de  toutes  les  sciences  et  de  tous  les  talents  als  Dekla- 
mator und  Phraseur  deklassiert  hatte,  um  wo  möglich  an  seine 
Stelle  zu  kommen,  wurde  der  Adler  von  Meaux  wieder  Mode. 
Seine  gestürzte  Statue  erhebt  sich  aufs  neue  unter  den  grands 
0*crivains  de  France.  A.  Rebelliau,  Bossuet  Historien  de  Pro« 
testantisme  1891.  C.  E.  Freppel,  Bossuet  et  l'eloquence  sacräe 
au  XVII6  siecle  1893  2  Vs.  A.  Sorel,  Bossuet,  Historien  de  la 
Be*forme.  Lectures  historiques  1894.  L.  Crousle\  Fe'ne'lon  et  Bossuet 
(Etudes  morales  et  littöraires)  T.  I  1894.  Th.  Delmont,  Fenelon  et 
Bossuet  d'apres  les  derniers  travaux  de  la  critique  1896.  An  dieser 
Restitutio  in  integrum  arbeitet  auch  Brunetieres  Schüler  Lanson. 
Sein  Buch  petitioniert  für  einen  Stern,  nicht  des  ancien  regime, 
sondern  Frankreichs.  Es  möchte  die  Antipathie  der  Modernen 
gegen  den  Christen,  den  Katholiken,  den  Theologen,  den  Bischof,  von 
dem  Schriftsteller  ablenken.  Man  habe  an  den  Triumph  des 
Freidenkertum8,  der  religionslosen  Moral,  des  Parlamentarismus  ge- 


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534 


NACHRICHTEN 


glaubt  und  inne  werden  müssen,  all  diese  Experimente  seien  Chi- 
mären, Illusionen  des  Traums.  Satt  des  höhnenden  Skepticismus 
und  fanatischen  Unglaubens,  zweifelnd  ohne  zu  insultieren,  ziehe 
man  in  weiten  Kreisen  die  Frommen  den  Atheisten  vor,  ahne  die 
Notwendigkeit  einer  Autorität  auch  für  das  politische  und  soziale 
Leben,  die  Unentbehrlichkeit  der  Sitte  und  Tradition  für  Orga- 
nisation desselben.  Eine  nur  auf  Interesse  und  Genufs  basierte 
Moral  sei  eine  Sottise.  Endlos  könne  man  doch  nicht  reformieren, 
revidieren,  legiferieren.  Leben  müsse  man,  ohne  bindende,  auto- 
ritative Moral  sei  das  unmöglich.  Man  müsse  sich  also,  bis  die 
neue  vollkommene  da  sei,  mit  der  alten  christlichen  behelfen,  die 
jedenfalls  besser  sei  als  der  Kodex  der  brutalen,  wilden  Immo- 
ralität.  Opportunisten  dieses  Sinnes  möchten  Lanson  bestimmen, 
Bossuet  nicht  mehr  in  blindem  Fanatismus  zu  verabscheuen.  Sie 
mögen  ihn  lesen  um  des  soliden  Materials  willen,  ohne  welches 
der  auf  den  Prinzipien  des  XVIII.  Jahrhunderts  errichtete  Bau 
unfertig  und  ruinenhafb  bleibe.  Religiös  biete  Bossuet  die  christ- 
liche Hypothese  in  der  wirksamsten,  logischesten  und  lockendsten 
Gestalt.  In  der  Politik  gebe  er  die  vernünftigste,  praktisch 
brauchbarste  Formel ;  es  komme  darauf  an,  der  geschmähten  Theorie 
von  droit  divin  socialkonservative  Prinzipien  abzugewinnen,  bei 
denen  eine  Republik  sich  nicht  schlecht  befinde.  Für  seinen  Zweck 
will  Lanson  nicht  Bossuets  ganzes  Werk  vorfahren,  sondern  nur 
zeigen,  weshalb  und  wie  derselbe  zu  studieren  sei,  welche  idees 
utiles  et  pensees  fortes  man  acceptieren  könne.  Der  Adler  er- 
scheint also  nicht  kreisend  über  Alpengipfeln,  sondern  gleichsam 
in  einer  Voliere,  zahm,  ruhig,  nur  bisweilen  die  machtigen  Schwin- 
gen ausbreitend ,  und  das  leuchtende  Auge  zur  Sonne  wendend. 
Man  sieht  ihn  als  Mensch  und  Autor,  als  Redner,  Prinzenerzieher, 
Politiker,  Historiker,  Theologen,  Polemiker,  Bischof,  Beichtvater 
und  Philosophen.  Sachkundig  auch  in  Theologischem,  wie  Predigt, 
Mystik,  Polemik,  in  philosophischen  und  pädagogischen  Fragen, 
löst  der  Autor  seine  Aufgabe.  Die  Gesamtcharakteristik  läfst  mit 
psychologischer  Schärfe  und  Feinheit  die  Eigenschaften  simplicite*, 
tendresse,  d&int£ressement,  franchise,  patriotisme,  volonte*  et  ac- 
tivitö,  öquilibre  des  facultes,  bons  sens,  amour  de  la  väritä  her- 
vortreten. Gegen  vielerlei  Mifsdeutungen  wird  Bossuet  in  Schutz 
genommen.  Nie  war  er  ein  Streber.  Ohne  Ehrgeiz,  zufrieden 
mit  dem  kleinen  Bistum,  klagte  er  nicht,  wenn  G randseigne urs» 
die  er  weit  überragte,  als  solche,  Kardinäle  und  Erzbischöfe  wur- 
den. Seine  Logik  ist  furchtbar,  doch  sein  Herz  ohne  Hafs  und 
Bitterkeit  Bei  Betrachtung  der  geistigen  Universalität  wird  her- 
ausgestellt, was  er  der  Erfahrung  und  dem  klassischen  Altertum 
verdankte.  Als  Eigentümlichkeiten  des  Stils  sind  proprio^,  ne- 
cessite  des  tours  et  des  tormes,  variötö,  grandes  periodes,  phrases 


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NACHRICHTEN. 


courtes  et  vivres,  le  pittoresque  bezeichnet.  Indem  der  Apologet 
in  partibus  infidelium  M Angel  des  Charakters,  des  Genies,  der 
Wirksamkeit,  der  Schriften  zugesteht,  erleichtert  er  sich  die  Wider- 
legung solcher,  die  nichts  von  Bossuet,  wohl  aber  die  von  Buch 
zu  Buch  wandernden  versteinerten  Produkte  des  aufgeklarten  Jahr- 
hunderts kennen.  Man  fasele  von  pompösen  Phrason,  obligater 
Donnerstimme,  imposanten  Gesten,  und  doch  habe  dieser  Kanzel- 
redner das  Verdienst  keinen  Stil  zu  haben,  wo  nicht  dor  Ort 
dazu  war.  Die  Leichenreden  waren  keine  Flunkerei,  sondern 
ruhten  auf  genauer,  oft  mühsam  erlangter  Information.  Gewifs 
konnte  er  irren,  hat  aber  seine  Überzeugung  ehrlich  und  taktvoll 
ausgesprochen.  Die  Urteile  seien  anfechtbar,  aber  weder  die 
Wahrheit  der  Gemälde  aus  der  Geschichte,  noch  die  Ähnlichkeit 
der  Porträts.  Nicht  plump  und  brutal,  doch  nnmifsverstehbar 
und  wirksam  habe  der  angeblich  servile  Hofbischof  dem  Könige 
von  der  Kanzel  Dinge  gesagt,  die  heute  kein  Hofprediger  wage. 
Leichtfertige  Litteraten  hätten  sich  eingebildet,  die  Predigten  seien 
der  Kommentar  zu  den  damals  üblichen,  aber  nichts  bedeutenden 
Höflichkeitsformeln  des  Kanzelstils  in  der  königlichen  Kapelle  ge- 
wesen. Weniger  Mut  gehörte  dazu,  anonyme  Insulten  zu  schreiben, 
als  die  beiden  ehrfurchtsvollen  aber  festen  Briefe  1675.  Die 
Politik  nach  der  Schrift  gelte,  des  Titels  wegen,  als  Sottise  eines 
bornierten,  fanatischen  Pfaffen,  sei  jedoch  ein  originelles,  gedanken- 
reiches Meisterwork,  und  noch  heute  von  aktuellem  Interesse. 
Nie  habe  der  angebliche  Advokat  des  Despotismus  den  Königen 
das  Recht  eingeräumt,  zu  thun  was  sie  wollten,  allein,  in  alloni, 
überall  das  Gesetz  zu  geben,  oder  gar  ihren  Launen  und  Leiden- 
schaften die  Sanktion  des  göttlichen  Rechtes  verliehen,  wenn  er 
sie  den  Menschen  gegenüber  als  unabhängig  und  unverantwort- 
lich hinstelle.  Gegen  die  Volkssouveränetät  der  Hugenotten  führt 
er  allerdings  Keulenschläge.  Hat  er  auch  die  römische  Geschichte 
nicht  wie  Mommsen  modernisiert,  so  bleibt  der  Kern  des  Dis- 
cours noch  heute  wahr.  Rückhaltlos  verurteilte  er  die  im  Namen 
der  Kirche  begangenen  Sünden,  warnte  Bischöfe  und  Intendanten 
vor  Dragonaden,  und  hat  in  seiner  Diöcese  keine  Gewalt  gegen 
Protestanten  geduldot  Ober  die  pastorale  Thätigkeit  als  Bischof, 
den  Kampf  gegen  die  Äbtissin  von  Jouarre  wird  Neues  mitgeteilt, 
das  dem  Prälaten  zur  Ehre  gereicht.  Als  Gewissensrath  sucht 
er  durch  Festigung  des  Urteils  und  des  Willens  sich  entbehr- 
licher zu  machen.  Unpoetisch  soll  er  sein  wegen  einiger  schwa- 
cher Verse.  Und  doch  finden  sich  in  seinen  Schriften  Stellen 
voll  die  Seele  ergreifender  Poesie.  Lanson  versteht  Bossuets  Ge- 
danken zu  entwickeln  und  zu  konzentrieren,  theologische  Ideen 
der  veralteten  Form  zu  entkleiden,  um  sie  den  Zeitgenossen  mund- 
gerecht zu  machen.   Sein  sententiöser  Stil  verrät,  dafs  er  in  der 


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536 


NAC  II  RICHTEN. 


Schule  eines  Prosaisten  war,  dem  er  rapidite,  rectitude  absolue, 
mouvement  continu,  le  style  de  logicien  nachrahmt,  qui  sait  en- 
chalner  des  pensöes,  style  d'homme  pratique,  qui  satt  le  prix 
de  temps,  style  d'honnöto  liomme  enfin,  qui  ne  tortille  jamais  et 
ne  se  veut  faire  suivre  qu'ä  force  de  se  faire  comprendro.  Chaqne 
phrase  de  Bossuet  eclaire  sa  pensäe,  mais  eile  a  des  r<§flets,  qui 
nous  decou?rent  en  nous  des  pensees,  que  nous  n'y  soupconnions 
pas;  il  y  a  mille  choses,  auxqoelles  il  n'a  jamais  songe"  et  que 
nous  ne  trouvrions  pas  sans  lui.  Bei  einem  Bittgänge  in  Ver- 
sailles konnte  der  totkranke  Bossnet  in  glühender  Jnlihitze  kaum 
aus  der  Stelle.  Die  neben  ihm  gehende  Herzogin  von  Orleans, 
Liselotte  flüsterte  ihm  zu:  Courage,  Monsieur  de  Meaux,  nous 
parviendrons !  An  diese  Scene  wird  man  erinuert,  wenn  man 
Brunetiere  und  Lanson  den  Bischof  drängen  sieht,  mit  ihnen  Schritt 
zu  halten  und  in  ihren  Kreisen  als  homogenes  Element  sich  zu  be- 
nehmen. Ohne  Verletzungen  und  Verkümmerung  gebt  es  bei  den 
Häutungen  seiner  Gedanken  nicht  ab,  wenn  der  Kirchenvater  wie 
von  Brunotiere  zum  Bitter  Bayard  des  Vorsehungsglaubens  ge- 
macht wird,  oder  wenn  er  die  Volkssouveränetät  fundamentieren 
mufs.  Dieser  apologetische  Brückenschlag  dürfte  bei  den  meisten 
Lesern  nur  den  Bindruck  eines  pont  volant  machen. 

C.  A.  Wittens. 

20.  Die  Pariser  Bibliotheque  nationale  hat  kürzlich  eine  Kopie 
der  Akten  des  Prozesses  der  Franziskaner  von  Meaux  gegen  Bischof 
Gnill.  Briconnet  (24.  Juli — 1.  Sept  1525)  erworben,  die, 
früher  im  Besitz  des  College  de  Montaigu,  von  Noßl  Beda,  dem 
Gegner  Briconnets,  benutzt  worden  ist  Sam.  Berger  berichtet 
über  sie  in  einem  Schreiben  an  Baron  F.  v.  Schickler  im  Januar- 
heft des  Bulletin  de  la  Soc.  de  l'hist.  dn  Protestantisme  francais 
1895.  Besonders  wichtig  ist,  dafs  aus  diesen  Akten  hervorgeht, 
dafs  Briconnet  thatsächlich  schon  Oktober  1523  in  aller  Form 
das  Luthertum  in  seiner  Diöcese  verdammte,  und  nicht  erst  Ok- 
tober 1525,  wie  man  aus  inneren  Gründen  meist  meinte  anneh- 
men zu  müssen.  Vom  Beginn  seines  Konfliktes  mit  den  Fran- 
ziskanern an  steht  er  zwar  fest  in  der  Verteidigung  der  Verbrei- 
tung der  Bibel  in  französischer  Sprache,  aber  ebenso  sehr  ist  er 
beflissen ,  de  separer  sa  cause  de  celle  des  luthäriens.  Berger 
tritt  dafür  ein,  dafs  Briconnet  niemals  „Protestant"  gewesen,  also 
auch  nie  „Renegat"  geworden  sei,  sondern  immer  nur  Keform- 
katholik  und  dabei  un  homme  de  pen  de  courage;  eben  darum 
wurde  er  in  der  Fortentwickelung  der  Reformationsgedanken  „fac- 
tionis  lutheranae  debellator  acerrimus".  Er  nimmt  ferner  für 
Frankreich  Ritschis  These  von  der  Einwirkung  franziskanischer 
Gedanken  auf  das  kirchliche  Programm  Lamberts  von  Avignon 


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NACHRICHTEN. 


537 


auf;  diese  Einflüsse  hätten  doch  in  den  Handwerkerkreisen  ge- 
wirkt; es  bandle  sich  am  ein  däveloppement  de  la  dämocratie 
religieuse.  Bri9onnet  habe  diesen  Zusammenhang  richtig  erkannt, 
wenn  er  darauf  hingewiesen  habe  „comment,  pour  les  franciscains, 
la  source  de  l'autorite'  est  dans  le  peuple".       G.  Katoerau. 

*  21  •  In  der  Revue  de  Theologie  et  des  Questione  reli- 
gieuses  (Montanban  1895),  Hoft  2,  hat  J.  Vielles  gegen  Reufs* 
Datierung  der  erbten  Ausgabe  der  Institution  chrötienne 
Calvins  1536  das  Jahr  1535  verteidigt  Entscheidend  sei, 
dafs  alle  französischen  Ausgaben  die  Widmung  an  Franz  I.  1535 
datierten,  die  lateinischen  1536,  dafs  Beza  die  Abfassung  1534 
setze,  dafs  nach  Calvins  Worten  in  der  Einleitung  zum  Psalmen- 
kommentar die  erste  französiticlie  Edition  anonym  erschien,  die 
von  1536  hat  den  Autornamen.  Ein  Exemplar  dieser  editio 
princeps  sei  allerdings  noch  nicht  gefunden,  aber  bis  1877  habe 
man  auch  keines  vom  Katechismus  1536  gekannt. 

Josse  Clicbtow  (Jodocus  Clichtovaeus)  aus  Nieupoort 
in  Flandern,  Schüler  le  Fevre  d'Estaples,  Doctor  von  Navarra, 
Kanonikus  nnd  Theologal  des  Bischof  von  Chartres,  den  er  er- 
zogen hatte,  dachte  über  die  Kirchenschaden  wie  Hadrian  VI. 
Die  Reformdekrete  der  Pariser  Synode  1528  rühren  grösstenteils 
von  ihm  her.  Im  Chor  der  Kirche  St  Andre*  zu  Chartres,  als 
deren  Decbant  er  1545  starb,  siebt  man  das  Grab  dos  seiner 
Zeit  berühmten  Predigers  und  Theologen,  der  sein  Vermögen  zu 
Stipendien  für  Studenten  aus  seiner  Vaterstadt  bestimmte.  Unter 
den  „furiosis  Theol«»gahtris ,  den  groben  Pariser  Eselu"  war  er 
einer  der  ersten ,  der  die  Feder  gegen  Luther  ergriff.  Die  drei 
Bücher  des  Antiiutherus  erschienen  1524.  Er  lief»  ihnen  folgen: 
De  veneratione  Sanctorum  1525,  Propugnaculum  E*clesiae  ad- 
versus  Lutheranos  1526.  De  Sacramento  Eucharistiae  contra  Oeco- 
lampadium  1526.  Compendium  veritatum  contra  Lott.eranos  1529. 
Improbatio  articulorum  quorundem  Lutheri  a  ventate  Catholica 
dissidentium  1533.  Couvulsio  calumniarum  TJlrici  Veleni,  quibus 
S.  Petrum  nunquam  Romae  fuisae,  cavillatur  1535.  De  Sacra 
scriptnra  in  linqua  vernacula  non  legenda  1536.  Er  ist  vergessen. 
Selbst  in  grofaen  reformationsgeschichtlichen  Weik  n  fehlt  sein 
Name.  A.  Cleval,  Verfasser  des  für  Scholastik  und  mittelalter- 
liches Studienwesen  so  instruktiven  Buches  Les  Ecoles  de  Chartres 
an  moyen  age,  Paris  1895,  XX  et  572  p.  hat  Clicbtow  eine  auf 
Urkunden  ruhende,  die  philosophischen  und  theologischen  Schrif- 
ten bibliographisch  und  kritisch  sorgfältig  behandelnde  Monographie 
gewidmet:  De  Iodoci  Clichtbovei  Neoport.urnsis  Dnctoris,  Theologi 
Parisiensis  et  Canonici  Camotensis  vita  et  operib»?  1172 — 1548. 
Paris  1895.    XXXII  et  153  p. 


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NACHRICHTEN. 


23,  Baron  de  Ruble*  publiciert  aus  einem  Manuskript  der 
Bibliotheque  Nationale,  fonds  francais  Nr.  24  993,  in  den  M6- 
moires  de  la  Soci&e*  de  Paris  et  de  l'Isle  de  France  T.  XXI. 
1894.  p.  1  —  52  das  Journal  de  Francois  Grin,  Beligieux  de 
Saint  Victor  1554  — 1570.  Dieses  Unikum  eines  Klostertage- 
buches erzählt  Tag  für  Tag  die  grofsen  Aktionen  des  Hauses, 
Novizenaufnahmen,  Profefsablegungen ,  Weihen,  Todesfalle,  Feier- 
lichkeiten, Besuche  des  Königs,  der  Prinzen,  Wahlen  der  haus- 
lichen Würdenträger  mit  Vor-  und  Nachspielen.  Nebenher  kommt 
vor,  was  draufsen  geschieht,  Prozessionen,  Hinrichtungen,  Ver- 
brechen, Äufserungon  des  Volksglaubens.  Man  vernimmt  die  voi 
populi  der  petits  bourgois  um  die  Abtei  her  über  die  Ereignisse 
unter  Heinrich  II.,  Franz  IL,  Karl  IX.  Darin  liegt  ein  gewisser 
Wert  wie  in  der  chronologischen  Genauigkeit,  womit  der  Kano- 
nikus datiert.  Über  die  Kämpfe  um  Paris  1567  bis  zur  Schlacht 
von  Saint  Denys  spricht  er  als  Zeuge.  Die  Hinrichtung  der  Hu- 
genotten tadelt  er,  ebenso  das  Religionsgespräch  von  Poissy,  dessen 
Vergeblichkeit  er  richtig  einsieht. 

*  24.  1782  — 1854.  Lamennais  d'apres  sa  Correspon- 
dance  et  les  travaux  les  plus  recents  par  LeR  P.  Mercier 
S.  J.  Paris,  V.  Lecoffre,  1895.  XX  et  344  p.  8°.  Ist  kein 
Kreuz  da?  fragte  der  Totengräber,  als  den  Armensarg,  der  auf 
dem  Woge  zum  Pere-Lacbaise  in  keine  Kirche  getragen  worden, 
ein  Massengrab  aufgenommen  hatte.  Nein,  hiefs  es.  Der  Ver- 
storbene hatte  es  verboten.  Der  alte  Freund  Berryer  erinnerte 
den  Totkranken  an  christliche  Äußerungen  von  ehemals;  ich  habe 
mich  seitdem  besonnen,  war  die  Antwort.  Dem  Sterbenden  Uefa 
Pius  IX.  sagen,  es  werde  der  schönste  Tag  seines  Lebens  sein, 
wo  er  ihn  umarmen  könne.  Der  Papst  ist  mir  wie  jeder  andere 
Mensch!  Feli,  veux  tu  un  prltre?  Tu  veux  nn  prltre,  n'est-ce 
pas?  bat  die  Nichte.  Nou!  Je  t'en  Supplik:  Non!  Non!  Non! 
qu'on  me  laisse  en  paixl  So  endete  Lamennais'  von  schreienden 
Kontrasten  zerrissenes  Leben.  Ein  Teil  desselben  gehört  dem 
Abbe  de  Lamennais.  Er  ist  der  gefeiertste  französische  Priester, 
seit  Massillon  der  erste  Geistliche,  der  als  litterarische  Gröfse 
allgemein  anerkannt  wird.  Man  nennt  ihn  den  zweiten  Bossuet, 
«inen  Kirchenvater  seines  Jahrhunderts,  wie  ein  Heiliger  wird 
er  verehrt.  Leo  XII.  bietet  dem  Autor,  dessen  Werke  Europa 
in  Erstaunen  und  Entzücken  setzen,  den  Purpur  an,  das  Bild 
desselben  ist  der  einzige  Schmuck  des  päpstlichen  Kabinetts. 
Könige  ehren  den  Ritter  ohne  Furcht  nnd  Tadel,  der  unter  der 
weifsen  Fahne  für  Thron  und  Altar  kämpft.  Ein  Polemiker  von 
der  Schneide  Paskais,  schreibt  er  den  Essai  Aber  den  Indifforen- 
tismus,  der  für  den  Verstand  sein  sollte,  was  Chateaubhands 
Genie  du  Christianisme  für  Herz  und  Phantasie  gewesen.  Das 


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NACHRICHTEN. 


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Buch  ist  ein  Erdbeben  nuter  bleiernem  Himmel,  rief  de  Maistre. 
Es  kann  Tote  aufwecken;  er  mufs  wachsen,  ich  mufs  abnehmen, 
sagte  Bischof  Frayssinous  der  Kultusminister.    Es  demonstrierte 
die  Notwendigkeit  des  Glaubens,  aufser  dem  es  nur  Narrheit  und 
rettungsloses  Elend  gebe,  wider  die  atheistische,  deistische,  pseudo- 
protestantische Opposition,  um  der  Verfolgung  des  Indifferentis- 
mus  Einhalt  zu  tbun,  die  auf  die  Verfolgung  mit  Schwert  und 
Räsonnement  gefolgt  sei.    Evangelische  Theologen,  protestierend 
gegen  den  Mifsverstand  und  die  Müshandlung  der  Reformation, 
nannten  doch  den  Essaisten  den  bedeutendsten  Theologen  des 
Auslandes,  eine  geistige  Zierde  der  französischen  Kirche.  Auf 
das  Familiengut  bei  La  Chenaye,  eine  Oase  in  den  Steppen  der 
Bretagne,  folgt  ihm  ein  Jungerkreis    Die  Glieder  dieses  ultra- 
montanen Portroyal  stehen  im  Bann  des  kleinen,  häfslichen  Mannes 
mit  grauen  Augen,  langer  Nase,  golbsüchtigem,  gerunzelten  Ge- 
sicht, der  aussieht  wie  ein  Küster  und  redet  wie  ein  Buch.  Unter 
seinen  Augen  bilden  sie  sich  für  die  Aufgabe  ihres  Lebens,  die 
Erfüllung  des  Klerus  mit  neuem  Geiste  und  die  Verteidigung 
der  heiligen  Kirche  gegen  alle  Feinde.    Nie  hatte  der  Gallika- 
nismus  einen  Bekämpfer,  der  in  solchem  Mafse  Feuer  vom  Himmel 
auf  ihn  fallen  liefs.    Ein  Dofensor  von  so  hinreifsender  Gewalt 
und  vor  nichts  zurückschreckeuder  Kühnheit  war  Rom  seit  Jahr- 
hunderten nicht  erstanden:  ohne  Papst  keine  Kirche,  ohne  Kirche 
kein  Christentum,  ohne  Christentum  keine  Gesellschaft,  also  der 
Papst  über  alles,  sein  Fufs  gehört  auf  den  Nacken  der  Fürsten; 
wer  dem  Nachfolger  Petri  das  Recht  abspricht  Kronen  zu  geben 
und  zu  nehmen,  fallt  von  Gott  ab.    Ihm  gehört  die  Zukunft  der 
Welt,  wenn  sein  Wahlspruch  ist:  Liberte"  et  l'Eglise,  Liberte  par 
l'Eglise,  Liberte  pour  l'Eglise.   Dies  die  eine  Seite  in  Lamennais 
Leben.    Was  zeigt  die  andere?    Im  Gefängnis  Sainte  Pelagie 
läfst  der  Bürgerkönig  und  seine  Bourgoisie  ihn  dafür  büfsen,  dafs 
er  in  Paris  nur  knechtende  Reiche  und  goknechtete  Arme  sah. 
Die  Paroles  d'un  croyant  apotheosieren  die  Massen,  satanisieren 
das  Fürstentum  als  Pandorabücbse  der  Menschheit,  erklären  die 
Revolution  für  die  heiligste  Pflicht,  um  die  Hierarchie  des  Staates 
und  der  Kirche,  diese  beiden  Gespenster,  die  sich  in  einem  Grabe 
umarmen,  zu  vertreiben.    Gregor  XVII.  beschuldigt  deu  Apoka- 
lyptiker  der  Finsternis  des  ruchlosen  Mifsbrauches  der  Bibel,  der 
Aufreizung  der  Völker  zur  Zertrümmerung  aller  staatlichen  Ord- 
nung, zur  Beseitigung  aller  Autoritäten.    Voll  Hafs  gegen  die 
Kirche  als  eine  Verräterin  der  Menschheit  und  gegen  die  mon- 
archische Bande  rifs  F.  Lammenais  den  Bau  seiner  Apologetik 
nieder  und  machte  Propaganda  für  den  Pantheismus,  bofriedigt 
in  Vernunft  und  Menschheit.    Hatte  er  im  Koran  der  empörten 
Fabriken,  diesem  Evangelium,  das  den  Krieg  predigte  und  den 


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54U 


NACHRICHTEN. 


Fluch  in  Form  des  Segens  gab,  wie  Ranke  die  Paroles  charak- 
terisiert, die  rote  Mütze  anf  das  Kruzifix  gesetzt,  so  arbeitete  er 
in  Pamphleten  „für  die  tollste  Politik,  die  je  vorgekommen In 
der  Assemblee  Constituante  gehörte  er  zur  äufsersten  Linken.  Wie 
eine  Welt  drückte  der  Anblick  Lacordaires  auf  seine  Schultern. 
Jetzt  waren  seine  Genossen  Beranger,  George  Sand  und  radikale 
Demagogen.  In  40000  Exemplaren  war  der  erste  Band  des 
Essai  verbreitet,  in  wenigen  Monaten  brachten  es  die  Paroles  auf 
400000;  die  Broschüren  des  ideologischen  Träumers  wurden  aus- 
gelacht Mit  der  Arbeit  für  Zeitungen,  ces  tristes  feuilles  pour 
lesquelles  il  n'y  a  pas  de  lendemain,  war  es  seit  dem  silence  an 
panvre  des  Kautionsgesetzes  zu  Ende.  Die  neuen  Freunde  zuckten 
die  Achseln  über  den  Mann  von  immensem  Talent,  das  ihn  vor 
Dummheiten  und  Schlingen  der  8churken  nicht  schützt,  wie  Be- 
ranger sagte,  über  das  Kind  in  Kenntnis  der  Menschen  und  Dinge, 
dessen  sich  Intriganten  und  Narren  bedienten  und  es  dann  ver- 
liefsen.  Die  alten  Geistesgenossen  Montalembert,  Gerbet,  Rohr- 
bacher, Salinis  mufsten  an  Berryers  Weissagung  denken  nach 
dem  Erscheinen  des  Essai:  du  wirst  ein  Sektonbaupt  —  Nie 
werde  ich  die  Kirche  verlassen.  —  Ich  sage  dir,  du  wirst  es 
thun,  ich  sehe  dich  schon  draufsen.  —  Warum  und  wie?  — 
Weil  du  unerbittlich  deinen  Gedanken  folgen  wirst,  wohin  sie 
dich  führen,  ohne  dafs  irgendeine  Erwägung  dich  aufhalten  könnte. — 
Das  war  geschehen.  Der  Mann,  der  es  unternommen  hatte,  die 
Hoffnung  zu  verteidigen,  nachdem  sechzig  Jahre  lang  die  Sache 
der  Verzweiflung  und  des  Todes  geführt  war,  der  allen  ewigen 
Gründen  für  die  Wahrheit  einen  neuen  Siegeszug  zu  bereiten  ge- 
dachte, sah  sich  von  Irrlichtern,  die  ihm  Leuchttürme  dünkten, 
verlockt.  Ans  einem  Theokraten  und  Legitimisten  ward  er  zum 
Demokraten  und  Radikalen.  Ausgehend  von  der  absoluten  Auto- 
rität des  Papstes,  der  untrüglichen  Stimme  der  allgemeinen  Ver- 
nunft, als  einziger  Quelle  der  Gewifsheit,  endete  er  im  absoluten 
Skepticismus.  Die  Gläubigen  klagten  über  den  zum  Feinde  ge- 
wordenen Widerchristen :  nur  ein  Engel  und  ein  katholischer 
Priester  könnte  so  tief  sinken  wie  er.  Guizot  zählt  den  grofoen 
Geist,  der  geboren  war  einer  ihrer  strengBten  Zuchtmeister  zu 
werden,  zu  den  intellektuellen  Missethätern  der  Zeit.  Man  be- 
greift, dafs  ein  so  eigentümliches,  widerspruchsvolles,  unglückseliges 
Leben  die  biographische  Forschung  reizte,  wie  das  Abälards.  Wie 
viele  Autoren  haben  sich  mit  ihm  beschäftigt!  Barbey  d'Aure- 
villy,  Baumgarten-Crusius ,  Birö,  Blaige,  Boyer,  de  Brunetiere» 
Caro,  Chalembert,  Combalot,  Courchinoux,  de  Courey,  Farraz,  Forgues, 
de  Gaillart,  Gerbet,  de  Grandmaison,  Guillon,  Guizot,  La  Roche- 
Häron,  Janet,  Lacordaire,  J.  P.  Lauge,  Lerminier,  H.  Leo,  de 
Lomenie,  Madrolle,  Manet,  Maret,  Matignon,  Mirecourt,  Paganel, 


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NACHRICHTEN. 


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Peign6,  Peyrat,  Pontal,  de  Pontmartin,  Ranke,  Regnaut,  Renan, 
Ricard,  Rispel,  Robinet,  Roussel  de  Sacy,  Sainte  Beuve,  Sainte 
Poi,  Scherer,  J.  Simon,  Spuller,  Taillandier.  1867  hatte  Mercier 
in  den  Etudes  religienses  dem  Leben  Lamennais,  einem  der  in- 
struktivsten in  der  Geistesgeschichte  des  Jahrhunderts,  eine  psy- 
chologische Studie  gewidmet.  Er  hält  dafür,  dafs  der  Einflufs 
des  Autors,  der  zugleich  die  Freude  und  der  Schmerz  der  Kirche 
war,  durch  den  sogenannten  christlichen  Sozialismus  noch  stei- 
gen werde,  je  mehr  die  religiösen  und  sozialen  Fragen  in  den 
Vordergrund  träten.  Dem  freien  und  stolzen  Geiste  geht  er  nach 
auf  allen  Wegen  und  Irrwegen,  die  doch  nie  zu  einer  schwäch- 
lichen, unklaren  Mitte  führten.  Nicht  vor  einem  unlösbaren  Rät- 
sel will  er  stehen  bleiben  angesichts  des  Kontrastes  zwischen 
dem  Bekenner  des  Essai  und  dem  Montagnard  der  Constituante. 
Bis  in  den  Grund  dieser  leidenschaftlichen,  ruhelosen  Seele  sucht 
«r  zu  dringen,  um  zu  erkennen,  wie  sich  langsam  und  unbewufst 
die  Bewegung  vollzieht,  die  ihn  in  der  Welt  seiner  Ideen  von 
einem  Pol  zum  andern  führte.  Den  Schlüssel  sucht  er  durch  die 
Zwischenstufen  in  Herkunft,  Temperament,  Erziehung,  in  den  Ma- 
nifestationen des  Herzens,  der  Intelligenz,  der  Charakters,  in  den 
verschiedenen  Milieus  und  ihrem  Einflufs  auf  die  Kämpfe,  Passio- 
nen, Utopien.  Das  rasche  meteorartige  Aufsteigen  erklärt  sich 
ihm  so  wie  der  jähe  Sturz.  Alle  Gerüchte  draufsen  heifst  er 
schweigen  und  zieht  sich  in  den  intimsten  Kreis  seines  Helden 
zurück,  studiert  ihn,  wie  er  sich  in  der  Korrespondenz  darstellt. 
Sie  ist  Hauptquelle  unseres  Buches.  Freilich  enthält  sie  nicht 
alle  Briefe,  soviel  auch  durch  Blaize,  Em.  Forgues,  de  Courcy  et 
de  la  Gournesie,  Eug.  Forgues,  du  Bois,  de  la  Villerabel  publi- 
ziert sind.  Darin  liegt  kein  Hindernis.  Einige  Schreiben  aus 
jeder  Lebensperiode  zeigen  den  ganzen  Hann,  wie  er  sich  in 
allen  übrigen  dieser  Zeit  angehörenden  giebt.  Lamennais  selbst 
hat  den  Briefwechsel  mit  vielen,  die  seit  Ende  des  ersten  Em- 
pire in  die  politischen,  religiösen,  philosophischen  Bewegungen 
eingriffen,  als  authentische  Dokumente  zur  Erkenntnis  seiner  Ge- 
danken bezeichnet.  Bei  präzisem,  energischem,  oft  brillantem  Aus- 
druck Bind  es  kurze  Pamphlete  von  ermüdender  Monotonie.  Der 
Schreiber  spricht  allein  und  macht  dreifsig  Jahre  lang  der  Ironie, 
der  Verachtung,  dem  Hafs,  dem  Ingrimm  Luft  gegen  die  Schur- 
ken, Banditen,  Korsaren,  Piraten,  Besessenen,  die  ames  mächantes, 
viles,  caverneuses,  die  seine  Gegner  sind,  die  Fürsten,  die  blöd- 
sinnige Gesellschaft,  die  aus  der  Salpetriere  in  die  Morgue  geht 
Auf  tausend  Druckseiten  entladet  sich,  in  konstanter  Stärke,  ohne 
Nüance,  ein  giftiger  Pessimismus,  dessen  Paroxismen  kleine  All- 
täglichkeiten, Journalartikel,  Kammerverhandlungen  erregen.  Mer- 
cier legt  nach  den  Briefen  die  Wurzeln  dieses  grauenvollen  Ge- 

Z*iUchr.  f.  K.-G.  XVII.  4.  35 


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542 


NACHRICHTEN. 


mfit6zu8tandc8  blofs.    Man  sieht  einen  an  Gröfsenwahn  grenzen- 
den Hochmnt.    Als  Kind  erschrak  Lamennais  selbst  vor  einer 
Äufserung  desselben:  diese  Menschenmasse  betrachtet  was  ich 
betrachte,  aber  was  ich  sehe,  sieht  sie  nicht.    Auf  der  letzten 
Reise  nach  Roin  sagte  er  zn  einem  Gefährten,  die  Zähne  zusam- 
men beifsend,  die  Hände  aufn  Herz  drückend:  hier  spüre  ich  einen 
bösen  Geist,  der  mich  eines  Tages  ins  Verderben  treiben  wird. 
Im  Capanens  Dantes,  der  anter  der  Qnalen  lästert,  erkannte  er 
eich.   Der  Apostel  der  raison  generale  war  der  stolzeste  Anbeter 
seines  Verstandes,  der  die  handfeste,  eiserne  Säge  der  Logik  und 
Dialektik  siegesgewifs  handhabte,  den  Verstandeshochmut  brach 
die  Frömmigkeit  nicht.    Babelais  und  Rousseau,  die  Encyklopä- 
disten,  hatten  dem  Knaben  Reinheit  und  Glauben  genommen,  die 
oft  tobsüchtige  Phantasie  verwüstet.   Bis  zum  22  Jahr  verschob 
er  die  erste  Kommunion,  wählte  den  Katholicismus  als  Religion 
der  Autorität,  ohne  in  ihr  Hilfe  gegen  Unstäte,  Melancholie,  Ohn- 
macht, Ängste,  Agonieen  der  Seele  zu  finden.    Mit  32  Jahren 
erscheint  er  sich  unglücklich,  verächtlich,  nicht  gelangweilt,  nicht 
amüsiert,  nicht  arbeitend,  nicht  müssig,  niedergedrückt  von  einer 
geistigen  und  leiblichen  Indolenz,  bitterer  und  erschöpfender  als 
alle  Arbeit    Angeekelt  von  Menschen,  von  Natnrschönheiten  ist 
seine  Seele  eisig,  schwarz,  genagt  von  Langerweile.    Er  kann 
nicht  studieren,  wirken,  ruhen,  nichts  interessiert  ihn,  er  ist  mit 
der  Welt,  mit  dem  Leben,  das  ihm  eine  Hölle  scheint,  fertig. 
Mit  sich  selbst  möchte  er  brechen  können,  um  der  qualvollsten, 
unheilbarsten  aller  Krankheiten  zu  entfliehen,  wo  man  nur  noch 
Kraft  hat  sich  zu  foltern     Offenbar  leidet  er  an  der  sündlichen 
Seelenkrankheit  der  Akedie,  die  aus  Mangel  der  Freude  an  Gott 
entspringend,  za  Apathie,  Verbitterung,  Wubnsinn,  Selbstmord 
führen  kann.    Und  diesem  Zustande  meint  er  zu  entgehen,  wenn 
er  Priester  wird,  wozu  gutmütige,  blinde  Freunde  raten,  obwohl 
nichts  ihm  so  widerstand.    Nach  der  Weihe  meint  er  an  einem 
Haar  über  dem  Abgrund  der  Verzweiflung  zu  hängen    So  unglück- 
lich wie  möglich,  will  er  versuchen  am  Fufse  des  Pfahles,  an 
den  man  seine  Kette  genietet,  zu  schlummern,  glücklich  wenn 
nur  niemand,   unter  tausend  ermattenden  Vorwahlen,  seinen 
Schlummer  störe.    In  den  Huldigungen,  die  der  erste  Band  des 
Essai  brachte,  sah  er  Redensarten  und  den  Ruin  des  einzigen 
Gutes,  das  ihm  das  Leben  erträglich  mache,  Verborgenheit.  Nur 
eines  wünscht  er,  zu  sterben.    Diese  Öde  und  Apathie  drückt 
noch  seine  letzten  Jahre    Auf  den  Libanon  möchte  er,  ist  aber 
an  Paris  gekettet,  weifs  nicht  was  Irische  Lurt  ist,  kennt  die 
Farbe  des  Grases  nicht  mehr,  dt»n  Duft  der  Wälder  und  Felder, 
der  Schmutz  ist  Paris,  Paris  ist  der  Schmutz  I   Eine  solche  ake- 
dische  Zerrüttung  ist  möglich  bei  Kopfrhristen,  die,  wie  Lamen- 


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NACHRICHTEN. 


543 


nais  sagt,  von  den  kirchlichen  Wahrheiten  fiberzeugt  sind  kraft 
der  Verstandesdemonstratiooen  wie  von  den  Sätzen  des  Enklid. 
Zu  solchen  gehört  er  selbst.    Bei  dem  Gefühlschristentnm  hat 
seine  Phantasie  hospitiert,  die  soziale  Bedeutung  der  Kirche  war 
ihm  klar,  die  Mysterien  des  Glaubens  hat  er  nie  wirklich  erfahren. 
Darüber  sind  Freunde  und  Feinde  einig.    Die  acceptierte  objek- 
tive Wahrheit  war  ihm  nicht  zur  subjektiven  geworden.   Er  konnte 
geistreiche  Reflexionen  zur  Imitatio  schreiben,  für  die  Ideale  Gre- 
gors VII.  glühen,  den  Reichtum  der  Welt  in  eine  scholastische 
Formel  zusammenpressen,  mittelst  der  Phantasie  die  Dinge  auf 
eine  chimärische  Spitze  treiben  und  sich  durch  Leidenschaftlich- 
keit über  den  Hauptmangel  seines  Herzens  täuschen.   Sie  erhöhte 
die  Intensität  seines  Empfindens,  malte  ihm  ungeheure  Perspek- 
tiven vor,  zeigte  ihm  nur  Engel  und  Teufel,  nicht  Menschen,  liefe 
ihn  bald  nur  Licht-,  bald  nur  Schattenseiten  des  Katholicismus 
sehen,  die  gallikaniscben  Artikel  als  Produkte  des  Antichristen- 
tums  verfolgen,  die  Bedingungen  der  Realisierung  seiner  Projekte 
völlig  verkennen.    Kardinal  Wiseman  fragte  ihn,  wie  denn  die 
geschilderte  Palingenesie  wirklich  werden  solle:  mir  ist,  war  die 
Antwort,  als  stehe  ich  am  Ende  einer  langen  Galerie,  an  deren 
anderem  Ende  sich  glänzende  Lichter  zeigen,  die  über  die  dor- 
tigen Gegenstände  ihre  Strahlen  ausgiefsen.   Gemälde,  Skulpturen, 
Geräte,  Personen  erblicke  ich.  Aber  dunkel  ist  der  ganze  Zwischen- 
raum zwischen  mir  und  ihnen,  was  ihn  erfüllt,  kann  ich  nicht 
beschreiben.   So  verhüllen  ihm  logischer  Fanatismus,  kühne  Würfe 
ohne  Begründung  und  Vermittelung,  phantastische  Voraussetzun- 
gen, die,  momentan  blendend,  sich  in  Dunst  und  Nebel  auflösen, 
wenn  der  Gedanke  sie  zu  ergreifen  sucht,  alles  was  zwischen 
Ludwig  IX.  und  XVIII.,  Innocenz  III.  und  Gregor  XVI.  liegt. 
Was  er  von  Tertullian  und  Antoine  Arnauld  sagt,  gilt  von  ihm: 
d'un  charactere  ardent,  pr&omptueux ,  opiniätre,  plein  de  genie, 
tous  deux  ayant  rendu  ä  la  religion  d'äminents  Services,  ils  se 
laisserent  entrainer  ä  la  fouge  d'une  imagination  qui  outrait  tout 
Widerspruch  brachte  ihn  schon  als  Kind  aufser  sich,  in  der 
Schule  muf&te  man  den  Unbändigen  binden.    Die  Zeit  der  Ligue 
war  ihm  eine  der  schönsten  der  heimatlichen  Geschichte.  Be- 
ranger  wies  ihm  den  Terreur  als  homogenes  Terrain  zu.  Mer- 
cier  ist  es  vor  allem  um  ein  Seelengemälde  zu  thun,  das  ihm 
gelungen  ist    Die  der  Korrespondenz  entnommenen  Data  ver- 
knüpft er  mittelst  der  Erinnerungen  der  Freunde,  der  Arbeiten 
über  Lamennais,  Lacordaire,  Gerbet,  Laurentie,  Tesseyre,  Bore*, 
Combalot,  J.  de  Lamennais,  Carron,  Quelen.    Unäcbte  Bonmots, 
Irrtümer,  die  der  H*»fs  propagierte,  notiert  er,  läfst  spatere 
Fehler  nicht  den  Maf>stab  für  frühere  Thaten  abgeben.  Über 
die  bona  fides  urteilt  er  milder  wie  Ranke,  eingedenk  der  Ge- 

35» 


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544 


NACHKICHTEN. 


brechlichkeit  unseres  Herzens,  das  unbewnfst  ein  Abgrund  von 
Widersprüchen  sei.  Im  wesentlichen  stimmt  er  den  würdigen 
Worten  Guizots  zu:  J'admira  autant  que  personne  cet  esprit 
äleve*  et  hardi,  qui  avait  besoin  de  s'älancer  jusqu'au  dernier 
terme  de  son  idöe,  qu'elle  fut,  ce  talent  grave  et  passionn£, 
brillant  et  pur,  amer  et  melancolique,  apre  avec  älegance  et  tendre 
quelqoefois  avec  tristesse.  «Tai  la  confiance,  qu'il  y  avait  dans 
cette  äme,  oü  Torgoeil  blosse*  ä  mort  semblait  seul  regner,  beau- 
coup  de  nobles  penchants,  de  bons  däsirs  et  de  doulourux  com- 
bats;  ä  quoi  ont  abonte*  tous  ces  dons?  Ce  sera  Tun  des  griefs 
les  plus  särieux  contre  notre  6poque  que  ce,  quelle  a  fait  de  cette 
nature  superieure  et  de  quelques  autres,  qui  so  sont  egalement 
perverties  et  perdues.  Sans  doute  ces  anges  döchus  ont  eu  eux- 
mömes  leur  part  dans  leur  chute;  mais  ils  ont  subi  tant  de  per- 
nicieuses  tentations,  ils  ont  assiste"  ä  des  spectacles  ei  troublauts 
et  si  corrupteure,  ils  ont  väcu  au  milieu  d'un  tel  döreglement  de 
la  pens^e,  de  l'ambition  et  de  la  destinee  humaine,  ils  ont  obtenu, 
par  leurs  egarements  memes,  et  en  flattant  les  passions  et  les 
erreurs  de  leur  temps  de  si  faciles  et  si  brillante  succes,  qu'il 
n'y  a  pas  ä  s'etonner  beaucoup,  que  les  mauvais  germes  se 
soient  developpls  et  aient  fini  par  dominer  en  eux.  Je  ressens 
plus  de  tristesse  que  de  colere.  et  je  demande  grace  pour  eox 
au  moment  meme,  oü  je  ne  puis  m'empecher  de  prononcer  dans 
mon  Äme  snr  leurs  oeuvres  et  leur  influence  une  severe  condam- 
nation. 

*  25.  Le  Cardinal  d'Ossat  Eveqne  de  Bennes  et  de  Ba- 
yeux  (1537  — 1604).  Sa  vie,  ses  negotiations  ä  Borne  par  M. 
VAbbö  A.  Degert.  Paris,  V.  Lecoffre,  1894.  XIII  et  403  p.  8°. 
Lange  bevor  Bänke  die  Schatzkammer  der  venetianischen  Gesandt- 
schaftsberichte aufschlofs,  hatten  d'Ossats  Depeschen  Bewunderer 
an  Balzac,  Voiture,  d'Avaux,  Colbert,  Naude\  Saint  Simon,  Wique- 
fort,  Chesterfield,  Voltaire,  Diderot  gefunden.  Dem  Verfasser 
wurde  einstimmig  grofs^s  geschichtliches,  juristisches,  kanonistisches 
Wissen,  genaue  Kenntnis  der  zu  behandelnden  Sachen  und  Per- 
sonen zugesprochen,  psychologischer  Scharfblick,  feine  Beobachtung 
des  einzelnen,  richtige  Totalauffassung  der  Situation  und  ihrer 
Forderungen.  Dieser  Einsicht  entspreche  die  Gesch&ftsgewandbeit, 
das  Geschick  günstige  Konjunkturen  zu  wittern,  ungünstigen  Kom- 
plikationen Erfolge  abzugewinnen,  in  den  schwierigsten  Lagen 
Auswege  zu  entdecken,  ce  que  la  fortune  sembloit  präsenter  de 
la  main  gauche  prenant  de  la  droite.  Gleich  dem  Arzt  nach  den 
Ursachen  der  Krankheit  und  der  Natur  des  Patienten  die  Heil- 
mittel wählend,  war  er  für  den  entscheidenden  Moment,  oft  wie 
durch  geniale  Inspiration,  gerüstet  Vertraut  mit  dem  inneren 
Zusammenhang  aller  grofsen  kirchenpolitischen  Fragen  Europas 


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NACHRICHTEN. 


operierte  er  nüchtern,  wachsam,  ohne  Eigensinn.  Gefragt  Bprach 
er  rondement  et  librement  seine  Ansicht  ans,  korrigierte  sie  gern 
und  unterwarf  sich  leicht  dem  Urteil  besser  Unterrichteter,  auch 
ohne  ihre  Gründe  zu  verstehen.  Keine  Illusion  liefe  ihn  nach 
einem  momentanen  Erfolge  haschen,  weder  Mangel  noch  Obermafs 
an  Eifer  ihn  seine  Sache  kompromittieren  oder  in  Fallen  geraten, 
wie  sie  ihm  in  einer  Zeit  gestellt  wurden,  von  der  Clemens  VIII. 
klagte:  Könige  und  Fürsten  erlauben  sich  alles  was  Profit  bringt, 
und  die  Sache  ist  soweit  gekommen,  dafs  man  es  in  der  Ordnung 
findet  nnd  gar  nicht  Übel  nimmt  Herzog  Francesco  Maria  von 
Urbino  hat  gesagt:  Bricht  der  einfache  Edelmann  oder  nicht  sou- 
veräne Seigneur  sein  Woit,  so  trifft  ihn  Tadel  und  Schmach,  aber 
Sou?eräne  können  im  Staatsinteresse  Vertrago  schliefsen  und  bre- 
chen, Alliancen  eingehen  und  lösen,  lügen,  verraten  u.  b.  w. 
d'Ossat  liefs  sich  von  Gewissen  und  Bepntation,  diesen  wertvoll- 
sten Dingen  in  der  Welt  leiten,  billigte  nie,  was  jenes  verurteilte, 
um  den  Mächtigen  zu  gefallen,  verabscheute  es  nach  Bedarf  mit 
der  Löwen-  und  Fuchshaut  zu  wechseln.  Möchten  Narren  und 
Schurken  auch  Wahrheit  und  Recht  falschen,  dennoch  blieben  sie 
eins  und  sicher  der  schliefslichen  Anerkennung  der  Guten  und 
Einsichtigen.  In  Rom,  ou  il  a  plus  de  finesse  que  dans  le  reste 
du  monde,  übte  er  als  Unterhändler  franchise  et  loyaute,  ver- 
zichtete, um  reine,  freie  Hände  zu  behalten,  auf  Geld  nnd  Wür- 
den. Belohnt  mit  Pfründen,  die  fast  nichts  eintrugen,  mit  Pen- 
sionen, die  nicht  bezahlt  wurden,  verdammte  ihn  Pack  und  Sack 
des  Kardinalates  zu  steter,  schimpflicher  Armut.  Non  chatouilleux 
de  ces  grandeurs  hatte  er  keinen  Schritt  gethan,  kein  Wort  ge- 
sagt, um  Fürst  der  Kirche  zu  werden.  Dreifsig  Jahre  bewahrte 
er  seine  Integrität  unter  Diplomaten,  die  grofs  geworden  in  einer 
Schule  der  Verstellung,  nur  Gewinn  und  Ehre  suchten.  Obwohl 
er  Lob  und  Lohn  für  das  ihm  Gelungene  gern  andern  zuwandte, 
blieb  ihm  doch  das  Vertrauen  Heinrichs  IV-,  dessen  politische 
Rechnungsfehler  er  entdeckte:  „unternehmen  sie  mit  ihrer  ge- 
wohnten Klugheit,  Sorgfalt  und  Treue  die  Sache  zu  ordnen;  thun 
sie  es  nicht,  so  wird  niemand  damit  fertig".  Gern  gewährte  der 
König  dem  weitsichtigen,  kaltblütigen  Patrioten,  der  geistlichen 
Ernst,  Herzlichkeit,  Güte  mit  kühner  Energie  und  einer  royale 
facon  de  procäder  verband,  den  erforderlichen  Spielraum  zur  selb- 
ständigen Aktion.  Nach  einer  schwierigen  Unterhandlung  bat 
Pius  VII.  Niebuhr  beide  Hände  gereicht  und  ihm  gedankt,  dafs 
er  sich  als  redlicher  Mann  erwiesen  Ahnlich  dachte  der  durch- 
aus aufrichtige  Clemens  VIII.  über  den  Mann,  der  sich  ihm  in 
einer  der  gröfsten  Sachen  als  ehrenhaft  nnd  wahr  bewährt  hatte, 
die  seit  Jahrhunderten  die  Entscheidung  des  heiligen  Stuhles  ver- 
langt hätten.    Förderte  sie  doch  die  Versöhnung  Heinrichs  mit 


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646  NACHRICHTEN. 

den  Katholiken,  Frankreichs  mit  Rod,  die  Pacifikaiion,  die  Rman- 
cipation  der  Kirche  von  der  Co  rate  1  Philippe  IL  Wegen  seiner 
Mitwirkung  zur  Absolution  des  Königs  erscheint  d'OssatB  Name 
bei  'ien  Historikern  des  französischen  Calvinismus,  der  Religions- 
kriege, der  Ligue,  des  Ediktes  von  Nantes,  der  Regierung  Hein- 
richs IV.,  des  Pontifikates  Clemens  VIII.  Sein  Leben  war  ver- 
gessen wie  das  Gran  vel  las  Die  kurze  Biographie  Amelot  de  la 
Houssave's  yor  der  Ausgabe  der  Lettre«  1697  blieb  die  erste 
und  letzte,  denn  Madame  d'Arconville'a  längst  vergessene  geist- 
lose Paraphrase  derselben  zählt  nicht  Erinnere  ich  mich  richtig, 
so  fehlt  in  der  Galerie  zu  Versailles  d'Ossats  BUd.  Solcher  un- 
verdienten Vergessenheit  bat  Abbe  Degert  einen  Diplomaten  ent- 
zogen, der  in  Wort  und  That  dem  bösen  Rufe  widerspricht,  den 
seine  Kollegen  als  Gimpel  oder  Schurken  geniefsen.  In  drei 
Büchern  vindiciert  er  den  Anspruch  seines  Helden  auf  die  Be- 
wunderung der  Vergangenheit  und  die  Dankbarkeit  der  Gegen- 
wart Das  erste  Buch  erzählt  die  Lehrjahre  des  armen,  ver- 
waisten Hufscbmiedsobnes.  Der  hofmeisternde  Student  unter  Rame 
und  Cujas  wird  Sekretär  des  Gesandten  de  Foix,  Berater  des 
Kardinalprotektors  der  französischen  Angelegenheiten  und  macht 
Schule  für  die  Aufgabe  seines  Lebens  in  Verhandlungen  mit 
dem  Papst  und  den  Ministern,  die  in  ihm  einen  der  hommes 
supärienrs  erkennen  lassen,  qui  tout  en  faisant  leur  mätier  Ka- 
vent faire  bien  d'autres  choses,  wie  Heinrich  IV.  sagte.  Im  zwei- 
ten Buch  Le  Diplomate  wird  die  Biographie  naturgemäfs  Schil- 
derung der  Negotiationen  über  die  Absolution.  Die  Präliminarien 
zeigen  d'Ossat,  der  als  Katholik  und  Franzose  den  Übertritt  sei- 
nes Monarchen  für  aufrichtig  hält,  den  Bearner  verteidigend  gegen 
das  nur  zu  begründete  Mifstrauen  des  Papstes,  der  Spanier  und 
der  Hugenotten.  Er  weifs  den  drohenden  Bruch  zwischen  Frank- 
reich und  der  Kurie  zu  verhüten  und  trotz  des  Sturmes  gegen 
Arnaulds  Mördergesindel  die  Jesuiten,  seine  Position  und  ihre  Er- 
rungenschaften zu  behaupten.  Nach  unsäglichen,  aus  der  Sache, 
der  Lage  Clemens  VIII.  und  Philipps  II.  entspringenden  Schwie- 
rigkeiten ist  endlich  das  Ziel  erreicht  Seitdem  hat  der  ständige 
Interpret  und  Defeusor  der  französischen  Politik  in  Rom  ihre  In- 
teressen zu  vertreten,  den  Einflnfs  der  Spanier,  „dieser  Christen 
ohne  alle  Religion"  auf  den  Papst  zu  paralysieren,  ihn  von  un- 
zeitigen Schritten  abzuhalten,  zu  denen  faux  rapporteurs  treiben, 
lie  et  ordure  restans  de  la  ligne,  qui  en  leur  coeur  ne  feront 
jamais  paix  ni  avec  le  Roi ,  ni  avec  les  bons  Francois,  ni  avec 
eux  meraes.  Den  König,  Villeroi,  die  wechselnden  Gesandten 
muf8  er  instruieren,  beraten,  Fnnken  löschen,  Friktionen  ebnen. 
Es  galt  die  Spanier  von  Marseille  fernzuhalten,  die  von  Toscana 
besetzten  Inseln  If  nnd  Pomueges  an  Frankreich  zurückzubringen, 


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NACHRICHTEN. 


547 


den  Wölfchen  vou  Savoyen,  die  sich  untereinander  fressen  wür- 
den, wenn  man  sie  in  ihren  Bergen  und  Hötilen  hausen  lasse, 
Saluzzo  streitig  zu  machen.    Als  der  König  den  Hugenotten  Zu- 
gestandnisse macht,  erhalt  d'Ossat  die  Bolle  eines  Beschwichtigungs- 
hofrates.  Schwer  wird  sie  ihm  nicht    Die  Religionskriege  hatten 
ihn  die  absolute  Notwendigkeit  politischer  und  sozialer  Toleranz 
gelehrt   Für  jene  arbeitete  er  im  katholisch- nationalen  Interesse. 
Diese  übte  er,  wenn  er  dem  Sohne  Duplessy-Mornay's  so  gütig 
begegnete  wie  Du  Perron  und  Baronius  dem  Casaubonus,  wenn 
er  sich  der  Witwe  Colignys  eifrig  annahm.  Jeder  Schritt  zum  Edikt 
von  Nantes,  und  dieses  selbst  bringt  Clemens  aufser  sich.  Der 
Gesandte,  korrekter  Katholik,  wenn  auch  nicht  vom  Credo  espano), 
beklagt  mit  dem  Papste  diese  Übel,  verteidigt  sie  aber  als  poli- 
tische Notwendigkeit  für  die  pauvre  convalescente  France.  Nie 
war  ein  Kardinal  weniger  amoureux  de  Rome  als  er,  doch  unter- 
laßt er  nie,  wenn  der  Papst  und  der  heilige  Stuhl  Recht  haben, 
das  auszusprechen  und  dahin  zu  wirken,  dafs  es  ihnen  werde, 
auch  vom  Könige,  dem  es  wohl  austebe  jedem  Gerechtigkeit  zu 
erweisen.    Vergebens  mühte  er  sich  um  die  Publikation  des  Tri- 
dentinums,  im  Notfall  sauf  de  deux  ou  trois  lignes,  als  Bedingung 
der  Reform  des  Klerus.   Er  erreichte  aber,  dafs  den  Nachzüglern 
der  Ligue  auf  den  Kanzeln  von  Rom  ans  die  aufrührerische  Ein- 
mischung in  Staatssachen,  deren  Motive  sie  nicht  verstanden, 
untersagt  wurde.   In  die  Jesuiten  war  er  nicht  verliebt,  plaidierte 
aber  im  Interesse  des  Vaterlandes  für  die  Unentbehrlichen,  die 
allein  mehr  Eifer,  Geschick,  Mittel  hätten  Völker  im  Gehorsam 
zu  erhalten  als  alle  Orden  zusammen.     Die  Hebung  der  ver- 
kommenen Marine,  die  Annullierung  der  Ehe  des  Königs  lagen 
ihm  am  Herzen  wie  die  Erfindung  von  Verbeasernngen  an  Wind- 
end Wassermühlen.    Die  schönen  Geister,  die  etwas  der  Mensch- 
heit Nützliches  entdeckten,  verdienten  Förderung  und  Lohn.  Im 
Gegensatze  zu  den  fourberies  Savoyens  soll  Frankreich  moralische 
Eroberungen  machen  durch  Achtung  vor  den  Rechten  anderer, 
durch  die  Sympathien,  die  der  Anblick  seiner  starken,  ruhigen 
und  würdigen  Haltung  erwecken  müsse.   Etwas  Einkommen  mehr 
oder  weniger  mache  die  Reputation  eines  grofsen  Königs  nicht 
aus,  aber  die  Reputation  erwerbe  Revenues  und  Staaten,  erhalte 
und  behaupte  sie.   Diesem  Zweck  soll  auch  die  Allianz  mit  Hol- 
land und  England  dienen.    Dafür  arbeitet  d'Ossat  im  Kabinett 
des  Papstes  und  im  Konsistorium,  qui  est  le  clef  du  bien  ou  du 
mal  du  royaume  et  de  l'Europe    Das  dritte  Buch  ist  dem  Autor 
gewidmet,  der,  ohne  an  diesen  Titel  zu  denken,  Stenograph  und 
Photograph  zugleich,  jahraus  jahrein  seine  Depeschen  schrieb,  die 
Tagebücher,  Zeitungen,  Staatsschriften,  Proces  verbaux  sind,  deren 
Geschichte,  Methode,  Sprache,  Charakter  bebandelt  werden.  Wie 


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548 


NACHRICHTEN. 


Cujas  verstand  der  Verfasser  es,  sein  Wissen  durch  das  Gewicht 
des  Gedankens  und  die  Gemessenheit  des  Wortes  zur  Geltung  zu 
Dringen.  Den  Einflufs  seiner  litterarischen  Lieblinge  Plato  und 
Comines  erkennt  man  in  der  Klarheit  und  Natürlichkeit,  in  der 
Weise  alle  Seiten  eines  Falles  zu  exponieren,  das  ganze  Für  und 
Wider  abzuwägen,  Hauptgedanken  von  nebensächlichen  Details 
zu  sondern,  untergeordnete  Ideen  zu  gruppieren  ohne  Trockenheit 
und  Verschwommenheit.  Durch  die  von  spanischer  Grandiloquenz 
völlig  freie,  schlichte  Darstellung  kommen  die  Fülle  und  Sicher- 
heit der  politischen  Kunde,  die  Feinheit  der  Apercus,  die  Rich- 
tigkeit der  Urteile,  die  glückliche  Auswahl  der  charakteristischen 
Einzelheiten  recht  zur  Geltung.  Wenn  er  will,  kann  d'Ossat  por- 
trätieren wie  seine  venetianischen  Kollegen,  denen  er  dnrch 
Ausschliesslichkeit  des  politischen  Geschäftsinteresses  nachsteht. 
Das  zeigen  einzelne  Bilder  päpstlicher  Audienzen,  die  jedes  wich- 
tige Wort,  jede  bedeutende  Geste  der  Anwesenden  wiedergeben. 
Man  ist  überrascht  in  Vitringas  Typus  tbeologiae  practicae  ein 
Schreiben  des  Kardinals  gerühmt  zu  finden  als  copiosa,  polita, 
prudentissimi  viri  ingenio  digna,  ein  Signalement,  das  für  viele 
der  76  Schreiben  an  den  König  der  274  an  Villeroi  gilt  Sie 
sind  die  Hauptquelle  für  die  Biographie,  in  ihr  teils  geschickt 
excerpiert,  teils  vollständig  benutzt.  Tamizey  de  Larroque  und 
Dagert  haben  Inädita  entdeckt,  doch  nicht  die  Briefe  an  Mon- 
taigne, de  Bauves,  die  verlorenen  43  an  Heinrich  IV.  Die  hand- 
schriftlichen Instruktionen  und  Depeschen  der  Kardinäle  Eiste  und 
Joyeuse,  die  Papiere  Luxembourgs,  Sillerys,  Bethunes,  ungedruckte 
Denkschriften  d'Ossats  sind  konsultiert,  um  des  letzteren  heil- 
samen Einflufs  auf  die  Politik  in  auswärtigen  oder  inneren  An- 
gelegenheiten zu  illustrieren.  Vorsichtig  in  Voraussetzungen  und 
Folgerungen  ohne  Quellenstütze  übergeht  Degert  das  Interesselose, 
orientiert  ohne  weit  auszuholen,  ordnet  Verwickeltes  gut,  charak- 
terisiert z.  B.  Clemens  VIII.  trefflich,  gehört  nicht  zu  den  Kle- 
bern unter  den  Historikern,  die  von  einer  diplomatischen  Ver- 
handlung dem  Leser  keinen  Federstrich  schenken,  korrigiert  ein- 
seitige, zu  harte  Urteile  d'Ossats  über  die  Liguisten,  verteidigt 
ihn  gegen  Sully.  Der  Kardinal  war  immer  ein  Freund  der  klei- 
nen Leute,  des  armen,  niedergetretenen  Volkes,  für  das  er  bessere 
Justiz,  geringere  Lasten,  Schutz  gegen  die  Härten  der  Bureau- 
kratie  verlangte.  Der  König  müsse  zugunsten  des  dritten  Standes 
gründlich  reformieren  und  bei  sich  selbst  anfangen.  Der  hoch- 
aristokratische,  stolze,  egoistische  Finanzminister  sah  dariu  ein 
Attentat  von  hartstirniger  Frechheit  gegen  seine  unübertreffliche 
Administration,  das  er  in  den  Memoiren  noch  an  dem  Toten  durch 
Injurien  und  Lügen  strafte.  Den  Lettres  legte  man  bleibenden 
Wert  bei  als  Anleitung  zur  Negotiationskunst,  zur  Auflösung  gor- 


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NACHRICHTEN. 


549 


discher  Knoten,  zu  christlichem  Denken  in  der  Politik.  Diesen 
Dienst  haben  sie  auch  dem  Biographen  geleistet  Kann  er  ancb 
nicht  mit  La  Bruyere  d'Ossat  neben  Richelieu,  nicht  mit  Fenälon 
ihn  neben  die  klassischen  Historiker  stellen,  so  bemüht  er  sieb 
doch  mit  dem  besten  Erfolg  „einer  der  sympathischesten  und 
ehrenhaftesten  Gestalten"  gerecht  zu  werden  und  giebt  den  Le- 
sern, selbst  protestantischen,  die  ja  manches  anders  beurteilen 
müssen,  keinen  Anlass  zur  Erfüllung  der  Bitte,  die  Folgen  der  mal- 
adresse  de  l'ouvrier  en  faveur  de  sa  bonne  volonte"  zu  verzeihen. 

*  26.  Pius  IX.  hat  am  19  Juni  1877  Franz  von  Sales 
zum  Kirchenlehrer  erhoben.  Mag  auf  die  Wahl  der  Dank  für 
den  Einfluß*,  den  die  Ausführungen  des  Heiligen  über  die  päpst- 
liche Macht  im  Vatikan  um  übten,  eingewirkt  haben,  sie  war  glück- 
lieber als  diejenige,  welche  Liguori  neben  Athanasius  und  Chry- 
sosthomos  stellte.  Die  neue  Würde  drückte  das  Placet  auf  eine 
Aufserung  Clemens  VIII.  Als  der  Schüler  Maldonats,  der  An- 
walt der  Verbindung  von  Frömmigkeit  und  Wissenschaft  im  Klerus, 
der  in  Liebe  und  Milde  gegen  den  Nächsten  aufgelöst  zu  sein 
wünschte,  in  Rom  war,  sagte  ihm  der  Papst,  die  Fülle  dieses  le- 
bendigen Wassers  möge  sich  in  alle  Lande  ergiefsen.  Dafs  dies 
geschehen  ist,  bezeugen  auch  die  zahlreichen  Ausgaben  der  Schriften 
des  Bischofs  von  Genf,  die  ein  wertvolles  geistliches  Gut  der  rö- 
mischen Kirche  sind.  In  unserem  Jahrhundert  folgten  sich  rasch 
die  Editionen  Paris  bei  Blaise  1821  f.,  16  Bde.,  bei  Guyot  1830f., 
5  Bde.  Lettres  ine*dites  1833.  Nouvelles  Lettres  inedites  publices 
par  P.  L.  Datta,  Paris  1835,  2  Vol.  Baudry  Supplements  aux  Oeuvres, 
Lyon  1836  Kaum  war  die  schöne  Ausgabe  der  Oeuvres  com- 
plötes  vom  Kanonikus  Peltier  in  Reims,  Paris  Vives  1858  mit  dem 
VI.  Bande  abgeschlossen,  so  begann  1861  Abbe"  Migne  seine  Edition 
seule  complete  in  sechs  starken  Quartanten,  denen  zwei  der  Oeuvres 
completes  de  Sainte  Chantal  und  ein  Band  Pieces  complementives 
folgten.  1896  kam  eine  edition  revue  et  corrige'e  avec  les  plus 
grands  soins  par  une  societe  d'ecclesiastiques  in  10  Bänden  Bar 
le  duc  zum  Abschlufs,  dem  die  Edition  complete  d'apies  les  auto- 
graphes  et  les  dditions  originales,  enriebie  de  nombreuses  pieces 
inedites.  Paris,  Lecoffre  mit  T.  VII  1896  nahe  ist  Vorangegangen 
war  ihr  die  erste  philologisch-kritische  Ausgabe  des  Benediktiners 
Mackey:  Oeuvres  de  Saint  Francois  de  Sales  eveque  et  prince 
de  Geneve  et  Docteur  de  TEglise.  Annecy.  Die  Bände  4  und  5 
1895  enthalten  den  Traite  de  l'amour  de  Dieu.  Die  Einleitung 
bebandelt  Geschichte,  Plan,  Zweck,  Quellen  dieser  berühmten 
Schrift,  würdigt  und  verteidigt  ihren  Lehrgehalt  nach  der  dog- 
matischen, mystischen  und  asketischen  Seite,  bespricht  die  Form, 
den  von  der  Pariser  Akademie  für  klassisch  erklärten  Stil  und 
das  Verhältnis  des  Traktates  zum  Leben  und  deu  andern  Werken 


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550 


NACH  Ii  ICKTEN. 


des  Autors.  Auf  diese  gediegene  Arbeit  des  Herauegebers  läfst 
sich  auch  Sales  schönes  Wort  anwenden:  der  Christ  braucht  keine 
absonderlichen  Dinge  zu  thun,  er  mufs  nur  die  alltäglichen  Dinge 
besonders  gut  thun.  Die  Quintessenz  der  Ausführungen  bot 
Ph.  Gönnet  den  Stoff  zu  einer  Abhandlung  in  der  Uni  versitz 
catholique  1895,  Nr.  7:  LeTraite  de  l'amour  deDieu  de 
S.  Fr.  de  S.  Die  Geschichte  der  Liebe  zu  Gott  von  der  Geburt 
in  der  Seele  an  bis  zur  völligen  Entfaltung,  des  Verfalles,  der 
Zerstörung,  die  Darlegung  der  Mittel  sie  zu  erhalten,  zu  mehren 
und  wiederzugewinnen,  enthält  viele  schöne  christliche  Gedanken 
und  Erfahrungen.  Sales  kann  Subtil  i täten  scholastischer  Meta- 
physik und  hochgespannter  Mystik  mit  gleicher  Sachkunde  und 
Sicherheit  behandeln.  In  der  schwierigen  Kunst  der  Illustration 
ist  er  Meister  gleich  Luther,  Scriver,  Arndt,  Spurgeon,  Beecher, 
Stolz,  Funcke.  Wegen  dieses  Vorzuges  sollten  einige  seiner 
Schriften  bei  uns  für  Predigt  und  Katechese  beachtet  werden 
pour  bien  definir  et  bien  peindre. 

*  27.  Im  zweiten  Heft  1895  der  Montauban  Revue  de  Theo- 
logie et  des  Questions  religieuses  giebt  F.  Leenhardt  einen 
schönen  Nekrolog  Charles  8ecre*tan's,  froh  von  einem  solchen 
Denker,  einer  so  reichen  Natur,  einem  so  edeln  Gemüte  reden  zu 
dürfen.  Der  originelle,  christliche  Philosoph  und  Sociolog,  dem 
der  Glaube  ein  kategorischer  Imperativ  war  und  die  Offenbarung 
Ober  Sündenfall,  Sünde,  Erlösung  die  Rätsel  der  Welt  löste,  hatte 
25  Jahre  klagen  müssen:  meiner  ist  vergessen  wie  eines  Toten. 
Da  erlebte  er  seit  1877  seine  Restitution,  sah,  dais  l'action  de 
ses  puissantes  et  gänereuses  pensees  ne  s'exerca  plus  ä  la  därobee, 
ou  dans  quelques  milieux  restraints,  mais  pänätra  dans  les  nou- 
velles  gen&rations  universitäres.  Man  wetteiferte  in  Ovationen, 
um  die  lange  Zurücksetzung  zu  sühnen,  und  der  vergessene  Pro- 
fessor in  Lausanne  war  fast  eine  europäische  Berühmtheit  ge- 
worden, ehe  er  achtzigjährig  als  Mitglied  des  Institut  de  France 
und  Ritter  der  Ehrenlegion  starb.  Um  den  Werken  des  Geschie- 
denen neue  Freunde  zu  erwerben,  charakterisiert  sie  der  Nekro- 
logist nach  dem  Zusammenhang  mit  den  Perioden  der  Geistes- 
arbeit und  Wirksamkeit  Secrltans.  Das  Motto  dürfte  lauten:  wenn 
Christus  die  Wahrheit  sagt,  mufs  die  wahre  Philosophie  die  christ- 
liche sein,  und  er  sagt  sie.  Zuerst  werden  System  und  Prin- 
zipien konstituiert  in  La  Philosophie  de  la  liberte*  1848  (2e  edit 
1866),  La  Recherche  de  la  methode,  qui  conduit  ä  la  ve>ite*  sur 
dos  plus  grand8  inte"röts  1857.  Die  strengere  umfassende  An- 
wendung auf  die  Theologie  folgt  in  den  Discours  laiques,  Raison 
et  Christianisme,  Philosophie  et  Religion,  Le  Principe  de  la  Mo- 
rale.  In  der  dritten  Periode  behandelt  der  Autor  die  sozialen 
Probleme  nach  seinen  Prinzipien  als  Vorkämpfer  christlicher  Frei- 


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NACH  RICHTEN. 


551 


heit,  als  schonungsloser  Richter  sozialer  Greul,  als  Konfessor  der 
göttlichen  Wahrheit:  Civilisation  et  Croyance.    Etudes  sociales. 

*  28.  ün  eure*  d'autrefois.  1'AbM  de  Tal  honet  (1737— 
1802)  par  Geoffroy  de  Grandmaiso  n.  Paris.  Ponssielgue. 
1894.  V  et  361  p.  12°.  Marie  Vincent  de  Talhonet  1773 — 1779 
Rektor  von  Hennebont  in  der  Bretagne  wurde,  weil  er  den  Eid 
verweigerte,  zur  Deportation  verurteilt  Mit  21  Gefährten  wählte 
er  Spanien  als  Exil.  Das  Volk  nahm  die  Bekenner  mit  Bewun- 
derung auf,  während  Pfarrer,  die  nichts  zu  fürchten  hatten,  gegen 
die  Ausrei88er  eiferten.  Die  Bischöfe  schützten  die  Schuldlosen. 
Pretres  francais,  sagte  der  Bischof  von  Orense  Que?edo,  qui  ötes 
restes  fideles  ä  Dieu,  qui  avez  bien  merites  de  l'Eglise  univer- 
selle, vous  6tes  aujourdhui  ornement  de  l'Espagne;  ses  eveques 
vous  reeoivent  non  en  Prangers,  mais  en  concitoyens  des  saints. 
Die  Regierung  lavierte,  verbot  ihnen  Predigt  und  Unterricht  und 
verwies  sie  1796  nach  Mallorca  oder  den  Kanarischen  Inseln. 
Talhouet  entging  diesem  Schicksal,  fand  aber  auf  der  Rückreise 
nach  Frankreich  1802  den  Tod  im  Meer,  da  der  Kapitän  das 
Schiff  scheitern  liefs,  um  die  Passagiere  zu  plündern.  Die  Ge- 
schichte Talhouets  ist  durch  viele  Züge  aus  der  Zeit  Ludwigs  XV. 
und  XVI.  interessant,  vor  allem  freilich  durch  den  würdigen  Cha- 
rakter des  Pfarrers  von  ehemals. 

*  29.  Saint  Vincent  de  Paul  et  ses  Oeuvres  a  Marseille 
par  H.  Simard,  Pretre  de  la  mission,  Directeur  au  grand  Semi- 
naire de  Marseille.  Lyon,  E.  Vitte,  1894.  III  et  479  p.  8°. 
O  Seigneur!  Qui  eüt  jamais  pensö,  que  cela  en  ffit  venu  au 
point,  ou  il  est  maintenant?  Qui  me  l'aurait  dit  aurait  passe 
dans  mon  esprit  pour  un  moqueur!  Quand  je  considere,  la  con- 
duite  de  Dieu  pour  faire  naltre  la  compagnie  dans  son  eglise, 
j'avoue,  que  je  ne  sais  ou  j'en  suis!  0  cela  n'est  point  de  l'homme, 
cela  est  de  Dieu.  So  sprach  am  Feierabend  Vincent  de  Paul 
im  Rückblick  auf  die  Führungen,  durch  die  der  Tagelöhnersohn, 
der  die  Schweine  gehütet,  die  Galeerenkette  getragen,  als  Sklave 
gearbeitet  hatte,  Gewissensrat  seines  Königs,  neben  Berulle,  Olier, 
Bourdoise  Regenerator  des  Klerus  geworden  war,  ein  Gründer  um 
Christi  willen,  pen  a  peu,  ohne  Posaunen  und  Machereien,  ein 
Grosalmosenier  der  Caritas,  dem  zwanzig  Millionen  zuflössen.  Die 
Revolution  hatte  sein  Andenken  in  Marseille  verdrängt.  Dafs  es 
wiederauflebte,  zeigt  die  prachtvolle,  gotische  Kirche,  welche 
1855 — 88  die  Stadt  als  Monument  ihrer  Dankbarkeit  erbaut  hat. 
Wofür?  Das  sagt  Simards  anziehendes,  an  neuer  Kunde  reiches 
Buch  Über  Vincents  Beziehungen  zu  und  Schöpfungen  in  Mar- 
seille, das  auf  die  Galeeren,  in  das  Seminar,  zu  den  Landmissionen, 
in  die  Berberei  führt  Zehntausend  Galöneus  büfsten  an  der 
Kette,  Verbrecher,  Bettler,  Hugenotten,  Schuldlose,  die  man  um 


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552 


NACTIUICHTEN. 


einer  Bagatelle  willen,  als  kraftige  Leute  viele  Jahre  an  die 
Ruderbank  schmiedete,  d.  b.  in  einen  Morast  von  Blasphemie, 
Unzucht,  Ungerechtigkeit  und  Grausamkeit  stiefs.  Vincent  pre- 
digte den  forcats  herzlich  und  geduldig,  küiste  ihre  Ketten  voll 
Mitgefühl ;  sie  hörten  ihn  und  seine  Lazaristen  und  gaben  Gott 
die  Ehre.  Die  Erfolge  der  Galeerenmission  weckten  ihr  vornehme 
Frennde,  die  dem  Gründer  halfen  jährlich  40000  li?res  für  sein 
Werk  zu  erbetteln  sans  einpressement,  sans  agitation,  Dien  ne 
compte  pas  nos  oeuvres  il  les  pese.  Das  Hospital  des  pauvres 
forcats  malades  war  eine  Mördergrube  voll  Schmutz,  Ungeziefer, 
Verwahrlosung.  Eine  barbarische  Militär-Bureaukratie  mufste  er- 
tragen lernen,  dafs  Vincents  Lazaristen  das  Haus  gründlich  von 
den  Mifsbräuchen  säuberten,  unter  denen  die  500  -  600  Kranken 
entsetzlich  litten.  Die  Seelsorge  auf  den  Schiffen  übten  geistliche 
Handwerker.  Das  Missionshaus  gab  ihr  Hirten.  Durch  Retraites 
spirituelles  und  Konferenzen  arbeitete  es  an  der  Erneuerung  des 
geistlichen  Standes.  Vincents  „Pätite  Methode"  hatte  die  gelehrten 
Phrasenpredigten  diskreditiert  und  die  katechisiorende,  praktische 
Bauemweise  zu  Ehren  gebracht.  Sogar  auf  der  Bühne  hörte 
man  statt  des  Donnerns  und  Tremulierens  natürliche  Sprache. 
In  den  Missions  de  la  Campagne  erhielten  die  Hörer  scharfe, 
wirksame  Gesetzespredigt.  50  000  Franzosen  schmachteten  in 
afrikanischer  Sklaverei.  Was  an  ihnen  der  König,  Richelieu,  Ma- 
zarin  versäumt  hatten,  that  Vincent,  der  vier  Millionen  für  die 
Sklaven  ausgab,  1200  loskaufte,  durch  seine  Jünger  in  Marseille 
zwischen  den  Unglücklichen,  den  Konsuln  in  Algier  und  Tunis, 
den  Ministern  vermittelte,  Bank-  und  Postgeschäfte  besorgte. 
Noch  als  Greis  von  85  Jahren  sammelte  er  Geld  für  eine  Ex- 
pedition gegen  Algier,  pour  anäantir  a  tout  jamais  la  piraterie 
musulmane  daus  son  propre  repaire.  Nach  einem  Gespräch  mit 
dem  Mann  der  armen  Leute,  der  im  Bettelrock  —  doch  ohne 
Löcher  und  Flecken  —  im  Conseil  de  Regence  safs,  hatte  Riche- 
lieu zu  seiner  Nichte  gesagt:  J'avais  dejä  une  grande  idee  de 
M.  Vincent;  mais  je  le  regarde  comme  un  tout  autre  nomine  de- 
puis  ce  dernier  entretien.  Alle  Seiten  dieser  Gröfse  hat  Simard 
herausgestellt,  Kraft,  Feinheit,  Einfalt,  Demut,  praktische  Genia- 
lität, organisatorisches  Geschick,  unermüdliche  Liebe,  Herrscher- 
blick,  Festigkeit,  heroisches  Gottvertrauen.  Der  zweite  Teil  seines 
Buches  erzählt  die  Schicksale  der  Marseiller  Werke  vom  Tode 
des  Gründers  bis  zur  Revolution.  So  lange  der  Ruderdienst  und 
die  Galeerenstrafe  wüteten,  dauerte  die  Lazaristenarbeit  an  den 
forcats  und  die  musterhafto  Verwaltung  des  Hospitals.  Als  1720 
die  Pest  50U00  Opfer  forderte,  bewährten  sich  die  Söhne  Vin- 
cents. Ihr  Super ior  schützte  die  40  Aumoniers  der  Galeeren 
gegen  hochfahrende,  militärische  Behörden,  die  jenen  den  Bettel- 


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NACHRICHTEN. 


gebalt  vorenthielten  und  sie  zum  don  gratuit  für  den  König  za 
pressen  wagten,  denunzierte  an  höchster  Stelle  eintragliche  Un- 
ordnung, forderte  Gerechtigkeit  für  Sträflinge,  die,  Opfer  des  Des- 
potismus und  der  Willkür,  weit  aber  die  Strafzeit  festgehalten 
wurden,  weil  sie  muskulös  waren.  Hunderten  von  Invaliden, 
Greisen,  Schwachen  im  Bagno  ward  Schutz  gegen  Grausamkeit 
nnd  Habgier.  Die  Konsulate  in  Algier  und  Tunis  hatte  Vincent 
gekauft.  Simard  veranschaulicht  aus  der  amtlichen  Korrespon- 
denz die  Wirksamkeit  der  Lazaristenkonsuln.  Man  findet  Männer 
von  hervorragen dor  Geschäftstüchtigkeit,  Geistesschärfe,  Mut,  die 
selbstlos  mit  grofsen,  pekuniären  Opfern  und  Lebensgefahr  die 
Interessen  ihrer  Landsleute  vertreten ,  3000  loskaufen ,  bei  Aus- 
wechslung von  Gefangenen  intervenieren,  geraubte  Kinder  retten, 
mit  Deys,  Heys,  Divan  um  Rückgabe  von  Prisen  kämpfen,  oft 
dnrch  Geduld,  Festigkeit  nnd  die  Autorität  ihrer  würdigen  Lebens- 
führung zum  Ziel  kommen  und  durch  ihre  Bemühungen  zugunsten 
redlichen  Handelns  das  Vertrauen  der  Marseiller  Kaufmannschaft 
erwerben.  Das  Seminar  der  Lazaristen  bleibt  als  Institut  der 
Diöcese  fest  gegen  den  Jansenismus  und  die  Verlockungen  der 
Zivilkonstitution,  ün  missionaire,  qui  ne  sait  pas  mourir  pour 
la  congregation  n'est  digne  d'elle  hiefs  die  Losung  in  der  Ver- 
folgung durch  die  Nachfolger  „des  Tyrannen"  Ludwig  XVI.,  deren 
Tedeum  die  Marseillaise  war.  Unter  Napoleon  I.  und  Ludwig  XVIII. 
erstand  die  Stiftung  von  Saint  Lazare  wieder.  Ächte  Arbeiter 
fehlten  nicht;  so  Figon,  der  mit  2000  Frs.  jährlich  auskam,  keine 
Möbeln  hatte,  anf  einem  geliehenen  Bette  starb,  seine  Soutane 
trug,  bis  sie  auseinanderfiel,  so  eifrig  wie  offen  und  schlagfertig. 
Ein  Missionar  hatte  ihn  gelobt.  Figon  trat  vor  die  Gemeinde, 
winkte  zur  Kanzel  hinauf:  einen  Lebenden  darf  man  so  nicht 
loben;  Tote  brauchen  nur  Wahrheit.  Glücklicherweise  kennen 
meine  Pfarrkinder  mich  besser.  Über  seinen  Vikar  schrieb  er 
dem  Erzbischof:  Monseigneur  haben  mir  einen  Zierbengel  geschickt. 
Wir  haben  deren  schon  genng  Behalten  kann  ich  ihn  nicht  ohne 
Schaden  für  meine  Gemeinde;  wollen  sie  ihn  abrufen  —  Der 
handschriftliche  Nachlafs  einzelner  aus  der  alten  Garde  Vin- 
cents hat  Simard  prächtige  Züge  pastoraler  Art  geliefert.  Er 
benutzte  die  Korrespondenz  der  Lazaristenkonsuln  im  Archiv  der 
Marseiller  Handelskammer,  die  der  Beys  mit  dem  französischen 
Hofe,  mehr  als  hundert  Bände  Akten  des  Fonds  des  Galeres  im 
Archiv  des  Marineministeriums.  Diese  Quellen  ermöglichen  gründ- 
liche Einsicht  in  das  Arsenal-,  Galeeren-,  Korsarenwesen,  in  Han- 
dels- und  Sklavereiverhältnisse  der  Berberei.  Daher  sind  die  in- 
teressanten Details  aus  der  Missions-,  Handels-  und  Piraten- 
geschichte, die  der  Autor  ohne  Ausmalung,  deshalb  um  so  wirk- 
samer, als  Lokalkenner  Marseilles  einfügt.    Als  Kritiker  be- 


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554 


NACHRICHTEN. 


währt  er  sich  gegen  die  Bestreitung  des  Faktums,  dafs  Vincent 
forcat  gewesen  sei  und  gegen  de  Grammonts  Verleumdung  der 
LazarUtenkonsuln.  Alle  Vorarbeiten  sind  benutzt  Doch  über- 
wiegt das  Neue  in  dem  von  Anfang  bis  zu  Ende  spannenden 
Buche.  C.  A.  Wüktns. 


Italienisches. 

Von 
F.  Hubert  u.  a. 


*  1.  Hase  mufste  sich  einst  von  Gieseler- Röhr  wegen  Ober- 
flüssiger  Empfindsamkeit  verhöhnen  lassen,  weil  er  von  Bona- 
ventura gesagt  hatte:  er  ist  eine  der  hohen  Gestalten,  an 
denen  sich  das  in  sich  befriedigte  Eirchentum  glorreich  darstellt; 
an  seinem  Sarge  weinten  die  Repräsentanten  des  ganzen  Abend- 
landes. Aber  der  Theologus  Jenensis  hielt  den  beiden  licht- 
fremdlichen  Feinden  des  finstern  Mittelalters  nicht  nur  das  Wort 
ihres  Schlosser  von  der  Engelseele  Bonaventuras  vor.  Er  bewies 
unwiderleglich  das  Becht  seiner  Charakteristik  des  homo  emi- 
nentis  scientiae,  des  vir  sanctitate  praecipuus,  benignus,  affabilis, 
misericors,  virtutibus  plenus,  Deo  et  hominibus  dilectus.  Die 
Franziskaner  von  Quaracchi  haben  dem  Doctor  seraphicus  eine 
Ausgabe  der  Opera  omnia  geschaffen,  wie  sie  kein  Scholastiker 
besitzt.  Fidelis  de  Fanna  hatte,  so  erzählt  Tb.  Bouquillon  im 
Catholic  Univereity  Bulletin  Washington  1895,  viele  Jahre  die 
Doktrin  Bonaventuras  gelernt  und  gelehrt,  als  er  1871  an  die 
Bearbeitung  der  Werke  seines  Meisters  ging.  Er  besuchte  400 
Bibliotheken  in  Frankreich ,  Spanien ,  Portugal ,  Dunemark ,  Hol- 
land, Österreich,  Baiern,  Preufsen,  der  Schweiz.  Es  galt  die 
besten  Handschriften  und  die  ältesten  Drucke.  Drei,  vier  Mönche 
folgten  seinen  Spuren  und  machten  die  angewiesene  Detailarbeit, 
wo  er  Felder  weife  zur  Ernte  entdeckt  hatte.  1874  war  der 
Plan  zur  Edition  festgestellt  und  ein  Stab  von  Assistenten  dem 
Herausgeber  auf  Beinen  Wunsch  zugesellt.  1879  schlofs  man 
die  Vorarbeiten.  Aber  Fanna  war  tot,  als  1882  erschien:  Bona- 
ventura (S)  Opera  Omnia  ad  plurimos  Codices  Mss.  emendata, 
anecdotis  aucta,  prolegomenis,  scholiis  notisque  illustrata,  nova 
editio.  Tom.  I  complectens  commentarium  in  librum  primum  Sen- 
tentiarum  Magistri  Petri  Lombardi.  Ad  Claras  Aquas  (Quaracchi) 
1882  in  4  majori.  LXXXVin  et  870  p.  Auf  die  Vorrede,  die 
Bullen  Sixtus  V  Superna  und  Triumphantis  Ecclesiae  folgen  Pro- 
legomenen.    Sie  besprechen  die  Sentenzen  im  allgemeinen,  das 


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NACHRICHTEN. 


555 


Verhältnis  von  Bonaventuras  Kommentar  zur  Summa  Alexanders 
von  Haies  und  das  erste  Buch  der  Sentenzen.  Dem  Texte  des 
Lombarden  folgt  die  Erklärung  mit  textkritischem  Apparat  von 
Varianten  und  Konjekturen.  Der  Lehrgehalt  jeder  Quaestio  ist 
am  Schlufs  in  einem  Scholion  zusammengefaßt,  unter  Beigabe 
von  Parallelen  aus  den  grofsen  Scholastikern.  Tomus  II  (1885), 
XII  et  1026  p.;  Tomus  III  (1887),  X  et  906  p.;  Tomus  IV 
(1889),  VIII  et  1067  p.  bringen  den  Kommentar  zum  Abschluß. 
Der  fünfte  Band  (1891)  LXIV  et  606  p.  enthält  die  Opuscnla 
varia  theologica,  aofser  den  drei  Ineditis  De  scientia  Christi,  De 
mysterio  Sanctae  Trinitatis,  De  perfectione  evangelica,  das  IU- 
nerarium,  Do  redactione  artium  ad  tbeologiaw,  Collationes  in 
Hexaemeronem,  Collationes  de  Septem  donis  Spiritus  Sancti,  Ser- 
mones  de  rebus  tbeologicis.  In  den  Prolegomenen  werden  als 
unecht  dargethan:  Centiloqnium ,  De  ecclesiastiea  hierarchia,  De 
qnatuor  virtutibus  cardinalibus ,  XXX  Sennones  de  Eucharistia, 
Tractatus  de  studio  divinarnm  litterarum.  Tomus  VI  Commen- 
tarii  in  Sacram  Scripturam  1893,  XXVII  et  640  p.  bietet  die 
Erläuterungen  zum  Ecclesiastes,  zum  Liber  Sapientiae  zum  vierten 
Evangelium  und  die  zum  letzteren  gehörenden  Collationen.  Die 
Prolegomenen  behandeln  die  Bibelstudien  der  Scholastiker  und 
entwickeln  die  Gründe,  weshalb  neun  unter  Bonaventuras  Namen 
gehende  exegetische  Schriften  ihm  abgesprochen  werden  müssen.  — 
Die  Ausgabe  erfüllt  die  Anforderungen  der  heutigen  Paläographie 
und  Diplomatik  in  einem  Mafse,  wie  es  selbst  bei  der  Editio 
Leonina  des  Thomas  nicht  der  Fall  ist.  1896  erschienen:  S.  B. 
Decem  Opuscula  ad  Theologiam  mysticam  spectantia,  in  textu 
correcta  et  notis  illustrata  a  P.  P.  Collegii  S.  B.  Ad  Claras  Aquas 
XI,  519.  16. 

*Z.  The  Life  of  Saint  Philipp  Neri,  Apostle  of  Rome 
by  Alfonse  Cardinal  Capecelatro,  Archbishop  of  Capua  and 
Librarian  of  Holy  Church,  sometime  Superior  of  the  Oratory  of 
Naples.  Translated  by  Thomas  Alder  Pope  M.  A  of  the  Ora- 
tory. Second  Edition.  London,  Bums  &  Oates,  1894.  2  Vols. 
XVIII  and  490  p.  and  VI  and  504  p.  8.  Goethe  hat  ver- 
sichert, kein  Lied  gemacht  zu  haben,  was  in  einem  lutherischen 
Gesangbuche  stehen  könnte.  Doch  als  Hagiegraph  gewann  er 
das  Interesse  solcher  Kreise  für  Filippo  Neri,  deren  Bekannt- 
schaft mit  Heiligen  sonst  wenig  über  die  Kalendernamen  hinaus- 
reiebt  Der  Dichter  liefs  „  auf  den  höchst  ausgezeichneten,  leiden- 
schaftlichen, wundersamen,  aber  immer  höchst  verständigen,  prak- 
tischen Mann"  Streiflichter  fallen,  die  der  Aufklärung  1787  sehr 
fern  lagen.  Noch  frappanter  würde  der  humoristische  Heilige 
hervortreten,  hätte  Goethe  die  handschriftliche  Sammlung  genialer 
Witze  gekannt,  die,  wie  Augustin  Theiner  Hermann  Beuchlin  sagte, 


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556  NACHRICHTEN. 

nicht  veröffentlicht  werden  dürften.    Doch  bot  die  biographische 
Quelle  eine  Anzahl  heiter-frommer  Züge,  die  einst  Kardinal  Va- 
lerios  „Philipp  oder  christliche  Fröhlichkeit "  veranlagten  and 
die  Antonio  Gallonio,  der  erste  Annalist  nnd  Biograph  des  Selig- 
gesprochenen, nebst  vielen  geflügelten  Worten  bewahrt  hat  Gia- 
como  Bacci  benutzte  für  seine,  von  ihm  sechsmal  revidierte,  von 
1623  bis  1874  in  mehr  als  hundert  Ausgaben  verbreitete  Arbeit 
die  Kanonisationsakten  mit  detaillierender  Umständlichkeit,  bisweilen 
vergessend,  dafs  Ermüdung  die  Erbauung  verscheucht.    Die  in 
die  Acta  Sanctornm  Mai  T.  VI  aufgenommenen  Bücher  Gallonios 
nnd  Baccis  bleiben  Hauptquellen  für  alle  Späteren;  hatte  doch 
der  erstere  300  Augenzengen  vernommen.    Theiner  im  Kirchen- 
lexikon giebt  Neues,  das  Beuchlin  in  „den  Herzog"  herübemahm. 
Die  vierzehn  Bände  Opere  zeigen  Capecelatro  als  würdigen  Titular- 
successor  des  Baronius.    Der  Storia  di  8.  Caterina  da  Siena  e 
del  Papato  del  suo  tempo,  der  Storia  di  San  Pier  Damiano  e  del 
suo  tempo  Neris  Biographie  folgen  zu  lassen,  bestimmten  ihn 
persönliche  und  sachliche  Motive.    Dem  Sohne  des  Herzogs  von 
Castel  Pagano,  dem  sechzehnjährigen  Oratorianer,  galt  schon  vier 
Jahre  früher  der  Gründer  seiner  Kongregation  als  Inbegriff  des 
Edlen  und  Heiligen.   Dem  Kirchenhistoriker  genügten  die  Schriften 
Gallonios,  Baccis,  du  Saussays,  Kosweydes,  Bertrands,  Vasquez', 
Frames',  Barnabei's,  Sonzonios  nicht,  weil  das  „e  del  suo  tempo u 
in  politischer,  kirchlicher  und  sozialer  Hinsicht  nicht  zu  seinem 
Recht  komme.   Daher  die  Farblosigkeit,  Starrheit,  das  Schablonen- 
hafte der  Darstellung.   Auch  an  Lücken  mangelte  es  nicht.  Von 
Neris  Leben  als  Laie  erfuhr  schon  Gallonio  wenig.    Alle  vor 
dem  45.  Jahre  geschriebenen  Briefe  sind  verloren.   Seine  Papiere 
hat  der  Heilige  vor  dem  Tode  aus  Demut  verbrannt.    Es  über- 
rascht daher,  dafs  Giovanni  Marciano  in  den  fünf  Folianten  Me- 
morie  istoriche  della  Congregazione  del  Oratorio  Napoli  1693 — 
1702  ein  im  weiteren  Sinne  biographisches  Supplement  geben 
konnte.    Sie  wiesen  den  Weg  in  das  Archiv  des  neapol itaner 
Oratoriums,  der  Vallicella  in  Rom,  des  Vatikans,  den  Capecelatro, 
unterstützt  von  seinen  Filippini,  einschlug.    Er  konnte  Briefe, 
eine  handschriftliche,  von  Baronius  revidierte  Vita,  Kongregations- 
annalen  bis  1 606  benutzen.   In  drei  Büchern  schildert  er  Filippo 
als  Laien,  als  Priester,  als  Gründer  des  Oratoriums,  um  nach  allen 
Beziehungen  die  Schönheit  nnd  Fülle  dieses  seltenen  Lebens  zu 
veranschaulichen.    Er  zeichnet  als  Familiär  vieler  Dinge  aus 
Autopsie,  z.  B.  den  Gang  zu  den  sieben  Basiliken,  die  Katakomben 
von  S.  Sebastiano,  wo  Neri  zwölf  Jahre  lang  oft  Nachts  meditierte 
und  betete.    Die  zeitgeschichtliche  Umgebung  ist  eingehend  ge- 
würdigt.  Porträts  von  fünfzehn  Päpsten,  von  dreifsig  Kardinälen 
sind  eingefügt.    Die  Beziehungen  zu  Pius  V.,  Gregor  XIII.,  Six- 


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NACHRICHTEN. 


557 


tus  V.,  Leo  XI.,  Urban  IV.,  Gregor  XIV.,  Clemens  VIII.,  zu  den 
Kardinalen  Medici,  Tarugi,  Paravicino,  Cusano,  Visconti,  Aldo- 
brandini, Borromeo,  Baronio,  Bellarmino,  zu  Franz  von  Sales,  Ca- 
terina  dei  Bicci,  Feiice  de  Centalice,  Antonio  Bozio,  Luigi  Pa- 
lestrina,  Giovanni  Animuccia  zur  römischen  Aristokratie  treten  im 
Detail  fesselnd  hervor.  Man  sieht,  wie  der  Freund  der  Wissen- 
schaft  die  Annalen  plant,  ihren  „Koch"  inspiriert  und  festhalt, 
in  das  intellektuelle  und  musikalische  Leben  Borns  eingreift,  wie 
der  Berater  der  Päpste  die  kompliziertesten  kirchenpolitischen 
Fragen,  z.  B.  Heinrichs  IV.  Absolution  scharfsinnig  durchdringt. 
Natürlich  bildet  das  Oratorium  den  Mittelpunkt  seines  Wirkens. 
Schritt  für  Schritt  wird  der  Weg  beschrieben,  auf  den  ein  un- 
bekannter, junger  Mensch,  ohne  die  Autorität  des  Banges,  des 
Amtes,  des  Wissens,  ohne  weltliche  Mittel,  ohne  je  von  Beform 
zu  sprechen,  durch  Glauben,  Liebe,  Opfer  den  in  Unglauben  und 
Unsittlichkeit  versunkenen  Klerus,  die  korrumpierte,  römische  Ge- 
sellschaft reformiert.  Sein  herzliches  Gespräch  von  unwidersteh- 
licher Liebenswürdigkeit  brach  dem  Seelsorger  Bahn,  dessen  Selt- 
samkeiten seinen  Einflufs  erhöhten.  Klar,  einfältig,  aus  vollem 
Herzen  von  Gott  redend,  hat  er  als  Stralsenprediger  Erfolge  wie 
Wesley.  Als  Priester  Allen  Alles  wirkt  er  in  sonniger  Freund- 
lichkeit und  warmem  Mitleid  tiefer  binnen  wenigen  Minuten  als 
andere  in  vielen  Stunden,  und  durchschaut  die  Herzen.  Ein  Pa- 
dagog  enthusiasmierte  er  Knaben  und  Jünglinge,  nie  jubelten  und 
tobten  sie  ihm  zu  viel,  konnte  er  sie  nur  vom  Bösen  fernhalten, 
so  mochten  sie  auf  seinem  Bücken  Holz  hacken.  Jeden  liefs  er 
gern  seinen  Weg  laufen,  wenn  Gott  nur  Anfang  und  Ende  war. 
In  San  Girolamo  gründete  er  einen  Heerd,  von  dem  aus  das 
heilige  Feuer  durch  Konferenzen,  Predigten,  Gebetsstunden  um 
sich  griff.  Gehorsam  fand  er,  weil  er  wenig  befahl,  selbst  die 
Kegel  war ;  die  Liebe  vertrat  die  Gelübde.  Nichts  lag  ihm  ferner 
als  Macherei.  Erfolge  kommen  von  Gott  und  von  der  Wahrheit, 
alle  anderen  Mittel  sind  Nebensachen.  Sein  Beichtkind  Clemens  VIII. 
drängte  ihm  den  oft  zurückgewiesenen  Purpur  auf;  er  rief  para- 
diso,  und  warf  ein  altes  Barett  wie  Ball  spielend  in  die  Luft 
Viel  Neues  giebt  Capecelatro  über  die  Ausbreitung  des  Instituts 
und  die  Spezialgeschichte  der  einzelnen  Häuser.  Über  sein  inneres 
Leben  war  Neri  sehr  schweigsam.  Es  birgt  Erweisungen  seltener 
Gebetskraft,  deren  kaum  zu  ertragende  Glut  das  Herz  erweitert 
hatte;  die  Augen  leuchteten  bisweilen  wie  Sterne,  wenn  ihn  die 
Wonne  zu  überwältigen  drohte,  so  dafs  er  rief :  nicht  mehr,  {lerr, 
nicht  mehr!  Diese  Zustände  traten  oft  plötzlich  ein,  nachdem  er 
noch  eben  mit  Kindern  gespielt,  es  den  Fröhlichsten  gleich  ge- 
than  oder  in  seiner  Zelle  durch  Scherze  alle  erheitert  hatte. 
Ohne  innere  Störung  konnte  er  selbst  eine  Heilung  mit  einem 

Zeitaehr.  f.  K.-O.  XVn,  4.  36 


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538 


NACHRICHTEN. 


Witz  begleiten.  In  seiner  beichtväterlichen  und  pädagogischen 
Methode  sind  Scherz  und  Ernst  originell  verschmolzen.  Statt 
durch  Geißelung  und  Fasten  mortificiert  er  gelehrte  Eitelkeit 
durch  Auslachen.  Mufste  doch  Baronius  zum  allgemeinen  Spafs 
in  einer  Riesenflasche  ein  wenig  Wein  holen,  auf  einer  Hochzeit 
Miserere  singen.  Andere  Jünger  hatten  den  Spott  zu  provozieren, 
indem  sie  mit  Brillen  einherstolzierten,  das  Cilicium  über  die 
Kleider  zogen,  das  Volk  zusammenläuteten,  das  mit  Steinwürfen 
antwortete.  Neri  konnte  man  zur  Kirche  gehen  sehen,  das  Ba- 
rott auf  einem  Ohr,  den  Rock  umgewendet,  von  der  Strafsenjugend 
als  alter  Gimpel  verlacht.  Dies  als  Praservatif  gegen  geistlichen 
Dünkel.  Sachten  Freunde  den  Theologen  auf,  so  schützte  er  sich 
gegen  Weihrauch  durch  Sprachschnitzer  oder  Vorlesen  aus  einem 
albernen  Buch.  Wer  dem  Heiligen  den  Hof  machen  wollte,  ward 
mit  Witzen  regaliert.  Capecelatro  macht  die  tiefen  Motive  dieser 
Exzentrizitäten  klar.  Er  will  ein  treues  Bild  geben.  Mag  es 
auch  etwas  stark  nach  dem  heimischen  Boden  schmecken.  Alle 
ernaltenen  Aussprüche  Neris  sind  verwendet.  Der  Übersetzer  hat 
von  dem  Recht  zu  kürzen  Gebranch  gemacht,  das  ihm  der  Autor 
mit  dem  Zugeständnis  gegeben  hatte,  der  Rahmen  sei  etwas  grofs 
geworden  durch  zu  viel  asketische  und  mystische  Doktrin  und 
die  ausführliche  Berücksichtigung  von  Ereignissen,  die  mehr  der 
ganzen  Kirche  als  dem  Leben  Neris  angehörten. 

*  S.  LeConclave  et  le  „Veto4'  des  Gouvernements 
par  L.  Lector:  l'Universite'  catholique  T.  XV.  1894. 
N.  2.  3.  4.  Über  das  Veto  der  katholischen  Mächte  im  Kon- 
klave ist  viel  Unwahres,  Halbwahres,  Konfuses  ins  Blaue  hinein 
geredet  und  geschrieben.  An  rhetorisch  doktrinären  Übertrei- 
bungen der  Vorteile  für  die  Regierungen,  der  Gefahren  für  die 
Kirche  liefsen  es  weder  Lob-  noch  Strafredner  fehlen.  Im  leiden- 
schaftlichen Eifer  sehen  beide  Gespenster.  Und  doch  handelt  es 
um  nichts  als  um  ein  dreifaches,  einmaliges  Nein,  das  das  Kon- 
klave nicht  bindet,  ignoriert,  weder  die  Wahl  ungültig  machen, 
noch  je  zum  Schisma  führen  kann.  Hatte  Karl  V.  die  Erhebung 
Pauls  IV.  hindern  können,  obwohl  sein  Gesandter  kein  Geheimnis 
daraus  machte,  dafs  der  Satan  eventuell  den  Vorzug  verdiene? 
Philipp  II.  exkludierte  einmal  50  Kardinäle,  gab  sich  damit  die 
Inklusion  und  Nomination,  und  doch  verdankt  die  Kirche  seiner 
Agitation  Pius  V.,  Gregor  XIII.,  Sixtus  V.  Wie  brutal  tyranni- 
sierte der  rechte  Arm  Roms  das  Konklave  1551.  War  etwa  der 
gewählte  Pius  IV.  Philipps  Kreatur?  Mufste  der  nicht  zu  seinem 
Verdrufs  erfahren :  Kommt  man  hin,  um  etwas  zu  erhalten,  erhält 
man  nichts,  man  bringe  denn  was  hin,  und  glücklich,  wenn  man 
da  noch  was  erhält?  L.  Lector,  der  Pseudonyme  Verfasser  des 
grofsen  Werkes:  Le  Conclave,  origines,  histoire,  Organisation,  legis- 


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NACH  RICHTEN. 


559 


lation,  ancienne  et  moderne  avec  un  appendice  contenant  le  texte 
des  bnlles  secretes  de  Pie  IX.,  Paris  1894,  788  p.  hat  das  Thema 
eingehend  behandelt.  Üneingenommen ,  besonnen,  alle  Momente 
umsichtig  erwägend,  betrachtet  er  Ursprung,  Entwickelung,  Trag- 
weite des  Veto,  die  Bedingungen  der  Ausübung,  der  Exklusive. 
In  der  Geschichte  der  Konklaven,  von  der  Bonghi  sagte,  uner- 
meßlich werde  ihr  Ruf  durch  Eröffnung  der  päpstlichen  Archive 
gewinnen,  geht  Lector  Schritt  für  Schritt  der  historischen  Aus- 
bildung der  Rolle  der  katholischen  Mächte  bei  der  Papstwahl  nach. 
Er  charakterisiert  rnhige  und  bewegte  Epochen,  mutige  und 
schwache  Fürsten,  wenig  markierte  Päpste  und  imposante  Gestalten. 
Drei  Stufen  lieben  Rieh  ab,  Ingerenz,  indirekte,  geheime,  öffentliche, 
officielle  Exklusive.  Es  werden  die  Übergangspunkte  scharf  prä- 
zisiert Der  monströse  Auswuchs  ruft  in  der  geregelten  Übung 
des  Veto  das  Heilmittel  des  Übels  hervor.  An  die  Stelle  der 
heimlichen  Machinationen  tritt  im  Konklave  Pauls  V.  die  offene 
Exklusive  des  17.  Jahrhunderts,  aus  der  die  formelle  und  perem- 
torische  erwächst.  Mit  Innocenz  XII.  erscheint  der  Begriff  des 
Veto  definitiv  und  vollständig  ausgebildet,  das  Recht  der  formellen, 
direkten  Exklusive  durch  das  Konklave  anerkannt.  Freilich  wird 
es  nie  geschriebenes  Recht.  Keine  Bulle,  kein  päpstliches  Dekret 
hat  es  je  erwähnt,  verliehen  oder  bestätigt.  Merkwürdigerweise 
verliert  es  die  Bedeutung  mit  der  offiziellen  Anerkennung  und 
wird  immer  seltener  geübt:  le  veto  a  contribue  ä  supprimer  les 
exces  coupables  et  les  ingörences  odieuses  de  la  politique  sans 
scrupnle8  et  parfois  simoniaques.  Politiquement  il  est  d'un  em- 
ploi  si  delicat  et  si  perilleux  ponr  les  gouvernements ,  qu'il  se 
fera  sans  doute  de  plus  en  plus  rare.  Pratiquement  il  räpresente 
peu  de  chose:  uvantages  mesquins  pour  les  gouvernements  et 
minces  inconvenients  pour  l'Eglise  lautet  das  Schlufsurteil.  Viel 
Charakteristisches  wird  aus  den  Konklaven  Benedikts  XIV.,  Leos  XII., 
Pius  VIII.,  Gregors  XVI.,  Pius  IX.  mitgeteilt. 

C.  A.  Wittens. 

*  4«  Notizie  e  documenti  della  chiesa  Pinerolese,  raecolta 
compnsta  da  Pietro  Caffaro.  I  Pinerolo  1893.  Der  Ver- 
fasser, Professor  der  Dogmatik  und  Kanonikus  in  Pinerolo,  sam- 
melt mit  teil  weiser  Beihilfe  seines  Bruders,  des  Professors  Albino 
Caffaro,  die  auf  die  Geschichte  des  Sprengeis  bezüglichen  Nach- 
richten. Was  Franzosen  und  Italiener  darüber  geschrieben  haben, 
ist  herangezogen.  An  handschriftlichen  Quellen  sind  aufser  denen 
einiger  naher  Bibliotheken  und  Archive  besonders  Archivalien  aus 
dem  bischöflichen  Stiftsarchiv  benutzt  worden.  Wird  es  auch  ge- 
legentlich fühlbar,  dafs  der  Verfasser  nicht  Fachmann  ist,  und 
ferner,  dafs  ein  Mitglied  des  Kapitels  für  die  Geschichte  seines 

36* 


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560 


NACHRICHTEN. 


Sprengel«  nicht  immer  einen  unbefangenen  Beurteiler  abgeben 
kann,  so  sind  das  doch  nicht  allzusehr  zn  betonende  Mängel  an 
diesem  im  großen  und  ganzen  gründlich  gearbeiteten  Sammelbuch. 
Der  erste  Band  Tun  fast  700  Seiten  behandelt  die  Geschichte: 
1)  der  wohl  1064  gegründeten  Marienabtei  zn  Pinerolo,  die 
seit  1433  nur  Kommendataräbte,  darunter  manch  einen  Kardinal, 
gehabt  bat;  2)  der  Probstei  Oolx  und  3)  des  aus  beiden  und 
einem  Stück  des  Erzbistums  Turin  (1748)  erwachsenen  Bistums 
Pinerolo.  Der  zweite  Band  soll  handeln  von  dem  Kapitel,  den 
Kirchen  und  den  „frommen"  Anstalten  in  Pinerolo,  der  letate 
von  den  Pfarreien  des  Sprengeis  und  den  Nichtkatholiken,  näm- 
lich von  Waldensern,  Juden  und  Freimaurern.  Das  Vorkommen 
der  Waldenser  in  einigen  Thälern  des  Sprengeis  verleiht  der  vor- 
liegenden Veröffentlichung  ein  besonderes  Interesse.  —  „Und 
Urkunden"  —  hoffentlich  werden  die  folgenden  Bände  diesem 
Teile  des  Titels  mehr  entsprechen,  als  der  erste  Band. 

*  5.  Federigo  di  Montefeltro,  dnca  di  Urbino.  Cronaca  di 
Giov.  Santi.  Nach  dem  cod.  Vat.  Ottob.  1305  zum  erstenmale 
herausgegeben  von  Dr.  Heinrich  Holtzinger,  Professor  der 
Kunstgeschichte  ....  zu  Hannover.  Stuttgart  1893.  Der  Dichter, 
Raphaels  Vater,  hat  diese  den  kriegerischen  Herzog  von  Urbino 
verherrlichende  Beimcbronik  (Über  20000  Verse)  dem  auch  von 
ihm  gemalten  Sohne  seines  Helden,  dem  Herzog  Guidobaldo,  ge- 
widmet, aber  wohl  schwerlich  noch  überreicht,  wie  sein  Hand- 
exemplar, eben  der  vatikanische  Kodex,  vermuten  läfst  Nachdem 
das  Werk  schon  durch  mancherlei  Proben  bekannt  geworden  war, 
hat  nun  Holtzinger  die  von  ihm  bereits  1886  angekündigte,  übri- 
gens vorher  von  August  Schmarsow  geplante  Ausgabe  geleistet. 
Santi  hat,  soweit  durch  andernorts  erhaltene  Brachstücke  seiner 
Vorlage  eine  Prüfung  ermöglicht  ist,  äufserst  gewissenhaft  das 
zur  Zeit  als  verloren  geltende,  indes  wahrscheinlich  noch  in  der 
vatikanischen  Urhandschrift 1  (Angabe  des  Reposati,  Deila  zecca  di 
Gubbio,  I  S.  142  Anm.)  vorhandene  Werk  des  herzoglichen  Se- 
kretärs Paltroni  benutzt.  So  kann  die  Reimchronik  im  ganzen  als 
geschichtlich  treu  gelten.  Diese  ihre  geschichtliche  Treue  ist  gröfser 
als  ihr  dichterischer  Wert,  der  —  abgesehen  von  der  freilich  auch 
nicht  durchweg  auf  eigener  Konzeption  beruhenden  Eingangsvision 
und  manchen  einzelnen  Schönheiten  —  recht  gering  ist.  Der 
Hauptwert  der  Schrift  liegt  darin,  dafs  wir  durch  sie  einen  Ein- 
blick gewinnen  in  die  Persönlichkeit  des  Giov.  Santi  und  den  Ein- 
flufs  ermessen  können,  den  der  ernst-sittlich  und  sinnig-religiös 
gestimmte  Vater,  in  dessen  Hause  neben  der  Malerei  Dichtkunst 
und  Geschichte  heimisch  waren,  auf  den  Sohn  ausgeübt  hat.  — 


1)  Die  Antwort  auf  eine  Anfrage  in  Rom  steht  noch  aus. 


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NACHRICHTEN. 


561 


Zu  tadeln  ist,  dafs  der  Herausgeber  sich  sklavisch  genau  an  die 
Urschrift  gehalten  hat  Eine  im  ganzen  buchstäblich  genaue 
Wiedergabe  mag  bei  nationalsprachlichen  Qaellen  dieser  Zeit  iu 
der  That  angezeigt  sein.  Aber  offenkundige  Verschreibnisse,  wie 
Cristofaro  zu  buchen,  ist  zwecklos.  Wozu  soll  man  der  willkür- 
lichen Schreibung  mit  grofsen  und  kleinen  Anfangsbuchstaben  fol- 
gen? Wozu  der  möglichst  thörichten  Interpunktion  des  Schrei- 
bers? Holtzinger  selbst  sagt  von  dieser:  „Sie  fehlt  durchgängig 
und,  wo  sie  angebracht  wird,  steht  sie  meistens  am  verkehrten 
Ort." 

6.  Kevue  historique  LIII  (1893,  Bd.  3),  S.  1 — 28.  Eugen 
Müntz:  lesentiment  religieux  en  Italie  pendant  le  sei- 
zieme siecle,  eine  interessante  Studie,  doch  nicht  von  der  weit- 
tragenden Bedeutung,  welche  der  Titel  annehmen  läfst  In  Kürze 
erörtert  Müntz,  welche  Stellung  die  Kirche  in  Italien  den  Äufse- 
rungen  reformatorischer  Ideen  gegenüber  und  zur  Kunst  eingenom- 
men hat  Ferner  zeigt  er  au  zwei  klassischen  Beispielen  —  Lio- 
nardo  da  Vinoi  und  Michel  Angelo  — ,  wie  verschieden  sich  die 
Kunst  in  ihren  vornehmsten  Vertretern  zu  Religion  und  Kirche 
verhielt  Hier  bewegt  sich  Müntz  auf  ihm  wohl  vertrauten  Gebiet, 
wie  er  selbst  sagt:  seiner  Domäne. 

7.  Von  de  Leva's  storia  documentata  di  Carlo  V 
in  correlazione  all'  Italia  ist  der  fünfte  Band  erschienen,  der 
•die  Zeit  vom  Interim  bis  zum  Passauer  Vertrage  behandelt.  Bo- 
logna, Zanichelli,  1894.  497  S. 

8.  Th.  von  Sickel  hat  in  den  Mitteilungen  des  Instituts 
für  österreichische  Geschichtsforschung  XIV,  1893,  S.  537 — 588 
ein  Buolo  di  famiglia  des  Papstes  Pius  IV.  veröffent- 
licht Die  höchst  dankenswerte  ausführliche  Einleitung  macht  auf 
die  eigenartigen  Schwierigkeiten,  welche  diese  Buoli,  die  Listen 
der  päpstlichen  Haushaltsfamilie,  dem  Forscher  bieten,  aufmerk- 
sam. So  ist  die  Feststellung  der  durch  die  Thronwechsel  her- 
beigeführten Verschiebungen  der  Papstfamilien  sehr  schwierig;  nur 
vorbehaltlich  giebt  Sickel  z.  B.  an,  dafs  Pius  IV.  etwa  den  zehnten, 
Pius  V.  etwa  den  sechsten  Teil  der  Familie  des  Vorgängers  bei- 
behielt Anhangsweise  stellt  Sickel  die  von  ihm  gesammelten 
Notizen  zur  Geschichte  der  Sekretariate  und  der  Bibliothek  zu- 
sammen. —  Die  Ruoli,  über  welche  das  in  Deutschland  wenig 
bekannte  Dizionario  di  erudizione  storico-ecclesiastica  von  Gaetano 
Moroni  manche  Nachrichten  enthält,  werden  aufbewahrt  in  der 
Computisteria,  welche  zu  den  Amtern  der  Amministrazione  pala- 
tina  gehört,  deren  Akten  geheim  gehalten  werden.  Sickel,  zu 
dessen  Gunsten  —  er  konnte  Buoli  von  Julius  III.,  Paul  IV., 
Pius  IV.,  Pius  V.  und  Sixtus  V.  einsehen  —  eine  Ausnahme  ge- 
macht wurde,  befürwortet  ihre  Überführung  in  das  päpstliche 


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562 


NACHRICHTEN. 


Geheimarchiv,  welches  unter  dem  gegenwärtigen  Papste  bekannt- 
lich der  historischen  Forschung  zugänglich  ist. 

9.  Michele  de  Montaigne:  giornale  del  viaggio 
in  Italia  nel  1580  e  1581,  zwar  schon  früher  gedruckt,  doch 
höchst  selten  geworden,  neu  herausgegeben  von  Alessandro 
d*  Anco  na,  in  zweiter  Auflage  Cittä  di  Castello,  S.  Lapi,  1895. 
Preis:  1.  10.  —  Dieses  teils  französisch,  teils  italienisch  geschrie- 
bene Tagebuch,  dem  eine  bis  an  unser  Jahrhundert  herangeführte 
bibliographische  Zusammenstellung  der  ausländischen  Beisel itteratur 
über  Italien  und  jetzt  ein  auch  besonders  zu  beziehendes  (1.  1) 
alphabetisches  Inhaltsverzeichnis  beigegeben  sind,  ist  eine  wichtige 
Quelle  für  die  Kenntnis  italienischen  Lebens  im  letzten  Drittel  des 
sechzehnten  Jahrhunderts.  Als  Beispiele  interessanter  Einzelheiten 
seien  angeführt  die  Audienz  beim  Papste  (S.  212)  und  die  Zensur 
der  „essais"  des  Montaigne.  Lehrreich  sind  insbesondere  die  Mit- 
teilungen über  das  gesellige  Leben,  auch  über  seine  Nachtseiten. 

10.  Annibale  Borne i,  gentiluomo  ferrarese:  Ferrara  e 
la  Corte  Estense  nella  secouda  meta  del  secolo  XVI,  discorsi 

di  ,  herausgegeben  von  A.  Solerti,  Civitä  di  Castello, 

S.  Lapi,  1895.    Preis:  1.  7. 

*  11.  Luigi  Staffetti:  il  cardinale  Innocenzo  Cybo 
.  .  .  .  mit  Bildnis  .  .  .,  Florenz,  Le  Monnier  Nachfolger,  1894. 
Preis:  1.  4.  —  Staffetti,  der  bereits  in  früheren  Arbeiten  mit  der 
Geschichte  der  Cybo  sich  beschäftigt  hat,  liefert  auf  Grund  seiner  Stu- 
dien in  den  Archiven  zu  Bologna,  Florenz,  Genua,  Mantua,  Massa, 
Modena  und  Venedig  eine  peinlich  sorgfaltige,  freilich  mit  manchem 
überflüssigen  Kleinkram  beladene  Lebensbeschreibung  eines  welt- 
licheu  Durchschnittskardinals ,  der  doch  wiederholt  Kandidat  bei 
Papstwahlen  war.  Anno  1491  als  Enkel  des  Papstes  Innocenz'  V1IL 
geboren,  wurde  er  als  der  Neffe  Leos  X.  in  sehr  jugendlichem 
Alter  Kardinal.  Von  Interesse  ist  seine  politische  Thätigkeit 
während  der  italienischen  Wirren  der  zwanziger  und  dreifeiger 
Jahre,  zumal  seine  Beziehungen  zu  Florenz,  zu  den  Medici  und 
zu  Guicciardini.  Er  starb  bald  nach  der  durch  ihn  erfolgten  Kon- 
sekration Julius*  III.  (1550).  In  seinem  Testament  sind  seine 
vier  Kinder  bedacht,  zwei  zu  diesem  Zwecke  legitimierte  Söhne 
und  zwei  Töchter.  Charakteristisch  ist  die  Bemerkung  in  den 
Familienerinnerungen  der  Cybo:  „Mit  dem  Tode  des  Kardinals  Cybo 
verlor  die  Familie  mehr  als  35000  scudi  Einkommen".  Das 
beigegebene  Bild  stammt  aus  der  Galleria  degli  Uffizi  in  Florenz. 

12.  Im  Ntiovo  Archivio  Veneto  1893  VI  1.  (3.  Jahrgang) 
giebt  Gaetano  Capasso  einige  Nachrichten  über  die  Erhe- 
bung des  P.  Bembo  zum  Kardinal  (1538/39)  auf  Grund 
von  parmeser  und  venetianischen  Archivalien. 

13.  Athanasius  Zimmermann  hat  das  Leben  des  Kar- 


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NACHRICHTEN. 


563 


dinals  Reginald  Pole  beschrieben,  Regensburg  1893.  Preis: 
Mk.  3.  60.    (Hist.  Jahrb.  d.  Görres-Ges.  1894,  S.  166.) 

14.  Giov.  Grill,  fattori  dei  movimenti  riforma- 
tori  italiani  nel  secolo  XVI.  Rostocker  Dissertation.  Pine- 
rolo,  tip.  sociale,  1893.  114  S.  —  Es  ist  die  Arbeit  eines 
mehr  in  der  Litteratur  als  in  den  Quellen  belesenen  italienischen 
Protestanten,  dessen  religiöse  Überzeugung  und  Vaterlandsliebe 
in  glühenden  Worten  zum  Ausdruck  kommen. 

15.  In  dem  mir  zur  Zeit  nicht  zugänglichen  Archivio  della 
B.  Societa  romana  di  storie  patria  XV  1892/93  hat  Fontana 
150  Aktenstücke  abgedruckt,  welche  die  evangelische  Be- 
wegung in  Italien  während  der  Jahre  1524 — 1570  betreffen. 

16.  Das  vorzüglich  für  die  moderne  Geschichte  wichtige 
Werk  des  verstorbenen  Luigi  Amabile  über  die  In quisition 
in  Neapel  bat  Hermann  Haupt  in  Baud  XV  dieser  Zeitschrift 
S.  441  ff.  angezeigt.  —  In  der  nächsten  Zeit  darf  man  vielleicht 
eine  gründliche  Darstellung  der  reformatorischen  Bewegung 
in  Neapel  erwarten;  denn  die  im  Jahre  1890  von  der  Societa 
reale  di  Napoli  (Accademiadiscienze  politiche)  ausgeschriebene  Preis- 
arbeit über  das  Thema  „II  movimento  della  riforma  religiosa  nelle 
provincie  napoletane  nel  secolo  XVI"  war  im  vorigen  Jahre  fallig.  — 
Memorie  della  famiglia  Caracciolo.    Neapel,  Giannini,  1893 f. 

17.  Die  seit  1890  von  der  R.  Accademia  dei  Rozzi  heraus- 
gegebene Biblioteca  popolare  senese  dei  secolo  XVI 
enthält  möglicherweise  wichtige  Neudrucke. 

18.  Ochinos  Gespräch  von  des  Papsttums  Entste- 
hung und  Fall  ist  von  seinem  klassischen  Biographen  Karl 
Benrath  verdeutscht  worden.  Halle,  Strien,  1893.  Preis  Mk.  1.  20. 
(Vorher  in  Beyschlags  deutsch-evangelischen  Blättern.) 

*  19.  Eugen  Burnat:  Lelio  Socio;  Vevey,  Gebr.  Klaus- 
felder, 1894.  92  S.  —  Eine  mit  Sachkenntnis  und  innigem  Ver- 
ständnis für  das  Wesen  und  Wollen  dieses  allzeit  fragenden  Zweif- 
lers geschriebene  Biographie.  Drei  nicht  eben  sonderlich  belang- 
reiche Briefe  des  Lelio  Sozini,  einer  an  Ambrosius  Moibanus  (vgl. 
P.  Konrad:  Ambrosius  Moibanus,  S.  77)  und  zwei  an  Crato  von 
Kraftheim  sind  nach  den  Urschriften  der  Breslauer  Stadtbibliothek 
abgedruckt;  im  ganzen  richtig,  nur  im  letzten  Briefe  ändert  Burnat 
ohne  Grund:  vir  dignissimus,  qui  ab  indignis  tractatur  indigne, 
während  dasteht:  vir  i n dignissimus,  qui  ab  indignis  tractetur  in- 
digne  S.  84  heifst  es  versehentlich:  duc  Christian  statt:  Christophe. 

20.  Bart.  Fontana  verdankt  man  eine  neue  nach  Mate- 
rialien der  Hausarchive  der  Eiste,  der  Medici  und  der  Gonzaga 
sowie  des  vatikanischen  Archivs  gearbeitete  Biographie  der  Her- 
zogin Renata  von  Ferrara.  Rom,  Forzani,  1893.  XVI  und 
584  S.,  mit  Bildnis.   Preis:  1.  10.  —  Betreffs  des  Aufenthaltes 


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NACHRICHTEN. 


Calvins  vgl.  diese  Zeitschrift  1894,  XIV,  467.  —  In  der  deut- 
schen Zeitschrift  für  Geschichtswissenschaft  (Quidde)  IX  (1893)  1, 
S.  203 — 222  beantwortet  C.  A.  Cornelius  die  Frage,  welchen 
Erfolg  Calvins  Besuch  in  Ferrara  gehabt  haben  könne, 
indem  er  nach  Fontanas  Forschungen  die  Lage  der  Dinge  am 
Hofe  schildert,  die  damals  für  einen  etwaigen  Einflufs  Calvins  so 
ungünstig  wie  möglich  war. 

21.  D.  Tordi:  Vittoria  Colonna  ...  supplemento 
al  carteggio,  eine  Ergänzung  zu  ihrem  (Turin  1890)  von 
Ferrero  und  Gins.  Müller  herausgegebenen  Briefwechsel  (vgl.  diese 
Zeitschrift  1892,  XII,  569),  angezeigt  1893  im  Archivio  storico 
per  le  provincie  Napoletane.  —  Über  die  Bildnisse  der  Vittoria 
Colonna  einige  feine  Bemerkungen  in  dem  unter  6  angeführten 
Aufsatze  (S.  25)  von  Eugen  Müntz. 

2t.  Von  Professor  Biagio  Brugi  wird  ein  Werk  vorbe- 
reitet über  Padua  als  Juristenuniversität  im  sechzehnten  Jahr- 
hundert. Ein  Vorläufer  davon  ist  ein  zuerst  in  den  Atti  del  R. 
Institute  Veneto  di  scienze,  lettere  ed  arti  LH  (V  der  7.  Folge) 
1893/94  S.  1015—1033,  dann  auch  besonders  (bei  Ferrari  1894) 
erschienener  Aufsatz:  gli  studenti  tedeschi  e  la  S.  Inquisizione  a 
Padova  nella  seconda  metä  del  secolo  XVI,  worin  Auskunft  ge- 
geben wird  über  die  Behelligungen,  denen  die  deutschen  Studenten 
in  Padua  damals  vonseiten  der  kirchlichen  Behörden  ausgesetzt 
waren.  Von  den  in  dem  halben  Jahrhundert  von  1550  bis  1599 
eingeschriebenen  deutschen  Studenten,  nämlich  fast  5100  Juristen 
und  fast  1000  Artisten,  waren  nur  verschwindend  wenige  nach 
dem  Ausdruck  der  Universitätsakten  „pontificii".  Im  Interesse 
des  Besuches  ihrer  Universität  aber  nahm  die  Republik  Venedig 
eine  durchaus  mafsvolle  Haltung  in  dieser  Sache  ein.  Wie  Sarpi 
später  riet,  so  handelte  man:  Jeder  wurde  für  einen  Katholiken 
gehalten,  von  dem  nicht  das  Gegenteil  feststand. 

23.  Gaetano  Capasso:  nuovi  documenti  Verge- 
riani,  estrntto  dal  vol.  IV.  dell'  Archivio  storico  per  Trieste, 
Vlstria  e  il  Trentino,  Verona,  Franchini,  1894.  Quelle:  Staats- 
archiv in  Parma;  vgl.  Nontiaturberichte  I  ed.  Friedensburg,  die 
Mitteilungen  am  Schlüsse.  —  Bald  danach  hat  Professor  R  o  - 
dolfo  Renier  im  Giornale  storico  della  letteratnra  italiana 
XXIV,  452  ff.  zwei  Briefe  des  Kardinals  Ercole  Gonzaga  an  Ver- 
gerio  veröffentlicht  aus  einem  einst  dem  Historiker  Ireneo  Affo 
gehörigen  Kodex  der  Biblioteca  Palatina  in  Parma,  welcher  Ab- 
schriften enthält  von  Originalen  der  Bibliothek  Barberini.  Der 
erste  Brief  vom  Oktober  1545  bespricht  Vergerios  damalige  lit- 
terarische Arbeiten;  der  zweite,  vom  August  1546,  wirft  ein 
Schlaglicht  auf  das  zuweilen  sehr  unkluge  Benehmen  des  Bischofs 
Von  Capodistria, 


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NACHRICHTEN. 


565 


24.  Im  Archeografo  Triestino  XIII,  fasc.  2  (Triest,  Caprin, 
1893)  findet  sich  ein  Lebensbild  des  Giorolamo  Mntio  von  Pro- 
fessor Aless.  Morpurgo  (32  S.),  das  auf  selbständigen  Studien  be- 
ruht Mntio  ist  bekannt  dnrch  seine  Fehden  wider  Männer  der 
Reformation,  so  Ochino,  Bullinger  u.  a,  besonders  aber  seinen 
Landsmann  Vergerio,  mit  welchem  er  einig  war  nur  in  der  Liebe 
zu  seinem  Vaterlande  und  zn  seiner  Muttersprache,  nm  die  er  sich 
dnrch  die  Schrift  „Battaglie  per  difesa  deir  italica  lingua"  ver- 
dient gemacht  hat.  Morpurgo  zieht  die  Schreibung  Muzio  der 
anderen  Mntio  vor,  welche  jedoch  Mutio  selbst  in  Werken  und 
Briefen  anwendet  —  Von  dem  Professor  Albino  Zenatti  ist 
die  Heransgabe  des  Briefwechsels  Mutios  zu  erwarten. 

25.  Battisteila:  II  S.  Officio  e  la  riforma  reli- 
giosa  in  Friuli.    üdine,  Gambierasi,  1895. 

26.  M.  Rosi:  La  riforma  religiosa  in  Lignria  e 
l'eretico  nmbro  Bartolommeo  Bartoccio.  Genova,  Sordo- 
muti,  1894.  178  S. ;  aus  den  Atti  della  Societa  ligure  di  storia 
patria  XXIV.  Bartoccio,  päpstlicher  Unterthan,  doch  auch  Genfer 
Bärger,  wurde  1569  verbrannt.  Rost  benutzt  besonders  Akten 
des  Staatsarchivs  zn  Genua.  —  Derselbe:  Le  monache  nella 
vita  genovese  dal  secolo  XV  al  XVII.  Atti  della  Societa 
ligure  di  storia  patria  XXVII.  1895. 

27.  In  der  amtlichen  Zeitschrift  der  R.  Accademia  araldica 
italiana,  dem  Giornale  araldico  genealogico  diplomatico,  Jahrgang 
II  der  neuen  Folge  1893  IV,  8  handelt  Ad.  Gautier  von  Gen- 
fer Familien  italienischen  Ursprungs,  von  denen  sehr 
viele  ans  Lucca  stammen. 

28«  Ireneo  Sanesi:  il  cinquecentista  Ortensio  Lando 
(1512— [1553]),  Pistoia,  Gebr.  Bracali,  1893;  angezeigt  Arch. 
stör.  ital.  1894,  XIII,  198  ff. 

29.  In  italienischen  Fachzeitschriften  werden  den  beiden  im 
vorigen  Jahre  verstorbenen  Historikern,  die  sich  auch  anf  dem  Ge- 
biete, dessen  Kenntnis  diese  Nachrichten  dienen,  bethätigt  haben, 
anerkennende  Nachrufe  gewidmet:  Isidore  Carini  starb  in  Rom 
am  25  Januar,  Cesare  Cantü  in  Mailand  am  11.  März  1895. 

*  80.  Nur,  weil  znr  Besprechung  eingesandt,  wird  hier  ge- 
bucht das  Schriftchen  von  Antonino  Pennisi  Manro:  poesie 
giovanili  Catania,  Pansini,  1894.  Der  Dichter  ist  in  Italien 
bekannter  als  Verfasser  des  bereits  in  zweiter  Auflage  vorliegen- 
den Werkes :  La  rivelazione  doli*  ente  nell'  atto  del  giudizio  doli* 
ossere  suo  l.  F.  Hubert. 


1)  Mit  Rucksicht  auf  das  Eingehen  dieses  Teiles  unserer  Zeitschrift 
wird  darauf  verzichtet,  die  vorstehenden  Nachrichten,  die  vor  mehr  denn 
Jahresfrist  niedergeschrieben  wurden,  weiterzuführen. 


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NACHRICHTEN. 


Spanisches. 

Von 

C.  A.  Wüken», 


1.  Espagne.  Topo  -  Bibliographie  par  le  Chanoine  Ulysse 
Chevalier.  Montbeliard,  Hoffmann,  1895.  37  p.  18.  Der  Ka- 
nonikus Chevalier  ist  ein  Magliabecchi  unseres  Jahrhunderts.  Ein 
glänzendes  Zeugnis  seiner  stupenden  Bücher-  und  Handschriften  - 
künde  ist  das  in  den  Analecta  Bollendiana  erschienene  Reperto- 
rium  hymnologicum,  Catalogue  des  Chants,  Hymne«,  Proses,  Se- 
quences,  Tropes  en  usage  dans  TEglise  latin  depuis  les  origines 
jusqu'ä  nos  jours  T.  I  A  — K  N0B  1  —  9935.  Louvain  1892. 
601  p.  T.  II  L— U  bis  jetzt  N08  9936  —  20  884  und  die  kri- 
tische Ausgabe  der  in  allen  Kirchen  des  Abendlandes  gebrauch- 
ten Hymnen  und  Prosen:  Poesie  litnrgique  traditionelle  de  l'Eglise 
catholique  en  Occident.  Paris  1894.  LXIII  et  288  p.  Das  Re- 
pertoir  des  sources  historiques  du  moyen  age  in  fünf  Banden  ist 
zum  zweiten  fortgerückt,  Topo-Bibliographie.  Montbeliard,  Hoffmann, 
1894.  528  p.  Hatte  der  erste  bio-bibliographische  Teil  284G 
Spalten,  so  führen  die  3450  Kolumnen  des  zweiten  etwa  250000 
Titel  von  Büchern,  Broschüren,  Joumalartikeln  aus  allen  Ländern 
auf,  die  Orte,  Ereignisse,  Sitten,  Institutionen,  Künste,  Litteratur 
des  Mittelalters  betreffen.  Chevalier  verdient  damit  den  Dank 
aller,  denen  er  durch  seine  wichtige  Leistung  im  Gebiete  der 
historischen  Hilfswissenschaften,  die  einschlägigen  Studien  erleich- 
tert Man  erstaunt  ebenso  sehr  über  die  unglaubliche  Summe 
der  der  Erforschung  des  Mittelalters  bereits  gewidmeten  Arbeit, 
wie  über  die  Geduld,  den  Spürsinn,  die  Sorgfalt,  womit  der  Autor 
dieses  Gut  inventiert  bat.  Für  Spanien  waren  die  betreffenden 
Schriften  sehr  schwer  aufzufinden,  und  man  wird  daher  den  Sonder- 
abdruck der  dieses  Land  behandelnden  Topo-Bibliographie  will- 
kommen heifsen. 

2.  Die  zu  51  Bänden  angewachsene  Espana  Sagrada 
des  Augustiners  Fray  Enrique  Florez  hat  selbst  eine  interessante 
Geschichte.  Einen  wichtigen  Teil  derselben  erzählte  1780  Fray 
Francisco  Mendez  in  den  Noticias  sobre  la  vida,  escritos  y  viajes 
del  reverendisimo  P.  Maestro  F.  E.  Florez.  Diese  Schrift  liefs 
die  Akademie  der  Geschichte  1860  sehr  bereichert  erscheinen, 
nachdem  Pedro  Sainz  de  Baranda  im  22.  Bande  der  Coleccion 
de  documentos  in&Htos  para  la  Historia  de  Espana  1852  den 
Schlüssel  zur  Espana  Sagrade  publiziert  hatte.    Mit  diesem  Ge- 


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NACHRICHTEN. 


567 


lehrten  waren  seit  1850  Carlos  Bamon  Fort,  Jaan  Manuel  Mont- 
alban,  Vicente  de  la  Fuente  für  die  Fortsetzung  des  grofsen 
Werkes  thätig.  Ihren  Beriebt  an  die  Akademie  über  gelehrte 
Reisen  nach  Barbastro,  Barcelona,  Gerona,  Vick,  über  die  Resultate 
der  Forschungen  in  den  Archiven  von  Tarazona,  Verucla,  Tudela 
teilt  das  Boletin  T.  XXIV,  p.  200 f.  1894  mit,  wobei  die  Lei- 
stnngen  von  Florez  und  Bisco  gewürdigt  werden. 

3.  Handschri ftenschätze  Spaniens.  Bericht  über 
eine  im  Auftrage  der  kaiserlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
in  den  Jahren  1886  — 1888  durchgeführte  Forschungsreise  von 
Dr.  Rudolf  Beer,  Amanuensis  der  k.  k.  Hofbibliothek.  Wien 
1894.  In  Kommission  bei  F.  Tempsky.  755  S.  8°.  Wie  ent- 
wickelte sieb  das  Schrifttum  Spaniens  im  Mittelalter?  Welche 
biblische,  patristische,  klassische  Kodices  treten  besonders  hervor? 
Wer  veranlafste,  schrieb,  besafs,  sammelte,  katalogisierte  sie? 
Wo  befinden  sie  sich?  Welche  Wirkungen  übten  sie?  Welche 
Schicksale  haben  sie  erlebt?  Wo  sind  sie  jetzt?  Wo  finden  sich 
handschriftliche,  wo  gedruckte  Nachrichten  über  sie?  Welche 
Aufgabe  hat  die  Handschriftenkunde  Spaniens  noch  zu  lösen  ?  Die 
Beantwortung  dieser  Fragen  bieten  die  Handschriftenschatze,  die 
Frucht  zehnjähriger  Arbeit.  Für  die  Wichtigkeit  des  Themas 
spricht,  dafs  seit  300  Jahren  etwa  60  spanische,  französische, 
italienische,  deutsche,  englische,  dänische  Gelehrte  es  nach  ein- 
zelnen Seiten  in  Angriff  nahmen.  Anlafs  boten  Bibelstudium, 
Patristik,  Kirchen-  und  Konziliengeschicbte,  Liturgik,  kanonisches 
und  Zivilrecht,  europäische,  spanische  und  Literaturgeschichte, 
klassische  und  romanische  Philologie,  Diplomatik,  Paläographie, 
Bibliologie,  Archivs-  und  Bibliothekswissenschaft.  Guiaeppe  Va- 
lentinelli,  Delle  biblioteche  della  Spagna  1860,  Jules  Tailhan, 
Les  bibliotheques  espagnoles  du  haut  moyen-äge  1877.  Charles 
Graux,  Essai  sur  les  origines  du  fonds  giec  de  l'Escorial  1880. 
Isidoro  Carini,  Gli  Archivi  e  le  Biblioteche  di  Spagna  1885  hatten 
auf  dem  Felde  geerntet.  Dafs  Beer  sich  ihnen  anschliefsend  sie 
weit  überbieten  konnte,  veranlafste  dio  Wiener  Akademie.  Sie 
bestimmte  ihn  zum  Fortsetzer  der  von  Loewe- Härtel  begonnenen 
Bibliotheca  patrum  latinorum  Hispaniensis  T.  I  1877.  Er  erhielt 
den  Auftrag,  im  Osten  und  Norden  Spaniens  die  bisher  minder 
berücksichtigten  Handschriften  bestände  der  Bibliotheken  und  Ar- 
chive möglichst  umfassend  zu  durchforschen,  dio  vorzüglichsten 
Manuskripte  der  patristischen  und  klassischen  Autoren  zu  be- 
schreiben, ohne  wichtiges  Material  aus  anderen  Disziplinen  zu 
übersehen,  und  einen  Überblick  über  das  gesamte  Schrifttum  des 
mittelalterlichen  Spaniens  zn  geben  mit  Berücksichtigung  der 
Leistungen  aller  früheren  Forscher.  Den  ehren-  und  mühevollen 
Auftrag  hat  der  Verfasser,  ein  tüchtiger  Philolog  und  Paläograph, 


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NACHRICHTEN. 


in  einer  Weise  gelöst,  die  ihm  von  allen  Seiten  einstimmiges  Lob 
erwarb.    Während  eines  zweijährigen  Aufenthaltes  in  Spanien 
hat  er,  gefördert  von  der  Königin-Regentin,  vom  Nuntius,  von 
Bischöfen,  Domherren,  Klöstern,  Akademien  und  Gelehrten,  wich- 
tige Funde  gemacht,  lange  vergeblich  Gesachtes  entdeckt,  ver- 
kannte Schätze  den  Besitzern  enthüllt,  an  wiederholt  durchsuchten 
Stätten  ertragreiche  Nachlesen  gehalten,  2000  Handschriften  an 
80  Fundorten  untersucht    Die  Einleitung  bespricht  Plan,  Ten- 
denz und  Nutzen  des  Werkes,  charakterisiert  die  Perioden  des 
Handschriftenwesons  der  pyrenäischen  Halbinsel  und  würdigt  die 
Verdienste  der  Vorgänger.    Dann  werden  in  alphabetischer  Reihen- 
folge 614  Archive  und  Bibliotheken  —  darunter  231  nicht  mehr 
existierende  —  behandelt.   Sind  Über  die  Manuskripte  einer  erz- 
bischöflichen,  bischöflichen,  Kathedral-,  Kapitel-,  Kirchen-,  Sa- 
kristei-, Kloster-,  Templer-,  Bruderschafts-,  Universität-,  Fakul- 
tät«-, Akademie-,  Provinzial-,  National-Bibliothek  nur  wenige  Nach- 
richten erhalten,  so  werden  die  urkundlichen  Zeugnisse,  chrono- 
logisch geordnet  ipsissimis  verbis,  auch  sehr  wichtige,  uralte  Ka- 
taloge vollständig  gegeben.    Liegt  ein  durch  Jahrhunderte  rei- 
chendes, handschriftliches  oder  gedrucktes  Informationsmaterial  an 
Verzeichnissen  vor,  dann  erhält  man  darüber  die  genaueste,  auf 
Autopsie  ruhende  Belehrung.    62  Artikel  sind  den  handschrift- 
lichen Katalogen  der  Escorialkodices  gewidmet,  140  Autoren  er- 
scheinen in  der  Rubrik:  Druckwerke  über  die  Escorialensia.  Die 
69  Bibliotheken  Madrids  S.  278  —  350  veranlassen  260  littera- 
risch-bibliograpbische  Nacbweisungen.    Tabellen  verzeichnen  234 
datierte  Handschriften  vom  8.  bis  16.  Jahrhundert,  deren  Schreiber 
und  Illuminatoren  und  243  Miniaturkodices.    Alles  ist  in  Be- 
tracht gezogen.    Genesis,  Dotirung,  Bestände,  Anordnung,  Erhal- 
tung, Verwaltung  der  Sammlungen,  Schenkungen,  Vermächtnisse, 
Käufe,  Verkäufe,  Tausche,  Entlehnungen,  Vermerke,  Subskriptionen. 
Diese  Punkte  sind  mit  einer  Genauigkeit  erwogen,  wie  sie  etwa 
Böckh  der  Metrik  Pindars,  Ritsehl  dem  Texte  des  Plautus  wid- 
mete.  Nicht  nur  die  ganze  aufser  Spanien  unerreichbare  Spetial- 
litteratur  ist  benutzt,  auch  die  200000  Seiten  der  Espana  Sa- 
grada,  die  22  Bände  von  Villanuevas  Viaje  literario,  Monogra- 
phien über  Städte,  Kirchen,  Klöster,  Altertümer.    Viel  Wissens- 
wertes erfahrt  man  über  die  Bibliophilie  Isidors  von  Sevilla  und 
Philipps  II.,  über  die  Pflege  der  Kalligraphie  in  Klöstern  wie 
Silos,  über  die  Zerstörung  lange  gehüteter  Schätze  durch  Revo- 
lution- und  Bürgerkriege,  Diebstähle  und  Verschleuderungen. 
Wie  Carini  hunderte  unbekannter  Urkunden  zur  Geschichte  Sici- 
liens  aufTand,  so  stiefs  Beer  im  Kathedralarchiv  von  Leon  auf 
eine  Menge  von  Bullen,  Dekrotalen ,  die  niemand  je  benutzt  hat. 
Er  rekonstruiert  die  Sammlung  westgotischer  Handschriften  in 


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NACHRICHTEN. 


569 


Oviedo,  von  denen  sich  dort  keine  einzige  mehr  befindet.  Eine 
solche  Einleitung  zu  dem  nächstens  erscheinenden  zweiten  Bande 
der  Bibliothek  bezeugt,  dafs  der  Verfasser  mit  gutem  Recht  Mit- 
glied ?on  drei  spanischen  Akademien  und  Besitzer  ebenso  vieler 
spanischer  Orden  ist. 

4.  Im  Boletin  de  la  Academia  Beal  de  la  'Historia  T.  XXIV, 
1894,  p.  215—236.  T.  XXV,  1894  p.  299—342;  449—475 
teilt  Fidel  Fita  y  Colome*  Akten  und  sonstige  Dokumente  zur 
Geschichte  der  unbekannt  gewordenen  Nationalkonzilien  in 
Palencia  1100,  Gerona  1101,  Carrion  1103,  Leon  1107,  Sala- 
manca  1154,  Valladolid  1155  mit.  Erläuterungen  über  Anlafs, 
Gang,  Folgen  der  Versammlungen  sind  beigefügt. 

*  5.  Histoire  de  Saint  Vincent  Fe rri er,  apötre  de  l'Europe 
par  P.  Fages.  Paris,  Maison  de  la  bonne  Presse,  1894.  2  Vol. 
X  et  354  — CXLII,  450  — CI  p.  16°.  Wer  es  einmal  unter- 
nehmen wird,  die  Geschichte  der  Predigt  im  Italien  der  Renaissance 
zu  schreiben,  bemerkt  L.  Pastor,  der  wird  zeigen,  dafs  die  eifrige, 
höchst  freimütige  Verwaltung  des  Predigtamtes  eine  der  erfreu- 
lichsten Erscheinungen  dieser  Zeit  ist,  die  im  übrigen  so  viele 
Schattenseiten  aufweist.  Gerade  hier  offenbart  sich,  dafs  ein 
neuer,  frischer  Geist  sich  im  kirchlichen  Leben  zu  regen  be- 
gann. —  Einen  wichtigen  Beitrag  zur  Lösung  dieser  Aufgabe 
liefert  der  Dominikaner  Fages  in  seiner  trotz  einiger  bibliogra- 
phischer Mängel  sehr  instruktiven  Geschichte  Vincente  Ferrers 
von  Valencia.  In  Spanien,  Italien,  Frankreich,  England,  Schott- 
land, Irland  brachte  dieser  Missionar  Unzählige  unter  den  erhe- 
benden Einflufs  des  Wortes  Gottes,  wie  es  nicht  der  Wortmacher, 
der  Kanzelredner,  wie  es  einzig  und  allein  der  Zeuge  vermag. 
Auf  seinen  biographischen  Forschungsreisen  war  Fages  so  glück- 
lieb, zwei  antographe  Predigtsammlungen  Ferrers  in  Toulouse  und 
Perugia  zu  entdecken.  Bisher  meinte  man,  es  seien  nur  Nach- 
schriften erhalten.  Der  Edition  dieses  Fundes  dient  die  Histoire 
als  Einleitung.  Sie  ruht  auf  einem  grofsen,  L.  Heller  nnbekannt 
gebliebenen,  urkundlichen  Material,  das  mit  vieler  Mühe  gesam- 
melt ist  und  die  ältesten  Vitae  von  Razzano,  Videl  y  Mico, 
die  Nachrichten  Teypidors  beträchtlich  ergänzt  Nichts  ist  ver- 
schmäht, nicht  Kanzleierlässe,  Missiven,  Protokolle  vun  Munizipal- 
ratsverhandlungen, Relationen  von  Zeitgenossen,  Traditionen,  Denk- 
mäler. Die  Menge  des  zutage  geförderten  Stoffes  hätte,  um  voll- 
ständig verwertet  zu  werden,  statt  der  zwei  vorliegenden  Bände 
mit  den  vielen  Noten  und  Preuves  vier  gefordert.  Also  ein  rei- 
cher Ersatz  für  die  bei  der  Plünderung  Roms  1527  vernichteten 
Akten  des  Kaiionisationsprozesses. 

6.  Die  spanische  Akademie  der  Geschichte  hat  die  Publika- 
tion eines  Werkes  von  grofsem  kirchengeschichtlichen  Interesse  auf 


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NACHRICHTEN. 


Staatskosten  beschlossen,  dessen  erster  Band  vorliegt.  Ricardo 
de  Hinajosa,  Los  despächos  de  la  diplomacia  pontificia  en  Espana. 
Memoria  de  nna  mision  oficial  en  el  archivo  secreto  de  la 
Santa  Sede.  T.  I  Madrid  1896.  LVIII.  425  p.  4°.  Die  Ein- 
leitung bebandelt  die  Geschichte  der  päpstlichen  Archive,  die 
des  secreto,  seiner  Schicksale,  Fonds  und  entwickelt  die  Bedeu- 
tung desselben  für  Spanien.  Dann  werden  alle  Dokumente  nam- 
haft gemacht,  worin  sich  die  Einwirkung  der  spanischen  Krone 
auf  das  Trienter  Konzil  darstellt.  Sie  finden  sich  in  104  Bän- 
den Concilio  di  Trento,  in  172  Bänden  Varia  Politicornm,  in 
7000  Bänden  und  Cartons  des  Archivio  di  Segretaria  di  Stato. 
Das  estudio  preliminar  zu  den  Nuntiaturberichten  verbreitet  sich 
über  Entstehung,  Entwicklung,  Bedeutung  des  Nuntien wesens, 
über  Stellang  und  Wirkungskreis  der  Kardinalstaatssekretäre, 
über  die  charakteristischen  Züge  der  päpstlichen  Diplomatie,  den 
Wert  der  Depeschen,  die  Errichtung  ständiger  spanischer  Nun- 
tiaturen. Hinajosa  hat  den  Gegenstand  in  den  öffentlichen  und 
Privatbibliotheken  und  Archiven  Italiens  weiter  verfolgt,  in  der 
Casanata,  der  Angelica,  der  Barberina,  der  Corsina,  der  Chigiana, 
in  der  Ambrosiana.  Das  Florentiner  Staatsarchiv  wurde  wegen 
der  Depeschen  unter  Leo  X.  untersucht.  Neapel  und  Parma 
boten  die  Dokumoute  gleichen  Charakters  unter  Paul  III.,  wäh- 
rend die  einst  den  ßorghese  gehörende  diplomatische  Korrespon- 
denz unter  Clemens  VIII.,  Leo  XI.,  Paul  V.,  durch  Leo  XHI. 
für  das  vatikanische  Archiv  erworben,  dort  zu  benutzen  war.  Je 
nach  der  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  giobt  Hinajosa  längere 
oder  kürzere  Auszüge  aus  den  Instruktionen  der  Nuntien  und 
Legaten  und  aus  den  Depeschen  der  aufserordentlichen  Gesandten 
beider  Kategorien  von  Julius  II.  an  bis  Ende  des  18.  Jahrhun- 
dert«. Fehlen  diese  Schriftstücke,  so  entnimmt  der  Bearbeiter 
die  Information  über  Mission  und  Negotiationen  den  Depeschen 
der  nuncios  ordinarios.  Er  prüft  die  Korrespondenz  der  68  seit 
300  Jahren  in  Spanien  thätigen  Nuntien,  der  Auditoren,  Fiskale, 
Abbreviatoren ,  die  bisweilen  Parallelberichte  zweiten  Banges  er- 
statten mufsten.  Man  erkennt,  dafs  das  päpstliche  Archiv  für 
die  neuere  Geschichte  eine  nicht  minder  reiche  Fundgrube  ist  wie 
für  die  des  Mittelalters.  Enthält  es  doch  Nunziature  el  Legazioni 
6000  Bände,  Lettere  dei  Cardinali  158  Bände,  Lettere  de'  Vescovi 
e  Prelati  230  Bände,  Lettere  de1  Principi  e  Titolati  210  Bände, 
Lettere  de*  Particolari  223  Bände,  Lettere  de'  Soldati  179,  Mis- 
cellanea  250  Bände.  Alle  Spanien  betreffenden  Stücke  dieser  im 
Archivio  di  Segretario  di  Stato  befindlichen  Sammlungen  hat  der 
Verfasser  geprüft  und  nötigenfalls  verzeichnet. 

7.  Aus  Anlafs  der  Seligsprechung  Juans  de  Avila  ist 
die  Vida  por  el  Venerable  Padre  Maestro  Fray  Luis  de  Granada, 


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NACHRICHTEN. 


571 


neu  gedruckt  Madrid  1894.  172  p.  8°.  Agustin  Catalan  y  La- 
torre,  El  beato  Juan  de  Avila,  su  vida  y  sus  escritos  y  la  lite- 
ratnra  mistica  en  Espana.  Zaragoza  1894.  203  p.  8°,  und 
J.  B.  Coudere  S.  J.,  Le  bienheureux  Jean  d'Avila  1500 — 1569. 
Paris  1894.  140  p.  8°  schöpfen  aus  Granada,  Oddi,  Muixoz, 
Montana;  Jimenez  de  la  Llave  publiziert  Tnedila  im  Boletin  de 
la  Academia  Real  de  la  Historia.  T.  XXIV.  1894. 

8.  Es  war  zu  erwarten,  dafs  die  Publikation  der  Briefe 
Loyola' s  auf  die  Biographieen  desselben  einen  bedeutenden  Ein- 
flufs  üben  werde.  Er  stellt  sich  in  Bearbeitungen  älterer  Werke 
dar  und  in  neuen  Arbeiten.  In  der  Weise  der  Acta  Sanctorum 
stattete  Ch.  Clair  S.  J.  Rihadeneiras  Vida  mit  einem  historisch- 
kritischen Kommentar  aus:  La  Vie  de  Saint  Ignace  de  Loyola. 
Paris  1891.  IV  et  459  p.  8°.  L.  Michel  S.  J.  hat  die  alte 
französische  Übersetzung  von  Daniel  Bartolis  auf  guten  Quellen- 
studien ruhendem  Buche  verbessert  und  bereichert:  Histoire  de 
Saint  Ignace  de  Loyola  dapres  les  documents  originanx.  Tra- 
duction  revue,  completoe,  annotee  et  enrichie  de  Documents  in- 
edits.  Paris  1893.  2  Vol.  XV  et  424  p.  450  p.  8°.  Cristof 
GenolH  hatte  für  seiue  sehr  sorgfaltig  gearbeitete  Biographie  das 
Ordensarchiv  benutzen  dürfen,  V.  Kolbs  Bearbeitung  beseitigt 
die  formellen  und  bibliographischen  Mängel:  Leben  des  H.  Igna- 
tius von  Loyola  in  neuer  Bearbeitung.  Wien  1894.  XVI  und 
404  S.  8°.  W.  von  Nieuwenhoff  läfst  Kritik  des  Legendarischen 
vermissen:  Leben  van  den  H.  Ignatius  van  Loyola.  Amster- 
dam 1892.  2  D.  VIII.  405  S.  611  S.  8°  wie  Stewart  Rose: 
St  Ignatius  Loyola  and  the  early  Jesuits.  London  1891.  XV 
632  p.  8°.  Emilio  Castelars  frivole  Mifshandlung  der  Geschichte 
Loyolas  hat  die  verdiente  Strafe  erhalten  in  San  Ignacio  segum  Ca- 
stelar.   Genialidades  por  J.  M.  y  S.  A.  J.  Bilbao  1892.  276  p.  8°. 

9.  Die  Vida  del  angelico  protector  de  la  juventud  San  Luis 
Gonzaga.  Madrid  1892.  340  p.  8°  von  Federico  Gervos 
hat  die  Bücher  von  Plati,  Janning,  Maineri,  Cassani,  Pruvot,  Nar- 
bonne,  Nannesini,  die  Arbeiten  Fitas,  die  von  Jozzi  edirten,  später 
aufgefundenen  Briefe  und  sonstiges  bei  dem  dritten  Centenarium 
zutage  gefördertes  Material  verwertet.  Schroeder  S.  J.  vervoll- 
ständigt Ceparis  Vita  aus  den  Kanonisationsakten  auch  topogra- 
phisch und  genealogisch:  Vita  de  San  Luigi  Gonzaga.  Einsiedeln 
1891.  XXVIH  et  414  p.  8°. 

*  10.  Santa  Teresa.  Being  some  account  of  her  Life 
and  Times  with  some  pages  of  the  last  great  Reform  of  the  re- 
ligious  Orders  by  Gabriela  Cunningham  Graham.  London, 
A  &  C.  Black,  1894.  2  Vols.  910  p.  8°.  Am  17.  Oktober  1878 
antwortete  Leo  XIII.  den  spanischen  Pilgern,  die  ihm  als  romeria 
de  Santa  Teresa  vorgestellt  wurden:  Diese  erhabene  Frau,  eure 


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572 


NACHRICHTEN. 


Mitbürgerin,  mit  Recht  der  Seraph  des  Karmel  genannt,  wufcter 
begabt  mit  edlen,  hochstrebenden  Geisteskräften,  bevorzugt  durch 
seltene  Intelligenz,  zur  Ehre  Gottes  die  großartigsten  Pläne  zu 
fassen,  sie  mit  seltener  Willenskraft  und  unüberwindlichem  Hut, 
inmitten  der  gröfsten  Schwierigkeiten  und  im  erbittertsten  Kriege, 
den  ihre  Feinde  gegen  sie  führten,  in  Thaten  zu  übersetzen.  — 
Der  päpstliche  Lobspruch  fand  einen  vielstimmigen  Widerhall  bei 
der  Feier  des  dritten  Centenariums  des  Todes  der  Madre  serafica 
de  Espana  1882.  Auch  in  der  Litteratur  zog  das  Ereignis  Kreise, 
indem  es  den  Neudruck  älterer  Arbeiten  und  neue  Schriften  ver- 
anlafste.  Der  genaueste  Kenner  des  Gebietes,  Vicente  de  la  Fnente, 
hatte  seit  1861  für  Ribadeneyras  Biblioteca  de  Autores  Espanoles 
T.  53.  54.  55  Teresas  Werke  bearbeitet.  1881  liefs  er  in  sechs 
Bänden  die  Obras  de  Santa  Teresa  de  Jesus  erscheinen,  Novisima 
edicion  corregida  y  aumentada  conforme  a  les  originales  y  ä  las 
ultimas  revisiones  y  con  notas  aclaratorias.  Madrid.  I:  XX  et 
550  p.,  II:  XX  et  350  p.,  III:  LIV  et  308  p.,  IV:  LI  et  432  p., 
V:  434  p.,  VI:  432  p.  Die  unechten  Briefe  sind  hier  aus- 
geschieden, auf  denen  die  Annahme  einer  Gefangenschaft  Teresas 
ruht.  Dieselbe  ist  ebenso  grundlos  wie  die  so  oft  wiederholte 
Behauptung  eines  Iuquisitionsprozesses  gegen  die  künftige  Patronin 
Spaniens.  Er  hat  nie  stattgefunden.  Das  Officium  prüfte  nur 
eine  Schrift  der  Heiligen,  freilich  nahm  es  sich  dazu  fünf  Jahre 
Zeit.  Unter  de  la  Fuentes  Leitung  war  die  Autobiographie  nach 
dem  Autograph  des  Escorial  phototypographisch  1844  erschienen 
Vida  de  S.  T.  d.  J.  Madrid.  III  et  415  und  204  p.  1882  folgte 
eine  neue  Ausgabe  desselben  Werkes  con  un  prologo  general, 
Madrid.  XX  et  570  p.  Den  Libro  de  les  fundaciones  de  sn 
reformacion  edirte  derselbe  Gelehrte  conforme  al  original  auto- 
grafo  mit  Anmerkungen.  Madrid  1882.  424  p.  1884  begann 
er  die  photolitographische  Reproduktion  der  728  Briefe.  Die 
Biographieen  vermehrte  er  durch  Herausgabe  der  neu  entdeckten 
Vida  de  S.  T.  d.  J.  por  el  Maestro  Julian  de  Avila  primer  ca~ 
pellan  de  la  Santa.  Obra  inedita,  anotada  y  adicionada.  Madrid 
1881.  XXIV  et  392  p.  Kaiserin  Maria,  Schwester  Philipps  II., 
hatte  von  dem  ersten  Herausgeber  der  Werke  Teresas,  Fray  Lais 
de  Leon,  eine  ähnliche  Arbeit  gewünscht  Nur  ein  Bruchstück 
kam  zustande.  Es  erschien  1886:  Vida  de  S.  T.  d.  J.  por 
Fr.  Luis  de  Leon  Manuscrito  ine*dito  in  der  Revista  Agnstiniana 
La  Cindad  de  Dios.  Unter  den  alten  Lebensbeschreibungen  von 
Francisco  de  Ribera  1590,  Diego  de  Yepes  1599,  Juan  de  Jesus 
Maria  1605,  Sebastiano  la  Parra  1609,  Geronimo  Gracian  1611, 
Eusebio  Nieremberg  1630,  Miguel  de  Lanuza  1657,  Antonio  de 
San  Joaquin  1733 — 1766,  wnrden  nur  die  Werke  Nierembergs 
1883  nnd  Yepes'  wiedergedruckt  Barcelona  1887.  2  T.  241  p. 


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NACHRICHTEN. 


673 


et  245  p.  Zu  J.  Vandermoeres  Vita  vitarum  im  7.  Oktoberbande 
der  Acta  Sanctorum,  die  alle  früheren  Arbeiten  antiquiert,  indem 
sie  das  Wichtige  derselben  zusammenfafst,  können  als  Nachtrage 
gelten:  S.  T.  d.  J.  Ensayo  critico  por  el  conde  de  Vinaza.  Ma- 
drid 1882.  174  p.,  Paulino  Alvarez,  Santa  Teresa  y  el  Padre 
Banez.  Madrid  1882,  Jose*  Vinas  y  Compla,  Tratado  filoaofico- 
teotogico  acerca  de  lo  sobrenatural,  quo  se  prueva  en  su  existencia 
por  los  hechos  extraordinarios ,  quo  se  manifestaron  en  S.  T.  de 
J.  Madrid.  1883.  140  p.,  Juan  Maura  J.  T.  d.  J.  y  la  critica 
rationalista.  Mallorca  y  Madrid.  1883.  172  p.  (T.  d.  J.  ante 
la  critica  por  Raaion  Leon  Mainez.  Madrid  1880.  270  p.).  A  de 
Smedt,  Los  Revelations  de  Saiute  Therese  in  T.  XXXV  der  Re- 
vue des  Questions  historiques.  1884.  I  Seisdedos  Sanz,  Estudios 
sobre  les  obras  de  S.  T.  d.  J.  in  La  Ciencia  cristiana,  Madrid 
1886;  ebendaselbst  Luis  de  Sanf  £tnde  patolo-theologique  Sur 
S.  T.  1886.  W.  Pingsmann  S.  T.  d.  J.  Eine  Studie  Ober  das 
Leben  und  die  Schriften  des  H.  T.  Vereinsschrift  der  Görres- 
gesellschaft  1886.  116  p.  Angel  Lasso  de  la  Vega,  S.  T.  en 
la  literatura  patria,  vor  der  Coleccion  de  les  principales  obras  de 
la  insigne  fundadora  de  N.  Senora  del  Carmen,  Madrid  1886. 
J.  R.  A,  Glorias  Teresianas  de  Cataluna,  publicadas  con  el  motivo 
del  tercer  centenario  de  la  fundacion  del  convento  de  Carmelitos 
Descalzos  de  Barcelona.  Barcelona  1888.  LIV  et  690  p.  Wer 
sich  von  Teresa  selbst  ihr  Leben  nicht  erzählen  lassen  mochte  und 
sich  durch  Vandermoeres  750  Seiten  folio  nicht  hindurcharbeiten 
kann,  für  den  sorgt  Dona  Isabel  AI  ix  Martinez  mit  der  Historia  de 
S.  T.  d.  J.  Madrid  1893.  XXI  et  660  p.  Während  die  Schriften 
der  Spanierin  in  Amerika  viel  gelesen  wurden,  war  sie  in  England 
eine  ziemlich  unbekannte  Gröfse.  James  Anthony  Fronde,  der  Ro- 
mancier im  Kleide  des  Historikers,  hielt  dafür,  die  Repräsentantin 
des  spanischen  Enthusiasmus  verdiene  ein  bleibendes  Andenken  als 
bewundernswürdige  Frau.  Das  möchte  ihr  Gabriela  Cunningham 
Graham  sichern  auf  originelle  und  wirksame  Weise.  Den  Biograpbief  n 
des  16.  und  17.  Jahrhunderts  fehlt  sehr  das  lokale  Kolorit.  In 
diesen  dicken  Bänden  ist  doch  kein  Raum  für  anschauliche  Schil- 
derungen der  Städte,  Schlösser,  Klöster,  in  denen  Teresa  lebte 
und  wirkte.  Die  Gravität  verbot,  auf  solche  Allotria  einzugehen. 
Wie  viel  Material  dieser  Art  man  gehabt  hätte,  wies  Vicente  de 
la  Fuente  nach.  Wenn  man  weifs,  wie  die  Neutümler,  Franzosen 
und  Afrancesados,  gegen  Altertümer  wüteten,  wie  sie  mit  Bauwerken 
und  Denkmälern  nmgingen,  so  staunt  man  über  die  Menge  von 
Trägern  der  Reminiscenzen  an  Teresa,  die  de  la  Fuente  namhaft 
machen  konnte  in  El  tercer  centenario  de  S.  T.  d.  J.  Manual  del 
peregrino  para  ?isitar  la  patria,  sepulcro  y  parajes,  donde  fundö 
la  Santa  o  existen  recuerdos  suyos  en  Espana.   Madrid  1882. 

ZelUchr.  f.  K.-G  XVII,  4.  37 


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574 


NACHRICHTEN. 


VIII  et  480  p.  Die  zweite  Ausgabe  aus  demselben  Jahre  bat 
den  Titel :  Casas  y  recuerdos  de  Santa  Teresa  en  Espana.  Wahr- 
scheinlich veranlagte  dieses  Pilgerbuch  den  frommen  Laien  Hye 
Hoys  in  Gent  zwei  Jahre  in  Spanien  zu  leben,  dann  Frankreich, 
Oesterreich  und  Italien  zu  bereisen,  um  das  Material  für  eine 
Iconographie  der  Heiligen  zu  sammeln.  1892,  nach  des  Ver- 
fassers Tode,  erschien  l'Espagne  Theresienne.  Diese  Ausgabe 
vernichtete  die  Witwe  des  Autors  zugunsten  einer  zweiten  1894. 
Das  Prachtwerk  enthält  auf  dreifsig  Tafeln  Ansichten  der  Klöster, 
die  Teresa  bewohnte  oder  stiftete,  Bilder  mit  ihr  in  Beziehung 
stehender  Personen,  Zeichnungen  von  Beliquien,  Angaben  über 
ihr  gehörende  oder  von  ihr  verfertigte  Gegenstände.  Jede  Tafel 
ist  mit  einem  Kommentar  versehen.  Ehe  diese  Publikation  er- 
schien, hatte  sich  die  reisemutige  Engländerin  auf  den  Weg  ge- 
macht, um  mit  eigenen  Augen  jede  Stätte  zu  sehen,  die  de  la 
Fuente  genannt  hatte.  Auf  ihrem  Esel  reist  sie  Teresa  de  Ce- 
peda  y  Ahumada  nach,  besucht  Avila,  Medina  del  Campo,  Mala- 
gon,  Valladolid,  Toledo,  Pastrana,  Salamanca,  Alba,  Segovia,  Veas, 
Sevilla,  Caravaca,  Villanova,  Palencia,  Soria,  Granada,  Burgos, 
Diruelo,  Mancera,  Alcala,  Altamira,  Almodovar,  Baeza.  Wie  eine 
Biene  im  Korbe  wirkend,  hatte  Teresa  einst  Castilien  und  seine 
endlosen  Heiden  durchzogen,  bei  Kälte  und  Glut,  im  offenen 
Karren,  auf  den  schlechtesten  Wegen,  mit  Wasseruhr  und  Glöck- 
chen ,  um  zu  stiften ,  zu  visitieren ,  zu  regieren.  Ihre  enthusia- 
stische Freundin  scheut  keine  Strapaze  spanischen  Wanderlebens, 
um  sich  durch  Autopsie  die  Staffage  zu  den  Thatsachen  zu  schaffen, 
die  ihr  die  alten  Bücher  erzählten.  Sie  hat  Augen  eines  Land- 
schafters, und  ihre  Feder  ist  ein  Künstlerpinsel.  Realistisch  im 
besten  Sinn  sind  ihre  Gemälde,  wenn  sie  bergartige,  von  turm- 
gekrönten  Mauern  umgebene  Städte  schildert,  wie  das  zwischen 
Himmel  und  Erde  schwebende,  zu  den  Füfsen  der  Kathedrale 
kauernde  Avila,  oder  verfallene  Schlösser,  oder  die  von  eisigen 
Winden  gepeitschten  Hochebenen,  die  noch  heute  so  öde  und  un- 
wirtlich sind,  wie  vor  300  Jahren.  Mittelst  noch  bestehender 
Volkssitten  uud  Institute  veranschaulicht  sie  das  Milieu  Teresas, 
die  sie  möglichst  treu  und  wahr  zeichnen  will,  wie  ihr  Volk  sie 
liebt,  die  Freundin  der  Armut  und  Genügsamkeit,  mutig,  unbeug- 
sam, edel  durch  und  durch.  Mit  der  Beform  der  Karmeliter  wollte 
der  arme  Schmetterling,  der,  von  so  vielen  Ketten  gebunden, 
nicht  fliegen  konnte,  wohin  er  wollte,  etwas  zur  Ehre  Gottes  und 
wider  die  Ketzer  thun.  Aber  nun  regten  sich  die  Feinde,  wie 
der  Schakal  der  Gazelle  im  Gestrüpp  auflauert.  Den  Sieg  im 
Kampfe  mit  Mönchen,  Nonnen,  Definitoren,  Visitatoren,  Provin- 
zialen,  Predigern,  Denuntianten ,  Inquisitoren,  Kapiteln,  Nuntien, 
Zivilbehörden,  mit  Heimtücke,  Ungerechtigkeit,  Schmähungen  schreibt 


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NACHKICHTEN. 


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die  Verfasserin  dem  gesunden  Menschenverstände  und  praktischen 
Geiste  der  Nonne  zu.    Ihr  durchdringender  Blick  hat  Welt  und 
Menschen  gesehen,  wie  sie  waren,  so  die  richtigen  Mittel  gefun- 
den.   Um  die  Opposition  zu  entwaffnen,  hätte  sie,  mit  Thorheit 
und  Dummheit  rechnend,  sich  dem  Charakter  der  Leute  accomo- 
diert.    Mit  wie  vielen  Notabilitäten  steht  die  Aristokratin  der 
Frömmigkeit  durch  ihr  Wesen  und  Wirken  in  Verbindung!  Zu 
ihrem  Kreise  gehören  die  Bischöfe  von  Jaen,  Avila,  Osma,  Pa- 
lencia,  Segovia,  Evora,  Francisco  Borja,  Bodrigo  Alvarez,  Pedro 
Ibanaz,  Domingo  Banez,  Pedro  de  Alcantara,  Juan  de  Avila,  Luis 
de  Granada,  Luis  de  Leon,  Juan  de  la  Cruz,  Geronimo  Gracian, 
Kardinal  Quiroga,  Hurtado  da  Mendoza,  Fadrique  Alvarez  de  To- 
ledo, Nicolas  Doria,  die  Infantin  Juana,  die  Aja  des  Don  Car- 
los Leonor  Mascarenas,  die  Prinzessin  Eboli,  die  Herzoginnen 
Beatrix  von  Bejar  und  Leonor  von  Pastrana,  die  Prinzessinnen 
Laisa  von  Monedo  und  Luisa  de  la  Cerda,  Schwestern  der  Her- 
zöge von  Montalto  und  von  Medina-Celi.    Die  Gelegenheit,  diese 
Personen  zu  charakterisieren,  läfst  sich  die  Verfasserin  nicht  ent- 
gehen und  führt  ein  in  diese  vornehme  Gesellschaft  Natürlich 
gehört  ihre  Sympathie  auch  der  Dichterin,  die  aus  Überströmen- 
dem Herzen  ihre  schönen  Verse  wie  im  Fluge  hinwarf,  und  der 
ungelehrten  klassischen  Schriftstellerin,  die  Aber  Weltliches  klar, 
verstündig,  umsichtig,  praktisch ,  mit  harmlos  scherzender,  anmu- 
tiger Liebenswürdigkeit  schrieb,  Geistliches  schlicht,  natürlich, 
geistreich  behandelte,  über  die  tiefsten  Phänomene  der  Mystik 
mit  einer  Subtilit&t,  Präcision  und  Klarheit  spricht,  bis  an  die 
Grenze,  wo  es  heifst:  man  kann  es  nicht  sagen  noch  schreiben, 
die  Zunge  erreicht  das  Herz  nicht.    Dennoch  kann  man  die 
Frage,  würde  Teresa  ihr  neuestes  englisches  Porträt  für  ähnlich 
erklärt  haben,  nicht  bejahen.   Zwischen  der  Heldin  und  der  Bio- 
graphin besteht  ein  unversöhnlicher  Gegensatz.    Diese  bekämpft 
das  Christentum  mit  offenem  Visir  zugunsten  der  Vernunft  und 
Gerechtigkeit,  als  der  höchsten,  der  Menschheit  erreichbaren  Ziele. 
Ihre  Pseudonyme  französische  Gesinnungsgenossin  Arvede  Barine, 
die  geistreiche  Artikel  in  die  Revue  des  deux  mondes,  in  die 
Revue  bleue,  in  das  Journal  des  Debats  schreibt,  hat  auch  Te- 
resas Leben  studiert,  doch  nur  pour  chercher  le  rien,  la  petite 
etincelle,  qui  rendait  le  monde  plus  pittoresque  et  la  vie  plus 
interessante.  Dafs  Santa  Teresa  der  anti christlichen  Weltanschauung 
dienen  soll,  hindert  die  Verfasserin  nicht,  die  geniale  Frau  von 
grofsen  Gaben  zu  bewundern  und  brillant  zu  schildern.  Unmög- 
lich ist  es  ihr  zu  verstehen,  wie  auf  dieser  Naturbasis  die  Christin 
sich  entfaltete,  die  das  Heil  allein  um  des  Verdienstes  Christi 
willen  als  Gnadengeschenk  hoffte:  Die  Quelle  ihres  Heroismus 
und  der  Grund  ihrer  Erfolge  ist  nicht  der  gesunde  Menschen- 

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NACHRICHTEN. 


verstand,  sondern  das  Gottesleben  in  Christo,  das  sie  nichts  furch- 
ten läfst  als  die  Sünde,  worin  sie  für  ihn  nie  genug  thun  kann, 
nie  zn  viel  arbeiten,  nie  zu  viel  leiden.  Teresas  mystische  Er- 
lebnisse, zu  denen  Leibnitz  mit  ehrfurchtsvollem  Staunen  aufsah, 
verhalten  sich  zu  den  Erfahrungen  jedes  glaubigen  Christen,  wie 
das  Schweben  des  Zugvogels  über  dem  Nest  auf  blühender  Wiese 
oder  im  Eichenwipfel  zu  seinem  Fluge  20000  Pufs  hoch,  wie 
die  Volksmelodie  zu  einer  Fuge  Bachs.  Unsere  Benanistin  ist 
völlig  unfähig,  das  Alphabet  innern  christlichen  Lebens  zu  lesen, 
wie  könnte  sie  die  Anticipationen  des  Zukünftigen  in  der  Kon- 
templation verstehen,  von  denen  der  Alltagschrist  nur  noch  Ana- 
logieen,  eine  blitzartige,  fragmentarische  Ahnung  erlangt.  Doch 
ist  anzuerkennen,  dafs  die  Verfasserin  den  beliebten  Modeschlüssel 
zum  Verständnis  der  Mysterien  des  Glaubens,  die  Hysterie,  mit 
Abscheu  von  sich  wirft.  A  Parales  y  Gutierrez,  Et  supernatura- 
lismo  de  S.  T.  d.  J.  y  la  filosofia  medica,  Madrid  1894,  ver- 
suchte es  damit,  wurde  aber  widerlegt  vom  Karmeliter  Gregoire 
de  Saint  Joseph  in  La  prätendue  Hysterie  de  S.  Therese,  Lyon 
1895.  Das  Buch  der  Engländerin  gleicht  Gemälden,  denen  die 
Hintergründe  Wert  geben. 

1 1.  La  Mystique  de  Saint  JeandelaCroixparP.  Auguste 
Poulain  S.  J.,  Paris  1893.  51  p.  Ist  Juan  de  la  Cruz  als 
Theoretiker  der  Mystik  originell  oder  hält  er  sich  an  die  Auf- 
stellungen der  Vorgänger?  Ist  er  in  der  Lehre  vom  innern  Ge- 
bet dem  Wesen  nach  mit  Teresa  de  Jesus  einig  und  nur  in  der 
Terminologie  von  ihr  verschieden?  Wie  hat  er  die  Stufen  des 
kontemplativen  Lebens  geordnet.  Diese  Fragen  beantwortet  Pou- 
lain dahin,  dafs  er  für  die  Eigentümlichkeit  seines  Autors  ein- 
tritt, für  seine  Cbereinstimmung  mit  Teresa  und  einen  Abrift 
dor  scala  mystica  Juans  giebt. 

12*  Doctor  eximius  nannte  Benedikt  XIV.  den  gröfsten  spa- 
nischen Scholastiker  des  17.  Jahrhunderts  Francisco  Suarez, 
der  als  Jüngling  unfähig  für  philosophische  Studien  seinen  ein- 
stigen Widerwillen  dagegen  durch  dreiundzwanzig  Folianten  ge- 
sühnt hat.  Antonio  Garcia  Ribeiro  de  Vasconcellos  giebt  in 
portugiesischer  Sprache  biographische  Nachrichten  über  den  Spa- 
nien und  Portugal  gemeinsamen  Heros  des  Scharfsinnes  aus  un- 
edierten  Dokumenten  des  Universitätsarchivs  zu  Coimbra  im  Bo- 
letin  de  la  Real  Academia  de  la  Historia  T.  XXIV.  1894.  Sie 
betreffen  Suarez'  Versetzung  von  Salamanca  nach  der  ti^L  gesun- 
kenen portugiesischen  Hochschule  durch  Philipp  IL,  der  vom 
Könige  Erbetene  neunzehn  Jahre  als  Professor  Primarius  der  Theo- 
logie angehörte,  Fakultätsstreitigkeiten,  den  Gegensatz  des  Tho- 
mismus  und  Molinismus.  Auch  Suarez*  Anteil  an  der  Kanonisation 
der  Urenkelin  der  heiligen  Elisabeth  von  Thüringen  Königin  Isa- 


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NACHRICHTEN. 


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bella  von  Portugal,  f  1336,  durch  Urban  VIII.  berühren  die  Ur- 
kunden, und  das  schöne  Ende  dessen,  der  suo  judicio  Nihil,  nicht 
gedacht  hätte,  dafs  Sterben  so  süfs  sei,  wie  er  es  erfuhr,  als  er 
mit  einem  In  te  Domine  speravi  —  Quam  dilecta  tabernacula 
tua!  verschied.  Ober  das  entdeckte  Grab  hatte  Antonio  Sanchez 
Moguel  im  Boletin  T.  XXIII,  1894  referiert,  der  auch  ebenda- 
selbst eine  Carta  del  doctor  eximio  dd.  10  April  1611  mitteilt. 

*  13.  The  Life  of  Francis  Borgia  of  tlie  Society  of  Je- 
sus, by  A.  M.  Clarke.  London,  Burns  &  Oates,  1894.  II.  4 
464  p.  8°.  Man  sieht  leicht,  der  wird  einer  der  gröfsten  Ge- 
nerale seiner  Zeit  werden,  sagte  Kaiser  Karl  Y.  bei  der  Tafel 
zur  Kaiserin,  als  er  von  den  Tbaten  des  Marquis  de  Lombay  im 
afrikanischen  Feldzuge  1535  erzählte.  Franciso  de  Borja  wurde 
General  der  Gesellschaft  Jesu,  dieses  Miniaturbildes  der  Monarchie 
der  römischen  Kirche.  Er  gehört  zu  den  imposanten  Gestalten 
der  katholischen  Renaissance  seines  Jahrhunderts.  Majestätisch 
schön,  reich  begabt,  bewältigte  er  spielend  was  er  lernen  wollte. 
Täglich  repetierte  der  Kaiser  eine  Zeit  lang  mit  ihm  kriegswissen- 
schaftliche Mathematik  und  lernte  von  dem  Jüngling,  dessen  Geist 
und  Originalität  jedes  Gespräch  verriet,  mehr  als  von  Professoren. 
Musik  hatte  er  studiert,  spielte  mehrere  Instrumente,  komponierte, 
bändigte  als  Reiter  jedes  Pferd,  glänzte  als  Schütze  bei  den  Hof- 
jagden und  dressierte  Falken  meisterlich.  Karl  V.  besprach  mit 
ihm,  der  als  Page  schon  der  Liebling  des  Kaiserhauses  gewor- 
den, die  grofsen  Fragen,  überrascht  von  einem  Fernblick,  der  die 
Zukunft  divinierte  und  die  Situation  sofort  erfafste.  Er  gab  ihm 
das  Zeugnis,  das  er  sich  selbst  versagen  mufste,  in  seinem  Munde 
ist  nur  Wahrheit.  Trotz  der  Jugend  leitete  der  vollkommene 
Kavalier  sein  Haus  mit  unbeugsamer  Festigkeit,  im  Geben  und 
Helfen  so  klug  wie  liebevoll.  Seine  Regierung  Cataloniens  war 
ein  einziger  Erfolg.  Der  Vizekönig,  hiefs  es,  herrscht  wie  ein 
Engel.  Erscheine  er,  dann  sei  es,  wie  wenn  die  Sonne  aufgehe 
und  die  Vögel  sie  mit  Gesang  grüfsten.  Aus  der  Gesellschaft 
in  Barcelona  verbannte  er  den  Klatsch.  Als  Repräsentant  der 
Autorität  giebt  er  ihr  durch  die  Macht  seiner  Persönlichkeit 
Nachdruck,  mag  er  wichtige  Fragen  entscheiden,  rivalisierende 
Ansprüche  ausgleichen,  das  Räuberwesen  beseitigen,  die  verfallene 
militärische  Disziplin  herstellen,  die  Korruption  der  Justiz  aus- 
rotten, die  Sittenzncht  verbessern,  das  Schulwesen  reformieren. 
Selbst  führt  er  Truppen  gegen  die  Banditen,  baut  Festungen, 
läfst  Schul häliser  aufführen,  dotiert  Professoren.  Ein  taktvoller 
Präsident  der  Cortes  und  tüchtiger  Redner,  zeigt  er  auch  in  na- 
tionalökonomischen Dingen  die  Sachkunde,  die  den  Vasallen  des 
Herzogs  von  Gandia  zugute  kam,  der  seine  Bauern  schützte,  be- 
riet, durch  einsichtige  und  prompte  Freigebigkeit  vor  Verarmung 


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578  NACHKICHTKN. 

schützte.  Dies  ist  die  eine  Seite  seines  Wesens.  Willkommen, 
Francisco,  mein  Engel,  sagte  die  Mutter,  als  er  geboren  war,  als 
abne  sie,  wie  ehrfurchtsvoll  das  Kind  das  Wort  Gott  stammeln, 
wie  es  fünfjährig  über  die  Passion  predigen,  im  zehnten  Jahre 
sich  geifseln  werde.  Nie  spielte  er  am  Hofe,  damit  er  nicht 
Zeit,  Geld  und  Seelenfrieden  verliere.  Eingedenk  dessen,  was 
der  Herr  für  ihn  und  er  gegen  den  Herrn  gethan,  sagte  er  täg- 
lich mit  St  Bernard  nunc  coepi.  Und  doch  mufste  er  nicht 
mit  seinem  Freunde  Garcilaso  de  la  Vega,  dem  er  den  Tod  an- 
kündigte, klagen:  0  die  Sülsen  Dinge,  an  denen  ich  zu  meinem 
Weh  so  viel  Gefallen  fand!  1889  bat  Moreno  Carbonaro  ihn 
gemalt  am  offenen  Sarge  der  verwesten  Kaiserin,  wie  er  Petrar- 
cas quento  piace  al  mondo  e  breve  sogno  mit  Entsetzen  inne  wird, 
entschlossen,  nimmermehr  im  Dienste  eines  Herrn  zu  leben,  der 
sterben  kann.  Als  Vizekönig  widmete  er  die  Hälfte  des  Tages 
dem  Gebet  und  der  Betrachtung,  den  Castigationen,  die  er  sterbend 
bereute.  Beständig  las  er  die  Briefe  Pauli,  diese  stummen  und 
doch  so  beredten  Lehrer,  die  mehr  Seelen  bekehren  als  die  mäch- 
tigsten Prediger,  die  je  eine  Kanzel  bestiegen.  Im  väterlichen 
Schlosse  lebte  der  duque  santo  wie  ein  Bischof.  Sein  schweig- 
samer Kaiser  vertraute  ihm  1542,  während  sie  Arm  in  Arm  in 
der  Galerie  des  Palastes  von  Barcelona  auf  und  ab  gingen,  die 
Absicht  an,  der  Krone  zu  entsagen,  um  der  Sorge  für  sein  Heil 
leben  zu  können.  Gleiche  Sehnsucht  trieb  Borja  in  den  Jesuiten- 
orden, wo  er  keine  Ehren  zu  fürchten  hätte.  Loyola  sah  er  zu- 
erst, als  er  in  Alcala  auf  der  Strafse  arretiert  wurde.  In  Gandia 
hatte  er  ein  Kollegium  mit  reicher  Bibliothek  gestiftet,  obwohl 
ihm  die  ,.Exercitia"  noch  höher  standen  als  die  BücherschAtze  des 
Herzogs  von  Mantua.  Loyola  nahm  ihn,  der  auf  dem  Wege  zum 
Selbstmorde  sei,  in  strenge  Zucht,  verbot  alle  Singularitäten,  auch 
die  Unterschrift  Pecador.  Nach  der  Heirat  des  Sohnes  bezog 
der  Herzog  ein  kleines  Haus,  studierte  Theologie  und  wurde  1549 
Doktor.  Seine  Thesen  waren:  Ex  nihilo  factus  sum,  ad  nibilum 
redactus  sum.  Quid  sim  ignosco.  Sin  aliquid  scio,  hoc  tantum 
scio,  infernum  domum  meam  esse.  Ex  me  ipso  facio  nihil.  In 
Rom,  wo  er  das  Collegium  Romanum  stiftete,  ward  er  wie  ein 
König  empfangen.  Er  wird  mehr  Bewunderer  finden  als  Nach- 
ahmer, meinte  Karl  V.  Lafst  uns  den  Mann  hören,  der  vom 
Himmel  gekommen  ist,  rief  das  Volk,  als  er  anfing  zu  predigen. 
Ein  hoher  Offizier  dagegen  schwor,  er  wolle  lieber  sogleich  zur 
Hölle  fahren,  als  den  Teufel  predigen  hören.  Borja  suchte  ihn 
auf,  fiel  ihm  zu  Füfsen,  bat  um  Vergebung  wegen  all  der  Sün- 
den, die  ihn  so  erzürnt  hätten  und  gewann  ihn.  Als  einer,  der 
nun  dem  vollkommensten  Glück  entgegengehe,  verliefe  er,  In 
exitu  Israel  de  Egypto  singend  Gandia,  trug  als  Noviz  in  Ofiate 


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NACHRICHTEN. 


579 


den  Bettelsack,  behielt  aber  seinen  Bang  als  Sohn  der  Prinzessin 
Juana  von  Aragon,  wohnte  in  Pallasten,  verkehrte  mit  Pürsten 
als  mit  seinesgleichen.    Briefe  mit  der  früheren  Titulatur  nahm 
er  nicht  an:  nicht  für  mich,  Francisco  8.  J.    Die  Schlagfertig- 
keit, der  Witz  blieben  ihm.    Ein  Baner  schenkte  dem  Hause  ein 
Schwein,  Borja  lnd  es  sich  auf:  warum  sollte  nicht  ein  Schwein 
«las  andere  tragen?    Der  Rektor,  der  ihn  nicht  mochte,  quälte 
ihn  mit  Graben,  Sägen,  Kochen:  Gehorsam,  tröstet  er  sich,  ist 
ein  sicheres  Fahrzeug,  das  man  nicht  verlassen  darf,  will  man 
glücklich  reisen  und  gut  in  den  Hafen  kommen.    Die  dem  Spa- 
nier eigene  Heimatsliebe  überwand  er ;  sogleich  wäre  er  nach  In- 
dien gegangen.    Die  zarte  Sympathie  für  seine  Familie  steigerte 
sich ,  wenn  er  auch  um  den  Tod  seiner  Lieblingstochter  nicht 
weinen  konnte.    Fünfmal  lehnte  er  den  Purpur  ab,  um  in  der 
Armut  Christi  zu  leben  und  zu  sterben.   Als  er  Generalkommissär 
für  Spanien  und  Indien  gewordeu  war,  lagen  die  heimischen  Or- 
denssachen in  seinen  Händen.   Er  warb  für  die  Gesellschaft  unter 
der  Aristokratie,  gründete  Häuser  und  Kollegien,  worin  Armut 
dominierte.    Mit  reichen  und  stolzen  Aspiranten,  die  nicht  ohne 
eigene  Zimmer,  Diener,  täglich  frische  Wäsche  leben  zu  können 
meinten,  hatte  er  Geduld,  bis  sie  sich  schämten.    Gegen  Fehler 
aus  Unwissenheit  und  Schwäche  war  er  mild.    Den  Tadel  des 
Hochmutes,  des  Mangels  an  Liebe  und  Takt  vergafsen  die  Ge- 
troffenen nie.    Wenn  er  tausend  Leben  hätte,  würde  er  sie  als 
Dankopfer  für  die  Wohlthat  hingeben,  dem  Orden  anzugehören, 
sagte  er  in  Jarandilla  dem  gegen  die  Jesuiten  argwöhnischen 
Kaiser.   Den  Kreuzestod  hatte  er  sich  oft  gewünscht,  aber  nicht 
auf  ein  so  schweres  Kreuz  gerechnet,  wie  es  ihm  wurde  durch 
die  Wahl  zum  General.    Zur  Strafe  seiner  Sünden  werde  er 
fortan  leben  als  ein  mit  schweren  Bürden  beladenes  Lasttier. 
Der  Herzog  fand  hier  sein  Feld  wie  der  Mann  der  Kontempla- 
tion.   Kein  Sturm,  sagte  er,  ist  so  gefährlich  als  lange  Wind- 
stille; man  kann  nicht  zu  viel  Feinde  haben;  je  weniger  Gewicht 
man  Schmähschriften  beilegt,  um  so  eher  sind  sie  vergessen.  Die 
Herrschereigenschaft,  die  rechten  Leute  an  die  rechte  Stelle  zu 
setzen,  besafs  er;  Bellarmin  und  Tolet  wies  er  in  die  richtige 
Bahn.   Unter  ihm  breitete  sich  der  Orden  in  Deutschland,  Polen, 
Schweden,  Litauen  aus.    Betend  hat  er  regiert    Die  wichtigsten 
Stellen  erhielten  die  in  Gebet,  Meditation,  Verleugnung  Gröfsten. 
Pius  V.  unterstützte  er  im  Reformwerk.    Noch  einmal  predigte 
er  in  Valencia,  wohin  ihn  die  Reise  nach  Spanien,  Portugal  und 
Frankreich  als  Konsul tor  des  Legaten  Alessandrino  führte.  Man 
mufste  ihn  auf  die  Kanzel  tragen,  da  er  sich  durch  die  Menge 
nicht  zn  drängen  vermochte.   Philipp  II.  umarmte  ihn ;  mit  Hul- 
digungen ward  er  überhäuft.    In  Blois  warnte  er  Katharina  Me- 


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NACHRICHTEN. 


dici  vor  der  woltlichen  Politik.    Seine  Todeskrankbeit  holte  er 
sich,  als  er  in  einer  von  Hugenotten  verwüsteten  Kirche  in  kalter 
Morgenfrühe  Messe  las.   Expertus  potest  credere,  Quid  eit  Jesum 
diligere,  war  eines  seiner  letzten  Worte.  Auf  den  Wunsch  seine» 
Beichtvaters  Vasquez  schrieb  er  Meditationen  nieder,  vielleicht 
in  den  Notizbüchern,  die  er,  Meister  im  Flicken,  wenn  man  da 
Meister  werden  könne,  aus  den  abgeschnittenen  und  zusammen- 
geklebten leeren  Stellen  empfangener  Briefe  konstruierte.  Sie 
sind  in  Spanien  viel  gelesen  und  1882  neu  gedruckt.    Es  be- 
durfte eines  Heiligen,  sagte  A.  v.  ßeumont,  um  den  Namen  Borja 
wieder  zu  Ehren  zu  bringen.    Dafs  es  geschehen  sei,  bezeugten 
die  46  Ur-  und  Ururenkel  aus  14  fürstlichen  Häusern,  die  Bahre 
und  Fahne  trugen,  als  1625  der  Leichnam  in  das  Profefshaus 
der  Jesuiten  übertragen  wurde.    1594  hatte  Pedro  Ribadeneira 
das  Leben  Borjas  geschrieben,  wie  ein  Vertrauter,  Vasquez'  Mit- 
teilungen benutzend.    Kurz  und  schlicht  will  er  nur  die  Wahr- 
heit sagen.    Ist  jede  Lüge  schon  an  sich  abscheulich  und  eines 
Christen  unwürdig,  wieviel  mehr  die  hagiographische!    Als  wenn 
Gott  der  Lügen  bedürfte,  und  es  nicht  der  christlichen  Frömmig- 
keit fern  läge,  den  Herrn,  der  die  höchste  und  ewige  Wahrheit 
ist,  mit  erdichteten  Geschichten  und  Wundern  zu  verherrlichen, 
sagt  er  in  seinem  Leben  Loyolas.    Nach  langem  Zwischenraum 
schrieb  erst  1716  der  Erzbischof  von  Monreal  Kardinal  Cienfue- 
gos,  La  beroica  Vida,  Virtudes  y  Milagros  del  grande  S.  F.  d. 
B.  antes  Duque  Quarto  de  Gandia,  y  despues  Tercero  General 
de  la  Compania  de  Jesus.    Dieser  Foliant  bietet  manches  Neue 
durch  den  Kanonisationsprozefs  zutage  Gekommene,  ist  aber  breit 
und  panegyrisch.    Stirling,  Mignet,  Gacbard  haben  ihn  für  das 
Klosterleben  Karls  V.  benutzt.    Der  neueste  Biograph,  Clarke. 
verwendet  erschöpfend  das  von  den  Vorgängern  herrührende  Ma- 
terial. Die  Darstellung  ist  fesselnd  und  frisch.   Hätte  das  Werk 
im  Manuskript  den  Bollandisten  oder  dem  spanischen  Jesuiten 
Fita  zur  Präventivzensur  vorgelegen,  es  dürfte  mancherlei  Kor- 
rekturen erhalten  haben.   Elias  als  Gründer  des  Karmeliterordens 
hätte  keine  Gnade  gefunden,  ebenso  wenig  wie  die  hohen  Geistes- 
gaben und  das  eheliche  Glück  der  Köuigin  Juana  la  loca.  Dafs 
es  mit  der  Rettung  Alexanders  VI.  und  der  Borja  durch  M.  H.  Ol- 
livier nichts  ist,  hätte  Pastor  den  Verfasser  lehren  können. 

14.  Mit  der  Bibliothek  des  Augustinerklosters  in  Salamanca 
verbrannte  1744  der  handschriftliche  Nachlafs  des  Professors  der 
Theologie  Fr.  Luis  de  Leon,  der  als  Lyriker,  Übersetzer,  tief- 
sinniger Exeget  und  philosophischer  Denker  zu  den  Gröfeen  der 
spanischen  Litteratur  des  16.  Jahrhunderts  gehört,  und  der  durch 
die  Gelehrtensünden  seines  Kollegen  Leon  de  Castro  alle  Leiden 
eines  fünf  Jahre  dauernden  Inquisitionsprozesses  zu  dulden  hatte. 


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NACHRICHTEN. 


581 


Es  erhielt  sich  die  Kunde,  dafs  noch  Manuskripte  Leons  existierten ; 
wo,  wufste  man  freilich  nicht  Da  entdeckte  Fr.  Tomas  Cämara, 
Bischof  von  Trenopolis  yor  einigen  Jahren  in  dem  Bücherreste 
einer  Madrider  Bibliothek  drei  Quarthände  Autographen  und  Ko- 
pieen  von  Schriften  Leons,  die  einst  den  beiden  Klöstern  der 
Hauptstadt  San  Felipe  el  Real  und  dem  Hause  de  P.  P.  Trini- 
tarios  gehörten.  Sie  enthalten  spanische  und  lateinische,  voll- 
ständige und  fragmentarische  Arbeiten  exegetischen,  dogmatischen, 
ethischen  Inhalts  Aber  das  Lied  Moses,  einzelne  Psalmen  und 
Psalmstellen,  Kohelet,  das  Hohe  Lied,  Obadja,  den  zweiten  Brief 
an  die  Thessalonicher ,  die  Autorität  und  Auslegung  der  heiligen 
Schrift,  das  göttliche  Gesetz  und  Aktenstücke  zum  Prozefs.  Unter 
dem  Titel  El  perfecto  predicador  erschien  1886  die  Auslegung 
des  Kohelet  in  der  Revista  Agustiniana.  Ihr  lassen  nun  die 
Augustiner,  als  längst  gewünschten  Ersatz  der  unvollständigen 
Edition  Antolino  Merinos,  Madrid  1804 — 1816,  6  Bände,  eine 
Gesamtausgabe  der  Werke  ihres  Ordensgenossen  folgen,  von  der 
1891 — 1893  4  Bände  erschienen  sind:  Magistri  Luisii  Legio- 
nensis  Agustiniani,  Divinorum  librorum  primi  apud  Salmaticenses 
interpretis,  Opera  nunc  primum  ex  MSS  ejusdem  omnibus  Patrum 
Agustiniensinm  studio  edita.  Salmanticae. 

15*  Philipp  II.  und  das  lateinische  Autograpb 
der  Augustana.  Hase  bemerkt  in  seiner  Ausgabe  der  Libri 
Symbolici  Ecclesiae  Evangelicae.  Ed.  III  1846,  p.  6  der  Prole- 
gomena:  Latinum  exemplum  Caesar  secum  Bruxellas  tulit,  ibique 
in  tabulario  Melanchthonis  autographum,  nominibus  principum 
subsignatum  A.  1560  se  vidisto  Lindanus  Archiepiscopus  testa- 
tur,  id  vero  duci  de  Alba  petenti  a.  1568  tradidisse  Zuichem 
ab  Aytta  urbis  Praefectus  conmemorat. 

Dem  Datum  widerspricht  ein  Schreiben  des  Königs  in  den 
Docomentos  relativos  a  los  Paises  Bajos  y  singularmente  a  los 
servicio8  hechos  por  los  Espanolos,  que  estuvieron  destinados  en 
aquellos  Estados  durante  el  gobierno  del  duque  de  Alba  y  sus 
recompensas.  Coleccion  de  documentos  inäditos  para  la  Historia 
de  Espana  T.  XXXVII.  1860.  Philipp  schreibt  dort  1869  an 
Alba:  Yo  he  sido  advertido,  qne  entre  algunos  papeles,  que  eran 
del  emperador  mi  Senor,  que  esta  in  gloria,  o  en  el  archivo  dosa 
villa  esta  el  libro  de  la  confession  Augustana,  que  Philippo  Me- 
1  an  ton  escribio  de  su  propia  mano,  y  porque  segon  las  danados, 
que  hay  en  esos  estados  convieno  quitarlo  de  ahi ,  porque  no  lo 
tengan  por  alcoran,  atenta  la  inclinacion  que  tienon  ä  esta  mal- 
dita  secta,  sera  bien,  quo  vos  digais  a  Viglio,  que  quereis  ver 
el  dicho  libro,  que  lo  busque  y  os  lo  entrigue  y  guardar  lo  heis 
en  vuestro  poder,  para  le  traer  con  vos  cuando  en  buen  hora 
volvieredes  ä  estos  reinos  y  habeis  de  advertir,  qne  os  de  el 


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582 


NACHRICHTEN 


original  y  no  copia  y  quo  no  quede  otra  ni  rastro  del  porque  se 
hunda  por  siempre  tan  malvada  obra.  Vielleicht  fände  sich  unter 
den  Papieren  des  Viglius,  deren  die  Göttinger  Bibliothek  22  Bande 
besitzt,  Aufschlofs  Ober  die  Erfüllung  der  Forderung  Philipps 
und  die  höchsteigenhändige  Vernichtung  des  verhaßten  und  ge- 
flüchteten Dokuments,  das  bis  jetzt  vergebens  in  Brüssel,  Siman- 
cas  und  Born  gesucht  wurde. 

*  16*  Gl  au  b e n s f  1 Ö oh tl inge  aus  Spanien  mit  den 
Niederlanden,  Italien  und  Frankreich,  seit  dem  Jahre  1500:  Eine 
kulturgeschichtliche  Abhandlung  von  Franz  Sehe  ich  1.  Linz  1894. 
E.  Hareis.  59  S.  8°.  In  Frankreich,  Belgien,  England,  der 
Schweiz,  Amerika  hat  man  sich  mit  der  Statistik  und  Geschichte 
der  Exulanten  des  16.  und  17.  Jahrhunderts  beschäftigt.  Das 
bezeugen:  Cooper,  Lists  of  foreign  protestants  and  alms  resident 
in  Eugland  1618—1688.  From  returns  in  the  Statespaper  Of- 
fice. London  1842.  J.  Burn,  The  History  of  the  Frencb,  Wal- 
loon,  Dutsch  and  otber  foreign  Protestant  refugees,  settled  in 
England  from  the  reign  of  Henry  VIII  to  the  Revocation  of  the 
Edict  of  Nantes,  London  1846;  Weiss,  Histoire  des  refogiees 
protestants  de  France  depuis  la  Bevocation  de  l'edit  de  Nantes 
jusqu'ä  nos  jours.  Paris  1853;  Cooper,  Protestant  Refugees  in 
Sussex.  London  1861;  Smiles,  The  Hugenots,  their  Settlements, 
eburches  and  industries  in  England  and  Ireland.  London  1867; 
Agnew,  Protestant  Exiles  from  France  in  the  reign  of  Louis  XIV, 
or  the  Hugenot  Refugees  and  their  descendants  in  Great  Britain 
and  Ireland.  London  1871;  Mörikofer,  Geschichte  der  evange- 
lischen Flüchtlinge  in  der  Schweiz  1876;  Baird,  History  of  the 
Hugenot  Emigration  to  America  1885,  2  Vol.;  Claessens,  l'ln- 
quisicion  et  le  regime  pe'nal  pour  la  repression  de  Theresie  dans 
les  Pays-Bas  du  Passe*  1886.  — 

Ans  diesen  Arbeiten  ergab  sich  die  Nötigung,  die  Ziffern  der 
Exulanten  zu  reduzieren.  Inmitten  der  Verfolgung  waren  sie 
nicht  statistisch  korrekt  angesetzt,  vom  Mitleid  erhöht,  vom  Hais 
gegen  die  Verfolger,  ja  gegen  Kirche  und  Christentum  ins  Un- 
geheure multipliziert.  Es  ging  damit  wie  mit  den  Angaben  aber 
die  Zahl  der  protestantischen  Märtyrer  in  den  Niederlanden  und 
in  8panien.  Dort  lftfst  Hugo  Grotius  unter  Karl  V.  100000 
hingerichtet  werden.  Es  starben  2000,  wie  van  der  Haeghens, 
Du  nombre  des  protestants  exäcutes  dans  les  Pays-Bas  en  vertu 
des  placards  sur  THäräsie  1889,  darthut  Kam  vollends  Philipp  IL 
und  die  Inquisition  ins  Spiel,  dann  nahm  man  es,  wie  Llorente, 
de  Castro  und  ihr  Nachschreiber  zeigen,  zur  Ehre  der  guten 
Sache  und  zur  Schmach  der  Henker,  mit  Nullen  nicht  sonderlich 
genau.  Zur  Illustration  der  Lieblingsthese  Buckles,  tantum  re- 
ligio potuit  suadere  malorum,  giebt  Scheichl  eine  gut  geordnete 


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NACHRICHTEN. 


583 


Übersicht  der  Ausweisungen  und  Auswanderungen  in  Europa  aus 
religiösen  Gründen  seit  1500.  Aus  welchen  Ländern  kommen  die 
Exulanten?  Welchen  Volksklassen  gehören  sie  an?  Wo  finden 
sie  ein  Asyl?  Welche  Gewerbsfertigkeiten  brachten  sie  mit? 
Wieviel  Vermögen  importierten  sie?  Welche  kulturellen  Einwir- 
kungen gingen  von  ihnen  aus?  Auf  diese  Fragen  antwortet  der 
Verfasser,  soweit  sein  statistisches  Material  reicht,  den  Stoff  gut 
gruppierend,  mit  warmem  Interesse  Einzelheiten  Aber  die  Seg- 
nungen der  Bekenntnistreue  einfügend.  In  die  Tiefe  der  Staats - 
und  kirchenrechtlichen  Seite  der  Frage  dringen  die  Bemerkungen 
Aber  die  Motive  der  Verfolgungen  nicht,  so  wenig  wie  in  die 
Bedeutung  religiöser  Volkseinheit  an  sich  und  nach  den  An- 
schauungen des  16.  Jahrhunderts.  Die  Sympathie  für  spanische 
Juden  nnd  Moriscos  ubersieht,  dafs  christliche  Völker  noch  höhere 
als  merkantile  Aufgaben  haben,  dafs  Königin  Isabella  die  natio- 
nale und  christliche  Selbständigkeit  ihres  Volkes  vor  der  Zer- 
setzung durch  Judentum  und  Mohammedanismus  schützen  wollte. 

C.  Ä.  Wükens. 


Griechische  Kirche. 

Von 

Ph.  Meyer  u.  a. 


1.  Karl  Krumbacher,  M ittel grie chische  Sprich- 
wörter. München  1893.  In  Kommission  des  G.  Franzschen 
Verlags.  272  S.  Die  Bedeutung  dieses  höchst  interessanten 
Buchs  für  die  Theologie,  mit  der  es  dem  Titel  nach  nichts  zu 
thun  zu  haben  scheint,  beruht  in  dem  Nachweis,  dafs  die  Sprich- 
wörter, ähnlich  wie  die  Erzählungen  des  Physiologus,  in  byzan- 
tinischer Zeit  als  kirchlich  -  katechetischer  Stoff  benutzt  wurden. 
Ks  scheint,  dafs  man  ähnlich  wie  bei  uns  den  Katechismus,  da- 
mals eine  Anzahl  Ton  Sprichwörtern  zur  katechetischen  Beleh- 
rung verwendet  hat  Auf  einen  theologischen,  dogmatischen  oder 
ethischen  Sinn  kam  man  dnrcb  die  gewagtesten  Allegorieen,  die 
man  wiederum  damit  rechtfertigte,  dafs  man  alles  in  der  Welt 
auf  Christum  und  den  Menschen  deuten  dürfe.  Es  kommt  daher 
in  dem  Buche  Krumbachers  namentlich  in  Betracht  die  Fülle 
neuen  Materials,  das  der  Verfasser  aus  umfassenden  handschrift- 
lichen Studien  gewonnen  hat.  Das  Material  findet  sodann  treff- 
liche Erklärungen,  die  für  die  Zeitgeschichte  und  die  theologische 


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NACHRICHTEN 


Bildung  der  Zeit  sehr  interessant  sind.  Die  Anfänge  der  merk- 
würdigen Litteratur  gehen  auf  Michael  Glykas  zurück. 

%,  ^ExxXr^taaxix^  'AXfötta,  Jahrgang  XIV,  S.  379.  395  bis 
398.  403—404.  B.  A.  MvoTaxidtje,  'ExXoyr  xut  ng6/iXr(<Jig 
olxoviiivtxov  naiQtuQ/ov.  Eine  Darstellung  der  Wahl  und  In- 
thronisation der  Patriarchen  bei  den  Byzantinern,  sodann  Er- 
örterung Über  das  Recht  des  Metropoliten  von  Heraklea,  den 
Patriarchen,  wenn  nötig,  zu  weisen,  immer  aber  ihm  das  Scepter 
zu  reichen.  Mit  Recht  leitet  der  Verfasser  das  Recht  aus  der 
alten  Zeit  ab,  wo  noch  Byzanz  unter  Heraklea  stand.  Es  werden 
aber  auch  viele  Fälle  genannt,  wo  das  Recht  nicht  ausgeübt  ist. 

3.  'ExxXyaiaoTtxr,  *AXrt&ttu,  Jahrgang  XIV,  S.  374.  B.  A. 
l\lvoiax(Sri<; ,  4vfrifiot ,  naxgtug/ui  KtovorurTiyovnoXtwg.  Bei 
Gelegenheit  der  Thronbesteigung  des  Patriarchen  Anthimos  VII. 
giebt  der  Verfasser  eine  Übersicht  über  die  Patriarchen  von 
Konstantinopel,  die  auch  den  Namen  Anthimos  geführt  haben. 

4«  Karl  Krumbacher,  Michael  Glykas.  Eine  Skizze 
seiner  Biographie  und  seiner  litterarischen  Thätigkeit  nebst  einem 
unedierten  Gedichte  und  Briefe  desselben.  (Aus  den  Sitzungs- 
berichten der  philos.- philolog.  und  der  historischen  Klasse  der 
k.  bayer.  Akad.  der  Wissensch.  1894,  Heft  III.  Auch  als  Se- 
paratabdruck im  Franzschen  Verlag  erschienen,  München  1895.) 
Der  Verfasser  giebt  auf  Grund  der  Schriften  des  Glykas  und  der 
Zeitgeschichte  die  erste  genauere  Biographie  und  Charakteristik 
des  bisher  fast  unbekannten  Byzantiners.  Danach  lebte  dieser 
vom  ersten  Drittel  des  12.  Jahrhunderts  bis  in  die  letzten  Jahr- 
zehnte desselben.  Glykas  wurde  1156  wegen  eines  politischen 
Vergehens  von  Kaiser  Manuel  eingekerkert  und  leicht  geblendet. 
Aus  der  Haft  entlassen,  scheint  er  dennoch  sein  Leben  in  Not 
zugebracht  zu  haben.  Das  hängt  mit  seiner  Bildung  und  mit 
seinem  Charakter  zusammen.  Er  stand  wissenschaftlich,  theo- 
logisch und  als  Charakter  im  Gegensatz  zu  dem  antikisierenden 
Geiste  seiner  Zeit.  Er  ist  ein  Vertreter  der  volkstümlichen  Bil- 
dung, strenger  Kirchlichkeit  und  ernster  Lebensanschanung.  Als 
Werke  von  ihm  haben  jetzt  zu  gelten  seine  Chronik,  ein  vulgär- 
griechisches  Bittgedicht,  eine  Sprich  Wörtersammlung,  die  zuerst 
durch  Allegorie  das  Sprichwort  kirchlich  -  katechetisch  verwandte 
und  eine  Reihe  von  Briefen  meist  theologischen  Inhalts.  Die 
Einleitung  zur  Sprichwörtersammlung  nnd  ein  besonders  cha- 
rakteristischer Brief  sind  am  Ende  der  Schrift  zum  erstenmal 
veröffentlicht. 

5.  'ExxXtjoiuaHxt)  'AXfötiu,  Jahrgang  XV,  S.  CO — 62.  68 
bis  71.  86.  J.  J.  X.  TooXaxtöyq,  Ntgotg  o  Xagmg.  Wir 
erhalten  zuerst  eine  kurze  Biographie  des  bei  den  Armeniern  be- 
rühmten Patriarchen  Narses,  der  1102  geboren,  1136  auf  den 


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NACHUICHTKN. 


585 


Patriarchenstuhl  erhoben  wurde  und  1175  starb.  Sodann  folgen 
zwei  Glaubensbekenntnisse  der  armenischen  Kirche,  deren  erstes 
von  Narses  stammt  und  1165  dem  Kaiser  Manuel  Komnenos 
Qberreicht  wurde.  Das  zweite,  das  noch  jetzt  im  liturgischen  Ge- 
brauche stehen  soll,  ist  scheinbar  alt  Mit  dem  allgemeinen 
Symbol  der  Armenier  stimmt  es  jedoch  nicht  überein.  Ich  finde 
auch  bei  dem  Verfasser  keine  näheren  Angaben. 

6.  'EtuiqIu  o  *E\\rtvitTfit6$,  Tu  iv  avxf,  yivo^kva  ov- 
ayywa^aju.  Tufiog  A'  (Athen  1894),  S.  5 — 23.  Ntxtjyogov 
uQ/nntoxltnov  n.  YlaiQiov  tov  KuXoytgu  tu,  w/ara  tov  iv 
BvCpLvxlto  'EMrjvtxov  xQurovg  xui  to  TtXtvxuiov  StnXoftuTtxhx 
avrov  uniiÄomov  rjoi  'l(tiorq>  tov  Bovtvxlov  o  nwiado- 
fitvoQ  fivozrjQiiuöw  tvionxog  Xoyog  vtv  nQwtox  diu  Trtg  toropiug 
tg/Ltijvtvofuyog.  Im  Auszöge  auch  deutsch  in  der  Revue  inter- 
nationale de  Theologie  1894,  S.  505 — 517.  An  mehreren  Stellen 
seiner  Geschichte  des  Florentiner  Konzils  berichtet  Syropulos, 
dafs  der  Kaiser  Jobannes  Paläologos  vor  den  versammelten  grie- 
chischen Unionsdeputierten  von  einem  geheimen  Mittel  des  Joseph 
Bryennios  gesprochen  habe,  das,  wenn  es  offenbar  würde,  unfehl- 
bar zu  einer  Union  führen  werde,  die  alle  befriedige.  Auch  der 
Kardinal  Cesarius  kommt  einmal  darauf  zu  sprechen.  Die  Griechen 
hingegen  lehnen  jedesmal  die  Sache  als  ihnen  unbekannt  ab. 
Kalogeras  will  nun  diese  seltsame  Sache  anf  Grund  der  Stelle 
bei  Phrantzes  (II,  13)  dahin  erklären,  dafs  Joseph  durch  seine 
Fiktion  die  Politik  des  Kaisers  Manuel  inbezug  auf  die  Union, 
durch  stete  Verhandlungen  die  Römer  zu  gewinnen,  die  Türken 
damit  abzuschrecken,  aber  niemals  die  Union  wirklich  zu  voll- 
ziehen, habe  unterstützen  wollen.  Die  Meinung  des  Kalogeras 
ist  jedoch  nicht  wahrscheinlich,  denn  weder  in  den  früher  edierten 
Werken  des  Joseph,  die  mir  vorliegen,  noch  in  dem  von  Kalogeras 
publizierten  Briefe  ist  jenes  Geheimnis  auch  nur  berührt  Joseph 
vertritt  hier  vielmehr  an  vielen  Stellen  die  Meinung,  man  solle 
die  Union  suchen,  aber  nur  unter  der  Bedingung,  dafs  das  grie- 
chische Dogma  unversehrt  bleibe.  Ich  halte  das  Geheimnis  des 
Bryennios  für  eine  Fiktion  des  lügnerischen  Kaisers  Johannes, 
der  von  den  Griechen  allein  die  Sache  zu  kennen  vorgiebt  und 
der  damit  auch  Cesarini  getauscht  haben  mochte.  Er  brauchte 
seinerseits  so  die  Autorität  des  Joseph  für  seine  Politik.  Eine 
gröfsere  Abhandlung  über  den  bis  jetzt  fast  unbekannten  Joseph 
Bryennios  werde  ich  nächstens  veröffentlichen  und  dabei  auf  die 
Sache  zurückkommen.  (Nachträglich  erschienen  in  Byz.  Zeitschrift 
Jahrgang  1896  S.  74—111.) 

7.  'ExxXrjütaariKT}  *AX^&uat  Jahrgang  XIV,  8.  172 — 173. 
*0  'A^aathg  jiv&tpos,  *0  'AxqISwv  rußgir\X.  Der  Bischof  An- 
thimos  von  Amaseia  spricht  über  den  von  Le  Quien  im  Orions 


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586 


NACHRICHTEN. 


chri8tianus  Übergegangenen  Erzbischof  von  Achrida  Qabriel. 
Dieser  lebte  im  16.  Jahrhundert  und  unternahm  auch  eine  Reise 
nach  Europa,  um  durch  eine  Geldsammlung  die  Schulden  seines 
Stuhls  zu  tilgen. 

8.  ^xxXtjotuartx^  'AX/fitia,  Jahrgang  XIV,  S.  283— 29fr. 
300—301.  310—312.  317—320.  B.  A.  MvoTaxtdtjg, 
'O  TlaxQiuQXrjg  'legtet  tote  B'  b  Tgayog.  In  einer  Reihe 
lose  verknüpfter  Artikel  erörtert  der  gelehrte  Verfasser  die  Ver- 
hältnisse des  genannten  Patriarchen,  der  ja  für  die  evangelische 
Kirche  besonderes  Interesse  bat.  Zuerst  kommt  Persönliches  zur 
Sprache,  dann  die  Beziehungen  zu  den  Tübinger  Theologen.  Der 
Verfasser  war  in  der  Lage,  hierfür  bisher  un ediertes  Material  der 
Tübinger  Bibliothek  zu  benutzen.  Besonderes  Interesse  haben 
drei  bisher  nicht  herausgegebene  Briefe  des  Martin  Crusius. 
Der  erste  ist  an  den  bekannten  Gabriel  von  Philadelphia  ge- 
richtet Er  enthält  eine  Warnung  vor  dem  Kollegen  Frischlin, 
den  er  tXXrjyixwg  Bajguxtog  nennt  Frischlin  wolle  Crusius  und 
Genossen  verleumden.  Ähnlichen  Inhalts  ist  der  dritte  Brief,  der 
zum  Addressaten  Theodosius  Zygomatas  hat  Der  dritte,  von 
1589  richtet  sich  an  den  Patriarchen  Jeremias  und  bittet,  den 
Verkehr  mit  den  Tübingern  doch  nicht  abzubrechen,  wie  ja  sei- 
tens der  Griechen  geschehen.  Da  jedoch  der  Lutheraner  auf 
seinen  dogmatischen  Positionen  wiederum  beharrte,  war  der  nega- 
tive Erfolg  zu  erwarten.  Am  Schlufs  der  Artikel  bespricht  der 
Verfasser  die  bekannten  Acta  et  Scripta  Theologorum  Wirtem- 
bergensium  und  die  sich  daran  schliefsenden  Drucke.  Ich  be- 
merke, dafs  die  behandelten  Verbältnisse  weitläufiger  ausgeführt 
sind  von  E.  Legrand  im  Kecueil  de  textes  et  de  trad actio ns 
publik  par  les  professeurs  d'äcole  des  langues  orientales  Vivantes 
ä  l'occasion  du  VIII  congres  international  des  Orientalistes  tenu  ä 
Stockholm  von  1889.  Hier  tritt  indessen  das  Theologische  zurück. 

9«  HunadonovXog  -  KfQu^itvg.  AvuXtxxa  hgoaoXvfitnxt  g 
axu%voXoyiaG.  Tottog  B  .  Er  IltTQovnoXei  1894.  Der  vor- 
liegende zweite  Teil  der  Jerusalemischen  Stachyologie 
enthält  von  S.  258 — 481  eine  Reihe  von  Schriften,  die  für  die 
Geschichte  der  orthodoxen  Kirche,  namentlich  in  Palästina  sehr 
wichtig  sind.  Ich  nenne  vor  allem  eine  Reihe  von  Patriarchat- 
urkunden  und  zwar  aus  der  Zeit  des  Germanos  und  Sophronios 
(16.  Jahrh.),  des  Nektarios  (1661—1667),  des  Dositbeos  (1669 
bis  1706),  des  Chrysanthos  (1709—1729),  des  Meletios  (1731 
bis  1734).  Der  Inhalt  der  Urkunden  ist  sehr  mannigfaltig. 
Viele  beziehen  sich  auf  das  Mönchwesen,  namentlich  auf  die  Um- 
bildung verschiedener  Klöster  vom  idiorrhythmischen  Leben  zum 
koinobiatischen.  Andere  handeln  von  dem  Regierungsantritt  und 
Abdankung  der  Patriarchen.    Auch  werden  liturgische  Fragen 


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NACHRICHTEN. 


587 


geregelt.  Lateiner  werden  befehdet.  Eine  Menge  von  persön- 
lichen Angelegenheiten  werden  erledigt  Neben  den  Patriarchal- 
ausecbreiben  ist  ein  längerer  Aufsatz  von  einem  Neophytos  aus 
Cypern  zu  erwähnen,  der  das  beliebte  Thema  von  dem  Recht  der 
Orthodoxen,  Armenier  etc.  an  den  heiligen  Stätten  zu  Jerusalem 
erörtert 

10.  Revue  internationale  de  Theologie  1895,  8.217—259. 
E.  Michaud,  Etudes  sur  la  Latinisation  de  l'Orient  sous 
Louis  XIV.  I.  L'Ambassade  de  M.  de  Nointel  ä  Constantinople 
(1670 — 1677),  d'apres  les  documents  inödits  des  Archiv  es  du 
ministere  des  Affaires  ätrangeres  ä  Paris.  Der  Verfasser  hat  zu 
diesem  sehr  instruktiven  Artikel,  der  den  ersten  einer  gröfseren 
Reise  bildet,  die  Archive  des  Ministeriums  der  Auswärtigen  An- 
gelegenheiten und  die  handschriftliche  Bibliothek  des  Instituts  zu 
Paris  benutzen  können.  Für  das  vorliegende  Thema  kam  nament- 
lich die  Korrespondenz  und  ein  Band  Memoiren  Nointels  in  Be- 
tracht. Charles- Francois -Olier  de  Nointel  war  französischer 
Botschafter  in  Konstantinopel  von  1670—1679.  Seine  Bedeu- 
tung für  die  Kirchengeschichte  besteht  bekanntlich  darin,  dafs 
er  mit  allen  Mitteln  den  Einflufs  des  französischen  Katholicismns 
namentlich  durch  die  Protektion  der  französischen  Jesuiten  in  der 
Levante  befördert  hat  Die  Korrespondenz  Nointels,  aus  der  wir 
im  Vorliegenden  genaue  Auszüge  erhalten,  bestätigt  die  frühere 
Annahme  aufs  genaueste.  Sie  reicht  übrigens  vom  30.  Oktober 
1670  bis  23.  Dezember  1677  und  wechselt  zwischen  Nointel 
einerseits  und  dem  König  Louis  XIV-,  dem  Herzog  d'fistrees,  Col- 
bert,  den  Königinnen  von  Frankreich  und  Spanien  und  vielen 
geringeren  Personen  anderseits.  Das  Offizielle  der  Briefe  enthält 
Instruktionen,  Berichte,  Anfragen  u.  dgl.;  dazwischen  läuft  Pri- 
vates her.  Namentlich  kommen  eine  Menge  von  Details  für  die 
Biographieen  der  damaligen  höheren  griech.  Geistlichkeit  vor. 
Auch  vom  Erwerb  von  Handschriften  ist  viel  die  Rede.  Es  ist 
zu  erwarten,  dafs  die  Fortsetzung  der  Artikel  noch  viel  Nene« 
und  Aufklärendes  für  die  Ausbreitung  des  Katholicismus  bringen 
wird. 

11.  Sanfo,  Jahrgang  XV,  S.  297—305.  327—334.  364 
bis  370;  XVI,  S.  74  —  78.  KvQtXXog  l4&ayaou' Ötjs^  Tu 
xara  tV  aoidtftoy  J oai&toy  naipiaQ/^y  tcok  'itQOOoXvfiüJy. 
Der  Archimandrit  Athanasiades  setzt  in  diesen  Artikeln  die  Bio- 
graphie des  Patriarchen  Dositheos  fort  und  bringt  sie  zu  Ende. 
(Vgl.  Nachrichten  im  12.  Bande  S.  137.)  Er  nennt  und  be- 
schreibt zuerst  die  unedierten  Werke  des  Patriarchen.  Es  sind 
a)  eine  yo^ixrj  avXXoyrj,  ein  Foliant  von  800  Blättern,  der  auch 
eine  Menge  Urkunden  enthält;  b)  ein  avyygaftfia  xara  2tyai- 
rwr.    Der  Inhaltsangabe  nach  handelt  es  sich  um  die  oft  be- 


588 


NACHRICHTEN. 


bandelte  Frage,  ob  das  Sinaikloster  unter  dem  Patriarchat  von 
Jerusalem  steht,  c)  eine  Reihe  von  Briefen,  die  auch  znm  Abdruck 
kommen.  Der  interessanteste  ist  an  den  englischen  Priester  Ben- 
jamin gerichtet  und  lehnt  dessen  Bitte  ab,  junge  Griechen  zur  Aus- 
bildung nach  England  zu  schicken.  Dositheos  fürchtet  mit  Recht 
eine  Verführung  zur  Apostasie.  Er  bittet  dagegen,  die  Engländer 
möchten  in  Konstantinopel  eine  griechische  Universität  errichten. 
Also  schon  damals,  1702,  aufseiten  der  Griechen  der  einzig  rich- 
tige Gedanke!  eine  Reihe  von  149  Briefen,  die  sich  schein- 
bar auf  das  Besitzrecht  der  Orthodoxen  am  heiligen  Grabe  be- 
ziehen. Nach  den  inedita  führt  der  Verfasser  die  edita  an  und 
bespricht  sie  dem  Inhalt  nach.  Wir  besitzen  in  diesem  Aufsatz 
des  Athanasiades  die  erste  gründliche  Biographie  des  berühmten 
Patriarchen,  zwar  parteiisch  vom  griechischen  Standpunkt  aus, 
aber  inhaltsvoll  und  genau. 

\%.  'ExxXtjotuoTixy  'AX  fata,  Jahrgang  XIV,  S.  407—408. 
Ein  interessanter  Brief  des  Patriarchen  Konstantios  I.  von 
1850  an  den  Bischof  Typaldos  von  Stawropolis.  Konstantios  hat 
entdeckt,  dafs  infolge  eines  Druckfehlers  aus  dem  16.  Jahr- 
hundert in  den  Menäen  am  10.  Februar  ein  Bilderstürmer,  näm- 
lich der  Patriarch  Anastasios  von  Konstantinopel  verehrt  werde. 
Der  rechtmäfsig  zu  feiernde  Anastasios  ist  Patriarch  von  Jeru- 
salem gewesen.  Die  Thatsache  des  Druckfehlers  konstatiere  ich 
allerdings  aus  einem  Februarmenaeo  von  1699.  Oder  liegt  hier 
ein  älterer  Irrtum  vor?  Auch  Nikodemos  hat  in  seinem  Syna- 
xaristen  von  1819  den  Fehler.  Übrigens  ist  der  Brief  kein  Jn- 
editum;  er  steht  bereits  in  der  Ausgabe  der  Werke  des  Kon- 
stantios von  1866,  die  mir  vorliegen  S.  447.  Auch  Gedeon  er- 
wähnt die  Sache  bereits  in  seinen  TIujqhxqx^  Iltvaxte.  Aber 
welch  ein  Unglück,  dafs  300  Jahre  ein  Bilderstürmer  kirchliche 
Verehrung  genossen  hat! 

18.  'ExxXtjOtuottTr.  'AXi&ua,  Jahrgang  XIV,  S.  23.  86-88. 
94—95.  101  —  102.  110—112.  118—120.  143—144.  149 
bis  150.  166.  J.  TooXaxtd i\ g ,  rtvixoi  xavov ia fxol 
x  (üv  i  y  Kü)y<jTayttyoynoX(t  uq  (xtv  ixwv  naigtaQ/rt  icü  v. 
Nachdem  S.  23  die  Redaktion  die  Anzeige  des  Werkes  von  Tso- 
lakides  gebracht  hat,  das  ursprünglich  armenisch  geschrieben,  in 
griechischer  Übersetzung  den  Titel  führt  To  xu^*  r^tug  olxo- 
ytvtiaxoy  d/xatoy,  läfst  dann  der  Verfasser  von  S.  86  an  eine 
griechische  Übersetzung  seiner  Arbeit  unter  dem  obigen  Titel 
folgen.  Es  ist  das  eine  höchst  wichi'.ge  Publikation  zur  Kennt- 
nis der  armenischen  Kirche  in  der  Türkei.  Irre  ich  nicht,  so 
sind  es  die  Ftvixol  xavoviofj.oi  für  die  armenische  Kirche,  die 
durch  den  Hatti  humajum  vom  18.  Februar  1858  au  gebahnt 
wurden.    Sie  bilden  demnach  eine  Parallele  zu  den  Tmxoi  xa- 


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NACHRICHTEN. 


589 


rovwfiot  der  orthodoxen  Kirche,  die  1888  neu  abgedruckt  wur- 
den und  die  ich  in  Nr.  ö  der  Tbeol.  Litteraturzeitung  vom  Jahre 
1890  angezeigt  habe.  Auf  den  Inhalt  näher  einzugehen,  ver- 
bietet der  Baum.  Über  den  Verfasser  sei  noch  bemerkt,  daCs 
derselbe  in  seinen  Publikationen  auf  eine  Vereinigung  der  ortho- 
doxen und  armenischen  Kirche  hinarbeitet.  Meyer. 

14.  Die  bereits  in  XV,  1  dieser  Zeitschrift  von  Ph.  Meyer 
angezeigte  römische  Tendenz-  und  Schmähschrift  von  Dr.  Knie, 
Die  russi6ch-schismatische  Kirche  [übrigens  deshalb 
falsch,  weil  seit  dem  Vaticanum  1870  durch  Verwerfung  der 
zwei  neuen  römischen  Dogmen  das  „Schisma"  zur  „Häresie"  ge- 
worden ist],  hat  nun  auch  von  berufener  russisch-orthodoxer  Seite 
eine  Zurückweisung  erfahren.  Propst  Maltzew  -  Berlin ,  bekannt 
als  Herausgeber  liturgischer  Werke  wie  als  Apologet  seiner  Kirche 
—  er  hat  für  diese  Thätigkeit  am  14.  Juli  1893  und  21.  Februar 
1894  von  Sr.  Heiligkeit  dem  ökumenischen  Patriarchen  von 
Byzanz  zwei  Belobungsbreven  erhalten  — ,  beschäftigt  sich  aus- 
führlich in  der  Internationalen  Tbeol.  Zeitschrift  II,  Nr.  7  (Juli 
1894),  p.  483 — 504  mit  der  Widerlegung  Knies.  Er  erweist, 
dafs  für  die  Kritik  der  Schrift  Knies  zweierlei  übrig  bleibt,  das 
ihm  vorgeworfen  werden  kann,  Unwissenheit  oder  Unwahrhaftig- 
keit,  p.  484.  Die  ganze  Schrift  Knies  ist  durchzogeu  von  rö- 
mischem Hafs  gegen  die  anatolische  Kirche,  die  Übersicht  der 
russischen  Kirchengeschichte  ist  lediglich  tendenziös  gefärbt  vom 
krassen  römischen  Parteistandpunkt  aus.  Von  allem  dem,  was 
Knie  der  russischen  Kirche  zum  Vorwurf  macht,  weist  Maltzew 
mit  Glück  nach,  dafs  es  ein  Charakteristikum  der  römischen 
Kirche  sei :  so  der  Hochmut  auf  den  alleinseligmachenden  Glauben, 
die  Grausamkeit  gegen  alle,  die  davon  abweichen,  anderseits  die 
übermäfsige  von  der  Geistlichkeit  begünstigte  und  gepflegte  Super- 
stition, der  Teufelsglaube,  die  Exorzismen,  er  beruft  sich  dabei 
mit  Recht  auf  das  Rituale  Romanum,  das  die  unglaublichsten 
Anschauungen  über  die  Bosheit  der  bösen  Geister  bei  Exorzismen 
hegt.  In  manchen  Dingen  ist  Knie  sogar  päpstlicher  als  der  Papst, 
z.  B.  über  die  Gültigkeit  und  Wirkung  der  russischen  Sakramenten- 
Hpendung.  Auch  thatsächliche  Irrtümer  bei  der  Darstellung  des 
Ritus  weist  Maltzew  Knie  nach.  Mit  viel  Eifer  verwahrt  Maltzew 
seine  Kirche  gegen  den  Vorwurf  des  Cäsaropapismus ,  „er  [der 
Kaiser]  hat  auf  Dogmen  und  Kultus  der  Kirche  gar  keinen  Einflufs", 
p.  497.  „Der  Kaiser  von  Rufsland  ist  keineswegs  der  Herr,  sondern 
der  »erste  Sohn  der  Kirche"*.  Bei  den  gegenwärtig  mit  so  vielem 
Anfwand  in  Scene  gesetzten  päpstlichen  Konferenzen  zur  Union 
mit  der  griechischen  Kirche  — ,  die  natürlich  bei  der  bekannten 
ablehnenden  Haltung  der  Griechen  absolut  resultatlos  verlaufen 

Z«iUehr.  f.  K.-Q.  XVII.  4.  38 


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590 


NACH  RICHTEN . 


und  eitel  Spiegelfechterei  sind,  damit  Born  bzw.  der  Papst  un- 
kundigen zumal  protestantischen  Staaten  gegenüber  sich  als  der 
Hort  des  Friedens  aufspielen  könne,  was  leider  gelingt  —  sind 
einige  Gedanken  von  Maltzew  über  die  Möglichkeit  einer  Union 
von  Interesse.  Sie  sei  in  nächster  Zeit  nicht  wahrscheinlich, 
indes  unmöglich  sei  sie  auch  nicht  „Das  Verhältnis  zwischen 
der  katholischen  Kirche  des  Orients  und  des  Occidents,  wie  es 
Tor  der  Spaltung  bestand,  kann  zweifellos  rekonstruiert  werden; 
eine  Unterwerfung  der  orthodox  -  katholischen  Kirche  des 
Morgenlandes  unter  Born  aber  ist  ein  Gedanke,  dessen  Verwirk- 
lichung außerhalb  aller  Grenzen  der  Möglichkeit  liegt"  Vor 
allem  weist  Maltzew  auch  energisch  den  prätendierten  Jurisdiktions- 
primat des  Papstes  zurück.  Unfehlbar  sind  ihm  die  ökumenischen 
Konzilien,  neben  denen  ein  unfehlbarer  Papst  überflüssig  ist  Die 
russische  Kirche  hat  also  nach  Maltzew  und  gegen  die  Behaup- 
tung von  Knie  sich  durchaus  nicht  von  dem  Staudpunkt  entfernt, 
der  „bis  auf  die  kleinsten  Äufserlichkeiten  den  Traditionen  der 
hl.  Väter"  entspricht  Der  Gang  der  russischen  Kirche  seit 
ihrer  Gründung  bis  in  alle  Zukunft  ist  eben  der,  dafs  sie  „auf 
den  unerschütterlichen  Felsen  Christi  gegründet,  keiner  Än- 
derung, keiner  Weiterentwickelung,  keinem  Fort- 
schritt, keiner  Beform  sich  unterwirft".  Dement- 
sprechend „ist  noch  im  russischen  Volke  der  kirchliche  Glaube 
des  Mittelalters  lebendig",  p.  504.  Ob  das  der  Aufgabe  einer 
christlichen  Kirche  entspricht?    Wir  glauben  es  nicht 

Leopold  Karl  Goete. 

15.  'ExxXrioiaoTtxTi  *jiXy&na,  Jahrgang  XIV,  S.  162—166. 
187—189.  196  —  199.  205  —  206.  Erbiceanu,  7arop*xoi  pt- 
Ä/iai  ntoi  rt{g  vnapitwq  jfg  Ugag^iag  xfc  Pwfianx^g  ixxXr^aiag 
xazä  jovg  9 — 14  altovag.  Der  Verfasser,  Professor  an  der  Universität 
von  Bukarest  giebt  in  diesem  Aufsatz,  der  ursprünglich  im  ru- 
mänischen Blatte  Biserica  orthodoxa  erschienen,  gestützt  auf  abend- 
ländische und  orientalische  Quellen  eine  Übersicht  über  den  Be- 
stand der  rumänischen  Kirche  in  der  angegebenen  Zeit  Der 
Artikel  ist  etwas  zu  patriotisch  gehalten,  um  nicht  einseitig  zu  sein. 

*  16.  Milkowicz,  Monumenta  confraternitatis  Stanropigianae 
Leopoliensis.  Tom  I.  Leopol is  1895.  Sumptibus  Institut»  Stauro- 
pigiani.  XVI  et  496  p.  8°.  fl.  5.  Eine  interessante  und  dabei 
wenig  behandelte  Erscheinung  auf  dem  Gebiet  der  orthodoxen 
Kirche  sind  die  kirchlichen  Vereinigungen,  die  sich  zu  verschie- 
denen kirchlichen  Zwecken,  so  namentlich  zur  Abwehr  des  Ein- 
flusses fremder  Kirchen  bilden.  In  meinem  Besitz  sind  die 
xayopiofAoi  verschiedener  neuer  derartiger  vdtX^lxtjttg.  Zu  dieser 
Art  von  Gemeinschaften  gehört  auch  geschichtlich  die  adtXtpotfjg 


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NACHRICHTEN. 


591 


oruvQonrjyiuxri  zu  Lemberg,  die  im  15.  Jahrhundert  aus  weit* 
liehen  Anfangen  sich  bildend,  im  16.  Jahrhundert  namentlich 
energisch  den  Kampf  für  orthodoxen  Glauben  und  ruthenische 
Nationalität  gegen  den  durch  das  Tridentinum  erstarkten  Ka- 
tholicismus  und  seine  gröTsten  Vorkämpfer,  die  Jesuiten  aufnahm. 
Die  Brüderschaft  aber  konnte  Macht  einsetzen,  seitdem  ihr  1585 
das  Recht  der  Schulengründang  und  des  Bücherdruckens  gegeben 
war.  Hernach  ist  sie  zwar  selbst  der  Union  mit  der  römischen 
Kirche  verfallen.  Seit  1788  führt  sie  durch  Joseph  II.  den 
Namen  Institutum  Stauropigianum.  Von  dieser  Gesellschaft  wird 
uns  in  dem  vorliegenden  interessanten  und  instruktiven  Werk  für 
die  Jahre  1518—1593  mit  300  Urkunden  oder  Inhaltsangaben 
von  solchen  die  Geschichte  dargeboten.  Der  Inhalt  derselben 
bezieht  sich  namentlich  auf  die  Entwickelung  der  Brüderschaft, 
besonders  auf  den  Kampf  der  Patriarchen  von  Konstantinopel, 
Alexandrien,  Antiochien  und  die  Metropoliten  von  Kiew  mit  dem 
Bischof  von  Lemberg  um  das  Aafsichtsrecht  über  die  Brüder- 
schaft. Es  ist  höchst  interessant,  wie  die  griechische  Kirche  zu 
der  Zeit  noch  ihre  Rechte  durchfocht  Es  standen  allerdings  da- 
mals Leute  wie  Jeremias  II.  und  Meletios  Pigas  an  der  Spitze. 
Besonders  bemerkenswert  ist,  wie  die  Politik  von  Konstantiopel 
nach  1590  schwankte,  um  nicht  den  inzwischen  selbständig  ge- 
wordenen Russen  die  Macht  in  die  Ilände  zu  geben.  Der  Herr 
Herausgeber  der  Urkunden,  der  seine  dahingehenden  Studien  am 
Wiener  Institut  gemacht  und  dieses  Werk  der  Universität  als 
Habilitationsschrift  vorgelegt,  hat  sich  der  paläographisch  und 
chronologisch  sehr  mühevollen  Arbeit  mit  grofsem  Geschick  er- 
ledigt. Nur  die  im  Volksgriechisch  gehaltene  Urkunde  Nr.  101 
hätte  wohl  noch  einmal  mit  richtiger  Vokal isation  und  sonstigen 
Verbesserungen  gegeben  werden  müssen.  Denn  des  Verfassers 
Urteil:  Exceptis  enim  signis  graecis  et  nonnullis  verbis,  quae 
literam  graecam  esse  testantur,  invenitur  inibi  nihil  de  vera 
Graecorum  lingua,  ist  zu  stark.  Es  ist  Volksgriechisch,  leicht 
verständlich,  wenn  man  es  spricht.  Es  ist  meist  nur  die  sehr 
starke  Verwechslung  der  Vokale,  die  die  Sache  fremd  erscheinen 
läfst.  Die  slavischen  Urkunden  kann  ich  nicht  beurteilen.  Dafs 
sich  der  Verfasser  der  lateinischen  Sprache  zur  Herausgabe  be- 
dient hat,  ist  nur  zu  billigen,  ebenso  ist  die  ganze  Methode  klar 
und  durchsichtig.  Die  vorangestellte  Datierung  mit  der  guten 
Inhaltsangabe,  die  erläuternden  Bemerkungen  am  Ende  machen 
die  Arbeit  in  (lern  Buche  leicht  Ich  wünsche,  dafs  der  Herr 
Herausgeber  sein  Werk  fortsetzen  möge,  das  für  die  Spezial- 
Kirchengeschichte  des  Orients  von  grofsem  Wert  ist. 

17.  Jwrr(>,  Jahrgang  XV,  S.  319.  335—342.  359—363. 
Die  neu  entstandene  orthodoxe  Gesellschaft,  o  avXXoyog  t<7v 

38* 


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592 


NACH  RICHTEN 


MiXQuotuKüv  „'^yuro/lr'"  wird  beifällig  besprochen  und 
ihr  Aufruf  an  die  Christen  Europas  und  Amerikas  abgedruckt. 
Eine  deutsche  Übersetzung  des  Appells  findet  sich  auch  in  der 
Revue  internationale  de  theologie  II,  p.  132 sqq.,  auf  die  hier 
verwiesen  wird.  Meyer. 

18.  Die  Unionsbestrebungen  der  romfreien  katho- 
lischen Kirchen,  über  die  seit  den  denkwürdigen  Bonner 
Unionskonferenzen  unter  Döllingers  Leitung  1874,  1875  äufser- 
lich  wenig  mehr  verlautete,  sind  in  ein  neues  Stadium  getreten 
und  haben  seit  zwei  Jahren  einen  Aufschwung  genommen,  der 
vielleicht  in  nicht  allzu  ferner  Zeit  zu  praktischen  Resultaten 
führt.  Ihnen  dient  vor  allem  die  Internationale  theologische  Zeit- 
schrift (Revue  Internat  de  Theologie)  herausgegeben  von  dem 
(Altkath.)  Theologieprofeesur  an  der  Berner  Universität  E.  Michaud. 
Diese  Zeitschrift,  deren  zweiter  Jahrgang  nun  vollendet  ist,  ist 
eine  Schöpfung  des  internationalen  Altkath.  Kongrefs  1892  in 
Luzern.  Ihr  Ziel  ist,  die  Union  der  christlichen  Kirchen  zu 
fordern.  Diesem  Zwecke  dienen  ihre  wissenschaftlichen  Arbeiten, 
die  vor  allem  in  ironischem  Sinn  gehalten,  mehr  das  einigende  be- 
tonend als  das  trennende  und  die  durchaus  objektiv  geschrieben 
sein  sollen.  Grundsatz  für  diese  Studien  soll  der  bekannte  Sprach 
dos  Vincenz  von  Lerin  sein:  Id  teneamus,  quod  ubique,  qnod 
semper,  quod  ab  omnibus  creditum  est.  An  der  Zeitschrift  ar- 
beiten neben  anderen  auch  die  berufensten  Gelehrten  der  ein- 
zelnen Kirchen  mit,  und  der  Kreis  der  Arbeiten  ist  natürlich  ein 
sehr  weiter.  Ich  hebe  im  Folgenden  nur  die  hervor,  die  rein 
kirchengeschichtlichen  Inhaltes  sind  und  die  mit  Rücksicht  auf 
gegenseitige  Annäherung  geschriebenen  kirchengeschichtlichen  und 
dogmenge8chich tlichen  Aufsatze.  Rein  kirchengeschichtliche  The- 
mata behandeln  J.  Langen -Bonn  Nr.  4  u.  5,  die  Schule  des 
Hierotheus;  Priscillian,  Bischof  Herzog- Bern  Nr.  5;  Ivantzov- 
Platonov  (Professor  der  Kirchengesch,  an  der  Universität  Mos- 
kau): Pbotius  Nr.  4,  5,  6;  Lauchert-Bonn:  Die  Lehre  einiger 
hl.  Y&ter  von  der  Eucharistie  Nr.  7;  über  die  Apologie  de» 
Aristides  (enthält  eine  Zusammenstellung  der  bisherigen  Arbeiten) 
Nr.  6;  J.  B.  Hirscher  als  theol.  Schriftsteller  Nr.  8;  Goetz- 
Passau:  Studien  zur  Gesch.  des  Bufssakrainents  Nr.  6,  7.  Dem 
Zwecke  der  Zeitschrift  entsprechend  steht  natürlich  die  Union  im 
Vordergrand,  darum  ist  die  überwiegende  Mehrzahl  der  Arbeiten 
zur  gegenseitigen  Annäherung  der  Kirchen  und  im  Geiste  einer 
Union  ironisch  gehalten.  Allgemeine  prinzipielle  Fragen 
und  Gedanken  zur  Union  behandeln  vor  allem  die  Bussen 
Krzpriester  und  Beichtvater  des  Kaisers  Janyscbev  und  der  theo- 
logische Schriftsteller  General  Kirejev  und  seitens  der  Engländer 


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NACH  RICHTEN. 


593 


Kanonikus  Meyriek.  Grundlegende  Aufsätze  sind  ferner  von  Be- 
layev:  Der  Grundsatz  des  römischen  Katholicismus,  Nr.  4;  Swet- 
lov:  Dogma  und  theologische  Spekulation,  Nr.  4;  Sokolov  (Prof. 
d.  Univ.  Moskau):  La  Lägitimite  de  la  Hierarchie  des  anciens- 
catholiques,  Nr.  3;  Holly  eveque  de  l'Egliso  haltieune:  L'infnilli- 
bilite"  de  l'Eglise,  Nr.  6;  Nippold- Kohlschmidt:  Was  verdanken 
die  evangelischen  Kirchen  dem  altkatholischen  Martyrium,  Nr.  2; 
Kyriakos  (nach  seinen  in  der  Athenischen  Wochenschrift  „Elxovo- 
YQutpwtyT]  *Eoi(uil  veröffentlichten  Artikeln):  Die  in  Rom  ge- 
plante Vereinigung  der  morgenländischen  und  abendländischen 
Kirche,  Nr.  3.  Hierher  gehören  auch  die  Studien  von  Beyschlag 
Nr.  1 ,  5  und  Langen  Nr.  7  über  die  Aussprüche  Jesu  an 
Petrus,  die  von  der  Exegese  von  Matth.  16,  17  sich  zu  Aus- 
führungen über  dio  prinzipiellen  Unterschiede  von  Katholisch  und 
Protestantisch  und  zu  Gedanken  über  die  Union  erheben.  — 
Dogmengeschichtliche  Arbeiten ,  die  das  römische  Dogma  als 
historisch  unbegründet  darstellen,  sind  Bischof  Reinkens- Bonn: 
Einiges  über  den  Endzweck  der  Weltschöpfung,  Nr.  1 ;  Bischof  Weber- 
Bonn:  Das  Dasein  Gottes,  Nr.  3;  Reusch-Bonn:  Die  Siebenzahl 
der  Sakramente,  Nr.  2,  und  Thesen  über  die  Inspiration  der 
hl.  Schrift,  Nr.  6;  Michaud-  Bern :  S.  Augustin  et  l'Eucharistie, 
Nr.  5;  La  Notion  de  TEglise  d'apres  S.  Augustin,  Nr.  8.  — 
Rein  kirchengeschichtliche  Arbeiten,  die  der  Union  dienen,  sind: 
Nikophoros  Kalogeras,  Erzbischof  von  Patras:  Die  Verhandlungen 
zwischen  der  orthodox-katholischen  Kirche  und  dem  Konzil  von 
Basel  über  die  Wiedervereinigung  der  Kirchen  (1433 — 1437), 
Nr.  1 ,  und :  Markos  Eugenikos  und  der  Kardinal  Bessarion  als 
politische  Führer  des  griechischen  Volkes,  Nr.  4;  Lias:  The 
Thirty-Nine  Articles,  Nr.  4,  und  Pnsey,  Nr.  7;  Croswell  -  Doane, 
Bishop  of  Albany:  The  position  of  the  XXXIX  articles  in  the 
Episcopal  Church  in  the  United  States  of  America,  Nr.  6.  — 
Die  Übersicht  über  die  also  für  die  Kirchengeschichte 
in  Betracht  kommenden  Arbeiten  zeigt,  dafs  das  Arbeitsfeld  ein 
grofses  ist,  die  angeführten  ^nfsätze  sind  indes  weitaus  nicht  der 
ganze  Inhalt  der  Internationalen  theol.  Zeitschrift.  So  will  ich 
nur  noch  e.  g.  die  Arbeiten  des  gelehrten  Bischofs  von  Salisbnry 
Johannes  Wordsworth  und  die  Studien  aus  der  holländisch- alt- 
katholischen und  armenischen  Kirche  erwähnen.  Die  Zeitschrift 
hat  jedenfalls  innerhalb  der  christlichen  Kirche  eine  grofse  auch 
praktische  Bedeutung  und  wird  sich  Verdienste  erwerben,  wenn  sie 
zumal  die  holländische  und  russisch-katholische  Theologie  aus  dem 
langen  Winterschlaf  auferweckt.  —  Über  die  Jahre  95 — 97  und  den 
gTofsen  Fortschritt,  den  die  teilweise  ihrem  glücklichen  Abschlufs 
nahen  Unionsbestrebungen  zwischen  Altkatholicismus  und  Orthodoxie 
gemacht  haben,  werde  ich  später  berichten.    Leopold  Karl  Goetz. 


594  NACHRICHTEN. 

19.  *Exx\r{otuoTixri  ldkr&tta,  Jahrgang  XIV,  S.  218 — 219. 
laxojpoq  Baoiudqg,  To  lr  PoiTigSafif]  avyiÜQtov  zur  riu).uto~ 
xofroXtx(Zv.  Ein  sachlicher  Bericht  über  den  jüngsten  Alt- 
katholikenkongrefs.  Meyer. 


Zur  alten  Kirchengeschichte. 

Voi* 

Franklin  Arnold,  Erwiu  Preuschen  r..  a. 


*  1.  Tiele,  C.  P. ,  Geschichte  der  Religion  im 
Altertum  bis  auf  Alexander  den  Grofsen.  Deutsche 
autorisierte  Ausgabe  von  G.  Gehrich.  I.  Band,  1.  Hälfte: 
Geschichte  der  ägyptischen  und  der  babylonisch  -  assyrischen  Re- 
ligion. Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1895.  (XII  und 
216  S.)  Mk.  4.  — .  Dafs  eine  Geschichte  der  Religion  im 
Altertum  eine  wichtige  Lücke  in  unserer  religionsgeschichtlichen 
Litteratur  ausfüllen  könnte,  unterliegt  keinem  Zweifel;  ebenso 
wenig,  dafs  der  Verfasser  vorstehender  Geschichte  seinen  Beruf 
dazu  durch  zahlreiche  Arbeiten  bekundet  hat.  Nur  das  dürfte 
sehr  fraglich  sein,  ob  der  gegenwärtige  Zeitpunkt  geeignet  er- 
scheint, mit  einer  solchen  umfassenden  Behandlung  ans  Licht  zu 
treten.  Nun  hat  zwar  der  Verfasser  S.  4  seine  Methode  er- 
örtert und  vorsichtige  Grenzlinien  gegenüber  der  Verwendung 
von  Hypothesen  auf  dem  Gebiete  der  Religionen  gezogen,  über 
die  man  nicht  als  Fachmann  orientiert  ist.  Er  hat  sich  daher 
auch  erfreulicherweise  bei  der  Darstellung  der  ägyptischen  Re- 
ligion von  den  luftigen  Konstruktionen  Brugschs  fern  gehalten. 
Aber  wie  sehr  gerade  hier  die  Forschung  ein  Neues  pflügen 
mufs,  ist  erst  jüngst  von  berufenster  Seite  an  hervorragender 
Stelle  betont  worden:  „Die  ägyptische  Religion  erschien  vordem 
so  verständlich  .  .  .  jetzt  sehen  wir  ein,  dafs  wir  besser  mit  un- 
serem Urteil  über  die  ägyptische  Religion  zurückhalten,  bis  wir 
ihre  Thatsachen  und  ihre  Geschichte  kennen;  nnd  wie  weit  wir 
davon  entfernt  sind,  zeigt  ons  jeder  Text"  (Erman,  Antrittsrede 
in  der  Berliner  Akademie,  8.  Sitz.-Ber.  d.  Berl.  Akad.  d.  Wiss. 
1895,  XXIII  [4.  Juli],  744).  Mit  der  assyrisch- babylonischen 
Religion  wird  es  nicht  viel  besser  stehen,  so  sehr  sich  freilich 


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NACHRICHTEN, 


595 


die  Assyriologen  das  Gefühl  der  Sicherheit  bei  ihren  Behauptungen 
zu  geben  wissen.  Den  Wert  einer  abschliefsenden  Zusammen- 
fassung der  alten  Religionsgeschichte  möchte  somit  das  Werk 
nicht  haben.  Dem,  der  sich  Ober  den  gegenwärtigen  Stand  be- 
quem und  zuverlässig  orientieren  möchte,  kann  es  bestens  em- 
pfohlen werden. 

*  2.    Seeck,  0.,  Geschichte  des  Untergangs  der 
antiken  Welt    1.  Band  und  Anhang  zum  1.  Band.  Berlin, 
Siemenroth  &  Worms,  1895.    (X  u.  404  S.;  IV  u.  S.  405  bis 
551.)    Mk.  6  —  u.  Mk.  2.50.    Es  ist  mit  hoher  Freude  zu 
begrüfsen,  dafs  Seeck,  schon  lange  als  einer  der  besten  Kenner 
der  römischen  Kaiserzeit  bekannt,  nun  daran  gegangen  ist,  den 
Ertrag  seiner  Arbeiten  in  einer  grofs  angelegten  Geschichte  des 
Untergangs  der  Antike  znsammenzufassen.  Es  hat  dieser  Disziplin 
zwar  bis  in  die  neueste  Zeit  nicht  an  Bearbeitern  gefehlt ;  aber  sie 
hat  darunter  gelitten,  dafs  sie  entweder  Apologeten  oder  dem 
Gegenteil  von  solchen  in  die  Hände  gefallen  ist.    Um  so  dank- 
barer darf  man  sein,  dafs  nun  G.  Boissier  in  Deutschland  ein 
—  man  darf  mit  Genngthuung  sagen,  überlegener  —  Neben- 
buhler erstanden  ist.    Der  vorliegende  Band  erzählt  im  ersten 
Buch  in  fünf  Kapiteln  „die  Anfange  Konstantins  des  Grofsen" 
bis  zur  Unterwerfung  des  Licinius  und  der  Herstellung  der  Reichs- 
einheit.   Das  zweite  Buch  „Der  Verfall  der  antiken  Welt"  geht 
den  Faktoren  dieses  Verfalles  nach  (Germanen,  Verfall  des  Heeres, 
Untergang  der  freien  selbständigen  Persönlichkeiten  im  öffent- 
lichen Leben,  Sklavenwirtschaft,  Entvölkerung  und  Eindringen  der 
barbarischen  Elemente  ins  Reich).    Seeck  denkt  von  Konstantin, 
wie  dessen  neuester  Biograph,  Flasch,  sehr  hoch.    Er  war  nach 
seiner  Ansicht  nicht  der  vorsichtige,  kalt  berechnende  Politiker, 
der  jedes  Mittel  sich  zunutze  macht,  um  eine  Stellung  zu  ge- 
winnen und  sich  in  ihr  dauernd  zu  befestigen.  Wenn  es  schliefs- 
lich  dahin  kam,  dafs  durch  ihn  das  von  Diokletian  ersonnene 
System  der  Reichsregierung  zusammenstürzte,  und  er  in  seiner 
Person  die  Regierungseinheit  wiederherstellte,  so  war  diese  Rolle 
ihm  von  den  Verbältnissen  aufgezwungen,  nicht  freiwillig  von  ihm 
übernommen  und  mit  kluger  Ausnutzung  der  Lage  durchgeführt 
worden.    Von  dieser  Gesamtauffassung  des  Charakters  Konstan- 
tins aus  urteilt  Seeck  auch  anders  über  seine  Stellung  zum 
Christentum.    Den  Traum  vor  der  Schlacht  am  Ponte  Molle  hält 
Seeck  für  nicht  unwahrscheinlich  und  sucht  ihn  psychologisch 
begreiflich  zu  machen.    Die  Folge  seines  Sieges  war  dann  die 
Obermacht  des  Chriatengottes,  die  bei  der  dauernden  Gunst  seines 
Sternes  in  ihm  nur  befestigt  werden  mufste.    Es  war  also  nicht 
politische  Berechnung,  was  Konstantin  dem  Christentum  günstig 
machte,  sondern  reine  Begeisterung,  wie  sie  seinem  lebhaften, 


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596 


NACHRICHTEN. 


feurigen  Naturell  entsprach.  Dafs  Konstantin  freilich  weit  davon 
entfernt  war,  ein  Musterchrist  zu  sein,  verhehlt  auch  Seeck  keines- 
wegs. Das  Buch  fesselt  in  hohem  Grade  durch  seine  glänzende 
Darstellung ;  es  war  ein  sehr  glücklicher  Gedanke,  dafs  Seeck  das 
gelehrte  Material  in  einen  besonderen  Band  verwiesen  hat;  onr 
sollte  das  Register  nicht  hier,  sondern  im  ersten  Bande  stehen. 
Der  Fortsetzung,  die  hoffentlich  nicht  lang  auf  sich  warten  läjfst, 
darf  man  mit  Spannung  entgegensehen.  [Vgl.  K.  J.  Neumann 
im  Lit.  Centr.  Bl.  1895,  Nr.  19,  688—690.] 

*  3.  Einen  Ausschnitt  aus  der  Geschichte  des  Verfalles  des 
römischen  Beiches  behandelt  das  Buch  von  M.  Baumgarten, 
L.  Annaeus  Seneca  und  das  Christentum  in  der  tief  ge- 
sunkenen antiken  Weltzeit  (Rostock,  W.  Werther,  1895.  VIII 
u.  368  S.).  Wie  das,  mit  St  unterzeichnete  Vorwort  bemerkt, 
ist  die  vorliegende  Schrift  die  „summarische  aber  doch  wort- 
getreue Wiedergabe  eines  sehr  umfangreichen  Manuskripts".  An 
einzelnen  Stellen  mag  durch  diese  Umarbeitung  eine  Unklarheit 
im  Ausdruck  verschuldet  sein,  und  nur  allzu  zahlreiche  Fehler  in 
den  Citaten  dürften  hier  ihre  Quelle  haben.  Der  Titel  ist  zu 
eng.  Das  Werk  enthalt  im  Grunde  eine  Apologie  des  Christen- 
tums auf  historischer  Grundlage,  wie  sie  etwa  auch  Tzschirner 
vorgeschwebt  haben  wird.  Seneca,  der  nach  seinen  Licht-  und 
Schattenseiten  geschildert  wird  (Kap.  2  u.  3),  ist  für  Baumgarten 
nnr  ein  Repräsentant  der  gegen  die  dämonischen  Mächte  des 
Heidentums,  die  „zwei  sakrilegischen  Lügen",  d.  h.  die  Menschen- 
vergötterung im  Cäsarenkult  und  die  Unsittlichkeit  (Kap.  4)  ver- 
geblich kämpfenden  Philosophie.  Diese  Mächte,  die  das  Heiden- 
tom zu  Falle  bringen,  werden  überwunden  durch  die  sittlichen 
Kräfte  des  Christentums  (Kap.  6  u.  7).  Das  Urteil  Über  Seneca 
sucht  Einseitigkeit  im  Loben  und  Verdammen  zu  vermeiden.  Ein 
Genie  war  Seneca  gewifs  nicht,  und  was  ihm  von  originellen 
Gedanken  von  Baurogarten  zugesprochen  wird,  ist  ein  Erbteil  der 
stoischen  Schule  von  Posidonius  her.  Der  Widerspruch  zwischen 
Wort  und  Leben  wird  begreiflich  in  einer  Umgebung  von  Sklaven 
und  schranzenden  Excellenzen,  in  der  auch  der  Philosoph  zum 
Lakaien  wurde;  und  Seneca  war  keiner  der  schlechtesten  von 
ihnen.  Das  „christliche"  in  seinen  Schriften  erklärt  sich  aus 
den  geistigen  Spannungen  seiner  Zeit,  dem,  was  Georgii  die 
„Philosophie  des  Weltreiches"  nannte.  —  Das  Buch  von  Baum- 
garten beruht  auf  umfangreichen  Studien  und  ist  von  hohem  sitt- 
lichen Ernste  getragen.  Eine  leichte  Lektüre  ist  es  nicht;  aber 
ohne  Anregung  wird  es  niemand  aus  der  Hand  legen.  (Vgl. 
S.  Deutsch,  Theol.  Lit.-Ztg.  1895,  Nr.  24,  619—621.) 

*  4.  Eine  vor  einem  halben  Jahrhundert  im  Mittelpunkt  der 
Erörterungen  über  die  alte  Kirchengeschichte  stehende  und  seit- 


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NACH  NICHTEN. 


597 


dem  fast  ganz  brach  liegende  Frage  behandeln  die  Vorlesungen 
des  verstorbenen,  unvergessenen  F.  J.  A.  Hort,  Jndaistic 
Chri8tianity  (Cambridge  and  London,  Macmillan  &  Co.,  1H94. 
VII  and  222  p).  Die  zwölf  von  J.  0.  F.  Murray  zum  Druck 
gebrachten  Vorlesungen  sind,  wie  man  wohl  ans  einer  Notiz 
Uber  Weizsäckers  Apostolisches  Zeitalter  (S.  11)  schliefsen  darf, 
im  Jahre  1888  gehalten.  Die  seit  dieser  Zeit  geführten  De- 
batten konnten  also  nicht  mehr  berücksichtigt  werden,  wie  auch 
Weizsäckers  Werk  nicht  benutzt  ist.  Aber  auch  so  mufste 
sich ,  dem  Zweck  der  Vorlesungen  entsprechend  die  Ausein- 
andersetzung mit  abweichenden  Ansichten  auf  ein  Minimum  be- 
schränken. Eine  Bearbeitung  aller  in  Frage  kommenden  Pro- 
bleme bietet  das  Buch  nicht,  wohl  aber  eine  knappe,  auf  ge- 
nauer Kenntnis  der  Quellen  beruhende,  in  der  Anwendung  der 
Kritik  sehr  vorsichtige  Darstellung  des  Entwickelungsganges  des 
Judenchristentums  bis  zur  Zeit  der  Pseudodemenzen ,  über  die 
uns  eine  besondere  Schrift  (ebenfalls  Vorlesungen)  Horts  in  Aus- 
sicht gestellt  wird.  Dieser  Stoff  ist  fogendermafsen  verteilt: 
nach  der  Begriff,  Methode,  Disposition  und  Litteratur  behandeln- 
den Einleitung  (I)  folgt  eine  Erörterung  über  die  Stellung  Jesu 
zum  Gesetz  (II),  eine  Schilderung  der  ältesten  Jerusalemer  Ge- 
meinde (III),  sowie  der  Gemeinde  von  Antiochien  (Apostelkonzil, 
Streit  des  Paulus  mit  Petrus)  (IV).  Der  selbständigen  Wirksamkeit 
Pauli  ist  die  V.  Vorlesung  gewidmet,  die  VI.  seiner  Gefangenschaft 
und  den  aus  ihr  stammenden  Briefen.  Die  folgenden  Vorlesungen 
behandeln:  Pastoralbriefe  (VII),  Jakobusbrief,  Petrusbrief,  Hebräer- 
brief, Apokalypse  (VIII),  die  Geschichte  der  Jerusalemer  Gemeinde 
bis  auf  Hadrian  (Hegesippns)  (IX),  die  Judaisten  der  Ignatius- 
briefe (X),  Korinth,  Barnabas,  Justin  d.  M.  (XI),  die  Judaisten 
von  Palästina  (XII). 

*  5.  Den  Styliten  hat  der  gelehrte  Direktor  der  Bollandisten, 
Hippolyte  Delahaye,  eine  interessante  Studie  gewidmet  („Les 
Sty  1  i tes "  Compte  rendu  du  3e  congres  seien tifique  international 
des  Catholiques  tenu  ä  Bruxelles  du  3  au  8  Sept.  1894.  Bru- 
xelles,  Polleunis  et  Ceuterick  impr,  1895.  p.  191  —  232;  auch 
separat  44  p.).  Man  findet  hier  aufser  einer  sorgfaltigen  Zu- 
sammenstellung der  namentlich  genannten  Styliten,  zum  Teil  nach 
ungedruckten  Materialien,  u.  a.  den  Nachweis,  dafs  das  Styliten- 
tum  keine  vereinzelte  Ausgeburt  einer  unnatürlich  gesteigerten 
asketischen  Stimmung  war,  sondern  dafs  es  gleichsam  einen  Or- 
den der  Styliten  gab,  der  sogar  eine  Art  von  Ritual  der  Sty- 
litenweihe (mit  dem  Evangelium  Lukas  20)  besafs.  Wie  Dela- 
haye zeigt,  florierte  das  Stylitentum  noch  im  12.  Jahrhundert. 
Wann  es  aus  der  Geschichte  verschwand,  läfst  sich  nicht  mehr 
ermitteln. 


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508 


NACIIKICIITEN. 


*  6.  Bardenhewer,  Otto.  Patrologie.  Freibarg  i.  Br. 
Herder  1894.  X  u.  635  S.  Mk.  8.  Geb.  Mk.  10.  —  Der  Ver- 
fasser hatte  ursprünglich  die  Bearbeitung  der  in  demselben  Ver- 
lage erschienenen  Alzogschen  Patrologie  übernommen.  Da  eich 
der  Durchführung  dieses  Auftrages  Hindernisse  in  den  Weg  stell- 
ten, unternahm  er,  sobald  er  in  der  Lage  war,  die  Ausarbeitung 
eines  völlig  neuen  Buches.  Man  wird  das  nicht  beklagen.  Der 
Verfasser  war  auf  diese  Weise  viel  besser  in  den  Stand  gesetzt, 
seine  ausgebreitete  Gelehrsamkeit,  sein  feines  Urteil  zur  Geltung 
zu  bringen.  Er  definiert  seine  Aufgabe  selbst  dahin,  dafs  er  „in 
möglichst  knapper  und  übersichtlicher  Form  den  gegenwartigen 
Stand  patrologischen  Wissens  und  Forschens  zur  Darstellung" 
bringen,  „und  zugleich  durch  Vorführung  der  jedesmaligen  Li- 
teratur zu  weiterem  Eindringen  in  Einzelfragen"  anregen  wolle. 
Das  ist  ihm  vortrefflich  gelungen.  Sein  Buch  orientiert  in  knapper 
und  zuverlässiger  Weise  über  den  augenblicklichen  Stand,  d.  h. 
natürlich  bis  zum  Jahre  1894,  seit  welcher  Zeit  allerdings  wieder 
neue,  wichtige  Untersuchungen,  z.  B.  Über  Novatian  und  Sixtus 
erschienen  sind.  Auf  Einzelheiten  einzugehen  vorbietet  an  diesem 
Orte  der  Raum.  Nur  das  sei  beiläufig  bemerkt,  dafs  Barden- 
hewer in  dem  von  Tertullian  in  de  pudic.  bekämpften  Gegner 
den  Bischof  Zephvrin  sieht  (S.  53.  133.  138).  Zwar  führt  S.  138 
als  Litteratur  Harnack  (Altchr.  Lit.-Gesch.  1,  603  ff.)  und  Bolffs 
an.  Das  deckt  sich  aber  doch  nicht  mit  seiner  Auffassung,  und 
zur  Vermeidung  eines  Irrtums  wäre  in  der  Anmerkung  zu  sagen 
gewesen,  dafs  man  das  sogen.  Bufsedikt  neuerdings  gewöhnlich 
dem  Bischof  Kallist  zuschreibe.  Es  wäre  übrigens  interessant, 
die  Gründe  zu  hören,  die  Bardenhewer  veranlafsten,  von  der  jetzt 
herkömmlichen  Annahme,  die  meines  Erachtens  bewiesen  ist,  ab- 
zuweichen. Allein  selbst  solcher  Kleinigkeiten  wird  man  nicht  viel 
auszusetzen  finden.  Das  einzige,  was  man  bedanern  kann,  ist,  dafs 
der  Verfasser  keiuen  Versuch  gemacht  hat,  eine  christliche  Lit- 
terat u rg-esch ich t e  im  höheren  Sinne  zu  schreiben.  Er  teilt  den 
Stoff  in  drei  Zeiträume,  den  ersten  mit  dem  Beginne  des  4.  Jahr- 
hunderts, den  zweiten  mit  der  Mitte  des  5.  Jahrhunderts,  den 
dritten  mit  dem  Ende  der  patristischen  Zeit  abgrenzend.  Inner- 
halb dieser  Zeiträume  werden  nur  die  Sprachgebiete  unterschieden, 
im  ersten  Griechisches  und  Lateinisches,  im  zweiten  Griechisches, 
Syrisches,  Lateinisches,  im  dritten  Griechisches,  Armenisches,  La- 
teinisches. Ein  solches  Verfahren  hat  für  ein  Nachschlagebuch 
seine  unzweifelhaften  Vorteile;  aber  das  vorliegende  Werk  ledig- 
lich als  ein  solches  anzusehen,  würde  ein  Unrecht  gegen  es  be- 
deuten. Eine  Entschuldigung  hat  der  Verfasser  freilich  darin, 
dafs  er  nur  die  herkömmliche  Art,  Patristik  darzustellen,  befolgt 
hat.  —  In  den  Dank  teilt  sich  mit  dem  Verfasser  C.  Weyman, 


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NACHRICHTEN. 


599 


dessen  ausgezeichnete  Kenntnis  der  Kirchenväter  dieser  Patrologie 
zugute  gekommen  ist.  Preuschen. 

*  ?•  Lehrbuch  der  Dogmengeschichte  von  Adolf 
Uarnack.  Erster  Band:  Die  Entstehung  des  kirchlichen  Dogmas. 
Dritte  verbesserte  und  vermehrte  Auflage.  Freiburg  i.  Br.  1894 
(VIII  und  799  S.).  Zweiter  Band:  Die  Entwickelung  des  kirch- 
lichen Dogmas  I.  Dritte  verbesserte  und  vermehrte  Auflage. 
Freiburg  i.  Br.  1894  (XV  und  483  S.).  Von  stilistischen  Än- 
derungen abgesehen,  hat  der  Verfasser  sein  Lehrbuch  umgear- 
beitet, indem  er  die  in  den  Jahren  1888(1887)  —  1893  publi- 
zierten Ergebnisse  eigener  und  fremder  Forschungen  dogmengeschicht- 
lich verwertet,  zutage  getretene  Mißverständnisse  beseitigt  und 
seine  Abweichung  von  neuerdings  vorgetragenen  Theorieen  be- 
gründet. Er  halt  I,  S.  64  mit  der  Zustimmung  zu  Spittas  Ansiebt 
von  dem  ursprünglichen  Sinn  des  h.  Abendmahls  zurück,  stellt 
S.  148  f.  unter  Polemik  gegen  die  Zahnsche  Hypothese  eine  eigene 
über  die  Symbolbildung  vor  dem  römischen  Symbol  auf,  lehnt 
S.  205  die  Sohmsche  Auffassung  von  der  epochemachenden  Be- 
deutung des  ersten  Clemensbriefes  ab,  bekämpft  den  Grundgedan- 
ken des  Sohmschen  „ Kircheurechts "  als  „ wiedertäuferisch"  und 
entscheidet  sich  II,  157  gegen  Dräseke  für  die  athanasianische 
Herkunft  der  Schriften  „Gegen  die  Hellenen"  und  „Von  der 
Menschwerdung  des  Logos".  —  Noch  bedeutungsvoller  sind  die 
Zusätze,  in  denen  sich  Harnack  über  die  eschatologisebe  und 
weltflüchtige  Richtung  im  Urchristentum  ausspricht:  I,  S.  56  über 
das  Eschatologisebe  im  Evangelium  Jesu  Christi  nach  seinem  Selbst- 
zeugnis; S.  71  —  73  über  die  Frage,  ob  nicht  das  Evangelium 
mit  jenen  Elementen  so  verknüpft  sei,  dafs  es  um  sein  Wesen 
gebracht  werde,  wo  diese  wegfallen,  vgl.  S.  133  über  den  Chilias- 
mus.  Ferner  ist  als  neu  hervorzuheben  S.  96  über  die  jungfräuliche 
Geburt,  S.  136  Über  die  Dunkelheit  der  Periode  von  ca.  61 
n.  Chr.  bis  zur  Regierungszeit  Trajans,  S.  209  f.  über  die  Theo- 
logie des  Ignatius,  S.  217  über  den  platonischen  Geist  im  Gno- 
sticismus,  S.  230  die  Charakteristik  verschiedener  Gnostiker, 
S.  240  f.  über  die  Unterschiede  zwischen  dem  gnostischen  und 
dem  gemein-kirchlichen  Christentum,  S.  295 f.  über  den  antipla- 
tonischen stoischen  Rationalismus  der  pseudoclementinischen  Schrif- 
ten, S.  453  über  den  Sturz  des  Paul  von  Samosata  als  einen 
Sieg  römischer  Kircheneigentümlicbkeit  in  Antiochien,  S.  338  die 
Grundsätze  für  die  Kritik  des  Neuen  Testaments,  S.  348  Über 
die  Apostelgeschichte ,  die  nur  im  Hinblick  auf  den  Kauon  eine 
junge  Schrift  zu  nennen  sei:  „an  sich  ist  die  Schrift  alt  und 
größtenteils  zuverlässig",  S.  500  über  Justin  als  Vorläufer  des 
Irenaus  und  des  Melito,  S.  763  über  das  Verhältnis  von  Joh  3,  16 


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600 


NACHRICHTEN 


zu  Phil.  2,  5  ff.  und  über  den  normalen  Charakter  der  johannei- 
schen  Christologie  im  Gegensatz  zur  kirchlich-dogmatischen.  — 
Methodologisch  und  prinzipiell  wichtig  sind  endlich  die  Erörte- 
rungen über  den  dreilachen  Gebrauch  des  Wortes  „Dogma",  über 
den  doppelten  des  Wortes  „Dogmatik",  sowie  die  Abweisung  der 
Forderung  eines  undogmatischen  Christentums  S.  21  f. 

Arnold. 

*  8.  Bibliotheca  hagiographica  Graeca  seu  elenchus  ri- 
tarum  sanctorum  Graece  typis  impressarnm  ed.  Hagiographi  Bol- 
landiani.  Bruxellis,  ap.  editores  1895  (XII  et  143  p).  —  Einen 
vortrefflichen  Wegweiser  durch  die  griechischen  Heiligenlegenden 
haben  die  Bollandisten  mit  obigem  Werkeben  geliefert,  das  in 
alphabetischer  Reihenfolge  die  bis  jetzt  gedruckten  Heiligenviten 
mit  Angabe  der  Fundorte  und  der  den  Drucken  zugrunde  geleg- 
ten Handschriften  enthält.  Wer  auf  grösseren  Bibliotheken  die 
hagiographischen  Handschriften  durchsucht,  wird  an  dieser  biblio- 
theca ein  unentbehrliches  Hilfsmittel  haben.  Dafs  nicht  genauer 
bezeichnete  Handschriften  nicht  identifiziert  worden,  und  dafs  bei 
den  Parisern  vielfach  die  alten  Nummern  angegeben  sind,  wird 
man  bedauern.  Aber  es  wäre  unbillig,  der  fleifsigen  Arbeit  des- 
wegen einen  Vorwurf  zu  machen.  (Vgl.  H.  üsener,  Deutsche 
Lit.-Zeitg.  1894,  46,  1443—1446.  Ph.  Meyer,  Theol.  Lit.-Ztg. 
1895,  4,  108—110.) 

*  9.  Einen  Teil  des  Ertrages  einer  Studienreise  nach  Italien 
legt  E.  Klostermann  in  seinen  Analecta  zur  Se  ptuaginta, 
Hexapla  und  Patristik  (Leipzig,  Deicbert,  1895.  VIII  und 
128  S.  Mk.  3.—)  vor.  Der  erste  Abschnitt  (Analecta  zur  Sep- 
tuaginta)  zeigt,  was  schon  lange  kein  Geheimnis  mehr  war,  wie 
wenig  Verlafs  im  allgemeinen  auf  die  Kollationen  der  Handschrif- 
ten bei  Holmes  und  Parsons  ist  Da  eine  neue  kritische  Sep- 
tuagintaausgabe  nach  dem  Muster  von  Holmes  in  England  geplant 
ist,  wird  man  sich  hoffentlich  diese  Nachweise  zur  Warnung  die- 
nen lassen.  Es  kommt  doch  wahrlich  nicht  daranf  an,  ein  paar 
Uncialen  genau  zu  vergleichen,  sondern  darauf,  über  die  verschie- 
denen Gruppen  zuverlässige  Kunde  zu  erhalten.  Ein  Anhang  ver- 
zeichnet die  stichometrisclien  Notizen,  die  sich  in  elf  Handschrif- 
ten fanden.  Der  zweite  Abschnitt  (Analecta  zur  Hexapla)  giebt 
Materialien  zur  Vermehrung  der  hexaplarischen  Überlieferung  von 
Hab.  3,  1  Sam.  1  — 14  und  Hiob.  Teil  III  (Analecta  zur  Pa- 
tristik) beschäftigt  sich  mit  der  unter  Athanasius  und  Chrysosto- 
mus  Namen  stehenden  Synopse,  und  giebt  ausführliche  Mitteilungen 
aus  dem  Cod.  Barb.  III,  36  sc.  XI.  Die  auf  die  Exodus,  Threni, 
Daniel,  Markus,  epp.  Pauli  bezüglichen  Stücke,  sowie  die  Über- 
sicht über  die  biblischen  Bücher  druckt  Klostermann  in  extenso 


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NACHRICHTEN. 


601 


ab.  Aus  einer  Analyse  der  Athanasius-  und  Cbrysostomustexte 
glaubt  Klostermann  schliefsen  zu  dürfen,  dafs  es  sich  ursprüng- 
lich um  zwei  verschiedene,  jetzt  nirgends  mehr  in  ihrer  originalen 
Form  vorliegende  Schriften  handele,  deren  Texte  sich  später  gegen- 
seitig beeinflnfst  haben.  Mit  seiner  Forderung,  dafs  man  an  eine 
Lösung  der  Frage  nicht  eher  herangehen  dürfe,  als  bis  die  Texte 
besser  bekannt  sind,  ist  Klo6termann  durchaus  im  Rechte.  Man 
wird  einen  Schritt  weiterkommen,  wenn  Corsseus  Untersuchung 
über  die  lateinischen  Evangelienprologe  vorliegt,  an  die  Kloster- 
mann nicht  gedacht  zu  haben  scheint.  Im  Anhang  zu  diesem 
Teil  druckt  Klostermann  die  Danielapokalypse  nach  zwei  Vene- 
diger und  zwei  Pariser  Handschriften  ab,  dazu  nach  Venet.  VII,  3 
drei  weitere  apokryphe  Stücke.  Preuschen. 

*  10*  Zö ekler s  Biblische  und  kirchenhistorische  Studien 
(München,  Beckgehe  Buchhandlung)  wollen  eine  Reibe  solcher 
auf  dem  einschlägigen  Gebiet  liegender  Probleme  behandeln,  welche 
ein  aktuelles  Interesse  bieten.  Die  fünf  Hefte  sind  sowohl  einzeln 
wie  in  einen  Sammel band  vereinigt  zu  haben.  Krstes  Heft:  Zum 
Apostolikumstreit.  Gedanken  und  Untersuchungen  insbesondere 
aus  Anlafs  der  Schriften  von  A.  Harnack  und  F.  Kattenbusch 
(85  S.)  1  Mk.  60  Pf.  Die  zwölfgliedrige  Gestalt  des  Symbols 
ist  nachnieänisch ;  ursprünglich  war  es  dreigliedrig,  seiner  Her- 
kunft aus  Christi  Tauf  befehl  gemäfs.  Die  vornieänischen  Kirchen- 
väter erkennen  in  ihrer  Mehrzahl  den  hypostatischeu  Charakter 
des  h.  Geistes  an.  Die  „communio  sanetorum"  wurde  ursprüng- 
lich nicht  vom  Heiligenkult  verstanden.  „Catholicam"  stammt 
nicht  aus  dem  Cyprianschen  Kirchenbegriff,  sondern  ist  orienta- 
lischen Ursprungs.  Der  descensus  Christi  ist  biblisch  begründet. 
In  gewissem  Sinne  ist  das  Apostolikum  ökumenisch  zu  nennen 
(Epistola  Flaviana.  Quinisextum).  Zweites  Heft:  Diakonen 
und  Evangelisten.  Zur  Entwickelung  der  Kirchen-  und  Gemeinde- 
ämter im  Urchristentum.  Mit  besonderer  Rücksicht  auf  Sohms 
Kirchenrecht  I  (170  S.)  Mk.  1.  80.  Das  Amt  der  Presbyter  ist 
entstanden  aus  der  Stellung,  welche  die  Häupter  der  Hausgemein- 
den innehatten.  Die  Hausväter  und  Hausbesitzer  überwachten 
den  bei  ihnen  gehaltenen  Gottesdienst  und  übten  Gemeindedis- 
ziplin. Das  Diakonenamt  hat  sich  aus  den  Befugnissen  der  Sie- 
ben (Actor.  6)  entwickelt  und  ist  nicht  spezifisch  römischer  Her- 
kunft (vgl.  Iren.  I,  26,  3).  Der  Episkopat  ist  unmittelbar  apo- 
stolischen Ursprungs.  Drittes  Heft:  Das  Lehrstück  von  den 
sieben  Hauptsunden.  Beitrag  zur  Dogmen-  und  Sittengeschichte, 
insbesondere  der  reformatorischen  Zeit  (118  S.).  Mk.  2.  40. 
Viertes  Heft:  Evagxius  Pontikus.  Seine  Stellung  in  der  alt- 
christlichen Litteratur-  und  Dogmengeschichte  (126  S.).    Mk.  2 


C02 


NACHRICHTEN 


Tertullian  adv.  Marcion.  IV,  9  redet  bei  Gelegenheit  des  sieben- 
maligen Untertaachens  Naemans  im  Jordan  zum  erstenmal  von 
septem  maculae  capitalium  delictorum,  bietet  aber  noch  nicht  das 
spätere  Schema.  Urheber  des  Kataloges  der  7  (8)  Laster  ist 
Evagrius  Ponticus  (t  ca.  400),  der  nach  Gennadius  de  vir.  ill. 
c.  11  „octo  principalium  vitiorum  suggestiones  ant  primns  advertit 
aut  inter  primos  didicit".  8ein  Antirrhetikos  führte  anch  den 
Titel  „Über  die  acht  Lastergedanken".  Das  Schema  ist,  wie  es 
scheint,  auf  stoischen  Einflufs  zurückzuführen.  Nilus  und  Johan- 
nes Cassianus  de  inst,  coenob.  V-XII  haben  es  aufgenommen 
und  zum  Teil  mit  Deuter.  7 ,  1  motiviert.  Im  augustinischen 
Sinne  wird  es  von  Cäsarius  Arelatensis  u  in  gebildet  und  von  Gre- 
gor d.  Gr.  tradiert.  Zöckler  verfolgt  die  Lehre  durch  die  Scho- 
lastik (Bonaventura  S.  75  f.)  bis  zur  jesuitischen  Moraltbeologie. 
Das  vierte  Heft  erörtert  Lebenslauf  und  Schrifts teilerei  des  Eva- 
grius Ponticus.  Ein  Anhang  von  D.  F.  Baethgen  bietet  eine 
Übersetzung  von  Evagrius'  grösserer  Schrift  über  die  acht  Laster- 
gedanken, aus  einem  zu  Berlin  bruchstückweise  erhaltenen  syri- 
schen Text  (vgl.  Dräseke,  Zu  Evagrios  Pontikos  Z.  f.  w.  Th.  1894, 
S.  125—137;  Preuschen,  Th.  L.  Z.  1894,  S.  484—488;  Krö- 
ger, Theol.  Jahreaber.  XIII,  195). 

*  11.  Analecta.  Kürzere  Texte  zur  Geschichte  der  alten 
Kirche  und  des  Kanons  zusammengestellt  von  Erwin  Preuschen 
(Sammlung  ausgewählter  kirchen-  und  dogmengeschichtlicher  Quellen- 
schriften als  Grundlage  für  Seminarübungen,  herausgegeben  unter 
Leitung  von  D.  G.  Krüger,  achtes  Heft),  Freiburg  i.  Br.  1893 
(Xn  und  185  S )  Mk.  3.  Eine  Sammlung  der  hauptsächlichsten 
Quellenstellen  zur  Geschichte  der  Christenverfolgungen  und  zur 
Geschichte  des  Kanons  ist  ein  dankenswertes  Unternehmen.  Die 
vorliegenden  Analecta  können  beim  Privatstudium  gute  Dienste 
leisten  und  sind  auch  für  Seminarübungen  zu  empfehlen,  wenn 
die  Leiter  derselben  zu  Anfang  die  allerdings  nicht  unerheblichen 
Versehen  austilgen  lassen,  auf  welche  Haufsleiter  im  Theol.  Lit- 
teraturblatt  1894,  S.  75  ff.,  Lüdemann  im  Theol.  Jahresber.  XIII, 
153  und  Lauchert  in  der  Internationalen  Theol.  Zeitschrift  II 
(1894),  S.  356—358  hingewiesen  haben. 

*  1 2.  ThebookofEnoch  translated  from  Professor  Dill- 
manns Ethiopic  text,  emended  and  revised  in  accordance  with 
hitherto  uncollated  Ethiopic  Mss.  and  with  the  Gizeh  and  other 
greek  and  latin  fragments,  which  are  here  published  in  füll,  edited 
with  introduction,  notes,  appendices  and  indices  bj  B.  H.  Charles 
M.  A.  Trinity  College,  and  Exeter  College,  Oxford.  Oxford,  Clarendon 
press  1893  (XIII,  391  S.).  Die  hier  gebotene  Übersetzung  basiert 
an  etwa  600  Stellen  auf  einem  Text,  der  von  dem  Dillmannschen 
abweicht  Der  Gebrauch  dieses  Buches  ist  dadurch  unbequem,  dafs 


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NACHRICHTEN. 


603 


dem  Verfasser  im  Verlaof  des  Druckes,  besonders  durch  die  in- 
zwischen eingetretene  Publikation  der  Handschrift  von  Qizeb,  die 
Vorzüge  der  Manuskripte  des  Britischen  Museums  immer  einleuch- 
tender wurden.  Charles  unterscheidet  folgende  Bestandteile:  1)  Kap. 
I — XXXVI,  geschrieben  vor  170  v.  Chr.,  prophetischen  Charakters, 
verwandt  mit  Jes.  65  und  66.  —  2)  Kap.  LXXXIII— XC,  geschrie- 
ben ca.  166 — 161  v.  Chr.  unter  dem  Eindruck  der  Kriegserfolge 
des  Judas  Maccabäus.  —  3)  Kap.  XCI— CIV  geschrieben  ca.  134  — 
94  v.  Chr.,  transcendental  und  spiritualisierend.  —  4)  Die  Si- 
militudines  Kap.  XXXVII— LXX,  geschrieben  zwischen  94—64 
v.  Chr.,  mit  einer  von  dem  dritten  Teil  gänzlich  abweichenden 
Tendenz.  Hier  spiegeln  sich  die  wechselnden  Beziehungen  zwi- 
schen den  Hasmonaern  und  den  Chasidäern  ab.  —  5)  Das  Buch 
von  der  Himmelswelt  Kap.  LXXII  —  LXXIX  und  LXXXII,  aus 
ungewisser  Zeit.  —  6)  Interpolationen  aus  der  Offenbarung  Noahs 
u.  8.  w.,  einverleibt  in  vorchristlicher  Zeit.  Die  Einleitungen, 
Anmerkungen  und  Exkurse  bieten  reichlichstes  Studienmaterial. 
Der  Verfasser  stellt  ein  Werk  Ober  die  vorchristlichste  apokry- 
phische  Eschatologie  in  Aussicht  Arnold. 

*  13.  Das  zuerst  von  Dillmann  1859  äthiopisch  nach  zwei 
jungen  Handschriften  edierte  Buch  der  Jubiläen  (vgl.  dessen 
vorher  in  Ewalds  Jahrbb.  1841  f.  erschienene  deutsche  Übersetzung) 
hat  B.  A.  Charles  nach  zwei  älteren  Handschriften,  einer  Pa- 
riser aus  dem  15.  und  einer  Londoner  aus  dem  1 6.  Jahrhundert 
mit  Berücksichtigung  der  bereits  von  Dillmann  benutzten  und  des 
übrigen  textkritischen  Materials,  der  griechischen  Fragmente,  des 
kleinen  syrischen  Excerptes  und  der  alten  lateinischen  Obersetzung 
herausgegeben.  Seine  Ausgabe  ist,  wie  Praetorius  zeigt  (TbeoL 
Lit-Zeitg.  1895,  24,  613—616)  nicht  von  Willkürlichkeiten  frei. 
Eine  neue  Übersetzung  wäre,  da  die  Dillmannsche  nicht  mehr 
genügt,  recht  wünschenswert.  Peuschen. 

*  14.  xVAAMOl  lO^OMÜNTOZ.  Die  Psalmen  Salo- 
mos  zum  erstenmale  mit  Benutzung  der  Athoshandscbriften  und 
des  codex  Casanatensis  herausgegeben  von  Oscar  von  Geb- 
hardt (Texte  und  Untersuchungen  zur  Gesch.  der  altchristlichen 
Litteratur,  hsgg.  von  0.  v.  Gebhardt  und  Ad.  Harnack,  13.  Band, 
Heft  2),  Leipzig  1895.  VI  u.  151  8.  (Mk.  5).  Von  den  Psal- 
men Salomes  darf  jetzt  als  ausgemacht  gelten,  dafs  sie  „  die  authen- 
tische Quelle  für  den  Charakter  des  Gegensatzes  zwischen  Phari- 
säern und  Sadducäern"  bieten  (vgl.  Wellhausen,  Israelit,  und  jüd. 
Gesch.  S.  249).  Die  Verherrlichung  des  Xgtat'g  xvgiov  am 
Schluß  des  Psalters  (18,  7.  —  17,  32)  erklärt  es  genugsam, 
dafs  das  Buch  in  christlichen  Kreisen  geschätzt  wurde.    In  dem 


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604 


NACHKICHTKX. 


ersten  Jahrtausend  unserer  Zeitrechnung  läfst  sich  sogar  eine  ge- 
wisse Steigerung  des  Gebrauchs  nachweisen :  bei  der  Pistis  Sophia 
bleibt  es  nur  wahrscheinlich,  dafs  sie  in  ihrem  zweiten  Citat  aus 
den  Salomonischen  Oden  die  18  Psalmen  voraussetzt;  der  biblische 
codex  Alexandrinus  nennt  diese  ausdrücklich,  aber  am  Schlufs 
seines  Verzeichnisses;  später  rücken  sie  an  ehrenvollere  Platze 
(vgl.  Zahn,  Gesch.  des  neut.  Kan.  II,  1,  S.  289.  292.  299.  317). 
Dann  ist  das  Buch,  wenigstens  im  Abendland,  wo  man  es  im 
Altertum  kannte,  verschollen.  —  Als  Hilgenfeid  im  Jahre  1868 
(Z  f.  w.  Th.  XI,  133  —  168)  die  wissenschaftliche  Behandlung 
des  Textes  begann,  stand  ihm  aufser  der  editio  prineeps  des  Je- 
suiten de  la  Gerda  (Lugduu.  1626)  nur  die  ungenaue  Kollation 
eines  Wiener  Codex  zur  Verfügung:  v.  Gebhardt  verwertet  jetzt 
die  sorgfältigen,  grofsenteils  von  ihm  selbst  vorgenommenen  Ver- 
gleichungen  von  acht  Handschriften.  Aber  die  Überlieferung  ist 
nicht  nur  reicher,  sie  ist  auch  einfacher  geworden.  Die  beiden 
Zeugen  Hilgenfelds  sind  überflüssig  gemacht  durch  den  histori- 
schen Nachweis,  dafs  die  eilitio  prineeps  nur  auf  ungenauen  Ab- 
schriften jenes  Wiener  Zeugen  beruht,  und  dieser  wiederum  er- 
weist sich  als  sklavische  Kopie  des  zuerst  1891  von  Ryle  und 
James  benutzten  cod.  Hauniensis  6  saec.  X/XI.  Aus  dieser  äl- 
testen aller  bis  jetzt  bekannten  Handschriften,  einem  kalligra- 
phischen Meisterwerk,  sind  auch  zwei  andere  zuerst  in  der  Cam- 
bridger Ausgabe  verwertete  Handschriften  geflossen.  Leider  hat 
der  sorgfältige  Schreiber  des  cod.  Hauniensis  eine  ziemlich  schlechte 
Vorlage  gehabt.  Eine  Handschrift,  die  einen  anderen  Zweig  der 
Überlieferung  repräsentiert,  wurde  zum  erstenmale  1894  von 
Swete  im  Anhang  zum  dritten  Bande  seiner  LXX-Ausgabe  ver- 
wertet, doch  ohne  die  erforderliche  Akribie  (cod.  Vat.  Gr.  336 
saec.  XI/XII).  Selbständig  von  H  sind  ferner  drei  jetzt  zum 
erstenmale  herangezogene  Manuskripte:  ein  in  Stichen  geschrie- 
bener Codex  des  Klosters  Iwiron  auf  dem  Berge  Athos  (saec. 
XIV),  von  Philipp  Meyer  in  Erichsburg  entdeckt  und  abgeschrie- 
ben, sowie  einer  des  Lauraklosters  auf  dem  Athos  (L),  dessen 
Bibliothekar  Herr  Alexandros  ihn  genau  kollationiert  hat.  Die 
letztgenannten  drei  Textzeugen  sind  direkt  aus  Uncialhandschrif- 
ten  geflossen.  Dasselbe  gilt  von  dem  mit  L  derselben  Vorlage 
entstammenden  cod.  Casanatensis  saec.  XII/XIII,  nicht  aber  von 
H;  v.  Gebhardt  weist  in  dieser  Quelle  aller  bis  1894  erschie- 
nenen Ausgaben  etwa  70  schlechte  Sonderlesarten  nach.  Manche 
von  Hilgenfeld  an  ihnen  vorgenommene  Korrekturen  sind  jetzt 
durch  die  besseren  Textzeugen  bestätigt.  —  Der  neu  gewonnene 
Text  ist  nicht  selten  lichtvoller  als  der  bisher  bekannte :  die  groß- 
artige Schilderung  von  dem  Ende  des  Pompejus  II,  26  (30) 
stimmt  besser  als  die  früher  gelesene  zu  Plutarch,  Vita  Pomp. 


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NACHRICHTEN'. 


605 


c.  80.  Aber  wie  viele  Dunkelheiten  bleiben  noch  zurück  t  Bei 
dem  historisch  so  wichtigen  4.  Psalm  findet  man  sich  für  die 
Entscheidung,  ob  man  ihn  (bes.  Vers  9),  mit  Wellhausen  (Pharis. 
und  Sadd.  S.  146)  auf  Alexander  Jannäus  zu  deuten  habe,  nicht 
gefördert.  Die  geschichtliche  Situation  desselben  Liedes  hat  durch 
die  Parallele,  welche  jetzt  durch  die  Ähnlichkeit  von  IV,  1  mit 
XVII,  16  (18)  entsteht,  sogar  an  Deutlichkeit  verloren.  Aber 
gerade  solche  und  ähnliche  Schwierigkeiten  zeigen,  dafs  wir  eine 
Übersetzung  vor  uns  haben.  Bei  der  Zustimmung,  die  Hilgen- 
felds These  von  der  Ursprünglichkeit  der  griechischen  Sprache 
der  Psalmen  neuerdings  bei  Zöckler  gefunden  hat,  ist  die  Ent- 
schiedenheit hervorzuheben,  mit  der  v.  Gebhardt  an  der  hebräischen 
Gruudschrift  festhält,  wozu  Stellen  wie  II,  25  (29)  verglichen  mit 
Hosea  4,  7  doch  auch  geradezu  nötigen.  Der  Herausgeber  schliefst 
seine  Einleitung  (S.  88):  „Gar  manches  Rätsel  harrt  noch  der 
Lösung,  und  nur  eine  mit  voller  Beherrschung  des  Gegenstandes 
unternommene  Bückübersetzung  ins  Hebräische  kann  hier  Hilfe 
bringen."  Franz  Delitzsch  hatte  gehofft,  wenn  der  Herausgeber 
die  textkritische  Grundlage  gelegt  haben  werde,  dies  Werk  aus- 
zuführen —  jetzt  ist  die  Vorarbeit  seinem  Gedächtnis  gewidmet. 

Arnold. 

*  15.  Heinrich  Lisco,  Prediger  (in  Rommelsburg  bei 
Berlin),  Paulus  Antipaulinus.  Ein  Beitrag  zur  Auslegung 
der  ersten  vier  Kapitel  des  ersten  Korintherbriefes.  Berlin, 
G.  W.  P.  Müller,  1894.  VIII  und  192  S.  Mk.  4.  —  Der  Ver- 
fasser giebt  im  Vorwort  den  Inhalt  seiner  Arbeit  selbst  folgender- 
mafsen  an:  sie  „entwirft  auf  Grund  von  1  Kor.  1 — 4  ein  neues 
Bild  von  den  korinthischen  Parteiverhältnissen,  vom  Charakter 
des  Apostels  Paulus,  von  der  Lehre,  die  er  in  Korinth  verkün- 
digte. Sie  behauptet,  dafs  nur  zwei  Parteien  in  Korinth  bestan- 
den haben,  eine  heidenchristliche  Majorität  der  Pauliner  und  eine 
judenchristliche  Minorität  der  Apollonier.  Sie  sucht  nachzuweisen, 
dafs  der  Apostel  in  Kap.  1 — 4  gegen  die  heidenchristlichen  Pau- 
liner stritt.  —  Sie  vertritt  die  Ansicht,  dafs  das  Christentum 
des  Apostels  Paulus  kein  theoretisch-dogmatisches,  sondern  ein 
ethisch-pneumatisches  war.  In  drei  Abschnitten  versuche  ich  den 
Beweis  für  die  Richtigkeit  dieser  Ansichten  zu  führen.  Der  erste 
Abschnitt  —  die  Weisheit  Pauli  —  bringt  eine  Auslegung  der 
dogmatischen  Partieon  Kap.  1,  17  —  3,  4  und  stellt  das  Bild  vom 
Auftreten  des  Apostel  [so!]  Paulus  in  Korinth  fest  (p.  1 — 76).  — 
Der  zweite  Abschnitt  —  Pauliner  und  Apollonier  —  stellt  uns 
1,  17  —  3,  4  ein  neues  Bild  her  von  dem  Verhältnis  der  beiden 
genannten  Parteien  und  führt  das  neugewonnene  Bild  für  1,  13  bis 
17  und  3,  5  —  4,  17  durch  (p.  77—150).   Der  dritte  Abschnitt 

Z«it»chr.  f.  K.-G.  XVII.  4.  39 


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60  G 


NACHRICHTEN. 


—  Petriner  und  Christiner  —  bringt  eine  Erklärung  der  Stellen 
1,  12 — 13  und  3,  21  —  23;  er  schliefst  mit  einem  Hinblick  anf 
Anfang  und  Schlufs  der  vier  Kapitel  (p.  151 — 187).  Im  Schluß- 
wort findet  sich  ein  Rückblick  auf  den  Gang  der  Beweisführung 
im  einzelnen  und  ein  Überblick  über  die  gewonnenen  Resultate 
(p.  188—192)".  Von  den  „Resultaten"  hebe  ich  als  die  cha- 
rakteristischeren folgende  hervor,  wieder  in  der  Formulierung  des 
Verfassers  selbst.  „Der  Abschnitt  1,  17  —  3,  4  ist  gegen  Freunde 
der  griechischen  Weisheit  gerichtet  Sie  haben  den  Apostel  wegen 
seines  weisheitsvollen  Auftretens  gelobt.  Die  Weisheitefreunde 
sind  Pauliner  gewesen"  (S.  188).  „Nur  gering  sind  die  Erfolge 
des  Apollos  gewesen;  die  Apollonier  waren  eine  verachtete  Partei; 
die  Pauliner  fingen  den  Zank  an.  Paulus  schützt  in  1,  17  bis 
3,  5  in  innig  zarter  Weise  die  verachteten  Apollonier  gegen  die 
Angriffe  der  Pauliner"  (S.  188).  „Apollos  und  die  Apollonier 
sind  nicht  unter  den  Heidenebristen,  sondern  unter  den  Juden- 
christen  zu  suchen"  (8.  189).  „In  1,  12  darf  man  die  Parolen 
iyui  Krjtfu,  iyci  Xgtarov  nicht  zu  einer  dritten  und  vierten  Partei 
materialisieren"  (S.  189).  Dieser  Parolen  „müssen  die  Pauliner 
und  die  Apollonier  sich  im  Widerstreit  der  Meinungen  zur  Er- 
gänzung der  Grundparolen  iyw  JIuvXov,  iyw  *Anok\w  bedient 
haben"  (S.  189).  „Die  chiastische  Stellung  der  Parolen  Pau- 
lus (a),  Apollos  (b),  Kephas  (b),  Christus  (a)  war  für  den  Apostel 
die  einzig  mögliche"  (S.  190). 

*  16.  P.  Vetter,  Dr.,  ord.  Prof.  der  alttest.  Exegese  an 
der  kathol.- theolog.  Fakultät  in  Tübingen,  Der  apokryphe 
dritte  Korintherbrief,  Wien,  Mechitharisten-Buchdruckerei 
1894,  VIII  und  100  S.  4°.  (Einladung  zur  akad.  Feier  des  Ge- 
burtsfestes Sr.  Majestät  des  Königs  Wilhelm  II.  von  Württem- 
berg ....  der  Kgl.  Universität  Tübingen  1894.)  Seitdem 
W.  F.  Rinck,  evangelischer  Pfarrer  zu  Bischoffingen,  1823  „Das 
Sendschreiben  der  Eorinther  an  den  Apostel  Paulus  und  das  dritte 
Sendschreiben  Pauli  an  die  Eorinther,  in  armenischer  Übersetzung 
erhalten,  nun  verdeutscht  und  mit  einer  Einleitung  über  die  Aecbt- 
heit  begleitet"  zu  Heidelberg  herausgegeben  hatte,  ist  dieser  apo- 
kryphe Briefwechsel  nicht  mehr  Gearbeitet  worden.  S.  Berger 
fand  1890  in  der  Ambrosiana  eine  bis  dahin  unbekannte  latei- 
nische Obersetzung  und  gab  sie  mit  dem  Armenisten  A.  Carriere 
1891  heraus  (La  correspondance  apoeryphe  de  Saint  Paul  et  des 
Corinthiens,  ancienne  version  latine  et  traduetion  du  texte  armenien, 
Paris  1891);  einen  selbständigen  Abdruck  dieses  Textes  publizierte 
A.  Harnack  in  der  Theologischen  Literaturzeitung  1892  Nr.  1. 
Ein  anderer  lateinischer  Text  des  Apokryphons,  den  E.  Bratke 
in  der  öffentlichen  Bibliothek  zu  Laon  entdeckte,  ist  von  ihm  in 
der  Theol.  Lit-Zeitg.  1892  Nr.  24  veröffentlicht.    Die  vorlie- 


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NACn  RICHTEN. 


607 


gende  Monographie  Vetters  ist  überaus  dankenswert  nnd  in  ge- 
wissem Sinne  abschliefsend.  Ihr  erstes  Kapitel,  eine  litterar- 
geschichtliche  Einleitung,  handelt  zunächst  Aber  die  bisherigen 
Editionen  des  dritten  Korintherbriefes  (S.  1 — 3),  sodann  über  die 
Kommentare  (S.  4 — 7);  d.  h.  eigentlich  nur  den  Kommentar  des 
Syrers  Ephram  und  dessen  spätere  noch  ungedruckte  Überarbeitung 
durch  Jobannes  Kachik  (f  1388).  Vetter  hält  den  nur  in  einer 
altarmenischen  Übersetzung  erhaltenen  Kommentar  Ephrams  für 
echt.  Über  die  ursprüngliche  Sprache  des  Apokryphons  (8.  7 — 
12)  sei  nur  soviel  sicher,  dafs  der  armenische  Text  und  die  bei- 
den lateinischen  Texte  aus  dem  Syrischen  geflossen  sind.  Dafs 
der  Briefwechsel  von  Anfang  an  syrisch  verfafst  worden  sei,  folge 
daraus  noch  nicht;  ein  Syrer  hätte  ihn  ja  aus  dem  Griechischen 
übertragen  und  die  erkennbaren  biblischen  Citate  mit  der  syrischen 
Bibel  in  Einklang  bringen  können.  Näheres  hierüber  ergiebt  der 
folgende  Paragraph  „Die  Quellen  des  apokryphen  Briefwechsels" 
(S.  13—17).  Vetter  sucht  die  Vermutung  zu  begründen,  dafs 
der  Grundstock  des  Briefwechels  einer  grösseren  Schrift  geschicht- 
lichen Inhalts  entnommen  nnd  dafs  diese  Quellenschrift  ein  grie- 
chisches Buch  gewesen  sei.  Er  sieht  in  dieser  Quellenschrift 
die  griechischen  Paulusakten  und  schliefst  sich  damit  im  wesent- 
lichen an  Th.  Zahn  an,  der  den  ganzen  Briefwechsel  den  nga^fig 
TlavXov  entnommen  sein  läfst.  Ein  Syrer  habe  den  Grundstock 
des  Apokryphons  den  griechischen  Paulusakten  entlehnt,  ins  Sy- 
rische fibersetzt  und  nach  Hinzufügung  des  von  ihm  selbst  syrisch 
verfafsten  Stückes  TU,  23  —  40  als  einen  Briefwechsel  aus  apo- 
stolischer Zeit  veröffentlicht.  Anlafs  und  Zeit  der  Fälschung 
(S.  17 — 22)  bestimmt  Vetter,  indem  er  nachzuweisen  sucht,  dafs  sie 
in  ihrer  syrischen  Gestalt  von  Anfang  an  als  Streitschrift  gegen 
Bardesanes  oder  doch  gegen  dessen  Anhänger  beabsichtigt  ge- 
wesen sei.  Er  hält  den  Episkopat  des  Bischofs  Palut  von  Edessa, 
in  runder  Angabe  etwa  das  Jahr  200  n.  Chr.  für  die  wahrschein- 
liche Zeit  der  Abfassung.  Die  wahrscheinliche  Annahme,  dafs 
die  Evangeliencitate  des  Büchleins  auf  dem  Diatessaron  beruhen 
(S.  22  f.),  glaubt  Vetter  durch  Untersuchung  des  Citats  Matth. 
12,  40  erhärten  zu  können  (S.  23  f.);  die  Citate  aus  den  aposto- 
lischen Briefen  stimmen  mit  Ausnahme  dreier  Stellen  durchgängig 
mit  dem  Wortlaute  der  Peschittha  (S.  24 — 26).  In  der  syrischen 
Kirche  mufs  der  Briefwechsel  längere  Zeit  „förmlich  kanonisches 
Ansehen"  gehabt  haben :  Ephräm  hat  ihn  in  einer  Reihe  mit  den 
kanonischen  Korintherbriefen  kommentiert,  und  auf  Grund  der  vier 
erhaltenen  Übersetzungen  lassen  sich  noch  zwei  Rezensionen  inner- 
halb der  syrischen  Textüberlieferung  nachweisen  (S.  26  —  29). 
Als  das  Apokryphon  in  seiner  Heimat  der  Vergessenheit  anheim- 
fiel, gewann  es  in  der  aufblühenden  kirchlichen  Litteratur  der 

39* 


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608 


NACHKICHTKX. 


Armenier  ein  neues,  freilich  niemals  unbestrittenes  Ansehen 
(S.  29 — 35).  Das  einzige  Zeugnis  für  seinen  Gebrauch  in  der  abend- 
ländischen Litteratur  (S.  35  f.)  sind  die  beiden  unabhängig  von 
einander  entstandenen,  jedoch  auf  derselben  syrischen  Textrezen- 
sion ruhenden  lateinischen  Übersetzungen.  In  der  griechischen 
Litteratur  (S.  36 — 38)  liegt  ein  förmliches  Citat  aus  dem  Brief- 
wechsel nicht  vor;  eine  unverkennbare  Berührung  der  griechisch 
geschriebenen,  aber  nur  syrisch  erhaltenen  Didascalia  apostolorum 
mit  dem  Apokryphon  erklärt  Vetter  im  Anschlufs  an  Zahn  als 
Citat  nicht  aus  der  letzteren  Schrift,  sondern  ans  ihrer  Quelle, 
den  ngd^fig  TlavXov.  —  Das  zweite  Kapitel  giebt  auf  Grund 
eines  reichen  handschriftlichen  Materiales  den  Text  der  altarme- 
nischen Übersetzung  (S.  39 — 52)  und  eine  nach  derselben  ange- 
fertigte Übersetzung  des  Apokryphons  ius  Deutsche  (I.  Schreiben 
der  Korinther  an  den  heiligen  Apostel  Paulus,  II.  geschichtliches 
Mittelstück,  III.  Schreiben  Pauli  an  die  Korinther;  S.  52 — 57). 
£8  folgt  im  dritten  Kapitel  der  Text  der  beiden  lateinischen  Über- 
setzungen (S.  58 — 69).  Über  die  hierbei  befolgten  Grundsätze 
der  Orthographie  der  Eigennamen  könnte  man  streiten.  Die  bei- 
den Handschriften  schreiben  z.  B.  konsequent  Jhesus.  Vetter 
setzt  in  seinen  Text  ebenso  konsequent  Jesus  und  bemerkt  jedes- 
mal in  den  Noten,  die  Handschrift  schreibe  Jhesus.  Weshalb 
ist  Jhesus  nicht  im  Texte  beibehalten  ?  Ebenso  Gabrihel  (III,  5) 
in  der  Mailänder  Handschrift  (S.  59),  Eelisaei  resp.  Helisei  III, 
32  in  beiden  Handschriften  (S.  62  und  68)  und  Ähnliches  mehr. 
Das  vierte  Kapitel  enthält  den  Kommentar  des  Ephram  in  deut- 
scher Übersetzung  (S.  70 — 79),  das  fünfte  ist  die  editio  princeps 
des  armenischen  Kommentars  des  Johannes  Kachik  (S.  80—88), 
der  uns  durch  eine  deutsche  Übersetzung  dann  noch  ebenfalls 
zugänglich  gemacht  wird  (S.  88—97). 

*  17.  JohannesJQngst  (Lic.  theol.,  jetzt  Pfarrer  zu  St  Jo- 
hannisberg bei  Kirn),  Die  Quellen  der  Apostelgeschichte. 
Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1895.  VI  u.  226  S.  Mk.  4.  Die 
Arbeit  geht  von  dem  Glanben  aus,  dafs  der  Zustand  skeptischer 
Resignation  betreffs  der  Frage  nach  den  Quellen  der  Apostelgeschichte 
in  jedem  Falle  dem  Fortschritt  der  Wissenschaft  viel  nachteiliger 
ist,  als  selbst  die  extravagantesten  Lösungsversuche  (S.  101). 
Bezüglich  der  TJntersuchungsmethode  sei  der  einzig  richtige  Ka- 
non von  Clemen  aufgestellt,  wenn  auch  nur  zu  wenig  befolg! 
worden:  für  die  Scheidung  der  Quellen  dürfen  nicht  in  erster 
Linie  historische  Voraussetzungen,  sondern  nur  Risse  und  Sprünge 
in  der  Komposition  maisgebend  sein.  Natürlich  sei  auch  das 
Eingehen  auf  die  historische  Kritik  und  biblisch-theologische  Fra- 
gen nicht  zu  umgehen.  Dazu  komme  noch  ein  anderes,  „bisher 
sehr  vernachlässigtes u  Kriterium,  nämlich  die  Sprache.    Der  Ar- 


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NACH  RICHTEN. 


609 


beit  seien  deshalb  Oberall  „sprachlich-lexikalische"  Untersuchungen 
zugrunde  gelegt  (S.  11).  Selbstverständlich  könne  bei  der  Quellen- 
scheidung, namentlich  wo  sie  stark  ins  Detail  hinein  arbeite,  nicht 
die  Rede  davon  sein,  den  genauen  Wortlaut  der  Quellen  wieder- 
herzustellen, besonders  wegen  der  in  der  Apostelgeschichte  aller- 
dings nicht  sehr  bedeutenden  Verschleierung  des  Sprachkolorits 
der  Quellen  durch  den  Redaktor  (S.  12).  In  dem  Hauptteile 
(S.  14—190)  unterzieht  Jüngst  die  Apostelgeschichte  einer  aus- 
führlichen quellenscheidenden  Analyse,  deren  Resultat  er  so  zu- 
saromenfafst:  „Die  Apostelgeschichte  setzt  sich  wesentlich  aus 
zwei  Quellen  zusammen,  von  denen  die  eine  (A),  auch  die  „  Wir- 
stücke" umfassend,  sich  durch  das  ganze  Buch  hindurchzieht  und 
im  zweiten  Teil,  von  Kap.  13 — 28,  eine  Menge  redaktioneller 
Einschöbe  erfahren  hat  Im  ersten  Teil  hat  der  Redaktor  (R) 
sie  mit  einer  zweiten  Quelle  (B),  die  identisch  ist  mit  der  sogen, 
ebionitischen  Quelle  des  Evangeliums,  unter  starken  chronologisc  hen 
Verschiebungen  innerhalb  derselben  vereinigt"  (S.  191).  Zur 
Erläuterung  ist  (S.  221  — 226)  eine  „Quellenübersicht"  beige- 
geben. Die  Schnfsabhandlung  beschäftigt  sich  mit  dem  schrift- 
stellerischen und  religiösen  Charakter  der  Quellen  und  des  Re- 
daktors (S.  191—220).  Die  Quelle  A  zerfällt  in  drei  an  Um- 
fang ziemlich  gleiche  Teile,  die  sich  charakteristisch  von  einander 
unterscheiden  (S.  191).  Der  erste  Teil  ist  nicht,  was  wir  Ge- 
schichtsschreibung nennen;  der  Verfasser  steht  den  hier  geschil- 
derten Ereignissen  schon  ziemlich  fern.  Der  zweite  Teil  giebt 
aufser  der  Apollosepisode  nur  eine  Vita  Pauli,  meist  in  trockener, 
das  Interesse  an  dem  Helden  fast  nur  durch  Genauigkeit  im  Auf- 
zählen seiner  Wirkungsstätten,  Erfolge  und  Schicksale  verratenden 
Weise  (S.  192).  Die  eingearbeiteten  Wirstücke,  für  den  Histo- 
riker äufsert  wertvoll,  tragen  keinen  von  Tagebuchblättern  allzu 
verschiedenen  Charakter;  natürlich  wird  dem  Verfasser,  der  nicht 
steter  Begleiter  des  Paulus  war,  vieles  unbekannt  geblieben  sein 
(S.  192 f.).  Freilich  mufste  „der  Verfasser  von  A  als  Reise- 
begleiter Pauli  von  dessen  Konflikten  mit  den  Judaisten  wissen" 
(S.  193).  Tendenziös  im  Sinne  der  Tübinger  wird  man  es  nicht 
nennen  können,  dafs  er  sie  übergeht  (S.  195).  Der  dritte  Teil 
giebt  einen  eingehenden  Bericht  über  das  Endschicksal  des  Apo- 
stels, dessen  Bild  hier  mehr  an  Individualität  gewinnt,  als  im 
zweiten  Teil  (S.  196).  In  religiöser  Hinsicht  ist  der  Verfasser 
von  A  zu  charakterisieren  als  Mann  der  Mission  (S.  198),  in 
dessen  schlichten  Gedankenreihen  „keine  komplizierten  Verwicke- 
lungen, keine  Probleme,  wie  Paulns  sie  kennt"  liegen,  wohl  aber 
ein  grofser  Reichtum  von  religiös  wertvollon  und  fruchtbaren 
Ideen  (S.  200).  Die  einfachste  und  natürlichste  Lösung  der  Frage 
nach  der  Person  des  Verfassers  von  A  ist  noch  immer  die  An- 


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610 


NACHRICHTEN. 


nähme,  dafs  der  Arzt  Lukas  die  Quelle  verfafat  hat  (S.  201). 
Die  Zeit  der  Abfassung  liefce  sieb  fixieren,  wenn  der  Nachweis 
gelänge,  dafs  Lukas  (der  Verfasser  von  A)  die  Schriften  des  Jo- 
sephus  gekannt  hatte,  wie  ja  Krenkel  „eine  Benutzung  der  Jo- 
sephus8chriften  bei  dem  kanonischen  Lukas  nach  langem  Streit 
unter  den  Forschern  wohl  endgültig  festgestellt"  habe  (S.  201  f.). 
Sollte  die  Kenntnis  der  Vita  des  Josephos  bei  A  erwiesen  sein, 
so  wäre  als  terminus  a  quo  etwa  das  Jahr  101  anzusetzen 
(S.  202).  —  Die  Quelle  B  steht  in  fast  allen  ihren  Eigenschaften 
antipodisch  zu  A,  „was  ihr  in  schriftstellerischer  Hinsicht  ebenso 
sehr  zum  Buhm,  als  inbezug  auf  historischen  Wert  zum  Nachteil 
gereicht"  (S.  203).  Weit  mehr  als  A  beschäftigt  sie  sich  mit 
den  inneren  Gemeindeverhältnissen:  wir  empfangen  ein  Bild,  „in 
welchem  sich  die  religiöse  und  soziale  Seite  des  Gemeindelebens 
innig  verquickt "  [!]  (S.  205).  B  „  bildet  einen  Sageneyklus,  mit 
dem  die  Gemeindetradition  die  historischen  Thatsachen  umrankt, 
zugleich  aber  auch  verschleiert  hat"  (S.  206).  Die  religiösen 
Anschauungen  des  als  Erbauungsbucb,  nicht  als  treue  historische 
Quelle  aufzufassenden  Werkes  (S.  206)  geben  bei  aller  Energie 
der  Überzeugung  und  dem  Feuer  der  Darstellung  eine  im  Ver- 
hältnis zu  A  auffallend  geringe  Ausbeute;  dieselbe  ergänzt  und 
bereichert  sich  aber  vielfach  aus  dem  Evangelium  (S.  208).  Feind- 
schaft gegen  das  Judentum  geht  durch  die  Quelle  hindurch.  Über 
die  Person  des  Verfassers  läfst  sich  nichts,  über  die  Zeit  der  Ab- 
fassung ohne  Heranziehung  des  Evangeliums  nichts  Bestimmteres 
ausmachen  (S.  208).  —  Dem  Redaktor  hat  im  wesentlichen  die 
Quelle  A  als  feststehender  Rahmen  gedient  Man  merkt  sein 
Bestreben,  den  ganzen  überlieferten  Erzählungsstoff  axQißwg  an- 
zubringen (S.  210).  Eine  gelegentliche  chronologische  Verschie- 
bung, Einschübe  und  Zusätze  sind  wahrnehmbar  (S.  2 10  f.).  Die 
religiöse  Gedankenwelt  von  R  ist  „mit  Vorsicht"  statistisch  auf- 
zunehmen und  darzustellen  (S.  212).  Seine  zur  Theologie  der 
apostolischen  Väter,  ja  schon  dor  Apologeten  überleitende,  vom 
Paulinismus  befruchtete  religiöse  Weltanschauung,  die  das  Christen- 
tum bei  aller  Feindschaft  gegen  das  gegenwärtige  Judentum  zum 
wahren  Träger  des  Monotheismus  und  des  Gesetzes  macht,  äufsert 
sich  besonders  in  der  in  apologetischer  Tendenz  unternommenen 
Veränderung  des  Charakterbildes  Pauli  (S.  218).  R  schrieb  wohl 
unter  Trajan  oder  im  Anfang  der  Regierung  des  Hadrian,  „sagen 
wir  etwa  zwischen  110  und  125".  Ort  der  Abfassung  ist  keines- 
falls Rom,  sondern  vielleicht  „Griechenland  oder  Kleinasien 
(Ephesus?)"  (S.  219). 

Es  ist  hier  nicht  der  Ort,  zu  den  Ansichten  Jüngsts  Stellung 
zu  nehmen.  Schliefslich  käme  die  Debatte  auf  Prinzipienfragen 
der  historischen  Methode  hinaus,  meines  Erachtens  besonders  auf 


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NACHRICHTEN". 


611 


die  Frage  nach  der  Tragweite  und  der  Verwertung  der  sprach- 
lichen Verhältnisse.  Ich  habe  darüber  wahrscheinlich  andere  An- 
sichten als  der  Verfasser  Die  lexikalischen  Verhaltnisse  impo- 
nieren mir,  als  historisches  Argument  aufgefafst,  sehr  wenig;  viel 
mehr  kommt  heraus  bei  einem  geduldigen  Eindringen  in  das 
Detail  der  Syntax  oder  in  ein  scheinbar  so  formelles  Kriterium 
wie  das  Vorkommen  des  Hiatus.  —  Für  die  historisch-methodo- 
logische Vorarbeit  zur  Quellenkritik  der  Apostelgeschichte  scheint 
mir  die  höchste  Beachtung  zu  verdienen  die  eingehende  Bespre- 
chung von  F.  Spitta,  Die  Apostelgeschichte,  Halle  a.  S.  1891, 
durch  William  Wrede  in  den  ööttingischen  gelehrten  Anzeigen 
1895  Nr.  7,  S.  497  —  516.  —  Durch  die  unfeine  Rezension 
seines  Buches  von  „Prof.  Dr.  F.  W."  im  Theol.  Litteraturbericht 
1895  Nr.  5,  S.  163  f.  wird  sich  Jüngst  hoffentlich  nicht  ein- 
schüchtern lassen.  A.  Deißmann. 

*18.  Der  Italatext  der  Apostelgeschichte,  der  sich  im  Cod. 
Laud.  F.  82  der  Bodlejana  findet,  ist  zuerst  von  Hearne  ver- 
öffentlicht, nach  dieser  Ausgabe  von  Sabatier  nachgedruckt,  dann 
von  Tischendorf  in  seinen  Monumenta  sacra  inedita  IX  splendid 
aber  inkorrekt  (vgl.  darüber  S.  Berger,  Notices  et  extraits  XXXV, 
1,  175)  neu  ediert  worden.  Die  neueste  Ausgabe  dieses  wich- 
tigen Textes  rührt  von  J.  Boisheim  her  (Acta  apostolorum 
ante  Hieronymum  latine  translata  ex  codice  latino-graeco 
Landiano  Oxoniensi  denuo  ed.  J.  B.  [Christiania  Videnskabs- 
Selskabs  Forhandlinger  for  1893  No.  19;  auch  separat  Chri- 
stiania, i  Commission  hos  Jacob  Dybwad  1893]).  Leider  ist 
Handlichkeit  so  ziemlich  das  einzige,  was  man  dieser  neuesten 
Ausgabe  nachrühmen  kann.  Preuschen. 

*  19.  Bruchstücke  des  Evangeliums  und  der  Apo- 
kalypse des  Petrus  von  Ad.  Harnack.  Texte  und  Unter- 
suchungen IX,  2.  Leipzig,  Hinrichs,  1893  (78  8.).  —  Die 
Petrusapokalypse  in  der  alten  abendländischen  Kirche  Texte  und 
Untersuchungen  XIII,  1,  S.  70 — 73  (Leipzig  1895).  Die  mit 
ausführlichem  Kommentar  versehene  zweite  Harnacksche  Ausgabe 
der  von  Bouriant  veröffentlichten  Bruchstücke  erhält  einen  Nach- 
trag in  den  interessanten  Nachweisen,  dals  die  wahrächeinlich 
von  Novatian  herrührende  pseudocyprianische  Schrift  de  laude 
martyrii  in  Kap.  20  f.  von  der  Petrusapokalypse  abhängig  ist, 
und  dals  auch  die  gallischen  Märtyrerakten  des  Felix  (von  Va- 
lence),  Fortonatus  und  Achillaus  (Bolland.,  23.  April)  in  Kap.  3 
eine  verkürzte  Übersetzung  von  PA  v.  15  bieten. 

*fcv.  Kunze,  Dr.  Jon.,  Das  neu  aufgefundene  Bruch- 
stück des  sogen.  Petrusevangeliums  übersetzt  und  be- 


612 


NACHRICHTEN. 


urteilt.  Leipzig,  Dörffling  &  Franke,  1893.  (IV  u.  48  S.) 
Mk.  — .60.  Das  aas  einem  am  31.  Jannar  1893  vor  Leipziger 
Studenten  gehaltenen  Vortrag  entstandene  Schriftchen  trifft  mit 
Zahns  Abhandlung  in  der  N.  K.  Z.  1893  Heft  2  mehrfach  anf 
selbständigem  Wege  zusammen. 

A.  Sabatier,  L'ävangile  de  Pierre  et  les 
ävangiles  canoniques  (Ecole  pratique  des  bautes  Stüdes. 
Section  des  sciences  religieuses.  Paris,  Imprimerie  nationale, 
1893  (30  S.).  Das  Petrus-Evangelium  ist  historisch  wertlos, 
aber  litteratnrgeschichtlich  wichtig.  Der  Verfasser  unterscheidet 
fünf  Perioden  der  Überlieferung  über  das  Leben  Jesu.  1)  bis 
ca.  60  n.  Chr.  mündliche  Tradition.  2)  bis  80  u.  Chr.  Logia 
des  Matthäus,  Fixierung  der  Predigt  des  Petrus  durch  Markus, 
und  mehrere  des  Luk.  1,  1  erwähnten  noXXoi.  3)  bis  98  n.  Chr. 
Erste  Versuche  regulärer  Geschichtschreibung  unter  Nachahmung 
des  Josepbus:  Lukas-Evangelium,  erste  Redaktion  unseres  Mat- 
thäus, und  vielleicht  das  Hebräer-Evangelium.  4)  bis  117  n.  Chr. 
Entstehung  des  Johannes- Evangeliums  in  Kleinasien.  Scblufs- 
redaktion  unseres  Matthäus  in  Palästina.  5)  bis  138  n.  Chr. 
Redaktion  des  Petrus- Evangeliums,  der  Acta  Pilati  und  anderer 
Apokrypba. 

*  22.  Thomas,  Lic.  Dr.  Carl,  Melito  von  Sardes. 
Eine  kirchengeschichtliche  Studie.  Osnabrück ,  Rackhorstsche 
Buchhandlung,  1893.  (145  S.)  Das  vierte  Kapitel,  „die  Theo- 
logie Melitos"  (S.  107 — 138  der  vorliegenden  Schrift),  ist  schon 
als  Göttinger  Licentiaten-Dissertation  gedruckt.  Der  Verfasser  hat 
ihm  eine  Erörterung  der  Quellen,  ein  Kapitel  über  das  Verhält- 
nis Melitos  „zum  Christentum  altertümlicher  Form"  und  eine 
Würdigung  des  Bischofs  als  Apologeten  vorangeschickt.  Ein 
Schlufskapitel  sucht  die  kirchen-  und  dogmengeschicbtliche  Stel- 
lung Melitos  zu  schildern.  Arnold. 

*  23.  Für  den  Text  der  Pseudoclementinen  ist  noch  so  gut 
wie  alles  zu  thun;  die  Homilien  sind  von  Lagarde  hinaus-  nicht 
herausgegeben  worden,  wie  er  selbst  meinte;  d.  h.  seine  Aus- 
gabe ist  in  keiner  Hinsicht  als  abschliefsend  anzusehen.  Weder 
der  Lateiner  noch  der  Syrer  ist  bis  jetzt  benutzt,  der  Otto- 
bonianus  noch  nicht  genügend  verglichen.  Von  den  Rekognitionen 
ist  eine  neue  kritische  Ausgahe  aus  Amerika  zu  erwarten.  Ehe 
die  Texte  handlich  vorliegen,  was  freilich  keine  leichte  Sache  ist, 
wird  die  historische  Frage  nach  der  Bedeutung  dieser  Litteratur 
nicht  von  neuem  in  Angriff  genommen  werden  dürfen.  Für  den, 
der  sich  trotzdem  mit  diesen  Schriften  befassen  mufs,  bietet  der 
Index  graecitatis  zu  den  Homilien  eine  dankenswerte  Hilfe  (Index 
of  noteworty  words  and  phrases  found  in  the  Cle- 


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NACHRICHTEN. 


613 


mentine  writings  commonly  called  the  homilies  of  Clement 
Published  by  the  trustees  of  the  Lightfoot  fund.  London,  Mac- 
millan  and  Comp.,  1893).  Die  verständig  angelegte  und  sorg- 
faltig ausgeführte  Arbeit  war  zur  Unterstützung  einer  von  Light- 
foot geplanten  Ausgabe  der  Rekognitionen  bestimmt.  Nun  kann 
sie  wenigstens  dazu  dienen,  das  Studium  der  Homilien  zo  er- 
leichtern. Sie  wird  gewifs  um  so  mehr  mit  Freuden  begrüfst 
werden,  als  Lagardes  Ausgabe  eines  Index  entbehrte.  Oafs  solche 
Bücher  gegenwartig  eigentlich  nur  in  England  gedruckt  werden 
können,  ist  für  uns  recht  beschämend. 

*  24«  Die  Anthropologie  des  Irenaus  hat  E.  K 1  e  b  b  a  zum 
Gegenstand  einer  besonderen  dogrnengescbichtlichen  Monographie 
gemacht  (Die  Anthropologie  des  hl.  Irenäus.  Eine 
dogmenhistorische  Studie  von  E.  K 1  e  b  b  a  in  den  kirchengeschicht- 
lichen Studien,  herausgeg.  von  Knöpfler,  Schrörs,  Sdralek.  2.  Band, 
3.  Heft.  Münster,  Schöningh,  1894.  VIII  u.  191  S.  Mk.  4.  40, 
Subskriptionspreis  Mk.  3.  20).  Der  Verfasser  will  „zunächst  die 
Anthropologie  des  hl.  Irenäus  genau  so  darstellen,  wie  sie  in 
ihrem  Verhältnis  zu  früheren  und  späteren  Vätern  und  zu  den 
heidnischen  Philosophen,  also  in  ihrem  geschichtlichen  Zusammen- 
hange erscheint"  (S.  10).  Er  hat  zu  diesem  Zwecke  ziemlich 
reichlich  Parallelen  besonders  aus  den  Apologeten,  aber  auch  aus 
den  Apost.  Vätern  und  Clemens  beigebracht,  sowie  die  Stoiker, 
besonders  Epiktet  und  Mark  Aurel  fleifsig  benutzt.  Aber  wäh- 
rend es  methodisch  richtig  gewesen  wäre,  zunächst  einmal  die 
Anschauungen  des  Irenäus  für  sich  zu  entwickeln  und  sie  dann 
auf  ihr  Verhältnis  zu  Paulus,  den  Apologeten  etc.,  sowie  auf 
ihre  philosophischen  Grundlagen  zu  untersuchen,  verfährt  Klebba 
so ,  dafs  er  in  zwei  Hauptteilen  I.  die  biblische  Anthropologie : 
Urzustand,  SOndenfall,  Ureltern  im  Stande  der  Sünde,  Erbsünde; 
II.  die  spekulative  Anthropologie :  die  Natur  des  Menschen,  Vernunft 
des  Menschen,  Wahlfreiheit  des  Menschen  und  seine  sittliche  Frei* 
heit,  Begnadigung  und  Vollendung  des  Menschen,  darstellt.  Auf 
diese  Weise  verschwimmt  das  System  des  Irenäus,  soweit  man  von 
einem  solchen  überhaupt  sprechen  kann  bei  seinen  Versuchen,  dispa- 
rate Gedankenreihen  zu  vereinigen,  viel  zu  sehr  in  einem  dogmen- 
gescbicbtlichen  Nebel,  ans  dem  nur  undeutlich  ein  paar  Spitzen 
hervorragen.  Das  ist  charakteristisch.  Wenn  auch  Klebba  versichert, 
„ dafs  es  uns  völlig  gleich  bleiben  kann,  ob  diese  so  gefundenen  Sätze 
sich  mit  den  von  der  Kirche  definierten  Wahrheiten  decken  oder 
nicht"  (S.  10),  so  leitet  ihn  doch  deutlich  das  Streben,  seine 
Dogmatik  aus  den  alten  Vätern  zu  erweisen.  Damit  stimmt,  dafs 
er  sein  Bedauern  darüber  ausspricht,  dafs  von  den  protestan- 
tischen Dogmenhistorikern  „vielleicht  niemand  eine  katholische 
Dogmatik  gründlich  und  systematisch  durchgearbeitet  hat"  (S.  9). 


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614 


NACHRICHTEN. 


Ich  kann  nicht  finden,  dafs  ihm  dieses  Stadium  besonders  genützt 
hat,  und  meine  vielmehr,  dafs  eine  sorgfaltigere  Erwägung  von 
Harnacks  Darstellung  (DG.  1*,  499  ff.)  ihm  zu  richtigeren  Ein- 
sichten verholfen  hätte.  Prexischen. 

*  25.  Clemens  Alexandrinus  Quis  dives  salvetur?  her- 
ausgegeben von  Oberlehrer  K.  Köster  am  Realgymnasium  in 
Marne  (Sammlung  ausgewählter  kirchen-  und  dogmengeschicht- 
licher Quellenschriften  .  .  .  herausgegeben  unter  Leitung  von 
D.  6.  Krüger.  Sechstes  Heft).  Freiburg  i.  Br.  1893.  (XI  und 
63  S.)  Mk  1. 40.  Der  Herausgeber  bat  die  editio  princeps 
von  Ghisler  (Lugd.  1623)  zugrunde  gelegt,  zahlreiche  Lesefehler 
derselben  durch  Konjektur  verbessert,  und  die  Lücken  im  42.  Ka- 
pitel nach  dem  Schweglerschen  Text  des  Eusebius  ergänzt 

*  26«  Esser,  Dr.  Gern.,  Repetent  am  Collegium  Albertinum 
in  Bonn,  Die  Seelenlehre  Tertullians  Mit  kirchlicher 
Approbation.  Paderborn,  Schöningh,  1893.  (VI  und  234  S.) 
Der  Verfasser  stellt  Tertullian  als  den  Begründer  einer  christ- 
lichen Psychologie  dar  und  nimmt  ihn  gegen  den  Vorwurf  des 
Eklekticismus  in  Schutz.  Trotz  aller  aufgewandten  Mühe  ist  es 
ihm  nicht  gehingen,  die  Widersprüche  und  Unklarheiten  in  dem 
Denken  des  grofsen  Advokaten  zu  heben,  die  innere  Selbständig- 
keit desselben  von  dem  stoischen  System  nachzuweisen.  Ein 
streng  historisches  Verfahren  hätte  mit  einer  Darstellung  der 
(stoischen)  Popularphilosophie  beginnen  und  dann  Tertullians  Ver- 
halten zu  ihr  darlegen  müssen.  Immerbin  liegt  eine  beachtens- 
werte Arbeit  vor.  S.  61  ff.  wird  gegen  Harnack  DG.5  II,  286 
polemisiert.  Arnold. 

*  27.  Der  Bufsdisziplin  bei  Cyprian  bat  K.  G  o  e  t  z  eine 
fleifsige  Arbeit  gewidmet  (Die  Bufs lehre  Cyprians.  Eine 
Studie  zur  Geschichte  des  Bufssakraments.  Königsberg  i.  Pr, 
Braun  &  Weber,  1895.  X  u.  100  S).  Goetz  erörtert  zunächst 
in  der  Einleitung  den  Begriff  der  Bufse  und  Bufsdisziplin  bei 
Cyprian,  bespricht  dann  die  paenitentia,  d.  h.  die  Voraussetzungen, 
Bedeutung,  Art  und  Dauer  der  Bufse,  die  satisfactio  nach  Inhalt 
und  Verhältnis  zur  paenitentia,  die  Exhomologese ,  die  Wieder- 
aufnahme und  zuletzt  den  Wert  und  die  Bedeutung  der  Wieder- 
aufnahme. Ein  Anhang:  Zur  Terminologie  Cyprians,  handelt  von: 
episcopus,  religio  und  fides,  sacramentum,  haeresis  und  schisma. 
Die  Arbeit  zeugt  von  guter  Beherrschung  des  Materials.  Aber 
leider  hat  Goetz  zu  wenig  beachtet,  dafs  eine  Darstellung  der 
Bufsdisziplin  bei  Cyprian  ähnlich,  wie  bei  Tertullian,  historisch, 
nicht  systematisch  zu  verfahren  hat.    In  dieser  Weise  ist  das 


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NACHRICHTEN. 


615 


Problem  seitdem  von  E.  Müller  in  seiner  Abhandlung  in  dieser 
Zeitschrift  behandelt  worden.  Preuschen. 

28.  Lactantins.  Augnsto  Mancini  bat  in  den  Studi 
storici  II,  p.  444—464  (Pisa  1893)  Qaaestiones  Lactantianae 
veröffentlicht,  in  denen  er  mehrere  Aufstellungen  bestreitet,  die 
Samuel  Brandt  an  verschiedenen  Orten  Torgetragen  hatte.  Vol.  III, 
fasc.  1,  p.  65—70  der  genannten  Zeitschrift  (Pisa  1894)  halt 
Brandt  1)  seine  Erklärung  der  Stelle  de  opif.  Dei  20,  1  auf- 
recht, wonach  sich  die  Worte  „pro  rerum  ac  temporis  necessi- 
tate"  auf  die  diokletianische  Christenverfolgung  beziehen,  die 
während  der  Abfassung  jener  Schrift  wütete.  Mancini  hatte  hier 
die  Notwendigkeit  der  Widerlegung  von  damals  herrschenden  Irr- 
tümern ausgedrückt  finden  wollen.  —  2)  bestritt  Mancini,  dafs 
die  Schrift  De  opif.  Dei  zunächst  nur  dem  Demetrianus  ein- 
gehändigt sei,  und  wollte  aus  Inst  II,  10,  14  sq.  erweisen,  dafs 
sie,  als  Lactanz  seine  Institutionen  schrieb,  publiziert  war.  Brandt 
giebt  zu,  hier  zu  weit  gegangen  zu  sein,  hält  aber  fest,  dals 
jenes  Werkchen  zunächst  nur  in  christlichen  Kreisen  verbreitet 
wurde.  Aus  dem  „uuper",  das  Lactanz  a.  a.  0.  inbezug  auf 
die  Abfassung  des  Buchs  De  opif.  Dei  gebraucht,  mit  Mancini 
chronologische  Schlufsfolgerungen  zu  ziehen,  ist  wegen  Inst.  I, 
21,  1  („nuper  Hadriane  imperante")  unmöglich.  —  3)  Dafs 
Lactantius  Verfasser  des  Buchs  „De  mortibus  pereecutorum "  sei, 
leugnet  auch  Mancini  Aber  seine  Bestreitung  der  Benutzung 
der  Epitome  und  des  Buchs  De  opif.  Dei  bei  Pseudolactanz  ist 
unhaltbar,  wie  besonders  die  Lesart  des  Cod.  Paris,  an  der  Stelle 
Mort.  17,  9  zeigt.  —  Die  übrigen  Differenzpunkte  zwischen  bei- 
den Forschern  sind  teils  unerheblich,  teils  von  Brandt  [Wiener 
Studien  XIII  (1891),  S.  255  f.]  im  voraus  erledigt. 

Arnold. 

*  29»  Eine  „  Verbreiterung  und  Durchforschung  des  geschicht- 
lichen Bodens,  auf  dem  das  Evangelium  Wurzel  geschlagen  hat" 
ist  das  Ziel  der  „Beiträge  zur  Geschichte  und  Erklä- 
rung des  Neuen  Testamentes  von  D.  C.  F.  Qeorg  Hein- 
rici",  von  denen  das  erste  Heft  „Das  Urchristentum  in  der 
Kirchengeschichte  des  Eusebius.  Litterarische  Verhältnisse  des 
2.  Jahrhunderts"  vorliegt  (Leipzig,  Dürrsche  Buchhandl.,  1894. 
VI  u.  78  S.).  In  dem  ersten  Abschnitt  sucht  Heinrici  den 
Zweck  der  Kirchengeschichte  des  Eusebius  zu  ermitteln.  Gegen 
Overbeck  findet  er  diesen  in  der  herkömmlichen  Weise  darin,  den 
Sieg  des  Gottesreiches  über  das  Weltreich  und  zugleich  den  Sieg 
der  Wahrheit  über  die  häretischen  Irrtümer  darzustellen.  Eine 
Betrachtung  der  Methode  des  Historikers  zeigt,  dafs  Euseb,  wenn 


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616 


NACHIUCHTEX 


er  auch  von  einer  kritischen  Benutzung  seiner  Quellen  weit  ent- 
fernt war  und  unter  Umständen  sich  direkt  widersprechende  Über- 
lieferungen einfach  nebeneinander  stellte,  doch  seine  Quellen  sorg- 
faltig benutzte  und  ohne  Entstellung  wiedergab.  Der  zweite,  um- 
fangreichste Abschnitt  befafst  sich  mit  den  Nachrichten  des  Euseb 
vom  Urchristentum  und  zwar  seinen  Nachrichten  über  die  evan- 
gelische Geschichte,  die  Apostel,  die  apostolische  Zeit  und  endlich 
die  apostolischen  Schriften.  Ein  Anhang  liefert  einen  Beitrag  zur 
Charakteristik  der  litterarischen  Verhältnisse  im  2.  Jahrhundert 
mit  Bezug  auf  die  Stellung  der  Zeit  gegenüber  litterarischen 
Fälschungen.  Massgebend  für  diesen  Abschnitt  ist  die  für  die  Ent- 
stehungsgeschichte der  neutestamentlichen  Pseudepigrapha  durch- 
aus unzutreffende  Alternative  „entweder  ist  die  Schrift  echt,  oder 
sie  ist  eine  Fälschung,  die  auf  Täuschung  ausgeht"  (S.  71). 
Recht  merkwürdig  berührt  bei  einer  wissenschaftlichen  Arbeit 
dieser  Art  die  Citiermethode.  Eine  Stelle  der  Kirchengeschichte 
des  Socrates  (I,  1)  wird  nach  Danz,  De  Eusebio,  citiert;  Origenes 
bald  nach  Lommatzsch,  bald  nach  de  la  Eue,  bald  nach  Huet» 
Das  sieht  fast  so  aus,  als  seien  diese  Citate  ans  zweiter  Hand 
übernommen.  Auch  sonst  fehlt  es  nicht  an  fragwürdigen  Auf- 
stellungen. Dafs  Euseb  die  Archive  benutzt  habe,  wird  damit 
belegt,  dafs  H.  e.  V,  18,  9  (von  dem  Antimontanisten !)  das  öffent- 
liche Archiv  der  Provinz  Asien  angezogen  wird.  Wenn  derartige 
Spezialuntersuchungen,  die  gewifs  äufserst  wünschenswert  sind, 
Wert  haben  sollen,  müssen  sie  mit  der  gröfsten  Sorgfalt  ausgeführt 
werden. 

*  30.  Zur  Vita  Antonii  des  Athanasius  liegt  in  der  Disser- 
tation von  F.  Schulthess  (Probe  einer  syrischen  Ver- 
sion der  Vita  St  Antonii.  Leipzig  1894)  ein  wichtiger 
Beitrag  vor,  der  die  Frage  in  ein  neues  Stadium  zu  führen  ge- 
eignet ist.  In  der  Einleitung  berichtet  Schulthess  über  die  Hand- 
schriften, untersucht  dann  das  Verhältnis  des  Syrers  zum  Grie- 
chen, wobei  sich  ergiebt,  dafs  die  syrische  Version  eine  von  dein 
jetzigen  griechischen  Text  stark  abweichende  Vorlage  voraussetzt. 
Das  Zeugnis  des  Ephräm,  das  dem  Verfasser  S.  20  ff.  einiges 
Kopfzerbrechen  macht,  verliert  jede  Schwierigkeit,  wenn  wir  an- 
nehmen ,  dafs  der  griechische  Übersetzer  jener  Schrift  die  an- 
gezogene Stelle  aus  Athanasius  selbst  entnahm  und  nicht  aus 
Ephräm  übersetzte.  Solche  Beispiele  sind  nicht  eben  selten.  Wir 
haben  also  keinen  Grund,  mit  dem  Verfasser  wegen  dieser  einen 
Stelle  dem  Ephräm  jenen  Sermon  abzusprechen,  so  wonig  wir 
anderseits  behaupten  dürfen,  dafs  Ephräm  den  jetzigen  griechi- 
schen Text  der  Vita  bezeuge.  Den  Beschlufs  macht  eine  Über- 
setzung und  eine  Edition  des  syrischen  Textes  der  ersten  15  Ka- 
pitel.   Inzwischen  ist  die  ganze  Vita  von  Bedjan  gedruckt  wor- 


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NACHRICHTEN. 


617 


den  (Acta  martyrum  et  sanctorum  syr.  V,  1 — 121);  leider  nicht 
in  einer  den  Erfordernissen  modemer  abendländischer  Wissenschaft 
ensprecbenden  Weise  (vgl.  Schtilthess  in  den  Gött  Gelehrten  An- 
zeigen 1895,  Okt.).  Preuschm. 

*  31.  Precatio  pro  universa  ecclesia  ex  sacra 
liturgia  S.  J.  Chrysostomi  quinquaginta  linguis  exarata  ac 
propriis  typis  excusa.  Caravit  P.  Gregoris  Dr.  Kalemkiar  ex 
congr.  Mecbitharistarum.  Editio  altera.  Vindobonae  Typis  con- 
gregationis  Mechitharistarnm  1893.    105  S.  4°. 

*  32.  Dreves,  Guido  Maria,  S.  J.,  Aurelius  Ambrosius, 
der  Vater  des  Kirchengesanges.  Eine  bymnologische  Studie. 
Freiburg  i.  Br.,  Herdersche  Verlagshandlung,  1893.  (V  und 
146  S.)  Der  Verfasser  will  nachweiseu,  dafs  wir  14  Hymnen- 
texte mit  moralischer  (!)  Gewifsheit  als  von  Ambrosius  herrührend 
ansehen  können,  drei  andere  mit  grösserer,  einen  letzten  mit  ge- 
ringerer Wahrscheinlichkeit Im  Anhang  sind  diese  Hymnen 
nach  Biraghis  Text  mitgeteilt,  mit  Singweisen  nach  der  Rekon- 
struktion des  Verfassers.  Eine  Lichtdrucktafel  bietet  die  Schrift- 
probe des  cod.  Vat.  Reg  1 1 ,  saec.  VIII/IX.  in  Originalgröße. 
Die  kritischen  Grundsätze  des  Verfassers  sind  etwas  bedenklich, 
Sachkenntnis  ist  ihm  nicht  abzusprechen,  der  wiederholte  Hinweis 
auf  Biraghi  ist  berechtigt.  Arnold. 

1)  Der  Schriftstellerkatalog  des  Hierony- 
mus. Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  altchristlichen  Litteratur 
von  Lic.  Carl  Albrecht  Bernoulli.  Freiburg  i.  Br.  und  Leipzig, 
J.  C.  B.  Mohr,  1895.    VIII  und  342  S. 

2)  Hieronymus  und  Gennadius  de  viris  inlustri- 
b  u  s.  Herausgegeben  von  Lic.  Carl  Albrecht  Bernoulli.  Mit  zwei 
Tafeln  in  Lichtdruck.  Freiburg  i.  B.  und  Leipzig,  J.  C.  B.  Mohr, 
1895.  [Sammlung  ausgewählter  kirchen-  und  dogmengeschicht- 
licher Quellenschriften  von  G.  Kröger.  Elftes  Heft]  LVI  und 
98  S. 

3)  Die  griechische  Ü bersetzung  derviri  inlustres 
des  Hieronymus.  Von  Georg  Wentzel.  Leipzig,  J.  C.  Hin- 
richs,  1895  [Texte  und  Untersuchungen  zur  Geschichte  der 
altchristlichen  Litteratur  herausgegeben  von  0.  v.  Gebhardt  und 
A.  Harnack,  13.  Band,  Heft  3.]    63  S. 

Ein  bemerkenswertes  Beispiel  dafür,  wie  manchmal  Genera- 
tionen lang  offen  gebliebene  wissenschaftliche  Fragen  auf  einmal 
znr  Lösung  drängen  und  dann  von  verschiedenen  unabhängig  von- 
einander arbeitenden  Gelehrten  im  gleichen  Sinne  beantwortet 
werden,  bietet  die  Frage  nach  den  Quellen  der  viri  inlustres  des 
Hieronymus.    Das  für  alle  Forschungen  zur  älteren  christlichen 


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618 


NACHRICHTEN. 


Literaturgeschichte  unumgängliche  Handbüchlein  ist  zwar  unend- 
lich oft  nicht  nur  herangezogen,  sondern  auch  auf  die  Zuver- 
lässigkeit einzelner  Kachrichten  hin  geprüft  worden,  aber  da  das 
stets  nur  beiläufig  im  Verlaufe  einer  auf  andere  Ziele  gerichteten 
Erörterung  geschah,  so  waren  die  Ergebnisse  höchst  problema- 
tische und  sich  widersprechende,  weil  es  an  der  unentbehrlichen 
Grundlage,  einer  klaren  Vorstellung  von  der  Arbeitsweise  des 
Verfassers  und  den  Hilfsmitteln  seiner  Darstellung,  fehlte.  Seit 
Vallarsis  Kommentar,  der  ja  wenigstens  einen  guten  Teü  des 
Rohmaterials  bot,  hatte  6ich  niemand  an  eine  zusammenhängende 
Quellenuntersuchung  gewagt,  jetzt  ist  eine  solche  innerhalb  eines 
Jahres  von  drei  Seiten  her  in  Angriff  genommen  worden,  in 
St  von  Sychowskis  „Hieronymus  als  Literaturhistoriker"  (1894) 
im  ersten  Abschnitt  von  J.  Huemers  „Studien  zu  den  christlich- 
lateinischen  Literarhistorikern 44  (Wiener  Studien  XVI,  1894, 
121 — 158)  und  in  dem  oben  an  erster  Stelle  genannten  Buche 
Bernoullis,  eines  Schülers  von  Franz  Overbeck.  Dais  die  Frage 
spruchreif  war,  zeigt  die  Übereinstimmung  des  Ergebnisses  aller 
drei  Untersuchungen:  dasselbe  gestaltet  sich  zu  einer  vernichten- 
den Kritik  des  litterarischen  und  Quellenwertes  jenes  Schriftcbens, 
das  noch  Zöckler  als  das  „klassische  Heisterwerk  der  kirchlichen 
Literaturgeschichte"  bezeichnen  durfte.  Nach  Inhalt  und  Form 
am  schärfsten  tritt  dies  Verdammungsurteil  in  der  Schrift  Ber- 
noullis hervor,  da  dieser  sich  im  wesentlichen  auf  den  fast  ganz 
von  der  Kirchengeschichte  des  Eusebius  abhängigen  ersten  Teil 
der  Schrift  (Kap.  1 — 78)  beschränkt  und  die  Frage  nach  Wert 
und  Quellen  der  relativ  selbständigeren  späteren  Kapitel  nur  ge- 
legentlich streift  Für  jenen  ersten  Teil  aber  hat  er  nach- 
gewiesen, dais  von  den  78  Kapiteln  69  in  allen  Hauptsachen 
aus  Eusebius  abgeschrieben  sind,  mit  zahlreichen  Flüchtigkeiten 
und  Entstellungen,  vielfach  auch  unter  Herübernahme  von  ur- 
sprünglich auf  Eusebius  und  seine  Zeit  bezüglichen  Wendungen 
(usque  hodie  =  itg  dtvgo)]  dafs  auch  für  die  Abfolge  der  Ka- 
pitel die  Kirchengeschichte  gewissermafsen  den  Faden  znr  Auf- 
reihung gegeben  habe,  führt  Bernoulli,  einem  Gedanken  Overbecks 
folgend,  S.  81  ff.,  wenn  auch  nicht  ganz  ohne  Künsteleien,  aus. 
Die  von  Hieronymus  vorgenommenen  Abänderungen  der  eusebia- 
nischen  Vorlage  bringt  Verfasser  in  seinem  Textabdrucke  S.  1 
bis  46  durch  verschiedene  Arten  von  Unterstreichungen  zur  Dar- 
stellung, als  a)  willkürliche  Abweichungen,  b)  aus  den  hierony- 
mianischen  Eintragungen  zur  Chronik  des  Eusebius  entnommene 
Zusätze  und  c)  ans  eigener  Initiative  des  Hieronymus  hervor- 
gegangene Erweiterungen.  Diese  orj/utfutois  wird  dann  S.  105 
bis  295  ausführlich  erläutert  und  begründet  in  der  Weise,  dafs 
erst  die  Kirchengeschichte  des  Eusebius  und  ihre  Behandlung 


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NACH  RICHTEN. 


619 


dnrch  Hieronymus,  dann  die  Ergänzungen  und  Erweiterungen 
dieser  Vorlage  (nach  biblischen,  kirchlichen  und  wissenschaftlichen 
Zusätzen  getrennt)  behandelt  werden:  diese  Anordnung  hat  den 
Nachteil,  dafs  der  Stoff  in  sehr  störender  Weise  zerrissen  wird 
(für  den  Nachweis  der  Kirchengeschichte  als  Quelle  und  für  die 
Darstellung  nach  Art  der  Benutzung  werden  z.  6.  jedesmal  ge- 
sondert alle  Kapitel  von  1 — 78  durchgenommen),  und  ich  würde 
die  Kommentarform  vorgezogen  haben:  die  am  Schlüsse  bei- 
gegebene analytische  Tabelle  (S.  311  —  340)  erleichtert  allerdings 
die  Auffindung  des  Einzelnen,  zeigt  aber  auch,  dafs  man  mehr- 
fach, um  sich  Über  Herkunft  und  Wert  einer  einzigen  Notiz  zu 
unterrichten,  an  4—5  Stellen  nachschlagen  mufs.  Zugegeben 
kann  jedoch  werden,  dafs  manche  Punkte  bei  dieser  Anordnung 
deutlicher  hervortreten,  als  es  sonst  der  Fall  wäre,  namentlich 
das  Verfahren  des  Hieronymus  bei  der  Erweiterung  der  Vorlage: 
hier  ist  ebenso  gelungen  wie  wichtig  der  Nachweis,  dafs  seine 
Zusätze  durchweg  die  Form  von  ßeminiscenzen  haben,  nicht  Er- 
gebnisse eigens  angestellter  Studien  sind.  Was  Bemoulli  über 
die  Absichten  des  Hieronymus  bei  Abfassung  des  Schriftchens, 
namentlich  seine  Tendenz  eine  recht  grofee  Anzahl  christlicher 
Schriftsteller  der  heidnischen  Litteratur  entgegenzustellen,  sagt, 
ist  zutreffend,  dagegen  mufs  das  Verhältnis  des  Hieronymus  zur 
biographischen  Technik  des  Altertums  noch  genauer  untersucht 
werden;  was  der  Verfasser  S.  74 ff.  über  das  Verhältnis  zu  8ueton 
sagt,  ist  recht  dürftig,  und  die  S.  78  f.  zusammengestellten  an- 
geblichen Anklänge  sind  fast  durchweg  ganz  bedeutungslos :  wenn 
er  Dinge,  wie  Terentius  Afer  <v  Cyprianus  Afer,  a  quo  .  .  . 
supra  diximus  rv>  de  quo  supra  diximus,  scripsit  comoedias  sex 
scripsit  autem  .  .  .  novem  epistulas  u.  ähnl.  als  Oberein- 
stimmungen notiert,  so  darf  man  billig  fragen,  wie  sich  denn 
Hieronymus  anders  hätte  ausdrücken  können.  Dafs  sich  Ber- 
noulli  hier  auf  einem  nicht  recht  vertrauten  Boden  bewegt,  zeigt 
der  Umstand,  dafs  er  Hier.  v.  inl.  33,  1  Bardesanes  Mesopotamiae 
clarus  habitus  est  mit  Suet.  frag.  5  p.  22,  6  Reiff.  Livius 
tragoediarum  scriptor  clarus  habetur  vergleicht,  ohne  zu  merken, 
dafs  das  Suetonfragment  nichts  andres  ist  als  eine  Notiz  des 
Hieronymus  selbst  zu  Euseb.  chron.  Ol.  148,  2.  In  eigener 
Sache  bemerke  ich,  dafs  der  S.  54  Anm.  1  gegen  mich  gerich- 
tete Tadel  wegen  zu  vertrauensseliger  Benützung  der  Hieronymus- 
stelle v.  inl.  53  durchaus  berechtigt  ist;  der  „Senator"  Apollo- 
nia, den  auch  ich  als  gemeinsame  Quelle  des  Minucius  Felix 
und  des  tertullianischen  Apologeticum  für  möglich  gehalten  habe, 
hat  kein  Recht  als  Schriftsteller  zu  gelten:  aber  das  Ergebnis 
von  F.  Wilhelms  Quellenanalyse  der  genannten  beiden  Schriften 
scheint  mir  eine  beiden  zugrundeliegende  christliche  Apologie  in 


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621) 


NACHRICHTEN. 


lateinischer  Sprache  so  sicher  zu  erweisen  ,  dafs  dem  gegenüber 
das  Fehlen  ausdrücklicher  Zeugnisse  über  vortertulüanische  Schrift- 
steller lateinischer  Zunge  nichts  beweisen  kann. 

Der  Zeitpunkt  für  Bernoullis  Untersuchung  war  insofern  un- 
günstig gewählt,  als  dieselbe  natnrgemäfs  an  vielen  Stellen  ein 
Eingehen  auf  die  Einzelheiten  des  hieronymianischen  Textes  ver- 
langte, von  diesem  aber  die  sehnlichst  erwartete  kritische  Aus- 
gabe von  J.  Huemer  im  Wiener  Kirchen väter-Corpus  noch  aus- 
steht. Der  Verfasser  hat  sich  also  der  Aufgabe  nicht  entziehen 
können,  sich  für  seine  Untersuchung  eine  eigene  B^censio  zu 
schaffen,  für  welche  er  den  Beginensis  (A),  Yeronensis  (C)  und 
Vercellensis  (())  selbst  eingesehen  hat;  er  hat  von  A  eine  Ab- 
schrift genommen,  C  und  namentlich  D  damit  verglichen  und  für 
die  viorte  sehr  alte  Handschrift,  den  Parisinus  (Corbeiensis ,  B) 
aufser  der  bei  Uerding  veröffentlichten  Kollation  A.  Schönes 
briefliche  Mitteilungen  L.  Delisles  benützt.  Danach  ist  in  der 
oben  unter  Nr.  2  genannten  Ausgabe  der  Text  des  Hieronymus 
hergestellt,  wobei  in  der  vorausgeschickten  Einleitung  nicht  nur, 
dem  Plane  der  Krügerachen  Sammlung  entsprechend,  die  für  die 
Einführung  in  die  Lektüre  der  Schrift  nötigsten  Vorbemerkungen, 
sondern  auch  ein  kritischer  Apparat  gegeben  werden,  der  für 
Kap.  1 — 40  eine  reichere,  von  da  an  eine  knappere  Auswahl 
von  Varianten  der  genannten  Handschriften  und  einiger  Ausgaben 
(aufser  Fabricius  und  Vallarsi  auch  Herdiogs  elendes  Macbweik 
zu  berücksichtigen,  war  recht  überflüssig)  gegeben  wird.  Für 
Gennadius  besafs  Bernoulli  nur  vom  Vercellensis  eine  eigene 
Kollation,  während  er  sonst  auf  Vallarsi  und  Herding  angewiesen 
war  und  während  des  Druckes  subsidiär  eine  Berner  Handschrift 
(nr.  225,  saec.  X/XI)  herangezogen  hat.  Über  den  provisorischen 
Charakter,  den  seine  Texteskonstitution  unter  diesen  Verhältnissen 
tragen  mufste,  ist  sich  Bernoulli  selbst  durchaus  nicht  im  Un- 
klaren, zumal  er  als  Neuling  den  technischen  Schwierigkeiten  des 
Handschriftenlesens  nicht  durchweg  gewachsen  gewesen  zu  sein 
scheint  (S.  XLVIII:  „Sigla  habe  ich,  wo  ich  sie  lesen  konnte, 
aufgelöst").  Trotzdem  ist  die  Ausgabe  für  den  begrenzten  Zweck 
brauchbar  und  willkommen,  namentlich  für  Hieronymus,  während 
der  Gennadiustext  doch  auf  einem  gar  zu  schwachen  Fundamente 
anfgebant  ist  Um  an  einem  Beispiele  zu  zeigen,  dafs  mit  diesen 
Hilfsmitteln  nicht  auszukommen  ist,  führe  ich  die  Vita  des  Victo- 
rinns rhetor  Massiliensis  (Kap.  60)  an,  für  die  ich  zufällig  den 
Apparat  aus  den  vier  alten  Handschriften  besitze  (vgl.  Gött  Gel. 
Anz.  1869  S.  296  Anm.  2):  innerhalb  sieben  Zeilen  fehlen  drei 
sachlich  wichtige  Varianten:  1  Victorius  AB  statt  Victorinus, 
3  quattuor  AB  statt  tres,  7  Valentiniano  AB  statt  Valente,  die 
sämtlich  in  den  Text  hätten  aufgenommen  werden  müssen  (vgl 


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NACH  U1CHTEX. 


621 


C.  Schenkl,  Poet  Christ,  min.  I  p.  347);  jedenfalls  durfte  das 
unmögliche  Theodosio  et  Valente  ebenso  wenig  stehen  bleiben, 
wie  Kap.  61  (Cassianus)  Z.  28  Theodosio  et  Yalentiano.  So- 
liefse  sich  auch  an  der  Emendatio  mancherlei  aussetzen,  doch  ist 
es  immer  unbillig,  an  ein  Bach  mit  Anforderungen  heranzutreten, 
die  zu  erfüllen  es  gar  nicht  den  Anspruch  erhebt.  Die  Beigabe 
eines  Faksimile  zweier  Seiten  des  Reginensis  (nach  Photographie) 
ist  sehr  dankenswert. 

Das  Buch  von  G.  Wentzel  (oben  Nr.  3)  ist  eine  ausgezeich- 
nete literarhistorische  Untersuchung,  die  im  engen  Zusammen- 
hange steht  mit  desselben  Gelehrten  mustergültigen  Arbeiten  zur 
Geschichte  und  Quellenkunde  der  griechischen  Lexikographen  (siehe 
S.-Ber.  d.  Berl.  Akad.  1895  S.  477  ff.).  Der  Titel  ist  allerdings 
irrefahrend:  man  erwartet  eine  Erörterung  über  Entstehungszeit 
und  Verfasser  der  seit  Erasmus  unter  dem  Namen  des  Sophronius 
gehenden  griechischen  Übersetzung  der  viri  inlustres  des  Hie- 
ronymus, statt  dessen  erhält  man  etwas  Wertvolleres,  eine  mit 
der  dem  Veifasser  eigenen  Knappheit  und  Sauberkeit  geführte 
Untersuchung  über  die  biographische  Quelle  des  Suidas,  in  der 
allerdings  der  sogen.  Sophronius  eine  bedeutsame  Rolle  spielt 
und  durch  die  auch  er  in  ein  neues  Licht  gesetzt  wird.  Das 
Ergebnis  ist  dieses:  Sowohl  Photius  in  der  Bibliothek  als  Suidas 
benützen  als  biographische  Quelle  eine  zwischen  829  und  857 
abgefafste  Epitome  aus  des  Hesychius  Milesius  niyu$  jtäv  *V 
naiSi/a  ovofiaoTwy.  Der  Epitomator  begnügte  sich  nicht  damit, 
die  Vorlage  zu  verkürzen,  sondern  gestaltete  einerseit  die  eido- 
graphische  Anordnung  derselben  zu  einer  lexikalischen  um,  anderer- 
seits fügte  er  die  bei  Hesychius  ausgeschlossenen  Biographieen 
christlicher  Schriftsteller  hinzu.  Für  diese  war  seine  Hauptquelle 
die  griechische  Obersetzung  der  viri  inlustres,  aufserdem  benutzte 
er  Eusebius'  Kirchengeschichte,  Philostorgius  und  die  kirchen- 
geschichtliche Eicerptensammlung  des  Theodorus  Anagnostes  und 
fügte  aus  eigener  Kenntnis  bei  einigen  zu  seiner  Zeit  geleseneren 
Autoren  Schriftentitel  hinzu.  Das  scheint  mir  alles  völlig  unan- 
fechtbar und  abschliefsend,  und  es  folgt  daraus  für  die  Textkritik 
des  Hieronymus,  dafs  Suidas  und  Photius  zusammen  eine  Hand- 
schrift der  griechischen  Obersetzung,  und  zwar  eine  solche  des 
9.  Jahrhunderts,  darstellen  und  entsprechend  für  die  Recensio  zu 
verwerten  sind,  für  die  griechische  Obersetzung  selbst  aber,  dafs 
sie  bereits  vor  dem  9.  Jahrhundert  vorlag,  also  der  Gedanke  an 
eine  Humanistenfälschung  (Isaac  Vossius)  ausgeschlossen  ist.  Aller- 
neuestens ist  durch  Bernonlli  (vgl.  Theol.  Lit.-Ztg.  1895  S.  475  f.) 
die  Handschrift,  aus  welcher  Erasmus  den  griechischen  Text  her- 
ausgab, in  der  Züricher  Stadtbibliothek  (Ms.  C  11  chart.,  saec.  XIII) 
wieder  aufgefunden  worden,  wobei  es  sich  ergab,  dafs  in  der 

Z«iUchr.  r.  k.-g.  xvrr.  4.  40 


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622 


NACHRICHTEN. 


Handschrift  der  Käme  des  Sopbronius  als  Autor  nicht  genannt 
ist,  derselbe  also  nnr  auf  einer  Kombination  des  Erasmus  beruht. 
Für  die  Beantwortung  der  Frage,  ob  diese  nach  vir.  inl.  134 
(Sopbronius  .  .  .  opuscula  mea  in  graecum  sermonem  elegantis- 
sime  transtulit)  recht  nahe  liegende  Vermutung  das  Richtige  trifft, 
giebt  auch  Wentzels  Buch  kein  entscheidendes  Moment;  hier  wird 
die  sprachliche  Untersuchung  eintreten  müssen  und  festzustellen 
haben,  ob  die  Schrift  ihrer  sprachlichen  Form  nach  ins  4.  Jahr- 
hundert gesetzt  werden  kann.  Zum  Schlüsse  will  ich  ein  Be- 
denken gegen  ein  Glied  in  Wentzels  Beweisführung  nicht  unter- 
drücken. In  einer  Moskauer  Handschrift  des  Gregor  von  Nazianz 
aus  dem  9. — 10.  Jahrhundert  ist  von  einem  Besitzer  derselben 
aus  dem  14.  oder  15.  Jahrhundet  eine  bis  auf  einige  Auslas- 
sungen wörtlich  mit  Suidas  übereinstimmende  Biographie  des 
Gregor  von  Nazianz  eingetragen,  an  deren  Spitze  die  Worte 
stehen:  Tudt  mgt  iov  fuyulov  rgrjyogfov  (frjoir  *Hav/iog  *A- 
Xovoigiog  o  rovg  ßiovq  nov  oorpwv  anuvuav  axtuygaiptjoug. 
Wentzel  folgert  daraus,  dafs  der  Schreiber  dieselbe  Quelle  wie 
Suidas,  d.  h.  eben  die  Hesych-Epitome ,  benutzte  und  dafs  diese 
nicht  den  Namen  des  Epitomators,  sondern  nur  den  des  Hesychius 
trug,  eine  Bescheidenheit,  die  im  9.  Jahrhundert  nicht  recht 
glaublich  ist.  Ist  es  denn  nicht  denkbar,  dafs  der  doch  wohl 
gelehrte  Schreiber  jener  Gregor vita  einfach  den  Suidas  ausschrieb 
und  den  Namen  des  Hesychius  aus  seiner  Kenntnis  des  viel- 
besprochenen Suidas- Artikels  Havyjoq  .  .  .  tygtx\p*y  orofiaio- 
Xoyov  r,  m'vuxu  Tiüv  fr  nuidtiu  oyoftannt.v  ot  tnti Of.irt  toxi  rorro 
to  ffiflXtoy  entnahm?  (?.  Wissowa. 

Vgl.  Nr.  36. 

*  33.  In  sehr  erfreulicher  Weise  hat  sich  neuerdings  der 
Teubnerscbe  Verlag  auch  etwas  der  Patristik  angenommen.  In 
dem  letzten  Jahre  ist  eine  Anzahl  christlicher  Schriften  in  die 
Bibliotheca  Teubneriana  aufgenommen  worden,  und  man  darf  dafür 
dankbar  sein,  dafs  mehrere  sonst  schwer  zugängliche  und  noch 
nicht  genügend  edierte  Schriften  nun  in  guten  und  billigen  Ab- 
drücken vorliegen.  Die  Streitschrift  des  Alexander  von  Lycopolis 
gegen  die  Manicbäer  hat  Aug.  Brinkmann  nach  der  ältesten 
und  besten  Handschrift,  dem  Cod.  Laur.  plut  IX,  c.  23,  eaec.  IX 
o.  X,  sehr  sorgfältig  herausgegeben  (Alexandri  Lycopoli- 
tani  contra  Manichaei  opiniones  disputatio  ed.  A.B. 
Lipsiae,  B.  G.  Teubner,  1895.  XXXI  et  50  p.  Mk.  1.  — ). 
Dem  nicht  immer  tadellos  Überlieferten  Texte  hat  der  Heraus- 
geber durch  besonnene  Konjekturalkritik  aufgeholfen.  Wertvolle 
Emendationen  haben  auch  Bücheler  und  Usener  beigesteuert. 
Eine  ganz  besonders  dankenswerte  Gabe  hat  Maximilian  Ihm  ge- 
liefert (Anthologiae  latinae  suppleme nta.    Vol.  I.  Da- 


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NACHRICHTKN. 


masi  epigrammata.  Accedunt  Pseudodamasiana  aliaque  ad  Da- 
masiana  inlustranda  idonea.  Becens.  et  adnotavit  M.  I.  Lipsiae, 
B.  G.  Teubner,  1895.  LIV  et  147  p.  Cum  tabula.  Mk.  2,  40). 
Um  die  Sammlung  der  Damasusepigramme  hat  sich  vor  andern 
der  verstorbene  J.  B.  de  Rossi,  dessen  Andenken  diese  Ausgabe 
gewidmet  ist,  verdient  gemacht.  Durch  seine  unermüdlichen  und 
sachkundigen  Ausgrabungen  bat  er  zahlreiche  Fragmente  der  Epi- 
gramminschriften zutage  gefördert,  wie  er  das  gesamte  Material 
samt  dem,  was  die  Handschriften  boten,  in  dem  zweiten  Bande 
seiner  christlichen  Inschriften  der  Stadt  Rom  bearbeitet  hat. 
Ihms  Ausgabe  zeichnet  sich  ebenso  durch  Handlichkeit  wie  Sorg- 
falt und  billigen  Preis  aus.  Die  christlichen  Epigramme,  die  sich 
in  der  Anthologia  Palatina  finden,  haben  ebenfalls  eine  vorzüg- 
liche Bearbeitung  in  der  Neuen  Ausgabe  der  Anthologia  Palatina 
von  Hugo  Stadtmüller  gefunden  (Anthologia  Oraeca 
epigrammatum  Palatina  cum  Planudea  ed.  H.  St. 
Vol.  I.  Palatinae  lib.  I—  VI.  Lipsiae,  B.  G.  Teubner,  1894. 
XLI  et  419  p.  Hk.  6.  — ).  Eine  recht  interessante  Heiligen- 
vita, die  bisher  nur  in  einem  verstümmelten,  von  den  Bollan- 
disten  (Acta  Sanct.  Juni  III,  308 sqq.)  herausgegebenen  Texte 
vorlag,  ist  aus  Useners  Schule  neu  bearbeitet  hervorgegangen: 
Callinici  de  vita  S.  Hypatii  liber.  Ediderunt  seminarii 
philologorum  Bonnensis  sodales.  Lipsiae  1895.  XX  et  158  p. 
Mk.  3.  — .  Die  Schrift  ist  Bücheler  zu  seinem  Jubiläum  ge- 
widmet und  ein  seiner  würdiger  akademischer  Grufs.  Zugrunde 
gelegt  ist  die  beste  Handschrift  Paris,  gr.  1488  sc.  XI.  Der 
Text  ist  auf  Grund  der  beiden  Handschriften  rezensiert;  die 
Konjekturen,  durch  die  die  sodales  ihren  philologischen  Scharf- 
sinn dokumentiert  haben,  halten  sich  mit  Recht  meist  in  den 
Noten.  Die  Indices  füllen  ein  Drittel  des  Bandes.  Dafs  übri- 
gens das  Bekenntnis,  das  Hypatius  p.  78  s»  ablegt,  trotz  der  vor- 
hergehenden Behauptung  nicht  das  apostolische  ist,  sondern  ein 
antinestorianisches ,  hätte  p.  119,  um  Irrtümer  zu  vermeiden, 
deutlich  gesagt  sein  sollen.  Ein  anonymer  Dialog  Hermippus 
(Anonymi  Christiani  Hermippns  de  astrologia  dia- 
logus  ediderunt  Guilelmus  Kroll  et  Paulus  Viereck.  Lipsia, 
B.  G.  Teubner,  1895.  XI  et  87  p.  Mk.  1.80)  dessen  Text 
arg  verderbt  überliefert  ist,  bietet  weniger  Interesse  für  Theo- 
logen als  für  Philosophen. 

•  $4.  Von  dem  Wiener  Corpus  liegen  zwei  weitere  Bände 
vor:  von  den  Werken  des  Eucherius  von  Lyon  der  erste  Band 
bearbeitet  von  K.  Wotke  (S.  Eucherii  Lugdunensis  for- 
mulae  spiritalis  intelligentiae,  instructionum  libri  duo,  passio 
Agaunensium  martyrum,  epietula  de  laude  heremL  Accedunt 
epistulae  ab  Salviano  et  Hilario  et  Rnstico  ad  Eucherium  datae. 

40  • 


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024 


NACHRICHTEN. 


Receosuit  et  commentario  critico  instruxit  C.  W.  Vindobonae, 
F.  Tempsky,  1894.  XXV  et  200  p.  Mk.  5.60).  Die  Über- 
lieferang ist  sehr  verzwickt.  Zwar  bat  Eucherius  das  Glück, 
aufser  in  jüngeren,  auch  in  zwei  Handschriften  ans  dem  6.  Jahr- 
hundert erhalten  zu  sein,  einem  Sessorianus  77  und  dem  Paris, 
lat.  9550.  Aber  die  Verhältnisse  liegen  hier  noch  ungünstiger, 
wie  z.  B.  bei  Hilarius  in  dem  Psalmen kommentar.  Die  von  bei- 
den Handschriften  gebotenen  Rezensionen  sind  so  verschieden,  dafs 
nur  die  Möglichkeit  war,  der  einen  auf  Kosten  der  andern  za 
folgen.  Zur  Erklärung  des  Verhältnisses  beider  beliebt  Wotke 
die  neuerdings  recht  in  Schwung  gekommene ,  aber  nur  in  ganz 
vereinzelten  Fällen  (wie  bei  Optatus)  wirklich  stichhaltige  An- 
nahme einer  doppelten  Bearbeitung,  die  frühere  vom  Sess.,  die 
spätere  vom  Paris,  und  den  von  ihm  abhängigen  Handschriften 
repräsentiert.  Abgesehen  von  anderem  macht  schon  die  Häufig- 
keit der  Erscheinung  gegen  diese  Annahme  sehr  bedenklich. 
Wotke  legt  P  zugrunde.  Dafs  die  späteren  Interpolationen  (cf. 
p.  XIV)  für  die  Geschichte  des  Bibeltextes  doch  recht  wichtig 
sind,  hat  W.  nicht  überlegt;  sonst  würde  er  wohl  ihnen  gegen- 
über ein  anderes  Verfahren  eingeschlagen  haben.  Die  passio 
Agaunensium  martyrum  ist  nach  einem  Cod.  Sangallens.  s.  IX/X, 
die  Schrift  laude  heremi  nach  vier  jüngeren  Handschriften,  die 
im  Anbang  abgedruckten  Briefe  sind  nach  einem  Paris,  s.  VII 
bis  VIII  rezensiert.  Im  einzelnen  ist  der  Apparat  nicht  überall 
zuverlässig,  wie  auch  die  Notierung  der  Bibelstellen  nicht  ohne 
Lücken  ist  Wie  üblich  ist  der  Band  W.  v.  Härtel  dediziert 
(Vgl.  E.  v.  Dobschütz,  Lit.  Centr.- Blatt  1895,  24,  854£; 
A.  Jülicher,  Theol.  Lit.-Ztg.  1895,  12,  310—312.)  —  Von  den 
Briefen  Augustins  liegt  der  Anfang  der  neuen  von  AI.  Gold- 
bacher  besorgten  Ausgabe  vor  (S.  Aurelii  Augustini, 
Hippionensis  episcopi  epistulae  rec.  et  commentario 
critico  instruxit  A.  G.  Pars  I.  Praefatio.  Ep.  I — XXX.  Vindo- 
bonae, F.  Tempsky,  1895.  125  p.  Mk.  3.  60).  Da  eine  prae- 
fatio fehlt,  ist  über  die  textkritischen  Grundsätze  des  Heraus- 
gebers noch  nichts  zu  sagen.  Auch  eine  Übersicht  über  die 
zahlreichen  nicht  zu  jedem  Brief  erklärten  Sigla  f  1  in  r  s  bet- 
zugeben hat  man  für  überflüssig  erachtet.  Soweit  sich  auf  so 
mangelhafter  Grundlage  urteilen  läfst,  ist  die  neue  Ausgabe  sorg- 
fältig gearbeitet  Warum  freilich  die  Abnehmer  der  Ausgabe 
mit  so  mikroskopischen  Portionen  abgespeist  werden,  ist  nicht 
recht  erfindbar.  (Vgl.  meine  Anzeige  im  Lit  Centr.- Bl.  1895, 
26,  924  f.)  Preuschtn. 

*  35.  Corpus  scriptorum  ecclesiasticorum  latinornm  editum 
conailio  et  impensis  Academiae  litterarum  Caesareae  Vindobonensia. 


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NACHRICHTEN. 


G25 


Vol.  XXX.  S.  Pontii  Meropii  Paulini  Nolani  opera. 
Pars  II  Carmina,  Indices  voluminum  XXVIIII  et  XXX,  ex  recensione 
Goilelmi  de  Härtel.  Vind.  1894.  Bei  dem  Text  der  für  die 
Geschichte  der  Völkerwanderung  und  der  kirchlichen  Kultur  so 
wichtigen  Gedichte  des  Paulinus  von  Nola  befand  man  sich  bis- 
her in  einer  noch  ableren  Lage  als  bei  den  Brieftexten  desselben 
Autors.  Zahlreiche  Willkürlichkeiten  der  Erstlingseditionen 
schleppten  sich  durch  alle  Ausgaben.  Erst  jetzt  wird  die  Ge- 
schichte der  Textüberlieferung  klar.  Man  hat  zwei  Gruppen  von 
Dichtwerken  zu  unterscheiden.  Die  15  Carmina  auf  den  h.  Felix 
sind  sehr  früh  gesammelt.  Alle  Handschriften  gehen  auf  einen 
Archetypus  zurück,  der  wahrscheinlich  in  der  Kirche  von  Nola, 
vermutlich  vom  Verfasser  selbst,  hergestellt  wurde.  Die  übrigen 
18  Gedichte  sind  meist  in  Ausonius-  Handschriften  überliefert, 
unter  denen  der  cod.  Vossianus  die  älteste  ist,  vermutlich  in  dem 
Benediktinerkloster  Ilo  Barle  während  der  Regierung  Karls  d.  Gr. 
zu  Schulzwecken  zusammengestellt  Der  einst  im  Besitz  des  Ni- 
kolaus von  Cusa  befindliche  cod.  Bruxellensis  saec.  XII  vereinigt 
Gedichte  aus  beiden  Sammlungen.  —  v.  Härtel  hat  die  unchrono- 
logische Reihenfolge  Muratoris  beibehalten.  Die  carmina  XXX  bis 
XXXIV  (=  Migne  61,  671—676)  fehlen.  Es  sind  nur  Bruchstücke 
aus  anderen  Gedichten,  was  übrigens  die  früheren  Herausgeber 
nicht  hinderte,  eigene  Abfassungsdaten  zu  bestimmen.  Statt  ihrer 
erscheinen  jetzt  unter  XXVIIII  Fragmente,  die  in  „Dungali  re- 
Bponsa  adversus  perversas  Claudii  Taurinensis  sententias"  auf- 
bewahrt sind.  In  dem  cod.  Ambros.  B  102  sup.  saec.  IX  scheint 
das  Autograph  dieser  Schrift,  aus  dem  Kloster  Bobbio,  vor- 
zuliegen. Hinzugekommen  sind  ferner  die  inschriftlich  erhaltenen 
Distichen  unter  XXX*  (siehe  de  Rossi,  Inscr.  ehr.  II,  1,  189, 
Romae  1888);  aufserdem  zwei  Verse  (290  und  327)  in  dem 
beim  Goteneinfall  des  Jahres  401  gedichteten  Carmen  XXVI  und 
Vers  42.  43  in  dem  Gedicht  De  obitu  Celsi.  Hingegen  hat 
XVIII,  Vers  85  (=  Migne  61,  492  0)  teils  ausfallen,  teils  zu 
Vers  84  gezogen  werden  müssen.  Der  zweite  der  drei  Indices 
S.  377 — 396  bietet  aus  den  Sammlungen  von  Manitius  [nicht 
Munutius  wie  S.  377  steht],  Hümer  und  Zingerle  nicht  blofs  die 
von  Paulinus  nachgeahmten  Original-,  sondern  auch  Parallelstellen 
zu  den  Episteln  und  Gedichten.  Arnold. 

*36.  Eine  Untersuchung  der  Schrift  des  Hieronymus  De 
viris  illu8tribu8  war,  wie  eine  kritische  Ausgabe  von  ihr,  schon 
längst  ein  Desiderium.  Letzterem  Bedürfnis  hilft  einstweilen  in 
gewisser  Weise  die  Ausgabe  von  Bernoulli  in  Krügers  Sammlung 
ab;  zur  Befriedigung  des  ersteren  haben  wir  ziemlich  gleichzeitig 
zwei  Arbeiten  erhalten.     Die   vortreffliche  Untersuchung  von 


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626 


NACHRICHT  KN. 


C.  Bern o ulli  und  die  vgd  Stanislaus  von  Sychowski  (Hie- 
ronymus als  Literarhistoriker.  Eine  quellenkritische 
Untersuchung  der  Schrift  des  hl.  Hieronymus  De  Tins  illustribns 
von  St  v.  S.  in:  kirchengeschichtliche  Studien  herausgegeben  von 
Knöpf ler,  Schrörs  und  Sdralek  II,  2.  Münster,  Schöningh,  1894. 
VIII  und  198  S.  Mk.  4.60.  Subskriptionspreis  Mk.  3.40). 
Fast  zwei  Drittel  der  Schrift  füllt  der  dritte  Abschnitt,  ein  Ab- 
druck  des  Textes  des  catalogus  nach  Vallarsi  mit  kritischen  Er- 
örterungen. Der  Verfasser  hat  viel  Fleifs  darauf  verwendet,  das 
zur  Erläoterung  dienliche  Material  herbeizuschaffen  und  im  ein- 
zelnen zu  zeigen ,  wie  Hieronymus  bei  seiner  Bearbeitung  ver- 
fahren ist  Die  beiden  ersten  Abschnitte  sind  im  Vergleich  dazu 
nicht  selten  etwas  dürftig  und  flüchtig  geraten  und  scheinen 
eigentlich  nur  den  Zweck  zu  haben,  zum  Verständnis  des  dritten 
zu  verhelfen  und  seine  Ergebnisse  kurz  zusammenzufassen.  Der 
erste  Abschnitt  handelt  von  der  äufseren  Bestimmung  der  Schrift, 
den  Umständen,  die  ihr  Ansehen  begründet  haben,  den  Beurtei- 
lungen, die  sie  gefunden  hat  (Harnacks  Urteil  in  der  altchrist- 
lichen Literaturgeschichte,  das  seine  Begründung  in  dem  ganzen 
Werke  findet,  hatte  nicht  übergangen  werden  sollen),  der  Be- 
deutung nach  den  Ergebnissen  der  Quellenkritik,  der  Chronologie 
und  endlich  von  der  Integrität  (gegen  die  verschollene  Hypothese 
von  A.  Ebrard  gerichtet).  Der  zweite  Abschnitt  ist  dem  Nach- 
weis der  charakteristischen  Arbeitsweise  des  Hieronymus  gewidmet, 
wobei  Sychowski  weder  die  zahlreichen  Fehler  und  Flüchtigkeiten 
im  einzelnen  verschleiert,  noch  auch  die  Methode  im  ganzen  in 
Schutz  nimmt.  Die  Beilagen  bringen  nützliche  Indices.  Inter- 
essant wäre  der  Nachweis  gewesen,  wo  Hieronymus  wider  besseres 
Wissen  liederlich  war.  Aus  seinen  zahlreichen  Schriften  liefs 
sich  das  Material  dazu  leicht  beschaffen  und  der  etwas  zu  um- 
fassende Titel  der  Abhandlung  weckt  eine  derartige  Erwartung. 

*  $?•  Von  A.  Harnacks  Vortrag  Augustins  Konfes- 
sionen (Giefsen,  J.  Kickersche  Buchhandlung,  1895.  32  S. 
Mk.  — .  60)  ist  eine  zweite ,  gegenüber  der  ersten  kaum  ver- 
änderte Auflage  erschienen.  Es  ist  nicht  nötig,  zu  dieser  geist- 
vollen Einleitung  in  das  Studium  der  Konfessionen  noch  ein  Wort 
der  Empfehlung  zu  sagen.  Preuschen. 

*38.  Angustin  de  catech izandis  rudibus  heraus- 
gegeben von  A.  Wolfhard.  Zweite  vollständig  umgearbeitet« 
Ausgabe  von  G.  Krüger  (Sammlung  kirchen-  und  dogmengeschicht- 
licher Quellenschriften  .  .  .  herausgegeben  unter  Leitung  von 

D.  G.  Krüger,  4.  Heft).  (XV  u.  76  S.)  Freiburg  i.  Br.  (Mk.  1.40.) 
Die  zurückgezogene  erste  Ausgabe  wird  hier  durch  eine  muster- 
hafte Edition  ersetzt.    Hoffentlich  wird  in  einer  dritten  Auflage 


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NACHRICHTEN. 


627 


auch  die  triviale  Einleitung  Wolfhards,  die  grösstenteils  stehen 
geblieben  ist,  mit  einer  litterargesohichtlichen  Einführung  in  die 
Schrift  vertauscht.  Arnold. 

*S9.  Über  die  „Lehren  des  Johannes  Cassianus 
von  Natur  und  Gnade"  handelt  Alexander  Hoch  (Freiburg 
i.  Br.,  Herder,  1895.  VIII  und  116  S.  Mk.  1.60).  Nachdem 
Hoch  im  ersten  Abschnitt  den  Standpunkt  Cassians  im  allgemeinen 
beleuchtet  hat,  bespricht  er  im  zweiten  die  menschliche  Natur 
im  jetzigen  Widerstreit  zwischen  Geist  und  Fleisch,  drittens  den 
Sündenfall,  viertens  die  sittliche  Anlage  des  Menschen  nach  dem 
Sündenfall,  fünftens  Prädestination,  Freiheit  und  Gnade,  Notwendig- 
keit der  Gnade,  sechstens  Gnade  und  Rechtfertigung,  um  im  letzten 
Abschnitte  seine  Resultate  noch  einmal  kurz  zusammenzufassen. 
Hoch  ist  sichtbar  bemüht,  Cassian  von  dem  Vorwurf  des  Pola- 
gianisierens  frei  zu  machen,  dem  er  bekanntlich  bereits  zu  seinen 
Lebzeiten  nicht  entgangen  ist.  Doch  kann  man  nicht  sagen,  dafs 
der  Erfolg  diesen  Bemühungen  entspräche.  Dankenswert  ist  da- 
gegen die  durchgängige  Vergleichung  mit  den  Anschauungen  des 
Chrysostomus,  dessen  Vorbildlichkeit  für  Cassian  von  Hoch  deut- 
lich hervorgehoben  wird.  (Vgl.  G.  Krüger,  Theol.  Lit.-Ztg.  1895, 
14,  368—370.  A.  Jülicher,  Götting.  Gel.  Nachr.  1895,  10, 
745—748) 

*  40.  Die  Schrift  von  Anton  Koch,  Der  hl.  Faustus, 
B i 8 c h  o f  von  Riez  (Stuttgart,  Jos.  Rothsche  Buchhandlung,  1 895. 
III  u.  208  S.  Mk.  3.  50)  ist  im  wesentlichen  ein  Neudruck  der  in 
der  Theol.  Qnartalschr.  LXXI  (1889).  LXXIII  (1891)  veröffent- 
lichten Aufsätze,  was  in  der  Vorrede  ohne  Schaden  bemerkt  werden 
konnte.  Es  ist  eine  recht  fleifsige  Darstellung  des  Lehrsystems;  neue 
Gesichtspunkte  werden  kaum  zutage  gefördert.  (Vgl.  F.  Loofe, 
Theol.  Lit-Ztg.  1895,  22,  567—570.)  Preuschen. 

41.  Zu  Boethius  sind  vor  allem  drei  Aufsätze  von  Prof. 
Dr.  G.  Schopf 8  in  Speyer  zu  verzeichnen,  der  seit  Jahren  mit 
einer  Neuausgabe  beschäftigt  ist.  1)  Aus  dem  Bericht  über  den 
Stand  der  Vorarbeiten  in  den  Commentationes  Woelfflinianae 
(Lipsiae  1891),  S.  277— 280,  ist  für  die  Leser  dieser  Zeitschrift 
besonders  hervorzuheben,  dafs  zu  den  Opuscnla  sacra,  die  sich 
im  Anhang  von  R.  Peipers  Ausgabe  der  Consolatio  (Teubner 
1871)  finden,  acht  von  Peiper  nicht  ausgenutzte  Handschriften 
vollständig  kollationiert,  aus  vierzig  andern  Auszüge  gemacht  sind. 
8.  278  setzt  sich  Schopfs  im  Anschlufs  an  seine  Arbeit  im  N. 
Archiv  f.  ält.  d.  Gesch.  XI,  125  mit  den  Auslassungen  J.  Drä- 
sekes  (Zeitschr.  f.  w.  Theol.  1888,  S.  125 ff.)  auseinander,  tritt 
aber  dabei  keineswegs,  wie  es  nach  Bardenbewer  Patr.  587 f. 


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628 


NACHRICHTEN. 


scheinen  könnte,  unbedingt  für  die  Unechtheit  aller  Opuscula 
sacra  ein.  —  Die  wichtigsten  von  Tallinns  im  Jahre  1656  ver- 
werteten Handschriften  bat  Schopfs  rekognosziert  Als  Gegen- 
stand einer  Spezialuntersuchung  empfiehlt  er  S.  280  die  zahl- 
reichen Berührungen  zwischen  den  Gedichten  der  consolatio  und 
denen  des  Prudentius  (vgl.  Tlieol.  Litteraturbl.  1871,  601  ff.). — 
t)  Zu  Pseudo-Boethius  De  fide  catholica  von  G.  Schepfs  Zeitschr. 
f.  w.  Theol.  XXXVIII  (1895),  S.  269—278.  Aus  Nr.  IV  der 
Opuscula  sacra  (ed.  Peiper  1.  c.  p.  175 — 185)  ist  schon  früh  ein 
Excerpt  gemacht  und  zu  einer  Predigt  verarbeitet.  Diese  er- 
scheint hier  aus  einem  Wiener  cod.  saec.  IX  nach  einer  Kopie 
K.  v.  Schenkls  zum  erstenmal  gedruckt.  Der  Herausgeber  weist 
nach,  dafs  der  Überarbeiter  die  schon  im  Original  benutzte  Au- 
gustinische  Schrift  De  catech.  rud.  auch  seinerseits  oft  heran- 
gezogen und  Stellen  ans  De  civ.  Dei  verwertet  hat.  Unter  den 
Zusätzen  ist  der  bedeutendste  das  auf  die  Taufe  Christi  im  Jordan 
bezügliche  Wort:  „Christus  omnes  aquas  sanctificavit".  —  Über 
tr.  IV  selbst  macht  Schepfs  in  der  Wochenschr.  f.  klass.  Phil. 
1894,  col.  411  f.  einige  Mitteilungen.  —  8)  In  den  Blättern  f. 
d.  boyer.  Gymnasialschulw.  XXVIII  (1892)  weist  Schepfs  nach, 
dafs  die  in  den  Berl.  Studien  XI,  2  (1890)  von  Petschenig 
neu  edierten  lasciven  Elegieen  Maximians  häufig  auf  die  Con- 
solatio des  Boethius  Bezug  nehmen,  woraus  ihm  hervorzugehen 
scheint,  dafs  diese  Gedichte  erst  geraume  Zeit  nach  dem  Tode 
des  Boethius  verfafst  sind. 

*42.  Benedicti  Regula  Monachorum  recensuit  Eduardus 
Woelfflin.  Lipsiae,  In  aedibus  Teubneri,  1895.  (XV  et  85  p.) 
Mk.  1.60.  —  Schon  im  Jahre  1880  wies  P.  Edm.  Schmidt 
0.  S.  B.  in  seiner  zu  Regensburg  erschienenen  Editio  major  der 
Benediktinerregel  nach,  dafs  in  den  Handschriften  zwei  uralte 
Versionen  des  Textes  nebeneinander  hergehen,  vor  allem  im 
Prolog,  dann  aber  auch  am  Schlnfs  von  Kap.  6.  Wölfflin  zeigt 
jetzt,  dafs  die  Schrift  ursprünglich  mit  den  Schlufsworten  von 
Kap.  66  endigte:  „Hanc  autem  regulam  saepius  volumus  in 
congregatione  legi,  ne  qnis  fratrom  se  de  ignorantia  excuset". 
Ferner  ist  vor  dem  Beginn  des  letzten  (73.)  Kapitels,  das  mit 
den  Worten  anhebt:  „Regulam  autem  banc  descripsimus  etc.**, 
und  überhaupt  den  Charakter  eines  Nachtrags  zeigt,  in  einer 
alten  Handschrift  ein  „Amen"  stehen  geblieben,  wodurch  die 
weitere  Vermutung  bestätigt  wird,  dafs  eine  spätere  Rezension 
mit  den  Worten:  „qui  nos  pariter  ad  vitam  aeternam  perducat** 
Kap.  72  abgeschlossen  hat.  Dnrch  Kombinierung  dieses  drei- 
fachen Schlusses  mit  der  Doppelrezension  des  Prologs  gewinnt 
Wölfflin  drei  resp.  vier  Originaltexte.  Ähnlich  wie  Schmidt  die 
beiden  Rezensionen,  führt  Wölfflin  alle  diese  Überarbeitungen  auf 


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NACHRICHTEN. 


«29 


Benedikt  selbst  zurück,  obwohl  er  sich  über  die  Nachricht,  der 
h.  Maurus  habe  das  Urexemplar  nach  Gallien  mitgenommen,  vor- 
sichtiger äufsert  als  jener.  —  Der  handschriftliche  Apparat  ist 
genauer,  aber  weniger  reichhaltig  als  in  Schmidts  Editio  major. 
Wer  sich  z.  B.  über  die  Lesarten  des  cod.  Fuldensis  s.  IX  orien- 
tieren will,  sieht  sich  noch  auf  diese  verwiesen.  Eine  Geschichte 
der  handschriftlichen  Überlieferung  läfst  sich  aus  dem  heute  vor- 
liegenden Material  nicht  gewinnen,  und  doch  würde  diese  auch 
für  die  Fragen  der  sogenannten  höheren  Kritik  Bedeutung  haben.  — 
Wölfflin  legt  die  älteste  Handschrift,  den  cod.  Oxoniensis  s.  VII/VIII, 
der  von  Arthur  Hunt  neu  verglichen  ist,  zugrunde,  und  weist 
nach,  dafs  sowohl  die  Handschrift  von  Tegernsee  s.  IX,  wie  die 
(Keronische)  von  St.  Gallen  s.  VIII  sprachliche  Korrekturen  ent- 
halten. Schmidt  hatte  1880  jene,  1892  diese  bevorzugt;  erst 
jetzt  sind  sie  von  Wölfflin  unter  Beihilfe  von  J.  Egli  genügend 
kollationiert.  Aufser  diesen  drei  Handschriften  hat  er  nur  noch 
den  Emmeramensi8  s.  VIII  und  den  Kommentar  des  Hildemar 
8.  IX  zugezogen.  —  Ein  vorzügliches  Hilfsmittel  bietet  die  neue 
Ausgabe  in  sprachlicher  Beziehung.  Auf  Herstellung  der  ur- 
sprünglichen Wortformen  ist  grofse  Sorgfalt  verwandt;  Ausdrücke 
und  Konstruktionen,  die  im  Index  durch  Parallelstellen  oder 
Übertragung  ins  Deutsche  erläutert  werden,  sind  mit  einem  * 
versehen.  Die  „Loci  scripturae  sacrae"  sind  unvollständig  an- 
geführt. Der  Herausgeber  selbst  bemerkt  p.  XIII  im  allgemeinen: 
„  cum  aliam  rationem  sequi  liceat  theologo,  aliam  philologo,  nobis 
certe  ea  detur  venia,  ut  quicquid  ad  cognoscendam  linguae  latinae 
historiam  disci  possit,  id  in  praecipuo  lucro  ponamus". 

Arnold. 

*  48«  Unter  dem  Titel  2tvr,gog  b  MoyoyvoiTrjg  na- 
jgtag^g  lAvTio/tluQ  xui  r  unb  rot?  tyojxixov  tov  Zr^torog  f-i^XQ1 
jrtg  ini  Mqvü  owodov  (482 — 536)  oyloig  tov  fAOvotpvoaiOfiov 
ngbg  ity  6o&odo%iay  (Lipsiae  1894.  68  p.)  behandelt  ein  grie- 
chischer Geistlicher  Job.  Eustratios  in  einer  Jenaer  Doktor- 
dissertation eine  wichtige  Epoche  der  Geschichte  des  Monophysi- 
tismus  mit  tüchtiger  Quellenkenntnis  und  gutem  Urteil,  dem  man 
Geizers  Schule  anmerkt.  Preuschen. 

44.  D.  Geimain  Morin,  Mes  principes  et  ma  methode  pour 
la  future  edition  de  S.  C^saire.  (Extrait  de  la  Revue  Bene- 
dictine  feWrier  1893.  Abbaye  de  Maredsous  1893  [18  S.].)  Morin 
zieht  seine  Revue  Bänäd.  1892,  p.  49 sqq.  vorgetragene  Ansicht 
zurück,  dafs  der  pseudohieronymianische  Traktat  „De  septem  or- 
dinibus  ecclesiae"  (Migne  XXX,  148 — 162)  Faustus  Rejensis  zum 
Verfasser  habe  und  erklärt  dieselbe  für  widerlegt  durch  die  Aus- 


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630 


NACHRICHTEN. 


führungen  A.  Engelbrechts  (Patrist  Analekten,  Wien  1892,  S.  5 
bis  19).  Um  so  entschiedener  aber  b&lt  er  daran  fest,  dafs  der  codex 
Durlacensis  (C.  S.  E.  L.  XXI,  p.  LIV,  p.  223—313)  ein  Cäsa- 
riensisches  Homiliariam  biete  nnd  bekämpft  die  von  Engelbrecht 
in  der  Zeitschrift  f.  d.  ö.  Gymn.  1892,  Heft  11  vorgebrachten 
Gegengründe.  Er  rechtfertigt  die  von  jenem  beanstandete  Me- 
thode der  Maariner  bei  der  Abfassung  des  fünften  Bandes  ihrer 
Aogustin-Au8gabe ,  ediert  znm  erstenmal  vollständig  den  1838 
im  Archiv  von  Pertz  VI,  498  durch  Uoheneicher  teilweise  publi- 
zierten Prolog  zu  einer  Homiliensammlnng  von  Pestpredigten  und 
erweist  ihn  als  Eigentum  des  Cäsarius  von  Arles.  Der  Verfasser 
hat  in  seiner  mit  meisterhafter  Klarheit  und  Präcision  abgefafsten 
Schrift  aufs  neue  dargethan,  dafs  die  von  ihm  geübte  innere 
Kritik  sich  von  subjektiven  Velleitäten  freihält,  dafs  der  hier 
eingeschlagene  Weg  in  diesen  Fragen  der  richtige  ist  und  zum 
Ziel  führt  S.  7  f.  wird  die  durchaus  verschiedene  Eigentümlich- 
keit des  Faustus  und  des  Cäsarius  in  ihren  homiletischen  Pro- 
duktionen und  Reproduktionen  treffend  charakterisiert. 

*  45.  Hallier,  Ludwig,  Untersuchungen  über  die 
edessenische  Chronik  mit  dem  syrischen  Text  und  einer 
Übersetzung  herausgegeben.  —  Die  Apologie  des  Aristides  aus 
dem  Syrischen  übersetzt  und  mit  Beiträgen  zur  Textvergleichung 
herausgegeben  von  Dr.  Richard  Raabe  (Texte  und  Untersuchungen 
zur  Geschichte  der  altchristlichen  Litteratnr,  herausgegeben  von 
0.  v.  Gebhardt  und  Ad.  Harnack,  9.  Band,  Heft  1).  Mk.  8.  50. 
Die  „Erzählungen  der  (edessenischen)  Begebenheiten  im  Abriis" 
umfassen  die  Zeit  vom  November  201  n.  Chr.  bis  Mai  540 
(einige  Notizen  reichen  bis  133  v.  Chr.  zurück).  Bisher  nahm 
man  an,  der  Verfasser  habe  bald  nach  dem  ersten  Feldzug  des 
Chosroes  geschrieben;  Hallier  macht  wahrscheinlich,  dafs  die  Ab- 
fassung etwa  60  Jahre  später,  um  das  Jahr  600  n.  Chr.  fallt. 
Für  die  Zeit  vom  Mai  498  bis  September  503  ist  die  Chronik 
des  ersten  syrischen  Geschichtschreibers,  Josua  Stylites  (schrieb 
ca.  515),  wahrscheinlich  durch  Vermittelung  einer  Epitome,  be- 
nutzt Von  besonderem  Wert  scheint  die  edessenische  Bischofs- 
liste, die  mit  dem  Tode  des  Bischofs  Abraham,  360/1  n.  Chr., 
beginnt.  Sie  entstammt  nicht  direkt  dem  Kirchenarchiv,  sondern 
der  Kirchenbibliothek.  Durch  Vermittelung  des  ersteren  hat  aber 
auch  eine  umfangreiche  heidnische  Urkunde  aus  dem  königlichen 
Archiv  von  Edessa  Aufnahme  gefunden,  welche  die  Verdienste 
Abgars  IX.  (179  —  214)  bei  Gelegenheit  der  grofsen  Überschwem- 
mung des  Jahres  201  preist,  als  die  Fluten  unter  anderen  „auch 
das  Heiligtum  der  christlichen  Kirche  zerstörten*'.  Diese  Er- 
wähnung verschaffte  dem  Überschwemmungsbericht  Aufnahme  in 
das  durch  Eusebius  berühmt  gewordene  Bischofsarchiv,  welches 


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NACHRICHTEN. 


631 


zwischen  313  und  324  entstanden  zu  sein  scheint.  Als  sonstige 
Quellen  sucht  Hallier  ein  antiochenisches  Werk,  ein  Martyrologium 
und  eine  Schrift  über  die  Perserkriege  nachzuweisen.  Der  Chro- 
nist zeigt  orthodox-nestorianisierende  Gesinnung  und  ist  ein  Frennd 
der  anfänglichen  Kirchenpolitik  des  Kaisers  Justinian.  Krüger 
scheint  Th.  Jahresber.  (Braunschweig  1893)  S.  179  im  allgemeinen 
mit  Hallier  einverstanden,  doch  rügt  er  die  Art  der  Verwertung 
einer  Stelle  aus  dem  Sammelwerk,  dessen  drittes  bis  siebentes 
Buch  dem  Bischof  Zacharias  von  Mitylene  angehört,  auf  S.  64 
bei  Hallier.  —  Die  Verdienste  der  Raabeschen  Arbeit  liegen  auf 
dem  philologischen  Gebiet.  Von  seinen  sachlichen  Erörterungen 
sagt  er  selbst,  dafs  sie  „wenig  zu  positiven  Resultaten  führen". 

Arnold. 


46.  Der  Konsekrationsmoment  im  heiligen  Abend- 
mahl und  seine  Geschichte.  Von  Johannes  Watterich, 
o.  ö  Professor  der  Geschichte  a.  D.,  Dr.  phil.  et.  theol.  Heidel- 
berg, Karl  Winters  Universitätsbuchhandlung,  1896.  VIII  u. 
340  S.  broch.  Mk.  9.—,  geb.  Mk.  11.—.  Der  Verfasser  dieses 
sowohl  nach  der  eingeschlagenen  Methode  wie  nach  seinen  Re- 
sultaten bedeutsamen  Buches,  beginnt  mit  einer  eingehenden  Un- 
tersuchung der  biblischen  Abenlmahlsberichte  behufs  Feststellung 
des  Konsekrationsmomentes  beim  Ersten  Herrenmahl.  Er  weist 
nach,  dafs  die  Apostel,  dem  Gebote  des  Herrn  entsprechend 
„Dies"  in  dramatischer  Wiederholung  ganz  richtig  „gethan"  und 
verordnet  haben.  Den  Moment  erkannten  sie  in  dem  Akt,  bezw. 
Wort:  „er  segnete"  nicht  in  den  bei  der  Darreichung  des  Brotes 
und  Weines  deklarativ  gesprochenen  Worten  „  Dies  ist  — ".  Diese 
Erkenntnis  schwand,  wie  W.  an  der  Hand  des  Klemensbriefes 
und  der  Didache  darlegt,  gegen  Ende  des  1.  Jahrhunderts  mit 
dem  Hinscheiden  der  Apostel  in  der  Kirche,  auch  zu  Rom,  und 
im  Anfang  des  2.  Jahrhunderts  und  fortan  überhaupt  giebt  es, 
nach  den  richtig  verstandenen  Zeugnissen  des  Justin,  des  Irenäus 
und  der  folgenden  Kirchenschriftsteller  des  Morgen-  und  des 
Abendlandes,  sowie  der  ältesten  Liturgieen  in  der  ganzen  Kirche 
nur  eine  Konsekrationsform :  die  durch  ein  Gebet,  durch  die  Epi- 
klese. Die  aus  einem  alten  leicht  erklärlichen  Mifsverstflndnis 
herrührenden  Väterstellen,  die  dieser  Thatsache  zu  widersprechen 
scheinen,  entkräftet  W.  durch  den  Nachweis  der  in  ihnen  vor- 
liegenden Selbstwidersprüche  und  der  sie  absolut  ausschliefsenden 
Liturgieen.  —  Der  weitaus  interessanteste  und  ernsteste  Teil  der 
Untersuchung  befafst  sieb,  von  S.  1 20  an,  mit  dem  Beweis,  dafs 
die  Konsekrationsform  in  der  Kirche  zu  Rom  von  jeher,  bis  in 
die  Mitte  des  Pontifikates  Gelasins  I.  (J.  494 — 496)  keine  andere 


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632 


NACHRICHTEN. 


gewesen  ist,  als  die  der  ganzen  übrigen  Christenheit,  nämlich 
die  konsekratoriscbe  Epiklese.  In  diesem,  den  Morgenländern 
feindlich  gesinnten  und  von  den  extremsten  Primatansprüchen 
erfüllten,  energischen  Papst  Gelasias  I.,  der  auch  das  erste 
Indexdekret  erlassen  hat,  zeigt  W.  den  Unterdrücker  der  nach- 
apostolischen allgemein  christlichen  Konsekrationsform,  der  kon- 
8ekratorischen  Epiklese,  in  der  Kirche  Borns  und  den  wahren 
Vater  dor  neurömiscben  Konsekrationsform  durch  die  Herrenworte. 
Die  Umwälzung  hat  sich,  wie  W.  reichlich  aus  dem  im  wesent- 
lichen noch  erhaltenen  Oelasianischen  Mefsbuch  und  anderen  neu- 
römischen Liturgiedenkmälern  nachweist,  verhältnismäfsig  still 
vollziehen  lassen  durch  die  Verlegung  der  altrömischen  Epiklese 
vor  den  Abendmablsbericht,  wodurch  von  diesem,  nachdem  der 
richtige  Moment  desselben  seit  der  Apostf  lzeit  verwischt  war,  die 
Herrenworte  von  selbst  als  die  Konsekrationsform  übrig  blieben. 
Das  so  „reformierte"  neurömische  Mefsbuch  Oelasius  I.  wurde 
mit  sehr  geringem  Erfolg  von  Rom  aus  in  Oberitalien,  Spanien 
und  Gallien  einzuführen  gesucht;  Volk  und  Geistlichkeit  hielten 
zäh  am  Alten  fest.  Auch  die  durch  Gregor  I.  vollzogene  knappere 
Fassung  des  Gelasianischen  Mefsbuchs,  begleitet  von  feinem  mu- 
sikalischen Arrangement,  führte  nur  langsam  weiter.  Erst  Boni- 
fatius gelang  es,  die  fränkischen  Hausmeyer  und  späteren  Könige 
für  das  neurömische  Mefsbuch  und  die  Abschaffung  der  alten  Li- 
turgie zu  gewinnen.  Karl  der  Grofso  vollendete  in  Mailand  und 
Gallien  seines  Vaters  Werk.  In  Spanien,  dessen  alte  Liturgie 
noch  erhalten  ist,  führte  Gregor  VII.  mit  Gewalt  die  neurömische 
Messe  eiu.  —  Dies  der  geschichtliche  Entwicklungsgang,  wenn 
man  ihn  so  nennen  darf,  der  christlichen  Liturgie  im  Abendlande 
in  ihrem  maßgebenden  zentralen  Teile,  wie  ihn  W.,  gestützt  auf 
die,  zum  Teil  päpstlichen  Quellen,  aufrollt.  Das  Bild,  das  sich 
hieraus  für  einen  wichtigen,  bisher  etwas  leicht  genommenen  Ab- 
schnitt der  Kirchengeschichte  ergiebt,  ist  ein  neues.  Von  römi- 
scher Seite  wird  heftiger  Widerspruch  nicht  ausbleiben.  W.  kann 
ihm,  nach  unserem  Dafürhalten,  ruhig  entgegensehen.  Die  Orien- 
talen aber  finden  in  dem  hochwichtigen  Werke  endlich  gerade 
jetzt,  wo  sie  Leo  XIII.  zur  Vereinigung  mit  der  römischen  Kirche 
einladet,  das  Arsenal  zur  Gegenwehr  im  heiligsten  Mittelpunkt, 
das  ihnen  auf  dem  Konzil  von  Florenz  die  selbst  von  ihrem 
tapferen  Markus  von  Ephesus  gemachte  Konzession  gegenüber  Born 
erspart  haben  würde.  Klotz. 


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NAC11HICHTEX 


633 


Zur  mittelalterlichen  Kirchengeschichte. 

Von 

Gerhard  Fieker  u.  a. 

1.  Potthast,  Aug.,  ßibliotheca  historica  medii  aevi. 
Wegweiser  durch  die  Geschichtswerke  des  europaischen  Mittelalters 
bis  1500.  Vollständiges  Inhaltsverzeichnis  zu  „Acta  Sanctorum" 
Boll.  —  Bouquet  —  Migne  —  Monum.  germ.  hiat.  —  Mura- 
tori  —  Berum  britann.  scriptores  etc.  —  Anhang:  Quellenkunde 
für  die  Geschichte  der  europäischen  Staaten  während  des  Mittel- 
alters. 2.  Aufl.  gr.  8°.  1.  Band.  8.  CXLVII  und  800  S. 
2.  Band,  S.  801—1749.    Berlin,  W.  Weber,  1896. 

t.  Monumenta  Germaniae  historica  inde  ab  a.Chr. 
D  ußque  ad  a.  MD,  ed.  societas  aperiendis  fontibus  rerum  ger- 
manicarnm  medii  aevi.  Epistolarum  tomi  II,  pars  2  et  T.  IV. 
gr.  4°.  Berlin,  Weidmann,  1895.  —  II,  2.  Gregorii  I.  papae 
registrum  epistolarum.  Tomi  II,  pars  2.  Libri  X — XIV  cum 
appendicibus.  Post  Pauli  Ewaldi  obitum  ed.  Ludov.  M.  Hart- 
mann (S.  233—464).  —  IV.  Epistolae  Karolini  aevi.  Tom.  II. 
Becensuit  Ernest.  Ofimmler.  VIII  und  639  S.  (enthält  in  der 
Hauptsache  die  Briefe  Alcvius,  epistolae  variorum  Carolo  magno 
regnante  scriptae  [Paulus  Diaconus  etc.],  die  Briefe  des  Schotten 
Dungal,  des  Claudius  von  Turin).  —  Auctorum  antiquissimorum 
tomi  XIII  pars  2  u.  3.  gr.  4°  Berlin,  Weidmann,  1895  u.  1896 
Chronica  minora  saec.  IV.  V.  VI.  VII.  edidit  Th.  Mommsen. 
Vol.  III,  fasc.  2  et  3.    S  223—469. 

3.  Die  Geschichtschreiber  der  deutschen  Vor- 
zeit, 2.  Gesamtausgabe.  8°.  Leipzig,  Dyk.  —  63.  Band: 
Die  Jahrbücher  von  Magdeburg  (Chronograph us  Saxo).  Nach  der 
Ausgabe  der  Monumenta  Germaniae  Obersetzt  von  Dr.  Ed.  Win- 
kelmann, 2.  Aufl.  Neu  bearbeitet  von  W.  Wattenbach,  IX  und 
128  S.  1895.  —  62.  Band:  Die  Chronik  von  Stederburg.  Nach 
der  Aasgabe  der  Monumenta  Germaniae,  übersetzt  von  Dr.  Ed. 
Winkelmann.  2.  Aufl.  überarbeitet  von  W.  Wattenbach.  VII 
und  88  S.  —  64.  Band:  Leben  des  heiligen  Norbert,  Erzbischofs 
von  Magdeburg.  Nebst  der  Lebensbeschreibung  des  Grafen  Gott- 
fried von  Kappenberg  und  Auszögen  aus  verwandten  Quellen. 
Nach  der  Ausgabe  der  Monumenta  Germaniae  übersetzt  von  Dr. 
-G.  Hertel.  Mit  einem  Nachtrag  von  W.  Wattenbach.  XII  und 
196  S.    1895.    -  65.  Band:  Des  Dekans  Cosmas  Chronik  von 


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631 


NACHRICHTEN. 


Böhmen.  Nach  der  Ausgabe  der  Monumenta  Qermaniae  fiber- 
setzt von  Geo.  Grandaur.  2.  Ausgabe.  Mit  einem  Nachtrag  zur 
Einleitung  von  W.  Wattenbach.  XII.  und  246  S.  —  66.  Band: 
Die  Fortsetzungen  des  Kosmas  von  Prag.  Nach  der  Ausgabe  der 
Monumeuta  Germaniae  abersetzt  von  Geo.  Grandaur.  XVI  und 
238  S.  1895. 

* 4.  Regesta  episcoporum  Constantiensium.  Begesten 
zur  Geschichte  der  Bischöfe  von  Konstanz  von  Bubulcus  bis  Tho- 
mas Berlower  517  — 1496.  Herausgegeben  von  der  badischen 
historischen  Kommission.  1.  Band:  518 — 1293.  5.  (Schlüte-) 
Lieferung.  Bearbeitet  von  Paul  Ladewig  und  Thdr.  Müller,  gr.  4°. 
VII  und  S.  321  —  399.  Innsbruck,  Wagner,  1895;  enthält  die 
Begesten  bis  zum  Tode  Budolfs  II.  von  Habsburg,  3.  April  1293 
und  das  von  Tb.  Müller  bearbeitete  Orts-  und  Personenregister.  — 
Vor  dieser  Schlufslieferung  ist  die  erste  Lieferung  des  zweiten 
Bandes  erschienen;  bearbeitet  von  Alexander  Cartellieri,  1894. 
80  S.  Sie  enthält  die  Nummern  2845-3667;  vom  26.  Mai 
1293  bis  17.  März  1314.  Dr.  Ladewig  ist  1889  von  der  Be- 
arbeitung des  Begestenwerkes  zurückgetreten.  Die  von  ihm  herüber- 
genommenen Begesten  sind  im  vorliegenden  Hefte  mit  L.  be- 
zeichnet, über  Einzelheiten  der  Bearbeitung  spricht  sich  Dr. 
Cartellieri  auf  dem  Umschlage,  S.  2  und  3,  ans.  —  Vgl.  noch: 
Beiträge  zur  Konstanzer  Geschichtsschreibung  von  Tb.  Ludwig 
in  „Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins"  N.  F.,  Bd.  X, 
1895,  S.  267 — 278.  Einige  unbekannte  Konstanzer  Chroniken 
und  Bischofsreihen  des  General-Landesarchivs  zu  Karlsruhe.  — 
Ludwig  (Th.),  Die  Konstanzer  Geschichtschreibung  bis  zum  18.  Jahr- 
hundert. Straf8burger  Dissertation.  Strafsburg,  Trübner,  1895. 
271  S. 

*  4*.  Ausgewählte  Urkunden  zur  Erläuterung  der  Ver- 
fassungsgeschichte Deutschlands  im  Mittelalter.  Zum  Handgebrauch 
für  Juristen  und  Historiker.  Herausgegeben  von.  Wilh.  Alt- 
mann und  Ernst  Bernheim.  Zweite  wesentlich  erweiterte  und 
verbesserte  Auflage.  Berlin,  B.  Gärtners  Verlagsbuchhandlung, 
Hermann  Heyfelder,  1895.  X  und  405  S.  8°.  Wie  brauchbar 
eine  solche  Sammlung  wie  die  vorliegende  ist,  geht  daraus  her- 
vor, dafs  schon  nach  vier  Jahren  (die  erste  Auflage  erschien 
Mai  1891)  eine  neue  Auflage  nötig  geworden  ist.  Einige  Num- 
mern (5)  der  ersten  Auflage  sind  fortgelassen,  dafür  eine  gröfeere 
Anzahl  neuer  aufgenommen  (83).  Der  Umfang  ist  von  270  Seiten 
auf  405  gestiegen.  Der  Stoff  ist  in  systematisch  geordnete  Ab- 
schnitte gegliedert,  innerhalb  deren  die  einzelnen  Urkunden  chro- 
nologisch aneinander  gereiht  sind.  Der  Text  wird  nach  den  zu- 
verlässigen Ausgaben  gedruckt,  doch  ist  bei  einigen  Stücken  auf 
die  ursprünglichen  Vorlagen  zurückgegangen.  Die  Litteraturnach- 


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NACHHK'HTEX. 


635 


weise  sind  weggelassen;  dafür  wird  auf  Rieh.  Schröders  Rechts- 
geschichte  (2.  Aufl.  1894)  verwiesen.  Den  Kirchenhistoriker  geht 
an  insbesondere  der  2.  Abschnitt :  Reich  und  Kirche,  Nr.  35 — 60 ; 
aber  auch  in  den  anderen  Abschnitten  giebt  es  kaum  eine  Ur- 
kunde, die  ihn  nicht  interessieren  könnte. 

5.  Im  neuen  Archiv  der  Gesellschaft  für  ältere  deutsche 
Geschichtekunde  XXI,  1895,  S.  11 — 82,  setzt  F.  Kurze  seine 
Untersuchungen  über  die  karolingi sehen  Reichsann alen 
von  741 — 829  fort.  1.  Die  zwischen  795  und  813  erschienenen 
Annalen.  2.  Die  zweite  Hälfte  der  Reichsannalen.  (Bis  820  ist 
jedenfalls  Einhard  der  Verfasser;  der  letzte  Abschnitt  820  bis 
829  wird  dem  Abt  Hilduin  zugeschrieben,  wie  es  auch  Honod 
thut  in  den  Mdlanges  Havet,  vgl.  diese  Zeitschrift  Bd.  XVI, 
S.  326  unter  Nr.  80.)  3.  Die  Überarbeitung.  Annales  Einhardi; 
sie  sind  erst  nach  829  verfafst;  sind  abhängig  von  den  Annales 
Fuldenses;  der  Bearbeiter  ist  nicht  Einhard,  sondern  ein  Nieder- 
deutscher, vielleicht  Gerold,  der  Archidiakon  Ludwigs. 

6.  Zu  dem  Pariser  Nation alkonzil  von  1290,  für 
das  H.  Finke  in  der  Römischen  Quartalschrift  1895,  S.  171  bis 
182  eine  wichtige  Urkunde  veröffentlicht  hat,  vgl.  L.  Delisle  im 
Bulletin  de  la  sociale  de  l'histoire  de  Paris  et  de  Tlle  de  France, 
22.  Jahrgang,  1895,  3.  Heft,  S.  114—119  und  Journal  des  sa- 
vants,  avril  1895,  p.  240—244. 

7.  Die  Analecta  Bollandiana  XIV  (1895),  p.  1—88 
bringen  die  genaue  Beschreibung  der  in  der  kaiserlichen  Fidei- 
Commif8-Bibliothek  zu  Wien  befindlichen  Sammelwerke  des  Johann 
Gielemans  in  Rouge-Cloltre  bei  Brüssel  (f  1487):  Das  Sancti- 
lbgium,  Hagiologium  Brabantinorum  etc. 

8.  Die  Fortsetzung  der  Studien  zu  Thüringischen 
Geschichtsquellen  von  Oswald  Holde r-Egger  (Neues  Ar- 
chiv XXI  [1895],  237—297)  handelt  über  die  Überlieferung  und 
die  Ableitungen  der  Reinhardsbrunner  Chronik. 

9.  Harry  Bresslau  druckt  in  den  „Bamberger  Studien" 
(Neues  Archiv  XXI  [1895],  S.  141—234)  eine  Schrift  des  Mi- 
chelsberger  Priors  Bnrcbard  (t  1149),  die  als  Geschichte  der 
Bibliothek  von  Kloster  Michelsberg  in  der  ersten  Hälfte  des 
12.  Jahrhunderts  bezeichnet  werden  kann  und  andere  auf  die  Ge- 
schichte dieser  Bibliothek  bezügliche  Urkunden  ab.  Diese  Schrift 
Burchards  ermöglicht  es  auch,  den  Verfasser  der  Rezension  A  der 
grofsen  Weltchronik,  die  bisher  fälschlich  Ekkehard  von  Aura 
zugeschrieben  wurde  (vgl.  Wattenbacb,  Geschichtsquellen  II6, 189 ff.) 
zu  erkennen,  nämlich  Frutolf  von  Pichelsberg.  Von  diesem  haben 
sich  noch  ein  breviarium  de  musica  erhalten  in  einer  Münchener 
Handschrift  s.  XII  (clm.  14965b)  und  zwei  Bücher  De  offieiis 
divinis  in  der  Bamberger  Handschrift  (Ed.  V.  13). 


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636  NACHRICHTEN. 

!•.  Die  in  den  Anecdota  Bruxellensia  I.  Chroniqnes  by- 
z an t ioes  du  Meer.  11376  veröffentlichte  Chronik  (Recueil  de 
travaox  p.  p.  la  faealte"  de  Philosophie  et  lettre«  de  Gaod  fasc  9: 
herausgegeben  von  Franz  Cumont,  vgl.  Byzant  Zettsehr.  III,  415) 
erzählt,  dafs  die  Bossen  zuerst  am  18.  Juni  860  vor  Byzanz  ge- 
kommen seien.  C.  de  Boor  beweist  in  der  Byzantinischen  Zeit« 
Schrift  IV  (1895),  S.  445 — 466,  dals  dieses  Datum  gegenüber 
dem  in  neoerer  Zeit  bevorzugte o  (865  oder  866)  das  richtige 
sei.  Im  Zusammenhang  damit  steht  seine  Untersuchung  über 
die  Chronologie  einiger  Patriarchen  von  Konstantinopel,  die  er 
vielfach  abweichend  von  früheren  Angaben  folgendermaßen  fest- 
stellt: l.  April  815  Theodotos, 
?      821  Antonios, 

21.  (26.?)  April  834  Johannes, 

März  843  Methodios  (t  14.  Juni  847), 
Juni   847  Ignatios  (dep.  23.  Not.  858), 

25.  Dez.  858  Photios  (dep.  25.  Sept.  867), 

23.  Nov.  867  Ignatios. 
11.  Mitteilungen  aus  dem  Vatikanischen  Ar- 
chive, herausgegeben  von  der  Kaiserlichen  Akademie  der  Wissen- 
schaften. II.  Band:  Eine  Wiener  Briefsammlung  zur  Geschichte 
des  deutschen  Reiches  und  der  österreichischen  Länder  in  der 
zweiten  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  Nach  den  Abschriften  von 
Albert  Starzer,  herausgegeben  von  Oswald  Redlich,  a.  ö.  Professor 
an  der  Universität  Wien.  Mit  3  Tafeln.  Wien,  in  Kommission 
bei  P.  Tempbky,  1894.  LV  und  422  S.  8°.  Der  Codex  Vati- 
canus  Ottobonianus  2115,  am  Ende  des  13.  oder  zu  Beginn  des 
14.  Jahrhunderts  in  Wien  entstanden,  enthält  aufser  der  Summa 
Bononiensis  eine  aus  zwoi  Teilen  bestehende  Briefsammlung. 
Während  der  zweite  Teil  mit  den  Formularbüchern  aus  der  Kanzlei 
Rudolfs  von  Uabsburg  grösstenteils  fibereinstimmt,  bietet  der  erste 
eine  Formularsammlung  von  so  gut  wie  vollständig  unbekannten 
Briefen  des  13.  Jahrhunderts.  Der  Herausgeber  hat  die  Urkunden 
chronologisch  geordnet,  Veränderungen,  die  sie  durchzumachen  ge- 
habt, gekennzeichnet,  notwendige  Ergänzungen  und  Erklärungen 
hinzugefügt.  Eine  ganze  Reibe  der  abgedruckten  Urkunden  sind 
für  die  Kirchengeschichte  von  Wichtigkeit:  so  Nr.  23  der  Be- 
richt Ober  das  Konzil  von  Lyon  von  1274  (notificatio  de  quali- 
tate  concilii),  Briefe  Rudolfs  von  Habsburg  an  Gregor  X.  und 
vieles,  was  im  einzelnen  auszuführen  hier  nicht  angeht 

1*.  In  den  Analecta  Bollandiana  XIV  (1895),  p.  89  —  107 
wird  bewiesen,  dafs  die  längere  Rezension  der  vita  des  heiligen 
Geraldus  von  Aurillac  (f909;  gedruckt  in  Acta  Sanctorum 
Boll.  Oct  VI,  300-332)  die  originale,  von  Odo  von  Cluny  ver- 
fafste  sei. 


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NACHRICHTEN. 


637 


13.  Die  Tita  des  heiligen  Nicephorus,  Bischofs  von 
Milet  (10.  Jahrhundert)  wird  in  den  Analecta  Bolland.  XIV 
(1895),  p.  129  —  166  veröffentlicht  aas  dem  einzigen  Codex,  der 
sie  (anvollständig)  aufbehalten  hat  (Cod.  Paris.  Graec.  1181, 
s.  XII). 

14.  E.  Nestle  publiziert  in  der  Byzantinischen  Zeitschrift 
IV  (1895).  S.  319—345  den  ältesten  griechischen  Text  der 
Kreuzauffindungslegende  aus  der  Handschrift  des  Sinai 
(Nr.  493  in  Gardthausens  Katalog,  VI1I/1X  S.)  nach  photogra- 
phiscben  Platten  und  einer  Kopie,  die  ihm  von  Harris  zur  Ver- 
fügung gestellt  worden  sind.  Er  zählt  die  gedruckten  syrischen, 
griechischen  und  lateinischen  Fassungen  der  Legende  auf,  unter- 
sucht ihr  gegenseitiges  Verhältnis  und  kommt  zu  dem  Resultat, 
dafs  die  griechischen  und  lateinischen  Helenalegenden  die  syri- 
schen Helenalegenden,  diese  aber  ihrerseits  die  Protonicelegende 
voraussetzen ,  die  in  ihrer  relativ  ursprünglichen  Gestalt  uns  in 
der  Doctrina  Addaei  erhalten  ist.  Ob  die  lateinischen  direkt  auf 
-die  syrischen  oder  nur  mittelbar  durch  die  griechischen  zurück- 
gehen, bleibt  noch  in  suspenso. 

15.  L.  Leger  bringt  in  der  Revoe  de  l'histoire  des  reli- 
gions  (Annales  du  Musee  Guimet)  XXXI,  2  (1895),  p.  89—102 
die  Beweise,  dafs  an  die  Stelle  des  Kultus  des  slavischen  Donner- 
gottes Perun  der  Kultus  des  Propheten  Elias  getreten  sei. 

Ficker. 

16.  Schneeberger  Handschritten  zur  mittel  alter- 
lichen Kir  chengescbichte.  Das  evangelische  Städtchen 
Schneeberg  im  sächsischen  Obererzgebirge  enthält  eine  startliche 
Reihe  von  Handschriftenbänden  zum  katholischen  Kirchenrecbt 
und  zur  mittelalterlichen  Kirchengeschichte  Deutschlands  und  Ita- 
liens. Das  ist  um  so  merkwürdiger,  als  der  durch  keine  Be- 
festigung geschützte  Ort  nicht  nur  wiederholt  durch  Kriegs- 
drangsale aufs  ärgste  geschädigt,  sondern  auch  mehr  als  einmal 
durch  grofse  Brände  heimgesucht  wurde,  denen  auch  ein  grofser 
Teil  des  städtischen  Archivs  zum  Opfer  fiel.  Der  Feuersgefahr 
entrannen  diese  Handschriften  1614,  indem  sie  in  der  St,  Wolf- 
gangskirche  untergebracht  wurden.  Der  Überlieferung  nach  aollen 
sie  zum  Teil  von  Jobann  von  Torquemada  im  letzten  Jahrzehnt 
des  15.  Jahrhunderts  bei  einem  Besuch  in  Schneeberg  dem  ka- 
tholischen Pfarrer  Job.  Bischoff  geschenkt  worden  sein  (Melzer, 
Chronik  von  Schneeberg,  S.  202).  Doch  kann  nur  soviel  als 
möglich  gelten,  dafs  ein  Teil  der  Manuskripte  dem  Kardinal  ehedem 
gehörte  und  später  wohl  aus  dritter  Hand  nach  Scbneeberg  kam 
(vgl.  Quetif  und  Echard,  Scriptores  Praedicatorum  I,  838b).  Ich 
habe  über  diese  „geschriebene  buchere  allerley  Materien  groß 

z*itB«hr.  f.  K.-n.  xvn.  4.  41 


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638 


XACHKICHTEX. 


und  klein",  wie  sie  in  einem  1597  aufgenommenen  Inventar  des 
Scbneeberger  Ratearchiv  heifsen,  an  folgenden  Stellen  gebandelt: 
Festschrift  zur  Einweihung  des  neuen  Scbneeberger  Gymnasial- 
gebäudes,  S.  40  ff. ;  Mitteilungen  des  Wissenschaftlichen  Vereins 
für  Schneeberg  und  Umgegend,  3.  Heft  (1893),  S.  1  ff.;  Neues 
Archiv  für  sächsische  Geschichte  (1892),  S.  91  ff.  142  ff.  Wenn 
ich  hier  nochmals  kurz  auf  das  Wichtigste  hinweise,  was  in  dieser 
bisher  ganz  unbenutzt  gebliebenen  Überlieferung  uns  erhalten  ist, 
möchte  ich  etwas  zur  Nutzbarmachung  derselben  um  so  mehr 
beitragen,  als  meine  Schneeberger  Lokalarbeiten  das  häufige  Los 
von  Gelegenheitsschriften,  übersehen  zu  werden,  gehabt  haben  und 
z.  B.  in  den  kirchengeschichtlichen  Referaten  der  Jastrowschen 
Jahresberichte  unerwähnt  geblieben  sind.  Sämtliche  im  Folgenden 
erwähnte  Handschriften  befinden  sich  gegenwärtig  im  neuen 
Schneeberger  Gymnasialgebäude.  In  die  kirchenrechtlichen  Ver- 
hältnisse unter  König  Robert  von  Sicilien,  d.  i.  Robert  le  Sage, 
der  auch  le  Bon  heifst  und  von  1309  bis  1343  regierte,  wer- 
den wir  eingeführt  durch  ein  umfangreiches  Manuskript  (Band  XIV, 
Blatt  126 — 287),  dessen  Anfang  lautet:  Sicut  fulgur  anri  su- 
perat  fulgorem  omninm  metallorum,  ut  legitur  in  Canon.  XCVI 
d  . .  duo  sunt,  Sic  lucet  profunda  scientia  sacrae  majestatis  domini 
nostri  Roberti  Jeorosoljmae  et  Siciliae  regis  illustris  vera  data 
fulgoribus  in  omni  genere  scripturarum.  Wir  haben  den  Lau- 
rentins Puldericus  vor  uns,  einen  clericus  Neapolitanus ,  wie  er 
sich  in  der  Handschrift  nennt,  einen  Autor,  dessen  breviarium 
fCr  die  Geschichte  des  kanonischen  Rechtes  bemerkenswert  und 
anscheinend  noch  nicht  gedruckt  ist  (Schulte,  Geschichte  der 
Quellen  und  Litteratur  des  kanonischen  Rechts  II,  392)  und  zwar 
in  einer  Bearbeitung,  die  mit  den  Worten  „Explicit  über  qui 
dicitur  breviarium  decretorum"  auf  Blatt  285  beendet  wird  und 
Über  die  ein  angefügtes  Register,  betitelt  „Tituli  librorum  decre- 
talium  cum  remissionibus  in  decretis"  eine  Übersicht  gewährt. 
Nicht  nur  über  Symonie,  Exkommunikation,  Kirchenzehnten,  Recht 
der  Witwen  und  Waisen  und  zahlreiche  andere  Gegenstände  des 
bürgerlichen  und  kirchlichen  Lebens,  sondern  auch  über  das 
wechselseitige  Verhältnis  der  höchsten  Autoritäten,  des  Papstes, 
des  Kaisers,  des  Generalkonzils,  wird  in  diesem  Werke  gehandelt. 
Von  den  sonstigen  auf  Italien  bezüglichen  Handschriften  erwähne 
ich  einen  Brief  des  Papstes  Eugen  IV.  vom  7.  Juli  1446  über 
die  Abendmahlslehre  (Band  X ,  Blatt  257).  Der  Episcopus  Li., 
der  in  dieser  Abbreviatur  hierin  genannt  wird,  ist  wohl  entweder 
der  Bischof  von  Lecce  (Liciensis)  oder  von  Lipari  (Liparensis) 
(Döllinger,  Materialien  zur  Geschichte  des  15.  und  16.  Jahrhun- 
derts I,  137.  144  f.).  Die  „Bulla  que  in  cena  domini  legi  solet 
Rhome"  Alexanders  VI.  Borgia  vom  Jahre  1495  ist,  wie  ich  zur 


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NACHRICHTEN. 


639 


Schneeberger  Festschrift,  S.  42  ergänzend  bemerke,  eine  so- 
genannte In  cena  domini  Bulle,  die  am  Gründonnerstag  verlesen 
wnrde  und  alle  jene  Vergehen  enthält,  deren  Absolution  sich  der 
Papst  reservier!  Zahlreich  sind  die  Handschriften  zur  Quellen- 
kunde der  Geschichte  des  Franziskanerordens  (Schneeberger  Fest- 
schrift, S.  42  ff.).  Neben  Wundergeschichten  und  erbaulichen 
Betrachtungen  findet  sich  eine  von  dem  Terminarius  der  Fran- 
ziskaner Nikolaus  Baumgärtel  noch  vor  der  Gründung  eines 
Franziskanerklosters  in  Chemnitz  daselbst  gefertigte  Margaretha 
juris  vom  Jahr  1478  zum  decretum  Gratians  (Band  XII),  eine 
„tabula  de  concordia  et  discordia  evangeliorum  ubi  conveniunt  et 
ubi  non"  des  berühmten  Nikolaus  de  Lira  (Fabricius  Bibl.  lat. 
med.  et  inf.  aet.  V,  114  ff.),  „Bubricae  diversorum  voluminum 
juris  civilis  secundum  ordinem  alphabeti  positae  sive  compilatae" 
des  Astesanus  de  Aste"  (vgl.  Wadding,  Ann.  min.  VI,  245), 
ein  Zeugnis  des  frater  Tbeobaldus  episcopus  dei  gratia  Assisii 
über  den  heiligen  Franziskus  und  den  Ablafs  (vgl.  Wadding,  Ann. 
min.  I,  42  und  Ebrle,  Archiv  für  Litter.  und  Kirchengeschichte 
des  Mittelalters  I,  487).  Besonders  bemerkenswert  ist  der  fünfte 
der  Schneeberger  Handschriftenbände,  der  zahlreiche  Auszüge  der 
päpstlichen  Dekretalen  enthält  und  über  die  ich  S.  44  der  an- 
geführten Festschrift  gehandelt  habe.  Interessant  sind  auch  Fran- 
ziskanergelöbnisse.  Zwei  derselben,  in  Gestalt  von  Formularen, 
wurden  in  Schneeberg  von  Herrn  Gymnasial- Oberlehrer  Zürn,  jetzt 
in  Plauen  i.  V.,  dadurch  gefunden,  dafs  er  den  betreffenden  Ein- 
band sorgfaltig  entfernte;  es  sind  dies  Incunabeldrncke  und  von 
mir  im  Archiv  für  S&chs.  Geschichte  besprochen.  Wohlgelungen 
sind  auch  sieben  Strophen  (Festschrift,  S.  45)  auf  den  heiligen 
Franziskus,  deren  erste  lautet:  • 

Coeli  coeli  in  colono 

totus  orbis  in  patrono 

Christo  promat  dulci  sono 

melos  ac  tripudia. 

gratulentur  et  minores 

in  Francisco  cuius  mores 

aegros  sanat  et  languores 

mentis  atque  vitia. 
Zum  Kon 8 tanzer  Konzil  bietet  Band  XXIII  die  Oratio  pro  matu- 
randa  reformatione  des  Theoderich  von  Münster  vom  5.  April 
1416;  aus  der  Schneeberger  Handschrift  ergeben  sich  Verbes- 
serungen zu  dem  Druck  bei  Walch,  Monimenta  medii  aevi  II, 
163  sqq.  Unbekannt  war  bisher  der  in  Band  XXIII,  156  ff. 
erhaltene  „Sermo  factus  constantii  tempore  generalis  concUii  anno 
domini  MCCCCXVII  die  XXV  Martii"  des  Alexius  de  Siregno, 
der  auch  neue  Beiträge  zu  den  meditationes  St.  Bernardi  und  zu 

41* 


640 


NACHKICHTfcX. 


den  Werken  des  Thomas  de  Aquino  enthält  (vgl.  Schneeberger 
Festschrift,  S.  46).  Sehr  schön  Bind  die  in  dieser  Bede  auf- 
genommenen nenn  Strophen  anf  die  Jungfrau  Maria,  die  ich 
a.  a.  0.  8.  47  abgedruckt  habe.  Die  Bede  behandelt  die  Em- 
pfängnis der  Maria,  die  gerade  zur  Zeit  des  Kostnitzer  Konziles 
eifrig  besprochen  wnrde.  Es  ist  kein  Zufall,  dals  auch  der  Be- 
schlufs  des  Baseler  Konzils  vom  17.  September  1439,  welcher 
diese  Verhandlungen  zum  Abschluß  brachte,  in  den  Schneeberger 
Handschriften  erhalten  ist.  Für  eine  Neuausgabe  der  Briefe  des 
Äneas  Silvius  kommt  der  Gesandtschaftsbericht  vom  21.  August 
1451  in  Frage,  der  eine  höchst  anziehende  Schilderung  des  böh- 
mischen Sektenstaates  enthalt  (G.  Voigt,  Enea  Silvio  und  sein 
Zeitalter  II,  29  und  derselbe  im  Archiv  für  Kunde  österr.  Ge- 
schichtsquellen XV  [1856],  S.  400).  Ein  bisher  völlig  unbekannt 
gebliebener  Text  von  des  Dietrich  von  Apolda  Leben  der  heiligen 
Elisabeth  enthält  auch  ein  neues  Fragment  dieses  Autors  (ver- 
öffentlicht im  Archiv,  S.  97).  Die  noch  angedruckten  „Articali 
in  quibus  magister  non  tenetur  communiter"  des  venerabilis  et 
egregius  vir  sacre  theologie  professor  dominus  atque  doctor  An- 
dreas de  Görlitz  sind  ein  neuer  Beleg  für  den  Verkehr  zwischen 
der  Universität  Leipzig  und  dem  Kloster  Altzella  (Archiv, 
S.  100  ff.).  Ich  erwähne  noch  einige  Handschriften,  auf  die  ich 
an  den  angegebenen  Orten  nicht  eingegangen  bin:  „Begule  cum 
quibusdam  dubiis  de  ecclesiastico  interdicto  extracte  de  quodam 
tractatu  qui  intytulatur  de  ecclesiastico  interdicto  domini  Johannis 
Caldarini  doctoris"  (T.  IV,  fol.  144  sqq.),  „Alanus  de  laude  beate 
Marie  virginis"  aus  dem  Anticlandianus  des  Alanus  ab  insulis, 
lib.  V,  cap.  IX  (T.  III,  fol.  141.  142);  „Tractatus  de  sancti- 
ficatione  sabathi  dtctoris  Jacobi  Carthusiensis,  qui  approbatus  est 
per  scdem  apostolicam  cum  aliis  his  subtractatibus "  (T.  XXIV, 
fol.  301);  „Liber  de  miseria  humanae  condicionis  editus  a  Lo- 
thario  dyacono  Cardinali  sanctorum  Sergii  et  Bacbii  qui  postea 
Innocentius  tertius  appellatus  est"  (T.  XXIV,  fol.  380 — 396). 
Band  XVII  enthält  aulser  anderm  Blatt  408  ff.  einen  „Sermo 
venerande  passionis  Budolphi  in  Zwencz  graciosi  predicatoris "  und 
Blatt  438  ff.  einen  deutschen  Text  mit  lateinischen  Urteilen  und 
diesem  Anfang:  „In  den  hernach  geschriben  Urteilen  ist  ejn 
zwitracht  czwischen  meynen  gnedigen  hern  herczogen  Johannsen 
und  dem  p&rrer  zcu  Alttorff  auf  eynem  vnd  den  Burgern  da- 
selbst an  dem  andern  teyl,  wan  der  zehent  da  selbst  halp  meyns 
hern  herczogen  halb  des  pfarrers  ist"  In  Band  XXVI  findet  sich 
unter  anderen  ein  „Liber  de  sanctis  quibusdam  editus  per  egre- 
gium  reverendum  doctorem  magistrum  Nicoiaum  de  dinckelspuel 
alme  universitatis  Wienens is  pie  memorie.u  Aus  den  Franziskaner- 
Überlieferungen  von  Band  I  sei  folgende  (Blatt  11  f.)  mitgeteilt: 


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NACHRICHTEN- 


641 


„Item  anno  domini  1326  pridie  kalendas  augusti  qnidam  pere- 
grinus  de  treveri  almanie  venit  assisium  ad  indulgentiam.  Et  com 
ad  civitatem  tarde  venisset  non  potuit  intrare.  Sed  ad  unum 
paleare  accedens  ibi  stetit.  Et  cum  audiret  pulsari  in  loco  fe- 
mina  ad  matatinum  surrexit,  ut  diceret  horas  suas.  Et  ecce  que- 
dam  domina  pulchenima  apparuit  juxta  eam  habens  pnerum  Jhesum 
Christum  in  brachio  et  in  alio  cereum  qui  illaminabat  totum  lo- 
cum,  quam  agnoscens  beatam  Mariam  ait  ad  eam:  0  domina 
miserere  mei,  ad  quem  illa:  non  indulgebo  tibi  bic,  sed  indul- 
gebo  hic  ad  tres  dies  in  ista  ecclesia  mea  et  his  dictis  disparuit . . . 
Qui  de  mane  assisium  venit  ad  locnm  et  confessus  peccata  sua 
fratri  Engiliberto  de  colonia  singula  enarravit,  et  devote  indul- 
gentiam  haboit."  Band  III  ist  von  sehr  buntem  Inhalt:  Neben 
dem  anctor  ad  Herennium  (Ciceronis  opera  ed.  Kayser  I,  47sqq), 
Chrisostomus  und  Ovid  steht  eine  „  Significatio  planetarum  affec- 
tuum  ad  lunam"  Blatt  9  flf . ,  eine  „Expositio  titulorum  legal i um 
Blatt  33  ff.,  „Valerii  maximiani  oratoris  primarii  exempla  ad  ruf- 
finnm",  d.  i.  der  dem  Anfang  des  6.  Jahrhunderts  angebörige 
Valerius  ad  Rufinum,  dessen  Brief  gegen  das  Heiraten  nach  Hie- 
ronymus und  Augustinus  gearbeitet  ist  (Lucian  Müller  in  Fleckei- 
sens Jahrb.  für  Philol.  95  [1867],  S.  790)  und  bei  Migne, 
Patrol.  curs.  compl.  I,  30  Hieronymus  XI,  S.  254  ff.  gedruckt 
vorliegt  Die  Schneeberger  Handschrift  enthält  auch  Scholien, 
z.  B.  „  Calatum  eyn  korp  do  man  dy  spulin  inwurfft  uf  dem  hant- 
wergke".  Aus  dem  sonstigen  Inhalt  dieses  Bandes  sei  noch 
Blatt  252  ff.  eine  grammatische  Arbeit  in  Versen  über  die  verba 
deponentia  hervorgehoben.  Eingeleitet  durch  ein  Vorwort  und 
erläutert  durch  zahlreiche  marginale  und  interlineare  Scholien, 
hat  sie  vielleicht  Jakobus  Karstyn  zum  Verfasser,  dessen  Name 
auf  dem  Rand  von  Blatt  253  eingetragen  ist.  Dem  Schreiber 
scheint  die  Niederschrift  nicht  ein  gleichmäfsiges  Vergnügen  be- 
reitet zu  haben.  Denn  er  unterbricht  auf  Blatt  279  sein  Latein 
dnrch  die  urwüchsige,  für  unsere  Wörterbücher  neuen  Stoff  bie- 
tende Bemerkung:  „lecke  mich  posse  mich  küsse  mich  in  den 
orsch,  locket  feczen,  esset  dregk  mit  leffeln."  Von  den  alten 
Drucken  der  Schneeberger  Gymnasialbibliothek  sei  der  wertvolle 
Lübecker  Psalter- Pergamentdruck  vom  Jahr  1484  erwähnt.  Das 
Jahr  des  Druckes  ergiebt  sich  aus  der  folgenden  Unterschrift, 
deren  beide  letzten  Zeilen  leider  durch  Feuchtigkeit  ganz  un- 
leserlich gemacht  sind: 

Cuncta  regens  pleno  laus  eva  iesu  (?)  nazarene 
Sit  tibi  christe  deus  quo  ghotan  bartholomeus 
Anno  milleno  C  quatuor  octuageno 
Sub  primo  . . .  mille  psalteria  presserat  ille 


642 


NACHRICHTEN. 


Omnibus  apta  quidem  post  fata  pa  . .  eidem 
Porta  supernorum  quod  premia  fide  priorum. 

Die  Geldnot  des  30jäbrigen  Krieges  brachte  es  mit  sich,  dafs 
Handschriften  aller  Art  im  sächsischen  Erzgebirge  an  Buchbinder 
und  andere  Leute  für  einen  Spottpreis  verkauft  wurden,  nicht 
blofs  in  gröTseren  zusammenbringenden  Abschnitten,  sondern  auch 
in  einzelnen  Bogen.  Im  benachbarten  Freiberg  sind  allein  in  den 
beiden  Jahren  1644  und  1645  über  90  Pfund  Pergament  auf 
solche  Weise  weggeschleudert  worden  (Neues  Archiv  für  ältere 
deutsche  Geschichte  V,  210  ff.).  Auch  in  Schneeberg  und  Um- 
gegend sind  Bücher  und  alte  Akten  wiederholt  mit  den  Trümmern 
alter  Codices  eingebunden.  Das  in  der  Schneeberger  St.  Wolf- 
gangskirche aufbewahrte  Totenregister  1642—1683  ist  mit  einem 
Teil  der  Sequenz  de  dedicatione  ecclesiae  =  Psallat  ecclesia  von 
Notker  Balbulus  vom  Jahre  887  eingebunden.  Ähnliche  Um- 
schlage finden  sich  z.  B.  im  Schneeberger  Amtsgericht,  Akten- 
band IV,  cap.  XXVII,  Nr.  42  und  im  Löfsnitzer  Amtsgericht, 
Kaufbuch  Pfannenstiel  1692  ff.  und  Löfsnitzer  Stadtbücher  1694  ff. 
1705  ff.  1720  ff.  Heydenreich. 

17.  Auch  Ernst  Sackur  („Die  Promissio  Pippins 
vom  Jahre  754  und  ihre  Erneuerung  durch  Karl  den 
Grofsen"  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische 
Geschichtsforschung  XVI,  3.  Heft  [1895],  385—424)  erklart 
sich  für  die  Echtheit  der  das  Schenkungsversprechen  wiedergeben- 
den Stücke  in  den  Viten  der  Päpste  Stephan  II.  und  Hadrian  I. 
des  Liber  pontiOcalis.  In  beiden  handelt  es  sich  nnr  um  die- 
selbe promissio  (resp.  ihre  Erneuerung);  es  kommt  darauf  an,  die 
scheinbar  widersprechenden  Aufaorungen  in  Einklang  zu  setzen  und 
zu  erklären.  Der  (Duchesne-)Kehrsche  Erklärungsversuch  (vgl. 
diese  Zeitschrift  Bd.  XVI,  S.  342,  Nr.  128),  als  handele  es  sich 
um  einen  Teil  uugs  vertrag  im  Falle  einer  Eroberung  des  Longo- 
bardischen  Reiches,  wird  als  innerlich  unwahrscheinlich  und  nicht 
zusammenstimmend  mit  den  friedlichen  Intentionen  der  Herrscher 
und  der  Päpste  abgelehnt  Dagegen  hat  Stephan  II.  sich  als 
den  Erbnachfolger  der  byzantinischen  Macht  in  Italien  betrachtet: 
die  in  der  Vita  Hadriani  angegebene  Grenzlinie  entspricht  histo- 
rischen Verhältnissen  und  bezeichnet  die  Grenzlinie  zwischen  der 
byzantinischen  Provinz  Italia  und  dem  longobardischen  Reiche 
bis  etwa  zu  der  Regierungszeit  Autharis.  Beansprucht  hat  Ste- 
phan das  so  bezeichnete  Gebiet  (mit  Spoleto,  Benevent,  Tuscien, 
Corsica)  und  Pippin  hat  es  ihm  754  zugebilligt  Dafs  die  „ pro- 
missio "  nun  doch  nicht  verwirklicht  worden  ist,  liegt  an  der  ver- 
änderten politischen  Lage,  und  die  Päpste  haben  sich,  ihrer 


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NACHRICHTEN. 


643 


Realpolitik  entsprechend,  immer  mit  dem  begnügt,  was  sie  im 
einzelnen  Falle  erreichen  konnten,  ohne  doch  darum  ihre  An- 
sprüche aufzugeben. 

18.  Hadrians  I.  Verteidigung  der  zweiten  nicänischen 
Synode  gegen  die  Angriffe  Karls  des  Grofsen.  Von  Karl  Hampe. 
Neues  Archiv  XXI  (1895),  S.  85—113.  Das  Schreiben  Hadrians 
(Jaffe"  Reg.  2483,  Migne  PL  98,  col.  1247 sqq.;  vollständig  nur 
erhalten  im  Cod.  Vatic.  3827,  s.  X)  ist  mit  Ausnahme  der  kleinen 
Lücke  im  Anfang  unversehrt  auf  uns  gekommen,  nur  in  einer 
durch  den  Abschreiber  gestörten  Ordnung.  Hampe  stellt  die  Ord- 
nung der  Kapitel  her.  Auch  der  angezweifelte  Schlafs  ist  echt. 
Es  fällt  höchst  wahrscheinlich  in  das  Frühjahr  791.  Die  in 
Kap.  I,  5  und  öfter  erwähnte  Synode  unter  Gregorius  „secundus 
iunior",  die  Hefele  (Konziliengeschichte  III8,  405)  für  Gregor  II. 
in  Anspruch  genommen  und  ins  Jahr  727  gesetzt  hat,  ist  viel- 
mehr die  unter  Gregor  III.  im  November  731  abgehaltene  Sy- 
node. Mithin  sind  auch  in  den  Papstregesten  die  Stücke  Jaffe' 
2173  und  2190—2228  aus  den  Begesten  Gregors  II.  zu  strei- 
chen und  denen  Gregors  III.  zuzufügen.  Jaffe*  2173  erhält 
fortan  das  Datum  des  13.  April  740.  —  Auch  für  die  Lateran- 
synode von  769  unter  Stephan  III.  bietet  der  Brief  Hadrians 
einige  noch  nicht  beachtete  Bruchstücke.  Aus  ihm  erfahren  wir 
auch  den  bis  jetzt  unbekannten  Namen  des  Verfassers  der  Wider- 
legungsschrift, die  in  der  sechsten  Sitzung  des  Konzils  von  Nicäa 
787  verlesen  wurde  (Hefele  a.  a.  0.  S.  470):  es  ist  der  Patriarch 
von  Konstantin opel :  Tarasius.  —  Auch  das  ist  zu  bemerken,  dafs 
Hampe  die  85  capita  gegon  die  Bilderverehrung,  die  nach  Born 
geschickt  wurden,  nicht  für  einen  Auszug  aus  den  libri  Carolini 
hält,  sondern  das  Verhältnis  umkehrt. 

19.  Les  registres  d'Alexandre  I V.  Becueil  des  b alles 
de  ce  pape,  publikes  ou  analysees,  d' apres  les  manuscrits  ori- 
ginaux  des  archives  du  Vatican,  par  M.  M.  Bourel  de  la  Bonciere, 
J.  de  Loyo  et  A.  Coulon,  anciens  membres  de  l'Ecole  francaise 
de  Borne.  1er  fascicule,  grand  in  4°  (feuilles  1—16,  p.  1  —  128), 
public  par  M.  Bourel  de  la  Bonciere.  Toulouse,  impr.  Chauvin 
et  fils.  Paris,  libraire  Thorin  et  fils,  1895.  fr.  9.  60. 
(Bibliotheque  des  ecoles  franc.  d'Athenes  et  de  Borne.  2*  se>ie, 
XV,  1) 

20.  Gegen  Ottenthai  hält  K.  Uhlirz  daran  fest,  dafs  am 

2.  Januar  968  von  Johann  XIII.  eine  Bulle  für  Meifsen 
ausgestellt  worden  sei.    (Mitteilungen  des  Instituts  1895,  XVI, 

3.  Heft,  S.  508—518.) 

21.  Im  Histor.  Jahrbuch  1895,  XVI,  274—282  wehrt  sich 
W.  Martens  gegen  Scheffer- Boichorst  (Quiddes  deutsche  Zeit- 
schrift für  Geschichtswissenschaft  XI  [1894],  S.  227—241)  und 


64  1 


NACHRICHTEN. 


halt  an  seinem  Satze  fest,  dafs  Gregor  VII.  nicht  Mönch  ge- 
wesen sei.  Dagegen  vertritt  Grauert  a.  a.  0.  S.  283 — 311  die 
entgegengesetzte  Ansicht,  stimmt  aber  Martens  bei,  wenn  er  die- 
Nachricht  zerstört,  nach  welcher  Hildebrand  in  Clony  das  Ordens- 
gelfibde  abgelegt  habe.  In  Rom  ist  er  Mönch  geworden;  in  wel- 
chem Jahre  nnd  in  welchem  Kloster,  wissen  wir  nicht  Zugleich 
führt  Grauert  aus,  dafs  es  auch  im  Mittelalter  eine  strengere  und 
eine  mildere  Ansicht  Qber  die  Rechtsstellung  der  Ordensbischöfe 
und  Ordenskardinaie  gegeben  habe. 

22.  Den  Bericht  Qber  die  Pilgerfahrt  der  Äbtissin 
Euphrosine,  Prinzessin  von  Polotsk,  nach  Jerusalem  und  ihren 
Tod  (im  Jahre  1173)  übersetzt  Mm*  B.  de  Khitrowo  in  der  Revue 
de  l'oiient  latin  1895,  III,  32—35. 

28.  Adolf  Gottlob  beantwortet  die  Frage:  Hat  Papst  Inno- 
cenz  III.  sich  das  Recht  zuerkannt,  auch  die  Laien  für  Kreuz- 
zugszwecke zu  besteuern?  auch  im  Histor.  Jahrbuch  XVI  (1895), 
S.  312 — 319  verneinend  gegen  Michael  in  seiner  Rezension  des 
Gottlobschen  Buches:  Die  päpstlichen  Kreuzzugssteuern  des  13. 
Jahrhunderts  (Zeitschr.  f.  kath.  Theol.  1893,  S.  721  f.). 

24.  Eine  bisher  unbekannte  Bulle  Honorius'  III.  (da- 
tiert: Segni,  2G.  August  1223)  publiziert  P.  Fabre  in  den  Mc- 
langes  d'Archeologie  et  d'histoire,  Ecole  francaise  de  Rome  XV 
(1895),  p.  71 — 76  aus  MS.  lat.  no.  2357,  nouv.  acq.  der  Na- 
tionalbibliothek zu  Paris  (XIII.  s.).  Der  Papst  nimmt  die  Kle- 
riker der  festen  Stadt  Livadia  unter  den  Schutz  des  Apostels 
Petrus.  Die  Bolle  gehört  zu  zwei  anderen  von  Muratori  bereits 
veröffentlichten  Schriftstücken  (Antiquitates  V,  col.  833  u.  835  A), 
aus  denen  hervorgeht,  dafs  Otho  de  la  Roche  die  Stadt  Livadia 
der  römischen  Kirche  unterstellt  hatte,  um  von  der  bischöflichen 
Jurisdiktion  befreit  zu  sein.  Diese  drei  Schriftstücke  vidimiert 
der  lateinische  Erzbischof  von  Athen  Conrad.  Wir  erfahren  also 
hier  den  Namen  des  bis  dahin  unbekannten  athenischen  Erz- 
bischofs. 

25.  Der  von  J.  Loserth  im  Neuen  Archiv  XXI  (1895), 
S.  307 — 310  beschriebene  Codex  975  der  Grazer  Universitäts- 
bibliothek (XIII/XIV  s.)  enthalt  u.  a.  Akten  über  die  Wahl  des 
Papstes  Gregor  X.,  deren  Text  von  dem  gedruckten  erheblich 
abweicht 

26.  Recueil  des  historiens  des  croisades,  public" 
par  les  soins  de  l'Acadämie  des  inscriptions  et  belies -lettres. 
Historiens  occidentaux.  2  vol.  gr.  fol.  T.  5:  prlface,  CLVI  p.; 
T.  V:  deuxieme  partie,  p.  345  —  923.  Paris,  Impr.  nation., 
1895. 

27.  Unter  dem  Titel  In ventaire  des  chartes  deSyrie 
befindet  sich  in  den  Archiven  des  Departements  Bonches-du-Rhöne 


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NACHRICHTEN. 


645 


in  Marseille  ein  Katalog  von  378  Schriftstücken,  die  den  Zeit- 
raum von  1107  bis  1287  umfassend,  sich  sämtlich  auf  die  Ge- 
schichte der  Hospitaliter  im  heiligen  Lande  beziehen.  Der  Archivar 
des  Grote  -  Priorats  von  Saint -Gilles  im  18.  Jahrhundert,  Jean 
Kaybaud,  dem  man  eine  (nur  handschriftliche)  Histoire  des  grands 
prieurs  et  du  prieure  de  Saint-Gilles  verdankt,  hat  ihn  angelegt. 
Ungefähr  300  von  den  hier  analysierten  Stücken  sind  bis  jetzt 
unbekannt.  Die  Analysen  erhalten  dadorch  einen  hervorragenden 
Wert,  dafs  die  meisten  Originale  auf  immer  verloren  sind.  Leider 
sind  auch  Spuren  von  TJnzuverlässigkeit  der  Arbeitsweise  Ray- 
nauds vorhanden.  Gleichwohl  ist  dieses  Verzeichnis  von  hoher 
Wichtigkeit  für  die  Geschichte  der  Kreuzzüge.  J.  Delaville 
le  Roulx  publiziert  es  in  der  Rev«e  de  l'orient  latin  III  (1895), 
36 — 106,  stellt  zusammen,  was  sich  über  die  Geschichte  des  von 
Ray  band  analysierten  Fonds  sagen  läfst,  weist  die  Publikationen 
der  noch  erhaltenen  Originale  nach  und  korrigiert  soweit  möglich 
die  Fehler,  die  sich  bei  Baybaud  eingeschlichen  haben. 


*  28.  Dr.  Paulus  Geyer,  Adamnanus,  Abt  von  Jona. 
1.  Teil:  Sein  Leben.  Seine  Quellen.  Sein  Verhältnis  zu  Pseudo- 
eucherius  de  locis  sanctis.  Seine  Sprache.  Programm  zu  dem 
Jahresberichte  des  k.  b.  Gymnasiums  bei  St.  Anna  in  Augsburg 
für  das  Schuljahr  1894/95.  Augsburg,  Druck  von  Ph.  J.  Pfeiffer, 
1895.  47  S.  gr.  8°.  Verfasser  schildert  zuerst  in  kurzen  Zügen 
das  Leben  des  Abtes  (im  wesentlichen  nach  Reeves,  The  Life  of 
S.  Columba,  Dublin  1857),  macht  auf  die  Notwendigkeit  einer 
neuen  Ausgabe  der  Schrift  De  locis  sanctis  aufmerksam,  zeigt 
deren  Quellen  und  die  Benutzung  derselben  durch  Adamnan  auf, 
beweist,  dafs  des  Pseudo-Eucherius  De  locis  sanctis  später  fallen 
müsse,  als  Adamnan s  Schrift  (ins  8.  Jahrhundert),  konstatiert  die 
gleiche  Anordnung  in  der  Vita  Columbae  und  der  Schrift  De 
locis  sanctis  des  Adamnanus,  ebenso  die  Benutzung  des  Sulpicius 
Severus  in  der  Vita  Col.,  und  beschreibt  endlich  den  Stil  des 
Autors.  Auch  die  neue  Ausgabe  der  Vita  Columbae  von  Fowler 
ist  vom  Verfasser  benutzt.  (Adamnani  vita  8.  Columbae.  Edited 
from  Dr.  Reeves'  Text  with  an  introduction  on  early  irish  Cburch 
history,  notes  and  a  glossary  by  J.  T.  Fowler;  Oxford  at  the 
Clarendon  press,  1894,  XCVII  u.  201  S.  8°;  vgl.  dazu  Loofs  in 
der  Theol.  Lit-Ztg.  1895,  Nr.  17,  Sp.  447.  448. 

*29.  Kühl  mann,  Bernh.,  Der  hl.  Bonifatius,  Apostel 
der  Deutschen,  gr.  8°.  XV  u.  504  S.  Paderborn,  Boni- 
facius-  Druckerei,  1895.  Die  vorliegende  Lebensbeschreibung  ist 
nach  einem  bekannten  Schema  angefertigt.  Das  Buch  verfolgt 
keinen  wissenschaftlichen,  sondern  einen  apologetischen  und  po- 


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G4<; 


NACHRICHTEN. 


lemiscben  Zweck.  Es  verteidigt  den  Bonifatins  gegen  die  An- 
schuldigungen, die  protestantische  Geschichtschreiber  auf  ihn  ge- 
häuft haben.  Nur  Unwissenheit  oder  Bosheit  können  sie  erhoben 
haben  (S.  208.  362  Anm.  und  öfter).  Bonifatius  ist  der  gröfste 
Wohlthäter  Deutschlands  u.  s.  w.  Natürlich  müssen  alle  anderen 
Gestirne  neben  dem  seinen  verbleichen.  Vor  allen  läfst  der  Ver- 
fasser seinen  Zorn  an  Luther  aus.  Die  Ausfalle  gegen  ihn  und 
gegen  die  „  protestantischen "  Kirchen  hätte  er  sich  lieber  sparen 
sollen;  sie  verraten  ein  nicht  gewöhnliches  Mafs  von  Enge  des  Hori- 
zontes, und  wenn  er  protestantischen  Geschichtschreibern  öfter  lei- 
denschaftliche Verblendung  vorwirft,  so  dürfte  dieser  Vorwurf  mit 
gröfserem  Rechte  ihm  gemacht  werden.  Eine  populäre  Biographie 
des  Bonifatius  für  das  deutsch  Volk  —  warum  sollte  sie  nicht 
auch  ein  Katholik  schreiben  können  —  ist  eine  gewifs  dankens- 
werte Aufgabe.  Ich  kann  nicht  finden,  dafs  der  Verfasser  ihr 
gerecht  geworden  ist:  dem  Katholiken  wird  das  Buch  den  Hafs 
gegen  die  Evangelischen  stärken,  den  evangelischen  Christen  wird 
es  sofort  abstofsen.  Eine  wirklich  wissenschaftliche  Leistung  ist 
das  Buch  nicht;  also  darf  ich  mir  erlauben,  das  Buch  für  völlig 
verfehlt  zu  halten. 

30.  Die  Theologisch  Tijdschrift  bringt  in  ihrem  29.  Jahr- 
gang 1895  eine  Reibe  von  Artikeln  überAgobard  von  Lyon 
von  P.  A.  Klap.  S.  15  —  48:  I.  Het  leven  van  Agobard. 
S.  121  —  151:  II.  Agobard  als  Verdediger  der  Kerkleer.  S.  385 
bis  407:  III.  Agobard  en  de  uitwendige  belanget)  der  Katholieke 
Kerk. 

Comba,  Em.,  Claudio  di  Torino,  ossia  la  pro- 
testa  di  un  vescovo:  cenno  storico  di  E.  C,  Firenze,  libreria 
Claudiana,  1895.  157  p.  16°.  Verfasser  giebt  ein  lebensvolles, 
packendes  Bild  von  dem  Leben  nnd  Wirken  des  Turiner  Bischofs; 
schildert  den  Zeithintergrund,  von  dem  sich  die  Gestalt  des 
Bischofs  abbebt,  seine  litterarische  Thätigkeit,  seine  Lehre,  seinen 
Augustinismus,  seine  Versuche  zu  reformieren  und  die  Ursachen, 
aus  denen  sie  abzuleiten  sind.  Weder  die  Apologeten  des  Clau- 
dius, noch  seine  Gegner  haben  ihn  richtig  beurteilt:  Verfasser 
zerstört  die  katholische  sowohl,  wie  die  waldensische  Legende 
und  ruft  ihn  auf  als  einen  Zeugen  der  Wahrheit  auch  gegen  die 
jetzige  römische  Kirche.  —  Der  Anhang  stellt  die  Litteratur 
Aber  Claudius  zusammen  und  beschreibt  die  Handschriften  der 
Kommentare  in  den  Bibliotheken  zu  Paris,  Monte  Cassino,  Boin 
(Vaticana  und  Vallicelliana).  Zur  Ergänzung  werden  hier  dienen 
die  Nachweise  von  Handschriften,  die  Dümmler  in  dem  oben  er- 
wähnten Artikel  (vgl.  diese  Zeitschrift  Bd.  XVI,  8.  375,  Nr.  239) 
und  in  der  Vorrede  und  den  Anmerkungen  zu  der  Neuausgabe 
der  Briefe  des  Claudius  (M.  G.,  Epistolae  4.  Band)  gegeben  hat. 


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NACHRICHTEN. 


647 


Es  steht  zu  hoffen,  dafs  die  Benediktiner  von  Monte  Cassino,  die 
die  Kommentare  des  Claudius  herauszugeben  beabsichtigen,  sich 
an  Dammlers  Vorschläge  für  die  Ausgabe  halten  werden. 

*32.  Schräder,  Fr.  X.,  Leben  und  Wirken  des  se- 
ligen Meiuwerk,  Bischofs  von  Paderborn,  1009  — 1036. 
104  S.  gr.  8°.  Paderborn,  Jnnfermann,  1895.  Diese  Biographie 
stellt  in  schlichter  Weise  in  13  Kapiteln  zusammen,  was  sich 
in  den  Quellen  über  Meinwerk  findet.  Einen  breiten  Baum  nimmt 
die  Aufzählung  der  Güter  ein,  die  der  Bischof  für  sein  Bistum 
zu  erwerben  wufste.  In  der  Beurteilung  schliefst  sich  der  Ver- 
fasser an  Wattenbach  (G.-Q.  II6,  35 — 38)  an,  dessen  Ausfah- 
rungen er  fast  sämtlich  meist  wörtlich  Übernommen  hat.  Wert 
ist  auch  auf  die  Bauthätigkeit  des  Bischofs  gelegt.  Grössere 
historische  Gesichtspunkte  fehlen.  —  Von  einer  „Heiligsprechung" 
Moinwerks  im  Jahre  1376  (so  Herzog  und  Pütt,  Beal-Encyklo- 
pädie  IX*,  470)  weifs  Verfasser  nichts;  sie  scheint  nie  statt- 
gefunden zu  haben. 

33.  Mignon  (A.),  Les  origines  de  ia  scolastique 
et  Hugues  de  Saint- Vi ctor,  par  l'abbe*  A.  Mignon,  docteur 
en  thoologie  au  grand  seminaire  du  Mans.  T.  Ier.  386  p.  8°. 
Paris,  imp.  Schneider,  Hb.  Lethielleux,  s.  a.  —  T.  II.  410  p.  8°. 
Saint-Dizier,  impr.  Thövenot;  Paris,  libr.  Letbielleui  (1895). 

34.  Anselmi  Laudunensis  et  Badulfi  fratris  eius 
sententias  excerptas  nunc  primum  in  lucem  edidit  G.  Lefevre, 
in  gymnasio  Laudunensi  philosophiae  professor.  50  p.  8°.  Ev- 
reux,  impr.  Herissey,  1895. 

35.  Vacandard,  Vie  de  saint  Bernard,  abbe*  de  Clair- 
vaux;  par  Tabbö  E.  V.,  docteur  en  thöologie,  premier  aumönier 
du  lycee  der  Bouen.  2  vol.  8°.  T.  I:  LI V  et  511  p.  T.  II: 
592  p.  Mesnil,  impr.  Firmin -Didot  et  Ce.  Paris,  libr.  Le- 
coffre,  1895. 

36.  Bonaventura.  Opera  omnia,  iussu  et  auetoritate 
r.  p.  Aloysii  a  Parma  edita,  studio  et  cura  pp.  collegii  a  s.  Bona- 
ventura ad  plurimos  Codices  mss.  emendata,  aneedotis  aueta,  pro- 
legomenis,  scholiis,  notisque  illostrata.  T.  VII.  Ad  Claras  Aquas 
(Quaracchi)  prope  Florentiam,  ex  typ.  collegii  s.  Bonaventurae, 
1895.    XVIII  et  857  p.  fol. 

87.  Thomas  Aquinas.  —  Opera  omnia  iussu  impen- 
saque  Leonis  XIII.  P.  M.  edita.  Tomus  VIII,  secunda  secundae 
Summae  tbeologiae  a  questione  I  ad  questionem  LVI,  ad  codices 
manuscriptos  vaticanos  exaeta,  cum  commentariis  Thomae  De  Vio 
Caietani,  ordinis  praedicatorum ,  cura  et  studio  fratrum  eiusdem 
ordinis.  Bomae,  ex  typ.  Poliglotta  s.  c.  de  propagauda  fide, 
1895.  XLI  et  412  p.  fol.  —  Bibliotheca  Thomistica  (I). 
Sancti  Thomae  Aquinatis  compendium  theologiae.  Text  mit  Über- 


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648 


NACHRICHTEN. 


Setzung  und  Anmerkungen  von  Prof.  Dr.  Frdr.  Abert.  IV  und 
515  S.  gr.  8°.  Würzburg,  A.  Göbel,  1895.  —  Billot,  Ludo- 
vicus.  De  ccclesiae  sacramentis:  commentarius  in  tertiana  partem 
8.  Thomae.  Tomus  posterior,  complectens,  quaestiones  de  poeni- 
tentia  extrema  unctione,  ordine  et  matrimonio.  Bomae,  ex  typ. 
Polyglotta  s.  c.  de  Propaganda  fide,  1895.  449  p.  8°.  — 
Esser,  Fr.  Thom.,  0.  Praed. ,  Die  Lehre  des  hl.  Thomas 
vonAquino  über  die  Möglichkeit  einer  anfangslosen 
Schöpfung.  Dargestellt  und  geprüft.  VI  und  176  S.  gr.  8a. 
Münster,  Aschendorff,  1895.  —  Walter,  Frz.,  Das  Eigen- 
tum nach  der  Lehre  des  hl.  Thomas  von  Aquin  und 
der  Sozialismus.  Gekrönte  Preisschrift.  VIII  u.  227  S.  gr.  8°. 
Freiburg  i.  Br. ,  Herder,  1895.  —  Gardair,  Philosophie 
de  saint  Thomas.  La  Connaissance  par  M.  J.  G.,  professeur 
libre  de  Philosophie  ä  la  Faculte*  des  lettres  de  Paris  ä  la  Sor- 
bonne. 308  p.  18.  Paris,  impr.  Schneider,  libr.  Lethielleux, 
1895. 

*S8.  Vilmar,  A.  F.  C,  Die  hl.  Elisabeth.  Skizze 
aus  dem  christlichen  Leben  des  13.  Jahrhunderts  (Gütersloh, 
Bertelsmann,  1895.  56  S.  8°),  ist  Wiederabdruck  der  1842  in 
der  Hengstenberg ischen  Kirchenzeitung  (30.  Band,  4.  Heft)  anonym 
erschienenen  Charakteristik. 

*$9.  Holzhey,  Karl,  Die  Inspiration  der  hl.  Schrift 
in  der  Anschauung  des  Mittelalters.  Von  Karl  dem 
Grofsen  bis  zum  Konzil  von  Trient  IV  und  167  S.  gr.  8a. 
München,  J.  J.  Lentner,  1895.  Verfasser  will  nicht  blofs  die 
zentrale  Stellung  der  hl.  Schrift  im  Glauben  nnd  Leben  der 
mittelalterlichen  Völker  nachweisen,  sondern  auch  durch  sorgfal- 
tige Herausstellung  nnd  Zusammenfassung  der  von  den  einzelnen 
Autoren  vertretenen  Anschauungen  einen  quellenmäßigen  Nach- 
weis des  Inspirationsbegriffes  liefern,  auf  welchem  die  einzigartige 
Stellung  der  hl.  Schrift  beruht  Den  ersten  Nachweis  ist  Ver- 
fasser schuldig  geblieben,  der  zweite  besteht  in  der  Aneinander- 
reihung von  Ansichten  der  verschiedenen  Theologen  rosp.  von 
dogmatischen  Entscheidungen  bis  zum  Konzil  von  Trient  Auch 
Luthers  Inspirationslehre  wird  auf  8.  129 — 136  als  ein  nicht  in 
sich  abgeschlossenes  System  dargestellt  Wenn  ich  recht  sehe, 
ist  auch  diese  Schrift  der  polemischen  Litteratur  beizuzahlen. 

40.  D.  Viktor  Schultze,  Professor  an  der  Universität 
Greifswald,  Archäologie  der  altchristlichen  Kunst  Mit 
120  Abbildungen.  München,  C.  H.  Becksche  Verlagsbuchhand- 
lung, Oskar  Beck,  1895.  XII  und  382  S.  gr.  8°.  Mk.  10.— 
Zur  Empfehlung  dieses  vortrefflichen  Werkes,  das  alles  zusammen- 


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NACH  RICHTEN. 


64'J 


fafst,  was  wir  unter  altchristlicher  Kunst  verstehen,  erlaube  ich 
mir,  auf  meine  Rezension  in  der  Zeitschrift  für  bildende  Kunst 
1895,  VII.  Jahrgang,  S.  44 — 46,  zu  verweisen. 

41*  Mitteilungen  der  antiquarischen  Gesellschaft  (der  Ge- 
sellschaft für  vaterländische  Altertümer)  in  Zürich.  24.  Band. 
1.  Heft  gr.  4°.  Zürich,  Fäsi  &  Beer  in  Komm.  1.  Die 
christlichen  Inschriften  der  Schweiz  vom  4.— 9.  Jahr- 
hundert. Gesammelt  und  erläutert  von  Emil  Egli  (64  S.  mit 
3  Abbildungen  und  4  Tafeln  in  Lichtdruck,  1895)  enthalt  unter 
50  Nnmmern  (dazu  in  den  Nachträgen  noch  eine)  die  christ- 
lichen Inschriften  der  Schweiz  aus  der  spätrömischen,  merovin- 
gischen  und  karolingischen  Zeit,  soweit  sie  im  Originale  oder 
handschriftlich  erhalten  sind.  Die  vorliegende  Sammlung  reiht 
sich  ähnlichen  Arbeiten  über  christliche  Inschriften  würdig  an, 
ja  übertrifft  sie  durch  die  Genauigkeit,  mit  welcher  der  Verfasser 
arbeitet,  und  durch  die  Ausführlichkeit  des  Kommentars.  Die 
meisten  der  erhaltenen  werden  nach  den  Originalen  oder  nach 
Abdrücken  in  Lichtdruck  auf  den  Tafeln  wiedergegeben.  Die  äl- 
teste datierte  ist  vom  Jahre  377  n.  Chr.  Eine  Grabschrift 
(Nr.  14)  ist  bisher  unediert 

4*2.  Die  Wiener  Genesis.  Herausgegeben  von  Wilh. 
Ritter  v.  Härtel  und  Franz  Wickhoff.  Mit  52  Lichtdrucktafeln, 
6  Hilfstafeln  und  20  Textillustrationen.  (Beilage  zum  15.  und 
16.  Bande  des  „Jahrbuches  der  kunsthistorischen  Sammlungen 
des  Allerhöchsten  Kaiserhauses".)  gr.  Folio.  IV  und  171  S. 
Wien  und  Prag,  F.  Tempsky  —  Leipzig,  G.  Frey  tag,  1895.  Vgl. 
dazu  das  Referat  von  Jul.  v.  Schlosser  in  der  Münchener  All- 
gemeinen Zeitung  1895,  Nr.  182,  Beilage,  Nr.  160,  S.  1  —5  und 
Nr.  183,  Beilage,  Nr.  151,  S.  2  —  6.  Bei  dieser  vornehmen 
Publikation  weifs  man  nicht,  was  man  mehr  bewundern  soll,  die 
vortrefflichen  Tatein  oder  den  begleitenden  Text.  Technik  und 
Wissenschaft  haben  sich  die  Hand  gereicht,  um  ein  Meisterwerk 
hervorzubringen.  Den  philologischen  Teil  der  Arbeit,  die  Wieder- 
gabe und  Würdigung  des  Textes  der  Genesis  und  der  beiden 
Blätter  aus  dem  Lukasevangelium,  hat  Härtel  besorgt,  den  kunst- 
historischen Teil  Wickhoff.  Er  giebt  eine  Beschreibung  der  Bilder 
und  in  der  umfangreichen,  an  neuen  Gesichtspunkten  und  über- 
raschenden Resultaten  reichen  Einleitung  eine  Erklärung  ihres 
Stiles.  Wie  kamen  die  Christen  (im  5.  Jahrhundert)  dazu,  die 
Genesis  zu  illustrieren  und  gerade  so  zu  illustrieren?  Die  Frage 
wird  beantwortet  durch  die  Darlegung  der  künstlerischen  Strö- 
mungen, welche  zum  Stile  der  Genesisbilder  geführt  haben.  Wir 
lernen  die  Bilder  verstehen  als  ein  Werk  der  ausgehenden  An- 
tike. —  Da  es  hier  unmöglich  ist,  ein  auch  nur  annähernd  ge- 
naues Referat  zu  geben,  so  verweise  ich  auf  die  beiden  oben 


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650 


NACHRICHTEN. 


aufgeführten  Aufsätze  von  Schlosser.  Die  Einleitung  ist  allen 
denen  dringend  zu  empfehlen,  die  wissen  wollen,  mit  welchen 
Problemen  es  die  altchristliche  Kunst  zu  tbun  hat.  Hoffentlich 
wird  eine  Separatausgabe  der  Wickhoffschen  Einleitung  erscheinen, 
damit  auch  ein  weiterer  Leserkreis  sich  ihrer  erfreuen  könne. 

43.  Das  Alter  der  Kirchen  S.  Demetrius  und  S.  Sophia  in 
Thessalonich  bestimmt  J.  Laurent  in  der  Byzantinischen  Zeit- 
schrift IV  (1895),  S.  420—434.  Sie  sind  in  der  ersten  Hälfte 
des  7.  Jahrhunderts  entstanden. 

44.  Der  Tesoro  sacro  Eossi  ist  von  Hartm.  Grisar  S.  J., 
Zeitschrift  für  katholische  Theologie  1895,  2.  Heft,  S.  306—331 
als  Fälschung  nachgewiesen;  vgl.  auch  Bepertor.  für  Kunstwissen- 
schaft 1895,  Band  XVIII,  S.  37.  Grisars  Abhandlung  ist  auch 
französisch  erschienen.  (Rom,  Spithöver,  1895.  Hit  2  Tafeln. 
41  S.) 

45.  Die  Herausgabe  der  Inventarisationen  der  Bau-  und 
Kunstdenkmäler  der  einzelnen  Länder  Deutschlands 
schreitet  rüstig  weiter.  Im  Jahre  1895  sind  Lieferungen  bezw. 
Bände  erschienen  über  Anhalt,  Bayern,  Hessen,  Ostpreufsen,  Po- 
sen, Bbeinprovinz ,  Provinz  und  Königreich  Sachsen,  Thüringen, 
Westfalen,  Westpreufsen.  Sie  einzeln  aufzuzählen,  ist  hier  nicht 
der  Ort;  doch  möchte  ich  nicht  versäumen,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  dafs  hier  eine  noch  ungehobene  Fülle  von  Schätzen 
für  die  kirchengeschichtliche  Verarbeitung  bereit  liegt. 


46.  Analecta  hymnica  medii  aevi.  Herausgegeben  von 
Guido  Maria  Dreves,  S.  J.  gr.  8°.  Leipzig,  0.  B.  Reisland, 
1895.  XX.  T. :  Cantiones  et  muteti.  Lieder  und  Motetten  des 
Mittelalters.  1.  Folge:  Cantiones  Natalitiae,  Partheniae.  264  S. 
XIX.  T. :  Hymni  inediti.  Liturgische  Hymnen  des  Mittelalters  aus 
Handschriften  und  Wiegendrucken.  IV.  Folge.  280  S.  XXI.  T. : 
Cantiones  et  muteti.  Lieder  und  Motetten  des  Mittelalters. 
II.  Folge:  Cantiones  festivae,  morales,  variae.    226  S. 

47.  Ceriani,  A.  M.,  Notitia  liturgiae  Ambrosianae 
ante  saeculum  XI  medium.    Mailand,  U.  Hoepli. 

48.  Gregorianisch,  Bibliographische  Lösung  der  Streit- 
frage über  den  Ursprung  des  gregorianisch en  Gesanges. 
Von  Wilh.  Brambach.  V  u.  32  S.  (Sammlung  bibliothekswissen- 
schaftlicher  Arbeiten,  herausgegeben  von  Karl  Dziatzko.  7.  Heft, 
gr.  8°.  Leipzig,  M.  Spirgatis,  1895.)  Die  „bibliographische  Lö- 
sung" stützt  sich  auf  einige  verwaltungsmäfsige  Büchereinträge 
aus  der  Karolingerzeit,  in  denen  „gregorianisch"  dem  „gela- 
sianisch"  entgegengesetzt  ist.  Damit  werden  die  liturgischen 
Bücher  neuen  und  alten  Stiles  bezeichnet.    Seit  dem  10.  Jahr- 


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NACHRICHTEN. 


«51 


hundert  hat  dieser  Gegensatz  nicht  mehr  Bezug  auf  ein  rivali- 
sierendes Buch ;  es  bekommt  das  Wort  gregorianisch  seinen  be- 
sonderen musikgeschichtlichen  Sinn.  Nach  den  Zuständen  des 
9.  Jahrhunderts  ist  es  nur  möglich,  „gregorianisch"  von  Gregor  I. 
abzuleiten.  —  Doch  sind  wir  auch  nach  den  Bemerkungen  des 
Verfassers,  die  gewifs  alle  Beachtung  verdienen,  noch  nicht  weiter 
als  zuvor. 

49.  Zu  Wilh.  Brambachs  „Psalterium"  (Berlin,  A. 
Asher  &  Co.,  1887)  sind  zu  vergleichen  die  Bemerkungen  von 
F.  Leitschuh  im  Zentralblatt  für  Bibliothekswesen  XII  (1895), 
S.  287  f. 

50.  Das  Kalendarium  in  einem  Psalter  des  British  Mu- 
seum, das  (Galba  A  XVIII)  B.  T.  Uampson  in  Medü  Aevi  Ka- 
lendarium, London  1841,  I,  393.  394  als  angelsächsisch  be- 
zeichnet hatte,  ist  irischen  Ursprungs  und  gehört  ungefähr  dem 
9.  Jahrhundert  an  nach  Whitley  Stokes  in  The  Academy, 
No.  1208,  p.  545  sq.;  dagegen  J.  H.  Hessels,  No.  1209,  p.  12. 

  Ficker. 


*  51.  Etwas  verspätet  sei  hingewiesen  auf  die  Zusätze  und 
Bereicherungen,  die  L.  Pastors  Geschichte  der  Päpste, 
Band  II  in  2.  Auflage  (1894)  erfahren  hat.  Die  Seitenzahl  des 
Textes  ist  von  590  auf  637  gestiegen.  Diese  Vermehrung  fallt 
zum  guten  Teil  auf  Rechnung  der  Anmerkungen,  in  denen  Hin- 
weise aof  die  inzwischen  erschienene  Litteratur  in  weitreichendem 
Mafse,  aber  auch  Ergänzungen  aus  älteren  Druckwerken  und  ans 
handschriftlichem  Material  hinzugefügt  sind.  Der  Anhang  unge- 
druckter Aktenstücke  ist  um  sieben  Nummern  (44a,  57*,  57b,  58*, 
76*,  131*,  147*)  vermehrt  worden  —  die  ersten  vier  sind  Schrei- 
ben des  Kardinals  Besßarion  (drei  an  Papst  Pius  IL),  Nr.  44*  von 
1461,  die  andern  von  1463.  Pastor  hatte  diese  vier  Briefe  schon 
früher  benutzt,  hat  sie  nun  aber  gegenüber  den  A.  Bacbmannschen 
Auszügen  bezw.  Abdrücken  vollständig  und  berichtigt  eingereiht. 
Die  drei  anderen  Nnmmern  sind  ein  Schreiben  Pauls  IL  und  zwei 
Sixtus'  IV.  aus  den  Jahren  1465,  1482  und  1483.  Gröfsere 
Veränderungen  und  Zusätze  im  Text  habe  ich  beispielsweise  in  den 
Partieen,  die  von  Gregor  Heimborg  handeln,  beobachtet.  Aber  die 
Unbefangenheit  des  ihnen  zugrunde  liegenden  Joachimsohnschen 
Buches  kommt  darin  nicht  zum  Ausdruck.  Eine  eingehende  ab- 
fällige Besprechung  der  zweiten  Auflage  des  zweiten  Bandes  hat 
vor  kurzem  A.  Bachmann  in  den  Mitteilungen  des  Österreich. 
Instituts  XVII,  487—501  erscheinen  lassen. 

*53.  ürkundenbuch  von  Stadt  und  Kloster  Bür- 
gel. I.  Teil:  1133—1454.  Bearbeitet  von  P.  Mitzschke, 
auch  unter  dem  Titel :  Thüringisch-sächsische  Geschichtsbibliothek, 


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652 


NACHRICHTKX. 


3.  Bd.  Gotha,  Friedrich  Andreas  Perthes,  1895.  XXXVIII  und 
568  8.  Dieses,  auf  drei  Bände  berechnete  ürkundenboch ,  das 
neben  den  Urkunden  der  Stadt  und  des  Benediktinermönchsklosters 
Bürgel  (zwischen  Jena  und  Eisenberg)  auch  die  des  abhängigen 
Benediktinerinnenklosters  Remse  bei  Glauchau  in  Sachsen  mitteilt, 
liefert  in  dem  ersten  zunächst  allein  erschienenen  Teile  ein  rei- 
ches Material  zur  thüringisch  -  sächsischen  Kirchen-  und  Lokal- 
geschichte. Namentlich  vom  14.  Jahrhundert  ab  begegnen  noch 
recht  viele  Inedita,  andere  Stücke  sind  erst  hier  in  brauchbarem 
Text  gegeben.  Der  Herausgeber  hat  mit  hingebendem  Fleifs  ge- 
arbeitet, freilich  etwas  zu  sehr  in  die  Breite,  indem  er  unter- 
schiedslos angiebt,  wo  eine  Urkunde,  eine  chronikalische  oder 
kalendarische  Notiz  handschriftlich  (bis  ins  19.  Jahrb.  herab!) 
oder  gedruckt  überliefert  ist,  ohne  doch  bezüglich  der  Druckorte 
wirkliche  Vollständigkeit  anzustreben,  indem  er  ferner  Urkunden, 
deren  früheres  Vorhandensein  sich  aus  den  Hinweisungen  anderer 
Urkunden  vermuten  läfst,  als  selbständige  Nummern  anfuhrt  und, 
indem  er  endlich  dem  handschriftlichen  Apparat  wie  den  sach- 
lichen Anmerkungen  eine  übermfifsige  Ausführlichkeit  gewahrt 
Die  Einleitung  unterrichtet  über  die  frühere  Geschichtsschreibung 
Bürgels  und  über  die  archivalischen  Quellen  des  Urkundenbuchs, 
ein  Namensverzeichnis  von  über  achtzig  Seiten  erleichtert  die 
Benutzung  des  splendid  gedruckten  Buches.  Wenck. 


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■ 


REGISTER. 


I. 

Verzeichnis  der  abgedruckten  Quellenstflcke. 


Saec.  VII:  Regula  coenobialis  S.  Columbani  abbatia  (Neudrnck) 
220—234. 

1527:  Aigentliche  beschreibung  der  handlangen,  so  sich  mit  den 
widerteuf ern  zu  Augspur g  zugetragen  und  verlaufen  hat  251 
bis  258. 


IL 


Verzeichnis  der  besprochenen  Schriften. 


Am  ein  ng,  K. ,  Johannes  Mathe- 
sius  309  f. 


Bardenhewer,  Patrologie  598. 

Beer,  Handschriftenschätze  Spa- 
niens 567  ff. 

Beiträge  zur  bayer.  Kirchen- 
geschichte 293  f. 

Berg  er,  E. ,  Die  Kulturaufgaben 
der  Reformation  289  f. 

— ,  Martin  Luther  310  ff. 

ZciUchr.  f.  K.-O  XVII,  4. 


Bern oui Iii,  Der  Schriftsteller- 
katalog des  Hieronymus  617  ff. 

— ,  Hieronymus  u.  Gennadius  de 
viris  inlustribus  ibid. 

Befs,  Zur  Geschichte  des  Kon- 
stanzer Konzils  I:  234  ff. 

Bonnard,  Aug.,  Thomas  Eraste 
303  f. 

Brieger,  Th.,  Über  den  Prozefs 
des  Erzbischofs  Albrecht  gegen 
Luther  312  f. 

Broglie,  La  Reaction  contre  le 
Positivisme  529  ff. 

42 


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G54 


REGISTER. 


Capecelatro,  The  life  of  S.  Phi- 
lipp Neri  etc.  transl.  by  Th.  A. 
Pope  555  ff. 

Chevalier,  Topo -  Bibliographie 
566. 

Clarke,  Francis  Borgia  577 ff. 
Coinba,  Emilio,  I  nostri  prote- 

stanti  270  f. 
— ,  Claudio  di  Torino  275 f. 
Crivellucci,  Deila  fede  storica 

di  Eusebio  53  ff. 
C  u  n  n  i  n  g  h  a  m ,  Santa  Teresa  571  ff. 


Degert,  Le  Cardinal  d'Ossat 
644  ff. 

Documenta  inldits  p.  s.  ä  Thist. 
eccl.  de  la  Belgiqne  p.  p.  U.  Ber- 
liere  462ff. 


Fagniez,  G.,  Le  Pore  Joseph  et 

Richelieu  465  ff. 
Frede ricq,  Paul,  De  geheimzin- 

nige  ketterin  Bioein aerdinne  . . . 

278  f. 

— ,  Lea  documents  de  Glasgow  . . . 

279  f. 


G  a  1 1  i  a  christiana  novissima  524ff. 
Genesis,  Die  Wiener  649f. 
Geschichte  des  Sozialismus  271f. 
Graf,  A.t  Geschichte  des  Teufels- 
glaubens  274. 


Harnack,  Dogmengeschichte9 
599  f. 

Hinajoaa,  Ric.  de,  Los  despächos 
de  la  diplomacia  pontificia  en 
Espana  570. 

Hofsted e  de  Groot,  C.  P.,  Hun- 
dert Jahre  aus  der  Gesch.  der 
Ref.  in  den  Niederlanden  296  f. 

Holtzinger,  Federigo  di  Monte- 
feltro  duca  di  Urbino.  Cronaca 
di  Giov.  Santi  560f. 


J ostes,  Franz,  Die  „Waldenser- 
bibeln"  ...  280t 

Jüngst,  Quellen  der  Apostel- 
geschichte 608  ff. 


Knie,  Die  russisch-schismat 
Kirche  589  f. 

Krebs,  Kurt,  Haugold  von  Ein- 
siedel ...  302  f. 

K  r  o  m  s  i  g  t ,  John  Knox  als  Kerkher- 
vorraer  454  ff. 

Kuhlmann,  Der  hl.  Bonifatius 
645  f. 


Lanson,  Bossuet  533 ff. 
Li sco,  Paulus  Antipaulinus  605 f. 
Lösche,  G.,  Johannes  Mathesius 
307  ff. 

Luther- Ausgabe,  Weimar  165  bis 

210. 


Mercier,  Lamenais  538  ff. 
Mdller-Kawer  au,  Lehrbuch  der 
Kirchengeschichte  III  288  f. 


Ortroy,  Fr.  van,  Vie  du  b.  m. 
Jean  Fisher  451 — 454. 


Pastor,  Geschichte  der  Päpste ? 
651. 

Paulus,  N.,  Die  Strafsburger  Re- 
formation . . .  299  f. 

Philippson,  M.t  Ein  Ministerium 
unter  Philipp  II.  305. 


Kivet,  Aug.,  Les  negotiations  du 

Concordat  etc.  522  ff. 
Rocquain,  F.,  La  cour  de  Ronie 

etc.  271. 


Nchaper,  Die  Sachsenbäuser  Ap- 
pellation 76  ff. 

S  c  h  e  i  c  h  1 ,  Glaubensflüchtlinge  aas 
Spanien  582  f. 

Schlecht,  J,  Ein  abenteuerlicher 
Rennionsversuch  258  ff. 

Sch  warz,  W.  E.,  Briefe  u.  Akten 
zur  Geschichte  Maximilians  11. 
293. 

Schwenke,  P.,  Hans  Weinreich 

...  297 f.  410ff. 
Sc  eck,  Geschichte  des  Untergangs 

der  antiken  Welt  595. 
Sepp,  J. ,  Religionsgeschichte  von 

Oberbayern  294  f. 


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Sicard,  L'ancien  clerge*  de  France 
474  f. 

Simard,  S.  Vincent  de  Paul  etc. 

551—554. 
Sychowski,  Hieronymns  als  Lit- 

terarhistoriker  626." 


Tiele,  Geschichte   der  Religion 

etc.  594  f. 
Tocco,  Fei.,  I  fraticelli  ...  277 f. 


Vanel,  J.  B.,  Lea  Benedictins  de 
S.  Gennain-des-Prea  . . .  470  ff. 


PER.  655 

Vetter,  Der  apokryphe  dritte  Ko- 

rintherbrief  606  ff. 
Virck,  H.,  Lübeck  u.  der  Schmalk. 

Band  295  f. 


Wahrmund,  L.,  Die  Bulle  „Ae- 
terni  patris  filius"  417  f. 

Watterich,  Der  Konsekrations- 
moment 631  f. 

W  e  n  t  z  e  1 ,  Die  griech.  Übersetzung 
der  viri  inlustres  des  Hieronymus 
617  ff. 

Winckelmann,  0.,  DerSchmal- 
kaldische  Bund  ...  291  f. 

Wolf,  G.,  Der  Passauer  Vertrag 
...  292. 


III. 

Sach-  und  Namenregister. 


Abaelard  271. 

Abendmahl,  Konsekrationsmo- 
ment 631  f. 
Ablafs  639. 

Abraham  a  Sancta  Clara  431. 

Acacius  8.  Konzile  (Nicaea). 

Adarunanus  v.  Jona  645. 

Aenaeas  Sylvius  s.  Pius  II. 

Agen  473  f. 

Agenden:  s.  Preufaen. 

Agobard  v.  Lvon  646. 

Agricola,  G.  302. 

Ailii  234ff. 

Alan us  ab  insulis  640. 

Albert  v.  Stade  s.  Kölbigk. 

Albigenser  276. 

Albrecht  v.  Brandenburg  298. 

Alezander  IV.:  643;  VI.:  638f. 

Alexander  v.  Alexandrias.  Kon- 
zile (Nicaea). 

Alexander  Baukalis  s.  Kon- 
zile (Nicaea). 

Alexander   von  Konstantinopel 

s.  Konzile  (Nicaea). 
Alexander  Lycopolitanus  622 f. 
Althamer,  Andr.  293 f. 


Altkatholiken  592ff. 
Alveld,  Augustinus  246  f. 
Ambrosius    617;    8.  Kirchen- 
gesang. 

Ambrosius  Ca tharinus  207 ff. 
America:  Katholicismus  i.  d.  U. 
St  447 ff.;  Luth.  Kirche  424 f. 
l  Am  ort,  Eus.  295. 
I  Anastasios   der  Bilderstürmer 
588. 

„*A v«r oXi)"  592. 

Anselm  von  Laon  647. 

Antonius  d.  hl.  616 f. 

Apokalypse  des  Petrus  611  f. 

Apostelbrüder  366. 

Apostelgeschichte  608ff. 

Argembault  526 ff. 

Arius  und  Arianismus  s.  Kon- 
zile (Nicaea). 

Armenien  s.  xavoviopoi. 

Arnold  von  Brescia  271. 

Asbury,  Fr.  449. 

Athanasius  s.  Konzile  (Nicaea), 
Synopse. 

Augsburg,  Wiedertäufer  in  A. 
42* 


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C56 


REGISTER. 


Augustinus  d.  h.  144.  533.  624. 
626  f. 

Avila,  Juan  de  570f. 


Bachiarius  211—215. 
Bartoccio,  Bart.  565. 
Baumgärtel,  Nik.  639. 
Baumgarten,  Mich.  431. 
Bazas  470. 
Beghinen  280.  462. 
Belgien:  s  Maredsous. 
Bembo  562. 

Benedikt  von  Nursia:  s.  Regel 
628  f. 

Benedikt  XIII.:  234ff. 
Benediktiner  s.  Germain-des- 

Pres,  Maredsous. 
Bernhard  d.  hl.  647. 
Bernardino  v.  Siena  533. 
Bibelübersetzung:  s.  Walden- 

ser,  Wiclif. 
Bloemaer dinne  278f. 
Boethius  627 f. 

Bonaventura:    Ausgabe  seiner 

Werke  654 f.;  647. 
Bonifatius  645. 
Bonifatius  V11L:  364. 
Bordeaux  470. 
Borgia,  Franc.  577 ff. 
Bossuet  5.33 ff. 
Braun,  Konrad  301. 
Briconnet  536 f. 
Bruderschaften  421;   in  der 

orthodoxen  Kirche  590  f. 
Brüder,  böhm.  285. 
Brüdergemeinde  415. 
Bryennios  585. 
Bucer  299. 

Bullen:  Aeterni  patris  filius  417. 
Bund,  Schmalkald.  291  f.  295 f. 
Bufse:  Luthers  Lehre  v.  d.  B. 
207  f. 


Caesarius  v.  Arles  629  f. 

Cajetan  173f. 

Cairns,  John  450. 

Calvin,  Institutio  537;  in  Fer- 

rara  564. 
Capito  299. 
Carolina  446. 

Chrysostomus:   Liturgie  617; 

s.  Synopse. 
Claudius  von  Turin  271.275f. 

646  f. 

Clemens  Alexandrinus  614. 


Clemens  V.:  277;  VII.:  258ff.; 

VIII.:  545. 
Clementinen  612f. 
Clichtow  537. 

Cölestin  V.:  278.  363-  397.  477 

bis  507. 
Cölestiner  s.  Cölestin  V. 
Colonna,  Jakob  s.  Cölestin  V. 
Colon  na,  Vittoria  564. 
Columba  d.  Ält.  450. 
Columba  d.  J.  215—234. 
Corate  529. 

Confessio  Augustana  581  f. 
Consalvi  s.  Konkordat. 
Cromwell,  Ol.  440. 
Culdeer  276.  437 f. 
Cybo,  Innoc.  662. 
Cyprian  614f. 


Dachser,  Jakob  249f. 
Damasus  623. 
Dante  s.  Cölestin  V. 
Denk,  Hans  248 ff. 
Diakonen  601. 
Digne  464. 

Dinkelsbühl,  Nik.  von  640. 
Dissen ters  s.  Virginia. 
Dominikaner  s.  Cölestin  V. 
Dositheos  587. 
Dürer  294. 


Eberl  in  v.  Günzburg  294.  305. 

Ebrach  295. 

Eck  hart,  Meister  278. 

Eder,  Georg  301. 

Edessa:  Chronik  630. 

Edikt  v.  Nantes  s.  Oasat. 

Einhard  635. 

Einsiedel,  Haugold  von  302f. 

Elias  d.  Prophet:  s.  Kultus  637. 

Elias  v.  Cortona  278. 

Elisabeth  d.  hl.  640.  648. 

England:  s.  Culdeer,  Weihen, 
Lander,  Cromwell;  Mittelalterliche 
Reste  440;  kirchliche  Gebrauche 
441 ;  Kirche  im  19  Jahrh.  442  ff. ; 
s.  Presbyterianer. 

England,  Neu-  445f. 

Eoban  Hess  291. 

Epiphaniu«  s.  Konzile  (Nicaea). 

ßraste,  Thomas  303f. 

Erthal,  Fr.  L.  v.  431  f. 

Espana  Sagrada  566 f. 

Estrich,  Casp.  258ff. 

Eucherius  623f. 


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REfilSTEH. 


657 


Eugen  IV.:  638. 

Eunapius  s.  Konzile  (Nicaea). 

Eusebius  von  Caesarea  615 f. ;  s. 
Konzile  (Nicaea). 

Eusebius  v.  Nikomedien  s.  Kon- 
zile (Nicaea). 

Eustathius  s.  Konzile  (Nicaea). 

Evagrius  Ponticus  601. 

Evangelium:  des  Petrus  61 1  f. 

Evangelisten  601. 


Faustus  von  Riez  627. 

Ferreri,  Zaccaria  313  f. 

Ferrier,  Vincent  569. 

Fisher,  Jean  451  f. 

Fonzio,  Barthol.  258 ff. 

Forster,  Georg  432. 

Frankreich:  Litteratur  522  bis 
554;  krl.  Anfänge  533;  die 
Bischöfe  während  der  Revolution 
474;  Religion  der  Rev.  475;  s. 
Agen,  Bazas.  Bordeaux,  Digne, 
S.  Germain-des-Pres. 

Franz  v.  Assisi  639. 

Franziskaner:  s.  Minoriten. 

Freppel  526ff 

Friaul:  Reformation  565. 

Friedrich  III.  v.  d.  Pfalz  s. 
E raste. 

Friedrich  Wilhelm  d.  gr.  Kur- 
fürst 432  f. 

Friedrich  Wilhelm  I.  von 
Preufsen  436. 

Frosch,  Joh.  269. 

Fr u toi f  v.  Michelsberg  635. 


Gabriel,  Erzb.  v.  Achrida  586. 

Gaetani,  Bencd.  s.  Bonifaz  VIII. 

Gallia  christiana  524 ff. 

Gallicanismus  418. 

Gegenreformation  417:  Alt- 
bayern 295:  Eichsfeld  425;  Nie- 
derland 470. 

Gelasius  Kyzikcnus  s.  Konzile 
(Nicaea). 

Genf:  lUliener  in  G.  565. 

Gennep,  Caspar  v.  302. 

Georg  v.  Brandenburg  294. 

Gerald us  v.  Aurillac  636. 

Germain-dcs-Pr6s  470ff. 

Gerson  234ff. 

Gewissensfreiheit  291» f. 

Gi  eleman  635. 

Glykas,  Mich.  584. 

Goeze  433. 


;  Gonzaga  571. 
Granvella  305. 

Gregor  I.  s.  Kirchengesang;  III.: 
643;  VII.:  644;  X.:  363.  636. 
644. 

Grin  538. 
I  GrunenbeTg,  Johann  177. 

Gürtler,  Hieron.  305 f. 

Gustav  Adolf  433. 


Hadrian  I.:  642 f. 

Hase,  K  v.  434. 

Heidentum:  Kampf  der  Kirche 
dagegen  157  ff. 

Heilige,  Griechische  600. 
1  Heinrich  v.  Herford  s.  Kölbigk. 

Heiding,  Michael  302.  306. 

Heliae,  Paulus  306. 

Henoch  602. 

Herroippus  623. 

Hetzer,  Ludwig  248 ff. 

Hexapla  610. 

Hexenprozesse  275. 

Hieronymus    617 ff.   625 f.;  s. 
Konzile  (Nicaea). 

Hilduin  635. 

Honorius  III  :  644. 

Hosius  v.  Corduba  s.  Konzile 
(Nicaea). 

Hubmair,  Balth.  248IT. 
I  Hugenotten  423.  426f. 
I  Hugo  v.  S.  Victor  647. 

HusitiHmus  283 f. 

Hütt,  Hans  249  ff. 

Hymnen  650  f. 

Hypatius  d.  hl.  623. 


Index  302. 

In itien- Verzeichnis  244. 

Innocenz  III.:  644;  VII.:  532. 

Inquisition  273. 
■  Inspiration:  im  MA.  648. 
j  Interim  298 

Irenaus  613  f. 

Italien:  Litteratur  554.  565 ;  Re- 
formation 563. 


Jacopone  v.  Todi  366. 
Jakob  v.  Salza  316. 
Jakob  v.  Sachsen  259. 
Jeanne  d' Are  532 f. 
Jerem  ias  1 1. :  586. 
Jesuiten  4181T.  424.  428. 
Joachim  v.  Fiore  365. 


658 


REGISTER. 


Joachimismus  278. 

Johann  XIII.:  643;   XXII.:  s. 

Ludwig  d.  B. 
Jobann  d.  Best.  v.  Sachsen  258  IT. 
Johannes  Cassianus  627. 
Johannes  de  Fabrica  201. 
Johannes  v.  Kreuze  570. 
Johann  v.  Parma  365. 
Johann    v.  Schwarzenberg 

410  f. 

Johanniter  s.  Cölestin  V. 
Joseph,  le  Pere  s.  Richelieu. 
Jubiläen,  Buch  der  603. 
Judaisten  277. 
Judenchristen  596f. 


Kaisersage  278. 
Kalendarium  651. 
KavoviauoX:  ytvixoi  588f. ; 590f. 
Karl  d.  Gr.  s.  Pippin,  Hadrian  I. 
Karl  V.:  561. 

Karl  II.  v.  Neapel  s.CölestinV. 
Katecbetik  s.  Sprichwörter. 
Katechismus  302. 
Katholicismus  421.  422. 
Keller,  Mich.  260. 
Kepler  435. 
Kerkener,  Job.  307. 
Kirchen pesanji:  s.  Entstehung 

337 f.;  650 f. 
Kircbengut  s.  Eugland. 
Kling,  Konrad  301. 
Klöster:    Altzella   640;  Bürgel 

651  f  ;  Micbelsberg  635. 
Knox ,  John  454 
Kölbigk,  Tänzer  von  94-164. 
Kolluthos  8.  Konzile  (Nicaea). 
Kommunismus  287. 
Konklave:  das  Veto  der  Mächte 

558  f. 

Konkordat  1801:  522ff. 

Konkordienformel  294. 

Konstans  s.  Konzile  (Nicaea). 

Konstantia  s.  Konzile  (Nicaea). 

Konstantin  d.  Gr.  595 f.;  s. 
Konzile  (Nicaea). 

Konstantin  II.  s.  Konzile  (Ni- 
caea). 

Konstantinopel:  Patriarchen 
636;  s.  auch  Patriarch. 

Konstanz:  Bischofsregesten  634. 

Konzile  u.  Synoden:  Konstanz 
639 f.;  Lyon  (1274)  636;  Nicaea 
(321.  325.  327)  1-71.  319  bis 
362;  Paris  (1290)  635  ;  Spanische 


569-,  Strafsburgor  s  Strasburg; 

Tyrus  (335)  s.  Nicaea. 
Kor  in  t  berbriefe  605  ff. 
Kretz,  Matthias  301. 
Kreuzwegandacbt  302. 
Kreuzzüge  644f. 
Krieg,  Schmalk.  295. 
Kunst,  kirchl.  648ff. 


Lactantius  615. 
Lagarde,  Paul  de  435. 
Lambert  v.  Hersfeld  8.  Kölbigk. 
Lambert  le  Regne  279f. 
Lamenais  538 ff. 
Lander,  John  439. 
Lando,  Hort  565 
Lang,  Matthäus  307. 
Langenmantcl,  Hans  248  ff. 
Laurentius  Puldericus  638. 
Legenden:  Kreuzauffindungsl. 

Lemberg:  Confraternitas  Stauro- 

pigiana  590  f. 
Lemnius  314f. 

Leo  X  s.  Luther  (Resolutionen). 

Lessing  s.  Goeze  435f. 

Li  ein  ins  s.  Konzile  (Nicaea). 

Lightfoot  458. 

Lipsius  436. 

Löner,  Casp.  294 

Löscher.  Val.  436. 

Lorichius,  Gerhard  302. 

L ott her,  Melchior  175 ff. 

Loyola,  Ign.  571. 

Lucianus  v.  Antiochia  h.  Konzile 
(Nicaea). 

Ludwig  XIV.  8.  Nointel. 

Ludwig  d.  Baier:  Sachsenhauser 
Appellation  72-93.  413. 

Lübeck:  Ref.  in  295. 

Luis  de  Leon  580 f. 

Luther:  Leben  v.  Berger  310 ff.; 
Schule  u  Humanismus  314;  Dis- 
putationen 314;  Beziehungen  zu 
Böhmen  314;  Prozefs  des  Erzb. 
Albrecht  312 f.;  Resolutionen  165 
bis  210;  in  Würzburg  313;  Brief 
an  Mansfeld  245  ff. ;  Beichtbüch- 
lein 248;  wider  die  Bauern  286; 
an  die  Christen  in  Riga  398  bis 
410;  die  ältesten  Ausgaben  des 
kl.  Katechismus  508  —521;  Re~ 
union8versuch  (1531)  258  ff. ;  s. 
Tod  315;  s.  Ferreri,  Kerkener, 
Letnnius. 


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KEGISTER. 


659 


Macedonius  s.  Konzile  (Nicaea). 
Maredsous  462f. 
Maria:   Streit  über  Empfängnis 
640. 

Marpeck,  Pilgram  287. 

Marsilius  v.  Padua  271. 

MathesiuB,  Job.  307 ff. 

Mathias  v.  Ungarn  283  f. 

Matthäus  Paris  8.  Kölbigk. 

Maurin  er  s.  Gallia  christiana. 

Maximilian  II.  293. 

Mayer,  Seb.  259. 

Mayer,  Wolfg.  301. 

Meinwerk  647. 

Meletiu8  s.  Konzile  (Nicaea). 

Melito  v.  Sardes  612. 

Memmingen,  Ref.  i.  M.  294. 

Menno  Simonis  287. 

Minoriten:  bd.  Quellen  639.  641 ; 
bäret.  Bewegungen  277 f.;  — 
„  Sperlinge "  247  f ;  s.  Briconnet, 
Cölestin  V.,  Ludwig  d.  B. 

Mission,   äofsere:   s.   Soc  de 

miss.  etr. 
Möhler,  J.  A.  436. 
MonophysitismuB  629. 
Montaigne,  Mich,  de  562. 
Müller,  Gallus  287. 
Münzer,  Thomas  286. 
Muhlius,  Heinrich  189.  200. 
Murrhoniten  s.  Cölestin  V. 
Musculus,  Wolfg.  259. 
Mutio,  Girol.  565. 
Mystik  278ff. 


Nachtigall  315. 

Napoleon:  s.  Konkordat;  s.  2. 

Trauung  524. 
Narses,  Patriarch  584 f. 
Neapel:  Reformation  563. 
Neri,  Philipp  555 f. 
Nicephorus  d.  hl.  637. 
Niederlande:  Ref.  296f. 
Nikolaus  Richardi  200 f. 
Nointel  587. 
Norbert  d.  hl.  633. 
Nürnberg:  Ref.  in  N.  291. 
Nuntiaturen  290. 


Ochino  563. 
Odo  ?.  Pins  383. 
Ökolarapad  315. 
Oldenburg  427 f. 
Olivi,  Pet.  Job  278. 
Ordericus  Vitalis  s.  Kölbigk. 


Ortenburg  297. 
Ossat  544 ff. 


Palazzolo  258ff. 
Paltz,  Johann  v.  200  f. 
Papsttum  420 f.;  533. 
Papatwahl  417. 
Patriarch:   Wahl  u.  Inthroni- 
sation bei  den  Byzantinern  584; 
die  P.  von  Konstantinopel  ibid. 
Pauli,  H.  R.  436. 
Paulicianer  276. 
Paulinus  Nulanua  625. 
Paulinus  v.  Tyrus  s.  Konzile 

(Nicaea). 
Paulus  s  Korintherbriefe. 
Paulus  v.  Konstantinopel  s.  Kon- 
zile (Nicaea). 
Peregrinus  211 — 215. 
Peter  v.  Murr  hone  s.  Cölestin  V. 
Petrarca  s.  Cölestin  V. 
Petrus  v.  Alexandria  b.  Konzile 

(Nicaea). 
Pen  tinger,  Konrad  249. 
Pfalz:  reform.  Kirche  308  f. 
Philipp  v.  Hessen  292. 
Philipp  II.  von  Spanien  s.  Conf. 
Aug. 

PhiloBtorgins  s.  Konzile  (Ni- 
caea). 

Pilgerfahrten  644. 
Pinerolo  559 f. 
Pippin:  proiniasio  642. 
Pius  II.:  640;  IV.:  292f.  561  f.; 

VII.:  s.  Konkordat. 
Poesie,  geistl.  529. 
Poiret,  Pierre  436. 
Pole,  Reginald  563. 
Porphyriancr  s.  Konzile  (Ni- 
caea). 

Positivismus  529ff. 

P  rämonstrate  nser  160. 

Predigt:   Ende  des  Mittelalters 

290. 

Presby terianer  444. 

Preufsen:  Ref.  297  f.  410ff.;  Kir- 
cbenrecht  u.  Agende  429;  Refor- 
mierte u.  Unitarier  428. 

Prierias  166ff. 

Priscillianismus  211-215. 

Psalmen  Salomos  603 f. 

Psalter:  Druck  (1484)  641;  651. 

Reeves,  Will.  459. 
Religionsfriede,  Nürnberger 
291  f. 


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660  REG) 

Religionsgespräche:  in  Ale- 
xandria s.  Konzile  (Nicaea); 
Tborn  41«. 

Renata  v.  Ferrara  563 f. 

Rbegius,  Urban  259.  294.  301. 

Richelieu  465 

Ritsehl,  A.  436. 

Robert  von  Brunne  s.  Kölbigk. 

Rock,  d.  hl.  422 

Rösner,  J.  P.  437. 

Rufinus  s  Konzile  (Nicaea). 

Rumänien  590. 

R  u f s  1  an  d :  schismat.  Kirche  589  f. 

Sabinus  s.  Konzile  (Nicaea). 

Sachsen  430.  652. 

Sales,  Franz  v.  549 f. 

Sangerhausen:  Äufserung  Lu- 
thers 245  ff. 

Sauti,  Giov.  560 f. 

Savonarola  280. 

Schaff,  Pb.  460. 

Schisma:  das  abe  ndländische 
234  ff. 

Schlesien:  Ref.  298 f.;  Katholi- 
cismus  430  f. 

Schmid,  Konrad ,  aus  Sanger- 
hausen 246  ff. 

Schneeberg:  Handschriften  637 ff. 

Schottland  444. 

Schwarzenberg,  Christoph  v. 
301. 

Scriptoris,  Paul  302. 
Scultetus   s    Luther  (Resolu- 
tionen). 
Secretan  550 f. 

Secundus  v.  Ptolemais  s.  Konzile 

(Nicaea). 
Seelentrost  153f. 
SegareJli,  Ger.  366. 
Sei  dl,  Wolfg.  301. 
Seneca  596. 

Serapion  s.  Konzile  (Nicaea). 
Sickingen,  Franz  v.  316. 
Simultaneen  418. 
Sittardus,  Matthias  301. 
Societö  des  missions  etrangeres 
528  f. 

Sokrates  s.  Konzile  (Nicaea). 
Soldatenbibel  s.  Cromwell. 
Sozialismus  271  f. 
Sozin,  Lelio  563. 
SozinianismuB  415. 
Span  gen  berg,  Cyr.  121. 
Spanien:  Litteratur  566-583. 
Spengler,  Laz.  403. 


Speratus,  Paul  412. 
Spiritualen  s.  Cölestin  V. 
Sprichwörter,  mittelgriechische 
583  f. 

Stachyologie.  Jerusalemisch.586. 
Staupitz  165ff 
Stephan  11.  642. 
1  Stephaneschi,  Jakob  394. 
S tosen,  Barth.  437. 
Strafe  bürg:  s.  Reformatoren 299f.; 

Diöcesaneynoden  431. 
Styliten  597. 
Suarez,  Franc.  576 f. 
Symbolum  Apostolicum  601. 
Synopse  des  Athanasius  u.  Chry- 

so8tomus  600  f. 


:  Talhouet  551. 

Tanzwut  s  Kölbigk. 

Taufnamen  107f. 

Templer  276 f. 

Tertullian  614. 

Teufelglauben  274. 

Teufellitteratur  120f. 

Theodoret  s.  Konzile  (Nicaea). 
1  Theognis  v.  Nicaea  s.  Konzile 
(Nicaea). 

Thomas  v.  Marmarica  s.  Kon- 
zile (Nicaea) 

Theresia,  d.  h  571  ff. 

Thomas  v.  Aquin  647. 
!  Thomas  v.  Okra  385. 

Thüringen  652. 

Todsünden  601. 

Tolomeo  v.  Lucca  s.  Cölestin  V. 
|  Torqucmada  637. 


Unionsversuche:  Protestantis- 
mus u.  griech.  Kirche  586:  der 
romfreien  kath.  Kirchen  592  ff. 

Unitarier:  s.  Preufsen. 

Universitäten:  Halle  u.  Göt- 
tingen 425  f  ;  Leipzig  426.  640  ; 
Padua  564. 

Urban  IV.:  363f.;  VI.:  282f. 


Valerius  ad  Rußnum  641. 
Vergerio  316  564. 
Vertrag  von  Passau  292. 
S.  Victor  538. 
Vielfeld,  Jacob  286. 
Vincenz  v.  Beauvais  s.  Kölbigk. 
Vincent  v.  Paula  551ff. 
Virginia  446. 


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Wahrhaftigkeit    §.  Konzile 

(Nicaea). 
WalasBcr,  Adam  302. 
Waldemar  280ff.  426. 
Wangemano,  H.  Tb.  437. 
Warbeck,  Vict.  316f. 
Wege,  Johannes  vom  817. 
Weihen:  d.  anglikan.  438. 
Weinreich  297f. 
Wiclif  282f. 


STER.  661 

Wiedertänfer;248ff.  285f, 
Wilhelm  v.  Malmesbary  b.  Köl- 
bigk. 

Wintzler,  Johann  301. 
Wizol,  Georg  302. 
;  Wordaworth,  Cb.  461. 

Zauberei  274. 
Zürich:  vor  der  Ref.  300. 
.  Zwingli  317  f. 


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l»ruck  von  Friedrich  Andreas  Perthes  in  Ii. .tri». 


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I  nhalt  . 


Untersuchungen  mi<l  Essays: 

1.  Si/inl:  ,  lYier  von  Murrhouc  uls  Papst  Cölcstin  V. 

(Schiurs)  477 

Analekten : 

1.  vim  iler  (inlt:.  Bibliographische  Studien  inr  Geschichte 
der  ältesten  An*g*ben  von  I).  Mart.  Luthers  kleinem 
Katechismus  ;"><>s 


Nachrichten : 

1.  Wilkcns,  Französisches  (Fortsetzung  und  Schlüte)       .  532 

2.  Hubert  u.  a.,  Italienisches   f»  j-1 

."5.  Wilkrm,  Spanisches     666 

4.  Meyer  u.  a.,  Griechische  Kirche   583 

f».  Arnnhl,  Pi  t'HxcIwu  u.  a.,  Zur  alten  Kirchengeschichte.  504 

Ti.  Ficl.tr  u  n,  Zur  mittelalterlichen  Kirehengesohichte  .  B33 

Heilster: 

1.  Verzeichnis  der  abgedruckten  Qucllenstücke    ....  $53 

II.  Verzeichnis  der  besprochenen  Schriften  ...            .  ßiVJ 

III.  Sach-  und  Namenregister                                           .  Göa 


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