Zeitschrift für
Kirchengesc.
Theodor Brieger,
Bernhard Bess,
Gesellschaft für .
CT*. /S'O.JLO
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ftarbarti Collrge lübrarg
FROM THE BF.QJ EST OF
JAMES WALKER, D.D., LL.D.,
(Class of 1814),
FORMER PRESIDENT OF HARVARD tOLLhf.E \
" Preference bcing given to works in tho
Intellectual and Moral Sciences."
ä/dctoJSyA /s?l
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ZEITSCHRIFT
FÜR
KIRCHENGESCHICHTR
XVII.
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ZEITSCHRIFT
FÜR
KIRCHENGESCHICHTE.
HERAUSGEGEBEN
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D. THEODOR BRIEGER od Lic. BERNHARD BESS.
XVII. Band.
GOTHA.
FRIEDRICH ANDREAS PERT:
1897.
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Inhalt.
Erstes und zweites Heft.
(Ausgegeben den 1. August 1896.)
Seit«
Untersuchungen und Essays:
1. Seeck, Untersuchungen zur Geschichte des Nicaniseheu
Konzils T 1
2. Pricsack, Zur Sachscuhäuser Appellation Ludwigs des
Bayern 72
3. Schröder, Die Tänzer von Kölbigk 94
4. Brieger, Kritische Erörterungen zur neuen Luther- Aus-
gabe II (zweite Abteil.). III 1Ü5
Analekten :
1. lrritzsche, Uber Bachiarius und Peregrinus .... 211
2. Seebaß, Regula coenobialis S. Columbani abbatis . . 215
3. Tschackert, Die angeblich Aillische Schrift „Determi-
natio pro quietatioae copscientiae supplicium" — ein
Werk Gersons 234
4. Bossert, Sangerhausen in dem Brief Luthers vom Ii). No-
vember 1521 245
5. Meyer, Wiedertäufer in Schwaben 248
6. Kolde, Über einen römischen Reunionsversuch vom Jahre
Nachrichten :
1. Haupt, Inquisition, Aberglauben« Ketzer und Sekten
des Mittelalters (einschliefslich Wiedertäufer) II . . . 270
2. Kawerau, Kolde u. a., Reformatiousgeschichtliches . . 288
VI
INHALT
Drittes Heft.
(Ausgegeben den 15. Oktober 1896.)
Untersuchungen und Essays:
Seit«
1. Steckj Untersuchungen zur Geschichte des Nicänischen
Konzils (Fortsetzung und Schlufs) 319
2. Schulz, Peter von Murrhone als Papst Cölestin V.
(I. Teil) 363
Analekten :
1. Albrecht, Studien zu Luthers Sendschreiben an die
Christen zu Riga und in Lief land vom Jahre 1524 . 398
2. Tschackert , Nachträge zur preußischen Reformations-
geschichte 410
Nachrichten:
1. Tschackert, Zur neuesten Kirchengeschichte .... 414
2. Wilkens, Englisches 437
3. Wilkens, Französisches 462
Viertes Heft
(Ausgegeben den 15. Januar 1897.)
Untersuchungen und Essays:
1. Schulz, Peter von Murrhone als Papst Cölestin V.
(Schlufs) 477
Analekten :
1. von der Goltz, Bibliographische Studien zur Geschichte
der ältesten Ausgaben von D. Mart. Luthers kleinem
Katechismus 508
Nachrichten:
1. Wükens, Französisches (Fortsetzung und Schlufs) . . 522
2. Hubert u. a., Italienisches 554
3. Wilkens, Spanisches 566
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INHALT. VII
4. Meyer u. a., Griechische Kirche
3<Mto
583
5. Arnold, Premchen u. a., Zur alten Kirchengeschichte .
594
6. Jficker u. a., Zur mittelalterlichen Kirchengeschichte .
633
Register:
I. Verzeichnis der abgedruckten Quellenstücke ....
653
653
III. Sach- imd Namenregister
655
Ausgegeben deu X-Angrtse - UBü.
AUG 21 1896
ZEITSCHRIFT
FÜR
KIRCHENGESCHICHTE.
HKiiArs<;r.«;K.HKN von
D. THEODOR BRIEGER,
(•KUKNII. l'Ki'FKKWOK I>KK K IHC'HKN'IKM'llICilTK AN UfH I SiUKMOl I KlfZIO.
UNK
P Lie. BERNHARD BESS,
7\ K ZHT llOl MAKHKITKR AN l>KK K<1L. l'NIVÄIWITÄTSHIHI lOTHRK ZU OOTTJWUKN.
XVII. Band, L2. Heft.
GOTHA.
FRIEDRICH ANDREAS PERTHES.
1896.
Die Hefte der „Zeitschrift für Kirchengeschichte'* erscheinen
zu Beginn eines jeden Quartals.
Mitteilung der Redaktion.
Die geehrten Herren Mitarbeiter werden gebeten, hinfort in
der Regel ihre Manuskripte an den aweiten Redakteur zu senden.
Auch sei darauf hingewiesen, dafs mit dem Wegfall der Nach-
richten vom nächsten Jahrgang ab ein bedeutend schnellerer Ab-
druck der eingesandten Beitrage erfolgen wird.
Die Nachrichten werden durch eine Bibliographie ersetzt
werden.
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Untersuchungen
zur Geschichte des Niciinischen Konzils.
Von
Otto Seeck in Greifswald.
Eine Geschichte des Arianismus, die wirklich diesen
Namen verdiente, ist noch nicht geschrieben und kann auch
gar nicht geschrieben werden, ehe wenigstens die wichtigsten
Vorfragen beantwortet sind. Denn weder hat man das
gegenseitige Verhältnis der Quellen genügend untersucht,
noch die zahlreichen Fälschungen ausgesondert, noch die
Chronologie der Ereignisse systematisch festgestellt; kurz mit
Ausnahme der dogmatischen Erörterung, die mehr als zur
Genüge hin und her gewendet ist, bleibt noch alles zu
thun *. Diese traurige Lücke der kirchengeschichtlichen
Forschung vollständig auszufüllen, habe ich weder Zeit noch
Beruf. Aber auch der weltliche Historiker sieht sich immer
wieder gezwungen, seinen Blick auf einen Gegenstand zu
richten, der die Schicksale des römischen Reiches und seiner
germanischen Eroberer oft entscheidend beeinflufst hat, und
mufs zuletzt die Arbeit, die er gern aus den Händen des
Theologen fertig empfangen hätte, weil es nicht anders geht,
selber thun. So teile ich denn hier einiges mit, was ich
über die ältesten Zeiten des Arianismus erforscht zu haben
1) Auch die neueste Arbeit von C. A. Bernnulli (Das Konzil von
Nicäa. Freiburg 1896) hat unsere Kenntnis nicht um einen Schritt
weitergeführt.
ZeiUchr. f. K.-G. XVII. H l. 1
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'1
SEECK,
glaube. Der dograengeschiehtlichen Beurteilung der hierher-
gehörigen Unterscheidungslehren fühle ich mich nicht ge-
wachsen und kann sie um so mehr aus dem Spiele lassen,
als gerade auf diesem Gebiete, wie schon gesagt, unsere
Kenntnis am weitesten vorgeschritten ist. Ich beschränke
mich daher ganz auf die Feststellung des Thatsächlichen,
und was damit untrennbar zusammenhängt, die Quellenkritik.
Was ich in dieser Beziehung Neues bieten kann, werden
zunächst zerstreute Einzelheiten sein; erst ganz am Schlüsse
hoffe ich das Material soweit zubereitet zu haben, um we-
nigstens für die erste Phase des Kampfes eine zusammen-
hängende Darstellung versuchen zu können.
1.
Nachdem Eusebius von Cäsarea die Besiegung des Li-
cinius und die Edikte Konstantins, durch die er der ver-
folgten Kirche den Frieden zurückgab, erörtert hat, beginnt
er seine Erzählung des arianischen Streites in folgender
Weise (V. C. II, 61): „Als der Kaiser hierüber fröhlich
war, verbreitete sich ein Gerücht von einer nicht geringen
Verwirrung, welche die Kirchen trennte, und da es zu seinen
Ohren kam, sann er auf Heilung. Es war aber derart.
Während sich das Volk Gottes stolz der Thaten seiner Edlen
rühmte und keine Furcht von aufsen her es erregte, so dafs
ein herrlicher und tiefer Frieden allüberall die Kirche durch
Gottes Gnade umgab, lauerte der Neid des Bösen auf unser
Glück, indem er sich in das Innere der Gemeinde einschlich
und mitten in den Scharen der Heiligen selbst sein Spiel
trieb. Er trieb nämlich die Bischöfe zum Kampf, indem er
einen Aufstand des Zankes zwischen sie warf unter dem
Vorwande göttlicher Dogmen, und bald entzündete sich,
gleichwie aus kleinem Funken, ein grofses Feuer." Besäfsen
wir keine anderen Quellen, so müfsten wir hiernach meinen,
der arianische Streit habe erst unter der Alleinherrschaft
Konstantins begonnen, und so haben die Fortsetzer der Eu-
sebianischen Kirchengeschichte, die alle die vita Constantini
in erster Linie lasen und benutzten, die Sache thateächlich
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
3
aufgefaßt. Rufinus, Sokrates, Sozomenus, Theodoret sind
darin einig, schon den ersten Anfang der Kontroverse erst
nach den Sieg über Licinius zu setzen. Nun hat die Schlacht
bei Chrysopolis, welche den Krieg der beiden Mitregenten
entschied, erst am 18. September 324 stattgefunden *, und
schon am 20. Mai 325 ist das Konzil von Nicäa eröffnet
worden. Die acht Monate, welche dazwischen liegen, ge-
nügen kaum für die Versendung der Einladung an alle
Bischöfe des römischen Reiches und die zum Teil sehr weiten
Reisen, die sie zum Orte der Versammlung zurückzulegen
hatten, geschweige denn für die zahlreichen Verhandlungen
und Synoden, die schon vorher in dieser Sache statt-
gefunden hatten. Dafs Eusebius Falsches berichtet, ist also
sicher, und ebenso dafs er es wissentlich thut. Denn ein
Mann, der in den kirchlichen Kämpfen dieser Zeit eine so
bedeutsame Rolle gespielt hatte, konnte unmöglich schon
nach etwa fünfzehn Jahren vergessen haben, dafs der aria-
nische Streit mit der Christenverfolgung des Licinius zu-
sammenfiel und schon lange vor derselben begonnen hatte.
Wenn man hieraus mit Fug und Recht wird schliefsen
können, dafs die Arianer, deren Standpunkt ja Eusebius
vertritt, in jener Frühzeit ihrer Sekte irgendetwas zu ver-
tuschen hatten, so wiederholt sich das Gleiche merkwürdiger-
weise auch bei der Gegenpartei. So gerne sich Athanasius
in historischen Rückblicken ergeht, über die Anfänge des
Arianismus vor dem ökumenischen Konzil beobachtet er
immer das tiefste Stillschweigen. In der Apologia contra
Arianos (58) erklärt er, er wolle seinen ganzen Kampf von
dem ersten Beginn erzählen (avio&ev OQxfjg diriytjaao^ai
tö TtQäypa), und greift dann auch wirklich weit ausholend
bis auf den Episkopat des Petrus zurück; aber was er be-
richtet, handelt fast ausschliefslich von den Meletianern, die
sonst bei ihm nur als untergeordnetes Anhängsel der Arianer
erscheinen; über diese selbst geht er mit den Worten hin-
weg: taCra di nqatzovtog io€ Mekixiov ytyove Aai t) ^Qetavrj
1) Seeck, Die Zeitfolge der Gesetze Konstantins. Zeitschr. d.
Savigny- Stiftung, Rom. Abt. X, S. 188.
1*
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4 SEECK,
affpoig* all* iv avvtöq %ft %axd Nixaiav i) fiiv atgeaig
äve&etiOTiofhi, x<u ol 'AQetavoi i^eßbj^aav. Kein Wort
darüber, wie die Ketzerei entstand und wie sie sieh zuerst
ausbreitete ! Dies ist um so auffälliger, als Athanasius wäh-
rend dieser ganzen Zeit sich in Alexandria aufhielt, also
sämtliche Phasen des Kampfes miterlebt, bei den meisten
sich als Mitglied des alexandrinischen Klerus sogar persön-
lich beteiligt haben mufs. Dafs ihm der Beginn desselben,
der ganz Ägypten und Syrien in wilde Aufregung versetzte,
ohne alles Interesse für seine Leser erschienen sei, läfst sich
danach kaum annehmen. Wie erklärt sich also diese sonder-
bare Ubereinstimmung beider Parteien im Totschweigen
jener ersten Ereignisse?
Gelasius Kyzikenus 1 hat uns einen Brief Konstantins an
die Gemeinde von Nikomedia erhalten, von dem auch Theo-
doret ein Bruchstück in seine Kirchengeschichte (I, 19)
aufgenommen hat und der dem Sokrates (I, 9, 65) gleich-
falls bekannt war. Die Urkunde ist also nicht schlecht be-
glaubigt; dafs sie echt sei, glaube ich trotzdem nicht, aber
auch als Fälschung behält sie einigen Quellen wert, weil sie
jedenfalls von einem Manne herrührt, der das Nicänische
Konzil noch erlebt hatte und mit den damaligen Zeitverhält-
nissen genau vertraut war. Nachdem hier im Anfang die
arianische Lehre scharf getadelt ist, heifst es weiter: ixem'w,
xig HJttv ö zavia diödSag ol'xiog av.aY.ov 7tkföog; Evatßiog
drikadrj 6 xftg xiQavviy.S]g w^ü'nfros av^vair^g. bxi ydq nav-
xayoVi xof) xvQavvov yeytvrpai TtQOOcpv^, 7coX)*a,xi6$Ev toxi
avvOQcjv. xotro utv ydg al xd)v zjz 10*67 tiov oyayai dia-
(AaqivQOvtai , dlld xuv dly&Gg IniüvMmav. xoVto de f}
Xalemozdiri xGtv XQiaxiavQv UduoSig diafärjörp ßoq. ovöiv
yaQ 7itqi xQv dg i/ni yeyevr^tviov VßQecov vtv i(>(5, dt* Hjv
bxi tidXioxa al x&v evaviuov (.ibqOv hcQayfiaxevoavxo ow-
ÖQO^ai. olxog xat dcpdaX^ovg 'Aaxao*Q7tovg I'7t67cefi7ze xar'
l/io£ xett fiövov oi'x ivo7cXovg xCt xtgawui aweiai(f€Qev fotovQ-
yiag. juijde fit xig otto&io tivat rrqbg xrp xovxuv a7i66ei^iv
ärtaQdo-Mvov. tleyxog yaQ ioxiv dy.Qißi)g, oxi xoig 7tQtoßv-
1) Act. Coac. Nie. III bei Mansi, S. One. collect. II, p. 939.
DAS N1CÄNISCHE KONZIL. 5
TtQOvg Aal diaxovovg toig EiOEßiy 7taQa7cef.t7iOfttvovg yaveg&g
iri ifioV GvvuXfff&ai avvtozip.&. Der Bischof von Niko-
media wird hier als ein so treuer Anhänger des gestürzten
Tyrannen gebrandmarkt, dafs er sogar seine Presbyter und
Diakonen zu Spionendiensten für Licinius mifsbrauchte;
selbst an der Christenverfolgung soll er mitschuldig gewesen
sein. Da nun Eusebius bekanntlich eine der Hauptstützen
der arianischen Partei war, mufs man hiernach annehmen,
dafs auch Licinius für sie eingetreten ist ; ja wenn es heifst,
nur diejenigen Bischöfe seien von seinen Morden betroffen
worden, die in Wahrheit Bischöfe waren, so wird sich
dies kaum anders deuten lassen, als dafs die Verfolgung
sich nur gegen die orthodoxe Geistlichkeit, nicht auch gegen
die arianische wandte. Ist dies richtig, so wird man es
wohl begreifen, warum der arianische Kirchenhistoriker die
Zeit des Licinius in Vergessenheit zu begraben sucht und
zu diesem Zwecke selbst vor der offenkundigen Lüge nicht
zurückscheut, das Schisma habe erst nach dem Sturze des-
selben begonnen. Denn die Gemeinschaft des Christen-
verfolgers konnte seiner Partei wahrlich nicht zur Ehre ge-
reichen.
Das Zeugnis jenes Briefes könnte vielleicht zweifelhaft
scheinen, wenn nicht auch andere Quellen es unterstützten.
Hieronymus schreibt (epist. 133, 4): Arius, ut orbem deci-
peret, sororem prineipis ante deeepit. Wurde die Schwester
Konstantins vor der übrigen Welt betrogen, so mufs ihr
Verhältnis zu Arius in die erste Zeit seiner Wirksamkeit
fallen. Dazu pafst es, dafs wir sie schon auf dem Nicänischen
Konzil als Schützerin und Beraterin der Arianer geschäftig
rinden l, und dafs sie im Briefwechsel mit Eusebius von Cä-
sarea stand *. In jener Zeit aber war Constantia nicht nur
die Schwester, sondern auch die Gattin eines Kaisers, näm-
lich des Licinius. Wenn sie also die Ausbreitung der
Ketzerei so wirksam forderte, wie dies Hieronymus andeutet,
so heifst dies, dafs Arius am Hofe von Nikomedia ausgiebige
1) Philost. I, 9.
2) Mansi, Conciliorum collectio XIII, p. 313.
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6
Unterstützung fand. Wie sollte es auch anders sein, da der
Einflufs jenes Eusebius, der sein eifrigster Parteigänger war,
nicht nur durch jenen unechten Brief, sondern auch durch
Sozomenus 1 beglaubigt ist , dessen hohen Quellenwert wir
später noch kennen lernen werden.
Noch beweiskräftiger als dies alles ist die Autorität der
ältesten Urkunde, die uns über den Streit erhalten ist; ich
meine den Brief des Alexander von Alexandria an den
gleichnamigen Bischof von Byzanz 2. Er ist geschrieben,
als die Kirche Frieden hatte *, d. h. nach dem Sturze des
Maximinus Daja (313) und vor dem Beginn der liciniani-
schen Verfolgung (321) 4. Genauer läfst sich das Jahr nicht
bestimmen, doch ist das Schriftstück jedenfalls früher als
irgendeine der zahlreichen Synoden, die in dieser Sache ge-
tagt haben. Denn Alexander beruft sich nur auf die schrift-
liche Zustimmung der orientalischen Bischöfe 5, nicht auf
einen Synodalbeschlufs, wie er es zweifellos thun würde,
wenn ein solcher schon vorläge. In diesem Briefe nun
spricht der Schreiber es deutlich aus, dafs er ein Eingreifen
der Staatsgewalt zugunsten des Arius erwartet und sich zum
Widerstande bereit macht Einflufsreiche Frauen, wahr-
1) I, 15: iv toig ßaaiXitois rtjtfit\fx(vov.
2) Theodor, h. e. I, 4.
3) 59: rovg <fia>y/u6v iytiv tv tlQ^vy tö Saov tu* aviotg tntyt(-
{HtVTtS-
4) Über die Zeit dieser Verfolgung s. Seeck, Geschichte des
Untergangs der antiken Welt I, S. 465.
5) 59: toltovs anooTQayJvTts , ayanriroi xal öuotyvxoi «<f«Ar/oi,
av/uxpT}(foi yCvta&t xara rijs fxavutäovg ainßv toXfAttf xa&' 6{AOi6jr\ja
7(öv ayavaxrtjodvrtov ouXXtitovQyQv jyjufih' xctl InuiTuXdvTutv poi x«r*
aifxOv xal t£ to^^i awvnoyQa\pdvrojv — roöro plv 7idoi)$ Alyvnxov
xal Qijßatöos, toöto <ft Atßvrjs rt xal nivxanoXtoyg xal Iip/«f xal
hl Avxiag xal IJa^ifvXtag, *Aa(ag, Kannatioxlus xal iQv äXXatv ntQi-
XtoQtov' c5v xa&' dfiowTTjra xal 71uq' ifxOv ti(l;ao9ai n(noi9a. Der
r6fAoq, welchen die Bischöfe zum Teil mitunterschrieben haben, zum
Teil noch unterschreiben sollen , ist nichts anderes als der vorliegende
Brief. Denn dieser war nicht an Alexander allein gerichtet, sondern
ein Rundschreiben an alle gleichgesinnten Bischöfe des Orients. Dafs
gerade von dem nach Byzanz geschickten Exemplar sich die Abschrift
erhalten hat, ist nur Zufall.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
7
scheinlich aus der Umgebung der Constantia, haben eine
Klageschrift (ivtvxia) bei den weltlichen Gerichten gegen
ihn eingereicht1; er meint, dafs ihm Verfolgung drohe *,
und gelobt feierlich, selbst Marter und Tod, wenn es sein
müsse, für seine Uberzeugung auf sich zu nehmen 9. Diese
Andeutungen in Verbindung mit den oben angeführten
Stellen zeigen deutlich genug, welcher Art die Thatsachen
waren, die Eusebius von Cäsarea lieber nicht der Nachwelt
überliefern wollte.
Aber warum schliefst auch Athanasius sich dieser Heim-
lichthuerei an? Man sollte doch meinen, die orthodoxe
Partei müsse sich beeifert haben, den Schleier von der Ver-
gangenheit zu reilsen und den Gegnern ihr Verhältnis zu
dem Christenverfolger recht derb unter die Nase zu reiben.
Da die Beantwortung dieser Frage ein weiteres Ausholen
beansprucht, müssen wir sie dem nächsten Abschnitt vor-
behalten.
3.
Wie Harnack 4 mit Recht hervorhebt, wurde Athanasius
immer nur mit persönlichen Anklagen bekämpft; seinen
Glauben hat man niemals angetastet. Man suchte das an-
stöfsige Wort öfioovaioq aus dem Bekenntnis zu beseitigen,
da es unbiblisch sei; aber den Bischof als heterodox zu
verurteilen, weil er daran festhielt, ist auch nicht der leiseste
Versuch gemacht worden. In allen den zahlreichen Synoden,
bei denen die Arianer die Oberhand besafsen, haben sie nie
ein Symbol vorgeschlagen, durch welches das ty Ute ovy. r)v
oder das c£ o&t ovxwv oder das xriV/ia xeu Trotha oder
irgendein anderes ihrer charakteristischen Schlagwörter zur
1) 5: xai toüto ulv dixuartfota ovyxooToüvTtg Jt' ivTv/Jag ywai-
xaQlwv ardxjiav, ii TjnttrijOav.
2) 59: toüto tfi inl 6*ix(tarijQ{titv inititixTiCiv <filoTifjtovu£vovg, Tovg
dttoyfiov ^fxiv iv tioqvy tö Saov in* avTOtg iniyttgavrttg.
3) 55: TaöTu Tijg ixxXtjaiag t« inoOToltxa 6*6ykuaTa, vnig tbv xai
ttnoxhnjoxofitv t(öv ig"6[xvvo9tu avra ßut£of*tv(ov ^ttov nOfQOvrix&ng,
(1 xtti ö*ia ßaottvtav dva^äCovacv.
4) Lehrbuch der Dogmeogeschichte II', S. 236.
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8
SEECK,
bindenden Glaubensregel hätte werden können, sondern im-
mer waren sie auf der Suche nach Formeln, die auch ihre
Gegner, ohne der eigenen Überzeugung etwas zu vergeben,
annehmen könnten. Harnack sieht in diesem Verfahren nur
eine Taktik der Verlegenheit; Eusebius und seine Genossen
— er hätte, wie wir sehen werden, auch Arius selbst hin-
zufügen können — hatten ja das Nicänum mit unterschrieben ;
sie konnten es also nicht mehr als ketzerisch brandmarken.
Diese Erklärung wäre sehr ansprechend, wenn die Arianer
erst nach dem ökumenischen Konzil jenen Weg eingeschlagen
hätten; aber auch ehe sie sich durch ihre Unterschrift die
Hände gebunden hatten, finden wir sie genau in derselben
Richtung thätig.
Im Jahre 320 oder kurz vorher versammelt sich in Bi-
thynien eine Synode, die ganz und gar unter dem Einflufs
des Eusebius von Nikomedia steht Sie erläfst ein Rund-
schreiben, durch das Arius für rechtgläubig erklärt und alle
Bischöfe der Christenheit aufgefordert werden, mit ihm zu
kommunizieren. Aber daran schliefst sich nicht etwa ein
Anathema wider seinen Gegner Alexander , sondern die
Adressaten werden vielmehr gebeten, auf diesen einzuwirken,
dafs auch er seinen ehemaligen Presbyter in die Kirchen-
gemeinschaft aufnehme *. Das Ansinnen , seine Schriften
gegen den Arianismus zu widerrufen oder sich den Glaubens-
sätzen desselben anzuschliefsen , wird in keiner Weise an
hn gestellt; auch ohne dies gilt er der arianischen Synode
für ebenso rechtgläubig, wie Arius selber. Als dieser sich
trotzdem zurückgewiesen sieht, geht er nach Palästina und
erbittet sich die Erlaubnis, dort öffentlich predigen zu dürfen.
Unter dem Vorsitz des Eusebius von Cäsarea tritt eine Pro-
vinzialsynode zusammen und gewährt die Bitte. Auch diese
Versammlung erkennt also die Lehren des Arius an ; gleich-
wohl schärft sie ihm ein, sich auch künftig als Untergebenen
1) Snzom. I, 15: oivoöov Iv Bi&wiif avyxQoit)auvit$ ygatfovatr
tolg navtaxij tnioxonoig, wf 6Q»6ii öo$d£ovoi xoivtovijaui rot? au<fi
jov "Apiov nttQuoxtviiotu ö*t xttl 'AUZttvdQov xcHvtavttv (tvxoif. Vgl.
Äthan, apol. c. Ar. 6 = Migne Gr. 25, S. 257.
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DAS NICÄKISCHE KONZIL.
des Bischofs von Alexandria zu betrachten und immer den
Frieden mit ihm zu suchen *. Vor dem Nicänischen Konzil
wie nach demselben wollen also die Arianer ihre Glaubens-
sätze nicht zum allgemeingültigen Dogma erheben und jeden
exkommunizieren , der sich ihnen nicht anschliefst, sondern
sie betrachten ihre Gegner als Mitglieder der rechtgläubigen
Kirche und verlangen von ihnen nur, dafs auch sie ihnen
die gleiche Anerkennung gewähren.
Wie sie sich die Möglichkeit dachten, beide streitende
Meinungen unter einen Hut zu bringen, läfst sich am deut-
lichsten aus den Schriften des Eusebius von Cäsarea er-
kennen. Diesen will die theologische Forschung der Neu-
zeit zwar nicht als reinen Arianer gelten lassen, sondern
weist ihm eine Mittelstellung zwischen den Parteien zu ; aber
seine eigenen Zeitgenossen sind anderer Ansicht gewesen,
und in einer Frage dieser Art wird ihnen doch wohl das
entscheidende Wort zukommen. Arius selbst nennt ihn in
einem Briefe, dessen Echtheit über jedem Zweifel steht,
unter Beinen unzweideutigen Anhängern * ; Eusebius von
Nikomedia rühmt seinen Eifer für die gute Sache und stellt
ihn dem zaudernden Paulinus von Tyrus als leuchtendes
Vorbild hin 3 ; Athanasius erzählt von ihm mit frommem
Gfausen, er habe sich nicht gescheut, offen auszusprechen,
dafs Christus nicht wahrhaftiger Gott sei 4, und rechnet so-
wohl ihn selbst als auch seinen Schüler Acacius zu seinen
offenkundigen Gegnern 5. Die Mittelparteiler haben immer
und überall das Schicksal gehabt, dafs von beiden Seiten
auf sie losgehackt wird, und zwar von denjenigen am mei-
sten und erbittertsten, denen sie ihrer Gesinnung nach am
nächsten stehn. Wer von der einen Partei so freudig als
1) Sozom. I, 15: ot J£ xnt üiiois Iniaxönoii iv IJaXitiOTfor) owtX-
&örrts {nal>r]<f{oavTO ry ^{tt(ov alTyaet, mtQuxtltvodfitvoi owuyfiv
ftlv UUtOl'S Olf 71QQTIQOV, 'jiXl§UV&Qtp Xttl CLVtlßoUlV ttfl,
Tfc 7ioöj avTÖv elQijvrji xal xoivtoviaq
2) Theod. I, 6, 2. Epiph. haer. 69, 6.
3) Theod. I, 6, 1.
4) De synod. 17 = Migne 26, S. 712.
5) Harnack II», S. 207 Änm. 2.
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10
SEECK,
Genosse begrüfst, von der andern so grimmig als Feind be-
kämpft wird, wie Eusebius Pamphili, spielt gewifs nicht die
undankbare Vermittlerrolle. Allerdings hat er das Nicänum
anerkannt; aber dies thaten auch Eusebius von Nikomedia
und Arius selbst, nur dafs sie etwas länger damit zögerten.
Uberhaupt ist es eine ganz unbegründete Annahme, dafs sich
das Konzil in der Glaubensfrage in drei Parteien gespalten
habe. Sowohl Athanasius und Eustathius *, als auch Eusebius
und Philostorgius wissen nur von zweien, und der letzte
rechnet den Kirchenhistoriker ausdrücklich seinen arianischen
Gesinnungsgenossen zu 2. Wenn die Zeugen beider streiten-
den Parteien in einer Frage so einig sind, widerspricht es
aller historischen Kritik, ihr gemeinsames Zeugnis zugunsten
einer modernen Hypothese beiseite zu setzen.
Nun ist es wohl bekannt, dafs Eusebius, obgleich er in
der Vita Constantini sehr ausführlich von dem Nicänischen
Konzil erzählt, es doch ganz vermeidet, auf den Gegenstand
des dogmatischen Streites einzugehn. Die Stichworte der
beiden Parteien nennt er gar nicht; selbst das verhängnis-
volle Wort öfioovoiog kommt bei ihm nicht vor. Wie er
sich die Beseitigung des ganzen Zwistes denkt, ist am klar-
sten in dem angeblichen Briefe Konstantins an Alexander
und Arius ausgesprochen 3. Nur auf die Grundwahrheiten
1) Harnack Il?, S. 225. Von einer dreifachen Parteigruppierung
kann ich in dem Berichte des Eusebius nichts entdecken; vielmehr
spricht auch er Vit. Const III, 13, 1 zweimal von kxdxfgov ray/ua,
ein Ausdruck , der die Existenz eioer dritten Gruppe ausschliefst.
Übrigens hat Harnack selbst (S. 230 Anm. 2) richtig erkannt, dafs der
Cäsareenser gerade an das entscheidende Wort des Arius, das Src
ovx i}v, geglaubt hat und es nur durch eine recht schlimme Mental-
reservation zustande brachte, diese Lehre mit seiner Unterschrift des
Nicänischen Symbols zu verdammen.
2) Migne 65, S. 623.
3) Dafs die Urkunden der Vita Constantini in der Form, wie sie
uns vorliegen, nicht echt sind, hat Crivellucci (Deila fede storica di Eu-
sebio. Livorno 1888) bewiesen und eine Autorität wie Mommsen (Ephem.
epigr. VII, p. 420) anerkannt; trotzdem findet Herr Bernoulli für gut,
dies sichere Resultat der historischen Forschung schlechtweg zu igno-
rieren Wie wir unten zu erweisen hoffen, hat Eusebius zwar echte
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DES KICÄK1SCHE KONZIL.
11
des Christentums, meint er, komme es an1; in untergeord-
neten Nebenfragen sei volle Einheitlichkeit gar nicht er-
forderlich. Das Verhältnis von Vater und Sohn entziehe
sich dem menschlichen Verständnis 2. Man könne darüber
wohl spekulieren; doch wenn man zu verschiedenen Ergeb-
nissen komme, so solle man es machen wie die Philosophen,
die zwar auch oft disputierten und über Einzelheiten uneinig
seien, sich aber zum Schlüsse doch auf Grund ihrer Schul-
gemeinschaft zusammenfänden8. Keiner solle daher
gezwungen werden, sich der Meinung des an-
deren zu unterwerfen; die Einheit der Kirche könne
sehr wohl erhalten bleiben, auch wenn man in nebensäch-
lichen Punkten des Dogmas den individuellen Ansichten
freien Spielraum lasse 4.
Urkunden paraphrasiert, doch der Wortlaut ist immer von ihm, nicht
von Konstantin, und in dem gegebenen Falle entscheidet das auch über
den Sinn. Aber wenn dies auch nicht wäre, giebt Eusebius seine
unbedingte Zustimmung zu dem Briefe des Kaisers doch so unzweideutig
zu erkennen, dafs man diesen unbedenklich als den Ausdruck seiner
eigeuen Meinung behandeln kann. Vgl. übrigens die Worte, die er in
seine Erzählung verflicht und die vollkommen zu dem Inhalt des Briefes
passen. IT, 62: ol fitv ovv x«r* avrijv Tt]v sfXt!-urd*i>H(tv vtavixdg
7ttoi t&v uvtartirto iit7tXr\xT(^ovTO.
1) II, 70. 71, 5.
2) Vit. Const. II, 69, 2: noaog yd$ (otiv (xaorog, oh nQay^ärtav
ovrto fitydXaiv xal Xtav dioxto&v tvvauiv noög tö axoißig awiitiv
fi jfttr* ä^lav hmtjvtOoat, ;
3) II, 71, 2: faxt dr^nov xal Tovg (fiXoooifovg avrovs, dtg ivl piv
unavrtg JoypttTt ovvr(StvTai , noXXdxiq <tt, Intitiav ev xivi tQv ano-
tftiatotP fifoet äiatfötvQatv, fl xal tj rijs (max^uris Apry x'^Covxai,
rj fitvxoi roO üoyfiaxog kvutati ndXiv dg äXXyXovg ovpnvfovoiv.
4) II, 71, 6: xal Uyto xaOra, ofy atg avayxdCtw vfiäg t$dnavxog
tj Xtav evrj&ti xal uTa drjnoxt ioxiv (xtivrj i) Ci?Ti?<7t?, ovvxt&fO&ai. 6*v-
vaxai yao xai xo rft; avvoüov x((xiov vuiv äxtoaUog oa>£fO&ai xal p(a
xal rj airrt} xaxä ndvxatv xoivtavia xijotio&ai, x&v xaitdXioxd xig
fifQti 7tQOi itXX^Xovg vfxiv vjiIq IXa^tüTov ö*ia(f<av(a y(vr\xai, fnuSi}
u*}di nttvxtg tv (in xavxo ßovXöjit&a, /uijJ^ /u/« tu iv vuiv (fvoig
1j yvwfjrj noXixtvtxai. ntQi fx\v ovv xijg D-t(ag ngovoiag [i(a Tis 1*
vptv taxia n(axig, ftia ovvtotg, ft(a aw&qxi} xoO xotlxxovog, Vi <T öiiIq
xbYv iXa/taiotv xovxiav ^rixijoHitv iv äXXqXotg itxQißoXoyiio&t , x&v prj
7jQÖg fiiav yvutfiijv ov^Kiigta^t, ftivtiv dato Xoytafioö noootjxfi xo} xijg
6*iavo(aq anotätfraj xt\oovfxtva.
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12
SEECK,
Was uns sonst von den Schriften der arianischen Partei -
häupter erhalten ist, kennen wir ausschliefslich aus den An-
führungen ihrer Widersacher, namentlich des Athanasius,
und es liegt in der Natur der Sache, dafs diese vor allem
dasjenige hervorheben, was sie bekämpfen, d. h. was die
beiden Parteien am meisten trennte. Von der Versöhnlich-
keit ihrer Gegner zu reden, haben die orthodoxen Heifs-
sporne begreiflicherweise nicht für nötig gehalten. Um so
deutlicher tritt sie in der Vita Constantini hervor, nament-
lich wenn wir erwägen, dafs sie unter Konstantius geschrieben
ist, also zu einer Zeit, wo die Arianer die Macht besafsen
und mit ihren Anschauungen nicht hinterm Berge zu halten
brauchten. Und dafs der Bischof von Cäsarea nicht ver-
einzelt dastand, zeigt das ganze Verhalten der Partei auf
allen Synoden, in denen sie die entscheidende Stimme führte.
Niemals drängt sie den Gegnern ihre Lehren auf, sondern
kämpft nur dafür, dafs nichts Unbiblisches zum Dogma er-
hoben werde. Denn die Worte der Schrift sind ihr absolute
Glaubensnorm; doch was darüber hinausliegt, bleibt der in-
dividuellen Meinung überlassen. Die Unterscheidungslehren
der andern Partei halten sie natürlich für falsch, aber darum
noch nicht für häretisch Wenn ihnen ihre Gegner immer
wieder vorwerfen, sie rückten nicht mit der Sprache heraus
1) Auch Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte I, 174 giebt
zu, dafs die Formeln der Athanasius feindlichen Synoden „der atbana-
sianischen Auffassung so nah als irgend möglich'4 kommen. Doch will
auch er ihre Beschlüsse nicht als arianisch, sondern nur als „eusebia-
nisch" gelten lassen. Hält mau aber diese Unterscheidung aufrecht,
so mufs man zu dem Ergebnis kommen, dafs vor dem Auftreten des
Aetius und Eunomius die arianische Partei sich gar nicht gerührt, ja
eigentlich gar nicht existiert habe. Denn alles, was die Gegner des
Athanasius thaten und beschlossen, war „eusebianisch u. Wie uns
scheint, beweist schon der Name der Eunomianer, dafs diese nicht
schlechtweg Arianer waren — denn sonst wären sie bei dieser alten
Benennung geblieben — , sondern irgendein neues Moment in den kirch-
lichen Streit hineintrugen. Dieses aber bestand ausschliefslich in der
klaren und energischen Behauptung der arianischen Unterschcidungs-
lehren, während die eigentlichen Arianer viel mehr geneigt waren, sie zu
verhüllen, als zu verfechten.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
13
und versteckten ihre wirkliche Lehre 1 — eine Anklage, die
Eusebius Pamphili deutlich genug illustriert — , so hatte dies
Verhalten eben darin seinen Grund, weil sie dasjenige, was
sie mit den Orthodoxen verband, für viel wichtiger hielten,
als was sie trennte. In diesem Sinne konnte Arius sogar
die Beschlüsse des Nicänischen Konzils mit unterschreiben;
denn was sie ihm Unrichtiges zu enthalten schienen, war
nach seiner Ansicht für den christlichen Glauben nicht we-
sentlich. Dies kleine Opfer seiner Überzeugung meinte er,
wenn auch nach einigem Zögern, der Einheit der Kirche
bringen zu können.
So haben die Arianer immer nur darum geworben, mit
ihren Gegnern gemeinsam innerhalb derselben allumfassen-
den Kirche ihre friedliche Stellung zu behaupten. Dogma-
tisch hatte der Streit begonnen, aber in seinem weiteren
Verlaufe spitzte er sich praktisch immer mehr darauf zu,
nicht ob der Sohn dem Vater wesensgleich sei, sondern ob
man Lästerer, die solches leugneten, in der Kirchengemein-
schaft dulden könne. Es ist eine absichtliche Verdunkelung
der ganzen Frage, wenn Athanasius den Arianern immer
wieder die Ketzereien der Thalia vorhält und auf ihre An-
klage, dafs sein öfioovoiog unbiblisch sei, damit antwortet,
ihr ijy tiie ov* stehe gleichfalls nicht in der Bibel. Denn
sie haben dasjenige, was in ihrer Lehre nicht schriftgemäfs
war, niemals zur bindenden Glaubensregel erheben wollen,
wie er es that. Nicht für die Wahrheit, sondern für die
Ausschliefslichkeit seiner Lehrmeinung hat Athanasius sein
Leben lang gekämpft.
Bei diesem Stande der Frage konnte es für die ortho-
doxe Partei natürlich nichts Unwillkommeneres geben, als
wenn sich nachweisen liefs, dafs ein Bischof, dessen Recht-
gläubigkeit keinen Zweifel duldete, die Arianer in die
Kirchengemeinschaft zugelassen habe. Da dies nun that-
sächlich unter dem Drucke des Licinius geschehen war, so
ist es wohl begreiflich, dafs auch Athanasius von den Zeiten
dieses Kaisers nicht gerne redete.
1) Äthan, or. c. Ar. I, 10. De synod. 32. Epist. ad ep. Aeg. et
Lib. 5 und sonst noch oft.
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14
9.4 90Ü
Den Beweis dafür liefert die Vergleichung zweier Ketzer-
verzeichnisse. Das eine steht in dem schon erwähnten
Rundschreiben Alexanders (Theod. I, 4, 61) und lautet
folgendermafsen : eioi öi oi dvafctiaTto&evzEg atQEOi&tar
Q7cb :cQtaßvziQiüv^AQBiogy drc ö dtav.oviov de, ^tjUdg,
Eteto'iog, '^ei&aläg, stov/Aog, JSaQfidrTig, 'lovliog, Mrjräg,
^'Igewg l'r£Qog} ^Ellddiog. Das andere bietet uns Sozomenus
I, 15: avvt:rqarjov dt atvot (d. h. dem Arius) rffi^Ate^av-
ÖQtvtv Tcagoixtag 71 qeo ßvteqoi >Au§akäg xcrt
)Mg /.cd KaQ:non}g %e y.ai ^aQfidvr^g v.al 'LlQEiog , 6id/.ovoi
di Ev'Smog /.ai Ma/jxqiog, *Iovhog xai Mrpüg y.al 'Elldöiog.
Wie man sieht, ist in der Liste Alexanders Arius selbst der
einzige Presbyter; bei Sozomenus dagegen haben sich ihm
aufser Karpones auch noch Aeithalas, Achillas, Sarmates
und der zweite Arius zugesellt, die in jenem früheren Ver-
zeichnis noch als Diakonen erscheinen. Es versteht sich
von selbst, dafs diese vier nicht zu einem höheren Range
innerhalb der Hierarchie hätten aufsteigen können, wenn sie
nicht in der Zeit, die zwischen den beiden Listen Hegt, als
vollberechtigte Mitglieder der alexandrinischen Kirche an-
erkannt gewesen wären.
Man wird vielleicht die Autorität des späten Sozomenus
nicht gelten lassen. Oder wenn man den Beweis anerkennt,
den wir später für seinen hohen Qu eilen wert zu führen ge-
denken, so kann man annehmen, jene vier Diakone seien
nicht von ihrem eigenen Bischof Alexander, sondern von
irgendeinem der Ketzerführer, z. B. Eusebius von Nikomedia,
zu Presbytern befördert worden. Freilich widerspräche das
den kirchlichen Satzungen; aber um diese braucht sich ja
ein böser Häretiker nicht gekümmert zu haben. Doch in
diesem Falle wäre mit Sicherheit vorauszusetzen, dafs ihre
Rangerhöhung innerhalb der alexandrinischen Kirche, na-
mentlich bei Alexander selbst, keine Anerkennung gefunden
habe; dies aber können wir an der Hand einer Urkunde
von zweifelloser Echtheit widerlegen.
Bei Gelasius Kyzikenus 1 ist uns noch ein zweites Rund-
1) II, 3 = Mansi II, S. 793.
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DES NICÄNISCHE KONZIL.
15
schreiben Alexanders erhalten, das auch Sokrates (I, 6,
4), nur minder vollständig, namentlich mit Weglassung der
Unterschriften, in seine Kirchengeschichte aufgenommen hat.
Dafs es echt ist, hat zwar niemand angezweifelt; aber da
der Beweis sich führen läfst, so mag es der Vorsicht halber
geschehen.
Wir besitzen je zwei Verzeichnisse des alexandrinischen
und des mareotischen Klerus, das eine in den Unterschriften
unserer Urkunde, die andern in denen zweier Schriftstücke,
die Athanasius (Apol. c. Ar. 73 — 74) mitteilt. Jene dürfte
ungelahr dem Jahre 320 angehören, diese stammen aus dem
Jahre 335, und dem Zeitraum, der sie trennt, entspricht
auch ganz genau das Verhältnis der Namenreihen. Von
den alexandrinischen Presbytern der älteren Liste kehren
nur vier in der jüngeren wieder 1 ; hier aber stehen sie in
derselben Reihenfolge, wie dort, ganz an der Spitze, offen-
bar weil es die ältesten Priester des Verzeichnisses sind. Da
man zum Presbyterium meistens wohl in ziemlich hohem
Alter gelangte, ist es nicht zu verwundern, dafs die übrigen
dreizehn in jenen fünfzehn Jahren verschwunden sind; sie
werden eben unterdessen gestorben sein. Unter denjenigen,
die an ihre Stelle getreten sind, finden sich acht, Ammonios,
Makarios 2, Pistos, Athanasios, Apollonios, Aphthonios, Amyn-
tianos und Gaios, in der älteren Liste noch als Diakonen
vermerkt; doch ist in diesem Falle die Reihenfolge verschie-
den, mit gutem Grunde, da sie sich hier nach der Zeit der
Diakonatsweihe, dort nach dem Dienstalter als Presbyter
richtet. Unter den Presbytern des Jahres 335 sind also
nur fünf, Plution, Dioskuros, Sarapion, Rhinos und Aithales,
die im Jahre 320 sich noch nicht nachweisen lassen; da-
gegen sind die Diakonen sämtlich neue Männer. Ganz ähn-
lich ist es auch bei dem mareotischen Klerus. Die fünf
1) Jiovvaioq, 'Al^avJnog, MiXUs (bei Gelasius in Zilas verdorben),
Aoyyos. Auch der Name Jiöoxoqos kehrt zwar in beiden Listen wie-
der, aber da er sehr häufig und die Reihenfolge abweichend ist, dürfte
wohl eine verschiedene Persönlichkeit gemeint sein.
2) Dieser Name findet sich nicht In den Unterschriften, doch ist
im Text der Urkunde von ihm die Rede.
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16
SEKCK,
Presbyter, welche bei Athanasius als die ältesten an erster
Stelle stehen, finden sich auch in der Liste von 320 und
zwar wieder genau in derselben Reihenfolge. Von den
übrigen stehen Sarapion, Demetrios, Markos, Tryphon, Pto-
larion, Gaios und Hierax im älteren Verzeichnis unter den
Diakonen, aber wieder in anderer Folge; neu sind nur
Petros, Dioskoros und Thyrsos. In der Diakonenliste von
335 begegnen uns unter vierzehn Namen zwar drei, die
auch 320 vorkommen, Serras, Ammonios und Mauros, aber
da die Reihenfolge nicht die gleiche ist, dürfte es sich in
diesem Falle wohl auch um verschiedene Männer handeln.
Diese Art sowohl der Übereinstimmung als auch der Ab-
weichung trägt, wie mir scheint, so sehr den Stempel der
inneren Wahrscheinlichkeit an sich, dafs sie allein genügen
mufs, um die Echtheit unserer Urkunde ebenso wie die der
beiden athanasianischen vollgültig zu beweisen. Dafs die
Vergleichung der Listen auch manchen interessanten Anhalts-
punkt für die Kenntnis des priesterlichen Avancements ge-
währt, soll nur im Vorübergehen angedeutet werden.
In dem Rundschreiben Alexanders, von dessen Unter-
schriften wir eben geredet haben, findet sich nun ein drittes
Ketzerverzeichnis, das zwar die kirchlichen Würden der
Exkommunizierten nicht nennt, sie aber aus der Reihenfolge
der Namen deutlich erkennen läfst. Um dies klar zu machen,
stellen wir die drei Listen nebeneinander, wobei wir die
Reihenfolge durch die den Namen vorgesetzten Zahlen be-
zeichnen.
1. Sendschreiben:
Presbyter:
1. Arius.
Diakonen :
2. Achillas.
4. Aeithalas.
6. Sarmates.
9. Arius.
2. Sendschreiben:
1. Arius.
2. Achillas.
3. Aeithalas.
4. Karpones.
6. Sarmates.
5. Arius.
Sozomenus ;
Presbyter:
1. Arius.
3. Achillas.
2. Aeithalas.
4. Karpones.
5. Sarmates.
6. Ariup.
->
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DAS NICANJSCHE KONZIL.
17
3. Euzoios.
6. Lucius
7. Julius.
8. Menas.
10. Helladios.
7. Euzoios.
8. Lucius.
9. Julius.
10. Menas.
11. Helladios.
12. Gaius.
Diakonen:
7. Euzoios.
8. Makarios.
9. Julius.
10. Menas.
11. Helladios.
Wie man sieht, stimmen die Kamen in allen drei Listen
so ziemlich überein; die Unterschiede genügen, um zu be-
weisen, dafs keine aus der andern abgeschrieben ist, nicht
aber um irgendwelche Zweifel zu rechtfertigen. Denn dafs
Arius einzelne seiner Anhänger verlor, sei es durch Tod,
sei es durch Abschwören ihres Irrtums, ist in keiner Weise
auffallig, und ebenso wenig, dafs er einzelne neue hinzu-
gewann. Was speziell das Verzeichnis des Sozomenus be-
trifft, das einzige, dessen Echtheit angefochten werden kann,
so zeigt es nur einen Namen, der in den andern beiden
fehlt, den des Diakonen Makarios. Nun finden sich aber
in den Unterschriften des zweiten Sendschreibens nicht we-
niger als zwei Männer dieses Namens, beide unter den Dia-
konen. Der eine davon ist historisch wohlbekannt; als
Presbyter zählte er später zu den eifrigsten Gehilfen des
Athanasius Der andere wird der Ketzer des Sozomenus
sein. Zwar hatte er noch jenen Brief in Gemeinschaft mit
Alexander unterschrieben, doch hindert nichts die Annahme,
dafs er hinterher zu Arius abgefallen ist Die Namen sind
also auch in dem dritten Verzeichnis alle sehr gut beglau-
bigt; nur an den kirchlichen Würden, die ihnen hinzugefügt
sind, bleiben Zweifel möglich.
Auch diese werden aber beseitigt durch die Reihenfolge,
welche die zweite, ganz sicher urkundliche Liste bietet.
Man wird bemerken, dafs sie in dieser Beziehung mit So-
zomenus genau übereinstimmt. Denn wenn dort Sarmates
1) Äthan, apol. c. Ar. 11. 27. 28. 60. 63. 65. 71. 72. Epist ad
Serap. 2 und sonst.
ZtaUchr. f. K.-Q. IVU, 1 u. 8. 2
18
SEECK,
und der zweite Arius, hier Achillas und Aeitbalas vertauscht
sind, so gehen diese kleinen Unterschiede gewifs nur auf
Fehler der Abschreiber oder auch der Koncipienten selber
zurück. In dem ältesten Verzeichnis dagegen sieht die Reihe
ganz anders aus. Arius, Achillas, Aeithalas, Sarmates und
der zweite Arius folgen sich zwar auch hier in der gleichen
Ordnung, wie in den beiden jüngeren Listen, aber sie stehen
nicht, wie hier, alle zusammen an der Spitze, sondern die
letzten drei sind zwischen diejenigen, welche bei Sozomenus
als Diakonen erscheinen, eingeordnet. Diese selbst zeigen in
allen drei Listen die gleiche Anordnung, nur dafs sie in
der ersten durch jene drei Namen unterbrochen ist Hierin
waltet, wie man sieht, ein ganz klares Gesetz. Die Reihen-
folge innerhalb jeder der beiden Rangklassen ist ein- für
allemal eine feste, wie wir das ja auch bei unserer Be-
sprechung der Unterschriften, die dem zweiten Sendschreiben
angehängt sind, bemerkt haben. Wenn also in diesem ein-
zelne der Ketzernamen von den Stellen, die sie vorher in
der Reihe der Diakonen eingenommen hatten, entfernt und
alle zusammen an die Spitze gestellt sind, so folgt daraus,
dafs die betreffenden Persönlichkeiten in eine höhere Rang-
klasse eingetreten waren. Die Urkunde bestätigt also das
Zeugnis des Sozomenus, dafs Achillas, Aeithalas, Sarmates
und der zweite Arius nach der Zeit jenes ersten Rund-
schreibens Presbyter geworden waren, und zugleich beweist
sie, dafs diese ihre neue Würde auch von Alexander an-
erkannt war. Als weitere Bestätigung kommt hinzu, dafs
auch Epiphanius (Haer. 69, 2) einen jener viere, den Sar-
mates , als Leiter einer Presbyterialkirche in Alexandria
kennt. Auch dafs er den Karpones, der in den beiden spä-
teren Verzeichnissen neben Sarmates steht, in der gleichen
Eigenschaft nennt, verdient wohl angeführt zu werden. End-
lich erwähnt auch der Brief der Synode von Jerusalem 1 %Qv
7ZQS<sßvr£<)(ov tOv neql *lAquov in der Mehrzahl, während
nach dem ältesten Rundschreiben Alexanders unter den An-
hängern des Arius noch kein einziger Presbyter war.
1) Äthan, de synod. Ar. et Seleuc. 21 «= Migne XXVI, S. 720.
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DAS N1CÄNISCHE KONZIL.
19
Es steht also vollkommen fest, dafs Alexander, wenn
auch wahrscheinlich von Licinius gezwungen, es mit seinem
Gewissen hatte vereinigen können, den Arius und seine
Genossen zeitweilig wieder in die alexandrinische Kirche
aufzunehmen. So fand jede der streitenden Parteien in der
Vorgeschichte des Nicänischen Konzils gewisse dunkle Punkte,
die sie verhinderten, die Schwächen der Gegenpartei gerade
nach dieser Richtung hin auszunutzen. Athanasius konnte
seinen Gegnern die Unterstützung des späteren Christen-
verfolgers nicht vorrücken, weil die Inkonsequenz Alexanders
damit in gar zu engem Zusammenhange stand; die Arianer
ihrerseits durften sich nicht darauf berufen, dafs der hoch-
orthodoxe Alexander mit ihnen kommuniziert habe, weil sie
dies der Gunst eines Herrschers verdankten, der mit Recht
als Feind der Christenheit galt. Auf diese Weise ist durch
stillschweigendes Einverständnis beider Parteien über jene
interessante Zeit ein Dunkel verbreitet, das die historische
Forschung wohl niemals ganz wird durchdringen können.
3.
Von diesen Geheimnissen hat schon Rufinus nichts mehr
geahnt, so Öffentlich sie ihrer Zeit gewesen waren ; doch hat
auch er noch mit Bewufstsein daran fortgearbeitet, die Ge-
schichte des Streites zugunsten seiner Partei weiter zu ver-
fälschen. Wie die Arianer es als einen Makel betrachteten,
dafs der letzte Christenverfolger sie begünstigt hatte, so die
Orthodoxen, dafs der erste christliche Kaiser am Ende seiner
Regierung ihr Gegner geworden war. Jeder Herrscher, der
es mit der Barche wohlmeinte, mufste eben bestrebt sein,
die ärgerliche Spaltung zu beseitigen. Da nun die Arianer
ihre Lehre keinem aufzwingen wollten, sondern zufrieden
waren, wenn man sie nur neben ihren Gegnern in der
Kirchengemeinschaft duldete, verstand es Bich eigentlich ganz
von selbst, dafs die weltliche Macht dieser Partei der Ver-
söhnlichkeit ihre Unterstützung lieh. Erst als mit Theo-
dosius I. die Orthodoxie strengster Observanz selber auf den
Thron gelangte, wurde diese Politik aufgegeben und die
2*
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20
SEEUK,
Verfolgung gegen die Arianer begann. Dafs Konstantin be-
fohlen hatte, den Arius wieder in sein priesterliches Amt
einzusetzen, und endlich den widerspenstigen Athanasius
verbannte, tiefs sich nicht ableugnen, so lange diese That-
sachen noch in der lebendigen Erinnerung der Zeitgenossen
hafteten. Doch ein halbes Jahrhundert später, als die Teil-
nehmer der Ereignisse schon zum grülsten Teil aus dem
Leben geschieden waren, fand die tendenziöse Lüge aucb
nach dieser Richtung hin freies Spiel. So hat denn Rufinus
zugleich an seiner Partei und an dem grofsen Kaiser eine
Reinigung vorgenommen und beide ins schönste Einvernehmen
gebracht. Das Mittel dazu war sehr einfach: alle Dinge,
in denen sich das Eintreten Konstantins für die Ketzer gar
zu deutlich kundgab und die sich doch nicht totschweigen
Helsen, der Befehl, den Arius in die Kirchengemeinschaft
aufzunehmen, das Konzil von Tyrus und die Verbannung
des Athanasius, wurden einige Jahre herabgerückt und so
aus der Regierung Konstantins in die seines minder unan-
fechtbaren Sohnes hineingeschoben. Daneben wurden noch
andere Entschuldigungen für den grofsen Kaiser ausgeheckt
— z. B. das Märchen von jenem namenlosen arianischen
Presbyter, den Constantia ihrem Bruder auf dem Totbette
empfohlen habe — , als wenn Entschuldigungen noch nötig
gewesen wären , nachdem man ihm alle Unthaten gegen
die orthodoxe Kirche schon glücklich abgenommen hatte.
Doch wer um einer Tendenz willen [lügt, weifs selten die
Grenze zu finden, bis zu der sein Zweck die Lüge noch
nötig macht.
Im ö. Jahrhundert war der Arianismus nicht erloschen,
aber seine Aufnahme in die Kirchengemeinschaft, um die
noch in den Tagen des Rufinus so erbittert gekämpft wor-
den war, kam nicht mehr in Frage. Als so der Streit auf-
gehört hatte, aktuell zu sein, und die Rechtgläubigkeit in
Ruhe ihres Sieges genofs, brauchte sie auch nicht mehr zu
dem traurigen Kampfmittel der Greschichtsfalschung zu greifen.
Sokrates, Sozomenus, Theodoret sind gewifs nicht unparteiisch
— wer hätte das in jenen Zeiten bleiben können ? — , wohl
aber durchaus ehrlich. Dazu haben sie mit solchem Fleifs
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
21
das zerstreute Material zusammengetragen und es mit so
gesunder Kritik gesichtet, wie dies auch in den besseren
Zeiten der griechischen Litteratur nicht oft geleistet worden
ist. Moderne Anforderungen darf man freilich an sie nicht
stellen. Ihren Quellen, unter denen Rufinus und das Leben
Konstantins von Eusebius die ersten Stellen einnahmen,
standen sie in naiver Gläubigkeit gegenüber, und wenn sie
auch einzelne Fehler derselben korrigieren konnten, zu sy-
stematischer Prüfung haben sie sich niemals aufgeschwungen.
Wir sahen schon, dafs sie alle den Irrtum teilen, der
arianische Streit habe erst nach dem Sturze des Licinius
begonnen. Daraus folgt mit Sicherheit, dafs ihnen aufser dem
Leben Konstantins keine zeitgenössische Erzählung jener
Dinge vorgelegen hat. Denn wer sie erlebt hatte und un-
abhängig von Eusebius schrieb, der konnte gar nicht umhin,
den zeitlichen und sachlichen Zusammenhang der licinia-
nischen Verfolgung und der Kirchenspaltung gebührend her-
vorzuheben. Auch wenn er die arianische Partei reinigen
wollte, zu einem so kläglichen Auskunftsmittel, wie der
Bischof von Cäsarea, die ersten Jahre des Streites einfach
wegzulügen, hätte doch nicht leicht ein zweiter gegriffen. In
jedem andern Geschichtswerk, das noch auf unmittelbarer
Anschauung beruhte, hätte der Synchronismus jener Ereig-
nisse, die beide die christliche Kirche aufs tiefste bewegten,
notwendig hervortreten müssen, und wenn die drei Fort-
öetzer des Eusebius davon gelesen hätten, so würde sicher-
lich einer von ihnen, wahrscheinlich alle drei, jenen chrono-
logischen Fehler berichtigt haben. Der Quell mündlicher
Tradition war nach mehr als hundert Jahren fast ganz ver-
siegt; denn wenn Sokrates auch aus dem Munde eines ur-
alten Mannes, der dem Konzil von Nicäa noch beigewohnt
hatte, ein paar Anekdoten sammeln konnte *, so waren diese
kleinen Brocken doch für die Gesamtheit seiner Darstel-
1) I, 10, 5; 13, 2. Wahrscheinlich stammt auch die Erzählung,
wie Paphnutius sich der strengen Durchführung des Coiibats widersetzte
(I, 11, 4), von diesem Augenzeugen her; denn den älteren Kirchenhisto-
rikern ist sie fremd.
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22
SfcECK,
lung von ganz verschwindender Bedeutung. Die Chronik
von Konstantinopel ist zwar von Sokrates, Eunapius sowohl
von jenem als auch von Sozomenus benutzt worden 1 , doch
konnten diese rein weltlichen Quellen ftir die Kirchen-
geschichte nicht viel hergeben. Die grofse Masse der Nach-
richten, welche die drei Kirchenhistoriker den Berichten des
Eusebius und Rufinus hinzugefügt haben, kann also nur
auf folgenden Quellen beruhen:
1) Gelegentliche historische Notizen, die sich in theo-
logischen Schriften fanden. Theodoret (I, 7) schildert die
Verhandlungen des ökumenischen Konzils, indem er einfach
eine Stelle aus einer Epistel des Athanasius (Migne 26,
S. 1037) und eine andere aus irgendeinem Traktat des
Eustathius nebeneinanderstellt. In ganz ähnlicher Weise
und nicht minder fleifsig haben auch Sokrates und Sozo-
menus die ecclesiastische Litteratur, namentlich den Atha-
nasius, ausgebeutet, nur dafs sie das so gewonnene Material
sorgfältiger und kunstvoller in ihre Gesamtdarstellung ver-
arbeiten.
2) Urkunden, die oft in ihrem vollen Wortlaut mitgeteilt
werden, deren Inhalt aber auch nicht selten ausgezogen und
in die Erzählung verflochten ist. Eine Sammlung solcher
Schriftstücke, von Athanasius veranstaltet, die auch dem So-
krates vorgelegen hat, besitzen wir noch heute in der so-
genannten Apologia contra Arianos; eine andere desselben
Verfassers citiert Sokrates (I, 13, 12) unter dem Namen av-
vodiÄog. Aufserdem gab es Urkundenbücher des Alexander
und des Arius (Sokr. I, 6, 41), und eine Sammlung von Sy-
nodalbriefen, die der Macedonianer Sabinus veröffentlicht
hatte (Sokr. I, 8, 25). Aus diesen und ähnlichen Publikationen
sind wohl zum gröfsten Teil die Urkunden geflossen, welche
die Kirchenhistoriker ganz oder im Auszuge in ihre Werke
1) Die Benutzung des Eunapius ergiebt sich für Sokrates daraus,
dafs er mit Zosiinus (II, II), der bekanntlich ganz vorzugsweise aus
jenem Schriftsteller geschöpft hat, in dem Irrtum übereinstimmt, Maxi-
mianus Herculius sei in Tarsus an einer Krankheit gestorben (I, 2, 1);
für Sozomenus aus der Widerlegung einer heidnischen Tendenzlüge, die
sich gleichfalls bei Zosimus (II, 29) findet (I, 5).
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DAS NICÄMSCHE KONZIL.
23
aufgenommen haben. Doch bei Männern von solchem
Sanimelfleifs ist es keineswegs ausgeschlossen, dafs sie auch
die Archive selber aufsuchten, ja für Sozomenus läfst sich
dies sogar erweisen.
Er bespricht I, 5 die tendenziöse Lüge des Heiden Eu-
napius, dafs Konstantin erst nach der Ermordung seines
Sohnes Crispus, als er für dies Verbrechen in der alten Re-
ligion kein Sühnemittel gefunden habe, zum Christentum
übergetreten sei, und widerlegt sie durch folgendes, durch-
aus schlagendes Argument: KQtonog y.h yctQ, di* 5V cpaoi
KiüvoTarrivov xa&aQuoü öerjtHjvai, r(p er/.ooiQ Itei hefov-
Trtoe %Ttg roO naxqög jjyc/uov/crg, tri 7C€Qiwv nollovg avv
ccvtQ &i(.tevog vöfiovg vrteQ XQicmavt'üvy Hce 6i) xarä ro dev-
tbqov oxtfftcc ttfg ßaailelag Tetifiyntvog Kdiaaq uivy wg eig
CTt V$V fAClQTVQOVOlV Ol TOig VOf.tOig VTlOTEtayfAiVOl xpöVot viai
tC&v vofto&ertüv ai 7tQocr\yoQiai. Sozomenus kennt also zahl-
reiche Gesetze zugunsten der Christen, die im Konsulat der
Datierung und in „den Benennungen der Gesetzgeber",
d. h. in der Überschrift, den Namen des Crispus nannten.
Nun trugen allerdings die Originale der Gesetze und Ver-
ordnungen die Namen sämtlicher gleichzeitg regierender
Kaiser, die Caesarea mit eingeschlossen, an der Spitze, aber
bei den Abschriften, die man in den Rechtssammlungen
zusammen stellte, pflegte man diese langen Uberschriften sehr
erheblich zu verkürzen. Der Codex Theodosianus und die
Constitutiones Sirmondi setzen regelmäfsig nur Imp. Con-
stantinus A. mit Weglassung sowohl des Licinius als auch
der Caesares, die vatikanischen Fragmente schreiben entweder
Augg. et Caess. oder Constantinus et Caess. Hätte also Sozo-
menus eine dieser drei Sammlungen oder eine ähnliche vierte
benutzt, so hätte er zwar wohl in den Konsulaten, aber
niemals in den Uberschriften den Namen des Crispus lesen
können. Mithin ist die Annahme gar nicht abzuweisen, dafs
er die Originalausfertigungen, wie sie in den Archiven auf-
bewahrt wurden, durchstöbert hat, und diesem seinem Fleifse
verdanken wir so manche Nachricht von der höchsten
Wichtigkeit.
Denn das Material der drei griechischen Kirchenhistoriker,
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SEECKj
aus Urkunden und den Angaben wohlunterrichteter Zeit-
genossen geschöpft, ist natürlich von ganz unschätzbarem
Werte, und doch würde derjenige, der ihre Darstellungen
einfach nacherzählte, auf Schritt und Tritt in die gröbsten
Irrtümer verfallen. Denn Quellen dieser Art boten ihrer
Natur gemäfs immer nur vereinzelte Nachrichten, zwischen
denen der Zusammenhang erst hergestellt sein wollte, und
dazu reichte die historische Technik jener alten Herren in
keiner Weise aus. Wie die Apologia contra Arianos be-
weist, waren aufserdem in den gröfseren Sammlungen die
Urkunden fast ausnahmslos ohne Datum und Konsulat, so
dafs sich selbst ihre zeitliche Aufeinanderfolge schwer bestim-
men liefs. Soweit es sich um kaiserliche Briefe und Er-
lasse handelte, zeigte ihre Überschrift, wenn sie nicht von
den Kopisten willkürlich verkürzt war, in dieser Zeit immer
die folgende Namenreihe: Impp. Constantinus et Licinius
Axigg. et Crispus et Licinius et Constantinus Caess. Von
welchem der fünf Herrscher das Schriftstück ausgegangen
war, liefs sich nur an dem Orte des Datums erkennen, und
Untersuchungen dieser Art anzustellen, waren die Alten weder
geneigt noch im Stande. Sie schrieben daher alle Gesetze
und Verordnungen dieser Zeit dem Konstantin zu, dessen
Name nach dem Rechte dos älteren Kaisertums an der
Spitze stand, während doch sehr viele davon thatsächlich
von Licinius erlassen waren. Alles dies waren Schwierig-
keiten, denen selbst unsere hoch ausgebildete Forschung
nicht immer gewachsen ist; den antiken Kirchenhistorikern
blieben sie ganz unüberwindlich.
So kommt es, dafs bei den drei griechischen Fortsetzern
des Eusebius zwar die einzelnen Thatsachen meist sehr be-
achtenswert sind, aber ihre Verknüpfung und zeitliche Fi-
xierung von der modernen Kritik gar nicht berücksichtigt
zu werden braucht. Nur wenn sie ganz ausdrücklich das
Konsulat oder die Ziffer des Kaiserjahres nennen, ist ihre
Autorität auch in dieser Beziehung anzuerkennen, ja dann
erheischt sie sogar unbedingte Geltung. Denn solche
genau datierte Notizen sind immer entweder Urkunden ent-
nommen oder bei Sokrates der Chronik von Konstantinopel.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
25
Im übrigen benutzen sie für das chronologische Gerippe
ihrer Erzählung ganz ausschliefslich Rufinus und die Vita
Constantini; denn dies waren für sie die einzigen Quellen,
welche die Ereignisse im Zusammenhang und scheinbar
auch in ihrer zeitlichen Folge wiedergaben. Freilich gelingt
es ihnen hin und wieder, eine Fälschung dieser zweifelhaften
Gewährsmänner aufzudecken; so hat Sokrates (II, 1) aus
der Apologie des Athanasius gelernt, dafs das Konzil von
Tyrus nicht, wie Rufinus behauptete, unter Konstantius,
sondern schon unter Konstantin stattgefunden hatte. Aber
es waren nur die alleroffenkundigsten Fehler, die sich ihrer
naiven Kritik erschlossen. Dafs das arianische Schisma
nicht erst unter der Alleinherrschaft Konstantins begonnen
haben kann, weil alle die Phasen, die es schon vor dem
Nicänischen Konzil durchmachte, unmöglich in dem kurzen
Zeitraum von acht Monaten Platz finden, leuchtet jedem mo-
dernen Forscher auf den ersten Blick ein; aber von jenen
dreien hat kein einziger es bemerkt. Trotz ihres überreichen
Urkundenmaterials, das sie bei unbefangenem Studium leicht
eines Besseren hätte belehren können, haben sie alle jene
grobe Lüge des Eusebius ohne Widerspruch hingenommen.
Bei dieser Gelegenheit sei noch auf eine Quelle hin-
gewiesen, die mit Unrecht gegenwärtig sehr wenig Achtung
geniefst, ich meine die Ketzergeschichten des Epiphanius.
Freilich wimmeln sie von den gröbsten chronologischen
Schnitzern — z. B. wird der Tod des Arius noch vor das
ökumenische Konzil gesetzt — , aber Fehler ganz ähnlicher
Art, wenn auch nicht so arge, finden sich auch bei Sokrates,
Sozoraenus und Theodoret. Epiphanius war eben noch un-
geschickter als sie, die Thatsachen, welche er einzeln über-
liefert fand , zeitlich unter sich zu verknüpfen ; aber mit
Bewufstsein gefälscht hat er ebenso wenig wie jene drei,
und seine Quellen waren nicht minder gut. Ja er hat vor
ihnen sogar das voraus, dafs sie mit wenigen Ausnahmen
nur die orthodoxe Litteratur benutzt haben, während er
auch die Schriften der Ketzer, schon weil er sie widerlegen
will, zum grofsen Teil gelesen hat. Aus ihnen hat er uns
höchst wertvolle Nachrichten erhalten, nur mufs man sich
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26
SKECK,
bei ihm, wie bei den Fortsetzern des Eusebius, immer daran
erinnern, dafs sie nach ganz andern Prinzipien behandelt
sein wollen, als die sonst in der philologischen und histo-
rischen Kritik üblich sind. Denn während bei den meisten
Schriftstellern des Altertums der Grundsatz gilt, dafs jede
Stelle nur aus dem Zusammenhange des Ganzen interpretiert
werden darf, haben die Nachrichten dieser Quellen nur Wert,
wenn man sie aus ihrer Verbindung, die meist eine falsche
ist, herausreilst und jede für sich allein beurteilt.
4.
In welcher Weise die eben dargelegten Grundsätze an-
zuwenden sind, wollen wir sogleich an einem Beispiel zeigen.
An zwei Stellen seiner Kirchengeschichte, am Schlüsse der
Einleitung und 1,2, sagt Sozomenus, dafs er sein Werk
mit dem Konsulat des Crispus und Konstantinus, d. h. mit
dem Jahre 321, beginnen wolle. Welche epochemachende
Bedeutung hatte dies Jahr für die Geschichte der christ-
lichen Kirche? Früher meinte ich, Sozomenus habe es des-
halb gewählt, weil in ihm die letzte Christenverfolgung be-
gann 1 ; aber wenn dies wäre , so hätte er ausführlich auf
sie eingehen müssen, während er sie doch kaum flüchtig
berührt. Wie bei allen Fortsetzern des Eusebius, Rufinus,
Theodoret und Sokrates, so ist auch bei ihm der Ausgangs-
punkt das ökumenische Konzil, nur dafs er ihm, wie die
andern es gleichfalls thun, noch eine kurze Vorgeschichte
hinzufugt. Man mufs daher annehmen, dafs auch das Jahr
321 nach seiner Meinung, die freilich keine richtige zu sein
braucht, zu dem Konzil in irgendwelcher Beziehung stand.
Sozomenus hat nicht, wie Sokrates, eine Chronik be-
nutzt; wo bei ihm Konsulate auftreten, was selten genug
vorkommt, sind sie wohl ausnahmslos datierten Urkunden
entnommen. Welcher Art könnte nun diejenige gewesen sein,
die er in diesem Falle eingesehen hat?
t) Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 46G.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
27
Die Antwort giebt uns Gelasius Kyzikenus 1 , der , wie
wir schon an mehreren Stellen dieser Untersuchung be-
merken konnten, über ein sehr wertvolles urkundliches Ma-
terial verfugte. Er schreibt: öqiov toivvv 6 ßaatlevg xctQat-
to^ttvriv xfjv ixzXrpiav avvodov olv.ovfieviv.>)v ovyAQorei, tovq
7iavTcc%6t*zv intanÖTtovg öia yqa^^djuav elg Nrtaiav t^g
Bifrvviag änavr fjoai na^a.y.a'Ubv. de avtQ exxcrtd^'xa-
tov trog xai f.ttfveg t£ ztfg ßaoiketag, Vre raCia avrdji
vireQ tfjg exxAi^cr/aartx^^ UQfjvrig iortovSaato. Ich habe
schon früher darauf hingewiesen, dafs nicht nur Konsulate,
sondern auch Kaiserjahre, namentlich wenn ihnen die Mo-
natszahl hinzugefugt ist , für urkundliche Überlieferung
sprechen, und hier kommt noch hinzu, dafs ausdrücklich
von kaiserlichen Briefen (did y^a^tfiducov) die Rede ist. Aus
den alexandrinischen Archiven stammt die grofse Masse der
Urkunden, die sich auf den aria nischen Streit beziehen, und
ehe die Indiktionenrechnung begann , war es gerade in
Ägypten üblich, die Zeit nach den Regierungsjahren der Kaiser
zu bestimmen *. Diese Rechnung wurde in der Weise ge-
handhabt, dafs immer das Jahr mit dem 1. Thoth =
29. August begann und alle Monate oder Tage, die nach
hinten oder vorn über dieses Datum überschössen, für volle
Jahre gerechnet wurden. Für Konstantin umfafste also das
erste Jahr seiner Regierung nur die Zeit vom 25. Juli 306, an
welchem Tage er den Thron bestieg, bis zum 28. August des-
selben Jahres; mithin lief das sechzehnte vom 29. August 320
bis zum 28. August 321, und der sechste Monat desselben war
der Mechir, der vom 26. Januar bis zum 24. Februar 321
dauerte. In dieser Zeit sind also die Einladungsschreiben zu
einem allgemeinen Konzil in Nicäa erlassen worden; jedenfalls
hat dem Sozomenus ebenso wie dem Gelasius eine Abschrift
derselben vorgelegen, und dies war der Grund, warum er das
Konsulat, das ihre Datierung aufwies, als den Anfangspunkt
seines Werkes bezeichnete. Auch diese Urkunde gehörte
zu denjenigen, welche er benutzte, um die Lügen des Eu-
, ^
1) II, 5 = Mansi, Conc coli. II, p. 805.
2) Seeck, Die Entstehung des Indiktionencyklus. Deutsche Zeit-
schrift für Geschichtswissenschaft XII, S. 294.
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SEKCK,
napius zu widerlegen (S. 23); denn einerseits diente sie den
Interessen des Christentums, anderseits zeigte sie sowohl im
Konsulat als auch in der Uberschrift den Namen des Casars
Crispus.
Wenn aber Gelasius inbezug auf den Inhalt und die
Datierung jener kaiserlichen Briefe unbedingten Glauben
verdient, so begebt er bei ihrer historischen Verwendung
alsbald die gröbsten Irrtümer, und ohne Zweifel hat auch
Sozomenus sie geteilt. Zunächst ist es falsch, dafs Kon-
stantin der Urheber jener Einladungsschreiben war; denn
da er im Jahre 321 im Reichsteil des Licinius gar nichts
zu sagen hatte, so konnte er weder mit den Bischöfen von
Ägypten korrespondieren, noch eine Synode gerade nach
Nicäa berufen. Natürlich trug der Brief, wie alle kaiser-
lichen Erlasse jener Zeit, die Überschrift: Impp. Constantinus
et Licinius Augg. et Crispus et Licinius et Constantinus Caess.,
und dies hat unsere Gewährsmänner getäuscht, weil die-
jenigen Verordnungen, die wirklich von Konstantin her-
rührten, ganz ebenso überschrieben waren. Die unsere kann,
weil sie sich auf den orientalischen Reichsteil bezieht, nur
dem Licinius angehören. Daraus folgt aber weiter, dafis
jene Einladung sich gar nicht auf das berühmte Konzil be-
zieht, sondern auf ein anderes, das zwar auch in Nicäa
tagen und wohl auch Ökumenisch sein sollte, aber wahr-
scheinlich gar nicht zustande gekommen ist, weil ja Licinius
bald darauf zum Christenverfolger wurde und die Abhaltung
von Synoden ganz verbot. Dafs auch er, so lange er der
Kirche noch günstig gesinnt war, gerade Nicäa zum Orte
der Bischofsversammlung erwählte, ist keineswegs auffällig.
Denn da diese Stadt seiner Residenz Nikomedia ganz nahe
lag, so konnte er hier am besten die Verhandlungen, ohne
sich doch in sie zu mischen, aufmerksam beobachten und
eventuell auch seinen persönlichen Einflufs spielen lassen.
Die Urkunde ist also viel interessanter, als wenn sie, wie
Gelasius und Sozomenus meinten, wirklich von Konstantin
herrührte; denn sie bezeichnet den letzten Versuch des Li-
cinius, den arianischen Streit noch auf dem Boden der
christlichen Kirchenverfassung zum Austrag zu bringen, und.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
29
gewährt uns durch ihre Datierung einen sicheren termimis
post quem für den Beginn der Christenverfolgung.
Hat uns dies Beispiel gezeigt, wie beachtenswert die
Nachrichten sind, die von Konsulaten oder Kaiserjahren be-
gleitet werden, auch wenn sie auf den ersten Blick wunder-
lich erscheinen, so wird uns das Folgende darüber belehren,
einen wie geringen Wert jene unbestimmten und relativen
Datierungen haben, deren Bedeutung nur aus dem Zusammen-
hange zu erkennen ist.
Sokrates (ü, 5) berichtet den Tod des jüngeren Kon-
stantin mit Hinzufügung des Konsulats von 340 (iv bnaxüq
yA'Aiv6vvov yjal JjQÖidov). Dieses Datum ist der Chronik
von Konstantinopel entnommen und zweifellos richtig. Dann
aber fährt er fort, ino de tbv afodv xoütov XQ^vov sei auch
der Bischof Alexander von Konstantinopel gestorben, woraus
man schliefsen mufs, auch dieses Ereignis falle, wenn auch
vielleicht nicht genau auf das Jahr 340, so doch mindestens
zwischen 339 und 341. Hier aber wird uns kein Konsulat,
sondern nur eine jener relativen Zeitbestimmungen geboten
und, wie sich sogleich zeigen wird, ist sie falsch. Den Be-
weis hat zwar schon der Kommentar des Valesius geführt,
aber da er vielfachem Widerspruch begegnet ist und das
Material sich seitdem etwas vermehrt hat, sei er hier wieder-
holt
Uber den Nachfolger des Alexander, Paulus, berichtet
Athanasius 1 : 6 yuxvqyoQtfoag avvoC MaxMvtog , 6 vüv
inioxOTZoq &vt ahoi) yev6^evogy 7taq6vttav f^dv tata rfjv
yuxTtiyoQtav, Yjer*joivu)vrpw avcQ /.ai nQeoßvreQog jJv im* avröv
töv IlaCXov. 'Aal o'/uwg, irtetdi) Evoeßiog inwqp&alftia , 9e-
hjjv äqnaaaL tijv Ithotlotc^v rfjg 7t6Xewgy — i'fieivev $ 7tq6-
(faoig xara JJavXov /.ai ovx. ^ihqaav ifjg imßovXfjg, dXX
eueivav dtaßdXXovreg. xai zb uiv nq&tov elg tdv U6v%ov
i^wQtad^ TtaQä Kfavatavrivov tö Si SevreQov rca^a Äwv-
1) ffist. Ar. ad mon. 7 = Migne 26, S. 701.
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SEECK,
ütovtiov öe&Etg älvoeoi aidi\Qaig eig 2iyyctQct zftg Msao-
rtoTantag it-wQt'o&ri. Hieraach muls PauluB schon unter
Konstantin dem Grofsen Bischof gewesen sein; denn die
Ausflucht der Interpreten, seine erste Verbannung falle noch
vor die Zeit seines Episkopats, ist schon dadurch ausge-
schlossen, dafs ja eben die Begehrlichkeit des Eusebius nach
dem Bischofssitz von Konstantinopel als Grund derselben
angegeben wird. Auch sagt Athanasius, dafs Macedoniua
schon vorher unter Paulus das Amt eines Presbyters ver-
waltet habe. Und was jeden weiteren Zweifel ausschliefst,
die Akten des Konzils von Tyrus (335) waren von Paulus
als Bischof mitunterzeichnet l.
Der Bischofswechsel fallt also jedenfalls vor das Jahr
335. Da Philostorgius (II, 10) ihn unmittelbar nach der
Gründung von Konstantinopel (11. Mai 330) erzählt und
Theodoret (h. e. I, 19, l) angiebt, als Alexander starb, habe
die Stadt noch Byzanz geheifsen, setzte ihn Valesius in das
Jahr 330. An der Autorität jener Quellen könnte man
zweifeln, wenn sie nicht neuerdings eine urkundliche Be-
stätigung erhalten hätten. Da Macedonius der Gegenkandidat
des Paulus gewesen war, so ist es sehr wahrscheinlich, dafs
er jene Anklage bald nach der Bischofswahl erhob; denn
ohne Zweifel verfolgte er damit den Zweck, diese für un-
gültig erklären zu lassen und sich selbst an die Stelle seines
Mitbewerbers zu setzen. Nun sagt Athanasius, dafs er bei
der Verhandlung über die Anklage persönlich anwesend
war, und wie wir jetzt aus seinen Festbriefen wissen, befand
er sich Ende 331 beim Kaiser in Nikomedia, von wo aus
er das nahe Konstantinopel leicht besucht haben kann 2, falls
1) Hilar. frg. 3, 13 = Migne 10, S. 667: Paulus vero Athanasii
dcpositioni interfuit manuque propria sententiam scribens cum ceteris
eum etiam ipse damnavit.
2) Larsow, Die Festbriefe des h. Athanasius, S. 77. 80; vgl.
S. 27. Seeck, Die Zeitfolge der Gesetze Konstantins. Zeitschrift der
Savigny- Stiftung, Rom. Abt X, S. 198. Der Brief, durch den das
Osterfest angesagt wurde, mufste mehrere Monate vor dem Beginn der
Fasten, die sich ja gleichfalls nach ihm richteten, abgeschickt werden.
Denn von Nikomedia bis Alexandria war ein langer Weg, und von da
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DAS NICÄMSCnE KONZIL.
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nicht etwa, was auch möglich ist, der Prozefs vor Konstantin
selbst in Nikomedia geführt wurde. Bei einer streitigen
Bischofswahl kann die Sedisvakanz mehrere Monate gedauert
haben; die Anklage braucht ihrer Beendigung nicht gleich
auf dem Fufse gefolgt zu sein, und da zu ihrer Entscheidung
jedenfalls eine Synode berufen wurde, so bedingte dies einen
weiteren Aufschub. Es ist also ganz angemessen, wenn man
den Tod Alexanders etwa anderhalb Jahre vor die Reise
des Athanasius setzt, d. h. an den Anfang des Jahres 330,
wie Valesius vermutete.
Dieser Zeitbestimmung steht allerdings eine Schwierig-
keit entgegen. Gelasius , der hier ganz ausgezeichneten
Quellen folgt, giebt an, dafs Alexander in Nicäa nur als
Presbyter erschienen sei *, und dem entsprechend ist er auch
in der Präsenzliste des Konzils, die aufser den Abgesandten
des Papstes nur Bischöfe aufführt, nicht mit verzeichnet
Dazu kommt dann noch eine Uberlieferung, die sich freilich
nur bei sehr späten Schriftstellern findet, aber doch wohl
auf glaubwürdige Erinnerung zurückgehen dürfte, wonach
bei dem Einzüge Konstantins in Byzanz (324) dort noch
Metrophanes Bischof war *. Aber wenn der Episkopat des
Alexander, wie es hiernach scheint, nicht vor 325 begonnen
haben kann, so müfste er, da er 23 Jahre dauerte, erst 348
oder noch später zu Ende gegangen sein, was zu Sokrates
ebenso wenig stimmen würde, wie zu Athanasius, Philostor-
giu8 und Theodoret. Dem gegenüber scheint mir nur eine
Erklärung möglich.
Auf dem Konzil von Nicäa besorgte Alexander die Ver-
sendung des Synodalbriefes für die Provinz der Inseln, ver-
sah also, obgleich er Presbyter war, die Funktionen eines.
Metropolitanbischofs. Auch jenes erste Rundschreiben des
aus mutete die Ankündigung noch über alle Städte von Ägypten und
Libyen verbreitet sein, ehe die Fastnacht kam. Diese fiel im Jahre
332 auf den 16. Februar. Die Absendung des Briefes vom kaiserlichen
Hoflager kann also jedenfalls nicht später als in den November 331
gesetzt werden, vielleicht noch früher.
1) Comm. act. conc. Nie. II, 7. 27 — Mansi II, p. 817. 881.
2) Nicephor. opusc. ed. DeBoor, 8. 114 und sonst noch oft.
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Alexander von Alexandria, das sicher vor 320 abgefafst
wurde, ist an ihn, nicht an Metrophanes gerichtet worden
(S. 6). Mithin mufs er für diesen, der Bchon lange sehr
alt und schwach war, als Bistumsverweser gedient haben,
und die Jahre dieser Stellvertretung, die um 307 begann,
müssen später seinem Episkopate zugezählt sein.
Doch wie dem immer sein mag, jedenfalls steht es fest,
dafs Alexander vor 335 gestorben ist und folglich Sokrates
in der Zeitbestimmung seines Todes geirrt hat. Auch läfst
sich noch deutlich erkennen, auf welche Art er zu jenem
Fehler gekommen ist. Wie er selbst in der Vorrede zum
zweiten Buche sagt, hatte er anfangs seine beiden ersten
Bücher ganz nach Rufinus gearbeitet; dann aber lernte er
Schriften des Athanasius und verschiedene Urkunden ken-
nen, die ihn überzeugten, dafs seine bisherige Quelle in
vielen Dingen, namentlich in der Chronologie, unzuverlässig
sei Nach dieser neu gewonnenen Erkenntnis arbeitete
er dann die betreffenden Teile seines Werkes um, aber
ohne in demjenigen, worin ihm Rufinus die Wahr-
heit gesagt zu haben schien, von diesem abzu-
gehen1. Nun waren ja alle Ereignisse, in denen sich die
Parteinahme Konstantins gegen Athanasius aussprach, dar-
unter auch der Zwang gegen Alexander von Konstantiopel,
den Arius wieder in die Kirchengemeinschaft aufzunehmen,
von Rufinus auf Konstantius tibertragen worden (S. 20), und
wie Sokrates ausdrücklich sagt, war er ihm anfangs auch
hierin gefolgt. Daraus ergab sich aber für ihn, dafs er
auch den Tod Alexanders erst unter Konstantius ansetzen
mufste, freilich nicht zu spät, weil sonst die übrigen Ereig-
nisse, welche sich an den Bischofswechsel in der Hauptstadt
anschlössen und bei denen jener Kaiser persönlich eine Rolle
gespielt hatte, in seiner Regierung nicht mehr Platz gefunden
hätten. So verlegte er ihn denn in die ersten Jahre der-
selben, denn mehr als diese ganz allgemeine Zeitbestimmung
ist mit jenem &rd de xbv avtbv toVtov xq6vov gewifs nicht
1) Socrat II, 1, 4: ovyxpofitvoi xal lv olf 6 'Povyipot ov* tx-
nlmu roO alij&oOf.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
33
beabsichtigt. Als dann So k rate 8 später die Chronologie
seiner beiden ersten Bücher nach anderen Quellen durch-
korrigierte, fand er zufällig in diesen nichts, was seinem
Ansatz für Alexanders Tod zu widersprechen schien, und
liefs also in dieser Beziehung alles beim Alten.
Wir sehen hieraus, was sich freilich schon von vornherein
erwarten liefs: Zeitbestimmungen nach Konsulaten oder Kaiser-
jahren sind aus den Quellen geschöpft und folglich über-
liefert; dagegen beruhen relative Datierungen, die ein Er-
eignis nur im Verhältnis zu andern früher, später oder
gleichzeitig nennen, fast immer auf subjektiven Kombina-
tionen der Kirchenhistoriker, die um so trügerischer sein
müssen, als sie meist auf so zweifelhaften Grundlagen, wie
die Erzählungen des Eusebius und Rufinus, aufgebaut sind.
e.
Die chronologische Frage, die wir eben erörtert haben,
fuhrt uns zu einer viel wichtigeren hinüber, nämlich der
nach der historischen Glaubwürdigkeit des Athanasius. Man
halte es nicht für Vermessenheit, sie überhaupt aufzuwerfen.
In einer Zeit, wo sonst jeder vor den Kaisern und ihren
Beamten kroch, ist ein Mann, der ihnen um seiner Uber-
zeugung willen mit so grofsartiger Kühnheit entgegentrat,
ohne Zweifel eine vornehme Erscheinung. Bei einer solchen
würde man heutzutage jeden Verdacht, dafs sie bewufst
gelogen habe, mit Entrüstung abweisen müssen; aber im
4. Jahrhundert waren die Moralbegriffe anders. Man lese
nur die Predigten und religiösen Traktate jener Epoche; da
findet man die Barmherzigkeit, die Sanftmut, den rechten
Glauben, vor allem die Keuschheit hoch gepriesen, aber von
der Wahrhaftigkeit ist kaum je die Rede. In seiner Ge-
dächtnisrede auf Athanasius zählt Gregor von Nazianz alle
möglichen Vorzüge auf, darunter auch den Eifer für die
Wahrheit in dem Sinne, dafs damit die rechtgläubige
Lehre gemeint ist; aber was wir heute Wahrheitsliebe
nennen, kommt in dem langen Verzeichnis von Tugenden
gar nicht vor, nicht etwa weil der Redner seinem Helden
Z*lUchr. f. K.-O. XVII, U.S. 3
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SEECK,
diese Eigenschaft absprechen wollte, sondern weil er gar
keinen Wert darauf legt. In einem Zeitalter, in dem alles
vor dem Despotismus der Kaiser und ihrer feilen Werkzeuge
knechtisch zitterte, mufste eben die Lüge, als das charakte-
ristische Laster des feigen Sklavensinnes, eine solche Ver-
breitung gewinnen, dafs zuletzt selbst die besten Männer
jedes Gefühl für ihre Verwerflichkeit verloren.
„Mag sein, dafs einer
Dies that als ehrlicher Mann;
Ich wäre keiner,
Wenn ich es b&tte gethan."
So gebietet Rückert, jeden nur nach seinen eigenen sittlichen
Anschauungen zu beurteilen, und er hat recht. Ein Ver-
gehen gegen die Keuschheit, das in unseren Tagen selbst
recht strenge Moralisten nur mit leichtem Tadel rügen wür-
den, hätte Athanasius sich nie verzeihen können; Lügen und
Fälschungen dagegen, die wir ak Ehrlosigkeit betrachten,
meinte er sich um der guten Sache willen schon gestatten
zu dürfen. Wie gegenwärtig ein Mann höchst ehrenwert
sein kann, den er als verabscheuungswürdigen Sünder von
sich gewiesen hätte, so kann er in seiner Zeit sogar eine
Persönlichkeit von imponierender Sittlichkeit gewesen sein,
auch wenn er unseren moralischen Anforderungen keines-
wegs entspricht.
Doch solche allgemeine Betrachtungen beweisen nichts :
auf die Thatsachen kommt es an.
Um das Jahr 360 wurde in einem Kreise orthodoxer
Geistlichen die Frage erörtert, ob Arius im Banne gestorben
oder noch vor seinem Tode wieder in die Kirchengemein-
schaft aufgenommen sei. Serapion, der dem Gespräche bei-
gewohnt hatte, bat brieflich den Athanasius um seine Entschei-
dung, und dieser gab sie in einem Schreiben, in dem das
Ende des Arius folgendermafsen geschildert wird !. Auf die
Bitten des Eusebius von Nikoraedien habe Kaiser Konstantin
den Erzketzer zu sich berufen und gefragt, ob er den Glauben
1) Migne 25, S. 685.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL. 35
der allgemeinen Kirche teile. Darauf habe Ariua seine Recht-
gläubigkeit eidlich versichert und ein schriftliches Bekennt-
nis eingereicht, in dem alles Anstöfsige vermieden war.
Konstantin nahm es an und entliefs ihn mit den Worten:
„Wenn dein Glaube recht ist, so hast du wahr geschworen;
wenn aber dein Glaube frevelhaft ist und du doch geschworen
hast, so mag Gott dich nach deinem Eide richten/' Nun
habe Eusebius den Alexander von Konstantinopel zwingen
wollen, am folgenden Tage, der ein Sonntag war, mit Arius
zu kommunizieren: der fromme Bischof aber sei in die
Kirche gegangen und habe zu Gott gefleht, ihm diese Be-
fleckung zu ersparen. Unterdessen sei Arius, der schon voll
Siegeszuversicht war, durch den Drang seines Leibes in
einen Abtritt getrieben worden, und dort sei er niedergestürzt
und mitten entzweigeplatzt So habe den Feind Christi in
demselben Augenblick, wo er sein Spiel gewonnen meinte,
ein schmählicher Tod ereilt
Die Todesursache des Arius medizinisch zu untersuchen,
fallt uns natürlich nicht ein. Die Worte, durch die Atha-
nasius sie bezeichnet (^r^ijv^g yevöpevog Ihr^oe niaog), sind
Citat aus jener Stelle der Apostelgeschichte (l, 18), in wel-
cher der Untergang des Judas Ischariot geschildert wird;
man braucht Bie also nicht ganz buchstäblich zu inter-
pretieren. Will man annehmen, der Erzketzer sei der Cho-
lera, einem Schlagflufs oder auch einem Blutsturz erlegen,
so steht dem nichts im Wege. Wie man sieht, wollen wir
mit dem frommen Briefsteller nicht zu streng ins Gericht
gehen; nur müssen wir freilich verlangen, dafs wenigstens
zweierlei in seiner Darstellung wahr sei. Erstens raufs Arius
gestorben sein, ehe er in die Kirchengemeinschaft aufgenom-
men wurde — denn dies ist ja der Hauptpunkt in der An-
trage des Serapion, auf die Athanasius Antwort giebt — ;
zweitens mufs sein Tod in Konstantinopel unter dem Epi-
skopat des Alexander eingetreten sein.
Nun haben wir eben gesehen, dafs Alexander wahrschein-
lich 330, sicher vor der Synode zu Tyrus (335) gestorben
ist, und an diese schlofs sich die Einweihung der Grabkirche
zu Jerusalem unmittelbar an. Von den bei dieser Feier
3*
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BEECK,
versammelten Bischöfen teilt uns Athanasius 1 selbst ein
Rundschreiben mit, in dem sie erklären, rovg neoi vAqelov
in die Kirchengemeinschaft aufgenommen zu haben. Nach
allem griechischen Sprachgebrauch bedeutet das den Arius
und seine Genossen, und damit man ja nicht in der Inter-
pretation fehl gehe, fügt Athanasius ausdrücklich hinzu, man
habe yiqtiov 'Kai Tovg avv avrdj) damit gemeint. Ks steht
also aufser jedem Zweifel, dafs Arius sowohl den Alexander
überlebt hat, als auch von einer stattlichen Versammlung
von Bischöfen zur Kommunion zugelassen ist.
Man wird vielleicht erwidern, das seien Ketzer gewesen.
Nun wohl! aber das Nicänische Konzil selbst, dessen un-
fehlbare Geltung Athanasius am lautesten verkündet, hat
den Arius, nachdem es ihn vorher exkommuniziert hatte,
später wieder zu Gnaden angenommen. Dies hat Hierony-
mus von Augenzeugen gehört, und die Unterschriften des
Bekenntnisses, in denen auch die Namen des Arius und
seiner alten Anhänger Euzoios und Achillas (S. 16. 17)
vorkamen , bestätigten es *. Denn selbstverständlich hätten
die Bischöfe keinen zur Unterschrift zugelassen, der aufser-
halb der Kirchengemeinschaft stand. Und wem dies Zeug-
nis nicht genügt, den können wir auf ein anderes verweisen,
das um so unverdächtiger ist, als es mit jenem aufser jedem
Zusammenhange steht. Der Brief, in dem Eusebius von Ni-
komedia und Theognis von Nicäa um Wiedereinsetzung
bitten 3, ist an dieselben Bischöfe gerichtet, die sie verurteilt
1) Apol. c. Ar. 84; De synod. 21 = Migne 25, S. 397; 26,
S. 717.
2) Hier. c. Lucif. 20 = Migne 23, S. 174: sttpersunt adhuc
homines, qui iüi synodo inier fuerunt. et ei hoc parum est, quia
propter temparis antiquitatem rari admodum sunt et in omni loco
t est es adesse non possunt, iegamus acta et nomina episcoporum synod i
Nicaenae; et hos, quos supra diximus fuisse suseeptos, subscripsisse
homousion inter ceteros reperiemus.
3) Harnack Il\ S. 234 Anm. 1 äufsert Zweifel an der Echtheit
dieses Briefes; aber wenn er mit der fable convenue, die vorzugsweise
auf den Berichten des Athanasius beruht, kaum zu vereinigen ist, so
zeugt dies für, nicht gegen ihn. Welche Partei sollte denn dies Schrift*
stück gefälscht haben? Den Arianern mufste es unbequem sein, weil
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DAS NICÄNISC1IE KONZIL.
hatten, d. h. an das Nicänische Konzil *. In dieser Urkunde
nun heifst es, derjenige, um dessen willen die Schreiber
vorher gebannt wurden, d. h. Arius, habe sich unterdessen
verteidigen dürfen und sei von den Adressaten, d. h. der
Synode, freundlich behandelt worden * Wie dies zu erklären
ist, werden wir später sehen ; jedenfalls beweist es unwider-
sprechlich, dafs an der ganzen Erzählung vom Tode des
Arius kein wahres Wort ist.
Wer den Athanasius um jeden Preis verteidigen will,
wird zu der Annahme geneigt sein, er sei selber der Be-
trogene gewesen. Leitet er doch den Brief an Serapion
damit ein, dafs er erklärt, bei dem Tode des Arius nicht
selbst in Konstantinopel gewesen zu sein, sondern ihn nur
nach dem Berichte seines Presbyters Macarius wiederzugeben 8.
Aber wenn dieser der Lügner war, wie konnte sein Bischof
ihm Glauben schenken? Dafs Arius noch 335 lebte, wufste
er ja, denn er selbst sagt es uns; dafs Alexander lange
vorher gestorben war, konnte ihm auch nicht unbekannt
sein, da er ja mit dem Nachfolger desselben auf der Synode
zu Tyrus persönlich verkehrt hatte. Sollen wir ihm die
Unbesinnlichkeit zutrauen, das alles in seinem frommen
Eifer vergessen zu haben? Doch wir brauchen nicht bei
solchen Möglichkeiten zu verweilen, da die andern Schriften
des Athanasius deutlich zeigen, dafs nicht Macarius, sondern
es bewies, dafs die Häupter ihrer Sekte dem öfioovoiov zugestimmt
hatten, den Athanasianern, weil sich daraus die Rehabilitierung des
Arius ergab. Beide konnten also wohl ein Interesse daran haben, es
zu unterdrücken, aber nicht, es in dieser Form zu erfinden.
1) Der Text des Briefes bei Socr. I, 14, 2: ijjrj plv ovv xara-
ja xtx(H[A£va nttQa ft\g dytag vfiQv IniXQtottog 6<ft(Xofxev.
2) Socr. I, 14, 5: 6n6n ai/röv röv inl roviotg ivayofitvov fdofi rrj
ifx6h> (irXttßtitf (fiXar&fxuntvOaa&at xal avaxaXtoao&at. ittonov dk xoO
doxoüvTos tlvtu vnev&vvou avaxixXr\[itvov xal änoXoyriaafA^vov, itf* o*f
öußuXXfjo, %uäs oiojnqv.
3) Migne 25, 686: (yto fiiv ov Ttapijurjp iv Kdtvütavttvov noXfi,
5r( htXfvrrjOiv Ixtivof Maxttfuos <J£ 6 notoßvjtoos napijv x&xifvov
X4yovxo<; tfxovoa.
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38
SEECK,
er eel bat die Geschichte erdacht und im Laufe der Zeit
liebevoll weiter ausgestaltet hat.
In seinen frühesten Streitschriften ist niemals von dem
Tode des Arius die Rede, obgleich man doch annehmen
müfste, dafs ein so wunderbares Gottesgericht besser als
alles andere geeignet gewesen wäre, den Lesern die Ver-
worfenheit des Arianismus zu beweisen 1. Selbst in der
Apologia contra Arianos, in der er die Geschichte der Sekte,
soweit sie in seinen Kram pafst, vollständig erzählt, wird
dieses wichtige Ereignis mit Stillschweigen übergangen.
Offenbar hat Athanasius selbst, als er diese Bücher schrieb,
noch nichts von dem Märchen gewufBt Zum erstenmal
taucht es in der Epistula ad episcopos Aegypti et Libyae
auf, die erst 356 verfafst ist *, und hier zwar in ganz eigen-
tümlicher Gestalt. Konstantin, so erzählt Athanasius, habe
auf Andringen des Eusebius den Arius berufen und ihm ein
schriftliches Bekenntnis abgefordert Darauf habe dieser eine
Formel eingereicht, die sich nur an die Worte der Schrift
hielt und die eigentlichen Irrtümer der Arianer mit Schwei-
gen überging. „Wenn du aufser diesem nichts anderes im
Sinne hast", habe Konstantin gesagt, „so rufe die Wahrheit
zum Zeugen an; denn der Herr straft den Meineidigen."
Arius habe denn auch geschworen, niemals etwas anderes
gesagt oder geineint zu haben, als in dem vorgelegten Be-
kenntnis stehe. In dem Brief an Serapion lauten die Worte
des Kaisers anders und schärfer; auch verlangt er dort
1) Vgl. Äthan, bist. Ar. ad monach. 3 = Migne 26, 693: ils yäQ
rtltictv xttTdyvwnv rijg aitfattos rOy liQCiavOv avTaQXttf rj jhqI roC
SitväTov *Aqi(ov ytvoptvri naga xoO xvqiov xqIok' ijv ifSrj <f$daavrts
xal nag* htpov iyvane. Ohne Zweifel hat hierin Athanasius von sei-
nem Standpunkt aus vollkommen recht; um so auffälliger ist es, dafs er
sich dieses Arguments nicht öfter bedient, während er doch sonst in
Wiederholungen keineswegs sparsam ist. — Wenn er meint, die Mönche
würden schon durch andere Ober den Tod des Arius unterrichtet sein,
so erklärt sich dies daraus, dafs er selbst nicht sehr lange vorher in
seinem Sendschreiben an die Bischöfe von Ägypten und Libyen die Ge-
schichte erzahlt hatte. Denn der Inhalt desselben war von den Em-
pfängern natürlich auch in diese Kreise verbreitet worden.
2) Migne 25, 580.
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j
DAS NICÄNISCHE KONZIL.
39
keinen Eid, sondern Arius hat ihn schon vorher freiwillig
geschworen. Unstreitig liegt hierin eine Steigerung seiner
Schuld ; doch sind diese Verschiedenheiten noch unbedeutend
genug, um sich durch Gedächtnisfehler des Athanasius ent-
schuldigen zu lassen. Aber gleich nach der Erzählung der
Audienz bei Konstantin folgen die Worte: dll* eddvg e£eA-
&anEQ dintp öovg KaTi7zeoe yuxi nQ^v^g yevd/uevog iKd-
xtjoe fidoog. Kein Unbefangener kann dies anders inter-
pretieren, als dafs der Ketzer in demselben Augenblicke
(ev&vg), wo er den Kaiserpalast verliefs, eines bösen schnellen
Todes gestorben und so die Strafe dem Meineid auf dem
Fufse gefolgt sei
Nachdem die Erzählung so zum Abschlufs gelangt ist,
beginnt sie freilich gleich wieder von neuem, und der Zwang
des Eusebius gegen Alexander, dessen Gebet und der Tod
des Arius im Abtritt werden ungefähr in der gleichen
Weise berichtet, wie in dem Brief an Serapion. Aber wer
ein wenig philologische Schulung besitzt, dem wird es ohne
weiteres klar sein, dafs diese Fortsetzung ein späterer Zu-
satz ist, um so mehr als wir diese Schrift nicht in ihrer ur-
sprünglichen Gestalt, sondern nur in einer jüngeren Redaktion
besitzen.
Schon die alten Herausgeber haben bemerkt, dafs die
Apologia contra Arianos und der Brief de synodis einzelne
Stücke enthalten, die ihnen Athanasius selbst mehrere Jahre
nach ihrer Vollendung hinzugefugt hat Er pflegte also, wenn
er neue Auflagen seiner Werke veranstaltete, sie mit Zusätzen
und Berichtigungen zu versehen. Dafs er dies auch bei
der epistula ad episcopos Aegypti et Libyae gethan hat, er-
giebt sich mit Sicherheit aus folgender Stelle*: /i«- olv
1) Diese Form der Erzählung scheint auch in der Hist. Ar. ad
mon&ch. 61 vorausgesetzt zu werden: tl 9\ xal lÜQaxtv Uptov 6 narijQ
ttinoD (seil. to0 Kworavtlov), &XX' imocuct]aas''AQtioi xal $«ytk flvat
rrp> toO nttTQÖf tftXav&Qfortiav. Denn auch hier stehen Heineid und
Tod in engster Vorbindung. Zudem erscheint als einzige Gunst, die
Konstantin dem Arius erwies, dafs er ihn überhaupt einer Audienz
würdigte (topoxtv); von einem Zwange gegen den Bischof von Konstan-
tinopel, mit dem Ketzer zu kommunizieren, ist nicht die Bede.
2) 22 «= Migne 25, 589.
40
SEECK,
^ TiovriQia xat fj oi"M<favxia x(bv MtUxiavdv xat nqb xov-
xtov n&ai (pave^d* fjv öi xat f} äoißeia xat ^eo^axog ai'Qeoig
xQv 'AquovQv 7tälai navxccxoB xat n&aiv Ixd^log, ov yccQ
ötiyog iaxiv 6 xQ&og' dXX* oi fiiv tzqö nevxfaovxa xat
Tcivxt €T<3v oxiOfjctTixoi ysydvaoiv oi de nqb xQid'/jovxa xat
kxQv d7t£ÖeixS^loctv atQeuxoi xat rfjc hmXipiaQ dneßktf-
xhprav Ix '/.gloecog n&arig xfjg olitovueviyifjg avvödov. Da der
Brief ohne jeden Zweifel im Jahre 356 geschrieben ist, hat
Walch dies Konzil auf die Synode von Alexandria gedeutet
und sie nach dieser Stelle auf das Jahr 320 datieren zu
können gemeint 1 ; aber wo ohne weitere Erklärung von
dem ökumenischen Konzil geredet wird und dies zwar mit
Hinzufügung des bestimmten Artikels, da kann gar kein
anderes als das Nicänische gemeint sein. Zudem würde auch
die Datierung des Meletianischen Schismas nicht zu dem
Jahre 356 passen. Denn so verschieden auch Epiphanius
und Athanasius die Gründe desselben betrachten, darin stim-
men sie beide überein, dafs es aus der Christen Verfolgung
hervorgegangen war; wenn wir aber mit 55 Jahren von
356 zurückrechnen, so kommen wir auf das Jahr 301, wo
jene noch gar nicht begonnen hatte. Die oben angeführte
Stelle kann also nur 36 Jahre nach dem Konzil von Nicäa,
d. h. im Jahre 361, geschrieben sein; mithin ist sie fünf
Jahre später als die ursprüngliche Abfassung des Briefes.
Um 361 oder etwas früher — denn ganz genau läfst er
sich nicht datieren — ist aber auch der Brief an Serapion
abgefafst. Es ist also ganz erklärlich, dafs Athanasius, als
er hier die Geschichte vom Tode des Arius in erweiterter
und verschönerter Gestalt erzählte, auch jene frühere Schrift
soweit veränderte, dafs sie mit der späteren nicht in gar
zu schroffem Widerspruche stand.
Was also soll Macarius seinem Bischof aufgebunden
haben? Dafs Arius gleich nach Beinem Meineide vor dem
Palaste Konstantins starb oder dafs dies erst nach dem Gebet
Alexanders auf jenem berühmten Abtritt geschah? Wie
mir scheint, verrät jene Weiterbildung der Geschichte deut-
1) Hefele, Konziliengeschichte lf, S. 268.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
41
lieh genug, dafs Athanasius nicht nur fremde Erfindungen
leichtsinnig verbreitete, sondern selbst der Erfinder war. Man
wende nicht ein, dafs auch andere Autoren den Tod des Arius
ähnlich erzählen. Denn unter ihnen ist keiner, der nicht
die Schriften des Athanasius gelesen hätte, und wenn sie
zum Teil andere Nebenumstände bringen, so haben sie eben
kleine Versehen begangen oder auch bei ihnen ist das Märchen
weiter ausgesponnen. Auch dafs man ein Jahrhundert später
in Konstantinopel sogar den Abtritt zu zeigen wufste, auf
dem Arius gestorben sein sollte l, lehrt nur , was wir schon
lange wissen, dafs nämlich litterarische Überlieferungen leicht
in die Volkssage übergehen und dann auch bald eine sehr
bestimmte Lokalisierung erfahren. Der Herthasee auf Rügen
verdankt seinen Namen ausschliefslich einer falschen Lesart
in Tacitus' Germania, und doch wird er so nicht nur von
den gebildeten Reisenden, sondern auch von den einheimischen
Fischern genannt.
7.
Da Athanasius es mit der Wahrheit so wenig genau
nimmt, kann es nicht verwundern, dafs er sich die Urkunden,
deren er zur Beglaubigung seiner Lügen bedarf, im Notfalle
selber macht Aber wenn er auch im Verschweigen zu
allen Zeiten sehr stark gewesen ist, zum eigentlichen Fäl-
schen scheint er doch erst ziemlich spät gegriffen zu haben.
Wir sahen schon, dafs die Geschichte vom Tode des Arius
in seinen Schriften nicht vor 356 erwähnt wird. Die Apo-
logia contra Arianos, die schon sechs Jahre früher geschrieben
ist, enthält in ihren Hauptteilen, soweit ich habe nachprüfen
können, nur echtes Material. Doch hat auch sie, wie schon
die alten Herausgeber bemerkt haben, am Schlüsse spätere
Zusätze erhalten, und zu diesen gehören wahrscheinlich auch
die beiden letzten Urkunden (b6. 87); denn diese sind er-
weislich gefälscht. Man hüte sich, hieraus zu schlicfsen, dafs
sie nicht von Athanasius selbst erdacht seien. Die eine der-
1) Socr. I, 38, 7.
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42
SEECK,
selben, hat er in seiner Historia Arianorum ad monachos 8
wiederholt und sie dadurch als sein Eigentum anerkannt 1.
Dies ist ein Brief Konstantins II. an die katholische Ge-
meinde von Alexandria, worin dieser mitgeteilt wird, der Vater
des jungen Kaisers habe ihr ihren Bischof nur deshalb durch
eine scheinbare Verbannung entzogen, weil er ihn vor den ge-
fährlichen Angriffen seiner blutdürstigen Feinde habe schützen
wollen. Er habe daher verordnet, dafs man es dem Atha-
nasius in Trier an nichts fehlen lasse, und habe selber die
Absicht gehegt, ihn seiner Kirche zurückzugeben, nur sei er
durch frühzeitigen Tod daran verhindert worden. Der Sohn
erfülle daher den Willen des Vaters, indem er dem Ver-
bannten die ehrenvollste Rückkehr gewähre. Durch diesen
Brief will Athanasius beweisen, dafs Konstantin der Grofse
ihm niemals feindlich gewesen sei. Wie wir schon oben
gesehn haben (S. 19), galt eben die Gegnerschaft eines
Kaisers, der sich als treuer Sohn der Kirche gezeigt hatte,
als arger Makel; der Bischof hatte daher allen Grund, sich
davon zu reinigen.
Die Urkunde trägt die Unterschrift: idöd^ ttqö dexa-
nivte *ahxv6Qv 'iovkiwv iv TQtßsQoig. Das Konsulat fehlt,
doch kann, die Echtheit vorausgesetzt, über das Jahr kein
Zweifel sein. Der grofse Konstantin war am 22. Mai 337
in Nikomedia gestorben ; die Nachricht davon hätte bis zum
17. Juni desselben Jahres kaum Zeit gehabt, um bis nach
Trier zu gelangen. Wenn also der Schreiber schon von
dem Tode seines Vaters redet und dies zwar nicht als von
etwas Neuem und Überraschendem, sondern wie von einer
längst bekannten Thatsache, so folgt daraus, dafs das früheste
mögliche Jahr der Datierung 338 ist Zudem berichtet
Athanasius selbst, seine Heimsendung habe auf einem Uber-
einkommen der drei Söhne Konstantins beruht, allen ver-
bannten Geistlichen die Rückkehr zu gestatten * ; es waren
1) Auch Hist. Ar. ad mon. 50 =» Migne 25, 763 beruft er sich
auf diesen gefälschten Brief.
2) Hist. Ar. ad mon. 8 = Migne 25, 704: xaOra owoQQrtis ot
T0fJf äSiXifcif KwaravTtvos, Ktovordntos xal Ktuvarns, tnoftjoftv ndv
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
43
ihr also Verhandlungen der Brüder vorausgegangen, die bei
ihrer weiten Entfernung voneinander jedenfalls Monate in
Anspruch genommen hatten. Endlich lehrt uns der Vor-
hericht zu den Festbriefen, dafs der Bischof am 27. Athyr
338 (= 23. November) in Alexandria einzog, und es ist
doch höchst unwahrscheinlich, dafs er nach der Aufhebung
seines Exils die Heimkehr noch über ein Jahr verschoben
habe. Ist also das Datum jenes Briefes echt, so kann es
nur den 17. Juni 338 bedeuten.
Aber dieser Tag pafst nicht zu der Überschrift. Denn
hier nennt sich Konstantin IL noch Cäsar, wie er es bei
Lebzeiten seines Vaters und in den ersten Monaten nach
dessen Tode gewesen war; aber schon am 9. September 837
hatte er den Augustustitel angenommen.
Auch in anderer Beziehung ist das Datum der Unter-
schrift unmöglich; doch um dies zu erweisen, mufs man
uns ein etwas weiteres Ausholen gestatten.
Beim Tode Konstantins des Grofsen zählte sein jüngster
Sohn Konstans kaum vierzehn Jahre ». Er war also noch
nicht regierungsfähig, und die Vormundschaft über ihn
fiel, wie sich von selbst versteht, dem ältesten der drei
Kaiser, Konstantin IL, zu. In dessen Hand ruhte daher die
Gesetzgebung für den ganzen Occident, auch für Italien,
Afrika und Illyrikum, die nominell dem Konstans gehörten.
So ist z. B. der Erlafs Cod. Theod. XII, 1, 27, obgleich er
sich speziell auf Afrika bezieht, doch aus Trier datiert, wo
Konstantin residierte. Erst 340, als Konstans siebzehn Jahr
alt wurde, begann er selbständig Gesetze zu geben, aber
gleich darauf und wahrscheinlich infolge dessen brach auch
der Konflikt zwischen den Brüdern aus, der den Tod des
ältesten herbeiführte. Wir sind daher berechtigt, alle Er-
lasse, die in den Jahren 338 und 339 an occidentalische
Beamte gerichtet sind oder sich sonst auf den Occident be-
ruf fuxot »ttvctjov roO nar^öf tnavtk&üv tlg rip nar^Su tutl tip ix-
xXijotav. Vgl Epiph. haer. LXVIII, 10.
1) Se eck, Zur Echtheitsfrage der Scriptorea hiatoriae Augustae.
Rhein. Museum XLIX, S. 218.
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•14
SEECK,
ziehen, dein Konstantin zuzuschreiben, während jeder Zu-
sammenhang mit dem Orient auf Konstantias hinweist
Wie uns Julian 1 berichtet, hatten die drei Brüder nicht
lange nach dem Tode ihres Vaters in Pannonien eine Zu-
sammenkunft, um durch gemeinsames Ubereinkommen die
Erbschaft zu regeln. Athanasius traf bei seiner Heimreise
aus Trier in Viminacium mit Konstantius zusammen *. Da
er im November 338 in Alexandria anlangte, mufs dies im
Sommer desselben Jahres gewesen sein. Vom 12. Juni 338
besitzen wir ein Gesetz an den Präfekten von Italien und
Afrika, das gleichfalls aus Viminacium datiert ist *. Kon-
stantin II. war also in dieser Stadt um dieselbe Zeit, wo
auch Konstantius dort nachweisbar ist. Mithin dürfte hier
der Kongreß der kaiserlichen Brüder stattgefunden haben.
Freilich liegt Viminacium nicht in Pannonien selbst, sondern
nur nah an der Grenze dieser Diöcese ; aber einen so kleinen
Irrtum kann man Julian, der diese Ereignisse nur als Kind
erlebt hatte, wohl zutrauen. Wenn aber Konstantin am
12. Juni 338 an der unteren Donau war, so kann er jenen
Brief des Athanasius nicht am 17. Juni aus Trier datiert
haben.
Man wird sich vielleicht mit der Annahme helfen wollen,
das Datum sei durch irgendeine handschriftliche Verderbnis
entstellt; aber auch wenn wir gestatten, jeden beliebigen
andern Tag dafür zu setzen, bleibt noch immer der Ort der
Datierung unmöglich Wir sahen schon (S. 42), dafs die
Rücksendung der verbannten Geistlichen, darunter auch des
1) Julian, or. I, p. 19 A: <f*« ras nobs jovs aSthfovg iv Jlatovitf
oi-v&qxas, &s aitöi naqotv ovrm diyxTjoag, tag fiT)ö*tj4{ttv aqoQfiijv ixti-
voii nttQitaxttv (xtfiyttog. 20 B: In näh ydg ooi rä rOv ow&rjxßv fttra
Ji}( uoiart^ öfiovofae dityxriTo, — nootlaq plv rafft XW*/**"0*
ix IJaiovüiv iv Zvpotg dfy-^ijf.
2) Äthan, apol. ad Const. 5 — Migne 25, S. 601: Afra yaQ,
yivtooxoiv at ftvrtftovixtorarov, itvcc^p^a&ifvai rßv Xoytov, Jtv ävfytoov
rort , Srt xarrj{{o)Oas idtiv fit, noßrov plv iv Bifuvaxbp, dtvrtoov dt
iv Kuiattottq T>}c Kttnnadox((t$ xai rotrov iv 'Avrioxtta.
3) Cod. Theod. X, 10, 4. Dafs der Adressat Celsinns Afrika unter
sich hatte, ergiebt sich aus Cod. Theod. XII, 1, 27.
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DAS N1CÄNISCHE KONZIL.
15
Athanasius, aut einem gemeinsamen Beschlufs der di*ei Brü-
der beruhte. Jedenfalls ist dieser in Viminacium gefafst
worden; denn wenn sie ohnehin beabsichtigten, persönlich
zusammenzutreffen, so werden sie jene schwierigen Verhand-
lungen über die kirchlichen Angelegenheiten gewifs nicht
durch Gesandtschaften geführt haben, die zwischen Bosporus
und Mosel auf monatelangen Reisen hätten hin und her
ziehn müssen. Und Athanasius wartete nicht ab, bis Kon-
stantin wieder heimgekehrt war, sondern er reiste selbst an
den Ort des Kongresses, während die Kaiser noch dort
verweilten. Mithin kann die Erlaubnis zu seiner Heimkehr
und der sie begleitende Brief an die Gemeinde von Ale-
xandria auch nicht aus Trier, sondern nur aus Viminacium
datiert gewesen sein.
Also die ganze Unterschrift, sowohl Tag als Ort, stimmt
zu den Zeitverhältnissen ebenso wenig wie zu der Uber-
schrift. Und wenn wir beide unbeachtet lassen und nur bei
dem Texte selbst verweilen, so bietet auch dieser noch die-
selben Schwierigkeiten. Denn hier heifst es, Konstantin der
Grofse habe verordnet, Athanasius solle iv tavrrj Tg ndlet^
iv g dUtQiße, näot rotg dvayz.atoig ifinteovdteiv. Jenes
Fürwort rcnjTrj läfst sich nicht anders interpretieren, als dafs
die Stadt, in welcher der Bischof während seiner Verban-
nung weilte, eben dieselbe ist, in der unser Brief geschrieben
wird, und doch kann dieser nicht in Trier geschrieben sein.
Dafs der Vater des angeblichen Schreibers nicht divus parens
n08ttr, sondern 6 deoTtövqg i)^Qv Ktovatavvlvog 6 Zeßaovög
genannt wird, d. h. dominus noster Constantinus Augustus,
ein Titel, der bei einem verstorbenen Kaiser ganz unerhört
ist und wohl von einem des offiziellen Stiles unkundigen
Bischof, aber niemals von einer kaiserlichen Kanzlei gebraucht
werden konnte, mag zum Schlüsse noch bemerkt werden.
Den gleichen Zweck, die Autorität des grofsen Kon-
stantin für die Sache des Athanasius und gegen ihre Feinde
auszuspielen, verfolgt auch ein zweites Schriftstück, das in
der Apologie dem eben besprochenen unmittelbar voraus-
geht. Hatte in diesem der Sohn für die gute Gesinnung
seines Vaters Zeugnis abgelegt, so wird hier, um jeden noch
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46
vorhandenen Zweifel zu beseitigen, Konstantin selbst redend
. eingeführt. In einem Briefe, den er an das Konzil von
Tyrus gerichtet haben soll, erklärt der Kaiser gleich im
Eingange, dafs er von den Beschlüssen der Versammlung
zwar noch nichts wisse, ihnen aber nichtsdestoweniger sehr
mifstrauisch gegenüberstehe. Nachdem er dann den Bischöfen
noch einige Schnödigkeiten an den Kopf geworfen hat, er-
zählt er folgendes. Als er eben in seine Stadt eingeritten
sei, sei ihm plötzlich auf offener Strafse Athanasius mit
seinen Begleitern entgegengetreten. Anfangs habe er diesen
gar nicht erkannt, und als er gehört habe, wer es sei,
doch nicht mit ihm gesprochen, ihm auch eine Audienz
verweigert Da habe er vernommen, der Bischof begehre
nichts anderes, als dafs auch seine Gegner vor dem Throne
des Kaisers erschienen und durch diesen selbst der in Tyrus
begonnene Streit entschieden werde. Diese Forderung habe
er durchaus billig gefunden und vorordne daher, dafs die
ganze Synode an seinen Hof nach Konstantinopel über-
siedeln solle. Dann schliefst der Brief mit einigen Ermah-
nungen, die in sehr scharfem Tone gehalten sind. Atha-
nasius selbst erzählt weiter, dafs Eusebius von Nikomedia
die Bischöfe gehindert habe, dem Befehl des Kaisers Folge
zu geben. So sei denn nicht die ganze Versammlung, son-
dern nur Eusebius mit einigen seiner zuverlässigsten An-
hänger nach KonBtantinopel gekommen, habe aber vor dem
Gericht Konstantins keine der Anklagen zu wiederholen ge-
wagt, auf welche hin man in Tyrus die Absetzung des
Athanasius beschlossen habe, sondern statt dessen ganz neue
Verleumdungen vorgebracht. Allerdings seien diese so wirk-
sam gewesen, dafs der Kaiser den Bischof von Alexandria
sogleich nach Trier verschickt habe.
Uber das Konzil von Tyrus und die Verbannung des
Athanasius besitzen wir durch den Vorbericht zu den Fest-
briefen und eine sicher echte Urkunde der Apologie (75)
die genauesten chronologischen Daten.
11. Juli 335 (17. Epiph) reist Athanasius von Alexan-
dria ab, um sich nach Tyrus zu begeben. Nachdem hier
die ersten Verhandlungen resultatlos verlaufen sind, wird
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DAS N1CÄKISCHE KONZIL.
47
eine Untersuchungskommission des Konzils nach dem mareo-
tischen Gau abgeschickt.
7. September (10. Thoth) legt der Klerus des mareoti-
schen Gaues in dieser Sache schriftliches Zeugnis ab l. Da
nach dem Abschlufs der Untersuchung Athanasius den
Spruch der Synode voraussieht, verläfst er Tyrus und geht
zu Schiffe nach Konstantinopel.
29. Oktober (2. Atbyr) langt er hier an und erhält nach
acht Tagen bei Konstantin Audienz.
6. November (10. Athyr) reist er in die Verbannung
nach Trier.
Alle diese Daten passen, obgleich sie zum Teil aus ver-
schiedenen Quellen entnommen sind, doch so vorzüglich zu
einander, dafs an ihrer Richtigkeit gar kein Zweifel möglich
ist Sind sie aber echt, so mufs jener Brief Konstantins
unecht sein. Denn in Verbindung mit der an ihn geknüpften
Erzählung setzt er doch voraus, dafs zwischen dem ersten
Zusammentreffen des Kaisers mit Athanasius und der Ver-
bannung des letzteren jener Befehl an die Synode nach
Tyrus überbracht wurde und von hier die Bischöfe nach
Konstantinopel reisten, was beides zusammen Monate in An-
spruch genommen haben mufs. Und doch hat Athanasius
sich in der Residenz kaum acht Tage aufgehalten, ehe der
Spruch Konstantins gegen ihn entschied.
In dem erhaltenen Urkundenbuch des Athanasius sind
dies die einzigen Fälschungen, die ich nachzuweisen ver-
mag; doch gab es auch noch ein zweites, den Synodikus,
der uns verloren, aber von Sokrates (I, 13, 12) und wahr-
scheinlich auch von manchem andern benutzt ist. Dafs
auch diese Sammlung nicht nur echtes Material enthielt,
dürfen wir vermuten, namentlich da sie in die letzten Zeiten
seiner Wirksamkeit zu gehören scheint, und er, wie wir
sahen, mit den Jahren in seinen Erfindungen immer kühner
und fruchtbarer wurde (S. 41). Denn wenn sie schon seiner
Frühzeit entstammte, so wäre es sehr zu verwundern, dafs
1) Apol. c Ar. 75 = Migne 25, 386. Alle übrigen Daten stehen
bei Larsow S. 28.
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SEECK,
weder in der Apologia noch in irgendeinem andern seiner
Werke darauf verwiesen ist. Wenn es sich auch nicht be-
stimmt erweisen läfst, halte ich es doch für wahrscheinlich,
dafs einige gefälschte Urkunden, die zum gröfsten Teil durch
Sokrates beglaubigt sind, aus diesem untergegangenen Buche
des Athanasius herstammen.
Die erste ist jenes wunderliche Edikt Konstantins, in
dem er verordnet, dafs die Arianer künftig Porphyrianer
genannt, die Schriften des Sektenstifters verbrannt und jeder,
der ein Exemplar davon aufbewahre, mit dem Tode be-
straft werden solle l. — Da alle chronologischen Indicien
fehlen, läfst sich die Fälschung in diesem Falle nicht so
schlagend nachweisen, wie in den beiden vorhergehenden.
Doch widerspricht es ganz und gar dem Geiste der kon-
stantinischen Regierung, religiöse Vergehen mit dem Hals-
gericht zu verfolgen, und niemals ist das Gesetz zur Aus-
führung gebracht Hätte doch Athanasius selbst danach sein
Leben verwirkt; denn da er von der Thalia des Arius, die
er doch gewifs nicht auswendig kannte, seitenlange Stücke
wörtlich anführt *, so mufs er das verbotene Buch in seinem
Besitze gehabt haben. Auch sind die Arianer niemals Por-
phyrianer genannt worden, obgleich man doch meinen sollte,
dafs ihre zahlreichen und erbitterten Gegner, namentlich
Athanasius selbst, sich dieses Ekelnamens mit Eifer hätten
bemächtigen müssen. Überhaupt weifs er in seinen älteren
Schriften noch gar nichts von diesem Edikt. In der ersten
Rede gegen die Arianer 3 sagt er zwar, dafs die Thalia der
1) Socr. I, 9, 30. Gelas. II, 36 — Mansi II, S. 920. Sozom.
I, 21, dem die Fälschung wahrscheinlich durch Vermittelung des So-
krates bekannt geworden ist. Doch nimmt im Jahre 435 auch ein
Gesetz Theodosius' II. darauf Bezug. Haenel, Corpus legum, p. 247
— Mansi V, S. 413. 660.
2) De synod. 15 — Migne 26, S. 705.
3) Or. c Ar. I, 10 = Migne 26, S. 32: tt öl X6yo$ roO naroog
xal vlö( altj&tpöi (ort xal ix 9-tod &tog (ort xal inl nävriov tvXoyrj-
jjfvos elg tovs atOvag, nöf otix Äftov ayavtoai xal analeiil>at tu re
äUa QqpaTtt xal rijv ^QUavrjv Balttav ttxdva xaxQv xal näatjg
aoißtiag y/ftovaav; elf fjv tfintortov oi>x oiJiv, Sri yijytvfig 7i«(>* avrij
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DAS KICÄN18CHE KONZIL.
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Vernichtung wert sei und dafs selbst die Anhänger des
Arius ihren Wortlaut verborgen hielten und allerlei an-
deres vorbrächten, um nicht allgemeinen Anstofs zu er-
regen. Aber dafs jene Vernichtung durch kaiserliches Ge-
setz befohlen und das Verborgenhalten des Buches durch
Furcht vor irgendeiner Strafe bedingt sei, wird mit keinem
Wort angedeutet, ja es wird sogar vorausgesetzt, dafs jeder
Beliebige zufallig das häretische Werk in die Hand bekom-
men könne (eig jjv tfuiimiov x. t. L). Man wende nicht
ein, dafs dies unter Konstantias geschrieben ist, als die
Arianer am Ruder waren. Auch wenn das Gesetz Konstan-
tins durch seine Söhne aufgehoben war, hätte Athanasius in
diesem Zusammenhange doch nicht umhin können, darauf
zu verweisen, falls es ihm damals bekannt gewesen wäre.
Ebenso wenig wird das angebliche Edikt in der Apol. c.
Arianos und in der Apol. ad Constantium erwähnt, obgleich
Athanasius namentlich in der letzteren doch allen Grund
gehabt hätte, den Kaiser an das Beispiel seines Vaters zu
erinnern. Erst in der Historia Arianorum ad monachos 1
kommt er darauf zu sprechen, aber in dieser Schrift werden
auch schon seine andern Fälschungen, namentlich die Ge-
sclüchte vom Tode des Arius und der Brief Konstantins II.,
angeführt und gebührend ausgenutzt.
Dafs jenes fragwürdige Edikt schon bei Lebzeiten des
Athanasius fabriziert worden ist, steht nach dem eben an-
geführten Citat fest; dafs er selbst der Fälscher war, ist
damit freilich nicht bewiesen. Da aber auch diese Er-
findung den Zweck verfolgt, den grofsen Konstantin zum
Feinde der Arianer umzustempeln , und genau die gleiche
Tendenz in den beiden gefälschten Kaiserbriefen am Ende
ölkwiat xal tnl ntxavyQv utiov awttvt^. xal toOto taaoi xal avrol
xal 7i(tvoCQyoi xQvnrovai, fit} OaflQoOvTte (xXaltiv avrä, all* trtQtt
ip&eyyopevoi nttQtt raOta. luv re yÜQ tYnioat, xaxayvaio&rioovrai.
1) 50 — Migne 25, S. 763 heifst es von Konstau tius : nQg oiV,
«/ tö xoO iavxoö yiwrfTOQOt, o>f tfvlaxxttv ijfaltv, anforute xo
ftiv jtqQxov rQTjyÖQiov xal vOv di xöv xafjKiotftiyov ntiiQyiov; % dtä xt
roi>i 'A&ittvovs , oVs txdvos /IoQ(f>vQiavovs tavopaat, xouiovs
ovrof ftf t^v IxxXrplav tloayaytiv anovdd^u ;
Z«ttochr. f. K.-O. XVII. 1 n. t. 4
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50
SEECK,
der Apologia contra Arianos hervortritt, wird man minde-
stens vermuten dürfen, dafs alle drei Machwerke den-
selben Urheber haben.
Auf die Schmähbriefe gegen Arius 1 und gegen Eusebius
von Nikomedia 2, die auch dem Eonstantin zugeschrieben
werden und auch die angegebene Tendenz unterstützen, gehe
ich hier nicht ein, weil sie zu wenig thatsächliche Hand-
haben bieten, um den überzeugenden Beweis ihrer Unecht-
heit zu ermöglichen. Sie enthalten eben weiter nichts als
ein wütendes Gekeife, bei dem es jedem überlassen bleiben
kann, ob er es dem grofsen Kaiser zuschreiben mag oder
nicht. Da fast gar keine Thatsachen darinstehen, können
diese vermeintlichen Urkunden der historischen Forschung
wenig Schaden bringen ; wir dürfen sie daher, nachdem wir
sie mit unserem Fragezeichen versehen haben, ruhig beiseite
lassen.
Deutlicher sind die Kennzeichen der Fälschung bei der
sogenannten Depositio Arii, die bei Mansi II, S. 557 ab-
gedruckt ist. Sie giebt sich als Anrede des Alexander von
Alexandria an seinen versammelten Klerus, die aber merk-
würdigerweise in Briefform gehalten ist. Dafs jemand, der
zu Anwesenden spricht, mit der Uberschrift eines Briefes
beginnt s, ist, soweit meine Belesenheit reicht, in der ganzen
antiken Litteratur sonst unerhört; doch mag dies noch hin-
gehen. Die Rede verweist auf das noch erhaltene Rund-
schreiben, durch welches Alexander die Beschlüsse der ale-
xandrinischen Synode bekannt gemacht hatte (S. 14), und
giebt sich den Anschein, als wenn sie nach Absend ung des-
selben auch der einheimischen Geistlichkeit die Namen der
Exkommunizierten kund thun wolle, was jedenfalls über-
flüssig war. Jene Namen sind : Chares und Pistos, Presbyter.
Sarapion, Parammon, Zosimos und Eirenaios, Diakonen.
1) Socr. I, 9, 64. Gelas. III, 1 = Mansi II, S. 929. Die Un-
echtheit dieses Briefes hat schon Harnack II*, S. 234 vermutet.
2) Socr. I, 9, 65. Gelas. III, 1 — Mansi II, S. 940. Theodor.
I, 19, 4. $ozom. I, 21.
3) 'AiQavtiQos 7iQioßvrtQots xal ttaxdvoti UXt$ttvÖQtta; xa\ Ma-
Qtutrov, TT et qQp naQotaiv, ayanrjrois ttörttjote iv xvg(tp £a/(W*»\
■
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DAS NICÄN1SCHE KONZIL.
51
Man wird bemerken, dafs in der echten Ketzerliste jenes
Kundschreibens keine einzige dieser Persönlichkeiten vor-
kommt (S. 16). Vielleicht nimmt man an, diese neue Liste
solle nur als Supplement der früheren dienen, d. h. sie ent-
halte nur diejenigen Geistlichen, welche erst nach Ab-
fertigung des Schreibens zu Arius abgefallen waren. Wäre
dies aber richtig, so müfsten sich in den Unterschriften des-
selben, die den alexandrinischen und mareotischen Klerus
ja vollständig aufzählen, auch ihre Namen finden, und
dies ist nicht der Fall. Ein Sarapion erscheint dort freilich,
auch ein Pistos, aber dieser unter den Diakonen, nicht unter
den Presbytern; und zudem waren gerade diese beiden Na-
men in Ägypten so häufig, wie bei uns Schultze und Müller.
Wenn sie also allein von jenen sechsen in dem Verzeichnis
wiederkehren, so beweist dies schlagend die Unechtheit der
Ketzerliste und folglich auch der ganzen Urkunde.
Nun findet sich in der Historia Arianorum ad monachos
71, also gerade in der Schrift des Athanasius, welche sich
am allerhäufigsten auf seine Fälschungen beruft, die folgende
Stelle: v.ai ot piv TTowßheooi nai oi dtdxovoi ot ftetd toV
^Savaoiov ä/tö IJttQOv v.ai ^Alt^avÖQOv tvyxavovzeg «c-
ßdllovrat xcrt fpvyaöevovrat' oi di älrftög '^oetavot, oi (ti)
tSto&ev inovoovfievoi, ul?. oi i§ aQx^g dtd zrjv alotaiv
i 'A.ßXrk Vi vzeg jucr* avtov toV ^geiov naoä 'uiXe-
Sdvdoov rot- i7£tOY.6rcovy iv f.tiv rfi ävto yftßvfl Sexodv-
öogt iv di Tft 'dleSavdoeiq Eföioiog 6 Xavaväiog xat 'lotätog
y.at "sinnwv MctQAog re xat Etorpaiog vxti Zwotpog v.ai
^aqanuov t/r/xAi^y Fielt aiov, xcu iv Atßvq StoLwtog *m
ot ovv avrut vnbieqot ovvaoeßoVvveg afootg, ofoot rag exxAij-
ot ctg 7caquXrt(faotv. Von dieser langen Namenreihe sind
Secundus, Euzoios und Julius auch durch die echten Ketzer-
listen als alte Anhänger des Arius beglaubigt ; Maoxog kann
vielleicht identisch sein mit dem Maxdotog, der bei Sozo-
menus vorkommt (S. 17), denn die Namen sehen sich ähn-
lich und konnten durch Fehler der Abschreiber leicht ver-
wechselt werden. Dagegen Ammon, Eirenaios, Zosimos und
Sarapion finden sich in jenen echten Quellen nicht. Wenn
also Athanasius angiebt, sie seien schon mit Arius zu-
4*
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52
8KKCK,
gleich durch Alexander aus der Kirchengemeinschaft aus-
geschlossen worden, so ist dies jedenfalls Schwindel. Dafs
derselbe ganz zwecklos sei, könnten wir nur dann behaupten,
wenn wir die Geschichte jener Zeit vollständig überblickten.
Bei unserer geringen Kenntnis ist die Annahme keineswegs
ausgeschlossen, dafs jene vier Männer sehr scharf mit Atha-
nasius aneinandergekommen waren und er ein grofses Inter-
esse daran besafs, sie bei seinem Publikum anzuschwärzen.
Nun kehren aber gerade diese vier Namen — denn Ammon
und Paramraon sind offenbar nur durch Fehler der Hand-
schriften verschieden geworden — ganz ebenso in der ge-
fälschten Hede des Alexander wieder. Was Athanasius mit
Unrecht behauptet, wird also durch sie scheinbar bewiesen.
Kann man sich da wohl der Vermutung entziehen, dafs sie
zum Zweck dieses Beweises von Athanasius gemacht ist?
Doch sind dies, wie gesagt, nur Vermutungen. Als ge-
wifs nehme ich nichts weiter in Anspruch, als dafs Atha-
nasius das Märchen vom Tode des Arius erfunden und die
beiden Kaiserbriefe in der Apologia contra Arianos gefälscht
hat. Die vier Urkunden, die wir aufserdem besprochen haben,
sind zwar auch teils sicher, teils wahrscheinlich Fälschungen,
aber ob auch diese auf den Bischof von Alexandria zurück-
gehen, mufs einstweilen noch zweifelhaft bleiben.
Dafs auch auf arianischer Seite die Fälschung „für den
guten Zweck" fleifsig geübt worden ist, haben wir schon
gleich im Eingang dieser Untersuchungen gesehen; doch
soweit unsere Kunde reicht, scheint sie hier nicht den glei-
chen Umfang erreicht zu haben, wie auf orthodoxer. Eu-
sebius weifs zwar sehr geschickt unbequeme Thatsachen zu
verhüllen und über die Chronologie hinwegzutäuschen, auch
vor direkter Lüge scheut er keineswegs zurück, aber dafs
er sich zu wirklichen Urkundenfälschungen verstiegen habe,
halte ich nicht für erwiesen. Freilich darf man ihm daraus
kein besonderes Verdienst machen. Auch bei Athanasius
beginnt jenes unehrliche Treiben erst in seinen späteren
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DAS XK'ÄXISCHE KONZIL.
53
Jahren, als die Teilnehmer der Ereignisse schon meist aus
dem Leben geschieden und wenige mehr übrig waren, die
ihn aus eigener Erinnerung widerlegen konnten. Eusebius
dagegen schrieb zu einer Zeit, als die echten Urkunden noch
in aller Händen waren. Denn was er bringt, sind ja nicht
geheime Korrespondenzen, sondern Edikte, kaiserliche Rund-
schreiben u. dgl., also Schriftstücke, deren Kopieen durch
Anschlag oder öffentliche Verlesung bekannt gemacht und
in unzähligen Archiven aufbewahrt wurden. Er wäre also
sehr leicht ertappt worden, wenn er sich in so freien Er-
findungen bewegt hätte, wie Athanasius.
Crivellucci hat erwiesen, dafs die Urkunden der Vita Con-
stantini in der Form, wie sie uns vorliegen, von Eusebius
selbst gemacht sind, und bei den meisten kompetenten Be-
urteilern, auch bei mir, damit Beifall gefunden ». Trotzdem
halte ich es nicht für richtig, in diesem Falle von Fälschung
zu reden. Wie diese Stilübungen zu beurteilen sind, zeigt
uns ein kaiserlicher Brief, der in zwei verschiedenen Re-
daktionen einerseits bei Eusebius (Vit Const III, 17), anderer-
seits bei Sokrates (I, 9, 17) und Gelasius (II, 36 = Mansi
II, S. 920) erhalten ist Wir lassen diesen zweiten Text
hier abdrucken, indem wir ihm die entsprechenden Stücke
aus Eusebius zur Seite stellen. Wie lehrreich diese Ver-
gleichung int, wird sich alsbald zeigen.
Sokrates und Gelasius:
Kwvozavxlvog —eßctazog zTt
fiavtiov tQv 6q&oö6$iov **-
vXr\oUt. ga/gm äyctTzrpoi
adthfoL
Te?*tav cciqu tfjg »Vt/at;
tz q o v o i a g elXftfctftev %uqiVy
Eusebius:
Kiovozavtivog Heßaatog
raig t/.Kl^aiaig.
Tlitqav kaßwv ex rfg tdv
v.oivßv ci?z()a£i'ag , liü7\ rJJc
&€iag övvdf.iecog nitpvte
ga^tg, xottov 7zq6 ye nav-
1) Deila fede storica di Eusebio. Livorno 1888. Gli editti di Co-
stantino ai provinciali della Palestina e agli Orieutali. Studi storici DI,
p. 369. 415. V. Schultze, Zeitschrift für Kirchengeschichte XIV,
S 503. Mommsen, Ephem. epigr. VII, p. 420.
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SEECK,
yineg fiiav mal xitv avxf4v
imyi vwc/mj fj tv nioxiv. ovdir
Xombv xQ diaßohp l%eoxi
ma&' ftuQv' rtäv tX xi d* Sv
■Acr/arexvrpjduevog trrexEiQrfjev,
Im ßd$(xov dyforpai' xdg
dixovoiag, xd oxfofiaxa, xoig
&OQvßovg tmehovg mal xd xöv
diaqvjvidv , 5V* oVuog U7t<ay
Oavaaifua (fdq^arma /ata xr(v
xoti $eo€ milevoiv fit xftg d).rr
Zeiag ivimrpe Xa(Ä7tq6xr^. Iva
xoiya^ot-v focavveg mal r<p
6v6fiati 7iQogy.vvov^ey mal
elvat 7ii7iiaTtv-Aafiiv.
%va de xotio yivrjai, ino-
fiitfoei &eo£ avvemmdXeaa elg
xr)v Nimatwv n6).iv xoig nXei-
axovg xöv iniomörMov, pe&' Htv
mabdneq elg xig «| i/i Qv
tyw, avv&egdrtojv tfti-
xeqog ma&' hregßoh)v elvai
XaiQCov, mal aviög xtp xfjg
dXi\&eiag i^eiaatv dvede-
^d^rjy. rjltyx&H Y0^* a;cayra
mal ämQiß&g e^ijxaotai, baa
di) dfnpißoliav fj ötxovoiag
n^6q>aaiv eddmei yewqv.
xtov emqiva elvat uot rzQOOt)-
mav OY.ondv, Sntog rraQa xoig
uamaQtcjxdxotg xfg ma^olumftg
immlrfiiag rrlföeoi rrioxig
fiia mal dhmqtvrg aydn^
öuoynbfianr xe rreql xbv rcay-
-mQairt 9edv evaeßeia xriQfixai.
aU.
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Ineidr) xoti' oiy oiov
dmXivf) mal ßeßaiav
xdhv laßeiv, el /#»], elg xavxö
Ttdvxiov öftoC üj xGtv yoüv
rtfaioviov tTTiomoMuv avve).-
&ÖVX10V, tmdoxoi xüv .rgoori-
mövxwv xft ayiwxdxi] ^Qrflmelct
dtd/.Qiatg ytvotxo, xovzov ¥ve-
mev rtlMonav boiov ovva&QOi-
o&ivuov , avxög di ma -
Sditeo elg ff iudjv exty-
Xavov ovf.i7raQwv (pv yäo
dQvrpaliArp Bv, tjt fidliara
%ai Qu, avv&eQaTHüv t ftt-
xeQog 7zeq>vmivai) &xqi xo~
aovxov änavxa xi]g rtQoari-
mova t\g xexvyr\7£v l^exa -
oeiog, axQtg öS i) xfy Ttdvxwv
tyÖQot dqiomovaa yviufiri
riQÖg xijv xfjg evox^xog avfi-
cpwnav elg q>Og nqoi'jX&t\y tog
fAr\6ev exi nQÖg öix^voiav
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DAS N1CAK ISCHE KONZIL.
Aal (peiodo&w t) fcla peya-
Uidtriq, j^A/xcr -/ort a*g deivd
td fteQi roC fieydXov awvfjQog,
ntqi rfjg ilnidog Aal tiofjg
fjlißv, äjTQenQg ißlaorpfaovv
nwg, zdvavrfa zalg ÜtOTTv&v-
cvoig yQaqxzig Aal zfj dyia
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mazeveiv dpoXoyoÜvzeg. zqio-
/.ooibiv yoCv Aal nUi6vuiv
(tuoaömw i/il owpQoovvfl ze
xai äyxivolq &av^aCof.Uvwv
fitay Aal zfjv avzrjv nioxiv>
?j xal zatg dXr\&elaig Aal
dxQißeiaig toü Sdov vdpov
?ref vA€ Tzioxig ävai, ßeßaiotv-
zwv, fiövog "sfQttog tqxoQafhi
rfjg dtaßoXtAfjg ivtqyeiag jjr-
zryitvog Aal zö aoaov zoCxo
ttqGzov ptiv 7voq tyiv, tntiza
Aal naq eztqoig daeßel yvib-
H$ diaonetQag.
ävadegiape&a zoiyaqoSv, fjv
6 navvoAQavioQ 7taqiax^ yv&-
inaviXdio^ttv enl zovg
dya7ir^zovg fjftiBv ddeX-
(poi)g, djv r)f*<Sg zoC öiaßöXov
dvatdrjg zig fan^er^s 1%ü>-
qioev Eni zö Aoivbv aöfia Aal
zd yv/jOia faGv pilr} ortovdfi
Ttaarj icjftev. roflro ydq Aal zfj
dyjtvoiq Aal zf] niaret Aal zft
Satözr^zi zfj ifieziqa Ttqinei,
iva zfjg 7vXdvr\g ekeyx&eioi}g
ixeivov, dv tfjg dlri&etag elvai
Ix&qbv ovvioTTiAeVj nqbg zip
55
Hj Tzioxmg duyioßfjzrptv bno-
Xelmo&ai.
An dieser Stelle bringt Eu-
sebius eine lange Auseinander-
setzung über die Osterfeier,
die mit der andern Redaktion
gar nichts geraein hat
zoixwv oh oVvwg ix6vr(ovt
dofuvtjg dtx&r&e zip zoV 9eoV
xdqiv Aal &eiav dtg dX^Gg
IvxoXfy* tzo*v ydq, et %i d
litv iv zotg äyioig zQv ini-
GAÖTtiov ovvedqioig Ttqdzzeraty
zoüzo rtqdgzrjv &eiav ßov-
Xriaiv exu zrjv dvapoqctv.
ötö ndoi tolg dya7tr\zoXg
fj^töv döeXyoTg iftqtavi-
aavz&g tä 7te7zqayft£va} fjdri
Aal zbv TtQoeiQ^iivov Xdyov
Aal zijv 7taqazJjqvpiv tfjg
dyiozdzr\g fyteqag {>7todix&J&ai
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SKKCK,
56
&eiav enaviXjhfSB X^Qtv* ^
ydq xolg XQia'Koaioig rjqeoev
imoyiQTtoiQ, ovdiv taxiv Vte-
qov J? to0 $eofj yvtbftri, fid-
Xiaxd ye tinov xb äyiov 7tvedfia
xoiovxutv xai xv[Xi'Aovxtav dv-
öqüv xaig diavotaig £y*elfi€vov
xrjv $eiav ßovXi\a iv
(fioTLoev. diö f-ii]deig äft(pi-
ßaXXtrio, fi^öelg vrreQxi&io&a) •
dXXd TtQO&viiwg rzdvxig elg
xrp äXrid'eoTdxriv bdbv Itz-
dvixe' IV eneiödv tioov
ovdimo TiQbg tfiäg ayixw-
juat, vag öcpeiXopivag T<ß
7taYtE(p6q(^ ned-' bf.iQv
öfuoXoyrjocij xaQixag, bxi xifr
eiXiTLQivfj rtioxiv imdelgag
xty ev/.ralav i^lv dya7ii\v
anodidiow. 6 &ebg t^äg
diayvXdi-oi, dyaitr^xoi
dbeXtpol.
xb xat diaxdtxEiv o^/Acrc,
i'v* ifceiSdv rcQÖg xfy nd-
Xai fioi no^ov^tvriv xfjg t>/uc-
xiQag dta&ioeiog oipiv dq>i-
/.(jjtiaiy iv xcw Tg ainfj
fjtitQa xtjv dyiav pe&* v^i&v
hoQxijv emxeXiaai dt/vij#<Z> xai
ndvxwv tvenev päd-* vfidv
evdoxyou), ovyqq&v xty diaßo-
Xi/,i)v u^öxfjxa bnö Tfjg 9eiag
dwapettig did xdv fyteitQwv
7ZQa$mv dvrjQrintruv, d*fia-
tovoi\g 7tavxaxoE xf^g foexi(>ag
moxsiog xat dq^pn\g xeu bfxo-
voiag, b &ebg öpäg dia-
(pvXd^oiy döeXcpoi dya-
Tttiroi.
Vergleichen wir diese beiden Urkunden, so wird uns
zuerst die Verschiedenheit der Überschrift auflallen; doch
beweist diese nichts gegen ihre ursprüngliche Identität. Ein
kaiserlicher Brief dieser Art mufste wirklich an alle Kirchen
der Christenheit gerichtet sein, aber jede einzelne Ausferti-
gung trug die Adresse derjenigen Gemeinde, an die sie über-
sandt wurde. Das Exemplar, welches dem Konzil selber
vorgewiesen und dann im kaiserlichen Zentralarchiv nieder-
gelegt wurde, zeigte also die allgemeine Uberschrift des Eu-
sebius: xatg bLAlr\oiaig', dasjenige, welches nach Alexandria
gelangte und in dem dortigen Kirchenarchiv verblieb, war
überschrieben, wie Sokrates und Gelasius es haben: Tg xa-
d-oXi'Afj ^AX^avöqitav Y.ai rcavuav xQv oQ^odd^wv £v.*Xr}oiq.
Dies ist insofern von Wichtigkeit, als es zeigt, dafs die ge-
meinsame Quelle dieser beiden Autoren die Schrift irgend-
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DAS XICÄMSCHE KONZIL.
57
eines Alexandriners gewesen sein mufs; nicht ohne Wahr-
scheinlichkeit wird man auch hier auf den Synodikus des
Athanasius raten.
Im übrigen stimmen Anfang und Schlufs der beiden
Redaktionen, so sehr sie im Wortlaut abweichen, doch dem
Sinne nach ziemlich genau überein. In beiden spricht der
Eingang das Streben Konstantins nach Einheitlichkeit des
christlichen Glaubens aus, zugleich mit seiner Überzeugung,
daß jene nur durch eine möglichst grofse BischofsverBamm-
lung herbeizuführen gewesen sei ; sogar die charakteristische
Phrase, dafs der Kaiser „wie einer von euch" an den Be-
ratungen teilgenommen habe und sich nüt Freude den Mit-
knecht seiner Bischöfe nenne, kehrt wieder. Am Schlüsse
steht die Aufforderung an die versammelten Geistlichen,
denen die einzelnen Exemplare des Briefes wohl zur Über-
gabe an ihre Gemeinden eingehändigt wurden, jetzt heira-
zuziehn und ihren geliebten Brüdern die Beschlüsse des Kon-
zils zu verkünden. Beidemal wird hervorgehoben, dafs diese
als Ratschlufs Gottes anzusehen seien. Endlich spricht der,
Kaiser die Hoffnung aus,, die betreffende Gemeinde später
einmal persönlich zu besuchen und dann an ihrer Einigkeit
seine Freude zu haben. Da Konstantin ein höchst unruhiger
Geist war, der, wie Hadrian, fortwährend von einer Provinz
seines Reiches in die andere zog, so ist dies unbestimmte,
aber doch ganz ernst gemeinte Versprechen, das allen Städten
gemeinsam gegeben wird, vollkommen in seinem Sinne
Uberhaupt scheint es mir wohl aufser allem Zweifel,
dafs ein echter kaiserlicher Brief und zwar ein und der-
selbe beiden Redaktionen zugrunde liegt; denn dafs Kon-
stantin zwei verschiedene Schreiben, die er gleichzeitig und
an dieselben Adressaten erliefs, in ganz gleicher Weise be-
gonnen und geschlossen habe, ist doch kaum zu glauben.
Die Frage kann also nur sein, welche der beiden Quellen
die Urkunde rein bewahrt hat, oder ob sie in allen beiden
verfälscht ist Was nun zunächst diejenigen Teile betrifft,
1) Vgl. meine Charakteristik des Kaisers in der Geschichte des
Untergangs der antiken Welt I, S. 47.
58
in denen beide dem Sinne nach übereinstimmen , so ist die
Wahrscheinlichkeit dafür, dafs sie in ihrer äufseren Form
treuer bei Sokrates und Gelasius überliefert sind als bei
Eusebius. Denn dieser ist ja in der Vita Constantini nicht
Historiker, wie in der Kirchengeschichte, sondern Pane-
gyriker, d. h. sein Zweck ist nicht so sehr eine getreue
Darstellung der Wirklichkeit zu geben, wie ein rhetorisches
Kunstwerk zu schaffen. Von einem solchen aber haben die
Alten immer Einheit des Stiles verlangt; folglich konnte
Eusebius seine blütenreichen Perioden gar nicht durch offi-
zielle Aktenstücke unterbrechen, ohne sie in seine eigene
Schreibweise umzusetzen *). Grivellucci hat also ganz Recht,
dafs alle Urkunden der Vita Constantini unecht sind, in-
sofern Konstantin keine einzige davon in dieser Form publi-
ziert hat; aber das entscheidet noch nicht über den Inhalt.
Freilich hängen Inhalt und Form untrennbar zusammen;
wer diese ändert, wird unwillkürlich auch jenen modifizieren,
und gewifs wird er kein Bedenken tragen, wenn er einmal
am Umgestalten ist, auch inhaltlich Neues zuzulassen, sobald
es ihm interessant und nützlich scheint. Aber dies setzt
nicht notwendig eine Absicht des Fälschens voraus; der
Zweck und Sinn des Aktenstückes kann, soweit ihn der
Schriftsteller selber als wesentlich betrachtet, dabei sehr wohl
bewahrt sein.
In unserem Falle ist gerade der Hauptinhalt des Briefes
in beiden Versionen ganz verschieden. Bei Sokrates und
Gelasius handelt er von den Irrtümern des Arius und ver-
urteilt sie in sehr scharfer Weise, bei Eusebius verkündet
1) Als Analogem mag angeführt werden, dafs in denjenigen Teilen
des Thukydideischen Geschichtswerkes, die der Verfasser selbst ab-
geschlossen oder dem Abschlufs nahe gebracht hat, alle Urkunden in
die indirekte Rede und damit in seinen eigenen Stil umgesetzt sind.
Nur in den unfertigsten Stücken, namentlich im fünften und achten
Buche, finden sich Urkunden in ihrem ursprünglichen Wortlaut; aber
auch diese waren ohne Zweifel bestimmt, umstilisiert zu werden, da sie
sonst für das feine griechische Ohr die Einheit der Redeform gestört
hatten. U. t. W i 1 a m o w i t z - M o e 1 1 e n d o r f f , Die Thukydideslegende.
Hermes XII, S. 8S8.
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DAS N1CÄNISCHE KONZIL.
59
er der Christenheit die neue Regelung der Osterfeier. Dafs
Athanasius, auf den jene beiden wahrscheinlich zurückgehen,
Grund hatte, Konstantin den Grofsen in diesem Tone von
Arius sprechen zu lassen, und dafs er andere Fälschungen
von ganz derselben Tendenz thatsächlich auf dem Gewissen
hat, haben wir eben bewiesen. Aber auch Eusebius hatte
Grund, das harte Urteil des Kaisers über die arianische
Lehre, der er selber zugethan war, wenn er es in seiner
Quelle fand, zu beseitigen, und mit der Wahrheit nahm auch
er es nicht allzu genau. So weit liegt also die Wahrschein-
lichkeit nach beiden Seiten gleich.
Für Feierlichkeit und angemessene Regelung des Zere-
moniells hat Konstantin immer sehr viel Sinn gehabt. Dafs
ihm die Einheitlichkeit der Osterfeier sehr am Herzen lag,
kann man schon hieraus schliefsen; auch wird es dadurch
bestätigt, dafs schon das Konzil von Arles, dem er gleich-
falls persönlich beiwohnte l), einen Beschlufs entsprechenden
Inhalts gefafst hat *). Damals aber beherrschte er noch
nicht das ganze Reich und konnte seine Absichten im Orient
nicht zur Durchführung bringen. Auf dem Konzil von Nicäa
war ihm dies endlich gelungen; dafs er die Ankündigung
dieses Erfolges nicht einfach dem Synodalbriefe überliefs,
sondern auch in einem eigenen Rundschreiben seiner Freude
Ausdruck gab, ist danach sehr wahrscheinlich. Die Frage
des Homousion dagegen lag ihm viel ferner; ehe er den
Orient eroberte, wird er über die Gründe des Streites wahr-
scheinlich nur sehr mangelhaft unterrichtet gewesen sein, und
auch später war er nur bemüht, den Frieden in der Kirche
herzustellen, nicht irgendeiner dogmatischen Lehre zum
Siege zu verhelfen. In diesem Sinne hat er anfangs den
Arius und später den Athanasius verbannt, also niemals eine
feste Stellung auf Seiten einer der beiden Parteien behauptet.
1) Zeitschr. f. Kirchengesch. X, S. 508.
2) Gleich der erste Kanon des Konzils von Arles bei Mansi II,
S. 471 lautet: primo loco de observatione paschae dominici, ut uno
die et uno tempore per omnem orbem a nobis observetw et iuxta con-
suetudinem Ktteras ad omnes tu dirigas.
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60
SEECK,
Die Urkunden, in denen er gegen die Ketzerei der Arianer
wettert, sind alle sicher oder wahrscheinlich Fälschungen.
Dafs er in dieser Frage ein kaiserliches Rundschreiben für
erforderlich hielt und nicht der Synode selbst die Publi-
kation ihrer Beschlüsse überließ, ist also gar nicht an-
zunehmen.
Wenn schon dieses gegen die Version des Athanasius
spricht, so möchte ich doch noch gröfseres Gewicht auf ein
zweites legen. An einer Stelle derselben wird die Zahl
der versammelten Bischöfe auf mehr als 300 angegeben
(TQiaxooiwv xcrt cleiövcjv irrurwcaiv). Nun sollte man
meinen, dafs, wenn diese Ziffer durch eine kaiserliche Ur-
kunde, die allen Teilnehmern des Konzils bekannt sein mufste,
offiziell festgestellt war, sie damit kanonische Gültigkeit
müfste erlangt haben. Statt dessen sind die drei Zeugen,
welche noch selbst in der Versammlung gesessen haben,
Eusebius, Eustathius und Athanasius, alle darin einig, dals
man über die Anzahl der Bischöfe nichts Bestimmtes wufste.
Eustathius ') sagt dies ganz ausdrücklich und schätzt die
Summe auf ungefähr 270; Eusebius *) giebt «an, es seien
mein* als 250 gewesen; er wählt also eine ganz unbestimmte
runde Zahl ; und selbst Athanasius spricht in seinen früheren
Schriften3) von mehr oder weniger als 300. Dieses
„oder weniger" hätte für ihn jedenfalls ausgeschlossen sein
müssen, wenn er damals schon eine Urkunde gekannt
hätte, die klar und deutlich von mehr als 300 sprach.
Dabei hat keiner jener drei die Absicht, die Anzahl der
1) Bei Theodor, h. e. I, 8, 1: iiuxoalotv ^uijrt yt xai ißöouyxovxtt
xov aQt&fiöv öuoae owax&fvxMv. xö yäg oaifig dt« xov xf\$ 7iojU'«»'-
dpai Uxlov oi'x oiog x( ttfii yoti(f(tt>, tmtär) jii) nävxrj xoOxo ntQi-
anovdnaiüK avt^vn-ov.
2) Vit. Const III, 8: tni <Jt xrjs naQovoris /op*taj {tiioxotiojv uiv
nkr)&vs fr ntvxrixovra xai Jmxooiotv äot&fiöv vntQttxovx^ovaa, tno-
fitvtov dl xovioig nQtoßiTt\>o>y xtä tft«x<Wv axokovftbtv xt nktfoxw
oaotv htQwv owf' »> &Qi&fiös tf( xaxdlrixptv.
3) De (leeret. Nie. syn. 3: t)oav <T« nitov fj Uttaaov xoutxooioi.
Hist. Ar. ad mon. 66: iQtaxüoioi nlttov 1\ JtXaaaov. In der Apol. c
Ar. 23. 25 und De synod. 43 ist rund von 300 gesprochen.
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DAS NICÄNISCHK KONZIL.
61
Bischöfe in tendenziöser Weise herabzusetzen. Von den
Orthodoxen, Athanasius und Eustathius, versteht sich dies
von selbst; aber auch Eusebius kann sich nicht genug darin
thun, den Glanz und die gewaltige Menge der Versammlung
zu preisen; auch seine Schätzung mufs also eher für tiber-
trieben, als ftir zu niedrig gelten. Erst ganz gegen Ende
seines Lebens besann sich Athanasius darauf, dafs die Ni-
cänischen Väter genau 318 gewesen seien l), und auf seine
Autorität hin ist diese Ziffer, die von den Knechten Abra-
hams (Genes. 14, 14) entnommen ist, in der späteren Über-
lieferung traditionell geworden.
Hierin scheint mir der entscheidende Beweis zu liegen,
dafs diejenige Version, welche Sokrates und Gelasius ver-
treten, die gefälschte ist. Eusebius hat den kaiserlichen
Brief zwar stilistisch umgeändert, aber seinen Sinn in der
Hauptsache treu bewahrt. Und sollte es mit den übrigen
Urkunden der Vita Constantini nicht ebenso sein? Gewifs
finden sich in ihnen viele unrichtige Einzelheiten; die for-
melle Überarbeitung hat eben den Inhalt nicht ganz un-
berührt gelassen. Aber keine jener Urkunden ist der Art,
dafs sie nicht ungefähr in diesem Sinne von Konstantin er-
lassen sein könnte. Freilich ist Eusebius nichts weniger als
ein glaubwürdiger Berichterstatter für die Ereignisse seiner
eigenen Zeit; aber er war ein fieifsiger Gelehrter, und bei
diesen kommt es ja manchmal vor, dafs sie mehr Respekt
für die schriftliche Überlieferung besitzen als für das Selbst-
erlebte. Da seine Kirchengeschichte nicht eine einzige Ur-
kundenfälschung enthält, die er selbst begangen hätte, so
mufs man sich jedenfalls hüten, ihm in seinem späteren
Werke so viele zuzuschreiben. Für uns, die wir diploma-
tische Treue verlangen, sind jene umstilisierten Briefe und
Edikte Konstantins allerdings keine Urkunden mehr; wohl
aber darf man sie als wertvolle Teile der Eusebianischen
Erzählung betrachten, die sich inhaltlich auf wirkliche Ur-
kunden stützen.
1) Epist. ad Afros 2 — Migne 26, S. 1032.
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62
SEECK,
Noch eine zweite Quelle, die schon von altersher viele
Anfechtungen erfahren hat, müssen wir in Schutz nehmen,
wobei es freilich auch nicht ohne den Nachweis einer Fäl-
schung abgehen wird. Dafs der Bericht des Epipbanius
über Meletius und Arius zum gröfsten Teil auf meletianische
Schriften zurückgeht, hat man längst erkannt; aber weit ent-
fernt ein Grund des Mifstrauens zu sein, erhöht dies nur
seinen Wert. Die orthodoxe Auffassung dieser Dinge kennen
wir zur Genüge; es ist daher sehr lehrreich, einmal die
entgegengesetzte kennen zu lernen. Unparteiisch ist zwar
auch diese natürlich nicht, aber welcher zeitgenössische Be-
richt könnte dies sein, namentlich in religiösen Fragen,
welche die Leidenschaft immer am meisten erhitzt haben?
Jedenfalls ist die Erzählung so reich an charakteristischen
Einzelheiten, dafs sie schon aus diesem Grunde die höchste
Beachtung verdient.
Während der diokletianischen Verfolgung, so berichtet
Epiphanius, fanden sich in demselben Kerker Petrus von
Alexandria und Meletius, Bischof einer anderen ägyptischen
Stadt, zusammen. Wie wir aus der Urkunde bei Äthan.
Ap. c. Ar. 71 lernen, war es Lykopolis in der Thebais. Von
ihren Leidensgefährten erduldeten manche das Martyrium;
andere waren schwach genug, sich durch heidnisches Opfer
die Freiheit zu erkaufen, kamen aber bald nachher, um
Verzeihung und Wiederaufnahme in die Kirchengemeinschaft
von den gefangenen Bischöfen zu erbitten. Hierüber ent-
spann sich der Streit. Meletius und ein anderer Bischof,
Namens Peleus, waren der Meinung, wenn man zu milde
sei, würde man dadurch auch andere zum Abfall treiben.
Sie empfahlen daher, die Reuigen, so lange die Verfolgung
dauere, alle zurückzuweisen und auch nach dem Ende der-
selben sie nur nach schwerer Kirchenbufse aufzunehmen;
wer aber von ihnen Geistlicher gewesen sei, solle nicht
seine frühere Stellung wiedererlangen, sondern unter die
Laien zurücktreten. Petrus dagegen wollte sogleich volle
Gnade walten lassen, da man sonst die Schwachen und
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
63
Mutlosen, die jetzt noch ihren Abfall bereuten, vielleicht ab-
schrecke und ganz dem Teufel in die Arme treibe.
Dieser Gegensatz, mit jener Sorte hitziger Uberzeugungs-
treue verfochten, wie sie in religiösen Fragen ja immer
herrschend war, schärfte sich endlich so sehr, dafs die beiden
Bischöfe, obgleich sie mit vielen andern in demselben Ge-
fängnisraum zusammengesperrt waren, doch allen Verkehr
miteinander abbrachen und jeder von ihnen nur noch mit
seinen Gesinnungsgenossen Kommunion hielt. Als dann
Meletius nach den palästinensischen Bergwerken von Phaino
transportiert wurde, weihte er unterwegs, wo die Karawane
Halt machte, Bischöfe und andere Priester und verbreitete
so das Schisma über viele Städte. Da jetzt zahlreiche Gegen-
bischöfe eingesetzt waren, die durch den Sieg der anderen
Partei sämtlich ihre Stellungen eingebüfst hätten, so wurde
die Frage aus einer prinzipiellen zu einer persönlichen, und
ihre Lösung gestaltete sich noch schwieriger. So bestand „die
Kirche der Märtyrer", wie die Meletianer selbst sich nann-
ten, auch nach dem Ende der Verfolgung fort, obgleich sie
durch keinen dogmatischen Unterschied von der katholischen
getrennt war.
Die innere Wahrscheinlichkeit dieser Erzählung ist so
augenfällig, dafs wir kein Wort darüber zu verlieren brau-
chen. Ein wichtiger Zug derselben, nämlich jene Heise in
die Bergwerke, erhält dadurch auch seine äufsere Bestäti-
gung, dafs Peleus, den Epiphanius als Genossen des Meletius
im Kerker nennt, thatsächlich in Phaino das Martyrium er-
litten bat *). Trotzdem glaubt namentlich die katholische
Forschung sich berechtigt, die Autorität des Epiphanius in
Zweifel zu ziehen 2). Prüfen wir also ihre Gründe.
1) Athanasius erzählt, Meletius sei wegen vieler Misse-
thaten, namentlich auch wegen heidnischen Opfers durch
eine Synode, die Petrus berufen hatte, aus der Kirche aus-
geschlossen worden 3). Da, während die Verfolgung auf ihrer
1) Euseb. Hist. eccl. VIII, 13, 6.
2) Hefeie, Konziliengeschichte P, S. 343.
3) Apol. c. Ar. 69: IMtqos nag' jutv 7tq6 ptv rov SuayfjLoQ yi-
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64
SKECK,
Höhe stand, eine Synode wohl kaum zusammentreten konnte,
wird man sie in jene kurze Zeit der Ruhe zu setzen
haben, die nach der Abdankung Diokletians (1. März 305)
überall eintrat. Dazu stimmt es, dais Athanasius an einer
anderen Stelle (S. 40) den Beginn des meletiani schon Schis-
mas in das Jahr 306 setzt; offenbar rechnet er von dem
Zeitpunkt an, wo die Trennung der Sekte von der katho-
lischen Kirche in dem Urteilsspruch des geistlichen Gerichtes
ihren formellen Ausdruck fand. Von der Synode sagt Epi-
phanius nichts; aber wenn man auch hierin ein absichtliches
Verschweigen erkennen darf, wie es seiner meletianischen
Quelle wohl zuzutrauen ist, so brauchen seine positiven An-
gaben darum noch nicht falsch zu sein. Freilich wenn
Athanasius auch darin recht hätte, dafs Meletius geopfert
habe! Aber dies ist eine Anklage, die man immer gegen
seine Feinde erhob, wenn sie während der Verfolgung ein-
gesperrt waren und dann doch ihre gesunden Glieder ge-
rettet hatten. Zu widerlegen war sie kaum, da keiner
genau wufste, was im Dunkel der Kerkermauern vorgefallen
war; aber hätte sie sich beweisen lassen, so wäre das Konzil
von Nicäa gewifs nicht so glimpflich mit den Meletianern
umgegangen l.
2) Hefele behauptet, der Streit zwischen Meletius und
Petrus könne nicht den von Epiphanius angegebenen Inhalt
gehabt haben, weil genau die Forderungen, die jener aul-
gestellt haben soll, von diesem in seinen Pönitentialkanones *
anerkannt würden. Dies ist keineswegs richtig. Der 10.
Kanon, auf den Hefele sich namentlich beruft, bestimmt
yovtv (ntoxonog, tv <f< t<£ duoy^t xnl if4ttQTiQt]Otv. ovtos Mtlirtov,
«/to rfc Alyvntov Ityöfitvov Inlaxonov, Inl noXXaii iltyx&fvttt naga-
vouitug xal &vai(t iv xoivij awodot jQv Intaxöntov xct&tiltt'. alla Mt~
Kjios ov 7iqös hfyav ovvotiov xarty vytv ovitt tanoüiaotv änoXoyq-
aaod-tu. totf fAtiä Tttöia, axtaptt <ft ntnoiy\xi.
1) Hefele, S. 347. Auch gegen Eusebius von Caesarea wurde
der gleiche Vorwurf erhoben. Äthan, apol. c. Ar. 8 = Migne 25,
S. 261.
2) Abgedruckt bei Routh, Reliquiae sacrae IV», S. 23 und bei
Mansi J, S. 1270.
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DAS N1CÄNISCHE KONZIL.
nicht, dafs alle abgefallenen Geistlichen künftig vom Klerus
ausgeschlossen bleiben sollen, sondern er besieht sich nur
auf diejenigen, welche die Verfolgung mutwillig selbst her-
ausgefordert und dann doch nicht die Standhaftigkeit be-
sessen haben, ihr zu widerstehen. Dieser Kanon und der
vorhergehende hängen eng zusammen und dienen beide dem
Zweck, das vorwitzige Drängen zum Martyrium und die
Aufreizung der Staatsgewalt, welche dadurch hervorgerufen
wurde, nach Möglichkeit zu verhindern. Von denjenigen
Klerikern, die auf die gewöhnliche Weise der Verfolgung
unterlegen sind, ist nirgends die Rede. Aus diesem Schwei-
gen folgt mit Sicherheit, dais ihr Wiedereintritt in den geist-
lichen Stand in keiner Weise, wie Meletius es verlangte,
verboten war l.
Wenn im übrigen die Kanones sich etwas mehr dem mele-
tianischen Standpunkt annähern, als das, was Petrus im Kerker
verfochten hatte, so erklärt sich das aus der Verschiedenheit
der Zeit. Jene Bestimmungen sind erlassen in der vierten
Osterzeit nach Beginn der Verfolgung, d. h. im Jahre 306 *,
in dem auch Meletius von der Kirchengemeinschaft aus-
geschlossen wurde. Ohne Zweifel wurden sie durch dieselbe
Synode beschlossen, die jenen Urteilsspruch fällte. Damals
war zwar noch keine Toleranz gewährt, aber doch die Ver-
folgung zeitweilig eingeschlafen ; wie sehr man sich fürchtete,
dafs sie durch den Übereifer der christlichen Bekenner
wiedererweckt werde, geht aus dem Inhalt des 9. und 10.
Kanons hervor. Die Pönitenzforderungen beziehen sich da-
her auch nur auf diejenigen, welche in dieser Zeit der Ruhe
um ihre Wiederaufnahme nachsuchten. Es war also durch-
aus berechtigt, wenn Petrus gegen diese etwas strenger ver-
fuhr als gegen die Abgefallenen, die schon während dauern-
der Verfolgung bei den gefangenen Bekennern um Verzei-
hung gebeten hatten.
1) Das Richtige hat hier schon W. Müller, Realeneyklopädie IX,
S. 635 gegen Hefele geltend gemacht.
2) Kanon 1: intl xolvvv i{thqtov tjörj ntiox« Inucartil^fi ruv
äitaypov x. t. I. Die Verfolgung begann im Februar 303, also noch
vor dem Osterfeste.
ZeiUchr. f. K.-0. XVII, U.I. 5
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66
SEECK,
3) Das Hauptgewicht legt Hefele auf die sogenannten
Fundamentalurkunden *, die freilich mit Epiphanius nicht
wohl zu vereinigen sind ; aber wie sich alsbald zeigen wird,
haben wir es hier wieder mit einer Fälschung zu thun.
Es sind zwei Briefe mit kurzem verbindenden Text, alles
in so schlechtem Latein geschrieben, dafs man es deshalb
für Ubersetzung aus dem Griechischen gehalten hat. Ob
dieser Schlufs richtig ist, lassen wir dahingestellt; jedenfalls
beweist er nichts für die Echtheit der Urkunden. Das erste
Stück enthält einen scharfen Tadel von den vier eingeker-
kerten Bischöfen Hesychius, Pachomius, Theodorus und Phi-
leas, dafs Meletius ohne Zustimmung des Petrus von Ale-
xandria in dessen Metropolitansprengel Bischöfe geweiht habe.
Hier ist es zunächst auffallend, dafs als Urheber des Briefes
genau dieselben Bischöfe genannt werden, die Eusebius Hist.
eccl. VIII, 13, 7 als ägyptische Märtyrer aufzählt, keiner
mehr und keiner weniger. Ist es wahrscheinlich, dafs alle
Gemeindehäupter, die im Nillande für den Glauben bluten
mufsten, in demselben Kerker beisammensafsen , und dafs
kein Mitgefangener sich ihrer Kundgebung anschlofs, der
später nicht den Tod erlitt? Die Namen stehen sogar in
ganz derselben Reibenfolge wie bei Eusebius, nur dafs der
vornehmste, Phileas, aus der ersten Stelle in die letzte ver-
setzt ist, offenbar nur um ihn dadurch als den eigentlichen
Schreiber des Briefes zu bezeichnen. Schon dieses weist
darauf hin, dafs dem Verfertiger der angeblichen Urkunde
die eusebianische Kirchengeschichte oder eine Ubersetzung
derselben als Quelle gedient hatte.
Noch entscheidender ist die Chronologie. Petrus von
Alexandria starb im neunten Jahre der Verfolgung 8, d. h.
zwischen dem 23. Februar 311 und dem 2z. Februar 312.
Er gehörte zu denen, die Maximinus Daja hinrichten liefs,
nachdem er das Toleranzedikt des Galerius wieder be-
seitigt hatte3. Dieses war in Nikomedia am 30. April 311
1) Abgedruckt bei Routh IV», S. 91.
2) Euseb. Hist. eccl. VII, 32, 31.
3) Kuseb. Hist. eccl. IX, 6, 2.
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DAS K1CÄNISCHE KONZIL.
67
publiziert worden 1 ; in Palästina und Ägypten mufs es nach
ihrer weiteren Entfernung von der Residenz des Kaisers
etwa einen Monat später in Kraft getreten sein, und der
religiöse Frieden, den es verlieh, dauerte hier nicht volle
sechs Monate2. Er endete also um Mitte November 311,
und die Martyrologien setzen den Tod des Petrus auf den
25. November. Danach mufs er nach dem Wiederbeginn
der Verfolgung eines ihrer ersten Opfer, wenn nicht gar
das erste gewesen sein, wie dies ja seiner bedeutenden Stel-
lung innerhalb der orientalischen Kirche entspricht.
Dieselbe Phase der Verfolgung hat nach Eusebius (IX,
6, 2) in Ägypten auch mehreren anderen Bischöfen das
Leben gekostet. Damit können nur jene vier gemeint sein,
welche die Überschrift unserer Pseudourkunde nennt; denn
andere ägyptische Märtyrer dieser Epoche, die Bischöfe
gewesen wären, kennt Eusebius nicht. Inbezug auf Phileas
bestätigt auch Hieronymus, dafs er durch Maximin sein
Ende gefunden hat s. Die Acta Sanctorum setzen sein Mar-
tyrium auf den 4. Februar, natürlich des Jahres 312 oder
gar 313. Ob sie sich dafür auf eine genügende Autorität
stützen, kann ich nicht feststellen ; aber auch wenn dies nicht
der Fall sein sollte, ist nach dem Obengesagten kein
Zweifel möglich, dafs Phileas und seine Genossen später als
Petrus gestorben sind oder, wenn man sehr viel zugeben
will, höchstens ein paar Tage früher. Nun zeigt uns aber
die zweite jener „Fundamentalurkunden" und die ihr vor-
ausgehende Erzählung den Petrus noch in freier Ausübung
seines Bischofsamtes, nachdem jene vier das Martyrium schon
erlitten haben. Damit ist die Fälschung unwidersprechlich
bewiesen und die Autorität des Epiphanius auch nach dieser
Richtung hin geschützt.
An die Chronologie des Petrus werden wir passend die
1) Lact de mort. pers. 35. Dafs Lactanz wirklich der Urheber
dieser Schrift ist, habe ich gegen Brandt erwiesen. Geschichte des
Untergangs der antiken Welt I, S. 426.
2) Euseb. Hist. eccl. IX, 2.
3) De viris illustr. 78.
5*
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G8
SEKCK,
seiner Nachfolger anreihen, welche für die Geschichte des
Nicänischen Konzils, wie wir sehn werden, von höchster
Bedeutung ist. Freilich liegt hier die Sache so einfach, dafs
darüber kaum Worte zu verlieren wären, wenn nicht eine
neuere Untersuchung von Gutschmid 1 die Frage unnötiger-
weise verwirrt hätte.
Dieser legt auf die Bischbfsverzeichnisse , die sich mit
Hinzufugung der Amtsjahre bei späteren Chronographen
finden, so hohes Gewicht, dafs er ihnen gegenüber selbst die
Angaben wohlunterrichteter Zeitgenossen in den Hintergrund
schiebt. Er meint, sie gingen auf die offiziellen Listen zu-
rück, die in den Archiven der betreffenden Gemeinden auf-
bewahrt worden seien, und schreibt ihnen daher urkundliche
Geltung zu. Ware dies richtig, so lieise sich freilich gegen
seine Methode kaum etwas einwenden; aber eine
die er selbst anführt, wirft die ganze Hypothese um.
Dem Alexander schreiben einige dieser Verzeichnisse
23 Amtsjahre zu, eine Zahl, die durchaus unmöglich ist.
Mit Hecht weist Gutschmid darauf hin, dafs sie auf einer
Verwechselung des Bischofs mit seinem gleichnamigen byzan-
tinischen Kollegen beruht, dem nach Sokrates (II, 6) that-
sächlich 23 Jahre zukommen. Nun ist es, wie mir scheint,
ganz klar, dafs, wer seine Daten aus Kirchenhistorikern und
ähnlichen Quellen zusammensuchte, durch den identischen
Namen der beiden Männer leicht getäuscht werden konnte,
aber nicht, wer die offiziellen Verzeichnisse aus den Archiven
nachschrieb. Denn in der Liste von Alexandria konnte doch
ein Bischof von Konstantinopel unmöglich vorkommen; dort
stand nur ein Alexander verzeichnet und schlofs jede Ver-
wechselung aus. Damit scheint es mir bewiesen, dafs die
Bischofslisten der Chronographen nur als gelehrte Arbeiten
gelten können, die aus Quellen von sehr verschiedener Art
und Güte zusammengetragen sind. Ganz wertlos brauchen
sie darum nicht zu sein, obgleich wohl manche Zahl, fiir
die sich keine Überlieferung finden liefs, auch nach Gut-
dünken darin ergänzt sein mag ; aber nimmermehr darf man
1) Kleine Schriften II, S. 395.
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DAS XICÄNISC1IE KONZIL.
sie als urkundlich betrachten *. Wir werden sie daher nicht
ganz vernachlässigen, aber auch nur soweit heranziehen, wie
sie sich mit Nachrichten von sicherer Autorität vereinigen
Petrus starb, wie wir gesehen haben, am 25. November
311. Sein Nachfolger Achill as bekleidete das Episkopat nur
fiinf Monate *, womit wir auf den April 312 gelangen. Ale-
xander, der jetzt gewählt wurde, verschied am 17. April
328 s, wozu es vortrefflich pafst, dafs einzelne Bischofs-
verzeichnisse ihm sechzehn Jahre zurechnen. Diese Zahl
würde auch dann stimmen, wenn wir vor und nach Achillas
mehrmonatliche Sedis Vakanzen annähmen; denn auch so
blieben dem Alexander immer noch fünfzehn Jahre und
einige Monate, die der abrundenden Chronologie jener Zeit
für sechzehn Jahre gelten würden.
Das Todesdatum Alexanders ist insofern für uns von
besonderer Wichtigkeit, als sich danach der Schlufs des Ni-
cänischen Konzils chronologisch bestimmen läfst Denn er
überlebte dasselbe nicht volle fünf Monate, wie Athanasius
angiebt 4. Die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen haben wir
selber angefochten, aber nur wo seine Tendenz in Frage
kam. Für eine Datierung, die in dieser Beziehung gar keine
llolle spielt, ist dagegen seine Autorität ganz untrüglich;
denn wie sollte er nicht gewufst haben, welche Zeit zwischen
dem Konzil und seiner eigenen Bischofswahl lag?
Dafs das Konzil am 20. Mai 325 eröffnet wurde, ist
uns nicht nur durch Sokrates 5, sondern auch durch ein
1) Von der antiocheniseben Bischofsliste hat Harnack (Die Zeit des
Ignatius. Leipzig 1878) nachgewiesen, dafs ihre Jahreszahlen durchaus
willkürlich sind. Dafs die alexandrinische besser überliefert sei, ist
möglich, bedarf aber jedenfalls noch sehr des Beweises.
2) Gelas. II, 1 — Mansi II, S. 792.
3) Larsow, Die Festbriefe des heiligen Athanasius, S. 26.
4) Apol. c. Ar. 59: otinto yuq ntvre uffris nttgfik&ov, xat 6 filv
uuxttQtttis 'AX^avdQog Teultvrijxiv.
5) Socr. I, 13, 13: xa\ 6 /^wo? ift rijs awotiov, wg iv na^aarifAtua-
otatv tiQoptv, vnaitlas ÜavUvov xa\ 'lovhttvoO tjj tlxdöi roO Matov
ftr}v6f toüto <ft ijv i$axoatoaibv Tfuaxoatöv ixrov trog anö Tifc *AU-
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70
SEECK,
Gesetz Konstantins beglaubigt, das uns den Kaiser am 23.
desselben Monats in Nicäa zeigt *. Bei dieser langen Dauer
der Versammlung verstehen wir auch, wie sie den Arius
und den Eusebius von Nikomedia anfangs verbannen und
später wieder in alle ihre Rechte einsetzen konnte. In we-
nigen Monaten wäre ein solcher Wechsel der Verhältnisse
und Stimmungen nicht möglich gewesen, wohl aber in zwei
und ein halb Jahren.
Allerdings hat das Konzil diese ganze Zeit nicht un-
unterbrochen getagt, sondern ist schon bald nach den Vi-
cennalien Konstantins (25. Juli 325) auseinandergegangen,
um erst 327 wieder zusammenzutreten. Doch hat man diese
zweite Sitzung nicht als eine neue Synode, sondern nur
als Fortsetzung der früheren betrachtet, wahrscheinlich da-
mit deren Beschlüsse durch keine andere Autorität als durch
ihre eigene die erforderlichen Korrekturen erhielten. Eu-
sebius * berichtet, dafs Konstantin wegen der Streitigkeiten
der Ägypter die Bischöfe noch einmal berufen habe und
wieder in ihrer Mitte erschienen sei. Was wir aus sonstigen
Nachrichten, namentlich aus den Gesetzen des Kaisers, über
seine Aufenthaltsorte wissen, pafst hierzu auf das Beste 3.
Im Herbst 325 ging Konstantin aus Asien nach Europa
hinüber, reiste 326 nach Rom und kehrte erst im Sommer
327 an das Marmorameer zurück. Am 11. Juni finden wir
ihn in Byzanz, am 3. August in Herakleia. Bald darauf nmfs
tjdvifnov toO Alaxtdövos ßaaikttag. Diese Rechnung nach Jahren Ale-
xanders, die dem Sokrates sonst ganz fremd ist, weist auf eine alexan-
drinische Quelle hin, wahrscheinlich auf den Synodikus des Athanasius,
der unmittelbar vorher citiert ist
1) Cod. Theod. I, 2, 5.
2) Euseb. Vit. Const. III, 23: alXä yctQ andvruv tiQi]vtvou4vbiv
ftövutf Alyvntlov; äuixxog t(v 1} nQog äXlrjlovf (ftlopftxta, «f xai av$i{
IvoxXtiv ßaoiMa, ov ur}v xai 71q6s dqyijv {yiiQttv. oia yoöv TxarfQag f\
xal päXlov nQWfrixas &toö ndoy nfQ^ntov rtprj, xai ötvrftwv hdlu
xai ndliv lutoiTtvt jotg airoig uvtZtxdxtog. Die Worte toi? avroi;
zeigen, dafs dieselben Bischöfe wieder zusammentraten, es also kein
zweites Konzil war, sondern nur eine Fortsetzung des ersten.
3) Seeck, Die Zeitfolge der Gesetze Konstantins. Zeitschrift der
Savigny-Stiftung, Rom. Abt X, S. 233—238.
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DAS NICÄN1SCHE KONZIL.
71
er die Meerenge überschritten haben, da in dieses Jahr die
Gründung von Helenopolis fällt, eine Feierlichkeit, bei der
er seiner Mutter zu Ehren sich gewifs persönlich beteiligte.
Er war also im Herbst 327 in Bithynien, derselben Provinz,
in der auch Nicäa liegt, und noch im Anfang des nächsten
Jahres begegnet er uns in dem benachbarten Nikomedia.
Wenn also nach der Angabe des Athanasius der Schlufs
des Konzils Ende November 327 stattfand, so kann der
Kaiser ihn sehr gut persönlich vollzogen haben.
(Schlufs folgt.)
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Zur Sachsenhänser Appellation Ludwigs
des Bayern.
Von
Dr. J. Priesack in Göttingen.
Die Politik, welche Papst Johann XXII. in Italien ver-
folgte, führte mit Notwendigkeit den heftigen Konflikt zwi-
schen dem deutschen Königtum und dem Papsttum herbei,
der zum Unglück für Deutschlands innere Entwickelung die
ganze Regierungszeit Ludwigs des Bayern erfüllte.
Am 31. März 1317 hatte Johann XXII., den von seinem
Vorgänger Clemens V. zuerst aufgestellten Satz wiederholend,
es seinerseits als ein von altersher unerschüttert bewahrtes
Recht ausgesprochen, dafs bei einer Vakanz des Imperiums
dem Papste die Regierung desselben zufalle. Er hatte des-
halb die Weiterführung der Reichsvikariate in Italien ohne
seine Bestätigung verboten. Das Eingreifen Ludwigs in
Italien war die Veranlassung zum direkten Vorgehen des
Papstes gegen ihn. Am 8. Oktober 1323 erging das erste
Rechtsverfahren gegen Ludwig. In diesem Prozefs stellt
Johann XXII. Rechtsansprüche auf, die, wenngleich nicht
völlig neu, so doch in dieser Schärfe ausgesprochen ganz
unerhört waren.
Er behauptet zunächst nach dem Vorgang der letzten
Päpste , dafs bei der Erhebung eines römischen Königs
dem Papste die Prüfung und Zulassung oder Verwer-
fung der Wahl und die Approbation oder Reprobation der
Person des Gewählten zustehe. In den ersten Prozessen
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PHIESACK, ZUU SACHSEXHÄCSEK APPELLATION. 73
ist es allerdings durchaus zweifelhaft, ob dieser päpstliche
Anspruch sich auf die deutsche Königswahl überhaupt oder
nur auf die zwiespältige Wahl bezieht *. Erst der (dritte)
Prozefs vom 11. Juli 1324 spricht die Meinung Johanns in
diesem Punkte unzweideutig aus 2 , wie ja auch schon
Bonifaz VIII. und Clemens V. dieses Recht der Approbation
für jede, auch die einschichtige Königswahl beansprucht
hatten 3.
Weitergehend aber erklärt Johann, dafs Ludwig vor er-
folgter Approbation nicht den Königstitel habe führen, und
ferner — mit Beziehung auf den Anspruch der Bulle von
1317 — dafs er auch die Regierung im Regnum und Im-
perium nicht habe antreten dürfen. Hier ist nun aber nach
dem Zusammenhang und dem Wortlaut der Sätze kaum ein
Zweifel, dafs Johann XXII. diese Anschauung über das Recht
des Erwählten auf Königstitel und Regierung lediglich für
die zwiespältigen Wahlen ausgesprochen hat4. Denn die
Erklärung vom 7. Januar 1324 beruft sich zum Beweis fUr
die päpstliche Anschauung nicht auf die Vorgänge bei den
letzten Königswahlen, sondern ausdrücklich auf die Doppel-
wahl von 1257.
Ganz neu ist in den Sätzen Johanns nur die Behaup-
1) Das letztere hat z. B. Schaper (Die Sachsenhäuser Appellation,
S. 13 ff.) angenommen, und in der That erscheint im Zusammenhang
diese Auffassung als die natürliche; Johann hat praktisch nur den Fall
der zwiespältigen Wahl ins Auge gefafst.
2) „per ecclesiam Romanam, ad cuius examen personae electi in
regem Romanorum in imperatorem assumendi approbatio et electionis
admissio pertinet, electione huiusmodi non admissa".
S) Vgl. Engel mann, Der Anspruch der Päpste auf Konfirmation
und Approbation bei den deutschen Königswahlen, S. 67 ff.
4) Vgl. vor allem die Worte in der Urkunde vom 7. Januar 1324:
„cum de electo in discordia in Romanorum regem, sicut iste fuisse
noscitur, a nullo sit in dubium revocandum, quod ante approbationem
sen admissionem electionis suae per Sedem Apostolicam habitam, non
debet taÜ nomine vel titulo appellari". — Es ist auch nicht richtig,
was Engelmann (a. a. 0.) nachweisen will, dafs diese letzte Forderung
bereits Bonifaz VIII. für alle, auch die einmütigen Wahlen aufgestellt
hätte.
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74
PRIESACK,
tung von der Unrechtmäfsigkeit der Regierung des Ge-
wählten vor erfolgter Anerkennung. Diese Behauptung ist
nicht auf den Approbationsanspruch gegründet, sondern sie
ist eine Konsequenz des päpstlichen Rechtes der Reichs-
verweserschaft Theoretisch ist also der Rechtsstandpunkt
Johanns gegenüber dem seiner Vorgänger nicht neu. Das
Neue aber ist, dafs jetzt die praktische Konsequenz früherer
Ansprüche gezogen und nun offen verkündigt wird, und
dafs die Nichtbeachtung der päpstlichen Anschauung dem
deutschen Könige zum Vergehen gemacht und ein Prozefs
deshalb gegen ihn eingeleitet wird. Die aufserordentliche
Schroffheit dieses Angriffes gegen das Königtum macht zur
Genüge die viel getadelte Heftigkeit der Kampfesweise Lud-
wigs des Bayern begreiflich.
In dem Prozefs vom 8. Oktober forderte der Papst von
Ludwig bei Strafe des Bannes, er solle binnen drei Monaten
die Regierung niederlegen und sie, ehe die Approbation er-
folgt sei, nicht wieder aufnehmen; seine bisherigen Regie-
rungshandlungen solle er widerrufen l. Allen geistlichen
und weltlichen Unterthanen wurde unter Festsetzung von
Strafen, die sie im Falle des Ungehorsams treffen sollten,
geboten, Ludwig ferner nicht mehr als König zu gehorchen.
Ludwig ordnete am 12. November eine Gesandtschaft an die
Kurie ab, welche um eine Verlängerung der Frist bitten
sollte, damit er sein gutes Recht darthun könne. Inzwischen
legte er am 18. Dezember in Nürnberg Appellation gegen
das Verfahren des Papstes und Anklage gegen ihn vor einem
Konzil ein. Durch solche Appellation vor jenem im Prozefs
festgesetzten Termin, also ehe die Sentenz gefällt werden
konnte, sicherte er sich gegen eine Vergewaltigung von seiten
des Papstes. In dieser Schrift legte er ausführlich das über
die Erhebung des deutschen Königs und künftigen Kaisers
1) Auffällig kann es erscheinen, dafs im ersten Prozefs der Papst
noch nicht von Ludwig die Ablegung des Künigstitels verlangt. Das
zeigt wohl, dafs auch bei Johann XXII. anfänglich noch eine ge-
wisse Scheu bestand, mit der vollen Schärfe seiner Ansprüche heraus-
zutreten.
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ZUR SACHSENHÄUSER APPELLATION.
75
geltende Recht dar. Diese Nürnberger Appellation wird
ausdrücklich als eine vorläufige bezeichnet („artante termino
praefixo"), und ihre demnächstige Erneuerung wird in Aus-
sicht gestellt.
Am 7. Januar 1324, das heifst dem Tage, an dem der
Termin des ersten Prozesses ablief, gab der Papst im Kon-
sistorium den Gesandten Ludwigs den Bescheid, er könne
in eine Suspension seines Rechtsverfahrens nicht willigen,
dasselbe bleibe vielmehr in Kraft bestehen, doch wolle er
Ludwig noch zwei Monate Zeit lassen, ehe er zur Veröffent-
lichung der Strafen schreite. — Nach Ablauf dieser Frist
sprach der Papst am 23. März 1324 über Ludwig die Ex-
kommunikation aus; die Geistlichen, die ihm noch angehangen
hatten, traf die Suspension vom Amte. Wieder wurde Lud-
wig ein Termin von drei Monaten gesetzt, binnen deren er
Königstitel und Regierung niederlegen solle. — Nachdem
diese Zeit verstrichen war, erklärte Johann am 11. Juli
Ludwig den Bayern alles Anrechtes auf die Königswürde,
das ihm aus seiner Wahl etwa erwachsen sei, für ver-
lustig.
Inzwischen hatte aber Ludwig einen zweiten Schlag
gegen den Papst geführt durch die Erklärung von Sachsen-
hausen. Sic enthielt die erneute Appellation und eine be-
deutend erweiterte und in ihrem Ton verschärfte Anklage
gegen Johann XXII.
Da die Urkunde von Sachsenhausen uns nur mit lücken-
hafter Datierung überliefert ist, so ist das Datum der Ap-
pellation sowie die Stellung, die sie innerhalb der ersten
Prozesse einnimmt, wiederholt Gegenstand der Untersuchung
geworden. Die letzten Versuche, die Frage zu entscheiden,
machen, wie ich glaube, eine erneute Erörterung notwendig.
Zur Orientierung über die Frage nach dem Datum der
Sachsenhäuser Appellation und über die Gesichtspunkte,
welche für die Beantwortung in Betracht kommen, verweise
ich auf C. Müller, Kampf Ludwigs des Bayern I, 354 ff.
Beilage 5 und W. P reger, Die Anfänge des kirchenpolit.
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76
IMJIESACK,
Kampfes, in Abhandl. d. Münchener Akademie, Hist Klasse,
Bd. XVI, S. 122 ff. und kann danach auf die genauere Dar-
legung des Sachverhalts verzichten.
Müller, der Kopp folgend zuerst den 22. Januar als
Datum der Appellation annahm, verwirft aus einem zwingen-
den Grunde dies wieder und entscheidet sich für den
2 2. Mai, gestützt darauf, dafs die Uberlieferung in der
Wiener Handschrift das Datum „in die VII mensis Maii"
hat, was er als entstanden aus „indictione 7 die 22 mensis
Maii" erklärt. Er hält im übrigen fest, dafs der Beweis,
dafs Papst Johanns Prozefs vom 23. März der Appellation
noch unbekannt gewesen, von Kopp (Reiehsgeschichte V, 1,
8. 120 ff.) vollkommen erbracht sei.
Preger, der zunächst den Beweis Kopps, dafs die Appel-
lation ihres Inhalts wegen vor den Prozefs vom 23. März
fallen müsse, zu widerlegen sucht, verwirft die Datierung
in den Mai, weil der Brief des Herzogs Leupold von Oster-
reich, der dem Papste die erste flüchtige Kunde von der
Appellation brachte, vor dem 4. Mai geschrieben sein müsse.
Er setzt deshalb die Appellation auf den 2 2. April an.
M. Schaper in seiner Greifswalder Dissertation: Die
Sachsenhäuser Appellation von 1324 (Berlin 1888), S. 5 — 24
sucht den Beweis Pregers, dafs die Appellation den Prozefs
vom 23. März kenne, weiter zu erhärten und schliefst sich
(S. 24) den Gründen Pregers für den 2 2. April an.
Den Brief Herzog Leupolds kennen wir nur aus der
Antwort des Papstes vom 8. Juni (Oberbayer. Archiv I, 79,
Nr. 56). Der Papst warnt Leupold vor Ludwig, weil der
Herzog ihm Mitteilung von Unterhandlungen Ludwigs mit
ihm gemacht hat. Diese Unterhandlungen aber, meint Preger,
muteten am 4. Mai bereits zu Ende sein, weil an diesem
Tage König Ludwig den Schweizern schreibt, er habe den
Waffenstillstand mit Herzog Leupold gekündigt (Kopp, Ur-
kunden zur Gesch. der eidgenössischen Bünde mmo
treugas inter nos et Liupoldum ducem Austrie initas revo-
eavimus"). Da nun in demselben Briefe Herzog Leupold
beiläufig die Appellation als eine Neuigkeit erwähnt hatte
(Oberbayer. Archiv S. 80 „ appellationis illius, de qua men-
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Zl'K SACHSENHÄlSEIl APPELLATION.
77
tionem pre&te littere faciebant ") , so mufs auch diese vor
dem 4. Mai erfolgt sein.
Aber dies ist sehr wenig zwingend l. Erstlich wissen
wir nicht, dafs Leupold geschrieben hätte, da£s er gegen-
wärtig noch mit Ludwig in Unterhandlung stehe, Bondern
er hatte von Versicherungen berichtet, die Ludwig ihm über
sein Verhältnis zum Papste gemacht hatte (vgl. Müller,
Ludwig d. Bayer, S. 109 Anm. 3). Und zweitens: wenn
der Papst den Herzog bittet, sich durch trügerische Ver-
sprechungen Ludwigs nicht abspenstig machen zu lassen,
also doch wohl das Fortbestehen von Verhandlungen an-
nimmt, so ist dies kein Beweis, dafs Leupold vor Kündigung
der Waffenruhe geschrieben haben mufs. Denn mit dem
Schlufs des Waffenstillstandes brauchen die diplomatischen
Verhandlungen durchaus nicht abgebrochen zu sein. Im
September schreibt der Papst von neuen Unterhandlungen
zwischen Leupold und Ludwig, von denen der Herzog Mit-
teilung gemacht hat (Vatikanische Akten Nr. 396, vgl.
Müller S. 114). Trotzdem ging damals der Krieg seinen
Gang weiter (vgl. Kopp V, 1, S. 157 ff., die Urkunden
ebd. auf S. 87 Anm. 5 und 8. 69 Anm. 3, und Böhmer,
Regesten, S. 252 Nr. 171 — 173. Am 10 August verspricht
Leupold dem Herzog von Sachsen, ohne ihn mit Ludwig
dem Bayern keinen Waffenstillstand oder Frieden
machen zu wollen). Auch nimmt in diesem Brief an die
Eidgenossen (4. Mai) Ludwig Rücksicht auf die Möglichkeit,
dafs er mit Herzog Leupold zu einem Frieden oder Freund-
schaft kommen werde (Kopp, Urkk. , S. 139: „Deraum
sciatis, quod si cum Liupoldo duce Austrie nos aliquos
tractatus pacis vel concordie habere contigerit, vos illis sicut
et alias scripaimus, nullatenus excludemus").
Gegen die Annahme aber, dafs der Brief Leupolds vor
1) Auch Müller in seiner spateren Abhandlung „Ludwigs des
Bayern Appellationen gegen Johann XXII." in Doves Zeitschrift für
Kirchenrecht, Bd. XIX (N. F. IV, 1884). S. 242, Anm. 6 erklart, ohne
auf das Datum noch einmal einzugehen, durch Preger nicht überzeugt
zu sein.
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78
PRIESACK,
dem 4. Mai geschrieben wäre, spricht vor allem dies, dafs
es ganz unglaublich ist und gegen allen sonstigen Brauch
der Kurie, dafs der Papst in einer so dringlichen Angelegen-
heit wochenlang (mindestens 14 Tage) mit seiner Antwort
gezögert haben sollte. Ich halte also nach dem Beweise
Müllers an dem Datum des 2 2. Mai fest1.
Es liegt dann so, wie Müller S. 358 ausfuhrt, dafs wenige
Tage nach der erfolgten Appellation Herzog Leupold dem
Papste die erste oberflächliche Kunde davon mitteilte. Dann
fällt allerdings die Annahme Pregers (a. a. O. S. 152 f.) fort,
dafs der Papst, wenn er in seinem Schreiben vom 26. Mai
an die Kurfürsten (Olenschlager, Staatsgeschichte S. 104,
Reg. 216, 27) von den Machinationen der Minoriten redet,
dabei die Sachsenhäuser Schrift im Auge habe. Indes ist
dies in der Darstellung Pregers ein ganz nebensächlicher
Punkt. Der Papst hatte ohnedies anderweitig genügende
Kunde von den Versuchen Ludwigs und der Minoriten, bei
den Kurfürsten den Verdacht zu erwecken, dafs der Papst
ihr Wahlrecht zu verletzen beabsichtige (vgl. Preger
a a. O.), Versuchen, die eben in derselben Zeit in der
Sachsenhäuser Appellation zum Ausdruck kommen. Meinte
der Papst mit den lügnerischen Einflüsterungen" die betr.
Stellen der Appellation, so würde dies doch bereits eine ge-
nauere Kenntnis derselben voraussetzen, als sie nach dem
Brief vom 8. Juni zu urteilen der Papst damals hatte.
Müller nimmt vielmehr an, dafs auch noch im Juli der Inhalt
der Appellation an der Kurie genauer nicht bekannt war.
1) Nachdem dies geschrieben war, erfahre ich durch freundliche
Mitteilung des Herrn Dr. Schwalra-Güttingen , der jene Handschrift in
Wien für Zwecke der Monumeiita Germaniac eingesehen hat, dafs an
der Stelle das Datum sich foleendermafsen geschrieben findet: „anno
domini 1324 indic [kaum indie zu lesen] (Ende der Seite) VII mensis
Maii hora circa vesperarum". Also hat auch diese Überlieferung „in-
dictione VII". Dadurch ist die Vermutung Müllers, dafs hier nur eine
Auslassung des Abschreibers („die 22 ") anzunehmen ist, zur Gewißheit
erhoben. Die Lücke in der Pariser Handschrift ist also durch die
Worte „Maii hora" auszufüllen. Hiermit ist denn nun der 22. Mai
endgültig als Datum der Appellation erwiesen.
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ZUR SACHSEN HÄUSER APPELLATION
79
Von der Frage nach dem Datum der Appellation ist nun
die andere im Zusammenhang mit dieser behandelte Frage
zu trennen, ob der Wortlaut der Sachsenhäuser Schrift den
zweiten Prozefs vom 23. März, der die Bannsentenz enthält,
voraussetze oder nicht. Der Beweis Pregers und Schapers,
dafs die Appellation selbst ein Zeugnis dafür enthalte, dafs
sie erst nach dem zweiten Prozefs ergangen sein könne,
scheint mir nicht gelungen l.
1) Neuerdings hat nun vollends Wurm (in der Besprechung der
„Vatikanischen Akten" im Hist. Jahrb. der Görres - Gesellschaft XIII
[1892], S. 230 ff.) anknüpfend an die Worte des Papstes in dem Brief
an den Erzbischof von Mainz vom 10. September 1324 (Vatikan. Akten
Nr. 388) über die „novitates presumptas, sicut asseritur, per nobilem
virum, Ludovicum ducem Bavarie post processus per nos dudum contra
eum habitos privationis a iure, si quod sibi ad regnum vel imperium
Romanum competebat, sententiain inter cetera contineutcs", von denen
der Erzbischof dem Papste im August Bericht erstattet hatte, die
Behauptung aufgestellt, die Sachsenhäuser Appellation sei erst am
22. Juli erschienen und richte sich gegen den „processus nuper factus",
d. h. gegen den Prozefs vom 11. Juli. Namentlich das letztere bedarf
wobl kaum einer ernsthaften Widerlegung, zumal Wurm selbst die
Behauptung dahin abschwächt, die Appellation sei nach dem März-Prozefs
vorbereitet worden, Herzog Leupold sei bereits von der Absicht der-
selben unterrichtet gewesen und konnte daher im April oder Mai dem
Papste Mitteilung davon machen (daher das „contra quem interponenda
dicitur4' des Briefes vom 8. Juni); die Veröffentlichung sei aber erst
im Juli erfolgt. — Eine andere von Wurm angedeutete Frage verdient
vielleicht Erwägung, ob man nicht zu scheiden hat zwischen der Ver-
öffentlichung der Anklageschrift in Sachsenhausen, wobei Ludwig nicht
zugegen gewesen zu sein braucht (es war aber doch nicht blofs eine
„publicatio" der Appellation, vielmehr heifst es in der Urkunde
„lectae et interpositae . . . appellationes anno . . ., in capella
in Sachsenhusen") und dem von der erstmaligen Veröffentlichung un-
abhängigen Akt der eigentlichen Vorlegung der Anklage und Appel-
lation vor den am Schlufs genannten „prineipibus nostris ecclesiasticis
et mundanis, et notariis publici3 hic praesentibus". (Die Sachsen-
häuser Urkunde, wie sie uns vorliegt, ist allerdings kein Notariats-
instrument, wie die Nürnberger Urkunde, die genannten notarii prae-
sentes fehlen im Eschatokoll ganz, darauf stützt Wurm seine An-
nahme. Aber man inufs freilich bedenken, dafs uns die Urkunde von
Sachsenhausen wahrscheinlich unvollständig überliefert ist). In dieser
absoluten Form, ohne Datum, läge sie dann in der Münchener Per-
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80
PRIESA CK,
Preger (S. 1 24 f.) giebt im übrigen noch zu , dafs die
Appellation den zweiten Prozefs ignoriert, findet aber den
Beweis, dafs Ludwig den Prozefs vom 23. März bereits
kennt, in einer Stelle , die einen Hinweis auf jenen Prozefs
enthalten soll l. Es sind dies die Worte (bei Olenschlager
8. 128): „iam incepit procedere et processit, ut dicitur".
Das „incepit procedere" soll den ersten, das „processit"
den zweiten Prozefs vom 23. März bezeichnen. Den Ein-
wand nun, dafs man die Bulle des Papstes vom 7. Januar
als zweiten Prozefs bezeichnen könnte, wie dies Olen-
schlager S. 92 thut, wirft Preger beiseite. Aber es ist
zu erwidern, dafs nicht etwa Olenschlager (richtiger: die
Sammlung der Prozesse bei Martene und Durand), sondern
der damalige Sprachgebrauch unter dem zweiten Prozefs den
vom 7. Januar (Reg. 215, 17) versteht. Vgl z. B. das
Schreiben des Papstes vom 28. März, mit welchem er den
neuen Prozefs übersendet (Oberbayer. Arch. I, 85, Nr. 62).
Hier wird der Prozefs vom 23. März als „tertius Pro-
cessus " aufgeführt. Daher übersendet denn auch der Papst
den Prozefs vom 7. Januar ebenso wie die anderen an die
Bischöfe zur feierlichen Publikation (so Oberbayer. Arch. I,
84 an den Bischof von Freising, ebenso Vatikan. Akten
342 a an den Bischof von Speier. Und der Bischof von
Basel zeigt gleichzeitig den Empfang des ersten Prozesses
und der „responsio" dem Papste an. Oberbayer. Arch. 94).
Ludwig konnte auch durchaus in dem zweiten Verfahren
vom 7. Januar ein procedere erblicken. Denn genau gc-
gamentbandschrift vor (s. Preger S. 122). Zu vergleichen wäre der
Schlufssatz d^s Textes (Olenschlager S. 129): „ac protestamur ex-
presse de im ovando provocationes et appellationes et protcstationes prae-
dictas, tibi, quando, et sicut et coram quibus visum fucrit expedire et
de iure tenebimur atque debebiraus . . So erklärt sich dann auch
das „interponenda" des päpstlichen Briefes (vgl. auch Müller, Ludwig
d. B., S. 103 Anm. 2). Danu hat vollends die Frage nach dem Datum
der Appellation mit derjenigen, gegen welchen Prozefs sie gerichtet ist,
nichts zu schaffen.
1) Auch Maller giebt nachträglich (in dem erwähoten Aufsatz in
Zeitschrift f. Kirchenrecht XIX, 242) Preger hierin Recht.
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ZUR SACHSENHÄU3EK APPELLATION.
81
nominen hat der Papst am 7. Januar nicht den Termin des
ersten Prozesses verlängert, sondern er erklärt ausdrücklich,
dafs derselbe voll und ganz zu Recht besteht und dafs dem-
nach das dort angedrohte Verfahren und die Folgen jetzt
bereits rechtlich in Kraft treten (Olenschlager S. 95):
„non intendimus aliquid innovare ipsum (sc. processum) tol-
lendo vel suspendendo, vel quoad impediendum effectum
sententiarum in eo lataruin, terminum, dilationemet pro-
rogationem aliquam concedendo: immo volumus eum
quoad omnia contenta in ipso et eorum effectu, in suo pleno
vigore atque robore permanere". Verschoben wird nur
die Veröffentlichung der Strafen, in die Ludwig durch Ver-
säumnis des Termins bereits verfallen ist (S. 96): „intendimus
usque ad duos menses . . . a publicatione poenarum in 1
proce88ibus huiusmodi ac ab aggravatione supersedere Pro-
cessus eiusdem". Also konnte Ludwig mit dem „et pro-
cessit" sehr wohl das Verfahren vom 7. Januar im Auge
haben.
Ebenso ist die Behauptung Pregers (S. 125) unrichtig,
dafs das „utdicitur" allein zu dem „et processit " zugesetzt
wäre, um zu betonen, dafs Ludwig von dem neuen Prozefs
vom März noch keine offizielle Kunde hatte. Denn das
„dicitur" wird durchweg in der ganzen Appellation zugesetzt
bei allen Angaben, die, wie wir noch sehen werden, durch-
aus nur auf den ersten Prozefs gehen, z. B. Olenschlager
S. 119: „Processus quem nuper fecisse dicitur" und „falso
dicere dicitur", S. 120: „contineri dicitur in eodem pro-
cessu" u. 8. w. Nur an zwei Stellen (Olenschl. S. 118:
„in processu nuper . . . facto" und S. 120: „falso et men-
daciter dicit esse in discordia celebratam") ist dieses „di-
citur" fortgeblieben2. Das „dicitur" hat also nicht die Be-
1) So ist zu lesen statt „et processibus", wie Oleuschlager (nach
Martene) hat. Vgl. den Brief an den König von Frankreich vom
19. Januar. Vatikan. Akten Nr. 347.
2) Eine andere päpstliche Behauptung, die ohne dicitur eingeleitet
wird (mit „contendit": Olenschl. S. 126 Abs. 2), nämlich dafs dem
Papste die administratio vacante imperio zustehe, ist nicht ausdrücklich
dem ersten Prozefs entnommen (sie steht nicht in den Abschnitten, die
Zeitachr. f. K.-G. XVII, 1 u. 2. 6
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82
PRIESACK,
deutung, dafs ich dasjenige, wovon ich mit einem „ut di-
citur" spreche, nicht kennen will (denn Ludwig geht ja auf
das Rechtsverfahren so genau ein, dafs er z. B. dem Papste
die Unwissenheit, dafs er von der „Mark Magdeburg" redet,
auftrumpft), sondern nur, dafs mir das in Rede stehende
Aktenstück nicht offiziell mitgeteilt ist, so dafs ich es recht-
lich nicht als gültig oder für mich bindend anzusehen
brauche.
Wir kommen nun zu Sehaper, der in der Appellation
nicht, wie Preger, nur eine einzige Anspielung auf den
zweiten Prozefs findet, sondern nachzuweisen sucht, dafs die
Polemik der Sachsenhäuser Appellation gegen den „Pro-
cessus nuper factus" sich direkt gegen den zweiten Prozefs
richtet *. Wir betrachten
1. die Beweise Schapers, dafs die Appellation den zweiten
Prozefs kennt.
1) Ol. S. 123, Absatz 2: „in praedicto processu . . . (man-
dare dicitur) sub poenis gravibus inflictis ac etiam
comminatis". Der Ausdruck infligere „verhängen"
pafst nur auf den zweiten Prozefs, da erst in diesem
die ersten Strafen, die Suspension über die Geistlichen,
verhängt werden.
Dies ist durchaus unrichtig. Im ersten Verfahren wird
ausgesprochen, dafs die Geistlichen in die Strafe der Suspensio
ipso facto verfallen werden, wenn sie nach Ablauf der Frist
dem päpstlichen Gebot noch ungehorsam sind. Der zweite
Prozefs bringt nur die publicatio dieser Strafe, nicht die
Verhängung (inflictio). Durch den Prozefs vom 7. Januar
ist ausdrücklich ausgesprochen, dafs die Strafen bereits mit
Ablauf des Termins (am 7. Januar) eintreten (s. oben). Wir
müssen in I scharf unterscheiden (Ol. S. 83): Zunächst wird
sich mit dem Prozefs beschäftigen , vgl. unten S. 89); sie findet sich
schon in der Bulle von 1317.
1) Im Folgenden sind mit I und II der erste und zweite Prozefs
bezeichnet, unter dem letzteren ist nach dem üblichen Brauch der des
23. März verstanden. Schaper citiert die Appellation nach Baluze
Vitae II; ich füge die Verweise auf den Druck bei Olcnschlager bei
(bezeichnet mit Ol.). Die Abschnitte sind in beiden Drucken dieselben.
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'/XU SACHSEXHÄUSER APPELLATION.
83
den Geistlichen die poena suspensionis ab officio et beneficio
in Aussicht gestellt. Hierbei heifst es: „quam eos incurrere
volumus ipso facto, nisi infra praedictum terminum" etc.
Dies sind poenae inflictae. Ferner aber wird Geistlichen
(„et tarn ipsis quam" etc.) wie weltlichen Personen und
Gemeinwesen Bann, Interdikt und Entziehung der Lehen
angedroht. Hier fehlt der Zusatz „quam incurrere" etc.
Dies sind poenae comminatae. Man vergleiche, wie deutlich
der Papst im zweiten Prozefs bei Festsetzung der künftigen
Strafen scheidet (Olenschl. S. 101 f.): „tarn sub excom-
municationis, quam ipsos . . . incurrere volumus ipso facto,
quam sub privationis dignitatum etc. poenis et sententiis, ad
quarum etiam inflictionem ... procedemus, sicut
viderimus expedire".
2) Ol. S. 118, Abs. 4. Die Appellation sagt: „in dicto
processu . . . omnino defuit pars citata, quia nec fuit
praesens, nec per contumaciam absens". Der Papst
darf nicht damnare, ehe der Angeklagte Gelegenheit
gehabt hat, sich zu verteidigen. — Dies „damnare"
kann nur auf den zweiten Prozefs gehen.
Aber ist nicht schon der erste Prozefs eine Verurteilung,
ohne dafs der Angeklagte gehört und citiert ist? 1 In dem
Prozefs vom Januar verwirft der Papst das Anerbieten Lud-
wigs, sein Recht zu verteidigen, als ungehörig, da der erste
Prozefs „rite factus et super notorio habitus" sei (Olenschl.
S. 95). Der erste Prozefs fordert Ludwig bereits zum
Widerruf auf; es heifst ferner in I (Ol. S. 83): „nos contra
ipsum ad publicationem poenarura, in quas propter prae-
miesos excessus notorios incidissc noscitur, . . . pro-
cedemus". Also ist der erste Prozefs bereits ein Urteil,
ohne die Verteidigung der angeblichen Rechte des Königs
anzuhören.
3) Ol. S. 118, Abs. 3 und 125 oben. Die Appellation
1) Dies ist z. B. auch die Auffassung bei Lindner, Deutsche
Geschichte unter den Uabsburgern und Luxemburgern I, 326. Auch
Kopp (S. 121) sagt zu dieser Stelle: „Das kaun nur auf die Urk.
8. Weinm. 1323 gehen".
6*
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84
1'RlfiSACK,
wirft dem Papste vor, dafs er sich zum Richter
aufwerte und „iudicare" sich anmafse in dem eben
erwähnten Prozesse. Dies mufs also der II. sein.
Hierzu gilt das unter 2) Gesagte.
4) Ol. S. 128. Die von Preger beigebrachte Stelle „in-
cepit procedere et proccssit". Schaper sieht den Be-
weis mehr noch als in dem „et processit" in dem „et
procedere gravius comminatur". Dies soll beweisen,
dafs bereits Strafen verhängt sind, denn der Papst
droht mit „schwereren Strafen", dafs also der zweite
Prozefs bereits ergangen ist.
Aber wir haben bewiesen, dafs „et processit" sich auf
den Prozefs vom Januar bezieht. In diesem droht der Papst
procedere gravius, vgl. in der oben (S. 10) citierten Stelle
(Olenschl. S. 96) den Ausdruck „ab aggravatione
supersedere".
5) Zwei Stellen der Appellation sprechen von processus
8UOs. Also müssen mindestens zwei Prozesse voran-
gegangen sein.
Ludwig redet hier ganz allgemein. Der erste Vorwurf
ist (Ol. S. 118, Abs. 3): Der Papst zerstört die Rechts-
ordnung „processus suos fundando super notoriis . . . ut in
suis processibus clare patet" (vgl. hierzu die Worte im
Prozefs vom Januar [Ol. S. 95J: „cum processus noster
praedictus [der erste Prozefs] . . . factus rite sit et super
notorio habitus"). Der zweite Vorwurf (Ol. S. 119): Er
„tendit ad exterminium imperii ... per istos et alios suos
processus". Erstens wäre zu sagen, dafs hier ja die Pro-
zesse vom 8. Oktober und 7. Januar gemeint sein können.
Zweitens aber kann, wenn so allgemein gesprochen ist, der
Plural wohl auf einen Prozefs gehen (vgl. meine Abhand-
lung: Die Reichspolitik Balduins von Trier, S. 79). Im
zweiten Satz bezieht sich „istos" doch auf den processus
nuper factus, von einem andern war vorher noch keine Rede.
Das „et alios suos processus" dürfte dann etwa die früheren
Prozesse gegen die Reichsgetreuen in Italien, also gegen die
Visconti und andere, meinen, denn auch durch diese strebt
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ZUR SACHSEXUÄU&EK APPELLATION.
85
der Papst „ad exterminium imperii", wie dies die Appel-
lation weiter unten ausführlich darlegt.
2. Die Beweise Schapers, dafs die Appellation sich gegen
den zweiten, nicht gegen den ersten Prozefs wendet
Wir sahen, dafs die bisher besprochenen Abschnitte, in
denen von einem richterlichen Verfahren die Rede ist, auch
auf den ersten Prozefs bezogen werden können. Schaper
giebt zu, dafs die weiteren (den dictus processus erwähnen-
den) Abschnitte der Appellation (Baluze 10, 13; richtiger
wäre 10 bis 13 = Ol. S. 119, Abs. 2 bis S. 120 unten),
d. h. die Hauptstellen, welche die staatsrechtlichen Behaup-
tungen des Papstes erörtern, in jedem von beiden Prozessen,
d. h. in II nur in der (teilweise verkürzten) Wiederholung
von I ihre Vorlage haben können, dafs aber zwei weitere
Abschnitte von I, die Ludwig heranzieht (Baluze 20 und in
1 3 der Passus „ et quod nos Marchionatum u etc. = Ol.
S. 124, Abs. 3 und S. 120), in II fortgefallen sind. Er
mufs also besonders begründen, weshalb Ludwig gerade
diese beiden Stellen aus I hinzugezogen hat. Die natürlichste
Annahme ist doch, wenn Ludwig überall von dem einen,
im Eingang genannten Prozesse spricht („in processu prae-
fato" heifst es an eben der letzten Stelle Baluze 20 = Ol.
124, 3), dafs er nicht nur an diesen zwei Stellen, sondern
immer den ersten Prozefs im Auge hat. Den direkten Nach-
weis, dafs die Appellation in allen übrigen Punkten den
zweiten Prozefs bekämpft, müssen wir also erst erwarten.
Schaper sieht diesen Nachweis in der Verschiedenheit beider
Prozesse in der Begründung des Vorgehens gegen Ludwig,
indem die Appellation hierin dem zweiten Prozefs näher
stehen soll. Der erste Prozefs — ausgehend von der in dis-
cordia geschehenen Wahl Ludwigs, und gestützt auf den
Anspruch, dafs die Bestätigung des Gewählten (oder des in
Zwietracht Gewählten) dem Papste zustehe und dafs vor der
Approbation dem also Gewählten nur der Titel Electus zu-
komme — macht Ludwig den Vorwurf, dafs er den Königs-
titel angenommen habe, zweitens aber — indem er den
Rechtsanspruch erhebt, dafs bei Vakanz des Imperiums die
Regierung desselben dem Papste zustehe — wirft er Lud-
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*6
PRIESACK,
wig vor, dafs er die administratio iuriurn regni et imperii
unrechtmäfsig angetreten habe l. Dagegen setzt der zweite
Prozefs dieses Recht der Reichsverweserschaft in den Vorder-
grund mit Berufung auf die Bulle von 1317 (während der
Anspruch auf Approbation zurücktritt), und stellt die Re-
gierung Ludwigs als eine Übertretung dieser Bulle hin, in-
dem er nur in wenigen Ausdrücken (in einer gekürzten
Wiederholung des ersten Prozesses) die Unrechtmäfsigkeit
des Königtums Ludwigs gleichsam als früher erwiesen streift,
soweit es nötig ist, um zu betonen, dafs das Reich that-
sächlich vakant ist.
Die Appellation soll sich nun lediglich gegen die Be-
gründung von II richten. Ich kann dies nicht zugeben.
Der Unterschied der Begründung in beiden Prozessen ist
lediglich ein formaler. Und gerade in der Form der Polemik
folgt die Appellation dem ersten, nicht dem zweiten Prozefs.
Die Appellation beginnt, nachdem sie einleitend die Un-
gesetzlichkeit des Verhaltens Johanns in seinem Rechts-
1) Dieser zweite Rechtsanspruch der Regierung vacante imperio
ist also nicht etwa im ersten Prozefs nebensächlich , sondern durchaus
notwendig, denn nur mit diesem wird die Unrechtmäfsigkeit der Re-
gierung Ludwigs dargethan. Der Unterschied der beiden Prozesse
ist also so grofs nicht, die diesbezügliche Behauptung Müllers (S. 99)
schwächt Schaper bereits ab. — Auch darf man nicht, wie MüUer
(S. 63 u. 99) und auch Schaper (S. 14 ff.) thun, in den päpstlichen Re-
gicrungsansprttchen einen Unterschied zwischen Regnum und Imperium
machen (vgl. M. Ritter in Histor. Zeitschr. [1879], Bd. XL1I, S. 299).
Man vergleiche z. B. auch die Worte in dem Briefe au die Kölner
(1824 April 15. Oberbayer. Arch. I, 58) „sc administrationi eiusdem
regni tarn indebite quam irreverentcr irainiscuit et dampnatis in Lom-
bardia favens hereticis ac rebellibus . . . insolenter excesserat". Das
Regnum umfafst also wohl nicht nur Deutschland, sondern auch das
regnum Italiae. Ebenso wie der Papst verquickt Ludwig Regnum und
Imperium, wenn er in der Sachsenbäuser Appellation als das Recht des
Pfalzgrafen das vius administrandi iura imperii'1, allerdings „praesertim
in partibus Alamaniae" bezeichnet. — Rechtlich hat der Papst im
zweiten Prozefc das Recht der Regierung auch im Regnum ebeuso
wenig aufgegeben wie das der Approbation des Gewählten. Etwas an-
deres ist es, wenn er die schärfsten Konsequenzen seiner Ansprüche
hier unterdrückt.
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ZUR SACHSENHÄUSER APPELLATION.
87
verfahren (Abschnitt 5 u. 6) und in anderen Dingen dar-
. gethan hat, mit Abschnitt 10 die Bekämpfung des „Pro-
cessus quem nuper fecisse dicitur" (Olenschl. S. 119:
Item patet aperte in processu . . . quod ad exterminium et
destructionem sacri tendit imperii . . . ut patet in omnibus
et singulis infrascriptis capitulis) K
Sie beginnt mit dem Nachweis, dafs Ludwigs Wahl in
concordia geschehen sei, und mit der Zurückweisung der
gegenteiligen Behauptung des Papstes. Diese (Wahl in dis-
cordia) steht auch in I an der Spitze der Beweisführung,
dagegen wird sie in II nur in einer Apposition („in dis-
cordia in R R. electum") in anderem Zusammenhang er-
wähnt. Sodann weist die Appellation ebenso gründlich wie
die Nürnberger Erklärung (nur mit anderen Worten) die
Ansprüche des Papstes zurück, dafs die Erwählten vor der
Approbation nicht Könige seien. Man vergleiche z. B. (0 1.
S. 120) : „ex quo (sc. der Krönung) et electione praedicta
... est electus verus rex Romanorum" mit dem Satz von
I : „ cum nec interira Romanorum reges existant, sed in reges
electi, nec sint habendi — nominandi". Gerade diese Sätze
fehlen in dieser Ausführlichkeit in II; sie sind lediglich an-
gedeutet in den Worten: „sibi nomen regis Romanorum
usurpavit". Was in der Sachsenhäuser Appellation an dieser
Stelle vermifst wird, ist nicht sowohl die Zurückweisung
des päpstlichen Anspruchs auf Approbation, sondern nur die
(in der Nürnberger Appellation gegebene) Erörterung dar-
über, in welchen Fällen bei zwieträchtiger Wahl dem Papste
eine Entscheidung zukommen könne. Die Appellation be-
tont ferner fortwährend, dafs jener Prozefs die Rechte der
Kurfürsten schädige. Dies geschah aber doch nicht durch
den Anspruch auf Regierung des Imperiums bei Vakanz,
sondern durch den Anspruch, dafs die Wahl der Kurfürsten
1) Schaper (S. 13) scheint die Abschnitte 11 u. 12 nicht als auf
den Prozefs bezüglich anzusehen und macht sich dadurch seinen Be-
weis freilich leichter. Er übersieht, dafs Abschnitt 10 nur die Ein-
leitung bildet zu dem zusammenhangenden Stück Baluze 11—20 (=
Olenschl. S. 119 „primo quia" bis S. 124 „ex causa").
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88
PRIESACK,
erst durch die päpstliche admissio gültig werde und durch
die repulsio ungültig werden könne.
Man beachte nun die Reihenfolge in den capitulis der
Appellation und in I.
Appellation (Ol. S. 119 ff.):
Primo quia ille — scandalura
manifestum.
Item cum consuetudo — im-
perii approbatas.
Item cum sie eiectus — cui-
libet intuenti;
et quod nos Marchionatum —
quomodolibet laederentur.
Item contineri dicitur —
(S. 123) mentis advertit.
S. 123: Item ipse — toto
corde.
Ad hoc autem — favorem;
[folgt nochmals Beweis der
Rechtmäfsigkeit des König-
tums Ludwigs: quod con-
stat — manifestas].
Diffusius autem — ex causa.
I (Ol. S. 81 ff):
Dudum siquidem — discor-
diter vota sua.
Verum praefetus — Reges
etiam nominandi.
Idem etiam Ludovicus — li-
bito disponere;
sicut iis proximis — dubium
pertinere.
Eiusdem insuper — nec ve-
retur.
Nos itaque — procedemus
[Aufforderung an Ludwig].
Non obstante — omnino ca-
rere.
Universis insuper — favorem.
fuerit ex-
Ex praemissis -
pedire.
Man wird sich überzeugen, dafs hier die Appellation
Punkt für Punkt den ersten Prozefs bekämpft. Der zweite
Prozefs dagegen hat, wie gesagt, eine ganz andere Anord-
nung der Sätze.
• *
II hat abgesehen von der Änderung in den verkündigten
und angedrohten Strafen an zwei Stellen mehr als I. Beide
fehlen in der Appellation. I erklärt die Ludwig geleisteten
Unterthaneneide für unverbindlich (dem entsprechend die
Appellation 0 1. S. 123: „ inducendo ipsos per hoc ad trans-
gressionem iuramentorum et fidei"); II fügt noch hinzu,
dafs er alle mit Ludwig geschlossenen Bündnisse, Verträge
und Gemeinschaft kassiert. Dies ist in der Appellation nicht
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ZUR SACHSEN HAU SEK APPELLATION.
89
erwähnt. Wesentlicher als dies ist das zweite. II lügt bei
den Häretikern, welche Ludwig begünstigt hat, zu den Vis-
conti (erster Prozefs) noch die Namen der Este von Ferra ra
hinzu. Nun ist doch auffällig, dafs in der Appellation unter
den vielen Namen der Anhänger Ludwigs in Italien, welche
der Papst der Ketzerei beschuldige (die Visconti, Cane de
la Scala, Passerino von Mantua, die Genuesen u. a.) gerade
die Este fehlen. Es wird also sowohl der zweite Prozefs
als auch die neue gegen die Este ergangene Bulle vom
4. Mai ignoriert *.
Nur das kann man Schaper zugeben, dafs durch den
zweiten Prozefs, den Ludwig ja damals bereits kannte, die
Polemik der Appellation beeinflufst ist. Denn nachdem sie
mit dem Prozefs fertig ist, kommt sie später noch zweimal
auf den Anspruch des Papstes auf die Reichsverweserschaft
zurück, aber ohne dabei den Prozefs zu nennen (Ol en sc hl.
5. 125 mit „quod per istum nuper noscitur attentatum"
und S. 126 mit „contendit") *, und betont hier auch das
Recht des Pfalzgrafen. Solches wiederholte Eingehen auf diese
päpstliche Forderung mag sich daraus erklären, dafs der
zweite Prozefs dieselbe so besonders betonte. Damit ist aber
nicht beseitigt, dafs die ganze Anklage sich gegen den
ersten Prozefs wendet.
Warum nun Ludwig darauf verzichtet hat, in der Sachsen-
häuser Appellation noch einmal näher auf den Anspruch
der Kurie auf Approbation einzugehen, brauche ich füglich
nicht zu entscheiden. Notwendig war dies nicht, wenn er,
wie er es zur Genüge thut, nachwies, dafs der rechtmäfsig
Gewählte rechter König sei. Der Schwerpunkt der Beweis-
fuhrung liegt in der Sachsenhäuser Appellation darin, dafs
Ludwigs Wahl gesetzmäfsig und nicht in discordia geschehen,
die des Gegners ungültig sei. Ein solcher Beweis ist
1) Auch der Prozefs gegen Berthold von Mai Stetten vom 12. April
ist unbeachtet.
2) Man kann sagen: Ludwig kämpft hier gegen die Bulle von 1317
(vgl. das „contendit" ohne ein dicitur und Ol. S. 124 unten: „quod
se sacro imperio et nobis prius inimicum constituit").
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90
PRIESACK,
wirksamer, als wenn, wie in der Nürnberger Appellation, zu-
gegeben wurde, dafs lediglich bei einer Wahl in discordia,
und dann nur unter gewissen Bedingungen, dem Papste ein
Approbationsrecht zugestanden werden könne *.
3. Schaper bemüht sich endlich auch noch nachzuweisen
(S. 20), dafs für Ludwig die Bekämpfung des zweiten Pro-
zesses leichter und willkommener gewesen sei als des ersten.
Denn eine grolse Anzahl Fürsten sei mit der „Reichs-
entsetzung", die eben auf Grund jenes Anspruches (des
ersten Prozesses) erfolgt sei, einverstanden gewesen und habe
das Reich als erledigt angesehen. So mufste eine Bekämpfung
dieses päpstlichen Anspruches auf Approbation und Prüfung
der Wahl wenig vorteilhaft erscheinen. Ein merkwürdiger
Grund!
Dafs die Kurfürsten, die nach dem ersten Prozefs einen
Angriff des Papstes auf ihr Wahlrecht befürchtet hatten,
jetzt nach dem zweiten (und vor dem 26. Mai!) darüber
ganz beruhigt gewesen seien, ja jenen Anspruch als Motiv
für ihre Angriffe gegen Ludwig gern benutzten 2, steht im
schroffen Widerspruch zu den Thatsachen, wie sie durch
die Briefe vom 26. Mai, 3. Juni und die Erklärung im
Prozefs vom 11. Juli (vgl. meine Schrift: Reichspolitik
Balduins von Trier, S. 75 und 81 f.) bezeugt werden3.
1) Übrigens ging der betreffende Passus in der Nürnberger Appel-
lation auch nicht verloren. Denn auch in dem Falle, dafs die Sachsen-
häuser Schrift als Anklageschrift und Appellation an die Stelle der
Nürnberger Erklärung treteu sollte (s. unten), so ist dies doch nicht in
dem Sinne zu verstehen, dafs die letztere dadurch kassiert, aus der
Welt geschafft werden sollte, vielmehr wird ihr Vorhandensein ausdrück-
lich in der Sachsenhäuser Urkunde erwähnt, indem die in ihr enthaltene
„appellatio" in Sachsenhausen erneuert wird, s. P reg er, Anfange,
S. 124.
2) Denselben Anspruch nämlich , den der Papst doch eben im
zweiten Prozefs, um sie zu beruhigen, preisgegeben zu haben schien!
3) Nachher (S. 26 ff.) läfst dann Schaper die Kurfürsten durch den
zweiten Prozefs doch wieder in Unruhe geraten wegen des Anspruchs
des Papstes auf Rcichsverweserschaft ! Um ihre Bedenken zu besei-
tigen, schreibt der Papst seine Briefe vom 26. Mai und läfst im dritten
Prozefs diesen Anspruch ihnen zuliebe fallen, nimmt dafür aber wieder
den Anspruch von I (Prüfung der Wahl) auf!
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ZI U SACHSENHÄLSER APPELLATION.
91
Die Habsburger, deren Partei aber mindestens der Erz-
bischof von Mainz damals nicht angehörte l, suchten aller-
dings den Papst für Friedrich zu gewinnen, aber doch nicht
auf Grund der Entsetzung Ludwigs, sondern weil sie in
Friedrich den rechtmäfsig Gewählten sahen. Sie kommen
hier nicht in Betracht. König Johann träumte freilich von
der Gewinnung der Krone für sein Haus und gab sich den
Anschein, dafs er Ludwigs Einwilligung erlangen werde,
aber gewifs nicht deshalb, weil er und sein Oheim Balduin
die päpstlichen Rechtsansprüche anerkannt hätten.
AVenn wirklich die Kurfürsten die Bestätigungstheorie
der Kurie anerkannten, so wäre es zwecklos für Ludwig
gewesen, diese Ansprüche zu bekämpfen? Ich dächte doch,
Ludwig hätte alsdann um so mehr sein gutes Recht auf das
Königtum und das Unrecht des Papstes betonen müssen.
Er konnte dann ja die Kurfürsten, wenigstens die Luxem-
burger, darauf festnageln, dafs sie ihren eigenen Standpunkt,
den sie im Jahre 1314 eingenommen hatten, aufgaben. Die
Sachsenhäuser Appellation war doch nicht blofs für die Kur-
fürsten bestimmt, sondern auch für die anderen Stände, die
weltlichen Fürsten, den Adel und die Städte, die Ludwig
dann gegen die Kurfürsten zu seinen Gunsten in die
Schranken rufen mufste — Und der Nachweis der Unrecht-
mäfsigkeit des päpstlichen Anspruches war denn doch nicht
schwer zu fuhren, wo das Recht so klar auf Ludwigs Seite
war.
Aber Preger und Schaper übersehen in der wichtigsten
Beweisstelle der Appellation, aus der sie das „et processit"
und das „procedere gravius comminatur" heranziehen, die
Hauptsache, nämlich dafs hier als Inhalt eines künftigen
Processus, eines Vorgehens „de facto", das die Appellation
eben verhüten wijl, gerade die Exkommunikation genannt
wird. Der Satz lautet (Olenschl. S. 128): Ne autem
dictus Johannes, qui . . . contra nos et sacrum imperium
1) Müller (S. 137), auf den Schaper sich beruft, sagt das Gegen-
teil. Der Beweis für den Pfalzgrafen ist natürlich ganz unglücklich,
da er aus dem Oktober 1325 genommen ist.
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92
HUKSACK,
iam incepit procedere et processit, ut dicitur, ... et pro-
cedere gravius comminatur, . . . contra sacrum imperium,
nos et statum nostrum et iura imperii et nostra . . . prae-
latos, principes ecclesiasticos et mundanos etc. ... de facto
procedat, e x c 0 in m u n i c a n d o , interdicendo,
suspendendo, privando, transferendo vel alias quo-
modolibet ordinando . . . etc. Hier ist also ganz klar, dafs
der Prozefs vom 23. März entweder nicht gekannt ist oder
ignoriert wird.
Es bleibt also die auffallende Thatsache bestehen, dafs
Ludwig in der Sachsenhäuser Appellation vom 22. Mai nicht
nur den Inhalt des Prozesses vom 23. März unberück-
sichtigt läfst, sondern überhaupt das Vorhandensein dieses
Prozesses geflissentlich ignoriert, und seine Appellation und
Anklage nur gegen den ersten Prozefs richtet. Die po-
litischen Gründe, welche Ludwig hierzu bewegen konnten, hat
Preger selbst (S. 125 u. 128) genügend hervorgehoben.
Dagegen gestehe ich nun über die juristische Seite der
Frage aus den Erörterungen Pregers und Müllers (in der
Zeitschrift für Kirchenrecht) keine völlige Klarheit gewonnen
zu haben. Nachdem die von Preger ausgesprochene und
von Müller nachträglich acceptierte Voraussetzung, dafs die
Sachsenhäuser Appellation den zweiten (März-)Prozefs er-
wähne, beseitigt ist (und vollends die Behauptung, dafs sie
den zweiten direkt bekämpfe, sich als falsch ergeben
hat), stellt sich die thatsächliche Lage folgendermafsen dar:
Die Nürnberger Appellation am 18. Dezember erfolgte, weil
Ludwig sich das Rechtsmittel der rechtzeitigen Appellation,
welche eine aufschiebende Wirkung hatte, nicht entgehen
lassen durfte. Sie wurde aber nicht sogleich veröffentlicht,
weil man die Antwort des Papstes auf die Gesandtschaft
vom November erst abwarten mufste. Sie wurde dann, als
Anklageschrift, ersetzt durch die Sachsenhäuser Urkunde;
Veranlassung zu dieser Änderung sind die Prozesse vom
7. Januar und 23. März. Die Sachsenhäuser Appellation
am 22. Mai erfolgt faktisch als Gegenschlag gegen die
Bannsentenz vom 23. März, dem Inhalte nach ist sie nur
gegen das erste Rechtsverfahren gerichtet, aber — und dies
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ZUR SACHSENHÄ L'SEU A1TELLATION.
93
ist die gegenüber der Nürnberger Appellation veränderte
»Situation — nachdem der Papst dem Verlangen nach einer
Frist nicht entsprochen, sondern im Prozefs vom 7. Januar
das im Oktober eingeleitete Verfahren als gültig bestätigt
und in Kraft gesetzt hatte *.
Schafft nun die Appellation, indem sie das Vorhanden-
sein der gefällten Sentenz ignoriert, damit zugleich die
Fiktion, dafs sie vor Fällung bezw. Publikation der Sen-
tenz eingelegt ist? (Dies ist Müllers anfängliche Anschauung,
in Kampf Ludwigs d. B., Beilage 5, S. 357.) In diesem
Falle tritt sie dann wohl ganz an die Stelle der Nürnberger
Appellation * und ist zweifellos eine appellatio ante senten-
tiam. Oder aber — und dies scheint mir da3 Richtigere — :
nachdem Ludwig in Nürnberg rechtzeitig Appellation ein-
gelegt hatte, war nach seinem Standpunkt die Fällung der
Sentenz rechtsungültig (Preger). Wenn er nun die Sentenz
vom 23. März mit einer neuen Appellation und veränderten
Anklageschrift beantwortete, so konnte er diesen neuen Pro-
zefs als wertlos ignorieren und lediglich auf das erste Rechts-
verfahren eingehen. Ist nun aber in diesem Falle die Appel-
lation, wie Müller später (in Zeitschr. f. K.-R., S. 250) be-
hauptet, eine appellatio post latam sententiam?
Ich glaube, dafs die endgültige Beantwortung der Frage
nach dem Charakter der Sachsenhäuser Appellation noch
aussteht, nachdem die Arbeit von Schaper ftir die Erkennt-
nis des Thatsächlichen nur verwirrend gewesen ist.
1) Dies ist in der Appellation angedeutet durch die Worte: „et
processit, ut dicitur, nullo prorsus iuris ordine observato".
2) Doch aber nur im Sinne einer Erneuerung, gleichsam einer
zweiten Auflage, nicht aber einer Beseitigung der Nürnberger Urkunde.
Die Appellation wird wiederholt), die Anklage ist geändert. Die Nürn-
berger Appellation wird ersetzt, aber nicht entwertet.
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Die Tänzer von Kölbigk.
Ein Mirakel des 11. Jahrhunderts.
Von
Edward Schröder, Professor in Marburg.
Als im Jahre 1074 Lambert von Hersfeld auf Anregung
des Abtes Hartwig sich entschlofs, die Geschichte des Klosters
zu schreiben, nahm er unter die bemerkenswerten That-
giichen auch zum Jahre 1038 die Notiz auf1, damals habe
ein Mann Namens Iiuthart Heilung gefunden und sich dann
( jedenfalls als Laienbruder) dem Dienste des heiligen Wig-
bert geweiht, der seit 23 Jahren von einem heftigen Zittern
geplagt wurde: er habe nämlich zu jener Schar gehört, die
„zu Collebecce den berüchtigten Reigen aufgeführt hatte".
Die Ankunft jenes Leidenden liegt dem Eintritt Lam-
berts in das Hersfelder Kloster um zwanzig Jahre voraus,
fallt aber schon in die Zeit des Abtes Meginher (1035 — 1059),
dessen nachsichtige Milde dem jungen Lambert bald nach
seinem Eintritt (1058) zugute kam. Hat der Historiker den
alten Laienbruder selbst nicht mehr gekannt, so hat er doch
von seiner Person und seinem Schicksal leidlich zuverlässige
Kunde besessen. Wie schade, dafs er selbst oder die Aus-
züge, in denen allein dies Werk Lamberts, die Institutio
1) Inter sanatos advenit unus ex Ulis qui in Collebecce, quod
interpretatur „prunarum rivus", coream illam famosam dtixerant,
tremulus per annos iam viginti tres. Hic ibidem sanus f actus, Rut-
Itart nomine, sercicio sancti Wigberii sc tradidit. Lamberti Opera ed.
Holdor-Egger 351, laqq.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
95
Hersfeldensis ecclesiae, auf uns gekommen ist, so zurück-
haltend sind.
Die Zeitgenossen brauchten an jene „chorea faniosa",
den ruchlosen, furchtbar bestraften Tanz in der Christnacht
auf dem Kirchhofe zu Kölbigk, nur erinnert zu werden.
Dafs es ein wirkliches Vorkommnis aus der Regierungszeit
Kaiser Heinrichs II. war, wenn auch von erregter Phantasie
und demnächst von geschickter Mache ins grausige und
mirakelhafte gesteigert, unterliegt keinem Zweifel. Merk-
würdig nur, dafs die Geschichtsquellen jener Zeit im übrigen
ganz davon schweigen, obwohl sich unter ihnen der Fort-
setzer der Quedlinburger Annalen (MG. SS. III, 72 — 90)
befindet, der dem Schauplatz des Ereignisses, dem anhal-
tischen Orte Kölbigk, ganz nahe lebte und im übrigen für
schreckhafte und wundersame Geschehnisse aus der Zeit
zwischen 994 und 1025 so reges Interesse zeigt und so leb-
hafte Farben zur Verfügung hat. Man könnte daraus leicht
die Vermutung schöpfen, dafs die sagenhafte Umbildung nicht
direkt aus den Eindrücken erwachsen sei, die sich am Orte
selbst gebildet hatten.
Die Brüder Grimm, welche 1816 die Geschichte der „Bauern
von Kolbeck " in ihre „ Deutschen Sagen " aufnahmen,
schöpften sie lediglich aus thüringischen und hessischen Chro-
niken des 15. und 16. Jahrhunderts, und auch später sind
sie (2. Aufl. Bd. I, S. 275) nicht über Heinrich von Herford
hinaufgestiegen. Sie hätten zunächst über den westfälischen
Dominikaner noch einen niedersächsischen und einen thürin-
gischen Franziskaner, Albert von Stade und den Verfasser
der Erfurter Chronica minor stellen können: diese beiden
sind es, die um die Mitte des 13. Jahrhunderts das Kölbigker
Tanzwunder von 1021 zuerst in die Darstellung der deut-
schen Geschichte eingeflochten haben, wo es dann in mehr
oder weniger festem chronologischem Rahmen bis zu den
Tagen der Auf klärung weitergeführt worden ist und überdies
den verschiedensten Tendenzen und Weltanschauungen hat
als Exemplura dienen müssen.
Die Geschichte der Ausbreitung unserer Sage ist es, der
meine Untersuchung gilt : diese giebt sich also in erster Linie
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96
SCHttÖDKU,
als eine litterargeschichtliche, und ich hoffe, dafs ihre ge-
sicherten Ergebnisse auch der Erforschung anderer, nicht
nur ähnlicher Sagen zugute kommen, obwohl ich ausdrücklich
hervorhebe, dafs wir es hier mit Verhältnissen zu thun haben,
wie sie nicht oft wiederkehren.
Zwei Jahrhunderte hindurch hat sich die Verbreitung
des Mirakels fast ausschliefslich einzelner Pergamentblätter
bedient, deren Wortlaut mehr zufällig als Lückenbüfser oder
Anhang seinen Weg in Mischhnndschriften gefunden hat.
Zwei dieser Flugblätter geben sich als Berichte von Teil-
nehmern des unglückseligen Tanzes, und mit ihrer Vor-
führung leite ich sachgemäfs die nähere Bekanntschaft der
Geschichte ein.
I. Der Berloht des Oibert.
Ich kenne von ihm acht vollständige Fassungen, wozu
dann noch einige alte Umschriften von geringem textkri-
tischem Wert kommen.
1. Merseburg, Dombibliothek Nr. 96, perg. saee. XH—
XIII in 4 °, fol. 131 b. 132; vgl. Pertz Archiv VIII, 667f.;
abgedruckt durch F. W. E. Roth in den Roman. Forschungen
VI, 481 f.; über die Handschrift vgl. noch Roth, Die Visionen
und Briefe der hl. Elisabeth von Schönau (2. Aufl., Brünn 1886)
S. XXXVI-XXX1X. Roth behauptet, der Band stamme
aus dem Kloster Rcinhausen, offenbar weil nur in diesem
Codex die Briefe der hl. Elisabeth und des Ekbert von Schönau
an Abt Reinhard von Reinhausen (Roth, S. 150 und 318)
enthalten sind. Das Mirakel ist von anderem, aber wenig
jüngerem Schreiber als der Hauptinhalt der Handschrift auf
die drei letzten Seiten ohne Liiiiicrung eingetragen.
2. Leipzig, Stadtbibliothek, Handschrift CXCIV (oder
Rep. II, fol. 64) perg. saee. XIII in 4°, fol. 104b; vgl.
Naumann, Catal. libr. mss. qui in bibl. sen. civ. Lips. asser-
vantur p. 59. Die Handschrift enthält hauptsächlich das
Leben Heinrichs und der Kunegunde (fol. 1 b — 55 m) und das
der hl. Katharina (fol. 60b — 100*); das Mirakel ist auch
hier am Schlüsse nachgetrageij von einer Hand des 13. Jahr-
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DIE TÄNZER \'0N KÜLBIOK.
97
hunderte. Über die Herkunft der Handschrift war nichts
zu erfahren. (Mitteilungen den Herrn Dr. R. Wustmann
und eigene Einsichtnahme.)
3. Ehemals Kölbigk, Plakat in der Kirche, nach einer
altem Abschrift von Christ. Knaut in seinen Antiquitates
comitatus Ballenstadiensis et Ascaniensis (Cöthen 1698) p. 97sq.
publiziert Aus Knaut schöpfen Joh. Vulpius, Magnificentia
Parthenopolitana (Magdeburg 1702) S. 293 sqq. nnd Joh.
Ohristoff Beckmann, Historie des Fürstentums Anhalt (Zerbst
1710) S. 465. Der lateinische Anschlag, wahrscheinlich ein
Pergamentblatt, dessen Vorlage dein 13. Jahrhundert ange-
hörte, war schon 1698 verschwunden. Die Namensform Col-
bissc, die am Orte nie gebräuchlich war und daher von Vulpius
und Beckmann stillschweigend in Colbike resp. CoWicke geändert
worden ist, sich aber aus dem Colbizc anderer Handschriften
gut erklärt, beweist schon allein, dafs die direkte Vorlage
von auswärts importiert war; in Kölbigk selbst hat man dazu
eine deutsche Übersetzung anfertigen lassen, s. u.
'\ 4. Haag, Kgl. Bibliothek N. A. A. 78 (906) in 2° min.,
perg. saec. XIII. Inhalt nach dem offiziellen Katalog: fol.
1 — 11 Chronologia indc ab anno primo . . . usque ad annum
MCXCIX; fol. 12 — 21 Stücke aus Paulus Diaconus;
fol. 22 — 49 Teil einer Evangelienharmonie ; fol. 49 h — 50*
unser Stück: abermals am Schlufs des Ganzen. — Die
Handschrift (vgl. Archiv d. Ges. f. ält. deutsche Geschichte
VII , *430) rührt aus dem Besitze J. Burmanns d. J. her
und stammt wohl aus Nordfrankreich. Kollation verdank
ich Herrn Dr. Kofsmann.
^ 5. Paris, Bibl. nat. ms. lat. 18108, perg. saec. XIII,
eine wirre Saminelhandschrift theologischen , historischen,
poetischen Inhalts, über die Haure*au in seinen Notices et
Extraits VI (Paris 1893) p. 35 ft". handelt. Auf fol. 75
steht das Tanzwunder, abgedruckt a. a. O. 39 f.
. 6. Reims, Bibl. de la ville, ms. 1149 (früher K. 786/769),
perg. saec. XII, fol. 21 1 b. Inhalt der Handschrift Hei-
ligenviten, Visionen, Mirakel, s. Heller im Neuen Archiv
II, 310 f. (vgl. 269). Eine Kollation verdank ich der
Liebens Würdigkeit des Herrn Konservators Henri Jadart.
ZeiUcbr. f. K.-G. XVII. 1 u t. <
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98
SCHRÖDER,
v 7. Paris, Bibl. nat. ms. lat 5129, perg. saec. XII — XIII,
fol. 67 b. 68*. Der übrige Inhalt der Handschrift : fol.
1 — 54 b Roberti monachi Historia Hierosolymitana ; fol.
54 »> — 66* Descriptio locorum circa Hierusalem adiacentium ;
fol. 66 Nomina episcop. Hierosol.; fol. 67 b col. 1 ein Frag-
ment aus Bedas Expositio in ev. Marci; dann unsere „ Re-
latio miraculi in regione Saxonum facti tempore sancti Heri-
berti Coloniensis archiepiscopi " ; fol. 68 b Gedicht auf die
Einnahme Jerusalems, beginnend : Hierusalem luge medio do-
lor Orbis in orbe; fol. 70* De situ urbis Jerus. ; fol. 71*
Historia episcopi Gilonis Cardinalis de uia Hierosol. ; fol. 86 b
Hildebertus Cynoniaunensis de operibus VI dieriun; fol. 88*
leer; fol. 88 b Nomina episcop. Roman.; fol. 89 b Descriptio
sanctuarii Latcranensis ecclesiae; fol. 94* Versus Cyno-
mannensis epi de nummo, aquila etc.; fol. 106 b Passio
S. Victoris martyris (mit Prologus Marbodi Andegavensis) ;
fol. 113b Expositio doraini Gosleni Suessorum epi in Sym-
bola; fol. 121* Verse über Eccl. 1, 1 ohne Uberchrift;
fol. 126 b De excidio Troiae (mctr.); fol. 127 Historia Hil-
deberti Cinomannensis epi de Mahumeth (mctr.); fol. 135 b
ohne Überschrift ein weiteres Gedicht. — Diese ausführ-
lichen Angaben sowie eine genaue Kollation hat mir Herr
Pfarrer Lic. Dr. Erwin Preuschen gütigst besorgt. Nach
Delisle, Cabinet des mss. II, 458 stammt die Handschrift
aus Valenciennes, aus der alten Bibliothek von S. Amund;
der alte ebenda 149 — 458 gedruckte Katalog verzeichnet
sie als Nr. 315 ganz am Schlufs unter den Büchern, die der
Verfasser des Katalogs selbst geschenkt hat.
8. Brüssel, Bibl. royale nr. 9823—9834, perg. saec. XII
ex, fol. 146 b— 147 b. Inhalt nach dem Archiv d. Ges. f. ält.
deutsche Geschichte VII, 431 u. a. aj Roberti Historia
Hierosol., b) Fulcherii Historia Hierosol., e) Descriptio locorum
circa Jerusalem, d) unsere Relatio miraculi in regione Saxo-
num facti. — Unser Stück ist gedruckt im Catalogus codd.
hagiograph. bibl. reg. Brnx. der Bollandisten II, 382 — 384.
[9. Bern. Wittius (Mönch zu Liesborn) in seiner Hi-
storia ant, occid. Saxoniae seu nunc Westphaliae (verfaist
ca. 1517, gedruckt Münster 1778) s. 239 ad annum 1013
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DIE TÄNZER VON KÜLB1GK.
99
benutzte offenbar direkt eine vollständige Handschrift, aus
der er indessen die Person des Otbert und den Tenor der
Berichterstattung beseitigte.
[10. Wilhelm von Malmesbury schaltete (noch vor
der Mitte des 12. Jahrhunderts) in die sagenhafte Partie
seiner Gesta regum Anglorum Lib. II, 174 (ed. Stubbs
I, 203 f.) zum Jahre 1012 den Bericht des Otbert als sol-
chen mit geringen Kürzungen ein, überschrieb ihn „De viris
et feminis choreas ducentibus" und rechtfertigte ausdrück-
lich die annähernde Beibehaltung des Wortlauts ,.
Meine Nachforschungen sind keineswegs planmäfsig auf
die Beschaffung des gesamten handschriftlichen Materials
gerichtet gewesen; ich halt es sehr wohl für möglich, dafs
aus lateinischen Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts,
besonders in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden,
aber auch in England, noch mehr Texte zutage kommen.
Wenn der anglonormannische Dichter Wilhelm von Wa-
tlington aus Yorkshirc 2, der zu Ende des 13. Jahrhunderts
das Tanzwunder ohne weitere Ortsangabe in seinen „Manuel
des pechiez" V. 6874—6946 aufnahm, im Eingang die ver-
blüffende Quellenangabe macht:
6886 En le itineruire de seini Clement,
Que fu de si beal document,
Une cunte de mult grant pite
Encuntre tieh auum troue,
so erklärt sich dies einfach damit, dafs er den Bericht des
Otbert als Blattfüllsel in einer Handschrift des Itinerarium
S. Clementis, d. h. der lateinischen Kecognitionen gefun-
den hat.
Auf ahnliche Weise dürften auch Albert von Stade und
der Erfurter Minorit zur Kenntnis eines Exemplares gelangt
sein: sie sind, wenn wir von dem westfälischen Benediktiner
1) aao. § 173 . . . Quod profecto erit ioctindius si ab antiquitate
scriptum iUius qui passus est apposuero; simul et propius vero vide-
bitur quam si meis texuissem Utteris. Praeterea non indecens aestimo
si multicolori stilo varietur oratio.
2) Vgl. über ihn ausfuhrlich G. Paris, Hist. litt, de la France
XXVIII, 179 ff.
7*
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100
SCHliÖDEU,
Bern. Witte zu Ausgang des Mittelalters absehen, die letzten,
welche den „ Orlginalbericht " Otberts direkt benutzt haben;
weiterhin geht die Kenntnis dieser Fassung zum kleinem Teil
auf eben sie, zum gröfsern auf Yincenz von Bcauvais zurück,
der seinerseits den Wilhelm v.Malmcsburv ausgeschrieben hat.
Unter den obigen 8 resp. 10 Hss. repräsentieren 6. 7. 8
auf den ersten Blick eine besondere Gruppe, die sieh als
„neue Ausgabe" durch den interessanten Schlufszusatz zu
erkennen giebt: ihre Vorlage entstand in denigrofsen norman-
nischen Kloster Mont-Staint-Michel, nachdem das Exemplar,
welches landfahrendc I^entc mit sich geführt, durch „Schweifs
und Alter" unleserlich geworden war; sie hielt sich im übrigen
an den Wortlaut des Originals, ihre Verbreitung scheint
auf Frankreich beschränkt zu sein.
Von den übrigen Hss. gehören zunächst 1 und 2 eng
zusammen, es sind wohl Abschriften der gleichen Vorlage.
Sie weisen vielfach die gleichen, und nicht blofs sehr ver-
breitete Abkürzungen auf oder setzen sie in ihren Verderb-
nissen voraus: unter diesen tritt der unsinnige Fehler Z. 7
dum (du) für Domini (dfii) besonders hervor. Ihnen am
nächsten steht 3 (vgl. bes. Z. 28), das seinerseits (wir kenneu
es freilich nur aus Knauts Abdruck!) voller Fehler, aber
doch wieder frei von gewissen Schnitzern von 1. 2 ist Zu
dieser deutschen Handsehriftenfamilie gehörten allem An-
scheine nach auch die Vorlagen des Bern. Witte und des
Wilhelm von Malmcsbury [9. 10J.
Eine dritte Gruppe wird durch die Hss. 4. 5 gebildet:
zu ihr gehörte auch die Vorlage der neuen Ausgabe, welche
6. 7. 8 repräsentieren.
Wo also 1. 2. 3 mit 4. 5 oder aber mit 6. 7. 8 zusam-
menstimmen, sind die übrigen Lesarten für die Konstituierung
des Textes gleichgültig; wo sich 1. 2. 3 (die deutsche Gruppe)
einerseits und 4. 5 -f- 6. 7. 8 (die französische Gruppe) ander-
seits gegenüberstehn, könnte nur der Wert der Ijcsart entschei-
den. Ich zieh' es vor, den Text der deutschen Gruppe, von
erkennbaren Fehlern gesäubert, zu geben und in den Les-
arten durch Sperrdruck hervorzuheben, was für die fran-
zösische Gruppe charakteristisch ist
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
101
TEXT.
Ego peccator nomine Othbertus, etei vollem tegere peccatum
meum, indicium esset mearum inquietudo venarum et motus
membrornm. Qnod nt qnisque cognoscat ob quam causam acciderit
et nt mihi pro Deo impendat elemosinam, legere yolentibus per
5 ordinem pandam. Eramus X et VIII, XV viri et tres mulieres,
in villa Colbizce regionis Saxonicae, ubi sanctns Magnus marti-
rium consummavit. Qui in sanctissima nativitate Domiui expletis
matutinis cum missarum sollempniis interesse deberemus, suadente
diabolo choros in cimiterio duximus. Presbiter vero nomine
•o Rüthbertus iam primam missam inchoaverat, sed heu! ita nostra
cantilena impediebatur, ut idipsum inter sacra verba personaret.
Commotus hac importunitate nos adiit, monens ut quiescentes a
tali opere ecclesiam intraremus. Spretus ergo a nobis hac im-
precatus est yoce: „Utinam potentia Dei et merito sancti
15 Magni martiris sie inquieti annum cantando ducatis." Nos eins
verba snbsannantes perstitimus cantantes. Erat vero una trium
mulierum filia presbiteri nomine Mersint. Quam iussu patris
frater ipsius mulieris vocatus Johannes brachio apprehendens
conabatnr a choro retrahere. Sed mox brachium a corpore abs-
traxit; attamen una gutta sanguinis non manavit. Quodque est
Überschrift: Miraculum sancti Magni martiris (rot) 1; darauf: Mira-
culum inauditum quod evenit moderno tempore in Saxonia in monasterio
sancti Magni martiris regnante Heinrico imperatore 1. 2. 3; Relatio mi-
raculi in regione Saxonum facti tempore sancti Heriberti Coloniensis
archiepiacopi (6 bis facti) 7. 8; fehlt 4. 5.
Prolog: Omnibus Deum diligentibus et magnalia eius magnificando
amplectentibus universus Saxonicae regionis (regionis Saxonicae 6) po-
pulus divina expertuB miracula nuperrimis temporibus inaudita ex quo
primus homo est conditus prosperitatem transitoriae huius vitaeqne
caelestis perennitatem angelicis cum civibus 6—8.
i. Otpertus 3. Otbertus 7. Odbertus G. Osbertus 5; Stephanus 4
si 5 — 2. indiciä d. i. indicium 1; indicio 4—8 — 3. membrornm
motus 3. nnusquisque 6 agnoscat 7. 8 culpam 4—8 — 4. et
— impendat fehlt 3 elemosinam (e. orationis 7. 8) pro Deo impendat
6. 7. 8 — 5. X et VIII fehlt 5 quindeeim scilicet 4—6. Colbisse 3.
Colouize 4. 6. 7. 8. Coleuze 5. m. c] consummavit martyrium 5;
magna venera tione recolitur 3. — 7. Domini] da 1. 2. dum 5 —
h. cum fehlt 5 sollemniis 4. 6—8. solemniis 5. solennis 3 —
9. choros in coemeterio duximus suadente diabolo 5 eimeterio 7.
<*aemiterio 3 presbyter stets 4—8 — 10. Ruetpertus 3; Robertus
4 — 8 — 12. imp.J importnnitate nostra 6—8 monens nos 1. 3. 4.
6 — 8 — 13. opere] insania 6 — 8 — 16. annum ducatis cantando 4;
cantando annum ducatis 5—8 Nos — cantantes fehlt 3 — 16. per-
sistimus 4 una tr. roul.] in a tri um mulier 4 — 17. praedicti
(praedicta 4) presbyteri 4—8 Mersent 5—8. Mersenz 4. Mer-
3 — 18. frater unleserlich 1 Ioannes vocatus 5 apprehendens]
tenebat 4 — 19. conabatnr bis Z. 21 brachio fehlt 4 — 20. ac tarnen 2
est fehlt 6. 8
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SCHKÖDEK,
mirabile dictu, sine brachio nobiscum cantando et terendo pedibus
secundum imprecationem presbiteri annum peregit. Ergo VI
mensibus evoiutis usque ad genua terre immersi sumus, post
annum redounte eadem sanctiasima nativitate Domini usque ad
26 latera dimersi in circuitu choros duximus. Et tunc per dominum
et sanctum Herbertum Colonie civitatis episcopum Christo volonte
liberati sumus. Idem ad nos eadem die nativitatis veniens et
orationem super nos complens a ligatura, qua invicem manu ad
manum tenebamur, solvit nos, et ante altare Sancti Magni pre-
so ciosi martiris ecclesie reconciliavit. Sic demam gravissimus sopor
invasit nos atque ibi ante altare obdormivimus et tribus diebus
cum tribus noctibus, Deum testamur, continue dormivimus. Unus
ergo ex nobis, Jobannes nomine, cum supradicta presbiteri filia
et com duabus aliis feminis ante ipsum altare prostrati terre
3& statim spiritum emiserunt. Post excitationem nostram ad propria
reversi accepimus cibnm, et ita bactenus tremor membrorum in
signo recordationis vel potius approbationis non nos deserit.
Sic in toto illo anno non manducavimus neque bibimus nec
sompnum cepimus nec pluvia irrigati sumus. Nichil sensimus,
4 0 nichil egimus, quam cantantes sine sensu fuimus. Frequenter
super nos fabrica tecti ob arcendas pluvias erigebatur, sed hoc
nutu Dei dissipabatur. Vestimenta nostra et calciamenta non
sunt attrita, nec ungule capillive in modico crevere, sed ita ut
^cepimus insensati per totura annum mansimus. Aliqui iam ex
4 5 nobis obierunt et miraculis choruscant, aliqui liberati Deo laudes
decantant.
21. dictu mirabile 6—8 uobiscum 4 tremendo 5 — 22. pere-
gimus 4 — 23. ad fehlt 4 omorsi 3 — 24. annum rodeuntej agnunü (V)
rodeuntem 4 sacratissiroa 1. 2 — 25. demersi 6—8; demersi sumus 5;
dimersi sumus et 3 circuitu] amictu 3 tunc feJdt 5 dorn, et
fehU 4 — 26. Heribertum 4. 5. 6. 8; H. Col. civ.] Col. civ. Horbertum 7
Christo volento fehlt 5 — 27. ita liberati 4-8 Idem] Isdem 4;
Idcirco 3 eodem 4 uat. Domini 4. 6 — 8 — 28. complens super
nos 5 litura (über dem i verwischte letter l) 1. 3 — 29. nos et] et
nos 4 martyris preciosi 4. 6; preciosi fehlt 3 — 30. ecclesie fehlt
1— 3 gratissimus 4 — 8 1 . atque ibi 4. 6—8] nur atque 5 ; nur et 1 —3 ;
et fehlt 4 — 32. Deum testamur] et Dominum testamur qnod 4; fehlt
ganz 1 — 3 continuo obdormivimus 3. 4 — 33. ex] e 3 nomine
Iohannes 4. 5. 6 praedicta 4 filia presbyteri 4. 6. 8; filia
fehlt 5; nur filia, presbyteri — feminis fehlt 6 — 34. cum fehlt 3 aliis
duabus 4 — 8 altare fehlt 1. 2 — 35. spiritum statim 6—8 —
36. eibum accepimus 5 actenus 1 — 37.- Signum 3 non deserit
nos 4 — 38. anno illo 6—8 non] nec 5 — 39. somnum 3. 5. 6—8
nihil 3. 5. 6. 8 — 40. quam (q)] quia 4. 7. 8 — 4t. nos fehU 6 ob]
ad 2. 4. 6. 8 hoc] haec 4 — 8 — 4 2. nostra et calc] atque cal-
ciamenta nostra 4 — 8 non sunt attrita fehlt 6 — 8 — 4 3. unguli
5; ungula 6—8; ungues 3 nec capilli 4 in modica 3 creve-
runt 3—8 ut ita 7 — 44. ex nobis iam 6; ex nobis fehlt 4 — 45. co-
ruscant 3. 5. 6. 8 alii 4.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
103
Acta sunt hec anno incarnationis Dominice BT XXr indictipne
quarta regnante Heinrico secundo.
Hec littere date sunt nobis a domino Peregrino Coloniensi
so episcopo, domini Herberti snccessore venerando.
4 7. sunt fehlt 6—8 dominicae incarnationis 4. 6—8 — 2. mit
millesimo vicesimo primo schliefst 5; inc. — secundo] Domini
1005 regn&nte Henrico, anno sui imperii secundo 3 — 4 9. 50. Hec — vene-
rando] fehlt 4. 5. [in 3 nur bei Knaut und Vulpius, während Beck-
mann, der sonst Vulpius abschreibt, diesen Schlusssatz nachtrugt] ;
statt dessen: Has litteras in monte sancti Michaelis (Mtchahelis 7) die
octavaruro epiphaniarum fecimue, quia priores qnas portabamus
nimio sudore ac vetustate comiptao erant, quas nobis dominus Peregrinus
(ubergeschrieben: pilegrinus 7, vel Pilegrinus 8) Coloniensis episcopus
prefati domini Heriberti (Herberti 6) successor fecerat venerandus 6. 7. 8.
Ich habe oben die deutschen Hss. vorangestellt und
ihre Lesart besonders in zweifelhaften Fällen der Wort-
folge bevorzugt, für die Schreibung namentlich 1 zugrunde
gelegt, — durchaus nicht, weil ich ihnen, die sämtlich in der
thüringisch - sächsischen Heimat der Sage zutage getreten
sind, darum von vornherein eine höhere Autorität zuspräche.
Aber ich glaube allerdings, dals die deutschen Hss. und
speziell 1 weniger Zwischenstufen durchgemacht haben: die
z. Tl. nicht gewöhnlichen Abbreviaturen, die wir hier noch
bewahrt finden, bin ich geneigt, dem Archetypus bereits zu-
zuschreiben. Die Abkürzung indicifi (Z. 2) in 1, die sich
hier in triü, brach iü wiederholt *, liefert die einfachste Er-
klärung für das indicio 4—8; das tironische 9 für co(n),
das in 1 oft wie a aussieht, erklärt das agnoscat 7. 8, aus
q = quam (Z. 40) konnte am leichtesten quia 4. 7. 8 entstehn.
Diese Erklärungen sind nicht notwendig, aber wo sie sich
förmlich aufdrängen, wird man sie nicht zurück weisen.
Keiner der beiden Hauptgruppen lassen sich absicht-
liche Änderungen oder Zusätze nachweisen: die Auslassung
des fast notwendigen ecclesie (Z. 30) und des Deum testa-
mur (Z. 32) wird man 1—3 unbedingt zutrauen; die Vor-
lagen von 9 und 10, welche diese kleinen Lücken teilen,
stellen sich schon dadurch zur deutsehen Gruppe, ihre Les-
arten aufzuführen hatte keinen Wert.
Was das Alter angeht, so reicht keine Hs. über Wil-
1) Sie ist mir — and kundigem Freunden! — sonst nie begegnet.
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104
SCHRÖDER,
heim von Malmesbury hinauf; dieser zweifelt nicht an der
Authenticität des Berichts, und dafs er hoch ins 11. Jahr-
hundert hinaufreicht, erkennen wir sofort an der unbedenk-
lichen Art, wie dem würdigen Priester Sohn und Tochter
beigelegt werden ; nach dem Durchdringen der gregorianischen
Reformen war dies Familienbild unmöglich.
Wir dürfen aber getrost noch weiter gehn: diejenigen,
welche den Bericht persönlich verbreiteten, gaben sich als
Teilnehmer jenes Tanzes, den ihr angeblich von Erzbischof
Piligrim von Köln (1021 — 1036) autorisiertes Pergament
ins Jahr 1021 setzte.
Was waren das für Leute? Die Erneuerung von Mont-
Saint-Michel (6 — 8) läfst es uns am deutlichsten erkennen:
es waren fahrende Bettler, Ncrvenleidende , Epileptiker,
Neuralgiker — vielleicht auch bare Simulanten, die ein
wirkliches oder geheucheltes Leiden mit der furchtbaren
Gottesstrafe jenes jahrlangen Tanzes zusammenbrachten. Sie
reisten offenbar zu mehrern und hatten wohl einen Führer,
der sich gelegentlich selbst als den Verfasser oder richtiger:
als den direkten Gewährsmann des geschriebenen Berichtes
vorgestellt haben mag, den er dem Pfarrherrn, Abt oder
Propst, bei dem sie vorsprachen, zu überreichen pflegte. Man
beachte, wie das Schriftstück mit Ego peccator nomine
Othbirtus ut mihi pro Deo impendat clemosinam1
einsetzt, und schliefst Hec lifterc date swit nob 'ts a domino
Peregrino, und wie die Rezension von Mont-Saint-Miehel in
ihrem Schlufswort an diesem Plural festhält. Gewifs ging der
„fromme Betrug'* nicht ursprünglich von Leuten aus, die auf
der Bildungsstufe der Kölbigker Bauern standen, aber die Ver-
breiter des Berichts werden die Angabe oder Fiktion seines
Urhebers, dafs sie nicht lesen und sehreiben könnten, stets
aufrecht erhalten haben: der Führer las nicht etwa vor,
sondern er überreichte sein Pergamentblatt ,,l<gercvolentibusu.
,,Has litteras nobis dedit" etc. hiefs es zum Schlufs — und
feeimus" sagen die Urheber der Erneuerung
6 — 8 , denen das alte Exemplar, das sie mit sich herum-
1) Der ZuBatz orationis 7. 8 ist eine rein litterariaehe Variante!
1>IK TÄNZER VON K< »LBIGK
105
geführt hatten, durch Schweifs und Alter ruiniert war. Und
wenn ihr schriftkundiger Helfer in dem neu hinzugefügten
Prolog trotz Beibehaltung der Jahreszahl 1021 noch von
,,nuperrimis tcmporibus" redet, so kann selbst diese Redak-
tion nicht allzu lange nach dem wirklichen Vorfall ent-
standen sein.
Ihre Herstellung in einem normannischen Kloster 1
scheint festzustehen. Aber die Leute, denen man hier ihren
Bettelbrief erneuerte, gaben sich doch als Sachsen, und in
Sachsen wird man am ersten den Ursprung des Scliriftstücks
suchen wollen. Mit Unrecht. Zunächst ist Kölbigk selbst
ausgeschlossen, denn wenn auch die Namensform CoVnzce
der deutschen und selbst Colovize der französischen Hss.
sich gut vereinen lassen mit denen, welche im 11. und 12.
Jahrhundert urkundlich bezeugt sind 8 ; wenn es auch richtig
ist, dafs die Kirche des Ortes wie spater das Kloster unter
dem Schutze des heiligen Magnus stand, neben dem der
heilige Stephan mehr und mehr zurücktrat 8, so ist doch die
Angabe „tibi sanctus Magnus martirium consummnrit" völlig
aus der Luft gegriffen. Niemals ist auf deutschem Boden
ein heiliger Magnus gemartert worden oder hat es eine der-
artige Legende gegeben. Unter den verschiedenen Heiligen
dieses Namens kommen für Deutschland nur der ober-
schwäbische Einsiedler „Sanct Mang", dessen Tag auf den
6. September fällt und die verschiedenen S. Magni in Frage,
die sich um den 19. August streiten. Sanct Mang ist von
Oberdeutschland aus nur in die Kaiendarien der nordwest-
lichen Reichshälfte vorgedrungen (vgl. Grotefend , Zeitrech-
nung, Bd. II): Mainz, Köln, Lüttich, Hamburg haben unsern
Namen für beide Tage verzeichnet. Lübeck, Hildesheini,
1) Es giebt freilich in Frankreich und Deutschland der Michaelsberge
viele, aber wo in franzosischen Hss. so ohne Beisatz von Möns S. Michaelis
die Bede ist, wird man in erster Linie an das grofse, reiche und litte-
rarisch thätige Kloster der Nonnandie denken.
2) Cod. dipi. Anhalt. I 88: Chokbize (1036), 93: Cholibez (1043),
216 f.: Kolbxcensis (1142) - 227: Cholwize (1144) u. s. w.
3) In den spätem Urkunden, welche das aus dem 16./17. Jahrhundert
stammende Copiarium von Kölbigk zusammenfafst, heifst es immer nur
ecclesia (cenobium) saneti (beatx) Magni mariiris.
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106
SCHttÖDEli,
Magdeburg, Merseburg (Hs. 2, die älteste bei Grotefend), Halle,
Goslar, Halberstadt kennen einen heiligen Magnus nur zum
19. August. Es ist offenbar derselbe, dem 1031 die für die
Entwickelung der Stadt Braunschweig so bedeutungsvolle
S. Magni-Kirche geweiht ward, und nach dem Herzog Or-
dulf von Sachsen seinen Sohn nannte. Ob wir dahinter
den unter Decius und Valerianus gemarterten italienischen
Bischof oder den früh mit ihm zusammengeworfenen Mär-
tyrer von Cäsarea unter Aurelian zu suchen haben, und
weiter, ob es der ersterc ist, dessen Gebeine friesische
Männer zur Zeit Karls (Jos Grofsen aufgefunden und auf
göttliche Mahnung nach Rom gebracht haben sollen, das
bleibt hier für uns gleichgültig1. Ein im Harzgebiet ge-
marterter S. Magnus ist ein Unding.
Das hat denn auch der Kölbigker Stiftsgeistliche, der
im Ausgange des MA/s eine Fassung unseres Berichts (3) in
der Kirche anbringen liefs, empfunden : er änderte den Satz
(tibi sanetus Magnus) martirium consumtnavit einfach ab
in . . . magna veneratiotw recolitur.
An etwas anderm, was die Abfassung des Berichts für
die ganze Halberstädtcr Diöcese zu verbieten scheint, nahm
auch er noch keinen Anstofs : mitten im AVinter, zur Weih-
nachtszeit erscheint hier , an der östlichen Grenze des
Mainzer Sprengeis der Erzbisehof von Köln, um das
gottgewollte Wunder zu vollziehen! Und zwar ist es jener
Heribert, der bis kurz vor seinem Tode (16. März 1021)
von Heinrich II. als sein ärgster Feind behandelt wird*: er
betritt als Wunderthäter einen Boden, den Kaiser Heinrieh
bald darauf dem Bistum Bamberg geschenkt hat Mit Recht
haben sieh spätere niedersächsische Geschichtsschreiber nach
einem berufenem Wunderthäter umgesehen: die Magde-
burger Schöppenchronik (Deutsche Städte-Chroniken VII, 90)
nennt den „bischop van Meinze", und die beiden Braun-
schweiger Herman und Konrad Bote fügen dem ungenannten
Mainzer noch „sunte Berwerd to Hildessem" hinzu.
1) Vgl. über diese und andere heilige Träger des Namens AA. SS.
Aug. III, 70t ff.
2) Hirsch-Bresslau, Jahrbücher Heinrichs II., III, 176 f.
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DIE TÄNZEK VON KÖLMGK.
107
Weist uns Erzbischof Heribert aus der Halberstadter
Diöcese hinaus, so wäre es doch voreilig, nun direkt auf
Köln zu raten. Wir besitzen eine Lebensbeschreibung des
heiligen Heribert, sogar aus einer Zeit, die den angeblich
von Heriberts Nachfolger Piligriin autorisierten Bericht des
Otbert bereits gekannt hat: der Deutzer Mönch Lantbert
hat sie (vor 1060) geschrieben und Rupert von Deutz hat
sie, ehe er Abt ward (also vor 1117), überarbeitet1. Aber
obwohl hier zur Erhöhung des Heiligen und seines Erz-
stuhles mit Wundergeschichten nicht gespart wird, bleibt
das Heilungswunder von Kölbigk unerwähnt, und erst einem
spätem Epitomator blieb seine Einschaltung vorbehalten:
Cod. Brux. 8515, daraus abgedruckt im Catal. codd. mss.
hagiographic. bibl. reg. Bruxell. der Bollandisten n (1889),
383. Also zu dem offiziellen, von der Kölner Kirche an-
erkannten Wunderbestande hat die Geschichte nicht gehört,
und so kann es nicht wunder nehmen, dafs die Person
Heriberts auch später in den kölnischen Drucken des
„Seelentrosts" fehlt.
Eine weitere Beobachtung erregt Bedenken gegen die Ab-
fassung des Otbert-Briefes innerhalb des deutschen Sprach-
gebiets überhaupt. Von Personen nennt unser Bericht aufser
dem Gewährsmann Othbertus und dem Priester Rüthbertus
nur noch des Priesters Tochter Mersint und zwei Träger des
Namens Johannes: den Sohn des Priesters und einen der
tanzenden Bauern. Nun kommt dieser Taufname wohl ver-
einzelt auf deutschem Boden seit dem 1 1 . Jahrhundert vor, aber
er bleibt doch im Innern Deutschlands noch Jahrhunderte hin-
durch selten — und erscheint bei einem sächsischen Freibauern
völlig undenkbar. Jm Codex diplomatiens Anhaltinus tritt er
nicht vor dem Jahre 1256 auf (s. d. Register in Bd. VI, S. 138).
Wesentlich früher als hier und in Oberdeutschland ist er
am Niederrhein in Brauch : in den Kölner Schreinsurkunden
des 12. Jahrhunderts, welehe Höniger herausgegeben hat,
erscheint er schon recht oft, vgl. das Register in Bd. II 2,
S. 180 f. und die Grofsbürgerlisten ebd. S. 37, wo ebenso
1) MG. SS. IV, 739-753; vgl. Wattenbach, Geachqq. IP, 137.
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108
SCHRÖDER,
viele Johan(nes) wie Lambreht stehn. Wie fast alle grofsen
und kleinen Kulturwellen dieser Zeit komrut auch diese
Mode aus Frankreich und hat ihren Weg über Ix)thringen
und die Niederlande genommen : dort ist der Name Johannes
schon im 10. und 11. Jahrhundert massenhaft zu finden.
Ein Autor aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts, der
unbedenklich zweimal zu diesem Namen greift, darf nach
meiner Empfindung nicht auf deutschem Sprachgebiet ge-
sucht werden : im romanischen Grenzgebiet mag er zuhause
gewesen sein1, vielleicht im Bistum Lüttich, das ja zum
Sprengel Kölns gehörte und wo uns die doppelte Bezug-
nahme auf Heribert und Piligrim nicht auffällig erseheint.
Auf die Vorgeschichte des Berichtes geh ich zunächst
nicht ein, seine Bedeutung für die Verbreitung der Sage
aber will ich schon hier erledigen. Gewifs haben sieh
Stiftsgeistliche und Mönche frühzeitig Abschriften von dein
kecken Machwerk genommen, aber der Englander Wilhelm
von Malmesbury stellt doch auf lange hinaus mit seiner
Verwertung in einem Geschichtswerk isoliert da, bis gegen
die Mitte des 13. Jahrhunderts Franciskaner und Domini-
kaner, jene selbständig, diese mit direkter Benutzung seinem
Beispiel folgen.
Albert von Stade begann sein Geschichtswerk kurz
nach dem Eintritt in den Minoritenorden (1240): er fand im
Kloster offenbar ein Exemplar unseres Schriftstücks vor, das
er zum Jahre 1021 grofsenteils wörtlich aufnahm, natürlich
mit Beseitigung des Ich - Berichts (MG. SS. XVI, 313,
22 — 45). Unter den sonstigen Änderungen ist bemerkens-
wert die Art, wie er die abenteuerliche Behauptung des
Schlufses, einige der Tanzer hatten nach ihrem Tode Wun-
der 2 gethan, abschwächt:
1) Darauf würde auch die Form -Mersent fuhren, die ich freilich
nicht in den Text gesetet habe : sie wird aber von der französischen
Handschriftengruppe geboten und (als Merset) von Meraet 3 vorausge-
setzt.
2) Die Bollandisten haben daran begreiflicherweise den ärgsten An-
stofs genommen.
DIE TÄNZEli VON KÖLHIGK.
109
Otbert: Alb. v. Stade:
Aliqui iam ex tioiris ofrie- Aliqui se emendaverunt et
runt et miraculis chorttscant, yrofecerunt in tantum, ut ex
aliqui liberati Leo laudes divina gratia post mortem
decantant. miraculis clwruscarent.
Die für 1. 2. 3 charakteristische Auslassung von ccclesiae
(reconeUiavit) und die Namensformen, besonders Cotbiece, be-
weisen die Zngehörigkeit der Vorlage zur deutschen Gruppe.
Entstellt ist der Name des Priesters: Egberttis; bemerkenswert
die Sclu'eibung Mcrswindis, weil sie bei Alberts Erfurter
Ordensbruder wiederkehrt. Aus dem Stader Chronisten
haben jüngere Geschichtschreiber der benachbarten Hanse-
städte die Sage abgeschrieben, so die Annalcs Hamburgenses
(bis 1265, Qucllcnsammlung der Gesellschaft für Schleswig-
Holstein-Iiaucnburg. Gesch. IV, 410) und noch wörtlicher
die Historia archiepiscoporum Bremensium bei Lindenbrog,
Script, rer. Germ. sept. (ed. Hamburg 1700), S. 76 f. Spater
hab ich nur noch eine unsichere Spur des Stader Annalisten
bei Alb. Krantz (f 1517) gefunden.
Etwas knapper ist der Auszug, den bald darauf der na-
menlose Erfurter Autor der Chronica minor (er ge-
langt bis 1261) seinem weitverbreiteten Werke einverleibte:
zum Jahre 1020, MG. SS. XIV 188, 22 ff. Von seinen
Änderungen sind die folgenden bemerkenswert: 1) er hat
aus Ortskunde die damals zur Geltung gelangte Namens-
forra Colbeke (vgl. z. B. Cod. dipl. Anhalt. I, 493 v. ca.
1190) eingeführt und die nähere Bestimmung Halberstatensis
dioecesis beigegeben; 2) er hat den „Otpertus", indem er
ihn der Rolle des Berichterstatters entkleidete, dafür zum
Führer des Reigens gemacht; 3) er hat die Episode mit
Sohn und Tochter des Priesters als anstöfsig beseitigt, aber
den Namen der „Merswind" (vgl. Alb. von Stade) unmo-
tivierterweise doch beibehalten (tribus feminis, quarum una
vocabatur Merswind); 4) er hat die zweifelhaften Wunder
der seligen Tänzer unterdrückt. An diesen vier Ver-
schiebungen, besonders aber an 1) und 2) erkennt man leicht
das direkte und indirekte Gefolge des Erfurter Chronisten:
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110
SCHRÖDER,
er hat die Sage erst in die thüringisch-sächsische Geschicht-
schreibung hineingetragen und zu einem festen Bestandteil
derselben werden lassen , er hat die niedersachsischen
Quellen 1 hier und da beeinflusst und durch die jüngere
Redaktion C seines Werkes das Mirakel auch in Ober-
deutschlandf bekannt gemacht *.
Auf seine engern Landsleute hat der Erfurter Minorit wohl
zumeist durch das Medium desSifrid von Balnhausen
gewirkt, den ehedem „Sifridus presbyter Misnensis" ge-
nannten Autor, mit dessen richtiger Würdigung Holder-
Egger die Reihe seiner Verdienste um die ältere thürin-
gische Historiographie eingeleitet hat Rud. Wustmann hat
mir aus dem Cod. bibl. univ. Lips. 1315, fol. 289b die
Stelle 5 zum Jahre 1020 abgeschrieben: sie erweist sich, wie
zu erwarten war, als einfache Kopie der Chronica minor
und als direkte Vorstufe des Joh. Rothe von Eisenach,
der ihr mehr als hundert Jahre später die lebhafte, durch
Rede und Gegenrede des Bauern „Albrecht" und des
Priesters „Ruprecht" gewürzte Darstellung gab4, die sich
durch abermalige Vermittlung gedruckter Chroniken in die -
Sagen Sammlungen unseres Jahrhunderts gerettet hat
In der Folgezeit ist freilich selten die reinliche Be-
nutzung einer einzigen Quelle zu konstatieren: Vincenz
von Beauvais und seine zahllosen Benutzer waren so weit
verbreitet, Handbücher der „Chronologie" und Weltgeschichte
so allgemein zugänglich, dafs man selten auf die eine Vor-
1) Unter diesen ist die bei Leibnitz, Script rer. Brunsvic. III ge-
druckte „Chronika S. Aegidii in Brunswig'4 in ihrem Grundstock einfach
Wiederholung der Chronica minor.
2) Eine Hs. dieser Redaktion, die dem Herausgeber entgangen ist,
liegt in Einsiedeln: vgl. Schubiger, Musikal. Spicilegien, S. 152, wo
die Geschichte mit den charakteristischen Lesarten von C: Corbelie —
Bubertus mitgeteilt ist
3) Überschrieben: „De chorizantibus per annum".
4) Düring. Chronik ed. Lilie ncron, S. 193 f.: c. 249. „Von dem
tantze yn der cristnacht Der Ortsname BoUocke ist wohl nur Fehler
der Hs.; Sifrid hat Corbecke und könnte dabei an das heutige Zörbig
(Kr. Bitterfeld) gedacht haben, für das diese Form bezeugt ist
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DIE TÄNZEU VON KÖLBIGK.
111
läge allein angewiesen war. So berichten die beiden Hauptge-
währsmünner der Brüder Grimm, Joh. Bange von Eschwege,
Thüringische Chronik oder Geschichtblich (Mühlhausen 1599),
Bl. 39 und Joh. Becherer, Newe Thüringische Chronica
(Mühlhausen 1601), S. 193 beide die Geschichte in selb-
ständigem Anschlufs an Rothe (Albrecht — Ruprecht u. s. w.),
aber jener setzt davor das Jahr 1012, das auf Vincenz von
Beauvais zurückgeht, dieser weifs aus einer ähnlichen Quelle
von der Teilnahme der Priesterstochter.
Zwei weitere Ableitungen unseres „Originalberichts" sind
ohne bemerkenswerte Nachwirkung geblieben:
Die fragmentarisch in den MG. SS. XXX zur Ausgabe
gelangenden Annales S. Blasii Bruns vicenses 1 ent-
halten S. 17 f. zum Jahre 1021 einen kurzen Bericht, der
sich schon dadurch als von jeder indirekten Quelle unab-
hängig erweist , dafs er die fluchbringenden Worte des
Priesters in engerem Anschlufs an das Original bietet:
„ Utinam potentia Del et meritis saneti Magni martyris
sie totum annum cantando peragatis." Hier haben die
Chronica minor sowie Wilhelm von Malmesbury (Vincenz)
frei geändert, dem Albert von Stade fehlt totum und can-
tando. Die Form Kolebeke stimmt zur Erfurter Chronik,
hat aber in der Nähe des Schauplatzes nichts Auffallendes.
Bern. Wittius (s. o. S. 98), dessen Werk erst durch
die Ausgabe von 1778 weitere Verbreitung fand, sei hier
nur deshalb noch einmal erwähnt, weil er einen Sagen-
sammler des 19. Jahrhunderts verführt hat, die Geschichte
auf westfälischem Boden, in Körbecke bei Soest zu loka-
lisieren. Ich meine H. Stahl, Westphälische Sagen und
Geschichten (Elberfeld 1831), S. J03f.: „ Die Gotteslästerer
in Körbecke".
Wir wenden uns nun jenem breiten Strom der Uber-
lieferung zu, der auf Wilhelm von Malmesbury zurückgeht
und, während er in England früh versiegt, auf dem Fest-
lande den altern Ableitungen bald den Platz streitig macht,
1) Holder-Eggers Freundschaft verdank ich die Kenntnis eines Aus-
hängebogens.
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112 SCHKÖDKK,
sich vor allem aber durch zahlreiche litterarische Ausläufer
mit ihnen vermischt.
Wilhelm von Malme sburv selbst hatte dem Bericht
des Otbert noch seine ursprüngliche Form belassen und sich
nur wenig einschneidende Änderungen erlaubt. Woher er zu
einer neuen Zeitangabe gelangte, wissen wir nicht (doch s. u.) :
er setzt das Ereignis ins Jalir 1012 und läfst zum Schlüsse
1013 den Brief durch Peregrinus ausgefertigt werden — der
aber erst 1021 den Kölner Erzstuhl bestieg! Fortgefallen
ist bei ihm der Name des Ortes (es heifst nur in villa
qnadam Saxoniae, ubi erat ecclesia Magni martyris) und
der der Priesterstoehter. Die Zahl der Teilnehmer erscheint,
da sich Otbert nicht mit einzahlt, auf 19 gewachsen und
wechselt von hier ab in Jüngern Fassungen mit 18. Die
Sache mit dem Schutzdach ist m ifsv erstände n : Fabrica
tecti alir/uando nutu Dei super nos erigebatur, ut plurias
arcerä, und da der Zug so keinen reehten Sinn mehr hat,
ist er später vielfach fortgelassen worden.
Aufserst lehrreich für die ungemeine Verbreitung unserer
Geschichte und ihrer alten Grundlagen im 12. und 13. Jahr-
hundert wie überhaupt für die Entstehung von Misch-
versionen auf rein litterarischem Wege ist das Verhalten
der englischen Landslcutc Wilhelms, die aus ihm schöpfen.
Da ist zunächst Matthäus Paris (ed. Luard I, 484):
„De chorea quadam nefanda per inobedientiam facta". Er
hat den Bericht des Otbert, wie er ihn bei Wilhelm fand,
in die dritte Person umgesetzt, mit Beibehaltung auch der
Irrtümer: aber er hat ihn dann mit dem Text des Origi-
nals verglichen und daraus ergänzt die beiden fehlenden
Namen: im Eingang nomine ('oUvize, nachher nomine Mer-
set Aufscrdcm hat er dem Kirchenpatron das ilun ge-
bührende sanetus wiedergegeben und aus eigenem richtig
hinzugefügt: cuius festum celebratur XIV Kai. Se^embris. —
Die früher unter dem Namen des Matthäus von West-
minster gehenden Floreshistoriarum (ed. Luard 1, 531 f.)
schrieben diesen modifizierten Bericht einfach ab. Aber
1) Beide führen auf eine Vorlage aus der Gruppe 4—8.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
113
dem Urheber der wichtigen in M ertön geschriebenen Hs. E
(Eton College) genügte die Fassung nicht: er kontrolierte
sie mit einem Exemplar des ausführlichen Berichts des
Dietrich (unten S. 123 ff.) und trug daraus ein den dort
überlieferten Anfang des Tanzliedes sowie die abweichen-
den Namen der Priesterkinder (Azo — Ana); ferner renkte
er die Geschichte mit der „fabrica tecti" wieder ein. —
Noch radikaler als beide verfuhr, wie ich schon hier vor-
ausnehmen will, Robert of Brunne, der in seiner 1303
geschriebenen „Handlvng Synne" direkt den Bericht des
Dietrich einführte an Stelle des von seiner Quelle Wilham
de Wadington gebotenen Otbert-Briefes.
Auf dem Festland vermittelte die Verbreitimg der Kopie
Wilhelms1 der französische Dominikaner Vincenz von
Beauvais (1244), dem die Geschichte wichtig genug erchien,
um im welthistorischen Teil seiner grofsen Encyklopädie
Platz zu finden. Er stellt sie zum Jahre 1012 ein: Spe-
culum historiale XXVI, 10, und giebt als seine Quelle den
„Guillermus" an, aus dem er nur den Prolog fortgelassen hat.
Bei der Umschrift in die dritte Person erhält „Othberthus"
unwillkürlich und unabsichtlich den Anschein, Reigenführer
zu sein : ähnlich, aber doch nicht so entschieden, wie in der
Chronica minor. Im übrigen ist gegen die direkte Vorlage
sachlich nichts geändert , und am Schlüsse wird die Beru-
fung auf Piligrim wörtlich wiedergegeben.
Die schwere Umgänglichkeit der alten Iucunabel-Folianten
läfst es ratsam erscheinen, diese Version hier abzudrucken,
und zwar nach dem ersten, undatierten Druck. Die Stellen
»
wo Vincenz vom Wortlaut des Wilhelm abweicht, heb ich
durch kursiven Satz heraus.
De ultione Dei super ducentes choreas in eimiterio.
Guillermus.
Hoc anno contigü in quadam villa Saxonie, ubi erat ecclesia
Magni martiris tale quod in vigilia natalis Domini Robertos pres-
1) Auch diese selbst blieb in Deutschland nicht unbekannt So fand
ich im chn. 11346 (Polling 46) membr. saec. XIV unter andern Wunder-
•reschiebten aus W. v. M. auch die unsere: fol. 78» „De quibusdam
choreas ducentibus."
Zaitschr. f. K.-G. XVII. 1. u. 2. 8
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114
SCHRÖDER,
biter primam missam de nocte inchoaverat; at in cimiterio
Othbertbus quidam cum XVIII sodalibus, viris XV [et !] feminis
tribus cboreas ducens et cantilenas secolares peratrepens ita.
sacerdotem impediebanf, ut ipsa Terba eorum inter sacra mis-
sarum solemnia invitus resonarer. Ille mandavit eis ut tacerewf.
Quo neglecto imprecatuB est dicens: „Placeat Deo et sancto
Magno, ut ita cantantes permaneatis usque ad annum!" Verba
pondus haboerunt. Filius presbiteri Johannes sororem suam can-
tantem per bracbium arripuit et statim illud a corpore avulshV
sed gutta sanguinis inde non exivit lUa vero toto anno cum
ceteris pennansit cboreas ducens et canttlans. Pluvia non cecidit
super eos, non frigus non calor, non fames non sitis, non lassi-
tudo eos affecit. Indumenta vel calciamenta non sunt attrita,
sed quasi vecordes cmtabant. Primum usque ad genua, deinde
usque ad femora terre dimersi sunt. Fabrica tecti aliquando
super eos nutu Dei erigebatur, ut pluvias arceret. Evoluto anno
Herbertus Coloniensis episcopus eos absolrit a nodo, quo manus
eorum ligabantur, et ante altare s. Magni reconciliavit. Filia
presbiteri cum aliis duobus continuo exanimata est. Ceteri con-
tinuis tribus noctibus dormierwnf, aliqui postea obierunt et mi-
raculis, ut fertur, choruscarMwf , guia valde penituerunt; ceteri
penam suam membrorum tremore yroüiderunt. Hoc ita scrip-
tum reliquit Othberthtts ipse qui fuit unus ex eis. — Date sunt
nobis litere a domino Peregrino beati Herberti successore. anno
domini MXIII.
Man beachte, wie es der französische Predigermönch
ähnlich dem deutsehen Minoriten Albert von Stade für nötig
hält, die Wundcrwirksamkeit der toten Tänzer ein wenig
zu erklären — ernsthaften Anstofs, wie der Erfurter Chronist,
hat er daran nicht genommen.
Aus dem Speeulum historiale ist die Geschichte mit
oder ohne Nennung dieser Autorität dutzendfältig ausgehoben
worden, bald buchstäblich , sogar mit der Überschrift und
ihrer Quellenangabe *, bald in mehr oder weniger gekürzten
Auszügen. Sie wanderte gelegentlieh in dieser Fassung
nach England zurück, wo z. B. das sogen. Chronicon des
John Bromton, in Wahrheit eine Kompilation des 14. Jahr-
1) Fehlt in ms. lat. 18600. 2) Dies z. B. in der von Gas ton Ray-
naud in den Etudes romanes dediees ä Gaston Paris (Paris 1891), p. 53, 1
citierten Hs. der Bibl. nat. ms. lat. 18600 f. 1. 2 — wie mir eine von
Lic. Preusehen gütig hergestellte Abschrift beweist.
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DIE TÄNZER VON KÖLB1GK.
115
hunderte (Historiae anglicanae scriptores X ed. Twysden,
Ixmd. 1612, p. 891), aus Vincenz von Beauvais und nicht
aus Wilhelm von Malmesbury schöpft, und sie fand in dem
Lande, dem der Schauplatz der Sage angehört, in Deutsch-
land eine gröfsere Verbreitung als alle altern Versionen
zusammengenommen. Erst seit Vincenz von Beauvais ge-
hört das sächsische Tanzwunder allgemein zum festen That-
sachenbestand der Weltgeschichte, und mehr noch als die
Historiker tragen die Prediger und Moralisten des aus-
gehenden Mittelalters dazu bei , das grausige Exempel po-
pulär zu machen. Wo irgend in diesen tanzlustigen Jahr-
hunderten vor den Sünden und Gefahren des Tanze6 gewarnt,
wo die Heilighaltung des Sonntags und der Respekt vor
dem Priester eingeschärft wird , da können wir darauf ge-
fafst sein, den Tänzern auf dem Friedhof des heiligen
Magnus zu begegnen l. Sie befinden sich da gern in der
Nachbarschaft der Juden, die ums goldene Kalb tanzen, und
der Tochter der Herodias.
Mir sind nicht alle nächsten Ableitungen und Ver-
mittler der Vinccnz-Version zugänglich gewesen. Wenn der
italienische Dominikaner Gabriel Barletta (oder Barelete,
ca. 1470) für die Geschichte den Jacobus de Vitriaco
citiert *, so halt ich dies wie manche ähnliche Citate für
einen Irrtum; feststellen kann ich nur, dafs sich das Tanz-
wunder unter den Exempla des Jacques de Vitry, von
denen wir jetzt eine höchst verdienstliche Edition (durch
Thom. Fred. Crane, London 1890) besitzen, nicht vor-
findet 3. — Wer der „Gallus Malverius" war, auf den sich
Johannes Junior (s. u.) für seine sicher auf Vincenz zurück-
gehende Version beruft, und was es mit Johannes de
Colum[na?] für eine Bewandtnis hat, den Nauclerus neben
1) Für mich sind die spätmittelalterlichen Traktate und Predigten
„De Chorea", die ich seit meiner Ausgabe von Ingolds „Goldenem Spiel4'
(Strafsburg 1882) beständig im Auge gehabt habe, geradezu der Aus-
gangspunkt dieser Studie geworden.
2) Sermone« Fr. Gabr. Barelete ord. praed., Lugd. 1505, fol. LXXXIL
3) Vgl. auch Crane a. a. 0., p. LXV1*.
8*
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SCHRÖDER,
Vincenz citiert, darüber vermag ich keine Auskunft zu
geben.
Im Gefolge dieses Autors treten natürlich seine Ordens-
brüder besonders hervor: ich nenne unter ihnen aufser dem
Westfalen Heinrich von Herford ( — 1355)1 den Südfranzosen
Johannes Junior (um 1350), der als Verfasser der „Scala
celi"* gilt (vgl. Cranr, The exempla of Jacques de Vitry,
p. LXXXVI), Johannes Herolt von Basel (um 1425) und
den unbekannten niederländischen Verfasser des „Speculuni
exemplorum"3 (um 1480), dem freilieh Quetif und Echard
die Zugehörigkeit zum Orden bestreiten.
Aus dem „Speculuni exemplorum" entnahm der Minorit
Joh. Pauli die Geschichte für nr. 388 seines „Schimpf und
Ernst" (ed. Österlev S. 236), und diesen wieder benutzt
neben andern Quellen die „Epitome historiarum" von Bütner-
Steinhart 1596 (s. u.).
Joh. Herolts4 „Sermones diseipuli", ein viel abgeschrie-
benes, früh und oft gedrucktes Predigtmagazin, bieten das
„exemplum" an der zu erwartenden Stelle, in einer Predigt
„de chorea": sermo XXXVII (dominica in quinquagesiraa,
sermo 2°') &. Man erkennt die Ableitungen daraus leicht an
dem entstellten Namen des wunderthätigen Erzbischofs, der
hier Gilbertus (Gybertus) heifst. Ich kenne solche 1) aus
clm. 16229 (S. Nicol. Patav. 229), chart. s. XV, wo auf
einen „Tractatus de corea cancionibus instrumentis musicis
ad populum Bude predicatus" (fol. 1 — llb) noch reicheres
Material zu diesem Predigtstoff folgt, darunter fol. 15* unser
„Exemplum de chorea . . . quae prope locum sanetum fit"
nach Herolt; und 2) aus clm. 2778 (Aid. 248), chart. s. XV,
wo fol. 363b gleichfalls in einem Sermon über den Tanz
Herolt auch sonst stark benutzt erscheint.
Unter den Exempelbüchern des ausgehenden Mittelalters
hat, wie wir seit K. Gocdeke wissen, die „Scala celi" des
1) Henr. de Hervordia ed. Potthast (Göttingen 1859), S. 96 f.
2) ed. Ulmae 1480, fol. 62 8. v. „corea".
3) ed. Argen tinae 1495, fol. p* a.
4) Vgl. Crnel, Geschichte d. d. Predigt im Mittelalter, S. 480 ff.
5) Ich benutzte die ed. Nuremb. 1480.
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DIE TÄNZER VON KÖLB1GK.
117
Johannes Junior für die Ausbreitung von Sagen, Märchen
und Anekdoten eine ganz besondere Bedeutung gewonnen.
Wir können das auch hier wieder leicht konstatieren: der
Verfasser hat nämlich, während er sonst fast wörtlich die
Version des Vincenz abschreibt, aus den „XVIII soda-
libus, viris XV [et] feminis tribus" des Otbert, die jener
bewahrt hat, gemacht: „cum XVIII sodalibus viris et XV
feminis" — und dieser Zahl (18 -f- 15 = 33) begegnen wir
in der Folge vor allem in Hartm. Schedels illustrierter
Weltchronik: „Liber cronicarum cum nguris et ymaginibus
ab inicio mundo" (1493) fol. CLXXXVIP „Coreizantes per
annimi", wo zugleich die imgenaue Angabe „in ruadebur-
gensi diocesi" hinzugefügt ist. Die Fassung Schedels ist
mit diesen beiden Fehlern direkt übergegangen : a) in das
„Nve schip van Xarragonia" (Lübeck 1497; ich benutze
C. Schröders Neudruck der Rostocker Ausgabe von 1517,
Schwerin 1892), dessen Verse 4 143 ff. wieder ausschreibt das
Niederdeutsche Reimbüchlein (ed. Seelmann 1885) V. 2961 ff.;
b) in Herrn. Botes Niedersächsische Weltchronik (Hannover,
kgl. Bibl. Ms. XI, 669, B1.88. — Mitteilung von Dr.K. Meyer);
c) in Seb. Francks viel gelesene und viel ausgeschriebene
„Chronica Zeitbüch vnnd üeschichtbil>ell" (1536) Bl. CCXV;
d) in Henr. Kornmannus „De miraculis vivorum" (Francof.
1614), p. 287 „De choreizantibus per annum", wo durch -
einen Druckfehler aus 18: 108 wird; mit diesem neuen
Fehler übernommen in Jo. Petri I^ange Liber secundus de-
liciarum academicarum (Heilbr. 1665), p. 133, c. XXXIV
(1. Fassung).
In Deutschland bot sich leicht Gelegenheit, die seit
Wilhelm v. Malmesbury fehlende Ortsangabe zu ergänzen
und so gewissermafsen den alten Bericht des Otbert zu re-
konstruieren: das konnte unter Heranziehung einer weitern
schriftlichen Quelle geschehen, geschah aber gewifs auch
oft genug auf Hörensagen hin. So bietet clm. 3588 (Aug.
civ. 88) vom Jahre 1479 in einem „Tractatus de chorea"
(fol. 31*) die Geschichte mit dem entstellten Citat „libro
XXVI0 Speciali lüstorialis capitulo decimo", aber unter Ein-
schaltung des richtigen Ortsnamens — und am Schlüsse folgt
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SCHRÖÜEK,
dann noch die personliche Mitteilung eines Gewährsmannes,
der den Schauplatz des Ereignisses selbst besucht hat
Kontaminiert wohl aus den Berichten des Vincenz und des
Erfurter Minoriten ist die Fassung, die Alb. Krantz (f 1517)
in seiner „Saxonia" Lib. IV, cap. 33 (ed. Francof. 1575,
p. 97 f.) in durchaus selbständiger sprachlicher Form bietet
Charakteristisch für ihn ist die Beseitigung aller Personen-
namen, die Ersetzung des Priestersohnes Johannes durch
einen „quidam", des hl. Heribert durch „aliquot saneti viri".
Krantz wird seit dem Erscheinen der Frankfurter Ausgabe
bei katholischen wie protestantischen Schriftstellern viel
citiert, wie denn überhaupt vom 16. Jahrhundert ab die
Wiederholung der Geschichte fast nur noch unter Quellen-
angabe geschieht.
Aus der vorangehenden Zeit wären noch einige kürzere
Fassungen zu erwähnen. Die Chronica coraituni et prin-
eipum de Clivis (bis 1392) aus dem 15. Jahrhundert, die
bei Seibertz, Quellen d. Westfäl. Gesch. II gedruckt ist,
erwähnt die Geschichte von den „ in villa Saxoniae Colbeca
chorizantes" (S. 151) bei Gelegenheit des hl. Heribert. — Der
Kölner Karthäuser Werner Rolcvinck im „Fasciculus tem-
porum" (gedruckt 1474)£foI. LXXI erzählt sie, anscheinend
aus dem Gedächtnis auf das Speculum historiale zurück-
greifend. Ihn citiert um 1500 der hessische Chronist Wigand
Gerstenberg (Schmincke, Monimenta Hassiaca II, 88 f.), der
aber noch eine andere Ableitung des Vincenz gekannt haben
wird. Direkt aus Vincenz, aber ohne Citat, schöpften die
Koelhoffsche Chronik (1499, D. Städte-Chroniken XIJI, 483)
und Joh. Trithemius im „Chronicon Hirsaugiense " zum Jahre
1012 (Opp. bist. ed. Francof. 1601, n, 47) K J. Nauclerus
(t 1510) Chronica Vol. II gen. XXXIIII (ed. 1544, S. 685)
citiert wieder Vincenz und daneben „Joh. de colum". Auch
an Bern. Wittius mag hier noch einmal erinnert werden.
1) Konrad Bothe im Chronicon Brunsvioensium picturatura, gedr. 1492,
(bei Leibnitz, Script. Brunsvic IQ,} 322) hat z. J. 1020 einen Hinwei«
(▼gl. oben 8. 107), der auf die Magdeburger Schöppenchronik und durch
sie auf die Erfurter Quelle zurückgeht.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
119
Man sieht, die Geschichte, die noch dem Verfasser der
grofsen Sächsischen Wcltchronik ans der ersten Hälfte des
13. Jahrhunderts unbekannt oder gleichgültig gewesen war,
erfreut sich am Ausgange des Mittelalters eines Interesses,
das ihr einen festen Platz in den historischen Darstellungen
sichert Und so bleibt es bis tief ins 1 7. Jahrhundert hinein.
Noch in der „Historischen Chronica", die Joh. Phil. Abelin
von Strafsburg unter dem Pseudonym Joh. Lud. Gottfrid
um 1630 zuerst herausgab, wird sie auf Grund von „mehr
als zehen bewehrten Historicis, deren der mehrer Teil zur
selben Zeit, oder nicht lang hernach gelebt haben", be-
richtet und mit einem Merianschen Kupfer ausgestattet
(Frankfurter Folio- Ausgabe 1642, S. 526), auf dem auch
die Augen der Frau Rat Goethe und ihres Sohnes Wolfgang
mit Interesse geruht haben mögen (vgl. Dichtung und Wahr-
heit I, 1 und Goethe-Jahrb. VI, 334).
Aus dem Kreise der anhaltischen und halberstädtischen
Lokal- resp. Territorialhistoriker, die dem Gegenstand ein
begreifliches Interesse schenken, gehen seit dem Ende des
17. Jahrhunderts (Knaut) wichtige Quellennotizen und im
Anfang des 18. auch die Anfänge einer historisch-kritischen
Betrachtung hervor (Beckmann), die freilich keine Fortsetzung
erfahren haben. Im 1 9. Jahrhundert haben die vortrefflichen
Jahrbücher Heinrichs II. von Hirsch und Bresslau der Sage
gar keine Beachtung geschenkt, und die gesamte neuere Litte-
ratur, die mir zur Verfügung stand, beschränkt sich auf ein
paar bibliographische Notizen L. Delisles im Journal des Sa-
vants 1860, S. 578 f., W. Wattenbachs in seinen Geschichts-
quellen (jetzt II6, 137) und Osterleys (resp. Goedekes!) zu
»Schimpf und Ernst" No. 388.
Schon oben hab ich angedeutet, dafs es mehr noch
als die Historiker die Prediger und Moralisten waren, die
dem Mirakel seine Verbreitung verschafften und seinen Reiz
erhielten. Auch das gilt weit über das sogenannte Mittelalter
hinaus: für die Katholiken wie für die Lutheraner. Eine
Ausnahme machen nur ein paar reformierte Schriftsteller:
Henri Estieune (Henricus Stephanus) in seiner zuerst 1567
erschienenen „Apologie pour Herodote ou traite* de la con-
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120
SCHRÖDER,
formitl des merveilles anciennes avec les modernes" (ed.
Le Dudat, La Haye 1735, II, 428) wirft unsern „au pays de
SaxeM passierten Tanz mit einem ähnlichen Mirakel vom
heiltumtragenden Priester (s. u. S. 158) zusammen und nennt
das ganze „une chose fort ridicule", von den Pfaffen zur
Erhöhung ihres Ansehens erfunden. Und der mehr als
derbe Verfasser von „Den roomschen Uylenspiegel ofte
Lusthof der Catholijken" (Amsterdam 1671) giebt das Tanz-
wunder, das er dem „Seelentrost" entnimmt, geradezu als
Probe der abgeschmackten Mirakel, von denen alle ka-
tholischen Bücher so voll seien wie ein Bettlerpelz voll
Lause.
Unter den Katholiken nenn ich zunächst den kölnischen
Theologen und asketischen Schriftsteller Tilmann Breden-
bach, der in seinen zuerst Col. 1592 erschienenen „Colla-
tionum sacrarum libri VIII" die Geschichte in zwei Ver-
sionen auftischt (Lib. I, cap. LVI; ed. 1592, p. 111 f.): nach
Krantz und Vincenz — ohne die Identität zu bemerken •
Die Glaubwürdigkeit des Mirakels behauptet noch mit Ent-
schiedenheit der französische Jesuit Theophile Raynaud
„Hagiologium exoticum" Tom. X (Lugd. 1665), p. 590 in
dem Kapitel „De gladio et pileo a pontifice initiatis". Und
er konnte sich dafür aulser auf Vincenz, Tritheim, Krantz,
Bredenbach auch auf neuere französische Theologen und
Historiker berufen, von denen er Gilb. Genebrardi theo-
logi Parisiensis „Chronographiae libri IV" (zuerst Paris 1580)
citiert (die Geschichte wird hier nach Vincenz und Krantz
erzählt1), während er des Reformierten Calvisius „Opus
chronologicum" (zuerst c. 1620), das die Fassung des Albert
v. Stade giebt (4. Ausg. Frankf. 1650) nicht gekannt haben
wird.
Die Litteratur der Mirakel und Wunder war mit der
Reformation keineswegs überwunden. Gerade jene mittel-
deutschen Landschaften, in denen Luthers Heimat und der
Wirkungskreis seiner getreuesten Anhänger lag, haben in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts jene Teufellitte-
1) «d. Lugd. 1609, p. 577.
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ratur entstehen sehen, die uns neuerdings Max Oshorn (Acta
Germanica III, 3, Berlin 1893) lehrreich vorgeführt hat, ohne
ihre sämtlichen litterarischen Verwandten erschöpfen zu wollen.
Zu ihnen rechne ich auch noch Bücher wie des Jobus Fincelius
„Wunderzeichen. Warhalf tige beschreibung vnd gründlich
verzeichnus schrecklicher Wunderzeichen vnd Geschichte,
die von ... 1517 bis ... 1556 geschehen vnd ergangen sind"
(Jhena 1556), wo bei den einzelnen schreckhaften und wunder-
barlichen Ereignissen analoge Fälle aus älterer Zeit ver-
zeichnet werden: so zu einem Veitstanz vom Jahre 1551
unsere angeblich 1005 passierte Geschichte, ohne Citat, aber
sicher nach Alb. Krantz. Auch die Exempelbücher ziun
Gebrauch der Prediger, wie sie im Mittelalter die Cister-
cienser und Franciscaner, vor allem aber die Dominicaner
so zahlreich hervorgebracht hatten, leben fort, und in ihnen
herrscht eine starke Vorliebe für das Übernatürliche, mehr
noch für das Unnatürliche und Widernatürliche. Es ist
der Geschmack des Mittelalters, nur jedes Humors und
jedes ästhetischen Moments entkleidet. Selbst die alten Titel
leben wieder auf, und das „ Promptuarium exemplorum" des
Droifsiger Pfarrers Andr. Hondorff vom Jahre 1571 , das
das Kölbiger Tanzwunder (zweimal: nach Seb. Franck und
Alb. Krantz) unter den Exempeln des dritten Gebots er-
zählt1, entnimmt den seinen direkt von den Prediger-
mönchen des 14. und 15. Jahrhunderts. Der bekannte Mans-
f eider Flacianer Cyr. Spangenberg, übrigens eine der
sympathischsten Gestalten dieser Zeit, hat die Geschichte
in die d6. Brautpredigt seines „Ehespiegels" (zuerst Strafs-
bnrg 1561) verflochten (Bl. 177 b der Ausgg. von 1561. 1562.
1567) und ihn schreibt wörtlich ab Florian Daule in seinem
„Tantz-Teuffel" von 1567 (Theatrum Diabolorutn ed. 1575
Bl. 233"), nennt als eine seiner Quellen das umfangreichste
derartige Exempelbuch , die „Epitome Historiarum" von
Wolfg. Bütner in der vennehrten Ausgabe von Georg
Steinhart (Leipzig 1596), fol. 70", wo aufserdem Krantz,
1) Frankfurter Ausgabe v.J. 1574, Bl. 86"; dieselbe Darstellung findet
sich auch in Hondorffs „Calendarium sanctorum et historiarum" (1573)
II, 149 b zum 25. Dezember.
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122
SCHRÖDER,
Pauli und Fincel citiert werden. Es sei das ein Exempel,
meint der Herausgeber, so recht für das Bauernvolk, das
oft vor lauter Kurzweil auf dem Kirchhofe nicht in die
Kirche hineinkäme. Da sitzet etwan ein hindernder vnd ein-
äugiger Krämer, mit Pfefferkuchen, hr antenwein, kleinen spieg-
lein vnd würfflein, die haben die krafft vnd eigenschaß,
zehn oder zwantzig Bawren vor der Kirchen, biß zum Evan-
gelio auff zuhalten, auch wol noch so viel herab von der
Emporkirchen hienaus zu lecken (!). Viel anders wird die
* Anwendung des Exempels bei den Minoriten und Domini-
canern auch nicht gewesen sein. Nur freilich der hl. Magnus
und der wunderthätige Erzbischof von Köln, die waren in
einer Predigt für protestantische Bauern nicht mehr am
Platz, während sie in den Geschichtsbüchern dieser Zeit
natürlich fortleben.
Ein anderer, noch weniger beachteter Litteraturzweig, in
dessen Obhut unser Mirakel fortlebt, sind die Sammlungen
von Anekdoten und Kuriositäten in lateinischer Sprache, die,
ein Seitentrieb der Faceticnlitteratur, alle Schattierungen bis
zum Schulbuch herab aufweisen. H. Kornmanns „ De mira-
culis vivorum seu de varia natura variis singularitatibus etc.
hominum vivorum über novus et singularis", Francofurti
1614, p. 287: „De choreizantibus per annum" ward schon
erwähnt; ebenso J. P. I^ange, „Liber secundus Deliciarum
academicarum sive admirandorum et horribilium casuum
exempla tragica. In usuni juventutis pro stvli exercitio et
quorumvis pro condimento graviorum studiorum eongesta"
(Heilbronnae 1665, p. 133 „Choros ducentes toto anno
continenter"). Auf katholischer Seite nenn ich des (bel-
gischen?) Jesuiten Jacobus Pontanus „Attica Bellaria",
Francof. 1644, p. 456: in dem Kapitel „Mira mirorum".
Es sind mir im ganzen aus der Zeit zwischen 1240 und
1715 allein aus Deutschland mehr als vierzig Aufzeichnungen
der Sage bekannt geworden l, die alle direkt und indirekt
mit dem Bericht des Otbert zusammenhängen. Die einzige
deutsche Fassung, die ich hier nicht mit Sicherheit einzu-
1) Einzelne sollen weiter unten noch zur Besprechung kommen.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK. 123
ordnen wage, die des „ Seelentrosts spar ich mir für später
auf. Zunächst wend' ich mich einem anderen Zweige der
Überlieferung zu.
II. Der Bericht des Dietrich (Theoderious).
Auch hier haben wir eine gute alte Überlieferung, die
sich freilich auf wenige Handschriften englischer und nord-
französischer Herkunft beschrankt.
1. Paris, ßibl. nat. ms. lat. 6503, perg. s. XII, fol. 61:
mit Fortlassung des Schlu&abschnitts abgedruckt bei Du Meril,
Etudes sur quelques points d'archeologie et d'histoire littet
raire (Paris - Leipzig 1862), S. 498 — 502; benutzt MG.
SS. XXVI, 28 f. (vgl. S. 11). Der betreffende Teil der Hand-
schrift gehört, wie L. Delisle, Bibl. de l'ecole des chartes
XXXIV, 271 gezeigt hat, zu denjenigen Manuscripten,
welche der Kirchenhistoriker Ordericus Vitalis, Mönch von
St. Evroul, geschrieben hat. Die litterarische Thätigkeit des
OrdericiiH wird begrenzt durch die Jahre 1124 und 1142:
danach wird man auch unsere Aufzeichnung datieren dürfen.
2. Oxford, Bodleiana Ms. Rawlinson C 938, perg.
s. XIII, fol. 22b — 24. Das Stuck ist hier mit der Kapitel-
überschrift „De adttena aborrendo et ittgi satiatu (!) liberato"
den Wundern eingereiht, welche den Anhang der mit fol. 1
beginnenden und durch einen „Prologus ad sanetum Lan-
franchum" eingeleiteten „Vita Sancte Edithe" des Gocelinus
monachus bilden. — Abgedruckt ist es nach dieser Hand-
schrift von Furnivall, Handlyng Synne p. XXVHI— XXXI;
Beschreibung und teilweise Kollation verdank ich Herrn. Prof.
Napier in Oxford; sie war besonders für die Eigennamen nötig.
3. Oxford, Bodleiana Ms. Fairfax 17, perg. s. XII
(ohne Paginierung). Die Handschrift stammt aus dem im
Jahre 1139 gestifteten Kloster zu Louth Park in Lincoln-
shire, wie aus der auf der letzten Seite stehenden Inhalts-
angabe hervorgeht. Das Mirakel steht an neunter Stelle :
voraus geht eine „Lamentatio Gervasii Abbatis de Parco",
es folgen zum Schlufs Visionen, darunter auch die „Visio
Wettini". — Benutzt ist diese Handschrift nach einer Kopie
Fei. Liebermanns in den MG. SS. XXVI, 28 f.; mir hat
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124
SCHRÖDER,
Prof.Napier eine Beschreibung und die Kollation wichtiger
Stellen zurj^erf ügung gestellt.
4. Ehemals York oder Dur h am, nach der zweifeln-
den Aussage des Nie. Harpsfield !, der in seiner „Historia
Anglicana ecclesiastica " (Duaci 1622), p. 205 f. unser Stück
zum gröfsten Teil daraus abgedruckt, Eingang und Schlul's
aber so genau paraphrasiert hat, dafs wir deutlich sehen:
seine Vorlage war vollständig und hatte auch den Schlufs
von 2. 3. — Der Abdruck ist voller Druck- und Lesefehler,
von denen ich in den Varianten nur wiederhole, was immer-
hin in der Handschrift gestanden haben könnte.
Ein Blick auf den wenig umfangreichen Apparat zeigt, dafs
die Handschriften 1 . 2 einerseits und 3. 4 anderseits enger zu-
sammengehören; beide Gruppen haben Fehler und müssen im
Einzelfalle gegeneinander abgewogen werden. Dafs die ge-
meinsame Vorlage von 1 und 2 wieder eine englische Hand-
schrift war, zeigt — zum Uberflufs — der lehrreiche P'ehler
Folpoklus statt Fd{c)ioaldus: p und w können um diese Zeit
nur eben in England, wo die alte, dem p ähnliche w-Ruue
fortlebt, verwechselt werden. Wo 2. 3. 4 gegen 1 stehen,
gebührt ihnen unbedingt der Vorzug: das gilt insbesondere
für den Schlufs, der die Herkunft des Denkmals bezeugt
Auf 1 und 3 basiert der Text, den Waitz im Anhang
zu den Excerpten aus des Ordericus „Historia ecclesiastica"
MG. SS. XXVI, 28 f. gegeben hat und der hier aus rei-
cherem Material mehrfach berichtigt werden konnte. Diese
kleinen kritischen Ergebnisse allein würden den neuen Ab-
druck kaum rechtfertigen: ich brauche aber für die nach-
folgenden Erörterungen eine präsente Gnuidlage und habe
mir auch gleich erlaubt, durch Sperrdruck die intimeren Be-
ziehungen dieser Version des Dietrich (II) zu der Version
des Otbert (I) hervorzuheben.
Für die Eigennamen hab ich in deu I^esarten noch die
beiden Bearbeitungen in mittelcnglischen Versen heran-
gezogen, die ich darum schon hier zur Besprechung bringe.
1) „Incidi in vetustum quendam Eborac. «ut Dunelmensis ut arbitror
ecclesiae codicem."
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DIE TANZER VON KÖLBIGK. 125
B. Roberts von Brunne „Handlyng Synne" V.
8990 — 9253 (od. Furnivall für den Roxhurghe Club, London
1860). Der Verfasser schrieb im Jahre 1303 in Lincoln-
shire !, sein Werk ist zum gröfsten Teil eine einfache Be-
arbeitung des „Manuel des pcchiez" von Wilham de Wa-
dington, aber freilich mit Zusätzen und Exkursen aus eigener
Belesenheit. Als er an die Geschichte von dem Tanzwunder
kam, welches Wilham V. 6886—6938 nach einer Handschrift
des Otbert - Briefes ohne Ortsangabe, aber mit Beibehal-
tung der Namen („Marscnt", „Johan", „Herbert") als
Exempcl erzählt hatte, erinnerte er sich der ausführlicheren
Fassung und bearbeitete nun in der Hauptsache diese, wo-
für er begreiflicherweise das Fünffache der Verszahl brauchte.
Er behielt freilich die französische Vorlage neben sich liegen
und notiert bei der Fluchformel des Priesters Robert aus-
drücklich die Discrepanz seiner Quellen. Den Eingang des
Tanzliedes liat er, wie er ihn in II fand, lateinisch herüber-
genommen und ihm den Versuch einer englischen Über-
setzung beigefügt. Seine Wiedergabe des Ganzen ist reich
an Mifsverständnissen und Entstellungen *.
E. Die mittelenglischc Legende der hl. Editha, die
zuletzt Horstmann (Heilbronn 1883) ediert hat 8, ein jammer-
volles Reimwerk aus dem ersten Drittel des 15. Jahrhunderts,
berichtet, wie ihre wohl im Manuscript Rawlinson C 938 er-
haltene Quelle 4, die Geschichte des Tänzers „Theodoricus"
unter den Mirakeln vom Grabe der hl. Editha, zu deren
Preise das ganze Opus wohl in Wilton selbst verfafst ist.
Die Darstellung schleppt sich schlimmer als die ödeste Prosa
durch neunundfünfzig vierzeilige Strophen (V. 4067 — 4302) —
und kein Name wird uns dabei geschenkt.
Wenn ich nun noch daran erinnere, dafs der Schreiber
1) wo von den obigen Handschriften 3. herstammt.
2) Bobert sagt freilich V. 9024 f. Here names of aüc thus fände y
toryte, And as y toott noto shiä gt toyte, hält aber dann dies Versprechen
doch nicht
3) Vgl. meine Rezension Anz. f. d. Altertum X (1884), 391 ff.
4) Der wichtige Hinweis auf dies Manuskript in Furaivalls Ausgabe
der „Handlyng Synne" war Horstmann und mir früher entgangen.
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f
126 SCHRÖÜEli,
der Handschrift E der „Florcs historiarum" der Fassung des
Matthäus Paris resp. Wilhelm von Malmesbury einige Korrek-
turen und Zusätze aus der Dietrich-Fassung einverleibt hat
(oben S. 1 1 3), so bin ich auch schon mit dem, was ich über
die Verbreitung dieser Version zu sagen habe, zu Ende.
TEXT.
Incfpit de duodecim socils toto anno girantibus.
Romanos orbis novit et hodierna iuventus recolit homines
nova inquietodine corporum divinitns percussos et ubivis gentium
pervagatos, ex qnibus qaattuor nobis conspectf et adhuc superesse
possunt aliqui.
& Primo tante novitatis relationem dilecte Christo virgini Edithe
dedicamus, apud quam tante cladis collega memorabiliter sanatus
est unus nomine Theodericus. Hic quoqne multis terris sacrisque
oratoriis pererratis ac rnari permenso, novum spectaculum in
anglicam Britanniam ipsique regnatori Eadwardo in admirationem
10 venerat debitam, tandemque piam requietionis sancte Editbe con-
tigerat basilicam. Gepere plerique rüdes hominem quasi vecor-
dem horrere, et ipse sacre virgines tantam miseri penam flere.
Verum ille prudentia notabilior exponit caosam snam et testem
de pera profert cartam, quam in persona illius chori dictaverat
15 Bruno Tnllanns episcopus in medio civitatis [/ in Mettio civitate?],
qui postea papa Leo dictus sanctissimum lumen emicuit nostri tetn-
poris. Cuios descriptionis vel narrationis hic sensns est memorabilis.
In nocte natalis Domini lucifera, qua lux seculorum est orta,
nos duodecim socü in vanitate et insania venimus ad locum qui
20 dicitur Colebecca ad basilicam dedicatam sancto Magno martiri
sancteque Buccestre eius sorori. Dux nobis erat nomine Ger-
h*vus, ceteri quoque duodecim maioris fidei gratia hic inserendi;
sie fuimu8 dicti: Theodericus, Meinoldue, Odbertus, Bovo, Gerar-
dus, Wetzelo, Azelinus, Folcwaldus, Hildebrandus,Alwardus, Benna,
Die Überschrift nur in 1. 3; in 1 folgt noch: Protest saltirago
res haec nova miraque mundo. — Z. l — u nur in 1. 2 [4 umschreibt]; im
Zusammenhang von 2 vorher als Übergang: His ergo fidelitor evo-
lutus (l. evolutis) cetera exequamur nostri temporis. Haec eo recensemus
liberius quo visa quam audita pereipiuntur facilius. — 7. Teodricus
immer 1. Thedericus (wechselnd mit Theodoricus, Thedoricus) E. —
9. angelicam 2. Edwardo 2. — 12. et fehlt 2 — 13. suam cau-
sam 2. — 17. inarrationis 2. — 18 lucifera fehlt 4. — 10. celebeca 2;
Colebek E. Colbek B. — 21. Gerleue 3. 4. Gerlew B. Gerlevn (Ger-
len) E. — 23. hic fehlt 1. 4. intereerendi 3; fehlt 4. 25. Ma-
noldus 4. Otbertus 4. öbberte E. Bono 4. E; Beuo B. Gi-
rardus 1. — 24. Weteelo 3. Verselo 4; WetzelinuB 1. Atrelinus 3.
Astelmus (aus Ateelinus?) 4. Azelene E. Eoltwoldus 4; Folpoldua
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DIE TÄNZER VON KÜLBIGK.
127
26 Odricus. Quid moramor infelicitatem nostram exponere? Tota
causa hec erat damnosi conventus nostri, ut uni sodalium nostro-
rum in superbia et in abusione poellam raperemus, parrochiani
presbiteri filiam nomine Eodberti; pnella vero dicebatnr Ava.
Kon virginalis nativitas Domini, non christianitatis memoria, non
so totius fidelis populi ad ecclesiam concurrentis reverentia, non di-
vine laudis audita preconia impudentiam nostram a tanta tempe-
ravit audacia. Mittimus geminas pnellas, Merswinden et Wibe-
cinam, qne similes similem de ecclesia allactarent ad iniqnitatis
nostre choream, quam venabamur predam. Qnid hoc aucupio
35 facilius? Adducitur Ava ut avicnla irretita, colligit advenientes
Bovo, tarn etate prior quam stulticia. Conserimus manus et
chorollam confusionis in atrio ordinamus. Ductor furoris nostri
al luden s fatale Carmen orditor Gerlevus:
Equitabat Bavo per silvam f rondosam,
40 Ducebat sibi Merswinden formosam.
Quid stamus? cur non imus?"
Istud ioculare inceptum iusto Dei iudicio miserabile nobis
est factum. Istud enim Carmen noctes et dies incessabiliter
girando per continuum redintegravimus annnm. Quid multa?
45 Finitis nocturnalibus sacris prima missa tante noctis reverentie
debita incipitur, nos maiori strepitu quasi Dei ministros ac Det
laudes nostro perdendo cboro superaturi debacbamur. His auditis
presbiter de altari ad ecclesie ianuam congreditur nosqne emissa
voce, ut divinitati daremus honorem et more christianorum in-
&o traremus ad divinum officium contestatnr. Sed cum nemo ad-
quiescere vel audire vellet obdurato corde, sacerdos divino zelo
Dei ultionem per sanctum Magnum martirem imprecatus est
nobis et „Ab isto" inquit „officio ex Dei nutu amodo non ces-
setis!" Dixerat, atque ita nos prolata sententia alligavit, ut
55 nullus nostram ab incepto cessare, nullus ab alio dissolvi po-
tuerit At presbiter niittit filium nomine Azonem, ut raptam de
medio nostmm in ecclesiam adducat Avam suam sororem. Sed non
1. 2. £. Heldebraudus 3. 4; Hilbronde £. Alwarde E. Aluuardu»
ton and. Hand aus Aluardus 2. Aiuardus 4. Aelwardus 3. Benno E.
25. Odoricus E. — 28. presbiteri fehlt 4. Roberti 4. Robert B.
Robarde E. Aue B; Ana 4. Anna E. — 29. nativitatis 4. — 3t. im-
prudentiam 4. temperant 4. — 32. Mersuinden 1. 2. Mersuuidem 4.
Merswynde B. Merfunden E. Wibetinam 4. Uuibeccinam 3. Vibe-
cynam 1. 2. Vmbecrnam (d. i. Vuibecynam) E. Wybessyne B. — 33. alleo-
tarent4. — 85. farilius] foelicius 4. collegit4; colligitque 1. 3; eollegitr
qne MG. — 37. chorellam4. Dux 4. — 39. frondosam bis 4 0. Mersuin-
den lüfgt aus 4. — 41. sibij secum B. — 42. nobis fehlt 4. — 4 3. dies et
noctes 4.-4 5. reuerentia 4.-4 6. Dei laude«] de laudes 2. — 47. su-
peraturi fehlt 3. debacamur 2. — 60. coutestatur corr. aus testatur 3. —
56. Azone BE. — 57. nostro nur MG.
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128
SCHUUDEK,
ita resolubilem inieoerat nobis manicam, nimisque tarde ei filie
salus venit in memoriam. It ille patrio precepto arreptamque
«o mann sororem trahebat. Inauditum seculis miraculum! Totum
brachium sequutum est, suaque compage avulsum in man am tra-
hentis uJtro recessit, atque illa cum reliqao corpore sociali choro
inseparabilis adhesit Maximoque boc maius additur prodigium,
quia exhansto brachio nnlla nnqnam gutta sanguinis
et effluxit Refert filius patri munus lamentabile, refert partem
uate quasi ramum de arbore, cetero corpore remanente, cum tali
animadvereione: „En pater, suscipe: bec est soror mea, bec filia
tua, quam me iussisti adducere." Tum ille luctuosus et sero
penitens sentencie sue solum bracbium sepelit superstitis nate.
70 Miracola miraculis repensantur. Sepultum membrum invenit se-
quenti die sammotenus proiectum. Iterum sepelit, iterum postera
die inhumatum repperit. Tercio sepelit; tercio nicbilominus die
altius eiectum offendit. Quod ultra temptare timens in ecclesia
bracbium recondidit Nos nullo momento intermittimus chori-
75 zando circuire, terram pede pulsare, lacrimabiles plausus et saltus
dare, eandem cantilenam perpetuare. Semper vero insultabat
nostre pene cantilene regressus:
„Quid stamus? cur non imus?"
qui nec restare nec circulum nostrum mutare potuimus. Sicut
80 autem nullus alius rerum nobis dabatur modus, ita quicquid est
humane necessitatis nec fecimus nec passi sumus. Revera enim
in toto anno illo districte expedicionis nostre nec come-
dimus nec bibimus nec dormivimus, sed neque famem
neque sitim neque somnolentiam nec quicquam carnalis condi-
86 cionis sensimus. Nox, dies, estas torrida, biems gelida, teni-
pestates, inundationes, nivea, grandines uniyersaque aeris intem-
periea omnino nos non tetigere, nec lassati sumus circulationis
diuturnitate. Non capilli, non ungule nostre cresce-
bant, non sunt attrita vestimenta nostra. Ita cle-
90 mens erat pena, ita suaviter nos torquebat superna dementia.
Quas terras bec fama non adiit? Que gens, que natio ad boc
spectaculum non cucurrit? Ipse christianissimus imperator Hen-
ricus ut audivit, a facie altissimi imperatoris ut cera a facie
igni8 defluxit, surTususque ubertim lacrimis, iudicia Domini vera
»9. It] $o 1. 2 (he dude go E); At 3.4. arreptamque] arreptam4;
parot arreptamque 3. — 61. avulsi3. manu 4. — 64. exausto 2. un-
quam fehlt 4. — 67. pater, ait 3. — 68. me] tu 4. — 70. Miraculis
miracula 4. invenit] invenitur 3. — 73. ultro 4. — 74. condidit 4.
— 7*. circumire 1. pulsare et 1. (MG.) et] ac 1. (MG.) — 76. eandem-
que 1. (MG.) perpetrare 1. 3. (MG.) — 7 9. circulum] sutulum 2. —
80. autem] ante 4. — 84. sitim nec 2. — 86. que/eAA4. — 87. tetigere]
tangere 4. — 90. nos suaviter 4. — 91. Heinricus nur MG. ut] ubi 4.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
129
S5 magntticavit Tom humana benignitate iussit super nos tecta
a celi turbine defensoria fabricari; sed frustra laboraverunt
artifices lignarii, quia qoicquid in die edificabatur in nocte pe-
nitns evertebatur. Hoc semel, hoc bis, hoc eciam tercio coeptum
et caasatum est Sic nobis cum toto anni circnlo sub nudo aere
loorotatis rediit mundo fausta et remediabilis nox dominici natalis.
Illa nos alligarit, illa reversa absolvit. In eadem qoippe hora
temporis reToluti qua vel cepimus iocari vel constricti sumus ore
sacerdotali, repentina violentia, quasi in ictu oculi, singulis ma-
nibus ab invicem sumas excussi, ut nullus ab alio posset reti-
tosneri. Eodemque impetu ecclesiam ingressi sobitoque in pavi-
mentam proiecti post longas vigilias triduo integro obdormivimus
immoti. Tercio demum die, ubi per Resurgentem a mortuis
surreximus et erecti sumus, tu comes longe inquietudinis , tu
causa et exemplum taute animadversionis, que dextram amiseras,
tiodatam sociis prevaricationis , iam tuos labores fi nieras et somno
perpetue pacis, ut credimus, dedita quiescebas. A?a puella, pa-
terna virga nobiscam percussa, nobis surgentibus iacebas mortua,
Stupor et tremor omnibus hec videntibus facta! Beata cuius
periit unum membrum, ne perires tota, que divinis flagellis a
1 1 & corrupcione servata et moriendo a morte es liberata! — Ipse
quoque presbiter Rodbertus proxima morte filiam est sequutus.
Brachium vero puelle insepelibile imperator Henricus auro argen-
toque fabricatum ad exemplum Dei magnalium in ecclesia iussit
dependere. Nos, licet abinvicem essemus dissoluti, tarnen eosdem
<20saltus et rotatus, quos simul feceramus, fecimus singuli, atque
ita singuli iactu membrorum videbamur tumultuari. Stipat nos
frequens populus et intuetur nos, quasi tunc primum cepissemus.
Notant vestes nostras, crines, ungulas et cetera spectabilia in-
veniuntque eodem modo omnia, quo fuerant ante fera discri-
t2&mina: munda, nitida, integra. Ita ergo ab invicem, quasi con-
versa in aliam vindicta penam, sumus seiuncti, ut qui prius non
poteramus separari, iam non possimus amplius aggregari. Ita
vagamur per omnes terms dbpersi, ut, quibus antea nusquam
licuit prodire, iam nusquam liceat stabiles durare. Quocumque
i30fogimu8, iBte nos rotatus membrorum fugat et comitatur, iamque
nobis plures anni tarn districte evagationis censentur. PropU
96. Tunc 4. hum. beo.] humane 2. humana bis tecta fehlt 4. —
97. lignarpm 1. fabricabatur 3. penitus fehlt 3. 4. — 98. aver-
tebatur MG. (Druck fehler) \ aubvertebatur 3. 4. Hoc] Nec 4. in-
coeptum 4. — 102. reaoluti 4. — 103. quasi fehlt 4. singuli 4. — 104. ad
invicem 4. ut bis 106. ingressi fehlt 4. — 108. resurroximus atque 4.
ut comes] coraestu 4. — lio. datum 1. (MG.) aociis] locus 4. — in. vi-
dentibus haec facta 4. — ti&. correptione 1. — ne. morte] nocte 2. —
U6. dependi 4. — 123. et ung. 1. ac ung. MG. — 126. et integra 1.
(MG.) — 127. agregari 2. — 129. iam] tarn MG. (Druckfehler).
Zeit»cbr. f. K.-G. XVII, 1 n. 2. 9
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130
SCHRÖDER,
cius Dens propicietur, quicumque piis precibus nostram vicera
miseretur.
Hec Theodericu8 ille et ore referens et litteris testibus
135 ostendens, ipsoque adhuc motu affirmans aaltu et plausu suo inio-
cundo propicatricem Editham interpellabat Hluxerat mundo
celebris dies dominice annunciationis , et omnibus egressis re-
mansit solus apud sanctam virginem advena spectabilis: cum ecce
prostratus coram obdorinivit et — o Dei omnipotentia et apud
noDeum dilecte sue gracia! — evigilaus homo totus sanus surrexit.
Videt se de instabili stare posse immobilem, videt se totum
factum aui compotem, signansque se miratur tarn repentinam
mutationem , miratur deletam sacerdotalis alligationis sentenciam
indelebilem. Concurrunt passim ad maius spectaculum, magisque
HS iam obstupescunt, bominem potuisse ab inquietudine cessare, quem
obstupuerant non potuisse quiescere. Supervenientibus quibusque,
qua leticia poterat exclamare: „Videte", inquit „hec benedicta
doinina, quam vix invocare vix nominare recte sciebam, quid
mihi desperatisaimo fecit, quomodo me mihi restituit et obpro-
i5o brium meum omnium oculis conspicuum ab omnibus detersit. Tot
sancto8 requisivi, sed lucet, quia omnipotens Deus salutem meam
annuit buic sancte virginil" Quäle tunc erat videre eundem
hominem alium atque alium factum: prius instabilem, deinde
constabilem, bodie importune saltantem, modo opportune astantem!
155 Competenter eciam solutus est per virginem in die gaudii vagi-
nalis, in die dominice conceptionis, qui ligatus fuerat in die do-
minice nativitatis.
Hec in presencia Brichtive ipsius loci abbatisse declarata et
patriis litteris sunt mandata, Explicit
Die Handschrift des Ordericus Vitalis (1) ist allem An-
schein nach die älteste, die uns das Stück überliefert,
und L. Delisle, der den schriftstellernden Mönch von Saint-
Evroul als Schreiber auch dieser Blätter erkannte, glaubte
a. a. O. eine deutliche Stil Verwandtschaft mit gewissen viel-
132. Deus] Uli setzt zu 3. (MG.) — 1 33. miseratur 1 ; misereatur MG. —
134. Von Hec bis zum Schlüsse aus 4 nicht erhalten. — 136. planxu 3. —
136. Eadgithara 3. — 137. omnibusque 2. — 139. coram] altari Zusatz
von and. Hand 3. omnipotentiani 2. — 14 0. gratiam 2. — 144. in-
delebilem] insolubilem 3. — 14 9. obprobium 2. — 150. ab omnibus
fehlt 3. — 161. liquet 3. — 164. et hodie 3. — 155. eciam] itaque 1.
(MG.) — 158. Hec — mandata fehlt 1: stand sicher in 4. Br. i. 1.
abbatisse] memorate abbatisse Brihgtive 2. — 169. sunt] sint3. 2 leitet
zur Fortsetzung über: Sed bis pro magnitudine sua ae uovitate effusis
liberius cetera que reatant suggeranms.
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DIE TÄNZER VON KÖLUIGK.
131
gelesenen Partieen der „Historia ecclesiastica" zu entdecken.
G. Waitz scheint seiner Beobachtung stillschweigend zuzu-
stimmen, wenn er das Tanzwunder im Anhang zu den Aus-
zügen aus des Ordericus Kirchengeschichte zum Abdruck
bringt
Dafs aber Ordericus diesmal nicht mehr als ein ge-
wissenhafter Abschreiber gewesen ist, ergiebt sich schon aus
meinen Andeutungen über das Handschriftenverhältnis. Wir
haben in dem erschliefsbaren Archetypus zunächst ein ent-
schieden englisches Produkt vor uns, das nach dem aus-
drücklichen Zeugnis von Z. 5. 6 der hL Editha, d. h. ihrem
Kloster zu Wilton gewidmet ist : an ihrem Grabe zu Wilton
ist Theodericus, einer der Teilnehmer des ruchlosen Tanzes,
nach langjährigen Wanderungen von seinen qualvollen Lei-
den erlöst worden, und eben um dieser Heilung willen ist
das ganze Schriftstück an Ort und Stelle abgefalst, in
welchem ein von Bischof Bruno von Toul autorisierter Be-
richt des Theodericus über das eigentliche Tanzwunder den
breitesten Raum einnimmt.
Das ganze Werkchen enthält keine Jahreszahl, weder
für den Tanz zu Colbeke, noch für die Heilung zu Wilton:
es weifs nur, dafs der Tanz zur Zeit „Kaiser Heinrichs" 1
stattfand, der sich persönlich lebhaft für die Unglücklichen
interessierte, und es setzt dies Auftreten des Theodericus in
England in die Zeit König Edwards (1042—1066). In Wilton
hatte man wenigstens später genauere Angaben, die uns z. B.
das mittelenglischc Gedicht des 15. Jahrhunderts (E. V. 4299)
umständlich mitteilt: danach geschah das Heilwunder im
23. Jahre König Edwards des Bekenners, ein Jahr vor seinem
Tode, d. i. 1065 *.
Die Eingangszeilen des Schriftchens stellen die Wande-
rungen der unglücklichen Tänzer über den ganzen „orbis
Romanus" als etwas den ältern Zeitgenossen durchaus Be-
kanntes hin: „ex quibtis quattuor nobis conspecti, et adhuc
1) Der Ausdruck „ chriatianisßimus imperator " genügt natürlich nicht
zum Beweis, dafs der Engländer dabei an Heinrich II. denkt
2) Den Tanz setzt dieser Autor allerdings ins 17. Jahr König Edwards,
das er dann fälschlich als 1062 (statt 1059) bezeichnet.
9*
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SCHBÖDEIt,
superesse possunt aliqui". Wir haben keinen Grund, an der
Wahrheit dieser Aussage zu zweifeln; der Verfasser, der
vom Papst Leo IX. (f 1054) offenbar als einem Verstorbenen,
aber doch seinem Zeitgenossen (qui postea — sanctissimum
lumen emicuit nostri temporis) spricht, der für Edward den
Bekenner nur den schlichten Ausdruck „ipse regnaior Ed-
wardus " braucht, er schrieb gewifs noch vor der normanni-
schen Eroberung und kann die Heilung des Theodericus am
Grabe der hl. Editha so gut erlebt haben, wie die altern
Klosterbrüder Lamberts von Hersfeld die Heilung des Tän-
zers Rudhard am Grabe des hl. Wigbert. Und auch der
Schlufssatz wird alt und ursprünglich sein, wonach der Be-
richt über den Vorgang alsbald in Gegenwart der Äbtissin
Brichtive in der Landessprache fixiert wurde. Ob der Ge-
heilte wirklich einer der Kölbigkcr Bauern, oder ob es ein
Schwindler war — das ist eine Frage, die wir hier nicht
zu entscheiden haben \
Entstand der Wiltoner Bericht schon zur Regierungszeit
Edwards des Bekenners, so kann ihn recht wohl der Mönch
Goscelin, oder wer immer die „Vita S. Edithae" des Ms.
Rawlinson C 938 schrieb und dem Lanfranc (f 1089) zu-
eignete, schon selbst in den Mirakelanhang seiner Biographie
aufgenommen haben.
Älter als der Wiltoner Archetypus unserer Handschriften
ist natürlich der eingeschlossene Bericht vom Tanzwunder,
jenes Schriftstück, das Theodericus aus seinem Pilgergewande
hervorzuziehen pflegte. Nach seiner Angabe hatte es Bruno
von Toul für ihn verfafst Dafs das eine Mystifikation ist,
erscheint von vornherein wahrscheinlich und wird gleich
noch deutlicher werden. Denn wie kam der Fälscher gerade
auf den lothringischen Bischof? Bei Piligrim von Köln,
den der Bericht I vorschiebt, liegt die Sache einfach genug:
das war eben der Nachfolger des sei. Heribert, der nach
1) Um eben diese Zeit (ca. 1054) eifert der Biograph Godehards von
Hildesheim, Wolfhere HG. SS. XI, 226 heftig gegen das Treiben solcher
Simulanten, welche „ante dttaria vel sepulchra sanetorutn, w cor am
populo rolutanUs pugnisque tundentes, sanatos se ilico proclamant —
blofe um den Leichtgläubigen das Geld aus der Tasche zu locken!
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
133
dieser Version der Kölbigker Tanzwut durch sein Gebet
Einhalt gethan hatte, also die berufenste Autorität Bruno
von Toul hingegen ist über die Grenzen seines kleinen
Sprengeis und gar des deutschen Reiches hinaus, mag er
auch (1027 — 1048) das Muster eines thätigen Bischofs und
obendrein ein Vetter des deutschen Kaisers gewesen sein,
doch erst allbekannt geworden, als er im Jahre 1048 zum
Papst gewählt war. Es war ein kecker Streich, die höchste
Autorität unter dem anspruchslosen Gewände ihrer Ver-
gangenheit zu annektieren: Bischof Bruno von Toul —
das war eben Papst Leo IX. selbst.
Ich vermute also, dafs der Bericht des Dietrich unter
dem Papat Leos IX. (Dez. 1048 — Apr. 1054) auf dem
Kontinent zustande gekommen ist, wesentlich in der Form,
in der man ihn dann in den letzten Jahren Edwards des Be-
kenners zu Wilton dem Mirakel seiner Heilung einverleibt hat.
Aber der Bericht *TI 1 hat eine Vorgeschichte : er ist aus
einem ältern Bericht abgeleitet: demselben, der auch für I
die Quelle gebildet hat *II aus I abzuleiten, ist direkt un-
möglich ; gegen die umgekehrte Herleitung erheben sich ge-
wichtige Bedenken, und unbedingt ausgeschlossen erscheint
sie jedenfalls gegenüber der uns allein überlieferten Wil-
toner Fassung von IL Also bleibt nur die gemeinsame
Quelle. Dafs das eine litterarische Vorlage war, darüber
lassen die durch Sperrdruck aus II herausgehobenen Aus-
drücke, die sich zum Teil wörtlich so in I wiederfinden,
keinen Zweifel, dafs sich auch diese Vorlage als Bericht
eines Teilnehmers gab, ist eine Annahme, der mindestens
nichts widerspricht, während die Hypothese, die beiden seien
selbständig auf die Form des Originalberichtes gekommen,
oder es habe dem einen von beiden die von dem andern be-
reits gewählte Einkleidung als Muster vorgeschwebt, ge-
künstelt erscheinen mufs.
Diese erschliefsbare „Originaldarstellung" nun, die wir
fortan OD. (Otbert -f- Dietrich) nennen wollen, ist in *II
1) so will ich den eigentlichen Bericht des Dietrich zum Unterschied
von II, dem Wiltoner Erzeugnis, das ihn umschliefst, nennen.
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134
SCHRÖDER,
inhaltlich treu und, wie es scheint, Zug um Zug bewahrt und
nur mit stilistischer Prätension ausgestattet, zu der aber
vielleicht schon OD. durch die Vorliebe für Anapher, Asyn-
deton, Streben nach Variation und Antithese Anregung gab;
der bequeme Schmuck des Endreims ist hinzugekommen,
ohne mit fester Absicht durchgerührt zu werden. — Die Fort-
lassung der bestimmten Angaben von Zeit und Land (Saxonia!)
hat wohl erst die Wiltoner Umschrift verschuldet, in der
anderseits der hl. Magnus offenbar mit einem insularen
Namensgenossen konfundiert und ihm eine Schwester des
heimischen Namens Buccestra beigegeben worden ist.
In I dagegen ist die Vorlage wesentlich gekürzt und in
einer Weise entstellt, die nur bei Niederschrift aus dem
Gedächtnis möglich war. Hinzugekommen ist die Person
und Wunderthätigkeit des Kölner Erzbischofs Heribert
(999—1021).
Der Autor von I schrieb im romanischen Teil der
Kölner Erzdiöcese und berief sich auf Heriberts Nachfolger
Piligrim (1021 — 1036), der Autor von *II war wohl auch
ein Westromane, der zur Zeit Leos IX. seine Redaktion
herstellte.
Dafs I aus dem Gedächtnis schrieb, dafür spricht Fol-
gendes :
1) I giebt die Zahl der Teilnehmer auf 18 an: 15 Männer
und 3 Frauen; in II dagegen sind es aufs er dem Reigen-
führer 12 Männer und 3 Frauen. Man sieht deutlich, wie
die Zahl in I entstanden ist: die Gesamtzahl wird nur auf
die Männer bezogen, und dann werden die Frauen nochmals
addiert. Ganz ähnlich ist es später dem Johannes Junior
gegenüber Vincenz von Beauvais ergangen: aus „18 : 15 -f- 3"
hat er gemacht „33:18 + 15"; aber bei I wäre der Fehler
doch nicht recht begreiflich, wenn er die Quelle, die die
12 namentlich aufzählte, vor sich liegen hatte.
2) Die (1 +) 12 -f 3 Namen der Teilnehmer sind noch
in II in einer Weise überliefert, die unbedingt Vertrauen
erwecken mufs: lauter gute deutsche Namen und bei latei-
nischen Endungen großenteils echte niedersächsiche Formen
— trotz dem mehrfachen Durchgang durch nichtdeutsche
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
135
Handschriften. I dagegen hat mit II nur den Namen des
Priesters (Bätkberius I, Rotbertus II), ferner den einer
Tänzerin ( Mersint I, Merswinda \I) und den eines Tänzers
gemeinsam, der eben hier der Erzähler ist (Othbertus I,
Odbertus Tl); die übrigen Namen sind ihm offenbar ent-
fallen, denn nur so ist es erklärbar, dafe er in der Ver-
legenheit beidemal, wo er doch einen Namen brauchte, zu
„Johannes" gegriffen hat»
3) Auch dafs I die Mersint gerade zur Priesterstochter
macht, halt ich für eine Kontamination des Gedächtnisses.
Von den drei Frauen der Vorlage OD. traten zwei bemer-
kenswert hervor: die Priesterstochter in II: Am und die
Heldin des Tanzliedes (in II Merstcindis). In I fiel nur das
Tanzlied fort, aber der Name klang dem Autor noch im
Ohre, und so ward er auf die Priesterstochter übertragen,
deren Name ihm ebenso wie der Name des Bruders ent-
fallen war.
Bei der sichtlichen Knappheit von I und der rhetori-
schen Umständlichkeit von H würde die Rekonstruktion der
gemeinsamen Vorlage immerhin unsicher bleiben, wenn uns
nicht zur Kontrole, wieder durch Gelegenheitsaufzeichnung,
noch eine dritte Fassuug erhalten wäre.
IU. Die Erzählung der Pariser Handschrift 9560.
Die Handschrift der Bibliotheque nationale zu Paris:
Fonds latin 9560 (ehemals Suppl. lat. 1539), aus der allein
ich den folgenden Text kenne, ist ein Pergaraentcodex des
11. Jahrhunderts mit den Homilien des Gregor: auf der
Vorderseite des ersten Blattes, die leer gelassen war, hat
„une main allemande du XIIe siecle" das Tanz wunder ein-
getragen. Die erste Kunde von dieser Version gab L. De-
lisle (Journal des Savants 1860, p. 578 f.), und seiner oft
gerühmten hilfsbereiten Gefälligkeit verdank ich auch eine
eigenhändige Abschrift des merkwürdigen Stückes.
TEXT.
Anno incarnationis domtni nostri Jhesu Christi millesimo XVIII
indictione XV in loco qui dicitur Colebeke, ubi reliquie, Ma&ni
martyris in ecclesia habentur, faerant in ipsa nocte natiyitatis
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136
SCHRÖDER,
Salvatoris domini nostri Jhesu Christi in atrio ipsius aecclesi^
& lnsibus et lasciviis dediti, choreis et saltationibus operam dantes
hi XXVII, quorum hec nomina sunt: Othelrihc, Hereman, Thie-
derihc, Meinnolf, Gerold, Oerlahc, Martin, Lambreth, Heinrich,
Wezel, Fritherich, Arnolt, Johan, Siwart, Hezzel, Amelrich, Alret,
Bdoto, Wunekin, Berenarth, Bio, Wilhelm, Oerath, Vocco, Adel-
te olt, Walthelm, Mersnit, quae sola inter alios femina erat; qui
omne8 ipsam eacrosanctam nativitatem Domini cum debito honore
non venerantes (!). At sacerdos Dei dorn ad missam celebrandam
indutus esset et eos ad misaarum sollempnia invitaret, pre.ceptum
eins despicientes obe^dire ei noluerunt Cumqne secondc ac tertio
ift exiens eadem repeteret, respondernnt , se propter miasam nullo
modo recessuros, donec cantilena finita esset.
Tnnc presbiter commotus in iram dixit: „Quia Dei precepta
per me indignum eins sacerdotem contempnitis et divinum offi-
cium spectante popnlo celebrare non sinitis, faciat Deus per me-
20 rita sancti martyris sui MAGNI, nt toto ißto anno non recedatis
de loco in quo ambulatis, nec alind quam qnod modo in ore
habetis dicatie." Qni nondum preceptis Dei et sacerdotis ein»
obtemperare volnerunt 1 , ideo ultionem divini flagelli meruerunt.
Et martyr Christi quam preclarus extat in nomine, tarn magni-
26 ficue effulsit insigni huios ammiratione. Et post predicta verba
accessit presbiter ad filiam suam, que etiam cnm aliis chorum
ducebat, eam per brachinm apprehendebat, ut, si fieri posset,
secum traheret et ad Qcclesiam reduceret Quod statim tarn
leviter secutum est, ac si nullo modo corpori adhereret, ita
so tarnen, quod mirum dictu est, ut neqne sangois exiret neque
lesionem ullam sentirei Quod dum factum secum ipse miraretur,
apprehensum brachinm portavit in qcclesiam, ut peracto divino
officio terra cooperiret, sed illud vi quadam divina cum summa
velocitate velut avis in medium chori circulum pervenit ibique
3» in modum angmJle. volutari cej>it. Post peracta missam m sol-
lempnia iterum brachium sumentos terra cooperuerunt, sed illud
nihilominu8 velut vermis de terra exiliens iterum in medium
chorum pervenit, ibique in medio usque ad annum duravit. Im-
plentur verba sacerdotis divino nutu loquentis. Totum illum
40 annum in eiadem cantationibus et saltationibus duxerunt: non
manducantes neque bibentes neque frigus neqne aestum sentientes,
non scissuram in calciamentis vel in aliis vestimontis habentes,
donec ad umbilicum terram inambulaverunt At parentes eorum
dum sepe fabricam super eos construerent, quod vespere ^difica-
4 t verunt, mane non invenerunt. In ipsa hora nona cottidie odor
quidam suavissimus velut aura lenis eorum näres et pectora re-
pleverat, quo refocilati et velut omni dulcedine ciborum repleti
1) Handschr. voluemnt.
-
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DIE TANZER VON KÖLBIGK.
137
nullam fameni senserunt In hoc labore et mira Dei potentia
per totum epacium anni durantes perveniunt 1 ad ipsam sacram
&o noctem nativitatis Domini. In ipsa hora et in eodem momento
quo ligati erant solvit divina dementia, et mox venernnt in
ecclesiam pro delictis suis deprecantes. Ubi prostrati per duas
noctes et unum diem iacentes nnllum verbum locuti sunt, et
nullum motum patientes(l). Quo loco filia presbiteri et unus ex
s»eis obierunt Tertio quoque die ad se ipsos redeontes de Qcclesia
expulsi sunt et capti a parentibus non sine quadam violentia
balneati et vestiti sunt. Ad quorum tactum vestimenta sua, que.
illesa permanserunt et amplius ei liceret eis uti non vetera-
scerent, ut tela aranearum defecerunt et velut fumüs evanuerunt.
«o Ex quo tempore per totum orbem dispersi sunt, ut in eis exem-
plum ostendat Dens omnibns, quantae ultionis sit opus Dei negle-
gere et sacerdotibus eins non obedire.
Den deutschen Ursprung der Handschrift bestätigt auf
den ersten Blick die korrekte und dabei dialektisch gefärbte
Schreibung der Eigennamen. Da es sich um eine Auf-
zeichnung des 12. Jahrhunderts handelt, so wird schon durch
das th in Thiederihc und besonders in Öthelrihc, Fritherich
ganz Oberdeutschland und der Bereich der sogen, ober-
frankischen Dialekte von vornherein ausgeschlossen. Ander-
seits sprechen die Diphthonge, speziell das uo in Buovo und,
mit anderer Schreibung, in Othel- und das konstante vier-
malige hochdeutsche -rieh (-rihe) mehr oder weniger be-
stimmt gegen Niedersachsen. Es bleibt das mittelfrankische,
trierische und besonders kölnische Gebiet übrig. In der
That treffen wir alle auffälligen Erscheinungen der Ortho-
graphie in den Namenlisten der kölnischen Schreinsurkunden
(ed. Höniger, Bonn 1884—1894) wieder. Sehr üblich ist
hier die Schreibung des di als he: es genüge, auf die ver-
schiedenen Diederihc Bd. II 2, 49 und auf die Gerldhc
Bd. II 2, 50 zu verweisen; th für hl ist an der Tages-
ordnung: unser Lambreth steht Bd. II 2, 37 neunmal!*
Für den Ausfall des h in Bernart (Bd. II 2, 27) und Gerart
1) Handschx. perveni . . .
2) Auch einlaches -t ist häufig: der Alret unserer Liste wird doch
wohl nur Entstellung aus Albret sein, das sehr oft (z.B. Bd. II 2, 61 f.
mehrfach) vorkommt.
Uigitizeo uy
SCHBÖDEli,
(Bd. II 2, 32) bedarf es am Niederrhein noch weniger der
Belege. Ganz charakteristisch kölnisch aber erscheint der
differenzierende Ausfall des zweiten r in der Form Garath
unserer. Handschrift: sie ist in der zweiten Grofsbürgerliste
(IV 2) als Gerat, in der Gildeliste als Gerradus und Geradh
(Bd. II 2, 50 f.) überliefert \
Mit dem konsequenten th für normalhochdeutsches d
erhalten wir auch ein Mittel zur chronologischen Begren-
zung. Dies th beginnt im Inlaut schon in der ersten Hälfte
des 12. Jahrhunderts dem d (zuweilen t) zu weichen, im An-
laut hält es sich nur vereinzelt bis ins letzte Drittel des
Jahrhunderts hinein. Die beiden nach Höniger die Zeit
zwischen ca. 1135 und 1180 umspannenden Grofsbürgerlisten
(Bd. H 2, 16—45) und die wohl annähernd der gleichen
Zeit angehörige Gildeliste (Bd. II 2, 47—57) kennen die
Schreibung gar nicht mehr 2, in den Bürgerlisten der Laurenz-
pfarre 1135—1175 (Bd. II 2, 68—74) und der Martins-
pfarre ca. 1159 — 1169 (Bd. II 2, 58 — 67) kommt sie ver-
einzelt, in den ältesten Schreinsurkunden von Niederich
(ca. 1150—1172) noch Öfter vor.
Die Datierung unserer mittelfränkischen Handschrift mit
„vor 1170" mag der Vorsicht Genüge thun, mit „um 1150"
werden wir aber wohl dem richtigen näher kommen.
Eine Aufzeichnung also, die zeitlich fast mit der ältesten
Uberlieferung von I (Wilhelm von Malniesbury: um 1140)
und von II (Ordericus Vitalis: vor 1142) zusammenfällt, —
die Abfassung ist auch hier wesentlich früher anzusetzen.
Zwar hat HI keinerlei Berufung auf eine Autorität noch
sonstigen chronologischen Anhalt, aber wenn es am Schlüsse
von den Tänzern heifst: Ex quo tempore per totum orbem
dispersi sunt, ut in eis exemplum ostendat Deus etc., so
scheint dies Präsens doch auf die Zeit hinzuweisen, wo die
schweifenden Tänzer noch vielfach gesehen wurden: also
vor oder um die Mitte des 11. Jahrhunderts.
Die objektive Darstellung in der dritten Person würde
1) Höniger deutet sie irrig als Ger- rat
2) abgesehen natürlich von der Latinisiening Theodericus etc.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
allein nicht hindern, die Fassung III aus OD. abzuleiten:
wir haben ja schon gesehen, wie im 13. Jahrhundert Vincenz
von Beauvais den Ich-Bericht des Otbert ganz ähnlich um-
geschrieben hat. Allein der ganze Bericht steht in der
legendarischen Umbildung des Vorgangs noch auf einer
früheren Stufe.
Am weitesten vorgeschritten ist I: die Tänzer werden
durch die Fürsprache eines wunderthätigen Kirchenfürsten
nicht nur von der Tanzwut erlöst, sondern auch ante aUare
sandi Magni ecclesiae (so 4 — 8) reconciliati; ein Mann und
die drei Frauen geben sofort den Geist auf, andere sterben
bald darauf und thun gar Wunder (miraetdis choruscant) —
kurzum der alte Zug, dafs die Überlebenden noch dauernd
von einem heftigen tremor membrorum geplagt werden, ist
bei dieser Darstellung eigentlich sinnlos. Er ist nur bei-
behalten, um die Existenz des landfahrenden Epileptikers und
seinen Bettelbrief zu rechtfertigen, und er wird törichter
Weise damit erklärt: das sei von Gott in signo recordaüonis
vel potius approbationis ( ! ) geschehen.
II ist nicht so unvorsichtig: mit der Auflösung des
tollen Reigens, die auch hier nach genau einem Jahre, aber
ohne Eingreifen frommer Fürsprache erfolgt, ist nur der
erste Teil der Strafe abgebüfst : nach einem dreitägigen Schlaf
auf dem Pflaster der Kirche beginnt die Unruhe, das Tanz-
fieber von neuem, nur dafs jetzt die einzelnen für sich weiter
rasen und sich bald über die Lande zerstreuen. Aber schon
hier bilden die Tänzer einen Gegenstand schauriger Er-
bauung für die herbeigeströmte Menge. Und wenn Kaiser
Heinrich gar den abgerissenen Arm der Pfarrerstochter wie
eine Reliquie in Gold und Silber fassen lälst1, so ist doch wohl
schon in OD. halbwegs die Auffassung von I angebahnt.
III dagegen hat davon ganz und gar nichts. Hier wer-
1) Nach Harpsfield 8. 207 »oll dieaer Ann im Jahre 1098 nach Eng-
laad gelangt sein. Der prosaische „Brut", den er citiert, offenbar der des
Ms. Hart. 636, war mir unzugänglich ; aber wenn der Verf. sich wirklich auf
Eadmer von Canterbury beruft, so ist das verdachtig: Eadmer (ed. Rule
S. 107 ff.) berichtet nämlich gerade beim Jahre 1098, wie die Königin Imma
(vor 1085) einen Armknochen des hl. Bartholomäus erworben habe!
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140
SCHRÖDER,
den die nach Jahresfrist von ihrer Tollheit befreiten Tänzer,
als sie nach dreitägiger Sprach- und Regungslosigkeit wieder
zu sich kommen, aus der Kirche hinausgetrieben (ezptdsi),
von ihren Eltern eingefangen (capti) und non sine quadam
violentia gebadet und bekleidet. Das ist gewifs ursprüng-
lich, ja wir dürfen getrost sagen: historisch!
Wir können nunmehr, wenn wir von der nicht ganz abzu-
leugnenden Möglichkeit komplizierter Mischverhältnisse ab-
sehen, als genügende Grundlagen für eine Rekonstruktion von
OD. bezeichnen : 1) die Ubereinstimmung von I und II; 2) die
Ubereinstimmung von I und III; die von II und HL
Daraus ergiebt sich, dafs OD. aufser dem gemeinsamen
Bestand von I. II angehörte:
1) aus I die Fluchformel, welche den Kirchensclulndern
sofort wünscht, dafs sie ein ganzes Jahr so forttanzen mö-
gen. Wahrscheinlich ist das amodo von II nur eine Ver-
lesung aus anno (abgekürzt am resp. äo);
2) ebenfalls aus I der Zug, dals sich die Leiber der
Tanzenden immer tiefer in die Erde einwühlen ;
3) aus II die vollständige Namenliste der Tänzer;
4) aus II die ganze Spukepisode mit dem ausgerissenen
Arm der Priesterstochter, der aller Versuche, ihn zu be-
graben, spottet. Sie ist in II und III mit annähernd glei-
cher Ausführlichkeit erzählt, aber doch im einzelnen so ab-
weichend, dafs auch dadurch ein direkter Zusammenhang
zwischen II und III ausgeschlossen erscheint.
Immerhin bleibt auch nach Festlegung dieser Grundsätze
der Rekonstruktion noch allerlei zur Erledigung übrig. Hier
seien zunächst zwei Punkte besprochen. Als Schauplatz
des Tanzes wird in I Z. 9 und demnach in der breiten
— _ _
Uberbeferung das „eimiterium" bezeichnet, in II Z. 37 und
HI Z. 4 das „atrium", das also auch für OD. sicher anzu-
setzen ist Unter „atrium" aber kann freilich, wie man aus
Du Cange (ed. Favre) I, 453 f. und Otte, Handbuch der
christl. Kunstarchäologie I5, 82 f. ersieht, recht Verschiedenes
verstanden werden. Für das „atrium" der Kirche zu Kölbigk
ist jedenfalls zweierlei zu beachten: 1) es war unbedacht,
wie die von allen drei Fassungen überlieferte Geschichte
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK. 141
vom Schutzdach zeigt ; 2) es war ungepflastert, denn nur so
hat der Bericht von I Z. 23 ff. und III Z. 43 Sinn, dafe sich
die Leiber der Tanzenden tief in die Erde einwühlen. Dadurch
erfahren die Ausführungen Ottes eine Ergänzung: es gab
offenbar in jener frühen Zeit unter einfachen Verhältnissen
geweihte (und mit Asylrecht ausgestattete) Vorräume, die wohl
oft nur in primitiver Weise, etwa durch behauene Steine mit
dem Kreuzeszeichen, markiert waren. Das „cimeterium"
konnte ein Teil dieses „atrium" oder mit ihm identisch sein.
In I ist nur einmal von nosira cantilena die Rede, in
III bringen sie das Jahr in eisdem cantattonibus et salta-
tionibus hin: nur II giebt den Anfang des Tanzliedes und
mit ihm den Refrain „Cur Sturmis? quid tum imus?" dessen
schauerliche Ironie das Treiben des Rasenden das ganze
Jahr hindurch begleitet. Dies bedeutungsvolle Motiv kann
kein Zusatz von II* oder gar II sein, um so weniger als
die beiden ersten Zeilen der Strophe durch zwei Namen
mit der Liste der Tänzer eng verknüpft sind. Und diese
liste der Tänzer in II ist alt : also mit ihr auch das Lied,
das in I und III fortgefallen ist.
Wir wenden uns nun dieser Liste zu : sie umfaßt in II
1 und 12 Männernamen, zu denen sich gleich beim Beginn der
Erzählung die Namen dreier Frauen gesellen ; in III werden
27 Teilnehmer namentlich aufgeführt Dabei kehren die folgen-
den Namen in beiden Listen wieder — ich füge jedesmal den
Platz bei, der ihnen hier und dort in der Reihenfolge zukommt:
II III
2 Theodericus 3 Thiederihc
3 Meinoldus 4 Meinnolf
[4 Odbertus fehlt, vgl. aber I]
5 Bovo 18 Buovo
6 Gerardus 23 Gerath
7 Wezelo 10 Wezel
(15) Merswindis 27 Mersuit
Man beachte: 1) daTs unter den sechs zusammenstim-
menden Namen sich Buovo und Mersuit d. i. die beiden
befinden, die auch im Eingang des Tanzliedes auftreten;
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142
SCHRÖDER,
2) dals die Namen 2—3, 5—7, also eine fast geschlossene
Gruppe aus dem Eingang der Liste von II, in III wieder-
kehren, freilich versprengt, aber doch so, dals auch hier gleich
zu Anfang die Namen Thiederihc und Meinnolf 1 in gleicher
Folge erscheinen. Es hat durchaus den Anschein, als ob der
Urheber von HI die Liste, wie sie in II überliefert ist, trümmer-
haft im Gedächtnis bewahrte und nun ohne viel Bedenken er-
gänzte und vermehrte. Möglich, dals dieser Liste noch der
Vocco (24) angehörte, der dem Folctoaldus in II (9) als Kose-
form entsprechen könnte; auch Othelrihe (III, 1) und Odricus
(II, 13) Gerlahc (II, 6), und Gerkvus (II, 1) könnten immerhin
zusammenhangen, Wunekin liefse sich als Entstellung aus dem
Frauennamen Wibecina (Wiuekin) erklären (s. u.); bei dem
Rest der Namen ist jeder Zusammenhang ausgeschlossen.
Dafs es sich bei III um eine Zusammenstellung aus
Erinnerung und Willkür handelt, wird durch folgende Be-
obachtungen noch wahrscheinlicher gemacht: 1) Unter den
Namen von III, die in II keinerlei Entsprechung haben,
befinden sich die beiden kirchlichen Namen Martin und
Johan: sie sind beide auf romanischem Boden wie in den
niederrheinischen Grenzlanden häufig; für sächsische Bauern
des 11. Jahrhunderts sind sie unmöglich. II bietet denn
auch ausschließlich deutsche Namen. — 2) Die Namenformen
in OD. waren durchgehends latinisiert, die von III werden
in der heimischen Form geboten, und dabei lassen sich
neben vorwiegend mittelfränkischer Schreibimg nur in Mer-
suit und in Wunekin niederdeutsche Lauterscheinungen
beobachten. — 3) In II dagegen widersprechen die Namen,
wenn wir die Latinisierung in Rechnung ziehen, der Her-
kunft aus dem ostsächsischen Gebiet in keinem Falle, was
um so bemerkenswerter ist, als die Überlieferung des Arche-
typus doch von einem angelsächsischen Schreiber herrührt
und die ihm vorauslicgende Fassung *II auch schwerlich
auf deutschem Boden zustande gekommen ist. So ist echt
niederdeutsch Gerleves (ahd. Gcrleip, angels. Garlaß, und
1) Über die ganz gewöhnliche Vertauschung der Namen mit -old
und -olf vgl. meine „Zwei altdeutschen Rittermären" a XLV.
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DIE TANZER VON KÖLBIGK.
143
als ein besonders charakteristischer Name erscheint Wi-
becina, wo nur (dem Gerlevus entsprechend) Wivecina noch
sauberer wäre 1. Mersuind und Mersuid (Mersuit) halten
sich auch in Niederdeutschland die Wage *. Nur das a statt
o in Benna ist eine wohl unwillkürliche Änderung des
Angelsachsen. — 4) Verräterisch ist besonders das Ver-
halten von III gegenüber dem weiblichen Teil der Tanz-
gesellschaft : er schliefst seine Liste mit Mersuit, quae sola
i»ter alios femhm erat. Später heifst es: accessit presbüer
ad fdiam suam, que etiam cum aliis chorum ducebai — und
zum Schlüte ist nochmals von der filia presbüeri die Rede,
ohne dafs sie beim Namen genannt wird. Die Leser müssen
natürlich den Schlüte ziehen, diese Tochter habe Mersuit
geheifscn 8. Aber so liegt die Sache für den Autor von
III schwerlich: ihm fiel nur der eine Frauenname ein, der
Frauenname aus dem Tanzlied, und da setzte er voreilig
hinzu: das sei das einzige Frauenzimmer beim Tanze ge-
wesen; indem er aber die Geschichte fortschreibend aus
seinem Gedächtnis herausspann, kam er auch an die Episode
mit der Priesterstochter, und nun blieb diese namenlos.
Es gab also, das ist das Ergebnis meiner Untersuchung,
bereits vor der Mitte des 11. Jahrhunderts, ja wahrschein-
lich recht bald nach dem wirklichen Vorfall eine Dar-
stellung, welche die Tanzwut der Kölbigker Bauern mit
wunderbaren Zügen ausstattete : dafs sie genau auf die Stunde
ein Jahr, von Christnacht zu Christnacht gedauert habe;
dafs die Tanzenden von keinem Mangel und keiner Unbill
der Witterung gelitten hätten etc.; schliefslich der grausige
Spuk mit dem ausgerissenen Arm der Priesterstochter.
1) Der Name ist auf dem ganzen niederdeutschen Gebiet zu be-
legen: aas dem 11. Jahrhundert hab ich freilich nur westfälische, aus
dem 12. Jahrhundert nur kölnische Belege ; aber z. B. im 14. Jahrhun-
dert hiefs so die Mutter des Till Eulenspiegel: ((Anna) Wibeken — und
die war aus Ostsachsen.
2) Mcrsint in I beruht wieder auf Vertauschimg des zweiten Kom-
positionsteils.
3) Dafs sie diesen Namen in I wirklich führt, bat andere Gründe
(S. 135); I weifs ja auch von drei Frauen.
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144
SCHRÖDER,
Sonst war diese Darstellung wohl im wesentlichen zuver-
lässig in der Angabe der Personen l, und sie liefs die Tänzer
einfach das sein, was sie waren: arme siechhafte Menschen,
die von ihren Angehörigen mit Gewalt eingefangen, gebadet
und gekleidet wurden, sich dann aber weithin zerstreuten,
um durch den Anblick ihrer Ix?iden die Mitmenschen zu
einer milden Spende zu bewegen.
Ich glaube, dafs diese Darstellung in der dritten Person
gehalten war, dafs der Ich -Bericht erst von OD. ein-
geführt wurde, während die im einzelnen weit ungenauere
Fassung III doch die äufsere Form jener ältesten Schil-
derung beibehielt. Beweisen kann ich das nicht : es könnte
immerhin auch die Urfassung „Bericht eines Teilnehmers"
gewesen und von OD. nachgeahmt, von III umgegossen
worden sein. Aber ich hoffe, das andere doch wahrschein-
lich zu machen. Der Urheber von OD. hatte nämlich nach
meiner Ansicht ein berühmtes Muster vor Augen : den vom
heiligen Augustin mit seiner Autorität ausgestatteten Bericht
des Paulus von Caesarea.
Die Geschichte, um die es sich handelt2, erzählt Augustin
in dem grofsen Wunderkapitel „De civitate Dei" XXII, 8
(Migne 41, 769 f.): 10 Kinder einer Witwe zu Caesarea in
Kappadokien — 7 Söhne und 3 Töchter — die ihre Mutter
unehrerbietig behandelt haben, werden mit einem furchtbaren
Zittern der Glieder gestraft und zerstreuen sieh, um ihren
Anblick den Augen der Mitbürger zu entziehen, über das
ganze römische Reich. Zwei von ihnen, Paulus und Pal-
ladia, kommen auf ihren Irrfahrten auch nach Hippo, und
hier findet Paulus in der Kirche, wo er den heiligen Ste-
phanus 15 Tage verehrt hat, vor den „cancclli" einge-
schlafen, Heilung. Augustin fordert ihn auf, seine Geschichte
luederzuschreiben, bringt diesen Bericht im Gottesdienst zur
Verlesung, und im Anschlufs daran wird auch die Schwester
unter ganz ähnlichen Umständen gesund. Den „libellus"
1) Dafs der von Lambert von Hersfeld erwähnte Rathart in keiner
liste wiederkehrt, soll freilich nicht verschwiegen werden.
2) Ich verdanke den Hinweis darauf den Bollandisten AA. SS.
Sept. V, 369; vgl. auch Harpsfield Hist. occl. Angl. p. 207.
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DIE TÄNZER VON KOLB1GK.
145
des Paulus selbst besitzen wir in sernio 322 des Augustin
(Migne 38, 1443 ff.).
Die Geschichte dieses Paulus sieht freilich auf den ersten
Blick der des Theodericus (in II), der nach langen Irrfahrten
am Grabe der heiligen Editha einschläft und dort von seinem
langjährigen Zittern geheilt wird, weit ahnlicher, als dem, was
in der Quelle *II resp. in OD. berichtet wird: denn hier fehlt
ja noch die Heilung! Immerhin konnte die Idee, den siechen
Menschen einen „ libellus " mitzugeben, der mit ihren eigenen
Worten ihre Leidensgeschichte schilderte, sehr wohl durch
jenes von Augustin publizierte Schriftstück angeregt wer-
den *. Die Ähnlichkeiten im einzelnen und besonders die
Wortanklänge verteilen sich auf I und II, und darum schieb
ich die Nachahmung des Augustin eher OD. zu als II.
Ich führe einige davon an, indem ich den, geringen Um-
fang der beiderseitig verglichenen Schriftstücke ausdrücklich
betone.
Augustin 41, 769 f.: Alle Einwohner von Hippo kennen
die Geschichte jener unseligen Geschwister, die . . . tote fere
vagabantur orbe Romano etc. — II, 1: Romanus
orbis novit . . . ubivis gentium perv agatos. Der
„orbis Romanus" hat bei Augustin Sinn, ist in OD. aber
nur noch eine rhetorische Wendung — am auffälligsten
allerdings im Munde des englischen Redaktors von II.
Augustin 41, 770: ... divinitus coerciti . . ., ut hor-
ribiliter quaterentur tremore membrorum; Paulus
bei Augustin 38, 1443: ... tremor membrorum tantus
nos invasit. — II, 3: inquictudine corjwrum divinitus
percussos, — I, 25: tremor membrorum non nos
deserit.
Paulus bei Augustin 38, 1443 nennt seinen ältesten
Bruder, den Anstifter des Unheils: fratrem nostrum aetate
ctdpaque maiorem; II, 20 heifst der Arrangeur des un-
seligen Reigens llovo, tarn aetate prior quam stuUUia.
Auffällig oder gar entscheidend sind diese Ähnlichkeiten
1) Der Zufall, data es auch dort neben einer grofaeren Brüderschar
gerade drei Schwestern sind, konnte noch mehr dazu herausfordern.
Ztitecbr. f. K.-O. XVII, 1 u. t. 10
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146
SCHRÖDER,
an sich nicht, wo es sich um einen ähnlichen Vorwurf han-
delt Aber dafs der Vorfall des 11. Jahrhunderts über-
haupt zum Gegenstand eines Ich-Berichtes gemacht wurde,
das darf man doch wohl auf das Vorbild des Kirchenvaters
zurückführen, dessen „Gottesstaat'* und dessen Predigten 1
zu den gelesensten Werken dieser Zeit gehörten.
Ich habe, von dem Briefe des Otbert ausgehend, die
litterarische Entwickelung und Verbreitung der Sage,
d. h. den gröfsten Teil ihrer Gescluchte vorwärts und rück-
wärts verfolgt. Mit den zeitlichen und örtlichen Be-
ziehungen des Mirakels und dem Fortleben der Kunde
davon in der Heimat kann ich mich wesentlich kürzer
fassen.
Das Jahr des Kölbigker Vorfalls wird in den Quellen
des 11. bis 1 6. Jahrhunderts allgemein der Regierung Hein-
richs II. zugewiesen, aber innerhalb dieser Zeit sehr verschie-
den angegeben 2. Da jedoch die meisten hier in Frage kom-
menden Zeugnisse nachweisbare Ableitungen aus I sind, so
verdienen ihre Zeitangaben kaum eine Berücksichtigung.
Wilhelm von Malmesbury, dem Vincenz von Beauvais und
seine ganze Sippschaft folgen, soll nur um des Alters und
der Verbreitung seiner Angaben willen berücksichtigt wer-
den. Er giebt im Eingang das Jahr 1012 an, läfst am
Schlüsse den Brief des Otbert durch Peregrin von Köln im
Jahre 1013 ausgefertigt werden: Piligrim hat aber erst 1021
diese Würde erlangt. Ich vermute, dafs einfach eine Ver-
lesung von MXXI in MX1I stattgefunden hat
Da in II alle Zeitangaben fehlen, so stehen sich die
Jahreszahlen von I (am Schlufs): 1021 und von III (am
Eingang) 1018 zur Entscheidung gegenüber. Zwei an sich
gleich imzuverlässige Konkurrenten, denn ich habe ver-
mutet und zu beweisen gesucht, dafs beide aus dem Ge-
1) Auf die im Gottesstaat ausdrücklich hingewiesen wird!
2) Das Schwanken der Angaben wird noch dadurch gesteigert, dafs
der Tanz sich von Weihnacht zu Weihnacht hinzieht, also beständig zwei
Jahreszahlen in Frage kommen.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
147
dächtnis aufgezeichnet seien: I nach OD., III nach der Ur-
fassung. Aber während es für 1018 bei der alleinigen
Uberlieferung durch das unsichere III bleibt, läfst sich die
Zahl 1021 mit einiger Gewifsheit OD. zuweisen: sie steht
nämlich im Widerspruch zu der hauptsächlichsten Neuerung
von I, der Einführung des heiligen Heribert: Heribert ist
am 16. März 1021 gestorben! Die Zahl 1021 ist also für
den auch sonst zuverlässigsten Tenor, den wir erreichen
können, den von OD. gesichert. Diese Zahl meint, gemäfs
ihrer Stellung am Schlufs des Berichts, das Jahr der Dauer
und des Abschlusses der Tanzerei, nicht ihren Beginn.
Da wir OD. ziemlich dicht an das Ereignis heranrücken
muteten und seine Entstehung auf Grund der niedersäch-
sischen Namenformen in II auch in der ostsächsischen Hei-
mat der Sage gesucht haben, so scheint seine Zeitangabe
zuverlässiger, als die aus Lambert von Hersfeld (ed. Holder-
Kgger S. 351) erechliefsbare: jener, übrigens in keiner Liste
wiederzufindende, Ruthart, der im Jahre 1038 Heilung fand,
wird als Iremulus per annos iam viginti tres bezeichnet;
damit kämen wir auf 1015 resp., da hier doch wohl vom
Beginn der Tanzwut an gezählt wird, auf 1016 als das
eigentliche Tanzjahr. Dürfen wir abermals 1 auf eine Ent-
stellung, hier von XXIII aus XVIII raten?
Den Schauplatz des Ereignisses nennen die vier dem
11. Jahrhundert zuzuweisenden Quellen: Colbicze (Cdwize)
I ; Colebecca U ; Colebeke HI ; Cottebecce Lambert. Es ist
kein Zweifel, dals damit der heutige anhaltische Ort Köl-
bigk an der Wipper, eine Meile westlich von Bernburg,
gemeint wird, jetzt eine herzogliche Domäne, bei der eine
Kirche mit romanischem Turm und sonstigen geringen Besten
der gleichen Periode erhalten ist *. Der Ort liegt im alten
Gau Suevon (nicht im Harzgau, wie eine Urkunde von 1043
fälschlich angiebt, vgl. Heinemann, Albrecht der Bär, S. 298)
1) Man bedenke die trüinmerhafte Überlieferung der betr. Schrift
Lamberts.
2) Abbüdung bei Büttner Pfänner zu Thal, Anhalts Kunstdenkmäler
8. 171.
10*
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148
SCHRÖDER,
und er führte wohl ursprünglich einen slavischen Namen *,
denselben wie das heutige Kolbitz im Kreise Wolmirstädt
(Brückner, Die slavischen Ortsnamen in der Altmark S. 38.
69). Da aber in eben dieser slavisch-deutschen Grenzgegend
der Zetacismus des germanischen (niederdeutschen) k zu-
hause ist, also deutsche Namen wie das heutige „Walbeck"
und „Salbke" als Wallebizi und Sahbizi erscheinen (Seel-
mann im Niederdeutschen Jahrb. XII, 72), so lag es nahe,
umgekehrt auch Colbize als CoJbfke zu behandeln und umzu-
deuten. Während die ältesten Belege im Cod. dipl. Anhal-
tinus I 88 (1036) und I 93 (1043) noch Cholebizc und Cho-
libez lauten und sich Formen mit z noch bis um die Mitte
des 12. Jahrhunderts (Cod. dipl. Anhalt. I, 227 [1144] Chol-
wize) erhalten, tritt doch daneben schon im 11. Jahrhundert
die neue Schreibung mit k und bei Lambert von Hersfeld
auch gleich eine naheliegende Deutung: Collebecce i. e. „pru-
narura rivus" (Kohlenbach) auf. In Ostsachsen brauchte
man offenbar um 1050 schon beide Formen, die mit z und
die mit k, nebeneinander, und wenn die beiden Spröfslinge
von OD. Colbizce (I) und Colebecca (II) schreiben, so werden
die verschiedenen Hss. von OD. offenbar mit diesen For-
men abgewechselt haben. Damit ist unsere Vermutung,
OD. stamme aus der Heimat der Sage, noch weiter gefestigt :
nur hier war das Nebeneinander beider Formen ohne An-
stofs möglich.
Unsere Sagenberichte sind die ältesten Zeugnisse für
den Ort. Ans einer Urkunde von ca. 1142 (Cod. dipl. An-
halt. I, 218) erfahren wir freilich, dafs die „praepositura
Cofbeckensis in episcopatu Halberstadensi sita, nobiliter pri-
mum in nomine Domini et in honore beatorum martyrum
Steffani et Magni instituta et a pio Heinrico imperatore
sanete Bambergmsi ecclesiae donata" war; und wenn im Jahre
1036 Konrad II. „in loco Cholebize dicto" einen Markt
errichtet und Ort und Markt seiner Gemahlin schenkt (Cod.
dipL Anhalt. I, 88; Stumpf Nr. 2082), so dürfen wir einen
Zusammenhang zwischen dieser Marktgründung und dem
1) Vgl. auch Zeitschr. d. Harzvereins VIII, 185 f.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
149
Mirakel von 1021 wohl vermuten. Die übrigen Markt-
Gründungen Konrads II. betreffen Donauwörth und Würz-
burg (1030), Stade (1032), Amberg (1034), Bremen und
Nienburg (1035): neben diesen verkehrreichen Orten er-
scheint das zu allen Zeiten unbedeutende und an keiner
grofsen Heerstrafse gelegene Kölbigk recht auffällig, wenn
wir nicht annehmen, dafs der Pilgerstrom, welcher sich
nach dem Zeugnis von II (III) frühzeitig nach der Statte
des schauerlichen Vorfalls lenkte, dazu die Veraidassung
gab. Der Zusammenhang zwischen kirchlichen Festen und
Märkten bedarf keiner Belege; ich citiere nur aus Rathgen,
Die Entstehung der Märkte in Deutschland (Diss. Strafs-
burg 1881) S. 59: „Zahlreich sind die Zeugnisse vom Markt-
verkehr in ciineterio."
So verdankte nach meiner Vermutung das kleine Köl-
bigk nicht nur seine Berühmtheit im Auslande, auch seine
Propstei und seinen Markt den unglücklichen Bauern, die
dort im Jahre 1021 einen Anfall von Tanzwut durchmach-
ten : den frühesten, der uns aus dem Mittelalter bezeugt ist
Denn als einen Ausbruch der grofsen Chorea fassen die Ge-
schichtschreiber der Volkskrankheiten, Hecker ^HäserjLersch
den Vorfall auf, der unserer Sage zugrunde liegt, und schon
protestantische Schriftsteller des 16. Jahrhunderts wie Fin-
celius in den Wunderzeichen 1556 und noch entschiedener
Letzner in der „Corbeischen Chronica" (Hamburg 1590)
Kap. XX haben die Sache als Veitstanz bezeichnet und
durch andere Beispiele erläutert Das epidemische Auf-
treten der Tanzwut fällt stets in Zeiten und Landschaften,
wo die Phantasie und das Nervensystem der Menschen
durch erschütternde Naturereignisse, Entbehrung und Seuchen
krankhaft erregt ist ; und das trifft auch liier wieder durch-
aus zu. In wahrhaft erschreckender Häufung berichtet die
nächstliegende historische Quelle, die Fortsetzung der Quedlin-
burger Annalen*, aus diesen Jahren: zum Jahre 1017 vom
1) Die grofsen Volkskrankheiten des Mittelalters (ed. Hirsch, Berlin
1865), 8. 153 f.
2) MG. SS. III, 84 ff.
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SCHRÖDER,
Ausbruch einer grofsen Pest und Sterblichkeit des Volkes, die
den Zug Heinrichs II. gegen Boleslaw hinderte; zum Jahre
1018 von einem Kometen, der der elenden Welt abermals
Pestilenz und Sterben ankündigte; zum Jahre 1020 schliefe-
lich von einer ganzen Kette von Schicksalsschlägen, die
ganz besonders das östliche Sachsen betrafen : ein ungewöhn-
lich langer und rauher Winter, der viele Menschenleben
forderte; zum Frühjahr ein unerhörtes jähes Sterben, das
die Menschen mitten aus der Gesundheit, ja von den Freu-
den der Tafel wegraffte ; im Sommer merkwürdige meteo-
rische Anzeichen; schliefslich im Spätjahr eine nie da-
gewesene, von wundersamen Erscheinungen (wie feurigen
Dämpfen) begleitete Überschwemmung der Weser und der
Elbe : sie hinterliefs beim Zurücktreten wahre Leichenwälle,
deren Beseitigung durch allerlei scheuGsliches Getier den
Überlebenden fast unmöglich gemacht wurde. An den Ab-
schlufs dieses Jahres der Schrecken verlegen unsere Zeug-
nisse den Ausbruch der Tanzwut zu Kölbigk. Die Schnellig-
keit, mit der das Ereignis sagenhafte Gestalt annahm, hat
nichts Überraschendes, wenn man die von einer erregten
Phantasie diktierten Schilderungen des Quedlinburger An-
nalisten daneben hält. Dem Unheimlichen gesellte sich
spontan das Übernatürliche — und erst nach einiger Zeit
wird sich auch schwindelhafte Reklame landfahrender Leute
des Ereignisses bemächtigt haben.
Die ältesten erschliefebaren Darstellungen sind gewifs in
der ostsächsischen Heimat der Tänzer entstanden: Schritt
für Schritt ist unser Vertrauen in die hauptsächlich durch
II repräsentierte Fassung OD. gewachsen; auch die per-
sönliche Anteilnahme Kaiser Heinrichs II. am Schicksal
der Tänzer, obwohl in II stark übertrieben, mag auf
Wahrheit beruhen: der Kaiser hat gerade im Jahre 1021
sowohl im Frühling als im Herbst längere Zeit in Sachsen
zugebracht und in unmittelbarer Nähe des Schauplatzes, im
Kloster Walbeck und in der Pfalz zu Allstedt wiederholt
verweilt1; und die Gründung der „prepositura Colbecken-
1) Hirsch-BressUu, Jahrbb K. Heinrichs II, Bd. Dl, 179ff. 191ff.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
151
sis" wie ihre Überweisung an Bamberg mufs in seine letzten
Lebensjahre fallen: im Jahre 1021 gab es zu Kölbigk nur
einen schlichten „presbiter", einen Dorfpfarrer mit Sohn
und Tochter.
Mit dieser Sicherung des inhaltlichen Bestands von II
— die rhetorische Haltung des ganzen mag jünger und
vielleicht gar nicht deutscher Herkunft sein — gewinnt
nun auch ein kostbarer Einschlufs an Wert, den eben nur
diese Fassung bewahrt hat, der Beginn jenes Liedes, wel-
ches der Bauer Gerief zum Tanz anstimmte und dessen
Refrain „Cur stamus? Quid non intus?" die Schar ohne
Rast und Ruh wiederholen mufste. Die lateinische Um-
schreibung gestattet uns nicht, über die Form ein sicheres
Urteil abzugeben. Wir haben eine Strophe vor uns aus zwei
Zeilen und einem Refrain; die Reimwörter frondosam: for~
mosam wollen offenbar „klingende Versausgänge" wieder-
geben, also wird man unter den verschiedenen Ober-
setzungen, die sich darbieten, groni: sconi bevorzugen, und
damit wachsen die Zeilen über das Mafs vierhebiger Kurz-
verse hinaus. Vielmehr scheint unsere lateinische Uber-
lieferung Equitdbat Bovo \ per stimm frondosam \\ Ducebat
sibi | Merstvindem formosam auf Langverse zu führen, die
durch eine Casur in Halbverse von 3 und 4 Hebungen zer-
legt wurden.
Viel sicherer und darum wichtiger sind andere Erkennt-
nisse.
Der Reigenführer („duetor furoris nostri" U) stimmt
das Lied an, das er improvisiert oder für den bevorstehen-
den Zweck neu gedichtet hat: zwei Personen der vorher mit
Namen aufgeführten Tanzgesellschaft , Bovo und Merswind,
treten in der ersten Strophe auf, waren offenbar die Helden
des Gedichts.
Denn dies Tanzlied war episch oder hatte jedenfalls
epische Einkleidung: es war eine richtige „Ballade"!
Diese Ergebnisse haben nichts Überraschendes, ihr Wert
liegt im Alter und der Zuverlässigkeit der Urkunde. Wer
in Bielschowskvs Geschichte der deutschen Dorfpoesie im
*3. Jahrhundert (Acta Genn. n, 2, Berlin 1891) S. 1 ff.
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152
SCHRÖDER,
die gesammelten Zeugnisse überblickt, wird einsehen, wie
wertvoll diese den Germanisten bisher unbekannte Ergän-
zung ist. Und verblüffend wirkt es immerhin, hier im 11. Jahr-
hundert plötzlich dem Eingang eines Tanzliedes zu begegnen,
der an so viele typische Balladenanfänge des 16. Jahrhun-
derts und der späteren Zeit erinnert: mau schlage nur einmal
in Mittlers „Deutschen Volksliedern" das Register S. 974
unter „Es reit" oder „Es ritt" auf. — Anderseits hat sich
Gaston Paris, der erste Gelehrte, der m. W. das litterar-
historische Interesse unseres Dokuments erkannt hat, offen-
bar lebhaft an gewisse französische Pastourellen aus den
ritterlichen Kreisen des 13. Jahrhundert« erinnert gefühlt:
er hat nämlich unversehens die erste Zeile so abgeändert lT
dafs das Lied in höfische Kreise gerückt scheint:
Equitabat <dt«?> Bovo per silcam frondosam.
Der berühmte Romanist, auf dessen persönliche Aufmunte-
rung hin ich meine früher nur unter der Hand gesammelten
Lesefrüchte zu dieser Untersuchung erweitert habe, wird
mir nicht grollen, wenn ich das Tanzlied sächsischer Frei-
bauern dem ostniederdeutschen Boden, von dem es stammt,
zurückgewinne. Es könnte, so wie es uns überliefert ist,
recht wohl im Jahre 1021 zu Kölbigk gesungen worden sein;
wahrscheinlicher freilich ist es, dafs es von dem Redaktor
des Urberichts um des wirkungsvollen Kontrast« der Re-
frainzeile willen aus dem Liederschatze seiner Landsleute
ausgewählt und zurechtgestutzt ward. Damit bleibt es immer
ein zuverlässiger Repräsentant der Gattung wie der Zeit.
Die Formen, in denen die Geschichte, bald genug die
Sage Verbreitung bis zu den Küsten Frankreichs und Eng-
lands fand, sind oben ausführlich besprochen worden. Ost-
sachsen selbst scheint an der Weiterbildung des Mirakels
nach dem Jahre 1050 keinen Anteil mehr zu haben. Das
Rheinland, die romanischen Niederlande, Frankreich und
Englands sind es, denen wir die Fassungen III, I, *II und
II verdanken. Und als um 1250 die Sage in Deutschland
1) Lea origines de la poesie lyrique en France (Paris 1892, Extr. du
Journal des savants), p. 47.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIOK.
153
neu auflebt, da bildet ihre litterarische und, wie ich ver-
muten möchte, ihre einzige Grundlage der kürzende und
vielfach entstellte Bericht des Otbert. Es sind die Domi-
nikaner (Vincenz von Beauvais, Johannes Junior u. s. w.)
und die Franziskaner (Albert von Stade, der Erfurter Mi-
norit), die Hauptpfleger also des Predigtmärleins, die dem
lehrhaften Mirakel sein Fortleben durch die Jahrhunderte
und seinen Platz in der Darstellung der Weltgeschichte sichern.
Die zahlreichen Wiederholungen, die ich aus der Zeit
zwischen 1240 und 1700 oben aufgezählt habe , lassen sich
trotz allen ihren Mifsverstandnissen und Umbildungen aus
I ableiten, ohne dafs jemals erkennbare Spuren mündlicher
Überlieferung und speziell lokaler Tradition zutage treten.
Man kann hier recht hübsch verfolgen, dafs eine ganz be-
stimmt festzulegende Einzelversion bei fortgesetzter schrift-
licher Ableitung sich doch so zu spalten vermag, dafs
schliefslich die Spröfslinge späteren Sammlern als ganz ver-
schiedene Geschichten erscheinen. So ist es dem gelehr-
ten, freilich nichts weniger als kritischen Joh. Letzner in
seiner „Corbeischen Chronica" (1590) gegangen, der Bl.
Miij f. eine auf Johannes Junior zurückgehende Version
richtig zu „Colbeck", daneben aber die des Joh. Rothe „im
Stifft Cölln" spielen läfst, ohne die Identität zu erraten.
In der gesamten litterarischen Oberlieferung dieser Jahr-
hunderte ist mir auf deutschem Boden nur eine Spur be-
gegnet, die ich mir nicht getraue, ohne weiteres auf I zu-
rückzuführen. Der in Niedersachen um 1400 entstandene,
am Niederrhein früh verbreitete „ Seelentrost " enthält unter
seinen zahlreichen erbaulichen Erzählungen auch die unsere:
sie findet sich in dem zweiten Druck, „Collen durch Lud wich
van Renchen 1484", fol. XXXIII (in Sassen in eijner stat
heisch Koylberge) und ist aufserdem nach einer Papierhand-
schrift des 15. Jahrh. gedruckt in Frommanns „Deutschen
Mundarten" I, 203 (Nr. 30 „Von eim danze in der hilger
kristnacht": Dat geschach zo Sassen in einem dorpe und
heisch Goltbecke). Auffällig ist, dafs nicht nur Heribert,
sondern überhaupt geistliche Fürbitte fehlt: Doe dat jair
umb quam, hoirden si np, wie in II, III; auch von dem
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154
Stil KÖDER,
raschen Bekanntwerdeu des Vorgangs und dem Zuströmen
einer grofsen Menge ist nur in II, III die Rede. Die naive
Schilderung, wie die „vrilude up dem kirchove " 1 den Tanz
verabreden, um sich zu wärmen, und dann nicht davon
lassen können, spricht für mündliche Herleitung *. III selbst
ist als Quelle schon ausgeschlossen , weil die Zahlen so wie
in I gegeben sind.
Dies erbauliche Unterhaltungsbuch wurde frühzeitig
auch nach Schweden gebracht und, man nimmt an um
1430, im Kloster Vadstena übertragen (ed. Klemming, Stock-
holm 1871—1873): S. 142 f. steht auch die Geschichte vom
Tanz zu „Holtbeke". Noch leichter fand das Werk von
Köln aus seinen Weg nach den Niederlanden, wo u. a. noch
der früher erwähnte „Roomsche Uylenspiegel ofte Lusthof
der Catholijken" (Amsterdam 1671), aus ihm schöpft.
Für ein Fortleben der Sage im Volksmund ihrer Heimat
sind mir in der ganzen Fülle der Überlieferung nur wenige
Zeugnisspuren begegnet. Aus einem „Liber conscientiae "
(des 13. Jahrhunderts?) im Mscr. lat. 14883 der Pariser
Nationalbibliothek teilt Haureau in seinen Notices et Ex-
traits III] (1891) p. 245 eine Fassung unserer Geschichte
ohne Namen, und auch sonst wesentlich gekürzt, mit, die
mit keiner schriftlichen Aufzeichnung zusammenhängt: sie
stammt aus dem Munde eines „quidara frater de Sancto
Victore, qui erat natus in Saxonia". Der erzählte, dafs in
seiner Heimat ein frevelhafter Tanz bei dem Feste „eines
gewissen Heiligen" begonnen habe: nach Ablauf eines Jahres
„ceciderunt incinerati". Das beruht sicher auf Hörensagen,
aber obendrein wohl auf ungenauer Erinnerung des Erzäh-
lers, der das hohe kirchliche Fest und die Rolle des Schutz-
patrons der Kirche zu der Vorstellung vom „festuin cuius-
dam sancti" verwirrte.
1) Dafs der Tanz „ up dem kirchove " erfolgt, braucht nicht auf das
„eimiterium" in I hinzuweisen, sondern kann sehr wohl das „atrium"
meinen, so wie wir es oben ermittelt haben.
2) Unter den vom Verfasser in der Einleitung angegebenen Quellen
(Geffcken, Bilderkatechismus, 8. 47) befindet sich auch das „Speculum
historiale das aber hier sicher nicht benutzt wurde.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
155
Ebenso kurz läfst sich ein später Versuch abthun , die
Sage anderweitig zu lokalisieren : er ist mir zuerst in Reim-
manns Grundrifs der Halberstädtischen Historie (HahWstadt
1702) ad a. 1005 begegnet: „der unglückselige Tanz ...zu
Collbeck, welches itzo Danstedt genannt wird". J. G.
Leuckfeld, dem im übrigen reichste eigene Belesenheit zur
Verfügung steht, hat diese Identifizierung „Colbeck . . . das
itzige Dannstedt zwischen Halberstadt und Zylli" einfach
übernommen: „ Antiquitates Halberstadenses (Wolfenbüttel
1714), S. 329 f. Offenbar deutete man den Namen des
1$ Meile westlich von Halberstadt gelegenen Dorfes Dan-
stedt als „Tanzstatte" — und so hat denn gar J. Vulpius,
„Magnificentia Parthenopolitana" (1702) S. 292, Reimmann
und Knaut konfundierend, daraus „Kolbick anitzo Tantz-Dorff
eine Meile von Bernburg" (!) gemacht.
Ein paar Nachrichten des 15. und 16. Jahrhunderts sind
in hohem Grad geeignet, eine Wifsbegier anzuregen, für
die ich leider keine Befriedigung weifs.
Den Schmellerschen Collectaneen , die mir die stets be-
reite Freundlichkeit des kundigen Fr. Keinz erschlossen hat,
verdank ich die Bekanntschaft des clm. 3588 (Aug. civ. 88),
einer Papierhs. vom J. 1479, die hauptsächlich litterarische
Arbeiten der Karthäuser enthält. In einem „Tractatus de
chorea" (f. 27* — 35b) findet sich u. a. auch unsere Geschichte
mit Quellenangabe aus dem Speculum historiale, aber unter
Hinzufügung einmal des Ortsnamens „Kolbeke" und dann
mit folgendem merkwürdigen Schlufs: Et quidam nomine
Othbertus clericus littcrotus (!) unus chorisantium fuit et
predida conscripsit. Et audivi a quodam nobili et experto,
qui fuit in ista villa , qui dixit, quod predida viUa sit in
diocesi Halberstadensi 1 sita, et ibidem in memoria prediäi
miraetdi sint lapides sculpti habentes formam virorum et
mulierum ducentium choream.
Von derartigen Bildwerken hat dann um 1500 auch der
Frankenberger Chronist Wigand Gerstenberg gehört Nur
1) Handschrift: Halberstudetm. Auch andere Schreibfehler beweisen,
dafs wir keine Originalaufzeichnung ?or uns haben.
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156
SCHRÖDER,
beziehen sie sich nach ihm auf einen andern ähnlichen Vor-
fall. Er läfst nämlich auf die Kölbigker Geschichte, die er
mit einem Hinweis auf den „Fasciculus" (W. Rolevincks)
schliefst, aber freilich nach „West -Saßen" verlegt, die
Notiz folgen: Desglichen geschieh auch in Saßen hie Halle,
des nach zu eyme tzeichin steyne dar siehin so vil als der
dentzer was. Und ein halbes Jahrhundert später flocht
Cyr. Spangenberg, damals Hofprediger zu Mansfeld und
Superintendent der Grafschaft, in die 46. Brautpredigt seines
„Ehespiegels" (Stralsb. 1561, fol. 177b) die Geschichte vom
vnzeytigen Tantz zü Colbeck, im Stifft Halber statt (nit weyt
von hinnen gelegen) ein und fügte zum Schlufs hinzu: Das
ist gescJiehen Anno 1021, vnnd haben die Landtsherren da-
selbst zürn geddehtnufs, also vil steynem Bilder hauwen lassen,
als vil der personen gewesen, so getantzt K
Der erste Gewährsmann bleibt uns fremd — aber er
versicherte ja doch, an Ort und Stelle gewesen zu sein ! Der
letzte ist uns als zuverlässig bekannt — und er war so nahe
bei Kölbigk zuhause, dafs es fast wunderbar wäre, wenn
er seinen Zuhörern und Lesern eine derartige Nachricht
unverbürgt geboten hätte. Giebt es noch irgendeine spätere
Kunde von diesen merkwürdigen Bildwerken? Sollten sie
wirklich spurlos verschwunden sein? Ganz abgesehen von
ihrem künstlerischen Wert oder Unwert würden sie schon
durch den Vorwurf an sich auch kunsthistorisch bemerkens-
wert sein.
Freilich: man kann einen Zweifel nicht unterdrücken,
dafs den Berichterstattern, was sie gesehen haben, auch
richtig gedeutet worden sei. Die Plastik des 15. Jahrhunderts
hat ja in den „Olbergen" einen Anlauf zur Bewältigung
umfangreicher Gruppenmotive genommen — aber von da
bis zu einer (freistehenden?) Gruppe doch wohl lebensgrofser
Tänzer ist noch ein weiter Schritt, und einer früheren Zeit
wird man ein solches Unternelimen noch weniger zutrauen.
1) Wörtlich übernommen von Florian Daule in seinen „Tantz-Teuffel "
1567 („Theatrum diabolorum '\ 1575, iol. 233*), fast wörtlich in Bfitner-
Steinharts „Epitome bistoriarum " (Leipzig 1596) fol. 70».
DIE TÄNZEit VON KÖLBIGK
157
Die Nachricht läfst sich auch nicht gut, wie das J. Grimm,
Kl. Schriften VII, 373, mit der ganzen Sage versucht, ab-
leiten etwa aus einer Vorstellung von frevelnden
Tänzern, die in Steine verwandelt werden. Derartige
Sagen sind oft genug in Gegenden anzutreffen, wo Häu-
fungen erratischer Blöcke oder prähistorische Steinsetzungen
die Phantasie der Bevölkerung anregen: so ganz besonders
die oft phantastischen Cromlechs, Dolmen und Menhirs
auf altkeltischem Boden, in England und Westfrankreich.
Zu den litterarischen Notizen, welche Adalbert Kuhn in
seinen „Westfälischen Sagen" I, 32 bietet, füg ich hier
hinzu: die Sagen aus Buryan in Cornwall (Cromlech von
Dawns Myin: 24 Mädchen und 2 Dudelsackpfeifer), aus
Saint -Just in Devonshire, Revue des traditions populaires
V, 336; — aus Pontusval (im Dep. Leon) und aus Langon
(Ille et Vilaine) Ebda; aus Plouneour-Trez (Leon) Ebda II,
135 f.; aus Miradoux (Gers) bei Blad£, Contes populaires de
Ja Gascogne II (1886), 177. Eine Entstellung dieses Mo-
tivs ist es, wenn in zwei Sagen aus dem Poitou, die Leon
Pineau, Le Folklore du Poitou (Paris 1892), p. 161 ff. 165
unter dem üblichen Titel „Les danseurs maudits" mitteilt,
die tanzenden Schäfer und Schäferinnen von der Erde ver-
schlungen werden oder in einen Abgrund stürzen, während
ihre Hunde und Schafe versteinert zurückbleiben.
Auf deutschem Boden ist die Sage vom Adamstanz bei
Wirchow in der Mark, die Ad. Kuhn, Märkische Sagen und
Märchen S. 251 ans Beckmanns Beschreibung der Mark
Brandenburg mitteilt, die bekannteste: 14 Tänzer sieht man
dort versteinert, und dazu in der Mitte die beiden Bier-
schenker, aufserhalb des Kreises, ganz wie in der Sage aus
Cornwall, die beiden Spielleute.
Eigenartig, aber gewifs ein sehr alter Zug, ist hier die
Begründung der Sünde: die Tänzer haben am Pfingsttag
ihren Reigen nackt ausgeführt. Das ist o. Zw. ein heidnisch
sakraler Rest 1 , und er weist uns auf die Sphäre hin , aus
1) Vgl. Weinhold in den Phil.-histor. Abhandlungen der Berliner
Akademie, 1896, I, 8. 30.
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158
SCHRÖDER,
der die ganze Sagenfamilie erwachsen ist, in der sie jeden-
falls ihre uns zugänglichen Formen erhalten hat Es ist
der Kampf der mittelalterlichen Kirche gegen jene Uber-
reste heidnischer Bräuche, die sich an die kirchlichen Feier-
tage anklammerten und mit Schmausen und Trinken, vor
allem aber mit Gesang und Tanz selbst an die heiligen
Stätten drängten. Hatte man vorher etwa in jenen Stein-
setzungen eine „chorea gigantum" erblickt *, so lehrte jetzt
der christliche Priester, es seien Tanzgesellschaften , die
gegen die Satzungen der Kirche gefrevelt hätten.
Einigen der oben angeführten Versionen genügt für den
himmlischen Rächer der Tanz am Sonntag, andere nennen
einen hohen Festtag, wieder andere betonen das Läuten der
Glocken oder den Beginn der Messe. In einigen wird der
Frevel dadurch aufs äufserste gesteigert, dafs die Tänzer
den Priester nicht achten oder gar verspotten, als er mit
dem heiligen Sakrament vorüberschreitet
Das ist z. B. der Fall in mehreren bretonischen Sagen,
wie der von Plounöour-Trez (Revue des tr. pop. II, 135 f.)
und namentlich derjenigen, welche Luzel, Legendes chr6-
tiennes de la Basse - Bretagne (Paris 1881) II, 367 ff. aus
einem „gwerz" von 33 vierzeiligen Stophen übersetzt hat
Der bretonische Bänkelsang, der als gedrucktes Flugblatt ver-
breitet ward, erzählt, wie eine Schar von 32 jungen Leu-
ten, in ausgelassenem Tanzen begriffen, den Priester verhöhnt^
der einem Sterbenden das Sakrament bringen will: sie wer-
den in scheufsliche schwarze Gespenster verwandelt, ver-
bleiben so 3 Monate und werden am Tage Marien Himmel-
fahrt, trotz allen Gebeten des Volkes und der Geistlichkeit,
von einem Erdbeben verschlungen.
Dieser Typus: „Tänzer verhöhnen einen Geist-
lichen mit dem Sakrament und werden das Opfer
einer jähen Katastrophe" hat seinen ältesten Vertreter
in einer Geschichte, die sich als historisches Ereignis giebt
1) Vgl. das Zeugnis des Giraldus Cambrensis in J. Grimms D. My-
thologie I4, 457, Anm. 2; dazu Waces „Brut" v. 8383 f. „karole as
gaians".
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DIE TÄNZER VON KÖLBIUK.
und gewife auch auf einen wirklichen Vorgang zurückzu-
führen ist Im Jahre 1277 oder 1278, so melden verschie-
dene Historiker, deren Zeit- und Ortsangaben variieren1,
soll die Brücke über die Maas zu Maestricht (alias: „eine
Moselbrücke", „die Brücke zu Utrecht") eingestürzt und
sollen dadurch 200 Menschen ertrunken sein, die dort einen
Tanz aufführten und selbst beim * Herannahen des Priesters
mit dem Sakrament nicht aufhören wollten. Diese Ge-
schichte hat ihre Verbreitung gleichfalls vor allem als
Predigtmärlein gefunden, ja sie begegnet uns wohl ein
dutzendmal direkt in Gesellschaft der älteren Tänzersage,
bis zu Spangenberg und Bredenbach herab. Bei Henricus
Stephanus sahen wir sie mit ihr geradezu konftindiert. Und
sie hat auf deutschem Boden Doubletten erzeugt, wie die
in einem Zusatz der sogenannten Gmünder Chronik aus Cod.
Gotting. Theol. 293, Bl. 103 f. enthaltene, die ich in der
Anmerkung nach einer Abschrift Wilh. Meyers mitteilen
darf 3); der betr. Vorgang wird dort in die erste Regierungs-
zeit Karls IV. verlegt
Eine direkte Sprofsform der Kölbigker Sage dagegen
ist mir in litterarischer Uberlieferung nicht aufgestofsen.
Am Orte ihrer Entstehung hat man die Sage von den
verwünschten Tänzern, die Kolbigks Namen bis in ferne
1) Der älteste mir augenblicklich zugängliche ist Martinus Minorita
MG. 8S. XXIV, 241 z. J. 1278.
2) cessare nolebant, donec plebanus transiret ... bei Martinus Min.
wird kaum richtig sein.
3) Eins tag beschach by Fryburg an dem Schwarczwald ze Kupf en-
töl, das die leut die silber und ärezgraber so verlässenlich 6n gots
forcht lebten und ains tags by clarem UechUm tagscheyn und by lutter
liechter sunnen, da kain wölk gesehen mocht werden, die leut danezeten
in mutwillen mit fackeln und kerezun. Es beschach das ain priester
mit dem sacrament für gieng. Der da vortanezet sprach: „wir [BL
104*] wellen uff hSren." „Nain", sprach die seüofi die mit im vor-
tanezet; „min vaüer hat der glöcklin vil an sinem fych." Und also
danezeten sie alle und verachteten das hailig sacrament. Zu stund
kam ain wolkenbrust by liechtem clarem sunnemehyn und verdarbt
leut und güt, hexiger und teas im tal was, das ir kains nie gesehen
ward, dann ettKche wiegen mit totten kinden warent uff den bäumen
Itelianget.
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160
SCHRÖDEU,
Ijande getragen hatte, im Mittelalter um so eher festgehalten,
als sie es vor allem war, welche der Kirche Gläubige und
dem Markte Käufer zuführte. Speziell dürfen wir uns wohl
die Prämonstratenser, deren Regel 1142 hier eingeführt
wurde, als die Pfleger der Sage vorstellen. Wenn die
Propstei noch im Jahre 1142 „in honore beatorum mar-
tyrum Steffani et Magni instituta" heifst (Cod. dipl. Anhalt.
1,218), später aber nur noch von dem „cenobium" oder der
„ccclesia b. Magni inartyris" die Rede ist1, 60 hat gewifs
das Mirakel dem Heiligen seine Rolle gesteigert. Ich ver-
mute, dafs man schon im 12. oder 13. Jahrh. im Kloster ein
Exemplar von I besafs, — wann die doppelte, „lateinische
und deutsche Schrift", welche „auf beyden Seiten der Wände
in der Kirchen vor -dessen gestanden hat " 2, angebracht
wurde, läfst sich aus Knauts Antiquitates com. Ballenstad.
et Ascan. 96 f., der dafür unsere Quelle ist, nicht ersehen
und auch nicht mit unbedingter Sicherheit ermitteln, weil
K. erstens die Schriftstücke, die er wortgetreu mitzuteilen
scheint, offenbar nicht mehr selbst sah, sondern Abschriften
mitgeteilt erhielt, zweitens die Sprachformen des deutschen
Stückes von ihm oder seinem Gewährsmann hier und da
modernisiert sein mögen.
Verdächtig ist zunächst die beidemal wiederkehrende
Angabe der Jahreszahl „1005", denn anderweitig vermag
ich diese Zahl erst bei Fincelius, Hondorff, Letzner, Büttner-
Steinhart nachzuweisen s. Wenn wir sehen, wie ganz un-
bedenklich Beckmann, der doch hier einfach Knaut ab-
schrieb, aus besserm Wissen die Jahreszahl 1021 in beide
1) Zuerst in Schmidts Urkundenbuch d. Hochstifts Halberstadt
I, 262 zum Jahre 1180 ; in den späteren Urkunden, welche das mir vom
Herzogl. Anhalt. Haus- und Staats - Archiv zu Zerbst gütigst zugänglich
gemachte Copiarium aus d. 16. u. 17. Jahrhundert vereinigt, hab ich
nur noch diese Bezeichnung gefunden.
2) So Knaut (1698); Beckmann schreibt (1710): „vor alters*4 und
„auf zweien Tafeln".
3) Sie hängt offenbar damit zusammen, dafs mau aus : regnaote Hen-
rico secundo (wie in I, Hs. 3 ersieh tlich) gemacht hat: regnante Henrico
[anno sui imperii] secundo ; Knaut selbst kennt S. 95 die verschiedenen
Angaben und setzt zu 1005 hinzu: „wie Letznerus haben will"!
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DIE TANZER VON KÖLBIGK.
161
Schriftstücke wieder eingeführt hat, so verdient dieser
Punkt von vornherein kein besonderes Vertrauen. In ihrem
Kern giebt die lateinische Fassung, wie schon die Beibe-
haltung des (entstellten) Ortsnamens CoTbisse zeigt, jeden-
falls eine gute Hs. des 12. oder 13. Jahrhunderts wieder, die
a
sogar noch mit der Hs. 1 den Lesefehler litura (aus litura
= ligatura) gemeinsam hat.
Ganz anders steht es mit der deutschen Fassung. Diese
ist überraschenderweise nicht aus der lateinischen über-
setzt, sondern sie weist verschiedene Änderungen auf, die
anderweitig erst bei Schriftstellern von der Wende des 15. und
16. Jahrh. vorkommen; dazu pafst die Sprache, die, auch
wenn man einige Modernisierung durch Knaut zugiebt, nicht
gestattet, das Schriftstück über 1500 hinaufzurücken. An
die Stelle von Sohn und Tochter des Priesters sind getreten
der „Kirchner" und seine Schwester; diese Neuerung stammt
aus Trithemius, der allein gegenüber dem Text des Speculum
historiale den zumeist unangefochten passierenden Priesters-
sohn durch den „aedituus" ersetzt hat, während Krantz nur
von einem „cjuidam vir" spricht, andere die anstöfsige Figur
ganz weglassen. Noch charakteristischer ist aber, dafs hier
„die heiligen zweene Bischöff, der von Cölln und der von
Hildesheim" erscheinen: dafür ist offenbar bereits das „Chro-
nicon Brunsvicensium picturatum" von Konrad Bote die
Quelle gewesen x. Nun ist dieses letztere Werk im Jahre
1492 bei Schöffer in Mainz gedruckt worden, das „Chro-
nicon Hirsaugiense " des Trithemius ist erst 1514 zur Ver-
öffentlichung gelangt. 1525 aber wurde das Kloster Kol-
bigk durch den Bauernkrieg zerstört *, und hinterher
wird man dort für die Erneuerung des Mirakels und den
Ruhm der „heiligen zweene Bischöff" gewifs keinen Sinn
mehr gehabt haben. Also zwischen 1514 und 1525 wird
die Anbringung der deutschen und wahrscheinlich die Er-
1) An die kaum über Braunschweig hinaus verbreitete handschrift-
liche Chronik des Herman Bote, die gleichfalls den heiligen Bernward
als einen von den zwei Wunderthätern kennt, ist nicht zu denken.
2) Vgl. Stenzel. „Das Mönchskloster Kölbigk", in den Mitteilungen
d. Ver. f. Anhalt. Gesch. IV, 225 ff.
Zütechr. f. K.-0. XVII, |g.|, 11
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162
SCHRÖDER,
neuerung der lateinischen Tafel fallen. Dazu stimmt vor-
züglich die Nachricht, dafs im Jahre 1515 Erzbischof
Albrecht von Mainz für das Kloster einen Indulgenzbrief
ausgestellt hat, um die Wiederherstellung der baufälligen
Kirche zu ermöglichen.
Die beiden Tafeln in der Kirche, eine die direkte Wieder-
gabe von I, die andere eine Paraphrase mit Varianten, die
wieder aus Ableitungen von I stammen, sind offenbar auch
über die Reformation hinaus in Kölbigk und seiner Um-
gebung die Stützen der Tradition geblieben. An sie knüpfen
die anhaltischen Historiker Knaut und Beckmann an, welche
um 1700 das Andenken des sagenumwobenen Vorfalls er-
neuert haben; von einer mündlichen Überlieferung, die der
litterarischen zur Seite stünde, wissen sie nichts, und so
oft in der neuern Speciallittcratur Anhalts die Rede auf
die Geschichte kommt: Knaut und Beckmann sind, wie man
deutlich merkt, die ausschliefslichen Quellen. Aus ihnen
haben auch die beiden anhaltischen Poeten geschöpft, welche
in jüngster Zeit den „Tanz von Kölbigk" behandelt haben:
W. Hosäus 1 als Erzählung in Reimversen und H. Wäschke 8
als Kantate. Die mündliche Uberlieferung an Ort und Stelle
erscheint daneben sehwach, und sie ist jetzt wohl dem Unter-
gang geweiht, nachdem der ehemals mit Kirschbäumen be-
pflanzte und umfriedete „Tanzplatz" (an der Ostseite des
Ortes) „in die Ackerflur einbezogen und nicht einmal mehr
genau seiner Lage nach zu bestimmen ist" s.
Dagegen hat jener gelegentlich von einer thörichten Ety-
mologie gestüzte Versuch, die Sage anderweit, in Danstedt
bei Halbcrstadt, zu lokalisieren , den wir zum erstenmale
bei Reimmann (1702) antrafen, wirklich Erfolg gehabt: die
Tänzersage , welche Kuhn und Schwartz , Norddeutsche
Sagen, Märchen und Gebräuche (Leipzig 1848), S. 161 f.
aus mündlicher Überlieferung bieten und die sich dort auf
einen tiefen Graben beruft, den die Tänzer rings um die
1) Askania. Vaterländische Gedichte (Röthen 1885), S. 8 ff.
2) Das litterarische Anhalt, 2. Ausg. (Dessau o. J. [1889]), S. 225 ff.
3) Hosaus, Mitt. d. Ver. f. Anhalt. Gesch. II, 198 and Askania,
S. 92.
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DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
163
Kirche getanzt haben soUen, diese Sage geht deutlich auf
die deutsche Tafel der Kölbigker Kirche zurück, aus der
sie den Küster und seine Tochter 1 allein entnommen haben
kann *.
Im übrigen bieten die Sagensammlungen der neuern Zeit
nichts über den wundersamen Tanz, was nicht aus oben
besprochenen litterarischen Quellen stammte. Die Fassung
der Brüder Grimm, die von Bange ausgeht und sich gegen
den Schlufs an Spangenberg hält 3 , ist die einzige Quelle
nicht nur für H. Gröfslers Sagen der Grafschaft Mansfeld
und ihrer nächsten Umgebung (Eisleben 1880), S. 96, son-
dern auch für Ludwig Bechstein in seinem Deutschen
Sagenbuch (Leipzig 1853), S. 275, der aber nach seiner Art
den Wortlaut absichtlich verändert, um den Eindruck selb-
ständiger Quellenbenutzung hervorzurufen, und nur zum
Schlufs die Identifikation von „Kolbeck" mit „Danstedt"
oder vielmehr in Vulpius Verbalhornung „Tanzdorf" hin-
zufügt.
Wir haben die Sagenüberlieferung durch neun Jahrhun-
derte verfolgt und neben einer frühen litterarischen Filiation
und einer ständig wachsenden litterarischen Verbreitung nur
1) So hier statt Schwester!
2) Mitteüungen des Herrn Kantor Büke zu Danstedt ermöglichen mir
folgenden Nachtrag: Die Übertragung der Sage ist darauf zurückzuführen,
dafs nach einer bestimmt auftretenden Überlieferung unter den vier Dör-
fern, die in Danstedt aufgegangen sein sollen, sich auch ein „Colbeck''
befand, dessen Bewohner siel» in der Querstrafse ansiedelten. Die bei
Vulpius auftretende Etymologie ist also nur sekundär. An der Kuhn-
schen Fassung ist nach meinem Gewährsmann die Angabe von einem
„tiefen Graben" unrichtig: es sei nur ein Wall vorhanden, der sich in
einer Entfernung von 4 — 6 Metern um die Kirche herumziehe. Heute
ist die Sage im Erlöschen, auch die ältesten Leute wissen auf Befragen
nur noch anzugeben, „dafs man einmal um die Kirche getanzt hat".
Anderseits dringen gelegentlich litterarische Versionen auch jetzt noch
dortbin: der Lehrer Vogler hat in einer 1852 gedruckten Chronik des
Ortes die Abelinsche (Gottfridsche) Darstellung mitgeteüt — und ein
intelligenter Einwohner wufste aus anderer Quelle sogar zu berichten,
dafs „paatoris filia" dabei gewesen sei!
3) Was ist unter den Iitteraturaogaben „Cosner p. 564"?
11*
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SCHRÖDER, DIE TÄNZER VON KÖLBIGK.
geringe Spuren und keinerlei erkennbare Einwirkungen der
spätem Lokaltradition gefunden. Ja deren Fortexistenz
war, wie wir sahen, in den späteren Jahrhunderten geknüpft
an zwei Repräsentanten jener schriftlichen Version I, die
wahrscheinlich gar nicht auf deutschem Boden entstanden
und jedenfalls selbst nur eine Verkümmerung des reichern
Urberichts ist, während diesen selbst weit vollständiger und
zuverlässiger gerade das im Westen Englands redigierte und
nur einmal über die Insel hinausgedrungene Heilungsmirakel II
bewahrt hat Eine Überlieferungsgeschichte, die des über-
raschenden viel bot und hoffentlich bei aller Umständlich-
keit auch in dem bunten Beiwerk, das ich ihr zugesellen
mufste, für manchen etwas gebracht hat.
NACHTRAG. Auf S. 115 Anm. 1 konnte stehn ein Hinweis auf
den deutschen Traktat „Was schaden tanzten bringt" der Wiener Hand-
schrift 3009 (Papier, 15. Jh.): Altdeutsche Blätter I, 54 steht daraus
unsere Geschichte. Den Traktat „Von den manigfaltigen schaden des
tanz" der Hs. B 223/780 der Wasserkirch-Bibliothek vom Jahre 1393
kenn ich nur aus den Angaben bei Wackernagel, Altdeutsche Pre-
digten und Gebete, S. 259.
4
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Kritische Erörterungen
zur neuen Luther-Ausgabe.
Von
Theodor Brieger.
IL
Zu einigen Einleitungen Knaakes im I., II. und
VI. Bande l.
6.
Die Resolutionen von 1518 *.
Auffallend unzutreffend, ja voll von Fehlern ist die
Einleitung zu Luthers Resolutionen von 1518 (I, 522 f.).
Nach Knaake hat Luther die Resolutionen bereits An-
fang Februar („vermutlich" am 6.) an den Bischof von
Brandenburg geschickt, um die Genehmigung zu ihrer Ver-
öffentlichung nachsuchend. Am 30. Mai hat er sie dann
handschriftlich seinem Ordensoberen Staupitz übersendet,
„zur Weiterbeförderung an den Papst, dem sie gewidmet
waren". „In Rom müssen sie in der zweiten Hälfte des
1) S. diese Zeitschrift Bd. XI, S. 101—154.
2) Die folgende Untersuchung ist bereits 1889 niedergeschrieben,
der im dritten Artikel sich anschliefsende Beitrag zur Textkritik der
Resolutionen Ostern 1892. Da diese beiden kleinen Arbeiten in der
Zwischenzeit durch etwa von anderer Seite angestellte Forschungen
leider nicht überflüssig gemacht sind, bringe ich sie auch heute noch
— als Abschlufs meiner Erörterungen zur neuen Lutherausgabe — zum
Abdruck. (Leipzig, Mai 1896.]
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166
HRIEGEU,
Juni eingetroffen sein: Prierias wufate von ihnen schon bei
der Abfassung seines Dialogus in praesumptuosas Martini
Luther conclusiones. " Endlich heisst es inbezug auf die
Wirkung in Rom: „Eine unmittelbare Folge der eingereichten
Schrift haben wir in seiner Vorladung dorthin zur Verant-
wortung zu erblicken" (welche Luther bekanntlich am
7. August 1518 erhalten hat).
Die von mir ausgehobenen Sätze bezeichnen eben so
viele Fehler — und zwar solche, welche für einen so scharf-
sinnigen Gelehrten wie Knaake höchst auffallend, für eine
den heutigen Anforderungen der Wissenschaft entsprechende
Ausgabe der Schriften Luthers ungeziemend sind.
Bei sorgsamer Benutzung der für die Entstehungs-
geschichte der Resolutionen in Betracht kommenden Briefe
Luthers gewinnt man ein stark abweichendes Bild — vor-
ausgesetzt selbstverständlich, dafs man sie richtig datiert
oder die mit richtigem Datum überlieferten nicht unrichtig
ansetzt
1. Das letztere ist Knaake freilich gleich bei einem der
wichtigsten der hier einschlagenden Briefe begegnet. Ich
meine Luthers Brief an den Bischof von Brandenburg
(Enders, Luthers Briefwechsel 1, 147 ff.), welcher uns mit
dem Datum Sabbntho Exaudi (d. i. 22. Mai) anno 15 IS
überliefert ist. Unter diesem Datum steht er richtig bei
de Wette (I, 112 ff.). Enders dagegen hat ihn auf den
13. Februar verlegt, was er in folgender Weise begründet:
„Aus dem Briefe selbst geht nämlich hervor, dafs Luther
seinem Ordinarius die Resolutiones noch vor deren Ver-
öffentlichung zusendet und sie seinem Urteil unterwirft.
Noch am 5. März hatte er, wie sich aus seinem Brief an
Scheurl von diesem Tage ergiebt, keinen Bescheid, worüber
er klagt, dafs der Bischof tarn diu me retardat. Es mufs
also unser Brief um eine beträchtliche Zeit vor dem 5. März
geschrieben sein." Auf Grund dieser „gewichtigen Be-
denken" gegen die Richtigkeit des überlieferten Datums
sucht nun Enders aus letzterem das zutreffende zu gewinnen,
indem er scharfsinnig vermutet, das Datum habe ursprüng-
lich gelautet: „Sabbatho Lx (Samstag nach Sexagesimae =
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DIE NEUE LITHER-AUSGAHE II.
167
13. Februar)", was der erste Herausgeber fälschlich Ex
gelesen und solches in Exaudi aufgelöst habe. Knaake ist
bei seinem Ansatz auf den 6. Februar offenbar von denselben
Erwägungen ausgegangen wie Enders und, wie Kawerau
uns mitgeteilt hat \ zu seinem Datum mit Hülfe der näm-
lichen Textänderung gekommen: Sabbat o Lx — nur dafs
er dieses Datum dann falsch aufgelöst hat *.
Der Brief hat aber weder mit dem 6. noch mit dem
13. Februar etwas zu thun, pafst vielmehr sehr wohl in den
Mai. Die Bedenken dagegen entspringen nur einer ober-
flächlichen Lektüre.
Zunächst wäre ich begierig auf den Beweis dafür, „dafs
Luther seinem Ordinarius die Resolutiones noch vor deren
Veröffentlichung zusendet". Der Brief verrät viel-
mehr eine ganz andere Situation und einen ganz anderen
Zweck. In welcher Absicht mag wohl Luther seinem Bischof
die Veranlassung zu dieser Schrift in der Weise erzählen,
dafs er bis auf Anlafs und Entstehung der Thesen zurück-
greift? d. h. dem Bischof etwas erzählen, was dieser nicht
blofs im allgemeinen bereits weifs, sondern was er durch
Luther selbst vor Monaten erfahren hat? Denn, um von
den im Februar und März zwischen beiden gepflogenen
Verhandlungen ganz abzusehen, wenngleich ein früherer
Brief Luthers an den Bischof von Brandenburg nicht auf uns
gekommen ist, so kann doch die einstmalige Existenz eines
1) Theol. Studien und Kriüken 1886, S. 187 f.
2) Was Kawerau a. a. 0. S. 188 gegen die richtige Auflösung
von Enders verteidigt. Sabbato Lx bedeutet, wovon Knaake sich
schon aus Grotefends „Handbuch der historischen Chronologie des
deutschen Mittelalters und der Neuzeit" (Hannover 1872), S. 89 f. hatte
überzeugen können: Sonnabend nach Sexages. , ganz gleich ob post
dabei steht oder nicht. In denselben Fehler ist Knaake noch ein paar-
mal verfallen, wenn er (s. I, 522) vollständige Druckexemplare von
Luther am 21. August versendet sein läfst (so wie auch Enders I,
218 das sabbato octavae A&sumptionis D. Mariae 1518 (= 28. August]
falsch auflöst) und wenn er (II, 2) behauptet, Luther habe die „Acta
Augustana" am 1 1. Dezember 1518 verschickt (so auch Enders; Sab-
baüio Dominica« 3. Adventm 1518 — End. I, 217 — ist der 18. De-
zember).
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168
KRIEGER,
solchen keinem Zweifel unterliegen: ein vollgewichtiges Zeug-
nis ist, was Luther darüber am 19. November 1518 an
seinen Fürsten schreibt (End. I, 298).
Bedenkt man, dafs der in Rede stehende Brief nicht der
erste ist, den Luther in dieser Sache dem Bischof schreibt^
so wird man sich gleich bei dem Exordium dem Eindruck
nicht entziehen können, dafs dieser Brief vielmehr für die
Öffentlichkeit bestimmt war 1 — und das wird im weiteren
Verlaufe durch eine beiläufige Wendang ausdrücklich be-
stätigt: vgl das ut omnes sciant, quam nihil audacter asser am r
non solum permitto, sed etiam obsecro, ut Reverenda Paternitas
tua accepto calamo quaecunque visu m est aboleat aut igne facto
totum comburat, mea prorsus nihil refert (End. 1, 151). Ut omnes
sciant, dafs er nicht kühnb'ch behaupte, sondern nur dispu-
tiere, erteilt er seinem Ordinarius jene Erlaubnis, beschwört
ihn vielmehr, nach Gefallen mit seinem Werke zu verfahren.
So pflegt man in Privatbriefen nicht zu reden.
Es ist klar, der Brief ist nichts anderes als eine Dedi-
kationsepistel zu den Resolutionen. Dazu stimmen auch die
Sätze, welche dem mitgeteilten Abschnitte unmittelbar vor-
ausgehen und in denen sich die Widmung vollzieht: da der
Bischof von Brandenburg sein Ordinarius sei, justissimttm
fuit, ut tibi, ad quem pertinet hujus loci studio inspicere et
judicare, potissimum off er rem et pedibus tuis primum
subjicerem, quicquid id fuerit quod operor. Itaque dignerisf
clementis8ime Praesul, stiscipere has meas ineptias, atque ut
omnes sciant u. s. w.
Unter diesen Umständen spricht nicht das Mindeste gegen
das überlieferte Datum des 22. Mai. Für dasselbe könnte
man wohl die Verwandtschaft geltend machen, welche zwi-
schen dieser, anfangs für die Resolutionen beabsichtigten
Dedikationsepistel und jenem Dedikationsbriefe besteht, dem
sie dann — wir wissen nicht, auf Grund welcher Er-
1) Einen Anlauf zu richtiger Auffassung nimmt Kolde, Luther I,
155: „Am 22. Mai schickt er sie [die Resolutionen] an den Bischof
von Brandenburg mit einem demütigen, wohl auch für die Öffent-
lichkeit bestimmten Schreiben" u. 8. w.
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. II.
169
wägungen 1 — den Platz hat räumen müssen, dem Briete
an Leo X., den man wohl deswegen Ende Mai anBetzen
darf, weil der ihm voraufgehende Dedikationsbrief an Stau-
pitz, der zweite, mit dem Luther seine Resolutionen aus-
gehen zu lassen für gut ansah, das Datum des 30. Mai
trägt In beiden Briefen — dem an Scultetus und dem an
den Papst — ist der Gedankengang ein ähnlicher, wie wir
ihn allerdings nicht anders erwarten können, wenn beide
Briefe demselben Zwecke dienen sollten und etwa aus glei-
cher Zeit stammen. Doch ist auf diese Verwandtschaft kein
Gewicht zu legen, und die Wahrnehmung der ursprünglichen
Bestimmung des Briefes an den Bischof ist eine so sichere,
dafs sie keiner weiteren Bestätigung bedarf.
Es braucht nun auch nicht noch erst die Vorstellung
zerstört zu werden, als müsse unser Brief vom 22. Mai dem-
jenigen voraufgehen, und zwar „um eine beträchtliche Zeit",
in welchem Luther schreibt: Ita probationes earum coactus
sum parare, quas tarnen nondum licuit edere, quia reverendus
et gratiosus Dominus Episcopus Brandeburgensis , cujus Ju-
dicium consului in hac re, multum impeditus tarn diu
me retardat *. Denn hier sagt Luther keineswegs, dafs er
die Resolutionen dem Bischof überschickt habe, sondern nur:
er habe das Urteil desselben in dieser Sache (ob er zur Er-
läuterung der Thesen Resolutionen herausgeben solle oder
nicht) erbeten.
2 In dem vom 30. Mai datierten Schreiben an Staupitz,
1) Luther scheint in der Zeit nach dem 22. Mai Nachrichten aus
Rom erhalten zu haben, wie übel er an der Kurie beleumdet sei
(s. den Brief bei End. 1, 200). Deswegen zieht er vor, sich mit dieser
Verteidigungsschrift lieber gleich unmittelbar an den Papst selbst zu
wenden: emitto ecce meas nugas declaratorias mearum disputationum.
Emitto autem, quo tutior sim, sub tui nominis pratsidio et tuae pro-
tectionis umbra u. s. w. Vgl. auch den Schlufs der Resolutionen
(S. 628): nec ausus fuissem nomen Summi Pontifitis hiis meis buUis
appdlare, nisi vidissem amicos meos iUius terrore quam maxime con-
fidere, deinde quod Summi Pontificis pcculiare tit offitium, ut debi-
torern agat sapientibus et intipientibus, Gr actis et Barbari*.
2) Luther an Scheurl, 5. März, End. I, 166.
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170 BKIEGfilty
welches Luther in seinem Drucke der Resolutionen dem
Briefe an den Papst noch voraufgehen liefs, lesen wir frei-
lich: üogo itaque hos meas ineptias suscipias et qua fieri
polest industria ad Optimum Pontificem Leonem decimum trans-
mittas, ut sint ibi mihi adversus studio, malignantium vice all-
cujus paracleti (End. I, 198 f.). Aber in dem ganzen Briefe
ist keine Andeutung, dafs Luther hiermit handschriftlich
die Resolutionen zur Weiterbeförderung an den Papst über-
sendet habe; vielmehr macht auch dieser Brief von Anfang
bis zu Ende den Eindruck, dafs er von vornherein als
eine Vorrede zu den Resolutionen für die Öffentlichkeit be-
stimmt gewesen ist. Man vergleiche aufserdem die Wen-
dung: Haec est causa, Bever ende Pater, quod ego nunc infeli-
citer in publicum prodeo, qui semper angüli amator fui
(End. 1 , 1 98). Und ebenso wenig erweckt der Widmungs-
brief an den Papst die Vorstellung, dafs er handschriftlich
mit einem handschriftlichen Werke übergeben sei, wenn wir
hier lesen: Itaque quo et ipsos adversarios mitigem et desideria
multorum cxpleam, emitto ecce meas nugas declaratorias mea-
rum disputationum. Emitto autem . . . sub tui nominis praesidic
u. s. w. (End. I, 203). Auch dieser Brief ist also für die
Öffentlichkeit verfafst, und nichts deutet darauf hin, dafs er
vor dem Abdruck in den Resolutionen noch zu einem an-
dern Zwecke verwendet sei. Hätte Luther die Resolutionen
im Manuskript dem Papst zugehen lassen, würde er kaum
in der Lage gewesen sein, später an Cajetan zu schreiben:
Praeterea edito libello Resolutionum wie et omnia mca sub pedibus
suae Sanctitatis projeci 1. Überdies sind wir zufallig im Stande
nachzuweisen, dafs auch Staupitz die Resolutionen erst ge-
druckt zu Gesichte bekommen hat. Am 1 . September schreibt
Luther an Staupitz : Vidcbis Itesolutioncs et responsiones meas *,
in aliquot locis liberiores, quam forte et tu ipse j)robare possis
[also hatte Staupitz sie noch nicht gesehen], porro adulatori-
bu8 Romanis intolerabiles (End. I, 223) 3.
1) Luther an Cajetan, 16. Oktober 1518, End. I, 266.
2) An Spalatin hatte Luther die Resolutiones am 28., die Responsio
ad Dial. Silv. Prieriatis am 31. August geschickt; s. End. I, 219. 221.
3) Wenn Luther fortfährt: ud Rt$olutionts editae fuerant, ofto-
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. II.
171
3. Hat nun Luther keineswegs die Resolutionen Ende
Mai handschriftlich zur Weiterbeförderung nach Rom an
Staupitz geschickt, so lallt schon damit die Möglichkeit, dafs
sie, wie Knaake will, in der zweiten Hälfte des Juni in
Rom eingetroffen sind. Knaake behauptet zwar, Prieria»
habe von ihnen schon bei Abfassung seines Dialogus ge-
wufst Nach einem Belege für diese Behauptung sieht man
sich vergeblich um, doch hält es nicht schwer zu vermuten,
welche Sätze Mazzolinis Knaake im Sinne gehabt hat. In
dem Widmungsbriefe an Leo X., welchen Prierias seinem
Dialog vorangeschickt hat, heilst es: Ubi vero is sua funda-
me?tta in lucem exttderit, sua probat urus aut impro-
baturus nostra, quiddam, volente Deo, moliar et majus et
accuratius expolitum (E. A. Op. v. a. I, 345). Und ähnlich
redet er Luther an: Quoniam vero codicis abs te (ut fertur)
editi fundament a cemere non datur, nec tu conclusio-
nibus tuis probationem ullam attulisti, so wolle
er den Kampf in der und der Weise eröffnen, ttt quibus
innitaris fundament is edoceas (S. 346). Und am Schlufs
der Schrift ruft er Luther zu: Eia, nunc age, aut improba
rnea aut tua proba. Diese Stellen sind aber nur ein Be-
weis, dafs Prierias bei Abfassung seines Dialogs von Luthers
Resolutionen noch nichts wufste, sondern nur teils voraus-
setzte, dafs Luther Beweise für seine Thesen beibringen
werde, teils es für nötig hielt, ihn zur Veröffentlichung der-
selben anzustacheln.
Wenn die Schrift nicht nur handschriftlich nach Rom ge-
schickt ist, sondern dort auch die Citation Luthers veranlafst
hat, so sollte man meinen, dafs sie dem mit der Angelegen-
heit vertrautesten theologischen Mitgliede der Kommission,
eben dem Silvester Prierias, zu Gesichte gekommen sei, und
dafs Luther in seiner Antwort sich demgemäfs auf sie als
eine seinem Gegner mittlerweile, d. h. bald nach Abfassung
seines Dialoges, bekannt gewordene beziehen müfste. Jeden-
qui eas tempera&sem , so kann sich das nach dem voraufpcganpenen
Satze nur auf eine allgemeine Mahnung zur Mäßigung beziehen, welche
Luther jüngst von Staupitz erhalten haben wird.
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172
HltlfiGEU,
falls mufste sie, als Luther im August seine Antwort schrieb,
dem Prierias läugst bekannt sein. Allein Luthers Entgegnung
auf den Dialog Mazzolinis zeigt deutlich, dafs er bei diesem
eine Kenntnis seiner Resolutionen keineswegs annahm. Nicht
selten verweist er ihn auf diese ausfuhrlichere Erläuterung
seiner Thesen l. Zwar scheint Luther dabei an zwei Stellen
die Möglichkeit vorauszusetzen, dafs Prierias sie bereite ge-
sehenhabe: so 662, 12 f.: de quibus late in declarationibus, si
pervenerunt aut pervenient in manus tuas und S. 684,
8f.: Caetera, credo, vidisti* aut videb is in declarationibus
meis. Allein Luther versetzt sich hier in die Zeit, wo
Prierias diese seine Antwort lesen wird, und denkt dabei
an die Möglichkeit, dafs die Resolutionen seiner Responsio
vorauseilen möchten s. Das beweisen schlagend die Stellen,
in denen Luther sich ausschliefslich des Futurums bedient:
S. 656, 27: rationes meas videbis in declarationibus, S. 658,
41: ut videbis in resolutionibus , desgl. S. 661, 38. Hier
liegt also nicht ein einfaches argumentum e silentio gegen
Knaakes Annahme vor; sondern die Art, wie Luther hier
von seinen Resolutionen redet, schliefst bestimmt die Mög-
lichkeit aus, dafs sie dem Prierias bereits vor Erlafs der
Vorladung vorgelegen haben.
4. Nach alledem Hegt der Ungrund der weiteren Be-
hauptung Knaakes klar zutage, eine unmittelbare Folge der
eingereichten Schrift sei Luthers Vorladung nach Rom ge-
wesen 4. Knaake weifs auch noch von einer andern Wir-
1) Aufser den im Folgenden erwähnten Stellen vgl. W. A. I, 666,
22. 658, 12. 668, 12. 664, 4 f. 666, 17. 681, 38. Auch das alias S. 667,
10 geht auf die Resolutionen; vgl. diese S. 673 f.
2) So ist in dem Drucke C das videris der ersten Drucke (A und
B) verbessert. Vgl. über die Bedeutung dieses revidierten Druckes
diese Zeitschrift VII, 683 ff.
3) Thatsächlich haben sie allerdings nur wenige Tage früher die
Presse verlassen; doch hat Luther vermutlich, als er die Antwort an
Prierias niederschrieb, noch auf einen früheren Abschlufs des Druckes,
der ihm langst zu langsam gegangen war (s. Luther an Lang, 10. Juli,
End. I, 219), gehofft
4) Vgl. auch Knaakes Einleitung zu den „Acta Augustana'1 II, 1:
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DIE NEUE LUTHEK-AUSG AHE. II.
173
kung in Rom zu erzählen : „ In Rom war man bestürzt über
ihren Inhalt: man dachte an Gift und Meuchelmord, um
sich des Reformators zu entledigen/' Ganz richtig. So
schreibt Luther an Spalatin: Denique nuper ex urbe scripsit
Olsnitzer Canceüario Ducis Pomerani nostri , me adeo contur-
basse totam Bomam Resolu tionibus et Dialogo, ut ne-
sciant u. s. w. (de Wette I, 260. End. II, lf.). Aber
es steht das in einem Briefe, der frühestens in den Februar
1519 angesetzt werden kann 1, so dafs das nuper nicht auf
eine Wirkung der Resolutionen im Sommer 1518 bezogen
werden kann. Zudem ist es nicht zufällig, dafs Luther hier
die Wirkung der Resolutionen und seines Dialogs zusammen-
fafst; denn in der That sind sie, wie sie fast in den näm-
lichen Tagen fEnde August) * die Presse verliefsen, so auch
zu gleicher Zeit in Rom bekannt geworden; Silv. Prierias
wenigstens versichert ausdrücklich, dafs er beide Schriften
zugleich erhalten habe s.
Die Frage, welche Schriften Luthers zur rechtlichen Be-
gründung seiner Vorladung vor das Gericht des Papstes
verwendet sind, ist geschichtlich so wichtig, dafs wir noch
kurz bei ihr verweilen müssen. Luther selbst läfst über den
Thatbestand keinen Zweifel.
Cajetan hatte in seinem Verhör den Thesen als Anklage-
objekt die Sermone Luthers beigesellt und ebenso in seinem
Briefe an den Kurfürsten Friedrich 4 : was Luther in seinen
Thesen nur disputative gesagt, das habe er in seinen Sermonen
affirmative et assertive behauptet 5. Hieran anknüpfend fuhrt
„Auf seine demütig eingereichten Resolutionen antwortete dem Refor-
mator der Papst mit einer Anklage auf Ketzerei.1'
1) Wohl sicher um den 24. Februar.
2) S. oben S. 170 Anm. 2.
3) S. seine Replica, Weim. Ausg. II, 50: cum resolutione tuarum
positionum etiam tuam responsxonem ad nostrum Dialogum excepi.
Das ist auch Knaake nicht entgangen; s. II, 48.
4) S. Cajetan an Kurf. Friedrich, 25. Oktober, End. I, 269.
5) Ebenda I, 271. Von den Resolutionen ist in diesem Briefe nicht
die Rede; dafs aber Cajetan aus ihnen ebenfalls Stoff zur Anklage gegen
Luther entnahm, kann nicht aberraschen: Luther sollte ja in den Re-
solutionen falsch über das Verhältnis ?on Sakrament und Olauben ge-
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BKIEOER,
Luther in seiner Beleuchtung dieses Briefes aus, mit diesem
Zugeständnis, er rede in den Thesen nur disputative, habe
Cajetan selber ihn freigesprochen, das ganze Verfahren gegen
ihn, das in Rom angestrengte rechtliche, wie sein eigenes
verurteilt: denn einzig wegen seiner Thesen sei er citiert
worden: Nam (sagt er von sich in der dritten Person) super
disputatione fuit citatus, non super sermonibus: super
sermones enim, postquam fuerat citatus, facti sunt certiores l.
Luther hätte von seinen Resolutionen dasselbe behaupten
können wie hier von seinen Sermonen. Weit entfernt da-
von, in der Citation eine Folge seiner Resolutionen zu er-
blicken, hat er diese Schrift vielmehr als seine Antwort
auf die Citation betrachtet (als eine Art von Appel-
lation von der ungerechten Citation der päpstlichen Gerichts-
kommission an den Papst selbst), so dafs ihm zur Zeit
nichts zu thun obliege, dafs er nur den Spruch abzuwarten
habe: er meint, er sei von Rechts wegen gar nicht dazu
verpflichtet gewesen, dem Kardinal Cajetan Rede zu stehen,
praesertim cum Resolutionen meae essent oblatae et significatae
Summo Fontifici, ita ut ad me nihil pertineret haee causa, nisi
ut expectarem sententiam 2.
lehrt haben; s. Acta August. W. A. II, 7 (vgl. II, 13); ebenso Luther
an den Kurfürsten, 19. November, End. I, 286. Auch sonst hatte Ca-
jetan die Resolutionen gelesen: s. denselben Brief End. I, 290.
1) Luther an den Kurfürsten, 19. November, End. I, 293 f. In
der That betraf der Auftrag des Papstes nur die Thesen; s. Luther in
den Acta Augustana (II, 8): de mandato Papae . . . proposuit et
exegit, ut super disputatione, quam de indulgentiis habui,
tria haec facerem.
2) End. S. 295. Ähnlich Luther an Cajetan, 18. Oktober, End.
I, 266 und in den Acta August., W. A. II, 18, 12f. (Vgl. die „Appel-
latio ad Papam", W. A. II, 30. 32 und „Eine Freiheit des Sermons
päpstl. Ablafs und Gnade belangend", W. A. I, 393.)
[Leipzig 1889.]
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. HL
175
III.
Zar Kritik des Textes der Resolutionen von 1518*
Ich hatte, als ich vor drei Jahren [1889] die vorstehen-
den Bemerkungen zu Knaakes Einleitung in die Resolutionen
niederschrieb >, nicht die Absicht, auch den Text der Reso-
lutionen einer Kritik zu unterziehen. Als ich mich aber
jüngst im Zusammenhang umfassenderer Studien über den
Abi aisstreit aufs neue eingehender mit dieser für dieses
Gebiet wichtigsten Schrift Luthers zu beschäftigen hatte,
sah ich mich genötigt, bei den Zweifeln, zu denen mir hie
und da der Text der Weimarer Ausgabe Anlafs bot, aut
die Originaldrucke zurückzugehen. Die Wahrnehmungen, die
ich dabei machte, sind von Wert fiir eine künftige Konsti-
tuierung des Textes *, wenngleich sie nicht den Anspruch
erheben können, eine erschöpfende Verwertung der Ur-
drucke darzustellen.
Dafs ich meine Bemerkungen an die neueste Ausgabe
anknüpfe, ist schon durch die Achtung vor dieser geboten.
Wenn die Vergleichung des Knaakeschen Textes mit seinen
Vorlagen zu erneuten Bedenken an der Richtigkeit seiner
textkritischen Grundsätze führt, so ist dieses Ergebnis frei-
lich aufserordentlich bedauerlich — aber im Interesse der
Sache gleichwohl nicht zu unterdrücken.
Knaake I, 523 führt vier Urdrucke (A — D) auf,
von denen drei dem Jahre 1518 angehören, der letzte die
Jahreszahl 1519 aufweist. Die beiden ersten stammen aus
der Druckerei Grunenbergs in Wittenberg, der 3. und 4.
aus der Werkstatt Melchior Lotthers in Leipzig. Von
diesen vier Drucken ist der zweite (B) auszuscheiden; denn
er deckt sich völlig mit A, nur dafs den später ausgegebenen
1) Dieselben wurden damals wegen Raummangel zurückgelegt
2) Eine neue Ausgabe der Streitschriften Luthers gegen den Ablafs
würde sich schon für den akademischen Unterricht empfehlen.
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bUlEGER,
Exemplaren ein umfangreiches Druckfehlerverzeichnis an-
gehängt ist l. Nach Knaake hat nun Melchior Lotther den
Druck C nach B veranstaltet und ihn „durch den Verfasser
selbst von mehreren Fehlern gesäubert" genannt, während
D dann wieder von C abgedruckt sei. Aus diesem Verhält-
nis der Urdrucke zieht Knaake die Folgerung (S. 524):
„Grundlage für unsern Text kann nur A mit Benutzung
des Fehlerverzeichnisses in B sein; hin und wieder ziehen
wir andere Ausgaben an" *.
Hier ist zunächst die Geringschätzung auffallend, mit
welcher Knaake sich über die Titelbemerkung des ehrsamen
Leipziger Buchdruckers Melchior Lotther hinwegsetzt: ab
ipso earutn autore a pluribus mendis repurgatae; sie wird um
so auffallender, wenn man bedenkt, dafs es der nämliche
Lotther ist, mit dem Luther in demselben Monat, in welchem
seine Resolutionen die Wittenberger Presse verliefsen, in
geschäftliche Verbindung getreten ist 3, bei dem er im
Sommer 1519 während der Disputation in Herberge gelegen
1) Eben die Exemplare mit den Errata bezeichnet Knaake als B.
Das Richtige schon bei von Dommer, Lutherdrucke auf der Ham-
burger Stadtbibliotbek (Leipzig 1888), S. 16.
2) Es wird denn auch einige Male auf C und D Bezug genommen,
desgleichen auf die Ausgabe von Muhlius von 1717, auf die Baseler
Sammlungen und auf die Wittenberger , Jenaer und Erlanger Gesamt-
ausgaben. Doch sind das Ausnahmen.
3) Indem er im August 1518 seine Antwort auf den Dialog des
Silvester Prierias seiner Presse übergab mitsamt dem neu aufzulegenden
Dialogus selbst Die Resolutionen konnte Luther, wie bekannt, am
28. August versenden, die Entgegnung auf Prierias am 31. S. En-
ders, Luthers Briefwechsel I, 219 (vom 28., nicht 21., August). 221.
236. — Von sonstigen Schriften des Jahres 1518, die zuerst bei Grunen-
berg herauskamen, hat Lotther gedruckt: 1) Sermon von Ablafs und
Gnade, 1519. 2) Sermo de poenitentia, 1518 und noch zweimal 1519
(überhaupt fallen von den acht bekannten Drucken desselben drei auf
ihn; s. Knaake I, 316 f.). 3) Decera praeeepta, 1519. 4) Sermo de
virtute exeommunicationis, 1519. 5) Auslegung des 109. Psalms, 1518.
1519. 6) Acta Augustana, zweimal s. a. 7) Appellatio ad Concilium
(s. a. — v. Dommer Nr. 35; vgl. S. 23). 8. Sermo de triplici iustitia,
1519. Waren das sämtlich nur Nachdrucke?
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DIE NEUE LUTHEK-At'SOABE. III.
177
hat \ auch eine seiner Hauptschriften dieses Jahres hat
drucken lassen *.
Es ist bekannt, wie sehr die Langsamkeit des Druckes
der Resolutionen bei Grunenberg Luthers Ungeduld heraus-
forderte5, und wie er sich mehrmals tadelnd über die
allerdings durch seine vorübergehende Abwesenheit von
Hause mitverschuldete Inkorrektheit des Druckes äufserte *.
Dieser Druck war aber nicht blofs äufserst fehlerhaft,
sondern auch unschön, „unrein und schlecht lesbar" 6. Man
könnte daher auf den Gedanken kommen, Luther habe in
gerechtem Unmut über dieses Erzeugnis der Wittenberger
Presse dem Johann Grunenberg, wie er das auch ein Jahr
später mit der Erläuterung seiner dreizehnten Leipziger These
that6, den neuen Druck seiner Resolutionen entzogen und
ihn selber der ungleich leistungsfähigeren und eine bessere
Ausstattung verbürgenden Leipziger Offizin übertragen 7.
1) Vgl. F. Seifert, Die Reformation in Leipzig (Leipzig 1883),
S. 42.
2) Seinen Kommentar zum Galaterbrief, desgleichen 1519 die zweite
überarbeitete Auflage seiner Resolutio super propositione XIII., seine
Auslegung des Vaterunsers und seine Streitschrift gegen Eck (Contra
malignum Eccii iudicium).
3) Luther an Lang, 10. Juli (End. I, 210 f.): Misissem Probationes
mearum positionum, R. Pater, sed tarn segnis est noster chafcographus,
ut et ipse tnire discrucier ea dilatione; sunt ferme 18 conclusiones
absoluta*, quas tentavi ut mitterein. Darnach sind damals die ersten
sechs Bogen gedruckt gewesen (von 15.). Der Druck wird in den
ersten Tagen des Juni begonnen haben (s. Luther an Spalatin, 4. Juni,
End. I, 204), hat also fast drei Monate gedauert.
4) Luther an Spalatin, 28. August (End. I, 219): Mitto Reso-
luttones mearum propositionum, sed mendose excusas , ita obfuit mea
aliquanta absentia (nicht die Reise nach Heidelberg, wie Enders will,
sondern seine Reise nach Dresden, in der zweiten Hälfte des Juli), und
2. September (End. I, 226): Resolutiones meas corruptissime excusas etc.
5) VgL v. Dommer S. 15.
6) S. oben Anm. 2.
7) Es läge dann die Vermutung nahe, Lotther habe unmittelbar
nach Beendigung des Druckes des Dialogus Silv. Prieriatis und der
Lutherschen Gegenschrift sieh an den Neudruck der Resolutionen ge-
macht, also etwa noch im September oder Anfang Oktober. Nach An-
Z«lt»chf. f. K.-o. XVII, u. ». 12
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BKIEGKK,
Ks war dann selbstverständlich, dafs er auf eine Beseitigung'
der Fehler bedacht war: das ,ab ipso earum avtore a
plurüms mendis repurgatae' würde sich so leicht erklären.
Doch, möglicherweise ist Melchior Lotther, der Geschäfts-
mann, wirklich der eitle Reklameheld gewesen, für welchen
ihn die neueste Lutherausgabe ausgiebt, und der Reformator
ist, gutmütig darüber hinwegsehend, bei dem Flunkerer
eingekehrt. Denn wir haben uns, wenn auf das Wort
Lottbers nichts zu geben ist, ja bisher in blofsen Ver-
mutungen bewegt
Allein es bedarf dieser überhaupt nicht. Sein Druck
elber kann entscheiden — für ihn oder gegen ihn. Es ist
sonderbar, dafs Knaake diese Instanz nicht befragt hat
Es würde noch immer auf einen geschäftlichen Kunst-
griff hinauslaufen, hätte Lotther seine Titelbemerkung blofs
darauf gestützt, dafs er sich die , Errata ' in den später aus-
gegebenen Exemplaren des Wittenberger Druckes zu
Nutzen machte. Dafs die hier angegebenen Verbesserungen
(einige fünfzig an der Zahl) in den Text des neuen Druckes
aufgenommen worden sind, erwarten wir von vornherein als
selbstverständlich. In der That ist das fast ausnahmslos
geschehen l.
tritt seiner Augsburger Reise wird Luther bis zu Ende des Jahres auch
schwerlich Mufse gehabt haben, sich um den Druck zu kümmern.
1) Stehen geblieben sind nur vier Fehler von A, deren Verbesse-
rung die Errata bieten; sie drängen sich auf sechs Zeilen des Urdruckes
zusammen (Bl. C 3bsq.):
S. 642, 18: cum haemorrhoisse.
S. 542, 19: ptnis et peius.
S. 542, 40: docendi.
S. 543, 1: contemnerentur.
(Die drei letzten Fehler sind dann in dem zweiten Lottherschen Drucke,
D, nach Anleitung der Errata verbessert.) Halb ausgefühlt ist die
Verbesserung S. 545, 1, indem statt des verosimihmus von A, was die
Errata in verisimilius ändern , in C D vero similius gesetzt ist —
S. 600, 29 liest A: Optimi sane Theoiogi et Christiani, qui facta nt
hoc hominibus, quod sibi vellcnt fieri. Nach den Errata soll dafür ge-
lesen werden: qui non faciunt. Hier setzt 0 zwar faciunt, läfst
aber das non aus (ebenso D, Bas.4, Jen., Lösch., Erl., mit Recht von
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DIE NEUE LUTHER- AUSGABE. III.
J79
Auch der Umstand, dafs C einige Druckfehler auf eigene
Hand verbessert hat *, würde noch nicht das Recht Lotthers zu
seiner Behauptung erweisen. Dieses Verdienst wird sich sein
Korrektor erworben haben. Einzelne Korrektoren von tieferer
wissenschaftlicher Bildung haben damals durch ihre Sorgfalt
es dahin gebracht, dafs ihre Nachdrucke sich vorteilhaft
vor den Originalausgaben der Schriften Luthers auszeich-
neten. Was die Baseler Drucke eines Froben, Adam Petri,
Andreas Cratander Männern wie Jacob Näf, Beatus Rhena-
nus und Conrad Pellikan verdanken, ist bekannt Zu den
ihrer Aufgabe vollauf gewachsenen Korrektoren ist indessen
unser Leipziger Unbekannte nicht zu zählen. Denn von den
in den Errata übersehenen Druckfehlern von A hat er mehr
als zwei Drittel herübergenommen *, seine Sorglosigkeit über-
Knaake eingesetzt). — Endlich bieten vier weitere Stellen Abwei-
chungen von den in den Errata von A angegebenen Korrekturen, da
hier C seinerseits sachliche oder stilistische Verbesserungen an-
gebracht hat
1) Es sind folgende:
539, SO: hae statt heae.
549, 5: si quam statt st qua.
554, 33 : ut digrediar statt ut digredior.
559, 34: ablationem statt oblationem.
565, 8 : vre in damnationem statt irae . . .
570, 11: quod probent statt quae probent.
572, 23: XXV statt XXXV.
573, 80: indignitaie statt in dignitate.
588, 23 : veüent statt veUet
595, 26: nunquam statt nanquam.
600, 1 : XLIII statt LX11I.
602, 22: Simonienses statt Simonenses.
611, 22: Aug. Ancon. statt Ang. Ancon.
627, 29: concilium statt consilium.
628, 11: essent statt esset.
— ,16: tiUficationem statt viUficationum.
— , 35 : appellare für appeUere.
2) Darunter recht schlimme, sinnstörende, wie z. B. S. 647, 3:
umissae, S. 565, 6: parabile, S. 672, 37: tarnen statt tan tum, S. 683,
26: Sed für scüicet, S. 585, 1: non afjirmant (statt affirmant), S.602,
15: et agere statt quam agere, S. 614, 27: iüius statt huius, S. 618,
6: eonati statt coronari. — Sorgsamer als C ist D korrigiert, sofern
12*
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BKIEGER,
dies dadurch bekundet, dafs er eine nicht eben spärliche
Anzahl neuer Fehler hat durchschlüpfen lassen l.
Alles in allem genommen zeichnet sich also C (abgesehen
von der Verbesserung der angegebenen , Errata') kaum
durch Korrektheit vor A aus.
Von einem Korrektor dieses Schlages wird niemand
erwarten, dafs er eine nicht geringe Anzahl von, zum Teil
feinen, stilistischen Verbesserungen oder gar leichte sachliche
Änderungen vorgenommen habe, wie diese C aufweist.
Aber noch mehr! Ein Teil der Änderungen ist
so beschaffen, dafs sie nur aus der Feder des
Verfassers selbst stammen können.
Ich gebe im Nachfolgenden eine Zusammenstellung
dieser Abweichungen des Lottherschen Druckes von dem
Wittenberger Urdruck. Dabei mufs ich die wichtigeren,
von den aus A übernommenen Fehlern etwa ein Drittel beseitigt ist.
Noch gröfsere Sorgfalt zeigt in dieser Hinsicht der vierte Baseler
Druck der Opera Lutheri (von Andreas Cratander, vollendet
im März 1520; vgl. v. Dommer S. 22 und dazu „Briefwechsel des
Beatus Rhenanus" von Horawitz und Hartfelder, Leipzig 1886, S. 188).
Ob die hier sich findenden Verbesserungen nicht auf eine der früheren
Baseler Sammlungen (die beiden ersten derselben, die von Fr oben ge-
druckten aus dem Oktober 1518 [vgl. v. Dommer N. 34, S. 21 f.] und
dem Februar 1519, waren ein Unternehmen des Beatus Rhenanus:
opera et Submission* Beati Bhenani sagt Conr. Pellikan, Chronicon,
herausgegeben von B. Riggenbach, Basel 1877, S. 75) zurückgehen, ver-
mag ich nicht zu sagen, da sie mir hier nicht zur Verfügung stehen.
1) Sie erreicht mindestens die Höhe der selbständig von C aus-
gemerzten. Ich nenne nur folgende:
536, 30: Ac « statt Ac sie.
549, 13: mirantur statt mirentur.
568, 28: vides statt viles.
588, 1 : formidate statt formidare.
592, 4: salutarerd statt saloarent.
602, 37: corrodere statt corradere.
616, 8f: eine Zeile ausgefallen (nee aliquid — liberum facerc).
625, 12: nos statt non.
— , 14 : surgere statt fugere.
Einige der neuen Druckfehler vou C sind in D verbessert, dafür sind
aber wieder einige andere hinzugekommen.
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DIK NEUE LUTHER-AUSGABE. III.
181
eben die, welche deutlich den Lutherschen Ursprung ver-
raten, kurz besprechen.
Im voraus sei daran erinnert, dafs Knaake — geniäfs
seinem Grundsatze sich an A zu halten — keine einzige
der abweichenden Lesarten von C in den Text aufgenommen
hat. Ja, die meisten — ich will sie durch ein Sternchen
kenntlich machen-- — hat er nicht einmal einer Er-
wähnung unter dem Texte für wert gehalten1.
*1. S. 531, 16 ff. (Cond. I): Vera enim sunt et non con-
temnenda debita, pro quibus orare iubemur; etiam si sint ve-
nicUia, non tarnen nisi eis remissis salvari possumus statt:
. . . possimus *.
*2. S. 541, 10 (Cond. VII): etiam si plus millies
absolvatur a Papa ipso statt: etiam si millies millies etc. 3.
*3. S. 552, 22 (Cond. XIII): Ostendamus haec et
faciamus saltem verisimilia statt: Osten demits . . . facia-
tnus etc. 4.
*4. S. 553, 35 (Cond. XIII): servire uxori et liberis
opere manuum et victum quaerendo statt: ... victu quae-
rendo.
*5. S. 558, 14 (Cond. XV): Et est ignis ille inter-
nus multo atrocior quam externus statt: Et hic est ignis
ille etc.
*6. S. 561, 4 (Cond. XVII): hic, inquam, deus non re-
mittit Septem dies etc statt: . . . Septem illos dies etc.
1) Dagegen hat die Erlanger Ausgabe (Opera v. a. II) sie in
den Text aufgenommen, da sie — trotz ihrer „liederlichen Bibliographie
unserer Schrift4' (um mit Knaake S. 523 zu reden) — den Druck C
zugrunde gelegt hat. — Alle diese Änderungen finden sich auch in dem
zweiten Lottherschen Drucke (D), der sich aller weiteren Änderungen
enthalten hat (man müfste denn dahin rechnen: S. 559, 25: quae sunt
fide imperfecta statt q. 8. f. imperfectae und 553, 35 die Fortlassung
des et vor victum). Doch s. unten S. 197 Anm. 4.
2) Der falsche Konjunktiv auch in Bas.4 und Bas.* beseitigt, desgl.
von Muhlius.
3) plus millies auch Bas.4 und Bas.6.
4) Die Verbesserung von 0 verdient ohne Frage den Vorzug vor
der Änderung: Ostend emus — faciemus (so schon Bas.4, Bas.*, Wit,
Jen., Lösch., Knaake).
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182
BKIEGER,
(Allerdings schon vorher, S. 560, 41, „7 Tage Fasten oder
dergl." genannt, bo dafs das Mos seine Erklärung findet.
Dennoch ist die Fortlassung entschieden feiner, da in der
Fortsetzung des Satzes dem Erlafs von sieben Tagen das
omnia remitiere vonseiten Gottes gegenübergestellt ist.)
*7. S. 561, 7 (Cond. XVII): sed de his statt: sed de
iis (es geht iis schon in derselben Zeile voraus).
*8. S. 566, 17 f. (Cond. XIX): ut . . . nesciant, an
sint damnatae an salvandae statt: . . . vel salvandae. (Vgl.
Asterisd S. 291, 5.)
*9. S. 569, 34 ff. (Cond. XX): Bemissio iüa . . . tenet
tarn apud deum quam apud ecclesiam, eo quod deus appro bat
hanc ecclesiae sitae remissionem statt: . . . eo quod deus appro-
bet etc.
*10. S. 573, 38 f. (Cond. XXV): Ego dubito et disputo,
an habe at potcstatem iurisdictionis in purgatorinm statt: . . . an
habeant etc. Luther redet hier ausschliefslich von der po-
testas iurisdictionis des Papstes. Worauf sollte der Plu-
ralis gehen? Die voraufgehenden Plurale sind Uli Z. 35,
identisch mit den temerarii suorum somniorum assertores
Z. 38.
*11. S. 583, 2—4 (Cond. XXVI): Alioquin, cum Papa
Sit unus homo, qui errare potest in fide et moribus, periculo assidue
laboraret totius ecclesiae fides, si quicquid ei visum fucrit ne-
cesse sit verum credi statt: . . . si quicquid sibi visum
fuerit etc.
*12. S. 587, 37 (Cond. XXXII): Certe populi redar-
guendi sunt aures tarn iüotae, ut etc. statt: ... üloti etc. K
*13. S. 588, 3 f. (Cond. XXXII): tarn pia, religiosa et
sancta statt: tarn pia et religiosa et sancta.
1) Diese Verbesserung hätte wohl in die oben S. 179 Anna. 1 ge-
gebene Liste aufgenommen werden können, wäre sie nicht sicher von
Luther ausgegangen, welcher die Erläuterung der 32. These sorgsam
durchgesehen hat Deswegen werden auch die Veränderungen Nr. 13
und 15 auf ihn zurückzuführen sein. (Wie € und D lesen auch Bas.4,
Bas.6, Wik, Jen., Lösch., Erl. Einzig Knaake, so viel ich sehe, liest
mit A: iUoti.)
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. III.
183
*14. S. 588, 8 (Cond. XXXII) : 0 vos duros, duros
«/ negligentes statt: 0 duri, duri et negligentes.
*15. S. 588, 11 f. (Cond. XXXII): 8i vel unam solam
tunicam habes statt: . . . haberes.
16. S. 588, 17 ff. (Cond. XXXII): Nam qua via fieri
potest alia, ut Uli audiant tarn aliena ab iis quae
isti loquuntur? statt: Nam qua via fieri possit alia, ut
tili tarn aliena loquantur ab iis quae audiuntur? Es
folgt in A noch: quis possit intelligere? Unde istae,
quaeso, verborum larvae? Dieser Zusatz ist, da es sich
nach der Änderung nicht mehr um verborum larvae handelt,
fortgelassen. Diese Stelle könnte schon für sich allein als
Beweis dafür gelten, dafs Luther seine Resolutionen (jeden-
falls einzelne von ihnen) einer Durchsicht unterzogen hat.
Die unzutreffende Wendung der ersten Ausarbeitung, welche
die Geschlossenheit der Gedankenentwickelung störte, hätte
sicher kein anderer als er selbst beseitigt. Es ist nötig,
genauer auf den Zusammenhang unserer Stelle einzugehen —
mit teilweiser Wiedergabe des Voraufgehenden. Wir stehen
bei der berühmten 32. Resolution, in welcher der Reformator
-einen seiner assertorischen Hauptsätze, der ihm gleich bei
Aufstdlung seiner Thesen aulser allem Zweifd stand, auf-
recht erhält und geharnischt verteidigt: Damnabuntur in
aeternum cum suis Magistrisf qui per literas veniarum securos
sese eredunt de sua salute. „Hone", ruft er aus, „assero et
probo!" „Pereat fiducia in mortuis literis!*1 Hier ergiefst
er die Schale seines Zornes über die Verführer des christ-
lichen Volkes, bricht er in Wehklagen aus über das arme
verführte Volk. Docentur confidere in scriptam et ceratam
papyrum! Er stützt sich für diese Behauptung auf seine
eigenen Erfahrungen: Audivi ego ipse multos, qui datis pe-
cuniis et redemptis literis totam fiduciam in Utas posuerunt.
Denn so hatten sie es, wie sie sagten, von den Ablafspredigern
gehört oder, wie er zur Ehre der letzteren annimmt, so
hatten sie dieselben verstanden. Er hat die Ablafsprediger
nicht selber gehört. Deswegen tadelt er sie nicht: sie mögen
sich entschuldigen und schneeweifs waschen. Gewifs sind die
Ohren des Volkes, das man der Unwahrheit zeihen mufs, so
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184
BUIEGER,
ungewaschen, dafs sie ganz anderes hören, als was-
jene sagen: Certe populi redarguendi sunt aures tarn iüotae,
ut Ulis salutaria dicentibus ipsi non nisi pestif er a
audiant. „Nämlich, während jene sagen: ,Vor allem,
Brüder, glaubet an Christum und setzet euer Vertrauen auf
ihn und thut Bufse, nehmet euer Kreuz auf euch, folget
Christo nach, tötet euere Glieder, lernt euch vor Strafen und
Tod nicht fürchten. Vor allem habt Liebe untereinander,
dienet einander, selbst mit Hintansetzung des Ablasses, helft
zuerst den Armen und Dürftigen.' Während, sage ich, jene
dieses und ähnliches Frommes, Gewissenhaftes und Heiliges
vortragen, hört dag unverständige Volk, wie durch ein neue»
Mirakel verzaubert, weit anderes, dieses nämlich " — und
nun folgen die bekannten Sätze, welche Luther ohne Frage
aus Tetzeis „Instructio pro sacerdotibus " entnommen hat:
0 vos insensatos et crassi cordis homines, bestiis prope similesr
qui non pereipitis tantam effusionem gratiarum! u. 8. w. Dar-
auf heifst es nach Ablauf des Citates : „Wenn sie dann aber
auf diejenigen zu sprechen kommen, welche der Ablafsgnade
widersprechen, so steht das Volk, während jene eine Flut
von Segens Worten ergieisen, zitternd da, furchtet, dafs der
Himmel einstürzen, die Erde sich aufthuen werde, und hört
Drohungen von Strafen viel schlimmer als Höllenpein, so
dafs es wohl wahr ist, dafs, wo jene fluchen, spricht Gott
den Segen zu ihrem Fluch, und wo jene segnen, flucht
Gott." — Wir sehen: das unverständige Volk mit seinen
aures iüotae hört fortwährend etwas ganz anderes, als was
die Ablafs verkünder predigen; das kann man nur in der
angedeuteten Weise erklären. Diesen letzten Gedanken
nimmt Luther nach dem wörtlich mitgeteilten Satze im re-
vidierten Drucke mit dem Worte auf: Nam qua via fieri
potest alia, ut Uli audiant tarn aliena ab iis, quae isti loquun-
tur? — während er in A mit der Frage, auf welche andere
Weise es geschehen könne, dafs die Ablafsprediger etwas ganz
anderes sprechen, als was vernommen werde, aus dem con-
cinnen Gedankenzusammenhang und dem richtigen Gedanken-
fortschritt herausgefallen war. Denn es handelte sich bei
der ironischen Schonung, welche Luther den Ablafshändlern
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DIE NEl'E LUTHEU-AUSGAHE. III
185
angedeihen läfst, um die Erklärung des Verhaltens des po-
pulus, der, novo miracuh subversus, allein Tadel verdient —
im Unterschied von den unschuldigen Ablafspredigern.
*17. S. 588, 20 f. (Cond XXXII): Alioquin haeretica,
impia, blasphema iüis ctiam praedicata putarem. Hier etiam
eingeschoben.
*18. S. 588, 21 f. (Cond. XXXII): Non credo verum
esse, quod unus Worum prohibuü fieri exequias defunctorum et
sacerdotum ref ectionem statt: . . . sacerdotum invita-
tio nem.
*19. S. 588, 31 tT. (Cond. XXXII): Non credo , quod
in pulpitist postquam impetuoso mugitu despumaverint suas ex-
Iwrtatumes et, ut populus imponat, clamaverint: t impone,
impone, impone' (hanc enim populus vocem caput et caudam,
immo et ventrem ac totum paene sermonem esse fingit), tum
tU Apostolici praedicatores rem non verbis modo, sed exemplo
quoque docent, descendunt primique ad cistam eunt in om~
nium oculis, irrUantes et provocantes simplicem et stultum po-
pulum, ut penitus exsugant meduüas eius. Imponunt itaque
splendido gestu atque sonoro tinnitu, tum mirantur, si non pluant
caeteri omnes totum aes suum, arrident imponcntibus etc. Hier
ist nicht nur das quoque eingeschoben, sondern: et ut po-
pulus imponat clamaverint für ut pop. impon. clamitent.
Man braucht den Satz nur aufmerksam zu lesen , um zu
sehen, dafs er erst durch die Korrektur Luthers einen zu-
treffenden Sinn erhält Nicht das will Luther tur unglaub-
lich erklären, dafs die Ablafsprediger , nach Gebrüll und
drastischen Ermahnungen, ihr impone schreien , sondern, dafs
sie selber von der Kanzel herabsteigen und in der geschil-
derten Weise durch ihr Beispiel zu reizen suchen *. Auch
diese Änderung ist daher ein Beweis dafür, dafs der Verfasser
selbst diese Resolution durchgesehen und verbessert hat *.
*20. S. 589, 3 f. (Cond. XXXII): cum prius magis
1) et ut ... clamaverint liest wie CD: Bas.4, Bas.', Erl.; wie
A dagegen: Wit., Jen., Lösch., Knaake.
2) Neben der 32. Resolution hat Luther der 58. die gröfste Auf-
merksamkeit gewidmet.
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186
ßKIEGER,
audire sit solitus quae ad caritatem et humilitatem pertinent
statt: . . . pertineant l.
*21. S. 589, 7 f. (Cond. XXXII): ut vel hau sola causa
satis iusta fuerit, ut universae taller entur, statt: ut vel haec
sit sola causa satis iusta, ut etc. *
*22. S. 591, 17 ff. (Cond. XXXV): Quis, rogo, furor
Ate est? qui, ut vüissimae poenae remissionem et ad salutem
inutüem magnißcet, peccata, quorum poenitentia sola fuerat
magnißcanda , extenuat statt: . . . magnificent . . . ex-
tenuent*. Eine Verbesserung zugleich von zwei Versehen.
Denn was soll der Pluralis? und der Konjunktiv extenuent
ist geradezu fehlerhaft *.
23. S. 594, lff. (Cond. XXXVIII): Non quod necessaria
sit illa declaratio, quae in literis indulgentiarum et
publice fit (sufficit enim ea quae fit in privata confessione)f
sed etc. statt: . . . quae in literis publicis fit indul-
gentiarum etc.6. Dafs die Änderung eine Verbesserung
bedeutet, ist klar.
*24. S. 599, 22 ff. (Cond. XLII): dum täte opus non
facerent, nisi veniae essentt ac sie finis operis huiusmodi fit
venia, immo ipse homo, qui quaerit quae sua sunt, cum de-
berent opus propter deum et gratis facere statt: . . . cum
debe ret etc. 6. Letzteres falsch, oder soll etwa homo Subjekt
zu deberet sein ? Offenbar ist ac sie bis sua sunt als Paren-
1) Der unmotivierte Konjunktiv auch Bas.4, Bas.0, Wit., Jen., Lösch,
und in Kewohntem Anschlufs an A Knaake.
2) Hier trifft Luthers Verbesserung ein Erratum von A, das ur-
sprünglich las: ut vel hac sola causa satis iusta, ut etc. — Wie CD
lesen Bas.*, Bas.6. — Wit, Jen., Lösch, stellen eigenmächtig das st t
von A um: satis iusta sit, ut etc.
3) Auch diese Verbesserung trifft wieder eine Korrektur der Er-
rata4 von A, welches ursprünglich magnificent . . . extenuat brachte.
Hier wurde die Korrektur also an falscher Stelle angebracht
4) Wie C D lesen Bas.*, Bas.6, Erl., die falsche Lesart bieten Wit.,
Jen., Lösch., Knaake.
5) In diesem Falle teilt Knaake die Lesart von C, D zwar mit,
aber nur als die der ed. Erlang. Sie findet sich auch in Bas.*, Bas.*
(Wit, Jen., Lösch, folgen A).
6) Das falsche deberet auch Bas.*, Bas.6, Wit, Jen., Lösch.
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DIE KEL'E LUTHER-AUSGABE. III.
187
these gedacht Mit dieser Verbesserung steht in innigster
Verbindung die folgende:
* 25. S. 599, 25 f. (Concl. XLII) : [cum deberent opus . . .
gratis facere] et venias non aliter acceptare quam gratis sibi,
non propter contributionem datas, ut sie Uli venias non emant
nec isti vendant statt: ille venias non emat etc. *.
*26. S. 603, 6 f. (Concl. L): pro veniis sibi forte non
necessariis statt: ... sibi non necessariis forte.
*27. S. 610, 9 (Concl. LVIII): Nec solvitur ibidem
per hoc, quod sit meerta remissio, sed blasphemantur potius
claves ecclesiae, licet etc. Das eingeschobene ibidem (nämlich
in der kurz vorher citierten Glossa zu de poenit. et remiss.
c. , Quod autem ' *) dient entschieden zur Verdeutlichung.
28. S. 610, 10 f. (Concl. LVIII): licet eum* iuvent in
hac solutione omnes ferme doctores scholastici statt: . . .
iuvent in hac sententia etc.
29. S. 610, 11 f. (Concl. LVIII): IUud autem, quod nescit
homo, an amore dignus sit, quo probat Solution em suam1,
inteUigitur etc. statt: dignus sit, intelligitur etc.
30. S. 610, 28 (Concl. LVIII): Hinter pro peccatis wird
hinzugesetzt: ut arguit ista glosa.
31. S. 610, 29 (Concl. LVIII): Solutio autem ipsius
glosae etiam impia est in Christum, quia, si per venias
mihi impenduntur merita Christi et ego adhuc incertum habeo,
mihi esse peccata remissa, ideo adhuc operandum pro eorum
1) A las ursprünglich ille . . . emant, in den , Errata' wieder
falsch gebessert. Richtig lesen nach C, D: Bas.4, Bas.*, Wit., Jen.,
Lösch., Erl.; falsch mit A allein Knaake.
2) Es heifst in der von Luther angeführten Glossa : Nunquid ultra
ieiunare tenetur? Respondetur: Si in veritate satisfecerit ecclesiae,
non tenetur ex necessitate ieiunare, sed ex honestate, et si contetnnat,
peccat mortaliter pro contemptu. Debet enim Semper dolere de pec-
cato quia nescit an dimissa sint ei peccata.
3) Auffallend das eum; man erwartete eam (seil, glossam), aber
man hat wohl dem Sinne nach glossator zu ergänzen, wenn Luther
nicht an einen bestimmten Gegner denkt, der uns unbekannt; das
scheint die Anm. 4 konstatierte Thatsache nahe zu legen.
4) Dieses Argument kommt in der Glossa nicht vor ; Luther müfste
denn eine reichhaltigere gehabt haben.
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188
B KI EG EU,
remissione. Tunc sequitur. quod dubito, an merita Chrisiir
appilicata et donata mihi, sint sufßcientia ad remissionem pcc-
catorum. — A liest: Sed quod ista sententia sit impia
in Christum, quin etc. Nach den »Errata* soll dafür gelesen
werden: Secundo quod ista solutio sit impia etc. Das
war abgesehen von dem Einsetzen von solutio für sententia
teils eine unzureichende Verbesserung, teils eine Verball-
hornung, die nirgends, so viel ich sehe, Aufnahme gefunden
hat: Bas.4, Bas.5, Wit, Jen., Lösch, lesen ohne Berück-
sichtigung der , Errata': Sed quod ista sententia sit etc.
Es blieb der Weimarer Ausgabe vorbehalten, den Willen
des Verfassers der , Errata 1 zu vollstrecken. Diese Lesart
hat den doppelten Nachteil, dafs l) das Secundo keinen
Sinn hat, denn es ist kein primo voraufgegangen, und dafs
2) der Satz unvollständig ist! Wovon soll denn die Kon-
junktivkonstruktion quod ... sit abhängig sein? Beide
Mängel hat Luther selbst in C abgestellt. — Übrigens ist,
um das gleich hier anzumerken, die von Knaake gegebene
Interpunktion remissione. Tunc verfehlt (so auch Bas.*, Wit.,
Jen., Lösch., Erl.). Denn sie verdunkelt den Gedanken.
Das Ganze ist als eine Periode zu fassen: quia, si . . .
tunc . . . Das ist auch der Sinn der Interpunktion der
Urdrucke; denn A liest: remissione, Tunc; ebenso D, Bas.4
und Muhl. ; C : remissione' Tunc (den Punkt nach remissione
über der Linie).
*32. S. 612, 6 (Cond LVIII): ut erant humili sensu
statt: . . . humiles sensu l.
*33. S. 612, 26. 39 (Cond. LV11I): Das Iam causa,
welches in A der causa , Quinta' voraufgeht, hier entfernt
und vor die causa ,Ultitna' gesetzt (an das Ende der vor-
aufgehenden Zeile, nach Zwischenraum).
*34. S. 624, 30 ff. (Cond. LXXX) liest A: Ideo altera
Clavis, est clavis scientiae*, cui si adderetur, Alter gladius,
1) humili auch Bas.4.
2) Vgl. Luk. 11, 52. — Mit der bekannten scholastischen Unter-
scheidung von Clavis potestatis und Clavis scientiae hat Luther spater
sich eingehend beschäftigt in seiner Schrift „Von den Schlüsseln** (1530),
E. A. 31, 156-163.
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DIE NEI E LUTHEK-Al'SGABE. III.
est yladius scientiae Apostolicae diceret, In iis
omnibus nondum est aversus furor domini etc. — C verbessert:
. . . cui si adderetur alter gladius qui est gladius scientiae
Apostolicae , dicertt, In iis omnibus etc. Ebenso D, Bas.4,
Bas.5. Die Einfügung von qui wird richtig sein, im übrigen
aber scheint die Stelle auch hier noch nicht genügend ge-
bessert zu sein. Die Wittenberger Ausgabe hat auf eigene
Hand zu verbessern gesucht: . . . alter gladius, id est gla-
dius scientiae, apostolice id est recte et sancte dicerent:
In his omnibus etc. Ebenso Jen., Lösch, (und Walch).
Knaake schliefst sich an A an, doch mit veränderter Inter-
punktion, mit Verwendung von Anfuhrungszeichen und mit
stillschweigender Änderung des Apostolicae: Idco altera
Clavis est clavis scientiae: cui si adderetur , Alter gladius est
gladius scientiae Apostolice diceret. In iis omnibus etc
*35. S. 624, 35 f. (Cond. LXXX): Compendium illud
laboris nobis placet, non ut haereses aut errores destruamus,
sed haereticos et errantes cancrememus statt: . . . placet, ut
non etc., also ein offenbarer Fehler verbessert l.
Das ist eine ganz stattliche Reihe von Abweichungen,
die schon bei einer gelegentlichen (keineswegs durchgehen-
den) Vergleichung von C mit A auffallen. Es gilt von ihnen,
1) Trotzdem ut non: Bas.4, Bas.5, Wit, Jen., Lösch., Knaake. —
Bas.4 geht auf die Baseler Sammlung der Opera Lutheri vom Marz
1520, als deren Drucker neuerdings Andreas Cratander erwiesen ist; Bas}
auf M. Lutheri Lucubrationum pars una, welche (me colKgente
et ordinante sagt Conrad Pellikan in seinem Chron. S. 76) Adam Petri
im Juli 1520 gedruckt hat. Dagegen standen mir hier die drei ersten
Baseler Drucke der Opera Lutheri (s. über sie v. Dummer
S. 21 f. vgl. oben S. 180) nicht zur Verfügung ; ebenso wenig die 1717 von
dem Kieler Professor Heinr. Muhl ins veranstaltete Separatausgabe
der Thesen und Resolutionen (s. den Titel bei Knaake I, 523). Doch
habe ich mir diesen Druck später von auswärts kommen lassen und
ihn nachträglich hier und da verglichen. Muhlius giebt angeblich einen
Abdruck des zweiten Lottherschen Druckes von 1519 (D), hat aber
diesen stellenweise stillschweigend gebessert, und mitunter in einer
Weise, die ihm zur Ehre gereicht (vgl. unten S. 200 Anm. 1).
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19U
BKIBGEU,
was Lenz und ich von den eigentümlichen Lesarten de»
dritten Druckes der Antwort auf den Dialog des Silvester
Prierias bemerkt haben1, dafs es einesteils formelle Än-
derungen sind, „der Mehrzahl nach stilistische Glät-
tungen, welche die humanistische Schulung Luthers zum
Teil in geradezu überraschender Weise darthun", andernteils
aber auch sachliche Verbesserungen, und unter
ihnen wahrlich wichtige *.
1) S. diese Zeitschr. Bd. VII , S. 585. S. über diesen Druck (C)
S. 582 ff.
2) Über die Bedeutung des Druckes C von „Ad Dialogum Sil?.
Prieriatis" und unsere Würdigung desselben hat Knaake inzwischen
(1893) ein ergötzliches Urteil gefallt, welches den Lesern der Zeitschrift
vorzuenthalten Unrecht sein würde (W. A. IX, 783). „Über die Ent-
stehung des Druckes C wird S. 583 gesagt, dafs er ,von Luther höchst
sorgsam durchgesehen und vielfach korrigiert worden1 sei. Nun sind
freilich ,eine Reihe von Druckfehlern stehen geblieben, sind auch in
allerdings kleiner Anzahl neue hinzugekommen; aber trotz dieser Ver-
sehen zeigt fast jedes Blatt eine teils formell , teils sachlich bessernde
Hand, welche nur die des Verfassers gewesen sein kann1. Das ist der
ganze Beweis, den Brieger und Lenz (S. 584 f.) für Luthers eigenhändige
Korrektur der Schrift führen, — hinfort fufsen sie darauf und ziehen
weitere kühne Folgerungen daraus, wie, dafs , die stilistischen Glättungen 4,
die er dem Texte gegeben, ,die humanistische Schulung Luthers in ge-
radezu überraschender Weise darthun4 etc. Behauptung gegen Behaup-
tung: wir erklären, dafs A in € nicht von Luther korrigiert sein kann;
der Beweis dafür liegt in den Änderungen, welche in C vorgenommen
sind." — Wenn übrigens Knaake IX, 782 schreibt: „Es giebt auch
einen Druck mit dem Fehler , Pieratis aber über die Identität des-
selben mit C soll kein Zweifel sein44, so sind wir (Lenz und ich) an
dem dieser falschen Mitteilung zugrunde liegenden Mifsverständnis
ohne Schuld. Wir hatten (VII, 584) von C angemerkt, der Druck be-
finde sich auch in der Frankfurter Stadtbibliothek, und hatten dafür
in einer Anmerkung auf den von K eich n er 1883 veröffentlichten
Katalog der Luther -Drucke dieser Bibliothek, S. 8, verwiesen und
hier hinzugefügt: „Nach gefälliger Mitteilung des Herrn Dr. Kelchner
ist das hier sich findende Pitratis ein Druckfehler und stimmt das Ver-
zeichnis der Errata am Ende mit demjenigen in dem uns vorliegenden
Exemplar überein, so dafs über die Identität des Druckes kein Zweifel
obwalten kann.44 Knaake mutet uns die Naivität zu, dafs wir bei
Dr. Kelchner angefragt haben, ob ein angeblich in (einer Variante von)
C sich findendes Pieratis ein Druckfehler sei, und die Bestätigung un-
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. III.
191
Die bessernde Hand Luthers hat so ziemlich umsonst
geschafft. Von den bisherigen Gesamtausgaben hat nur die
Erlanger die Verbesserungen aufgenommen. Für die neueste,
iür die erste „kritische" Ausgabe ist die ganze Summe
seiner Arbeit verloren. Denn der Herausgeber unserer
Schrift hat nicht nur grundsätzlich den ersten, Grunen-
bergischen Druck zur Textgrundlage gemacht, sondern die
Nichtachtung des verbesserten Druckes so weit getrieben,
dafs er dessen Lesarten nur ganz ausnahmsweise einer Mit-
teilung unter dem Texte für wert hält: nämlich nur S. 588
(s. oben Nr. 16) und S. 610 (s. oben Nr. 28 — 31) 1 —
allerdings reichen gerade die auf diesen beiden Seiten mit-
geteilten Abweichungen von C D hin, um den Forscher auf
die Vorzüge von C aufmerksam zu machen, ihn dazu zu
veranlassen, die „kritische" Ausgabe einstweilen beiseite
zu legen und auf die Urdrucke zurückzugehen.
Demnach steht es in dieser Hinsicht mit dem Texte der
Resolutionen genau so wie nach dem von Lenz und mir
gelieferten Nachweis bei der Schrift ,Ad Dialogum Silvestri
Prieriatis'. Nur inbetreff des Herausgebers waltet ein
Unterschied ob : bei Luther's Antwort an Prierias konnte
sich Knaake mit dem Umstand entschuldigen, dafs ihm die
revidierte Ausgabe entgangen war; hier hat er sie gekannt
und mit Bewufstsein beiseite geschoben — für eine
kritische Ausgabe ein unerhörtes Verfahren und
zugleich verhängnisvoll!
Denn seine Schuld ist es, wenn die kritische Gesamt-
ausgabe, was die Resolutionen anbelangt, einen Rückschritt
bedeutet im Vergleich zu ihrer Vorgängerin, der Er langer * —
serer scharfsinnigen Vermutung der Welt verkündet haben. [Zusatz
von 1896.]
1) Dazu wird noch S. 594 (s. oben Nr. 23) die Lesart von C als
die der Erlanger Ausgabe mitgeteilt.
2) Nebenbei sei eine orthographische Unart erwähnt, welche
die W. A. als eine berechtigte Eigentümlichkeit vor der Er langer
Ausgabe in Anspruch nimmt. Seinem Bd. I, Vorrede S. xx ent-
wickelten Grundsatz gemäfs hat Knaake auch in den Resolutionen das
e des Urdruckes A beibehalten, wo es hier völlig regellos das nicht
minder häufige ae vertritt (so lesen wir in derselben Zeile incerte neben
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192
B KI KU EU,
und dieses trotz der „liederlichen Bibliographie unserer
Schrift" in der letzteren.
Um so lieber wird der Kritiker anerkennen, dafs Knaake
trotzdem an einigen Stellen die Textkritik gefördert hat
Die Zahl derselben ist freilich nicht grofs.
Wo Knaake von seiner Vorlage A abweicht oder ver-
loren gegangene richtige Lesarten derselben wiederherstellt,
ist das unter dem Text verzeichnet 1 : ich zähle ungefähr
75 solche Stellen.
Man kann sie in fünf Klassen teilen:
1) Die schon vor Knaake ziemlich allgemein
aufgenommenen Verbesserungen.
2) Diejenigen Verbesserungen, welche nur
vereinzelt oder doch nicht allgemein vor Knaake
angenommen sind.
ä) Diejenigen Verbesserungen, welche in
Wiederherstellung des Ursprünglichen bestehen.
4) Die selbständigen Verbesserungen Knaakes.
5) Die angeblichen Verbesserungen der Wei-
marer Ausgabe.
Ich habe für mich, um mir ein Urteil über den Gang
der Textkritik zu bilden, beiläufig Listen dieser verschiedenen
Klassen angelegt. Doch würde sich eine Mitteilung der
Liste der ersten Klasse, welche übrigens mehr als die Hälfte
aller bei Knaake vorkommenden Verbesserungen umfafst *,
incertae-, ferner vilimmt poenae und male et noxiae). Diese meist
unschädliche Unebenheit empfindet der Leser doch gelegentlich als ein
Hemmnis für die schnelle Erfassung des Sinnes; man vgl. das plene
683, 32 neben dem Adverbium plene in der voraufgenden Zeile. Schon
die Lotth er sehen Drucke (C und D) haben dieses willkürliche e
ausgemerzt! — Umgekehrt wäre das coeperunt der Urdrucke 573, 36
(welches bei Walch sogar falsch übersetzt ist) in ceperunt zu verändern
gewesen (so allein Muhlius richtig).
1) Wohl nur ausnahmsweise ist das infolge eines Versehens unter-
blieben. So hat Knaake 608, 12 das nos in tum geändert.
2) Es sind 49 Nummern. Ich rechne dahin also diejenigen Ver-
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DIE NEUE LUTHER- AUSGABE. III. 193
nicht verlohnen. Es kann hier ftir uns nur auf die kurzen
Verzeichnisse der vier letzten Klassen ankommen.
1.
Nicht allgemein angenommene Verbesserungen.
1. 543, 24: remis s um (Bas.4, Bas.5) für remissam (C,
D, Wit., Jen., Lösch., Erl.).
2. 545, 28 f.: cum . . . debeat (Bas.4, Bas.6, Wit., Lösch.)
für cum ... debet (C, D, Jen., Erl.).
3. 551, 6: remissionem plenariam (Wit, Jen., Lösch.)
für satisfactionem plenariam (C, D, Bas.4, Bas.6, Erl.).
4. 602, 15: quam (Wit., Jen., Lösch.) für et (C, D,
Bas.4, Bas.5, Erl.).
5. 607, 13: Olymp i um (Bas.4, Bas6, Lösch.) für Olym-
pum (C, D, Wit, Jen., Erl).
6. 613, 21 ff.: Quo circa nunc vide, num quo tempore
coepit theologia scholastica . . . eodem evacuata est theologia
crucis suntque omnia plane conversa (Wit, Jen., Lösch.) für
. . . num . . . est . . . sintque etc. (C, D, Bas.4, Bas.6,
Muhl., Erl.) \
7. 614, 27: huius (Bas.4, Bas.6, Wit, Jen., Lösch.)
für illius (C, D, Erl.).
8. 620, 18: ut mit Löscher gegen alle Drucke für et.
9. 624, 7: facta e mit Muhlius und Löscher gegen alle
Drucke für facta s.
2.
Die Wiederherstellung ursprünglicher Lesarten.
1. 533, 6: Aut quis (A, C, 1), Erl.) für At quis (Bas.4,
Bas.5, Wit , Jen., Lösch.).
2. 547, 3: amissae (1), Bas.4, Bas.5) für omissae (A, C,
Wit, Jen., Lösch., Erl.).
besserungen in A sich findender Fehler, welche, schon ron C, D oder
den späteren Herausgebern herrührend, in dem Mafse Billigung gefunden
haben, dafs sie als landläufige gelten können. Sie sind fast alle selbst-
verständlich und finden sich sämtlich auch in der Erlanger Ausgabe.
1) Vgl. 624, 17 ff.: Hic vide, num . . . fecit.
ZeiLebr. f. K -O. XVII. 1 u. «. 13
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1 94 BKIEGER,
3. 575, 35: cahos (A, C, D) für cados (alle späteren
Drucke mit Ausnahme von Muhl.).
4. 578, 1: l u d a mus (A, C) für laude mus (Bas.4, Bas.5,
Wit, Jen., Lösch., Erl.).
5. 582, 37: Prdba (A, C, D, Bas.4, Bas.4) für Pröbo
(Wit, Jen., Lösch., Erl.).
6. 600, 29: Einschiebung von non nach den , Errata 1
von A 1 gegen alle späteren Drucke.
7. 61 J, 22: Aug. Anc. (C, D) für Ang. Anc. (A, Bas.*r
Bas.6, Wit., Jen., Lösch., Erl.) *.
3.
Selbständige Verbesserungen Knaakes.
1. 556, 22: Deut. XXVIII fiir Deut. XXXII.
2. 557, 13: lutum für lud um in dem Vulgata-Citat.
3. 585, 15: Die Änderung des falschen praedicat (A,
C, D) in praedicant verdient den Vorzug vor der Lesart
praedicat ur (Bas.4, Bas.s, Wit, Jen., Lösch., Erl.)3.
Das sind alle Verbesserungen, welche man in der kriti-
schen Ausgabe antrifft: diese drei Listen, welche allein in
Betracht kommen können, wenn es sich um das Verdienst
dieser Ausgabe handelt, ergeben zusammen die Zahl von 19
Verbesserungen; darunter befinden sich 18, welche die Er-
langer Ausgabe nicht hat, 11, die man auch bei Löscher
vergeblich sucht.
1) Von Knaake nicht erwähnt (trotz der entsprechenden Bemerkungen
zu Nr. 1, 3, 4, 5). Übrigens ist das non allenfalls entbehrlich.
2) Es ist das derselbe Druckfehler, den Wit., Jen., Lösch., Erl. an
einer früheren Stelle (S. 568, 3) verbessert hatten.
3) Von den selbständigen Textverbesserungen Knaakes kann ich
hier nur diese drei aufführen. Allerdings ist er — abgesehen von einer
Änderung der Interpunktion, auf welche er unter dem Texte aufmerk-
sam macht (sie betiifft das Citat aus Clem. de pe. et re. 8. 581, 37:
ut assenmt mendacitcr, extrahunt für ut asserunt, mendaciter extra-
hunt) — noch an einigen anderen Stellen zu einer selbständigen Ände-
rung des Textes geschiitten, allein ohne Glück (s. das folgende Ver-
zeichnis).
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. DI.
195
Nun treffen wir allerdings noch auf etwa ein Dutzend
weiterer Abweichungen von A. Allein, wie schon angedeutet,
als Verbesserungen raufs man sie beanstanden: die einen
sind unnötige Änderungen, andere sind von zweifelhaftem
Werte, andere endlich falsch. Dieses Urteil ist kurz zu be-
gründen.
4.
Unnötige, fragliche und falsche Verbesserungen
Rnaakes.
1. 536, 30: Ac sie solo intens ionis gradu distaret a
quinia. Dazu die Bemerkung: „ inten t ionis aufser dem
Urdruck alle Ausgaben/' In der That schon C hat so ge-
bessert, d. h. an die Stelle von intensio die im klassischen
Latein gebräuchlichere Wortform gesetzt
2. 537, 35: Tercio extra, de pe: et re: Ii: V. c. Quod
atttern. Hier ist der Punkt hinter extra falsch und irreführend,
als ob eine Extravagante citiert würde, während das Citat
(nach der doch auch Knaake sicher nicht unbekannten
Citierweise) auf die Decretalen Gregors IX. geht. Die Er-
langer Ausgabe liest richtig extra mit allen früheren Drucken *.
3. 566, 15 ff.: Sed et insignes quidam autores ... audent
dicere , quasdam animas pro suae trepiditate vitae per
mortem rapi et a deo sie proiici, tä usque in finem mundi
nesciant, an sint damnatae vel salvandae (Bas.4, Wit, Jen.,
Lösch., Erl.) für . . . tep iditate etc. (A, C, D, Bas.6). Die
Änderung trepiditate ist nicht blofs unnötig a, sondern falsch 8.
4. 568, 5 und 570, 1: Mayronis für Maronis.
Hiernach wäre auch der Titel der Schriften des bekannten
Scholastikers zu ändern : „ Sermones . . . Francisci Maronis"
weist der Baseler Druck von 1498 auf.
5. 581, 2 6 ff.: ... nisi non tantum indtdgentias largiatur,
1) Falsch allein Muhlius: Extra v.
2) Upidus: dubius animi, medius inter confidentem et cUsperan-
ttm (du Cange).
3) Tepidm ist hier nämlich nicht im Sinne von trepidus zu neh-
men, sondern wie Apoc 3, 16 (vgl. Joh. de Palt z, Celifodina, Erfurter
Druck von 1502, VI»: propter vivtnHum tepiditattm).
IS*
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19fr BRIEGEK,
immo Ulis vclut in superabundantem catäelam datis (velut
solent ctiam mortui absolvi in facie ecclesiae) simul inrolvat
. . . applicationem meritorum ecclesiae (Wit, Jen , Lösch.)
für . . . (vel ut solent . . .) etc. (A, C, D \ Bas.*, Bas.6,
Erl.). Das ißt natürlich nicht eine blofse graphische Ver-
schiedenheit: der Gedankeninhalt des Satzes legt nahe, das
zweite rel ut nicht als „wie", sondern als „oder wie" zu fassen. '
6. 582, 38 f.: cum solius Papae non sit novos fidei statuere
articulos, sed secundum statutos iudicare et rescindere
quaestiones fidei für . . . descindere quaestiones fidei (so alle
Ausgaben). Was soll rescindere heifsen? Es ist natürlich
decidere zu lesen (oder in demselben Sinne [s. du Cange]
qlescidere).
7. 583, 32: plenitudinem indulgentiarum (wie 582, 36;
583, 25) für plenitudinem indulgentiac (so alle Drucke).
Warum denn nicht auch Z. 20 das plenituditiem indulgeti-
tiae geändert? *
8. 584, 37 und 585, 4: Quarto — Quinto für Quinto —
Sexte 3. Es lag kein Grund vor, den Text zu ändern ; es
genügte, in einer Anmerkung darauf aufmerksam zu machen,
dafs die Zählung nicht stimmt, und auf die nach Knaake
vorliegende Möglichkeit hinzuweisen.
9. 587, 6ff: Berum eorum loquor senientia, ut videant
suac licenciosae praedicationis temeritatem, immo contradic-
tionem. Qui mm tarn multis eas prodesse clamitent et tarnen
confdeantiir paueos esse, qui angustam viam ambulant,
nondum erubescunt neque attendunt quid loquantur für et
tarnen confitentur etc. (alle Ausgaben). Zweifelhaft. Es soll
ja der Selbstwiderspruch ihrer Predigt hervorgehoben werden.
1) Die drei ürdrucke bringen das unmittelbar voraufgehende veltU
im Unterschied von dem zweiten als ein Wort.
2) Jeder Kenner des Sprachgebrauches weifs, das in demselben
Aktenstück (vgl. z. B. die bek«nnte Bulle Sixtus' IV. von 1577 bei
Eusebius Amort, Historia Indulgentiarum, Venetiis MDCCXXXVIII,
II, 417 sq.), in derselben Erörterung (vgl. z. B. Gabriol Biel bei Gie-
seler II, 4, 356 f.) Singularis und Pluralis wechseln.
3) So nach Knaake alle Ausgaben. Aber Bas.* hat wie er ge-
ändert
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DIE NEL'E LUTHEK- AUSGABE. 111
197
Daher dürfte den Vorzug verdienen, das et vor tarnen zu
streichen *.
10. 592, 28: Si quando (Bas.*, Bas.5, Wit, Jen., Lösch.,
Erl.) für Si quomodo (A, C, D). Unnötig.
11. 595, 24: solum informandis contritionilms labora-
mus für solum in fortnandis etc. (wie alle Drucke) *.
12. 602, 37: ut omnino nullus sil (Bas.4, Bas.*, Wit.,
Jen., Lösch., Erl.) für et omnino nullus sit (A, C, D). Un-
nötig 3.
13. 614, 2: Die Zahl des Psalms hinzugefügt; will-
kürlich; vergl. 613, 16.
Man würde fehlgreifen, wollte man aus dem Umstände,
dafs die kritische Ausgabe nur in ganz verschwindenden
Ausnahmefällen Anlafs zu selbständigen Änderungen des
Textes gefunden hat, den Schlufs ziehen, der Text der Reso-
lutionen sei hier nachgerade von allen Fehlern gesäubert.
Eine Anzahl von kleinen Ungenauigkeiten wird sich ver-
mutlich bei sorgsamer Vergleichung der revidierten Drucke
€ und D beseitigen lassen 4.
Aber auch dort, wo sämtliche Urdrucke zusammen-
stimmen, hat unzweifelhaft die Textkritik öfter einzusetzen,
als von Knaake geschehen ist Ich nenne ein paar solcher
Stellen, die mir aufgefallen sind.
1. 531, 39 ff. Huc perlinet, quod um consensu doctores
scholasti-ci discernunt poenitenimm virtutis a poentientia
1) Es wäre zu interpungieren : contradictionem, qui [so Bas.4, Bas.5,
Wit., Jen., Lösch., Erl ; schon A : contradictionem , Qui] . . . arnou-
lant. Nondum etc.
2) Da Knaake hier stillschweigend von seiner Vorlage abweicht,
mag hier ein Druckfehler vorliegen.
3) Die Stelle ist dann natürlich anders zu interpungieren , nämlich
vor et Z. 37 und denique Z. 38 nicht mit A, Knaake u. a. eiu Komma,
sondern mit C, D ein Punkt zu setzen.
4) Auch D ist, wie es scheint, noch wieder aufmerksam durch-
gesehen und bietet Verbesserungen, welche sich in C noch nicht rinden.
So liest D: 615, 38 includat für includit. Auch das ut patet 618,
19 verdient wohl den Vorzug vor et patet.
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198 BRIEGER,
sacramentali, ponentes poeniieniiam virtutem velut materiam
seu subiectum poenitentiae sacramenti. Hier ist gegen alle
Drucke auch das erste Mal poenitentiam virtutem zu lesen !.
Uber die in der That ganz landläufige Unterscheidung der
poenitentia, als virtus und der poenitentia als sacramentum
kann jeder Scholastiker verglichen werden *. Auch in seiner
Antwort an Silv. Prierias kommt Luther auf sie zu reden,
da dieser in seiner konfusen Scholastik eine dreifache poeni-
tentia unterschieden und an erster und zweiter Stelle die
poeniientia als virtus und als sacramentum aufgeführt hatte
(W. A. I, 650, 5 ff. 28. 31) s.
2. 33 ff. Adversus has tres meas conclusiones gui-
dam . . . posuit deblaUerans , errorem esse, si quis verbum
ittud poenitentia 4 negaverit etiam de sacramento poeni-
tentiae intelligi. — Hier giebt poenitentia überhaupt keinen
Sinn. Es ist zu lesen: verbum illud , poenitentiam agite'
(oder v. i }poenitentiam etc.'), mit welchem sich Tetzel, auf
den Luther sich hier ja bezieht, an der betreffenden Stelle
1) Man kann natürlich sehr wohl, wie die Scholastiker unzählige
Male thun, von der virtus poenitentiae reden, nicht aber von der
poenitentia virtutis! — Die Jenaer Ausgabe (ihr folgt auch hier wie
so oft die Erlanger) hat gefühlt, dafs hier ein Fehler steckt, aber
fälschlich das poenitentiam virtutem in poenitentiam virtutis ge-
ändert
2) Vgl schon den Lombarden (IV, Dist. 14); weiter z. B. Bona-
ventura, Sent, IV, Dist. XIV, I, Dub. 2 und Art. I, Qu. lff. (auch
Dist. XVI, I, Dub. 1 : poenitentia sumitur dupliciter, seilicet pro poeni-
tentia virtute et pro poenitentia sacramento) ; desgl. Thomas, Sum.
ttieol. III, Qu. 85. Zu vgl. über die poenitentia als Tugend bei Thomas
Karl Werner, Thomas von Aquino II (Regensb. 1859), S. 685—687;
ferner Werners Werk „Die Scholastik des späteren Mittelalters" (Wien
1881 — 1887) über diese Unterscheidung bei Duns Scotus I, 478-480,
in der nachscotistischen Scholastik (Aureolus, Baconthorp, Durandus,
Occam) II, 396-402, bei Gabr. Biel IV, 1, 294 — Schwane,
Dogmengeschichte der mittleren Zeit, Freiburg 1882, streift den Gegen-
stand blofs (S. 664. 665).
3) S. unten (S. 207 ff.) den Anhang.
4) So alle Drucke, nur dafs Jen. und Erl. poenitentia in Kommata
setzen, Knaake in Anführungszeichen.
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DIK NEUE LUTHER-AI SG ARE. III.
199
seiner Gegenthesen 1 ebenso wohl beschäftigt wie Luther in
These 1—3.
3. 551, 14 ff.: Si declarat, ergo impossibile est ut relaxet
ecdesia easdem, quia non imposuit, sed impositas a deo
declarat. Welchen Sinn giebt hier das in sämtlichen
Drucken sich findende Si declarat? Luther bekämpft hier
die Behauptung poenas canonicas esse declaratorias
poenarum a iusticia divina requisitarum. Es ist daher „Si
declarat." oder deutlicher „Si declaratoriae" zu lesen.
4. 558, 2 8 ff.: cum in caelo credamus regnarc pacem,
gaudium et securitatem in luce dei, in inferno vero contra
servire desperationetn, dolorem et horribilem fugam in tene-
bris exterioribus u. s. w. Welcher aufmerksame Leser sollte
nicht an dem servire Anstofs nehmen und sofort saevire da-
für einsetzen? Knaake hat die Lesart von A, C, D, mit
Bas.4, Bas 5 und Wit beibehalten, obgleich schon Jen., Muhl.,
Lösch, und Erl.(!) das Richtige boten*.
5. 579, 1 ff. Unde Christus velut de industria non dixit
,Ego solvam in caelis', sed , solutum erit in caelis1, ut, si
quis primo verbo, scilicet ,Quodcunque solveris super terram',
falsae intelligentiae calumniam quaereret, in sequente retun-
deretur nee permiäeretur ad solvendum aptare, quia solu-
tum in caelis cogit certe intelligi solutum in terra, non sol-
ventem, et ligatum in caelis cogit intelligi non ligantem, sed
ligatum in terra. Hier ist Z. 5 statt ad solvendum zu lesen:
ad solventem aptare. Man vergl. aufser der hier ab-
gedruckten Fortsetzung der Periode noch 577, 27 f. und
578, 7. 37 ff! Wer hier solvendum drucken kann, hat
den springenden Punkt der ganzen, S. 577, 15 beginnen-
1) These 3 und 4: Quisquis ergo dicit, Christum, dum praedi-
cavit: ,poenüentiam agite* . . . errat (Erl. Ausg., Op. y. a. I, 296).
2) In dem inzwischen (Ende 1893) erschienenen 9. Bande der W.
A., welcher nur Nachtrage und Berichtigungen zu den ersten Bänden
enthält, lesen wir S. 781 (zu Bd. II, 558, 29): „ E. Nestle in den Theol.
Studien aus Württemberg X. Jahrg. S. 312 hält servire für einen Druck-
fehler; dies ist es in unserer Gesamtausgabe nicht, denn wir hatten es
nach unserer Vorlage gegeben: er will dafür saevire gesetzt haben, eine
vortreffliche Konjektur.4' [Zusatz von 1896 ]
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200
BKIEGEK,
den Erörterung Luthers nicht beachtet oder — nicht ver-
standen l.
i) Nachträglich sehe ich, dafs wenigstens einer der Herausgeber
der Resolutionen sich hier frei von sträflicher Gedankenlosigkeit ge-
halten hat: Muhlius (s. über ihn oben S. 169 Anm. 1) hat stillschwei-
gend das sohendum in solventem geändert. — Beiläufig mag hier an-
gemerkt werden, dafs Luther an dieser Stelle, wie so oft in den Re-
solutionen, sich mit Joh. von Paltz oder einem von dessen Hinter-
männern auseinandersetzt. Zur Erhärtung seines Satzes, dafs de»
Papstes potestas clavium sich nicht aufs Fegefeuer erstrecke (S. 574)
bringt Luther an dritter Stelle (577, 15) das Argument bei, daß das
die Schlüsselgewalt übertragende Wort des Herrn ausdrücklich den
Zusatz super terram habe (Non frustra adiecit , super terram'). Aber
die superstitio quonindam, qui sine scitu et sine voluntate Papae ro-
lunt in Ms verbis potestatem ei dare, ubi ipse suffragium sibi usurpat
duntaxat, verdrehen die Worte Chiisti dicentes: Illud ,super ter-
ram' potest dupliciter construi, uno modout ad solventem,
alio modo ut ad solvendum pertineat; et primo modo esse
Christum intelligendum, scüicet: ,Quodcunque Petrus dum fuerit
super terram solverit, solutum erit in caelis." Hierzu vgl.
man die ,Celif odi na', wo Paltz in der vom Jubiläum handelnden
Additio (des Hauptwerkes) in der 9. Quaestio principalis (An sit cre-
dendum quod per iubileum et indulgentias animabus in purgatorio
veraciter subveniatur) vor allem die Frage erörtert, an papa possit dare
indulgentias pro animabus in purgatorio detentis (Bl. T 3b des Er-
furter Druckes von 1502) , und selbstverständlich bejaht. Hier kommt
Paltz (T 5b) bei Besprechung der gegnerischen Einreden auf folgenden
Einwurf zu reden: Christus non dedit potestatem Petro et suis suc-
cessoribus ligandi et solvendi nisi iüos qui sunt super terram, iuxta
illud Mathei XVI: Quodcunque etc. Sed animae in purgatorio exi-
stentes non sunt super terram, ergo videtur quod papa non habeat
potestatem vel iurisdictionem super eas et per consequens non possit
eas a penis solvere per indulgentias. Die in dieser scheinbar entgegen-
stehenden Autorität von Matth. 16 liegende Schwierigkeit läfst sich in-
dessen auf dreifache Weise heben : theologice, logice et similitudinarie.
Logisch hat diese Schwierigkeit unter anderen in einem für den
Kardinal Raim. Peraudi ausgestellten Gutachten gelöst der Magister
Nicolaus Richardi, sacrae theologiae professor Universitatis Picta-
viensis. (Dieser ist mir sonst nicht bekannt Doch läi'st sich biblio-
graphisch ein Traktat von ihm nachweisen, welcher sich mit der durch
Sixtus' IV. bekannte Ablafsbulle für die Kirche von Saintes [August
1476] hervorgerufenen Streitfrage von der Ausdehnung des Ablasses ins
Fegefeuer beschäftigt und vermutlich 1476 oder 1477 geschrieben ist
[der einzige datierte Druck weist das Jahr 1487 auf. Sämtliche
Uigitizea Dy
DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. III.
1>01
ü. 5T0, 131". tyuin amplius f'acivmus et rogetnus Papatn,
ut u. s. w. So Knaake mit A, C, D, Muhl, und Erl. Es
Drucke dieses Tractatus des Nie. Richardi rinden sich übrigens an-
gehängt einem Tractatus des Magisters Johannes de Fabrica in
Paris von U76 , super relaxationc penarum animarum purgatorii . . .
pro dubio quodam tollendo ex bullis Xanctonensium indulgentiarum'].
Es ist zweifellos derselbe Traktat, aus welchem Amort, Hist. indulg.,
Venet. 1738, p. 333, ein paar Sätze mitteilt, und höchst wahrschein-
lich auch identisch mit dem von Paltz erwähnten Gutachten des
Mag. Nie. Richardi für Peraudi. Denn nach Paltz, der es wissen
konnte, ist Peraudi, der übrigens im Sprengel von Saintes geboren ist,
eben hier noch unter Sixtus IV. als AblaAskommissar thätig gewesen;
s. Celifod. Bl. T 5». — Nach Paltz hat auch Job. de Fabrica für Pe-
raudi ein Gutachten geliefert; auch dieses wird nichts anderes sein als
der oben erwähnte Traktat). Nach Paltz hat Richardi sich folgender*
mafsen geäufsert: Nota quod ista propositio: Quodcunque solveris etc.
habet duplicem sensum, secundum quod iüa additio , super terram'
potest determinare illud pronomen ,tu' vel lij [so!] ,quodcunque'. Si
determinat pronomen , tu', tunc est sensus: Quodcunque tu,
Petre, existens vicarius tneus super terram, solveris, illud
reputabo et aeeeptabo solutum et in celis. Et sie vera est propo-
sitio, quod papa solvit animas a purgatorio, ipso existente vicario
Christi super terram, sicut etiam solvit vivos (Bl. T 6b). Voll Un-
willen und Zorn zieht Luther spöttisch die Folgerungen, welche sich
aus dieser gewaltsamen Verdrehung der Worte des Herrn ergeben, und
ruft dann, den Nie. Richardi und den diesen mit stiller Zustimmung
citierenden Joh. v. Paltz zusammenfassend, aus: Si enim ita non sa~
piunt, quid aestuant, quid laborant ostendere, quod , super terram'
ad solventem pertinet? Ecce o vere aureum opusculum aurei doctoris
et aureis literis dignissimum et, ne nihil non sit aureum, aureis dis-
cipulis tradendum! Das geht zweifellos (trotz des opusculum) auf die
Coelifodina. — Bemerkenswert ist es, dafs Silvester Prierias
in seiner Hauptschrift gegen Luther, welche großenteils eine Wider-
legung der Resolutionen ist, („Errata et Argumenta Luteris" — Rom
1520 — Bl. CXCVIIsq.) die von Luther verspottete Auslegung des super
terram ganz ernsthaft aufrecht erhält, ja als allgemein angenommene hin-
stellt : contra se recitat (sagt er von Luther) unam solutionem preclaris-
simorum doctorum, qui lange antequam iste nasceretur hoc argumentum
(das von Luther S. 577, 15 — 21 vorgebrachte) dissolverunt . . immo
hec solutio est omnium antiquorum et modernorum, scilicet
ut Ii. super terram referatur ad solventem, ut sit sensus: quodcunque
solveris dum existis super terram sive dum es in loco fori tui et vivus
tneus vicarius, erit solutum in celis, id est in foro dei sive apud deum,
sive hic qui solcitur sit in terra »ive sub terra; immo nunquam est
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202
BRIEGEK,
ist aber mit Bas.4, Bas.6, Wit., Jen., Lösch, faciamus zu
lesen.
7. 570, 22 f. . . .deponamus totum officium defunctorum,
satis hodie molestum et negleetum tarnen. So alle Drucke.
Der Sinn erfordert selbstverständlich tan tum l.
8. 599, 8 f.: Patet atäem conclusio, quia praeceptum dei
infinita dignitate praestat, eo quod per hominem quoque
})ermittitur ac nullo modo praecipitur. So sinnlos alle Drucke
für ei, quod. Der einzige, der den Fehler bemerkt hat, ist
Joh. Jac. Greif in seiner Ubersetzung (bei Walch XVIII,
462).
9. 602, 39 f.: cum indulgentiae sit vilissimum bonum.
So Knaake mit A, C, D, Bas.*, Bas.6, Wit, Lösch., während
mit Jen., Muhl, und Erl. sint zu lesen ist.
10. 603, 26: . . ut est in dccretis ex eodem Ambrosio
sumptum. So alle Drucke. Es verdient aber jedenfalls
sumptis den Vorzug. Was Luther hier citiert, findet sich
in der That m verschiedenen aus Ambrosius entnommenen
Decreten (c. 18 D. LXXXVI und c. 70. C. XII qu. 2, C.
J. C. ed. Friedb. I, 302. 710).
Vielleicht noch häutiger als durch falsche Lesarten sieht
sich bei den ältesten Schriften Luthers der Leser an der
richtigen und schnellen Erfassung des Sinnes durch eine
falsche oder doch unzweckmäfsige Interpunktion ge-
hindert*. Hier bedarf es noch einer eindringenden Thätig-
keit.
in celis qui solvitur, cum nullus ibi sit Ugatus, undt in celis er-
ponitur: id est in foro dei vel apud deum (bald darauf begegnet es
dann dem Prierias im Eifer des Gefechtes, dafs er bei Wiedergabe des
in Rede stehenden Satzes Luthers ruhig nec permitteretur ad solven-
dum aptart druckt).
1) In den ürdrucken steht das unzählige Male mit tm verwech-
selte <».
2) Inwiefern die ersten Bände der W. A. den Anforderungen, welche
man an eine sinngemäße Interpunktion stellen darf, im allgemeinen
nicht genügen, ist in dieser Zeitschrift (VII, 695—609) eingehend er-
örtert worden. Es genügt hier ein Hinweis darauf.
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DIE NEUE LUTHER-AI SOABE. III.
203
Dafs dies auch von den Resolutionen gilt, mag die Be-
sprechung einiger in der W. A. falsch interpungirter Stellen
zeigen *.
5$7, 4 f. (Cond. V.): quia est alia ab iis quae imponun-
tur, ut supra dictum in poena quinta. Hier ist in poena
quinta zu imponuntur zu ziehen, folglich mufs nach dictum
ein Komma stehen. (Das ut supra dictum verweist nicht
auf etwas, was Luther bereits bei der Besprechung der poena
quinta gesagt hat; wohl aber kommt es in seiner Erörterung
der poena sexta vor: 536, 28.)
58$, 27 (Cond. XXVI): solum quod non agunt, ut
indulgentiae, sed ut suffragium. Das falsche Komma nach
agunt, wdches Knaake aus A übernommen hat, ist schon
in C und D gestrichen.
586, 1 3 ff. (Cond. XXIX) : Sed volui, ut etiam iUis remissis
non evolarent, nisi et sanarentur in gratia perfecte, posse
tarnen fieri, ut aliquae noUent redimi ex nimia dei cari-
täte, ex eo fit verisimile, quod Patäus et Moses potuerunt
velle esse anathema et separatio a deo in aeternum. Indem
1) Als Stellen, wo die Zeichensetzung nicht geradezu falsch, aber
doch unzweckmäfsig ist, nenne ich beiläufig folgende. 631 , 17 ist das
Komma nach iubemur durch ein stärkeres Zeichen zu ersetzen. Das-
selbe gilt von dem Komma hinter patet 533, 1. — Wie viel Übersicht-
licher Hefse sich die lange Periode 566, 5—12 gestalten! Wiederholt
(Z. 6 und 11) ist sie durch einen Punkt mit darauffolgendem grofsen
Buchstaben unterbrochen, während an ihrem Schlüsse (Z. 12) ein Komma
steht und mit kleinem Buchstaben fortgefahren wird! — 580, 18 ist
hinter parochiae statt des Punktes ein Fragezeichen zu setzen. —
683, 17 ff. : Non possum esse alieni verbi, multo minus Summt Pontißcis
interpres. Quare donec sc ipsum interpretetur, interim opinemur, ho-
noris gratia, defendendo dictum tale incognitum. Dupliciter potest
id ipsum intettigi. Hier ist das Komma nach gratia zu streichen, und
nach incognitum dürfte ein Kolon den Vorzug verdienen (A liest: in-
cognitum, Dupliciter). — 595, 5 ist gröfsercr Deutlichkeit wegen nach
inteUigo das Komma zu tilgen. — 596, 7 liest man für Ita hic. Ab-
solutio u. s. w. besser : Ita hic absolutio u. s. w. — G02, 12 ist hinter
reniae und hinter operibus ein Komma zu setzen, desgleichen Z. 13
hinter suseipiendae. — 625, 4 f. sind die Anführungszeichen unvorsichtig
gebraucht; wie kann Luther hier auch das immo zizania cum tritico
denen, die er hier redend einführt, in den Mund legen?
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204 BKIEGER,
Luther den Sinn, in welchem er seine These 1 gemeint hat,
erläutert, sagt er zunächst, was er mit ihr nicht habe in
Abrede stellen wollen *, und giebt dann mit dem Satze Sed
volui . . . perfecta positiv seine Meinung an. Und jetzt
folgt die Begründung seiner Meinung: wenigstens fiir mög-
lich hält er, dafs dem so ist: „dafs es aber möglicherweise
geschehen könne, wird wahrscheinlich aus dem Umstände,
dafs . . . " . Eis ist also zu lesen : perfecie. Posse . . . cari-
tate, ex eo fit verisimile u. s. w. *
58?, 27 ff. (Cond. XXXII): Infoelicissimi Christiani,
qui nec in suis meritis mc in sua conscientia bona possunt
confidere de salute. Docentur confidere in scrijdam et
ceratam papyrum. Welcher aufmerksame Leser sähe nicht
sofort, dafs der Gedanke Luthers erst zum richtigen Aus-
druck kommt, wenn man salute, docentur liest. Man sieht
bei Vergleichung der Urdrucke 4 und der späteren Ausgaben,
dafs diese Verschlechterung Knaake eigentümlich ist.
590, lff. (Cond. XXXIII): Hanc primam gratiam vuU
cum esse qua maius dici nihil potest et quam consequitw
homo privatim gratia, quod, nisi d*>< iustificaiüe gratia spirittis
inU'Uigi mm potest, nec ijmim aliter hrfellcxissc clarum est.
1) Quis seit, si omnes animae velint redimi a purgatorio, sicut
de Sancto Severine et Paschali factum narratur.
2) Non . . . negavi, quin et alias poenas luant animae in pur-
gatorio quam supra dixi.
3) So liest richtig A (nur dafs nach perfecte, das am Ende der
Zeile steht, der Punkt fortgefallen ist; dafür aber ist das Posse in der
folgenden Zeile etwas eingerückt; weiter: charitate, ex eo fit). Völlig
korrekt Bas.4; auch Bas.6 verrät noch das richtige Verständnis.
Später ist dies aber allgemein verloren gegangen. Schon in C und D
beginnt die Verschlechterung: beide haben zwar nach perfecte einen
Punkt, aber auch nach charitate, und überdies hat eine graphische Un-
ebenheit von A (das Binden von Posse und tarnen: Possetü) sie zu dem
Druckfehler Posset tarnen verleitet. An D hat sich Muhl, angeschlossen,
der nun vollends charitate. Ex eo schreibt; ebenso (nur Posse als
Variante beibringend) Erl. — Wit., Jen. und Löscher: perfecte. Posse
. . . charitate. Ex eo . . . — Falsch übersetzt hat auch Greif. —
Prierias (Bl. CLXXXIIII») hat sich eine leise Änderung erlaubt: . . .
perfecte. Posse tarnen . . . charitate: quod ex eo fit u. s. w.
4) A und C lesen salute, Docentur; vollends D: salute, docentur.
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DIE NEUE LUTHER-AUSGABE. III
205
In dem überhaupt jeden Sinn ausschliefsenden Komma
vor nisi haben wir hoffentlieh nur einen Druckfehler zu
erblicken l.
590, 1 1 ff. (Cond. XXXIII) : Delj)hicum audivimus ora-
culum, ut nihil omnino dubitat, qui omnia ignorat: de pote-
state clavium in purgatorium secure pronuntiat. Zu lesen
oraculum! Ut . . . ignorat, de u. s. w. 2
5W, 29 ff. (Cond. XXXIII): Sit satis indicasse fkklibus,
pestilentiam eorum serinonum tarn insigni (ut par erat) invo-
lutam inscitiae ä ruditati. Diese Zeichensetzung (der Ur-
drucke) schwächt den Sinn ab; Luthers Absicht in dieser
Resolution war eine andere. Es ist zu ändern: fidelibus
pestilentiam eorum sermonum, tarn u. s. w. 8.
59t, 28 f. (Cond. XXXVI): Et * per casum, Si quando 5
ei non daretur eiusmodi remissio, debetur tarnen ei, ut dicit
Papa. Es ist zu lesen: Et per casum si u. s. w. : „Und
wenn zufällig ihm (dem Christianus vere compunctus) die
remissio plenaria a poena et culpa irgendwie nicht zuteil
[auf irgendeine Weise vorenthalten] werden sollte, so"
u. s. w. 6.
599, 5 (Cond. XLII): Papam intelligo . . . prout sonat,
personam publicam, id est ut per canones nobis loquitur.
Das sinnlose Komma ist, so viel ich sehe, der W. A. vor-
behalten geblieben.
1) Erl. mit den Urdruckcn richtig.
2) So richtig, vou den Urdrucken abweichend, schon Muhlius.
3) Auch hier hat schon Muhlius das Richtige.
4) Auch im Voraufgehenden ist die Zeichensetzung verfehlt: Neque
peccant, qui eas ncgligunt, nec ideo in periculo salutis sunt. Quod
ex eo patet, quia tales tarn sunt in via mandatorum dei, Et per
casum, Si . . ./ Und doch beginnt mit dem Et ein neuer Gedanke,
wie schon das auf die These zurückgehende eiusmodi remissio
zeigt. — Knaake ist hier sklavisch seiner Vorlage A gefolgt. Schon C
und D haben wenigstens das Komma vor Et per casum in einen Punkt
verwandelt.
5) Dafs Knaake mit Bas.4, Bas.5 und den Gesamtausgaben ohne
Not quando für das quomodo der Urdrucke eingesetzt hat, wurde schon
oben (S. 197) angemerkt.
6) Falsch Greif: „Und gesetzt auch, es würde dergleichen Erlas-
sung auch nicht erteilet."
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206
BRIEGEK,
603, 36 — 604, 2 (Cond. LH): Ät inquiunt ,Non toüi-
mus timorem dei'. Sipotest securüas per venias stare cum
timorc dei, vere non tollitis, sed popultts acceptis lüeris
cum ianto iuramenti hiatu commendatis. Si timet, qtuxi
non sufficiunt Wierae coram deo, quomodo erit vera iüa
gloriosa securitatis promissio? Sin confulit sufficere , quo-
modo timebit? Hier ist der Sinn in einer kaum glaublichen
Weise verkannt! Knaake schliefst sich mit dem toUÜis,
sed an A an, verschlechtert aber die Interpunktion dieses
Druckes noch, indem er hinter commendatis einen Punkt
setzt! (A: commendatis, Si)1. Sinngemäß sind die Zeichen
zu setzen: toüitis. Sed . . . commendatis, si timet . . . pro-
missio? sin confulit u. s. w.
Doch genug! Der vorstehende Beitrag zur Textkritik
der Resolutionen wird gezeigt haben, wie weit das Weimarer
Unternehmen bei dieser Schrift hinter der Aufgabe einer
„Kritischen Gesamtausgabe" zurückgeblieben ist!
Dieser Fall steht leider nicht vereinzelt da.
Bei der Wichtigkeit der ältesten Schriften Luthers
— welche übrigens zugleich die meisten Schwierigkeiten
bieten — mufs daher die Forderung aufgestellt werden,
dafs uns von ihnen (etwa bis 1519 hin) in absehbarer Zeit
eine neue Ausgabe geliefert wird, welche nicht blofs den
Anspruch erhebt, eine kritische zu sein, sondern diesem
Anspruch insoweit gerecht wird, wie das auf dem heutigen
Standpunkte der Wissenschaft überhaupt möglich ist.
Die Verdienste, welche sich der Begründer der Weimarer
Ausgabe als solcher, sowie — als Bearbeiter der ersten
Bände (I. II. VI.) — durch seinen von reichem Erfolge
gekrönten Eifer im Sammeln der Urdrucke, durch die Auf-
hellung dunkler Punkte in der Entstehungsgeschichte dieser
oder jener Schrift Luthers, durch glückliche Textverbesse-
1) Ebenso C: tollüis, sed . . . commendatis. Si, Schon D hat
gebessert commendatis, si. Dies hat auch die Erl. A. richtig!
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207
DIE NEUE LUTHEK-AUSGAIIE. III.
rangen an einer grösseren Anzahl von Stellen erworben hat,
sollen ihm unvergessen bleiben, aber — plus ultra!
[Leipzig, Ostern 1892.]
Anhang.
Es war oben (S. 198) beiläufig die Rede davon, dafs Luther
auch in seiner Antwort anf den Dialog des Silvester Prierias,
durch seinen Gegner veranlagst, anf die scholastische Be-
stimmung der poenitentia als virtus zu sprechen komme
(W. A. I, 650,5 ff. 28 f. 31 ff.).
Hier lesen wir (650, 28): Tertio, poenitent iam vir-
tutetn dolorem voluntatis definis. Qua, rogo, ati-
toritate? Der Druck C dieser Schrift1 schiebt hier hinter
virtutem ein tan tum ein, eine zweifellose, allerdings erst in den
,Erratis* gebrachte Verbesserung. Lenz und ich bemerkten bei
dieser Gelegenheit2, Knaake hindere das Verständnis durch ein
hinter virtutem gesetztes Komma. Dies hat Knaake (W. A. IX,
783) den Ausruf entlockt: „Wenn uns nur dabei gesagt wäre,
wie die dunkle Stelle richtig verstanden werden müfste! Mit dem
Komma hinter virtutem soll eben eine andere Auffassung an-
gedeutet werden, als die wäre, welcher man zu folgen hätte,
wenn das Komma fehlt. Von letzterer sagt wenigstens Ambrosius
Catharinus in seiner ,Excusatio disputationis contra Martinum',
Florentiae 1521, Bl. a 8b, dafs sie der Meinung des Prierias
nicht entspreche". — Unsere Meinung ist natürlich die gewesen,
dafs Knaakes Interpunktion das richtige Verständnis der im
übrigen keineswegs dnnklen Stelle hindere. Wer, mit Luthers
damaliger Anschauung von der Bofse bekannt und einigermafsen
vertraut mit den einschlagenden scholastischen Distinktionen, die
Darlegung Luthers auf S. 650 in ihrem Zusammenhang und
Fortschritt erwägt, kann Über den Sinn jener Stelle keinen Augen-
blick im Zweifel sein. Es verdriefst fast für andere denn An-
fänger bei einer solchen Stelle erst eine Erläuterung geben zu
müssen.
1) S. diese Zeitschr. VII, 583 ff.
2) Ebenda S. 689.
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20s
RKIKttEK,
Der zweiten These Luthers: das Wort Christi „Thut Bufse"
o. s. w. dürfe nicht vom Sakrament der Boise verstanden werden,
hatte Prierias, einen dreifachen Gebrauch des Wortes poenitentia
(als virtus, sacramentum, satisf actio iniuncta) konstatierend, die
Behauptung entgegengesetzt: de qualibet . . Harum tri um
äico praedictum verbum Christi non solum posse, verum eiiam et
debere intelligi l. Luther widerlegt das (S. 650 f.) in sieben
Punkten. Von diesen gehen uns hier aber nur die drei ersten an *.
1. Luther beantwortet (primo) die Gegenthese Mazzolinis mit
der Frage (650, 18 ff.), wer ihm oder dem Divus Thomas die
Erlaubnis gegebeu habe, verbttm simplicissinum . . Christi in
tres dividere sectas. — 2. Prierias hatte die erste Art der
poenitentia in folgender Weise beschrieben (von Luther wieder-
gegeben S. 650, 6 ff.): est virtus quacdam, cuius obiectum
est peccatum sub ratione emendabilis, actus vero eins est
dolor voluntatis de peccato, ipsa vero est habitus mora-
lis eliciens dictum actum respectu praedicti obiecti. Hiergegen
wendet Luther Zweierlei ein: erstens im allgemeinen (in seinem
Secundo), dafs das ja der alte abgestandene Aristotelische Brei
sei (iterum ructuas Aristotelicam philosophiam de vir tute morali
[man sollte habitu morali erwarten], de obiecto, de actu elicito,
quasi ego talin nunquam audierim!) ; und zweitens bemängelt
er (in seinem Tertio) einen besonderen Punkt: poenitentiam vir-
tutem dolorem voluntatis definis. Qua, rogo, autoritate? Nach
Knaakes Interpunktion würfe Luther dem Prierias nun vor, dafs
er die poenitentia zu einer virtus, zu einem dolor voluntatis
mache, sie als virtus oder [genauer?] als dolor voluntatis
definiere s. Wie aber sollte Luther dazu kommen , gerade die
Definition der poenitentia als virtus zu bemängeln? Hatte
er sich denn nicht noch so eben in seinen Resolutionen darauf
berufen, dafs doch selbst noch die Scholastik die Bufse nicht
blofs als Sakrament, sondern daneben auch noch als Tugend
gekannt habe?
Bei richtiger Interpunktion bemängelt Luther vielmehr, dafs
Prierias von der Bufse als Tugend aussage, sie sei ein
dolor voluntatis, oder, wie in C der Gedanke noch deut-
licher zum Ausdruck kommt, sie sei blofs ein dolor voluntatis.
Das hatte Prierias in der That als das Wesentliche dieser
1) Erl. Ausg., Op. v. a. I, 348.
2) In den folgenden zeigt Luther, in welche Widersprüche sich
die krause Thomistik seines Gegners verwickelt.
3) So hat auch Tittel (bei Walch XVIII, 127) übersetzt: „Drit-
tens, macht ihr aus der Bufse eine Tugend, einen Schmerz des Willen».
Ans was vor Macht? frage ich/1
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DIE NEUE LUTHER- AUSGABE. III
209
Tugend, sofern man sie nämlich auf ihre Aktivität
hin ansieht, angegeben.
Diese Beschränkung der poenitentia als virtus auf einen
blolsen dolor voUtntatis — das war es, was Luther nicht genügte *.
Warum sie ihm aber bei seiner damaligen Anschauung ron der
Buise nicht genügen konnte, bedarf für den Kenner Luthers
keiner Erläuterung*. —
Was soll nun hier eine Berufung auf Ambrosius Catha-
rinus? Soll er uns unsere Auffassung erst bestätigen? oder
soll er uns eines besseren belehren ? Er urteilte auf Grund der
Worte des Prierias wie der Antwort Luthers. Beide aber liegen
uns so gut vor wie ihm. Wenn er etwa, indem er für seinen
Ordensgenossen eintritt, diesen oder aber Luther oder auch beide
müsverstanden haben sollte, was macht das für das richtige Ver-
ständnis aus? Doch hören wir, was er sagt.
Nachdem Catharinus die Auseinandersetzung des Prierias über
den dreifachen Gebrauch von poenitentia, desgleichen den hier
untersuchten dritten Punkt der Antwort Luthers 8 mitgeteilt hat,
fährt er fort: An non igitur vera et manifesta sum locutus,
quod expugnat hic homo ea quae non capit? An quaeso in
praedictis verbis Mapistri illud quisquam reperiat, quod poeni-
tentia sit dolor voluntatis? quando contradicatur explicitissime,
scilioet quod poenitentia virtus1 est habitus: et quod dolor
voluntatis non habitus, et ideo non virtus ipsa, sed est actus
eius? Das ist so klar wie möglich und zeigt, dafs Catharinus
die Äußerung Luthers richtig verstanden hat. Nicht das macht
er ihm zum Vorwurf, dafs Luther den Prierias die poenitentia
als virtus hinstellen lasse, sondern dieses, dafs er seinem Gegner
die Definition in den Mund lege, sie sei (als virtus) ein dolor
voluntatis, während doch durch die Bezeichnung der Bufse als
1) Wenn Luther im Fortgang seiner Widerlegung des Prierias aus
der poenitentia als virtus auch die Mortificatio carnis und die werk-
thätige satisfactio ableitet (650, 32; 651, 5), so soll das nur die ver-
worrene Dreiteilung seines Gegners treffen, nicht aber den Thomas, der
ja mit seiner Definition der Tugend der Bufse als eines dolor volun-
tatis eine operatio der virtus poenitentiae nicht verneinen wollte.
2) Man braucht sich nur seines „Sermo de poenitentia 41 von 1518
zu erinnern, sowie der allerdings in das folgende Jahr fallenden 3. These
gegen Eck und ihrer Verteidigung, W. A. II, 421 f. Von 1518 auch zu
vergleichen die „Decem praecepta", W. A. I, 446.
3) Tertio poenitentiam virtutem dolorem voluntatis deßnis. So
ohne Komma wie in A.
4) Es ist eine Eigentümlichkeit der damaligen Interpunktion, wenu
Catharinus hier nach virtus ein Komma setzt, welches andeuten soll,
dafs poenitentia und virtus zusammen das Subjekt ausmachen.
ZaiUchr. f. K.-G. XVII. 1 n. *.
14
210 BRIEGER, DIE NEUE LUTHER- AUSGABE. III.
Tagend eben dieses ausgeschlossen sei ! „ Hat denn nicht Prierias
ausdrücklich das Gegenteil gesagt? dafs nämlich die Bufse als
Tugend ein Habitus ist; somit kann der dolor voluntatis nicht
die Tugend selbst sein, sondern nur ihre Wirkung" K
1) Warum übrigens dieser Einwurf in dem Munde eines Thomisten
kaum Gewicht hatte, kann ein Blick auf Thomas, Sum. th. Qu. 85,
art I zeigen.
[Leipzig 1896.)
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ANALEKTEN.
1.
Uber ßachiarius und Peregrinus.
Von
0. F. Fritzsche in Zürich \
Von einem Bachiarius haben sich zwei kleine Schriften er-
halten, der „Liber de fide" 2, den zuerst Muratori veröffentlicht« 3,
und der schon früher wiederholt gedruckte „Liber de reparatione
lapsi" 4. Die letztere Schrift ist an einen Januarius gerichtet,
der als beatissimus frater angeredet wird. Sie ist in einem mil-
den und um das Heil der Gefallenen besorgten Sinne geschrieben:
man solle diese nicht durch allzu grofse Strenge zur Verzweif-
lung treiben, sondern sie durch freundliches Entgegenkommen
wieder zu gewinnen suchen, eingedenk, dafs auch wir Fleisch,
der Fleischeslust unterworfen seien. Es handelte sich um Fleisches-
vergehen in Klöstern, vgl. c. 1046: illud quäle est, quod a quibus-
dam audivimns dici: ut illa vel ille, qui criminis peccatique
consortes sunt, veluti in matrimonio coniugioque iungantur. Ab-
sit hoc a christiani oris eloquio, und c. 1058: Ac forsitan
suggesserat tibi ille consiliator antiquns (Gen. 3, 1) quia possis
istam paenitentiam quam suademus tibi in senectute tua agere
et nunc famem desiderii tui sub coniugii nomine satiare. In
1) Von dem inzwischen dahingegangenen hochverdienten Gelehrten
ist der Redaktion eine Arbeit über den Priscillianismus zugegangen,
deren erster, die äufsere Geschichte behandelnder Teil in einem der
nächsten Hefte erscheinen wird Der zweite über die Lehre ist leider
unvollendet geblieben. Es ist bisher noch nicht gelungen, einen ge-
eigneten Bearbeiter dafür zu finden.
2) Migne, Patrol. lat. XX, col. 1019—1036.
3) Anecdot. II, (Mediol. 1698. 4), p. 9-26.
4) Migne 1. 1., c 1037-1062.
14*
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212
ANALEKTEN.
gleicher Tendenz, gegen Gefallene nicht zn grofse Strenge an-
zuwenden, schrieb damals ein Bischof Paulus eine Schrift „De
paenitentia s. Genad. De vir. ill. 32.
Da Bachiarins in einer der Häresie anheimgefallenen Pro-
vinz geboren war, wurde er als Häretiker verdächtigt. Dagegen
wehrte er sich im „Liber de fide", den er an einen beatissimus
frater richtete. So weit ich sehe, schreibt er, macht mich nicht
die Rede, sermo, sondern die Gegend verdächtig, und wie ich
nicht des Glaubens wegen erröte, so schäme ich mich wegen der
Provinz; aber es sei ferne, dafs mich bei heiligen Männern der
Flecken, macula, der irdischen Geburt anstecke (c. 1019X Nach
dem Spruche, sententia, gewisser Vorsteher, praesidentum , werde
ich verurteilt, iudicamur, als ob ich vom Irrtum getäuscht sein
inü&te (c. 1020). Si agnoscimus patriam, erubescamus et cul-
pam; mihi enim civitas cui renovatus sum (der Staat, dem, für
den ich getauft bin, nämlich der christliche) regio effecta vel
patria est 1 (ich brauche mich also nicht zn schämen). Nihil
mihi de terrennis affinitatibus ascribatur, quibus renuntiasse me-
mini (c. 1022): non mihi patria confessionem , sed confessio pa-
triam dedit (c. 1024). Wenn nun Bachiarius seine Rechtgläubig-
keit inbetreff der Trinität zu erweisen sucht, die Seele für ge-
schaffen erklärt, die nicht ein Teil Gottes sei und nicht durch
die Zeugung ex transfusione entstehe, den Teufel nicht für in-
genitus hält, sondern als guter Engel boni et mali capax sei er
geschaffen, aber durch Hochmut gefallen und der ewigen Strafe
verfallen, wenn er bemerkt, dafs alles gut geschaffen sei, aber
die Enthaltung von Speisen pro continentia carnis für nützlich
hält, die Ehe billigt, aber die Enthaltsamkeit in ihr empfiehlt
und die Virginität hochhält, das Alte und Neue Testament gleich
schätzt, an das darin gegebene Geschichtliche glaubt, aber auch
nach spiritualem Sinn forscht, die Lehrer verdammt, die sich im
geheimen hält und sich scheut an die Öffentlichkeit zu treten,
sich an die kirchlichen Fasten hält, aber den sacerdotes sive
doctores sich unterwirft, wenn sie Besseres sagen — so sind
das alles Punkte, die beim Pnscillianismus in Frage kamen, und es
ist unverkennbar, dafs er sich inbetreff desselben zu reinigen sucht
Bachiarius war nach Gennadius * Mönch, vir Christian ae philo-
sophiae, und zwar ein sehr eifriger, nudus et expeditus cavare
deo disponens. Ferner soll er artige Schriftchen, grata opuscula,
herausgegeben haben, von welchen Gennadius selbst nur ein Buch
vom Glauben gelesen habe. Nun das ist das uns vorliegende.
1) Nicht verstanden von Garns, Kirchengesch, von Spanien II, I,
S. 412.
2) De vir. ill. 24.
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FR1TZSCHE, ÜBER BACHIAR1US UND PEREGR1NUS. 213
Wenn Gennadius weiter erzählt, dafs Bachiarina eine peregrinatio
unternommen habe, und weil er wegen derselben in üblen Ruf
gekommen sei, sich in dieser Schrift dem Bischöfe der Stadt,
pontifici nrbis gegenüber rechtfertigen, so ist dies eine irrige
Annahme des Gennadius, zu welcher ihn folgende Worte des
Bachiarius verleiteten: Nos patriam etei secnndum carnem novi-
mus, sed nnnc iam non novimns (2 Kor. 5, 16), et desiderantes
Abrahae filii fieri, terram nostram cognationemqne reliqnimus
(Gen. 12, 1), c. 1019. Von einer peregrinatio des Bachiarius
ist nichts bekannt, wie schon richtig Muratori bemerkte.
Nach der Tradition war Bachiarius Britannier. Muratori be-
zweifelte dies, ohne jedoch sein Vaterland zu bestimmen. Richtig
erkannte der ungenannte Verfasser des Bachiarius illustratus 2,
dafs seine Heimat in der spanischen Provinz Gallaecia zu suchen
sei. Dort gab es in alter Zeit eine ansehnliche Stadt mit einem
Bischofssitze, Britona, Britonia, Britania genannt, zwei Meilen
von Mondonedo gelegen. Später ist sie zu dem armseligen Dorfe
Bretagna herabgesunken. So erklärt sich auch die Angabe, dafs
er Britannier gewesen.
Endlich können wir auch Aber die Zeit, in der Bachiarius
schrieb, nicht eben in Zweifel sein. Er kennt den error Helvi-
dianus (c. 1029) und schreibt (c. 1023): si pro culpa unius
totius provinciae anathemanda generatio est, damnetur et illa
beatissima discipula, h. e. Roma, de qua nunc non una, sed duae
vel tres aut eo amplius haereses pullularunt — . Das führt auf
das erste oder zweite Jahrzehnt des 5. Jahrhunderts, Bachiarius
wird ein älterer Zeitgenosse des Orosius gewesen sein. Übrigens
hatte damals der Priscillianismus in Galläcien solche Verbreitung
gefunden, dafs selbst der Name Galläcier verdächtig machte.
Von Priscillian haben sich in einer Reihe von Handschriften
„Canones in Pauli Ap. epistulas a Peregrino Episc. emendati"
erhalten, deren Text neuerlich Ge. Schopfs in seiner Ausgabe:
„ Priscillian i quae supersunt" (Vindob. 1889) nach guten Hand-
schriften berichtigt und mit einem kritischen Kommentar heraus-
gegeben hat. Dieser Schrift sind zwei Vorreden vorausgeschickt,
die eine ist von Priscillian. Er richtet sie an einen Freund,
der oft mündlich oder schriftlich von ihm verlangt hatte, dafs er
gegen die Ränke der Häretiker eine auf scharfsinniger Schrift-
forschung beruhende, kurze und gefällige Scbutzwehr aufstelle,
1) Unter der Stadt versteht man Rom. im Sinne des Gennadius,
dem die Worte überhaupt angehören, wohl richtig. Aber der Adressat
ist in einem Kloster zu suchen.
2) S. de Priscilliani haeresi dissertatio in Raccolta d'opuscoli scien-
tifice e filologici, T. XXVII (Venezia 1742), 8, p. 74—76.
214
ANALEKTEN.
durch welche die Unverschämtheit derer abgewiesen würde, welche
die ihnen vorgehaltenen wahrsten Zeugnisse in ihren schlechten
Sinn zu verdrehen suchen, oder wohl leugnen, dafs sie sich ge-
schrieben fanden. Dazu, meint er, bedürfe es nicht eines listigen
rednerischen Wortschwalles , noch verführerischer Syllogismen,
vielmehr müsse die lautere Wahrheit aus der Schrift selbst her-
vorleuchten. Demnach Labe er für nützlich erachtet, aus den
vierzehn Briefen des Apostels Paulus 1 die Zeugnisse dem Sinne
nach zu sondern, diese der Zahl nach zu ordnen und diese Zahlen
von jedem Briefe der Menge nach mit Tinte kenntlich zu machen.
Aufserdem habe er aus diesen Zeugnissen neunzig Canones ge-
zogen und die Zahlen, wo die Zeugnisse zu finden seien, unten
angegeben. Da aber die Canones ans wenigen Worten bestehen,
die Zeugnisse aus vielen Versen , so stimme von einigen Zeug-
nissen nur der Anfang, von andern die Mitte, von einigen aber
das Ende, meistens jedoch das Ganze mit den Canones. Ohne
irgendjemandem feind zu sein, habe er den Zusammenhang der
Schrift treu dargelegt, um den Fremden zuhilfe zu kommen.
Übrigens behandeln die Canoues nicht nur das Dogmatische, son-
dern auch das sonstige Kirchenwesen.
Vor dieser Vorrede steht in den Handschriften die eines
Mannes, der sich Bischof Peregrinus nennt. Dieser bemerkt, dafs
der Verfasser der folgenden Vorrede und der Canones nicht
etwa Hieronymus sei, sondern Priscillian, dafs er aber für nötig
befunden habe, vieles darin im üblen Sinne Gesagte dem Sinne
des katholischen Glaubens gemäfs zu gestalten: aus einer sorg-
faltigen Vergleichung dieses berichtigten Exemplars mit dem des
Priscillian werde dies erhellen. Hat sonach Peregrinus durch
seine Änderungen die Arbeit des Priscillian wesentlich korrum-
piert, so werden wir sie nicht eben zu beachten haben.
Aber wer war Peregrinus? Von einem spanischen Bischof
dieses Namens findet sich nirgends eine Spur. Sicher war der
Genannte keine unbedeutende Persönlichkeit, und wir werden sie
in der Zeit zu suchen haben, in der der Priscillianismus noch
kräftige Vertretung hatte. Dem Namen begegnen wir in einer
Reihe spanischer Handschriften, in der vor den Proverbien eine
Vorrede mit den Worten: Tres libros Salomonis beginnt und mit:
Et ideo, qui legis, Semper Peregrini memento, schliefst. Ferner
findet sich an drei Stellen der Bibel des heil. Isidor die Unter-
schrift: Et Peregrini f[ratres] o carissimi memento a. Es scheint,
dafs er nicht ein blofser Abschreiber war. Wie nun, wenn sein
1) Paulioi8ch ist ihm auch der Hebräerbrief.
2) Vgl. auch Sam. Berber, Hist. de la Vulcrate pendant les Pre-
miers siecles du moyen age (Paris 1893), p. 42 sqq.
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLIMBANI ABBATIS. 215
Name Peregriuus ein verkappter war? Ist dem so, so dürfen wir
nach dem, was vorliegt, mit vollem Rechte in ihm den Bachia-
rins 1 erblicken. Dieser stand als Galläcier unter der schweren
Anklage, Priscillianist zn sein. Mich hat, sagt er, nicht mein
Glanbe, sondern das Vaterland zum Häretiker gestempelt, das
Vaterland secundnm carnem kenne ich nicht mehr, ich habe es
und die irdische Verwandtschaft verlassen, mein Vaterland ist
durch die Taufe die civitas christiana, non mihi patria confes-
sionem, sed confessio patriam dedit. Wenn Berger sagt: Pelerin,
voyageur et exile* pour sa conscience, il parait s'Ötre fait une
gloire de son exil et un titre du nom „ d'ötranger so nimmt
sich das zwar recht hübsch aus, aber wahr war es nicht, er war,
wie wir sahen, weder Pilger, noch Reisender, noch Exilierter.
Und doch konnte er sich einen Fremden mit Png und Recht
nennen.
2.
Regula coenobialis S. Columbani abbatis.
Herausgegeben
von
Dr. 0. Seebars.
Bei dem unten folgenden Texte ist die ältere Rezension der hier
von den kleineren Schriften Columbas d. Jüng. an letzter Stelle
erscheinenden sogen. Cönobialregel mit grösseren Lettern zum
Abdruck gebracht. Die zweite Rezension (Reg. coen. II) schliefst
den Wortlaut der älteren nahezu vollständig in sich ein, schiebt
aber eine Reihe von Zusätzen, teils gröfseren, teils geringeren
ümfangs in denselben ein und hat am Ende einen längeren
neuen Abschnitt aufzuweisen *. Diese Zusätze sind mit kleinerem
Druck wiedergegeben.
1) Vgl. bei Schopfs den Index s. v. Peregrinus und Berger a.a.O.
S. 28.
2) Man vergleiche über das Verhältnis der beiden Rezensionen zu
einander und zur Regel Columbas überhaupt vorderhand meine Disser-
tation über Columbas Klosterregel und Bufsbuch, S. 43 ff.
216
AN ALERTEN
Der Text der Begula coen. I ist in erster Linie auf Grund
des Cod. Sangall. 915 (S. 170—184) festgestellt. Siehe über
diese aus dem 10. — 11. Jahrhundert stammende Handschrift
Scherrer: Verzeichnis der Handschriften der Stiftsbibliothek zu
St. Gallen, S. 336 ff. und Zeitschr. für Kirchengesch. XV, 368.
Zur Vergleichung konnten herangezogen werden:
2) Cod. latin. 14949 der Hof- und Staatsbibliothek zu Mün-
chen, in welchem die reg. coen. als erstes Stück ver-
zeichnet ist (= Cod. E; s. Zeitschr. f. K.-G. XV, 369).
3) Cod. Vindob. latin. 1550 (fol. 74b— 79b).
4) Cod. Vindob. latin. 3878 (fol. 173a— 175b).
Die Provenienz der beiden letzten Handschi iften , von denen
die erste dem 12. — 13. Jahrhundert, die zweite dem 15. Jahr*
hundert angehört, ist unbekannt. Die zweite Handschrift, obwohl
nicht unbeträchtlich jünger, bietet im ganzen einen besseren Text
als die erste (vgl. die Noten S. 219, o; 220, o; 222, c, cc;
224, gg, 11), beider Verwandtschaft ist nicht zu verkennen. Ich
unterscheide in den Noten V1 und V; wo beide übereinstimmen,
gebrauche ich das Zeichen V.
Die einzige bisher erschienene selbständige Drucklegung der
Reg. coen. I findet sich in f lemings Collectanea sacra (s. Zeit-
schrift f. K.-G. XV, 371 f.; ein Abdruck Max. biblioth. patrum,
T. XII, p. 6 — 8). In der Vorrede bemerkt Fleming, dafs er
die Kegel nach der Abschrift aus einem Codex des Klosters
Ochsenhausen veröffentliche , die ihm von seinem Landsmann
Steph. Vitus zugeschickt sei. Es ist mir nicht möglich gewesen,
diesen Codex wieder aufzufinden; weder in der Fürstlich
Metternicbschen Bibliothek auf Schlofs Königswart in Böhmen, wo-
hin ein beträchtlicher Teil der Ochsenhäuser Büchersammlung
Überführt worden, noch in der Königl. Bibliothek zu Stuttgart
hat er sich vorgefunden (ersteres nach freundlichst erteilter
Auskunft des Fürst!. Metternicbschen Bibliothekars, Herrn P. A.
Leuchtweifs). Von einer zweiten Handschrift bat Fleming in
seiner Ausgabe die Varianten am Bande angegeben. Diese stam-
men aus einem Codex von St. Ulrich in Augsburg, der im Jahre
1510 von einem Konventnalen dieses Klosters in Reichenau an-
gefertigt worden war. Nach letzterer Angabe und nach dem von
Fleming mitgeteilten Inhalt der Handschrift kann kein Zweifel sein,
dafs dieselbe identisch ist mit dem von Mabillon in den Vet.
analecta (1723) p. 19 beschriebenen Codex August SS. Udalrici
et Afrae, in welchem ebenfalls an siebenter Stelle die Begula
coen ob. patrum de Hibernia verzeichnet stand. Nahe Verwandt-
schaft mit dieser Handschrift von St. Ulrich weist der bei Braun,
Notitia histor. litteraria de codd. manuscr. monast. SS. Udalrici
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SEEBASS, KEGULA COENOBIALIS S. COLUMBANI ABBAT1S. 217
et Afrae IV, 101 unter Nr. XXIX beschriebene Codex desselben
Benediktinerstiftes auf, der im Jahre 1512 von Sig. Lang in
Reichenau geschrieben ist und in seiner zweiten Abteilung „Re-
gulae" die Cönobialregel an fünfter Stelle enthielt. Leider waren
die von mir in Augsburg und München angestellten Nach-
forschungen nach diesen beiden Handschriften nicht von Erfolg
begleitet. — In den Noten bezeichne ich Flemings Text mit F;
wo eine Unterscheidung seiner beiden Handschriften möglich
war, führe ich die Ochsenhäuser mit 0, die Augsburger mit
A auf.
Was nun die Regula coenobialis II anlangt, so ist dieselbe
auf Grund des Cod. Colon. 231 (= C, vgl. Zeitschr. f. K-G.
XV, 247 rT. 367) unter steter Vergleichung des (bei Migne
LXXX, 216—224 abgedruckten) Holstenschen Textes (Codex
regulär. [1661] (II, 164 —176; = H) gegeben. In Cod. C
wird für ae und oe stets e, für t vor i mit nachfolgendem
Vokal stets c, für u am Anfang des Wortes stets v geschrieben;
ich habe aber in diesen Punkten um so eher mich der gewöhn-
lichen und aoch von Holsten befolgten Schreibweise anschliefsen
zu dürfen geglaubt, als dieselbe der in den älteren Codices, wel-
chen die Reg. coen. I entnommen wurde, näher steht als der
Orthographie des 15. Jahrhunderts.
Wie schon für die Regula monachorum kounte ich auch für
eine Anzahl von Einzelabschnitten der Cönobialregel die Con-
cordia regularum S. Benedicti Anian. zur Vergleichung heran-
ziehen. Es haben in dieser Hinsicht (aufser P und B, worüber
Zeitschr. f. K.-G. XV, 369 f. zu vergleichen) zu bedeuten:
M = Menards Ausgabe derselben, abgedruckt bei Migne
CHI, 713 ff.
MP = das von Menard angeführte manusc. Floriacense der
Reg. coen. II (Liber poenitentialis).
Unter dem Zeichen D endlich führe ich den in den Kapp.
17. 19. 23—34. 37. 49. 75 mit der Cönobialregel parallel
laufenden Text der Nonnenregel Donats an, indem ich dabei
noch, wo es erforderlich war, zwischen Dc (D in Cod. C) und
Db (D bei Holsten) unterscheide. —
Die an die Spitze gestellten Eapitelangaben finden sich nur
in Gr und F (0 und A); sie sind zweifellos jünger als der
Text. — Die Seitenzahlen des Cod. G und die Folia des die
Reg. coen. II enthaltenden Quaternio f in Cod. C sind am Rande
angemerkt.
218
ANALEKTEN.
Incipit regula coenobiaüs patruin \
I. De confessione ante mensam sioe lectorum b [introitnm] c
et cnstodienda benedictione d ad mensam, similiter et silentio e.
II. Ut lucerna signata fiat f, et qui suum proprium aliqoid
5 dixeritt et de obseruatione cultelli ad mensam, et qui ministrando
aliquid perdiderit, et de humiliatione in sinaxi, et qui perdiderit
micas *.
III. De eo qui aliquid negligenter perdiderit, et qui effudit
aliquid super mensam h, et qui obliuiscitur orationem ante opus,
10 et qui comedit sine benedictione, et qui regrediens * domum non
se curuauerit, et de eo qui haec omnia confessus fuerit.
IUI. Qui in exordio psalmi bene non cantauerit, et qui
calicem domini dentibus pertunderit, et qui ordinem suum non
custodierit, et qui riserit in sinaxi, et qui eologias k accipit l, et
15 qui obliuiscitur oblationem facere. De fabulis otiosis et de
excusatione et de consilio contra consilium et de altare m con-
cusso.
V. De eo qui profert sermonem altum, et qui se excusat,
et qui fratri aliquid indicando contradicit, et quod excusantes
20 se non sint filii dei. ||
VI. De eo qui superbum uerbum dixerit , et qui profert ser- s i~'
monem altum, et qui abscondit alicuius crimen donec proferat
illud in malum, et qui reprehendit alterius opera n, et qui profert
correptionem contra correptionem.
2& VII. De eo qui detrahit alterum 0 et de contentioso, et qui
reprehendit superiorem sibi, et de eo qui tristis fuerit, et qui
consauguineum suum sollicitat ad malum, et qui uituperat alterius
obsequium.
VIII. De eo qui docet consanguineum suum contra seniorein
30 suum, et qui priori suo causam suam contradicit, et qui non
postulat p ueniam cum corripitur , et qui uisitator uult esse
a) S. Columbani abbatis repula coenobialis fratrum; siue Liber de
quotidianis poenitentiis monachorum F (nach 0); in Cod. A fanden
sich verschiedene Titel: Regula coen. patrum de Hibernia (Mabill. Vet.
anal. S. 19«, Flem. S. 25a), Reg. coen. fratrum Hibernensium (F). Rejt.
coen. fratrum de Hibernia (Mab. Flem.); in dem von Braun beschrie-
benen Cod. Aug.: Reg. coenobiaüs fratrum Hibernensium. übrigens
bemerkt Fleming (S. 3): In utroque (seil, codice) qnindeeim capitibus
distineta reperitur, quae seorsim codex quidem Oxenhusanus ad finem,
Augustanus autem ad initium collocauit b) lectionem 0, lectorem A.
c) introitnm habe ich nach dem Text des Kapitels zugefügt d) custo-
diendam benedictionem in 6 von späterer Hand zu der obigen Form
geändert. e) silentium G, de silentio F. f) fit A. ^) raitras A.
h) nach mensam in F: et qui egrediens domum non se humiliaverit ati
orationem. i) egrediens 0. k) eulogias F. 1) aeeeperit A.
m) altari F. n) opus A. o) alteri F. p) postolat G.
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SEEBASS, REGULA C0EN0BIAL1S S. COLCMBANI ABBATIS. 219
aliorum, et qui coquinam uisitant iniussi *, et qui extra claustra
egrediuntur b , et qui conlocuntur inuicem prohibiti 0 , et qui
dicunt d quod non licet eis facere rogata, et de his qui dicunt
facimus quod dicis, et qui scientes 6 transgrediuntur , et cui ceci-
sderit suum crismal.
Villi. De eo qui profert uerbum otiosum, et de poeniten-
tibus r fratribus, et de minutis poenitentiis.
X. De fratre qui inoboediens fuerit, et qui dicit et non facit,
et qui murmurat, et qui ueniam non petit aut se excusat , et
10 qui duos g fratres ad iracundiam prouocat, et de mendatio, et
qui contradicit fratri, et qui interrumpit mandatum, et qui negli-
genter facit opus sibi iniunctum, et qui detractauerit abbatem
suum \ et qui aliquid 1 obliuiscitor || foras k uel perdiderit. s. m
XI. De eo qui loquitur cum 1 seculare m, et qui opus suum
tsperficit et postea sine iussione aliquid fecerit, et de eo qui
bilinguis fuerit11, et qui manducauerit in domo aliena, et qui
narrauerit peccatum praeteritum, et ° qui de saeculo rediens et p
saecularia narrauerit, et de eo qui consentit ei ' qui aliquid facit
contra regulae praeceptum.
20 XII. De eo qui suscitat furorem fratri suo, et de eo qui non
uenit ad oraiionem super mensam, et qui dormierit ad orationem,
et qui non responderit amen, et qui transgressus fuerit horam,
et qui non audierit sonitum oralionis, et qui cum noctnrno cingulo
communicauerit.
2s XIII. De eo qui quarta et sexta feria ante nonam mandu-
cauerit, et qui dixerit mendacium, et qui dormierit cum muliere
in domo una, et qui non claodit ecclesiam post se, et qui spn-
taverit r in ecclesia, et qui psallendi " obliuiscitur.
XIV. De eo qui tardius ad aliquod signum uenerit, et qui
3oSonauerit post pacem, et qui uelato capite intrauerit, et qui non
petit orationem, et qui manducat sine oratione, qui sonum fecerit
dum oratur, et qui iram uel tristitiam 1 retinet.
XV. De negligentia sacrificiorum. Expliciunt capitula. ||
h
a) non iussi A. b) egreditur V. c) proibiti G. d) non
dicunt F, bem. am Bande: „non11 deest in Aug. e) escentes G.
f) p^tentibus G. verbess von spät. Hand. jr) suos 0; 8. u. Kap. X.
h) abbati suo A. i) aliqnid 0 A. k) foris F. 1) cum ° F. m) se-
culare zu seculari geändert von späterer Hand G, saeculaii F.
n) est A. o) et de eo qui A. p) etiaui F. q) et statt ei F.
r) spotauerit G. s) psallendo G. t) i ä tristia G.
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220
ANALEKTEX.
Ineipit ipsa • regula coenoblalis fratrnm \ s. kj
Diuersitas culparum diuersitatis penitentiac medicamento sanari
(lebet. Itaque, fratres karissimi c Statutum est, fratres karissimi', I.
a sanctis patribus, ut de mos confessionem ante mensam siue
5 ante lectorum e introitum aut quandocumque f faerit facile 8 de
omnibus non solum capitalibus criminibus sed etiam de minoribus k
uegligentiis , quia confessio et penitentia 1 de morte liberat \
Ergo nec ipsa parua a 1 confessione sunt m negligenda peccata B,
quia ut° scriptum est, qui parua neglegit paulatim de-
lofluit 1 ut detur confessio ante mensam, ante introitum lectulorum ?el
quandocumque P fuerit facile dare.
Ergo qui non custodierit ad mensam benedictionem q et non
responderit amen, sex percussionibus emendare r statuitur. Simili
modo qui locutus 8 fuerit comedens non necessitate alterius 1
i & fratris , VI emendare statuitur °. Qui dixerit suum proprium
aliquid, sex percussionibus. Et qui non signauerit coclear quo v
lambit, sex percussionibus, etw qui* locutus fuerit in plausu y, id
est altiore sono solito sonauerit: VI percussionibus *.
II. Si non signauerit lucernam", hoc est cum accensa fuerit II*
20 a iuniore fratre et non exhibeatur ad seniorem ad signandum:
VI percussionibus. Si dixerit suum proprium aliquid, VI per«
cussionibus . Si aliquod opus uanum fecerit, sex percussionibus.
Qui pertnnderitce cultello mensam X percussionibus emendetur**.
1) Eccl. 19, 11.
a) ipsa nur in 6. b) fratrum bibernensium V E , Ineipit peni-
tenciaUs eiusdem CH; H fügt bei: Cap. X. De diversitate culparum.
c) knfi C, hujusmodi H. d) fr. kar. "CH. e) lectulorum D.
f) quantumque E. g) ante mensam — facile ° C Ii. h) majoribus
H. i) confessio penitencie D. k) So nach DVCEH, bberant
GF. 1) a "V1. m) sunt a confessione F. n) cogitata D.
o) ut 'D. p) so C, cui cunque Hl, ubicunque H3. q) bened. a.
mens. CH. D im Text: Si comederit vel biberit non petens benedictio-
nem, in der Kapitelüberschrift: De his quae non custodierint bene-
dictionem ad mensam. r) emendari C. s) Si locutus C H. t) ali-
cujus MP(Sp. 1193). u) percussionibus statt emendare stat. C H.
v)coclearequodCHMPCms;. w)efV'CH. x)SiCH. y)plausoVE.
z) percussiones VE. aa) Signatur lucer na CHV. bb) Der Satz Si
dixerit ... *C H und trotz der Kapitelangabe auch in F, too statt dessen :
Operis peculiaris praesumptio C plagis emendetur und A überdies:
Possessio alicujus rei, quam non necessitas generaliter omnibus fratri-
bus concessit, amissione eiusdem et C plagis coerceatur. Vgl unten.
cc) pertuderit F. dd) Der Satz Qui pertunderit ... * H , findet sich
aber in C und M?(1193). — Den Schluß von Kap. I und den An-
fang von Kap. II überliefert D (nach Einscfuiltung eines am Cae-
sarius entlehnten Kapitels) mit Kap. 25 folgendermaßen: Si come-
derit vel biberit non petens benedictionem et non respondens amen,
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLUMBANI ABBATIS. 221
Quicnmque de fratribus, cai sollicitudo coquinandi* uel mini-
strandi b commissa est, quantulum quid effuderit, oratione in
eccleeia || post expletum cursum, ita ot fratres pro eo orent, s. 174
emendare c statuitur. Qui d humiliationem in synaxi e, id est
*in cursu, oblitus fuerit, haec est humiliatio in eccleeia post
finem cuiuscumque' psalmi, eimiliter poeniteat *. Simili modo
qni perdiderit micas * oratione in ecclesia emendetur; ita tarnen
haec parua poenitentia ei 1 iudicetur k , si parum 1 quid effu-
derit. Quod m si ex n negligentia nel 0 oblinione sen ' trans- III.
togressione securitatis tarn in liquidis quam 1 in aridis amplins
solito perdiderit, longa neoia in ecclesia 1 dum dnodecim psal-
mos ad duodecimam canunt prostratus" nulluni membrum mouens
poeniteat. Vel certe si multnm est quod effudit, quantos metra-
nos 1 de cernisa 0 aut mensnras qualinmcumque rerum intercidente v
1 & negligentia effundens perdidit, snpputansw tot diebus illnd 1
quod J in snmptus proprios rite * accipere consueuerat, sibi**
ea bb perdidisse sciat, nt pro cernisa aquam bibat De effuso
super" mensam decidenteque extra eamdd ueniam in discubitu"
petere dicimus tf sufficere.
20 Qui egrediens domum ad orationem poscendam non se** humi-
lianerit et post acceptam benedictionem hh non se signauerit
crncemkk non adierit, XII percussionibus emendare11 statuitur mm.
SimiliterM qui orationem ante opus aut post opus00 oblitus ||
fuerit, XII percussionibus. Et qui comederit sine benedictione pp, s. 175
«XII percnssionibus qq. Et" qui regrediens" domum orationem
sex percussionibus. Et quae non signauerit coclear quo lambit, sex;
et quae locuta fuerit comedens non in necessitate alterius somris, sex;
vel pertunderit cultello mensam, sex. Et si dixerit suum proprium ali-
quid, sex percussionibus emendetur.
a) coquendi A. b) coquinandi uel min. soll. V1. c) emendari
C H. d) Et qui E. e) sinaxi C VE. f) cuiusque 0 , unius-
o
cuiusque D. g) peniteat G. h) mitras A. i) ei ° D. k) indi-
cetur VCFH. 1) paruum C H. m) Quod 0 H. n) ex 0 C H.
0) aut C H. p) vel D C H. q) tarn E F. r) longa v. i. eccl.
* V1. s) psalmi ad duodecimam (-um V1) canuntur, iacens prostratus
VE (ad duod. eE). t) statt quantos metranos: quadrauos C H,
quantas metranas F. u) ceruisia V F. v) intercedente V E C.
w) nach F, supputatis GEVCH. x) illo H. y) ille qui C.
z) vitae H. aa) sibique VE. bb) eam CH. cc) DifTuso supra
G H. dd) extranea V E. ee) discubito V E C. ff) petere dicimus
mir in VE. Der Abschnitt Vel certe si . . . dicimus sufficere * D, der
hier den Satz hat: et quae non custodierit ordinem ad sacrificium, VI
perc. emendetur. S. u. Kap. 4. gg) se non F. hh) 0 D. ii) re-
signauerit für se sign. V E A. kk) et crucem D. 11) emendari
CMPfl£?£jH. mm) emend. stat. *D. nn) et statt Sim. D.
00) opus "V1. pp) comedere . . . praesumpserit 0. qq) Dieser
Satz *D. S. Kap. I, Note dd. rr) aut D. ss) egrediens D^\?(1228).
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222
ANALEKTEN.
petens non se curuauerit intra domom , XII percussionibus *
omendetur. Qui b uero frater haec omnia confessus fuerit et
cetera usque ad superpositionem c, semipoenitentia d, id est media
poenitentia e, et de bis similia ; sie f temperare interim f.
i Qui tusse || in exordio psalmi non bene decantauerit \ VI IIII.
percussionibus emendare ' statnitur. Similiter qoi pertunderit k if sbJ
dentibus calicein salutaris, VI percussionibus. Ordinem ad sacri-
ficium 1 qui non custodierit ad offerendum, VI percussionibus.
Saeerdos ofierens, qui ungulas non dempserit, et diaconus cui barba
lotonsa non fuerit, de rustro01 sacrificium aeeipientem n ad calicem
accedentem , sex percussionibus. Et qui subridens 0 in sinaxi , id
est in cursu orationum p, VI percussionibus ; si in sonum risus
eruperit q, superpositione r, nisi ueniabiliter " contigerit. Saeer-
dos offerens et diaconus sacrificium custodientes * cauere °, ne vagis
isoculis oberrent; quod si neglexerint, sex percussionibus emendari. Qui
oblitus fuerit chrismal ▼ pergens procul ad opus aliquod , quinis quin-
queisw percussionibus; si super terram in agro dimiserit et inuenerit
statim, denis quiuqueisw percussionibus; si in ligno illud leuauerit, ter
denis, si ibi maneat nocte, superpositione. Eulogias x 1 inmundus y
ao aeeipiens, XII percussionibus. Obliuiscens oblationem facere usque
dum itur * ad officium C percussionibus.
Fabulasbb otiosas proferens ad alterum cc, statim dd semet
ipsum reprehendens, uenia ee tantum ,f ; si autem se non repre-
henderithh sed detractauerit qualiter eas excusare debet, super-
1) Menard (Migne 103, 1223): Eulogiae panes sunt qui in ecclesia
a sacerdote benedicuntur olimque distribuebantur iis qui . . . diebus
lestis et dominicis non sumebant eucharistiam.
a) persecutionibus F. b) Statt dieses Satzes in D: vel quae
facit cursus non necessarios, XII percussionibus emendetur. c) sup-
positionem stets in H für superpositionem. d) semipenitencie C U.
e) °0. f) sit H. g) interim °0, in CH zum Folgenden.
h) tussem ... non bene cauerit CH, tussiens ... non bene can-
tauerit 0, ob tussim ... n. b. cantaueiit "b1P(1165)f cantauerit E.
i) emendari CH. k) percusserit CH, pertuderit F. 1) sacrificii
für ad sacrif. C H. in) rastro H. n) aeeipientes . . . accedentes H.
o) subriden V. p) orationum * C H MP(U64). q) erupit E. r) super-
positionem E, cf. D. cap. 17: et quae subriserit in cursu orationum,
sex percussionibus, si in sonum eruperit risus, superpositionem. s) ve-
nialiter F. t) custodiens H u) debent cavere H3. v) chrismale
Hs. w) quinquies H. x) eglogias V9. y) in mundo A. z) eatur
V'EA, erat C, eat H. aa) offerendum C H. bb) Der vorau,f-
gehende Teil von Kap. 4 'D; s. S. 33, Note ff. cc) alienum H.
dd) et statim D. ee) veniam C, ueniat V1. ff) venia decem per-
cussionibus; A, tantum sufticit D. gg) non se D. hh) reprehen-
dens A.
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLUMBANI ABBAT18. 223
positioiie * silentii aut L percussionibus b. Excusationem pro-
ferens cum simplicitate quando in aliquo discotitur et non di-
cat e 8tatim ueniam petens: „mea culpa, poenitet me": L percue-
sionibus d. Consilium contra consilium cum simplicitate promens,
& L percnssionibus •. Qui altare concusserit, L percussionibus f.
Proferens * sermonem altum sine snppre&sione h, nisi ubi ne- V.
cessitas fuerit, snperpositione 1 silentii ant L percussionibus. Ei- s* 1<c
ousans ad ueniam similiter poeniteat k. Qui fratri aliquid indi-
canti responderit: „non ita est, ut dicis praeter seniores
loianioribus dicentos simpliciter, superpositione 1 silentii aut L per-
cussionibus; nisi hoc tantum licet \ nt respondeat™ coeqnali
fratri suo , si ueratius est aliquid quam ille n dicit et recorda-
tur 0 : „ si bene recolis, frater " ; et alter baec p audiens non ad-
firmet q sermonem suum, sed bumiliter dicat: „spero, quod tu
melius recorderis; ego per obliuionem in uerbo r excessi, poenitet
me quod male dixi". Ecce uerba filiomm dei, si nihil 8 per
contentionem, ut ait apostolus, neque per inanem gloriam, sed
per humilitatem spiritus alter alterum existimans 1 superiorem
sibi. Ceterum qui se excusauerit non filius dei spiritalis sed
2 (»filius' Adam carnalis iudicetur T. Quiquew non cito ad portum Tl.
requiei humilitatis dominicae confugerit x, nimie y contradictionis *
aditum aliis*a aperiens in superbiae bb uerbo cc persistens, de über-
täte sanctae ecclesiae in cellula ob poenitentiam agendam sepa-
retur, usque dum bona eins uoluntas dd cognoscatur atque per
2& humilitatem || denuo sanctae congregationi inseratur. s 177
Qai profert sermonem altum ad reprehendendum opus ho-
stiarii , ut hostiarius ff horas w non bene bb custodierit , super-
positione u silentii aut L percussionibus kk. Et qui abscondit 11 ali-
quod crimen uidens nm || in fratre suo, usque dum nn corrigatur de (r 3b>
50 alio nitio uel de ipso, et tunc profert 00 illud aduersus pp fratrem.
a) tractantes eas superp. D, superpositioneui VE. b) Lperc. 0 A*
L percussionibus peniteant. P. c) dicit D C H. d) L perc. 0 D
e) perc. poeniteant. D. f) Dieser Satz v D. g) Von hier ab an-
dere Hand in G. h) pressione A. i) superpositionem E. k) per-
cussionibus statt sim. poen. C H. 1) liceat V E. m) respondeatur
0, responderit A , ut rospondeat 0 C H. n) quod ille V E. 0) re-
spondetur A. p) hoc H. q) affirmet C. r) verba 0. s) si
4 H, sine his C. t) existimantes C H. u) filius " H. v) iudicatur
O. w) Quicumque 0, Qui se AEV'C, Qui si H, Qui MV(1373).
x) non confugerit V1. y) nimirum A MP. z) nimiarum contradictio-
num ECU. aa) so CMPH, aliquis G, aliquibus F. bb) super-
ficie F. cc) in superbia CH; MP = G. dd) voluntas ejus F.
"e) so emendire ich für aut , das in den Codd. und Ausgaben,
ff) ostiarias F. pg) si horas H, horas *A. hh) bene non CH.
ii) superpositionem VE. kk) Kap. 5 und Kap. 6 bis hierher 0 D.
11) abscondeus F. mm) uidens 0 D. nn) dum "VE. 00) prius
pr«>fert D. pp) adversum D.
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224
ANALEKTEN.
tribus superpositionibus *. Reprehendens aliorum b fratrum opera
aut detractans tribus superpositionibus poeniteat c. Proferens
correptionem contra correptionem d, hoc est casticans • castigantem
so, similiter f tribus superpositionibus peniteat *
& Qai b detrahit alicui fratri aut audit detrabentem non con- TU.
tinuo corrigens 1 eum, tribus superpositionibus. Qui aliquam con-
temptionem cum k tristitia promit *, simili modo tribus super-
positionibus poeniteat. Qui aliquid m reprehendens praeposito suo n
non uult indicare 0 usque dum patri p seniori q indicet , tribus
i o superpositionibus r, nisi haec omnia a ■ confessione 1 uerecundiae u
fiant. Si quis frater tristis fuerit si tieri potest, consolationem
accipiat, si sustinere ualet, subprimat T interim confessionem w,
ut z uerecundius dicat, quando tristitia 7 cessauerit orent pro eo
fratres.
i s Si quis dicat ad consanguineum suum , sollicitans * eum " in
loco optimo habitantem bb : „ melius est, ut nobiscum habites aut cc
cum aliquibus " : tribus superpositionibus dd. Et qui 66 nituperat "
alicui fratri ** obse'lquium dandum bb, similiter poeniteat". Qaiyiii.
consanguineum docetkk aliquam discentem11 artem autmm quod-
20 übet M a senioribus inpositum00, ut melius » lectionem discat,
tribus superpositionibus qq.
Qui ad praepo8itum n audet dicere „ non tu M iudicabis
causam meam, sed noster senior tt aut ceteri fratres", siue uu „ad
a) poeniteat hinzugefügt in V*. b) autem (?) E. c) poeniteat
° C H, trib. superp. poenit. ° D, Repreh. — poen. ° V1. d) correctio-
nem D C A. e) castigans V E C. f) *DCH. g) Die Ordnung
der letzten drei Sätze ist in D: Reprehendens aliorum ... Proferens
correct . . . Quae soror abscondit . . . ; in C und H : Proferens correct.
. . . Et qui abscondit . . . Reprehendens aliorum ... D scheint das
Bichtige ' zu enthalten. h) Vel quae D. i) arguens E. k) Et
quae aliquid cum contradictione aut D. 1) promit ° G E V F. m) ali-
quem 0. n) suo ° D, praepositum suum A. o) indicari C H. p) pa-
trum A. q) abbati statt pat. sen. C H. r) similiter poeniteat statt
tr. superp. D. s) a ° C H. t) conventione A. u) verecunda C H.
v) supprimat C. w) conpassionem 60 V1, compassione A, cum pas-
sione E V1. x) et statt ut 0. y) tristitia " G Ü. z) sollicitus O.
aa) eum * 0. bb) in alio loco habitentem CH. cc) quam statt
aut V1. dd) nisi haec omnia a confessione — tribus superp. * D.
ee) Quae soror D. ff) uituperet G. gg) so 6VEDA, aliquem
fratrem CHO. hh) so D, danti G, dantem VCHF. ii) trib.
superp. statt sim. poen. CU; D: dandum, murmurat et dicit „non
faciam, nisi dicat senior aut secuuda", similiter trib. superpositionibus.
kk) suum docet 0. 11) decentem Dh. mm) et aliud Db, et ei aliud
Dc. nn) quidhbet V, aliud quidlibet H. aliud illiquid libet C.
oo) fuerit impositum D. pp) dixerit melius ut D. qq) superp.
poeniteat D. rr) praepositam suam D. ss) tu non H, "tu" non
C, wo die Häkchen bedeuten, daß non tu zu lesen sei. tt) abbas
C H. uu) simul G 0.
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLOIBANI ABB ATIS. 225
patrem monasterii * ibimos omnes" b: XL diebus castigari oportet
in poenitentia c in pane et aqua, niai ipae dicat d prostratus coram
fratribus : poenitet me quod dixi *. Frater quilibet in aliquo
opere detentus , quamuis fatigatus sit , ita tarnen ad oeconomum
& dicat in propria causa : „ si tibi placet dicam ad abbatem , sin
autem , non dicam 4* ; in alterius causa : si tu iteras , non tibi
difficile videatur, si forte ad abbatem dicam44, ut obedientia custo-
diatur.
Qui non reportat quod commodat usque in crastinum, si ipse re-
toportat recordatus, sex percussionibtis; si oblitus fuerit, usque dum
quaeratur, duodecim. Si quis oblitus fuerit interrogare debitum poeni-
tentiae usque in crastinum, VI percussionibus. Qui murmurat, qui f
dicit „non faciamr nisi dicat abbas uel secundus", tribus superpositioni-
bus. Cursus non necessarios k aut saltus duodecim plagis. Prohibetur
isne quis alterius teneat manum.
Procuret oeconomus de humanitate aduenientibus adhibenda 11 tarn
peregrinis quam reliquis fratribus; et omnes fratres parati sint ad mi-
nistrandum cum omni famulatu propter deum. Quamuis oeconomus non
senserit » aut praesens non fuerit, ceteri faciant diligenter quod ne-
aocesse est et custodiant utensilia eorum, donec assignent ea parata
custodi ; sin autem neglexerint, poenitentia k de his ut videatur adhiberi
ad iudicium sacerdotis.
Qui non postulat ueniam correptns 1 superpositione poeniteat™.
Qui uisitauerit alios fratres in cellulis ° eorum 0 sine interroga-
istione, simili modo poeniteat; aut in p coquinam q post nonam
sine ordinationc vel iussione ierit, superpositione; aut extra r ual-
lum id est extra sepem t monasterii sine interrogatione ierit,
superpositione \ Juuenculi v quibus imponitur terminus ut non
se appellentw inuicem, si transgressi fuerint, tribus superpositioni-
30 bus z. Hoc tantum dicant: Scis quod uobis non licet loqui te-
cum. Ety si quis praeceperit eis quod non licet1, ipsi || dicant: (f3b)
a) ad abbatem C H. b) siue — omnes ° D. c) poeniteat
statt cast. op. i. p. D. d) bumiliter dicat D. e) quod male C,
quia male H. f; aut statt qui H. g) necessarius H. h) ex-
hibenda H. i) censuerit H. k) penitentiam H. 1) correctus V
C E 0 H. m) poen. "VE. n) cellis D. o) in cella seorsum C H.
p) qui in 0, in • A. q) coquina C H. r) qui extra F. s) cel-
lam A. t) so G V C F MP (1156), septa D , septum H. u) superp.
poeniteat D. Letzterer fügt hier hinzu: Prohibetur, ne pro dilectioue
aliqua ulla (nulla Dc) alterius teneat manum siue steterit siue sederit
siue ambulauerit. Quodsi fecerit XII perc. emendetur. v) so setze
ich Juuencule D, Vincula G, et uinculis 0, In vincula VEA, Juueni-
bus C H. w) appellant V5, appelant se E. x) XL perc. poeni-
teant D . auch E fügt peniteant hinzu. y) Et ° A. z) so C H,
quod libet A E, quod licet G V 0.
ZoiUchr. f. K.-O. XVII, 1. 15
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226
ANALEKTEN
„scis, qnod nobis non liceat"*, et si ipse praeceperit ultra,
ipse damnetur tribos superpositionibus b, ipsi tarnen dicant: „faci-
inus c quod dicis", ut bonum oboedientiae seruetur. Illud uero
specialius cavendum est, ut quomodo inter se mutuo non loquun-
6 tnr d, sie nec per os alterius fratris 6 conloquantur f. Quodsi
scientes tranagressi fuerint, simili modo quasi inter se locuti ]] s. 179
fnissent, poeniteant
Cui * ceciderit crismal h et nihil confringens duodeeim per-
cussionibus 1 emendetur k.
10 Qui profert uerbum 1 otiosnm silentio™ inter duas horas con-
sequentes condempnari n aut XII percussionibus {.
Poenitentes fratres, quamuis opera difficilia et sordida effi-Vmi
ciant °, non lauent capita nisi in p die dominica, id est octaua
sin r autem, XV 8 diebus *, aut certe propter fluentiom capillorum
15 incrementum arbitrio0 senioris in T lauando unusquisquew utatur.
Declinatio de uia sine interrogatione aut benedictione sex per-
cus8ionibus x. Poenitentias minutas y iuxta mensam si scierit 1
praepositus mense imponat, et" amplius quam bb XXV cc per-
cussiones simul non dentur.
20 Penitentes dd fratres et indigentes poenitentia ee psalmorum,
hoc est , cui ff necesse fuerit w ut psalmos adhuc pro uisione
nocturna decantethh, quia pro inlusione diabolica, aut" pro
modo uisioniskk alii XXX11 alii ™m XXIII I m psalmos in ordine,
alii XV 00 alii XII indigentes poenitentia psalmorum pp decantare
a) licet CH, non liceat nobis F. b) trib. superb. " E. c) fa-
ciemus CH. d) loquantur F. e) fratris UCH. f) loquantur V»
CH, non loquantur E V\ g) Cum 0. h) chrismal ceciderit H,
"chri8mal" ceciderit C (s. oben S. 224, Note ss). i) percussiones E V.
k) emendetur 0 E V C II. 1) sennoiiem C H. m) silentium V E.
n) debet condemnari F, condempnare E. 0) faciant G. p) in 0 F.
q) die dominico. i. e. octavo UV(1193). r) si F. s) XII V, 12 E.
t) quinto deeimo die CH, sin autem nisi in quinto dcc. die MP. Hier
beginnt (mit . . . deeim dies aut certe) das im 16 Bande dieser Zeit-
schrift S. 465 von mir veröffentlichte Nonnenregel- Fragment , das für
einen großen Teil des noch folgenden Textes der Cönobialregel zu ver-
gleichen war; ich bezeichne dasselbe mit X. u) in arbitrio C. v) in
u C. w) quisque A. x) Et si quis praeeeperit . . . (oben Kap. 8)
bis hierher fehlt bei I) , der den folg. Satz am Schluß seines aus
Caes. 16 entlehnten Kapitels 33 („Ut sedentes ad mensam taceant")
nach Einschaltung von: Namquaeloqui praesumpserit vel XX vel XXX
percuss. aeeipiat anfügt. y) Poen. vero min D. z) fecerit HD*»,
aa) et °DX. bb) quam 8CH. cc) XXII V1, 22 E {und V8?).
dd) Das Folgende in D als Kap. 34: Qualiter aut quibus temporibus
genua flectantur. ee) penitentiam VE. ff) quibus D, cum V*.
dg) est DX. hh) decantent D V». ii) ac DCEV'H, aut • X.
kk) aut pro m. uis 0 V1. 11) alii XXX "DXCEV1 H. mm) alü
• D. nn) XXVI D, 34 F. 00) alii XV *X. pp) psalmos CH,
indigent peue (= poena) psalmorum X.
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLUMBANI ABBATIS. 227
debent; quamnis » ergo in nocte dominica et tempore0 quinqua-
ireaimae c poenitentes d genua flectant *.
Si cui iniuiLxerit abbas aut praepositus de fratribus ire( agere,
ita obseruandum est, ut seniori iunior obediat, si tarnen rectum fuerit;
s quod ei *? indicauerit, obseruare studeat. Si quid praeceperit abbas
uel oeconomus maior et alius humilior iterauerit oeconomus, ipse obe-
dire debet, indicans tarnen in silentio, quod praeceperit alius maior;
infra raonasterium uero nullus tarnen alio imperio praecellente imperet
nisi qui praeest.
10 Ab initio diei usque noctem commutatio uestimenti et altera in
nocte. Interrogentur separatim . . . Qui ministrat in die dominico ^
aut in alio solemni » ad lauachrum aut ad k quamcumque necessitatem,
una oratione ante exitum et introitum eget. Interroget tarnen, si non
procul exeat, signo crucis indiget. Quamuis ambulans signet se, non
uest autem necesse ad orientem se vertere. Exiens extra1 domum qui-
Hbet festinans et se signans, non eget ad orientem conuersionera m. Ita
et in ambulando conueniens quemquam n faciat, si festinet, postula ns
orationem et se humilians. In domu <>, in qua non congrua fiat genu-
flexio, curuatio tantum statuetur.
20 Si quis voluerit, in die sabbati praeparet oblationem dominicae;
consumraato lauachro commutare sacerdotes, si facile fuerit, diacones
autera aut ante praeceptum aut post praeceptum ministerium p oportu-
num perficiant i.
Si quis viderit somnium iramundum aut coinquinatus fuerit aut
25poenitens, quando detur praeceptum, stare praecipitur. In magnis
autem solempnitatibus quando audiunt sonum sedcre in cotidiano prae-
cepto pene mediante iubentur r || sedcre. Dcinde sonum omncs audientes (f «»)
ad sinaxira imitantem 8 diei conuentus lauent ante oratorii introitus
nisi prius lauerint. Primarius ut pritnus psallat statuetur et secundus
30 et non flectatur genu, sed tantum curuatio fiat. Ordines qui priores
in medio flaut oratorii, ceteri dextra laeuaque assistant, praeter offeren-
tem eidemque adhaerentem. In omnique dominica solempnitate ymnus
diei cantetur dominicae 1 et in die inchoante paschae. Aut qui ad
altare inchoaverit accedere a sacrificium accepturus ter se bumilict.
35 Et noui, quia indocti, et quicumque fucrint tales ad calicem non acce-
dant, et quando offertur oblatio nullus cogatur coactus accipere sacri-
a) so DXCH, qui GVEF. b) in temp. CH. c) quinqua-
gesimi CD^X. d) poen. *D. e) so CH, genuflectant D X,
rlectunt OFVE. f) so P (S. 129), B (f. 143 <>) , iter CHMd(1376).
g) so CMn, eis H. h) so CMPO^?;, dominica H. i) so MP, in
alia solemni H, in alia solemnia C. k) ad 0 MP. 1) autem extra H.
xn) conversione H. n) nach X, quidquam C II. o) domo H. pj se
ministerium C. q) perficieut H. r) iubetur H. s) so C, imitanteX,
incitantem H; (initiantem?). t) do-minici H. u) so setze ich nach
X, inter C II.
15*
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AXALEKTK.V
ficium praeter uecessitatem. In omnique dominica die et solcmpnitate,
qui non fuerit in coetu fratrum ad dominum fundentium preces, oret
ipse aljqua necessitate copente. Et quamdiu offeratur, non multum
discurratur. Poenitens quoque necessitate itineris occupatus ambulans-
6 que cum ceteris utentibus licito cibis, si aduenerit hora tertia et longe
proficiscantur *, accipiat et ipse quiddam cibi pro modo quodam, et
quod ei defuerit accipiat ubi quiescat.
In commnne b autem omnes fratres c omnibus diebus ac d
noctibus tempore orationum in fine omninm psalmorum genna
1 o in oratione ° , si non infirmitas corporis offecerit f , flectere aeqno
animo K dcbent, snb silentio dicentes: Dens11 in adintorinm
raeum intende, domine ad adiunandnm || me festina l. s.
Quem uersicnlum postquam ter 5 in oratione tacite k decanta-
uerint, aequaliter a 1 flexione™ orationis surgant, excepto n die-
ubu8 dcminicis et a prima0 die sancti p paschae usque ad quin-
quage8imura 11 diem, in quibus r moderate se in s tempore psal-
modiae humiliantes, genua non flectentes1, sed 11 sedule v domi-
numw orent.
Si quis frater inoboediens fuerit, dnos dies nna paxmate 1 et
20 aqua y. Si quis dicit8: non faciam **, tres bb dies nno paxmatio
et aquacc. Si dd quis murmurat, duos dies uno paxmatio et X.
aqua. Si quis ueniam non petit aut 00 dicit excusationem dnos
dies uno paxmatio et aqua**. Si duo fratres contenderint hh
aliquid et ad furorem uenerint u, duos dies uno paxmatio et aqua.
1) Ps. 70, 2.
a) proficiscatur Hs. b) communi MV(Sp. 930). c) so DXC
A H MP, cum omnibus fratribus statt autem ora fr. G 0 E V. d) die-
bus ac ° C H MP, et statt ac D X. e) ad orationem D X. f) so
CH, hoc fecerit GVEF, officerit D«, nocuerit X, obfuerit MP.
p) moderamine D X. h) dominus G F. i) ter *D, quater V*.
k) tacite ° E MP. l)inGO. m) flexu D, curuatione X. n) so
GX, excepta D, exceptis VCEHFMP (Ute). o) so D, etiam et
prima G F, etiam proxima E , etiam prima V, et a die primo C H MP.
p) sancto VE, et a primo die sancto X, sancti °MP. q) quinqua-
pesiroara II. r) quo D. s) se in *D. t) flectant. X, flectentes.
Et quando ad communionem altaris accedunt, ter se humilient D. Hier'
mit schließt der mit reg. coen. I parallel laufende Abschnitt in D.
u) et statt sed E, sed 'CH. v) so nach G V*MP, sedulo die übr.
Codd. u. Ausg. w) deura CIL x) uno paximate 0. y) unum
paximatium et aquam V E A C H (paxamacium V1). z) dicat C U.
aa) dicit et non facit A E (et ° E) dicit non faciat V. bb) dnos V1.
cc) unum paximatium et aquam E C H. Der acc. statt des abl. er-
scheint in dieser Strafbestimmung stets in VECH; paxmatium (statt
paximatium) nur in G. dd) Dieser Satz fehlt bei F, obwohl die Ka-
pitelüberschrift auf denselben hinweist. ee) et V1. ff) excusationem
dicit E. gp) similiter poeniteat statt duos dies etc. E. hh) con-
tendentes ACH. ii) venientes C II. Si quis viderit (nid. 'V') duos
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SEEHA&S, REGULA C0KS0BIAL1S S. COLUMHAXI ABIUTIS. 229
Si aliquis * contendit mendacium et distinctionem b confirmat, duos
dies uno paxmatio c. Si quis contradicit fratri et non petit
eum d ueniam , duos dies uno paxmatio '*. Si quis interrumpit f
mandatum et g regulam frangit , duos dies uno h paxmatio et
» aqua '. Si quis opus quod ei iniungitur k negligenter facit, duos
dies uno paxmatio et aqua '. Si quis detractauerit m abbati suo ",
VII 0 dies uno paxmatio et aqua p ; si quis fratri suo q, uiginti 1
IIU psalmos, si seculari, duodecim psalmos h. Si quis obli-
uiscitur aliquid Ibras, si minus XII j| psalmos , si maius * XXX s. m
iopsalmo8B. Si quis perdiderit uel deciderit T aliquid, sicut pretiuni
eius ita etw poenitentia eius.
Si quis facit colloquium cum saeculari sine iussu, XXIIII XI.
psalmos. Si quis quando consummauerit opus suum et aliud * if *»>)
non requirity et1 fecerit aliquid sine iussu**, viginti IUI bb
psalmos cantet. Si fuerit aliquis biliuguis et conturbet cc corda
fratrum dd, I diem in paxmatio et aqua Si quis mauducauerit
in domoff aliena sine iussu et uenerit domui suae «, I diem in
paxmatio hh. Si quis enarraverit praeteritum peccatum , unum
diem cum H paxmatio. Uel qui ambulauerit in saeculo et dicit
20 de saeculi peccato kk, diem unum 11 in pane et aqua. Et tepi-
dusmm qui aliquem audierit nu murmurantem et detrahentem aut
facientem aliquid contra regulam et consentit00, a confessiono
diem unum paxmatio pp.
Si quis suscitat furorem fratri suo et satisfaciet m ei postea, XU.
fratres et tacuerit (et tac. ' Y7) contendentes aliquid et in (ad V1) furo-
rem uenientes V E.
a) alius G F E V. b) distinctione C , dictionem 0. c) pax. et
aquam VC II; similiter poeniteat statt duos dies etc. E. d) cum * A,
ei V C E H. e) pax. et aquam V* C H. f) contradicit C II. g) aut
CH. h) uuo " 0. i) et aqua "VC II. k) so E, Si quis cum
(« V*) iniungitur ei opus et V'GF, Si quis iniungit ei opus et C II,
Si quis detiactaverit cui iniungitur opus V1. I) et aqua "EV'C II.
m) detraxerit rCö^CH, detrect. V*. n) abbatem suum VECAII
Mn (995). o) 4 E. p) et aqua "CEV II. q) fratrem suum V"
ECHMn, in V1 zu fratri suo korr. r) uenieuti G F, viginti * E.
s) si sec. duodecim psalmos * G F (secularein P C II) t) magis V1.
u) psalmos " E. v) so C H, dederit G E 0, dixit A, dicit V. w) et
VCH. x) aliquid Hs. y) requirens A. z) aut E F. aa) sine
iussione aliquid fecerit C II. bb) uenientis III GÜ, ueuieus III A,
iussu, tres E, venienti tres V. cc) conturbat E V. dd) fratres statt corda
fr C H. ee) duos dies unum paximacium C1I, 1 diem paxim. EV;
fratrum, unum paxamacium. V1. ff) domu C. gg) dorn um suam
A, et uen. domui s. " E. bh) uno die paximacium C II, I diem paxim.
EV, in pax. et aqua F. ii) in F. uno die paximacium CH, unum
diem paxim. E V. kk) dicit saeculi peccata F, de saeculo peccatum
V!. U) uno (° V) die V E C II. mm) tepidus - V E, Et tepidus * 0.
uu) audierit aliquem V E C II. oo) consensit H. pp) uno die paxi-
macium CH, uno die pax. et aquam VE. qq) so GEV, satisfacit
CH, satisfaciat FV\
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230 ANALEKTEN
et ipse non remittit ei sed mittit a eum b suo seniori c : qoi
suscitauit furorem d viginti * IUI psalmos et ille diem I in f
pane et aqua. Si quis uoluerit aliquid g et prohibet economus b
et iubet abbas ' , quinque dies. Si quis non uenerit k || ad ora- s. ut
b tionem super 1 mensam et post cibnm , XII psalmos cantet m. Si
quis dormierit dum" oratur, si frequens, XII psalmos, si non
frequen8, VI 0 psalmos. Si quis non dicit amen, XXX uerbera.
Si transgressus erit p horam, XV psalmos, cantica graduum 4, nisi
matntina hiemps r, XII psalmos. Et qui 8 non audierit sonitus
10 orationum i, XII psalmos11. Si quis ueniet T ad sacrificiom etv
nocturnum cingulum nel uestis x circa y eum, XII psalmos.
Si quis ante horam nonam quarta seitaque feria manducatXIII.
nisi infirmus, duos dies in pane * et aqua uiuat. Si quis dixerit
mendacium nesciens, L uerbera; si" sciens et audax dicit bb,
1 6 duos dies** in pane et aqua. Si detegaturdd mendatium eius et
ille contendit, VII dies in pane et aqua. Si quis monachus dor-
mierit in una domo00 cum muliere, duos* dies in pane et aqua;
si nesciuit quod non debet, unum diem. Si quis non claudit*?
ecclesiam, XII psalmos. Si quis emittit Sputum et attingitbh
aoaltare, XXIIII psalmos; si parietem attingit, VI". Si kk obli-
uiscitur psallendi 11 seu lectionis mm, III nn psalmos.
8i quis tardius ueniat00 orationibus pp, L, uel ^ plausu "»XIIII.
LM , uel segnius exequerit" quod iubetur ei uu , L. Si
post pacem sonauerit, L ?T. Si contumaciter ww respon derit s. iw
16 L. Si ueniet" uelato capitc in domum", L uerbera*".
a) dimittit (J H, remittit A. b) eum " V C H A. c) sed mittit
. . . seniori E. d) qui suscitauit furorem "CH. e) uenienti
GVF, uiginti * E. f) et illo die in VECH A. g) quid vol. ali-
quis C H. Ii) enchonomus E. i) abas V1. k) ueniet VEA.
1) supra CH. m) canet V. n) cum C H VLV(919). o) III
E V1. p) fuerit E C H. q) XII psalmos (si H) canticum graduum
CAH, XII psalmos, si cantica graduum E, XII psalmos. Cantica «rrad.
V. r) hiemis A. s) Si quis }AP(115%). t) in oratione E, ora-
tione V. u) psalmos ° E. v) ueniat C H. w) cum H. x) nocturno
cingulo vel veste VECH. y) non circa E. z) paximacio A
(Kap. XIII stets). aa) si • MP(974). bb) dixit E V. cc) dicit,
duos dies °CMPH. dd) so nach M¥(974), denegatur alle Codd. u.
Ausgg. ee) domu C. ff) tres CH, in paxiraatio uel tres dies in
p. e. a. A. gg) cludit C. hh) Sputa et contingit C WP(932) H.
ii) sex psalmos A. kk) Si quis C H. 11) rtsalmum E , psalmi A.
psallendo H. mm) lectiones V C E H. nn) IUI C H. oo) uenerit
E, venit F. pp) so G V, orationi C M1VH53) , ad orationes E F, ad
orationem H. qq) uel cum 0. rr) plausum E V C. ss) uel plagis
quinquaginta H. tt) so C V* Signum exsequerit G . signis exequatur
O, signis (ohne exequatur) A , sesruius exequitur V E H. uu) ei * F.
vv) sonitum fecerit, uerberum L E. ww) contumaci CH, contumace
A V*. xx) respondet V1, respondit V*. yy) venit F , ueniat C II.
zz) domo C H. aaa) uerbera 'F.
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SEEBASS, REGULA COENOBIALIS S. COLUMBANI ABBATIS. 231
Si* non petit orationem dam intrat domum, L. Si manducat
sine oratione , L b. Si locutus est aliquid in ore suo , L. Si
sonum fecerit dum oratur, L uerbera c. Si quis iracundiam vel
tristitiam uel inuidiam retinet d contra fratrem suum , ut tempns
stenuerit, ita • erit poenitentia eius in pane et aqua; si uero
primo die confessus fuerit, XXIIII f psalmos cantet e.
Quicnmque sacrificium perdiderit et nescit nbi sit, annum
peniteat \ Qni negligentiain fecerit orga sacrificium ut siccetur
et a uermibus consumetur k, ita ut ad nichilura deuenerit, dimi-
todium annum1 peniteat. Qui negligentiam erga sacrificium m in-
currerit D ut inueniatur uermis in eo et tarnen 0 plenum p sit,
igne comburat q [cum] r uermibus * et iuxta altare abscondat ci-
nerem eius * in terra u et ipse poeniteat XL diebus. Et T qui
neg||iigit sacrificium et w immutatum fuerit et panis amiserit sa- (' &»)
1 5 porem, si rubre colore, XX diebus 1 peniteat, si iaeinetino 7, XV 1
diebus 1 poeniteat Si autem non immutatum fuerit coloro ** sed
conglutinatum , VII dies poeniteat. Qui autem merserit sacri-
ficium continuo bibat bb aquam , quae cc in crismali dd fuerit 6e,
sacrificinm comedat Si de eimba tt uel de ponte seu de equo || s. im
loceciderit, et non per negligentiam sed casu aliquo: diem unum hh
poeniteat; si autem per contemptum submerserit", id est exierit
aqua et non considerauerit de periculo sacrificii kk, XL 11 dies mm
peniteat. Si ,,n autem obtentu insoliti pinguioris 00 cybi et non
uitio saturitatis sed stomachi enomnitw in die sacrificii coonam,
55 XX diebus; si infinnitatis gratia™, X diebus peniteat in pane
et aqua rr.
Qui seit fratrem suum peccare peccatum ad mortem et non
arguit eum, legis ewangclii transgressor notetur, donec arguat eum
cuius malum retieuit et fateatur sacerdoti, ut quamdiu conscientia mala
\ a) Dieser Satz ' F (obwohl in der Überschrift angedeutet). b) L
• E. c) uerbera ° E. d) tenet PCEH. e) ad tempus tenuerit
et tacuerit, ita A. f) XXXIIII V, 34 (? 24) E. g) cantet 'PE
CHMu, deeantet A. h) anno CH, annum 1 in G. i) in poeni-
tentia O. k) consumatur 0 H. 1) dimidio anno C H. m) sacr.
' F. n) commisit E. o) n (? non) E. p) plenus V E A. q) com-
buretur A. r) cum setze ich hinzu. s) so C, uermes G VF, uer-
mem E, uermib. et 0 H. t) ejus cinerem E. u) intra sub altare
statt in terra CH. v) Et 'CH. w) ut V, ita ut E. x) dies
CH. y) so GCE, accinetino colore A. z) 12 E V. aa) colore
• V1. bb) bibet H , ebibat A. cc) qui G V, aquara. Qui C H.
dd) crismal CH', chrismale Ha. ee) fuderit H (C?). ff) cymba C.
gg) ligno C H. hh) uno die C H A. die uno E V. ii) submersit E.
kk) sacrificiü G V. 11) decem A E V. mm) diebus 0. nn) Evo-
muit si V. oo) pinguiorisque E. pp) euomuerit E. qq) causa
0. rr) si infinnitatis ... et aqua 0 F, si autem per contemptum sub-
merserit — et aqua ° C H. In V1 : Explicit Regula Hibernensium , in
V*: Explicit regula cenobialis.
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232
AN ALF. KT KN.
reticuit tamdiu in afdictione peniteat Qui paruum peccatum reticuit,
simili correptione, non eadem afdictione poeniteat, sed plagis triginta
aut quindecim psalmos canat. Si de reliquo spernens minima neglexe-
rit, in pane et aqua poeniteat, ut peccans iuxta mandatum domini
5 corripiatur. Qui vero arguit non leniter , notetur donec petat vcniam
a fratre correpto et plagis triginta aut quindecim psalmos. Qui pec-
catum pudendum alicui * exprobrat b priusquam inter semet e ipsum
solum arguat, sicut dominus dicit, corripiatur donec exprobrato satis-
faciat et tribus diebus iu pane et aqua poeniteat.
to Qui transgreditur regulam iussionis vel disciplinae generalis maneat
expulsus sine cibo ut in crastinum recipiatur.
Qui solus cum sola femina sine personis certis familiariter loqui-
tur, maneat sine cibo vel duobus diebus in pane et aqua vel ducentis
plagis.
1 5 Qui praesumit facere ambasciam d » non permittente eo « qui
praeestt libera et ineffrenata f processione absque necessitate s, quin-
quaginta plagis inbibeatur. Operis peculiaris praesumptio centum
plagis, possessio alicuius rei, quam non necessitas generaliter fratribus
concessit, amissione ciusdem et centum plagis coerceatur. Necessarium
20 vero ac licitum aliquid facere dare accipere sine iussione duodecim
plagis, nisi ratio aliqua dcfendat, ut supplex satisfactio remittat.
Qui coraeden8 loquitur b, sex plagis. Et cuius vox obstrepit de
mensa ad mensam, sex plagis; si de domo foras vel de foris iu domuin
sonuerit, duodecim plagis.
2h Egredi vel ingredi in domum * aut opus facere sine oratione et
signo crucis duodecim plagis, si aliter fuerit, quinque plagis.
Meum vel tuum dixisse sex plagis.
Verbum contra verbum simpliciter dictum sex percussionibus; si
ex contentione, centum plagis vel superpo6itione silentii.
30 Si ordinem psallcndi nun seruauerit, sex percussionibus.
Si statuto tempore taciturnitatis loqui praesumpserit sine necessi-
tate, decem et Septem plagis.
Si quis de supellectile monasterii per contemptum amiserit vel
dissipauerit quid k, proprio sudore et operis adiectione restituat vel pro
3t aestimatione arbitrio sacerdotis superpositione poeniteat, aut una1 die
in pane et aqua. Si non conteraptu sed casu aliquo amiserit aut
fregerit, non aliter negligentiam suam quam publica diluat poenitentia,
1) aus (andbahti, got.) anibahti, altbodid., = Amt, Dienst (vgL
ambasciata, ital.).
a) alieubi $lu(982). h) deferaut. exprobrat Cod. Paris. 10S79
(p. 63). c) so B (fol. 09 a) ursprünglidi, CMn, se et Cod. Paris.,
Korrekt, in B, H. d) ambascias MY(975). e) eudem MP. f) effre-
nata H MP. g) absque necessitate " MP. b) loquens C MPfim?).
i) Ingredi vel egredi domum MV(1195). k) quis C. 1) uno H.
Bic
SEK BASS, REGULA C0EX0BIAL1S S. COLUMISA3I ABBATIS. 233
cunctis || in sinaxi fratribus congregatis tamdiu prostratus in terram (f 5b)
yeniam postulabit, donec orationura consummetur solempnitas, impe-
traturus eani cum iussus fuerit abbatis iudicio de solo surgere. Eodem
modo satisfaciat quisquis ad oratiouein vel opus aliquod arcersitus *
stardius occurerit.
Si decantans psalinum titubauerit, si superrluo, si b durius c, si con-
tumacius responderit: superpositione. Si negligentius obsequia iniuncta
impleuerit, superpositione. Si vel lcuiter murmurauerit, superpositione.
Si lectionem operi obedientiaeue praeferens, superpositione. Si officia
10 statuta segnius fuerit exsecutus, superpositione. Si demissa d sinaxi
non continuo e ad cellam recurrerit, superpositione. Si cum aliquo ad
modicum substiterit f , superpositione. Si ad modicum temporis uspiam
secesserit, superpositione. Si cum illo fcr, qui cellae suae cohabitator
non est, confabulari quantulumcumque praesumpserit, superpositione h.
16 Si alterius tenuerit manum, superpositione. Si orauerit cum illo qui
est ab oratione suspensus, superpositione.
Si parentum quempiam vel amicorum saecularium viderit vel col-
locutus ei fuerit» sine iussione, si epistolam cuiuscumque susceperit,
si tribuere praesumpserit sine suo * abbate : superpositione. Si ira-
iopedierit aliquem a necessarü facti cxpletione, superpositione. Si per
ardorera mentis legitimum religionis excesserit modum, superpositione.
Si alium feruentem a legitimo facto retinere teporis sui gratia prae-
sumpserit, superpositione.
Hucusque et in siinihbus commissis 1 procedit animaduersio spiri-
25talis, ut increpatio quac fit a pluribus peccanti proficiat inm salutem
et de cetero cautior et diligentior emendatione morum deo propitio sal-
uatus existat.
Qui autem rixam commiserit, septera diebus n poeniteat. Qui uero
suum praepositum ° despexerit aut regulam blaspbcmauerit, foras re-
3fl pellendus est, nisi ipse dicat: pocnitet me quod dixi. Si autem non
se p humiliauerit, quadraginta diebus poeniteat, quia superbiae inorbo
detinetur.
Verbosus taciturnitate damnandus est , inquietus mansuetudine,
gulosus ieiunio, somnolentus vigilia, superbus carcere, destitutor repul-
36 sione. Unusquisque iuxta quod meretur coaequalia sentiat, ut iustus
iuste uiuat. Amen.
In omni loco et opere silentii regula magnopere custodiri <J cen-
setur, ut 1 omne quantum valuerit bumana fragilitas, quae 1 prono Q
a) accersitus II MP(1153). b) sit H. c) so Cassian, De inst,
coen. IV, 16; durus C H. d) dimissa H. e) coustitutus C.
f) subsisterit C. g) so PBCMufy0<>), ullo II. h) ;superpositio
PBMn. i) fuerit ei H, "fuerit" ei C. k) suo 0 MV(1223).
1) amissis C. m) ad II. n) dies P 13 Hn(996). o) praepositum
suum MP. p) se non H. q) custodire D (Kap.75). r) et C. s) so
CD«X, omni HD»'. t) quod Dc. u) so X, prono ' D, prona C II.
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234
AN ALERTEN.
ad vitia praecipitare » solet cursu oris b, mundemur c uitio, aedifica-
tionemque potius proximorum d, pro quibus 4 saluator noster Jesus '
sanctum e effudit sanguinem, quam dilacerationem absentium in pectore
conceptam b et otiosa * passim verba, de quibus iusto sumus retributori k
5 rationem 1 reddituri, ore promamusm.
Haec superum n volentibus carpere iter tendens alti ad fastigia
summa °, relictaque humo p cum flagitiis atro •> ambientibus uni ad-
haerere deo bac r in tellure 8 misso, statuimus. Qui * immortalia ni-
mirum sunt praemia accepturi cum gaudio summo nunquam decken te
i o in aeuum ».
Explicit regula coenobialis sancti Columbani abbatis T.
3.
Die angeblich Aillische Schrift „Deter-
minatio pro quictatione conscientiae sim-
plicium" — ein Werk Oersons.
Von
Prof. D. Tsch ackert iu Göttingen.
In der Bibliotheca Casanatensis zu Born befindet sich ein
Codex chartaceuß 12 D. I. 20 folio, welcher im Jahre 1470
durch einen römischen Abschreiber vollendet worden ist. Der
Codex enthält Eopieen kirchengeschichtlicher Materialien, und der
Schreiber desselben giebt auf S. 632 der Handschrift über sein
Werk selbst folgende Nachricht: „Opus 1470 die socunda Aa-
a) praecipitari X , unde praecipitare C H. 1») cursu oris * C H.
c) muudemus C. d) proximorum siue proximarum D X. e) quo C.
f) Jesus Christus D. g) suum sacrum statt sanctum X. h) con-
cepta Dc. i) et quam otiosa D X. k) iuxta s. retributorem Dc.
1) rat. retr. C H. m) ore prom. nach verba D X. n) supernum X.
o) summi X. p) an Stelle von relictaque humo haben: rudique
humi C, rudere Qui eü X. q) ultro H. r) ac CX. s) haue
in tellurem H. t) statui visa C, statui Quo visa X. u) euum. amen
X. v) Zusatz in C H.
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TSCHACKE RT; EINE ANGEBLICH A1LLISCHE SCHRIFT. 235
gusti completum ... per me Aureliam Cornelinm, physicum Bo-
manum, ad instantiam reverendissimi in Christo patris et domini,
domini Job. Baptistae de Sabellis, 88. romanae ecclesiae protonotarii,
legati Bononiae dignissimi et bene meriti cito f. c." — In diesem
Codex begegnet uns auf 5} Foliospalten, nach alter Paginierung
auf Spalte 430 a — 432 b, nach neuerer auf Spalte 470 — 472,
die Kopie eines Traktates aus der Zeit des grofsen abendländi-
schen Schismas mit dem Kopftitel: „Determinatio domini
Petri de Aliaco \ doctoris in sacra theologia, episcopi Camera-
censis et cancellarii universitatis Parisiensis, pro quietacione
conscienciae simplicinm." Nachdem ich diese Schrift be-
reits im Jahre 1879 in Born abgeschrieben hatte, ist auch Finke
auf sie gestofsen und hat in seinen lehrreichen „ Forschungen und
Quellen zur Geschichte des Konstanzer Konzils'4 (1889) S. 104
darüber Mitteilung gemacht Ein Zweifel an der Echtheit des
Traktates ist diesem Forscher so wenig aufgestiegen wie früher
mir. Finke schreibt a. a. 0. über diese Schrift: „Sie ent-
spricht ganz der gemäfsigten Anschauung Aillis." Jüngst wurde
ich nun bei der erneuten Lektüre der Arbeiten von Lenz, Theod.
Müller, Karl Müller und Beruh. Befs wieder auf meine römische
Ailli- Kopie aufmerksam; ich vergegenwärtigte mir die von diesen
Forschern dargestellte Kirchenpolitik der beiden burgundischen
Herzöge Philipp (t 1404) und Johann (t 1419) und erkannte,
dafs in der angeblich Aillischen Determinatio die Ausführung des
burgundiachen kirchenpolitischen Programms als Radikalmittel
zur Herbeiführung der Kirche empfohlen wird.
Mit diesem Umstände wufste ich zunächst nicht fertig zu
werden; denn Ailli bat in den uns bekannten Quellen nie bur-
gundische Kirchenpolitik getrieben. Also dürfte unsere Schrift
der Ailli-Forschung und der Geschichte der französischen Parteien
zor Zeit des Schismas Überhaupt ein neues Problem stellen; so
meinte ich. Ihre Veröffentlichung erschien deshalb wünschens-
wert.
Leider ist aber die Beschaffenheit der römischen Handschrift
eine sehr schlechte; denn der Abschreiber hat an zahlreichen
Stellen seine Vorlage nicht verstanden, hat dazu viele Schreib-
fehler begangen und sogar an mehreren Stellen einzelne Wörter
und Satzteile ausgelassen; auch sind seine Abkürzungen nicht
selten so willkürliche, dafs ihre Enträtselung Schwierigkeiten
macht, welche, wenn man auf diese Handschrift allein angewiesen
wäre, kaum sicher gehoben werden könnten. Die Aufgabe, nach
der römischen Handschrift einen Druck herzustellen, dürfte also
keine leichte sein.
1) Handschr. Heliaco.
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236
AXALEKTEX.
Zum Glück braucht aber diese Aufgabe überhaupt nicht in
Angriff genommen zu werden; denn unsere Schritt ist be-
reits gedruckt, aber als ein Werk Gersons; sie steht
in Gersonii opera ed. Du Pin, Tom. II (Antwerpiae 1706) folio,
Spalte 3 — 7.
Wer das Chaos Aillischer und Gersonscher Traktate kennt,
wird wissen, wie schwierig ein solcher Thatbestand festgestellt
werden kanu. Dennoch ist die Konstatierung desselben diesmal
ganz leicht gewesen, und das Verdienst, den Druckort schnell
aufgefunden zu haben, kommt dem Uerrn Kollegen Wilhelm Meyer
hierselbst zu, welcher ein von ihm hergestelltes, mir bis dahin
noch unbekanntes Initienverzeichnis auf der Göttinger Bibliothek
zurate zog und mit einem Handgriff obiges Resultat zutage
brachte l. Dabei ergab sich zugleich, dafs es von unserer Schrift
noch drei, bei Du Pin nicht benutzte Handschriften giebt, näm-
lich in München Codex latinus (Monacensis) 6194, fol. 308 bis
310, in Brüssel 11468, beide unter dem Namen Gersons, dazu
in Brüssel 2212 ohne Namen.
Auf einer solchen anonymen Kopie wird ein Rubrikator oder
irgendein anderer Mensch aus Verseben oder Unkenntnis den
Namen Aillis in den Kopftitel geschrieben und überhaupt den
Kopftitel subjektiv nach dem Inhalte des Traktates formuliert
haben. So erklärt sich leicht die Nennung Aillis und die
Form des Titels in der römischen Handschrift. Im Du Pinschen
Druck (Gersonii opera t. II) lautet der Titel nämlich anders:
„Tractatns super praesenti schismate" und „Sententia de modo
habendi se tempore schismatis".
Die Textgestalt des Du Pinschen Druckes erweist sich sodann
als die erheblich bessere im Vergleich zu der des römischen
Manuskripts. Ein nur äufserlicher Unterschied liegt dabei in dem
Umstände vor, dafs im Drucke die acht „Conclusiones" (Grund-
thesen) vorangestellt sind, und die Argumentation für alle acht
als ein Ganzes darauf folgt, während in der römischen Hand-
schrift an jede einzelne Conclusio der betreffende Abschnitt der
Argumentation angeschlossen wird.
Bei diesem Thatbestande kann von dem oben angenommenen
„ Problem " natürlich nicht mehr die Rede sein ; denn in die Ge-
schichte Aillis gehört die „ Determinatio " nicht mehr.
WTas nun die Benutzung des Gersonschen Traktates durch die
1) Das Göttinger Initien- Verzeichnis kann, soweit es von Buch-
stabe A an fertig ist, bei der Bibliotheksverwaltung eiugcseheu wer-
den. Wegen der hohen Wichtigkeit desselben folgt darüber eiue be-
sondere Mitteilung im Nachtrag aus der Feder des Herrn Kollegen
Wilh. Meyer.
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TSCIIACKERT, EINE ANGEBLICH AILLISCIIE SCHRIFT. 237
Geschichteforscher betrifft, so ist er Schwab 1 und Befs 2 nicht
entgangen; jener bat ihn im Leben Gereons, dieser ihn in der
Darstellung der französischen Kirchenpolitik benutzt. Beide For-
scher gehen von der Voraussetzung aus, dafs der Traktat nach
der im Jahre 1398 erfolgten Neutralitätserklärung Frankreichs,
im Jahre 1398 oder 1399, geschrieben, und dafs sein Verfasser
darin noch bnrgundisch gesinnt sei. Eine höhere Bedeutung ge-
wönne Gersons Arbeit aber, wenn diese, zuerst von Schwab ein-
geführte Zeitbestimmung zu modifizieren, und der Traktat vor
1398 anzusetzen wäre. Eine erneute Besprechung desselben
dürfte daher angezeigt sein. Wir richten unser Augenmerk zu
diesem Zwecke auf den Inhalt, die Abfassungszeit und
die geschichtliche Bedeutung dieser Gersonschen „De-
terminatio pro quietatione conscientiae simplicium".
Der Inhalt des Traktates.
Der Verfasser versetzt uns in die Gewissensnöte der katho-
lischen Laien zur Zeit des grofsen abendländischen Schismas.
Angesichts der Thatsache, dafs sich zwei Prätendenten um den
Besitz der päpstlichen Würde streiten, geraten viele derselben in
Verlegenheit, wo die wahren Priester, wo die wirkungskräftige
Taufe und das rechte Abendmahl vorhanden sei. Durch das
Schisma war den Katholiken die Sicherheit ihres Heils ge-
fährdet. Eine zweite Wirkung desselben wurde durch die Ex-
kommunikationen, mit welchen ein Papst den andern und dessen
Anhang treffen wollte, an den Grenzen beider Obödienzen her-
vorgebracht; denn wenn sich die Katholiken nach diesen Ex-
kommunikationen richteten, so durften die Anhänger des einen
Prätendenten mit denen des andern nicht mehr verkehren. Das
mufste zu schlimmen gesellschaftlichen Konsequenzen führen.
Brennend wnrde diese Frage im Norden Frankreichs, wo Flan-
dern zum römischen Papste hielt, während Frankreich den av iro-
nischen anerkannte, und gerade von den Flandrern berichtet
der Verfasser, dafs sie „alberne und gefahrliche Spaltungen her-
vorrufen und die brüderliche Liebe verletzen". Darum richten
sich speziell gegen sie seine fundamentalen Sätze.
Wenn sich zwei Prätendenten, so führt der Verfasser aus,
um das Papsttum streiten, so sei es keine Häresie, zu sagen:
„Der eine (A) ist nicht Papst"; denn es liege in einer solchen
Behauptung kein Irrtum im Glauben vor, vorausgesetzt, dafs der
1) Schwab, Gereon (1858), S. 154f.
2) Befs, Bcrnh., Zur Geschichte des Konstanzer Konzils I (1891),
S. 37.
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238
ANA I.K KT EX.
Behauptende nicht etwa „durch Offenbarung oder anf andere
Weise" von der Rechtmäßigkeit der Wahl und Weihe des be-
treffenden Prätendenten vergewissert worden sei. Dem ent-
sprechend dürfen anch die Anhänger des einen Papstes nicht
von der Gegenpartei für exkommuniziert erklärt werden; ein sol-
ches Urteil wäre „unüberlegt, beleidigend und anstölsig". Der
objektive Grund für die Meinung des Verfassers liegt in dem
Umstände, dafs vielen Personen auf beiden Seiten und unter den
„Neutralen" der Hergang der streitigen Papstwahl nicht klar
gemacht worden ist, und selbst die Ansichten der gelehrtesten
Männer einander jetzt in diesem Punkte entgegenstehen. Unter
solchen Umständen sei es im gegenwärtigen Schisma erlaubt, ja
durch die Vorsicht geboten, dem einen oder dem andern Präten-
denten bedingterweise (unter einer stillschweigend angenommenen
oder ausdrücklich ausgesprochenen Bedingung) Gehorsam zu leisten,
nämlich unter der Voraussetzung, dafs derselbe kanonisch erwählt
und geweiht und mit Häresie und Schisma nicht befleckt sei.
„ Ferner werde die Wirkungskraft der Kirche, Priester zu weihen
und Sakramente zu spenden, weder durch ein Schisma noch durch
eine Häresie aufgehoben; denn Bedingung für die Wirksamkeit
der Sakramente sei aufseiten der sie verwaltenden Priester nur
die Absicht (intendant), zu thun, was Christus und die Kirche
angeordnet haben, und aufseiten der Empfanger die Absicht, das
Sakrament in demselben Sinne anzunehmen. Daher dürfen sich
die Anhänger beider Obödienzen nicht gegenseitig vom Anhören
der Messe und von der Teilnahme an den Sakramenten aus-
schließen. Im Gegensatze zu solchem lieblosen Richten erklärt
es der Verfasser für möglich, dafs man zwar dem jetzt nicht
irrenden Teile der Christenheit äufserlich angehöre, aber doch
innerlich ein Schismatiker sei, und umgekehrt. Daher er-
klärt er es für unbesonnen und gefährlich, dafs die eine Partei
die andere generell bekämpfe und von der Gemeinschaft mit ihr
zurückweiche.
Auf diesen Versuch zur Beruhigung der Gewissen folgt ein
ausführlicher praktischer Vorschlag: Statt dafs die Obödienzen
der streitenden Päpste durch Exkommunikation oder andere Mittel
gequält werden und sich gegenseitig die Gemeinschaft verweigern,
ist es heilsamer, gerechter und sicherer, die Union der Kirche
zu erstreben, indem man auf die Prätendenten selbst einwirkt
Dafür schlägt der Verfasser 1) den Weg der Cessio beider Päpste
oder 2) den der Obödienzentziehung oder endlich 3) den eines
andern erlaubten Zwanges vor („viam cessionis utriusque
vel substractionis oboedientiae aut alterius licitae
coactionis"). Wo nämlich das Übel des Schismas seinen Ur-
sprung habe, da müsse es entwurzelt werden. Denn die Streiten-
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TSCHACKERT, EINE ANGEBLICH AILLISCHE SCHRIFT. 239
den selbst seien es, welche gesündigt haben; sie haben den Sturm,
welcher sich auf dem Ozean der Kirche erhob, verschuldet, sind
daher auch bei ihrer Seligkeit verpflichtet, das Ärgernis, welches
sie gegeben haben und noch geben, hinwegzuräumen.
So sucht der Verfasser zugleich mit der Beruhigung der Ge-
wissen auf die Herbeiführung der Einheit der Kirche hinzu-
arbeiten.
Ob diesen Gedanken eine geschichtliche Bedeutung zukomme,
werden wir erst untersuchen können, wenn wir über die Zeit ihrer
Entstehung genügend sicher zu urteilen vermögen.
Die Zeit der Entstehung des Traktates.
Es geschah am 30. Juni 1394, dafs von der französischen
Regierung zn Paris ein Universitätsgutachten angenommen wurde,
welches drei Wege zur Herstellung der kirchlichen Einheit em-
pfahl: 1) die freiwillige Cession beider Päpste, 2) einen Kompro-
niis (?or einem Schiedsgericht), 3) als äußerstes Mittel ein all-
gemeines Konzil. Mit Nachdruck wurde der erste Weg empfohlen,
weil er der einfachste und sicherste sei. In diesen drei Vor-
schlägen aber sah die Universität selbst die Zusammenfassung
aller ihrer Bemühungen zur Herstellung der kirchlichen Einheit
seit sechzehn Jahren K Dennoch ist alsbald die französische
Kirchenpolitik über die Linie dieses Vorschlages hinausgegangen,
ja, hat ihn ganzlich hinter sich gelassen, indem 1398, da die
feierliche Cession nicht zn erreichen war, nicht der zweite oder
der dritte von der Universität empfohlene Weg betreten, sondern
— ein völliges Novum — die Obödienzentziehung beschlossen
und Frankreich in kirchlicher Hinsicht für neutral erklärt wurde.
Die Anwendung dieser Gewaltmafsregel ist auf die Initiative des
Herzogs Philipp von Burgund, des mächtigsten Mitgliedes der
Staatsregierung unter dem geisteskranken Könige Karl VI., mit
gntem Grunde zurückzuführen *. Es lag nämlich im Interesse
der burgundischen Hauspolitik, möglichst schnell die Union der
Kirche herbeizuführen. Denn während das Herzogtum Burgund
mit Frankreich zu dem avignonischen Papste hielt, erkannte
die Grafschaft Flandern, welche Philipp 1384 geerbt, aber erst
1385 mit Waffengewalt sich unterworfen hatte, mit England den
1) Vgl. Schwab, Gereon (1858), S. 130ff. — Tschackert, Peter
von Ailli (1877), S. 89. — Th. Müller, Frankreichs Unionaversuch
unter der Regentschaft des Herzogs von Burgund (Gütersloh, Progr.
1881), S. 9. — B. Befs a. a. 0. S. 37ff.
2) Belege bei Th. Müller a. a. O. S. 12ff. — K. Müller in
Zeitschr. f. K.-G. VIII, 232 f. — Befs a. a. 0. S. 27 ff. 33 ff.
240
AXALEKTEX.
römischen Papst als den rechtmäßigen an l. Das war für den
Beherrscher des Landes ein unerträglicher Znstand, welcher im
Notfall durch Anwendung von Gewalt beseitigt werden sollte.
Unter solchen Umständen lautet das kirchenpolitische Programm
des Burgunders nicht wie das der Universität „Cession, Kom-
promiß oder Generalkonzil ", sondern „Cession oder Obödienz-
entziebung", und mit dieser Forderung ist er 1398 durchge-
drungen ; die Substraktion erscheint als der Sieg der burgundischen
Kirchenpolitik.
In diese Verhältnisse spielt Gersons Traktat hinein; er wird
in dieser Zeit entstanden sein.
Damals gehörte nämlich Gerson zu den Vertrauenspersonen
des Herzogs von Burgund, welcher als Begent ihn mehrere Jahre
in seiner Umgebung bei Hofe hielt, ihm nach Aillis Beförderung
zum Bischöfe von Cambrai 1397 die Kanzlerwürde der Universität
Paris verschaffte und ihm um dieselbe Zeit die Dechantenstelle
zu Brügge in Westflandern als Pfründe verlieh; im Oktober 1397
erschien Gerson in einer Deputation seines Kapitels vor dem
Herzoge *. Wenn nnn in unserm Traktat gleich im Anfang ein
heftiger Angriff auf die Flanderer vorkommt, dafs sie „verderb-
liche Spaltungen anrichten und die brüderliche Liebe verletzen,
indem sie die Leute von dem pflichtmäfsigen Gehorsam gegen ihre
unmittelbaren und gewissen Vorgesetzten abbringen*4 3; wenn so-
dann der Vorschlag gemacht wird, „im Gegensatz zu den beiden
päpstlichen Prätendenten die Einheit der Kirche auf einem der
drei Wege, Cession beider Päpste, Gehorsamsentziehung oder An-
wendung eines anderen erlaubten Zwanges, zu erstreben4: so
1) VrI. Th. Müller a. a. 0. S. 4 nach Barante, Histoire des
ducs de Bourgogne (Brüssel 1838), T. I, p. 61 ff. 87 ff.
2) Schwab a. a. 0. S. 97.
3) Gersonii op. T. II, p. 3C: Ad tollendam quorundatn in prae-
senti schismatt' pertinaciam improbitatemque nimiam, specialiter in
Flandrienses <so liest der Codex Casanatensis ; Dupin hat „in patria
Flandrensi4', was aber wohl ,.in parte Fland:onsi " gelesen werden
mufs>, qui <so der Cod. Cas. ; Dupin: si> pro incertis <so Cod. Cas.
Dupin: meritis> aut falsis assertinnibus suis ineptissima <so
Cod. Cas. ; Dupin: certissima> et pernitiosissi nia Schismata for-
mant et fraternam violant charitatem. dum homines ab
o 1) o e d i e n t i a d e b i t a superiortnu suorum i m ni e d i a t o r u in et
certorum retrahunt etc.: dignum duxi ... quaedaiu fundamentaliter
per me posita . . . proponere.
4) a. a. 0. S. 4A: „Salubrius. iustius et tutius est, quaerere uni-
tatem ecclesiae insistendo contra contendentes de papatu, et hic per
viam cessionis utriusque vel subtractionis oboedientiae
vel alterius licitae coactiouis, quam subditos per excomruuni-
cationis censuram vel aliter vexare seti turbare, aut quod una pars
christianitatis ab alterius communione pertinaciter separetur."
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TSCHACKEKT, EINE ANGEBLICH AILLISCHE SCHRIFT. 241
sprechen diese beiden Umstände dentlicb für das damalige bnr-
gondische Interesse Gersons. — Nehmen wir hinzu, dafs in nn-
serm Traktat die in Frankreich 1398 vollzogene ObÖ-
dienzentziehung nicht erwähnt wird, so dürfen wir die
Entstehung desselben vor diesem Ereignis ansetzen. Das Jahr
1398 wäre demnach der äufserste „Terminus ad quem" unserer
Untersuchung. Rückwärts aber werden wir nicht bis zu dem Jahre
1385, wo Flandern burgundisch wurde, zurückgehen dürfen, auch
nicht einmal bis zum Jahre 1394, weil damals Gereon noch auf
dem Standpunkte des Universitätsgutachtens stand l. Dann bleibt
nur die Zeit zwischen 1395 und 1398 übrig, in welcher der
burgundische Herzog, in dessen Diensten Gereon stand, seine das
offizielle Universitätsgntachten beiseite lassende Kirchenpolitik
trieb; möglich ist es weiter, dafs unsere Schrift 1396 oder
1397 entstand, als Gereon selbst durch seine Ernennung
zum Decbanten in Brügge auch persönliches Interesse an der
kirchlichen Haltung Flanderns hatte, und die vorhin angeführte
Stelle, worin er 6einem Unmut über die Flandrer, welche die
Leute „von dem schuldigen Gehorsam gegen ihre unmittelbaren
und gewissen Vorgesetzten abbringen", unverhohlenen Ausdruck
giebt, klingt allerdings so, als ob er nicht blofs für den Herzog
von Burgund, sondern auch für sich selbst spreche.
Danach dürfte die Schrift ohngeffthr in die Jahre
1396 oder 1397 gehören2.
Gegen diese Zeitbestimmung kann der Umstand sprechen, dafs
in dem Traktate zweimal „Neutrales" erwähnt werden, d. h. die-
jenigen Katholiken, welche sich weder für den einen noch für
den andern Papst entscheiden; aber daraus folgt noch nicht, dafs
eine solche Neutralitätspartei schon da ist; sie kann recht gut
nur hypothetisch gemeint sein, und der Gedanke an Substraktion
der ObÖdienz lag ja seit Jahren in der Luft.
Schwerer wiegt auf alle Fälle, dafs gerade gegenüber den
Flanderern, welche von der ObÖdienz des römischen Papstes ab-
1) Schwab a. a. 0. S. 126 ff. — Befs a. a. 0. S. 34f.
2) Schwab a. a. 0. S. 155 legt sie in das Jahr 1398 oder 1399,
und Befs folgt ihm in dieser Zeitbestimmung a. a. 0. S. 37. Schwab
begründet seine Ansicht aus dem ganzen Inhalt der Schrift im allge-
meinen und speziell aus dem Ausdruck „in patria Flandrensi '* ; aber
ob Gerson, der aus Gerson in Rethel stammte, Flandern sein Vaterland
nennen konnte, selbst nachdem er Dechant von Brügge geworden war,
ist zweifelhaft; ferner dürfte die Lesart Dupins, wie ich oben schon
angab, zu beanstanden sein; denn da der Cod. Casanatensis an dieser
Stelle „ in Flandrienses " liest, vermute ich, dafs in der Vorlage Dupins,
welcher oft fehlerhafte Lesarten bietet, die Worte „in parte Flandrensi'*
gestanden haben.
Z«it*chr. f. K.-O. XVU, l u. *.
lü
242
ANA LEUTEN.
gebracht werden sollten, die Neutralitätserklärung Frank-
reichs, welche, wenn sie bereits geschehen wäre, kaum hätte
verschwiegen werden können, nicht erwähnt wird.
Gehurt der Traktat danach in die Zeit vor 1398, so modi-
fiziert sich seine geschichtliche Bedeutung nicht unerheblich.
Die jB^eschlcht liehe Bedeutung des Traktates.
Mit Recht hat man die Selbständigkeit der Kirchenpolitik des
kühnen Herzogs Philipp von Burgund anerkannt; allerdings mögen
ihn die Interessen seiner Hauspolitik (nach dem Erwerbe Flan-
derns für Burgund) auf seinen eigenen Weg auch auf kirchlichem
Gebiete geführt haben; aber der Erfolg des Jahres 1398 sprach
doch für die Realisierbarkeit seiner Gedanken. Und gegenüber
den egoistischen Prätendenten des Papsttums waren Badikalmittel
durchaus am Platze: die streitenden Päpste sollten durch An-
wendung von Gewaltmafsregeln zur Herbeiführung der Einheit
der Kirche gezwungen werden. So berührten sich die Interessen
der burgundischen Hauspolitik mit denen der Gesamtkirche; und
für sie zu arbeiten war eine höhere Autgabe als dem Nutzen des
einen oder andern Prätendenten zu dienen. Auch gehörte mehr
Mut dazu, gegen den avignonischen Starrkopf Benedikt XIII.
Gewaltmafsregeln anzuraten, als, wie es Ailli gleichzeitig that,
von ihm sich reiche Pfründen schenken zu lassen. Es ist das
Verdienst Gersons, den schwächlichen Universitätsstandpunkt von
1394 verlassen und dem charaktervollen, energischen Programm
des Burgunders beigetreten zu sein. Dies beweist unser Traktat
Er hat weiter für das burgundische Programm in der öffentlichen
Meinung Propaganda gemacht und, wenn unsere Zeitansetzung
richtig ist, gerade durch diesen Traktat die Substraktion von
1398 vorbereitet
Von dem hier aufgestellten Programm, entweder Cession beider
Päpste oder Substraktion der Obödienz oder „Anwendung eines
anderen erlaubten Zwanges (altera licita coactio)
gegen sie" ist bis zu der Forderung der Absetzung eines
Papstes nur ein kleiner Schritt auf geradem Wege. So enthält
diese „ Determinatio " auch schon den Keim der Schrift Gersons
„De auferibilitate papae". Als dann 1415 — 1417 zu Konstanz
die Notwendigkeit eintrat, diesen Gedanken zu verwirklichen, ist
Gerson davor nicht zurückgeschreckt Im Zusammenhange mit
diesen späteren Thatsachen liefert unsere Schrift einen deutlichen
Beweis für die Charakterfestigkeit des Kirchenpolitikers Gerson;
sie enthält weit mehr als eine Anleitung zur „Beruhigung der
Gewissen der Einfaltigen"; denn sie ermutigt die Leser, mit den
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TSCHACKERT, EINE ANGEBLICH AJLLISCHE SCHRIFT. 243
streitenden Päpsten im Notfalle knrzen Prozefo zu machen. So ist
es auch schließlich geschehen.
Zum Schlüsse folgen hier die wichtigsten Varianten
des Codex Casanate nsis; sie beziehen sich auf diejenigen
Stellen, wo Du Pin anscheinend falsch liest.
Du Pin
(in Oersonii opera T. II, p. 3sqq.).
p. 3B: Titel: „Tractatus super
praesenti schismate " und
„Sententia de modo habendi
se tempore schismatis."
p. 3C: specialiter in patria
Flandrens}, si pro meritis ant
falsis assertionibus suis cer-
tissima et pemiciosissima
Schismata formant.
p. 4A: in schismate praesenti
tarn dubio.
p. 4A: neutrales etiam abso-
lutos.
p. 5A: quin etiam suppletis eis.
6 A : Altera pars conclusionis
patet
6 8 : singularitas in opinione
propriacontumaciteralios con-
demnans incomparabiliter vi-
detur esse periculosior.
6 B : nec oportet allegare iura.
6B: sententiis alligati.
7A: communiter loquendo.
7 B : ista diversitas.
7B: Am Schlüsse des ge-
druckten Textes steht eine
Strophe „Fac pacem" bis
„mi8erere sui".
P-
p.
P-
P-
P-
Cod. Cas.
. „Determinatio pro quieta-
tione conscientiae simplicium."
. specialiter in Flandrienses,
qui pro incertis ac falsis
assertionibus suis ineptissima
et perniciosa scismuta for-
mant.
. in scismate dubio.
. neutrales et {adversarios^
(Handschr. adu't'os).
. immo etiam praesuppositis
eis.
. Secunda pars patet.
. singularitas in opinione pro-
pria contumaciter alios con-
temnens et condemnans in
comparatione est periculosior.
. nec obstat allegare iura.
. sententiis obligati.
. consequenter loquendo.
. ista dubietas.
. Diese Strophe fehlt. Die
Handschrift endigt mit „inter-
secant et confundunt etc."
16*
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ANALERTEN.
Anhang:
Cber das tittttinger Initien- Verzeichnis.
Mitteilung des Herrn Kollegen Prof. Dr. Wilh. Meyer
(aus Speyer).
Dies wissenschaftliche Hilfsmittel hat Andreas Sc h melier
erdacht und ausgeführt. Zu seinen grofsartigen Arbeiten für die
Beschreibung des unschätzbaren Handschriftenschatzes in München,
welche Konrad Hofmann in der Denkrede auf Schmeller
(Münchener Akademie 1885, S. 24/6 und 29/36) skizziert hat,
gehört ein alphabetisches Verzeichnis der Initien d. h. der etwa
sechs ersten Wörter der selbständigen Schriftstücke oder Werke
in lateinischer Sprache (Kasten 357 — 398 von Schmellers Re-
pertoriun in München). Für dies Verzeichnis sind zunächst die
Münchener Handschriften ausgezogen worden, dann besonders die
verlässige Beschreibung der Wiener Handschriften von Denis
und der leider oft fehlerhafte Brüsseler Katalog. Nach dem Vor-
bild und zum Teil mit Hilfe des Schmellerschen Verzeichnisses
sind kleinere entstanden, so Wattenbachs Initien der Vaganten-
lieder, die Wiener Initia patrum, Chevaliers Repertorium hym-
nologicum. Als ich die Beschreibung der Handschriften in Preofsen
begann, erhielt ich von der Direktion der Königlichen Staats-
bibliothek in München in liberalster Weise die Erlaubnis, das
Initienverzeichnis kopieren zu dürfen. Die Kopie und eine Neu-
redaktion (ich machte z. B. aus Schmellers vier Alphabeten ein
einziges), sowie die Fortführung besonders aus den Göttinger
Handschriften, kostete viel Geduld und Zeit : allein diese bat sich
gelohnt und wird bei Fortsetzung der Beschreibung der Hand-
schriften sich noch vielfach lohnen; denn solche Fälle, wie der
obige mit der Schrift des Job. Gerson oder Petrus de Alliaco
werden sehr oft mit Hilfe dieses von Schmeller erdachten In-
strumentes schnell und einfach abgemacht Das von mir redi-
gierte Verzeichnis befindet sich augenblicklich in Berlin ; Göttingen
wird aber nächstens im Besitz einer vollständigen Abschrift sein,
so dafs dieses Verzeichnis manchen Dienst der Wissenschaft wird
leisten können.
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BORSEKT, SANGEKHAUSEN.
245
4.
Sangerhauseii in dem Brief Luthers vom
19. November 1521.
Vou
Dr. 6. Bossert, Pfarrer in Nabern.
Eine dunkle Stelle, um welche sich die Lutherforscher mannig-
fach bemühten, ist die Äußerung Luthers über Sangerhansen in
dem Widmungsschreiben Luthers an Graf Albrecht von Mansfeld
vom 19. November 1521, das er den Predigten von Christtag bis
Epiphanien, dem Kern der Winterpostille, voranschickte. (Erl.
Ansg. 7, 5. 53, 82. De Wette 2, 99.) Luther sagt dort nach
dem Urdruck: „,ßo genaw suchen die heyligen leut vrsach zu
lestern vnd schmehen, das sie auch vbir myr die frumen vn-
schuldigen leutt tzu Sangerhufsen der grentz halben nit haben
laugen vngeschendt lassen , ßo es doch noch vnuorvrteyllet ist,
ob Cuntz schmid odder der graw sperling erger ketzer oder katzen
sey." Was De Wette in den Nachtragen des dritten Bandes zu
2, 99, was Burkhardt S. 42 und Enders 3, 248 zur Erläuterung
der Stelle bieten, genügt nicht, um ein volles Verständnis zu
ermöglichen, und führt teilweise ganz irre.
Es ist daher nötig, das, was Luther über Sangerhausen sagt,
in seinen einzelnen Teilen festzustellen.
1. Die Stadt hatte einen Grenzstreit („der Grentz halben").
Doch ist nicht klar, ob es sich dabei um die Markung oder
Grenzen von Jagdrecht, Holzrecht, Fischrecht oder Parochialrecht
handelte. Ebenso wenig ergiebt sich aus Luthers Worten, mit
wem Sangerhausen den Rechtsstreit führte. Doch scheinen die
Grafen von Mansfeld in irgendeiner Weise dabei beteiligt gewesen
zu sein, da sonst Luther die Sache in dem Brief kaum erwähnen
würde Der Streit mufs einen ziemlichen Umfang angenommen
und Aufsehen erregt haben, so dafs in weiten Kreisen davon
gesprochen wurde. Auffallenderweise geben die bisherigen Dar-
stellungen der Geschichte von Sangerhausen kein Licht über den
Grenzstreit. Doch ist immer noch zu hoffen, dafs die Urkunden
der Stadt, die Batsprotokolle und die Stadtrechnungen bei ge-
nauerem Nachforschen Auskunft geben. Kennen wir einmal den
Gegner, mit welchem Sangerhausen zu streiten hatte, so wird
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246
ANALEKTEN.
man aach auf gegnerischer Seite noch Aufzeichnungen über den
Handel nachspüren dürfen. (Ob Herzog Georg von Sachsen?)
2. Klar ergiebt sich ans Luthers Worten ;,vbir myr", dafs
er eine gute Anzahl Anhänger in Sangerhausen hatte, welche
in der Stadt von Einflufs gewesen sein dürften und wohl im
Rate safsen, so dafs man sie für die Haltung der Stadt in der
Reformationsbewegung verantwortlich machen konnte. Von geg-
nerischer Seite aber fand man die Haltung der Stadt durchaus
begreiflich. Auf der Leipziger Disputation war es Ecks Bestreben
gewesen, Luther mit den Böhmen, „den Pickarden", welche den
Schrecken Norddeutschlands bildeten, in möglichst nahe Beziehung
zu setzen. Eifrig verschrieen ihn seine Gegner, wie Augustinus
Alveld, als Böhmen.
Nun aber stammte aus dem Eisleben, Luthers Geburtsort,
benachbarten Sangerhausen der Prophet der Thüringer Geifeler
Konrad Schmid. Dreimal erwähnt ihn Augustinus Alveld in
seiner dritten Schrift gegen Luther neben Wiclif und Hus (vgl.
die von De Wette 1. c. beigebrachten Stellen). Das zeigt, dafs
Ecks Licht in Leipzig nicht umsonst geleuchtet hatte. In den
altgläubigen Kreisen Sachsens brachte man 1520/21 die neue
Bewegung mit den alten in Zusammenhang. Man betrachtete
Sangerhausen als altes Ketzernest, von wo das Gift leicht nach
Eislehen gekommen sein konnte. So mochte Sangerhansen in
den Augen von Männern, wie Alveld, die Brücke bilden, um den
Beweis für jenen vermeintlichen Zusammenhang Luthers mit den
mittelalterlichen Ketzern für erbracht anzusehen. Für derartige
Geister kommt die Frage gar nicht in 'Betracht, ob Konrad
Schmid wirklich mit Wiclif und Hus in Verbindung zu bringen
sei. Ihnen genügt das gemeinsame Merkmal des Zerfalls mit
der Kirche. Doch scheint Alveld Schmid als Vorläufer von
Wiclif und Hus zu betrachten, denn es ist gewifs nicht zufällig,
wenn er die Ketzerhäupter der letzten Jahrhunderte in folgender
Ordnung aufführt: Kunz Schmid von Sangerhausen, Job. Wiclif
und Job. Hus.
3. Aus Luthers Worten ergiebt sich, dafs die Äusserungen
Alvelds über Sangerhausen auf einen fruchtbaren Boden fielen
und von den Gegnern der Stadt verwertet wurden, so dafs der
Rechtsstreit wegen der Grenze eine ungünstige Wendung nahm.
Man mufs annehmen, dafs die Stadt Sangerhausen nunmehr bei
den Richtern in ein schlimmes Licht gestellt wurde, wobei unent-
schieden bleiben mufs, ob die bischöfliche Kurie, das Reichs-
kammergericht oder ein anderes weltliches Gericht in der Sache
zu entscheiden hatte („vbir myr — nit vngeschendt".) Wenn
Luther die Sache in seinem Schreiben an den Grafen Albrecht
von Mansfeld erwähnt, so kann ihn nur die Absicht leiten, den
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BOSSEßT, SANGERHAUSEN.
247
ungünstigen Einflute, welchen die Ausstreuungen Alvelds auf den
Rechtsstreit ausgeübt, zu beseitigen, indem er sich an den dem
Evangelium geneigten Grafen Albrecht wandte.
4. Nunmehr sind wir auch in der Lage festzustellen, wer
der graue Sperling ist, welchen Luther Konrad Schmid gegen-
überstellt. Burkhardt bat auf den sonderbaren Heiligen des
Franciskanerordens „Kurt Eierflicker", Konrad Milianus, einen
Schüler des h. Franciskuß, geraten, und Enders ist ihm in dieser
Deutung gefolgt. Aber unwillkürlich fragt man sich, was denn
dieser Heilige in dem Zusammenhang von Luthers Worten soll.
Irgendeine Ideenverbindung mufste doch bestehen. Auch die
Wunder des Eierflickers passen nicht hierher. Je näher man
nachdenkt, um so mehr erkennt man, dafs Burkhardts Deutung
auf ein totes Geleise führt, wo man nicht weiter kommt.
Offenbar hatte ihn ein richtiger Gedanke zu weit geführt
Er hatte ganz richtig erkannt, dafs Luther mit dem grauen
Sperling ein Mitglied des Franciskanerordens meint. Aus Luthers
Tischreden wissen wir, dafs die Tracht der Orden Anlafs gab,
sie mit Tieren zu vergleichen. Die Dominikaner wurden teils
mit Elstern teils mit Schwalben verglichen, die Franciskaner mit
Sperlingen. Erl. A. 60, 342. Tischreden n. d. Aufzeichnungen
Schlaginhauffens ed. Preger S. 136, n. 532, wo Preger die An-
spielung auf die Franciskaner (vgl. das Register) übersehen hat.
Aber offenbar ging nun Burkhardt einen Schritt zu weit, indem
er annahm, Luther wolle dem einen Konrad einen andern gegen-
überstellen, und suchte in dem Franciskanerorden einen Konrad,
der sich etwa hierherziehen liefse. So geriet er auf den heil.
Konrad. Ihn in den Verdacht der Ketzerei zu bringen hatte
für Luther keinen Zweck. Für ihn ist die Frage, ob es denn für
Sangerbausen nachteilig sein könne, dal's es die Ueimat des Konrad
Schmid sei. Gerade auf der Seite, auf welcher man Sangerhausen
damit zu belasten suchte, sollte man vorsichtig sein. Denn
möglicherweise konnte sich „der graue Sperling" als viel grösserer
„Ketzer" erweisen als Konrad Schmid. Jedermann erkennt, dafs
Graf Albrecht von Mansfeld niemals an den h. Konrad denken
konnte, als er Luthers Brief las. Dagegen mufste ihm alsbald
klar werden, dafs der graue Sperling, den Luther meinte, kein
anderer sein könne als der Franciskaner Alveld, der im Streit
mit Luther immer wieder auf Konrad Schmid hingewiesen hatte.
Dafs Lutber Alveld als einen gefährlicheren Ketzer ansehen
konnte, als Konrad Schmid, wird niemand bezweifeln. Für ihn
stand der Romanist Al?eld dem Worte Gottes viel ferner als
der wahrscheinlich ihm noch näher bekannte Schmid. Ketzerei
aber war für Luther jede Abweichung von Gottes Wort. Die
Deutung auf Alveld ist so naheliegend, dafs man fragen möchte,
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248
AXALEKTEN.
wie Burkhard so in die Ferne schweifen, wie der vorsichtige
Enders ihm folgen konnte. Aber manchmal sieht man den Wald
vor lauter Bäumen nicht
5.
Wiedertäufer in Schwaben.
Von
Christian Meyer.
Der unten folgende, bisher ungedruckte und unbekannte Be-
richt 1 behandelt das Wiedertäufertum in der Stadt Augsburg
und ist deshalb auch von einer über das blofse lokale Interesse
hinausgehenden Bedeutung, weil jene Stadt der Mittelpunkt für
die wiedertäuferischen Unruhen gewesen ist Nicht ganz zufallig.
Fast unmittelbar nach dem Bauernkrieg entspannen sich hier die
Faden eines weitverzweigten Gewebes. Es ist nicht mit Bestimmt-
heit zu sagen, ob Dr. Balthasar Uubmair auf seinem Wege (seiner
Flucht?) von Eonstanz nach Mähren zu Anfang des Jahres 1526
in Augsburg einen längeren Aufenthalt genommen hat. Wahr-
scheinlich ist es, schon deshalb, weil sein Geburtsort Friedberg
nur eine Stunde von Augsburg entfernt liegt. Auch der mit
Hubmair von Waldshut aus eng verbfindete Jakob Grofs kam um
dieselbe Zeit nach Augsburg. Ein weiterer Führer der wieder-
täuferischen Bewegung, Ludwig Hetzer aus Bischofszell, soll schon
im Jahre 1524 mit Empfehlungen Zwingiis nach Augsburg ge-
kommen und mit dem reichen und angesehenen Bürger Georg
Kegel in engere Verbindung getreten sein. Eine im gleichen
Jahre veröffentlichte Schrift widmete er dem Augsburger Bürger
Andreas Bosner; eine zweite wurde 1526 in Augsburg gedruckt
Jedenfalls befand er sich im Sommer 1527 in Augsburg und war
neben Denk und Hütt ein eifriger Verbreiter wiedertäuferischer
Grundsätze, bis er sich nach Donauwörth, vielleicht zu Sebastian
Frank, wandte und dann nicht mehr nach Augsburg zurückkehrte.
1) Entnommen dem Cod. geim. nr. 1355 der Münchener Hof- und
Staatsbibliothek.
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MEYER, WIEDERTÄUFER IN SCHWABEN.
249
Hans Denk war, aof Veranlassung Oslanders von Nürnberg, wo
er als „Schulmeister" gewirkt hatte, ausgewiesen, nach Augsburg
gekommen und hatte hier schon im Mai 152G an Hans Hütt die
Wiedertaufe vorgenommen. Dieser letztere hielt sich damals nur
wenige Tage in Augsburg auf; Anfang Marz 1527 kam er zum
zweitenmal dahin und wohnte diesmal bei dem Patrizier Eitel
Hans Langenmantel und bei dem Nestler Konrad am Obstmarkt.
Diese beiden taufte Hütt um diese Zeit, ebenso den Münchener
Sigmund Salminger, einen ehemaligen Klostergeistlichen, und dessen
Ehefrau.
Im August 1527 ergriff der Rat der Stadt Angsburg, nach-
dem er schon länger das Treiben der zahlreichen Wiedertäufer
oder Gartenbrüder 1 aufmerksam verfolgt hatte, die ersten Sicher-
heitemafsregeln gegen dieselben. Die Leitung der peinlichen
Untersuchung gegen die Wiedertäufer — diese gewifs ebenso
schwere als schmerzliche Pflicht — war dem berühmtesten Rechte-
gelehrten Augsburgs, Dr. Konrad Peutinger, übertragen. Es ist
eine der wichtigsten Arbeiten, der er sich noch in den letzten
Jahren seiner amtlichen Thätigkeit unterzog.
Der erste Wiedertäufer, der im August des Jahres 1527 ein-
gezogen wurde, war vermutlich Hans Kießling, ein Maurer aus
Friedberg. Von ihm erfuhr man die übrigen Mitglieder der
Täufergemeinde, die dann alle, wie man ihrer habhaft werden
konnte, als eine „böse Faction" — wie sie Peutinger nennt —
eingezogen wurden.
Unter den in dieser ersten Zeit gefänglich Eingezogenen be-
fand sich auch der ehemalige Augustinermönch von S. Anna,
Jakob Dachser *. Schon am folgenden Tage (26. August) hatte
er ein Verhör zu bestehen und sollte anzeigen, ob die Vorsteher
der Wiedertäufer noch in Augsburg seien. Seine Aussagen auf
diese wie andere Fragen sind nicht bekannt. Gewifs ist nur,
dafs Hans Denk und Ludwig Hetzer entweder schon vorher die
Stadt verlassen hatten oder sogleich auf die Verhaftung Dachsers
1) So genannt, weil sie ihre Zusammenkünfte meist in Gärten
hielten. Ob die Angabe des Augsburger Chronisten Clemens Sender, es
seien an 1100 Menschen in Gärten zusammengekommen, um sich wieder-
taufen zu lassen, nicht zu hoch gegriffen ist, lasse ich dahingestellt.
„Die frawen" — fügt derselbe Chronist bei — „wann sie getauft wur-
den , legten sye nider wadt an wie die man, dati man ir schäm nit sech,
sunst wassen sye gantz nackent."
2) Sender berichtet, dafs dieser „biß an das 3. jar in eysen ge-
legen14. Dann fährt er fort: ,,er hat seine junger gelernet, die armut
zu halten, und nachdem man in gefangen hat, hat ain rat sein haus
gesuchen lassen; da hat man ain volls haus gefunden mit allem dem,
das darein kert, und mit klaydungen, kleinoden und Silbergeschirr gantz
reich
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250
ANALEKTEN.
bin. Hans Hütt kam jetzt, Anfangs September, zum drittenmal
nach Augsburg und wurde zugleich mit Jakob GrcTs, einem
Kürschner von Waldshut, am 15. September bei einem Weber
an der Mauer gefangen genommen. Auf sein Verhör hin wurde
eine grofse Anzahl anderer Taufgenossen eingezogen, unter diesen
auch Sigmund Salminger. Somit waren alle Häupter in der Ge-
walt des Bates, nur Denk nnd Hetzer waren entronnen.
Zwei Männer sind es, welche in dem unten folgenden Bericht
eine Hauptrolle spielen: Hans Eitel Langenmantel und
Hans Hütt
Eitel Hans Langenmantel war der Sohn des Augsburger
Bürgermeisters Hans Langenmantel, verlor jedoch den Vater schon
frühzeitig. Nach einer nur knrz bestandenen Ehe begab sich
Eitel Hans nach Frankreich, wo er ein ziemlich lockeres Leben
geführt haben soll. Gleich nach dem Bauernkrieg treffen wir
ihn wieder in Augsburg, und zwar als einen der eifrigsten An-
hänger Hütts. Ein streng religiös -sittliches Leben ist von nun
an sein innerstes Bedürfnis. Noch viele andere sind durch das
Wiedertäufertum von einem lockeren Lebenswandel zu Ernst und
Bufse geführt worden: er ist ohne Zweifel denselben Weg ge-
gangen. Als Grund, warum er sich habe wiedertaufen lassen,
führt Langenmantel an: „Dieweil die newen predicanten zu Augs-
burg, als meister Michel, Hansen Frosch und ander selbs durch
nnd mit einander zwiespaltig, einer Christum, der ander das oll
oder schmalz, auch liechter nit gebraucht und genommen, hab er
sich im namen gottes vater, gottes des suns und gott des hailigen
geists widertaufen lassen.'* Er wurde gefangen gesetzt 1 und vor
den Rat gefordert, um daselbst mit den lutherischen Prädi kanten
zu disputieren. Er widerrief sogleich seine Wiedertaufe und er-
kannte die Kindertaufe für recht an. Nnn wurde er aus seiner
Haft befreit, mufste aber die Stadt auf unbestimmte Zeit ver-
lassen. Da er aber auch an seinem neuen Aufenthaltsort (Lei-
tershofen bei Augsburg) fortfuhr, Anhänger für seine Lehre zn
werben, so wurde er am 24. April 1528 von dem Hauptmann
des Schwäbischen Bundes, Diepold von Stein, mit seinem Knecht
und seiner Magd neuerdings gefangen genommen, nach Weissen-
born abgeführt und hier samt den Knechten am 12. Mai ent-
hauptet, die Magd aber ertränkt. „Sie alle haben widerrufen
und sind im rechten Glauben gestorben" — fügt Sender bei.
1) „Es ist auch gefangen worden" — berichtet Sender — „von
den 4 statknechten Eytel Hans Langenmantel in seinem aygnen bans.
Der ist oberherr yber die widertäufer gewesen. Der hat das podajira
heftig, da satzten in die statknecht auf ain roB und fürten in in die
eysen."
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MEYER, WIEDERTÄUFER IN SCHWABEN
251
Hans Hütt war beheimatet zu Hain bei Grimmenthal und
vier Jahre Kirchendiener in Bibra gewesen. Nach dem Auf-
kommen der reformatorischen Ideen betrieb er im Herumziehen
einen Handel mit Flugschriften. Bei dieser Gelegenheit traf er
im Jahre 1524 zuerst in Weilsenfels mit Wiedertäufern zusammen.
Später trat er in nahe Beziehungen zu Thomas Münzer, reiste
dann längere Zeit in Süddeutechland und Österreich hemm, Aber-
all predigend, taufend und Anhänger werbend. Auf diesen Keisen
traf er auch mit Dr. Balthasar Hubmair genannt Friedberger
(von seinem Geburtsort bei Augsburg), der später in Wien ver-
brannt wurde, zusammen. Bei seiner dritten Anwesenheit in Augs-
burg wurde er gefangen gesetzt und bestand mehrere peinliche
Verhöre. Sein Ausgang wird in dem unten folgenden Bericht
ausführlich erzählt „Es haben" — erzählt Sender — „ihrer
viele seinen, wie sie sagten, unschuldigen Tod beweint, und da
man ihn verbrannt hatte und die Asche in die Wertach gestreut
worden war, sind die Leute von seiner Sekte an den Ort der Brand-
stätte gegangen, haben die Asche, die noch vorhanden war, samt
dem Erdreich zusammengescharrt und für Heiligtum am 7. Tag
Dezember (1527) in die Stadt Augsburg getragen."
Wir lassen jetzt den Bericht selbst sprechen.
•
Aigentliohe besohreibang der handlangen, so sieh
mit den widertenfern zu Augspurg zugetragen und
werlanfen hat, wie volgt.
Wie zw Augspurg und an andern vil orten eiu grosser irsal,
irmng und Spaltung im glauben auferstanden den widertauf be-
langen!.
■
Anno 1527 jar, am frieling, kamen etliche frembde man her
ghen Augspurg, die khamen zu etlichen webem und sunst an-
dern leuten und prodigeten inen in iren heusern und künden vil
sprich aus der hailigen Schriften und sagten, sy weren von gott
gesandt, und hielten für, wie der kinder tauf nichts were, man
miesse sie wiederumb taufen lassen. Darauf zohen sy vil Schriften
ans dem alten und neuen testament, sagten von nachvolgung im
creuz und nachfolgung Christi und briederlicher liebe. Es sagten
auch etlich under inen, wie alle ding selten gemein seien; doch
hielten das der wieniger thail derselben. Und wiewol sy under
einander auch vil guts dings sagten, so theten sy solich ir ding
also baimlicher weis, das werde aber sich also heimlich ausbreiten,
daß einer dem andern dazu saget Und khamen also bey nacht
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252
AXALEKTEN.
und am morgen gar frue in heusern, auch in gärten zusameu,
predigeten und tauften einander. Das triben sy also ain kleine
zeut, daß ein ratb nichts darum b west Doch ward ain rath
soliches gewar nnd beschickt die, so also in heusern zusamen
komen, und befraget sy, was da gehandlet wurde: die zeigten
an, wie sy nichts theten dan das evangelium lehren, redeten dar-
von und underwisen einander im wort gottes; und welicher dan
das wort gottes bericht were und dem Herren im creuz und lei-
den, was iine der Her auflegte, willigelich nachzuvolgen und
tragen wolte, auch allen menschen guet thon, der mecht sich
lassen zeichnen, und wer das zaichen, daß sy mit einem wasser
ainem ein creuz an die stiroe machten. Und das ding nam gar
vast under dem gemeinen man zu, daß, wo ein rath nit darein
gesehen, in kurzer zeut der mebrer theil des gemeinen volks der
secten wem angehangen nnd vertiert worden. Den es zog sich
all ir ding auf vast grosse hilf, daß jederman dem andern thon
solt aus briederlicher liebe. Und wo nit zu besorgen gwesen,
daß ander ding dahinder gesteckt, so mecht bei dem gemeinen man
nichts änderst gedacht sein, die sach were £anz gnot und recht.
Sobald aber ein rath oder die bnrgermeister sich der Sachen
erfarn und gewar wurden, wer dieselben herkommen leut waren
und daß sy vor an den orten, da man das wort gottes lauter
prediget, vertriben und nendert gedult werden mochten, allain
von ires fürnemens wegen, da gebot ein rat denselben, so solich
leut gehauset haben, daß sy soliches abstenden , solicher und der
gleichen leyt miessig ghen und nit herbergen solten; das sy zu
thon zusagten.
Des gleichen Hessen die bnrgermeister dieselben frembden, so
vil man da erfaren und ankörnen mocht, beschicken und für sy
bringen; da ward gesagt, daß sy sich solten aus der statt thon,
ire pfening nit hie verzern; dan wa sy weiter zn Aogspurg be-
treten oder erfarn wurden, so wurd änderst mit inen gehandlet;
das sagten sy auch zu thon zue.
Und seind das die, mit denen geredt worden ist, des dings,
auch der frembden Winkelprediger und widerteufer miessig zu
sten: Gall Viecher, weber, Kisling, maurer, Eytel Hans Lange-
mantel, ein krank man, Endris Widholtz der hucker Zunftmeister,
Laux Vischer, Hafner, der zimerleut Zunftmeister.
Und auf soliche handlung versach sich ein raths nichts än-
derst dan daß soliches gar gestilt sein solte. Da belieben aber
dieselben frembden hie und wurden also vom volk heimlich ent-
halten, selten mehr dan ain tag oder nacht an einem ort. Und
hielten wider bey nacht und tag in gärten und an andern orten
versamlungen, dafs vil volks zusamen kam. Des ward ain rath
wider gewar. Und an einem suntag frue ließ ein rath dem Gall
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MEYER, WIEDERTÄUFER IN SCHWABEN.
253
Viseber, weber, in sein baue fallen: da wurden gefanden bis in
60 personen, man und weib, aueb etliche der gesellen, denen
vor die burgermeister die statt selber under äugen verpoten hot-
ten, die sieb vorsteer nennten der cbristenlichen gemein. Nemlich
einer biesse Hans Huet und einer Jacob Kirschner, was auch ein
kirschner; die wurden gefangen und in die eysen gelegt, die an-
dern aber muesten geloben, dafs sy sich für ain rath stellen
gölten; das tbaten sye.
Als sy sich nun stelleten, Hesse sy ain rath alle hinein und
ward ain jeder gefragt, ob er tauft were und von wem. Da
erfand sich, daß der mehrer thail wider getauft was; die Hesse
man an ain ort sten, und die so nit wider getauft waren, auf
ein ander ort.
Und ward inen also rurgehalten erstlichen denen, so nit wider
getauft waren ond doch bey den winkelpredigen gewesen warn:
nemlichen welicbe wolten geloben, daß sy das dings wolten ab-
sten und hinfüro miessig gben, sich weiter nit taufen lassen, so
wolt sy ain rath zu gnaden aufnemen; das that derselben der
mehrer thail.
Darnach ward denen, so wider getauft worden, gesagt und
mit ernst fürgehalten : ain erbar rat hette und hielt mit ganzem
grund darfür, daß solicher widertauf wider gott were und sy
betten also wider gott und einen erbaren rat getban, und hett
ain rat erkannt und also angesehen, daß sy solten schweren ain
ayd zu got dem allmechtigen, daß sy ir leib und guet nit wolten
verkeren oder verendern ohne aines raths wissen und willen.
Zum andern: daß sy hinfüro solicher Sachen miessig stan und
nit mehr zu solichen winkelpredigen und rottierungen gen und
was an solichen Sachen hieng miessig ghen solten.
Als nun denselben getauften solichs ward fürgehalten, da
waren ir etlich under inen, die sagten, sy wolten nit schweren,
und als sy gefragt wurden , warumb sy nit schweren wolten,
sagten sy, ir gaist sagte in nit, daß man solt ayd schweren, es
stunde auch in der sebrift, man solt mit nichten schweren; und
dergleichen sagten sy gar vil. Dagegen ward inen vast vil
gueter dings gesagt, aber under inen warn etlich, die warn gar
halssterk und beliben stetz für und für auf irer meinung. Da
ward ein rath bewegt und Hesse alle die fordern , die wider ge-
tauft worden, und in die rathstuben kommen. Und ein rat hette
vor darzu auch verordnet die vier predigkanten, so das evan-
gelium predigen, nemlich doctor Urban Begium, doctor Steffan,
doctor Hans Frosch und maister Michel, die zeigten inen durch
die heilig geschrift an, daß sy irten und der widertauf wider gott
und die sebrift were, auch der kindertauf recht were. Dargegen
beliben sy auf irer meinung, dafs der kindertauf nit recht were,
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254
ANALE K T EN.
Sündern man miest sy wider taufen lassen. Und werdt solich
gesprech etwan wenige stund; es half aber wienig an inen. Es
ward auch da gepraucht, daß man der oberkayt schwern solt:
die halsterigen aber harten stetz für und für auf baider mainung*
des widertaufs und schwerens halben.
Also nach vil gehabter mie und arbayt, so ain rath gehabt
aus treyem mitleyden, kunt doch ein rath nit hinumb und ließ
sy fragen, weliche schwein wolten, die solten in ain andern
stuben ghen und warten, was ein rath mit inen weiter handien
wurde. Da stunden der mehrtbail an ain ort und erbuten sich
zu schweren. Under denselben war des Hegels weyb, von ir
gepurt ein Manlichen, und Laux Miller, ein kaufman, und sein
weib und Alexander Wirschings weib, ein Meyerin von geburt,
sunst gar nichts von namhaftem volk: die schwuren zulest
Die andern, so man in die stuben geschafft hatte, Hesse sy
ein rath nochmalen gar treulich warnen und underweisen. Und
als gar nichts half, da ließ sie ain rath alle aus der statt fieren
und verbot inen die statt. Da stelleten sy sich, als ob inen
gar nichts daran lege, und trösteten ainander. Und waren der-
selben pershonen bis in die 40 und verHessen also weib, man
und kinder.
Nach solichem allem ließ ein rath za Augspurg ein beruef
ausgcn und den öffentlichen anf allen pletzen beriefen: daß
meniglich solt gewarnet sein, sich vor den widertauf nieten
und sich nit wider taufen lassen, auch ir rottierung und
winkelpredigens miessig sten in all weg, auch der winkel-
prediger oder der widerteufer keinen weder behausen noch hofen,
auch weder essen noch trinken geben, sunder solicher leut und
des handels gar ab und miessig sten: dan wa ein rath soliches
erfier, gegen denselben mechte ain rath mit ernstlicher straf
handien; darnach solt sich menigklich wissen zu richten, mit
mehren anhang.
Auf soliches belib ein kleine zeut ansten, daß es des dings
halben still was. Und doch kam Hans Hut und der Kirschner
Waltzhudt, denen vor die statt durch die purgermeister verpoten
Warden, wider herein und kamen gen dem Eytelhans Langen-
mantel. Der was ain ganz krank man und kunt nit ausgen.
Den überredten sy auch, daß er sich Hesse taufen. Sy kamen
auch gen den Endris Widtholtz, der Hucker zunftmaister, und
Laux Haffhern, der zimerleyt Zunftmeister, und gen dem Gall
Vischer, ain weber, und gen dem Hans Kisling, ein maurer und
wirt. Das ward ain rath innen und Hesse der Langenmantel und
bede Zunftmeister, Gall Vischern und Kieling rohen, und nach
langer handlung verbot man inen die statt Und Eytel Hans
Langenmantel kauft zu Leytershofen ein heyslin, da aas er etliche
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MEYER, WIEDERTÄUFER IN SCHWABEN.
255
wuochen, wie dan hernach volgen wirt. Weiter aber der wider-
taufer ward kainer betreten.
Das stond aber etlich wuochen an, fieng sich wider an in des
Gall Vischers haus. Das man aber mit den dingen rottiert, doch
haimlicher weyse, das wurd ain rath aber gewar, und an ainera
sontag frue fiel man in Gall Vischers haus und fieng vil persbonen,
darunter auch Hans Hütt und den Jacob Kürschner, die waren
vorsteer und Wiedertäufer, und leget sy alle in die eyBen.
Darnach liefs ain rath fragen, welich tauft worden oder nit,
und weliche nit getauft waren, niufsten hinder ain rath schwern,
daß sy hinfüro solichs sollen miessig stehen. Die andern aber,
so nach dem beruef getauft send worden, die muesten hinaus aus
der statt schweren offenlich bey der rathstiegen und wurden hin-
ausgefiert und bekennten, dafs sy unrecht gethan betten; der
warn vil. Und aber die, so nit schweren wolten, die wurden mit
rueten ausgehauen; dem warn auch vil.
Und die sich in diser Sachen ungeschickt vor den andern
gehalten, auch des dings noch stetz waren und nit absteen wol-
ten, die wurden etwan vil auf die bagken mit ainem kreitzlin
gebrent und gezeichnet, und besunders die sich auch zu schwern
widerten und redlinfierer waren.
Ks ward auch gefangen herr Jacob, etwan ain priester, auch
ain vorsteer gewesen und ain widerteufer. Und fieng auch ainen,
hiefs Sigmund Selminger, war ain minich gewesen, auch ain vor-
steer und ain taufer; die wurden all nach notturft gefragt,
was sy für anschleg bei in hetten. Und vermaint ain rath an
den Vorstehern vil zu erkundigen, auf was bieberei sie legen und
umbgiengen, aber es fand sich nichts änderst, dann daß sie von
dem evangelium redeten und dafs sie vermainten, der widertauf
recht und guot sein. Also erkannt ain rath, daß man die vier
solt behalten. Das waren Hans Hütt, Jacob Kirschner, das
pferTlin herr Jacob und Sigmund Salminger ain minich gewesen.
Und als die vier nun etliche wochen gelegen und gleich wol
etlich kundtschaften komen von den orten, da Hans Hütt gewohnet
hat, mit was Sachen er umbgaugen, die zur aufruor in der bau-
ren aufruor gedient und wol nit guot waren, die er Hütt auch
bekant, und wie er besorget, er hett im zu vil gethan und man
wurd gegen im handien, da bracht er ain butzen oder ain liecht
zuwege, das wicklet er in hader und machet ain grossen rauch
und ward vast schreyen und vermaint, wan der eysenmaister
kam und den rauch secht, so wolt er sich krank stellen, so
wurde der eysenmeister vast eylen, im die ketten aufthun; so
wolt er den eysenmaister erwürgen und die schlissel nemen und
im selber aushelfen. Das ward im aber zu lange weren, dann
der eysenmaister war lang aus und das fem* gar zu vil überhand
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25<;
ANALKKTEX.
uam. Und wilt der eysenmaister allain nit zu ime, wecket die
stattknecht auf und kam erst, da der rauch so grofa im gewelb
worden, daß Haus Hütt gar genach erstickt was und krank her-
ausbracht und mit muhe zu im selber kam. Da leget man in in
ain stiblen und tbet leit zu im; da sagt ers, warumb ere gethan,
und lag also etliche tag und starb. Da nam man in und macht
ain stuol, darauf setzt man in also todter und fuert in heraus
und thet ain beruof über in. Darnach fuort man in hinaus zu
der haubtstatt, da verbrandt man sein todten kerper. Und er war
in seinen klaidern angethan und saß gleich als schlief er. Die
andern ließ man gelangen ligen.
Und darnach am aftermontag im 1528. jar da war abermals
ain solche versamblung, da ergriff man sie bei ainander und fieng
sie alle, jung und alts, und fuertens die stattknecht allwege vier
mit ainander in die eysen, und ward das bans dieweil bewaret
Das trieb man, bis man sie all in die eysen bracht. Dern warn
gar vil, darunter waren vil bayrischen bauren und andere banren:
die wurden am morgen hinaus gefuert und die statt verboten:
die andern, so nit getauft und getauft waren, die wurden gehal-
ten, wie hie vor auch geschriben ist; doch welche nit wolten
schweren die wurden mit ruoten ansgehauen.
Und under denen, so am ostertag also bei einander gefunden
worden, da ward auch gefunden und gefangen ain Schneider, hieß
Hans Leupoldt, der war ain taufer und ain Vorsteher und hat vil
Versandungen zusamen beruofen lassen; und er war auch zu Augs-
purg vormals hinaus gefuert worden und hat auf dem land gar
vil paursvolks in den tauforden bewegt und sich selber getauft
und des herren nachtmal den leiten geraicht. Demselben Schnei-
der ward der köpf auf der haubtstatt abgeschlagen.
Darnach nit lang nach ostern da kam Diepuld von Stain dem
Eytel Hans Langenmantel bei der nacht für sein haus zu Leyters-
hofen mit ainem raisigen zeug, den der schwebisch bund zu der-
selben zeit hett. Und Diepold vom Stain war derselbigen
bluotigen häufen haubtman. Der fieng den Langenmantel und
sein magd und ain halbgewachsnen jungeu, der war sein
knecht, und fuerten sie also gefangen und gebunden gen Bobingen
und von dannen geen Weisenhorn. Daselbst lagen sie etlich tag,
darnach liefs im der bluotige haubtmann den köpf abschlagen, des-
gleichen dem jungen menschen, seinem knecht, und die uiagi
liefs er ertrenken. Und thet das ohn alle recht, das sie kain
recht über sie erfordert, noch urtel über sie gesprochen ward,
wiewol derselb bluotige haubtmann saget, im hets der bund be~
volchen. Und hat sich über das gar nit erfunden, daß der Lange-
mantei kain taufer noch vorsteer gewesen, und nachdem als er
getauft worden ist, darumb er dan zu Augspurg schwerlichen ge-
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MEVER, WIEDERTÄUFER IX SCHWABEN
257
fangen gelegen and ime darnach die statt verboten, das ist seines
Vaterlands, seins haus beraubt sein miessen, und dann also Ver-
stössen nnd schwerlichen, wie gehört, gestraft worden. Item es
hat sich auch erfunden, daß er nach solicher straf, so in zu
Augspurg auferlegt worden, solich widertaufer und dergleichen
leit gar nit gebaust noch gehoft hat, sunder ist also umb ein
sach zu zwaymalen hertigelichen gestraft worden, das dann wider
alle recht und billicbayt ist Es weist auch ein jeder recht
verständiger wol, was es für ain straf ist, wan einem, so in hab
und guet und hansheblichem wesen sitzt, sein Vaterland, statt
oder land verboten ist, besonder dieweil er auch sunst vor und
nach der Sachen von menigelichen, so in gekant haben, für ain
frumen redlichen man gehalten worden ist. Soliche straf werden
bey den verstendigen neben leyb- und lebenstraf gehalten, aber
das alles ist an dem frumen redlichen und ganz kranken man,
der weder gebn noch stehn, allain hat liegen miessen und mehr
den ain jar also krank gewesen, nit angesehen, sunder ime un-
recht geschehen. Gott hab in in seinem bevelcb, amen!
Item nach solchem allem und gar vil mer gehandleten sachen
nach längs zu schreiben nit not und gar zue lang were, und be-
sonders so man auch die sach des widertaufens und garten predi-
gens ab. Da redet ein wolversambleter rath darvon, was den,
so sich in aines erbarn raths strafen geben beten und von einem
rath also angenomen weren, für straf solt aufgelegt werden. Und
ward also beschloßen, daß dieselben personen, so vormals hinder
ain rath geschworen haben, solten für die steurherren gefordert
und komen, die solten gestraft werden, nemblich ain jeder
haushebige umb zwuo steur, was er nechst hievor versteurt het,
und das jung volk iedes nach gelegenhait. Dasselbe gelt ward
zusamen gelegt und in das spital zu dem heiligen gaist geben
den armen an den bau. Dann es war ain großer notturftiger
bau desselben jars vorhanden und wolt das fachwerk eingefallen
sein. Und ein rath hat von disem gelt gar nichts behalten.
Item es waren auch etliche namhafte personen aus der statt
Augspurg gewichen und gen Nürnberg und gen Straßburg kommen,
die auch in diesen sachen befleckt waren. Sy hatten aber geld
genug und schlugen in sich selber, und kamen ire freind mit
suplication für ain rath, die waren so ganz cleglich gestelt, daß
sy erbärmlichen zu hören waren. Darin betonten sie, daß sy
unrecht gethan gegen gott und ainem rath und wisten, daß so-
lichs ain irthumb und unrecht were, und böslich vertiert worden
weren; wolten auch solichs nit mehr thon und von solich und
allem, was daran hang, hinfüro absteen und miessig gebn, und
sunst gar vil mehr anhengs. Und was die erst, so soliche tref-
fenliche bekentnus thet, des Wilhelm Muntzen weib und aino
ZMUchr. f. K.-G. XVII. 1 o. !. 17
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258 AKALEKTEN.
witeb, beist die Lorenz Krafterin. Die wurden gewert von einem
rath nnd wider eingelassen mit der erst bievor gemelten straf.
Darnach wurden vil mer personen, weib nnd man, auch begnadt
nnd wider eingelassen auf ire wirkliche bekentnus nnd wider-
ruefen.
6.
Über einen römischen Reunionsversuch
vom Jahre 1531.
Von
D. Th. Kolde in Erlangen.
Über eine sehr eigentümliche Episode der deutschen Refor-
mationsgescbichte berichtet J. Schlecht in seinem Aufsatz: „Ein
abenteuerlicher Keunionsyersuch " in der Römischen Quartalschrift
1893, 8. 333 ff. Dafs der Papst nach dem Scheitern der Augs-
burger Ausgleichsverhandlungen und der Gründung des Schmal*
kaldischen Bundes geheime Unterhandlungen mit den Protestanten
pflog, ist bekannt1. Benrath hatte auch bemerkt, dafs der in der vene-
tianischen Reformatioimgeschicbte eine Rolle spielende Bartolomeo
Fonzio um jene Zeit einen geheimen Auftrag des Papstes hatte
und in Augsburg Einflute gewann *. Auf der andern Seite hatte
Ludwig Pastor 8 auf einen andern Unterhändler hingewiesen, von
dessen Treiben der kaiserliche Geschäftsträger in Rom, Mnscettola,
am 30. Nov. 1531 an Kardinal Loaysa berichtet4. E3 war ein
mailändischer Kaufmann, wie wir jetzt wissen, Rafael de Palazzolo,
identisch mit dem in einem Brief Muscettolas vom 19. April 1532
(Heine S. 231 Anm. vgl. Pastor S. 82) erwähnten Palizoli. Schon
aus dem oben citierten Briefe Muscettolas vom 30. Nov. 1531
1) Salviati an Campeggi, dat. Rom 12. September 1531 bei Läm-
mer, Monumenta Vaticana (Frib. 1859), p. 78.
2) Benrath, Geschichte der Reformation in Venedig, Schriften
des Vereins für Ref.-Gesch., Nr. 18 (Halle 1886), S. 11 ff., vgl. S. 62ff.
Vgl. auch Maurenbrecher, Geschichte der katholischen Reformation
(Nördlingen 1880) I, 328 und 413.
3) L. Pastor, Reunionsbestrebungen (Freib. 1879), S. 80 ff.
4) Heine, Briefe an den Kaiser Karl V. (Berlin 1848), S. 231.
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KOLDE, ÜBER EINEN RÖMISCHEN REUNIONSVERSUCH. 259
konnte man ersehen, dafs der dort noch nicht genannte Unter-
händler einen italienischen Prediger, einen Meister Bartholomaus
aas Venedig, „der früher ein grofser Lutheraner gewesen war",
für sein Unternehmen gewonnen hatte, aber erst aus den inter-
essanten urkundlichen Mitteilungen Schlechts kann man mit Sicher-
heit entnehmen, dafs dies wirklich Bartholomeo Fonzio war, die
Unionsbestrebungen beider sich auf denselben Auftrag bezogen,
und dem Palazzolo noch ein Deutscher, Caspar Estrich, zur Seite
stand.
Das Ganze beruht, wie es scheint, auf einem Vorschlag Pa-
lazzolos, auf den die Kurie eingegangen war, und, worum es sich
handelte, war, „gegen Gewährung der nötigen finanziellen Unter-
stützung und entsprechende Belohnung die Getrennten in Deutsch-
land wieder zur Kirche zurückzuführen".
Nach den vorliegenden Urkunden hätte nun Palazzolo bei
einer ersten Sendung, etwa April — Juni 1531 mit einem Ver-
trauten des Kurfürsten von Sachsen Jacobo daTrese oder M. Jacobo
da Saxonia wertvolle Verhandlungen angeknüpft \ über welche
er in Born persönlich berichtete, und die, wie wenig Hoffnungen
man auch darauf setzte , doch die Kurie bestimmten *, ihn mit
einer zweiten Sendung zu betrauen, bei deren Bethätigung er
dann durch Fonzio, den er durch Urban Rhegius in Augsburg
kennen gelernt haben will, aufs lebhafteste unterstützt wurde.
Eine Anzahl Briefe des genannten Jacob von Sachsen, die
dessen gute Dienste beweisen sollten, hat Palazzolo dem Salviati
Übermittelt s. Dieselben liegen leider nicht vor, wohl aber das
Bicordo des Unterhändlers über seine Tbätigkeit bei der zweiten
Sendung, welches von Schlecht aus dem vaticanischen Archiv ab- *
gedruckt ist. Danach begann er, nachdem er am 9. Okt. über
Mailand nach Augsburg gekommen war, zunächst Unterhandlungen
mit den dortigen Predigern. Ein erstes Schriftstück berichtet
über Verhandlungen mit Urban Rhegius, Sebastian Mayer, Wolf-
gang Musculus und Fonzio4, ein zweites über die Besprechungen
1) Die Verhandlungen begannen seiner Angabe zufolge (Schlecht
375) im Juni. Dafs er schon auf seiner ersten Sendung in Wittenberg
und am kurfürstlichen Hof lager gewesen , wie Schlecht S. 342 angiebt,
ist aus den Urkunden nicht zu lesen, vielmehr setzt seine Rechnung
(S. 877) diese Reise erst nach dem Augsburger Aufenthalt Wo er
auf der ersten Sendung verhandelt hat, wissen wir nicht.
2) Wie man die Sache in Rom auffafste, ergiebt das auch von
Schlecht citierte Schreiben Salviati 8 an Campeggi vom 12. September
bei Lämmer, Monumenta Vaticana, p. 78. Weiteres bei Schlecht
S. 343.
3) Schlecht S. 375.
4) II parere del dottor Urbano maestro Bastiano et di macstro
Bartolomen et del dottor Muschulo. Schlecht a. a. 0. S. 378.
17*
260 AXALEKTEX.
mit Michael Keller, dem bekannten Zwinglianer ». Dann begab
sich der Unterhändler nach seiner Angabe auf die Reise nach
Wittenberg, verhandelte unterwegs in Nürnberg mit dem früheren
Augsburger Prediger Frosch, hatte eine Unterredung mit Luther,
über welche ebenfalls ein kurzer Bericht vorliegt, und begab sich
endlich auch an dem sachsischen Hof. Während nun das sogenannte
Parere di M artin o Lutbero, wovon noch zu sprechen sein wird,
ein paar nichtssagende Redensarten enthält, gehen nach dem Be-
richte des Unterhändlers doch die Augsburger Prediger, jeder in
seiner Weise auf die Unionsbestrebungen zum Teil mit grofser
Lebhaftigkeit ein, und Paiazzolo weifs schließlich am Ende seiner
Mission dem Papste zu berichten, dais Rhegius, Fonzio und Michael
Keller, wenn es der Papst wünsche, bereit sind, zum Papste zu
kommen, am „mit Erlaubnis Luthers die Concordie abzuschließen",
wofür er den genannten Predigern alsbald zu ihrem Unterhalt
nur 400 Scudi zu zahlen haben würde, während ihnen nach dem
endlichen Abschlufs an Beneficien in ihrem Lande im Werte
von im ganzen dreitausend Scudi zu verleihen wären. Um den
Kurfürsten von Sachsen, den man dabei wie einen Reformator
des christlichen Glaubens und einen Konservator des apostolischen
Stuhls behandeln müsse, zu befriedigen, würde genügen, einen
seiner Söhne zum Kardinal zu machen und ihm Beneficien in
seinem Lande zuzuweisen 3.
Das sind ohne Zweifel überraschende Mitteilungen, und man
begreift, dafs der Unterhändler selbst Sorge hatte, dafs man ihm
nicht Glauben schenken würde. Er schliefst seine Angaben
mit der Beteuerung, „weil man Verdacht hat, dafs diese Ab-
1) II parere ikl il«>Uor maestro Michele. S. 381 ff.
2) Schlecht S. 370 vgl. mit dem Brief von Mai vom 30. No-
vember 1531 bei Heiue S. 232 Anm.
3) Die wichtige Stelle lautet bei Schlecht S. 376: SS»* Pater!
Quando vostra santita voplia, il dottor Urbano et maestro Bartolomeo
Venitiauo et maestro Michele verrano da vostra santita con licentia di
Martino Luthero ad affermar detto accordio, et vostra santita non ha
a spendere di presente che scudi 400, per dare a questi quattro predi-
catori in parte per intertenerli. Poi fatto Taccordio v. santita havera a
dare in beneficii in lor paese per scudi tre milia in tutto. Poi per
compiacere al duca di Sassonia v. santita fara cardinale un suo figlio;
et Ii beneficii che Ii dark V» St» saranno in lor paesi, et questo s'in-
tende oltre litre mila scudi, et questodono che farä v. santita al duca di
Sassonia , sarä corac a buono reformatore de la fede christiana et con-
servatore de la sedia apostolica. Et questo <• quanto vi va per far
detto accordio. Dafs der Kurfürst „den Titel Reformator des Glaubens
und Retter des heiligen apostolischen Stuhles" erhalten soll, wie
Schlecht S. 355 diese Stelle wiedersieht, was er wohl aus dem Schlufs
des Parere di Luthero (S. 385) entnommen hat, kann ich daraus nicht
lesen.
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KOLDE, ÜBER EINEN RÖMISCHEN REL'NION'SVERSL'CH. 261
mach un gen nicht gelingen und die besagte Einignng nicht zu
stände kommen könnte, so will ich mich verpflichten, dafs ich,
wenn ich nicht innerhalb vier bis fünf Monaten jemand mit Briefen
vom Herzog von Sachsen und Doktor Martinus des Inhalts gesandt
haben werde, dafs sie mit besagter Concordie nach Inhalt und
Form, wie ich es vorgeschlagen habe (in quel grado et modo
che io ho proposto) einverstanden sind, das Geld innerhalb zweier
Monate zurück zu erstatten", — während er sich im anderen
Falle die sofortige Ausbezahlung von tausend Scudi und eine
Jahresrente von 600 aus Beneficien, die im Mailändischen gelegen
sind, ausbedingt l.
Was ist nun von dem allen zu halten?
An der Echtheit der Schriftstücke, d. h. dafs man dem Papste
wirklich diese Berichte gesandt hat, ist nicht zu zweifeln, zum
Überflufs werden sie auch noch in einem Briefe des Kardinals
Loaysa vom 16. April 1532 erwähnt2, der erst durch den Fund
Schlechts verständlich wird. Aber ist ihr Inhalt echt? Haben
jene Verhandlungen mit den Aogsburger und Nürnberger Predigern,
mit dem Kurfürsten von Sachsen und mit Luther wirklich statt-
gehabt, und wenn das, haben wir in jenen Schriftstücken wirklich
getreue Überlieferungen dessen, was jene geäufsert, oder sind
sie von den Unterhändlern in zweckdienlicher Weise überarbeitet
worden u. s. w.?
Der gelehrte Herausgeber, der mit kundiger Hand alles zu-
sammen getragen bat, was zum Verständnis derselben dienen
kann, und was über den Ausgang des Handels aus gleichzeitigen
Quellen zu entnehmen ist, hat sich diese Fragen auch vorgelegt,
aber sie wohl etwas zu schnell beantwortet Er findet zwar auch
das Entgegenkommen der Augsburger Prediger überraschend, aber
angesichts der hierbei in Betracht kommenden Persönlichkeiten, ihrer
dürftigen Lage, ihrer Neigung zur Diplomatie, der Verhältnisse
überhaupt, der inneren Wahrscheinlichkeit nicht entbehrend, und
sieht keinen Grund, daran zu zweifeln, „dafs Palazzolo in der
That diese Punkte mit den Genannten besprochen und gleich
danach schriftlich fixiert habe" s, und auch in den angeblichen
Worten Luthers findet er „unschwer Lnther wieder" *. Eine
eingehendere Untersuchung dürfte aber zu andern Resultaten
kommen.
Zuerst, wer ist Jacobo da Trese, was jedenfalls Dresden
bedeuten soll, oder Jacobo di Saxonia, der den Palazzolo auf
1) Schlecht S. 378.
2) Heine a. a. 0. S. 231.
3) a. a. 0. S. 360.
4) Ebenda S. 363.
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262
ANALEKTEN.
Urban Rhegius verwiesen, das besondere Vertrauen des Kurfürsten
..besessen haben und als der eigentliche Vermittler zwischen beiden
Parteien fungiert haben soll ? Schlecht, der sonst die handelnden
Persönlichkeiten trotz ihrer unklaren Bezeichnungen in den Akten-
stücken richtig indentifiziert hat, weifs hier keine Auskunft, und
unter den diplomatischen Agenten des Torgauer Hofes finde auch
ich diesen Namen nirgends erwähnt. Jedenfalls wird man an
einen Mann denken müssen, der sowohl in Sachsen als in Augs-
burg Beziehungen hatte. Etwas Sicheres läfst sich darüber nicht
aussagen, aber ich vermute, dafs dieser Jacob eine ganz unter-
geordnete Person war, dessen Dienste sich der betriebsame Kauf-
mann erkauft hat oder der sich den Schein einer einflafsreichen
Persönlichkeit zu geben verstanden hat, und ich möchte an einen
Magister Jacob denken, der im Jahre 1535 in Luthers Briefen
als Briefbote erwähnt wird l, er ist vielleicht identisch mit
dem M. Jacob, mit dem Luther schon 1523 seinen Trostbrief au
die Christen zu Augsburg beförderte *. Das würde dann seine
Aagsburger Beziehungen erklärlich machen. Aber eine klare
Vorstellung von diesem M. Jacob nnd seiner Wirksamkeit, bezw.
der Bolle, die ihn die Unterhändler spielen Hefsen, können wir
uns nicht machen, da die Briefe desselben, auf die Palazzolo
sich bezieht, bis jetzt nicht zum Vorschein gekommen sind.
Wichtiger für die Beurteilung des Ganzen sind die Berichte
über die Unterredungen mit den Augsburger Predigern und mit
Luther.
Es ist nicht zu leugnen, dafs wenigstens die ersteren auf
den ersten Blick den Schein der Echtheit erwecken können. Die
einzelnen Persönlichkeiten nehmen einen verschiedenen Standpunkt
ein. Man könnte geneigt sein zu meinen, ein Fälscher, der doch
das Interesse haben mufste, die Geneigtheit der Kolloquenten zur
Concordie möglichst hervortreten zu lassen, würde leichter der
Gefahr, zu schabionisieren, verfallen sein. Aber bei näherer
Betrachtung erkennt man , dafs der Berichterstatter , obwohl
er, zumal eine Entlarvung durch den pästlichen Legaten, der
die Verbältnisse kannte, zu fürchten war, mit grofser Vorsicht
und Schlauheit seinen Berichten den Stempel der Authenticität
aufzudrücken versucht, doch unmögliche Situationen schildert und
höchst unwahrscheinliche Aussagen berichtet
Wir hören, dafs die Unterhändler, — es kann nicht vor dem
10. Okt. 1531 gewesen sein — auf Grund spezieller Instruktion des
Jacob von Dresden ihre Operationen damit begannen, mit Dr. Urban
1) De Wette IV, 635.
2) De Wette II, 443 Anra. Vjzl. Enders, Luthers Briefwechsel
IV, 265.
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KOLDE, ÜBER EINEN KOMISCHEN REl'NIONSVEKSrCH. 263
Rhegius zu verhandeln 1. Nun wufste man bisher nicht anders,
als dafs Rhegius seit dem Spätsommer 1530 in Diensten des
Herzogs von Lüneburg in Celle war. Schon dies mufs schwere
Bedenken gegen den Bericht erwecken, indessen meint Schlecht
S. 344 Anm.: „damit ist eine (bis jetzt nicht bekannte) zeit*
weilige Bückkehr desselben von Lüneburg nachgewiesen", und
verweist darauf, dafs Uhlhorn * Über den Aufenthalt des Rhegius
vom 4. Sept bis zum Mai 1532 keinen Aufschlufs gebe. Das
letztere ist richtig, indessen sind wir doch nicht so ganz un unter-
richtet über die fragliche Zeit, so dafs wir ohne Weiteres aus
dem fraglichen Bericht uns belehren lassen müfsten. Wir wissen,
dafs der Herzog von Lüneburg trotz der dringenden Bitte der
Lüneburger, ihn noch länger bei sich behalten zu dürfen, am
18. Juni 1531 erklärte, seinen „lieben Pfarrherrn und Bischof
nicht länger entbehren zu können" 3, danach ist eine Anwesenheit
des Rhegius in Augsburg im Herbst dieses Jahres — und wohl
zu beachten, derselbe wird im Ricordo eingeführt, als ob er
noch Augsburger Geistlicher wäre — sehr schwer an-
zunehmen. Immerhin könnte man jedoch daran denken, daJs der
Herzog ihm für kurze Zeit Urlaub zu einer Reise in die Heimat
gegeben hatte. Da aber die Unterhändler ihrer eignen Angabe
zufolge am 9. Okt in Augsburg eintrafen 4, müfsten die Ver-
handlungen mit Rhegius also in diese Zeit, um die Mitte Oktober,
fallen. Eine Anwesenheit des Rhegius in Augsburg um diese
Zeit wird jedoch fast zur Unmöglichkeit, da wir eine von ihm
vom 28. Okt 1531 zu Celle datierte Schrift besitzen: „Eine
wunderbar liehe ungeheuere Absolution der Klosterfrauen im Fürsten-
tum Lüneburg4*6. Und dieses Resultat- wird bestätigt, wenn man
ganz abgesehen von der sonstigen Stellung des Rhegius diese
scharfe Schrift vergleicht mit den Berichten über seine Aussagen
bei den vermeintlichen Verhandlungen und die Situation in
Betracht zieht, unter welcher dieselben vor sich gegangen sein
sollen.
Das erste Parere, welches der Unterhändler mitteilt, enthält
die Verhandlungen mit Rhegius, den Augsburger Predigern Musculus,
Sebastian Mayr und Fonzio 6. Hier fallt uns zunächst zweierlei
auf, erstens dafs Rhegius und Musculus, die doch sehr verschiedene
1) Schlecht a. a. 0. S. 375f. 378.
2) Uhlhorn, Urban Rhegius (Elberfeld 1861), S. 186ff.
3) Ad. Wrede, Die Einführung der Reformation im Lüneburgi*
sehen durch Herzog Ernst den Bekenner (Güttingen 1887), S. 144.
4) Abreise aus Mailand vom 25. September: Schlecht S. 375.
Dann die Reiserechnung S. 377: Da Milano in Augnsta giorni 14.
5) Urb. Rhegius' deutsche Schriften IV, 33.
6) Schlecht S. 378.
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26-1
ANAL ICKTEN.
Standpunkte vertreten, zusammen behandelt werden — allerdings
der extreme Zwinglianer Michael Keller bildet eine Gruppe für sich,
und zweitens, dafs Fonzio mit unter die gerechnet wird, mit denen
zu unterhandeln ist, und die eigentlichen Wortführer sind Rhegius
und Fonzio. Ihre Erklärungen beginnen damit, dafs sie ihre
Ergebenheit gegen den Papst in Born zu vermelden bitten. Ist
das schon bei einem Mann wie Rhegius überraschend, so noch
mehr, dals er wie seine Kollegen ihre Hoffnung auf Einigung
auf die Zwietracht zwischen Lutheranern und Zwinglianern und
das Aufkommen von Sekten (!) gründen. Deshalb halten sie den
Augenblick für gut gewählt, wenn nämlich der Papst die Einigung
wirklich suche ; leichter als mit den Zwinglianern würde die Sache
mit den Lutheranern sein, weil sie in Lehre und Zeremonien der
römischen Kirche näher ständen. Allerdings dürfe nicht gezögeit
werden, denn das Luthertnm wachse in der Gunst der Städte
und Fürsten, auch würden die ürheber des Schismas geeigneter
sein, dasselbe beizulegen, als ihre Nachkommen, die die Lehre
der Vorfahren eigensinniger verteidigen dürften als die ürheber
selbst. Auch würde man etwas nachlassen müssen, da es un-
möglich sei, nachdem die Dinge eine solche Änderung erfahren,
sie völlig in den alten Znstand zu versetzen.
Schon das Mitgeteilte, namentlich der Hinweis auf die Sektiererei
unter den Evangelischen, schon damals wie heute bei den Römern
ein Hauptgrund für die Hoffnung auf den Untergang der Gegner,
dürfte zur Genüge erkennen lassen, dafs wir es hier nicht mit
Aussagen des Rhegius und seiner Genossen , sondern mit den
Hoffnungen Fonzios zu thun haben, noch mehr hört man aber
den Italiener heraus, wenn er Vorsorge getroffen haben will, dals
allen Predigern für die bevorstehende Fastenzeit aufgegeben werde,
sich aller beleidigenden Auslassungen über die Gegner auf den
Kanzeln zu enthalten, „weil es an Leuten nicht fehlt, welche
von Italien her oder sonst nach dieser Richtung Anweisung
geben". Daran ändert nichts, dafs auf Augustana und Apologie
als Grundlage der Einigungsbestrebungen verwiesen wird, und die
Unterhändler bereit sind, dem Papste aus griechischen und
lateinischen Schriftstellern Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln
zu übersenden, und schwerlich wird jemand den Augsburger
Predigern zumuten, dafs sie als Haupteigenschaft der Personen
für die weitere Verhandlung gefordert haben, dafs sie Geschick
hätten, sich indieferocitadi barbarizu finden. Des Weiteren
sollen sie die Kompetenz haben, den Gegnern spezielle Vorteile zu
bieten, auch Credenzbriefe an den Herzog von Sachsen erhalten,
weil ohne ihn nichts zu machen. Man könne ja Deutschland einige
Privilegien und Reformationen bewilligen, ohne sie andern Nationen
zu gewähren, und dabei vertraulich die Fürsten wissen lassen.
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KOLDE, ÜBER EINEN KOMISCHEN KELNlONSVEItSrCH. 265
dafs dies im Interesse der Einigkeit der Kirche geschehe, die
auf anderem Wege nicht zu erreichen sei. In vier Monaten,
dessen möge der Papst versichert sein, werde die Einigung
zustande kommen.
Das zweite Parere, mit dem Zwinglianer Michael Keller, dessen
angebliche Aussagen in 11 Abschnitten mitgeteilt werden, hat eine
etwas andere Färbung. Dafs Fonzio mit diesem Manne persönliche
Fühlung gehabt hat, erscheint mir zweifellos. Er kennt den
Volksredner und sucht seine Eigenart zum Ausdruck zu bringen !.
Die Religionssache, so läfst er ihn sprechen, ist zur Zeit in
Deutschland eine Angelegenheit der Fürsten und der Städte, und
zunächst handelt es sich darum, vertrauenswürdige Leute zu finden,
die Einflufs auf das Volk haben; an diese würden sich die
päpstlichen Unterhändler zuerst zu wenden haben. Sie müfsten
sich bemühen, die Ehre Gottes, das Heil der Seele und die Ver-
mehrung der Liebe zu fördern, dann würden alle sich geneigt
zeigen. Nicht aber dürfe man die Meinung aufkommen lassen,
dafs man das göttliche Wort hindern wolle, sondern vielmehr,
dafs man danach strebe, das Volk durch gelehrte und erprobte
Leate zum wahren Glauben nach dem Inhalt der Schrift und zur
Ehrbarkeit zu führen etc. Das alles könnte man sich sehr wohl
als Äufsemngen Kellers gefallen lassen, nicht minder wenn weiter
unten die mangelnde Kenntnis des Evangeliums beim Volke und
die Verfolgung der evangelischen Predigt für die Volksaufstände
und die Forderung absoluter Freiheit von allen Zehnten, Zinsen etc.
verantwortlich gemacht werden, ferner Zusammenlegung der vor-
handenen Stiftungen zur Giündung von Pfarreien und zum Unter-
halt der Kirchendiener gefordert wird, wobei das etwa Übrig-
bleibende dem Bischof oder, wen der Papst dazu bestimme, zur
Verwaltung übergeben werden könne, Äufsemngen, die freilich nur
oft wiederholte Forderungen wiedergeben, sodafs man nicht nötig
hätte, nach einer besonderen Quelle zu suchen. Dasselbe gilt von der
Warnung, zwangsweise die alten Zeremonien, so weit sie der Schrift
zuwider wären, in Deutschland wieder einführen zu wollen, aber wenn
die Abneigung dagegen u. a. auf allgemeine „teuflische Verstrickung14
zurückgeführt wird (perche tutti sono eretti al laccio demoniale),
so ist offenbar, dafs der Berichterstatter hier der päpstlichen Auf-
fassung entgegenkommend seine eigene Meinung eingeflochten hat.
Und wenn der entschiedene Zwinglianer im 7. Punkte für den
Fall, dafs die päpstlichen Unterhändler beim Volke die Meinung
1) Beachtenswert dafür ist das Betonen der „Ehre Gottes" S. 382
Nr. 4: honor divino, la salute dell' anima et augmento della carita und
weiter unten S. 384: il vero et giusto honore divino, la salute de
P anima, beatitudine del prossimo.
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2 f ; 6
AXALEKTEN.
hervorrufen, es zum wahren Glauben und zur Ehrbarkeit zurück-
fahren zu wollen, und es keinem Prediger gestattet werde, jemand
zu schmähen, namentlich auch nicht die kirchlichen Oberen, es für
ein leichtes erklärt, eine vollständige Anerkennung des Papstes
als snmmus pontifex und Wächter der Herde Christi, ohne
Schädigung seiner Würde und seines Ansehens * zu erreichen, 6o
wird jeder, der das Auftreten dieses Keller kennt, zum mindesten
ein grofses Fragezeichen machen müssen.
Auch der Herausgeber der Aktenstücke findet die mitgeteilten
Anfserungen Kellers überraschend, bemerkt aber dazu: „Inwie-
weit die 100 Dukaten darauf Einflufs geübt, kann natürlich nicht
näher bestimmt werden; dafs aber Zwingiis Schüler und Freund
nicht gesonnen war, sie zu einer Romreise zu verwenden, darf
man wohl annehmen" (S. 361), und sieht schliefslich darin doch
„eine getreue Wiedergabe der von Keller ausgesprochenen Ge-
danken, wenn nicht die Übersetzung einer von ihm verfaßten
deutschen oder lateinischen Vorlage'4, S. 362. Darauf ist zu
sagen, dafs nichts von dem, was wir über das Leben und den
Charakter der hier in Betracht kommenden evangelischen Geist-
lichen wissen, uns ein Recht giebt, an ihre Bestechlichkeit zu
glauben, und wenn, wie der Herausgeber durchblicken läfst, aus
dem Zusammenhalt von Kellers Standpunkt und den hier mit-
geteilten Äufserungen sich ein innerer Widerspruch ergiebt, so
läfst sich derselbe, worauf bereits hingewiesen, mit weit grösserer
Wahrscheinlichkeit aus der tendenziösen Berichterstattung als
aus einer sonst durch nichts zu belegenden Unehrlichkeit eines
so schroffen Mannes wie Keller erklären.
Aber wir haben noch ein drittes Parere, welches von Luther
herrühren soll, S. 384. Der Inhalt des farblosen, kurzen Schrift-
stückes ist folgender. Wenn der Papst anerkennen wolle, was
man vernünftigerweise in dem sächsischen Bekenntnis acceptieren
und gut heifsen könne, so sei die Hauptsache, friedliebende, red-
liche, schriftkundige Leute auszuwählen, die ohne die Absicht,
dem Papste zu gefallen, und ohne irgendwelchen Verdacht
fürchten zu müssen, freimütig nach ihrem Gewissen über Augustana
und Apologie urteilen und ihre Gründe für Lob oder Tadel schrift-
lich aufsetzen sollten. Denn mit diesem Bestreben, irgendwelche
Art der Übereinstimmung zu suchen, würden sie dem Papste
1) Facilmente di quello poträ seguire che il papa sarä tenuto pro
uno animad?ertente et sutnrao pontifice et vigilatore della gregge chri-
stiana riputato, senza digradatione della sua dignitä et honore; bencht»
lui in persona propria non predicarä al popolo et non porrä fare, tarnen
se sarä contento, che lui consentirä, imo nrdinara che per gli altri huo-
mini dotti di buona vita sarä predicato, S. 382.
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KOLDE, I BER EINEN RÖMISCHEN REUNIONSVERSI CH. 267
den gröfsten Gefallen thun. „Das alles versteht sich von den
Artikeln, Aber welche man auf dem letzten in Augs-
burg abgehaltenen Reichstage nicht ein ig geworden
ist Und wenn dabei sich auch eine Meinungsverschiedenheit
ergeben sollte, so wird mun doch einen Modus, übereinzukommen,
finden, mit dem unser Herr zufrieden sein wird, (nur) dafs man
4ie ganze Ehre des Übereinkommens und der Einigung dem
Herzog von Sachsen gebe , und zwar nicht nur in Rücksicht auf
seine Person und sein Gebiet, sondern auch in Rücksicht auf
alle ihm anhängenden Fürsten und freien Städte, als dem all-
einigen Generalreformator und Wiederhersteller des Friedens in
der Kirche/*
„An diesen wenigen wortreichen 8ätzen", fügt J. Schlecht
hinzu, „die keinerlei Zugeständnis, aber die alten Vorwürfe gegen
die Kurie enthalten, erkennt man unschwer Luther wieder, dem
ja Melanchthon in Augsburg schon viel zu weit gegangen war,
und der vor Zorn schier bersten wollte, ob seiner Nachgiebig-
keit Für ihn gab es nur dann eine Verständigung, wenn der
Papst das Papsttum aufgäbe. Um nicht von der päpstlichen
Suprematie sprechen zu müssen, hält er es für klug, anch über
das andere Postulat sich auszuschweigen , das er in der That
mit den Freunden in Augsburg teilte, über die Wiederherstellung
der bischöflichen Gewalt als eines Gegengewichtes gegen die
Fürstenmacht Hatte Palazzolo in Sachsen Gehör, Entgegenkommen
gefunden, so war es jedenfalls am Hofe mehr der Fall gewesen
als in Wittenberg; darauf deutet auch die Sehl ufs wen dung des
Gutachtens hin. Und mit diesem Schriftstück in der Hand wollte
der Agent in Rom glauben machen, dafs es ihm gelingen werde,
innerhalb weniger Monate die Getrennten mit der Kirche wieder
zu vereinigen? Welch abenteuerlicher Gedanke!4'
Dem letzten Ausrnf des Erstaunens wird man sich anschließen
müssen, aber mir will es fast nicht minder erstaunlich erscheinen,
dafs man dieses Gutachten für inhaltlich echt halten kann. Auf
das argumentum e silentio will ich kein Gewicht legen, obwohl
es immerhin sehr auffallend ist, dafs sich nirgends, weder in
Luthers oder Melanchthons Briefen, noch in einer Tischrede eine
Notiz über eine Zusammenkunft mit dem sonderbaren Unterhändler
erhalten haben sollte, wenn sie wirklich stattgefunden hätte, — der
Inhalt des Gutachten spricht schon zur Genüge gegen die Echtheit
Nicht der unversöhnliche Charakter, den Schlecht unverständlicher-
weise darin findet, sondern die versöhnliche Haltung desselben
macht es auf den ersten Blick für jeden Kundigen verdächtig.
Zwar haben die Agenten oder ihr Gewährsmann, — und es wäre
sehr gut denkbar, dafs sie selber die Düpierten wären, und jener
rätselhafte Jacob von Dresden ihnen das Schriftstück überliefert
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2t;8
AXALfiKTEN.
hätte — , insofern der augenblicklichen Situation in deu all-
gemeinsten Zügen Rechnung getragen, als Augustana und Apologie
als die selbstverständliche Grundlage aller Einigungsversuche
hingestellt werden, aber die Art und Weise, wie dies geschieht
und die Form, in der dabei des Kurfürsten gedacht wird, läfst
die Autorschaft Luthers geradezu als unmöglich erscheinen. Luther
soll damit einverstanden gewesen sein, dafs die zukunftigen
Einigungsbestrebungen mit den vom Papste bevollmächtigten
Unterhändlern sich nur auf die in Augsburg nicht verglichenen Ar-
tikel bezögen. Aber Aber welche Artikel war man denn wirklich
einig geworden? Thatsächlich hatte sich doch schliefslich alles
zerschlagen, und vor allem hatte Luther selbst mehr als einmal,
was freilich der Verfasser jenes „Parere" nicht wissen mochte,
jene zeitweilig als verglichen geltenden Artikel mit aller Ent-
schiedenheit verworfen l. Luther wird also in dem Gutachten
ein Standpunkt supponiert, den er absolut nicht haben konnte.
Und anfserdem soll Luther verlangt haben, dafs man im Falle
des Gelingens den Buhm, die Einigung hergestellt zu haben,
allein dem Kurffirsten von Sachsen zuschreibe, „als dem all-
einigen Generalreformator und Wiederhersteller der Einheit und
des Friedens.44
So niedrig dachte Luther von seinem Kurffirsten nicht, dem
er wenige Monate später an seinem Sarge nachrühmte, dafs er
„ein sehr frommer freundlicher Mann gewesen ist, ohne alles
Falsch, in dem ich noch nie mein Lebtag einigen Stolz, Zorn
noch Neid verspüret habe, der alles leichtlich tragen und ver-
geben konnte, und mehr denn zuviel mild gewesen ist"2. Und
was würde der fromme Kurfürst selbst gesagt haben, wenn man
den Versuch gemacht hätte, ihn mit dergleichen Titeln ködern
zn wollen? Dergleichen Vorschläge konnten nur von einer niedrig
denkenden Seele ausgeben, und es ist bezeichnend, dais Palazzolo,
indem er dieselben in seinem oben erwähnten Briefe 3 aufnimmt,
damit zugleich den Vorschlag verbindet, einen der Söhne des
Kurffirsten zum Kardinal zu machen und ihn mit Beneficien ab-
zufinden, und endlich ans den besprochenen Gutachten heraus-
liest, dafs Rhegius, Fonzio und Michael Keller bereit sind, zum
Papste zu reisen, um „mit Erlaubnis Luthers" die Concordia
abzuschliefsen.
In der That, fibersieht man nach eingehender Untersuchung
das Ganze, so handelt es sich nicht nur um einen „abenteuerlichen**
1) Es genügt, dafür auf meine ausführlichen Darlegungen in meiner
Lutherbiographie II, 353 ff. 356 ff. 367 f. zu verweisen.
2) E. A.a 18, 197 f.
3) Siehe oben S. 72 Anm. 3.
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KOLDE, i'HEK EINEN RÖMISCHEN KEL'NIONSVEHM'CIf. 269
Union svereucb , sondern um einen geradezu schwindelhaften, dem
die Kurie eine Zeit lang in Gefahr war, zum Opfer zu fallen.
Dieser Palazzolo war offenbar ein sehr geriebener Geschäftsmann,
der alle Menschen für Geld zu gewinnen hoffte, wie ihm selber
der ganze Handel nur eine Geschäftsangelegenheit war. Fonzio
mag einige protestantische Regungen gehabt haben, er mag auch
geglaubt haben, durch seine Bemühungen der guten Sache dienen
zu können, und dafs er mit Augsburger Predigern auf Einigung
abzielende Gespräche geführt hat, wird richtig sein, aber er war
and blieb ein „dunkler Ehrenmann4', der in seinen Mitteln nicht
wählerisch war, und dem es damals um jeden Preis darauf ankam,
sich bei der Kurie zu rehabilitieren. Die an die Kurie übersendeten
Gutachten der Prediger sind teils überarbeitet und gefälscht, — mit
Rbegins kann Fonzio zur angegebenen Zeit kein Gespräch gehabt
haben \ teils wie das Parere Luthers geradezu untergeschoben,
wobei, wie schon bemerkt, der rätselhafte Jacob von Sachsen
seine Hand im Spiele gehabt haben mag, und jedenfalls hat man,
so lange nicht vollgültigere Beweise dafür aufgebracht werden,
kein Recht, die Augsburger Prediger eines so schmählichen
Paktierens mit der Kurie zu zeihen, wie das der Herausgeber
der Aktenstücke gemeint hat.
1) Nicht näher eingegangen bin ich auf die Behauptung des
Unterhändlers, auch mit dem damals in Nürnberg angestellten Dr. Job.
Frosch erfolgreiche Verhandlungen gepflogen zu haben. Offenbar lag
es ihm nur daran, den Schein zu erwecken, auch in dieser Stadt bereits
wichtige Verbindungen zu haben. Dazu schien dann niemand geeigneter
als Frosch, den Fonzio von Augsburg her kennen mochte. Damit man
ein Zusammengehen des schroffen Lutheraners mit den Augsburger Pre-
digern, die ihn vor kurzem seines Standpunktes halber verdrängt hatten,
nicht in kundigen Kreisen für unglaublich halten soll, meldet Palazzolo
auffallend unvermittelt, dafs sich Michael Keller mit dem Prior von
St. Anna, womit wohl Frosch gemeint ist. obwohl er es seit 1525 nicht
mehr war und sich verheiratet hatte (vgl. Eberh. Schott, Beiträge
zur Geschichte des Karmeliterklosters und der Kirche zu St. Anna in
Augsburg. Zeitschr. d. histor. Ver. für Schwaben und Nürnberg IX
[1882], S. 332) versöhnt habe (s' e aecordato maestro Michelc il quäle
e uno de Ii primi de la setta Zwingliana col priore di St» Anna.
Schlecht S. 376), was aber mehr als unwahrscheinlich ist.
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NACHRICHTEN.
Inquisition, Aberglauben,
Ketzer und Sekten des Mittelalters (ein-
schliefslich Wiedertäufer).
Ii».
Von
Hernian Haupt.
*90. Emilio Comba, I nostri protestanti. I. Avanti
la riforma. Firenze, Tipografia Claudiana, 1895. 521 S. 8.
Preis: Lire 3.50. — Das an weitere Kreise sich wendende, aber
auch für die gelehrte Forschung beachtenswerte Werkchen bietet
eine Sammlung von Biograpbieen italienischer „Pro*
testanten vor der Reformation". „Questi pagine sono
sacre alle proteste della coscienza, e vi sara luogo per ogni
proteetante che, neir ambiente della civilta cristiana, pratica il
motto: vitam impendere vero. Li vedremo sorgere difenson della
verita, a nome della ragione, della liberta e della patria. L'unita
loro, oltre che nel motivo profondo e invariabile ch'e l'amore de'
cristiani ideali, si palesa nel fine immediato, ch'e l'opposizione
alle prevaricazioni papali" (prefaz. S. IX). Den Beigen der
biographischen Schilderungen eröffnet diejenige des altchristlichen
Hermas, den allerdings kaum jemand unter den italienischen
„Protestanten" suchen wird; es folgen die Abschnitte Über
Hippolytus, Novatianus, Jovinian, Claudius von Turin, Arnold von
Brescia, Petrus Valdes, Jochim von Fiore, Dolcino, Dante, Mar-
silius von Padua, endlich Savonarola. Die Darstellungsweise des
1) Vgl. Bd. XVI, S. 512—536. Vorliegender Bericht wurde Ende
Dezember 1895 abgeschlossen.
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NACHRICHTEN.
271
Verfassers, auf dessen Auffassungen nnd Urteile hier selbstver-
ständlich nicht im Einzelnen eingegangen werden kann, ist eine
in hohem Grade anziehende. Die Fnfsnoten enthalten reichhaltige
Quellenbelege und Angaben Über die einschlägige Litteratur,
die von dem Verfasser in fleißiger und kritischer Weise benutzt
worden ist. Im Anhang bespricht Comba die Ergebnisse
E. Dflmmlers über Leben und Schriften des Claudius von Turin
in ihrem Verhältnis zu seinen eigenen Forschungen und teilt
Fragmente aus einer ungedruckten italienischen Übersetzung des
„Defensor Pacis" des Marsilios von Padua mit.
91. Adolf Hausrath, Weltverbesserer im Mittel-
alter. I. Peter Abälard. Leipzig, Breitkopf u. Härtel, 1895
(1893). 8. Mk. 6.—. II. Arnold von Brescia. Ebenda. 1896
(1891). Mk. 3.—. III. Die Arnoldisten. Ebenda. 1895.
Mk. 8.—.
*$t* Bocquain, F6*lix, La cour de Borne et Tesprit
de reforme avant Luther. Tome II. Lea Abus. Deca-
dence de la papaute\ Paris. Thorin et fils. 1895. 574 S. 8.
— Auch von diesem Bande, der den Zeitabschnitt von 1216
bis 1378 behandelt, mufs gesagt werden, dafs er die durch den
Titel und die Vorrede des Werkes (vgl. Zeitschr. f. K.-G. XIV,
S. 439) erweckten Erwartungen nicht erfüllt Wieder erhalten
wir nur eine Beihe von Päpste-Biographieen, welche die äulsere
Geschichte des Papsttums nnd dessen wechselnde Beziehungen zu
den weltlichen Mächten in den Vordergrund stellen, ein tieferes
Verständnis für die treibenden religiösen Ideen, die die Beform-
bewegung des späteren Mittelalters bestimmten, dagegen durchweg
vermissen lassen. Die selbständige Quellenbenutzung und das
scharfe, aber nicht ungerechte Urteil des Verfassers bewährt sich
auch in diesem Bande. Anderseits zeigt sich Bocquain gar zu
oft über den Stand der neneren Forschung über die Geschichte
der religiösen Opposition des Mittelalters als wenig unterrichtet;
namentlich die einschlägigen neueren deutschen und italienischen
Arbeiten sind grösstenteils zum Schaden des Werkes unberück-
sichtigt geblieben.
*9S. Die Geschichte des Sozialismus in Einzel-
darstellungen von E. Bernstein, C. Hugo, K. Kantsky,
P. Lafargue, Fr. Mehring, G. Plechanow. Band I, Teil 1. Auch
unter dem Titel: Die Vorläufer des neueren Sozialismus. Erster
Band, erster Teil: Von Plato bis zu den Wiedertäufern.
Von Karl Kautsky. Stuttgart, Dietz, 1895. XIV u.
436 S. 8. — Band I, Teil 2. Auch unter dem Titel: Die
Vorläufer etc. Erster Band, zweiter Teil: Von Thomas More
bis zum Vorabend der französischen Revolution Ebenda.
1895. 4 Bl. u. S. 437—890. — Die Vorrede des für weitere
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272
NACHRICHTEN.
sozialistische Kreise geschriebenen Werkes erörtert eingehend die
Notwendigkeit, „eine nach wissenschaftlichen Grundsätzen ge-
schriebene umfassende Geschichte des Sozialismus", deren Behand-
lung die bürgerlichen Gelehrten aus dem Wege gegangen seien,
abzufassen; diese Geschiebte müsse vor allem die allgemeine Rich-
tung der sozialistischen Gesamtentwickelung zur Darstellung bringen.
In dem ersten Abschnitte des ersten Halbbandes wird der plato-
nische und der urchristliche Kommunismus (S. 1 — 39), im zweiten
die Geschichte der Lohnarbeit im Mittelalter und im Zeitalter der
Reformation (S. 40—103), im dritten der Kommunismus im Mittel-
alter und im Zeitalter der Reformation (S. 104—430) behan-
delt; der Darstellung des „ketzerischen Kommunis-
mus" der Waldenser, Begharden, Lolharden, Taboriten,
Böhmischen Brüder, Münzers und der Wiedertäufer
ist der Hanptteil des Bandes gewidmet. Für die Kirchengeschichte
bietet der erste Ualbband des Werkes dadurch ein eigenartiges
Interesse, dafs hier versucht wird, das Hervortreten der einzelnen
kirchlichen Oppositionsparteien des Mittelalters, einschliefslich der
Wiedertäufer, vorwiegend, ja fast ausschliefslich auf soziale und
wirtschaftliche Beweggründe zurückzuführen. Es braucht kaum
gesagt zu werden, dafs dieser nach einem von vornherein fest-
stehenden Schema folgerecht durchgeführte Versuch einer Aus-
schaltung des religiösen Moments aas der Geschichte der religiösen
Opposition des Mittelalters nur zur Zeichnung eines Zerrbildes der
thatsächlichen Verhältnisse führen konnte. Es kommt dazu, dafs
Kautskys Vorstudien zum Teil recht ungenügende gewesen sind, was
sich mit seiner scharfen Bemänglung der Gründlichkeit und Wahr-
heitsliebe der „bürgerlichen" Geschichtscbreibung schlecht verträgt.
Für die wissenschaftliche Forschung könnte das Werk nur inso-
fern einige Bedeutung erlangen, als durch die notwendige Zurück-
weisung der irreführenden Ergebnisse dieser sozialistisch-materia-
listischen Geschichtsbetrachtung zugleich eine Anregung gegeben
würde, dem Zusammenhange gewisser Richtungen der religiösen
Opposition des Mittelalters mit sozialen Erscheinungen noch auf-
merksamer, als bisher geschehen, nachzugehen. Erwähnt mag
noch werden, dafs der Abschnitt über die Wiedertäufer eine
höchst ausführliche zu scharfem Widerspruche herausfordernde
Apologie der Schreckensherrschaft der Münsterer Wiedertäufer
enthält
*94. B. Hauröaus „Notice sur le numero 16400 des
mannscrits latins de la bibliotheque nationale" (Notices et extraits
des manu8crits de la bibl. nationale, Tome XXXIV, 1895,
S. 319 — 362) bringt Mitteilungen über eine grofse Anzahl
dogmatischer, zum Teil als ketzerisch verurteilter
Thesen und Streitschriften Pariser Theologen aus
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NACH RICHTEN.
273
der Mitte des 14. Jahrhunderts. Die offenbar aus
gleicher Quelle geflossenen Angaben von Du Plessis d'Argenträ's
„ Collectio judiciorum " werden durch Haureaus Auszüge und sach-
kundige Erläuterungen in sehr willkommener Weise ergänzt.
„Nous allons assister, en lisant ces pieces", so charakterisiert
Haurlau treffend diese eigenartige Litteratur, „ä de tres vifs
debats oü la logique des docteurs, s'exercant en pleine liberte
sur la matiere thäologique, se fera justement accuser de discrl-
diter la religion qu'elle prätendait servir. Elle sera plus funeste
encore ä la philosophie, quo Ton rendra, non sans raison, respon-
sable de tous les soucis causes ä la foi des simples par l'indiö-
crete curiosite de ces effrenes logiciens."
•95. Die in unserem früheren Berichte (Bd. XVI, S. 51 6 j
aufgeführte Abhandlung von A. Battisteila, Alcuni docu-
menti sul s. officio in Lombardia, ist Separat-Abdruck
aus dem „Archivio storico lombardo", XXII, I.
* 96. In der „Internationalen theologischen Zeitschrift (Bevue
internationale de thöologie)", Jahrgang III, Nr. 11 (1895)
5. 559 — 563 polemisiert ein Aufsatz von E. Hichaud, Borne
et Tlnquisition gegen die Artikel von Mazoyer (Beyue
catholique des Heynes des deux mondes, 1895, Janvier p. 56 ff.)
und von P. Pins a Langonio (Revue romaine, Analecta eccle-
siastica, 1895, janv. S. 29 — 32) über den gleichen Gegenstand.
Herzerquickend ist die Aufrichtigkeit, mit welcher sich letzterer
Verfasser Qber die Verdienste der Inquisition ausspricht: „0
benedictas rogorum flammas, quibus, e medio sublatis
paucissimis et quidem vaferrimis homuncionibus, centenae cen-
tenaeque animarum phalanges a faucibus erroris . . . ereptae
fuere", und an anderer Stelle: „si lopi sint, inter lupos remane-
ant; si vero ovina pelle praeinduti oves vorare tentent, ab ovili
extorbentur igni et ferro.14
Nach Angabe Michauds enthält der in Bern erscheinende
„Katholik44 (1895, 13. April) statistische Mitteilungen
des Luzerners Caspar Schumacher über die Opfer
der spanischen Inquisition während des 15. — 18.
Jahrhunderts auf Grund einer Benutzung des Inquisitions-
archivs zu Sevilla im Jahre 1810; dieselbe Zeitschrift (1895,
6. April) teilt ein im Jahre 1404 gegen einen Priester
von Cordova erlassenes Inquisitionsurteil mit
*97. Samuel Eynard, L'enthousiasme. Tours 1894.
100 S. 8. These der Faculte* de theologie protestante zu Paris.
— Als Aufgabe seiner Arbeit bezeichnet Eynard „studier
renthousiasme; en connaitre les elements, les limites; d&erminer
ZeiUehr. f. K.-G. XVII, 1 u. 2. 18
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274
NACHRICHTEN.
l'utilite pratiqne de la spontan&te religieose; signaler des eiage-
rations däraisonables, rexaltation des agites et des fanatiques".
Des Verfassers Augenmerk ist ausschliefslich auf die psychologischen
Unterlagen des religiösen Enthusiasmus und dessen Bedentang
für das kirchliche Leben der Gegenwart gerichtet
*98. A. Graf, Geschichte des Teufelsglanbens.
Einzig rechtmässige Ausgabe. Ans dem Italienischen von Dr.
Tenscher. 2 (Titel-) Auflage der „Naturgeschichte des Teufels".
Jena. U. Costenoble. 1893. XVIII u. 448 S. 8. Mk. 3.—.
Nach der vom Jahre 1889 datierten Zueignung an E. de Amicis
wollte der Verfasser mit der Herausgabe der Schrift „ein popu-
läres Buch liefern, das jeder, der nicht gerade ein Gelehrter von
Beruf ist, ohne Anstrengung, aber vielleicht nicht ohne Wohl-
gefallen lesen könnte". In leichtgeschürzter, aber offenbar auf
eine ausgebreitete Belesenheit sich gründender, Darstellung plau-
dert der Verfasser über Ursprung und Entstehung des Teufels-
glaubens, Eigenschaften, Bangordnung, Wissen und Macht der
Teufel, ihre Versuchungen, Betrügereien und Gewalttaten, Teufels-
spuke, Liebschaften und Kinder des Teufels, Zauberei und Hexerei,
die volkstümlichen Vorstellungen von der Hölle, über die Kämpfe
gegen den Teufel und über dessen Niederlagen, endlich über das
angebliche Ende des * Teufelsglaubens mit dem Anbrechen der
neuen Zeit. Der wissenschaftlichen Verwertung des anregend
geschriebenen Werkchens steht das Fehlen aller Quellenangaben
im Wege.
99. Wilhelm Meyers Abhandlung über „Nürnberger
Faust geschienten" in den Abhandlungen der philosophisch-
philologischen Classe der königlich bayerischen Akademie der
Wissenschaften, Bd. XX, Abt 2 (1895), S. 325—402 enthalt
beachtenswerte Abschnitte über die volkstümlichen An-
schauungen des Mittelalters vom Teufelsbunde und
über die Ansichten der Beformatoren über Zauberei,
Besessenheit und Teufels bündnisse.
*l(Mk W. Mannhart, Zauberglaube und Gehe im wissen
im Spiegel der Jahrhunderte. Mit 44 teils farbigen Abbildungen.
2. Auflage. III. u. 284 S. 8. Leipzig. H. Barsdorf, 1896.
Preis: 4 Mk. — Ist nach den Nachweisen von Johann Moser
(Zeitschrift für Kulturgeschichte, Bd. III, Heft 1 und 2 [1896]
S. 131 ff.) ein aus Horsts „Zauberbibliothek" und den Schriften
Kiesewetters über Faust und den Occultismus kritiklos und
in leichtfertigster Weise zusammengetragenes wertloses
Plagiat.
101. G. van Elven, La magie au moyen äge, in:
Dietsche Warande, T. VII. — J. Bois, Le satanisme et la
magie. 5. ädit Paris, Chailley, 1895. 8. 8 Francs.
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NACH RICHTEN.
275
102. Weibel, Warum die orientalischen Kirchen
von den Hexenprozessen sich frei erhielten, in der
Internationalen theologischen Zeitschrift (Rovue internat. de thäo-
logie), Jahrgang III (1895), Nr. 10, 8. 193—216. Nach der
Auffassung des allerdings den Stoff nicht hinreichend beherrschen-
den Verfassers sind die Hexenprozesse das Produkt des Papst-
tums und seiner Inquisition. Da die „ehrwürdigen orientalischen
Kirchen die der Verfasser offenbar in hohem Grade idealisiert,
sich von jenen Mächten und Instituten frei erhielten, blieben sie
auch von deren Ausgeburten, dem Hexen wahn und den Hexen-
verfolgungen, frei.
103. Curt Müller, Hexenaberglaube und Hexen-
prozesse in Deutschland. Leipzig, Beclam. 173 S. 16.
Geb. Mk. 0,80 (üniversalbibliothek Nr.3166/67). — Perd. Heigl,
Der Hexenglaube. Ein Rückblick als Perspektive für die
Spiritisten unserer Zeit Bamberg, Handelsdruckerei. 1 6. Mk. 0,20
(Volksschriften zur Umwälzung der Geister Nr. 7). — B. Emil
König, Ausgeburten des M enschen wahns im Spiegel
der Heienprozesse und der Auto da fes. Historische
Schandsäulen des Aberglaubens. . . . Ein Volksbuch. Rudol*
Stadt, Bock, 1893. UI u. 811 S. mit 7 Bildern. Mk. 5. —
Carl Reiterer, Hexen- und Wildererglauben in Steier-
mark, in der Zeitschrift für Volkskunde, Jahrg. V, Heft 4 (1895),
S. 407—413.
* 104. Emilio Comba, Claudio di Torino ossia la
protesta di un vescovo. Cenno storico. Firenze, Libreria Clau-
diana, 1895. 157 S. 8. Lire 1,50. — In seiner wichtigen
Abhandlung über Claudius von Turin hatte E. Dümmler
(Sitzungsberichte der Berliner Akademie 1895, Nr. 23; vgl.
unsere Notiz in dieser Zeitschrift XVI, 521) auf die lohnende
Aufgabe hingewiesen, die zahlreichen Schriften des Claudius nach
den in ihnen verborgenen Zeugnissen des reformatorischen Geistes
des Turiner Bischöfe zu durchforschen. Noch bevor Dümmlers
Mitteilung gedruckt vorlag, war bereits die Schrift Combas er-
schienen, der an der Lösung jener Aufgabe mit dem erfreulich-
sten Eifer und Erfolg gearbeitet hat. Auf eine Ausnutzung des
gesamten ungedruckten Nachlasses des Claudius hat Comba leider
verzichten müssen ; immerhin haben die bisher gedruckten Bruch-
stücke aus den Schriften des Claudius in Verbindung mit den
von Comba aus den Handschriften geschöpften Zeugnissen eine
genügend sichere Grundlage für die Darstellung des Lebens und
der Wirksamkeit des Claudius geboten. Combas Arbeit selbst
zeichuet sich durch sorgfältige Benutzung der Quellen und früheren
18*
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'276
NACHRICHTEN.
Untersuchungen, wie durch sicheres und zugleich unbefangenes
Urteil aus; namentlich gilt dies von seiner Charakterisierung der
kirchlichen Stellung des Claudius, die in den wesentlichen Punkten
mit dem Urteile Dümmlers in dessen später veröffentlichter Ab-
handlung übereinkommt. Eingehend wird in dem Schluiskapitel
„La leggenda valdese" die in der kirchengeschichtlichen Litte-
ratur der piemontesischen Wal denser bis auf die neueste Zeit
festgehaltene Annahme eines Zusammenhangs zwischen der von
Claudius ausgegangenen Beformbewegung und der Entstehung des
Waldensertums zurückgewiesen. Im Anhange werden Angaben
über die verschiedenen Handschriften, welche Claudianische Schriften
enthalten, unter Beifügung kurzer Auszüge, gegeben. In seinem
gleichzeitig erschienenen Werkchen „I nostri protestanti"
(vgl. oben Nr. 90 S. 681) hat Comba eine gedrängtere Dar-
stellung des Lebens und der Lehre des Claudius gegeben und
im Anhang sich mit den wichtigeren Ergebnissen der Dümmler-
schen Abhandlung auseinandergesetzt.
105. A. Allaria, The Culdees, in The Scottish Review
49 (1895), Januar-Heft Betrachtet die Culdeer als regulierte
Kanoniker.
106. Fechtrup, Die Paulicianer, in Wetzer und
Weltes Kirchenlexikon, 2. Aufl., Bd. IX, Sp. 1646—1651. —
D. E. Takela, Ehemalige Paulikianer und jetzige
Katholiken in der Gegend von Philippopel, in Sbornik
des bulgarischen Unterrichtsministeriums XI (1894), S. 103 — 134
(Bulgarisch).
107* B Twigge, Albi and the Albigen sians, ia
Dublin Beview 1894, S. 309—332.
108. Gaetano Salvemini, L'abolizione dell* or-
dine dei templari a proposito di unarecente pubbli-
cazione. In: Archivio storico italiano, Ser. V, Tomo XV Disp.
2. del. 1895, p. 225—264. Bespricht die Ergebnisse der neuen
Werke von Prutz, Schottmüller, Lea und namentlich
von Gmelin. In der Beurteilung des letztgenannten Werkes
kommt der Verfasser im wesentlichen mit der unsrigen (Zeitschr.
f. K.-G. XV, 448) überein. Beachtenswert sind des Verfassers
Bemerkungen über die tieferen Ursachen des Unter-
gangs des Templerordens: „ Topposizione in cui l'ordine si
trovava contro tutto l'ambiente religioso e politico, che dal se-
colo XII. in poi era vennto formandosi in Francia e in Europa,
doveva prima o dopo condurlo inevitabilmente alla rovina . .
Di fronte a questa necessitä le individualitä del re di Francia e
del Papa passano in seconda linea; la loro azione non fu se
non il prodotto delle condizioni politiche e religiöse dell' eta
loro" (S 256). In einem Exkurs untersucht Salvemini die Glaub-
NACHRICHTEN.
277
Würdigkeit der Angaben Giov. Villaris (lib. VIII, cap. 92) über
die Geschichte des Templerprozesses und weist die Entstehung
und die Quellen dieses bisher nicht hinreichend gewürdigten Be-
richtes nach. — Vgl. auch Hagenmeyers Besprechung des
Gme linschen Werkes (le proces des Templiers, ä propos d'un
Ii vre recent) in der Revue de l'orient latin 3, 107 (auch separat
erschienen, Paris, Leroux, 1895).
100. F. Lacoste, Nouvelles Stüdes eur Clement V,
in der Revue catholique de Bordeaux, Annee 1895; behandelt
u. a. des Papstes Stellung zum Templerprozefs.
110. A. Trudon des Ormes, Note sur un fragment- de
la Regle latine du Temple, in den Melanges Julien Havet
Recneil de travaux d'lrudition de'die's ä la memoire de J. Havet,
p. 355—358 (Paris, Leronx, 1895). Veröffentlicht die drei
letzten Kapitel der ersten Ordensregel der Templer nach dem
Ms. lat. 10478 der Bibüotheque nationale, saec. XIII.
111. In der dem russischen Historiker Tb. Sokolow von
dreizehn Schülern dargebrachten, in russischer Sprache abgefafsten
Festschrift -t {yuvoq (St. Petersburg, Skorochodow, 1895,
182 S.) handelt B. Melioranski über antichristliche Be-
wegungen in Macedonien im 1 4. Jahrhundert, speziell
über dort sich verbreitende judaisierende Ketzereien (nach
Lit Centralbl. 1896, Nr. 2, Sp. 57).
IIS. Einen höchst wichtigen Beitrag zur Kenntnis der hä-
retischen Bewegungen innerhalb des Franziskaner-
Ordens in der Zeit von 1294 — 1340 liefert die Ab-
handlung von Feiice Tocco „I fraticelli o poveri eremiti di
Celestino secondo i nuovi documenti" (Bollettino della Societä
Storica Abmzzese, Anno VII, Puntata XIV, 1895, S. 117—159).
An der Hand der neuerdings, namentlich von Ehrle, bekannt-
gemachten wichtigen Quellen und unter Heranziehung bisher un-
bekannt gebliebener Aktenstücke giebt Tocco eine sorgsame Dar-
stellung der Geschichte des auf Veranlassung des Papstes Cö-
lestin V. von den beiden Franziskaner-Spiritualen Pietro da Ma-
cerata (Liberato) und Pietro da Fossombrone (Angelo Clareno)
gestifteten Ordens der „Pauperes eremitae domini Coelestini" in
der Zeit von 1294—1337, die bald ebenso wie die toskanischen
Dissidenten des Franziskanerordens im Volksmunde den Namen
„Fraticellen" erhielten; er weist auf die zwischen den eigent-
lichen Spiritualen und den Fraticellen bestehenden tiefgreifenden
Gegensätze hin, macht auf die Besonderheiten gewisser Gruppen
innerhalb der Gemeinschaft der Fraticellen aufmerksam und zeigt,
wie es geschehen konnte, dafe der von Johann XXII. als „nequam
hereticus" verfehmte Führer der Fraticellen, Angelo Clareno (gest.
1337), einen Platz unter den „Seligen" der Icatholischen Kirche
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NACHRICHTEN
erhielt. Von den im Anhange beigefügten Aktenstücken sind ein
Brief Angelos an seinen Ordensgenossen, den Prinzen Filippo von
Majores, nnd Fragmente seines „ Breviloquium u von besonderer
Wichtigkeit.
*11S. Hans Schulz, Peter von Murrhone (Papst
Cölestin V.), Teil I. Berliner Inaugural-Dissertation. Berlin,
W. Weber, 1894. 46 S. 8. Die beiden ersten Kapitel der anf
gründlichen Quellenstadien beruhenden Erstlingsschrift behandeln
Peters Leben und Bedeutung als Einsiedler und Ordensstifter und
seine Wahl zum Papste 1294. Das dritte Kapitel beleuchtet
CMestins V. Stellung zu der reformato risch-apoka-
lyptischen Bewegung seiner Zeit, seine engen Bezie-
hungen zu den Franziskaner-Spiritnalen und die weit-
gehenden Erwartungen, welche die joachimitischen Kreise
auf den dem Geiste strengster Askese huldigenden neuen Papst
gesetzt haben.
114. Petrus Johannes Olivi widmet einen beachtens-
werten Artikel der Franziskaner J. J e i 1 e r in Wetzer und Weltes
Kirchenlexikon, 2. Aufl., Bd. IX, Sp. 828 — 834. — Crivelucci,
La penitenza di frate Elia (Documento inedito 1253), in
Studi storici IV, 1 (1895), S. 41—54.
115. Gasquet, The great pestilence 1348/49.
London, Simpkin and Marshall, 1893. XX u. 244 S. 8.
116. Franz Kampers, K aiserpr ophetieen und
Kaisersagen im Mittelalter. Ein Beitrag zur Geschichte
der deutschen Kaiseridee (Historische Abhandlungen, hrg. von
Th. Heigel und H. Grauert, Heft 8). München, H. Lüneburg,
1895. 262 8. 8. Mk. 8. Auf ausgebreiteten Studien und Be-
nutzung ungedruckter Quellen beruhende und von gründlicher
Beherrschung des Stoffes zeugende Darstellung; der dem Werke
angefügte Exkurs „Über die tibur tinische Sibylle des
Mittelalters" ist separat als Inaugural-Dissertation (München
1894, 32 S.) erschienen.
11*7. Franz Jostes, Meister Eckhart und seine
Jünger. Ungedruckte Texte zur Geschichte der Deutschen
Mystik. Freiburg i. Schw., Univ.-Bnchhandlung, 1895 (Collectanea
Friburgensia. Vol. IV). 4. XXVIII n. 161 S.
* 118. Paul Fredericq, De geheimzinnige ketterin
B 1 oemaer dinn e (zuster Hadewijch) en de secte der
„Nuwe" te Brüssel in de 14d* eeuw. Overgedrukt uit de
Verslagen en Mededeelingen der kon. akademie van Wetenschappen,
Afd. Letterkunde 3do reeks, Deel XII. Amsterdam, Johannes
Müller, 1895. 22 S. 8 (S. 77—98). — Zu Anfang des 14. Jahr-
hunderts machte in Brüssel eine im Rufe der Heiligkeit stehende
Mystiker in „ B foemaerdinne" durch die Visionen, die sie
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NACHRICHTEN.
279
sich zuschrieb, und die von ihr verfafsten mystischen Schriften
grofses Aufsehen; Johann von Kuysbroecks Polemik gegen ihre
angeblichen Ketzereien konnte es nicht bindern, dals sie noch
nach ihrem Tode (ca. 1336) als Heilige und Wunderthäterin an-
gerufen wurde. In dem vorliegenden Aufsatze unterrichtet uns
der verdienstvolle Erforscher der niederländischen Inquisitions-
und Ketzergeschichte zunächst über die Ergebnisse der Untersuchung,
welche der 1888 verstorbene Brüsseler Bibliothekar Karel
Ruelens über jene Mystikerin und ihren litterarischen Nachlafs
geführt hat. Danach scheint festzustehen, dafs jene „Bloe-
mardine" (vermutlich die Tochter eines Brüsseler Patriziers
Bloemaert) mit der mystischen Schriftstellerin „Schwe-
ster H ade wich" identisch ist. Unter deren Namen ist
uns eine nicht geringe Zahl von poetischen und prosaischen
Schriften erhalten; nur ihre Gedichte sind 1875 veröffentlicht
worden, während die Herausgabe ihrer Prosaschriften J. Ver-
coullie vorbereitet. Aus den ungedrnckten Schriften der
Hade wich-Bloemardinne giebt uns Fredericq Aus-
züge, die uns höchst wertvolle Aufschlüsse über die Geistes-
richtung der dem Kreise der Sekte vom freien Geiste wohl nicht
allzu ferne stehenden Mystikerin, über ihre Auffassung der all
ihr Denken beherrschenden „goddelijken Minne", ihre Visionen,
Verzückungen und Prophezeinngen gewähren. Wichtig sind auch
Fredericqs Nachrichten über den Anhang Hadewichs, die Sekte
der „Nu wen" (Neuen), die sich vorwiegend aus Klosterleuten
zusammensetzte; trotz wiederholter Verfolgungen durch die Inqui-
sition hat sich die mystische Sekte in Brabant noch bis in den
Anfang des 15. Jahrhunderts erhalten.
119. Das Leben des Lütticher Priesters Lambert le
Begue (gest. um 1177), auf welchen die Entstehung der
niederländischen Beginenkonvente zurückgeht, war bisher fast
ganz in Dunkel gehüllt; namentlich die über Lamberts Bekämpfung
der sittlichen Ausschreitungen der Lütticher Geistlichkeit vor-
liegenden Nachrichten waren sehr lückenhaft, so dafs von Lam-
berts neuestem Biographen J. Daris (Hist. du diocese et de la
princip. de Liege, 1890) die von Lambert gegen den Lütticher
Klerus geführten Angriffe als unberechtigte und ketzerische be-
zeichnet werden konnten. Um so erwünschter ist P. Fredericqs
Hinweis auf eine Anzahl von Aktenstücken, die eben jene Kon-
flikte betreffen und in einer Handschrift des Museum Hunteria-
num in Glasgow erhalten sind (Les documents de Glasgow
concernant Lambert le Begue in Bulletin de l'acad&nie
royale de Belgique, 3e sene, T. XXIX, no 1 [1895], S. 148—
165); ein Teil derselben ist von Ulysse Robert, der die in das
Pontifikat Caliitus' III. gehörenden Stücke irrigerweise auf Ca-
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28u
NACHRICHTEN
lixtus II. bezog, in seinem „Bullaire du pape Calixte II." (1891)
erstmals veröffentlicht worden. Wir entnehmen ihnen u. a,,
dafs Lambert sich vorwiegend gegen die simonistischen Müs-
bräuche in der Lütticher Diöcese gewandt hatte, dais ihm in
formlosester Weise der Prozels als Ketzer gemacht wurde, dafs
aber Calixtus mit Entschiedenheit für Lambert eintrat, der als-
dann in Rom selbst seine Rehabilitierung betrieb. — In Er-
gänzung des vorstehend erwähnten Aufsatzes teilt P. Fredericq
(Note complömentaire sur les documents de Glasgow
concernant le Begue, in den Bulletins de l'academie royale
de Belgique, 3. sene, T. XXIX, no. 6 [juin], 1895, S. 990—1006),
ferner aus der gleichen Glasgower Handschrift eine bisher un-
bekannt gebliebene ausführliche Denkschrift mit, die von Lambert
le Begue zu seiuer Verteidigung an Papst Calixtus III. gerichtet
wurde. Lambert weist hier auf eine Reihe von Ketzereien hin,
die ihm von seinen Gegnern zur Last gelegt wurden: Bekämpfung
der Pilgerfahrten und der Sonn- und Festtagsfeier, Verbreitung
von Übersetzungen der biblischen Schriften , Verächtlichmachung
des Weltklerus u. 8. w. Inwieweit Lamberts Apologie und die
gegen seine Gegner erhobenen Anklagen Glauben verdienen,
wird erst noch festzustellen sein. Jedenfalls sind die neu er-
schlossenen Quellen über die Persönlichkeit des merkwürdigen
Mannes, die uns zugleich ein ungemein farbenreiches Bild der
damaligen religiösen Zustände in den Niederlanden entwerfen, von
dem höchsten Interesse.
120. K. K., Etwas von den Beghinen, In Deutscher
Merkur, Jahrgang 26 <1895), Nr. 49. — Schildert die Einrich-
tungen der Belgischen und namentlich der Genter Beginen-Höfe
in der Gegenwart.
121. Eine populäre Darstellung des Lebens und der
Wirksamkeit Savonarolas, giebt eine Artikelreihe von
E. Z., Girolamo Savonarola im Deutschen Merkur, Jahrg. 26
(1895), Nr. 50. 51 und 52.
122. Eng. Arnaud, Histoire des persäcutions en-
dure"es par les Vaudois du Dauphine" aux XIIP, XIV*
et XV6 siecles, im Bulletin de la soci^te* d'histoire vaudoise,
Nr. 12 (1895), p. 17-140. Die fleifsige Untersuchung ge-
winnt durch die Benutzung ungedruckter Quellen, namentlich der
waldensischen Handschriften von Dublin und Cambridge, beson-
deren Wert.
123. Franz Jostes, Die „ Waldenserbibeln" und
Meister Johannes Rellach (Historisches Jahrbuch der
Görresgesellschaft, Bd. XV, Hffc. 4 [1894], S. 771 — 795). —
Der erste Teil des Aufsatzes polemisiert gegen einzelne Auffas-
sungen Walthers in dessen „Deutscher Bibelübersetzung des
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NACHRICHTEN.
281
Mittelalters", namentlich gegen dessen Stellang zu der von Keller
nnd dem Referenten vertretenen Hypothese von dem waldensischen
Ursprung der vorlutherischen Bibeldrucke. Im zweiten Teile
sucht Jostes auf Grund der bereits von Walther herangezogenen
Prologe einer Nürnberger deutscheu Bibelhandschrift den Beweis
zu erbringen, dafs die gedruckte vorlutherische Bibel-
übersetzung das Werk eines aus dem Bistum Eon-
stanzstammenden, wahrscheinlich dem Dominikaner-
orden angehörenden Magisters Johannes Rellach ist,
und dafs ihre Entstehung in die Zeit nach 1450
fällt. Jostes' Polemik wie Beweisführung ist sehr schneidig,
aber nicht überzeugend geführt; man mute die Zuversicht be-
wundern, mit der er seine Hypothese auf den nach seinem
eigenen Zugeständnis „heillos verworrenen" Nürnberger Prologen,
die durch zwei Abschreiber in gewalttätigster Weise abgeändert
worden sind, aufgebaut hat. Es wird aber bei dem in durchaus
besonnener Weise gewonnenen Ergebnis Waltbers bleiben müssen,
dafs Bellach nicht der Urheber, sondern ein Bearbeiter der ihm
von Jostes zugeschriebenen Bibelübersetzung war; der Umstand
dafs spätere Abschreiber seiner Bearbeitung, die von Jostes selbst
als höchst oberflächlich und roh arbeitend charakterisiert werden,
Bellach als „Meister des Buches" nennen, hätte denn doch nicht
ernstlich der Auffassung Walthers als Gegenargument entgegen-
gehalten werden dürfen. Jostes* in Aussicht gestelltes Werk
über die deutsche Bibelübersetzung des Mittelalters, will er darin
an der besprochenen Hypothese festhalten, wird auch zunächst
den Nachweis zu erbringen haben, dafs alle Handschriften des
ersten Obersetzungskreises der Zeit nach 1450 angehören. Auf-
fallenderweise geschieht in Jostes1 Aufsatz der nach Walther
(S. 703) diesem Kreise angehörenden Übersetzung der Apokalypse
in der Münchener Handschrift Cgm 292 mit keinem Worte Er-
wähnung, obwohl die von Walther verzeichnete Datierung dieser
Handschrift — 1424 — allein genügen würde, Bellachs An-
spruch auf die Urheberschaft der ihm von Jostes zugeschriebenen
neutestamentlichen Bibelübersetzung zurückzuweisen. — Die Ent-
deckung von Jostes ist bereits von G. Krupp in seinem gleich-
falls gegen Walthers Ergebnisse eifrig polemisierenden Aufsatze
über „Die deutsche Bibelübersetzung des Mittel-
alters" (Historisch-politische Blätter, Bd. CXV [1895], S. 931
bis 940) behufe Widerlegung des „ Waldenser-Märchens" ver-
wertet worden.
194. H. van Druten, Geschiedenis der Neder-
landsche bijbel vertaling. 1. Deel, 1. stuk. Leiden 1895.
XII u. 170 S. 8. Mk. 6,75.
125. E. Arnaud, Becit historique de la conversion au
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282
NACHRICHTEN.
protestantisme des Vaudois des Alpes I — III, in Revue
de theol. et des quest. rel. IV, 5 (1895), S. 449—473.
126. In dem „Bolletin de la socie'te* d'histoire vandoise4*
Nr. 12 (1895), S. 1—16 wird die „Deklaration de . . .
Ernest Louis, landgrave de Hesse . . . en faveur
des Vandois" vom Jahr 1699 nach dem Originaltext mit-
geteilt. In deutscher Übersetzung erschien die Deklaration zu-
sammen mit anderen, die in Hessen-Darmstadt angesie-
delten Waldenser betreffenden Aktenstücken in dem von
Bon in herausgegebenen Heft 10 des 3. Zehnts der „Geschichts-
blätter des Deutschen Hugenotten- Vereins" (1895). — Ein
Schreiben der Piemontesischen Waldenser vom Jahr
1 72 8 an den Herzog von New-Castle, die den Waldensern ge-
währten englischen Unterstütze ngsgelder betreffend, veröffentlichen
die Proceedings of the Huguenot Society of London, Vol. V, no. 1
(1894), p. 199sqq. — D. Bonin, Die Wal denserdör fer
Bohrbach, Wembach und Hahn. Magdeburg, Heinrichs-
hofen, 1895. 23 S. Mk. 0,50. (Geschichtsblätter des deutschen
Hugenottenvereins. 4. Zehnt, 9. Heft.) — 0. Co cor da, La
verite" sur le räveil dissident et sur le räveil vau-
dois ä propos de Topuscule de Mr. W. Meille. Pine-
rolo 1894. 8. Vgl. unsere Notiz in Zeitschr. f. K.-G. XIV,
8. 459, Nr. 63.
1*27. J. Loserth, Über Wiclifs erstes Auftreten
als Kirchenpolitiker. Sonderdruck aus der Festgabe für
Franz von Krones. 8 S. (Graz, Leuschner & Lubensky, 1895.
Mk. 4.) — Man hatte bisher allgemein die Anfänge der kirchen-
politischen Tbätigkeit Wiclifs in das Jahr 1366 gesetzt, indem
man annahm, dafs Wiclif als Wortführer der Opposition auf-
getreten sei, welche die Zurückweisung der Ansprüche Papst Ur-
bans V. auf Empfang des englischen Lehenszinses damals ver-
anlafste. Nach Loserths Darlegung läfst sich jedoch Wiclifs
Beteiligung an jenem Konflikte nicht nachweisen; die Wiclifsche
Streitschrift, die man mit der Angelegenheit des von der Kurie
geforderten Lehenszinses in Verbindung gebracht hatte, gehört
vielmehr in die Zeit nach 1376. Die näheren Ausführungen und
Beweise für seine These, durch die Wiclifs Stellung zu den
kirchlichen Fragen in jener Periode in ein ganz neues Licht ge-
setzt wird, soll ein demnächst in der English Historical Review
erscheinender Aufsatz bringen.
128* J. Loserth, Das vermeintliche Schreiben
Wiclifs an Urban VI. und einige verlorene Flug-
schriften Wiclifs aus seinen letzten Lebenstagen,
in der Historischen Zeitschrift, Neue Folge, Bd. XXXIX (1895),
S. 476 — 480. Von verschiedenen Wiclif-Forschern ist ein von
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NACHKICHTEN.
283
Wiclif an Papßt Urban VI. gerichtetes Schreiben in das Jahr
1384 verlegt worden. Loserth weist nach, dafs man dieses
Schreiben, dessen Echtheit von Lechler mit Unrecht angezweifelt
wurde, nicht als einen wirklichen Brief, sondern als ein zu Agi-
tationszwecken verbreitetes Fingblatt auffassen mufs, und dafs
seine Entstehung in die unmittelbar auf Urbans VI. Wahl folgende
Zeit zu setzen ist Aus Wiclifs Schrift über den Antichrist ist
ersichtlich, dafs Wiclif im Jahre 1383 oder 1384 Flugschriften,
die an den Papst, an der Bischof von Lincoln und an die Orofsen
des Landes gerichtet waren, und welche die Lehre vom Altars-
sakramente und die Frage der geistlichen Orden behandelten,
verbreitet hat.
129. F. D. Matthew, The Authorship of the Wy-
cliffite Bible, in English Historie. Review, Nr. 37, Vol. X
(1895), S. 91 — 99. — Dafs die in zwei verschiedenen Rezen-
sionen vorliegende erste englische Bibelübersetzung auf Wyclif
und dessen Jünger zurückgehe, war bisher ohne Widerspruch
angenommen worden. Dem gegenüber hatte ein Artikel Gas-
quets in dem Juli-Heft des Jahrgangs 1894 der „Dublin Re-
view" nachzuweisen gesucht, dafs diese Annahme der Grundlage
entbehre und dafs wir jene Bibelübersetzung als eine aus ortho-
doxen Kreisen stammende, von der Kirche autorisierte zu be-
trachten hatte. Mit Gasquets Widerlegung befafst sich der oben
erwähnte Artikel Matthews, der den Ursprung jener mittel-
alterlichen englischen Bibel aus dem Kreise Wiclifs in hohem
Grade wahrscheinlich macht. Immerbin bleibt nach den nun
einmal erhobenen Zweifeln eine eingehende Untersuchung dieser
Bibelübersetzung und der auf ihren Wicüfschen Ursprung hin-
weisenden Eigentümlichkeiten noch dringend zn wünschen.
130« J. Baker, A forgotten great Englishman, or
the life and work of Peter Payne. In: Academy 1895,
März 23.
131. Matyas kiräly levelei. Külügyi osztaly. 1. kötet
1458 — 1479. Közz. Fraknöi Vilmos (Briefe des Königs
Mathias. Sektion für äufsere Angelegenheiten. Bd. I, 1458
bis 1479. Herausg. von V. Fraknöi). Budapest, Akademie, 1893.
XIII und 496 S. 8. Enthält 320 zum Teil bisher ungedruckt
gebliebene, zum Teil schwer erreichbare Briefe des Königs Ma-
thias von Ungarn, die u. a. für seine Stellung zu Böhmen
und zum Husitismus von Interesse sind. Eine wahrhafte
Mifshandlung der Benutzer der ausnahmslos aus deutschen und
lateinischen Stücken sich zusammensetzenden wichtigen Urkunden-
sammlung bedeutet es, dafs sämtliche Regesten, Ursprnngsvermerke
und Anmerkungen sowie das Register in magyarischer Sprache
abgefafst sind. — G. Hes, Über den Einflufs des Jo-
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284
NACHRICHTEN.
hann Vitez von Zredno und des Georg von Podie-
brad auf die Wahl des Mathias Corvinus zum unga-
rischen König. Programm des Gymnasiums zu Neuhaas 1894
(Tschechisch). Mit Benutzung ungedruckter Quellen.
132. Jaroslaw Göll, K. Sigmund und Polen 1420
bis 1436. I und II. In den Mitteilungen des Instituts für öster-
reichische Geschichtsforschung, Bd. XV (1894), S. 441—478. —
Derselbe, Artikel III und IV, ebenda, Bd. XVI (1895), S. 222
bis 275. Wichtiger Beitrag für die Kenntnis der Beziehungen
z wis eben P olen und dem Husitismus in der bezeichneten
Periode. Unter steter Auseinandersetzung mit den neueren pol-
nischen Arbeiten von A. Prochaska, St. Smolka, A. Lewicki und
unter umsichtiger Benutzung der durch die Veröffentlichungen
der Krakauer Akademie erschlossenen wichtigen neuen Quellen
(namentlich des Codex epistolaris Witoldi, 1882, und der drei
Bände des Codex epistolaris saec. XV., 1876—1894) sucht der
Verfasser das thatsächliche Verhältnis, das zwischen König Wla-
dislaw von Polen und den litauischen Grofsförsten Witold und
Swidrigello einerseits und den Husiten anderseits bestand, sowie
die Motive, die den immer wieder zwischen Polen und Böhmen
angeknfipften Verhandlungen zugrunde lagen, festzustellen. Der
Gang dieser Verhandlungen ist, was Polen betrifft, nach Göll
durchweg durch politische Erwägungen bestimmt worden. Die
Annahme, dafs es in Polen eine förmliche Husitenpartei gegeben,
und dafs die husitischen Ideen einen Teil der politisch mass-
gebenden Kreise Polens ergriffen hätten, ist nach Göll abzu-
weisen.
13S. J. Klecanda, Polsko a Cechy za välek hu-
sitskvch od sjezdu v Kezmarku do bitvy u Lipan a smrti
kräle Vlasdislava. Dokontani. (Polen und Böhmen in den Hu-
sitenkriegen von der Zusammenkunft in Käsmark bis zur Schlacht
bei Lipan und dem Tode König Wladislaws. SchluTs.) Programm
des Gymnasiums in Pfibram 1895. 19 S. 4. (Tschechisch.
Fortsetzung der 1891 und 1894 erschienenen Programmabhand-
lungen.)
134« Job. Huemer, Historische Gedichte aus
dem 15. Jahrhundert, in den Mitteilungen des Instituts für
österreichische Geschichtsforschung, Bd. XVI, Heft 4 (1895),
S. 633 — 652. Aus zwei Handschriften, einer Münchener und
einer Admonter, teilt der Verfasser fünfzehn lateinische Gedichte
des aus Krain stammenden Nicolaus Petschacher, vermutlich eines
Kanzleibeamten Kaiser Friedrichs III., mit, von denen die Mehr-
zahl die Frage der Wiederbesetzung des böhmischen
Thrones nach dem Tode Sigmunds (1437) und die
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NACHKICHTEN.
Polemik gegen Polen nnd gegen den Husitismus zum
Gegenstande haben.
* 185. Em. Beck, Handschriften und Wiegendrucke
der Gymnasialbibliothek in Glatz. Teil I. Programm-
abhandlung des kgl. kathol. Gymnasiums zu Glatz 1892. — Ja-
roslaw Göll, Nektere prameny k näbozenskym dejinäm v 15.
stoleti, in Vestnik kräl. ceske* spolecnosti nauk, tfida filos-
hist. - jazykozp., 1895 (Einige Urkunden zur Religions-
geschichte des 1 5. Jahrhunderts, in den Sitzungsberichten
der königl. böhmischen Gesellscb. der Wissensch., Philosoph.-hist-
philol. Klasse, 1895). — 1d der an erster Stelle verzeichneten
Programmabhandlong war von E. Beck auf den Inhalt einer aus
dem ehemaligen Glatzer Augustinerkloster stammenden Handschrift
der Gymnasialbibliothek zu Glatz, welche die Geschichte der
böhmischen Brüderunität und des Utraquismus im
15. Jahrhundert beleuchtet, hingewiesen worden. Nach
den ihm von Beck zur Verfügung gestellten Aaszügen hat als-
dann Göll ausführlichere Mitteilungen über die in jener Hand-
schrift überlieferten Aktenstücke gegeben. Wir erhalten erstlich
Auszüge aus einem um 1488 geführten polemischen Brief-
wechsel zwischen dem katholischen Magister Jacob
Weydener aus Neisse und verschiedenen Gliedern
der böhmischen Brüder-Unität, namentlich dem ehe-
maligen Priester Jakob Zelcze in Sternberg; ferner wird von
Göll ein ausführlicher Bericht über ein 1480 zu Glatz ab-
gehaltenes Religionsgespräch mitgeteilt, das zwi-
schen dortigen Ordensgeistlichen und vier böh-
mischen Brüdern, die in Oberschlesien für die Unitat Pro-
paganda machten, abgehalten wurde; endlich giebt Göll die
Beschlüsse einer utraquistischen Synode vom Jahre
14 8 6 bekannt, die unsere Kenntnis des Utraquismus in seiner
spateren Entwickelung wesentlich fördern.
* 136. B. Beifort Bax, German Society at the
close of the middleages. London, Swan Sonnenschein & Co.,
1894. XI und 276 S. 8 (The Social Side of the Reformation
in Germany, Vol. I). Das Bändchen bezeichnet sich als den
ersten Teil einer G esammtdarstellung der sozialen Be-
wegungen der Ref o rma ti o nsze i t in Deutschland, die
in den zwei folgenden Bänden bis zum Sturze des Reiches der
Münsterer Wiedertäufer fortgeführt werden soll. Als seine Haupt-
quellen nennt der Verfasser Ranke, Janssen und Egelhaaf, deren
Auffassungen gegenüber er jedoch sein Urteil nicht gefangen
geben will. Die religiösen und kirchlichen Zustände, welche die
deutsche Reformation vorbereiteten, schliefst Bax von seiner Be-
trachtung aus; in erster Linie will er Über die wirtschaftlichen,
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286
NACHRICHTEN.
litterarischen und gesellschaftlichen Verhältnisse Deutschlands zu
Anfang des 16. Jahrhunderts nuterrichten. Für englische Leser
mag die nichts Neues bietende populäre Darstellung als bequeme
Einführung in die neuere deutsche Geschichte dienen.
137. Frank P. Goodrich, Beiträge zur Geschichte
der öffentlichen Meinung in Deutschland um die
Wende des 15. Jahrhunderts Halle 1893 (Inaugural-
Dissertation der Uni?. Halle). 40 S. 8. Das erste Kapitel be-
handelt „Die Stimmung des gemeinen Mannes", betont die tief-
gehende Einwirkung des Husitismus und die durch ihn geförderte
Verbreitung sozial-revolutionärer Ideen, neben denen aber doch
eine starke nationale Strömung zur Geltung kommt. Das zweite
Kapitel sucht die Grundstimmung in den gebildeten und gelehrten
Kreisen des Zeitalters Maximilians I. darzulegen, indem sie die
politischen und kirchlichen Auffassungen Wimpfelings, Brants,
Geilers, Bebels und anderer Humanisten charakterisiert Neue
Aufschlüsse werden in dem gut geschriebenen Schriftchen, das
die religiöse Spannung am Anfang des 16. Jahrhunderts fast gar
nicht berücksichtigt und leider eine Reihe von Vorarbeiten sich
hat entgehen lassen, nicht geboten.
188. G. Buchwald, Zu Luthers Schrift: Ein Send-
brief von dem harten Büchlein wider die Bauern,
in Theologische Studien und Kritiken 1896, 1, S. 140 — 150.
139« Die Geschichte des Münzerschen Bauernauf-
stands beleuchtet G. Popp es Mitteilung „Aus der Zeit des
Bauernkriegs*' in der Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte
und Altertumskunde. Jahrgang 27 (1894), S. 310 — 314. Vom
Verfasser werden u. a. ein Brief Thomas Münzers an den
Rat von Allstedt ans 1524 nnd zwei Urkunden des Jahres 1526,
welche den Bauern-Prediger Leonhard Burckhardt in
Martinsrieth betreffen, abgedruckt
140. Ernst Müller, Geschichte der Bernischen
Täufer. Nach den Urkunden dargestellt Frauenfeld, Huber,
1895. 3 Bl. u. 411 S. — Toth, Über die Wiedertäufer
in Siebenbürgen und ihre Bekehrung durch den Jesuiten
Delpini (Magyarisch), in: Katholikus Szemle 1892 (nach dem Re-
ferate in den Mitteilungen des Instituts für Österr. Geschichts-
forschung, Bd. XV [1894], 8. 541).
141. Dem Wolfgang Ulimann, genannt Schorank, aus
St Gallen, einem der ersten und bedeutendsten Führer der
Schweizer Wiedertäufer (gest 1528) und dem den wieder-
täuferischen Kreisen, namentlich Johann Denck, nahestehenden
gelehrten Mainzer Buchdrucker Jacob Vielfeld (Po)ychorius,
Multager, Multicampianus) widmet L. Keller biographische Auf-
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NACHRICHTEN.
287
sätze in der Deutschen Biographie, Bd. XXXIX, S. I87f.
677 f.
* 142. J. Loserth, Zwei biographische Skizzen
ans der Zeit der Wiedertäufer in Tirol. (Selbstverlag.
Druck von Wagner in Innsbruck, 1895. 26 8. 8. Sonder-
abdruck aus der Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und
Vorarlberg, III. Folge, 39. Heft) Mit Benutzung der bekannten
reichhaltigen Beckschen Quellensammlung für die Geschichte der
Wiedertäufer giebt Loserth erstlich ein Lebensbild des hervor-
ragenden Täufer-Hauptes Pilgram Marpeck aus Battenberg,
der erst unter den Tiroler Wiedertäufern eine führende Bolle
spielte, dann, aus Tirol vertrieben, in Augsburg, Strafsburg, Ulm
und zuletzt wieder 1540 — 1546 in Augsburg als Führer der
Wiedertäufer begegnet; über dessen Disputationen mit den Strafs-
burger Predigern, namentlich mit Butzer im Jahre 1531 und
eine 1543 — 1546 gegen Schwenkfeld geführte litterarische Fehde
Marpecks giebt Loserth ausführliche Mitteilungen. Die an zweiter
Stelle gegebene, aus der Feder J. von Becks herrührende Bio-
graphie des Innsbrucker Hofpredigers Gallus Müller
macht uns mit dessen hervorragendem Anteil an der Bekämpfung
der Tiroler Wiedertäufer in den Jahren 1535 — 1546 bekannt.
143« Einen Auszug aus seiner ausführlichen Darstellung des
„Kommunismus der mährischen Wiedertäufer im 16. und 17.
Jahrhundert " (vgl. unsere Notiz in Zeitschr. f. K.-G. XV, 464)
giebt Lo s erths Aufsatz über den „Kommunismus der Hu-
terischen Brüder in Mähren im 16. und 17. Jahr-
hundert" in der Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte,
Bd. III (1894), S. 61—92. — Vgl. auch H. Haupt, Die
mährischen Wiedertäufer und ihre kommunistische
Verfassung, in Nr. 53/54 der Beilage zur Allgemeinen Zei-
tung, wo über die Hauptergebnisse von Loserths Forschungen be-
richtet worden ist
144. V. M. Beimann, Mennonis Simonis qualis
fuerit vita vitaeque actio exponatur. Jena 1893.
32 8. 8.
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288
NACHRICHTEN.
Reformationsgeschichtliches.
Von
G. Kawerau, Th. Kolde u. a.
* 1. Die Fortführung des trefflichen Lehrbuchs der Kirchen-
geschichte von W. Möller hat nach der Verf.8 Tode (8. Jan. 1892)
G. Kawerau übernommen. Vor seiner kundigen Hand liegt jetzt
der 2. Band vor, Reformation und Gegenreformation umfassend
(Lehrbuch der Kirchengesch, von W. Möller, 3. Band.
Reformation und Gegenreformation, bearbeitet von
G. Kawerau. Freiburg i. B. und Leipzig, J. C. R. Mohr, 1894.
XVI u. 440 S.) Diese Fortsetzung darf nach allgemeinem Urteile
als das Muster eines Lehrbuchs bezeichnet werden, indem es
allenthalben auf gründlichen selbständigen Forschungen beruhend,
in erster Linie darbietet, was ein Lehrbuch bieten soll, eine ge-
drängte, möglichst objektiv gehaltene Zusammenstellung der
Resultate der historischen Forschung, und dabei doch durch reiche
Litteratur- und Quellennachweise dem etwaigen Bedürfnisse nach
weiterer Informierung über Einzelfragen entgegenkommt. Vielleicht
wird man fragen können, ob für den Studierenden der
Literaturnachweis nicht hier und da etwas zu reichlich ausge-
fallen ist, aber der Fachgenosse, der bei der Überfülle der Einzel-
forschungen kaum noch Zeit findet, dieselben zu notieren, wird
gerade für diese relative Vollständigkeit dem Verf. Dank wissen.
Im übrigen wäre es leicht, auf eine Reihe von Kapiteln zu ver-
weisen, in denen, wie ich glaube, zum ersten male die Resultate
neuerer Forschung in einem Lehrbuche verarbeitet sind, so in
dem Kapitel über „die Verfassung der evangelischen Kirchen"
nach dem Augsburger Religionsfrieden S. 351 ff. Aber gerade
hier ist mir von neuem eine sehr fühlbare Lücke entgegenge-
treten, nicht so sehr des vorliegenden Buches, denn der Ver-
fasser hat das, was wir darüber wissen, trefflich zusammen-
gestellt, als unseres Wissens von diesen Dingen überhaupt
Wir operieren da doch oft mehr mit den vorhandenen Theorieen,
die ja wohl die faktischen Verhältnisse begründen sollen und
darum ein Recht geben, von der Theorie auf die Praxis
zurückzuschlielsen , als mit klaren Erkenntnissen von der Einzel-
entwickelung. Es ist in den letzten Jahren namentlich durch
Schmollers Forschungen vieles zur Aufhellung der Entstehung
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NACHRICHTEN.
289
und Entwickelung des deutschen Beamtenstaates seit der Refor-
mation geschehen, aber wie es zu unserem modernen Landes-
kirchentum mit seinem kirchlichen Beamtentum, was um 1600 schon
überall fertig ist, im einzelnen gekommen ist, unter welchen all-
mählichen Entwickelungen aus dem „Diener am Wort*' der
kirchliche Beamte wurde, darüber wissen wir m. £. noch
recht wenig, und ich möchte es bei dieser Gelegenheit als eine
sehr wichtige Aufgabe bezeichnen, in allen Gebieten die Ver-
fassungs- und V erwaltungsgeschichte der evan-
gelischen Landeskirchen zu erforschen, wie dies Georg
Müller in Dresden für die sachsische Landeskirche gethan (vgl.
Oeorg Müller, Verfassungs- und Verwaltungsgeschicbte der
sächsischen Landeskirche in „Beiträge zur sächsischen Kirchen-
gescbichte", 9. Hft. [1894]), und zwar unter besonderer Berück-
sichtigung der grundlegenden Entwickelung von 1555 — 1600.
Man wird dabei wahrscheinlich finden, dafs in den ineisten Fällen
nur sehr lose Zusammenhänge mit der Entwickelung vor dem
Interim vorhanden sind, und dafs die durch die Lehrstreitigkeiten
hervorgerufenen Unruhen ein wichtigerer Faktor gewesen sind,
als man gemeinhin annimmt. Th. Kolde.
* %, Als Einleitung in eine Lutherbiographie behandelt der
Bonner Privatdocent Arnold E. Berger „die Enlturaufgabe
der Reformation" (Berlin, E. Hofmann k Co., 1895. VIII
u. 300 S.) Es genügt ihm nicht, dafs man die Lutherbiographieen
meist nur mit einem Rückblick auf die religiösen und kirchlichen
Zustande und das Geistesleben am Ende des Mittelalters einleitet,
also etwa, wie Kolde gethan, bei 1450 mit der Betrachtung
anhebt. Die Ansätze und Vorbereitungen auf die neue Welt-
anschauung und die neuen Kulturideale müssen viel weiter zurück-
verfolgt werden. In 4 Entwickelungsreihen weist er daher die
Überwindung des Mittelalters nach: in der allmählichen Aus-
bildung des Nationalbewufstseins seit dem 13 Jahrhundert; in dem
Aufkommen einer Laienkultur im Zosammenhang mit dem Auf-
streben der Städte und dem Emporkommen der Geldwirtschaft;
im Durchbruch des Individualismus (Renaissance und Humanismus)
und in dem Werden einer Laienreligion. Der Verfasser, dessen
Studien den kulturgeschichtlichen Gesichtspunkt voranstellen, er-
innert uns Theologen durch seine gut geschriebenen, stoff- und
gedankenreichen Ausführungen an die Fülle von Beziehungen, die
uuiser den religiösen und kirchlichen zusammengewirkt haben,
die mittelalterliche Welt für den Anbruch einer neuen Zeit vor-
zubereiten. Leider verzichtet die Arbeit, die ursprünglich nur
das einleitende Kapitel seiner für die Bettel heimsche Sammlung
„Geisteshelden" übernommene Lutherbiographie bilden sollte, auf
ZnUchr. f. K.-G WH, 1 u. 2
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29n
NACHRICHTEN.
Quellennachweisungen; man mufs das am so mehr bedauern, als
hier gründliche Studien vorliegen.
3. Wertvolle Notizen über die Pflege der Predigt am
Ende des Mittelalters, besonders vonseiten der Ordensgeistlicbkeit
(Carmeliter, Dominikaner, Franziskaner, Benediktiner, Cisterzienser)
hat N. Paulus in der Zeitschr. Katholik, 74. Jahrg., II, 279 ff.
(Sept 1894) in einem Artikel „Zur Geschichte der Predigt beim
ausgehenden Mittelalter" zusammengetragen. G. Eawerau.
* 4. Pieper, Anton, Dr. Theol., Privatdocent an der Kgl.
Akademie zu Münster, Zur Entstehungsgeschichte der
ständigen Nuntiaturen. Freiburg i. B., Herderscbe Verlags -
handlung, 1894. 222 S. 8. Mk. 3.50. In diesem inhaltsreichen
Werke behandelt der Verf. zuerst einleitungsweise die allgemeinen
Ursachen der Einrichtung ständiger Nuntiaturen, bei der die
Kurie dem znerst bei den italienischen Staaten aufgekommenen
Brauche folgte, Form nnd Subjekt der Sendung, die verschiedenen
Bezeichnungen, Beglaubigung, Gehaltsverhältnisse, Fakultäten, In*
struktionen etc., bespricht dann (Absch. II) die Anfänge ständiger
Nuntiaturen seit dem Ausgang des 15. Jahrb. bis Clemens VII.
(erster ständiger Nuntius der von Alexander VI. am 25. Mai 1500
in Venedig beglaubigte Angelo Leonini; am deutschen Kaiserhofe
zuerst seit 10. Okt. 1513 Lorenzo Campeggi), weiter (III. Absch.)
die diplomatische Vertretung des päpstlichen Stuhls unter diesem
Papste, während dessen Begierung infolge der stets wechselnden
Politik die aufserordentlichen Missionen überwogen, und endlich
(IV. Absch.) das päpstliche Gesandscbaftswesen unter Paul III.,
unter welchem das Institut der ständigen Nuntiaturen als ge-
sichert erscheint, während der Name nuntius Ordinarius, obwohl
schon in den Depeschen Morones (S. 11) nachweisbar, erst in
der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die allgemeine angenom-
mene Bezeichnung ist. Beigegeben sind in IG Nummern eine
Reihe wert?oller Analekten und eine chronologische Übersicht
über die ordentlichen und aufserordentlichen Nuntien und Le-
gaten aus der Zeit von 1500 — 1550.
* 5. Unter dem Titel „Ungedruckte Briefe zur all-
gemeinen Keformationsgeschichte. Aus Handschriften
der Königlichen Universitätsbibliothek in Göttingen" (Abdruck aus
Bd. XL der Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der
Wissenschaften in Göttingen). Göttingen 1894. 57 S. 4° ver-
öffentlicht Tschackert teils im Auszuge (Nr. XVIII, XXII— XXV)
teils in extenso 25 wertvolle Briefe resp Schriftstücke, von denen
Nr. 14, wie der Herausgeber noch selbst bemerkt hat, schon
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NACHRICHTEN.
291
bei De Wette III, 465 sieb findet, Nr. I, II u. V, Briefe des
Eobanus Hessns an Hieronymus Baumgartner, vor kurzem von
Emst Weber (Virornm clarorum saecnli XVI et XVII epistolae
Lipsiae 1894) aber nicht immer mit richtiger Lesung abgedruckt
sind. Die übrigen sind bisher unbekannt gewesen und umfassen
den Zeitraum von 1527 — 1569. Obwohl wir in der sehr dankens-
werten Publikation die verschiedensten Namen finden u. a. (Justus
Jonas, Veit Dietrich, Friedrich Myconius, Bugenhagen, Herzog
Moritz, Oslander, Martin Frecht , Joachim Mörlin) so beziehen sie
sich zumeist auf Nürnberger Verhältnisse und gewähren wichtige
Einblicke in die Entwickelung des dortigen Kirchentums. Hervor-
zuheben sind als vom allgemeinsten Interesse Nr. VII und VIII,
welche sich auf den von Osiander herbeigeführten Streit über
die offene Schuld beziehen, und das wichtige Schreiben Osianders
an den Nürnberger Bat, Nr. XVI, in welchem er wegen des
Interims seinen Dienst aufkündigt
* 6. L. Fürsten werth, Die Verfassungsänderungen in
den oberdeutschen Reichsstädten zur Zeit Karl V. (Göttingen,
-Vandenhoeck & Ruprecht, 1893. 205 S.) bringt nicht, wie
man aus dem Titel schliefsen könnte , eine Darstellung der Ver-
fassungsveränderungen , die in den oberdeutschen Städten unter
dem Einflufs der Reformation entstanden sind, wie das Cornelius
für einige niederdeutsche Städte dargethan, sondern z. T. auf
Druffels Vorarbeiten fufsend, aber unter Beibringung vielen archi-
valischen Materials, eine Darstellung der in den Grundzügen
gleichen Veränderung des Stadtregiments, welches Carl V. einer
Anregung Wilhelms von Bayern folgend, um den Widerstand
gegen das Interim zu brechen, mit Augsburg und Ulm beginnend,
in weiteren 25 oberdeutschen Städten durchsetzte.
* ?. Die Entstehung des Schmal kaldischen Bundes, seine erste
Entwickelung, sowie die Verhältnisse, welche den Nürnberger
Frieden herbeiführten, die bisher einer eingehenden wissenschaft-
lichen Untersuchung entbehrten, hat der verdiente Archivar der
Stadt Strafsburg, Otto Winckelmann (der Schmalkaldische
Bund 1 530 — 1532 und der Nürnberger Religions-
friede. Strafsborg, J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1892.
VII u. 313 S. 8. Mk. 6) zum Gegenstand einer auf reicher
Quellenforschung ruhenden, ausführlichen Monographie gemacht.
Die allgemeinsten Resultate des trefflich geschriebenen Buches
bat bereits Baumgarten in seinem Karl V., dem der Verf. seiner
Zeit in der liebenswürdigsten Weise sein Manuskript zur Ver-
fügung gestellt hatte, verwenden können. Aber auch wer von
Baumgarten kommt, wird von der Fülle des Neuen, und zwar
wohl fundierten Neuen, dankbar überrascht sein. Natürlich hat
der Verfasser auch den kirchlichen Unionsbestrebungen behufs
19*
292
NACHKICHTEX.
Überbrückung dee Abendmahl sstroits seine Aufmerksamkeit zuge-
wandt. Hier würde ich dem Urteile über die Stellung des Landgrafen
in der Abendmahlsfrage nicht beistimmen, dafs derselbe „innerlich
für Zwingli gewonnen" war (S. 23), wie dieser freilich selbst
wähnte, oder dafs die „freiere Abendmahlslehre'4 Zwingiis „ihm
aufserst sympathisch *' war, wird mau nicht erweisen können.
Seine Stellungnahme zeigt sich sehr deutlich in seinem Briefe
an den Kurfürsten bei J. J. Müller, Historie von der Protestation etc.
(1705), S. 267 ff. Die nach und nach erfolgende Annäherung
der Sachsen an die Oberländer kann durch politische Erwägungen
mit bedingt sein, bei Luther jedenfalls nicht und auch bei dem
Kurfürsten nur insofern, als es Bucer gelungen zu sein scheint,
ihn davon zu Überzeugen, dafs die Strafsburger nicht Zwinglianer
seien. Sehr wertvoll sind die reichhaltigen Untersuchungen und
Mitteilungen über den Nürnberger Frieden, aber gegenüber der
geringen Schätzung seiner Bedeutung kann ich mein auch mit
Baumgarten III, 107 zusammenstimmendes Urteil (Martin Luther
S. 394 ff.) nicht ändern. — Dem Werke sind 7 wertvolle archi-
valische Beilagen, aber leider kein Namenregister beigegeben.
8. Das namentlich nach den Publikationen A. v. Druffels
in reicher Fülle vorhandene Material für die Geschichte des
Passauer Vertrages, welches durch verschiedene auf Dresdner
Akten beruhende Arbeiten von Isleib, Trefftz etc. noch vermehrt
wurde, behandelt zum erstenmale in eingehender, fleifsiger Unter-
suchung und grösserer monographischer Darstellung H. Barge,
Die Verhandlungen zu Linz und Passau und der Ver-
trag von Passau im Jahre 1552. Stralsund, Karl Meinertsche
Bachhandlung (E. Warnke), 1893. 161 S. Mk. 2 50. Un-
mittelbar darauf erschien eine zweite sorgfältige Arbeit über
denselben Gegenstand von G. Wolf, Der Passauer Vertrag
und seine Bedeutung für die nächstfolgende Zeit
(Neues Archiv für säebs. Gesch. und Altertumskunde, Bd. XV,
[1894]. S. 237 fl). Die letztere Abhandlung ist in vielen
Punkten eine unbeabsichtigte Korrektur der Arbeit Barge's, über
die sich Wolf in derselben Zeitschr. S. 333 in einer ausführlichen
Anzeige ausgesprochen hat. In den meisten Punkten, nament-
lich was die Beurteilung der Politik und Ziele des von Barge
etwas idealisierten Kurfürsten Moritz, seine Absichten beim Zuge
nach Tirol, dann die Rolle, welche die in Paseau anwesenden
Fürsten, besonders Albrecht von Bayern spielten etc., wird man
G. Wolf beistimmen müssen. Th. Kolde.
*8Ä. Hilliger (Bruno), Die Wahl Pius* V. zum Papste
(Leipzig, 1891). Durch Benutzung zahlreicher archivalischer
Quellen aus dem spanischen Staatsarchive zu Simankas verbreitet
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XACIIKlL'HTEtf.
293
Hilliger zunächst Ober den Pontifikat Pius1 IV. neues Licht.
Während noch Ranke behauptet hatte, dafs das alte Geschlecht
der Nepoten, welche selbständige Fürstentümer erstrebten, mit
den Caraffa zu Grunde gegangen sei, beschuldigt Hilliger Pius
den IV mit Grund des Nepotismus, so dafs dessen Nepoten im
stände gewesen seien, im Kardinalkolleg jede ihnen unangenehme
Wahl zu verhindern. So habe sich das Kardinalkolleg auf Ales-
sandrius als Pius V. geeinigt. (Vgl. Virk in Th. L. Ztg., [1891],
Nr. 24) Tschackert.
* tf. Als zweite Abteilung seiner „Briefe und Akten zur
Geschichte Maximilians II." veröffentlicht W. £. Schwarz,
zehn Gutachten über die Lage der katholischen Kirche in Deutsch-
iand (1573/76) nebst dem Protokolle der deutschen Kongregation
(1573/78) (Paderborn 1891. LH und 135 S. Mk. 4.40),
die er nach Inhalt, Herkunft und Bedeutung in einer ausführlichen
Einleitung bespricht, wobei auch die Entstehung der deutschen
und namentlich der Kölnischen Nuntiatur S. XXXIV ff. behandelt
wird. Aus diesen sehr wertvollen Gutachten, die dazu bestimmt
waren, als Richtpunkte für die 1568 errichtete und Januar 1573
von neuem ins Leben gerufene deutsche Kardinalskongregation
zu dienen, ist hervorzuheben dasjenige des Kardinals Truchsefe
in Augsburg, dann Nr. 4, die Denkschrift eines Unbekannten,
welche die Vorteile des Collegium Germanicum schildert und eine
bessere Ausnutzung desselben befürwortet, wobei zn bedauern ist,
dafs der Herausgeber nicht einige erläuternde Notizen Über die
daselbst S. 41 angeführten Musterkandidateu und ihre gegenrefor-
matorische Wirksamkeit beigebracht hat, und Nr. VIII, das echt
jesuitisch gehaltene responsum de recuperanda Saxonia S. 52 ff.,
«las jedenfalls von einem Sachsen herrührt, schwerlich aber, wie
der Herausgeber vermutet, von dem Konvertiten Joachim Delins,
weil der Verfasser ein Sachse im engeren Sinne, d. h. ein Landes-
kind des Kurfürsten August gewesen sein dürfte.
10. Seit dem 1. Oktober 1894 erscheint speziell im Interesse
der Belebung der kirchengeschichtlichen Forschung in Bayern
eine kleine Zeitschrift unter dem Titel: „Beiträge zur
baye rischen Kirchengeschich teu herausgegeben von
D. TheodorKolde. Erlangen, Friedrich Junge, jährlich 6 Hefte
ä 3 Bogen. Preis per Jahrgang 4 Mk. Der erste vollständig
vorliegende Band wird eingeführt durch eine längere Abhandlung
des Herausgebers Über „Andreas Althamer, der Humanist und
Reformator" (auch besonders erschienen, erweitert durch eine Reihe
archivalischer Beilagen zur Geschichte der Reformation in Franken
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294
NACHRICHTEN.
und durch den ersten vollständigen Abdruck des Katechismus
des Andreas Althamer von 1528 und eine Bibliographie seiner
Schriften unter dem Titel: Tb. Kolde, Andreas Althamer der
Humanist und Reformator in Brandenburg-Ansbach. Mit einem
Neudruck seines Katechismus von 1528 und archivalischen Bei-
lagen. (Erlangen, Friedrich Junge, 1895. VI und 138 S.
Mk. 2.) — Als weitere Aufsatze ?on allgemeinerem Interesse
sind hervorzuheben: F. Stieve, Zur Geschichte der Konkordien-
formel I, 25 ff. (betr. die Stellung Donauwörth zur Konkordien-
formel). — J. Hans, Die ältesten evangelischen Agenten Augs-
burgs, I, 145 ff. — J. Miedel, Zur Memminger Reformations-
geschichte I, 171 ff. (enthält u. a. die viel gesuchten Artikel, die
Chr. Schappeler, nach dem Siege der Reformation in Memmingen
aufstellte, in denen man eine Vorlage der 12 Bauernartikel ver-
mutete). — Lud. Enders, Caspar Löners Briefbuch (Abdruck
einer zahlreichen Sammlung von Briefen Melanchthons, Nie. Medier,
Joh. Forster und anderer bekannter Persönlichkeiten an den in
Hof, Naumburg, und endlich in Nördlingen wirkenden bekannten
Caspar Löner). — Zucker, Dürers Stellung zur Reformation,
I, 275 ff. — Th. Kolde, Zur Geschichte Eberlins von Günzburg,
I, 265 (ein Brief desselben und einer des Kanzlers Vogler von
Ansbach betr. Eberlins Bewerbung um die Predigerstelle in
Rothenburg). Derselbe, Briefwechsel zwischen Urban Rhegius und
Markgraf Georg von Brandenburg, II, 26 ff. Derselbe, Markgraf
Georg von Brandenburg und das Glaubenslied der Königin Maria
von Ungarn (der Markgraf als Zeuge für die Königin Maria als
Verfasserin des Liedes: „Mag ich Unglück nit widerstan"),
II, 82 ff. Endlich soll noch erwähnt werden, dafs 0. Rieder,
Reichsarchivrat in München unter dem Titel „Kirchengeschicht-
licbes in Zeitschriften der historischen Vereine in Bayern" ein
durch alle Hefte fortlaufendes Repertorium der in den Zeitschriften
und Publikationen einzelner Vereine zerstreuten Arbeiten aus dem
Gebiete der bayerischen Kirchengeschichte liefert.
* 11. Unter dem wunderlichen Titel „Roligionsgeschichte
von Oberbayern in der Heidenzeit, Periode der
Reformation und Epoche der Klosteraufhebung44.
München (Litterarisches Institut Dr. M. Huttier), 1895. Preis
5 Mk., liefert der greise Münchener Historiker Dr. Joh. Sepp
in lose miteinander zusammenhängenden Abschnitten eine Menge
Bilder aus dem religiösen Volksleben Oberbayerns. Einiges
historisch Wertvolle, was man sich mühsam heraussuchen mufs,
findet sich neben sehr vielen Unrichtigkeiten namentlich in den
das Mittelalter und die Reformation betreffenden Abschnitten,
in den auf das Ende des vorigen und Anfang des jetzigen Jahr-
hunderts bezüglichen Partieen, z. B. in den Auslassungen über
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NACH NICHTEN
•205
Eus. Amort, wobei der Verfasser, wenn auch etwas scharf, aber
nicht ganz ungerechtfertigt gegen die jetzt übliche Überschätzung
des mit Amort oft auf gleiche Stufe gestellten Döllinger polemi-
siert, S. 287. Bedauerlich ist, dafs das Neue oder wenigstens
Unbekannte, was der feine Beobachter seinen Lesern in seiner
plaudernden Weise mitteilt, meistens nicht quellenmäßig belegt ist
12. Biezler, Sigmund. Die bayerische Politik im
8chmalkaldischen Kriege (Abhandlungen der Königl baye-
rischen Akademie der Wissenschaften, III Kl., Bd. XXI. 1. Abt.)
München 1895. 4.
13. K. von Beinhardstötter, Volksschriftsteller der
Gegenreformation in Altbayern (in dessen Forschungen zur
Kultur- und Literaturgeschichte Bayerns. München und Leipzig
1894. II. Buch. S. 46—139) giebt eine gute Obersicht über
die gesamte Polemik mit reichem Literaturnachweis und besonderer
Berücksichtigung des letzten hervorragenden Münchener Volks-
schriftstellers vor dem Dreißigjährigen Kriege, Aegidius Alber-
ttnus t 1620.
14. Jaeger, Job., Die Cisterzienser- Abtei Ebrach zur
Zeit der Reformation. Nach den Visitationsakten des Würzburger
Bischöfe Konrad von Thüngen vom Jahre 1531 und andern urkund-
lichen Quellen. Eine kirchen- und kulturgeschichtliche Studie.
Erlangen, Fr. Junge, 1895. S. 163. Mk. 2. Th. Kolde.
15. Ober „Lübeck und den Schmalkaldischen Bund im
Jahre 1536" teilt H. Virck in der Zeitschrift des Vereins für
Lübeckische Geschichte und Altertumskunde (Bd. VII, Heft 1
{Lübeck 1894], S. 23 ff.) hauptsächlich aof Grund des in Weimar
beruhenden archivalischen Materials Genaueres mit. Lübeck hatte
mit dem Anschlufs an den Bund egoistische Zwecke verfolgt;
als es im Krieg gegen Dänemark, von Bundesgliedern eher ge-
hemmt als unterstützt, wenig Glück gehabt hatte, erlosch das
Interesse Lübecks für die Schmalkaldener. Diese bemühten sich
dagegen, die Stadt festzuhalten und bedienten sich dabei des
Herzogs Ernst von Lüneburg und der Städte Hamburg und
Bremen als Unterhändler. Infolge der unglücklichen äufseren
Politik Lübecks war dort der 1531 beseitigte Bat und mit ihm
•der altgläubige Bürgermeister Nicolaus Brömse wieder ans Ruder
gekommen, sodafs der Unterhändler eine schwierige Aufgabe
wartete. Der Bat suchte zunächst alles in die Länge zu ziehen,
and die Stellung zum Bund möglichst unklar zu lassen. Immer
mehr regte sich deshalb unter den Evangelischen die Besorgnis,
Lübeck würde der evangelischen Lehre ganz untreu werden.
Das stellte der Rat, durch Schrift und Wort gedrängt, allerdings
in Abrede, erklärte aber, zu unvermögend zu sein, den Bundes-
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29ti
NACHRICHTEN.
beitrag zu leisten. Der Kurfürst von Sachsen schlug vor, diesen
Beitrag zu ermäfsigen, doch wollte man über Lübecks Stellung
vorher klarer sehen und schickte doshalb eine groise Gesandtschaft
dahin. Der Rat lehnte es ab, ohne die Gemeinde etwas Endgültiges
.zu äufsern. Die Gesandten beantragten infolgedessen die Berufung
der Gemeinde. Der Rat betief nur einen Teil, den er vorher
durch allerhand Ausstreuungen, als sei es den Schmalkaldenern
nur um das Geld zu thun, für sich gewonnen hatte. So verlief
auch dieser Versuch resultatlos, verschaffte aber den Schmalkal-
denern die Überzeugung, dafs Lübeck für sie verloren war.
Redlich.
C. P. Hofstede de Groot, Hundert Jahre aus
der Geschichte der Reformation in den Niederlanden.
Aus dem Holländischen von 0. Greeven. Mit Vorwort von D. Fr. Nip-
pold. Gütersloh 1893. S. 434. Das vorliegende Werk ist eine
allem Anschein nach getreue, jedenfalls sehr lesbare und im
zweiten Teil sogar schwungvoll geschriebene Wiedergabe des Werkes
des jüngeren, 1884 verstorbenen Hofstede de Groot, welches nach
einer weit ausholenden, aber kurzen Einleitung die Reformation
in den Niederlanden von 1518 bis zur Dortrechter Synode
schildert. Das Ganze durchzieht der Patriotismus des Nieder-
länders gegenüber dem Spanier, und der zweite Teil, der den Kampf
mit Spanien behandelt, ist nicht nur der lebendiger geschriebene,
sondern auch derjenige, bei dem der Deutsche es am meisten
begrüfsen wird, eine geschickte Zusammenfassung der uns ferner
liegenden und im einzelnen weniger bekannten Resultate der nieder-
ländischen kirchengescbichtlichen Forschung über jene Zeit zu
erhalten. Mit Recht betont der Verfasser die Eigenart der nieder-
ländischen Reformation, aber die Thatsache, dafs der Protestantis-
mus in den Niederlanden zeitweilig mit dem Täufertum zusammen-
fallt, kommt doch nur gelegentlich (z. B. S. 236) zum Ausdruck,
und wie das allen niederländischen Historikern namentlich aber
denen der Gröninger Schule eigen zu sein pflegt, wird die Be-
deutung der sogenannten Vorreformation und des Erasmus erheb-
lich überschätzt, wenn auch gewifs in der allgemeinen Reformations-
geschichte mehr betont werden sollte, als es gewöhnlich geschieht,
dafs für die Eigenart der Anfange niederrheinischer Reformation,
der Einflufs erasmischer Gedanken besonders wirksam war, viel-
leicht auch dafür, dafs der Anabaptismus mit seinem gleichartigen
Lebensideal daselbst eine so bedeutende Macht wurde. Überschweng-
lich ist das Urteil über des Erasmus Enchiridion, „eine Christus-
predigt so reich und so rein, als es vielloicht seit den Tagen
des Apostels Paulus keine gegeben hat" S. 35, und auffallend
ist, dafs der Verfasser Job. v. Wesel 1479 verbrannt werden
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XACHKICHTEN.
297
lftfst S. 24. Der Kritiker würde manches Fragezeichen machen,
aber die Arbeit ist es doch wert gewesen, ins Deutsche übersetzt
und gelesen zu werden. Th. Kokk.
17. Julius Denk, Die Einführung des exercitium Augu-
stanae confeasionis in der Grafschaft Ortenburg und die daraus
entstandene Irrung. (Verhandlungen des Historischen Vereines
für Niederbayern. Bd. XXX, [Landshut 1894], S. 1—64.) Graf
Joachim von Ortenburg hatte bereits im Marz 1661 auf dem
Landtag zu Ingolstadt der Einführung der Augsburgischen Kon-
fession in Bayern das Wort geredet, als er im Oktober desselben
Jahres förmlich zur Konfession übertrat. Er geriet damit sofort
mit Herzog Albrecht V. in Konflikt, der dem reichsunmittelbaren
Grafen wegen seiner Lehnspflichten das Recht nicht zuerkennen
wollte, ohne den herzoglichen Willen Neuerungen vorzunehmen,
zumal auch über die staatsrechtliche Stellung der Grafschaft
Ortenburg noch ein Prozeüs beim Kammergericbt schwebe. Aufser-
dem beanspruchte der Herzog auf Grund alter Verträge die
Öffnung der Ortenburgischen Schlösser und Häuser; Graf Joachim
mufsrte, da er dies nicht gutwillig zugestand, sich der Gewalt
fügen, die Schlösser wurden eingenommen und die Prediger über
die Grenze gebracht. Der Zulauf zu ihren Predigten von aus-
wärts war sehr bedeutend gewesen. Das Bedenklichste war aber
für den Herzog, dafs Graf Joachim nicht allein stand; als seine
Kanzlei zu Matt ich koten in Albrechts Hände fiel, entdeckte dieser,
dafs eine grofse Anzahl Adeliger dem Grafen gesinnungsverwandt
war. Mit Strenge ging der Herzog gegen die Freunde wie gegen
Graf Joachim vor, um so mehr, als er einen Zusammenhang zwischen
diesem und Wilh. v. Grumbach vermutete, was sich allerdings
nicht bestätigte. Ebenso war es nicht zu beweisen , ob oine
förmliche Verbindung zwischen Joachim und dem Adel ob der
Enns bestand. Der Verfasser nimmt es jedoch für wahrschein-
lich an, dafs Joachim eine landesverräterische (!) Verschwörung
unter den bayrischen Landsassen angestiftet habe, — eine Ver-
schwörung, die allerdings nichts Schlimmeres beabsichtigte als
die Einführung der „neuen Lehre44. Redlich.
18. P. Schwenke, Zur altpreufsischen Buch-
druckergeschic h te (Sammlung bibliothekswissenschaftlicher
Arbeiten. Herausgegeben von K. Dziateko. 8. Heft. [Leipzig
1895]. S. 62 — 83). — Schwenke bringt den Nachweis, dafs
der in der Königsberger Reformation bekannte Buchdrucker Wein-
reich reformatorische Drucke nicht erst seit 1523 in Königs-
berg, sondern schon 1520 in Danzig hergestellt hat. Schwenke
führt aus dem Jahre 1520 einen Weinreichschen Druck von
■
298 NACHRICHTEN.
Luthers „Beichtbüchlein" an, welches in der Wehn. Ausg.
I, 247 ff. unter dem Titel „Die zehn Gebote Gottes" u. s. w.
vorliegt. Darauf folgt wahrscheinlich aus dem Jahre 1521 ein
reformatorisches Gedicht gegen die Geistlichen von Kunz Löffel ,
welches bei Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied III, 387 f.
wiedergegeben ist — Es mufs also schon 1520 und 1521 für
solche Drucksachen in Danzig Stimmung vorhanden gewesen sein.
Sehr interessant für die preufsische Druckergeschichte, aber min-
der wichtig für die Kirchengeschichte ist Schwenkes Entdeck™ tr
„eines Liedes, wie der Hochmeister in Preufsen Mariam, anruft"
(1520 im Kriege mit Polen). Dieser Weinreichsche Druck bringt
einen neuen Beweis, dafs der Hochmeister Albrecht von Branden-
burg in Preufsen vor 1522 gut katholisch war. .
P. Schwenke, Zwei Lieder für den Hochmeister
Albrecht von Brandenburg. (Altpreufs. Monatsschrift,
Bd. XXXII, Hft. 1 o. 2, S. 153—173.) Schwenke giebt hier
zunächst einen Neudruck des von ihm entdeckten Marienliedes
für den Hochmeister Albrecht vom Jahre 1520, sodann aber ein
zweites und zwar reformatorisch gerichtetes Lied auf Albrecht
selbst, als dessen Verfasser Schwenke Lazarus Spengler in Nürn-
berg wahrscheinlich macht. Er legt seine Abfassung in die Jahre
1522 bis 1523. Das Lied ist zwar schon von Th. Muther in
den N. Pr. Prov.-Bl., 3. Folge, Bd. 711 (1861), S. 339f. ge-
druckt, wird aber hier S. 163 — 169 nach der von Joachim im
K. St -Archiv zu Königsberg wieder aufgefundenen Handschrift
neu gedruckt.
18*. Paul Bött icher, Die Anfänge der Reformation in
den preußischen Landen ehemals polnischen Anteils bis zum
Krakauer Frieden, 8. April 1525. Diss. Königsberg, W. Koch,
1894.
18b. S. Issleib, Das Interim in Sachsen 1548 — 1552 in:
Neues Archiv für Sächs. Gesch. u. Altertumskonde XV (1894).
Tschackert.
\9. Im Korrespondenzblatt des Vereins für Geschichte der
evangelischen Kirche Schlesiens, Bd. IV (Liegnitz 1894) prüft
Eberlein (S. 65 ff.) die Überlieferung, nach welcher die älteste
evangelische Predigt in Schlesien auf dem Gate derer
v. Zedlitz in Neukirch (bei Schönau) 1518 gehalten sein soll.
Mit Hilfe von Nachrichten, die bis 1573 zurückreichen, sucht er
zu erweisen, dafs Georg v. Zedlitz schon bis zum Jahre 1526
drei evangelische Prediger bei sich gehabt, aber freilich erst
c. 1526 die Pfarre in Neukirch mit einem evangelischen Pfarr-
berrn habe besetzen können. Derselbe veröffentlicht S. 82 f.
einen gleichzeitigen Bericht über die „Bauernprediger", in denen
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KACHRICHTEN. 299
1587 ff. in der Nahe des Gröditzberges die Schwenkfeldische
Bewegung nachwirkte ; desgl. S. 84 ff. eine gleichzeitige Nachricht
aber eine Kindererweckung in Steinseifen 1730 and die Reaktion
der katholischen Geistlichkeit gegen dieselbe. Es erhellt daraas,
dafs dieses „Kinderbeten" auf pietistische Einwirkungen zurück-
zuführen sein wird. Konrad macht S. 98 ff. Mitteilungen über
Briefe aus den Jahren 1521 — 1538, die auf der Breslauer Stadt-
bibliothek neuerdings aufgefunden sind. Darunter befindet sich
«in — leider recht fehlerhaft reproduziertes — Schreiben von
Jacob Montanus und Antonius Meiensis (so zu lesen statt Wiciensis),
den Vorstehern der Schule zu Herford, an den Breslauer Bat,
von 1521 , das die Verbindung dieser Schule mit Breslau und
die dort gehandhabte Disziplin unter den Schülern beleuchtet.
Ferner ein Schreiben des Bischofs Jakob von Salza an den Bres-
lauer Bat, betr. die Einführung von Job. Hefs als Pfarrer an
St Magdalenen vom 17. Oktober 1523. G. Kawerau.
Gegenüber der „bei manchen Elsasser Protestanten"
zu beobachtenden „Sitte, die Neuerer des 16. Jahrhunderts, na-
mentlich Butzer und Capito als Vei treter und Vorkämpfer der
Gewissensfreiheit zu betrachten", sucht N. Paulus, Die Strafs-
burger Reformatoren und die Gewissensfreiheit,
Freiburg i. B. 1895, 106 S. (Strafsbarger theologische Studien
II, 2) in Jaussenscher Manier Wahres und Unrichtiges mischend
aus den Auslassungen derselben ihre Unduldsamkeit und ihren
Fanatismus darzuthun, beschränkt sich aber nicht auf die Strafs-
bnrger, sondern giebt eine lange Blumenlese von angeblich fana-
tischen Aussagen auch anderer Reformatoren, die dem behaupteten
Eintreten für die Gewissensfreiheit nach seiner Auffassung schnur-
stracks widersprächen. Das Wertvolle der Auszüge aus den
leider sehr selten gewordenen Schriften Bucers und Capitos soll
nicht bestritten werden, auch nicht, dafs namentlich Bucer, wenn
des Verfassers Auszüge, was ich leider nicht kontrollieren kann,
richtig sind, das Recht der Obrigkeit zur Zwangsbekehrung in
einer Weise betont, die von Luther, was der Verfasser wissen
konnte, nie gebilligt wurde, ferner dafs die Strafsburger die
zwinglUche Auffassung von dem der Obrigkeit zustehenden Recht
der Regelung der Religionsangelegenheiten derart auf die Spitze
trieben, dafs sie an Intoleranz hinter den Römern nicht zurück-
standen, gleichwohl mufs gesagt werden, dafs die Gesamtbeurtei-
lung der vom Verfasser gesammelten Aussagen eine falsche ist,
weil er zwischen Gewissensfreiheit und Religionsfreiheit nicht zu
unterscheiden vermag. Dafs es den Reformatoren nicht einge-
fallen ist, für Religionsfreiheit einzutreten, weil dieser Be-
griff dem ganzen Zeitalter fehlte (vgl. Die Einheitsideen bei Ca-
300
NACH WICHTEN.
pito, S. 34) und auf Grund der gesamten mittelalterlichen, von
dem Verfasser doch hoffentlich für normal gehaltenen Entwick-
lung fehlen muf6te, dafs sie den Gedanken, zwei verschiedene
Religionsübungen könnten gleichberechtigt nebeneinandergehen
— nur einmal entsinne ich mich einer daran anklingenden Äusse-
rung bei Luther aus dem Jahre 1530, vgl. Th. Kolde, Martin
Luther II, 349 — , gar nicht fassen konnten, und deshalb gegen
jedes unberufene Lehren und die öffentliche Leugnung eines „der
Artikel des Glaubens" auftreten muteten, wird von keinem Kenner
der Reformationsgeschichte geleugnet werden, vgl. meine Dar-
legungen: Luther Ober Sektierer und Ketzer in „Christliche
Welt" 1888, Nr. 46. Ebenso fest steht aber, dafs sie gleich-
wohl mit Entschiedenheit für das Becht der Gewissensfrei-
heit eingetreten sind, oder wie ich es anderswo (Martin Luther
1, 349) ausgedrückt habe, für den damals ganz neuen Gedanken,
„dafs der einzelne auch ein Recht habe gegenüber dem Ganzen,
das Recht, auf die eigene Gefahr hin auch irren zu dürfen".
tl. Emil Egli, Zürich am Vorabend der Refor-
mation (Züricher Taschenbuch für 1896, S. 1 — 25) behandelt
in einer sehr lesenswerten Skizze die kirchlichen, politischen und
sozialen Verhältnisse von Stadt und Kanton Zürich vor dem
Auftreten Zwingiis. Th. Kolde.
23. Bernhard Rogge, Deutsch - evangelische Charakter-
bilder. Leipzig, H. Ebbecke, 1894. 237 S. 8. Mk. 2.80. —
Das populär geschriebene Büchlein enthält in höchst fesselnder
Darstellung 18 Charakterbilder von deutsch - evangelischen Män-
nern, welche in der Geschichte der evangelischen Kirche Deutsch-
lands zu besonderer Bedeutung gelangt sind. Manche von ihnen,
wie die Abschnitte: Luther, Melanchthon, Speratus, Bugenhagen,
Markgraf Johann von Küstrin, Paul Gerhardt und A. H. Fiancke
sind vom Verfasser schon im Gustav- Adolf- Kalender oder selb-
ständig erzählt, werden aber in dieser umfassenden Sammlung
gern noch einmal gelesen werden. Besonders haben den Re-
ferenten die Lebensbilder von Luther, Melanchthon, Bucer, Fried-
rich dem Weisen, Philipp von Hessen, Ernst dem Frommen,
Spener und Francke angezogen. Löschhorn.
23. Von dem auf dem Gebiete der Reformationsgeschichte,
speziell was die Bekämpfung der Reformation anlangt, mehr als
Üeifsigen N. Paulus, kath. Priester in München, sollen noch
folgende Arbeiten aus den letzten Jahren notiert werden, die,
wie bei dieser Massenproduktion begreiflich, zwar selten ausgefeilt
und abschliefsend und leider fast immer polemisch gehalten sind,
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NACHRICHTEN.
301
aber doch allenthalben wertvolles bio- und bibliographisches Ma-
terial zumeist aus der in dieser Beziehung so reichen Münchener
Bibliothek enthalten.
N. Paulus, Dr. Konrad Braun. Ein katholischer Bechts-
gelebrter des 16. Jahrhunderts. Hist. Jahrb. d. Görresgesellsch.,
Bd. XIV (1893), S. 517 — 548, eine ausführliche Abhandlung
Ober Leben und Wirksamkeit des an den verschiedensten deut-
schen Höfen wirkenden Bekämpfe rs der Reformation, geb. 1491,
gest. 20. Juni 1563.
Derselbe, Wolfgang Mayer, ein bayerischer Cistercienserabt
des 16. Jahrhunderts (ebenda Bd. XV, 8. 575 ff.). Behandelt
Leben und schriftstellerische Thätigkeit des niederbayerischen
Historiographen W. Mayer (Marius), der von 1514 — 1549 Abt
des Cistercienserklosters Alderspach gewesen ist und die Annales
seines Klosters bis zum Jahre 1542 geschrieben hat, die (hand-
schriftlich in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek) nach den
Mitteilungen von Paulus sehr viele interessante Nachrichten zur
Geschichte seiner Zeit enthalten müssen.
Derselbe, Urban Bhegius über Glaubenszwang und Ketzer-
strafen. Historisch-politische Blätter 1892, S. 817 ff.
Derselbe , Christoph von Schwarzenberg , ein katholischer
Schriftsteller und Staatsmann des 16. Jahrhunderts. Ebenda
1893, S. 10.
Derselbe, Der Benediktiner Wolfgang Seidl. Ein bayerischer
Gelehrter des 16. Jahrhunderts (geb. 1491, gest. 1562) in Hist -
pol. Blätter, Bd. CXIU (1894), S. 165 ff.
Derselbe, Der Franziskaner Stephan Fridolin. Ein Nürnberger
Prediger des ausgehenden Mittelalters. Ebenda S. 464. (Auf
die Bedeutung dieses hervorragenden Predigers bei S. Clara in
Nürnberg hatte bereits Vasenmeyer, Sammlung von Aufsätzen zur
Erläuterung der Kirchengesch. [Ulm 1827], S. 198 ff. aufmerk-
sam gemacht.)
Derselbe, Dr. Matthias Kretz, ein bayerischer Gelehrter des
16. Jahrhunderts. (Nachfolger des Urb. Bhegius auf der Dom-
kanzel zu Augsburg.) Hist -pol. Blätter, Bd. CXIV (1894), S. 1 ff.
Derselbe, Beichshofrat Dr. Georg Eder (geb. 1523, gest. 1587).
Ein katholischer Rechtsgelehrter des 16 Jahrhunderts. Ebenda
Bd. CXV, S. 13 ff. 80 ff.
Derselbe, Matthias Sittardus. Ein kaiserlicher Hofprediger
des 16. Jahrhunderts. Ebenda Bd. CXVI, S. 237 ff. 329ff.
Derselbe, Johann Wintzler, ein Franziskauer des 16. Jahr-
hunderts. In der „Katholik", III. Folge, Bd. IX (1894), S. 40 ff.
Derselbe, Conrad Kling. Ein Erfurter Domprediger des 16.
Jahrhunderts. In der „Katholik", III. Folge, Bd. IX (1894),
S. 146 ff.
302
NACHRICHTEN.
Derselbe, Gerhard Lorichius, ein Konvertit des 16. Jahr-
hunderts. Ebenda S. 503.
Derselbe, Zar Geschichte des Katechismos. Ebenda Bd. X,
S. 185 ff. (handelt unter anderem von einem um 1515 zu Lands-
hut gedruckten Katechismus).
Derselbe, Michael Heiding, ein Prediger und Bischof des 16.
Jahrhunderts Ebenda S. 410 ff. 481 ff.
Derselbe, Pseudonyme Schriften von Georg Wizel. Ebenda
S. 473 ff.
Derselbe, Zur Revision des Index. Zensurierte katholische
Schrittsteller Deutschlands des 16. Jahrhunderts. Ebenda Bd. II
(1895), S. 193 ff.
Derselbe , Zur Geschichte der Kreuzwegandacht. Ebenda
S. 326 ff.
Derselbe, Adam Walasser, ein Schriftsteller des 16. Jahr-
hunderts. Ebenda S. 453.
Derselbe, Caspar von Gennep. Ein Kölner Drucker und
Schriftsteller des 16. Jahrhunderts. Ebenda Bd. XI, S. 408 f.
Derselbe, Die Vernachlässigung der Pestkranken im 16. Jahr-
hundert. Ebenda Bd. XII. S. 280 ff.
Derselbe, Paul Scriptoris, ein angeblicher Reformator vor
der Reformation in der Tübinger theol. Quartal schrift, Bd. LXXV
(1893), S. 289 ff.
24. Unter dem Titel: Die Bürgermeister G. Agricola
und J. Hasz bespricht F. Falk in den Hist-pol. Blättern
1894, I. Bd. CXVIII, S. 140 die Stellung des bekannten Mi-
neralogen G. Agricola, des späteren Bürgermeisters von Chemnitz
(geb. 1496, gest. 1555) und des Görlitzer Bürgermeisters Job.
Hasse zur Reformation auf Grund der in den scriptores rerum
Lausaticarum Görlitz 1850—1870 erschienenen Görlitzer Staats-
annalen. Th. Kolde.
25. Als erstes Heft einer Sammlung von „Beiträgen und
Urkunden zur deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation u
veröffentlicht Kurt Krebs ein Heft unter dem Titel: „Haugold
von Einsiedel auf Gnandstein, der erste Luthe-
raner seines Geschlechts" (Leipzig, Rufsberg, 1895. 129 S.
Mk. 3). Er bezeichnet es als erste Frucht seiner vierjährigen
Arbeiten in den Archivalien der Familie von Einsiedel auf Gnand-
stein. Die folgenden Hefte sollen sich besonders mit Heinrich
von Einsiedel beschäftigen. Die gröfsere Hälfte dieses ersten
Heftes nimmt der Abdruck von Urkunden ein. So fleifsig auch
der Verfasser die Archivalien und neben ihnen die gedruckte
Litteratur zusammengetragen hat, so ist doch zu bedanern, dafis
für die ersten Reformationsjahre — Haugold starb bereits 1522 —
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NACHRICHTEN.
303
sich fast nichts von neuen Materialien bat finden lassen. Die
wichtigeren Urkunden stehen schon im Corp. Ref. Dabei ist die
Art bedenklich, wie der Verfasser die kirchlichen Dinge beurteilt.
Nachdem er S. 20 ff. einige Skandale von katholischen Geistlichen
archivalisch nachgewiesen hat, fährt er fort: „Solche Vorkomm-
nisse mulsten mit der Gewalt eines reifsenden Stromes die Chri-
sten jener Gegend der katholischen Kirche entfremden. Sie
mufsten Haug. v. Einsiedel mit Sehnsucht nach einem Reformator
erfüllen" (S. 22). Ebenso schnell wird ans Corp. Ref. I, 556
„wohl wüfste 8.C.G., dafa Gott der Allmächtige durch Fischer
und andere geringe und verachtete Leute grofse und wunderliche
Dinge gehandelt" gleich die Entwickelung der evangelischen
Gesinnung des Kurfürsten erschlossen. Und wenn in einem
Prozefs über das Besetzungsrecht einer Pfarre Zeugen im Februar
1518 über den Pfarrer despektierlich reden, so erblickt er darin
„gar wohl eine Stellungnahme aus dem Volke zu Luthers Schritte
am letzten 31. Oktober". An dieser vorschnellen Art, für die
evangelische Sache Zeugnisse zu finden, haben wir kein Wohl-
gefallen; denn sie verrät nur wenig geschichtlichen Sinn. Auch
schreibt der Verfasser einen ganz eigenen, weder klaren noch
schönen Stil. Möchten die späteren Hefte für die Reformations-
gescbichte selbst reichere Ausbeute bringen; das wünschen wir
dem Verfasser, der es an peinlichem Fleifs nicht hat fehlen
lassen. Ein neues urkundliches Datum zur Geschichte des Auf-
tretens des Miltitz in Sachsen bietet übrigens S. 44.
*?6. Einen interessanten Beitrag zur Geschichte der re-
formierten Kirche in der Pfalz hat Aug. Bonnard in seiner
Schrift Thomas Eraste (1 52 4— 1 58 3) et la discipline
eccUsiastique (Lausanne, G. Bridel & Cie., 1894. '218 S.)
veröffentlicht. Nicht handelt es sich um eine vollständige Bio-
graphie des bedeutenden Arztes Th. Erastus (eigentlich Lüber),
der auf manchen Gebieten der Naturwissenschaften einen ge-
sunden Fortschritt vertrat, aber doch in Fragen des Hexenwesens
gegen Wier den überlieferten Aberglauben verfocht, sondern we-
sentlich um seine Teilnahme an den Kämpfen, die sich in der
Pfalz um die Aufrichtung der presbyterialen Kirchenzucht nach
Genfer Muster 1568 ff. erhoben. Zwinglianismus und Calvinis-
mus stiefsen hier in charakteristischer Weise in den Personen
Erasts einerseits, des Olevianns, Ursinus, Boquin u. a. anderseits
aufeinander; Bullinger und seine Züricher Kollegen standen auf
Erasts Seite, Beza auf der Seite der Gegner. Zuwartend stand
Friedrich III. eine Zeit lang zwischen den Parteien, bis die
Entdeckung der antitrinitarischen und antichristlichen Irrlehren
der Parteigänger Erasts, Neuser und Sylvan am 13. Juli 1570
der calvinischen Partei den Sieg verschaffte (wenn auch mit
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NACHRICHTEN.
einigen Modifikationen zugunsten des landesherrlichen Kirchen-
regiments). In einem kurzen ersten Teile schildert Verfasser
Erasts Leben und sein auch theologisches Wirken bis 1568 und
den Stand der Kirchendisziplin in der Pfalz bis znm Ausbruch
des Streites, im zweiten den Streit selbst nach seinem äufseren
Verlauf, im dritten die theologischen Positionen beider Parteien
in ihren Streitschriften, im vierten Erasts spätere Lebensschick-
sale und die Verpflanzung des „ Erastianismus " nach England
durch die posthume Veröffentlichung seiner 8chriften über Kircben-
zurht (London [auf dem Titel steht verheilend Pesclavii] 1589).
Appendices über Namen und Geburtsort (Baden in der Schweiz,
nicht Auggen) des Erast, Ober ihn als Verfasser des „Büchlein
vom Brodbrechen" n. dgl. , sowie eine Bibliographie seiner
Schriften bilden den Schlofs der sorgfältigen Studie. Ihren be-
sonderen Wert bildet die reichliche Ausbeutung des Briefwechsels
des Coli. Simleriana in Zürich. Zur Bibliographie trage ich
einen Plakatdruck seiner Thesen de natura et causis epilepsiae
1573 (fol.) und Theses de sudore. Basil. 1581 (4°) nach. Ge-
druckte Briefe von und an Erast stehen zahlreich in Joh. Cra-
tonis Consiliorum et Epistolarum medicinalinm , libri VII (ed.
Lanr. Scholz), Francof. 1671 in lib. I, III u. V. Unter diesen
Briefen medizinischen Inhalts enthält der vom 18. April 1581
einige Nachrichten über seine Übersiedelung nach Basel (III,
233). Die Breslauer Stadtbibliothek besitzt eine Anzahl Briefe
Erasts im Original aus den Jahren 1576—1581, die jedoch fast
ausschliefslich medizinischen Inhalts sind. Bedauerlicher ist, dafs
der Verfasser H. Hagens Briefe von Heidelberger Professoren
und Studenten, Heidelberg 1886, übersehen hat; hier ist be-
sonders der Brief Erasts vom 12. September 1567 an Haller in
Bern von Bedeutung, da er den Kampf über die Kirchendisziplin
bereits ankündigt, die Entlassung des Joh Brunner schon mit
dieser Streitfrage in geheimen Zusammenhang bringt und sein
gespanntes Verhältnis zu den quidam, qui pro bar i ab omnibus
volunt quod ipsis placuit, bekundet (S. 31). Dafs Bonnard
den Druck der Schriften Erasts über Kirchenzucht mit Recht
nach London verlegt, läfst sich meines Eracbtens besonders ans
den darin verwendeten Typen für deutschen Text erhärten. Bei
der sonst bemerkenswerten Gerechtigkeit des Verfassers in seinen
Urteilen mufs es auffallen, dafs er S. 26 den Widerstand der
lutherischen Oberpfalz gegen Friedrichs Calvinismus auf Rechnung
der beliebten intolerance luthärienne setzt Wie unpopulär auch
in der Kurpfalz zunächst Friedrichs calvinische Reform war, be-
zeugt uns Erasts lehrreiche Bemerkung : Vix trigesima populi pars
doctrinam intelligebat et approbabat: ceteri omnes hostes nobis
erant infestissimi (S. 41). G. Kauerau.
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NACHRICHTEN.
♦27. Martin Philippson, Ein Ministerinin unter Phi-
lipp II. Kardinal Granvella am spanischen Hofe (1579 bis
1586). Berlin, Siegfried Cronbach, 1895. VII und 642 S.
12 Mk. Nach einer Skizze des Lebensganges des Anton Per-
renot, des späteren Kardinals Granvella, dessen Thätigkeit wie
Erlebnisse als Rutgeber der Regentin Margarete von Parma in
den Niederlanden mehrfach der Gegenstand eingehender Darstel-
lung gewesen sind (weshalb sie hier nur gestreift werden, wäh-
rend der Verfasser bei den weiteren Schicksalen deshalb aus-
führlicher verweilt) und einer daran sich an schliefsenden Skizze der
Zustände Spaniens zu der Zeit, als Granvella sein Amt als erster
Minister antrat, schildert der Verfasser mit grofser Ausführlich-
keit die Geschichte seines Ministeriums, die bei der damaligen
Stellung der spanischen Weltmonarchie nnd dem weitreichenden
tiinflufs Granvellas natnrgemäfs die Geschichte aller europäischen
Staaten berührt und nicht am wenigsten die Geschichte des sich
regenerierenden Katholicismus in seinem Kampfe gegen den Pro-
testantismus. Bei der Reichhaltigkeit des Quellenmaterials, das
der Verfasser zu nicht kleinem Teile erst gehoben hat, während
für anderes die Correspondance Granvellas in der Ausgabe von
Piot die vorzüglichste Quelle war, ist es ihm möglich, ins ein-
zelne zu gehen, und es begreift sich, dafs auch der Kirchen-
historiker in nicht wenigen Punkten spezielle Belehrung findet, fallt
doch in die geschilderte Zeit, abgesehen von den Verwickelungen in
den Niederlanden die thatkräftige Unterstützung der katholischen
Liga in Frankreich, die Ausrüstung der Armada, die Zettelung
mit Maria Stuart, das Eingreifen in die Kölner Wirreu etc.
28« Ludwig Enders hat in der bekannten, trefflichen
Sammlung der Niemeyerschen Neudrucke deutscher Litteratur-
werke, Flugschriften aus der Reformationszeit, begonnen, aus-
gewählte Schriften Eberlins von Günzburg herauszugeben.
Die erste Abteilung (Nr. 139 — 141 der Neudrucke. Halle 1896.
Mk. 1.80) umfafst die „15 Bundesgenossen", denen der Her-
ausgeber eine kurze Einleitung voranschickt und erklärende An-
merkungen folgen läfst. Zu dem dem Heransgeber unverständ-
lich gebliebenen Ausdruck „epikierung" (S. 22, Z. 18 vgl. 211),
was von imtixtfa abzuleiten ist, verweise ich auf Conf. Aug.
Art. 26 und mein Cität aus Thomas Aquinas in „Die Augs-
burgische Konfession ", lateinisch uud deutsch, kurz erläutert von
Th. Kolde (Gotha 1896), S. 77. Th. Kolde.
29. G. Bauch behandelt in Zeitschr. d Vereins f. Gesch.
u. Altert. Schlesiens, Bd. XXIX, S. 159—196, den Schöpfer
der hernach durch Trotzendorf so berühmt gewordenen Gold-
berger Schule, Hieronymus Gürtler von Wildenberg (auch
Zeitschr. f. K.-O. XVII. 1 u 2. 20
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306
NACHRICHTEN.
Cingulator, Cingulatorinus, Cingularias, Aurimontanus a Ferimon-
tanis u. a. genannt). Mit grolser Sorgfalt ist dem verschlungenen
Lebenswege des 93 Jahre alt gewordenen Pädagogen und Medi-
ziners nachgegangen: geb. c. 1465 in Goldberg, Student in Köln
seit 1496, 1501 mag., wird er Rektor der Schule der Brüder
des gemeinsamen Lebens in Kulm in Westpreufsen. (Dabei er-
halten wir Nachrichten Ober den seit 1386 bestehenden Plan
der Hochmeister, in Kulm eine Universität zu errichten. Aber
trotz päpstlichen Privilegs für ein Studium generale kommt nur
und erst 1472 ein Studium particulare mit Hilfe des Bruder-
hauses Zwoll zustande, das drei Brüder als Lehrer entsendete.)
1504 siedelt er nach Goldberg über, wo der Rat die alte Stadt-
schule mit der neuen Schule vereinigt, die bald durch den auch
als Schriftsteller (Grammatik) thätigen Rektor an Ruf gewinnt.
Aber 1511 zieht er nach Wittenberg zum Studium der Medizin,
taucht 1515 in Thorn als Stadtphysikus auf. Bis an sein Lebens-
ende (1558) bleibt er aber auch in dieser veränderten Berufs-
stellung litterarisch und mit seinen persönlichen Interessen dem
Schulwesen zugewendet, ein unermüdlicher Freund der Kulmer
und der fernen Goldberger Schule.
30. Eine sehr schätzenswerte, fleißige Studie zur Biographie
des Mitarbeiters am Augsburger Interim und Bischofs von Merse-
burg, Michael Heiding (Sidonius) veröffentlicht N i k. Paulus,
der unermüdliche Biograph katholischer Theologen der Refor-
mationszeit, im „Katholik", 74. Jahrg. (1894), II, S. 410ff. u.
481 ff. G. Kawerau.
*81. In umfassenderer Weise sucht Ludwig Schmitt
(S. J., der Karmeliter Paulus Heliae, Vorkämpfer der ka-
tholischen Kirche gegen die sogenannte Reformation in Dänemark.
Freiburg im Breisgau, Herdersche Yerlagsbandlung. XI u. 172 8.
Mk, 2,30) das Andenken des wohl bedeutendsten litterarischen
Bekämpfers des Luthertoms in Dänemark zu erneuern, wobei er
denselben, den die älteren Biographen als früheren Anhänger
Luthers in Anspruch nahmen und den die zeitgenössische Satire
schon als „Wendepelz" bezeichnete, als stets getreuen Sohn der
römischen Kirche zu zeichnen bestrebt ist Wie weit das richtig ist,
können nur Kenner der meist dänisch geschriebenen Quellen be-
urteilen. Jedenfalls wäre eine genaue Untersuchung der doch
auch nach Schmitt in vielen Punkten nicht ganz rein katholischen,
purgierten Obersetzung von Luthers „Betbücblein" sehr wün-
schenswert und wohl für die Frage entscheidend. Dafs dieser
Paul Eliae nicht der Verfasser der Schrift „vom alten und neuen
Gott ist", möchte auch ich annehmen.
Th. Kölde.
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NACHRICHTEN.
307
32. Über die persönliche Begegnung des Wernigerode r
Dechanten Job. Kerkener mit Luther im Hause des Witten-
berger Mediziners Th. Eschaus um Martini 1520 berichtet E. Ja-
cobs in seinem Aufsatz „Aas dem Rechnungsbuche Joh. Ker-
keners von 1507 — 1541" in Zeitschrift des Harzvereins XXVII,
S. 593 ff. Luther, von Otto Beckmann bei Tische angeredet:
„Her doctor Martine, gy mothen ock noch frygen" giebt die
entschiedene Antwort: „Neynich ick, wer] ich des en d6 ick
nicht44. Kerkener hält diese persönliche Erinnerung an seine
Begegnung mit Luther fest, um an ihr den späteren Abfall des-
selben von seinem Wort und Entschlufs grell zu beleuchten.
Was Jacobs sonst aus Kerkeners Rechnungsbuch mitteilt, bezieht
sich besonders auf lokale Bausachen und eine Wernigeröder, jetzt
nicht mehr erhaltene Bibliothek. Cr. Katcerau.
33. Der beste Kenner Salzburgs im Beformationszeitalter,
der gelehrte Benediktiner W i 1 1 i b a 1 d Hauthaler veröffentlicht
wesentlich auf Grund des von ihm neugesichteten Salzburger
Konsistorialarchivs auf wenigen Seiten des Jahrbuchs der Leo-
Gesellschaft (auch sep. Wien 1895, Selbstverlag der Leo-Gesell-
schaft) eine sehr instruktive Skizze Ober „Des Kardinals and
Salzburger Erzbischofs Matthäus Lang Verhalten zur religiösen
Bewegung seiner Zeit" (1519 bis 1540), die freilich den Wunsch
nach einer gröfseren, mit Aktenstücken belegten Publikation von
neuem hervorruft Auffallend ist, dafs sich bis jetzt keine Briefe
des Kardinals gefunden haben, die doch schwerlich alle verloren
gegangen sein können. Th. Kolde.
*34. Georg Lösche, Johannes Mathesins. Ein
Lebens- und Sittenbild aus der Reformationszeit Zwei Bände.
Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1895. — Seinen mancherlei
Vorarbeiten zu einer Geschichte des Reformators Joachimsthals
hat Georg Lösche nunmehr ein umfangreiches Lebensbild des
Mathesius folgen lassen, das dank der Reichhaltigkeit seines
Materials, dank der sorgfaltigen Detailforschung und nicht zuletzt
auch dank seiner anziehenden Darstellung als ein wertvoller Bei-
trag zur deutschen und böhmischen Reformationsgeschichte mit
lebhaftem Danke zu begrfifsen ist. Aber auch die Kulturgeschichte
wird aus diesem Buche reichen Gewinn ziehen, wie denn der
Verfasser mit Fug und Recht seine Arbeit als Lebens- und
„Sittenbild" bezeichnet hat; denn bei der Eigenart der Predigten
des Mathesius war es nur natürlich, gerade die mannigfachen
darin enthaltenen sittengeschichtlichen Mitteilungen nachdrücklich
hervorzuheben, gerade aus ihnen reichliche Auszüge zu geben
und sie zu einem lebensvollen und farbenreichen Kulturbilde zu
20*
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308
NACHRICHTEN.
vereinigen. Durch diese umfangreichen Mitteilungen aus den
Schriften des mit der Volkssitte so intim vertrauten Pfarrers zu
Joachimsthal ergab sich ganz von selbst die Disposition dieses
Lebensbildes. Lusche behandelt zunächt ansscbliefslich das Bio-
graphische, bespricht alsdann eingebend die einzelnen Werke und
giebt endlich im zweiten Bande, in dem auch der „Dichterling"
nicht vergessen ist, noch eine systematische Charakteristik der
Predigten. Es folgt als Anhang in 187 Nummern (darunter sechs
neue Melanthoniana) der Briefwechsel des Mathesius, ein Abdruck
seiner Rechtfertigungsschrift an König Ferdinand vom 17. De-
zember 1546 und zuletzt eine sehr sorgfältige Bibliographie seiner
eigenen sowie der Schriften über ihn. In jenem ersten, rein
biographischen Teile liegt der Schwerpunkt in den Kapiteln über
Joachimsthal, die dem Verfasser zu einer vollständigen Mono-
graphie Ober die Stadt anwuchsen, in der neben einer erschöpfen-
den Darstellung ihrer Reformationsgeschichte auch die durch den
Bergbau beeinflufsten eigentümlichen sozialen und kulturellen
Verhältnisse in einer Fülle lehrreicher Einzelzüge geschildert
sind. Des Mathesius bedeutsame Kirchen-, Schul- und Spital-
ordnung von 1551 hatte der Verfasser schon früher behandelt
und giebt nun hier im wesentlichen eine neue und verbesserte
Auflage jener früheren Abhandlung, der mancherlei berichtigende
und ergänzende Rezensionen zustatten kamen; schon aus dieser
„ Ordnung u ergiebt sich ein reiches sittengeschichtliches Material,
das dann durch die Predigten in ganz aufserordentlichem MaTse
ergänzt und bereichert wird. Lösche gruppiert diese in solche
über normierte Texte, in solche über freie Texte und textlose
Predigten (Sarepta, Lutherhistorien); es folgen die Katechismus-
predigten und die Kasualien, worauf dann die Gesamtmasse dieser
homiletischen Arbeiten noch einmal nach den Gesichtspunkten:
Exegese, Dogmatik, Aberglauben, Polemik, Ethik, Form, Sprache
und Stil, ausführlich erörtert wird. Die sorgsame Analyse dieser
Predigten, die reichlichen Auszüge daraus, sowie jene besonnene
systematische Charakteristik sind überaus dankenswert und bieten
neben dem Theologen auch dem Kultur- und Literarhistoriker
ein reiches, übersichtlich gruppiertes und dank des Verfassers
aufserordentlicher Belesenheit mit reichen Erläuterungen versehenes
Material, das für die Sittengeschichte des Reformationszeitalters
von sehr erheblichem Werte ist. Nur waren natürlich bei dieser
doppelten Behandlung der Predigtlitteratur vielfache Wieder-
holungen unvermeidlich, und die Frage, ob nicht überhaupt eine
etwas knappere Zusammenfassung dieses weitschichtigen Stoffes
sich empfohlen hätte, läfst sich meines Eracbtens bei aller dank-
baren Anerkennung des Gebotenen nicht von der Hand weisen.
Und nicht nur in der behaglichen Breite dieser Partieen, sondern
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NACHRICHTEN.
309
auch sonst ist, wie mir scheint^ diese auf mehr als tausend Seiten
angeschwollene Biographie durch ein Zuviel belastet, das die
Lektüre des Buches erschwert und zu dem Gegenstande der
Arbeit doch wohl in keinem rechten Verhältnis steht. Ein Zu-
viel im Text, wo Wesentliches und Unwesentliches nicht immer
scharf genug geschieden ist, ein Zuviel in den Anmerkungen, die
durch das Bestreben, keine Lesefrucht unter den Tisch fallen zu
lassen, zu ungebührlichem Umfange angeschwollen sind, ein Zu-
viel endlich auch im Stil, den wohl mancher Leser schlichter
und mit elegantem Zierrat weniger überlastet wünschen möchte.
Indes kann dieses subjektive Bedenken den Wert der Arbeit
selbst nicht im mindesten schmälern: sie ist das Ergebnis mühe-
voller und sorgfaltiger Studien und einer jahrelangen, liebevollen
Beschäftigung mit dem wackeren, liebenswerten Mann, dem sie
gewidmet ist. Und das Bild dieses Mannes zeichnet sie so klar
und anschaulich, mit so gewissenhafter Treue und so feinem
Nachempfinden, dafs die Reformationsgeschichte dem Verfasser zu
lebhaftem Danke verpflichtet ist. W. Kawerau.
*35. Auf Anregung des weiland Prof. Vilmar hatte Pfarrer
Christian Müller in Fürstenau im Odenwalde langjährige Vor-
arbeiten für eine Mathesius-Biographie betrieben; er starb 1892,
ohne zum Abschlufs gekommen zu sein. Mit Benutzung seines
Nachlasses hat Oberlehrer Dr. Karl Amelung in Dresden
jetzt die beabsichtigte Biographie fertiggestellt: M. Johannes
Mathesius, ein lutherischer Pfarrherr des 16. Jahr-
hunderts. Gütersloh, C. Bertelsmann, 1894. (VIII u. 284 S.
Mk. 3. 60.) Der Verfasser war in der günstigen Lage, nun
auch die zahlreichen bereits gedruckten Vorarbeiten verwerten
zu köunen, die G. Lösche in den letzten Jahren seit 1888 ans
Licht hat treten lassen. Zwar befand sich bei der Herausgabe
auch Lösch es abschliefsende eigene biographische Arbeit bereits im
Druck, diese erhält also hier durch Amelungs vorauseilende Schrift
eine unliebsame Konkurrenz. Doch will Amelung für weitere
Kreise schreiben, verzichtet daher im allgemeinen auf Quellen-
nachweisungen, obwohl er über reichhaltige Excerpte aus den
Schriften des Mathesius verfügt, bei denen man gern den Fund-
ort angegeben sähe. Auch giebt er seiner Biographie mehrfach
recht handgreifliche Nutzanwendungen wider den „kulturkämpfe-
rischen Protestantismus" oder wider die „Leugner der Gottheit
Christi" unter den heutigen evangelischen Theologen mit auf
den Weg und meint sich als Lutheraner durch Rohbeiten gegen
Zwingli ausweisen zu müssen. Schade, dafs der Verfasser bei
dem reichen Material, über das er verfügte, seine Aufgabe nicht
etwas höher gegriffen hat. Aber mit Vergnügen hört man es,
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310
NACHRICHTEN.
wenn der alte Mathesius hier möglichst viel selber zu Worte
kommt. Von S. 249 an werden in mehreren Anhängen zwei
Predigten, einige Gebete, sieben Dichtungen und zwei Fabeln des
Mathesius mitgeteilt. Cr. Katcerau.
*36. Arnold E. Berger, Privatdozent an der Universität
Bonn, Martin Luther in kulturgeschichtlicher Darstellung.
Erster Teil 1483—1525. (Auch unter dem Titel Geisteshelden
[Führende Geister]). Eine Biographieen - Sammlung. Heraus-
gegeben von Dr. Anton Bettelheim. Bd. XVI u. XVII. Berlin,
Ernst Hofmann & Co., 1895. XXII u. 506 S. Luthers Leben
ist so reich, seine Persönlichkeit bekann termafsen eine so viel-
seitige, dafs man auch vom humanistisch - germanistischen Stand-
punkt neue Seiten an ihm entdecken könnte, die wertvolle Er-
gänzungen zu den bisherigen Auffassungen liefern dürfte. Aber
der Verfasser beabsichtigt mehr. Er begründet sein Unternehmen
mit dem Ungenügenden der bisherigen Darstellungen, sowohl von-
seiten der allgemeinen Historiker wie der Theologen, „nament-
lich Jürgens, Plitt, Köstlin, Kolde, G. Kawerau und Albrecht
Ritsehl, theologische Forscher von rastlosem Fleifs und andacht-
voller Gründlichkeit" — eine köstliche Stilblüte 1, bei den letz-
teren deshalb, weil der protestantische Theologe „niemals der
Atmosphäre seiner geistigen Erziehung so völlig wird entgehen
können, um die Heranbringung (!) aller apologetischen und pole-
mischen Gesichtspunkte schlechthin auszuschliefsen •'. Als Beweis
dafür werden ein paar Sätze eines ungenannten „hervorragenden
zeitgenössischen Theologen über Luther, „die jeden geschicht-
lichen Kopf befremden", mitgeteilt, dabei aber doch anerkannt,
dafs man bei den „theologischen Forschern von einer durch-
weh onds so musterhaften Besonnenheit, wie sie den oben nament-
lich angeführten eignet", dergleichen vergeblich suchen wird.
Gleichwohl ist die nötige Unbefangenheit nicht vorhanden, und
zwar deshalb, weil sie nicht vorhanden sein kann, deun, so
lesen wir: „die völlige Abwesenheit apologetischer Haltung müfste
bei einem theologischen Biographen Luthers, der doch die Ge-
schichte der protestantischen Kirche immer unsichtbar neben sich
hat (1), wie ein still mitwirkendes Regulativ vollends überraschen (!).
Und wo eine solche Haltung auch im Ausdruck noch so selten
sichtbar wird, da waltet sie unbewufst in der Auswahl des Ma-
terials und in der Art, wie die historische Kausal Verknüpfung-
angeschaut wird". Weiter findet der Verfasser, dafs „eine sehr
erklärliche Eifersucht darüber wache, dafs der religiösen Ori-
ginalität des Reformators nicht das Geringste abgebrochen werde,
und sie drängt das Interesse der Theologen ganz natürlich dar-
auf hin, diese Originalität von der Kultur ihres Zeitpunktes (!)
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NACHRICHTEN.
311
«o viel als möglich zu isolieren " (8. VII), eine gewifs starke Be-
hauptung vonseiten eines Mannes, der, wie sein Buch auf jeder
Seite ergiebt, meine Lutherbiographie wenigstens gelesen hat —
Während man auf eine ähnliche Kritik der allgemeinen Histo-
riker bereits vorbereitet ist, unterläfst der Verfasser sie doch
schlief8lich, um „die Fülle der fruchtbarsten Anregungen in jenen
epochemachenden Geschichtswerken" zu begrfifsen, „die aus den
sozialen Kämpfen der Gegenwart heraus unser historisches Denken
umgestimmt" (S. IX), und während er bei aller Hochschätzung
des Werkes von F. v. Bezold, doch, was er nur andeutet, „je
mehr die vorwiegend politische Geschichtschreibung von der
kulturellen überholt wurde", eben die letztere wohl zu wenig
gewürdigt findet, offeubart sich ihm „der erfrischende, universelle
Anhauch (!) jener Studien ebenso in der Art, mit welcher Theo-
logen wie A. Harnack und Herrmann, Nationalökonomen wie
Schmoller, Juristen wie Sohm und Gierke, philosophische Be-
trachter wie v. Eicken und Dilthey u. a. die Probleme der Re-
formation von den mannigfaltigsten Gesichtspunkten her fruchtbar
beleuchteten", S. X. Nachdem man sich durch dieses und an-
deres mühsam hindurchgearbeitet hat, umschreibt der Verfasser
die Aufgabe seines Buches endlich mit einem Worte S. XII da-
hin: „er wollte das, was Albrecht Ritsehl als die neuen Lebens-
ideale der Reformation bezeichnet, aber zur geschichtlichen Be-
gründung offen gelassen hat, in der Notwendigkeit seiner Ent-
stehung begreiflich machen, Luther nicht nur als das religiöse
Genie, sondern zugleich als Kulturhelden, als den Schöpfer des
Protestantismus , zur Anschauung bringen , als den gröfsten
Mittler (!), den unsere Geschichte kennt, und sein Werk ver-
folgen bis in seine ältesten Voraussetzungen einerseits, bis in
seine Ausgänge und seine Wirkungen auf das Geistesleben der
Neueren anderseits", S. XII. Und ebendazu ist nach Bergers
Meinung der Literarhistoriker am meisten geeignet, „denn es
ist das schöne Vorrecht des Literarhistorikers, mit den Gröfsten
der Geistesgeschichte gleichsam an einem Tische sitzen zu dürfen,
in ihre Wesensart sich einzuleben und ihr Offenbarungen ab-
zugewinnen, wie sie nur vertrautestem Umgange sich erschliefsen
mögen etc.". Da ist es freilich kein Wunder, wenn es uns
andern Lutherbiographen, namentlich den armen Theologen nicht
gelungen. Erst dem Literarhistoriker war es vergönnt, Luther
als „religiösen Mittler" zu erkennen und darzustellen, wo-
mit sich der erste vorliegende Band beschäftigt (1. Kap.: Luthers
Erwählung zur Mittlerschaft. 2. Kap.: Luthers Erwerbung der
Mittlerschaft 3. Kap.: Luthers Bewährung der Mittlerschaft),
während der zweite Teil Luther als „führenden Geist" behandeln
soll. Und diese Bezeichnung Luthers als „religiösen Mittler" ist
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312
XACHUICHTEN.
ganz gewifs etwas Neues; ob sonst aufser der Wiederholung*
einiger Ritscblscher Gedanken, der Betonung „des Erlebnisses "r
der Lehre von der christlichen Vollkommenheit, der Bekämpfung
des meines Wissens von keinem anderen Lutherbiographen ver-
werteten sogen. Material- und Formalprinzips, Neues sich darin
rindet, mögen Unbefangenere entscheiden.
37. Theodor Brieger unterzieht in seiner Abhandlung:
Ober den Prozefs des Erzbischofs Albrecht gegen
Luther (in Kleinere Beitrage zur Geschichte von Dozenten der
Leipziger Hochschule, Festschrift zum deutschen Historikertage
in Leipzig, Ostern 1894. Leipzig 1894. S. 191 ff.) die Frage
nach dem Verhalten des Albrecht von Brandenburg gegen Luther
bei Beginn des Ablafsstreites einer sorgfaltigen Untersuchung und
wendet sich gegen die von Köstlin, M. L. I4, 180, ausgesprochene
allgemeine Annahme, dufs die Räte des Erzbischofs es wohl nicht
angemessen gefunden haben , gegen Luther schon öffentlich mit
dem (vom Erzbischof in Aussicht genommenen) Prozefs voran-
zugehen und dafs Albrecht so davon abstand. Er findet dagegen
in den Tbeseu Tetzeis, in den Entgegnungen K ar) Stadt s und an-
deren gleichzeitigen Auslassungen deutliche Spuren davon, „dafs
Tetzel den Prozefs angestrengt, aber freilich bald von ihm ab-
zulassen sich genötigt sah". Briegers Nachweise sind sefcr
dankenswert, und danach steht fest, dafs Tetzel glaubte Grund
zu haben, darüber zu klagen, dafs der Kurfürst gegen seine Pflicht
ihn an der rechtmäßigen Verfolgung des Ketzers hindere, frag-
lich ist aber, ob man das mit dem processus inhibitorius ver-
binden darf, über weichin Albrecht seine Bäte nach dem be-
kannten Schreiben beraten läfst, wobei es einmal auf die Fassung
des Begriffes processus inhibitorius ankommen wird, zum andern,
welche Stellung der Erzbischof nach dem ganzen Tenor des
Schreibens in der ganzen Angelegenheit einnimmt. Unter dem
processus inhibitorius ist, so meint es doch wohl auch Brieger, ein
Schriftstück zu verstehen, so dafs nur in Rücksicht auf den
eventuellen Erfolg resp. Nichterfolg desselben zugleich von der
Einleitung eines Prozesses (nach modernem Sprachgebrauch) ge-
sprochen werden kann. Was nun aber den Inhalt desselben an-
belangt, so kann ich es nicht für wahrscheinlich halten, dafs
Albrecht, nachdem er, um so wenig als möglich mit der
Sache zu thun zu haben und sich die Augustiner-
eremiten nicht auf den Hals zu laden, die Sache in
Bom anhängig gemacht hat (dafs die Bemerkung im Briefe Tetzeis
an Miltitz bei Löscher, Reform ationsakten II, 568 sich darauf
bezieht, habe ich schon in meinem M. Luther I, 375 geltend
gemacht) zugleich den Tetzel mit der Einleitung eines regulären
Ketzerprozesses beauftragt haben sollte. Seine ganze weitere Er-
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NACHRICHTEN.
wägung ging lediglich dahin, ob und wie eventuell dem Umsich-
greifen der Bewegung gesteuert werden solle, „damit solcher
giftiger Irrthumb vnder gemeynem vokk weither nicht gepflanzt
werde". Deshalb wird der Processus inhibitorius schwerlich
mehr enthalten haben als eine strenge Mahnung (unter Nam-
haftmachnng der etwaigen Folgen), von seinen Angriffen gegen
die Abiaispraxis abzustehen, ein Schriftstück, das eventuell Tetzel,
den es zunächst anging, Luther insinuieren sollte. Dafs man
darüber eine so sorgfältige Beratung pflog (Brieger S. 194), kann
angesichts der Thatsache, dafs es sich um den bekannten Professor
an der Hochschule des sächsischen Korfürsten handelte, doch
nicht Wunder nehmen. Ob nun die Räte für gut befunden haben,
den processus weiterzugeben, wissen wir nicht, ebenso wenig,
ob Tetzel den Versuch gemacht hat, wenn er ihn erhalten, den-
selben Luther zu insinuieren. Das letztere ist mir neuerdings
sehr zweifelhaft, weil wir nirgends etwas davon hören, und, was
direkt dagegen zu sprechen scheint, Luther in seinem Sermon
(Brieger 8. 196) Tetzel geradezu auffordert, ihn persönlich in
Wittenberg zu belehren etc. Das schliefst aber nicht aus, dafs
Tetzel auf eigene Fuust gegen Luther prozessualisch vorgegangen
ist, wobei er sehr bald aber erfahren mufste, dafs man am kur-
fürstlichen Hofe ihm kein Entgegenkommen zeigte, und darauf
nicht auf einen im Auftrage des Albrecht von Mainz unter-
nommenes Vorgehen, an welchem man ihn hinderte, möchte ich
die spitzen Bemerkungen gegen den Kurfürsten beziehen, auf die
Brieger in dankenswerter Weise aufmerksam gemacht hat.
38. Baier, Dr. Johann, Präfekt des Schulleb rerseminars
in Würzburg, Dr. Martin Luthers Aufenthalt in Würzburg.
Würzburg, Stähelsche Buchhandlung, 1895, 35 S., konstatiert nur
gegenüber falschen Lokaltraditionen das Tatsächliche. Der- •
selbe: Geschiebte des alten Augustinerklosters Würzburg (mit
5 Abbildungen, 98 S.) liefert neben einer Baugeschichte des-
selben in kurzer Übersicht für die ältere Zeit im Anschlufs an
meine Augustinerkongregation , später an A. Höhn und einzelne
Notizen aus dem Ordinariatsarchiv und Klosterarchiv zu Münner-
stadt eine gedrängte Geschichte des Klosters und seiner be-
kanntesten Insassen. Nicht erweislich ist die Behauptung, dafs
der Würzburger Konvent zu Staupitz' Zeiten zur deutschen oder
sächsischen Kongregation gehört hat, doch ist die Notiz zu be-
achten, dafs der bei Luthers Aufenthalt in Würzburg amtierende
Prior Petrns Wieglin im Jahre 1515 in Wittenberg studiert hat
und dann wohl auch ein Schüler Luthers gewesen ist.
39. Ein den Lutherforschern bisher entgangenes Mahn-
schreiben des päpstlichen Legaten in Polen Zacharias
Ferren (über ihn Bernardo Morsolin, Zaccaria Ferreri, episodio
314
NACHRICHTEN.
biografico del secolo XVI. Vicenza 1877) an Luther vom 20. Mai
1520 teilt Job. Fizalek aus einem gleichzeitigen Druck mit in
Hiflt. Jahrb. d. Görresges., Bd. XV (1894), S. 374 ff.
40. H. Z wey nert, Luthers Stellung zur humanistischen
Schule und Wissenschaft Leipzig 1895. Diss. — Luthers Be-
ziehungen zu den Böhmen behandelt in einer Spezialuntersuchung
Fron ins in dem Jahrb. d. Gesellschaft des Protestantismus in
Osterreich 1895.
*41. Zu dem wertvollsten, was die letzte Zeit auf dem
Gebiete der Lutherlitteratur hervorgebracht, gehört ohne Zweifel
die Publikation von P. Drews, Die Disputationen Dr. Mar-
tin Luthers in den Jahren 1535—1545 an der Universität
Wittenberg gehalten. Zum erstenmale herausgegeben. 1. Hälfte.
Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1895 XLV u. 346 S.
Mk. 12. Nach einer ausführlichen Einleitung, die in klarer, im
einzelnen freilich nicht immer einwandfreier Darlegung das schwie-
rige Thema des damaligen Disputationswesens in seinen ver-
schiedenen Arten behandelt und das vom Herausgeber benutzte
handschriftliche Material nach Herkunft und Beschaffenheit be-
spricht, liefert er größtenteils nach unmittelbaren Nachschriften
den Abdruck einer Reihe von Lutherische Disputationen mit Thesen,
Rede und Gegenrede und zwar vom Jahre 1535 an, also seit
Wiederaufnahme des Promotionswesens an der Wittenberger Hoch-
schule. Jeder Disputation ist eine litterarkritische und historische
Einleitung vorangeschickt. Es ist offenbar, dafs, wenn auch
manches Unbedeutende mit abgedruckt werden mulste, man doch
erst durch einen solchen vollständigen Abdruck einen unmittelbaren
und lebendigen Eindruck von dem ganzen Verfahren empfängt
und erkennen kann, wie Luther die einzelnen gerade auftauchen-
den Fragen behandelte, und in welcher Weise dies heranwachsende
Theologengeschlecht erzogen wurde. So wird nicht nur die
Lutherforschung, sondern auch die Universitäts- und Gelehrten-
geschichte ans diesem Werke nicht Weniges zu lernen haben,
nnd ist die baldige Vollendung derselben dringend zu wünschen.
Eine ausführlichere Besprechung unter Berücksichtigung der Einzel-
punkte hoffe ich in den Gött. Gel.-Anz. zu liefern.
4%. Der Jesuit Ernst Michael bebandelt auf Veranlassung
der früher erwähnten Publikation Höflers in bekannter Manier
unter dem Titel: Luther und Lemnius. Wittenbergische In-
quisition 1538 in der Zeitschrift für katholische Theologie 1895,
S. 450 ff. den Streit Luthers mit Lemnius. Inzwischen hat man
auch in Frankreich Veranlassung gefunden, eine französische
Übersetzung von des Lemnius Schandpoem ausgehen zu lassen:
Lemnius (S.)v les noces de Luther, ou la monachopornomachie
de Simon Lemnius (XVI s.). Traduit du latin pour la premiere
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NACHRICHTEN.
315
fois avec le texte an regard. Paris (1895) Lisieux, XX & 120 p.t
nach dem Preise von 25 Fr. zu urteilen, jedenfalls eine Lieb-
haberausgabe.
43. N. Paulus: Ein katholischer Augenzeuge über
Luther 8 Lebensende. Hist Jahrb. d. Görresges. Bd. XV,
1894, S. 811 ff. Bei meinen Verhandlungen mit Majunke über
Luthers Lebensende war auch ein anonymer Brief eines „Mans-
felder Bürgers" über Luthers Tod zur Sprache gekommen, der
von 1565 an den späteren Auflagen der Schrift des Cochlaeus
de actis et scriptis Lutheri beigedruckt ist. Ich konstatierte
(Th. Kolde, Luthers Selbstmord, 3. Auflage, Erlangen und Leipzig
1890, S. 16), dafs der Verfasser Katholik war und dafs der
Bericht ein beinah gleichzeitiger ist, da er von dem kranken
Grafen Philipp von Mansfeld spricht, der nach Krumhaar (Die
Grafschaft Mansfeld, S. 223) am 9. Jnni 1546 gestorben ist. In
meiner zweiten Schrift (Noch einmal Luthers Selbstmord, S. 25 f.),
sprach ich die Vermutung aus, dafs jener Bericht wahrscheinlich
eine von Majunke gesuchte Schrift des Georg Wicel sei, indem
ich auf eine Stelle des Polemikers Joh. Nas verwies, der in seiner
im Jahre 1580 erschienenen Quinta centuria p. 577 sich auf das
beruft, was „von stund an ein Bürger von Mannßfeld, der mit
und bey dem Tod geweßt, zur Cur geholffen, beschrieben und
dem Wicelio zugeschickt, wie es denn auch in öffentlichen truck
gegangen". Daraufhin ist Panlus, der übrigens, obwohl jene
Stelle bei Nas für seine Annahme „den vollgültigen Beweis
liefert", weder meine Schrift noch meine auf die betreffende Frage
bezüglichen Bemerkungen mit einem Worte citiert, der Sache weiter
nachgegangen, und macht sehr wahrscheinlich, dafs der civis
Mansfeldensis , der den fraglichen Brief an Wicel geschrieben,
der mit ihm seit lange bekannte Apotheker Johann Landau ge-
wesen und identisch ist mit dem Apotheker, der es nach dem
Berichte mit dem sterbenden Luther zu thun hatte, wodurch das
Schriftstück natürlich einen erhöhten Quellenwert erhalt. Dafs
Paulus sich mit Entschiedenheit gegen Majunke erklärt, durfte
man von diesem Forscher erwarten.
44. A. Schröder, Beiträge zum Lebensbilde Nacht i-
galls, Hist. Jahrb. d. Görresges., 14. Band, 1893, S. 83 ff.,
behandelt wesentlich die kirchliche Stellung der unter dem Namen
Otmar Luscinius bekaunten Humanisten aus Strafsburg, der als
Kanonikus von St. Moritz in Augsburg von 1525 — 33 eine Rolle
in der Keformationsgeschichte Augsburgs spielt
45. Ein wichtiges Datum zur Lebensgeschichte Ökolam-
pads hat G. Boss er t festgestellt, indem er in den Blättern
für Württembergische Kirchengeschichte 1895, S. 40 die auf der
Universitätsbibliothek zu Tübingen aufbewahrte Urkunde mitteilt,
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316
NACHRICHTEN.
mittelst welcher Herzog Ulrich von Württemberg am 13. April
1510 dem Bischof Lorenz von Würzburg den von Bürgermeister
und Rat in Weinsberg zur dortigen Prädikatur nominierten Ma^r.
Johann Heusgiu von Weinsberg präsentiert.
46. Zur Geschichte des in humanistischem Sinne reform-
freundlichen Breslauer Bischofs Jacob von Salza (1520—38)
teilt St. Ehses im bist. Jahrb. d. Görresges. Bd. XIV, 1893,
S. 834 aus einem Briefe desselben an Clemens VII. vom 2. April
1524 merkwürdige Vorschläge zur Bekämpfung der Irrlehren mit.
47. Ein sehr interessantes zeitgenössisches Gedicht über
Franz von Sickingen, das von einem Katholiken verfafst,
sich auch über Sickingens kirchliche Stellung ausläfst, veröffent-
licht aus einer Wolfenbütteler Handschrift 0. v. Heinemann
in der Westdeutschen Zeitschrift XIV, 1895, S. 293 ff.
* 48. Zu den wertvollen Publikationen zur Geschichte des
Vergerio, die uns die letzten Jahre gebracht haben, u. a. Job.
Sembrzycki die Reise des V. nach Polen 1556/57 in der altpreufs.
Monatsschrift XXVII, der grofsen Arbeit von W. Friedensburg, die
Nuntiatur des Vergerio in den „Nuntiaturberichte aus Deutsch-
land", Gotha 1892, dessen Einleitung für die Auffassung der
ersten Zeit Vergerios nunmehr grundlegend sein dürfte, ist neuer-
dings gekommen: Friedrich Hubert, Vergerios publi-
zistischeThätigkeit nebst einer bibliographischen Übersicht
XV und 323 S. gr. 8. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht,
1893. Mk. 6. — Wie schon der Titel angiebt, beabsichtigt
der Verfasser keine Biographie, er schickt nur eine kurze Skizze
über Vergerios Leben bis zu seinem Obertritt zum Protestantis-
mus voraus, seine eigentliche Darstellung beginnt erst mit dem
Mai 1549 und hat wesentlich die publizistische Tbätigkeit zum
Gegenstande, doch so, dafs allenthalben wertvolle Untersuchungen
und Mitteilungen über den Lebensgang zur Seite gehen, woraus die
Partieen über die Tbätigkeit in Graubünden und seinen Anteil
an dem Geschichtswerk des Sleidan S. 150 ff. hervorzuheben sind.
Aber im Vordergrund steht der unermüdliche litterarisebe Kämpfer,
in dessen vielseitige uud geschäftige Tbätigkeit der Leser durch
reiche Mitteilungen aus den vielen kleinen Schriften Vergerios
eingeführt wird, die der Verfasser durch emsige Forschungen auf
deutscheu, schweizerischen und italienischen Bibliotheken in einem
bisher nicht erreichten Umfange zusammengebracht hat. Darüber
berichtet mit grofser Genauigkeit der bibliographische Anhang,
der nicht weniger als 171 Schriften aufzählt Th. Kolde.
49. Als 1. Heft der von Aug. Sauer begründeten „Bibliothek
älterer deutscher Übersetzungen" giebt Joh. Bolte einen Neu-
druck von Veit Warbecks Verdeutschung der französischen
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NACHRICHTEN.
317
Erzählung1 „Die schöne Magelone" nach dem in Gotha befind-
lichen Autograph vom Jahre 1527 (Weimar, E. Felber, 1894,
LXVII u. 8G S.). Von kirchengeschichtlichem Interesse ist
Kap. III der mit bekannter Gelehrsamkeit und Sorgfalt gearbeiteten
Einleitung, in dem die verstreuten Notizen über Warbecks Leben
gesammelt und geordnet sind. Geboren kurz vor 1490 in Scbwä-
bisch-Gmünd, vom Vater, einem wohlhabenden Bürger, zur diplo-
matischen Laufbahn bestimmt, bezieht Veit W. 1506 die Uni-
versität Paris, wo er Mag. wird nnd die französische Sprache
erlernt. Dann studiert er seit 1514 in Wittenberg Jura, wird
Luthers Schüler , Spalatins vertrauter Freund und durch dessen
Vermittelung Erzieher des natürlichen Sohnes Friedrichs des
Weisen. 1519 läfst er sich zum Priester weihen und erhält ein
Altenburger Kanonikat. Er ist Zeuge der Leipziger Disputation,
begleitet den Kurfürsten zur Kaiserwahl nach Frankfurt, zur
Krönung Karls V. und zum Wormser Reichstag. Dann lebt er
am Hofe als Hofmeister Johann Friedrichs und des Herzogs
Franz von Lüneburg und versieht zugleich die Dienste eines Se-
kretärs und Bibliothekars. Kurfürst Johann Friedrich machto
seinen Lehrer zum Rat nnd Vicekanzler in Torgau; er starb aber
schon 1534. Von Interesse ist auch der Katalog der Bücher
in französischer Sprache, die sich in der kurfürstlichen Bibliothek
(nach einem Verzeichnis von c 1547) befanden (p. XXXVIII ff.).
Von Warbecks Schreiben an Herzog Johann, 22. Okt. 1520
(= Tentzel, Hist. Bericht I 454, Walch XV 1875) giebt Bolte
S. XXV ff. einen korrekteren Abdruck. Der Brief zeigt bekannt-
lich, wie sehr Friedrichs des Weisen Interesse für Luther zu-
nächst dem Professor und der durch ihn zur Blüte gebrachten
Universität galt. G. Kawerau.
50. F. W. E. Roth, Johannes vom Wege (Johannes a
via) ein Kontrovertist des 16 Jahrhunderts. Eine bio-biblio-
graphische Studie. Hist. Jahrb. der Görresgesellschaft, 16. Band,
1895, S. 598 ff.
* 51. Als eine der erfreulichsten Erscheinungen auf dem
Gebiet der reformationsgeschichtlichen Litteratnr mufs R. Stähelins
Zwinglibiographie (Rud. Stähelin, Huldrei ch Zwingli, sein
Leben und Wirken nach den Quellen dargestellt. Basel 1895.
1. Halbband. 256 S. Mk. 4.80), von der bis jetzt wenigstens
der erste Halbband, der den Leser bis zum Jahre 1523 führt,
vorliegt. Wer Stähelins frühere Zwinglistudien , seine Skizze in
den Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte und seinen
Artikel Zwingli in der protest. Realencyklopädie , sowie seine
rahige, besonnene Art, das feinsinnige Urteil und die allen äufseren
Prunk ablehnende, einfache Darstellungsweise kannte, niufste sich
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318
NACHRICHTEN
Treffliches tod seiner Arbeit versprechen nnd wird daran seine
Freude haben. Obwohl der Verfasser fast nnr mit schon gedruck-
tem Material arbeitet, so bietet doch namentlich auch in chrono-
logischer Beziehung schon das vorliegende Stück vieles Neue, sind
doch die Arbeiten Stricklers, Eglis etc., aufser zu anderem Zwecke
bei A. Baur, noch kaum irgendwo in größerem Rahmen verwertet
worden, und jedenfalls darf man schon nach diesem Teile 1, in
dem, um wenigstens auf eine Einzelheit hinzuweisen, z. B. der
oft überschätzte Einflufs des Wittenbach auf sein richtiges Mafs
zurückgeführt wird (und vielleicht dürfte derselbe noch geringer
sein, als es den rückblickenden Leo Judft und Oswald Myconius
erscheinen mochte), mit voller Zuversicht sagen, dafs wir jetzt
endlich eine wirklich wissenschaftliche und doch dabei auch
grösseren Kreisen zugängliche Biographie Zwingiis erhalten haben.
Möchte sie zum Anlafs werden, endlich auch an eine kritische
Ausgabe seiner Werke oder wenigstens seiner Briefe zu gehen.
1) Inzwischen ist auch der zweite Halbband, bis zum Jahre 1525,
dem Kampf mit den Schwärmern reichend erschienen.
Th. Kolde.
Druck ton Friedrich Andreas Perthes in Gotha.
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Inhalt.
8«iU
l ntersuchunseii und Essays:
1. Seeck, Untersuchungen zur Geschichte des Kicitnischen
Konzils 1
2. Priesack, Zur Sachsenhäuser Appellation Ludwigs des
Bayern 72
8. Schröder, Die Tanzer von Kölbigk 94
4. Brieger, Kritische Erörterungen zur neueu Luther-Aus-
gabe II (zweite Abteil.). III IÄ
Analekten :
1. Fritzaclte, Über Bachiarius und Peregrinus . . . . 311
'2. Stchaß, Regula coeuobialis S. Columbaui abbatis . . L'lfi
3. TttcJmckert , Die angeblich Aillische Schrift „Dctermi-
natio pro quictatione conscicutiae sim])liciuinu — ein
Werk Gersous 881
4. Boasert, Sangerhausen in dem Brief Luthers vom 19. No-
vember 1521 245
5. Meyer, Wiedertäufer in Schwaben 248
<>. Kolde, 1* bereinen römischen Reunions versuch vom Jahre
1531 268
Nachrichten :
1. Haupt, Inquisition, Aberglauben, Ketzer und Sekten
des Mittelalters (einschlieltilich Wiedertäufer^ II. . . :.'7<»
2. Kaiserau, Kolde u. a., Rclorm:itionsgesi'hieht liehen . 288
r
Auagegeben den 15. Oktober 1896.
ZEITSCHRIFT
KIRCHENGESCHICHTE.
IIBRAU80KGKUKN VON
D. THEODOR BRIEGER,
OMIKNTU rRcFKHSOR DER K IRCIlKN'lEMrillCHTR AH DIA I Sivui-Il u I.KirZIO,
UND
i Lic. BERNHARD BESS,
zur zerr nOLPRARBcireii an heb kql. l'mt£rsitätsbimliotukk zu uöttinokk.
XVII. Band, 3. Heft.
GOTHA.
FRIEDRICH ANDREAS PERTHES.
1896.
\
Die Hefte der „Zeitschrift für Kirchengeachiohte" erscheinen
au Beginn eines jeden Quartals.
Mitteilung der Redaktion.
Die geehrten Herren Mitarbeiter werden gebeten, hinfort in
der Regel ihre Manuskripte an den zweiten Redakteur au senden.
Auch sei darauf hingewiesen, daft mit dem Wegfall der Nach-
richten vom nächsten Jahnrang ab ein bedeutend schnellerer Ab-
druck der eingesandten Beiträge erfolgen wird.
Die Nachrichten werden durch eine Bibliographie ersetzt
werden.
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Untersuchungen
zur Geschichte des Nicänischen Konzils.
Von
OttO Seeck in Greifswald.
lO \
Uber den ersten Ausbruch des arianischen Streites be-
sitzen wir vier Berichte, die alle voneinander unabhängig
sind. Philostorgius (I, 4) erzählt, nach Arius, der an der
Spitze der alexandrinischen Presbyter stand, habe ein ge-
wisser Alexander mit dem Spitznamen Baukalis die zweite
Stelle eingenommen. Der sei bemüht gewesen, seinen
Vormami herauszubeifsen , und habe deshalb den gleich-
namigen Bischof zu der Verkündigung des Homousion an-
gestiftet. Diese Nachricht findet darin ihre Bestätigung, dafs
in den Unterschriften des Kundschreibens, das uns S. 15
schon beschäftigt hat, thatsächlich ein Presbyter Alexander
an zweiter Stelle erscheint Vor ihm steht nur Kolluthos,
der zu der Zeit, wo der Streit begann, wie wir sogleich
sehen werden, noch Schismatiker war; er wird sich später
dem Bischof unterworfen haben und dann in den leeren
Platz des Arius eingetreten sein. Ob der arianische Kirchen-
bistoriker die Motive des Presbyters Alexander böswillig
verfälscht hat oder nicht, können wir nicht beurteilen ; darin
wird er jedenfalls recht haben, dafs dieser schon kraft seiner
1) S. oben S. 1.
ZeiUchr. f. K.-G. XVII. 3. 21
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320
SKEC K,
hervorragenden Stellung im Priesterkollegium bei der Ent-
scheidung der dogmatischen Frage durch den Bischof dessen
einflufsreichster Berater war.
Der Bericht des Philostorgius läfst sich mit den drei
übrigen sehr gut vereinigen, diese selbst aber stehen in unlös-
barem Widerspruch. Eusebius geht zwar in seiner eigenen
Erzählung über die Ursachen des Streites schweigend hinweg ;
aber in einem angeblichen Briefe Konstantins (II, 69, l) läfst
er den Kaiser sagen, der alexandrinische Bischof habe seine
Presbyter über eine dunkle Stelle der Schrift um ihre Mei-
nung gefragt und die Antwort des Arius habe den Zwist
entfacht. Hier ist Alexander der Vorwitzige, der ganz über-
flüssigerweise die verfängliche Frage stellt; Arius gehorcht
nur nach bestem Wissen und Gewissen dem Befehle seines
Bischofs. Sokrates (I, 5) dagegen erzählt, Alexander habe
in Gegenwart seiner Presbyter über die heilige Dreieinigkeit
gepredigt, Arius aber habe aus Streitsucht sich gegen die
Ansichten, die der Bischof aussprach, aufgelehnt und ihnen
seine Ketzerei entgegengestellt Nach Sozomenus (I, 15)
endlich gaben vielmehr die Predigten des Arius den ersten
Anstofs. Zwar habe Alexander die häretischen Lehren, die
in ihnen zum Ausdruck kamen, anfangs gar nicht beachtet;
doch als andere ihn selber deshalb angegriffen hätten, sei er
zum Einschreiten gezwungen gewesen. Er habe daher die
streitenden Parteien vor sein Schiedsgericht geladen und
unter Assistenz seines Klerus das Religionsgespräch mit
höchster Unparteilichkeit geleitet Zeitweilig habe er selbst
den Gründen des Arius seine Zustimmung ausgesprochen,
ihm aber doch zuletzt Unrecht gegeben und den Presbyter
zum Widerruf aufgefordert. Erst die Weigerung desselben
habe den Bischof zu seiner späteren energischen Parteinahme
getrieben.
Von diesen drei Versionen kann nur eine wahr sein;
irgendeine Art der Ausgleichung dulden sie nicht. Trotz-
dem fehlt es keiner von ihnen an Anhaltspunkten in der
sicheren Überlieferung. Was zunächst die erste betrifft, so
ist es ganz richtig, dafs die Spekulationen des Arius von
der Auslegung einer bestimmten Schriftstelle ausgegangen
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DAS NICÄNISCIIE KONZIL.
321
sind ; es war das Spr. Sal. 8, 22 l. Aber dies gewährt dem
Eusebius keine Bestätigung. Denn bei einem Zeitgenossen,
der so lebhaft an der ganzen Bewegung beteiligt war, ist
es selbstverständlich, dafs er jene Thatsache kannte, und
aus ihr kann alles Übrige herausgesponnen sein. Sokrates
stimmt mit folgender Stelle aus dem Briefe des Arius an
Eusebius von Nikomedia 8 ziemlich genau überein : nawa
xaXttiv yuvel sar#' jj/utöv ö i7tfoxo7Zogy Cuate xat estdißfat
i)näg «t t?jQ rtöletog ihg dv&Qibnovg d&iovg, tzceidt) ov ov/.i-
(fiovotfuev afaCi b\fiooi(jt liyovxi : „ du ö &eög , du 6 vtög.
äfta /zarfQ, apa vi6g sc. %. L". Aber es ist sehr wahrschein-
lich, dafs Sokrates diese Urkunde benutzt hat, und seine
Erzählung enthält nicht mehr, als was er aus den fünf
Worten ov ovfiipwvoCftep avrQ diyuooiy Xiyovti herauslesen
konnte. Diese aber lassen auch eine Auslegung im Sinne
des Sozomenus zu. Denn mit jener öffentlichen Erklärung
Alexanders braucht keine Predigt gemeint zu sein, die den
Anlafs zu dem ganzen Streite gab; man kann darin auch das
Schlufsergebnis des Religionsgespräches sehen, das Arius sich
anzunehmen weigerte. Mithin kann dasjenige, was Eusebius
und Sokrates bieten, auf Schlufsfolgerungen beruhen, die
möglicherweise falsch sind; die Erzählung des Sozomenus
dagegen ist so reich an klaren und bestimmten Einzelheiten,
dafs jene Annahme ausgeschlossen erscheint. Zudem erhält
1) Epiph. haer. 69, 12: "Aqtwg — InijQtv airroö xifv yX&rtav xarä
10C ld(ov dtanorov, /£ «(yfflff <T^<»> tijv naqa x# ZoXopGivi iv ratg
avroO nuQOifitaig X&iv iQfAijviCoai ßovXöfitvog, rö: „<5 xÖQiog Ixuot fit
ÜQXhy MQv ainoO, 7iQÖ tov atQvog itefieXiotoi pe. (v &qx§ 71 Qo roü
itp yijv norfoai xal nQÖ ioO rag äßvaaovg noiijoat, jtqö toO nootX&eiv
rag nqyäg tOv vdärutv, ngd toö öorj i&Qao&rjvat , npö ök ndvrutv ßov-
vGv ytrvif fit.1' fv&tv ain^ ij tloaytoyi) rijg nXävi\g yty€vi)tai. 14: &
TttvTt)s ovv rffc X^ftag rijg tv naQotfuaat^ ycyQafAft&njg, 8ti „xvQiog
fXTiot fic «ejf^v ö^Ov ainoO elg Zoya avroD" Xotnbv rä navra avxotg
tmvotiiat, 6aa re dvvaiai avfjafiwa r<p Xöytp (7vtu xal lao($onti xal
Svvaiai awtjtdtiv. Auch Eustathius von Antiochia schrieb über dieses
Bibel wort, offenbar um durch seine Auslegung den Arius zu widerlegen
(Theodor. H. e. 1 , 7, 18), und die zweite Rede des Athanasius gegen
die Arianer beschäftigt sich fast in ihrer ganzen Ausdehnung mit diesem
Spruche. Harnack II3, S. 216.
2) Theodor. H. e. I, 5, 1. Epiph. haer. 69, 6.
21*
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322
SEECK,
sie durch das erste Rundschreiben Alexanders Bestätigungen,
die alle weiteren Zweifel an ihrer Richtigkeit ausschliefsen.
Gleich im Anfange desselben findet sich die folgende
Stelle: ^Quog yoty xeri ^AyiÜMg owufAoaiav Ivayxog noirr
od^ievoi, ir)v Ko)lovl>ov (pihxqziav nolv x&QOv fj ixelvog
iLtpAooav. 6 uiv yaq avzöig zovtoig ty/alGnt, %ftg eavzoC
/.iOx^Qäg nqoaiqiamg e£(>e 7CQ6(paaiv ot 6i t^v ineivov
XQiOTiLt7ioqiav &ecoQOÜvz:ßgy ova I'ti jijg tKxXrjpiag VTtoyetQioi
fitvuv t/AXQTtqrfpav. Doch diese dunklen Anspielungen wer-
den wir erst verstehen können, nachdem wir untersucht
haben, wer Kolluthos war.
Aus den Unterschriften des zweiten Rundschreibens haben
wir bereits ersehen, dafs er um das Jahr 320 die erste Stelle
unter den Presbytern Alexanders einnahm (S. 319). Nach
Epiphanius predigte er, wie dies allen alexandrinischen Pres-
bytern zukam, in einer der städtischen Kirchen und bildete
sich hier eine schismatische Partei, die sich nach seinem
Namen Kolluthianer nannte Anlafs und Zweck der Spal-
tung ist dem Berichterstatter offenbar unbekannt, doch bietet
uns darüber Athanasius (Apol. c. Ar. 12. 75) den nötigen
Aufschlufs. Wie er angiebt, mafste sich Kolluthos den Epi-
skopat an und zwar denjenigen von Alexandria; denn er
nahm im mareotischen Gau, der zum alexandrinischen Sprengel
gehörte, Priesterweihen vor. Jetzt verstehen wir, warum
Alexander ihn in der oben wiedergegebenen Stelle der (pil-
ctQyJa bezichtigt * : es ist eben sein eigener Gegenbischof,
von dem er spricht.
Vor dem Jahre 320 hatte sich Kolluthos unterworfen,
1) 69, 2: «f ow IZqyttTO txaaxoi Iv rrj iä(a txxXrjotcc, äXXoe älXo
rt xai äXXoq äXXo, ix rfjg JiQooxXqattoe xai inafvou <f£ roö naQ* ainG>\>
ol fiiv KoXXovSiavovs invrovs utv6fiaaav, äXXot dl 'jiQfiavovs. xai yaQ
6 KöXXov&ös t*v« nttQaitTQttfifxtva tdiöa$tv aXX' ovx tvtfiuvtv i) tov-
rov aiqtois, aXX' iv&vs &ttoxoQn(ad-t}.
2) Auch der erste Satz des Briefes: ij <fJXuQxos röv fio/^t\QSii-
&v&Qta7i(ov xai (filitQyvQos 7tQ6&(ais rats doxovoats üei (xi(£oat ntti>oi-
xiat$ nitfvxtv Int-ßovXtvtiv, dut noutiXtav 7iQO<fdoean> röv xoiomtav int-
n&tfj,{vtov ry IxxXrjoiaoxixrj tvotßeftf ist wohl auf Kolluthos zu beziehen;
denn Arius hatte sich in keiner Weise der (f*XaQx(a oder (fiia^yv^a
schuldig gemacht.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
323
wie jene Unterschrift beweist Doch mufs er später seine
Ansprüche erneuert haben; denn nach Athanasius wurde er
erst auf einer Synode, der Hosius von Corduba präsidierte,
endgültig abgesetzt. Wahrscheinlich geschah dies während
der Reise, die dieser unmittelbar vor dem Konzil von Nicäa
nach Ägypten unternahm (Winter 324/25).
Athanasius (Ap. c. Ar. 71) legt die Liste vor, die Me-
letius von den ihm folgenden Klerikern dem Alexander ein-
gereicht hatte, um damit zu beweisen, dafs ein gewisser
Ischyras, der durch Kolluthos zum Priester geweiht war,
nicht zu den Meletianern gehöre. Wenn eine solche Wider-
legung erforderlich war, so ergiebt sich daraus, dafs Ischyras
selber behauptete, ein Meletianer zu sein, und folglich auch
der alexandrinische Gegenbischof, dem er seine Weihen ver-
dankte, von dieser Sekte aufgestellt war. Durch seine Unter-
werfung war er freilich aus ihr ausgeschieden, und dies wird
der Grund gewesen sein, warum er selbst und die von ihm
bestellten Geistlichen in jene Liste nicht aufgenommen waren.
Dies vorausgeschickt, kehren wir zu jener Stelle des
Briefes zurück, von der wir ausgegangen sind. Alexander
schreibt dort, Kolluthos habe für sein böses Vorhaben einen
Vorwand gefunden, indem er Arius anklagte. Sozoraenus
berichtete, wie wir uns erinnern, Alexander sei nicht frei-
willig gegen Arius eingeschritten , sondern . gezwungen von
andern Leuten, die ihm selbst ein Verbrechen daraus machten,
dafs er die ketzerischen Predigten seines Untergebenen
duldete Offenbar hängt beides zusammen; Kolluthos hat
eben aus den Irrlehren des Anus für seinen Gegenbischof
einen Strick drehen wollen. Als Bestätigung kommt endlich
noch hinzu, dafs Epiphanius (68, 4. 69, 3) erzählt, Meletius
habe den Arius auf seiner Häresie ertappt und bei Alexan-
der denunziert l. Ob hier Meletius fälschlich an die Stelle
der Meletianer, vertreten durch ihr alexandrinisches Haupt
1) Auch Athanasius bestätigt, dafs Arianer und Meletianer ur-
sprünglich im Gegensätze zu einander standen. Epist. ad ep. Aeg. et
Lib. 22: dnilrt yaQ, wj ru n qöx (qov pttxofi t v oi 7i()6f i a vt ovg,
vCv o>s '//(Kiafijff xttl JlAvnoi owftfwvriaav tt$ rrjv xara roO xiQtov
rj/ußv 'JnaoO XQtOToü ßXuO(fr){i(«v.
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324
BEECK,
Kolluthos, gesetzt worden ist, ob er zu jener Zeit thatsäch-
lich in der Hauptstadt Ägyptens war und die Schritte seines
Anhängers unterstützt oder selbst hervorgerufen hat, wagen
wir nicht zu entscheiden. Jedenfalls stimmen diese drei
Zeugnisse so gut überein und sind doch voneinander so
unabhängig, dafs die Glaubwürdigkeit des Sozomenus dadurch
über jeden Zweifei erhoben wird.
Fragen wir nun, wo dieser späte Schriftsteller so vor-
zügliche Nachrichten hergenommen hat, so ist zunächst zu
beachten, dafs Sozomenus, wenn er von seinen Vorgängern,
Eusebius, Rufinus und Sokrates, abweicht, sich meist auf
urkundliche Quellen stützt. Auch in diesem Falle kann ihm
nicht die Erzählung irgendeines Historikers vorgelegen haben ;
denn eine solche wäre jedenfalls bis zu einem natürlichen
Abschlufs hingeführt worden, sei es das Konzil von Nicaa,
sei es der Tod Konstantins. Bei Sozomenus dagegen bricht
die gute Überlieferung, die ihm eigentümlich ist, kurz vor
der Synode von Alexandria plötzlich ab; von da an läuft
er wieder in das gewöhnliche seichte Fahrwasser des Eu-
sebius und Sokrates ein l. Ferner hätte ein Historiker, wenn
er ein Verzeichnis der arianischen Kleriker von Alexandria
geben wollte, entweder diejenigen aufgezählt, die im ersten
Anfang des Streites abfielen, oder alle, die sich während
seiner ganzen Dauer an Arius anschlössen. Sozomenus thut
weder eins noch das andere. Seine Ketzerliste ist einerseits
unvollständiger, als die der beiden Rundschreiben Alexan-
ders, denn Lucius und Gaius fehlen darin, anderseits voll-
ständiger, denn nur er bietet den Namen des Macarius
(S. 17). Sie pafst also nur auf einen ganz bestimmten
Zeitpunkt, als die beiden ersten schon verstorben oder in
die rechtgläubige Kirche zurückgekehrt, der dritte dafür neu
hinzugetreten war; und von einem solchen zeitweiligen Be-
stände, der zufällig und wechselnd ist, die Kunde zu erhalten,
1) An dieser Stelle enthält nur das fünfzehnte Kapitel des ersten
Buches neues Material; das sechszehute ist aus Socr. 1, 7, 1 — 8, 3
und mittelbar aus Euseb. Vit. Const. II, 63 — 72 entnommen, das vier-
zehnte aus Socr. I, 13 und Heiligenleben der ganz gewöhnlichen Sorte.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
325
entspricht wohl den Zwecken einer Urkunde, aber nicht den
allgemeineren eines Geschichtschreibers.
Gleichwohl enthielt dies Schriftstück einen historischen
Bericht, der mit der Vorgeschichte des Streites schon seit
den Zeiten des Bischofs Petrus begann und dann die Er-
zählung im Zusammenhange weiterführte. Es mufs also
zur Instruktion für irgendjemand bestimmt gewesen sein, der
über die Ereignisse nur mangelhaft unterrichtet war. Eine
relative Zeitbestimmung gewährt das Ketzerverzeichnis in
seinem Verhältnis zu den beiden andern, wie wir sie S. 16
zusammengestellt haben. Wie man sich leicht überzeugen
kann, steht die Liste des zweiten Rundschreibens, das um
das Jahr 320 erlassen ist, in der Mitte zwischen denen des
ersten und des Sozomenus 1 ; daraus darf man schliefsen,
dafs sie auch zeitlich in der Mitte stand, mit andern Worten,
dafs die Urkunde, welche Sozomenus benutzte, später war
als das Jahr 320.
Als Konstantin nach Besiegung des Licinius 324 die
Herrschaft über den Orient antrat, kann er über die Händel,
die unterweil in dem fernen Ägypten ausgebrochen waren,
nicht sehr viel gewufst haben. Da er sich jetzt vor die
Aufgabe gestellt sah, der Kirche ihren Frieden zurück-
zugeben, so mufste er, um gerecht über die Parteien urteilen
zu können, sich zunächst über den ganzen Streit von seinen
ersten Anfängen her unterrichten. Die Sendung des Hosius
nach Ägypten bezweckte wahrscheinlich nicht so sehr, die
Gegner zu versöhnen, als an Ort und Stelle die nötigen Er-
kundigungen einzuziehn, damit er nachher dem Kaiser als
unparteiischer Berichterstatter dienen könne. Ich möchte
daher vermuten, dafs die von Sozomenus benutzte Urkunde
der Brief war, in dem Hosius aus Alexandria dem Konstantin
die Ergebnisse seiner Nachforschungen mitteilte.
Dies mufs natürlich nur Vermutung bleiben, doch wür-
1) Der Name Lucius steht nur in den beiden Rundschreiben, fehlt
aber bei Sozomenus; der Name Karpones steht bei diesem und in dem
zweiten Rundschreiben, fehlt aber in dem ersten. Aufserdem stimmen
Sozomenus und das zweite Schreiben in der Reihenfolge der Namen
gegen das erste Oberein.
326
SEECK,
den sich aus ihr alle die Eigentümlichkeiten erklären, die
dieser höchst merkwürdige Bericht dem Auge des sorgsamen
Forsebers darbietet. Wie Hosius später in den Sitzungen
des Konzils, so steht auch hier der Erzähler aufseiten Ale-
xanders; doch trägt er äufserlich eine so kühle Ruhe und
Unparteilichkeit zur Schau, wie sie in den ecclesiastischen
Schriften jener Zeit sonst ganz unerhört ist. Auch beschäf-
tigt er sich ganz im Sinne seines Auftraggebers nicht mit
der dogmatischen Frage — diese sollte erst das Konzil ent-
scheiden — , sondern er sucht einfach festzustellen, wer als
der eigentliche Anstifter des ganzen Lärmes zu betrachten
sei. Er rühmt daher dem Alexander keineswegs eine un-
erschütterliche Festigkeit des Glaubens nach; vielmehr hebt
er ausdrücklich hervor, dafs der Bischof anfangs zweifelhaft
gewesen sei, ob er nicht dem Arius recht geben müsse.
Dieser habe sich dagegen schon unter Petrus als unruhiger
Kopf von sehr mangelhafter Disziplin erwiesen ; trotzdem sei
Alexander ihm freundlich gesinnt gewesen und habe den
Streit durchaus nicht vom Zaune gebrochen, sondern sei
erst durch die Tadelreden anderer zum Einschreiten ge-
zwungen worden. Wenn diese anderen nicht genannt wer-
den, so hat dies seinen Grund wahrscheinlich darin, dafs
Kolluthos sich dem Urteilsspruche des Hosius willig gefügt
hatte und wieder in die Reihen der alexandrinischen Pres-
byter zurückgetreten war *. Für diesen Gehorsam, der ihm
gewifs nicht leicht wurde, erhielt er die Belohnung, dafs er
nicht dem Kaiser gegenüber als böswilliger Urheber der
Zwistigkeit blofsgestellt wurde. Diese schonende Verschwiegen-
heit über den wirklichen Unruhstifter erscheint mir in dem
Berichte des Sozomenus ganz besonders charakteristisch;
denn ich kann mir kaum vorstellen, dafs irgendeiner aufser
Hosius dazu Ursache haben konnte. Auch dafs der Name
des Licinius gar nicht erwähnt wird, halte ich für sehr be-
achtenswert; nur ganz diskret wird auf ihn hingedeutet, in-
dem der Bericht die Hofgunst, deren Eusebius von Niko-
media genofs, als wesentlichen Faktor der Bewegung her-
1) Äthan, apol. c. Ar. 12: K6Uov&oi iiQiaßvitQos &v hrtfvrrjoty.
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DAS NICÄNISCIIE KONZIL.
JW7
vorhebt. Man mufs sich eben erinnern, dafs Konstantin mit
dem besiegten Gegner damals seinen Frieden gemacht, ja ihn
sogar an seine Tafel gezogen hatte und ihm alle Ehren des
kaiserlichen Schwagers gewahrt wissen wollte l. Man durfte
daher in einem amtlichen Schriftstück weder gar zu schlecht
von ihm reden, noch auch sein Verhalten loben — denn
der gestürzte Tyrann blieb er doch immer — ; man schwieg
also am liebsten ganz von ihm, wie man es ein Jahr später
nach seiner Hinrichtung wohl nicht mehr gethan hätte.
Dafs Hosius aus Alexandria Berichte an den Kaiser
schickte, ist wohl nicht zu bezweifeln; dafs man sie später
im Archiv aulbewahrte, ebenso wenig. Sie konnten also
jedenfalls von späteren Schriftstellern benutzt werden, und
da hier alles so vorzüglich für die Zeit und die Person des
Bischofs pafst, halte ich es ftir sehr wahrscheinlich, dafs uns
Sozomenus den Auszug aus einem seiner Briefe erhalten hat
Allerdings sollte man in diesem Fall erwarten, dafs die
Erzählung bis auf die ägyptische Reise des Hosius herab-
reichen müsse; aber man beachte wohl, an welchem Punkte
sie abreifst Was unmittelbar hinter den erhaltenen
Teilen kommen mufste, ist der Bericht, wie Alexander die
arianischen Kleriker wieder in ihre Stellen einsetzte und
einige davon zu Presbytern ernannte, also gerade dasjenige
in der Vorgeschichte des Konzils, was die Rechtgläubigen
später am sorgfältigsten zu verschleiern strebten (S. 13).
Hat also Sozomenus die Urkunde nicht im Original gelesen,
sondern nur aus einer jetzt verlorenen Schrift des Athanasius
oder irgendeines andern orthodoxen Heifssporns gekannt,
wie dies keineswegs unwahrscheinlich ist, so begreift man
leicht, dafs und warum sie am Ende verstümmelt war.
Damit man dies nicht tür eine unbegründete Hypothese
halte, sei gleich auf ein genau entsprechendes Beispiel hin-
gewiesen. In der Apologia contra Arianos bringt Athanasius
die Urkunden fast alle in ihrem vollen Umfange, ja et setzt
sogar Dubletten desselben Schriftstücks, die sich nur durch
die Adresse und einige unbedeutende Forraalien unterscheiden,
1) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 171.
328
SEECK,
unverkürzt nebeneinander (77. 78). Im Gegensatze zu dieser
regelmäfsigen Praxis steht das Schreiben Konstantins, durch
welches er dem Athanasius die Kommunion mit Arius und
seinen Genossen anbefiehlt Hiervon ist nur der Schlufs
mitgeteilt und durch die Ueberschrift ausdrücklich als Bruch-
stück gekennzeichnet, so dafs nicht etwa an eine zufallige
Lücke gedacht werden kann (59):
MIqos imoTolr(g rot ßaoiUiog KuivoTavxlvov.
"Exwv xoiwv xfjg ififjg ßovXfoeiog tb yvtjQio^a ftnaai roig
ßovXo^tvoig etg t/}>' l/.yJkr^aiav eloelxteiv äyutßXvvov rtaQaaxov
ttjv uaodov iav yctQ yvd^ iog /.eMükv/Ag xivag axtGiY tffi
i'A7L?^afag ^tiarcoLOVfilvovg 3J ärttiQ^ag tfjg eioddov, dnooTeXß
naQctvxUa röv v.ai Y.a&aiQr}ooird ae i$ t^f^g /.O^votiog v.ai
Es läfst sich fast mit Sicherheit annehmen, dafs Kon-
stantin in den vorhergehenden Teilen des Briefes die An-
sicht begründet hatte, dafs sein Befehl den Geboten der
Kirche nicht zuwiderlaufe, und in diesem Zusammenhange
war es so gut wie unvermeidlich, auf den Präzedenzfall
unter Alexander hinzuweisen. Was in dieser Urkunde weg-
gelassen ist, enthielt also genau dasselbe, was auch an dem
Berichte des Hosius fehlte, als Sozomenus ihn auszog. Wer
die Mache des Athanasius kennt, wird dies Zusammentreffen
gewifs nicht für zufallig halten.
Soweit uns dies möglich war, sind hiermit die notwendig-
sten Voruntersuchungen abgeschlossen, obgleich im Einzelnen
noch genug zu thun übrigbleibt. Auf Grund des Ge-
fundenen sei es uns jetzt gestattet, die Vorgeschichte des
Konzils und dieses selbst in möglichster Kürze darzustellen.
11.
Als 303 die Religionsedikte Diocletians ergingen, wird
der Bischof von Alexandria als Vorsteher einer der zahl-
reichsten und vornehmsten Gemeinden der Christenheit ge-
wifs in erster Linie die Augen der Verfolger auf sich ge-
zogen haben. Petrus wurde eingekerkert, und es entbrannte
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
jener Streit mit Meletius, der den Sektengeist der Christen
sogar in die Gefängnismauern hineintrug. Mit der Ab-
dankung der alten Kaiser (1. März 305) trat, wie überall,
so auch im Orient ein zeitweiliges Nachlassen der Verfolgung
ein. Die entzweiten Bischöfe wurden wieder in Freiheit ge-
setzt, und schon in der Osterzeit 306 fand Petrus den Mut,
eine Synode zu versammeln und seinen Gegner exkommuni-
zieren zu lassen (S. 62). Der Presbyter 1 Arius hatte sich
anfangs der strengeren Richtung, wie sie in der „Kirche
der Märtyrer" vertreten war, angeschlossen; doch unterwarf
er sich wieder dem Petrus, wahrscheinlich durch den Spruch
der Synode bestimmt, und liefs es sich sogar gefallen, dafs
er nur mit der geringeren Würde eines Diakonen in die
alexandrinische Kirche wiederaufgenommen wurde. Als
aber der Bischof in seiner Erbitterung gegen die Meletianer
so weit ging, nicht einmal ihre Taufhandlungen als gültig
anzuerkennen, sagte sich Arius zum zweitenmale von ihm
los und schlofs sich der bedrückten Partei wieder an. Unter-
dessen hatte durch den Fanatismus des Maximinus Daja die
Verfolgung neue Kraft gewonnen, und das Toleranzedikt des
Galerius schuf nur eine kurze Pause. Am 25. November
311 erwarb sich auch Petrus den Ruhm des Martyriums,
und Achillas trat an seine Stelle (S. 66). Der Glanz der
Heiligkeit, der jetzt die Person des hingerichteten Bischofs
umgab, scheint auch auf das Gemüt des Arius seine Wirkung
ausgeübt zu haben. Er bekannte seine Reue, wurde von
Achillas wieder unter die Diakonen der katholischen Kirche
zugelassen und gleich darauf zu seiner früheren Stellung
als Presbyter befördert, offenbar ein Zeichen, dafs der neue
Bischof das bisherige Verhalten des Arius, wenn nicht bil-
ligte, so doch sehr entschuldbar fand 8.
Auch die Gemeinde teilte diese Ansicht. Als im Früh-
ling 312 Achillas starb, stand Arius unter den Kandidaten
1) Da er um das Jahr 312 der Älteste im Kollegium der Presbyter
war (S. 319), wird man seine Aufnahme in dasselbe wohl schon der
Zeit vor dem Meletianischen Streite zuschreiben müssen.
2) Sozom. I, 15. Diesem ist auch die Fortsetzung zum gröfsten
Teil entnommen.
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330
SEECK,
für den erledigten Stuhl in erster Linie, trat aber zugunsten
Alexanders zurück und erwarb sich so dessen Dankbarkeit K
Wenn aber der zweimal Abgefallene schon vorher den Me-
letianern verhafst gewesen war, so mufste es ihren Zorn
aufs äufserste steigern, dafs jetzt seine einflufsreiche Stimmer
auf die sie wahrscheinlich gehofft hatten, gegen ihren Kan-
didaten Kolluthos in die Wagschale fiel. Freilich liefs dieser
sich nicht abschrecken, sondern behauptete sich als schisma-
tischer Gegenbischof (S. 322). Gleich der donatistiscben
Spaltung ist auch die so viel folgenreichere arianische aus
einer streitigen Bischofswahl, d. h. aus einem Kampfe des
Ehrgeizes, hervorgegangen.
Bald fanden die Meletianer Gelegenheit, ihr Mütchen zu
kühlen. In der Kirche Baukalis, in der ihm das Pfarramt
übertragen war2, predigte Arius einmal über einen Text
aus den Sprüchen Salomonis (8, 22) und entwickelte dabei
seine Lehre, dafs Gott seinen Sohn aus dem Nichts erschaffen
habe, dafs es eine Zeit gab, in der dieser nicht vorhanden
war, dafs seine Natur auch das Böse in sich hätte aufnehmen
können, er aber aus freiem Willen das Gute gewählt habe,
endlich dafs er ein Geschöpf Gottes sei. Arius war ein ge-
waltiger Redner, dessen Kirche immer von begeisterten Zu-
hörern überfüllt war. Der Inhalt Reiner Predigt wurde da-
her viel besprochen und kam auch dem Kolluthos zu Ohren,
der sie alsbald im Parteiinteresse der Meletianer ausbeutete,
öffentlich erhob er Lärm über die Ketzereien des Presbyters
und über den nachlässigen Bischof, der solche Dinge in
seiner Gemeinde dulde, und nach langem Zaudern 3 sah sich
Alexander zum Eingreifen gezwungen. Die gleiche Streit-
frage war schon früher durch ein Schreiben des Dionys von
Alexandria angeregt und von dem römischen Bischof in
orthodoxem Sinne entschieden worden; aber weil sie damals
zu keiner Spaltung geführt hatte, scheint die Sache in Ver-
1) Philost. I, 3.
2) Epiph. haer. 68, 4; 69, 2.
3) Brief Alexanders bei Theodor. H. e. I, 4, 6: J<« t6 XnvSuvu»
ßQttdtws intarijaavres.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
331
gessenheit geraten zu sein. Jedenfalls hatte sich Alexander
über das Verhältnis von Vater und Sohn noch keine ent-
schiedene Ansicht gebildet und meinte wohl kaum, seinem
Freunde zu schaden, wenn er es zum Gegenstande einer
Disputation mache; denn dafs Arius dabei den Kürzeren ziehn
werde, sah er keineswegs voraus.
So fand denn das Religionsgespräch unter Vorsitz des
Bischofs und in Gegenwart seiner sämtlichen Presbyter
statt und dehnte sich über zwei Sitzungen aus. Auch
Kolluthos und seine Parteigenossen scheinen ihm beigewohnt
zu haben 1 ; denn Alexander wollte jeden Schein der Partei-
lichkeit vermeiden. Er gab daher auch in seinen Zwischen-
reden bald der einen, bald der andern Anschauung recht,
und scheint das Urteil nicht selber gelallt, sondern den
Presbytern überlassen zu haben. Nach dem Vorgange ihres
Altermannes Alexander Baukalis verdammten diese mit Ein-
stimmigkeit die Lehre des Arius *, was um so auffalliger
ist, als die Mehrheit der Alexandrinisehen Diakonen sie an-
erkannt hatte 3. Doch bei den nächsten Kollegen des An-
1) Epiph. haer. 69, 3: avyxaldtai toCvw to TtQtaßiT^Qtop 6 'AH-
£av$Qoe xal ällovg rtväg intaxonovs nuQOvrttg^ xal ävftttotv rovrov
nouttai xal AväxQtacv. Von Bischöfen, die der Disputation beigewohnt
hatten, sagt Alexander selbst in seinem Rundschreiben nichts, obgleich
er es dort doch kaum unterlassen hätte, sich auf ihre Zustimmung zu
berufen. Wahrscheinlich Bind Kolluthos und wohl auch noch andere
Parteigenossen von ihm gemeint. Diese galten zwar der Melctianischcn
Quelle, die Epiphanius ausschreibt, nicht aber dem Alexander als wirk-
liche Bischöfe; daher ist es erklärlich, dafs jener sie ausdrücklich er-
wähnt, dieser unberücksichtigt läfst.
2) Brief Alexanders 6: n ap%f>i)(pti ri}s TtQooxwovotis XQtoroD rijv
9t6Trjra avxous Ixxltjofas tSrjXftoafifv. 43: ovöl 1} lOv avlliuov^ydv
ovfitftovog 7I(q\ XpiCToö tvltißtut tip x«r' auroö d-QaovTipa ttirrßv
TtfiauQa>oev. Philost 1, 4.
S) Während die Zahl der Presbyter durch die vorhandenen Kirchen
bestimmt ist und daher in beiden Verzeichnissen des Alexandrinischen
Klerus (S. 15), obgleich sie fünfzehn Jahre auseinanderliegen, dieselbe,
nämlich 17, bleibt, finden sich in den Unterschriften des zweiten Rund-
schreibens 13 Diakonen, bei Athen, ap. c. Ar. 73 nur 5. Ihre Anzahl
scheint also gewechselt zu haben, doch dürfte sie wohl niemals so grofs
gewesen sein, dafs jene Neun, die dem Arius beitraten, nicht die Mehr-
zahl gebildet hätten.
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-332
SEECK,
geklagten, deren Kirchen lange nicht den Zulauf hatten, wie
die seine, mag der Brotneid gegen den beliebten Prediger
wohl auch ein Wörtchen mitgeredet haben. Natürlich konnte
der Bischof nicht umhin, die Entscheidung seines Priester-
kollegiums zu bestätigen.
Wenn er jetzt an Arius und die Diakonen, welche auf
seine Seite getreten waren, das Ansinnen stellte, sich der
dogmatischen Ansicht der Mehrheit anzuschliefsen, so ge-
schah dies wohl in der Meinung, die später von den Arianern
am eifrigsten vertreten ist, dafs es sich hier um keine we-
sentliche Frage des christlichen Glaubens handele, es also
kein gar zu grofses Opfer sei, der Kirchendisziplin dies
sacrifizio MV intellctto zu bringen. Denn dafs er demselben
Manne, dem er seine Erhebung auf den bischöflichen Stuhl
verdankte , schon damals schaden wollte , ist kaum an-
zunehmen. War doch Arius ein höchst beweglicher Geist,
der schon zweimal seine religiöse Stellung gewechselt hatte:
warum sollte er es nicht auch in einem Streite von schein-
bar so untergeordneter Bedeutung thun ? Aber in demselben
Augenblick, wo er sich eben im Eifer der Disputation für
seine Sache noch mehr erhitzt hatte, vielleicht auch das Ur-
teil seiner Kollegen als neidische Ungerechtigkeit empfand,
konnte er sich nicht zum Nachgeben entschliefsen.
Bald trat auch die Gemeinde des Arius, namentlich der
weibliche Teil derselben, der an seinem glänzenden Prediger
mit abgöttischer Verehrung hing, in den dogmatischen Kampf
ein, und jene berauschende Macht, wie sie die Begeisterung
grofser Massen auszuüben pflegt, machte sich geltend und
rief Auftritte hervor, die den Gegensatz der Parteien ver-
schärften l. Die Heiden und die zahlreiche Judengemeinde
1) Während im übrigen die Darstellung vorzugsweise auf Sozom.
1, 15 beruht, ist dies und das Folgende aus dem Briefe des Alexander
bei Theodor. 1,4,5 geschöpft : trjv yoOv 'Eklfytov rt xal 'lovdattov
ttOfßij 7ii{>l XqiotoC d6$av xqccivvovt($ xbv nag* avrßv fnaivor tof fvt
ftdltottt &i)QQvrai' navra piv Saa xa&' tyQv naQ% avxoiq ytXaxai
7t^uyfxaJtv6ixtvot, ardotic <ft fyiv xad-* t)fi^av xal öuoyfxoi's Intyci-
Qorrff xal roCro fxlv öixaon?iQUi avyxQoxoOvm <ft' ivrv^fas ywai-
xagiotv uTtixTtov, ii i)ndtr]aav' toOto töv /pumavurpov dtaovQovTtq
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DAS N1CÄNI8CHE KONZIL.
333
von Alexundria fanden ihre Freude an den Zwiatigkeiten
der verhafsten Christen und schürten hämisch die Erregung;
selbst in ihren Theatern sollen sie über den Zank gespottet
haben l. Es kam zu Aufläufen in den Strafsen der Stadt,
durch welche der Bischof sogar seine Person bedroht sah.
Da ist es denn nicht zu verwundern, dafs auch er in Zorn
geriet und seine Gegner exkommunizierte *. Jetzt aber warf
man ihm vor, er habe eigenmächtig, ohne eine Synode zu
beiragen, sein Urteil gesprochen und einflufsreiche Frauen
aus dem Anhange des Arius riefen gegen ihn sogar die
weltlichen Gerichte an. Die Gebannten selber hörten nicht
auf, gottesdienstliche Versammlungen zu halten und ihre
Lehre weiter zu verkündigen, und hinderte er dies bei Tage,
so wählten sie die Nacht dazu 4. Zuletzt wufste er sich
nicht anders zu helfen, als indem er sie kraft seiner geist-
lichen Disziplinargewalt aus Alexandria auswies * So wurde
Alexander immer tiefer in einen Kampf hineingetrieben, den
er wahrlich nicht gern und leichten Herzens unternommen
Wenn hier von täglichen ortiottg xttl öiuyfxot die Rede ist, so kann
das nur Aufstande bedeuten, die das Leben der Geistlichen und na-
mentlich des Bischofs bedrohten. Dafs viele Weiber sich dem Arius
anschlössen, sagen auch Äthan, or. I c. Ar. 23 (— Migne 26, S. 60)
und Epiph. haer. 68, 4. 69, 3, und jener Brief redet auch im § 58 von
yirvaixtxQttt ototofftvfitva (ifjnQjiaig.
1) Euseb. Vit. Const. II, 61, 5.
2) Dafs dies nicht sogleich geschehen sei, sagt Gelas. II, 2: toö
'jtXtEMQOv n^fOTijrt tfuoteag tov ^ottov inl rö äfittvov &4Xovxog ptra-
ßaXtiv TtQtnovotus nagcuvtaeoi , /iiyJ^w dl xnivovrog anotf iiau XQ*T
oao&ai, und auch Sozomenus scheint auf dasselbe hinzudeuten.
3) Sozom. I, 16: tag f^ixrjfi^yovg MfovvTtg xul ri)g ixxXt)o(ttg uxqC-
rtag ixßfßkrifxivovs. Das Wort ax^nog kann sich nur auf den Mangel
eines Synodalspruches beziehen; denn Alexander selbst hatte ja nach
allen Formen des kirchlichen Rechtes geurteilt.
4) Brief 3: o&x hi rljg IxxXijotag vnox^Qtot pivtiv ixaQT^Qi}aav,
äXX* tavjotg onrjXnta XyatQv oixodofi^auyrtg ütiiuXtimtog tv aviwg
noioOvTtti ovvöüovg, vvxt<üq rt xal fit&* i)p(Quv {p jaig xatä XqiotoD
xai tjfiQp JtaßoXaig aaxoi/aevoi.
5) Brief des Arius bei Theod. II. e. 1, 5, 1 und Epiph. haer. 69, 6 :
wäre xai txJißfcu Jjfiäg Ix rijg nökttog ätg (ty&fxuTi oig a&tovg.
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334
SEECK,
hatte, und mit der Erbitterung gegen seine störrischen Ge-
meindeglieder wuchs in ibm die Uberzeugung, dals auch ihre
Lehre falsch und gottlos sei.
Trotzdem war er damals, wie es scheint, seiner Sache
nicht sicher genug, um eine Synode zu versammeln und die
Wesensgleichheit von Vater und Sohn durch sie zum binden-
den Dogma der gesamten Kirche erheben zu lassen, sondern
behandelte den Streit noch lange als interne Angelegenheit
der alexandrinischen Gemeinde l. Desto mehr drang Arius
darauf, dafs ein höheres Forum, als das seiner neidischen
Kollegen, über ihn zu Gericht sitze. Denn schon um seine
Gemeinde in ihrer Treue zu befestigen, schien es ihm nötig,
sich nicht nur auf die Diakonen von Alexandria, sondern
auch auf die Zustimmung von Bischöfen berufen zu können *.
Da er bemerken mufste, dafs in Ägypten selbst die Stim-
mung ihm nicht günstig war, unternahm er, aus Alexandria
1) Über die drei orientalischen Bischöfe, die dem Arius zustimmten,
lehnt Alexander in seinem ersten Rundschreiben ausdrücklich jedes -Ur-
teil ab, weil sie seiner kirchlichen Jurisdiktion nicht unterstanden.
Theod. I. 4, 37: xai ovx o?$\ Sntog Iv 2vgtq xuQoxovi]9£vxes tnloxonot
xgiig diA to owtuvitv ctvxolg Inl xö xttQOP vntxxalovai' nea\ Ji v ^
xgtois avaxt(a&(o r§ vpitxtotf doxifxttaln. Syrien ist wohl
hier in dem allgemeineren Sinne zu verstehen, wie es auch Lact, de
mort. pers. 36 braucht, nicht von der Provinz, sondern von der ganzen
Diöcese des Orients. Denn die ersten Bischöfe, die sich auf die Seite
des Arius stellten, müssen jedenfalls nicht eigentliche Syrer, sondern
Palästinenser gewesen sein. — Wenn Arius in seinem Briefe an Eu-
sebius bei Theodor. H. e. I, 5, 2 von allen Bischöfen, die sich ihm an-
geschlossen hatten, sagt: avd&tfta lytvovxo, so ist das wohl nur eine
ironische Wendung, die soviel sagen will, wie: „sie sind mit mir in
gleicher Mitschuld und Verdammnis'1. Denn dafs Alexander thatsäch-
lieb gegen sie den Bann ausgesprochen hätte, findet weder in irgend-
einer anderen Quelle noch in dem späteren Verlauf der Ereignisse
eine Bestätigung. Dies hat schon Hef ele, Konziliengeschichte 1\ S. 268
richtig bemerkt.
2) Brief 7: axtofiviMtxitHt yodfifittxtt natf avrßv alxoövxts, Fva
nttQavayiyvtAoxovrts avrä xotg vn* avxQp ijnaxfifiipotg afi(xavot'txovg,
(if oig taifdXrjauv , xaxaoxtvd£tootv, imxQißofiivovg ctg aof'ßtutv, <bg
&v o vptyrnf-ovg avxoig xal df*6<pnov ctg Ijfovre; tmoxorx ovg.
58: yodfifittxa di&ovai xai kapßdvHv nobg rö nlaväv tT*a xovxojv xa
in' avxQv tjnaxTjfitva ÖUytt yuvaucdfHtt oiOtßQ*vp£va UfittQxicu;.
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DAS K1CÄK ISCHE KONZIL.
335
verbannt, eine Agitationsreise in die Nachbarprovinzen, zu-
nächst nach Palästina !, und seine Briefe und Unterredungen
blieben nicht ohne Erfolg. Drei der dortigen Bischöfe nah-
men ihn in ihre Kommunion auf, unterzeichneten sein Be-
kenntnis 2 und richteten an Alexander umfangreiche Briefe 3,
in denen sie ihr Vorgehen begründeten und ihn zur Auf-
hebung des Bannes zu veranlassen suchten.
Natürlich sorgten die Arianer dafür, dafs auch in der
Gemeinde Abschriften verbreitet wurden, und der Erfolg
war unverkennbar. Alexander bekämpfte daher die Gegner
mit ihren eigenen Waffen und sammelte auch seinerseits
Zustimmungserklärungen, um sie dem Volke von Alexandria
mitzuteilen4. So verfafste er denn ein Hundschreiben, das
nach und nach an alle Bischöfe versandt wurde, auf deren
Unterstützung er hoffen zu können meinte 5 ; später konnte
man es in den meisten Kirchenarchiven des Orients finden 6,
und auch uns ist eine Abschrift davon erhalten. Man er-
sieht daraus, dafs Alexander unterdessen die Streitfrage
1) Epiph. Haer. 03, 4. 69, 1. Brief 2. 7. 58. Snzom. I, 15.
2) Brief 9: öfav xttl av^ißntvu rivas ro/"V yQÜufinatv tti xßv vtjo-
yQdtfovTfg tl<; txxliyafttv ttaMx*a9tu. Vgl. S. 334 Anm. 1.
3) Brief 7: OTotuvXo'ntnu yQduuaxu. Sozom. I, 15.
4) Brief 60: nollQv ytio tiot ßoij&tjuaTuw noog rovg ßXaßtvru*; 71t-
n o(HOfi (vow , xat toDto tvQTjrat Ivauf'ttouaxov toO vji* avjQv Änttirj-
&{vtos XaoO, 7itt&ou(v(ov xa) t«/V tCüv avlkdjovoyüiv fjitGiv avyxaru-
&(atatv d( fttitivoHtv J*« rot-rot» ?QX(oö«t anovöaioviuiv. Vgl. Sozom.
I, 15, der dieses Briefes gleichfalls erwähnt.
5) An alle Bischöfe des Orients ohne Ausnahme kann es nicht ge-
richtet gewesen sein. Denn in Tyrus wurde es nicht dem zweifelhaften
Bischof Paulinus , sondern einem frommen Laien , Zenon , überschickt,
der, wie die Teilnehmerliste des Konzils von Nicäa beweist, später
allerdings zum Bischof des Stadt gewählt worden ist. Epiph. haer.
69, 4.
6) Theodoret (I, 4, 62) kannte Exemplare, die an Alexander von
Byzanz, Philogonios von Antiochia und Eustathios von Bciöa adressiert
waren, Epiphanius (69, 4) an Eusebius von Cäsarea, Makarios von Je-
rusalem, Asklepios von Gaza, Longinus von Ascalon, Macrinus von
Jamnia und an den Tyrier Zenon. Diese Liste ist deshalb von Inter-
esse, weil sie zeigt, dafs Eusebius von Cäsarea sich damals noch nicht
zugunsten des Arius ausgesprochen hatte; denn sonst wäre ihm ebenso
wenig wie dem Paulinus von Tyrus ein Exemplar zugestellt worden.
Zeitschr. f. K.-Q. XVII, 3. 22
336
SEECK,
gründlich untersucht hatte und zu einer klaren und uner-
schütterlichen Überzeugung gelangt war. Wer die Unfehl-
barkeit der Schrift zugiebt, der mufs in dem Briefe trotz
seines etwas schwülstigen Stiles ein wahres Musterstück
scharfer und bündiger Argumentation bewundern. Seine
Wirkung überstieg alle Erwartungen. Zwar hatten vorher
wohl die meisten Bischöfe, wie vor kurzem Alexander selbst,
sich die Frage nach dem Verhältnis von Vater und Sohn
noch gar nicht vorgelegt; doch unter den Drangsalen der
Verfolgung hatte sich in der Christenheit eine so innige
und begeisterte Hingebung für die Person des Erlösers aus-
gebildet, dafs alles, was seine Majestät zu gelahrden schien,
für sie zum unverzeihlichen Frevel wurde. Als Alexander
das Exemplar abschickte, das nach Byzanz bestimmt war,
konnte er sich am Schlüsse schon auf den Beitritt aller
Bischöfe von Ägypten und Thebais und sehr vieler aus
Kyrene, Syrien, Lykien, Pamphylien, Asia und Kappadokien
berufen. Nicht lange darauf veröffentlichte er eine Samm-
lung aller der Zustimmungsbriefe, die er erhalten hatte ; doch
freilich konnte Arius ein ganz ähnliches Buch dem seinen
gegenüberstellen l.
Denn unterdessen hatte er seine Agitationsreise fort-
gesetzt, und neben manchen Abweisungen hatte er auch
viele Erfolge zu verzeichnen. Falls er früher daran gedacht
haben sollte, seine Lehre zum Dogma erheben zu lassen,
war er jetzt in seinen Forderungen bescheidener geworden.
Er verlangte nur noch, dafs jede Partei der andern um der
Eintracht willen eine gewisse Berechtigung zuerkenne und
beide Lehren innerhalb der katholischen Kirche geduldet
würden 2. Zugleich hatte er auch manche seiner schärfsten
1) Socrat. I, 6, 40. 41. Bruchstücke aus der Sammlung des Arius
finden sich bei Athanasius de synod. 17 = Migne 26, S. 712.
2) Brief Alexanders 7 : ax^uart filv tlgqvrjg xal ivmattag &S(a>oiv
vnoxQivöpevot. 58: ntQi^QXOvrai yäg rüg nöXtig, ovöiv €tiqov anov-
tf«Vo»'T<f fi j$ rtfi (ftXltts 7tQoa%riuttn xal r^I rijs (lQip>r)g dvöfian
inoxQiottog xal xokaxtiag yQttpipaia öiüüvai xal Xnfißdvtiv. Dies ist
offenbar auf die Forderung zu beziehen, welche die Arianer später
immer wiederholt haben. S. 7 — 13.
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DAS NICÄNISCHE KON7JL.
337
Behauptungen ganz fallen gelassen und andere abgeschwächt 1 ;
namentlich erkannte er jetzt an, dafs Christus Gott und von
unveränderlicher Natur sei *. In dieser gemilderten Form
wurde seine Lehre vielen annehmbar, die sie anfangs viel-
leicht zurückgewiesen hätten, und dazu kam seine persön-
liche Überredung, die eine grofse Macht besafs. So traten
ihm denn von den Bischöfen der orientalischen Diöcese nur
Philogonius von Antiochia, Makarius von Jerusalem und
Hellanikus von Tripolis direkt entgegen ; Eusebius von Cae-
sarea, Theodot von Laodicea, Paulinus von Tyrus, Atha-
nasius von Anazarbus, Gregorius von Berytus und Aetius
von Lydda führt er in einem Briefe an Eusebius von Niko-
media als seine Anhänger auf. Freilich wagten manche
davon noch nicht, entschieden Farbe zu bekennen ; Paulinus
z. B. hüllte sich lange in Schweigen, und es bedurfte eines
sehr energischen Briefes des Nikomedensers an ihn, ehe er
sich entschlofs, im Sinne des Arius an Alexander zu schrei-
ben. Dagegen zeigte sich Eusebius von Caesarea von An-
fang an als einen der eifrigsten 8.
Arius wufste nicht nur auf die Bischöfe zu wirken. Wie
in Alexandria, so trug er überall, wohin er kam, die Be-
wegung in die grofsen Massen und hatte damit den be-
deutendsten Erfolg. Den meisten Gebildeten, die ihren Ge-
schmack an Homer und Piaton entwickelt hatten, war die
Schwerfälligkeit theologischer Streitschriften ein Greuel; so
brachte er denn seine Spekulationen in Verse und veröffent-
lichte das Lehrgedicht unter dem Titel Thalia. Für das
gemeine Volk aber schuf er kleine Lieder, denen er sang-
1) Brief 8: oty &ntQ yoOv nuQ flfttv 7iov*}QOs i$täa$itv je xtä
äunQdZavTo, öftoloyoüaiv airrots, di II xai ittoo&rjoav' oU' 1j oiomy
TttüTtt naQ€tdrt6aaiv 1j ntnkaoftf'vois Xöyoti xal lyyQtttfois imoxtdCovrts
nnaTßoiv. Auch in seinem zweiten Briefe bei Sokr. I, 6, 22 beschuldigt
Alexander die Arianer der Wandelbarkeit: xai ndkiv /apcuAlovrf?
fJilltßäXXoVTO.
2) Brief des Arius bei Theod. I, 5, 3 : «XX' ou «eA^an xal ßovXjj
infaTT) nqb xq6v<ov xal nqi> alt&vtav nlfyns &*os> f^ovoytytji, avttX-
Xoiwof.
3) Theod. h. e. I, 6. Äthan, de synod. 17. Apol. c Ar. 6.
22*
338
SEECK,
bare Melodien unterlegte *, und verlieh damit seinen Gottes-
diensten einen Kciz, welcher der orthodoxen Kirche sehr
gefährlich wurde. Nur um dieser Lockung entgegenzuwirken,
haben Ambrosius in Mailand und Johannes Chrysostomus
in Konstantinopel den Chorgesang auch in ihren Gemeinden
eingeführt *, und von den beiden Residenzen aus hat er
sich dann über die Provinzen verbreitet 3. Auf diese Weise
wurde Arius der Vater des christlichen Kirchengesanges.
Eine neue Phase des Streites begann mit dem Eingreifen
des Eusebius von Nikomcdia, der mit Arius durch alte
Studiengemeinschaft verbunden war. Der antiochenische
1) Philost. II, 2.
2) August, conf. IX, 7, 15. Sncrat. VI, 8. Ob Ambrosius und
Chrysostomus die syrischen Gesänge des Ephrem zum Vorbilde ge-
genommen haben (W. Meyer, Abhandl. d. Münch. Akad. XVII, S. 375)
oder alle drei den Arius nachahmten, was natürlich eine gegenseitige
Beeinflussung nicht ausschliefsen würde, mufs einstweilen offene Frage
bleiben. Jedenfalls steht es nach den angeführten Zeugnissen fest, dafs
sowohl in Mailand als auch in Konstantinopel der Kirchengesang aus
dem Kampfe gegen den Arianismus hervorgegangen ist, und da Ephrem
in Syrien denselben Kampf zu führen hatte, halte ich es für sehr wahr-
scheinlich, dafä auch bei ihm die Hymnendichtung nur Mittel für diesen
Zweck war.
ü) August, retract. TI, 11: inter haec Jlüarus, vir tribunicius,
laicus catholicu8 — mortm, qui tunc esse apud Carthaginem coeperat,
ut hymni ad altare dicerentur de psalmorutn Ubro — maledica re~
prehemione. ubicunque poterat, lacerabat, asserens fieri non oportere.
Also erst in der Zeit Augustins fing man in Karthago an, beim Gottes-
dienst Hymnen zu singen, und dies erregte bei einzelnen rechtgläubigen
Männern Anstofs, offenbar weil es ungewohnt und von den Häretikern
entlehnt war. Von ähnlichen Bedenken redet Augustin auch epist. 55,
18, 34. Wenn Job. Kayser (Beiträge zur Geschichte und Erklärung
der Kirchenhymnen) die Einführung des kirchlichen Gesanges schon in
sehr viel frühere Zeit verweist, so ist ihm dies nur dadurch möglich,
dafs er erstens jeden Hymnus, d. h. jedes religiöse lyrische Gedicht,
auch für ein gesungenes Lied hält, zweitens bildliche Ausdrücke, wie
laudes domini canere u. dgl., immer wörtlich interpretiert und drittens
auf Alter und Glaubwürdigkeit der Quellen gar keine Rücksicht nimmt.
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DAS XICÄXISCHl«; KONZIL.
339
Presbyter Lucianus, dessen Schüler beide gewesen waren,
halte schon früher ähnliche Lehren verkündet, wie Arius,
und war infolge dessen unter drei Bischöfen von der Kirchen-
gemeinschaft ausgeschlossen gewesen 1 ; doch das Martyrium,
das er unter Maximinus erlitt 2, hatte sein Andenken gereinigt
und auch den Vorwurf der Heterodoxie ausgelöscht, so dafs
diejenigen, welche aus seiner Schule hervorgegangen waren,
wieder mit ungetrübtem Stolze auf ihren Lehrer zurück-
blicken konnten. Während seiner syrischen Reise schrieb
nun Arius an den Bischof von Nikomcdia, bat ihn, sich
seiner Nöte zu erinnern, und mahnte ihn zugleich an die
frühere Schulgenossenschaft 3. Eusebius, der in dem Freunde
seine eigenen Lehrmeinungen angegriffeu sah, war alsbald
gewonnen und durch ihn auch die Unterstützung des Hofes
endgültig sicher gestellt.
Wie Konstantin an der Milvischen Brücke, so hatte Li-
cinius auf dem Campus Serenus unter dem Zeichen des
Kreuzes gefochten und seitdem den eifrigen Schützer der
Christenheit gespielt, ohne freilich mit dem Heidentum ganz zu
brechen 4. Die Kirchenspaltung, in der seine geistlichen Rat-
geber ein Werk des Teufels und ein Vorzeichen des göttlichen
Zornes erblickten, hatte den abergläubischen Mann ernstlich
beunruhigt und, wie es scheint, hatte er schon früher versucht,
Alexander durch Drohungen zum Nachgeben zu bewegen
(S. 6) Doch wenn der Tyrann auch Folter und Scheiter-
1) Brief Alexanders 36. Epiph. haer. 43, 1; ancor. 33. Sozom.
III, 5. Hai nack 11*, S. 183. Auch wenn Alexander in seinem zweiten
Bnef (Socr. I. 6, 7) davon redet, bei Eusebius von Nikomedia sei i}
m'tUu avioö xaxövota i? XQ^H* oiomri&tiaa bei seiner Parteinahme für
Arius wieder hervorgetreten, so bezieht sich dies gewifs nicht auf eine
„alte Feindschaft" des Bciytensers und des Alexandriners (Harnack
S. 189), die sich wahrscheinlich nie vorher persönlich begegnet waren,
sondern auf die frühere Teilnahme des Eusebius an der Ketzerei seines
Lehrers Lucianus
2) Euseb. bist. eccl. IX, 6, 3; VIII, 13, 2.
3) Der Brief des Arius schliefst: Mk3o#«/ at fv At(^i ttf/ow«*
Htuvwtvov ißiv »H\ptun> %uQv, atXlovxtaviaiu itXr}dQs Evo^Ut. Vgl.
Philost. II, 14.
4) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 145.
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340
SEECK,
häufen gegen seine weltlichen Unterthanen viel mehr als
nötig zur Anwendung brachte, gegen die Priester des Gotte3,
den er als starken Siegbringer kennen gelernt hatte, wagte
er keinen Zwang. Auch als jetzt der Bischof seiner
Residenz , der bei ihm und mehr noch bei seiner Gattin
grofsen Einflute besafs, für Arius eintrat, griff er doch zu
keinem andern Mittel, als das die Kirchen Verfassung selbst
ihm an die Hand gab. Er berief den Arius an seinen Hof 1
und suchte durch wiederholte Briefe des Eusebius, vielleicht
auch durch eigene, seine Rückberufung bei Alexander zu
erwirken ; als dies aber keinen Erfolg hatte, übertrug er die
Entscheidung einer Synode.
In die Zeit jener Versöhnungsversuche liillt wohl auch
das noch erhaltene Glaubensbekenntnis des Arius und seiner
Genossen, das sie aus Nikomedia an Alexander übersandten 2.
Sie sind darin so weit von ihren früheren Behauptungen zu-
rückgewichen, wie Arius dies schon während seiner syrischen
Reise war, d. h. sie erkennen Christus als unwandelbar und
unveränderlich (cItqejütoi; y.ai dva'/.lo/toTog) an, beharren
aber sonst ganz fest auf ihrem Standpunkte. Zugleich neh-
men sie die Gelegenheit wahr, darauf hinzuweisen, dafs
Alexander selbst in früheren Predigten ganz ähnliche Lehren
1) Nach Epiph. haer. 69, 7 befand sich Arius im weiteren Verlauf
des Streites zu Nikomedia. Auch die S. 5 angeführte Stelle des Hie-
ronymus deutet auf seinen Aufenthalt am Hofe hin.
2) Äthan, de synod 16. Epiph. haer. 69, 7. 8. Die Unterschriften,
welche der letztere der Urkunde folgen läfst, können nicht echt sein.
Denn erstens nennt die Überschrift, die bei beiden wörtlich überein-
stimmt, als Absender des Briefes nur ol notaßvttooi xat ol öidxovoi,
während in den Unterschriften auch Bischöfe erscheinen; zweitens stehen
diese nicht, wie es ihrem Range zukäme, an der Spitze, sondern folgen
erst hinter den Diakonen; drittens fügt wohl Sccundus seinem eigenen
Namen den Namen seines Bistums hinzu, aber nicht Theonas und
Pistos, sondern jener nennt sich Atßvg , dieser hv xux^ar^aav tlg 'AU-
SavSptinv ol Uottavot, Zusätze, die in offiziellen Unterschriften undenk-
bar sind. Wo übrigens Epiphanius die Namenreihe herhat, vermag
ich nicht anzugeben; denn richtig ist sie, und doch aus keinem der
drei beglaubigten Ketzei Verzeichnisse (S. 14) abgeschrieben. Vgl.
Hefele, Konziliengeschichte I', S. 276, der noch andere, nicht minder
schlagende Gründe für die Unechthcit der Liste hinzufügt.
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DAS NICÄMSCHE KONZIL.
341
verkündet habe, und dafs nicht sie, sondern er, von seinem
ursprünglichen Glauben abgewichen sei, was gewifs richtig
sein wird. Auch deshalb ist die Urkunde lehrreich, weil
sie zeigt, wie die Erfolge, die Arius auf seiner Reise er-
rungen hatte, auch in Alexandria selbst seinen Anhang ver-
mehrt hatten. Denn während anfangs alle Presbyter der
Stadt ihn einstimmig verurteilt hatten und er infolge dessen
in dem ersten Briefe Alexanders noch als der einzige unter
den Gebannten erscheint, der diese Würde bekleidet, nennt
die Uberschritt des Glaubensbekenntnisses schon TrgeaßvTeQOi
in der Mehrzahl; mindestens einer mul's also schon damals
zu ihm abgefallen sein. Dies war Karpones, der nebst dem
Diakonen Gaius zuerst in der zweiten Ketzerliste erscheint,
während beide in der ersten noch gefehlt hatten (S. 16).
Die Synode trat in Bithynien zusammen, wahrscheinlich
in Nicäa oder Nikomedia, und beschlofs natürlich im Sinne
des Eusebius und des Hofes. Das Rundschreiben, das sie
an alle Bischöfe der «Christenheit erliefs, forderte diese auf,
mit den Arianern zu kommunizieren und auf Alexander
einzuwirken, damit er das Gleiche thue. Diesem gegenüber
hatten sich freilich schon so viele Bischöfe durch schrift-
liche Zustimmungserklärungen gebunden, dafs nur eine kleine
Zahl dem Ansinnen der Synode Folge geben konnte, und
wie vorauszusehen war, erreichte dieses Häuflein in Ale-
xandria nichts. Licinius zauderte auch jetzt noch, zum
Zwange zu greifen. Arius wandte sich daher wieder nach
der Nachbarprovinz Ägyptens, Palästina, und suchte bei
einigen Bischöfen, die ihm nahe standen, um die Erlaubnis
nach, dafs die Presbyter unter den Gebannten, d. h. er selbst
und Karpones, bei ihnen ihres Predigtamtes walten dürften,
wie sie es in ihrer Heimat gewohnt gewesen waren. Eine
Provinzialsynode versammelte sich, um über diese Forderung
zu beraten, gewährte sie unter dem Vorbehalt, dafs Arius
und seine Genossen noch immer als Glieder der alexandri-
nischen Kirche zu betrachten seien, und fügte eine neue
Mahnung an Alexander hinzu !.
1) S. 8. Vielleicht war diese Mahnung in dem Briefe des Metro-
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SKECK,
Nachdem jetzt schon zwei Synoden sich zugunsten der
Arianer ausgesprochen hatten, eutschlofs sich Licinius end-
lich, gegen den widerspänstigen Bischof mit Zwangsmitteln
vorzugehn, und dieser war zu einem Martyrium in so zweifel-
hafter Sache denn doch nicht geneigt. Er nahm nicht nur
die Arianer in die Kirchengemeinschaft auf, sondern be-
torderte auch vier von ihnen, die bisher Diakone gewesen
waren, zu Presbytern, womit der Verkündigung ihrer Lehre
sechs von den achtzehn Kirchen Alexandrias ausgeliefert
waren (S. 14). Auch Kolluthos wurde veranlafst, seine
Ansprüche auf die Bischofswürde aufzugeben und sich mit
dem ersten Platze unter den Presbytern Alexanders zu be-
gnügen (S. 323). So schien jede Spaltung beseitigt und in
der Kirche von Alexandria die schönste Einigkeit hergestellt.
Was den Konflikt von neuem hervorrief, wissen wir
nicht; auch kommt wenig darauf an. Denn wo so viel
Brennstoff aufgehäuft war, verstand es sich ganz von selbst,
dafs er endlich aufflammen mufste, und es ist ziemlich gleich-
gültig, welches Fünkchen den Anlafs dazu bot. Der ent-
scheidende Grund war jedenfalls, dafs die geschilderten
Vorgänge die Meinung verbreitet hatten, in religiösen Sachen
brauche man vor Licinius keine grofse Furcht zu hegen.
Bisher hatte er nur das ausführende Organ der kirchlichen
Autoritäten gespielt*, wenn man den zwei Synoden, denen
er gefolgt war, eine noch ansehnlichere entgegenstellte, so
konnte man erwarten, dafs er sich auch dieser lügen werde.
Als es wieder zu Reibungen kam, versammelte darum Ale-
xander nahe an hundert Bischöfe aus Ägypten und der
Kyrenaika, welche die Ketzerei fast einstimmig verurteilten;
nur zwei Männer aus der Heimatprovinz des Arius, die
vielleicht zu ihm in persönlichen Beziehungen standen, Se-
cundus von Ptolemais und Theonas von Marmarica, wider-
sprachen und nahmen auch ihrerseits das Anathem auf sich.
puliten von Palästina, Eusebius von Caesarea, an Alexander aus-
gesprochen, von dem bei Mansi XIII, S. 316 Fragmente erhalten sind.
Jedenfalls ist er um diese Zeit geschrieben; denn die erhaltenen Stücke
nehmen Bezug auf das eben besprochene Glaubensbekenntnis des Arius.
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DAS MCÄKISCHE KONZIL.
343
So waren denn Arius und seine Genossen zum zweiten-
mal ihrer Amter entsetzt ; doch so viel an ihm war, vermied
es Alexander, offenbar mit Rücksicht auf den Kaiser, viel
Lärm von seinem Erfolge zu machen. Auch diesmal wollte
er gern die Sache abthun, als ob sie eine innere Angelegen-
heit, zwar nicht nur der alexandrinischen Gemeinde, aber
doch seines Metropolitanbezirkes sei. Er hatte daher zu der
Synode nur ägyptische Bischöfe eingeladen und verkündigte
ihr Ergebnis auch nicht, wie es sonst Brauch war, durch
ein Kundschreiben der gesamten Christenheit. Desto lauter
und regsamer trat Eusebius auf. Seine Boten eilten nach
allen Richtungen, um die Bischöfe zum Einspruch gegen die
Anmafsung der Ägypter aufzuregen, und endlich sah sich
auch Alexander gezwungen, zu seiner Verteidigung jenes
zweite Rundschreiben zu erlassen, dessen Unterschrilten wir
früher besprochen haben. Dieselben nennen nur den nie-
deren Klerus von Alexandria, obgleich das Aktenstück über
die Beschlüsse einer Bischofsversammlung Bericht erstattet;
aber da seit derselben Monate vergangen waren, hatten die
Teilnehmer der Synode sich schon in alle Welt zerstreut
und konnten daher ihre Unterschriften nicht hinzufügen.
Ganz gegen seine Natur erwies sich Licinius noch ein-
mal sanftmütig; freilich sollte es das letzte Mal sein. Da
die bisherigen Synoden nur die Bischöfe weniger Provinzen
umfafst hatten , berief er Anfang 32 1 ein ökumenisches
Konzil nach Nicäa, von dem er eine endgültige Schlichtung
des Streites erwartete (S. 28). Unterdessen liefen aber die
Antworten auf die Briefe des Eusebius ein, und man konnte
sich überzeugen, dafs die Mehrheit der Bischöfe dem Ale-
xander recht gab und zum Beharren auf ihrem Standpunkte
fest entschlossen war. Und auch die Arianer waren damals,
wo sie eben erst in zwei Synoden den Sieg errungen hatten
und auf die Unterstützung des Hofes bauen konnten, lange
nicht so nachgiebig, wie sie sich später unter Konstantin
erwiesen. Man konnte mit Sicherheit voraussehn, dafs das
Konzil nicht den Frieden bringen, sondern die Spaltung nur
erweitern werde, und jetzt rifs dem Licinius die Geduld.
Er hatte sich auf die Seite des Christengottes gestellt, weil
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SEECK,
er nach den Siegen, die Konstantin und er selbst unter
seinem Zeichen erfochten hatten , ihn für den mächtigsten
Schutzpatron hielt. Da jetzt, wie die christlichen Bischöfe
selber sagten, der Teufel seine Macht bewiesen hatte, indem
er trotz aller Bemühungen des Kaisers das Schisma nicht
zur Ruhe kommen liefs, trat auch Licinius wieder auf die
Seite des Teufels über und erneuerte sein Verhältnis zu den
alten Heidengöttern. Die Synoden, die ihm soviel Arger
bereitet hatten, verbot er ganz ; auch fiel es ihm nicht mehr
ein, zum anderen Male gegen Alexander Zwang anzuwenden.
Die Einigkeit der Kirche herzustellen, war sein Ziel ge-
wesen, so lange er ihren Gott noch als seinen gnädigen
Schützer betrachtete. Jetzt lag ihm vielmehr daran, sie zu
verwirren, weil er nach echt heidnischer Anschauung durch
die Störung seines Kultus auch den Christengott selbst zu
schwächen raeinte *. So liefs er denn der Spaltung freien
Lauf und begann sehr bald auch die Christenverfolgung
(321). Der Grund derselben lag also im Arianismus oder
vielmehr in der Hartnäckigkeit des orthodoxen Bischofs, der
jede Gemeinschaft mit den Arianern ablehnte.
13.
Hatte die Verfolgung den Streit der Parteien zeitweilig
zur Ruhe gebracht, so erwachte er alsbald von neuem, als
der Sieg Konstantins die Sicherheit der Kirche hergestellt
hatte. Uber die ägyptischen Wirren sind wir zufallig allein
unterrichtet, doch waren sie gewifs nicht die einzigen. Denn
reuige Abgefallene gab es überall, wo die Verfolger ihren
Zwang geübt hatten, und über ihre Behandlung werden
noch an vielen Orten ähnliche Kontroversen entstanden sein
wie die Meletianische. Auch der Kampf um die Bischofs-
sitze, der diese prinzipiellen Gegensätze so oft in Zwistig-
keiten des persönlichen Ehrgeizes umsetzte und sie dadurch
steigerte und verschärfte, war nicht auf Alexandria be-
1) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 163.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
345
schränkt Endlich hatte Arius durch seine Wanderpredigten
in Syrien und Kleinasien auch den dogmatischen Streit im
ganzen Orient wachgerufen, und last in jeder Stadt waren
Klerus und Gemeinde gespalten.
Den neuen Herrscher, der im Herbst 324 siegreich in
Nikomedia eingezogen war, kannte man als treuen Anhänger
des Christentums. Man wufste, dafs er nach bestem Wissen
für das Heil der Kirche sorgen werde, und da natürlich
jede Richtung sich für die einzig berechtigte hielt, knüpfte
auch jede an seine Person die ausschweifendsten Hoffnungen.
So regte sich den überall das Schisma; längst begrabene
Ansprüche erhoben sich zu neuem Leben 2; z. B. trat Kol-
luthos wieder als Bischof von Alexandria auf (S. 323). Kon-
stantin, der eben erst aus dem fernen Illyricum herkam,
besafs von den kirchlichen Verhältnissen des Ostens nur sehr
unzureichende Kunde; über die dogmatische Frage hatte er
gewifs noch weniger nachgegrübelt als Bischof Alexander,
ehe sein Presbyter Arius bei ihm verklagt wurde. Von
allen Seiten bedrängt, konnte er kaum anders, als sich ganz
neutral verhalten und alle die zahlreichen Entscheidungen,
die jetzt von ihm gefordert wurden, der Kirche selbst über-
lassen, ein Verfahren, das übrigens auch seinen religiösen
Anschauungen am besten entsprach 3. Er kam daher auf
den Gedanken des Licinius zurück und berief ein allgemeines
Konzil nach Nicäa, das alle streitigen Fragen ordnen sollte.
1) Von diesen Kämpfen redet der 15. Kanon des Konzils von
Nicäa.
2) Dafs Konstantin gleich im Beginn des Ökumenischen Konzils ein
ganzer Haufen Anklageschriften der Bischöfe gegeneinander übergeben
sei und er sie allesamt habe verbrennen lassen, weil ein weltlicher Herr-
scher nicht Qber Geistliche zu Gericht sitzen dürfe, ist an sich sehr
wahrscheinlich. Trotzdem darf kein besonnener Forscher die Geschichte
nacherzählen, weil sie quellenmäfsig gar zu schlecht beglaubigt ist.
Denn sie steht einzig und allein auf der Autorität des argen Fälschers
Rufinus (I, 2), aus dem Sokrates (I, 8, 18), Sozomenus (I, 17) und
Gelasius (II, 8) sie geschöpft haben, und wenn sie wahr wäre, würde
sie Eusebius im Leben Konstantins sicher nicht mit Stillschweigen über-
gangen haben.
3) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 60.
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34 G SEECK,
Bei dieser Gelegenheit hoffte er zugleich die Einheitlichkeit
der Osterfeier, die er 31 G auf der Svnode zu Arles schon
für den ganzen Westen durchgesetzt hatte, auch auf den
Orient ausdehnen zu können, worauf er persönlich den höch-
sten Wert legte (S. 59). Vor allem aber mutete er sich über
die kirchlichen Zustände, die es jetzt zu regeln galt, genügend
orientieren. Mit einem Briefe, der sich ganz unparteiisch
an Alexander und Arius zugleich wandte und beide zur
Versöhnlichkeit ermahnte 1 , entsandte er daher eine Ver-
traucnsperson nach Alexandria, um hier am eigentlichen
Herde der Unruhen die nötigen Erkundigungen einzuziehn
und zugleich durch vorläutige Unterhandlungen die spätere
Thätigkeit des Konzils zu erleichtern.
Hosius von Corduba war schon während des italienischen
Feldzuges (312) Konstantins geistlicher Ratgeber gewesen *
und hatte ihn auch bei dem letzten Kriege gegen Licinius
begleiten müssen, um durch sein Gebet die Waffen des
Kaisers zu unterstützen. Diesem Manne, der als Bekenuer
bei der christlichen Geistlichkeit einer hohen Autorität ge-
nofs, wurde jetzt die schwierige Mission anvertraut und er
entledigte sich seiner Aufgabe zur vollen Zufriedenheit. Um
seinen Entscheidungen gröfseres Gewicht zu verleihen, um-
gab er sich mit einer Synode ägyptischer Bischöfe und ver-
wies durch deren Spruch den Kolluthos in seine Grenzen
zurück 4 ; doch zeigte er schon hierbei seine Mäfsigung , in-
dem er den alten Ruhestörer nicht etwa aus der Kirchen-
gemeinschaf't ausschlofs, sondern ihm das Amt eines Pres-
byters beliefs. Die Sache des Arius konnte er in Ägypten
nicht zu Ende fuhren, schon weil einer ihrer bedeutendsten
1) Dieser Brief gehört zu den Urkunden der Vita Constantiui (II,
64—72), die ich ihrem Hauptinhalte nach für echt halte, wenn auch
ihr Wortlaut von Eusebius herrührt (S. 61). Daf* Einzelheiten darin
falsch sind, habe ich selbst S. H20 nachgewiesen.
2) Seeck S. 455.
3) Euseb. Vit. Const. II, 63. Soor. I, 7, 1; III, 7, 12.
4) Äthan, apol. c. Ar. 75: KoXkovfrov roO nQtopi Tt\)Qv fft(t>Taa9tv-
JOf tnioxoTxrjv x(ti iax(f>ov vtiö xoivf^ avvotiov 'Off/or xui rßv oev
airtii tmoxömav xtUvotHvxoq ngtaßii^Qou ttvnt, xaitb xui n(t6xtoov ?tv.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
347
Vertreter, Eusebius von Nikomedia, ferne war; auch blieb
sie um ihrer dogmatischen AYichtigkeit willen besser dem
Konzil vorbehalten l. Immerhin wird der Zuspruch des all-
verehrten Bekenners dahin gewirkt haben, die Erbitterung
beider Parteien abzukühlen und die versöhnlichere Stimmung
vorzubereiten, die sich später in Nicäa geltend machte.
Arn 20. Mai 325 wurde das Konzil in dem grofsen
Saale des Kaiserpalastes eröffnet (S. 69). Durch die Reihen
der versammelten Väter, die sich bei seinem Eintritt erhoben
hatten, schritt Konstantin , umgeben von den Spitzen seines
Hofes, auf den Präsidentensitz zu, im vollen kaiserlichen
Schmucke, aber ohne das übliche Gefolge seiner Leibwächter.
Und nicht nur Vertrauen wollte er den Häuptern der
Christenheit erweisen, sondern auch Ehrerbietung: nicht eher
setzte er sich, als bis sie ihm die Erlaubnis gewinkt hatten,
und dann gestattete er auch ihnen Platz zu nehmen Ä. Da
er vor litterarischen Berühmtheiten einen grofsen Respekt
besafs8, so hatte man Eusebius Pamphili beauftragt, ihm
die Begrüfsungsrede zu halten 4. Je fester die Mehrheit ent-
schlossen war, die Arianer niederzustimmen, desto willkom-
mener mufsto es ihr sein, sich dem Kaiser gegenüber einen
gewissen Schein der Unparteilichkeit zu geben, indem sie
einem Führer der Minderheit diese glänzende, aber wenig
bedeutende Aufgabe übertrug.
Konstantin antwortete mit einer lateinischen Rede, nicht
etwa weil er des Griechischen unkundig gewesen wäre
— hatte er doch einen grofsen Teil seiner Knaben- und
1) Dafs übrigens auf der alexandrinischen Synode des Hofius auch
die Frage des Verhältnisses zwischen Vater und Sohn erörtert wurde,
zeigt Socr. III, 7, 12.
2) Euseb. Vit. Const. III, 10.
3) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 5t.
4) Eus. Vit. Const. III, 11. Die Überschrift des Kapitels, die hier,
wie überall, von Eusebius selbst herrührt und schon von Sozomenus
(I, 19) gelesen worden ist, nennt den toO dtgioö rdy^ttroi nniorfitüv
mit Namen. Wenn Theodoret I, 7, 10 dem Eustathius die Begrüfsungs-
rede zuschreibt, so hat er wohl irgendeine Stelle aus dessen Schriften,
in der er von seineu Reden auf dem Konzil erzählte, mifsverstanden;
denn dafs er ihn benutzt hat, ergiebt sich aus dem Citat I, 7, 18.
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U48
SEECK,
Jünglingsjahre in der östlichen Hälfte des Reiches zu-
gebracht 1 — , sondern weil ihm die offizielle Sprache der
Staatsregierung der Feierlichkeit des Augenblickes würdiger
erschien. Nachdem die kurzen Worte des Kaisers, die nicht
viel mehr als eine Ermahnung zum Frieden enthielten, durch
den Dolmetscher übersetzt waren, übernahm er die Leitung
der Verhandlungen in griechischer Sprache und erteilte zu-
nächst den Metropoliten das Wort. Dafs er persönlich das
Präsidium führte 2, war für das Gelingen des Friedenswerkes
von höchster Bedeutung. Denn je ferner ihm selber alle
dogmatischen Fragen standen, desto mehr durfte jede Rich-
tung von ihm die vollste Unparteilichkeit erwarten. Und
wenn auch die Ehrfurcht vor dem Herrscher nicht jeden
Ausbruch der religiösen Leidenschaft unterdrücken konnte,
so gebot sie doch den Streitenden ein gewisses Mafshalten
in der Form des Angriffs und raubte so der Debatte viel
von ihrer Schärfe. Übrigens war der Kaiser auch nicht zu
1) Seeck S. 444.
2) Dafs Konstantin nur eine Art von Ehrenpräsidium geführt habe,
ist eine ganz willkürliche Annahme. Vielmehr zeigt die Schilderung
des Eusebius sowohl iu der Vita III, 13 als auch in seinem bekannten
Briefe, dafs der Kaiser die ganze Leitung der Debatten fortwährend in
seiner Hand behielt und ihnen durch Zwischenreden, Beifalls* und Mifs-
fallensbezeigungen u. dgl. immer ihre Richtung gab. Theologisches
Wissen war wohl für die Disputierenden erforderlich , aber keineswegs
für den Präsidenten, der nur zu hören, das Wort zu erteilen und den
Mifsbrauch der Redefreiheit zu hiudern hatte. Die oft citierte Stelle
des Eusebius, nachdem er von der Rede des Kaisers gesprochen hat,
nttQtdltiov töv Xoyov rot? rifr awödov n^o^Qotq, bedeutet nicht: „er
trat ihnen das Präsidium ab", sondern: „er gab ihnen das Wort'*, wie
wir noch heute von dem Vorsitzenden sageo. Unter den n^otioot,
möchte ich die Metropoliten verstehen; dafs sie den Anfang machen,
würde der Geschäftsordnung des römischen Senats entsprechen, nach
der die Vornehmsten vom prineeps senatus an zuerst gefragt werden.
Will man aber das zweifelhafte Wort auf die Führer der Parteien deuten,
so habe ich auch dagegen nicht viel einzuwenden, obgleich mir dies
minder wahrscheinlich vorkommt. Von einem Präsidium des Hosius
rindet sich in den Quellen auch nicht die leiseste Andeutung. Wenn
er in der Teilnehmer liste des Konzils an erster Stelle genannt wird, so
verdankte er das sicher nur dem hohen Anselm seiner Persönlichkeit,
nicht irgendeinem formellen Rechte.
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DAS NICÄN1SCIIE KONZIL.
349
blöde, denjenigen, welche ihrem Herzen übereifrig Luft
machten, das Wort zu entziehen und die gemäfsigteren Ele-
mente der Versammlung entschieden zu bevorzugen *.
Unter dem frischen Eindruck der Christenverfolgung und
der Niederlage ihres Urhebers war das Konzil zusammen-
getreten. Hatten schon vorher die meisten Bischöfe die
arianische Lehre als Lästerung gegen den Gottessohn ver-
abscheut, so machte jetzt der allgemeine Hafs gegen Licinius
die Stellung seiner ehemaligen Schützlinge erst recht zu
einer äufserst schwierigen. Nur zweiundzwanzig Bischöfe,
kaum ein Zehntel der ganzen Versammlung, wagten eB, sich
offen zu ihnen zu bekennen *. Eusebius von Nikomedia, der
am Hofe des gestürzten Herrschers so viel vermocht hatte,
scheint sich ganz im Hintergrunde gehalten zu haben. Die
Kepräsentation der Partei übernahm in erster Linie der
gleichnamige Bischof von Caesarea 3, weil er einerseits min-
1) Eustathius bei Theod. I, 8, 3: 6fioG uvts ix avaxnfls roövofta
nQoßidkofitvot Ti}s tigt'itnjg xctTtotyTjOav /4h Hnavtag xovg äfnartc Xiytw
üuy&öxag. Wenn diejenigen, welche nach der Ansicht des Eustathius
am besten zu reden pflegten, d. h. die orthodoxen Heifssporne, durch
die Friedfertigen zum Schweigen gebracht wurden, so kann dies nur
mit Hilfe des kaiserlichen Präsidenten geschehen sein. Dafs Athanasius
auf dem Konzil irgendeine Rolle gespielt habe, beruht nur auf seinem
eigenen Zeugnis (Apol. c. Ar. 6), ist also sehr zweifelhaft. Denn alle
übrigen Schriftsteller, die davon reden, Ruf. I, 14. Socr. I, 8, 13.
Sozom. I, 17. Theod. I, 26, 2. Gelas. II, 6. 7. Greg. Naz. or. 21, 14
= Migne Gr. 35, S. 1096 gehen auf die angeführte Stelle der Apologie
zurück, besitzen also keinen eigenen Quellenwert. Vgl. Zahn, Mar-
cellus von Ancyra, S. 18.
2) Diese Zahl giebt Philostorgius (Migne 65, S. 623), und da er
jeden einzeln mit Namen nennt, duldet seine Angabe keinen Zweifel.
Die 17 Arianer der orthodoxen Zeugen 6ind nur aus der traditionellen
Zahl 318 für das ganze Konzil hervorgegangen (S. 61). Man wollte
eben über 300 für die Rechtgläubigkeit haben und formuliert dies als
301. Vgl. Theod. I, 7, 14.
3) Man nimmt gewöhnlich an, der Eusebius, der nach Eustathius
bei Theod. I, 8, 1. 3 als Sprecher der Arianer auftrat, sei der Niko-
medenser gewesen. Aber dem syrischen Bischof war der Mann, der in
seiner Nachbarprovinz Palästina eine so einflufsreiche Wirksamkeit ent-
faltete, ohne Zweifel eine viel vertrautere Persönlichkeit als der Metro-
polit des fernen Bithynien. Wo er einen Eusebius ohne genauere Be-
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350
SEECK,
der kompromittiert war, anderseits durch seine Gelehrsam-
keit und seine vielbewunderten Stilblüten bei Konstantin in
hohem Ansehn stand. Hatten aber seine rhetorischen Fähig-
keiten ihm anfangs auch die Ehre verschafft, den Kaiser im
Namen des Konzils begrüfsen zu dürfen, so war damit fürs
erste die Glanzrolle der Arianer ausgespielt.
Man forderte sie auf, ihr Glaubensbekenntnis vorzulegen;
aber als Eusebius es verlas, vermochte selbst die Anwesen-
heit der kaiserlichen Majestät den Sturm der Entrüstung
nicht niederzuhalten. Man hörte den Vortragenden gar nicht
zu Ende, sondern entrifs ihm das Blatt und zerfetzte es.
Seitdem kamen die Arianer auf diejenigen Lehren, die ihnen
eigentümlich waren , gar nicht mehr zurück ; sie begruben
sie in Schweigen 1 und strebten nur noch nach einer Be-
kenntnisformel, die beiden Richtungen freien Spielraum ge-
währte.
Eusebius und seine Genossen hoben jetzt hervor, dafs
der leitende Gesichtspunkt für die ferneren Verhandlungen
nur die Herstellung des kirchlichen Friedens sein könne *,
was durchaus im Sinne des hohen Präsidenten war, und
erklärten sich bereit, jedes Bekenntnis anzunehmen, das
nicht über den klaren Wortlaut der Schrift hinausgehe s.
Mit grofsem Geschicke kamen sie den Schritten der Gegen-
partei zuvor, indem sie selbst eine neue Formel vorlegten,
Stimmung nennt, ist es daher jedenfalls wahrscheinlicher, dafs er jenen
ersteren meint. Vgl. S. 9.
1) Synodalschreiben bei Socr. I, 9, 3. Theod. I, 9, 5. Gelas. II,
33: oi'<fk oaov axoOaai rijg aatßoOq Jo£»?? x«\ jijg üriovotns xn\ rßy
ßXaoyt'ifiotv (>t)uttr(tn> avuayo^v^. Vgl. Eustathius bei Theod. I, 8. 7,
15. Äthan, de decr. syn. Nie 3.
2) Euseb. bei Theod. I, 12, 10: toO rfc «/pqvqc axonoü nnb ötffrttl-
udv ffudv xuiifrov. Eust. bei Theod. I, 8, 3 : nvig tx ovoxtvfc roi'-
vofitt 7t QoßakXöuivot, rijg tl(ttjvr)S.
3) Euseb. bei Theod. I, 12, 15: dtä rb ant(Qyuv «yp«V/oic yni)o9«i
tfinvms, <f*' «c ayttidv J) nüaa tyeyövu avyyvaig xtti axrtmaraafa Tifr
fxxlrjafag. Ich citiere den Btief des Eusebius nach Theodoret, doch
findet er sich auch bei Socr. I, 8, 35; Gelas. II, 34; Äthan, am Ende
der Schrift De decretis Nicaenae synodi.
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DAS NICÄNISCI1E KONZIL.
351
die alle trennenden Schlagworte vermied und nur das beiden
Richtungen Gemeinsame aufnahm \
Sobald sie verlesen war, machte der Kaiser von dem
Rechte des Vorsitzenden Gebrauch und erklärte, ehe er die
Gegner zum Worte liefs, dafs d Bekenntnis seinen
eigenen Uberzeugungen vollkommen entspreche *. Damit
war der Debatte ihre Richtung gegeben. Denn die recht-
gläubige Partei wagte jetzt nicht mehr, die ganze Formel
abzuweisen und etwa auf diejenige zurückzugreifen, die
Alexander in seinem ersten Rundschreiben aufgestellt hatte,
sondern sie mufste den Entwurf des Eusebius zu Grunde
legen und konnte ihn nur noch in ihrem Sinne zu amen-
dieren versuchen. Dies that sie denn auch redlich, und
die Arianer stimmten allem zu, was sich mit ihrer Auf-
fassung noch irgendwie vereinigen liefs. Wurde z. B. ver-
langt, dafs für &eöv ix tooC, wie Eusebius vorgeschlagen
hatte, gesetzt werden solle: Oeöv <xht$tvöv ix &eot> üh\tttvof),
so forderten sie zwar Erklärungen, wie dies gemeint sei,
beruhigten sich aber dabei, sobald sie dieselben als schrift-
1) Das Symbol des Eusebius (Tbeod. I, 12, 3) beginnt mit den
Worten : xa&ws nuQtlitßoutv napä tQv kqö i^uGf Iniaxontav xal Iv
rjj nfxoTy xaTiy(ii<j(i xal Sr< ro Xovtqöv ilctußdvojutv , xa&wg and tQv
dtlurv yQttqßv [iifitt&rjxttfitv xal at$ tv avjqi rtp ngtoß vT ((>{({> xal (v aury
ry (rnaxontj fniaTevojitv t< xal Itfiddaxoptv, oitoj xal vOv nujxtvovrts
ttjv JjutTtyav 7i(ativ 7i{iooava(f(Qop(v. Hieraus hat man geschlossen,
es sei das Taufsymbol von Caesarea oder doch ein anderes innerhalb
dieser Gemeinde überlicfeitcs Bekenntnis gewesen, das er dem Konzil
vorlegte. Dabei übersieht man nur, dafs diese Formel nach der Ab-
sicht des Eusebius von allen versammelten Vätern angenommen und
als ihr gemeinsames Glaubensbekenntnis verkündet werden sollte. Sie
durfte also gar nichts enthalteu, was nur auf den Bischof von Caesarea,
nicht auf alle Bischöfe der Christenheit in der gleichen Weise pafate.
Mithin können jene Einleitungsworte nichts anderes sagen wollen, als
was zu allen Zeiten jedes christliche Symbol von sich behauptet hat,
dafs es nämlich nichts Neues bringe, sondern nur den überlieferten
Glauben der Väter formuliere. Ähnlich, nur minder wortreich, beginnt
auch das Bekenntnis des Arius (Epiph. haer. 69, 7): 1) ntaxn i)fi<üv 1}
ix nqoyövtov, ijv xal and aoö fttfia&tjxafittv, fxaxaQU nana, taxtv aüxTj.
2) Euseb. bei Theod. I, 12, 7: airxos te nQßxog 6 &ewf>t.M(fxaxog
^u0v ßaoiltvg ÖQ&öxaxa ntq^xuv tt^JV^ fj^tt^xvQtjaev.
Zaitscbr. f. K.-O. XVII, S. 23
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352
üEECK,
gemäfs erkannten *. Nur die Worte: toi ttoctv i/. cFtg oioiag
lou nuiQog und öftootoiov rot jiuuqL bereiteten ernste
Schwierigkeiten, weil sie eben aus der Bibel nicht unmittel-
bar zu belegen waren. Aber nachdem die Ketzereien, welche
die Arianer hinter ihnen witterten, alle von ihren Gegnern
ausdrücklich abgewiesen waren und diese den Beweis ge-
führt hatten, dafs schon ältere Theologen, die allgemein als
rechtgläubig anerkannt waren, sich dieser Worte bedient
hatten, wurden auch sie last einstimmig angenommen.
Namentlich dafs Konstantiu selbst diese Amendements sehr
entschieden vertrat 2 und auch seine Schwester Konstantia,
welche die Arianer als ihre treue Freundin und Beschützerin
verehrten, ihnen zur Fügsamkeit riet brach ihren Wider-
stand. Nur Arius selbst und seine alten Genossen, Secundus
von Ptolemais und Theonas von Marinarica, beharrten bei
ihrer Ablehnung. Sie wurden daher mit dem Kircheubanne
belegt und aus ihren Gemeinden ausgewiesen *.
Sehr bald sollten sie Genossen ihres Schicksals rinden.
Nachdem der positive Teil des Bekenntnisses vereinbart war,
schritt mau dazu, ihn durch einen negativen zu vervoll-
ständigen. Eusebius war so unvorsichtig gewesen, in das
Nachwort, das er seinem Entwurf hinzugefügt hatte, auch
die Verfluchung aller gottlosen Ketzereien [dva tieft aiuotreg
näoar uihov ai'gtotv) aufzunehmen. Daran hielten sich jetzt
die Rechtgläubigen und beanspruchten, dafs diejenige, welche
sie iür die allergottloseste hielten, ausdrücklich verflucht
werden solle. Sie formulierten daher als Schlufs des Symbols
ein Anathema gegen alle, die sich zu den alten arianischen
Schlagworten bekannten. In vollem Mafse wurde zwar da-
durch nicht einmal Arius selber getroffen. Denn auch er hatte
1) Euseb. bei Theod. I, 12, 14: y oi't>t<ftiivr)0(tfitv oi nuvit; ovx
ttvtj-tiuonng, ukkä xMii Mai ünoJu&tiaits üttxvolai in* avioö rov $to-
qtXtotdiuv ßuoiXfos t£iiuo&i(oas xttl loii tlfir)fi£vui£ loytOfiois ow-
ofAokoyrj&tfatts. Die Bereitwilligkeit der Aiianer, auf alles einzugehen,
schildert auch Äthan, epist. ad Afi. 5. G. De decr. Nie. syu. 19.
2) Euseb. bei Theod. I, 12, 7.
3) Philost. I, 9.
4) Philost. I, 9. Socr. I, 8, 31 ff. Theod. J, 7, 15. 8, 18.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
853
manche der verdammten Irrlehren, z. B. dafs Christus wandel-
bar und veränderlich sei, zwar ursprünglich ausgesprochen *,
doch seitdem längst zurückgenommen. Aber es war und
blieb die immer wiederholte Taktik der Orthodoxen, ihm
jede seiner falschen Behauptungen stets von neuem vor-
zurücken, auch wenn er selbst davon zurückgekommen war.
In diesem Falle erleichterten jene veralteten Anzapfungen
den früheren Anhängern des Arius nur ihre Zustimmung,
und wenn auch einzelne der verurteilten Lehrsätze noch
immer ihrer Meinung entsprachen, so beruhigten sie sich doch
damit, dafs sie unbiblisch und es daher besser sei, sie künftig
nicht mehr zu brauchen *.
Nur Eusebius von Nikomedia und die Bischöfe der beiden
Städte, die seiner Gemeinde am nächsten lagen, Theognis
von Nicäa und Maris von Chalkedon, verweigerten ihre
Unterschrift für das Anatheraa s. Alle drei waren sie, wie
Arius, Schüler des Märtyrers Lucianus gewesen 4 ; auch hatten
sie auf der früheren bithynischen Synode, die den Arius
als rechtgläubig anerkannt hatte, nach der Lage ihrer Sitze
die ersten Köllen gespielt und konnten sich jetzt nicht ent-
schliefsen, eine Lehre, die sie so entschieden in Predigten
und Rundschreiben verfochten hatten, jetzt für ketzerisch zu
erklären. Das öfjoovoiov hatten sie zugelassen, weil es nach
ihrer Ansicht noch eine reservatio mentalis duldete ; bei jener
Schlufsklausel dagegen war jede Zweideutigkeit ausgeschlossen,
und eben dieses war es, was die Orthodoxen gewollt hatten.
So mufsten denn auch jene drei in die Verbannung ziehen,
und ihre Bistümer wurden anders besetzt. Dem verhafsten
1) Bei der Disputation, die er in Alexandria gehalten hatte, scheint
er durch die Fragen der Gegner zu dieser Erklärung gedrängt zu sein.
Alex, bei Socr. I, 6, 12: fjQCJTtjae yoOv ti$ avrovg, ti Svvktki 6 ioO
&eoö Xöyoi rp«7i^v«*, ths u diäfioXoq IjQuni)' xai ovx itfoßrj&yoav tlntiv,
vtti üvvuiiu' TQfnrfc yäo tfvottag lax), yevrjrög x«i T(W^tAj u7tuQXbn'.
2) Euseb. bei Theod. I, 12, 15.
3) Brief des Eusebius und Theognis bei Socr. I, 14, 3. Theod. I,
19, 3. Äthan, apol. c. Ar. 7 = Migne 25, S. 261. Den Maris nennt
nur Sncr. I, 8, 31.
4; Philost. II, 14
23*
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354
SEECK,
Eusebius, der früher Bischof von Berytus gewesen und dann
erst nach Nikomedia versetzt war l, that das Konzil noch
den Schimpf an, solch ein Übertreten der Geistlichen aus
einer Gemeinde in die andere durch seinen 15. Kanon zu
untersagen. Das Verbot ist niemals durchgeführt worden,
ja die heiligen Väter von Nicäa verletzten es selbst, indem
sie dem Eustathius von Beröa, der sich unter ihnen als Hort
der Rechtgläubigkeit ausgezeichnet hatte, den vakanten
Metropolitansitz von Antiochia übertrugen *. Solche Aus-
nahmen zu rechtfertigen, wird man um Gründe nicht ver-
legen gewesen sein; auf dem Ketzer blieb darum doch die
Schmach sitzen.
Nachdem die Verhandlungen über das Symbol im Ver-
lauf eines Monats beendet und am 19. Juni das Ergebnis
verkündet war 3, schritt man zur Regelung der Osterfrage.
Von irgendeiner Opposition wird uns hierbei nichts berichtet;
das lebhafte Interesse, welches der Kaiser gerade an diesem
Gegenstande nahm, schlug wohl jeden Widerspruch nieder.
Bis zu Konstantins Tode ist dann in der rechtgläubigen
Kirche die Einheitlichkeit der Ostorfeier erhalten geblieben 4;
1) Brief Alexanders bei Socr. I, 6, 6. Äthan, apol. c Ar. 6.
2) Sozom. I, 2: T^g J£ 'Avxiox^utv iQv uqos jqi 'Oqovtt) fitiä 'Pat-
fiavöv oönto rtg IniifrQttnxo, rOv öttoypQv, f/xof, fitf ovyxw(>rlat*y~
tittv ytv(a&tu tifv xitQOT0V^(tv- *'? fiaxQuv ol tlq Nfxaiav avy
tirfkv&oTts &avtidoavits roO filov xat rßv kdytuv Euorti&iov, ä^ior iäo-
xtpttaav roO anootohxoO &oövov rjyeiod-ai xal Inlaxonov övxa rifc
ytirovos ßffifioias tts 'sivriö/Hav fiiT(oir\(jttv. Eine solche Nachricht
des Sozomenus ist, wie wir S. 324 gesehen haben, desto beachtens-
werter, je vereinzelter sie steht. Denn stimmt er mit Athanasius, So-
krates, Rufinus oder Eusebius überein, so kann man annehmen, dafs
er aus ihnen geschöpft hat, während er andernfalls meist auf Urkunden
zurückgeht. Dafs der Bischof Romanus in der traditionellen Liste von
Antiochia nicht vorkommt, ist nur ein weiterer Beweis für die gute
Überlieferung bei Sozomenus.
3) Dies Datum findet sich im Chron. Pasch, und in den Akten des
Konzils von Chalkedon. Manai VI, S. 966. Über die Behauptung des
Athanasius, das Symbol sei nie datiert gewesen, s. Zeitschr. f. K.-G. X,
S. 524.
4) Ideler konnte, auf unvollständiges Material gestützt, noch an-
nehmen, dafs in den Jahren 326, 330, 333, 340, 341 Ostern in Rom
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DAS NJCÄNISCHE KONZIL
355
erst das zwiespältige Regiment seiner Söhne zerrifs auch in
dieser Beziehung den Zusammenhang des Reiches.
Viel schwieriger war die Unterdrückung des mele-
tianischen Schismas. Meletius und seine Anhänger hatten
seit zwei Jahrzehnten das gesetzliche Kirchenregiment mit
verbissener Hartnäckigkeit gestört und bekämpft; durch
ihre Zettelungen war der arianischc Streit hervorgerufen
und die religiöse Spaltung über den ganzen Orient verbreitet
worden. Doch wenn man hiernach allen Grund hatte,
strenge gegen sie zu sein, so durften sie sich doch ander-
seits nicht mit Unrecht „die Kirche der Märtyrer" nennen,
und gerade jetzt, nachdem man eben erst die Schrecken
der Christen Verfolgung von neuem durchlebt hatte, besafs
dieser Name einen besonderen Zauber. Den Greis, der als
treuer Bekenner in den fürchterlichen Bergwerken von
Phaino 1 geschmachtet hatte, und die Geistlichen, welche
seiner Handauflegung ihre Weihen verdankten, jetzt als Auf-
rührer aus der Kirchengemeinschaft auszuschliefsen , das
konnte weder das Konzil noch der Kaiser übers Herz
bringen. Wurde doch gerade damals der ausschweifendste
Kultus mit den Männern getrieben, die um ihres Glaubens
willen gelitten hatten. Paphnutius, dem Maximinus das
rechte Auge hatte blenden lassen, lud Konstantin wiederholt
in seinen Palast, um ihm begierig die leere Augenhöhle zu
küssen 2. Man suchte also einen Mittelweg, der zugleich
und Alexandria auf verschiedene Tage fielen; aber Ilefele, Koozilien-
geschichte 1*, S. 333 durfte ihm dies nicht nachschreiben. Denn jetzt
kennen wir aus dem Chronographen von 354 (Mommsen, Chronica
rainora I, p. 62) die thatsächlichen Osterfeste der römischen Gemeinde,
aus den Festbiiefen des Athanasius die der alexandrinischen, und beide
stimmen bis 342 überein. Erst 343 tritt die erste Differenz ein; aber
die Synode von Sardica, welche in demselben Jahre tagte, fafste auch aus
diesem Grunde sogleich wieder neue Beschlüsse über die Einheitlichkeit
der Feier. Offenbar war also damals die Abweichung etwas Ungewohntes
und Schreckenerregendes. Später hat sie sich freilich noch öfter (350.
357. 360. 373) wiederholt.
1) Äthan, hist. Ar. ad mon. 60: t)£/a><r«v tfs fittaHov unoata-
Xijvtti, xal fidakkov oi<x u7iÄßs, nXl' ttg tö tijg ^Paivto, tv&a xril yovfvg
xajadixaiofjitvos 6Uyaq ijptyas [x6yti dvvtriai {ijoai.
2) Rufin. h. e. I, 4.
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356
SEECK,
die Disziplin der Kirche und die Würde der Bekenner zu
wahren gestatte; aber, wie alle Halbheiten, sollte er später
die übelsten Folgen nach sich ziehn.
Die von Meletius geweihten Geistliehen blieben in ihren
Stellungen, sollten aber denjenigen, welche der Bischof von
Alexandria eingesetzt hatte, an Hang und Macht nachstehen
und keine Amtshandlung ohne deren Einwilligung vornehmen.
Dafür machte man ihnen Hoffnung, wenn die rechtmäfsigen
Inhaber der Kirchenämter stürben, an ihre Stelle gewählt
zu werden; auf diese Weise gedachte man wohl, durch all-
mähliches Aussterben der Gegenbischöfc das Schisma in der
mildesten Weise zu beseitigen. Nur gegen Meletius selbst
verfuhr man strenger. Wegen der Unruhen, die er in den
Gemeinden angestiftet hatte, wurde ihm jede Amtshandlung
untersagt, aber Titel und Ehren eines Bischofs von Lykopo-
lis doch gelassen l. Damit die Zahl der schismatisehcu
Kleriker nicht noch später vermehrt werde, liefs sich Ale-
xander von Meletius ein Verzeichnis aller Geistlichen ein-
reichen, welche dieser als Angehörige seiner Sekte betrach-
tete und die demgemäß» auf die Wohlthaten des Konzils-
beschlusscs Anspruch hatten * Dafs diese Anordnungen
nicht sehr weise waren und den Streit keineswegs' schlichte-
ten, sondern nur in Permanenz erklärten, bedarf wohl keines
Wortes.
Gleichwohl war man hocherfreut, fast mit Einstimmig-
keit etwas geschaffen zu haben, was zunächst wie Frieden
aussah. Triumphierende Synodalbriefe wurden an alle Ge-
meinden versandt; der Kaiser liefs es sich nicht nehmen,
die hergestellte Einheit des Osterfestes auch seinerseits durch
ein Rundschreiben der ganzen Christenheit kundzuthun ; und
nachdem sie noch am 25. Juli 325 seine Vicennalien mit-
gefeiert hatten, gingen die Mitglieder der Synode sehr be-
friedigt auseinander.
Bald sollten Ereignisse eintreten, die zuerst bei dem
1) Synodalschreiben bei Soer. I, 9, Gff. Theod. I, 9, 7 ff. Gelas.
II, 33 = Mansi II, S. 909. Vgl. Äthan, apol. c. Ar. 59.
2) Äthan, apol. c. Ar. 71.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
357
Kaiser, dann auch bei seiner getreuen Geistlichkeit einen
vollständigen Umschlag der Stimmung herbeiführten. Kon-
stantia stand von jeher bei ihrem Bruder in hohem Ansehen,
und durch den Sturz ihres Gemahls wurde ihr Einflufs kaum
vermindert. Obgleich sie den Titel Augusta ablegen mufste,
liefs Konstantin doch noch später auf ihren Namen Münzen
schlagen, eine Ehre, deren eine Seitenverwandte des Herrschers
sonst nie gewürdigt wurde K Und zu ihr gesellte sich in dieser
Zeit noch ein anderer Fürsprecher der Arianer, der gleich-
falls aus dem Lager des Licinius hervorgegangen war.
Konstantin hatte es immer als Pflicht der Gerechtig-
keit betrachtet , die treuen Diener seiner gestürzten Feinde
nicht zu strafen, sondern, falls sie dessen würdig waren, so-
gar ganz besonders zu ehren und auszuzeichnen 2. So hatte
er auch den PrUfectus Prätorio des Licinius, Caeionius
Julianus, seinen eigenen Beamten als Muster aufgestellt, ihn
gleich nach dem Siege zum Konsuln für das Jahr 325 er-
nannt und verheiratete dessen Tochter Basilina später so-
gar mit seinem Bruder Julius Konstantius 3. Dieser Mann
war mit Eusebius von Nikomedia verwandt 4 und machte
1) Cohen. Medailles imperiales VTF, S. 211. Die Aufschrift
lautet: Constantia n(obilis8itna) f(emina) und auf dem Revers: soror
Constantini Aug(usti). — Pietas publica. Da die Buchstaben im Ab-
schnitt schon die Münzstätte von Konstantinopel nennen (Com. B), so
kann die Münze nicht vor 330 geschlagen sein.
2) Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt I, S. 132.
3) Seeck, Symmachus, p. CLXXVII. An dieser Stelle habe ich
noch geglaubt, der Tyrann, in dessen Diensten Julianus stand, sei Ma-
xeutius gewesen. Dazu veranlafste mich namentlich eine Urkunde, in
der ein Julianus schon um das Jahr 316 als Präfekt Konstantins ge-
nannt wird. Seitdem aber habe ich Zeitschr. f. Kirchengesch. X, S. 551
sie als Fälschung erwiesen. Da nun dieser Grund hinwegfällt, ist um
so mehr der andere zu berücksichtigen, dafs jener Julianus ein Ver-
wandter des Eusebius von Nikomedia war, und dieses weist ihn ent-
schieden in den Kreis des Licinius.
4) Amm. XXII, 9, 4 sagt von Kaiser Julian, er sei in Nikomedia
educatus ab Eusebio episcopo, quem genere longius contingtbat. Diese
Verwandtschaft kann nur durch Basilina, die Mutter des Julian, ver-
mittelt sein, da sich für die Familie Konstantins unmöglich irgendeine
Beziehung zu dem Bischof annehmen lafst. Hierzu pafst es, dafs Ba-
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SEKCK,
begreiflicherweise seinen mächtigen Einflufs tur ihn geltend.
Und bald machten Umstände, die scheinbar von den kirch-
lichen Fragen ganz unabhäagig waren, aber doch auf sie
zurückwirkten, den Kaiser seinen Ratschlägen zugänglich.
Bis zum Konzil von Nicäa war Konstantin ein Glücks-
kind sondergleichen gewesen ; jedes Unternehmen, mochte es
noch so halsbrechend scheinen, war ihm günstig ausgeschlagen ;
der Segen Gottes hatte ihn, wie er selber dies auslegte, sicht-
barlich begleitet. Kaum aber waren Arius und seine Ge-
nossen in die Verbannung gezogen, so trafen ihn die schwer-
sten Schicksalsschläge. Schon dafs Licinius, dem er kurz
vorher das Leben geschenkt hatte, wieder neue Ränke spann
und er sich 325 gezwungen sah, den Gatten seiner Schwester
hinrichten zu lassen, wird ihm sehr schmerzlich gewesen
sein. Im Jahre 326 wurde dann sein ältester Sohn Crispus
der Blutschande und des Ehebruchs bezichtigt und fiel diesem
Verdachte zum Opter; nicht lange darauf stellte sich die
Kaiserin Fausta als die wirklich Schuldige heraus und mufste
auch ihrerseits den Tod erleiden. Zu keiner Zeit war man
bereitwilliger, in jedem Ereignis den Finger Gottes zu er-
blicken, als im vierten Jahrhundert. Konstantia und Ju-
lianus kann es nicht schwer gefallen sein, dem tiefgebeugten
Kaiser klar zu machen, dals sein Familien unglück eine
Strafe datur sei, weil er den Arm der weltlichen Macht da-
zu hergeliehen habe, um Männer, die bei den Ihrigen im
Gerüche der Heiligkeit standen, von ihren Gegnern unter-
drücken zu lassen.
Dazu kam noch ein Zweites. Gerade um jene Zeit
wurde, wie es scheint, der Märtyrer Lucianus plötzlich zum
Modeheiligen. Die Gründe dafür kennen wir nicht; doch
pflegt in unterdrückten Gemeinden die gläubige Begeiste-
rung ja raeist am gröfsten zu sein, und „das Wunder ist
des Glaubens liebstes Kind". Danach ist es sehr wahr-
scheinlich, dafs von den Reliquien des Blutzeugen, den die
A rianer als ihren besonderen Schützer betrachten mufsten,
silina bei Äthan, hist. Ar. ad mon. 6 6 als sehr entschiedene Partei-
gängerin der Arianer auftritt.
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DAS NICÄNISCHE KONZIL.
359
gerade jetzt, wo ihre Sekte geschmäht und bedrückt war,
sehr viele und glänzende Wunderzeiclien bekannt wurden.
Doch wie dem immer sein mag, jedenfalls schwärmte die
Kaiserin Mutter, die über ihren Sohn sehr viel vermochte,
für den heiligen Lucianus, und als Konstantin ihr die Ehre
erwies, eine Stadt des Reiches neuzugründen und nach ihrem
Namen umzubenennen, wählte sie dazu Drepana in Bi-
thynien, wo seine Gebeine aufbewahrt wurden. Bei der
Einweihung der neuen Helenopolis im Herbst 327 wurde
der Kultus des arianischen Märtyrers zum Mittelpunkte der
ganzen Feier *. Vielleicht wurden auch diejenigen, welche
Schüler des Heiligen gewesen waren, Arius und Eusebius,
Maris und Theognis, zu diesem Feste eingeladen und ihre
Verbannung bei dieser Gelegenheit aufgehoben oder unter-
brochen. Jedenfalls stand der abgesetzte Bischof von Niko-
media, wie wir sogleich sehn werden, um jene Zeit und
selbst schon früher zu dem Kaiserhofe wieder in engen Be-
ziehungen.
• *
Unterdessen war in Ägypten eingetreten, was jeder
Scharfblickende hätte voraussehn können. Die meletianischen
Kleriker waren in ihren Stellungen geblieben und zu jeder
Amtshandlung befugt, aber nur — wenn ihre katholischen
Kollegen es erlaubten. Da dies selbstverständlich niemals
geschah, sahen sie sich völlig kaltgestellt. Wenigstens ihre
Gottesdienste wollten sie nach wie vor abhalten, und da
Alexander sie als Metropolitan von Ägypten daran hinderte,
auch nach dem Wortlaute des Konzilienbcschlusses dazu
berechtigt war, schickten sie eine Gesandtschaft an den
Kaiser, um sich von ihm die Erlaubnis zu erwirken.
1) Philost. II, 12: ij toO ßttoiXtos Kwaxuvrlvov fitjrriQ'EXtvr} Im itp
OTÖuttTi toO rijf Nucoutjötiaf xöXnov noXtv (SttfAuro, 'EXtvonoXtv ai'Tfjv
Inovoutiotiaa ' aanäoaa9at rö ytoofov xax' äXXo uiv oirdfv, 6r* <T£
^iovxmvbi 6 fiaQTvg fxtiot ri'yfo* fiträ top /uaQjvgutöv d-üvajov vnö ötX-
yivos lxxofAtod-t(g. Dies bestätigt auch die halboffizielle Chronik von
Konstantinopel, in der nach den übereinstimmenden Zeugnissen des
Hieron. chron. 2343, des Socr. I, 17, 1 und des Chronikon Paschale
unter dem Jahre 327 folgende Notiz stand: Drepanam Bithyniac civi-
tatem in honorem martyris Luciani ibi conditi Constantinu»
inttaurans ex vocabula matris suae Helenopolin nuneupavit.
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360
SEECK,
Seit sich in Konstantin die Empfindung geregt hatte,
dafs seine Entscheidung des arianischen Streites sündig ge-
wesen sei, machte ihm das neuerwachte Scbuldbewufstsein
die ägyptischen Wirren tief verhafst: namentlich gegen die
Meletianer, die den ganzen Sturm erregt hatten, hegte er
den gröfsten Widerwillen. Als sie nun, nachdem das Kon-
zil sie scheinbar so milde behandelt hatte, wieder mit neuen
Klagen kamen, wollte er ihre Abgesandten gar nicht vor-
lassen. Unthätig und hoffnungslos trieben sie sich in der
damaligen Residenz des Kaisers umher, ohne ihren Auf-
trag erfüllen zu können. Da gesellte sich Eusebius von
Nikomedia zu ihnen und versprach, den Einflufs, deu er
wieder bei Hofe gewonnen hatte, zu ihren Gunsten geltend
zu machen, falls sie ihrerseits mit Arius und seinen Genossen
in Kommunion treten wollten. Freilich hatten diese sich
vorher verpflichtet, das nieänische Symbol anzuerkennen,
jedenfalls mit denselben Mental reservationen , wie Eusebius
von Caesarea und mancher andere. Auf diesen Vorschlag
gingen die Meletianer ein und fanden jetzt sogleich bei
Konstantin williges Gehör. Denn da er den stillen Wunsch
hegte, seine Urteile gegen die verbannten Kleriker rück-
gängig zu machen, so konnte ihm nichts willkommener sein,
als wenn eine Sekte, deren Rechtgläubigkeit keiner bezweifelte,
ja die sogar den Streit gegen die arianischen Lehren selbst
eröffnet hatte, die Schüler des Lucianus jetzt als kirchen-
ßihig gelten liefs *.
Allerdings konnte sieh der Kaiser nicht cntschliefsen,
die Beschlüsse eines Konzils, das mit so grofsem Pomp als
vollgültiger Vertreter der gesamten Christenheit gefeiert
war, durch eine andere Synode umstofsen zu lassen. Doch
diese Schwierigkeit liefs sich heben, wenn auch in diesem Falle
dieselbe Waffe, welche die Wunde geschlagen hatte, sie wie-
der heilte. Er berief daher nicht ein zweites Konzil, sondern
dasselbe zum zweitenmal (S. 70). Freilich bestand dieser
Unterschied nur im Namen. Denn zu einer ökumenischen
Synode mufsten selbstverständlich die Einladungen an alle
1) Epiph. haer. Ü8, 5. 6
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IMS NICÄNISCHE KONZIL.
361
Gemeinden der Christenheit versandt werden. Jeder an-
erkannte Bischof, auch wenn er der ersten Tagung nicht
beigewohnt hatte, konnte also bei der zweiten erscheinen;
der Personalbestand wird daher gewifs ein wesentlich ver-
schiedener gewesen sein. Immerhin blieb die Form gewahrt,
dafs die Verfügungen des grofsen Konzils von Nicäa nur
durch dasselbe Konzil reformiert, nicht durch ein anderes
umgeworfen wurden, und die katholische Kirche, Athanasius
an der Spitze, hat auch wirklich die Identität der beiden
Versammlungen anerkannt. Unmittelbar nach der Ein-
weihung von Helenopolis, noch voll von Begeisterung für
den heiligen Lucianus, erschien Konstantin zum zweitenmal
in der Mitte seiner Bischöfe, und dafs er jetzt Milde für
die Schüler des Märtyrers predigte, verstand sieh von selbst.
Irgendeinen Druck aufser dem moralischen seiner persön-
lichen Uberzeugung wird der Kaiser kaum ausgeübt haben;
aber er genügte, um die Schwachen und Unentschlossenen,
die hier, wie in jeder grofsen Versammlung, die ungeheure
Mehrheit bildeten, zur Umkehr zu bewegen. Prinzipiell freilich
vergab man sich nichts; Arius mufste das Bekenntnis unter-
schreiben. Aber er wurde doch zur Unterschrift zugelassen,
und mit ihm zugleich wohl auch Secundus, Theonas und
Maris Bald darauf gaben auch Eusebius von Nikomedia
und Theognis von Nicäa durch ihren noch erhaltenen Brief
Erklärungen ab, die dem Konzil genügten (S. 36). Sie
wurden in ihr Bischofsamt zurückgeführt und diejenigen,
welche es in der Zwischenzeit bekleidet hatten, mufsten wei-
chen. Auch die Meletianer erhielten ihren Lohn, indem
man ihre Sonderversammlungen gestattete und damit auf jede
Hoffnung verzichtete, das Schisma beizulegen *.
Ende November 327 löste Konstantin das Konzil zum
zweitenmal auf, diesmal endgültig (S. 69). Alexander, der trotz
seines hohen Alters wieder in Nicäa erschienen war, kehrte
in sein Bistum zurück und machte sich schweren Herzens
1 ) Über das spätere Fortleben der meletianischen Sekte vgl. Theod.
Haer. fab. IV, 7 = Migue Gr. 83, S. 425. Äthan, hist. Ar. ad
mon. 78.
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SEECK, DAS KICÄXISCHE KONZIL.
bereit, den Arius und die übrigen Kleriker, mit denen er so
lange Jahre in erbittertem Streit gelegen hatte, wieder in
ihre kirchlichen Amter einzusetzen. Doch sollte diese
Schmach dem tiefgebeugten Greise erspart bleiben. Nach-
dem er von der weiten Reise heimgekehrt war, verfiel er
sehr bald in eine Krankheit, die ihm am 17. April 328 den
Tod gab, und jetzt trat mit Athanasius ein anderer Kämpe
auf die Walstatt, der mit grofsartiger Uberzeugungstreue
und rücksichtsloser Energie den Streit wieder aufnahm und
ihn endlich nach vielen Wechseltallen auch siegreich zu
Ende führte.
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Peter von Murrhone als Papst C ölest in V.
Von
Dr. Hans Schulz in Berlin.
1. Die Wahl.
Peter 1 war um 1215 in den Abruzzen als Sohn ein-
facher Leute geboren. Mit 20 Jahren trat er in den Bene-
diktinerorden und lebte dann längere Zeit zurückgezogen
auf dem Murrhone, später auf dem Majella. Aus der Menge
Weltflüchtiger, die sich trotzdem bald um ihn sammelten,
bildete sich der Orden der Murrhoniten, welchen Urban IV.
1264 dem der Benediktiner unterstellt haben soll 8. Aus
neueren Veröffentlichungen Ehrles 3 ergiebt sich , dafs Peter
schon als Prior des Klosters vom heiligen Geiste bei Majella
Beziehungen zu Spiritualen hatte, namentlich zu Angelus
de Clarino und Peter von Macerata. Dagegen ist der Be-
richt von seiner Reise zum Konzil in Lyon (1274) mit
seiner Wunderausstattung wohl zurückzuweisen; auch die
Angaben über die bedeutende Vergröfserung, welche der
Orden infolge der dort von Gregor X. erhaltenen Bestäti-
1) Ich fasse hier kurz den Inhalt meiner Dissertation „Peter von
Murrhone (Papst Cölestin V.)", Berlin, W. Weber, 1894, zusammen. —
Das erste Kapitel, welches die Vergangenheit Peters und seine Person
behandelt, beginnt mit einer kurzen Betrachtung der Hauptquellen über
das Leben des merkwürdigen Mannes, unter denen das Gedicht des
Kardinals Stephaneschi sowohl dem Umfang als dem Werte nach die
erste Stelle einnimmt.
2) Die Echtheit dreier auf den Orden bezüglicher Bullen aus den
Jahren 1249, 1264, 1272 ist fraglich.
8) Arch. f. Litt. u. Kirchengesch. d. Mittelalt. II, 308 ff.
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364
SCHULZ,
gung erfahren haben soll, mögen auf Rechnung der späteren
Cölestiner zu setzen sein.
Die Aussagen der Quellen über Peters Persönlichkeit
sind stark beeinflulst durch die spätere Stellung der Ver-
fasser zu Bonifaz VIII. So viel wir sehen, taugte Peter
einzig und allein zum Asketen, für gröfsere Verhältnisse
fehlte ihm jeder Sinn; auch auf dem Throne blieb er der
einfache, nur auf sein Seelenheil bedachte Mönch. Ohne
den Pomp der Kurie brach er auf einein Esel von seinem
Berge auf, und im Palast zu Neapel bewohnte er nur ein
einziges Zimmer, schliefslich nur eine hölzerne Zelle. Ein
ebenso asketisches Leben sollten nach seinem Wunsche die
Kardinäle führen. Seiner geringen geistigen Fähigkeiten
war er sich selbst wohl bewufst: die Quellen berichten, dafs
die Kardinäle sich vor ihm sogar in den Konsistorien des
Italienischen bedienen mufsten und er zumeist einen anderen
mit seiner Vertretung beauftragte, wenn es galt, öffentlich
zu reden. Die Versuche des Lelius Marinus und Hefeies,
ihm höhere Bildung zuzuschreiben, müssen demnach als ver-
fehlt gelten; auch die umfangreichen Schriften, die er nach
Telera verfafst hat, dürften schwerlich von ihm herrühren.
Nachdem das von Parteiinteressen zerrissene Kardinals-
kolleg während zweier vollen Jahre zu keiner Einigung
hatte kommen können, griff im März 1294 Karl II. von
Neapel ein in der Absicht, sich ein Werkzeug für seine
gegen Sizilien gerichtete Politik zu schaffen. Bei einem
kurzen Besuche in Perugia wurden die ersten Beziehungen
angeknüpft, nicht ohne sofort den lebhaften Widerstand der
Partei der Kolonna, an deren Spitze Benedikt Gaetani (der
spätere Bonifaz VIII.) stand, zu erregen. Natürlich traten
nun ihre Gegner, die Ursini, geführt von Latinus Malabran-
ka, auf die Seite des Königs. Da die Kandidatur eines
Mitglieds des Kollegiums aussichtslos war, lenkte Latinus
die Aufmerksamkeit Karls auf jenen Einsiedler in den
Abruzzen, zu dem er seit längerem Beziehungen unterhielt;
es gelang am 5. Juli 1294, die Gegner zu überrumpeln und
die Wahl des „heiligen Mannes" durchzusetzen. Dieselbe
war also ein Ergebnis des Zusammenwirkens Karls II. mit
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PETEK VON MUKKHONE ALS PAI'ST CULESTIN V.
365
einer Partei der Kardinäle, welche ebenso wie ihre Gegner
unter der Regierung eines schwachen und unerfahrenen
Papstes ihre Rechnung zu finden hofften.
Sogleich nach der Wahl begann das Intriguenspiel von
neuem, denn jede Partei wollte sich des Papstes zuerst be-
mächtigen. Auch der König und sein Sohn hielten sich in
der Nähe, als bei dem Einsiedler die Gesandtschaft des
Kardinalskollegs erschien, welche ihm die höchste Würde der
Christenheit anbot. Nachdem Peter sich von seinem Er-
staunen erholt und im Gebete mit sieh zu Rate gegangen,
erklärte er, die Wahl annehmen zu wollen, um nicht die
Strafe Gottes auf sich und grofses Unheil über die Kirche
heraufzubeschwören , wenn er um seines eigenen Friedens
willen den römischen Stuhl im Stich liefse.
Diese eigentümliche Wahl findet aber ihre volle Er-
klärung erst aus den schon angedeuteten Beziehungen Peters
zu den Spiri^ialen. Das ganze Jahrhundert hindurch war
man schon in Italien mit reformatorischen und apokalyp-
tischen Anschauungen erfüllt. Die Ideeen des Abtes Joachim
von Fiore, besonders seine Lehre von den drei Weltperioden,
deren letzte, die der Mönche, im Jahre 1260 hatte beginnen
sollen, waren aufgenommen von der sich allmählich im
Franziskancrordeu bildenden strengeren Partei. In Schriften
wie dem Introductorius in evangelium aeternum von Gerard
um 1254, der Postilla super Apocalypsi des Johann von
Olivi und den Kommentaren zu Jesaja und Jereraia, die
unter dem Namen Joachims um die Mitte des 13. Jahrhun-
derts geschrieben wurden, zeigt sich die Vereinigung deut-
lich, und man sieht zugleich, dafs die Verfasser sich der-
selben voll bewufst waren. Die Bewegung ergriff sowohl
die höheren Kreise der Hierarchie — selbst den Ordens-
general Johann von Parma, der wiederum zu Innocenz IV.
und Alexander IV. in Beziehungen stand — als auch ganz
besonders die unteren Bevölkerungsschichten: 1231 ver-
urteilte Gregor IX., 1245 Jnnocenz IV. die Anhänger
dieser Richtung, 1255 und 1260 (1263?) wurden ihre
Schriften verdammt, 1257 Johann von Parma gestürzt, aber
ihre Lehren fanden immer neue Vertreter, unter denen Jo-
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366
SCHULZ,
hann von Olivi wohl der bedeutendste war. Die gleiche
Tendenz verfolgten die um 1260 von Gerard Segarelli ge-
stifteten Apostelbrüder und dessen Schüler Dolcino von No-
vara in Dalmatien.
An dem Hauptsitz der Bewegung, der von jeher in
Unteritalien gewesen war, verbrachte Peter seine gesamte
Lebenszeit. Die Eiferer aber erblickten, sobald seine Wahl
bekannt geworden war, in ihm den Papst, welchen die zahl-
reichen Prophezeihungen verheifsen hatten. Ptolemäus von
Lucca berichtet als Augenzeuge, wie zahllose Scharen zur
Krönung Cölestins V. in Aquila zusammenströmten und
der Papst immer wieder an das Fenster treten mufste, um
das Volk zu segnen. Bald erschien eine vom Franziskaner-
general geschickte Gesandtschaft, welche die günstigste Auf-
nahme fand. Peter lud sie ein, in seinen eigenen Orden
einzutreten, und als die Franziskaner das aus leicht begreif-
lichen Gründen ablehnten , gewährte er ihnen weitgehende
Freiheiten, stellte sie unter seinen besonderen Schutz und
legte ihnen den Namen der Cölestinereremiten bei. Der be-
kannte Jakopone von Todi aber, dem seine eigene Partei
noch nicht weit genug ging, wandte sich mit einem Gedichte
unmittelbar an Cölestin, welches die hochgespannten Er-
wartungen wiederspiegelt, mit denen man auf den mönchi-
schen Papst blickte.
2. Der Pontiflkat.
Es ist selbstverständlich, dafs ein Papst von der Art
Peters die Zügel der Regierung nicht selbständig fuhren
konnte, sondern anderen Händen überlassen mufste. In
dieser Erwartung hatten ja auch Karl IL, Latin u 8 und
Benedikt der Wahl zugestimmt, wie verschiedenartig auch
sonst ihre Absichten waren. Aber der nur für einen Augen-
blick zugedeckte Widerstreit ihrer Interessen mufste sofort
von neuem zu Tage treten, sobald einer von ihnen sein
Ziel wirklich erreichte.
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PETER VON MUKRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 367
Der erste , welcher zugriff , war der König l. Als der
neu Gewählte, begleitet von Karl Martell, Peter Colonna
und den Gesandten der Kardinäle, von denen jeder seine
Rechnung bei ihm zu finden hoffte, vom Murrhone herab-
stieg und am Fufse desselben einige Tage im Kloster des
heiligen Geistes bei Sulmona verweilte, erschien Karl II.
dort und wich fortan nicht mehr von seiner Seite *. Durch
seine persönliche Gegenwart erlangte er ein entschiedenes
Übergewicht über die noch in Perugia weilenden Kardinäle:
er bestimmte den Papst nicht allein zu einer abschlägigen
Antwort auf die vom Kardinalskollegium zugleich mit dem
Wahldekret an Peter gerichtete Bitte, nach Perugia zu
kommen 3, sondern er wufste ihn auch für mehrere Monate
dem Einflüsse der Kardinäle, welche die rechtmäfsigen Ver-
treter des unfähigen Papstes gewesen wären, fast völlig zu
entziehen und seinen eigenen an dessen Stelle zu setzen.
Um denselben zu befestigen und leichter ausnutzen zu
können, umgab er vor allem den neuen Papst mit Männern,
welche ihn nach seinen, d. h. des Königs Wünschen, leiteten 4.
Johannes von Castrocoeli 6, der Erzbischof von Benevent,
1) Neues Material zu der folgenden Darstellung böte vielleicht noch
„eine umfangreiche, ziemlich ordnungslose Kompilation eines Minoriten,
der wohl zweifellos im Konvent zu Assisi schrieb", welche Holder- Egger
einer Mitteilung im Neuen Archiv X, 227 zufolge in Assisi gesehen hat.
,,Quateruio XV schliefst mit Papst Cölestin V. und einem Bericht über
Karl II. von Sicilien." Nach X, 236 handelt ein Kapitel ,.I)e s. Ce-
lestino papa et Honifacio papa etc." ... „Da noch 20 eng geschriebene
Folien folgen, ist die Geschichte des 13. Jahrhunderts veihältnismäfsig
ausführlich behandelt."
2) Das Itinerar Cölestius V. bei Potthast II, 1919; zu dem Karls II.
vgl. Amari, La guerra del vespro sicil. (Paris 1843), II, 60—62 Anm.
Gregorovius, Gesch. d. Stadt Rom (1678), V, 497— 498 Anm. Hiccio,
Saggio di cod. diplom. 1882.
3) Bei Raynald 1294, 7 das Wahldekret. Vgl. Ptol. Luc. XXIV,
30: -iimul cum decreto cardinales eidem literas transmittunt et suae
Sanctitati significant, ut ad locum communem, ubi sua facta erat electio,
dignaretur venire, llle vero ad instautiam rejzis venire recusat, quin
immo eisdem mandavit, ut ad ipsam veniant.
4) Jac. Card. III I, 74 ff.
5) Nikolaus von Castrocoeli wurde Bischof von Aquila. Ughelli,
Ital. Sac. I, 382.
Zeitschr. f. K -0. XVII. 3. 24
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SCHULZ,
wurde Peters Vizekanzler und Bartholomäus von Capua,
ein Laie, sein Geheimsehreiber. Auch die wichtige Stelle
des Kapitäns des Kirchenstaates wurde mit einem Unter-
thanen Karls besetzt l.
Die Gefahr, welche die Ernennung so wichtiger Beamten
der Kurie durch Karl II. schon von vornherein in sich barg,
wird noch ersichtlicher, wenn man einen kurzen Blick auf
die Vergangenheit der genannten Männer wirft. Der erste
von ihnen hatte in früherer Zeit, obwohl er ein hoher kirch-
licher Würdenträger war, Rom gegenüber eine ziemlich
zweifelhafte Rolle gespielt. Die Kirche hatte sich in dem
Vertrage mit Karl I. von Anjou die Stadt Benevent aus-
drücklich vorbehalten *, Johann von Castrocoeli aber, der
Erzbischof, suchte im Jahre 1289 den päpstlichen Rektor,
Johann Boccaporco, beiseite zu drängen und sich selbst
die Rechtsprechung anzueignen 3. Wegen der Überschrei-
tungen seiner Befugnisse zur Rechtfertigung nach Rom ge-
laden, versammelte 4 er die Bewohner der Stadt, verschaffte
sich die Schlüssel zu allen Thoren und erklärte, er werde
deshalb, „weil er die Bürgerschaft aus den Händen der
Rektoren der römischen Kirche oder aus den Händen der
romischen Kirche selbst habe befreien wollen", vor die Kurie
gerufen! — Nach alledem scheint es nicht nur auf einem
Zufall zu beruhen, dafs sich später die Unzufriedenheit der
Kardinäle mit Cölestins Regierung gerade bei des Erzbischofs
Ernennung zum Kardinal zuerst und so nachdrücklich
geltend machte 5.
1) Pflugk-Hartung. Her Italicum (1883), p. 567. — Pottbast
Nr. 23960. 23961.
2) Raynald 1289, 2. — Sterufeld, Karl von Anjou (1888),
S. 224.
3) Das Nähere bei Stefano Borgia, Meinorie istoiiche . . . di
Benevento (Rom 1769) II, 265—270.
4) a. a. 0.: ipse fecit vocari totam vel maiorem partem universi-
tatis et dixit et proposuit inter eos, quod propterea, quia volebat eos
liberare de manibus Rcctonmi Ecclesiae Romanae sive de manibus
ipsius ecclesiae et dare eis libertatem, ipse vocatus erat ad Curiam.
5) AusAnlafs der sechsten Centenarfeier des Pontifikats Cölestins V.
hat Ant. Lud. Antinori als „Prima pubblicazione straordinaria del
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PETER VON MURKHOXE ALS PAPST CÖLESTIN V.
3G9
Wenn so der neue Vizekanzler früher in einem gerade-
zu feindlichen Verhältnisse zur Kirche gestanden hatte, so
war es unter den augenblicklichen Umständen nicht minder
bedenklich, dafs der neu ernannte Geheimschreiber des Papstes
vorher einer der höchsten und von Karl II. aufserordentlich
geschätzten Beamten im Königreich Neapel gewesen war l.
Bei den Verhandlungen mit Frankreich und Aragon hatte
sich Bartholomäus von Capua während des Jahres 1290 als
Begleiter oder Bevollmächtigter des Königs rege beteiligt
und wegen der bedeutenden Verdienste, welche er sich schon
um Karl I. wie auch um dessen Sohn erworben hatte, und
welche Karl II. gern und rühmend anerkannte 3, erfreute er
sich der Gunst desselben in hohem Mafse. Dafs er aber gar
dem weltlichen Stande angehörte und so mit ihm ein Laie
in eines der bedeutendsten Amter der Hierachie gelangte,
war ein an der Kurie bisher unerhörtes Vorkommnis 4.
bollettino della societi\ di storia patria" ein Werk unter dem Titel: „Ce-
lesüno V ed il VI Centenario della sua incoronazione , Aquila 1894"
herausgegeben, dessen einzelne Teile von verschiedenen Verfassern her-
rühren. In demselben nennt Casti S. 158 den Johann: uomo subdolo,
avaro, ambizioso, al quäle dalla concorde testimonianza degli storici
contempnranei s'ascrive la colpa di tutti i non ben temperati atti, com-
piuti sotto il breve pontiiieato di Pier Celestino. Ähnlich Vittori bei
Antinori 319.
1) In einer Urkunde Karls II. vom 18. November 1292 (bei Riccio,
Saggio di codice diplom. Supplem. I [Neapel 1882], p. 62) heifst Bar-
tholomäus: miles Regni nostri sicilie Prothonotarius et magne Curie
nostre raagister Rationalis dilectus Consiliarius familiarius et fidelis
noster eiusdem Andree genitus. Sein Vater Andreas nahm gleichfalls
bei Karl I. und Karl II. eine Vertrauensstellung ein.
2) Giannone, Ist. civ. del regno di Napoli (1753) III, 112 — IIS.
3) S. die angeführte Urkunde bei Riccio: Nos itaque advertentes
grandia, grata et aeeepta servitia per eundem Bartholomaeum predicto
domino Patri nostro et nobis exhibita et que incessanter exhibet, quibus
apud nos ab olim dignura se reddidit et reddit etc. Vom 23. Juli 1294
bis 14. Januar 1295 unterzeichnet Bartholomäus nicht mehr, wie vor-
her, die Urkunden Karls IL, wird also in der Zwischenzeit an der Kurie
thätig gewesen sein.
4) Riccio, Cenni storici intorno i graudi uffizii del regno di Si- '
cilia (Neapel 1872), p. 135—156 giebt eine Lebensbeschreibung des
Bartholomäus.
24*
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370
SCHULZ,
Der Papst freilich, ebenso unbekannt mit dem Geschäfts-
wesen der Kurie wie abhängig von Karl, bediente sich un-
bedenklich der Stützen l, welche der König ihm darbot;
denn die Kardinäle waren zu weit entfernt, als dafs er für
jeden Fall den Rat, dessen er auf Schritt und Tritt bedurfte,
von ihnen hätte einholen können, und die geschickten und
erfahrenen Beamten des Königs erleichterten ihm in Karls
und im eigenen Interesse die Last des Regierens im aus-
gedehntesten Mafse. So gab er sich ihnen ganz hin, und
sie ihrerseits verabsäumten nicht, ihn gegen die Kardinäle
mifstrauisch zu machen.
Die Kirchenfürsten in Perugia blieben sich nicht lange
über die Gefahr, welche ihrem Einflüsse drohte, im Un-
klaren und forderten deshalb Peter von neuem auf 2, mög-
lichst bald zu ihnen zu kommen, damit sie ihn zur Krönung
nach Rom führen könnten. Da dies nichts anderes hiefs,
als Peter solle die Bevormundung durch Karl mit der ihrigen
vertauschen, so erhielten sie die Antwort, der Papst dürfe
sich bei seinem Alter und während der Sommerhitze der an-
strengenden Reise über das Gebirge nicht unterziehen, sie möch-
ten sich zu ihm bemühen oder schriftlich mit ihm verhandeln.
Durch die erhaltene Absage noch mehr beunruhigt s,
deckten die Kardinäle in einem zweiten, ergebeneren Schreiben
die bisher verschwiegenen Gründe für ihr Ausbleiben auf:
es sei ihnen zu gefährlich, sich in das Königreich Karls zu
1) Jacob. Card. III. I, 25. ap. Acta SS. Mai IV, 455:
laicaeque manus subrepere passim
Consilüs tentant divi in praecordia patris
Ecclcsiae. ......
Peter war unkundig der Geschäfte, daher kam es: ut sibi niagni cre-
deret hic laicos, die er für rechtskundig und klug hielt:
Serpit hic ncscia ritus
35: Gens nova, dum inetuit pater almus fraudibus aretum
Ingenium vinci procerani, dubüque sodales
Redduntur fratres, proprium ne forte senatus
Compellat mutare gradum; si gloria mundi
Cesserit, ut pridem, rubra in collegia patrum. . . .
75 ff.: deerat fiducia cleri.
2) Jac. Card. III. I, 40-50. Lei. Marin. 519, 85.
3) Jac. Card. III. I, 100-140. Lei. Marin. 519, 86.
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l'ETEK VON MU KUH ONE ALS PAPST CÖLKSTIN V.
371
begeben, denn sie lieferten sich damit vollständig in seine
Hände. Indem sie ferner auf einen früher gefafsten Be-
schlufs verwiesen, demzufolge nicht einmal der franzosen-
freundliche Martin IV. mit den Kardinälen die Stadt Rom
verlassen habe, um den König von Neapel gegen die Arago-
nesen zu unterstützen, ermahnten sie Peter, nicht durch
längeres Verweilen bei Karl II. gegen den alten Brauch
zu verstofsen. Wenn sein Alter und die Hitze ihm die Reise
zu beschwerlich machten, könne er ja eine Sänfte benutzen.
Er möge sich nur nicht von dem gleifsnerischen Könige
umgarnen lassen, der ihn übel berate und nicht die Sache
Christi, sondern seine eigene zu fördern suche. Die Kar-
dinäle Hugo Seguin und Napoleon Orsini \ also die An-
hänger Karls, trafen mit dem Schreiben beim Papste ein;
aber wiederum entschuldigte sich derselbe mit den bekannten
Gründen. Darauf baten die Kardinäle, er solle wenigstens
in das Gebiet des Kirchenstaates kommen, aber Karl II.
sorgte dafür, dafs sie auch zum drittenmale abschlägig be-
schieden wurden 2. Ja, Karl scheint sogar den Versuch ge-
macht zu haben, in den Besitz der päpstlichen Insignien zu
gelangen, indem er durch Peter die Kardinäle um Übersendung
derselben für die bevorstehende Krönung ersuchen liefs 3.
1) Jac. Card. III. I, 136 sagt nur Ursiuo stipite natum levitam,
man konnte daher zweifelhaft sein, ob Napoleon oder Matthäus Orsini
gemeint ist. denn beide waren Kardinaldiakonen (levitae); die Bollan-
disten (Anm. y) entschieden sich für Napoleon, Tosti, Storia di Boni-
fazio VIII. e ile suoi tempi (Montecassino 1646 [2. Aufl. Rom 1889])
I, 228 für Matthäus. Da aber der KardinalJakob bei der ersten Krö-
nung ausdrücklich Napoleon erwähnt (Vers 168), mufs er auch hier ge-
meint sein, denn während jener Krönung waren die übrigen Kardinäle
noch in Perugia. S. S. 375 ff. — Danach istDamberger, Synchronist.
Gesch. 1851 ; Kritikheft zum 12. Band, S. 19 zu berichtigen.
2) Jac. Card. III. I, 140—150. — Ptol. Luc. XXIV, 31 ap. Mu-
ratori, Script, rer. Ital. XI, 1200: Redeundum est ad Coelestinum, quia
sibi persuaderi non potuit, ut veniret Perusium, sed in Aquila aliquo
tempore pedem fix it.
3) Jac. Card. III. I, 155:
Haec inter coetum repetisse insignia praesul
Chrismate sacrandus (quamvis non venerit ardens
Ordo patrum) fertur.
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SCHULZ,
Schon die zweite Gesandtschaft der Kardinäle hatte
Peter nicht mehr in Sulmona, sondern in Aquila angetroffen,
wohin ihn der König gegen Ende des Juli gebracht hatte l.
Dieser Ort war unter den augenblicklichen Umständen jeden-
falls am geeignetsten, den König mit seinem Papste auf-
zunehmen. Aquila, dessen Kommune sich in den Jahren
1270—1294, namentlich unter Führung des Nikolaus von
Isola, bildete, hatte den Anjou in seinem Kampfe gegen
Manfred wirksam unterstützt und nahm deshalb eine be-
vorzugte Stellung unter den Städten Mittelitaliens ein; es
galt mehr als Verbündete des Königs denn als ihm unter-
geben. Wegen seiner Lage auf der Grenze zwischen dem
Kirchenstaat und dem Königreich Neapel konnte es ander-
seits auch den Kardinälen, deren Ankunft der König (fach
demnächst herbeiführen mufste, als sozusagen neutrales Ge-
biet noch am annehmbarsten erscheinen *. Schlielslich ist
auch, da Aquila in nordwestlicher Richtung von Sulmona liegt,
die Annahme nicht ganz von der Hand zu weisen, dafs
Karl seinen Schützling nach Rom fuhren wollte s, damit er
dort, wie die Kardinäle wünschten, gekrönt werde, aber
natürlich in seinem Beisein und ohne unter die Leitung der
Kardinäle zu geraten.
Auf einem Esel reitend, welchen Karl und sein Sohn am
Zügel führten, hielt der ehemalige Einsiedler seinen Einzug.
Viele lobten Peter wegen dieses Zeichens, das er von seiner
1) Casti bei Antinori S. 155 sagt: A' 27 del mese, verso Tora di
vespro, giunse il corteo su i campi di Bagno (vor den Thoren Aquilas),
wohl auf Grund von Cirillo, Annali dell' Aquila oder Antinori, Opere
inedite, die er S. 156, 17 als Quellen nennt; beide waren mir nicht zu-
gänglich, und in den bekannten Quellen finde ich keine genauen An-
gaben aufser bei Buccio Ranallo: Sanctu Petru venne dcllu mese de
Agosto (Muratori, Antiqu. Ital. Med. Aevi VI, 556, Stanze 186), doch
schrieb Buccio erst in der zweiten Hälfte des nächsten Jahrhunderts.
2) Litt. i. d. Jahresber. d. Geschichtswissensch. XIII. HI, 35. —
Casti „L* Aquila degli Abruzzi ed il pontificato di Celestino V" bei An-
tinori 1. c. p. 130 sqq. 155.
3) So auch Peter d'Ailly II, 11: „Cum peractis ibi aliquot diebus
ire Romam disponeret" und Hefele, Konziliengesch., herausggb. von
Knöpfler 1890, VI, 272.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLEST1N V.
373
Demut gab. Bereits aber wurden auch Stimmen laut, welche
sich mifsfallig über ein solches Gebahren des Hauptes der
Christenheit äufserten, denn durch seine übel angebrachte
Demut schädige er das Ansehen der Kirche; man warf ihm
geradezu Hochmut vor, denn mit dieser ausgesucht erscheinen-
den Einfachheit könne er nur seine Vorgänger und die
Bischöfe tadeln wollen, die seit den Zeiten des Papstes Sil-
vester stets grofsen Pomp in Gewändern und sonstigem
äufseren Schmuck entfaltet hätten. Und doch hätten sie
damit nicht ihren, sondern Christi und seiner Kirche Ruhm
zu erhöhen getrachtet. Das ungestüme Drängen der Mönche
auf apostolische Einfachheit wiesen diese Leute ab, indem
sie eben den Unterschied zwischen Bischöfen und Mönchen
hervorhoben : „Vieles gezieme den Bischöfen, was den Mön-
chen nicht gezieme" !.
Dem also Einziehenden bereiteten die Bürger von Aquila
einen begeisterten Empfang, zumal da sie schon seit geraumer
Zeit in dem freundschaftlichsten Verhältnis zu ihm standen 2.
Freilich ist die durch zeitgenössische Berichte ohnehin nicht
beglaubigte Erzählung, dafs Peter bei einem früheren Auf-
enthalte in Aquila 3 zu dem thatkräftigen Volkstribunen
Nikolaus von Isola in Beziehung getreten sei, in anbetracht
der ganzen Persönlichkeit des Einsiedlers vom Murrhone
wenig wahrscheinlich. Aber schon seit vielen Jahren befand
sich unmittelbar vor den Thoren der Stadt bei Collemaggio
ein der Jungfrau und dem hl. Benedikt geweihtes Oratorium 4,
und nachdem im Jahre 12b7 der Bischof von Aquila dem
Murrhonitenorden die Erlaubnis zum Bau von Kirchen und
Konventen innerhalb seines Sprengeis erteilt hatte 6, flössen
die Gaben namentlich vonseiten der Bewohner des Stadt-
1) Jac. Card. III. I, 50 ff. Peter d'Ailly 1. c. 495, 11. Buccio Ra-
nallo 1. c. Stanze 192. Vgl. auch Casti bei Antinori 155 ff.
2) Casti bei Antinori 147 ff. und 155 ff. auf Grund von Antinori,
Op. ined. sez. 1, vol. 10, anno 1294.
3) Nach Casti 1. c. 132 und 147 auf dem Rückwege vom Lyoner
Konzil 1274, welches er jedoch meines Erachtens gar nicht besucht
hat. S. meine Dissertation S. 12.
4) Antinori 419 und 477.
5) Murat. Antiq. Ital. VI, 943.
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374
SCHULZ,
teils della Torre in Aquila 1 so reichlich, dafs Peter binnen
kurzem dort ein Kloster und an Stelle des Oratoriums eine
prächtige Kirche errichten konnte, welche am 25. August
1288 eingeweiht wurde2.
Jetzt kam den Bürgern Aquilas ihre alte Freundschaft
mit dem ehemals so unscheinbaren Einsiedler trefflich zu
statten. Sie waren von Karl II. für ein Vergehen zur Zah-
lung von 2000 Unzen Gold verurteilt worden, fanden aber
in dem gutherzigen Papste, dessen Vermittelung sie in An-
spruch nahmen, einen wirksamen Fürsprecher. Der König,
stets darauf bedacht, sich in allerlei Kleinigkeiten dem Papste
gefallig zu erweisen, erliefs ihnen die Strafe „mit Rücksicht
auf die besondere Verwendung und Fürbitte des heiligen
Vaters" 8.
Kurze Zeit nach dem Einzüge Peters in Aquila trat eine
erhebliche Änderung der Sachlage ein durch den Tod des
Latinus Malabranka. Erst am Anfange des erstrebten Zieles
stehend war der alte Kardinalbischof plötzlich am 10.
August 4 in Perugia gestorben. Er wird oft als die eigent-
liche Stütze Peters hingestellt 5, erst nach seinem Tode sei
Peter ganz von Karl II. abhängig geworden. Aber dals
1) Antinori 147 und 477 nach Antinori, Op. iued. sez. IV, vol. 47
u. 48; Casti will in ihnen die Anhänger des Nikolaus von Isola er-
kennen.
2) Antinori 476 ff.
3) Die Urkunde Karls vom 28. September 1294 und die Verse des
Buccio Ranallo bei Muiatori, Antiq. Ital. VI, 556. — Casti bei An-
tinori 183 ff.
4) Lei. Marinus 519, 87. — Gregor ovius, Gesch. d. Stadt Rom
(1878) V, 497, 2 : Das Datum (10. August) giebt eine in der Bibl. Po-
diana zu Perugia befindliche handschriftliche Dominikanerchronik. —
Gegen Uzovius a. a. 1294, 39, der den Kardinal im November sterben
läfst, spricht aufserdem, dafs Cölestin V. am 30. September das Testa-
ment des Latinus zugunsten der vatikanischen Basilika veröffentlicht
(Bullarium Basilicae Vaticanae I, 223).
5) Nach dem Vorgang der Magdeburger Centurien, Basel 1574:
„Latino cardinale mortuo, cuius autoritate ad illud usque tempus prae-
fuerat et cuncta gesserat" und Wadding 1294, IV: „cuius consüio et
dexteritate plurimum Coelestini pontificatus nitebatur" auch von mehreren
Neueren.
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PETER VON ML' U RHONE ALS PAPST CÖLEST1N V.
375
Latiuus ihm irgendwelchen Beistand geleistet hätte, ist
weder nachweisbar noch bei der räumlichen Trennung wahr-
scheinlich, im Gegenteil, er mag unter Gewissensskrupeln
über die von ihm herbeigeführte Wahl Peters gestorben sein,
denn er hauptsächlich trug die Verantwortlichkeit iür die
aus derselben entspringende Schädigung der Kirche l. So
viel jedoch ist richtig, dafs der König, so lange der all-
gemein geachtete Kardinal lebte, welchem er wegen seiner
Verdienste um die Wahl Peters auch persönlich verpflichtet
war, auf ihn und das Kardinalskollegium noch manche Rück-
sichten genommen hatte. Jetzt liefs er dieselben fallen.
Bei Lebzeiten des Latinus hatte Karl II. namentlich nicht
gewagt, das Recht der Kardinäle auf die Weihe und Krö-
nung des Papstes zu verletzen *. Bei dieser Handlung wäre
Latinus die erste Rolle zugefallen, denn Peter hatte bisher
nur die Priesterweihe erhalten, und gewohnheitsmäfsig stand
dem Kardinalbischof von Ostia die Befugnis zu 3, dem neu
erwählten Papst kurz vor der Krönung die etwa noch feh-
lenden Weihen zu erteilen. Sobald Latinus gestorben war,
liefs Karl durch Peter den ihm völlig ergebenen Hugo Seguin
zum Nachfolger in dem Kardinalbistum Ostia und Velletri
ernennen* und beschlofs, nicht mehr zu warten, bis alle
Kardinäle vollzählig in Aquila versammelt sein würden,
sondern nötigenfalls auch ohne sie die Krönung vornehmen
zu lassen. Drei Kardinäle waren bereits anwesend: Peter
Colonna, welcher mit den ersten Gesandten der Wähler zu-
gleich eingetroffen war, Hugo Seguin und Napoleon Orsini.
Durch sie liefs Karl seinen Papst mit dem Pallium und den
übrigen päpstlichen Abzeichen bekleiden 5 und krönen.
1) Ptol. Luc. XXIV, 30: D. Latinus graviter infirmatur, in quo
totura pondus ineumbebat super electione Coelestiui.
2) Lei. Marin. 519, 87.
3) Hinschius, Kirchenrecht I, 291.
4) Jac. Card. III. I, 155 begleitet die Bemerkung, dafs Seguin
wider allen Brauch vom Erzbischof von Beuevent die Weihe empfing,
mit den Worten: est modus inventus magnae novitatis et argeus, sper-
nere consilium promptum. — Lei. Marinus 519, 87.
6) Jac. Card. III. I, 166 setzt hinzu: fuerant haec danda Perusi
Levitaeque manu rubri: sed tanta Vetusto Confert Neapoleo.
376
SCHULZ,
Peter legte sieh den Namen Cölestin V. bei, und Napoleon
Orsini verkündete darauf allem Volke die vollzogene That-
Bache.
Diese Krönung des Papstes unter dem unmittelbaren
Einflüsse eines weltlichen Herrschers in demselben Jahr-
hundert, welches einen Innocenz III. und den Sturz des
Geschlechtes der Hohenstaufen gesehen hatte, ist eines der
seltsamsten unter den seltsamen Bildern, an denen der Ponti-
tikat Cölestins so reich ist, und die ganz oder fast ohne
Gegenstück in der Geschichte des Papsttums dastehen.
Schwerlich war Karl II. des Glaubens gewesen, die
übrigen Kardinäle in Perugia würden diesen Eingriff in
ihre ersten Vorrechte stillschweigend hinnehmen oder gar
anerkennen; vielmehr wollte er sie wohl dadurch, dafs er
mit einer so aufsergewöhnlichen Handlung die gröfsten Be-
sorgnisse in ihnen erregte, endlich zur Übersiedelung nach
Aquila bewegen, und er erreichte auch seine Absicht voll-
kommen. Als die sieben noch in Perugia befindlichen Kar-
dinäle die Kunde von dem Vorgange erhielten, litt es sie
nicht mehr lange dort. Jetzt mu Taten sie sich ganz klar
darüber sein, dafs jeder weitere Versuch, den Papst zu sich
herüberzuziehen, aussichtslos war und sie mit längerem
Zögern ihren gesamten Eintiufs aufs Spiel setzten. Die
Eifersucht auf die übrigen drei Amtsgenossen, welche schon
eine bedeutende Stellung bei dem neuen Papst erlangt
hatten, kam hinzu *. Einer nach dem andern traf in Aquila
ein, zuletzt von allen Benedikt Gaetani, der wegen seines
Auftretens in Perugia gegen Karl II. nicht im Zweifel sein
konnte, dafs man ihn in Aquila, wo dieser vollständig das
Feld beherrschte, nicht gern sehen werde *. Aber er mufste
1) Ptol. Luc. Ann. a. a. 1294: factique sunt dumhii cuiiae: quod
alii cardiiiales videntes Aquilam properant.
2) Ptol. Luc. XXIV, 31: Interim autem cardinales aliqui procedunt
ad papam, aliqui subsequuntur versus Aquilam. Ultimus tarnen ad ve-
niendum fuit D. Benedictus Gaytanua et dubitabatur, quod non veniret,
quia regem verbis offenderat in Perusio. Venit igitur ultimo (deshalb
haben einige geglaubt, er sei bei der feierlichen Krönung Cölestins nicht
zugegen gewesen) et sie seivit deducere sua negotia, quod factus est
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
377
entweder den gefährlichen Gang wagen oder auf die
führende Rolle verzichten, um derentwillen er doch mü-
der Wahl Peters zugestimmt hatte. Zunächst freilich be-
schränkte er sich noch wochenlang auf eine durchaus ab-
wartende Haltung.
Aber doch nicht ganz bedingungslos ergaben sich die
Kardinäle dem Könige. Eine spätere Bulle 1 Cölestins zeigt,
dafs Karl ihnen auch entgegenkam, indem er den haupt-
sächlichsten Grund zur Besorgnis, der sie bisher ferngehalten
hatte, wegräumte: sein Bevollmächtigter leistete ihnen einen
feierlichen Eid, dafs der König die Kardinäle, falls der
Papst im Reiche Sicilien sterben sollte, nicht zwingen wolle,
die Neuwahl innerhalb seiner Machtsphäre vorzunehmen *
Gegen eine solche Zusicherung persönlicher Freiheit ver-
sammelten sich die Kardinäle vollzählig um den Papst 3,
aber ihr Verhältnis zu Karl II. blieb nach wie vor ein ge-
quasi Dominus Curiae. — Weniger genau sind die Annalen z. J. 1294,
wie schon Tosti I, 228—231 (vgl. jedoch Roviglio bei Antinori 224—227)
erörtert hat. Ein Blick auf die Chronologie der Annalen, den Tosti
leider unterlassen hat, hätte seine Ausführungen noch sicherer begründet;
die Ereignisse sind, und zwar ohne sachliche Gründe, bunt durch-
einander geworfen: zuerst die Ernennung der neuen Kardinäle (18. Sep-
tember), dann die Ankunft in Aquila (nach Latiuus' Tod am 10. August),
die Krönung (29. August), darauf der Briefwechsel zwischen Papst und
Kardinälen (Juli) und Latinus Tod (10. August). Diesen Uugenauig-
keiten entspricht denn auch die Angabe: Tunc venit Aquilam D. Bene-
dicts Gaetanus . . . qui s tat im suis ministeriis et astutiis factus est
dominus curiae et amicus regis. Der wirkliche Leiter der Kurie
wurde Benedikt erst gegen Ende November, als Cölestin an Abdankung
dachte, und eine Annäherung an Karl II. erfolgte, wenn überhaupt, noch
später. In der Hist. eccl. XXIV, 31 (s. o.) fehlt sowohl statim wie
amicus regis.
1) Potthast 23998.
2) Freilich liefs sich Karl nachher von dem Eide entbinden, s. das
nächste Kap. — Rambach, Uupartheiische Historie der röm. Päpste
(1770) VIII, 227 erzählt aufserdem, leider ohne Quellenangabe, dafs „sich
der König anheischig gemacht hatte, die Unkosten ihrer Reise zu tragen
und sie während ihres Aufenthaltes zu Aquila frei zu unterhalten".
3) Es mufs in der Mitte des August gewesen sein, denn Latinus
starb am 10. August noch in Perugia, und am 29. August war die
zweite Krönung.
378
SCHULZ,
spanntcs, ja sie beeilten sieh sogar, die auf des Königs Ver-
anlassung vorgenommene Krönung Peters dadurch für nich-
tig zu erklären, dafs sie ihrerseits dieselbe Handlung noch
einmal vollzogen. Am 29. August, einem Sonntage, fand
auf dem Platze vor der Kirche St. Maria de Kollcmaggio 1
bei Aquila, welche Peter selbst hatte erbauen lassen, eine
zweite, sozusagen offizielle Krönung im Beisein aller Kar-
dinäle statt; der neu ernannte Kardinalbischof Hugo salbte
ihn, dann reichte ihm Matthäus Ursini, der erste der Kar-
dinaldiakonen, das Pallium und setzte ihm nach der Messe
die von Gold und Edelsteinen strahlende Bischofsmütze aufs
Haupt *. Umgeben von der ganzen Kurie, die nunmehr
beisammen war, und von zahlreicher Geistlichkeit zog der
Gekrönte sodann in Aquila ein, nicht mehr auf einem Esel,
sondern auf einem weifsen Kosse, dessen Zügel die beiden
Könige von Sizilien und Ungarn führten s. Durch die
Strafsen der Stadt bewegte sich der Zug nach dem könig-
lichen Palaste, in welchem Karl II. den Kardinälen, über
die er nunmehr einen neuen Sieg davon getragen hatte, ein
Prunkinahl nach der alten Sitte des Hofes von Neapel gab 4.
1) Casti bei Antinori S. 166 nieint, es sei Brauch gewesen, die
Päpste aufserhalb Roms zu krönen, wie es z. B. bei Nikolaus III. 1277
in Viterbo geschehen sei. Letzterer ist jedoch zu Rom in der Basilika
St. Peters gekrönt, und was die übrigen Päpste dieser Zeit angeht, so
ist mir ein festes Herkommen in der Wahl des Ortes der Krönung nicht
aufgefallen, dieselbe findet bald innerhalb, bald aufserhalb Roms statt.
2) Jac. Card. III. 1, 177-184. — Lei. Marin. 520, 88-89. Zu
vergleichen wäre auch das Kapitel „ De obitu Nicholai pape et Coe-
lestini ordinatione*' in der von Holder-Egger gefundenen Kompilation
eines Minoriten: Neues Archiv X, 239. Vgl. S. 367 Anm 1. — Be-
achtenswert scheint es mir, dafs wir hier für das Papsttum das — meines
Wissens — einzige Beispiel einer doppelten Krönung haben, wie sie bei
den Königen öfter begegnet.
3) Tosti wirft den ersten Einzug auf dem Esel und diesen zweiten
durcheinander. — Dem Chronicon Suessanum a. a. 1294 zufolge wären
auch die Gemahlinnen Karls II. und Karl Martells zugegen gewesen,
aber kein anderer zeitgenössischer Berichterstatter weifs davon, auch
Buccio di Ranallo nicht, der Chronist von Aquila: Casti bei Antinori
S. 164. S. 165 erörtert derselbe die Möglichkeit der Anwesenheit Dantes.
4) Casti bei Antinori nach Antinori: Op. ined. vol. X, a. 1294.
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PET EU VON MUKRHOKE ALS PAPST CÜLESTIN V. 379
Auf die aufaerordentlich starke Beteiligung der Bevölkerung
an der Feier, welche beweist, wie allgemein die Massen
von der besprochenen reformatorisch - apokalyptischen Be-
wegung ergriffen waren und in Cölestin den verheifsenen
Ketter sahen , habe ich bereits in anderem Zusammenhange
lungewiesen Immer wieder und wieder mufste der Papst
ans Fenster treten und der ihm zujauchzenden Menge den
apostolischeu Segen spenden.
Der gewaltige Zuflufs von Fremden, wie überhaupt der
mehr als zweimonatliche Aufenthalt des königlichen und zu-
gleich des päpstlichen Hofes in Aquila stellten an die Opfer-
willigkeit der Bürgerachalt nicht geringe Anforderungen,
wenn auch der König in dem Bestreben, den Kurialen den
Aufenthalt so angenehm als möglich zu machen, das ganze
benachbarte Gebiet Apuliens und der Abruzzen mit Steuern
belegte. So erhielten denn die Stadt Aquila und die bei
ihr gelegenen Stiftungen Cölestins wiederum besondere Ver-
günstigungen. Zum Zeichen der Anerkennung, welche er
den Anstrengungen der Bürger zollte, ernannte Karl II. aus
jeder vornehmeren städtischen Familie zwei Mitglieder zu
Rittern, und der Papst verlieh vielen von ihnen sowie
mehreren Geistlichen der Stadt kirchliche Amter und Pfrün-
den *. Von höherer Bedeutung für die Zukunft Aquilas
aber war ein anderes Privileg Cölestins V. In den erbitter-
ten Kämpfen zwischen den letzten Hohenstaufen und Karl I.
von Anjou war Aquila mehrfach feindlich gegen die ersteren
aufgetreten; Manfred hatte deshalb seine Mauern geschleift
und die Bürger zerstreut. Unter der Gunst der Anjous war
«s dann zwar neu erstanden, aber den jungen Kirchen der
Stadt fehlte es an Privilegien, sodafs sie gegenüber den mit
alten Vorrechten ausgestatteten der Umgegend nicht recht
aufkommen konnten; auch die Stadt selbst hatte davon
manchen Nachteil. Wieder wandte man sich jetzt an Cölestin
und auch dieses Mal nicht vergebens. Unbedenklich verlieh
1) S. meine Dissertation S. 41—42.
2) Casti bei Antinori 156—158 u. 161; vgl. dazu Murat., Antiq.
IUI. VI, 569, Anm. 35.
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380
SCHULZ,
er aus dem reichen Sehatze seiner Gnade den neuen Kirchen
ebenso nützliche Vorrechte , wie sie die alten besafsen l.
Auch zu gunsten der Kirche von Collemaggio verkündete
Cölestin nach seiner Krönung einen Ablafs *, während Karl II.
dem Kloster eine jährliche Rente von 40 Unzen Gold zu-
wies 3.
Der Vergangenheit des Papstes entsprach ein grofser Teil
seiner Regierungsthätigkeit : ein erheblicher Bruchteil der
Bullen 4 Cölestins V. beweist seine Fürsorge für das Mönch-
1) Buccio Ranallo, Stanze 194—198. Casti bei Antinori 188.
2) Buccio Ranallo, Stanze 193:
Santo Petro beneditto quando se coronao,
All' hora ad Colle magio la indulgentia donao.
Ughelli, Ital. sac. I, 382: Nos in ip.sius S. (Johannis Baptistae) de-
collatione capitis (= 29. August) in ecclesia S. Mariae de Colle Medio
Aquilensi, ord. S. Benedicti, suseepimus Diadematis imposita capiti
nostro insignia, Hymnis et canticis et fidelium devotis oraculis cepimus
venerabilibus honorari dat. Aquilae 3. cal. Ort. — Raynald
1294, 13 bemerkt die ungewöhnliche Fassung der Bulle. Pottbast
23981. Casti bei Antinori 185—187 vertritt die Ansicht, dafs Cölestin
auf den Rat der Kardinäle die Bulle nur mündlich bestätigte, weil Bar-
tholomäus von Kapua infolge seiner Unkenntnis des römischen Kanzlei-
wesens (s. S. 369) sie in ungenügender Form abgefafst habe.
3) Casti bei Antinori 166. — Infolge der zahlreichen Vorteile,
welche der Stadt aus der Anwesenheit Cölestins erwuchsen, ist das An-
denken au ihn in Aquila stets lebendig geblieben. Bis auf den heutigen
Tag feiert man dort jährliche E:innerungsfeste. Muratori, Autiq.
Ital. VI, 559, Anm. 33 u. 235. Moscardi bei Antinori 435—474. Aus
Cav. Antonio de Nino, Usi e costumi Abruzzesi (Florenz 1887), T. IV
berichtet Ludovisi bei Antinori 25 ff., dafs noch heute unter dem Volke
von Aquila die Sage geht, Peter habe unter den Trümmern des Land-
hauses Ovids am Fufse des Monte Murrhone ciuen Schatz gefunden,
mit Hilfe dessen er nach seiner Abdankung das Kloster des Heiligen
Geistes bei Sulmona auf das Prächtigste erbaute.
4) Leider sind seine Rcgesten nicht vollständig erhalten: Raynald
1294: Plura de S. Coelestino adderemus, si integrum illius regestura
extaret. Vgl. Kaltenbrunner „Rom. Studien" i. d. Mittlgn. d. Inst
f. österr. Geschichtsforschung 1884, V, 281: „Schon unser Inventar
verzeichnet von . . . Cölestin V. keine Registerbände." S. a. V, 290.
Wahrscheinlich sind dieselben bei der im Januar 1295 erfolgten Über-
siedlung Bonifaz* VIII. von Neapel nach Rom verloren gegangen, denn
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 381
tum. Zunächst galt dieselbe dem von ihm gestifteten Orden,
welcher jetzt ihm zu Ehren den Namen der Cölestiner-
eremiten annahm. Vor allem das Hauptkloster desselben,
das des heiligen Geistes bei Sulmona, erfuhr in ausgedehn-
testem Mafse seine Gunst ; eine grofse Zahl anderer Klöster 1
wurden ihm unterstellt und alle von jeder fremden Gerichts-
barkeit befreit 2. Um sowohl Ruhm wie Besitzstand dieser
Klöster zu heben, erteilte Cölestin zahlreiche und weitgehende
Ablässe bis zu 2000 Jahren allen Gläubigen, welche ihnen
Schenkungen machen oder an gewissen Festtagen nach dem
Mutterkloster wallfahren würden 3, einmal wird sogar jedem,
der nur überhaupt dahin pilgere, ein Ablafs von 140 Jahren
zugesagt4. Wenn es Karl noch für nötig hielt, um die
Gunst des Papstes von seinen Gnaden zu werben, so war
hier der sicherste Weg zu ihr, und so beschenkte denn auch
er das Kloster von Sulmona mit Gütern und Privilegien,
welche Cölestin nicht versäumte, noch zu vermehren 5. Der
Papst selbst war aus dem Benediktinerorden hervorgegangen
und schmeichelte sich jetzt mit der Hoffnung, diesen ehr-
„ die Register der Geschäftsbücher . . . wanderten mit der Kanzlei und
den Päpsten, und so ist es bei dein häufigen Residenzwechsel (auch
Cölestin ging ja von Aquila nach Neapel) . . . wahrlich zu verwundern,
dafs nicht mehr libri des Registers verloren gegangen sind" (a. a. 0.
V, 277, s. a. VI, 79) und zweitens betont Kaltenbrunuer (V, 278) als
„wichtigste Thatsache, . . . diifs verhältnisiniifsig bald nach Schlufs des
13. Jahrhunderts nur um weniges mehr von den Registern vorhanden
war als jetzt." Zu den Regesten von Potthast fügt Casti bei Antinori
168 noch eiuige hinzu.
1) Die Bulle vom 27. September 1294 (Beurrier, Hist. du mo-
nasterc et couvent des peres Celestins de Paris [1654J, p. 114) nennt
21 Klöster und Oratorien, die dem Hauptklostcr von Sulmona unter-
standen ; das läfst gegenüber sonstigen übertriebenen Angaben (s. meine
Dissert. S. 12) einen Schlufs auf die Ausdehnung zu, welche der Orden
zu jener Zeit hatte.
2) Potthast 23951. 23970. 23976. 23978. 24002. 24010. 24011.
24017. Muratori, Antiqu. Ital. VI, 189, XIII - 190, XIV.
3) Potthast 23975. 24004.
4) Potthast 23977.
5) Lei. Marin. 520, 89. — Casti bei Antinori 1. c. 159 erwähnt
mehrere Urkunden Karls II. vom 31. Juli, 3. und 12. August 1294 aus
dem Archiv des Klosters.
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382
SCHULZ,
würdigsten aller abendländischen Mönchsorden nach dem
Muster der von ihm gestifteten Abart umzugestalten. Als
er auf dem Zuge von Aquila nach Neapel in Montecassino
eingekehrt war, suchte er die Mönche dieses Hauptklostcrs
zum Übertritt in seinen Orden der Cölestinereremiten und zur
Annahme von dessen Kleidung zu bestimmen l. Einen an-
deren Versuch, seine Brüderschaft durch die Aufnahme der
Spiritualen zu erweitern 2, haben wir bereits früher kennen
gelernt.
Auch für andere Orden sorgte Cölestin. Die bisherige
römische Provinz der Dominikaner teilte er in eine römische
und eine des Königreiches Sizilien 3, auch hierin einem
Wunsche Karls II. folgend 4, welcher natürlich gröfsere
Macht über den Orden in seinem Reiche erhielt, sobald er
den Provinzial 6 desselben in seinen Händen hatte. Bei den
inneren Streitigkeiten der Franziskaner begünstigte Cölestin,
wie wir sahen, die strengere Partei 6 ; den Johannitern, welche
1) Lei. Marin. 522, 97-98. Tosti, Badia di Montecassino (1843)
III, 37 ff. führt eine Stelle aus einer Handschrift des Cassinesermöuchs
Nicolo della Frattura an, die sich im Cassineser Archiv befinde; ihr
zufolge wurden die Mönche, welche sich zum Übertritt nicht verstehen
wollten, von dem Murrhoniten Angelerius, den wir auch sonst als Heifs-
sporn kennen, verjagt. Aus den Handschriften des Nie. della Frattura
e Riccardo da S. Angelo Cassinesi, che vissero in questi tempi, und
dem ßreviario monastico, M. S. 199, del XIV secolo, welche Tosti 1. c.
p. 39 anfübit, würde man jedenfalls manchen. näheren Aufschlufs über
diese Vorgänge, vielleicht auch über Cölestin und seinen Orden, er-
halten.
2) Epist. excus. (Archiv für Litt. u. Kirchengesch. d. Mittelalt. I,
526): invitavit nos, quod in suo habitu nostram regulam et vitam ser-
varemus. . . . Recommcndavit nos abbati sui ordiuis verbo et sciipto
et voluit, quod nos sicut suos fratres pauperes heremitas reeiperet et
haberet, et quod de suis heremitoiiis ad talem vitam dispositis nobis
providere teneretur.
3) Potthast 23953.
4) Fontana, Monumenta Dominicana (Rom 1C75), a. a. 1294,
p. 140: ad Neapolitani regis petitionem.
5) Peter von Adria wurde als Vikar an Stelle des vorigen Pro-
vinzials eingesetzt, Potthast 23959.
6) Zwei den Brüdern und Schwestern von der Pönitenz erteilte
Privilegien (Potthast 23954. 23955) beweisen dasselbe.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
383
durch ihre tapfere Verteidigung und den Fall Accons starke
Verluste erlitten hatten, überwies er den sogenannten Gottes-
zehnten 1 und auf die Fürbitte Karls II. einen Anteil an
entwendeten oder sonst unrechtmäfsig erworbenen Gütern,
deren rechtliche Besitzer sich nicht mehr mit Sicherheit fest-
stellen liefsen, sowie an Erbschaften, welche der Kirche
durch letztwillige Verfügungen ohne nähere Bestimmungen
zugefallen waren *. Es ist übrigens ein interessantes Zu-
sammentreffen, dafs dieser Orden in Odo von Pins, welcher
während oder bald nach 3 der Regierung Cölestins die
Grofsmeisterw ürde bekleidete, ein vollständiges Gegenstück
zu dem mönchischen Papste besafs. Auch Odo war bei
allen Ordensbrüdern wegen seiner Frömmigkeit hochgeachtet,
„einmütig wurde er daher zum Grofsmeister gewählt. Aber
kaum hatte er seine Würde angetreten, so entdeckten die
Ordensbrüder mit Schrecken, dafs ihm seiner Tugenden un-
geachtet alle Eigenschaften fehlten, die einem so einflufs-
reichen Oberhaupte unumgänglich notwendig sind. Von
Sonnenaufgang bis spät in die Nacht lag er am Fufse des
Altars in inbrünstigem Gebet versunken und bewies sich
ebenso kalt als unkundig in der Führung der Waffen"4.
Wie Cölestin hat auch er nicht sein Amt bis zu seinem
Lebensende fortgeführt, sondern wurde abgesetzt ft.
In der Sorge für die Mönchsorden erschöpfte sich die
Regierungsthätigkeit des Papstes, soweit sie aus eigenen
1) Potthast 23965.
2) Potthast 2396C.
3) Odos Regicrungszeit wird verschieden angegeben, von Falken-
st ein: „Geschichte des Johanniterordcns 1832 u für 1291 — 1294, von
v. Winterfeld: ..Geschichte des Ritterordens S. Johann 1859" für
1294—1297, von Gauger: „ Allg. Geschichte des Ritterordens d. h. Joh.
von Jerusalem 1844" für 1297—1300.
4) Falkenstein a. a. 0.
5) In diesen Rahmen würden auch die von Wadding, Ann. Mi-
norum a. a. 1294 (Supplem. P. Antonii Melissani de Macro I) erwähnten"
litterae Apostolicae ad universos Christifidcles pro Terrae sanetae sub-
ventione „Inundant in cordis" nonis Octobris gehören, falls sie echt
waren. Wir wissen sonst nichts über sie, Potthast verzeichnet sie
nicht.
Zeitaclir. f. K.-G. XVII, 3. 25
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SCHULZ,
Willensentschlüssen hervorging, vollständig *. Seine sonstigen
Anordnungen sind durchgehends auf fremde Einwirkung zu-
rückzuführen, und der bei weitem gröfste Anteil fallt hier-
bei Karl II. zu. Wir werden im folgenden eine lange Reihe
von Regierungshandlungen Cölestins zu betrachten haben, in
welchen ein Fall immer deutlicher als der andere zeigt, wie
der Papst alles that, was Karl von ihm verlangte, und wie
der König auf das Rücksichtsloseste und in denkbar gröfstem
Mafse die Gewalt ausbeutete, welche er für den Augenblick
über den Inhaber des päpstlichen Stuhles besafs. Er folgte
hierin ganz dem Beispiel seines Vaters, welcher über Mar-
tin IV. solch ein Übergewicht gehabt hatte, „dafs der Papst
beinahe nur mehr zur Beförderung der Interessen des nea-
politanischen Königs vorhanden zu sein schien li *.
Am 18. September 3 ernannte der Papst zwölf4 neue
Kardinäle, die, höchstens mit Ausnahme eines einzigen, ins-
1) Ebenso Casti bei Autinori S. 17üff. : Pareva che tutto il suo
pensiero si fasse assorto nella glorificazione dcl suo ordine morronese,
omai detto de* celestini. S. S. 381.
2) Höfler, Abhandlungen der bayr. Akademie der Wissenschaften
1843.
3) Jac. Card. III. II, 225 ff. Nicol. Trivetus, ed. Thom. Hog. 1845,
S. 332. Wilh. Rishanger, Chronicon, ed. Th. Riley 18C5, S. 144.
Memorie Prenestine 1294: „ProviJde nel sabato giornu diciotto di set-
tembre la uostra Cattedialc . . . creando Cardiuale Vescovo Pienestina
Simone de Heaulieu". — D'Ailly II, cap. 12, Ugbelli VI, Neapel, no. 71,
Ciac.-Oldoin II, 284 u. a. lassen die Ernennung zu Neapel vor sich
gehen, aber bis zum 5. Oktober war Cölestin in Aquila (s. die genaue
Untersuchung von Casti bei Autinori 176—179). Noch gröfsere Ver-
wirrung richtet Bower-Rambach VIII, 228 an, indem er die Ernennung
„bald nach der Konsekration 41 Peters und vor dem Briefwechsel mit
den Kardinälen in Perugia, der erst durch die Wahl der Kardinale her-
vorgerufen sei, ansetzt.
4) Ciuc-Oldoin II, 264—292 zählt dreizehn, doch fand die Be-
förderung des letzten, des Erzbischofs von Benevent, nach der von Ciac.
II, 293 selbst angeführten Handschrift, zu welcher auch Jac. Card. III,
II, 275 ff. stimmt, eist am 24. Oktober in Teanum statt (s. u. S. 396).
Nach Damberger, Kritikheft zum 12. Band, S. 19—20 giebt es zu-
dem eine Urkunde vom 1. Oktober 1294, dat. Aquilae per manus Joh.
archep. Beneventani, S. R. E. vicecancellarii , in welcher er also noch
nicht Kardinal heißt. — S. a. Vittori bei Antinori 302.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESHN V. 385
gesamt das Übergewicht der Partei Karls im Kollegium
stärkten; sieben von ihnen waren Franzosen, vier andere
gehörten dem hohen Adel des Königreichs Neapel an und
waren Karl befreundet Unter ihnen verdient besonders
Thomas von Okra hervorgehoben zu werden, welcher bisher
Kanzler Karls II. gewesen war und jetzt zum Kardinal-
priester von St Cäcilia an Stelle des verstorbenen Cholet
gemacht wurde. Gleichzeitig ernannte ihn Cölestin zu seinem
Kämmerer5', denn Thoraas gehörte ebenso wie noch ein
anderer der neuen Kardinäle zu dem Orden der Murrhoniten 8.
1) Ciac.-Old. II, 287: Joannes cognomento Monachus . . . famiUari-
tatem contraxit cum Carolo II, . . . cuius precibus illum Coel. V. car-
dinalium collegio adscripsit. — II, 290: Robertus natione Gallus, . . .
Philippo Francorum et Carolo Neapolitanorum regibus praecipue
charus. — II, 291 : Landulphus Brancacius, nobihs Neapolitanus, Carolo
. regi pergratu8. — II, 293 : Guilelmus Longus ... in Caroli . . . curia
notus, eiusdem Caroli cancellarius fuit, quo rogante a Coel. V. inter
diaconos cardinales . . . cooptatus.
2) Im Anfang September verzichtete Johann von Castrocoeli, der
Erzbischof von Benevent, auf jegliche Gerichtsbarkeit über das Kloster
St. Giovanni in Piano zugunsten des neuen Abtes Thomas von Okra
(Telera, Hist. Sagr. degli Uomini illustri per santita della congregaz.
dei Celestini [Neapel 1689], p. 116). Wie Thomas von Okra im Verein
mit Karl II. dann seiue Stellung ausbeutete, zeigt eine für mehrere
vornehme Geschlechter des Königreichs erlassene Bulle Cölestins
(Cghelli, Ital. sac. I, 385) : Nuper ... Carolux rex ... attendens grata
et aeeepta servitia, quae sibi dil. fil. noster frater Thomas, tit. S. Caec.
presb. cardM cuius consanguinei estis, apud sedem apostolicam
studiose impendit hactenus et impendere poterat in futurum, vos intuitu
cardinalis eiusdem ab omnibus et singulis fiscalibus etc. etc. . . . duxit
. . . eximendo6. Quare nobis humiliter supplicastis, ut exemptionem
. . . confirmare . . . faceremus. Nos igitur personas vestras ab tem-
pore cardinalis eiusdem, quem claris suis exigentibus meritis syncera
charitate complectimur et eximiis favoribus confovemus, gratiose pro-
sequi intendentes . . . exemptionem . . . confirmare . . . communimus.
Dat. Neapoli 8 cal. Dec.
3) Jac. Card. III. II, 228 : binos fratres sub lege morantes instituit
propria, s. a. Vers 275. Nach Buccio Ranallo, Stanze 193, waren beide
auch aus Aquila: Dui cardinali de Aquila si fece et coronao. Dafs
der erste der beiden t äglichen Kardinale Thomas von Okra war, unter-
liegt keinem Zweifel, aber über den andern herrscht Streit. Von je-
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SCHULZ,
und es ist verständlich, dafs der arme Papst, der sich auf
seiner Hohe gewifs vereinsamt fühlte, sich nach seinen alten
Genossen sehnte, um mit ihnen, wie früher die Anstrengungen
der Kasteiungen, so jetzt die Last des Pontifikate gemein-
sam zu tragen 1 und wenigstens einige Vertraute um sich
zu haben.
Der Kardinal Jakob, welcher sich bei dieser Gelegenheit
vielleicht in seinen Hoffnungen getäuscht sah 8 , schildert
sichtlich entrüstet des näheren die Art und Weise, wie die
Ernennung der zwölf Kardinäle vor sich gegangen sei s.
Danach hätte der König einfach die Namen derjenigen, die
er zu der neuen Würde erhoben wissen wollte, aufgeschrieben
und der Papst es dann als eine Gefälligkeit angesehen, seinen
Wunsch zu erfüllen 4. Nur drei Kardinälen, Matthäus Orsini,
Jakob Colonna und Hugo Öeguin hätte Cölestin vorher Mit-
teilung von seiner Absicht gemacht, aber ihnen Stillschweigen
auferlegt; die übrigen seien bis zum Konsistorium selbst am
18. September im Unklaren gehalten worden. In diesem
erst habe Cölestin infolge der Veranstaltungen des schlauen
her viel erörtert ist die Person des neuen Kardinalpresbyters Peter:
Papebroch - Muratori in der Anmerkung zu Jac. Card. III. II, 275.
Oldoiu II, 289. Ughelli, Ital. sacra I, 1379 unter Valva Nr. 33; VIII,
141 unter Benevcnt. Neuerdings behauptet Vittori bei Antinori 312
und 318, als der zweite Ordensbruder Cölestins sei Franz Ronci von
Atri anzusehen. S. S. 387 Anm. 5. — Die verschiedenen Angaben
über den Orden, welchem der Kardinal Peter angehörte, lassen sich
daraus erklären, dafs Peter vielleicht wie so viele andere Cassineser-
raönche dem Wunsche des Papstes folgend, zum Cölestinerorden über-
trat. 8. S. 382 u. 396.
1) Card. Cameracensis ap. Ciac.-Oldoin II, 286: Duos cardinales ex
8uo ordine elegit, ut cum illis in pontificio spirituale haberet consortium,
cum quibus ab ipso tyrocinio militiae spiritualis seu in coenobio, seu
in eremo contubernium ei fuit.
2) Nach einer Vermutung Castis bei Antinoii 173.
3) Jac. Card. III. II, 233 ff. Er bezeichnet es nur als eine Er-
zählung, der er jedoch beipflichtet : fertur, et annuimus etc.
4) Die von Casti bei Antinori S. 174 versuchte Widerlegung der
Angaben Stephaneschis scheint mir nicht stichhaltig; aus den bisher
gedruckten Quellen läfst sich jedenfalls eine so vielseitige Thätigkeit,
wie sie Peter dort zugeschrieben wird, nicht entnehmen.
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PETER VON BfUKBIIONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
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Bartholomäus von Capua die Namen der neu Ernannten
veröffentlicht, und selbst Hugo Seguin sei unangenehm be-
rührt gewesen, dafs ein Freund von ihm, den er vor-
geschlagen hatte, sich nicht unter ihnen befand !.
Die einzige Ausnahme unter den neuen, sonst durch-
weg angiovinisch gesinnten Kardinälen, machte wohl Bene-
dikt Gaetani von Anagni, ein Neffe des bekannten gleich-
namigen Kardinalpriesters von St. Martin. Wie die Stellung
des letzteren zu Karl II. in den Monaten September und
Oktober des Jahres 1294 nicht ganz klar ist, so können
wir auch über die Gründe für die Ernennung des ersteren
nur Vermutungen aussprechen. Er war der einzige unter
den zwölfen , der aus dem Kirchenstaat stammte 2, und es
ist wohl am wahrscheinlichsten, dafs man in seiner Ernen-
nung einen Versuch Karls II. zu erblicken hat, sich seinem
alten Feinde, welcher jedenfalls der Führer der Gegenpartei
war, zu nähern 3, eine Vermutung, welche durch einen gleich-
artigen späteren Versuch des Königs, der urkundlich bezeugt
ist 4, gestützt wird. Der alte Kardinal konnte sich natür-
lich mit einem so winzigen Zugeständnis nicht begnügen und
verharrte weiterhin in seiner ablehnenden und abwartenden
Haltung 5.
1) Über den ordnungsmäßigen Weg der Ernennung, zu dem mehrere
Versammlungen des Kardinalskollegs gehörten, 9. Ilinschius, Kirchen-
recht I, 340.
2) Jac. Card III. II, 229 übersieht dieses, wenn er sagt: nulluni,
quem subdita sedi immediata parit tellus (doch siehe Anm. 5). —
Wenn Ciac.-Old. II, 292 seine Erhebung auf den grofsen Einflufs zu-
rückführt, welchen sein Oheim bei Cölestin besessen habe, so ist das
für den Monat September wohl noch nicht zutreffend.
3) So auch Tosti I, 63, wo er den jüngeren Gaetani falschlich Gio-
vanni nennt.
4) Brief Karls vom 11. November 1294. S. das nächste Kapitel.
6) Vgl. auch Tosti I, 62: Nel qual ncgozio non avendo preso parte
il Gaetani, mostra, che ancora si guardassc in cagnesco col Re. . . .
Rimane manifesto, che tino ai 18 di settembre il Gaetani non era certo
degli amici di Carlo. Derselbe I, 230. — Nachträglich finde ich , dafs
Vittori bei Antinori 316 ff. an die Stelle des Gaetani, welcher erst von
Bonifaz VIII. zum Kardinal gemacht sei, Franz Ronci von Atri setzt
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SCHULZ,
Nachdem Karl sich so eine unbedingte Mehrheit im
Kardinalskolleg gesichert hatte, machte er sich an die Lö-
sung der Aufgabe, um derentwillen er recht eigentlich die
Wahl Peters betrieben hatte: die Beilegung des Kampfes mit
Aragon und die Wiedergewinnung Siziliens *. Dezember
1293 hatte er zu Figueras einen Vertrag mit König Jakob II.
geschlossen, in welchem er sich verpflichtete, die Zurück-
nahme des über Aragon verhängten Bannes und Interdikts
und die Wiedereinsetzung Jakobs in alle alten Rechte zu
erwirken ; die Sizilianer sollten von ihm wie von der Kirche
Verzeihung erhalten. Dafür versprach Jakob, die Söhne
und die übrigen Geiseln Karls so wie alle Eroberungen in
und bei Sizilien und auf dem Festland herauszugeben und
dafür einzustehen, dafs bis Allerheiligen 1297 die Kirche
ganz Sizilien mit allen zugehörigen Inseln in dem Umfang,
wie sie einst Karl I. beherrscht hatte, wieder in Besitz habe.
Aber der Vertrag hatte nicht in Kraft treten können,
solange der Obcrlehensherr des Königreichs Sizilien, der
Papst, fehlte. Am 1. Oktober 1294 erwirkte nun Karl II.
von Cölestin die Bestätigung * , und am nächsten Tage liefs er
sich reichliche Geldmittel zur Wiedereroberung Siziliens und
zur Verteidigung des festländischen Teils seines Reiches
überweisen 8 : den Zehnten aller Kircheneinkünfte aus ganz
mit der Begründung, dafs nach Jac. Card.: 1. keiner der neuen Kar-
dinäle aus dem Kirchenstaate gewesen sei, Benedikt aber aus Anagni
stammte; 2. zwei derselben dem Murrhonitenorden angehört hätten,
8. S. 385 Anm. 3; 3. der eine von beiden bald nach der Ernennung
gestorben sei, während Benedikt noch bis zum Oktober 1296 lebte.
Alle drei Umstände aber träfen bei Franz Ronci zusammen: er sei ge-
boren in Atri im Königreich Neapel, sei Murrhonit gewesen und am
13. Oktober 1294 in Sulmona gestorben. Die Übereinstimmung ist aller-
dings überraschend, doch habe ich die zum Teil ungedruckten Quellen,
aus welchen Vittori schöpft, nicht nachprüfen können. — Aus Anlafs
der Krönung und der Ernennung der neuen Kardinäle erliefs Karl II.
eine Amnestie für Aquila (Muratori, Antiqu. Ital. VI, 657, 31 und Casti
bei Antinori 179, 35).
1) S. Dissertation S. 21.
2) Potthast 23984.
3) Potthast 23986 und 23986. — Damberger XII, 101 und Kritik-
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 389
Frankreich und den Kirchenprovinzen Aix? Arelat, Embrun,
Lyon, Besancon, Vienne auf vier Jahre und den aus Eng-
land auf ein Jahr. Beide mufsten erst dem französischen,
bezw. englischen Könige, dem Nikolaus IV. sie übertragen
hatte, entzogen werden, und Cölestin ordnete zu diesem Ende
drei Gesandten, Unterthanen Karls IL, nach Frankreich
-ab J. Schuf sich Karl auf diese Weise mit Hilfe Cölestins
eine neue Einnahmequelle, so hatte er anderseits schon seit
drei Jahren den jährlichen Lehenszins von 8000 Goldunzen,
welchen er gemüfs dem Vertrage seines Vaters mit Cle-
mens IV. an Rom zu zahlen verpflichtet war*, nicht mehr
entrichtet s. Am 8. Oktober Hefs er ferner Jakob durch
Cölestin auffordern, die Ausführung des Vertrages von
Figueras zu beschleunigen und sich zu diesem Zwecke nach
der Insel Ischia zu begeben *.
Aufser auf die Stärkung seiner eigenen Macht dachte er
auch trotz des Vertrages mit Jakob auf die Schwächung
Aragons, denn das augenblickliche gute Verhältnis war von
fraglicher Dauer. Cölestin mufste anordnen, dafs Jakob II.
auch in den pyrrhenäi sehen Ländern des aragonesischen
Hauses nicht anerkannt werden sollte, ehe nicht Sizilien
wieder an das Königreich Neapel zurückgegeben sei 5. In
der gleichen Absicht suchte Karl Jakob des Rückhalts zu
berauben, den ihm seine Verlobung mit Isabel, der Tochter
des Königs von Kastilien, bot; eine päpstliche Bulle vom
9. Oktober6 ermahnte den König von Aragon, schleunigst
heft S. 21 verdächtigt, wie viele andere Bullen Cölestins, auch diese,
denn mit ihr reime sich nicht, dafs Karl II. zu gleicher Zeit friedliche
Unterhandlungen mit Philipp IV. und Jakob II. gepflogen haben solle.
Aber die Bulle richtet sich nicht gegen diese Herrscher, sondern gegen
Sizilien, und wie oben gesagt, hatte sich Jakob II. selbst verpflichtet,
Karl zur Wiedergewinnung behilflich zu sein.
1) Urkunde bei Amari: La guerra del vespro sicil. 1843, II, 62'.
2) Raynald 1289, 2.
3) Digard etc. Les Reg. de Boniface VIII, 1884, no. 128.
4) Potthast 23992.
6) Leo, Oesch. von Italien IV, 638.
6) Potthast 23993. — Auch hier meint Daraberger XII, 102: „Dafs
im Jahre 1294 gerade in dem Zeitpunkt, da man den König Aragoniens
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SCHULZ,
die wegen zu naher Verwandtschaft unerlaubte Verbindung
aufzuheben.
Über der auswärtigen Politik vergafs Karl auch nicht,
für seine Familie zu sorgen, denn die hier oder dort er-
rungenen Erfolge muteten einander wechselseitig fordern.
Seinen zweiten Sohn Ludwig Hefa er zum Erzbischof von
Lyon ernennen, da der bisherige zum Kardinal bisc hol' von
Albano gemacht war Diese Verfügung Cölestins ist wie-
derum ein hervorragendes Zeugnis von der Allgewalt, mit
welcher Karl II. über seinen Papst bestimmte: Ludwig
weilte noch als Geisel in Spanien *, er war erst 2 1 Jahre
alt und hatte bisher weder die Tonsur noch die niederen
Weihen erhalten; aber all das bildete weder für den König
noch für Cölestin ein Hindernis, ja nicht einmal der ordnungs-
mäfsige Weg — soweit man unter solchen Verhältnissen
überhaupt von Ordnung sprechen kann — wurde inne-
gehalten: am 7. Oktober teilte der Papst Ludwig mit, dafs
er ihm das Erzbistum Lyon übertragen habe s, und erst
nach der Ernennung beauftragte er den Minoriten Franzis-
kus von Apta, demselben die erste Tonsur und die niederen
Weihen zu erteilen *. Die Erhebung Ludwigs zu einem der
höchsten kirchlichen Amter erinnert stark an die Ernennung
des Laien Bartholomäus von Capua zum Geheimschreiber.
Infolge dieser aufserge wohnlichen Ernennung ist denn auch
zu einem billigen Vergleiche, zur Abtretung Siciliens stimmen wollte,
der Papst ihn so hart und beleidigend wegen eines Verlöbnisses, dem
die nötige Dispense folgen konnte, angelassen habe, ist durchaus nicht
zu glauben. Die Breven sind interpoliert , wo nicht ganz unter-
geschoben." Aber Schirr mach er, Gesch. von Spanien V, 81 zeigt,
dafs die Verlobung und der 1291 von Jakob mit Kastilien geschlossene
Vertrag durch den von Figueras schon im Dezember 1293 zerrissen
war. Die Bulle enthält also durchaus keine Beleidigung Jakobs 11.
1) Ciac.-Oldoin II, 286.
2) Rayuald 1294, 15.
3) Pottbast 23990. 23991. — Gallia christiana XIII, 32—33. —
Holder-Egger meldet N. Archiv X, 236 (s. S. 367 Anm. 1), dafs in der
von ihm aufgefundenen Kompilation ein Kapitel „De s. Ludovico episcopo
de ordine fratrum Minorum" handele.
4) Potthast 23992. 23994.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 391
Ludwig nur kurze Zeit im Besitz der Würde gewesen,
Bonifaz VIII. beraubte ihn derselben, wie er so viele Mafs-
nahmen Cölestins V. widerrief.
Auch betreffd des Gesetzes Gregors X. über die Papst-
wahl, welches Hadrian V. zeitweilig und Johann XXI.
vollständig aufgehoben hatte, wird man nicht im Zweifel
sein , dafs Cölestin durch die Erneuerung desselben 1 nicht
etwa nur Sedisvakanzen von der Dauer, wie sie seiner Er-
nennung voraufgegangen waren, zu verhüten beabsichtigte, —
wenn auch Karl mit solchen und ähnlichen Vorstellungen
ihn zu der Erneuerung bewogen haben mag, — sondern
dafs sie den Plänen des Königs dienen sollte. Die in dem
Gesetze einst von Gregor X. erlassene Vorschrift, dafs die
Kardinäle zehn Tage nach dem Tode des Papstes in dem
Palaste, welchen der Verstorbene bewohnt hatte, eingemauert
werden sollten 2, raufste in Karl II. den Wunsch nach Wieder-
herstellung des Gesetzes erwecken, denn mit einer solchen
Handhabe konnte er hoffen, auch die Wahl des nächsten
Papstes nach seinem Willen zu leiten s. Dafs die Kardinäle
derartige Absichten bei ihm fürchteten *, zeigt der Eid,
welchen sie sich schwören liefsen, bevor sie nach Aquila
kamen. Aber Karl verfügte über den, welcher binden und
1) Potthast 23980: 28. September 1294.
2) Die Behauptung Dambergers XII, 99, sowohl diese Bestimmung
wie die fernere, dafs die Kardinäle, wenn sie sich nach drei Tagen
noch nicht geeinigt hätten, für die nächsten fünf zum Mittag- und
Abendessen nur je ein Gericht und von da an nur noch Brot, Wein
und Wasser erhalten sollten, sei eine erst von Cölestin erfundene Ver-
schärfung, beruht auf einem Irrtum; vielmehr befindet sich die Vor-
schrift schon im Gesetze Gregors X.: s. Lib. sext. cap. 3. De elect.
I, 6 und Hins chi us, Kirchenrecht I, 267.
3) So erklärt es sich, dafs Tosti I, 64 die Erneuerung des Kon-
klavegesetzes tadelt, während er sie später bei Bonifaz VIII. lobt. Den
Vorwurf der Parteilichkeit, welchen ihm Ludovisi bei Antinori S. 15
deshalb macht, halte ich somit in diesem Falle — ohne Tosti im
übrigen von demselben freisprechen zu wollen — mit Rücksicht auf die
Verschiedenheit der Lage beider Päpste für ungerechtfertigt.
4) Wegen des von Karl I. gegebenen Beispiels hatten sie auch allen
Grund dazu.
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lösen konnte, und liefe sich am 17. Oktober von dem ge-
leisteten Eide ledig sprechen l. Das war ein entschiedener
Sieg über die römischen Gegner, der bedeutendste neben
dem, welchen er gegen die aragonesisch - sizilische Macht
erreicht hat, and die kurialistisch Gesinnten unter den Kar-
dinälen mulsten über denselben aufs höchste erbittert sein.
In gleicher Richtung wirkte die Überführung der Kurie
nach Neapel, welche Karl bereits seit Anfang September
plante * und im Laufe des Oktobers bewerkstelligte s, ohne
dafs das Kardinalskolleg darum befragt wurde; vielmehr
scheint der König die nötigen Reisevorbereitungen unter dem
Vorwande, dafs er nach Rom wolle, betrieben und den Papst
mitsamt den Kardinälen in letzter Stunde überrascht zu
haben 4. Seit dem 22. Juli war er bereits seiner Haupt-
stadt fem, und die von neuem aufgenommenen Verhandlungen
mit Aragon werden seine Anwesenheit in derselben jetzt um
so dringender gefordert haben. Sollte er seinen Papst nun
allein in den Händen der Kardinäle zurücklassen? Dann
1) Pottbast 23998; 24019 eine Bestätigung auch für den Fall der
Abdankung des Papstes.
2) Am 3. September benachrichtigt Karl von Aquila aus die Nea-
politaner über die bevorstehende Ankunft des Papstes: C. M. Riccio,
Saggio di cod. dipl. Supplem. I (1882), no. 71. No. 72— 74 vom 9., 21.
September und 11. Oktober enthalten Befehle über die zu treffenden
Vorkehrungen.
3) Das Itinerar s. bei Potthast II, 1919—1920; Gallia Christ. 1739
VI, 392 wird übrigens noch eine Bulle Cölestins erwähnt: data Aversae II
non. Novemb. . . . bulla ex tat in archivis Dominicanorum Claromonten-
sium in Arvernia. — Bis zum 6. Oktober befand sich Cölestin in
Aquila, vom 13. November haben wir die erste Urkunde aus Neapel;
nach Casti bei Antinori S. 197 war er schon am 5. November dort an-
gelangt
4) Ptol. Luc. XXIV, 32. — Auf eine Täuschung der Kurie lassen
die Verse des Kardinals Jakob schliefsen (III. II, 252 ff.):
Dudumque viam succinctus ad urbem
Tenderet eximiam, Petri Paulique dicatam
Sanguine, subductus Carolo, coetuque sequente,
Parthenopen dcflexit iter.
Auch Buccio Ranallo sagt Stanze 199: Et poi tomö ad Napoli non so
per che mistero. — Casti bei Antinori 193 ff.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 393
mufste er furchten, dafs sie ihn nach Rom brachten ; es war
das Sicherste, wenn er ihn mit sich nahm. Und noch ein
zweiter, mindestens ebenso schwerwiegender Vorteil wurde
damit zu gleicher Zeit erreicht: der Zusicherung ihrer per-
sönlichen Freiheit beraubt, safsen jetzt die Gegner Karls
unter den Kardinälen in der Hauptstadt ihres Feindes wie
in einem Käfig gefangen, — kein Wunder, dafs sie auf
dem Wege nach Neapel, wie Tolomeo von Lucca erzählt,
dem Papst aufs ernstlichste vorstellten , die römische Kirche
gerate unter ihm in Gefahr und Verwirrung.
Schon längst bestand eine Spannung, welche fast mit
jeder Regierungshandlung Cölestins zunahm, zwischen diesem
und einem grofsen Teile der Kardinäle, soweit sie nicht dem
Könige ganz und gar ergeben waren. Es geschah zu viel
des Neuen gegen das, was seit langen Zeiten an der Kurie
Brauch war l, und dabei war die Persönlichkeit, welche die
Neuerungen einführte, zu unbedeutend, als dafs nicht all-
mählich die Anhänger des Alten hätten die Oberhand ge-
winnen müssen. Doch dafs Cölestin unerfahren in der Aus-
übung seines Amtes und ohne Verständnis für seine Auf-
gaben war, hätten ihm die Kardinäle nicht allein verziehen,
es hätte sogar ihren Wünschen entsprochen. Aber nimmer-
mehr konnten sie es ruhig mit ansehen, dafs er sich ganz
und gar von einem weltlichen Fürsten umgarnen liefs, auf
welchen sie eigentlich als auf den Vasallen Roms herab-
blicken zu können meinten. In Karl II. schienen die erst
vor wenigen Jahrzehnten niedergerungenen Staufer einen
Nachfolger zu erhalten, der wie sie nach der Herrschaft über
die Kirche trachtete und zudem wegen seiner unmittelbaren
1) Jacob, de Voragine ap. Murat. IX, 54: Multa quoque alia
faciebat, in quibus non sequebatur praecedentium patrum vestigia nec
eorum statuta. Ebenso Ann. Mellicensium Contin. Florian, ap. Mon.
Germ. IX, 749: Unde multa fecit sine maturitate et preter usitatum
ordinem curie.
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SCHULZ,
Nähe doppelt gefährlich zu werden drohte. Der Hafs der
älteren, römisch gesinnten Kardinäle gegen den König mufste
durch die Verfügungen, welche Cölestin auf Betreiben und
zu gunsten Karls II. erlieis, fortwährend gesteigert werden,
denn jeder einzelne Fall bedeutete einen Eingriff in die Vor-
rechte, welche sich das Kardinalskollegium in langem, mühe-
vollem Kampfe errungen hatte. So ist es in der That ein
„überaus bezeichnender Umstand" l, dafs Jakob Stephaneschi
in seinem Gedicht denjenigen Handlungen des Papstes,
welche von den Kardinälen nicht gebilligt wurden^ ein eigenes
Kapitel widmete 2. Stellen wir die Punkte, welche den Ku-
rialen hauptsächlich Anlafs zur Unzufriedenheit gaben, hier
noch einmal kurz zusammen.
Seit der Weigerung Peters, nach Perugia zu kommen,
deren Urheber die Kardinäle sehr wohl kannten, war der
Unwille derselben gegen den König und seinen Schützling
in stetem Steigen begriffen. Ebenso bitter wie den welt-
lichen Einflufs des Königs empfand man das Eindringen
von Laien in die höchsten geistlichen Amter wie jenes Bar-
tholomäus von Capua und des Königssohnes Ludwig. Die
Erteilung zahlloser Pfründen, welche Cölestin ganz planlos,
nur in dem Gefühl, niemandem eine Bitte abschlagen zu
sollen 3, oder auf den Wunsch Karls vornahm, richtete in
der ganzen Kirche eine heillose Verwirrung an, zumal es
bei Cölcstins Unkenntnis der Geschäfte zuweilen sich er-
eignete, dafs drei, vier oder noch mehrere dieselbe Stelle an-
gewiesen erhielten; soll er doch sogar Bullen in Blanko mit
1) Souchon, Die Papstwahleu von Bonifaz VIII. bis Urban VI.
(1688), S. 8, macht auf denselben aufmerksam.
2) Lib. III, cap. II trägt die Überschrift : Acta Coelestini in ponti-
ficatu minus probata cardinalibus. Auch die wenige Jahre spater gleich-
falls von Kardinälen verfafste Schrift bei Bai an, II processo di Boni-
fazio VIII (Rom 1881), p. 83 sagt: Eraut enim defectus et insufficientie
eius non solum prudentibus, sed et lippis et tonsoribus manifeste. —
Vgl. S. 893 Aum. I.
3) Mon. Germ. IX, 750: Tante autem mansuetudinis et beniguitatis
fuit, quod petitiones omnium ad se recurrentium liberaliter exaudire
consuevit. — Fcrrctus Vicent. ap. Murat. IX, 960.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLEST1N V.
Unterschrift und Siegel ausgestellt haben *. Die Verzweif-
lung der Kardinäle 8 über die allgemeine Unordnung spricht
deutlich aus den Worten des damals schon an der Kurie
thätigen Jakob Stephaneschi 3 :
0 quam multiplices indocta potentia formas
Edidit, indulgens, donans, facieosque recessu
Atque vacaturas concedens atque vacantes!
Gab das den Kardinälen Anlafs zur Besorgnis um das
Wohl der Kirche, so waren in anderer Beziehung vielfach
ihre eigensten Interessen bedroht *. Die Versuche des alten
Asketen, sie, die prachtliebenden, ehrgeizigen Weltmänner
zu seiner stillen, beschaulichen Lebensweise zu bekehren,
mochten sie nicht allzu ernst nehmen; aber die Verdoppe-
lung ihres Kollegiums minderte schon an sich den Einflute des
einzelnen herab und nun gar noch zu gunsten des verhaisten
Königs, dem die neuen Mitglieder alle unbedingt Gefolg-
schaft leisteten. Doch selbst den geringen Rest von Einflufs,
der ihnen noch geblieben war, hatten sie kaum Gelegenheit
auszuüben, denn Cölestin traf seine Verfügungen häufig ohne
1) Ptol. Luc. XXIV, 31: Decipiebatur tarnen a suis officialibus
quantum ad gratias, quae fiebaut, quarum ipse notitiam habere non
poterat. . . . Unde inveniebantur gratiae aliquae factae tribus vel
quatuor vel pluribus personis, raembrana ctiam vacua, sed bullata.
2) Welche, wie Souchon S. 18 bemerkt, dabei der von Nikolaus IV.
ihnen zugestandenen Hälfte sämtlicher Einkünfte verlustig gingen.
3) Jac. Card. III. II, 267 ff. Vgl. auch Jac. de Voragine 1. c:
Dabat etiam dignitates, praelaturas, officia et beneficia, in quibus non
sequebatur curiae consuetudinem , sed potius quorundam suggestionem
et suam rudern simplicitatem ; ferner die Bulle, in welcher Bonifaz VIII.
die Schenkungen u. s. w. Cölestins widerrief (bei Barth. Cotton ap.
Mon. Oerm. XXVIII, 614): Olim Coelestinus . . . devictus instantia et
ambitione nimia plurimorum, ignarus eorum, quae et iuris dcbitum et
gravitas pastoralis, cui presidebat, ofticii requirebant, seductus insuper
atque deceptus per capciosam astuciam deceptabilem aliquorum, fecit
diversa et conccssit varia minus digne, inordinata et insolita, quorum
aliqua subticemus ex causa, sub cuius bulla nonnulla, ut fertur, preter
ipsius consdentiam transierunt, quae non indigne, quin immo necessario,
limam apostolicae correctionis exposcuut. — Bzovius zu 1294, VI.
4) Vgl. Souchon a. a, 0. S. 7.
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SCHULZ,
Befragung des Konsistoriums. Zum erstenmale kam der
Unwille der Kardinäle zum Ausbruch, als der Papst am
24. Oktober in Teanum nach dem Tode eines der beiden
neuen Kardinäle aus dem Murrbonitenorden (s. S. 367
Anm. ö) wider allen Brauch 1 ganz plötzlich nach dem
Essen * seinen Vizekanzler, den Erzbischof von Benevent,
zum Kardinal machte. Derselbe wird sich nicht allein durch
die Führung der Geschäfte dem Papste unentbehrlich zu
machen gewufst haben, er hatte sich auch dessen besondere
Gunst dadurch errungen, dafs er die schwarze Kutte des
Benediktinerordens, dem er angehörte, mit der weifsen der
Cölestiner vertauscht hatte. Die Erregung unter den Kar-
dinälen war so grofs, dafs der Ernannte wieder zurücktreten
mufste; man liefs ihm nur die Aussicht, dafs er bei der
nächsten Gelegenheit, wenn die Kardinäle ordnungsmäfsig
ihre Zustimmung gegeben hätten 3, sein Kardinalat wieder-
erhalten solle.
Endlich aber: so oft sich der Papst des Rates bedürftig
fühlte, wandte er sich nicht an die Kardinäle, sondern an
den König oder dessen Kreaturen, deren Entscheidung oft
genug zum Nachteil jener ausfiel. Die Erneuerung des
Konklavegesetzes Gregors X. unter den augenblicklichen
Umständen und die Befreiung Karls von dem ihnen ge-
1) S. S. 387 Anm. 1.
2) Jac. Card. III. II, 275 ff.:
Nam cum mors atra septikum
Alterutrum Procerum, Pastoris dogma professum
Acciperet, monacbi dimissis vestibus atris
Praesulis induitur babitum, pertingere sperans
Irrubiare caput. —
Jac. de Vorag. 1. c: tempore et modo debito non servato (sonst fanden
behufs der Ernennungen regelmäfsig in der Quatemberwocbe Versamm-
lungen der Kardinäle statt: Hinschius, Kirchenrecht I, 340) de pleni-
tudine siraplicitatis (!)... non temporibus institutum nec de conailio
cardinalium, sed ad suggestioncm aliquorum. — Tosti, Badia di
Montecassino III, 36 ff.
3) Gesetzliches Anrecht auf eine solche hatten sie freilich nicht.
Hinschius I, 339.
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PETER VON MIR RHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
397
leisteten Eide mufsten die Kardinäle geradezu als einen an
ihnen und der Kirche begangenen Verrat ansehen. Die
Übersiedelung Cölestins mit der Kurie nach Neapel besiegelte
schliefslich die Auslieferung des Papsttums in die Hände
des Anjou und trieb den Unwillen der Kardinäle auf den
Höhepunkt.
(Fortsetzung im nächsten Heft.)
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ANALEKTEN.
i.
Studien zu Luthers Sendschreiben an die
Christen zu Riga und in Liefland vom
Jahre 1524.
Von
0. Albrecht, Pastor in Naumburg a. S.
1. Bibliographisches und Textkritisches.
Diese Lutherschrift, welche ich für die Weimarer Gesamt-
ausgabe vorzubereiten habe, ist bisher noch nicht ausreichend
untersucht worden. Auch End er 8 in seinem verdienstlichen
Briefwechsel Luthers, Bd. V (1893), S. 98, Nr. 867 beschrankt
sich darauf, zu dem in der Erlanger Ausgabe Bd. XLI, S. 130
(vgl. Bd. LIII, 8. 281 und De Wette Bd. II, S. 595) dargebotenen
Stoff einige bibliographische Nachträge zu liefern. Ohne hier auf
die Bibliographie näher eingehen zu wollen, bemerke ich, Enders
ergänzend, nur kurz, dafs von der bei ihm a. a. 0. erwähnten
Ausgabe des Jahres 1534 nicht zwei, sondern drei verschiedene
Drucke, welche alle von Jörg Bhaw in Wittenberg herstammen,
bekannt sind, ferner dafs der schon von Wellers Repertor. typogr.
unter Nr. 3007 aufgeführte Nachdruck unerwähnt geblieben ist,
sodann dafs der Wittenberger Neudruck der Auslegung des
127. Psalms (ohne Luthers Vorwort an die Rigaer) im Anhang
der Sieben Bufspsalmen v. J. 1525 übersehen worden ist. Es
sind demnach elf älteste Ausgaben zu zählen. Der von Enders
richtig erkannte Urdruck hat folgenden Titel:
„Der hundert vnd || Sieben vnd zwen-||tzigst psalm ausge-||legt
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ALBRECHT, STUDIEN ZU LUTHERS SENDSCHREIBEN. 399
an die Chri-! sten zu Rigen || ynn Liff-| land. || Martinas Luther. || "
(In der unteren Randleiste:) „Wittenberg. || M.D.XXIIII. || " Mit
Titeleinfassung, 14 Bl. in 4°, letztes Bl. leer. — Einige Exem-
plare lesen im Titel „zwen- ;zigst", einige haben ebenda den
Druckfehler „ausgc- legt", während im Text selbst abgesehen von
der Richtigstellung eines verkehrt stehenden Buchstabens sich
keine Abweichungen finden. — Dieser Originaldruck ist Lukas
Cranach in Wittenberg zuzuschreiben, wie D. Knaake in seiner
Abhandlung „Über Cranachs Presse" im Centraiblatt für Biblio-
thekswesen 1890, S. 196 ff. (Nr. 14) nachgewiesen hat; hier ist
auch S. 203 f. der Titelholzschnitt genau beschrieben.
Der überlieferte Text des ersten Druckes enthält verhältnis-
mäfsig viel Fehler und üngenauigkeiten , mehr als sonst in den
mir bekannt gewordenen Erzeugnissen der Cranachschen Presse
vorzukommen pflegen. Es wäre daher Ton grofser Bedeutung,
wenn die Notiz bei Enders a. a. 0. richtig wäre: „Nach Arndt,
Lieft. Chronik II, 185 soll sich das Original des Briefes auf der
rigaischen Stadtbibliothek befinden." Allein Enders — der übrigens
selbst zweifelnd beifügt „aber bat Luther wirklich den Brief hand-
schriftlich nach Riga gesandt?" — hat sich geirrt In jener
Liefländer Chronik steht a. a. 0. von unserer Lutherscbrift nur
dies, dafs dieselbe sich in der Leipziger Ausgabe Bd. VI, S. 550
abgedruckt finde; dann heilst es wörtlich: „Auf der rigaischen
Stadtbibliothek liegen noch ein paar Briefe von Luthers eigner
Hand, deren Inhalt sehr kurz und zu speziell, auch von keiner
Wichtigkeit ist4'; in der Anmerkung werden sie dann erwähnt:
1) ein deutscher Brief Luthers von Donnerstag nach Bartholo-
mäi 1540 an den Rat zn Riga über Magister Engelbrecht (vgl.
De Wette V , S. 302 f.) , 2) ein lateinischer Trostbrief an den
Prediger Georgium Sicambrum, datum Wittenberg feria 6 post
purificationis 1540, 3) ein Brief vom 31. Oktober 1537 (dieser
nur in Abschrift) an den Rat wegen einer Ehescheidungssache
zwischen Job. Kannengiefser und Barbar GÖche. — Anderweite
Nachforschungen nach dem Original sind erfolglos geblieben.
Man wird also nicht darauf rechnen dürfen, den Urdruck nach
der Handschrift verbessern zu können.
Als zweifellose Textfehler notiere ich die folgenden, natür-
lich mit der Erwägung, dafs vielleicht an einzelnen Stellen schon
die Handschrift das Versehen enthalten haben kann:
Bl. A 3* Z. 4 lies: „man hungers" statt „manhungers", B
1* Z. 3: „Salomo neyn" statt „Salomon eyn", B 2* Z. 17:
„wil hie" statt „wie hie", C lb Z. 24: „wol" statt „vbol",
C lb Z. 32: „mich nicht lassen" statt „mich lassen", C2 b Z. 1 :
„verbirgt'4 statt „vertagt". C 2b Z. 6 gehört noch zum ci-
tierten Text, der die beginnende Auslegung markierende Absatz
ZeiUchr. f. K.-O. XVII, J. 26
400
ANALEKTEX
ist also erst bei der folgenden Zeile anzuwenden. D 1* Z. 32:
„will ich ... geschrieben haben" statt „will ich ... geschrieben
habe".
Wahrscheinlich sind anch folgende Lesarten als Druck-
versehen zu beurteilen:
Bl. B 2b Z. 22 f. „Aller äugen herr sehen auff dich vnd
du gibst yhm zu essen"; es wird „ybn" (= yhnen) zu lesen sein,
wie die meisten Nachdrucke haben.
B 3b Z. 3 f. „ynns fleyschs"; die Mehrzahl der Nachdrucke
liest „fleysch"; erstere Form findet sich in Ph. Dietz' Wörter-
buch zu Luthers deutsch. Sehr. s. v. „Fleisch" nicht erwähnt,
nur als Genetivform „fleisches".
C 2* Z. 22 „her selbe"; die Nachdrucke ändern meist „er
selbs", einer „der herr selbs", Ph. Dietz a. a. 0. s. v. „er"
führt an, dafs in einigen älteren Schriften Luthers verschiedent-
lich die Schreibung „ehr" sich finde, seine eigenhändigen Briefe
aber nur „er" bieten, die Schreibung „her" wird hier gar nicht
erwähnt.
. G 4b Z. 27 ff. „Es ist alles zu thun, das er vns will das
regiment vnd sorge vber uns nemen vnd weren, auff das wyr
wissen sollen, wie er selbs alleyne vns regiere vnd für vns
sorge, vnd vns erbeyten vnd schaffen vnser Ding".
Ein Nachdruck ändert im Schlufssatz: „vns lasse erbeiten".
Dies scheint mir die richtige Korrektur zu sein. Zwar könnte
man auf den ersten Blick das Gegenteil erwarten („uns nicht
lasse arbeiten") und daran denken, den Schlufssatz logisch von
„weren" abhängen zu lassen. Allein unser Arbeiten und Gottes
Fürsorge will Luther nicht als Gegensätze, sondern als Korrelat-
begriffe angesehen haben, wie z. B. klar hervorgeht aus dem
Satz Bl. C 4b Z. 4 ff. „das wyr ia sehen sollen, das er for alle
Ding sorget, vnd vns nichts nyrgent lassen will denn die erbeyt".
Will man jene Einschaltung „lasse" als unnötig abweisen, so
bleibt nur übrig, den Schlufssatz „vnd vns erbeyten etc." als
Accus, c. Inf. abhängig von „das wyr wissen sollen" zu fassen
und ihn dem voranstehenden Satz „wie er . . . sorge'4 zu coor-
dinieren; als hätte Luther schreiben wollen: auf dafs wir wissen
sollen ihn selbst allein uns regieren . . . und uns arbeiten etc.
Ich möchte aber die vorher angegebene Auskunft für richtiger
halten. Die lateinische Übersetzung des Obsopoeus schafft hier
keine Klarheit, sie hilft sich mit folgender Umschreibung der
Worte „vnd vns erbeyten vnd schaffen vnser Ding": „Quo omnihns
his illi nos commendantes tantum nostris laboribus intenti certa
fiducia de se omnia nobis prospera et foelicia polliceremur".
D lb Z. 1 „ewr hertz . . . vleyssiger seyen"; hier ist in
den meisten Nachdrucken die Pluralform „hertz en", einmal
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ALBRECHT, STUDIEN ZU LUTHERS SENDSCHREIBEN. 401
„hertze" eingesetzt; so viel ich sehe, ist „hertz" als Pluralforin
nicht nachweisbar.
Vielleicht ist ferner an folgenden beiden Stellen der ur-
sprüngliche Text durch Auslassungen verderbt:
Bl. A 4b 20 „Aristoteles schreybt Oeconomia, das ist von
hausbauten"; alle ältesten Drucke lauten so, während in Gesamt-
ausgaben, z. B. Erl. Ausg. 41, S. 135, De Wette 2, 599, ein
„de" vor oeconomia eingeschaltet ist.
Sodann im Titelblatt. Ungenau lautet es hier: „zu Eigen
ynn Liffland", genauer hat der Eingangsgrufs „zu Eigen vnd
yun Liffland". Als Adressaten sind eben nicht blofs die Eigaer
gemeint, sondern auch die sonst in Liefland wohnenden Christen,
also dieselben, an welche Luther bereits im Jahre 1523 ein
Sendschreiben (vgl. Weim. Ausg. Bd. XII, S. 143 ff.) erlassen
hatte.
Unnötig dagegen erscheint es mir, an folgender Stelle eine
Textverderbnis anzunehmen, Bl. C 4b Z. 19 ff.: „Drumb laut
diser vers, das nicht die kinder vnd fruchte des leybs, wilche
er Gottes erbe vnd gäbe nennet, Sondern die kinder iugent . . .
ynn der band hat". De Wette und Erl. Ausg. setzen hier das
fehlende Subjekt ein und lesen „das er nicht". Allein es kommt
bei Luther bekanntlich häufig vor , dafs er das Subjekt, wenn es
ein Pronomen ist und aus dem Zusammenhang leicht zu er-
gänzen, fortläfst; hier konnte das um so mehr geschehen, weil
der folgende Relativsatz („wilche er etc.") auch „er" als Sub-
jekt hat, welches aber eine andere Person bezeichnet, als das zu
ergänzende „er" des regierenden Satzes.
Noch führe ich eine Eeihe von Stellen an, die durch die
damalige teilweis regellose Interpunktion für uns undeutlich ge-
worden sind, und wo etwa durch genauere Zeichensetzung das
Verständnis des urspünglichen Sinnes erleichtert werden kann.
Bl. A 3b Z. 13 beginnt ein neuer Abschnitt mit einem un-
gewöhnlichen Partizipialsatz: „Nichts bessere denn nur eyn an-
ders vnd ergers Babstum auffgericht etc.". Den Sinn hat Ob-
sopoeus in seiner lateinischen Obersetzung richtig so umschrieben:
„Nec video huic nostrae pertinaciae et negligentiae curandae melius
posse dari remedium, quam quod deintegro peior, si fieri possit,
erigatur papatus." Die Beziehung der absoluten Partizipial-
kon8truktion wird nun sofort verständlicher , wenn man den
Druckabsatz nicht hier, sondern schon sechs Zeilen vorher ein-
treten läfst mit den Worten: „Wolan, was Gott daran fnr ge-
fallen wird haben, das werden wyr ynn der kftrtze erfaren".
Denn dieser Satz bildet die logische Voraussetzung jenes Parti-
zipialsatzes.
Bei längeren Perioden und ineinandergeschachtelten Sätzen
26*
ANA LEKTKX.
steht öfter mitten inne ein Punkt Es würde zu weit führen, an
Beispielen wie Bl. C 1B Z. 27—34, Bl. C 3b Z. 9—18 zu zeigen,
auf welche Weise durch Parenthetisierong der Einschaltungen,
durch Einsetzung von Kolon oder Komma statt Punkt die Periode
Obersichtlicher gemacht werden kann.
Schwieriger ist die sinngemäße Interpungierung folgender Pe-
riode Bl. lb Z. 29 ff.: „Also sehen wyr, das haushallten soll vnd
mus ym glauben geschehen, so ist genug da, das man erkenne,
Es lige nicht an vnserm thun, sondern an Gottes segen vnd
beystand." Es fragt sich, ob der mittlere Satz „so ist genug
da" mit je verschiedenem Sinn zum Vorangehenden oder zum
Folgenden gehört, ob demnach nachher oder vorher ein stärkeres
Satzzeichen als ein Komma zu denken ist. Beides ergiebt einen
passenden Sinn. Obsopoeus scheint sich für die erstere Möglich-
keit entschieden zu haben, er übersetzt etwas unklar: „Ita vide-
mus rem domesticaro fide dispensandam esse, volentes nihil
de esse, ut cognoscamus" etc. Für die Beziehung des Zwischen-
satzes zum Vorangehenden aber könnte man den zuvor Z. 2 1 ff.
ausgesprochenen Oedanken geltend machen: wer im Glauben auf
Gott den Hausherrn 6ehe, erblicke keine ledigen Winkel, vielmehr
„Es dunckt dich alles voll seyn, vnd ist auch alles vol".
Einfacher ist der Fall Bl. B 3b Z. 8 ff.: „So finden wyrs
denn, das alle vnser erbeyt nichts ist, denn Gottes gueter finden
vnd auffheben. Nichts aber mögen machen oddor erhalten."
Bichtig übersetzt Obsopoeus : omnem nostrum conatom et laborem
nihil aliud esse quam Dei omnipotentis bonorum collectionem et
inventionem, non autem acquisitionem aut custodiam. Der Punkt
vor „Nichts" hat nur den Wert eines Kommas; das „Nichts
können machen" ist blofs eine zweite prädikativische Bestimmung,
gleichwertig der voranstehenden „Gottes Güter finden".
Schwierigkeiten bietet die folgende Satzverknüpfung Bl. C 4b
Z. 2 ff.: „Noch füret er sie [die kinder der iugent] ym hause
vnd stad wie er will, Das wyr ia sehen sollen, das er für alle
ding sorget, vnd vns nichts nyrgent lassen will denn die erbeyt.
Damit wyr nicht meynen Gott regiere alleine die iungen
kinder ynn der wigen, vnd lasse die grossen sich ybrer vernunfft
vnd freyes willens brauchen. Ia er regirt die grossen (spricht
er hie) ia so mechtiglich alls die iungen." Man könnte zunächst
bedenken, ob nach dem ersten Punkt nicht ein zweiter Hauptsatz
beginne, also: „Damit [hiermit] meinen wir nicht etc.", und
könnte dafür anführen, dafs der Ausdruck „Kinder der Jugend"
kurz vorher so erläutert ist, dafs deren Unmündigkeit hervorgehoben
wird, „als die noch nicht haushallten noch wechter ynn der stad
sind, die wyr meynen gantz vnd gar vnser kiogheyt befolhen zu
haben". Allein die folgende Ausführung ergänzt diese Definition;
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ALBRECHT, STUDIEN ZU LUTHEKS SENDSCHREIBEN. 403
Kinder der Jugend sind, „die na gros vnd vernunfftig sind",
oder „die grossen", die „yhrer vernunfft vnd freyes willens
braueben", von diesen „spricht er hie", während er von den
„jungen Kindern in der Wiege" im Verse vorher (Kinder, Leibes-
frucht) gesprochen habe. Es wird daher vielmehr der Punkt in
Komma zu verwandeln und „Damit etc." als Finalsatz zu fassen
sein; also: Gott fahrt sie [die grofsen Kinder] im Haus und
Stadt wie er will, . . . damit wir nicht meinen, Gott regiere
allein die jungen Kinder in der Wiege etc. Dem entsprechend
giebt auch die lateinische Übersetzung den Sinn wieder. Oder
aber, was vielleicht noch besser ist, man beläfst den Punkt und
läfst mit dem Finalsatz „Damit etc." eine neue Periode beginnen,
deren Hauptsatz (Nachsatz) lautet „spricht er hie"; dann müfste
der zweite Punkt in ein Komma oder Kolon verwandelt werden.
Also: „Damit wir nicht meinen, Gott regiere allein die jungen
Kinder in der Wiege und lasse die grofsen sich ihrer Vernunft
. . . brauchen: ja, er regiert die grofsen, spricht er hier etc.".
Noch einige Worte über die wichtigsten Änderungen und
Zusätze der neuen von Luther zehn Jahre später besorgten Aus-
gabe der Schrift. Dieselbe enthält eine dem Text der Vollbibel
vom Jahre 1534 entsprechende neue Übersetzung des Psalms
nebst „Glosse" und „Summa" vor der Auslegung, ferner im Anhang
den Psalm noch einmal „in ein schönes Lied verfasset" mit
Singnoten. Verfasser aber dieses Liedes „Vergebens ist all Müh
und Kost" ist nicht Luther, sondern Lazarus Spengler. Letzterer
erwähnt dasselbe im Brief an Veit Dietrich vom 1. Januar 1534:
„Meinen psalmus Nisi Dominus, den ich vor ettlichen vnd meins
achtens wol vor Sechs oder Siben iaren begriffen, wie ich euch
den zugeschickt hab, der auch nun dise lange zeit, bifs ich euch
das zugeschickt, on ain Compositio gelegen ist, hat auch Eobanus
Hessus auf mein ansuchen vor guter weile in Carmina gepracht,
der ist mir warlich allweg sonderlich lieb gewest etc." (Mayer,
Spengleriana S. 136). Nun ist freilich jenes Lied schon in den
Magdeburger Gesangbüchern seit 1540 und vorher in dem Valten
Schuhmannschen , Leipzig 1539, Luther zugeschrieben. Dieser
Irrtum, der lange nachgewirkt bat, erklärt sich durch den Um-
stand , dafs das Lied im Anhang einer Schrift Luthers zuerst
veröffentlicht worden ist. Noch W. Thilo hat in seinem Send-
schreiben an einen Freund „Luther oder Spengler? D. i. Wer
ist Verfasser des Liedes Vergebens ist all Müh und Kost" (als
Handschrift gedruckt, Berlin, G. Schade, 1860) jene irrige Au-
nabme zu verteidigen gesucht, doch ist sie ausreichend widerlegt
durch Ph. Wackernagel, Das deutsche Kirchenlied, Bd. I,
S. 402 f., vgl. Bd. III, S. 49, und neuerlich durch Fischer in
seinem Kirchenliodcrkxikou S. 295ff. Die Hauptgrüude sind
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404
ANALKKTEK.
folgende: 1) Die vorliegende Schrift Luthers, in der er selbst
das Lied durch den Ausdruck der Überschrift „in ein schönes
Lied verfasset" als ein von ihm nicht gemachtes bezeichnet;
2) das Valentin Babstsche Gesangbuch von 1545, in welchem
Luther die beiden ihn betreffenden Irrtümer jenes Magdeburger
Gesangbuches dadurch verbessert, dafs er von dem Liede „Nun
lasset uns den Leib begraben" in der Vorrede sagt, nicht er,
sondern Mich. Weifse habe dasselbe verfafst, und dafs er das
Lied „Vergebens ist etc." in den zweiten Teil des Gesangbuchs
verweist, der keine Lieder von ihm enthält, sondern „Psalmen
und geistliche Lieder, welche von frommen Christen gemacht nnd
zusammengelesen sind"; 3) J. B. Biederers Erklärung in seiner
Abhandlung vom Jahre 1759, worin auf den oben von uns ci-
tierten Brief Spenglers an Dietrich verwiesen ist; 4) sprachliche
Gründe: in jeder Strophe kommen Ausdrücke und Wendungen vor,
die Luther fremd sind (das Nähere bei Wackernagel a. a. 0.).
2. Geschichtliche Voraussetzungen, Abfassungszeit.
Die geschichtlichen Voraussetzungen des vorliegenden zweiten
Lutherschen Sendbriefs an die Livländer sind im allgemeinen die
gleichen, wie die des ersten vom Jahre 1523; sie sind in der
Einleitung zu letzterem in der Weimarer Ausgabe Bd. XII (1891),
S. 143 ff. durch Professor D. Kawerau umsichtig erörtert worden.
Doch ist ergänzend hinzuzufügen, dafs der vorjährige Brief an
die Christen in Riga, Reval und Dorpat bereits vor dem 11. No-
vember 1523 in Riga angelangt ist; denn an diesem Tage
schreiben „ Burgermeister vnd Radtmanne In gemeiner Christlicher
Kirche namen zu Riga" eine dankende Antwort an Luther, welche
jüngst nach einer im Revaler Staatsarchiv entdeckten Kopie von
Hörschelmann, Andreas Knopken (Leipzig 1896), S. 98 — 101,
besser auf S. 255 — 257 erstmalig veröffentlicht worden ist1. Im
Eingang heifst es hier: „Euwer veterlichen lieben sendebrieff,
myt egen Handt — wie wir beriebt — geschrieben, auch ge-
1) Hörschelmann hat diesen wertvollen Brief, dessen Datum er
mehrmals irrig als „21. November" augiebt, doch nicht genügend
ausgebeutet. Überhaupt fehlt es seiner Arbeit mehrfach an Präcision.
Die Weimarer Lutherausgabe und Enders' Briefwechsel Luthers schei-
nen ihm unbekannt geblieben zu sein, dagegen führt er die neuere
Spezi allittera tu r zur Refoi mationsgeschichte Livlands genauer an. Lu-
thers Brief an die Christen in Riga vom Jahre 1523 datiert er ohue
Grundangabc auf den 15. August (S. 93), ebenso inig auch Lohmüllers
ersten Brief auf den 10. Oktober 1522 (S. 89) u. s. w.
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ALBRECHT, STUDIEN ZU LUTHERS SENDSCHREIBEN. 405
drugket aufsgang, die drei Hanbtstuck Gelaub, lieb vfid Hofhang
. . . begreiffend, an die Christliche vorsaml tragen zu Rige, Derpt
vnd Beuel In Leiffland lautend, haben wir yn bosunder bogir-
licher andacht vnnd groser frolockung entfangen." Später: „Ferner
haben wir vorstanden, dafs vnser lieber andechtiger M. Joan
Lomüller vnd heimlich getruwer hie vorn an e. v. 1. geschriben
sali haben mit bitlicher andacht, e. v. 1. sich kegen vnns geleich
wie der heilige Paulus den Corinthern vnd andern steten vnd
kirchen myt veterlicher heilssamer vnderrichtung zu irer gelegen-
heit wold erczegen, dar an er vns dang nemigen (?) willen ge-
than. Hir vmb ist auch nach vnser gleichmessig gutwillig vnd
fleissig bett, e. v. 1. wollen hin furder sulch angehabene veter-
lich gutte vnd christlich erinnerung . . . vnderweilen, wen sich
e. v. 1. der andern grosen vnd mennigfaltigen gescheften, vleis,
muhen vnd arbeite christlicher gemein gnts eczwes entledigeth,
vnd vns notroflich (?) vormercken zu irfolgen nicht ablassen."
Daraus ergiebt sich inbezug auf den zweiten undatierten Brief
Lobmüllers an Luther (Enders a. a. 0. Bd. IV, Nr. 748, Ka-
ys* er au a. a. 0. S. 145), worin das Nichteintreffen einer Ant-
wort, auf die sie schon „in das zweite Jahr hinein" warteten,
beklagt wird, dafs derselbe nur in den wenigen Tagen zwischen
dem 20. Oktober 1523 (vom 20. Oktober 1522 datiert Loh-
müllers erster Brief) und 11. November 1523 verfafst sein kann.
Vielleicht ist dieser nur als Fragment erhaltene Brief überhaupt
Entwurf geblieben und dann, da das Eintreffen von Luthers Ant-
wort ihn überflüssig machte, gar nicht zur Absendung gelangt.
Ferner ist klar, dafs Luthers frohe Änfserung im Brief an Spa-
latin vom 1. Februar 1524 über die Bigaer „quorum literas et
legatum nuper suscepi" eben jenes erst jüngst wieder aufgefundene
Dankschreiben der Bigaer Gemeinde vom 11. November 1523
meint, nicht aber den zweiten Brief Lohmüllers, wie Enders
Bd. IV, S. 271, Anm. 1 und Kawerau a. a. 0. annehmen.
Die Vermutung der Jubiläumsschrift für Dr. Ulmann in Peters-
burg, Riga 1866, S. 3*, dafs unter „literae" und „legatus" ein Brief
nnd Abgesandter des Bigaer Bates zum Dank für Luthers vor-
jähriges Schreiben zu verstehen sei, ist durch Hörschelmanns
Entdeckung zur Gewifsheit erhoben. Übrigens bezieht sich die
Lohmüller betreffende Stelle im Dankbrief der Rigaer augenschein-
lich auf Lohmüllers ersten Brief an Lutüer, speziell auf folgende
Stelle desselben: „non . . . quaerimus . . . aliam gloriam nobis
comparare tois scriptis quam qualem Paulus suae indidit Corintho
ac reliqnis ecclesiis" (bei Enders Bd. IV, Nr. 581, Z. 55 ff.).
Dies könnte der Vermutung, dafs Lohmüllers zweiter Brief gar
nicht abgesandt sei, zur Bestätigung dienen. Allein da die bei-
den Lobmüllerscben Briefe dem Sinne nach als einer zu begreifen
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406
AXALEKTEK
sind — der zweite ist hauptsächlich nur ein Begleitschreiben
zur Kopie des ersten mit der Bitte, selbigen endlich zu beant-
worten — , so ist immerhin die Möglichkeit nicht ausgeschlossen,
dafs der Rigaer Rat sie beide meint und gerade durch die kürz-
lich erfolgte Ausfertigung des zweiten an den Wortlaut des ersten
erinnert worden ist. Wie dem auch sei, es ist nicht zu be-
zweifeln, dafs Luther die Anregung zur Übersendung eines zweiten
Sendschreibens an die Livländer durch die im Brief an Spalatin
vom 1. Februar 1524 erwähnten literae et legatus, also durch
den an ihn gelangten Brief des Rigaer Rats vom 11. November
1523, erhalten hat. Wenn nuu Luther im Eingang seines neuen
Schreibens, merkwürdigerweise ohne Erwähnung des vorjährigen,
sich entschuldigt, allerlei habe ihn gehindert, ihnen etwas Christ-
liches zu schreiben, er sei dazu „längst vermahnt", und es sei
[jetzt wieder] „solches begehrt": so beziehen sich diese Aus-
drücke offenbar auf die oben citierte Bitte im Schreiben der Ri-
gaer zurück, er möge seine angehobene väterliche Erinnerung
fortzusetzen nicht ablassen, wie denn auch ganz in ihrem Sinne
vordem Lohmüller ihn gebeten habe, ihnen gelegentlich eine
väterliche Unterricbtung zukommen zu lassen. Und gerade das,
was Lohmüller in seinem ersten Brief (bei Enders Bd. IV,
Nr. 681, Z. 54) als besonders erwünscht bezeichnet hatte, dedi-
care aliquid, führte Luther nun aus. Er dedicierte ihnen die
Auslegung des 127. Psalms, welcher die Herzen von Sorge und
Geiz ziehe und das rechte christliche Verhalten zum zeitlichen
Gut lehre. Die Wahl dieses Stoffes motiviert er aber nicht
durch Hinweis auf die ihm mitgeteilten Nachrichten über dortige
Zustände, er geht auf die Gemeindeverhältnisse der Rigaer gar
nicht ein, sondern bemerkt nur: „Es ist freilich [gewifslicb] zu
vermuten, dafs weder bei uns noch bei euch das aufgangen
Evangelium werde besser haben etc."; die dann folgenden Klagen
über den die Frucht des Evangeliums hindernden Geiz, der sich
besonders in der mangelnden Fürsorge für Schulen und Pfarreien
zeige, ist ganz allgemein gehalten. Aus diesem Charakter der
Schrift wird es von vornherein wahrscheinlich, dafs es sogleich
gedruckt den Rigaern zuging (vgl. dazu S. 399). Zutreffend ur-
teilt K östlin , M. Luther, Bd. V, S. 659: „Den Anlafs scheinen
ihm die Erfahrungen, die er überhaupt damals machte, gegeben
zu haben; sein — für den Druck bestimmtes — Sendschreiben
schliefst sich an jenen Aufruf an, welchen er damals an alle
deutsche Bürgermeister und Ratsherren der Schulen wegen rich-
tete." Die Rückbeziehung auf letztere im Januar oder Anfang
Februar 1524 erschienene 1 grofse Schrift ist ja unverkennbar,
1) Sie wird als soeben erschieneu erwähnt im Brief Hummelbergs
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ALBRECHT, STUDIEN ZU LUTHERS SENDSCHREIBEN. 407
wenn er hier schreibt Bl. A 2b Z. 5 ff.: „Ich habe nu viel ge-
predigt vnd geschrieben, das man ynn Stedten sollt gute schulen
auffrichten, damit man gelerte menner vnd weyber auffzöge,
daraus Christliche gute pfarrer vnd prediger würden etc." (Aufser-
dem vgl. man noch Luthers Batschlage wegen der Schulen in
der Schrift an den Adel, Weim. Ausg. Bd. VI, S 457 f., in der
Leisniger Kastenordnung, ebenda Bd XII, S. 15, die Briefe an
Straufs vom 25. April 1524, de Wette Bd. II, S. 504f. =
Enders Bd. IV, Nr. 785, Z. 22 ff., und an Briefsmann vom
4. Juli 1524, De Wette S. 528 = Enders IV, Nr. 805,
Z. 89 ff.) Luther, noch ganz erfüllt von den dort in umfassen-
der Darlegung ausgesprochenen Gedanken, wiederholt hier davon
manches. Aber weil er doch zugleich klagt, dafs man trotz seines
vielen Predigens und Schreibens in der Aufrichtung guter Stadt-
schulen sich lässig und faul anstelle, so ist wohl anzunehmen,
dafs unsere Schrift nicht unmittelbar nach der Schrift an die
Batsherren, sondern erst nach Verlauf eines gewissen Zeitraumes,
in welchem die Berechtigung zu jener verschärften Klage sich
zeigte, verfafst worden ist. Diese Erwägung legt es nahe, die
Entstehungszeit in die zweite Hälfte des Jahres 1524 zu ver-
legen. Vielleicht ist dies auch der Grund des kurzen und nicht
weiter erläuterten Urteils bei Kolde, M. Luther, Bd. II, S. 579
Anm. zu S. 173: Das Sendschreiben an die Rigaer sei „sicher
erst gegen Ende 1524 gedruckt".
Giebt es vielleicht noch andere Anhaltspunkte zur näheren
Bestimmung der Abfassungszeit? Die Äufserung am Schlufs „wie
wöllen wyr stehen, wenn nu die falschen geyster an vns komen,
so sich itzt schon regen vnd anhebon?" ist zu unbestimmt, um
daraus einen Schlufs zu ziehen; ähnlich lauten dio Aussagen
schon in den Briefen vom 6. Mai 1524 an Gerbel (De Wette
II, 509 = Enders IV, Nr. 791, Z. 13ff.) und vom 4. Juli
1524 an Biielsmaun (de Wette II, 526 = Enders IV, Nr.
805, Z. 17 ff.).
Wichtiger für die Zeitbestimmung würde die Bemerkung
Köstlins sein a. a. 0. Bd. I, S. 609 f., wenn sie ganz richtig
wäre: Luther habe noch unmittelbar vor der Ausgabe des ganzen
Psalters vom Jahre 1524 zwei deutsche Psalmen, den 120. und
127., in Sendschreiben an auswärtige Bekenner des Evangeliums
(Miltenberger und Bigaer) aufgenommen; jetzt im Text des Psal-
ters seien dieselben schon bedeutend verbessert, einzelne neue
Änderungen folgten dann gleich in der Gesamtausgabe vom dritten
Teil des Alten Testamentes und weiter in einer neuen Ausgabe
an Vadian, Datum Ravensburg den 28. Februar 1524, vgl. Hart fehler,
Melanchthoniana Paedagogica (1892), S. 125.
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4<>8
ANALEKTEN.
der Bufspsalmen vom Jahre 1525. — Also der Brief an die
Bigaer mit der Auslegung des 127. Psalms wäre dann vor
dem „Psalter deutsch" vom Jahre 1524 veröffentlicht, also wohl
schon vor September; denn am 1. September 1524 kündigt Luther
die in vier Wochen bevorstehende Herausgabe des deutschen Psal-
ters an: „Ad Michaelis festum edotur Psalterium vernaculum par-
vum, deinde pars illa Bibliae quao sub praelo est, modo mer-
catores firmantur typis" (Enders V, Nr. 820, Z. 59 ff.) x. Allein
das Textverhältnis ist doch wenigstens beim 127. Psalm nicht
ein derartiges, wie Köstlin es andeutet. Man vergleiche einfach
die Zusammenstellung in der kritischen Ausgabe der Bibelüber-
setzung von Bindseil-Niemeyer Bd. III (1850), S. 296 f.
Daraus ergiebt sich ganz klar: eine durchgreifende Änderung der
Übersetzung von Ps. 127 findet sich erst in der Ausgabe von
1534; der Psalmtext unseres Rigaer Briefes vom Jahre 1524
stimmt dagegen stetig Qberein mit demjenigen im Anhang der
Bufspsalmen von 1525, er weicht jedoch einige Male ab von dem
der Sonderausgabe des Psalters 1524 und weist dabei zweimal
in der Auslegung selbst die Lesart auf, die sich im Psalter
findet, während nur die vorangestellte Übersetzung vom Psalter
abweicht. Der dritte Teil des Alten Testaments vom Jahre
1524 hat bis auf ein Wort den Text des 127. Psalms genau
so, wie ihn der Psalter 1524 darbietet Wie geringfügig die
Textabweicnungen der Ausgaben vom Jahre 1524 — 1525 sind,
veranschaulicht die folgende Übersicht:
V. 1 „Das bans nicht" Riga 1524, Bufsps. 1525] „nicht
das haus" Psalter 1524, 3A. T. 1524. — „Die stad
nicht" Riga 1524, Bufsps. 1525] „nicht die stad"
Psalter 1524, SA. T. 1524.
V. 3 „Vnd des leybs frucht ist das lohn" Riga 1524, Bufsps.
1525 (beide in der Übersetzung)] „Vnd die frucht des
leybs ist das lohn" Psalter 1524, 3A. T. 1524, Riga
1524, Bufsps. 1525 (letztere beide nur in der Aus-
legung).
V. 5 „seynen" Riga 1524, Bufsps. 1525, SA. T. 1524]
„seyne" Ps. 1524, 3A. T. 1525. — „Reden mit yhren
feynden"Riga 1524, Bufsps. 1525 (beide in der Über-
setzung)] „mit yhren feynden reden" Riga 1524, Bufsps.
1) Wie stimmt dazu die Notiz im Brief Milichs an Blaurer vom
24. Juni 1524 (bei Hartfelder, Melanchth. Paedag., p. 141): „Psal-
terium Germanicum excusuin est?" Ist eine grofse Ausgabe gemeint
im Gegensatz zu der am 1. September erwähnten „kleinen"? Dann
würde in unserer hypothetischen Schlußfolgerung es nicht heifsen
müssen „vor September", sondern ,.vor Juni 1524".
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ALBHECHT, STUDIEN ZU LUTHERS SENDSCHREIBEN. 409
1525 (beide in der Auslegung), Psalter 1524, 8A. T.
1524.
Bei der Unerheblichkeit dieser Abweichungen wird man
schwerlich mit Sicherheit behaupten dürfen, dafs der Psalmtext
im Brief an die Rigaer als der unvollkommenere dem verbesserten
Text des Psalters und 8A. T. 1524 zeitlich vorangegangen sein
müsse. Beiderlei Texte können als wesentlich übereinstimmend
sehr wohl etwa gleichzeitig gedacht werden. Will man aber im
Text des Psalters doch absichtliche Glättungen erkennen (etwa
in V. 1 einen besseren Rhythmus in der veränderten Wortfolge:
Wo der HErr nicht das Haus bauet, — Wo der HErr nicht die
Stadt behütet), so müfste man freilich mit Köstlin annehmen,
dafs der Sendbrief an die Rigaer schon vor der Ausgabe des
Psalters, also vor September oder gar vor Juni 1524 ab-
gefafst ist.
Als negatives Zeugnis für die Datierung der Schrift könnte
noch der Brief Felix Raytbers an Tb. Blaurer vom 8. April
1524 angeführt werden, den Hartfelder, Melanchth. Paedag.
(1892), p. 131 sqq. veröffentlicht hat. Rayther, damals Student
in Wittenberg, zählt die neu erschienenen Bücher Luthers auf:
die Sendschreiben an die Ratsherren aller Städte deutsches Lands,
an die Miltenberger, die Geschichte einer Klosterjungfrau u. a.;
der 127. Psalm mit dem Brief an die Rigaer wird nicht erwähnt,
folglich war er am 8. April in Wittenberg noch nicht bekannt.
Eine zu unbestimmte Spur dürfte endlich der Umstand sein,
dafs Luther gegen Ende des Jahres 1524 mehrfach über Ver-
nachlässigung des Schulwesens heftig klagt. Am 1. November
richtete er die wiederholte erregte Frage an Spalatin, ob es
wahr sei, dafs der Kurfürst die Universität eingehen lassen wolle?
Dies Gerücht sei so allgemein verbreitet, dafs daraufhin die
Nürnberger Melanchthon für sich zu gewinnen versucht hätten
(vgl. auch Corp. Ref. I, Sp. 878 f). Und am 24. November
klagte er bitter, dafs der Leifsniger Pfarrer Tilemann Schnabel
Hunger leiden müsse, da die Leifsniger Kastenordnung immer
noch nicht vom Kurfürsten bestätigt sei. (Ober die letzteren
Verhältnisse ist Kaweraus Einleituog in Weim. Ausg. XII, S. 7
zu vergleichen.) In solcher Stimmung wäre die Abfassung un-
serer Schrift wohl verständlich. Eine sichere Entscheidung aber
über den genauen Zeitpunkt ist bei dem gegenwärtigen Bestand
der geschichtlichen Zeugnisse nicht wohl zu treffen.
Auf die Eigenart der mit dem Brief an die Rigaer verbun-
denen Auslegung des 127. Psalms einzugehen, würde zu weit
führen. Gern schliefse ich mich dem Urteil Koldes an, der sie
für eine der schönsten hält, die wir von Luther besitzen; sie
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410
ANALEKTEN
„erhebt sich wirklich zu einem Loblied auf Gottes Gnade, an
dessen Segen allein alles gelegen sei, wie viel anch der Mensch
arbeite, schaffe und sorge, und zu einem Preise der stillen, sich
nicht absorgenden, allein auf Gott vertrauenden Arbeit Es sind
die Gedanken, die auch ihn in jenen schweren Tagen immer wie-
der aufrichteten und des endlichen Sieges gewifs machten"
(M. Lnther, Bd. II, S. 174).
2.
Njichträge
zur preufsischen Reformationsgeschichto.
Von
Paul Tschackert.
1) Johann von Schwarzenberg,
Landhofmeister des Markgrafen Kasimir von Brandenburg- Kulm*
bach (gest. 1528), als mutmafslicher Verfasser der Königsberger
Reformationsschrift „Des heiligen Geistes deutlicher Warnungs-
brief" vom Jahre 1526.
Im Jahre 1890 habe ich in meinem „ Urkundenbucbe zur
Ref. -Gesch. des Herzogt. Preufsen" II, Nr. 522 auf eine bis
dahin unbekannt gebliebene, gehaltvolle Königsberger Flugschrift
zur Verteidigung der Priesterehe aus dem Jahre 1526 aufmerk-
sam gemacht; das Jahr ihrer Abfassung war von mir durch
Kombination festgestellt, und als Verfasser nahm ich, da Polentz
und Speratus nicht in Betracht kommeu konnten, auch überhaupt
von den theologischen Reformatoren keiner, den froheren Ordens-
ritter Friedrich von Heideck an. Durch die für die Reformations-
geschichte des Ostens recht wichtige Arbeit des Königsberger
Bibliotheksdirektors Paul Schwenke: „Hans Weinreich und
die Anfänge des Buchdrucks in Königsberg" (Königsberg i. Pr.
1896), S. 41 ff. ist aber ein bisher unbeachteter Umstand gegen
die Annahme der Autorschaft Heidecks aufgetaucht Schwenke
beschreibt nämlich S. 41 f. den Königsberger Druck des „Büch-
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T SCHACHERT, NACHTRÄGE
411
leins Kuttenschlange" von Johann von Schwarzenberg
und findet, dafs der „Warnungsbrief", welchen er gleich
darauf typographisch bespricht, der „Kuttenschlange" ganz ahn-
lich sei und „vielfach wörtlich an sie anklinge", so dafs man
„unbedenklich" für beide Schriften denselben Autor
annehmen dürfe. Hätte ich den Königsberger Druck der
Schwarzenbergischen „Kuttenschlange" gekannt, so würde ich
wahrscheinlich denselben Scblufs wie Schwenke gezogen haben.
Ich sehe daher keinen Grund, mich gegen Schwenkes Ansicht
zu erklären, und freue mich, dafs durch seine bewonderungs-
würdige typographische Scharfsichtigkeit die schriftliche Hinter-
lassenschaft des ehrwürdigen evangelischen Juristen der fränkisch-
brande uburgischen Lande um ein schönes Denkmal vermehrt
worden ist. Der Schrift selbst wird nunmehr vielleicht noch
mehr Beachtung zukommen. Darum möge es erlaubt sein, hier
noch besonders darauf hinzuweisen, dafs ihr Verfasser die Ehe
der Bischöfe und der Geistlichen mit Begeisterung rechtfertigt
und gegen die Fastengebote energisch ankämpft; er verfolgt
überhaupt den Zweck, in den Kreisen der Gebildeten und speziell
bei der Obrigkeit für die evangelische Weltanschauung Propa-
ganda zu machen (vgl. mein Urkundenbuch I, 190): „Gott hat
sein evangelisch Licht, das durch die Päpstlichen lange Zeit ver-
dunkelt, . . . wieder gnädiglich scheinen lassen" (Blatt C 4)
schreibt er und tritt ein für diejenigen Lehrer, welche vor der
Tyrannei der päpstlichen Lehrer „von einer Stadt zur andern
fliehen".
Die Autorschaft Schwarzenbergs pafst nun gut in den Königs-
berger Aufenthalt desselben von 1526 bis 1527, woiüber die
Urkunden in meinem Urkundenb. II, Nr. 501—510 Aufschluß
geben. Er war 1526 als Vertreter seines Herrn, des Markgrafen
Kasimir von Brandenburg-Kulmbach, zu den Vermählungsfeierlich-
keiten in Königsberg und blieb dann mit Erlaubnis Kasimirs ein
Jahr in Preufsen behnfs Ordnung dortiger Begierungsangelegen-
heiten. (Vgl. Pbilippi in Zeitschr. d. westprenfs. Geschichts«
Vereins, Heft I [Danzig 1880], S. 45 — 69: „Schwarzenberg in
Preufsen ".)
Ist die Ansicht Schwenkes richtig, woran ich nicht zweifle,
so bleibt Heideck immer noch als Verfasser der „Christlichen
Ermahnung an Walter von Plettenberg" (Urkundenb. II, Nr. 434)
für uns ein merkwürder Schriftsteller aus dem Stande der Nicht-
tbeologen.
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412
ANALEKTEN.
2) Paul Speratus,
nicht der Verfasser der satirischen Flugschrift „Absag oder
vhedschrift des hellischen Fürsten Lucifers u. s. w." vom Jahre
1524.
In meinem „Urkundenbuche zur Reformationsgeschichte des
Herzogtums Preufsen", Bd. II, Nr. 257 ist die anonym zu Kö-
nigsberg in Preufsen 1524 gedruckte Flugschrift obigen Titels
dem damals dort als Schlofsprediger fungierenden D. Paul Spe-
ratus zugeschrieben und dementsprechend sowohl in der Dar-
stellung der preufsischen Eeformationsgeschichte (Urkundenb. I,
S. 93) als auch in der Monographie Über „Paul Speratus von
Rötlen" (Halle 1891), S. 33 zur Beschreibung der litterarischen
Thätigkeit des angenommenen Autors von mir verwandt worden.
Durch die sehr dankenswerte bibliothekswissonschaftliche Ab-
handlung Paul Schwenkes über „Hans Weinreich und die An-
fange des Buchdrucks in Königsberg" (Königsberg i. Pr. 1896),
S. 34 wird dagegen diese Flugschrift in ein anderes Licht ge-
rückt. Schwenke urteilt nämlich, dafs die Weinreichsche Ausgabe,
auf welche sich meine Annahme stützte, wegen sinnstörender
Druckfehler nur ein Nachdruck einer in Deutschland bereits
gedruckt gewesenen Flugschrift sei, derselben, welche sich bei
Strobel „ Hiscellaneen litterarischen Inhalts, zweite Sammlung "
(Nürnberg 1779), S. 134 — 138 abgedruckt findet. Panzer ver-
mutet dazu in seinen „Annalen der älteren deutschen Litteratur",
2. Band (Nürnberg 1805), Nr. 2437, dafs dasjenige Exemplar
dieser von Strobel mitgeteilten Schrift, welche sich in seiner
Sammlung befinde, ein „Leipziger Druck" zu sein scheine.
Schwenke berichtet dann weiter, dafs in den beiden bei Well er,
Repertorium typographicum (Nördlingen 1864), S. 311 unter
Nr. 2755 und 2756 angeführten Drucken „Absagbrief des Für-
sten dieser Welt" u. s. w. nur „eine veränderte Version", die
das Datum in „am letzten Tag in sempiternum" verdreht hat,
vorliege.
Unter solchen Umständen mufe die Annahme, dafs diese Schrift
um 30. September 1524 in Königsberg von Speratus verfafst sei,
aufgegeben werden. Freilich folge ich dabei lediglich dem Re-
sultate der bibliographischen Untersuchung Schwenkes, wonach
der Königsberger Druck der abgeleitete, dagegen der von Panzer
als „Leipziger" Druck bezeichnete der originale ist
Über den wahren Autor der fraglichen Schrift läfst sich zur
Zeit noch nichts weiter feststellen.
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BERICHTIGUNG.
413
Berichtigung.
Auf S. 78 Anm. 1 meiner Abhandlung „Zur Sachsenhäuser
Appellation Ludwigs des Bayern" in Heft 1/2 dieses Jahrgangs
ist leider durch ein Mißverständnis meinerseits die Schreibung
des Datums der Appellation ungenau wiedergegeben. Es mufs
beifsen: in | die VII; nach in Ende der Zeile. — Übrigens
hat bereits Müller, was mir entgangen war, in den Berichtigungen
am Schlufs des zweiten Bandes seines Werkes die gleiche Mit-
teilung über die Fassung des Datums in der Wiener Handschrift
gemacht J. Priesack.
NACHRICHTEN.
Zur neuesten Kirchengeschichte.
Von
P. Tschaekert u. a.
* 1« Karl Rieker, Die rechtliche Stellung der
evangelischen Kirche Deutschlands in ihrer ge-
schichtlichen Entwicklung bis zur Gegenwart. Leipzig
1893. XV und 488 S. Der herrschenden Meinung, daTs das
Ideal Luthers eine vom Staat unabhängige Kirche war und dafs
nur infolge der Ungunst änfserer Umstände oder infolge des dem
Reformator fehlenden Verständnisses für Fragen der Kircben-
verfassung die Entwickeltug der evangelischen Kirche in Deutsch-
land andere Bahnen eingeschlagen hat (S. 1), wird von dem
Verfasser der Krieg erklärt. Er zeigt (Kap. II), dafs die Re-
formatoren durchaus nicht die Trennung von Staat und Kirche
verlangten, sondern Kirche und Staat zusammen als ein christ-
liches Gemeinwesen (S. 68) auffafsten. Sie haben damit nicht
eine neue Theorie über das Verhältnis von Kirche und Staat auf-
gestellt, sondern die des späten Mittelalters (Kap. I) übernommen,
selbstverständlich mit den Abstrichen, welche der Gegensatz gegen
die Hierarchie forderte. Die Geschichte der evangelischen Kirche
(Kap. III bis zum Westfälischen Frieden, Kap. V bis zum Unter-
gang des alten deutschen Reiches, Kap. VI bis zur Gegenwart)
zeigt mithin nicht in der Periode des Staatskirchenturas (16. u.
17. Jahrhundert) einen Abfall von dem reformatorischen Ideal,
sondern seitdem unter dem Einflufs der naturrechtlichen An-
schauungen die Begriffe von Staat und Kirche sich veränderten
und auf Grund der nunmehrigen Auffassung der Kirche als eines
religiösen Vereines das Territorial- und dann das Kollegial system
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NACHRICHTEN
415
das Verhältnis beider Gröfsen bestimmte. Dabei ist u. a. der
Nachweis (S. 255 ff.) interessant, dafs das erstere durchaus eicht
die Kirche in dem Staat aufgehen liefs, vielmehr in der Unter-
scheidung der Kirche als eines selbständigen Lebenskreises ihre
Selbständigkeit anerkannte. In einem Schlufskapitel giebt der
Verfasser dann noch einen vortrefflichen Rückblick und Ausblick,
in welchem die Erörterung über das landesherrliche Kirchen-
regiment besonderen Anspruch auf Beachtung hat. Grofses kirchen-
geschichtliches Material ist in diesem Werk ausgezeichnet ver-
arbeitet. Wir wünschen ihm den weiten Leserkreis, welchen die
vielfach neue Wege weisende und niemals ermüdende Darstellung
verdient. Als besonderen Vorzug des lehrreichen und anregen-
den Buches nenne ich noch, dafs der Verfasser, auf den Bahnen
Emil Friedbergs, die rechtliche Stellung der evangelischen
Kirche in jedem einzelnen deutschen Staate besonders behandelt
(Kap. VI). Mirbt.
2. Der Kirchenbau des Protestantismus von der Re-
formation bis zur Gegenwart Herausgegeben von der Vereini-
gung Berliner Architekten. Berlin 1893. — Die erste umfassende
Baugeschichte der evangelischen Kirchen von fachmännischer Seite
mustergültig dargestellt; ein für die Kirchengeschichte unentbehr-
liches Werk mit vielfach ganz neuen Aufschlüssen.
3. Jul. Müller (Generalsekretär), Das gute Recht des
reformierten Bekenntnisses innerhalb der Union.
(20 S.) Elberfeld 1894.
4. [Brandes.] Nach zehn Jahren. Geschichte, Zweck
nnd Bedeutung des Reformirten Bundes. Berlin 1894.
5. Kirchenordnung der evang. Brüder-Unität in
Deutschland v. J. 1894. Gnadau 1894. 126 S. 8".
6* Ernst Luckfield, Der Sozinianismus und seine
Entwickelung in Grofspolen, in Zeitschrift der hist. Gesellsch. für
die Prov. Posen. VII (1892).
?. Rob. Kübel. Über den Unterschied zwischen der posi-
tiven und der liberalen Richtung in der modernen Theologie.
2. völlig neubearbeitete Aufl. München 1893. 334 S. gr. 8. —
F. Nitzsch, Die romantische Schule und ihre Einwirkungen auf
die Wissenschaften, namentlich die Theologie. [Preufs. Jahrb.
75. Bd., 2. Heft 1894.] — Fried r. Nippold, Die theologische
Einzelschule im Verhältnis zur evang. Kirche. Ausschnitte aus
der Geschiebte der neuesten Theologie. Dritte und vierte Ab-
teilung. Braunschweig 1893. [Eine persönliche Polemik gegen
die Ritschlscho Schule.] Soweit die Giefsener theol. Fakultät
Zeitichr. f. K.-0. XVII, 3. 27
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410
NACHRICHTEN.
darin betroffen ist, erwiderte darauf Bernb. Stade, Die Re-
organisation der theo!. Fakultät zu Giefsen in den Jahren 1878
bis 1882. Giefcen 1894. — Fr. H. R. Frank, Geschichte und
Kritik der neueren Theologie, insbesondere der systematischen,
seit Schleiermacher. Aus dem Nachlasse des Verf. Herausg. v.
Schaarschmidt. Leipzig 1894.
*8. Otto Pfleidorer, Theologie und Geschichts-
wissenschaft. Bede bei Antritt des Rektorats gehalten in der
Aula der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität am 15. Oktober
1894. (Berlin 1894, Julius Becker, 22 S. gr. 4°.) Um zu be-
weisen, dafs die Theologie mit Unrecht „in dem Gerüche steht,
eine absonderliche Stellung gegenüber den anderen Wissenschaften
einzunehmen", will der Verfasser „an der Hand der Geschichte
zu zeigen suchen , wie die wissenschaftliche Theologie unseres
Jahrhunderts sich vor dieselben Aufgaben gestellt sah und sie
durch dieselben Methoden zu lösen gesucht hat, wie die anderen
Geisteswissenschaften , mit welchen sie zunächst in Vergleich
kommt." Hauptsächlich schildert der Verfasser zu diesem Zwecke
die Lebensarbeit Ferdinand Christian Banrs, dessen dogmen-
geschichtliche Leistungen er zwar fallen läfst, dessen neutesta-
mentliche und sonstige urchristlich-kritische er dagegen mit voller
Anerkennung preist. In den letztern liege „ein Ergebnis der
Detailforschung vor, ... mit welchem die Hegelsche Philosophie
nichts, schlechterdings gar nichts zu schaffen" habe. (S. 14 u.
15.) Dabei ist die Kritik, welche Albrecht Bitsehl an Baur
geübt hat, mit Stillschweigen übergangen; auch wird man über-
rascht sein, Baur als Seitenstück zu Leopold v. Rauke aufgefafst
zu sehen *.
* 9. Otto Pfleidorer, Das deutsche National-
bewußtsein in Vergangenheit und Gegenwart. (Ber-
liner Rrktoratsrede v. 27. Januar 1895.) Berlin 1895. 28 S. 4°.
Nach einem Rückblicke auf die mittelalterlichen Schicksale
des deutschen nationalen Bewuftseius und seines Verfalles leitet
der Verfasser die Wiedererhebung desselben in der Neuzeit von
zwei Faktoren ab, von der Bildung einer neuen deutschen Litte-
ratur auf protestantischer Grundlage und von der Erstarkung des
preufsischen Staates zum führenden Staate des neuen deutschen
Reiches. Darin hat der Redner recht und auch im einzelnen
enthält die geistvolle Rede viel beachtenswerte Bemerkungen.
10. The od. Brieger, Die fortschreitende Entfremdung von
der Kirche im Lichte der Geschichte. Leipzig 1894. (1. u. 2.
Auflage.)
1) Auf Anerkennung seiner Beurteilung Hains in den Kreisen der
Kirchenhistotiker wird Ptleiderer wohl aber doch nicht rechnen können.
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JfACHKICUTKN.
417
11. Christoph Schrempf, Eine Nottaufe. Kirchliche
Aktenstücke nebst einem Beibericht. Stuttgart 1894. 56. S.
gr. 8°.
* 12. Moritz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeit-
alter der Gegenreformation und des dreifsigjährigen
Krieges (1555 — 1648). Zweiter Band (1586 — 1618).
Stuttgart 1895. J. ü. Cotta Nachf. 482 S. gr. 8°. — Dieses
Bach bildet einen Teil der von H. v. Zwiedineck- Südenhorst
herausgegebenen „Bibliothek deutscher Geschichte"; es behandelt
die Vorgeschichte dos Dreifsigjährigen Krieges bis zu dessen Aus-
bruch im Jahre 1618, eine der trübseligsten Perioden der Ge-
schichte unsers Vaterlandes und zugleich der Kirchengeschichte.
Um so dankbarer mufs man dem Verfasser für seine streng sach-
liche, aufborst lehrreiche und fliefsend geschriebene Darstellung
sein. Mit bekannter Meisterhand entwirft Ritter ein Bild der
Auflösung der Reichsverfassung und schildert das Herannahen
des Dreifsigjährigen Krieges und zwar die Geschichte der Union
und der Liga, den Jülichschen Erbfolgekrieg nnd den Ausgang
Rudolfs II., dio Vermittel ungspolitik des Kaisers Matthias und
die Einleitung des Krieges im böhmischen Aufstande. Eine vor-
züglich orientierende Übersicht dor Zustände in „Deutschland
vor dem dreifsigjährigen Kriege" schliefst diosen Band.
13. Nuntiaturberichte ans Deutschland, nebst ergänzen-
den Aktenstücken. 3. Abt. 1572—1585. 2 Bde. Der Reichstag
zu Regensburg 1576. Der Pacificationstag zu Köln 1579. Der
Reichstag zu Augsburg 1582. Bearb. v. Jos. Hansen. Berlin
1894.
14. Ludwig Wahrmund, Prof. d. Rechte in Czernowitz,
Die Bulle „Aeterni patris filius" und der staatliche
Einflufs auf die Papstwahlen. Mit Benützung römischer Akten-
stücke. (Separatabdruck aus Verings Archiv für katb. Kirchen-
recht, Bd. LXXII.) Mainz 1894. 134 S. gr. 8°. Diese Schrift be-
bandelt die von Gregor XV. im Jahre 1621 erlassene Wahlbulle
und zerfallt in drei Abschnitte, von denen der erste über Motive
und Redaktion der Bulle, der zweite über die zeitgenossische
Interpretation derselben und der dritte über ihre rechtliche Be-
deutung für die Gegenwart handelt. In Betracht kommt wesent-
lich das staatliche Recht der Exklusive bei Papstwahlen.
Der Verfasser bewegt sich dabei in schroffem Gegensatz gegen
Sagmüllers Schrift „die Papstwahlbullen" u. s. w. Tüb. 1892 und
gewinnt als Resultat die Behauptung, dafs sich im Zeitalter der
Bulle „Aeterni patris filius" der Bestand (resp. die staatliche
Inanspruchnahme) eines Exklusionsrechtes bei den Papstwahlen
27*
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418
NACHRICHTEN.
noch nicht nachweisen lasse und data die genannte Bulle nicht
den Zweck gehabt habe, einem derartigen Exklusionsrechte ent-
gegenzutreten. Der Verfasser hat viel unbekanntes handschrift-
liches Material sorgsam verwertet.
* 15. Franz Jacobi, Das liebreiche Religions-
gespräch zu Thorn 1645. (Gotha, F. A. Perthes 1895
99 S. 8°.) Ein erweiterter Sonderabdruck aus der Zeitschr. für
K.-G. Bd. XV, Heft 3 und 4. — Der Verfasser benutzte viel
bisher unbekanntes handschriftliches Material aus Danzig und
Thorn. Über die Hauptquelle des Religionsgesprächs, die „Acta
conventus Thoruniensis etc., Varsaviae 1646", urteilt J., dafs in
diesem offiziellen Protokollbuche Wichtiges absichtlich weggelassen
sei. Eine wesentliche Ergänzung und Berichtigung bilden daher
die „Scripta partis reformatio in colloqnio Thoruniensi . .
exbibita. Berolini 1646. Die Konfession der Lutheraner citiert
J. unter dem Titel „Confessio fidei, quam Status . . . invariatae
confessioni Augustanae addicti in colloquio charitativo tradiderunt.
Denuo iuxta exemplar Lipsiense a. 1655 recusa Gedani 1735."
Jacobis Arbeit ist recht dankenswert.
16. A. Le Roy, Le gallicanisme au XVIII' siecle.
La France et Rome de 1700 — 1715. Histoire diplomatique de
la bulle Unigenitus jusqu'ä la mort de Louis XIV, d 'apres
des documents inedits etc. Paris, libr. Perrin et C% 1892; XVIII,
et 794 p. 8°.
17. Aus den ersteu Jaliren der prenfsischen Gesandt-
schaft beim päpstlichen Stuhle finden sich interessante
Mitteilungen in den Hist. pol. Bl. Bd. 108. 6 (1891), S. 439
bis 451. P. Tschackert.
* 18. Theodor Lanter, Pfarrer in Edelsfeld, Die Ent-
stehung der kirchlichen Simultaneen. Würzburg, A. Stuber 1 894.
113 S. Die Litteratur über die kirchlichen Simultaneen ist in
den letzten Jahren rasch angewachsen. Aber meist hat es sich
dabei nur um die Frage nach der rechtlichen Natur dieser eigen-
tümlichen Erscheinung gehandelt; Verfasser referiert darüber im
L Kapitel. Die vorliegende wertvolle Arbeit beschäftigt sich mit
der Frage nach der Entstehung der Simultaneen und bietet zu
ihrer Beantwortung ein reiches geschichtliches Material.
Bieter.
* 19. E. Piaget, Essai sur l'organisation de la
compagnie de Je'sus. Leide, E. A. Brüll, 1893. 250 p. 8°.—
Als Einleitung zu einer als gleichzeitig erscheinend angekündig-
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% NACHRICHTEN.
419
ten „Histoire de re*tablissement des Jesuites en France" (1540
bis 1640) enthält dieser Essai eine objektive Darstellung der
Organisation der Gesellschaft Jesu bis 1773, hauptsächlich unter
Benutzung der Prager Ausgabe des Institutum Societatis Jesu
(1757, 2. Bd. Fol.); der Verf. handelt von Novizen, Scholastici,
Koadjutoren, Professen, von der Regierung des Ordens u. 8. w.;
richtig beurteilt er (S. 230) die Jesuiten als die Intransigenten
des Ultramontanismus und siebt das HanptQbel des Jesuitismus
in der vom Orden geforderten „Abdication des individuellen Ge-
wissens" (S. 246).
* $0. Fr. G. Keusch, Beiträge zur Geschichte des
Jesuitenordens (München 1894. C. H. Beck. 266 S 8°)
enthält I. die Lehre vom Tyrannenmorde; II. Französische Je-
suiten als Gallikaner; III. Die Versammlung [französischer Janse-
nisten] zu Bourgfontaine [bei Paris 1621], eine Jesuitenfabel;
IV. Der falsche Arnauld. Eine Illustration des Satzes: der Zweck
heiligt die Mittel; V. Kleinero Beiträge. — Der III. und IV.
Beitrag beziehen sich auf den Gegensatz der Jesuiten gegen die
Jansenisten. Alles dankenswerte Studien zur streng sachlichen
Charakterisierung des Jesuitenordens aus seiner Geschichte. —
Bibliotheque de la compagnie de J6sus. Premiere partie:
Bibliographie par les Peres Augustin et Aloys de Backer. Se-
conde partie: Histoire par le Pere Auguste Carayon. Nouvelle
Edition. Bruxelles, Sociöte' beige de librairie in 4° cartonnee ä 2
colonnes, 1984 col. 30 fr.
* 21. Moderner Jesuitismus. Von Graf Paul von
Hoensbroech. 2. Aufl. (Berlin 1893. Hermann Walther,
53 S., Sonderabdruck aus den „Preufs. Jahrbüchern".) Der Ver-
fasser befriedigt nach seinem Austritt ans dem Jesuitenorden das
Bedürfnis, seinen „persönlichen und sachlichen Gegensatz" zu
diesem Orden eingehender und schärfer darzulegen. Für die-
jenigen gebildeten Protestanten, welche den modernen Jesuitis-
mus anderweitig bereite kennen gelernt haben, bietet diese Dar-
stellung nichts Neues. Sie ist interessant nur um des Verfassers
willen, dessen weiteren Entwickelungsgang man als Protestant
gewifs mit Interesse beobachten wird. Er berichtet von sich,
das er sich weder zur jesuitischen Lehre von Kirche, Staat und
Schule, noch zur jesuitischen Gewissensleitung habe jemals ex
animo bekennen können". Er habo versucht, sich diese Theorieen
und diese Praxis anzueignen; es sei nicht gegangen. — Der
Verfasser ist aus dem Jesuitenorden ausgetreten, weil er als
deutscher Patriot die jesuitische Negation des Patriotismus und
als »elbständiger Charakter die jesuitische Negation der Persön-
lichkeit nicht ertragen konnte. — Er ist vor kurzem in die
evangelische Kirche übergetreten und wirkt im polemischen Sinne
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420
NACHRICHTEN. #
energisch gegen römische Anschauungen und Anmafsungen durch
Wort und Schrift.
22. Geizer, Die Ausbreitung der römischen Hierarchie unter
dem Pontificate Leos XIII. in Zeitschrift für prakt. Theol. XVI,
4. (1894).
23. General-Schematismus der kathol. Geistlich-
keit Deutschlands. I. Bayern. II. Köln, Münster, Pader-
born, Trier. Nach amtl. Quellen bearbeitet Passau. Bedaktion
des General-Schematismus 1894. — Dazu die Schematismen der
einzelnen bischöflichen Diöcesen: Schematismus der Diöcese
Brixen (Brixen 1894); Schematismus der Geistlichkeit des Bis-
tums Passau (Passau 1894); Schematismus der Geistlichkeit des
Erzbistums Bamberg (Bamberg 1894); Schematismus der Diöcese
Würzburg (Würzburg 1894) u. s. f. unter demselben Titel für
alle anderen Diöcesen Deutschlands und Österreichs.
P. Tschackert.
* 24» Paul Guerin, Lo Pouvoir Tempore 1. Etüde
sur la chute et sur le retablissement de la souverainete* terri-
toriale du pape. Lyon 1892, XI 384 S. Der Verfasser, Advokat
an dem Appellationsgerichtshof in Lyon, plaidiert mit grofser
Wärme für die Wiederherstellung der weltlichen Macht des Papstes.
Ihr Zusammenbruch war die Frucht des Hasses gegen die katho-
lische Beligion (S. 25), und alle Versuche, die gewaltsame Be-
seitigung der weltlichen Herrschaft des Papstes aus der italienischen
Einheitsbewegung und der schlechten Kegierung des Kirchenstaates
zu rechtfertigen, sind nichtige Vorwände (S. 55 — 96). Aber
wichtiger als die Erklärung des jetzigen Zustandes ist unserm
Publizisten der Nachweis, dafs die Wiederherstellung des früheren
notwondig ist Die ganze Menschheit braucht nur ein offenes
Auge für das, was ihr förderlich ist, zu erhalten, um dieselbe
dringend zu wünschen. Ist doch das Papsttum die Mutter der
christlichen Zivilisation, es hat die Sklaverei abgeschafft und die
Entfaltung alles menschlichen Wissens befördert, es war der
Schiedsrichter der Völker und will dies auch in Zukunft sein,
speziell zwischen Frankreich und Deutschland (dabei wird die
Rückgabe von Elsafs und Lothringen S. 156 als selbstverständ-
lich vorausgesetzt) u. s. w.; für das Papsttum selbst ist auf der
anderen Seite der Besitz des Kirchenstaates unerläßlich, wie Ver-
nunft und Geschichte beweisen. Und was hindert die Wieder-
herstellung des Status quo ante? Es stehen im Wege die Ein-
heit Italiens und die aus dem Gegensatz zwischen Frankreich und
Deutschland hervorgegangene Tripelallianz, vor allem aber, und
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NACHRICHTEN.
421
das ist die Hauptsache, die Macht der Freimaurer (S. 211 — 243).
Trotz alledem mufs die Zurückgabe des Kirchenstaates erfolgen,
denn die Revolution steht vor der Thür, welche nur durch das
restaurierte Papsttum niedergehalten werden kann. Aber wie die
Entwicklung rückgängig machen? Wir hören verschiedene Vor-
schläge, zunächst den eines freundschaftlichen Vergleichs zwischen
Papsttam und italienischer Regierung, und wenn die letztere sich
weigert, sollen die auswärtigen Mächte intervenieren und auf einem
Kongress die grossen internationalen Fragen lösen, und zwar die
Sklaverei in Afrika, die Arbeiterfrage, die Abrüstung Europas
und — la question du pouvoir temporel (S. 287). Die Neutrali-
sierung des Kirchenstaates unter Garantie der Grofsmächte ähnlich
der Belgiens und der Schweiz (S. 302) wird die Lösung bringen. —
Wir sehen also, dafs die Gedankenfolge des französischen TJltra-
montanen von der des deutschen sich nur dadurch unterscheidet,
dafs sie das nationale Kolorit schärfer hervortreten läfst.
Mirbt.
25. Th. Kolde, Die kirchlichen Bruderschaften
und das religiöse Loben im modernen Katholizismus.
Eine zeitgeschichtliche Studie. Erlangen 1895. Fr. Junge. 8°.
48 S. M. 0,75. Ein sehr interessantes und durchaus zeitgemäßes
Schriftchen, welches aus einem vom Verfasser im Februar d. J.
in Frankfurt a M. gehaltenen Vortrage hervorgegangen ist. Ver-
fasser ist es trefflich gelungen nachzuweisen, dafs der in unsern
Tagen auch an politischer Bedeutung immer mehr zunehmende
Ultramontanismus gegenwärtig hauptsächlich durch die gewaltig
entwickelten und ungemein geschickt organisierten Bruderschaften
gefördert wird. Kolde charakterisiert in dieser Hinsicht vornehm-
lich das Treiben der marianischen Kongregationen, der von den
Servitenmönchcn geleiteten Herz-Mariäbruderschaften, des grofsen
marianischen Sühnungsvereins , des Gebetsvereins Unserer lieben
Frau vom heiligsten Herzen, der seinen Hauptsitz in Innsbruck
hat, und der auf die Verehrung des heiligen Antonius von Padua
abzielenden Bruderschaft der Tertiarier unter dem Namen des
dritten Ordens des hl. Franziskus. Besonders dankenswert er-
scheinen die ausführlichen Mitteilungen über die von den Servtten-
mönchen herausgegebene Monatsschrift „Monatrosen, Sendbote des
heiligsten Herzens Mariae", redigiert von P. Joh. Paul M. Moser,
Servitenordenspriester. Innsbruck, Vereinsbuchhandlung, bis jetzt
24 Jahrgänge, nebst dem dazu gehörigen Nachrichtendienst unter
dem Titel „ Gnadenblüten *\ d. h. besonderen Gebetserhörungen
und die deutschen Organe des dritten Ordens, das FranzisciglÖck-
lein, Monatsschrift für die Mitglieder dos dritten Ordens des hl.
Franziskus (Innsbruck, ebendaselbst) und das kleinere vom Welt-
422
NACIIItICHTEN.
priester M. Müller zu Limburg a. d. Lahn herausgegebene Fran-
ziskusblatt. Leider beträgt, wie Verfasser angiebt, z. B. die Mit-
gliederzahl des Gebets Vereins Unserer lieben Frau vom heiligsten
Herzen 1 612 036 Personen, die des grofsen marianischen Snh-
nungsvereins etwa 50000, ein beredtes Zeugnis der Zeit
Löschhorn.
26. Felix Kor um, Wunder und göttliche Gnadenerweise
bei der Ausstellung des heiligen Rockes in Trier im Jahre
1891. Aktenmäfeig dargestellt. Trier 1894. Der Verfasser zählt
11 sichere „Wunder" und 27 „Gnadener weise" auf, welche durch
Berührung Kranker mit dem „heiligen Rocke" eingetreten sein
sollen. — Erwägt man, dafs bei der Ausstellung der Reliquie
circa 10000 bis 20000 Kranke sie berührt haben dürften, so
sind die 38 „Heilungen" ein geringer Prozentsatz. Die „Heilungen"
betreffen ferner fast alle irgendwie Gelähmte, unter diesen neun-
zehn ledige ältere weibliche Personen, nenn Kinder unter vierzehn
Jahren , sieben Männer und nur drei Ehefrauen ; ihre physische
Veränderung ist sehr leicht auf natürlichem Wege erklärbar,
nämlich durch „Selbstsuggestion". Der einzige schwer zu er-
klärende Fall ist die Heilung eines Lupus- Kranken; indes kann
Lupus, wie Tuberkulose, gelegentlich zum Stillstand kommen und
heilen, wie mir ärztlicherseits mitgeteilt ist — Zur Kritik dieser
Schrift: Fried r. Jaskowski, Der Trierer Rock und seine
Patienten vom Jahre 1891. Saarbrücken 1894.
(Leo XIII.:) Rundschreiben, erlassen am 22. Sept. 1891,
8. Sept. 1892 und 8. Sept 1893 von . . . Leo XIII., über den
marianischen Rosenkranz (deutsch und lat). Freiburg 1894.
(80 Pf.) — Rundschreiben, erlassen am 18. November 1893,
über das Studium der heiligen Schrift (deutsch und lat). Eben-
daselbst (69 S. gr. 8°) 70 Pf. — Sendschreiben v. 20. Juni
1894 (über die Vereinigung im Glauben). Ebendaselbst 40 Pf.
* 27. L. v. Hammorstein, Begründung des Glaubens.
Teil III, Katholizismus und Protestantismus. Mit
einer graphischen Darstellung der hauptsächlichsten christlichen
Konfessionen. (Trier 1894.) — Die vorliegende Schrift ist
eine jesuitische Polemik gegen den Protestantismus. Sie bildet
den dritten Band eines Gesamtwerkes, welches don Titel „Be-
gründung des Glaubens" führt (Der erste Teil war den „Gottes-
beweisen", der zweite dem Wesen des „Christentums" gewidmet)
Der Unterschied des römischen Katholicismus und des Protestan-
tismus wird in der Form eines Zwiegesprächs zwischen einem
lutherischen Pfarrer und einem römisch-katholischen Mönche der-
artig vorgeführt, dafs die jesuitisch-katholischen Argumente den
nach der äufsereu Einheit der Kirche strebenden Lutheraner
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NACHRICHTEN.
423
schliefslich zur Konversion bewegen. Ein echter Jesuitenkniff
(von befreundeter Seite als „Meistergriff" charakterisiert) ist die
beigegebene „graphische Darstellung der christlichen Konfessionen".
Eine objektive Geschichtsschreibung braucht sich meines Erachtens
mit diesem neuesten Produkte des Verfassers des „Edgar" nicht
zu beschäftigen; aber als Polemik gegen uns ist es pathologisch
interessant.
* $8. L* u ni versite* catholique. Revue mensuelle
publiee sous la direction d'un comitö* de professeurs des facultas
catholiques de Lyon (A Lyon, Facultas catholiques, 25 rue du
Plat et ä la librairie Emmanuel Vitte, place Bellecour 3). —
Noovelle se'rie. Tome XII (1 8 9 3) enthält zur Kirchengeshichte
p. 32 ff.: Die Fortsetzung und den Schlufs von C. Douais, „Lea
confessions de s. Augustin"; p. 61 ff. Die Fortsetzung und den
Schlufs von Comte Joseph Grabinski, „La renaissance catholique
en Angleterre et le cardinal Newmann"; p. 409 ff. Ant. Ricard,
„Le cardinal Fesch ä l'archevöchö de Lyon, d'apres des docu-
ments inödits"; p. 481 ff. Ph. Gönnet, S Francois de Sales et la
nouvelle Edition de ses oeuvres" (publikes) sur Tinvisitation de
Mgr. Isoard, äveque d'Annecy, par les soins des Religieuses de
la Visitation du premier monastere d'Annecy). — Tome XIII
(1893) p. 186 ff. R. P. Belon, Jean Brebal et la rähabilitation
de Joanne d'Arc; p. 58 ff. Pastor, Jean Janssen; Fortsetzung
p. 230 ff. 4 13 ff. — Über Charakter und Tendenz dieser Revue
ist früher berichtet
* 29. Geschicbt8b)ä*tter des deutschen Hugenotten-
Vereins. Zehnt III, Heft 1 bis 10. (Magdeburg. Heinricbs-
hofensche Buchhandlung 1894.) Durch dieses sehr lehrreiche
Unternehmen soll der Sinn für die Vergangenheit der hugenot-
tischen Gemeinden in Deutschland geweckt werden; die Hefte
1 — 9 sind daher mehr volkstümlich und allgemein verständlich
gehalten; das Schlufsheft aber bringt ansschliefslich Quellen zur
Geschichte reformierter Emigranten-Gemeinden. Der Inhalt ist im
einzelnen folgender : Heft 1 : Zur Geschichte der französisch-
reformierten Gemeinde in Altona, (v. F. Albreclit). — Heft 2:
Die Fremdenkolonie in Billigheim und Umgebung (v. Th.
Gflmbel). — Heft 3: Geschichte der wallonisch-reformierten Ge-
meinden zu Frankenthal (von Lic. Cuno). — Heft 4: Die fran-
zösische Kolonie in Halle a. S. (von G. Beelitz). — Heft 5 und
6: Die Waldensergemeinde Perouse in Württemberg (von W.
Kopp). — Heft 7 und 8: Die französische Kolonie in Bücke-
burg (von D. Fricdr. II. Brandes). — Heft 9: Die Waldenser-
kolonie Dorn holzhausen (von L. Archard). — Heft 10: Ur-
424
NACHRICHTEN.
kundon zur Geschichte hugenottischer Gemeinden in Deutsch-
land (herausg. von Lic. Dr. Henri Toll in) und zwar: Hessische
Urkunden zur Waldensergeschichte von 1699 bis 1717, Ha-
melnsche Urkunden, betreffend die dortige fanzösische Kolonie
von 1699 und Bückeburger Urkunden über die dortigen
Refugies von 1692 — 1738. Angehängt ist ein Register zum
III. Zehnt der hugenottischen Geschichtsblatter.
* 30. Richard Ehrenberg, Altona unter Schauen-
burgischer Herrschaft. VIIp*" Heft]: Die Jesuiten-
Mission in Altona. (Altona, J. Härders Verlag 1893, S.
1 — 70, gr. 8°). In einer Sammlung von Arbeiten, welche den
Zweck verfolgen, die Geschichte Altonas unter schauenburgischer
Herrschaft (von 1536 bis 1640) wissenschaftlich begründet zur
Darstellung zu bringen, ist dieses das siebente und letzte Heft.
Es behandelt einen lehrreichen Ausschnitt aus der Geschichte der
Gegenreformation. Unter dem Grafen Adolf XIV. (1592—1601)
begannen hier Jesuiten, die durch private Beziehungen zu aus-
ländischen, meist italien8chen Kanfleuten in Hamburg, wo sie
ansässig waren, Beziehungen genommen hatten, auch in Altona
mit Feuereifer ihr Bekehrungswerk und betrieben es mit vielem
Geschick, bis sie 1612 verjagt wurden. — Der Verfasser ist der
Meinung, dafs die Jesuiten, falls sie an der Religionsfreiheit teil-
nehmen dürfen, nur Zank und Unruhe in die Bevölkerung bringen.
Die Geschichte ihrer Mission in Altona giebt dafür einen neuen
Beweis. — F. Nägner, Zur Geschichte der Jesuiten- Mission in
Altona in „Zeitschrift des Vereins für Hamburger Geschichte".
Bd. IX, Heft 3 (1894).
* 31. A. L. Gräbner (Prof. der Theologie am Konkordia-
Kollege zu St.-Louis), Geschichte der Lutherischen Kirche
in Amerika. Erster Teil. (St. Louis, Mo., Concordia Publi-
shing House, 1892 f.; 726 S. gr. 8°.) Auf der Grundlage eines
reichhaltigen und hier zum erstenmale zusammengebrachten Ma-
terials erzählt der Verfasser in ausführlicher Breite die Schicksale
der lutherischen Pastoren, ihrer Gemeinden und Synoden in Amerika
vom 17. Jahrhundert bis zur ersten konstitutionellen Versammlung
der lutherischen Generalsynode zu Frederick in Maryland 1821,
aber ohne jeden Zusammenhang mit der politischen und der Kul-
turgeschichte. Wie man früher Missionsgeschichte schrieb, indem
man die Bekehrungsgeschichten der einzelnen Neophyten an ein-
ander reihte, so ist ähnlich auch dieses Buch verfafst Der
Charakter desselben wird aufserdem vom erbaulichen Interesse
beeinflufst. Dogmatisch führt sich uns der Verfasser als „einen in
allen Stücken bekenntnistreuen Lutheraner" vor; von diesem
Standpunkte aus habe er die geschichtlichen Erscheinungen ge-
schaut und dargestellt. Da zahlreiche Quellen benutzt sind, die
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NACHKICHTEN.
425
uns in Deutschland nicht zu Gebote stehen, so wird man das
Buch gern zum Nachschlagen benutzen, wozu ein beigefügtes Re-
gister gute Dienste leistet.
33. Ed. Siedersieben, Geschichte der Union in der
evang. Landeskirche Anhalts. Dessau, ß. Kahle, 1894. 175 S.
gr. 8°. [Auf pietistisch-refonniertem Standpunkte.]
33* A. Gindely, Geschichte der Gegenreformation
in Böhmen. Nach dem Tode des Verfassers hrsg. von Tb. Tu-
petz. Leipzig, Duncker & Humbl, 1893.
34. Carl v. Schmidt- Phiseldeck, Das evangelische
Kirchenrecht des Herzogtums Braunschweig. Wolfenbüttel
1894.
35. C. Grünhagen, Das Bistum Breslau nach dem
Tode Friedrichs d. Gr. in Zeitschr. des Vereins f. Geschichte u.
Altertum Schlesiens, Bd. XXVIII.
* 36. Gegenreformation auf dem Eichsfelde. Levin Frh.
von Wintzingeroda - Knorr , Die Kampfe und Leiden der Evan-
gelischen auf dem Eichsfelde während dreier Jahrhunderte.
Heft II (Halle, Max Niemeyer, 1893), 128 S. 8°. — Schriften
dos Vereins f. Bef.-Gesch. Nr. 42. Enthalt die Vollendung der
Gegenreformation und die Behandlung der Evangelischen auf dem
Eichsfelde seit der Beendigung des Dreifsigjährigen Krieges. Die
sehr lehrreiche Abeit schliefst mit einem Hinblick auf die eichs-
feldischen Verhältnisse der Gegenwart, die „wieder den Zuständen
vor 200 — 300 Jahren ähnlich zu werden beginnen4' (S. 113).
* 37. F. Frensdorff, Halle und Göttingen. Rede
. . . am 27. Januar 1894 im Namen der Georg - Augusts - Uni-
versität gehalten. Göttingen (Universitätsschrift). 28 S. gr. 8°.
In dieser auf sorgsamen Quellenstudien ruhenden Festrede be-
handelt der Verfasser den Einflufs der Universität Halle auf den
Betrieb der Wissenschaften überhaupt und auf die Gründung und
Leitung der Göttinger Universität im besonderen. Uns Theologen,
die wir seit Tholuck zu leicht geneigt sind, in Christian Tho-
masius nur den aufgeklärten oberflächlichen Publizisten zu sehen,
mufs der Nachweis seiner objektiv begründeten wissenschaftlichen
Bedeutung auf dem Gebiete des Rechtes sehr wertvoll sein.
Während das blofs gelehrte Wissen der Professoren des 17. Jahr-
hunderts eine Entfremdung der Wissenschaft vom Leben herbei-
geführt hatte, wird durch Thomasius in Halle die Wissenschaft
auf das im Leben Verwendbare zurückgeführt. In ihrer Weise
erstrebten die pietistischen Theologen dort Ahnliches. Die ganze
Universität repräsentiert daher eine „Abwendung vom Pedantis-
mus". In vielfachen Beziehungen wurde diese schnell aufgeblühte
Hochschule für die Stiftung der Universität Göttingen mafsgebend,
und erwähnt mag nur noch besonders werden, dufs ihr erster
426
NACHRICHTEN.
gefeierter Kurator, Gerlach Adolf von Münchhausen, in dessen
Hand ihre Geschicke fast ein halbes Jahrhundert lagen, selbst
in Halle studiert und der Halleschen Universitätseinrichtung den
Vorrang vor der Jenaischen gegeben hatte. Münchhausen hatte
in Halle als aufmerksamer Zuhörer von Thomasius „die Verhält-
nisse aufmerksam beobachtet und die Methode der Dozenten
ebenso wie die wissenschaftlichen nnd sozialen Zustände unter
Professoren und Studenten" kennen gelernt. Es war auch kein
Zufall, dafs er als Kurator von Göttingen in die theologische
Fakultät gerade Lorenz von Mosheim berief, dem bei seiner hohen
Wissenschaftlichkeit doch auch das beste Teil vom Pietismus
eigen war, die Betonung des praktischen Christentums und die
Erhabenheit über allen schulmäfsigen Formalismus.
*38. Waldenserkirche. Jahresbericht über die
Evangelisations-Th ätigkeit der Waldenserkirche in
Italien (für das Jahr 1893). Herausgegeben von Dr. M. Pro-
chet, Präsident des Evangelisten- Komitees in Rom 1894. — Die
Waldenserkirche arbeitet danach in der Stille weiter; ein greif-
barer Fortschritt ist in ihren Erfolgen nicht zu konstatieren. Sie
zählt 44 Gemeinden mit 141 angestellten Arbeitern und 55 Sta-
tionen; sonntagliche Zuhörer 7408, gelegentliche Hörer 53862,
Kommunikanten 4871. Aber die Waldenser arbeiten in unent-
wegter Hoffnung fort, und auch über ihre zur Zeit „höchst
schwierige" finanzielle Not hoffen sie mit Hilfo der evangelischen
Glaubensgenossen, an welche sie hier „einen besonderen Not-
schrei" richten, hinwegkommen zu können.
39. Franz Blanckmeister, Die theologische Fakultät
der Universität Leipzig. Geschichte einer altberühmtcn theo-
logischen Bildungsstätte. Leipzig 1894. [Populäre Broschüre.]
*40. HenriTollin, Geschichte der französischen
Kolonie von Magdeburg. Jubiläumsschrift. Bd. III, Abtl.
1, B (Magdeburg, Verlag der Faberschen Buchdruckerei, 1893.
896 S. 8°). Dieser Teil der umfassenden Jubiläumsschrift soll
auf geschichtlichem Wege uen Nachweis der Leistungen der
Magdeburger französischen Kolonie erbringen; sein Spezialtitel
lautet: ., Vom Nutzen des Refuge insbesondere in Magdebnrg".
Dieser Nachweis ist dem ungemein belesenen und unermüdlich
fleifsigen Verfasser aufs glänzendste gelungen. Er handelt zu-
erst von „den Militärs und dem Adel der französischen Kolonie
von Magdeburg"; dabei führt er uns unter den französischen Offi-
zieren Magdeburgs 6 Generalissimi, 3 Generale der Infanterie,
16 Generallieutenants, 16 Generalmajors, 13 Oberstlieutenants,
22 Majors, 40 Hauptleute uud 58 Lieutenants vor. Dem huge-
nottischen Adel Magdeburgs, dessen Prinzip war „sauver nos
ämes", zollt Tollin hohe Bewunderung. In einem zweiten Teile
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NACHRICHTEN.
427
wird der Einflufs der hugenottischen Kolonie Magdeburgs auf
Fabrikwesen, Handel und Handwerk nachgewiesen; wir sehen
französische Grofsmanufakturen , französische Mühlen, aber auch
Kleinbetriebe mannigfachster Art entstehen. Die bunten Mit-
teilungen darüber verdienen alle Beachtung vonseiten der Kultur-
historiker Deutschlands ; aber auch der Kirchenhistoriker wird mit
Bewunderung den Segen betrachten, welcher unsenn Vaterlaude
aus der Aufhebung des Ediktes von Nantes erwachsen ist Die
BenuUbarkeit auch dieses starken Bandes hat der Verfasser durch
Hinzuziehung eines detaillierten Inhaltsverzeichnisses und sorgsam
angefertigten Registers wesentlich erleichtert. — Bd. III, Abtl.
1, C (1894. 1326 S. 8°). Mit bewunderungswürdiger Detail-
kenntnis hat der unermüdlich fleifsige Schriftsteller hier die Ge-
schichte seiner Gemeinde geschrieben, um den Beweis zu er-
bringen, dafs innerhalb der Kirche des Befuge in Freufsen der
mag-de burgischen Gemeinde ein Ehrenplatz gebührt. Er behandelt
zu diesem Zwecke den Gottesdienst, die Kirchenbeamten, die
kirchlichen Gebäude, die Arbeiten des Presbyteriums und das
Verhältnis der Magdeburger französischen Gemeinde zu den andern
evangelischen Gemeinden Magdeburgs, zu den französisch - refor-
mierten der Provinz Sachsen, zum Consistoire francais de Berlin
u. s. w. Seiner Gemeinde hat der Verfasser ihre Geschichte
festgelegt und sich daduich ein grofses Verdienst erworben; wir
Nicht-Magdeburger können eine Kirchengemeinde einer einzelnen
Gemeinde von 1326 Seiten nur als Nachschlagebuch gebrauchen,
was der Verfasser uns durch sein sorgsames Register erleichtert
hat Der Standpunkt des Verfassers ist durch seine zahlreichen
andern Publikationen bekannt; in seinem Denken durchaus huge-
nottisch, meiut er hier (S. 1263): „Calvin nabin die Welt;
Luther Deutschland", plädiert aber begeistert für eine freie Union
zwischen Lutheranern und Reformierten, jedoch unter zäher Fest-
haltung und Weiterbildung der reformierten Kirche. Dem „Staats-
episkopat" sagt er (S. 1290) „Gemeingefahrlichkeit" nach.
41* F. Scheichl, Bilder aus der Zeit der Gegenrefor-
mation in Österreich, im Jahrbuch der Gesellschaft für die
Geschichte des Protestantismus in Österreich, 15. Jahrg., 1. Hft
(1894).
* 42. L. Schauenburg (Pastor) , Hundert Jahre
Oldenburgischer Kirchengeschichte von Hamelmann
bis auf Cadovius (1573—1667). Ein Beitrag zur Kirchen- und
Kulturgeschichte des 17. Jahrhunderts, 1. Bd. (Oldenburg, Richard
Stalling, 1894. 487 S. 8°. Preis 9 Mk.). Da es bis jetzt eine
Gesamtkirchengeschichte des heutigen Grofsherzogtums Oldenburg
nicht giebt, so ist diejer Ausschnitt, welcher die Kirchengeschichte
der alten Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst vom Amts-
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428
XACIIIilCHTEN.
autritt des ersten lnth. Superintendenten Hamelmann 1573 bis
zum Tode des oldenburgischen Grafen Anton Günther 1667 ent-
hält, sehr willkommen zu heifsen. Gegen diese Abgrenzung des
Stoffes ist nichts einzuwenden. Der Verfasser beherrscht sein
Gebiet ausgezeichnet, hat streng sachlich, aber mit innerer Teil-
nahme am Gegenstande geschrieben; und nicht nur kirchen-
geschichtliches Material im engern Sinne bietet er, sondern auch
kulturgeschichtliche Mitteilungen von allgemeinem Interesse, wie
Güter- und Bauverhältnisse, Bildungsstand, Volksschulwesen
u. dgl., sind in dankeswertester Weise eingeflochteu. Das Buch
ist reich an bisher unbekannten, aus archivalischen Quellen ge-
schöpften Einzeldaten über Einzelgemeinden, Superintendenten und
Fastoren der oldenburgischen Grafschaft und wird gerade dadurch
die Forschung auf dem Gebiete der niedersächsischen Kirchen-
geschichte erheblich fördern. Dringend notwendig ist aber ein
Register über Personen und Sachen, welches hoffentlich im Schlufs-
bande dieser wertvollen Arbeit nicht fehlen wird.
*45. J. Pfotenhauer, Die Missionen der Jesuiten
in Paraguay, drei Teile (Gütersloh, Bertelsmann, 1893. 3. Teil).
Eiue sehr fleifsig nach den Quellen gearbeitete Schrift; ihr Ver-
fasser sieht in dem Zusammenbruch des Missionsstaates ein
Gottesgericht über die jesuitische Mission.
44. Hof mann, Keformationsgeschichte der Stadt Pirna.
Nach urkundlichen Quellen dargestellt. [Aus: Beiträge z. sachs.
Kirchengesch. 1893.] Loipzig, Glauchau, A. Peschke, 1894.
329 S. gr. 8°.
45. Max Lehmann, Preufsen und die katholische
Kirche seit 1640. 7. (Schlufs-)Teil. Leipzig 1894. [Behandelt
die Zeit von 1793 bis 1797 und bringt Nachtrüge zu allen
Teilen.]
*4<i. Johannes Sembrzycki, Die polnischeu Be-
formierten und Unitarier in Preufsen. Nach gedruckten
und ungedruckten Quellen. Königsberg i. Pr. , Ferd. Beyers
Buchhandlung (Thomas & Oppermann), 1893. (Sonderabdruck
aus „Altpreufs. Monatsschrift M, Bd. XXX, 1. 2, S. 1—100.) —
Der um die Geschichte des Protestantismus in Polen sehr ver-
diente Autor (ein Nicht -Theologe in Ostproufsen) hat hier auf
Grund zahlreicher Handschriften und Druckwerke wieder einen
schätzbaren Beitrag zur polnischen Reformations- und ostpreufsi-
schen Provinzialgeschichte geliefert. Da er bei uns in Deutsch-
land einer der wenigen Schriftsteller ist, welche die polnische
Sprache verstehen und zugleich mit Liebe die Geschichte der
evangelischen Polen durchforschen, so darf er für jede Arbeit,
welche seine sachkundige Feder uns schenkt, auf unser dank-
bares Interesse rechnen. Die vorliegende Arbeit handelt I) von
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NACHRICHTEN.
429
den litauisch - polnischen Beformierten bis zum Vertrage von
Wehlau 1657; II) von den Unitariern in Ostpreufsen; III) von
den litauisch - polnischen Beformierten seit Ernennung Boguslaws
Badziwill zum Statthalter bis zur Gründung der Königsberger
Gemeinde und IV) von der polnisch - reformierten Gemeinde in
Königsberg bis zum Tode des letzten polnischen Pfarrers Stephan
Wannowski (gest. 1812). In einem Anhange giebt Sembrzycki
eine Übersicht über die aus dem polnischen Litauen stammenden
Studenten der Universität Frankfurt a. 0. — Wenn es dem Ver-
fasser nun auch gelange, eine Geschichte der polnischen Re-
formationsbestrebungen von etwa 1524 an (das ist wohl der An-
fang?) zunächst bis zum Tode Sigismunds I. , sodann bis 1572,
aus sicheren Quellen zu geben — das könnte uns ein grofser
Gewinn sein!
47. Kleinert, Der preufsische Agenden-Entwurf
in Theol. Stud. u. Krit. 1894, 3. — Th. Förster, Bedeutung
und Gebrauch des apost. Bekenntnisses im Kultus mit Bezug auf
die neue Agende. Hallo 1894. P. Tschackert.
* 48. U. Trusen, Das preufsische Kirchenrecht
im Bereiche der evangelischen Landeskirche. Zum praktischen
Gebrauche für Geistliche, Richter und Verwaltungsbeamte aus der
Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung erläutert. Zweite
Auflage. Berlin, J. Guttentag, 1894. XII u. 724 S. Hierzu
ein im gleichen Jahre erschienener Nachtrag S. 725 — 739. —
Das Buch ist, wie srhon der Titel bemerkt, nur zum prakti-
schen Gebrauche bestimmt und erfüllt diesen Zweck in treff-
licher Weise. Es bringt den gegenwärtigen Rechtszustand
der preufsischeu evangelischen Landeskirche zur übersichtlichen
Darstellung, indem es die wichtigeren Kirchengesetze und Staats-
gesetze kirchlichen Inhalts abdruckt und unter dem Texte Re-
skripte des Oberkirchenrats, Verfügungen des Kultministeriums,
Erkenntnisse der obersten Gerichtshöfe etc. zur Erläuterung bei-
fügt. Dafs Verfasser nicht wenigstens den Text der Rheinisch-
Westfälischen Kirchenordnung mitteilt, bedauern wir; es ist dies
ein Mangel des Werks, der durch den im Vorwort angegebenen
Grund nicht gerechtfertigt wird. Störend ist es ferner, wenn
der Text durch die Erläuterungen und ergänzenden Mitteilungen
mehrere Seiten lang unterbrochen wird (vgl. z. B. S. 126 — 136,
wo unter dem Text ein Kirchengesetz mit 59 Paragraphen ab-
gedruckt ist, das besser in den Anhang verwiesen würe). Der
Nachtrag giebt u. a. insbesondere das wichtige Staatsgesetz vom
28. Mai 1894, das die kirchliche Gesetzgebung von einigen
Fesseln der staatlichen befreit. Die äufsere Ausstattung des
Buches verdient alles Lob. Sieker.
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430
NACHK1CHTEN
49. Dr. Friedrich Biene mann jun., Werden und Wachsen
einer deutschen Kolonie in Süd-Rufs land. Geschichte der
ev.-luth. Gemeinde zu Odessa. Riga 1893. 460 S. gr. 8°. —
Quellenmäßig und mit urkundlichen Beilagen.
50. H. Wäntig, Die Verfassungsgesetze der ev.-luth.
Landeskirche des Königreichs Sachsen sowie die für dieselbe
erlassenen Gesetze und Verordnungen. Leipzig 1894. 563 S. 8°.
*51. Beiträge zur sächsischen Kirchengeschichte,
heransg. von Dibelius und Brieger. 9. Heft. Leipzig 1894.
272 8. gr. 8°: Georg Müller, Verfassungs- und Ver-
waltnngsgeschichte der sächsischen Landeskirche.
Der Verfasser, Oberlehrer am Wettiner Gymnasium zu Dresden,
hat in der Gehe-Stiftung daselbst, welche das Interesse an der
Verwaltung von Staat und Gemeinde fordern will, über obiges
Thema neun zusammenhängende Vorträge gehalten, von denen im
vorliegenden „Hefte" ihrer fünf gedruckt vorliegen; sie behan-
deln auf Grund eines reichen gedruckten und handschriftlichen
(archivalischen) Quellenmaterials das Gebiet der sächsischen
Landeskirche, das landesherrliche Kirchenrogiment, die kirchlichen
Behörden, die Kirchenvisitationen und Kirchenorduungen, Lehre
und Bekenntnis, Bekenntnisverpflichtung und Zensur. Bin dankens-
wertes Register erhöht die Brauchbarkeit dieses trefflichen Werkes,
das weit über die Grenzen der sächsischen Landeskirche hinaus
Beachtung verdient.
* 52. Franz B lanckmeister: „Aus dem kirchlichen
Leben des Sachsenlandes". Kuliurbilder aus vier
Jahrhunderten. Leipzig, Druck und Verlag von Fr. Richter,
1893. — Der verdienstvolle Herausgeber der Zeitschrift „Das
Pfarrhaus", Pastor Blanckmeister in Dresden, ist seit langer Zeit
damit beschäftigt, den Sinn für die Kirchengeschichte seines
engeren Vaterlandes in den weiteren Kreiseu der Gebildeten da-
selbst zu wecken, weil es nach seiner Angabe dort noch an
Kenntnis der kirchengeschichtlicben Vergangenheit fehlt Mit
liebevollem Verständnis und reichem Wissen bietet er zu diesem
Zwecke die vorliegenden „Kulturbilder" in einzelnen Heften. Im
orsten Hefte zeichnet er den „sächsischen Volkscharakter*' und
sein Verhältnis zum Evangelium; im zweiten bespricht er „die
erste theologische Zeitschrift", die noch heute wertvollen „Un-
schuldigen Nachrichten" Löschers; im dritten „die sächsischen
Bufctage". P. Tschackert.
53. Seinem Aufsatze über das Breslauer Bistum nach dem
Tode Friedrichs des Grofsen in Bd. XXVIII der Zeitschrift des
Vereins für Gesch. und Altert. Schlesiens hat C. Grünhagen
kürzlich in Bd. XXIX (1895), S. 35fT. eine lehrreiche Studie
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NACHRICHTEN.
431
über „Die kath. Kirche in Schlesien am Ausgange
des vorigen Jahrhunderts" folgen lassen. Man sieht hier,
wie die Aussöhnung des kath. Klerus mit der preufsischen Herr-
schaft durch den Schrecken gefördert wurde, den Josephs II. sich
übersteigende Reformen hervorriefen. Preufsens kühl ablehnende
Haltung gegenüber den Bestrebungen des deutschen Episkopats
von 1786 führte die freundlichsten Beziehungen zwischen Born
und Berlin herbei. Zahlreiche Mitteilungen* illustrieren das kol-
legiale, freundschaftliche Verhältnis, da« zwischen beiden Kon-
fessionen unter der A.ufklärungszeitströmung auf den verschie-
densten Gebieten der kirchlichen Praxis Platz griff. Auch die im
ganzen sehr wohlwollende Behandlung der Klöster durch die Re-
gierung findet urkundliche Beleuchtung. G. Kawerau.
* 54. Strafsburger Theologische Studien, herausg.
von Ehrhard und Müller. 2. Band, 1. Heft: Die Strafsburger
Diöces an synoden von M. Sdralok. Freiburg im Breisgan
1894. 168 S. gr. 8°. Der Verfasser erzählt in dem ersten
Teile seines Buches die Geschichte der Strafsburger Diöcesan-
synoden vom Ende des zehnten bis in das siebzehnte Jahrhundert,
wo noch unter französischer Zeit Synoden zu Strafsburg gehalten
worden sind. Seine Erzählung ist lediglich wissenschaftlich ge-
halten, so dafs die Geschichte des Strafsburger Klerus eine sehr
dankenswerte Bereicherung erfährt. Der Standpunkt des Ver-
fassers ist der streng vatikanisch gläubige, wonach Synoden Über-
haupt nicht mehr nötig sind; sie kommen nur noch als „ausser-
ordentliche kirchliche Begier ungsmittel" in Betracht, und es sei
„unleugbar, dafs ihre Zwecke durch die modernen Verkehrsmittel
rascher erreicht werden können Im zweiten Teile berichtet der
Verfasser über die Handschriften der Strafsburger Synodalstatuten
nnd veröffentlicht eine wertvolle Reihe von Aktenstücken zur
Strafsburger Kirchengeschichte des 14. Jahrhunderts.
55. Prof. Dr. Herrn. Zschokke, Geschichte des Metro-
pol itankapitels zum heil. Stephan in Wien [nach Arcbivalien].
Wien 1894. 428 S.
50. Mart. Beck, Abraham a Sancta Clara. Ein
Erinnerungsblatt u. s. w. Wissenschaftliche Beilage Nr. 79 der
Leipziger Zeitung (1894).
57. Prof. D. theol. Michael Baumgarton. Ein aus
45jähr. Erfahrung geschöpfter Beitrag zur Kirchenfrage. Ans
handschriftlichem Nachlafs herausgegeben von Past. H. H. Studt
2 Bände. Kiel, Homann (1891).
58. Fr. Leitschuh, Franz Ludwig von Ertbal,
Z«itscbr. f. K.-G. XVII, 3. 28
432
NACIJ RICHTEN.
Fürstbischof von Bamberg und Würzburg, Herzog tob Franken.
Ein Charakterbild nach den Quellen bearbeitet Mit 10 Voll-
bildern. Bamberg 1894 (256 S. 8°). — [Ein Panegyrikus auf
den josephinisch aufgeklärten Prälaten, den der Verfasser noch
über Friedrich II. („den Einzigen") und über Joseph II. er-
hebt]
* 59. (Georg Forster.) Deutsche Litteraturdenk-
male des 18. unQ 19. Jahrhunderts, begründet von
B. Seuffert u. s. w. 46/47: Ausgewählte kleine Schrif-
ten von Georg Forster, herausg. von Alb. Leitzmann.
(Stuttgart, Göschensche Verlagshandlung, 1894. 165 S. 8°.) —
Georg Förster, der bekannte Mainzer Demokrat zur Zeit der
französischen Bevolutiou soll, dazu will diese Ausgabe helfen,
nachdem er „über Gebühr vernachlässigt und fast vergessen"
sei, „seine wohlverdiente Stellung unter den Klassikern des deut-
schen Gedankens und der deutschen Prosa" wieder erhalten.
Unter den acht hier neu gedruckten kleineren Schriften inter-
essiert uns (Nr. VI) die „über Prosely tenmacherei " (1789),
worin Forster sein eigenes rein individualistisches Glaubens-
bekenntnis gegen jeden Despotismus, religiösen wie politischen,
klar und umfassend niedergelegt hat (S. 107 — 137 bei Leitz-
mann); er verlangte Freiheit, politische und Gewissensfreiheit, als
Unbeschränktheit des Individuums. Seine darauf bezüglichen
Grundgedanken finden sich hier S. 136. 137.
* 60. Hugo Landwehr, Die Kirchenpolitik Fried-
rich Wilhelms, des Grofsen Kurfürsten. Auf Grund
archivalischer Quellen. (Berlin, Ernst Hofmann & Co., 1894.
385 S. 8°.) — Über die evangelische Kirchenpolitik des Grofsen
Kurfürsten wird hier zum erstenmal auf Grund umfassender Ar-
chivalien berichtet, während wir aus Max Lehmanns grofsem
Werke „Preufsen und die katholische Kirche, 1. Band die ka-
tholische Kirchenpolitik dieses Fürsten bereits kennen. Neu ist an
Landwebrs Darstellung aus der Fülle von bisher unbekannten ein-
zelnen Thatsachen die Gesamtauffassung, wonach die bisherigen land-
läufigen Darstellungen die Lutheraner als Friedenstörer erscheinen
lassen, während nach Landwehrs Urteil die Beformierten ebenso
kampflustig waren als ihre Gegner. Sodann, was den Kurfürsten
selbst betrifft, so habe er überhaupt keine sogenannte kirchliche
„Unionspolitik" getrieben, sondern „eine brüderliche Verträglich-
keit" der Lntheraner und der Reformierten angestrebt, weil es
ihm als Landesherrn darauf angekommen sei, dafs seine Religion
nicht von seinen lutherischen Landeskindern als ketzerisch an-
gesehen, sondern als gleichberechtigt mit der ihrigen anerkannt
werde. Der Verfasser behandelt in zwei Teilen die Kirchenpolitik
des Kurfürsten 1) gegenüber dem deutschen Reiche, 2) gegen-
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NACHRICHTEN.
433
über seinem eigenen Lande. Ob dafür die gewählten Titel
„ Reichspolitik" und „ Lnndespolitik " richtig sind, ferner ob die
Reihenfolge dieser beiden Teile glücklich gewählt ist, bleibt frag-
lich, doch ist dies Nebensache. Das Buch bringt eine sehr
wertvolle Bereicherung unserer Kenntnis der Kirchengeschichte
des 17. Jahrhunderts.
* 61. (Götze.) „Deutsche Litteraturdenkmale des
18. und 19. Jahrhunderts, begründet y. Seuffertu. s.w.
43/45. Goezes Streitschriften gegen Lessing. Her»
ausgegeben von Erich Schmidt. (Stuttgart, Göschensche Verlags-
handlung 1893) — Die Gerechtigkeit des Historikers gebietet,
dafs neben Lessing auch dessen orthodoxer Gegner zu Worte
kommt; deshalb müssen wir es mit Freude begrüfsen, dafs der
Herausgeber dieser musterhaften Edition „zu Leasings Blättern
die Urkunden seines Gegners legt". Die Ausgabe enthält die
Neudrucke von Johann Melchior Götzes folgenden zwei Streit-
schriften: 1. „Etwas Vorläufiges gegen des Herrn Hofrate Lessing
mittelbare und unmittelbare feindselige Angriffe auf unsere aller-
beiligste Religion und auf den einigen Lehrgrund derselben, die
heilige Schrift" (Hamburg 1778) und 2. „Lessings Schwächen
gezeigt von J. M. G.u. Drei Stücke (Hamburg 1778). Dazu
einen Anhang: Aus den „Frey willigen Beyträgen zu den Ham-
burgischen Nachrichten aus dem Reiche der Gelehrsamkeit" (Ham-
burg 1774 — 1778) und Beitrag zum „Reichs-Postreuter" (Altona
1777 — 1780). P. Tschackert.
63. Karl Fey, Gustav Adolf im Lichte der Geschichte.
Eine Antwort auf die ultramontanen Verlästerungen des Schweden-
königs. Flugschriften des Evangelischen Bundes. 100/101. IX.
Reihe 4/5. Leipzig 1894. C. Braun. 8°. 48 S. Hk. 0.50. Ein
interessantes und wegen der gewonnenen Resultate recht beachtens-
wertes Schriftchen. Es richtet sich hauptsächlich gegen die be-
kannten ultramontanen Geschichtsschreiber Gfrörer, Onno Klopp,
Jannssen, Knie und Annegarn, aber auch gegen die protestan-
tischen Historiker H. Leo, K. A. Menzel und stellenweise gegen
des jüngeren Droysen vielgelesenes Werk: „Gustav Adolf", das
in seinen Ergebnissen von denen des älteren Droysen (Geschichte
der prenfsischen Politik. III, 1, 102 — 105) wesentlich abweicht.
Verfasser zeigt an der Hand namentlich von Ranke, Opel : „Onno
Klopp und die Geschichte des Dreifsigjährigen Krieges". 1862,
S. 83, Venedeys Kritik des Kloppschen Werkes in Sybels „Histor.
Zeitschr." 1862, S. 381-444, Wittich: „Magdeburg, Gustav
Adolf und Tilly" I, S. 600—502. 503. 564 f., der sehr wich-
tigen Schrift von E. Gutjahr: „König Gustav Adolfs Beweggründe
zur Teilnahme am deutschen Kriege, auf Grund bes. der schwe-
28*
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4 34
NACH RICHTEN.
dischen Quellen aus den Jahren 1629 und 1630". S. 71 (gegen
Droysen), Kluckhohn: „Über Gustav Adolf" im 45. Bericht des
Gottinger Hauptvereins der evangelischen Gustav Adolf-Stiftung.
1891, S. 14 f. und S. 18 f. u. a,, dafs die alte Ansicht über
Gustav Adolfs Person und Absichten die einzig richtige ist, wenn
auch unzweifelhaft feststeht, dafs den König, welcher sich, wie
Fej S. 22 treffend hervorhebt, in einer ähnlichen Lage befand
als Friedrich der Grofse vor Ausbrach des Siebenjährigen Krieges,
in zweiter Linie politische Beweggründe nach Deutschland führten.
Schließlich stimmt Verfasser mit Recht den Urteilen Schillers,
£. M. Arndts, G. Freytags und besonders des Kirchengeschichts-
schreibers Kahnis: „Per innere Gang des deutschen Protest".
3. Auflage I. S. 75 — 78, wie auch Moltkes: „Gesammelte Schriften".
II. S. 185—187 bei. LöscMwrn.
63. Emil Gutjahr, König Gustav II. Adolfe von Schweden
Beweggründe zur Teilnahme am deutschen Kriege, auf Grund
besonders der schwedischen Quellen aus den Jahren 1629 und
1630. Der evangelischen Schule ein Beitrag zur dreihundert-
jährigen Gedenkfeier an Gustav Adolfs Geburt. Leipzig 1894.
72 S. 8°. [Der Verfasser weist als Haoptschlüssel zur Erkennt-
nis der Beweggründe Gustav Adolfs das Schreiben desselben an
Oxenstjerna vom 18. Februar 1629 nach, in welchem der poli-
tische Beweggrund als Voraussetzung (aber nur als diese) zum
religiös'en Beweggrund erscheint: Die Freiheit Schwedens sei
die Grundlage der Freiheit der evangelischen Kirche vom Papste.
Droysen und andere Historiker haben dieses Schreiben nicht be-
rücksichtigt]
»64. Karl von Hases Werke. Band VIII. Theo-
logische Streit- und Zeitschriften. 2. Abteilung.
Theologische Ährenlese I und II. Leipzig 1892. — Die
vorliegende, von D. Gustav Frank herausgegebene Sammlung von
circa 90 kleineren Arbeiten Uases aus den Jahren 1824—1880
verdient das sorgsamste Interesse aller, welche sich wissenschaft-
lich mit der Kirchengeschichte des XIX. Jahrhunderts zu be-
schäftigen haben. Mit gutem Grunde hat der Herausgeber sie
sachlich nicht chronologisch geordnet. „Zur Kirchengeschichte"
befinden sich darin 23; „Zu Kirchenrecht und Kirchenverfassung tf
9; „Zur Geschichte des Gegensatzes von Rationalismus, Super-
naturalismiis und Orthodoxie 13". — Aber auch die übrigen
Rubriken „Zum Leben Jesu", „Zur Dogmatik" und „Verschiedenes"
bringen kirchengeschichtlich interessante Beiträge. Die wichtigsten
änfseren Vorgänge in der Geschichte der Kirche und tief ein-
greifende innere Fragen werden hier mit der bekannten geist-
vollen Eigenart des Verfassers besprochen; seine Persönlichkeit
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NACHRICHTEN.
435
tritt gerade hier mit ihrem wahrhaft glänzenden Reichtum an
Geist und Wissen hervor; aber abgesehen von diesem persönlichen
Charakter scheint mir der hohe Wert dieser reichen Sammlung
darin zu liegen, dafs es der für die neue Zeit, die ihn umgab,
voll aufgeschlossene Kirchenhistoriker ist, der zu uns spricht von
seinem Kampfe gegen den vulgären Rationalismus an bis „zum
anfangenden Ende des Kulturkampfes". Es ist hier unmöglich,
die Titel aller einzelnen Arbeiten anzugeben. Dem Herausgeber
aber und der Verlagsbuchhandlung mag man gratulieren, dafs es
ihnen gelungen ist, diese reiche „Ährenlese" zusammenzubringen;
es sind der Ähren recht viel volle darunter.
P. Tschacker t.
* 65. G. A. Deissmann, Johann Kepler und die Bibel.
Ein Beitrag zur Geschichte der Schriftautorität. Marburg 1894.
N. G. Elwertsche Yeilagsbnchbandiung. 8°. Mk. 0. 60. 34 S. ist
eine verdienstliche Arbeit, welche mit schlagenden Gründen nach-
weist, dafs Luther und Kopernikus sich gegenseitig nicht ver-
standen, vielmehr dio lutherische Theologie sich erst in Kepler
mit der Astronomie versöhnt. Im einzelnen wird gezeigt, dafs
Kepler in echt protestantischer Weise die grundlegende Bedeu-
tung und religiöse Autorität der Bibel klar ausgesprochen, sowie
den religiös-sittlichen Gehalt derselben von andern nicht in das
Glaubensgebiet gehörigen Schriftaussagen sehr wohl unterschieden,
also schon die Grundlagen zur Lösung des Problems über das
Verhältnis der Bibel zur Naturwissenschaft richtig gefunden hat.
Das gesamte einschlägige Material, namentlich auch das der
neuesten Zeit, ist mit kritischem Urteil benutzt, auch sind mit
Recht oft die eigenen Worte Keplers als Belege angeführt.
Löschhorn.
06. Anna de Lagarde, Paul de Lagarde, Er-
innerungen aus seinem Leben. Göttingen 1894. 191 S.
* 67. J. Kont, Lessing et l'antiquitä. Etüde sur
l'hellenisme et la critique dogmatique en Allemagne au XVII1C
siecle. Tome premier. Paris 1894, 314 S. 8°. Das Werk ist
eine Studie über die Pflege des klassischen Altertums vonseiten
der deutschen Litteratur im 18. Jahrhundert, speziell über die Be-
ziehungen Lessings zur altklassischen Litteratur. Die „critique
dogmatique en Allemagne au XVIIF siecle" ist im vorliegenden
Bande noch nicht berührt. Man wird in Deutschland mit grofsem
Interesse davon Kenntnis nehmen, dafs dem französischen Publi-
kum in diesem Buche zugemutet wird, sich mit dem Manne näher
zu beschäftigen, dessen schriftstellerische Art nach Form nnd
In alt ihm nicht kongenial ist. Der Verfasser mufs doch, so
436
XACIUUCHTKN.
vermuten wir, auf ein starkes Bedürfnis der Franzosen nach
intensiver Beschäftigung mit deutscher Litteratur rechnen können.
68. G. Richter und F. Nippold, Richard Adalbert
Li peius. Zwei Gedächtnisreden. Jena 1893. Separat aus „Zeit-
schrift für Thüringer Geschichte und Altertumskunde" Bd. XVII.
69. Frz. B lanckmeist er, Aus dem Leben D. Valentin
Löschers, in Beitrage zur sächsischen Kirchengeschichte.
Leipzig 1893.
70. J. Friedrieb, Johann Adam Möhler, der Symbo-
liker. [Aus ungedruckten Papieren.] München 1894. 139 S.
71. J. L. Schultze, D. Julius Müller als Ethiker, in
Neue Jahrbücher für deutsche Theologie 3 Bd. (1894) Heft 3.
*7*2. F. Frensdorfs Briefe König Friedrich Wil-
helns I. von Prenfsen an Hermann Beinhold Pauli.
Herausgegeben und eingeleitet von F. Frensdorf!. Göttingen
Dieterichsche Verlagsbuchhandlung 1893. S. 1 — 58 in 4°. (Se-
paratabdruck aus den Abhandlungen der K.-Ges. der Wissen-
schaften in Göttingen, Bd. XXXIX.) Der Name des verstorbenen
Göttinger Historikers Pauli ist auch den Kirchenhistorikern wohl
bekannt. Aus dessen Nachlasse stammen die vorliegenden vier-
zehn Briefe, welche König Friedrich Wilhelm I. an den refor-
mierten Domprediger G. R. Pauli in Halle (geb. 1682 zu Marburg,
in Halle seit 1728, gest. 1750) geschrieben bat. Da die Familie
Pauli aus Danzig stammt, geleitet uns der Herausgeber dieses
Briefwechsels zuerst in diese altberühmte Handelsstadt und führt
uns in ihrem reichen Kulturleben die wichtigsten Glieder der in
Rede stehenden Familie vor. Das Bild ist, dank der umfassend-
sten Beherrschung der Quellen und der meisterhaft geübten Kunst
der Kleinmalerei, ein höchst anziehendes, ein schönes Stück
Kirchengeschichte Westpreufkens , das besonders die Freunde der
Geschichte in Altprenfsen sich nicht sollten entgehen lassen. Die
edierten Briefe selbst gehören in die Zeit von 1727 bis 1740.
Sie bieten interessante Beiträge zur Kenntnis der Persönlichkeit
des königlichen Schreibers. In Nr. 3, vom 22. Dezember 1731
bekennt sich der König selbst zur „alleinseligmachenden Lehre
von der allgemeinen Gnade Gottes"; seinem „reformierten"
Standpunkte war also der calvinische Prädestinatianismus fremd.
In Nr. 11, vom 16. Februar 1739, will er, dafs gegen die „eitle
Methode" einer „gekünstelten" Predigtart bei den Kandidaten
eingeschritten werde n. a. m.
73. Jul. Wilh. Fleischer, Pierre Poiret als Philo-
soph. Erlanger Pis. 1894.
74. Ludwig Haug (t Pfarrer), Darstellung und Beurtei-
lung der Theologie Ritschis. 3. Auflage. Stuttgart 1894.
159 S. 12.
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NACHRICHTEN.
437
75. J. Edward Litten, Johann Friedrich Roesner
und das Thorner Blutgericht. Ein Beitrag zur Geschichte der
Jesuiten in Polen. Thorn. E. Lambeck 1894.
* 76. Hugo Landwehr, Barthol omäus Stosch, kur-
brandenburgis che r Hofprediger 1612 — 1686. Ein
Lebensbild. (Sep.-Abdr. aus Forschungen zur brandenburgischen
und preursischen Geschichte VI, 1. Leipzig, Duncker & Humblot,
1893. S. 89—140.) — In dieser Arbeit ist mit exakter For-
schung und reichem handschriftlichen Material derjenige Theologe
behandelt, welcher als Hofprediger des Grofsen Kurfarsten in
Berlin auf die kirchen politischen Entschliefsungen desselben seit
dem Beginn der sechziger Jahre einen sehr grofsen Einflufs ge-
habt hat (S. 125.) In diesen Zusammenhang gehört die Frage
nach der Entfernung Paul Gerhardts aus seinem Amte. Wange-
mann hatte Stosch die Schuld daran zugeschrieben; dem Verfasser
aber ist es nicht gelungen, im geheimen Staatsarchiv zu Berlin
dafür einen Beweis zu finden. (S. 118.)
* 77. Hermann Petrich, Hermann Theodor Wange-
mann. Sein Leben und Wirken für Gottes Reich und für das
Missionswerk insonderheit Berlin 1895, 116 S. — Eine popu-
läre, erbauliche Biographie des ehrwörden Missionsdirektors Wange-
mann, geb. 1818, gest. 1894, entworfen vou Freundeshand, auf
Grund von „mancherlei Briefen, Erkundigungen und Nachrichten".
Für die Zeit von 1865 an, wo W. das Direktorium der Berliner
Missionsgesellschuft übernahm, führt das Schriftchen zugleich am
roten Faden des Lebens ihres Direktors durch die Geschichte der
Berliner Mission. Es ist gut lesbar und recht lehrreich. — Be-
sonders anziehend mutet uns die Schilderung der Missionsreisen
Wangemanns unter den Litauern (seit 1873) an S. 65 ff.; ihr
Christentum ist doch eine merkwürdige Erscheinung im christ-
lichen Leben und nicht blofs für Ostpreufsen interessant.
P. Tschackert.
Englisches.
Vou
C. A. Wilkens.
* 1. Die viel umstrittene: Frage wer waren die Culdeer,
Culdei, Coledei, Cultores Dei, Coelicolae, Chelidei, Keledei, Caeli-
bes, Culdeessor, Keldeer, Celle-De, Cele-De' hat 1860 Dr. Reeves,
Bischof von Connor und Downe in einer Abhandlung beantwortet,
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438 NACHRICHTEN.
die er in der Irish Royal Academy las. W. Shene im Celtic
Scotland, der Bischof Grant von Aberdeen in der Scottish Review
1888 bereicherten das Material zur Entscheidung der Sache.
A. Allaria C. E. L. D. D. zieht die Konsequenzen aus den von
den Vorgängern gelieferten Daten in dem Aufsatz The Culdees:
The Scottish Review 1895, Vol. XXV, p. lsq. Er beweist vornehm-
lich aus einem Fragment des ursprünglich zum Book of Armagh
(812) gehörigen Liber Angueli: die Culdeer waren Geistliche,
die ähnlich den späteren canonici reguläres in Gemeinschaft lebten,
nicht selten Mönche hiefsen, durch Patrik und seine Schüler in
Irland eingeführt wurden und sich von dort nach Schottland ver-
breiteten, besonders die Armen- und Krankenpflege übten,
allmählich zwei Gruppen mit strenger und milder Observanz
umfafsten, bis die erstere mit den Augustinerchorherren verschmolz
oder von ihnen verdrängt wurde.
* 2. The divine Life in tho Church. Edinburg, Gard-
ner, 1895 2 Vols. ist der Titel der zweiten Serie der Scottish-
Church- Society Conferences. Kirchenbistorisch bemerkenswert
ist darin eine Abhandlung von Mc'Gregor über die Cel tische
Kirche. Es wird Protest erhoben gegen die Bezeichnung Cel-
ten für die alten Bewohner der brittischen Inseln und zu erweisen
gesucht, Martin von Tours sei Oheim St Ninians, St. Patrik
dessen Grofsoheim gewesen. C. A. Wtikens.
3. A. Bellesheim erörtert im „Katholik" 74. Jahrgang
(1894) II, S. 502 ff. aufs neue die viel verhandelte Frage nach
der Gültigkeit oder Ungültigkeit der anglikanischen Weihen,
anknüpfend an die Schrift von F. Dalbus, Les ordinations angli-
canes, Arras 1894, an den gegen diese gerichteten Aufsatz von Du-
chesne im Bulletin critique 1894, nr. 14, (15. Juli) und an die
Schrift von A. Boudinghon, Etüde thcologique sur les ordinations
anglicanes. Paris 1894. Es ist interessant zu sehen, wie in
dieser Frage das Urteil katholischer Theologen und Kanonisten
differiert, nicht allein in der Beurteilung der geschichtlichen Vor-
frage, ob Rischof Barlow, der Parker weihte, selber eine gültige
Bischofsweihe besafs , sondern noch mehr in der Beantwortung der
Frage, was alles zur intentio faciendi quod Ecclesia facit gehört, ob
ferner die Abweichungen des Cranmerschen Ordinals vom römischen
so grofs seien, dafs sie das Wesen des Sakraments aufheben, ob
die von den Anglikanern unterlassene Darreichung der heiligen
Gefäfse und die Salbung der Hände wesentlich sei oder nicht.
Für Beilesheim steht die Ungültigkeit dieser Weihen aufser aller
Frage, Duchesne ist geneigt, ihre Gültigkeit anzuerkennen, und
sieht in der Reordination convertierter anglikanischer Geistlichen nur
eine Kondescendenz, mit der die römische Kirche den Bedenken der
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NACHRICHTEN
43«»
katholischen Gemeinden Rechnung trage. Beilesheim unterläßt
nicht, dem berühmten Gelehrten recht deutlich zu Gemüte zu
fuhren, dafs sein Aufsatz „in einem für die katholischen Theo-
logen Englands keineswegs freundlichen Tone" gehalten sei, ja
dais einzelne Ausführungen desselben sogar bei Gatgesinnten
„Befremden" erregen müssen. G. Kawerau.
4. An Old Kirk Chronicle: Being a History of
Auldhame Tyninghame, and Whitekirk, in East Lo-
thian, from Session Becords 161 6 — 1850 by Roy. P.
Hately Waddell. B. D. Minister ofthe United Paris bes.
Edinburgh and London, William Blackwood <fc Sons, 1893. 300 p.
In Frankreich ist der überraschende Nachweis erbracht, dafs der
gröfste Teil des mittelalterlichen Kirchenguts nicht, wie die tra-
ditionelle Annahme lautet, Fürsten und Herren zu danken ist,
sondern dafs auch hier, wie in so vielen Dingen, Geistliche das
gute Beste thaten. Für ein nicht minder wichtiges Kirchengut
anderer Art im historischen Sinn waren sie überall von jeher
Trager und Pfleger und sind es noch , selbst in weltvergessenen
Dörfern. Haben sie Gemeinden von vielhundertjährigem Alter,
Kirchenbücher, die nicht tote statistische Tabellen, sondern Chro-
niken sind , hatten sie sachkundige sammelnde , hütende Amts-
vorfahren, so können die rechten Leute mit dem Material aus
kleinem Kreise der Geschichte des kirchlichen Lebens unschätz-
bare Dienste leisten. Dies alles trifft zusammen bei dem Autor
des Old Kirk Chronicle, dessen Motto heifsen könnte: it is the
duty of every parish minister, so far as it is possible, to coHftct
and to publish, whatever may be historically or ecclesias*,:-
cally interesting in bis own parish, so as to leave a permanent
record of what he and his people have inherited from the past.
Die Hauptquelle des Buches bilden die Protokolle der Kirk Ses-
sions der drei nun vereinigten Pfarren. Ihren Reichtum in kultur-
historischer , kirchlicher und politischer Beziehung verdanken sie
John Lauder, der 1660 starb, nachdem er einige 50 Jahre
Pfarrer zu Tyninghame gewesen. In seiner Hand wurden aus
den hölzernen , öden Sitzungsberichten , wie sie etwa der Schul-
meister zusammengestoppelt hätte, ausgezeichnete, pfarrgeschicht-
liche Annalen. Mit freigebiger Ausführlichkeit verzeichnet Lauder
seine Amtserfahrungen unter Schafen und Böcken, auch die Plage
der Eiders bei dem Einpeitschen der säumigen Kirchenbesucher.
Er war der Hauschronist der guten und bösen Tage der Pfarr-
kinder, der sorgfaltige Registrator alles dessen, was ihm des
Andenkens wert schien betreffs des Kultus, der Disziplin, der
kirchlichen Volkssitten. Eine Staatsaktion wie die Einführung
der Agende von Westminsters wird natürlich in ihren Wirkungen
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440
NACHRICHTEN.
eingehend geschildert. Eines solchen Vorgängers würdig hat
Hately Waddell den Stoff taktvoll bearbeitet und giebt aus dem
vollen Leben Frischeres und Wertvolleres als manche anspruchs-
volle Urkundensammlung mit Siegel abdrücken, Monogrammen und
Facsimile8. C. A. Wilhens.
5. Eine sehr interessante Publikation liegt vor in „Crom-
wells Soldiers Bible": being a reprint, in Facsimile, of „the
souldiers pocket bible", compiled by Edmund Calamy, and issued
for the use of the Commonwealth army in 1643. With a Biblio-
graphical Introduction ; and a preface by Field Marshal The
Et. Hon. Viscount Wolseley. London, Elliot Stock, 1895. Während
man früher annahm, dafs Cromwells Soldaten, die der Tradition
nach jeder eine Bibel bei sich trugen, ein möglichst klein gedrücktes
Exemplar desselben, welches man in einer Ausgabe von 1653
wiederfinden wollte, gehabt hätten, wurde zuerst 1854 bekannt,
dafs die „Soldatenbibel" keine vollständige Bibel, sondern ein
speziell für die Armee hergestellter Auszug, eine Zusammen-
stellung auf Krieg und Sieg bezüglicher Bibelstellen gewesen
sei. Das eine der beiden bisher wieder aufgetauchten Exemplare,
welches sich im britisch Musenm befindet (das andere ist in Nord-
amerika), liegt hier in trefflichem Facsimile vor. Auch der prak-
tische Einband für den Gebrauch der Soldaten, — ein braunes
Stück rauhen Leders, welches durch einen dicken schwarzen Heft-
faden mit dem Papier zusammenhalten wird, ist nachgemacht
Die Bibelstellen des nur 16 kleine Oktavseiten umfassenden
Scbriftchens , sind wie zu erwarten wesentlich dem Alten Testa-
ment entlehnt, in Rubriken geordnet und durchweg geeignet,
den Soldaten in die Sprechweise der Puritaner einzuführen, un-
richtig ist aber die Angabe der ziemlich dürftigen Einleitung, die
Edm. Calamy, einen Londuer Geistlichen, als Verfasser wahrschein-
lich macht, dafs nur zwei Stellen aus dem Neuen Testament auf-
genommen sind. Es sind deren sieben, nämlich Luk. 3, 14. Eph.
6, 10. Jnk. 1, 5. Matth. 10, 28. Matth. 5, 44. 2 Kor. 1, 10.
2 Kor. 12, 9. Echt englisch ist es, dafs man es für nötig hielt,
den angesehensten englischen General, den jetzigen Oberbefehls-
haber der Armee, Wolseley, zu diesem Neudruck eine nichts-
sagende Vorrede von 6? Zeilen schreiben zu lassen.
Th. Kolde.
*6. Church Folk-Lore. A Record of some Post-Re-
formation üsages in the English Church by the Rev. J. E. Vaux.
London, Grissith and Farfan, 1894. 320 p. 8. So eifrig wie
einst Karl der Grofse die Reste germanischen Heidentums aus-
rottete, vertilgten König, Parlament und Volk Englands im Grauen
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NACHRICHTEN.
441
vor dem römischen Antichrist die mittelalterlichen Reminiscenzen
in Sitten und Bläuchen. Dennoch gelang es nicht vollständig
und allgemein. Die grofsen Bäume liefsen sich fallen, die un-
scheinbaren Schlingpflanzen behaupteten sich mit unverwüstlicher
Zähigkeit. Der den Engländern eigene historische Sinn, „die
Pietät für die Gebilde der Geschichte kamen den Reliquien der
finstern barbarischen Zeiten" trotz Puritanismus und Radi-
kalismus zugute. In der Gegenwart sind sie freilich be-
droht Etwa achtzig Prozent der alten Kirchen sind zur un-
barmherzigsten Modernisierung verurteilt Den altvaterischen
Sitten wird es unheimlich in der fremden Umgebung. Sie waren
mit den altersgrauen Heiligtümern verwachsen wie der tausend-
jährige Rosenstock mit dem Dom in Hildesheim. Vertrieben
starben sie ab. Der Verfasser schildert, was sich noch erhalten
hat An entlegenen Stellen hafteten katholische Kultusstücke
ungestört durch das Common -Prayer-book. Den Kommunikanten
wurde bei dem Empfang des Sakraments ein Tuch vorgehalten,
sogar das Glöckchen , das einst zur Wandelung geläutet war,
wurde nach wie vor, noch bis an den Anfang unseres Jahr-
hunderts, auf die unterste Stufe des Altars gestellt Die Stunden-
gläser behaupteten sich auf der Kanzel. Unermüdliche Prediger
kündigten wohl die zweite Stunde der geistlichen Herzensergüsse
damit an, dafs sie das Stundenglas umstülpten mit dem erwecken-
den Ausruf: Brethren, let's have another glass before we part
Eine ganze Ausstellung von Seltenheiten wird unter den Rubriken
Trauung, Taufe, Begräbnis, Musik vorgeführt, auch Abgeschmack-
tes z. B. giebt ein Vater seinen vierzehn Kindern Namen, die
sämtlich mit H beginnen müssen, auch Horizontal ist willkommen.
C. A. Wilkens.
7. Manners Customs and Observances by Leopold
Wagner. London, William Heinemann, 1895. Mk. 6. Das
recht gut ausgestattete Werk hat zwar keinen eigentlich wissen-
schaftlichen Wert, erscheint aber dennoch als Nachschlagebuch
höchst dankenswert, zumal es eine Fülle kirchenhistorischer
Notizen in trefflicher Gruppierung und objektiver Beurteilung auf-
weist. Es behandelt in einzelnen Abschnitten insbesondere die
Gebräuche in der englischen Kirche, wobei vielfach auf den da-
selbst noch ziemlich verbreiteten Knltus der Schutzheiligen und
die kirchlichen Feste Rücksicht genommen wird, und zwar so,
dafs auch die bei den jüdischen Festen üblichen Riten geschildert
und zur vergleichenden Charakteristik herangezogen werden. Ver-
fasser giebt aber nebenbei auch eine genaue Schilderung der Ge-
bräuche im gesamten bürgerlichen Leben, soweit dieses mit kirch-
lichen Einrichtungen in Berührung kommt, z. B. bei Eheschlie-
442 NACHRICHTEN.
fsungen, Todesfällen und ähnlichen Anlässen, nicht minder beim
Militär, im Gerichtshofe und im Parlamente. Selbst die mannig-
fachen und teilweise höchst primitiven Spiele mit ihrem mehr
oder weniger sittlich erziehenden Charakter werden vom Verfasser
nicht übergangen. In einem längeren Schlufskapitel beleuchtet
er die verschiedenen weltlichen Sitten, welche sich in den ein-
zelnen Gegenden an die kirchlichen Feste anschließen, in hoch-
interessanter Weise, ebenfalls so, dafs er auf andere Völker ver-
gleichend sich bezieht und das historische Moment zum
Ausgangspunkt seiner Beurteilung macht.
Löschhorn.
*8. The English Church in the Nineteenth Cen-
tury by John H. Over ton. D. D. London and Newyork, Longmans,
Green & Co. 1894. Im Juliheft der Scottish Review 1894 giebt
D. G. Ritchie Auszüge aus dem Tagebuch, das D. David Aitken,
1827 — 1864 Pfarrer zu Minto, auf einer Reise in Deutschland
1826 führte. Interessante Notizen finden sich darin über
Schleiermacher, Neander, Marheineke, Strauß, Hegel, von Raumer,
Tieck, Waagen, Niemeyer, Wegscheider, Tholuck, Cornelius und
Fr. Schlegel. Den Reisenden überrascht die Unbekanntscbaft der
theologischen Professoren mit den kirchlichen Zuständen Englands
und Schottlands. Erst die Kämpfe um die freie Kirche hier, um
die Erneuerung des Anglokatholicismus dort, belebte in Deutschland
das Interesse an der neuesten Kircheugeschichte Grofsbritanniens.
Die Litteratur der Oxforder Bewegung beleuchtete auch die
Zeit 1800 — 1833. Die trefflichen Artikel im „Herzog'4 be-
seitigten teilweise die frühere Unkunde. Ein Detail konnten 8ie
freilich nicht geben, wie es in Tagebüchern, Korrevspondenzen, Bio-
graphieen, Flugschriften, Journalen vorliegt. Wir verdanken es
Overton, dem Verfasser des „John Wesley" London 1891. Mit
Abbey hat er sich durch das umfangreiche Material hindurch-
gearbeitet und ein farbenreiches Kirchenbild gezeichnet, dessen
Zentrum die Orthodoxen einnehmen, während rechts und links die
Evangelischen und die Liberalen placiert sind. Leben und Wirken
der Geistlichen steht überall im Vordergrund. Hatten auch die
Anglikaner nicht das volle Bewufstsein ihrer historischen Stellung
und Verantwortlichkeit, so bildeten doch jene unglückseligen Ge-
schäftsleute der Kanzel und des Altars hier keinesweges die
Majorität, deren „Werke" Fuchsjagd, Börsenspiole , Oekonomie,
Theilnahme an Bällen, Versorgung der Familie sind. Es gab
gewifs solche säkularisirte „two bottles Orthodoxes" denen der
Tag, wo sie den Gehalt einkassierten, der wichtigste des Kirchen-
jahres war. Pfarrer im Stile des Vicar of Wakefield predigten
mit ihrer pedantischen Moral sich aber nicht Christum. Solche
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NACHRICHTEN.
443
indes fehlten nicht, die treu dem Bekenntnis ihrer Kirche die
Vorzüge derselben hoch hielten, Männer von schlichter, ernster
Frömmigkeit bei reicher Bildung. Durch sie behaupteten die
Väter von Hooker bis Waterland sich in gröfserm Ansehen als
Bouth, Davison, Miller, Kye, Rose. Die Bischöfe Wilson, Hörne,
Andrewes, Taylor, Ken blieben Vorbilder für solide, klare, Über-
schwenglichem abholde Predigten. Die Historisch -konservative
Richtung, die Pietät in Sachen des Kultus, die Antipathie gegen
Subjektivismus hebt Overton hervor an diesen Anglikanern
milder Observanz, ohne die Nachteile der Winterkälte zu leugnen,
die Paley verbreitete. Den Führern des Keveil läfst er volle
Gerechtigkeit werden, den Kernmännorn der Heilserfahrung des
Kanzelzeugnisses, der Vereinsthätigkeit, der Mission, der Sklaven-
befreiung, einem Wilberforce, der im Lapidarstile den Unterschied
zwischen halben und ganzen Christen predigte, dem Burke noch
sterbend für den Practical View of Christianity dankte, durch den
Thomas Chalmers bekehrt ward. Man fühlt, mit welcher Freude
er Zachary Macaulay betrachtet, der der Sklavensache Gesund-
heit, Vermögen, Buhe, Ruhm opferte und, wenn man ihn lobte,
weniger als nichts gethan zu haben meinte. Neben Henry Mar-
tin, der mit dem Magnet der Bibel durch die Wüste zur Heimat
ziehend, unterwegs Mission trieb wie wenige, steht Hannah More,
die edle Dichterin, die den mittelst kleiner Luftballons nach
England importierten französischen Revolutionspamphleten ihre in
zwei Millionen Exemplaren verbreiteten Tracts entgegenstellte.
Fletcher, Thomas Scott, Simeon, Milner, Marsh, Newton, Hervey,
Romeine erscheinen als ausgezeichnete Repräsentanten des Pietis-
mus. Freilich sinkt in der zweiten und dritten Generation seine
Lebenskraft. In den Predigten zeigen sich Monotonie, Dürftig-
keit, ja Phrasenwesen, im Leben schwinden der heilige Ernst, die
Einfalt, die Tapferkeit vor der Weichlichkeit, Konnivenz, Populari-
tätslust. It gave a gentle Stimulus to temper, which required
to be oxcited by novelty. It recommended itself by gift of flo-
wing or high-pitched rhetoric to those, who expected some de-
mands to bo made on them and tbe demands were not to strict
Die Broadchurchmen Oxfords Dawison, Copleston, Hawkins, Milman,
Whately, Coleridge, Arnold, Stanley hatten, nach Overtons Urteil,
ein gewisses Recht, die Schwächen der Evangelicals zu rügen.
Weit mehr verdanke freilich die anglikanische Kirche der Ox-
forder Bewegung, die viele Pfarrer zu Geistlichen machte, für die
Parität von Reichen und Armen im Gotteshause eintrat, die
Schönheit der Heiligkeit proklamierte, mit der Heiligung es sehr
ernst nahm, den Calvinistischen Radikalismus und Nihilismus
durch lutherische Wahrheiten bekämpfte. Um dieser Erfolge
willen bleibt ihm Pnsey der Grofse, als der tief fromme ge-
444
NACHRICHTEN.
lehrt«, geistvolle Restaurator des vom puritanischen , methoditi-
schen und rationalistischen Sauerteig gereinigten Anglikanismus.
* 9. The P resbjterian Ch urch. Its Worship, Functions
and ministerial Orders by Rev. Alexander Wright M. A. Edin-
burgh and London, Oliphant, Anderson & Co Das Buch enthält
eine urkundliche Geschichte des schottischen Kultus von der Re-
formation bis zur Gegenwart, der Veränderungen samt den Streitig-
keiten, die sie hervorriefen. Der praktische Zweck ist die För-
derang der Rückkehr zu den Ordnungen aus der Blütezeit litur-
gischer Bildungen 1560 — 1650, in welche die Assembly of
Divines at Westminster zerstörend und verödend eingegriffen habe.
Ihren Neuerungen giebt der Verfasser die monströse Geschmack-
losigkeit und Armseligkeit des schottischen (Anti) Kultus schuld,
die jetzt in weiten Kreisen gefühlt und deren Beseitigung er-
strebt wird. Haben sogar hier und da wieder gemalte Fenster
Gnade gefunden, die doch einst wie die Orgeln als Greuel des
römischen Antichrist perhorresziert und zerschlagen wurden, im
Widerspruch mit der israelitischen Kultusordnung, die Edelsteine,
Gold, Silber, Kunstschmuck in den Dienst der Andacht und
Anbetung vorbildlich gestellt hat.
10. Robert Howie M. A., Pfarrer der Free Churcb, hat
dem Verhältnis der kirchlich Eingebflrgten zu den kirchlich Hei-
matlosen in Schottland einen prächtigen Quartband von 248 Seiten
gewidmet (The Churches and tbe Churchless in Sott-
land. Facts and Figures. Glasgow, D. Brjce and Son, 1893).
Er beantwortet die Frage: wie stellt sich von 1881 — 1891 die
Bevölkerungsziffer in 12 Synoden, 34 Kirchenkreisen, 4052 Ge-
moinden zu den Zahlen der Gemeinden, Gemeindeglieder, Kirchen-
beiträge , Pfarrgehalte , Kirchenbesucher (Sonntagsschüler) für
die Staatskirche, die freie Kirche, die unierte presbyterianische
Kirche, die übrigen protestantischen Denominationen, die Katho-
liken. Aus offiziellen Urkunden, Volkszählungsliaten , Jahres-
berichten, Kornmunikantenregistern wird das Thema in 39 Ta-
bellen mit erschöpfender Gründlichkeit ausgeführt. In ihrem
Netzwerk von Zahlen und Namen bergen diese Muster kirchlicher
Statistik eine erstaunliche Summe von Nachforschungen, Re-
visionen, Korrekturen, Berechnungen, die eben so geschickt ge-
macht wie verwendet, in immer neuen Kombinationen und Grup-
pierungen vorgeführt sind. Die numerische Gröfse der Synoden
und Bezirke, die Ab- und Zunahme, das Entstehen und Vergehen
der Gemeinden, die Summen der kirchlichen Opfer, Reichtum und
Armut der Geber, Erfolge und Erfolglosigkeit der Geistlichen,
Eifer und Lauheit der Gemeindeglieder, Stärke und Schwäche des
Kirchenbesachs, das alles wird ersichtlich. Die anziehende Ein-
leitung zeigt Quellen und Methode der Arbeit. Sie polemisiert
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NACHRICHTEN.
445
gegen statistische Kunststücke kirchlicher Eifersucht und lehrt
die Sprache der Ziffern verstehen nnd die Konsequenzen ans
den Daten ziehen. Klagend, anklagend, mahnend, warnend, Mittel
und Wege angebend, trifft sie den Nagel auf den Kopf. Kein
Unterstützen reicher Gemeinden zu Nutz und Frommen der Gei-
zigen! Keine unsinnigen Kirchenbauten da, wo acht Menschen
auf die Quadratmeile kommen! Statt neuer Kirchen neue Pfarrer,
die Kirchen füllen! Keine Kirchenleerer im Amt lassen, die
ihren Beruf verfehlten nnd von denen nur die Kirchenkasse
weifs! Keine Männer für wichtige Stellen berufen, die ho-
mines umbratici sind, oder Leute mit grofsem Kopf und kleinem
Herzen, nn verständig, taktlos, hölzern, sie sind wie die Kuh, die
einen guten Eimer Milch giebt, aber mit dem Fufs hineintritt!
Auf gesunder, sicherer Basis Union aller presbyterianischen Kir-
chen, und 800 Geistliche bekommen Arbeit, wo sie nötig ist
Gegen die stets wachsende Schar der Heimatlosen, die sich selbst
exkommunicierten, wird die aggressive und attraktive Methode em-
pfohlen. Die Gemeindeglieder müssen das versteckte Wild auf-
scheuchen, damit der Pfarrer zielen könne. Weg mit Gelderwerb
aus Kirchenstühlen, er schiebt eine Mauer zwischen den Armen
und dem Wort Gottes. Konstatiert wird der Rückgang der
Staatskirche, das Aufblühen der Free Church. Dort giebt jedes
Mitglied jährlich 18 sh. hier 48. Dort kamen 1876 auf 1000
Mitglieder 730 Kirchenbesucher hier 990. 1876 und 1881
gingen von 1000 500 in die Kirche, 1891 nur 192. Den faulen,
behaglichen Sophachristen , die jede Wolke von der Kirche fern-
hält, werden die armen Katholiken entgegengestellt, die keine
Kirchenkleider haben. Aber bei Nacht und Nebel gehen sie in
die Messe nnd beschämen die protestantischen Maulhelden, die
meinen alles getban zu haben, wenn sie gegen den Papst brüllen.
* 11. In Neuengland bildet die Kirche den nucleus der
bürgerlichen Stadtregierung, in den Staaten des Westens das
Schulhaus. Diesen folgt der Süden, der weniger aus religiösen
Motiven kolonisiert wurde, als in der Lust an Auswanderung,
Abenteuern, Erwerb. An das Bedürfnis der Schulen, Behörden,
Geldmittel für sie ist hier die Ausbildung der Lokalregierungen
vornehmlich geknüpft. Man weifs, dafs demokratische Institutionen
an der Ignoranz des Stimmviehs zugrunde geben müssen, dafs
die Schulen verbessern heifst, gröfsere Sicherheit für Eigentum
und Personen garantieren, die republikanischen Begierungsformen
konsolidieren. Bei derartiger Verflechtung der beiden Faktoren
kann, ja mufs die Geschichte derselbeu zusammengefafst werden.
Das ist in einer interessanten Arbeit geschehen, zu der sich der
Professor in Chicago E. W. Bewis mit Seniors und Graduates
der Vanderbilt University Webb, Turner, Nix, Brockman, Sander-
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440
NACHRICHTEN.
son, Dodson, Fertig, Nortbup verbunden hat North Carolina,
Tennessee, Alabama, Qeorgia, Missisippi, Soath Carolina, Florida,
Texas, Arkansas, Kentucky, Missouri sind in dem Artikel Local
Government in tbe South and Southwest, den die John
Hopkins University Studios in Uistorical and Political Science
edited by H. B. Adams Eleventh. Series XI — XII, p. 460 - 546,
Baltimore 1893, onthalten, behandelt Keine detaillierte Mono-
graphieen waren beabsichtigt, sondern die charakteristischen Züge
galt es zu präcisieren. Einleitungen bringen umfassendere oder
andeutende historische Rückblicke , Anhänge ergänzende sta-
tistische Nachweisungen aus Bowis Feder. Im Vordergrunde
stehen überall die Bildung der Schuldistrikte, die Organisation
der Unterrichtsbehörden, die Beschaffung der Geldmittel, die
Kompetenzen der höchsten und unteren Instanzen für Aufsicht
und Anordnung. Zuverlässige Information ist das Ziel der Au-
toren, nicht Bearbeitung des Stoffes im Stil von Alexis de Toque-
villes De"mocratie en Amörique. Als Kuriosität verdient ein
monströses Produkt des politischen Doktrinarismus Beachtung.
Der Earl of Shaftesbury und John Locke vergessen so sehr das
Werden der englischen Verfassung, dafs die von ihnen aus«
gearbeiteten Fundamental Constitutions of Carolina eine treue
Kopie der Konstitution Englands nach der normannischen Er-
oberung bieten!
* 12. Stephen Beanregard Weeks giebt in den John
Hopkins University Studies in Uistorical and Political sciences
Baltimore, XI Series, 1893, p. 5 — 65 unter dem Titel Chnrch
and State of North-Carolina eine gut«, aus amtlichen
Quellen geschöpfte Übersicht des Kampfes der unter den Lord
Proprietors und den königlichen Gouverneuren von den antikirch-
lichen, radikalen, aggressiven, energischen, begeisterten und fana-
tischen Dissenters gegen die Staatekirche, den Bischof von London,
den königlichen Supremat mit Gewalt, Klugheit, Chikanen und
Recht geführt wird. Er endet mit dem Untergang des Establish-
ment, der durchgeführten Trennung von Kirche und Staat und
der unbeschränkten Religionsfreiheit. Der Verfasser hafst jede
Staatskircho, schwärmt für die Resultate des Streits und verkenut
die Nachteile des Sektenwesens in amerikanischer Weise.
* 13. The Struggle of Protestant Dissent for re-
ligious Toleration in Virginia by H. R. Mc'Ilwaine
in John Hopkins University Stndies in Historical
and Political Science. XII Series IV. Baltimore 1894.
In Virginien herrschte die anglikanische Staatskirche. Doch in
Knechtsgestalt. Nominell war der Bischof von London Ordi-
nasius. Seine und des Vikars Amtsgewalt bedeutete nichts. Der
Gouverneur fungierte als Haupt der Kirche und Patronatsherr
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NACHRICHTEN.
447
aller Pfründen. Ihm erstand in den lokalen Kirchenregimenten
ein Nebenbuhler, den er fürchtete, da die Mitglieder der Vestries
meist Deputierte für das House of Borgees es waren. Sie be-
anspruchten das Patronat für die Fundatoren der Pfarren, lehnten
bischöfliche Visitationen und Spiritual Courts ab, machten sich
zu Herren der auf Kündigung gestellten Geistlichen, regelten
Kultus, Disziplin, Kirchengut und modifizierten die episkopale
Verfassung im Sinne eines demokratischen Independentismus.
Innerhalb dieser seltsam gestalteten Staatskirche mit bischöflichem
Namen und puritanischen Einrichtungen errangen sich ein-
gewanderte Quäker und Presbyterianer 1649 — 1730 Toleranz.
Die Motive, Mittel, Ziele, Resultate hat Mc'Ilwaine anschaulich
geschildert. Seine Quellen sind neben den Werken über die Ge-
schichte Virginias von Beverley, Burke, Campbell, Cook, Neill:
Briggs American Presbyterianism , Foote Sketches of Virginia,
Uawks Contributions to the Ecclesiastical History of the United
States of America Honings Statutes at Large, Janney History of
tue Religio us Society of the Friends, Jones Present State of
Virginia, Meade Old Churches and Families of Virginia, Perry
Historical Collection relating to the American Colonial Church,
Spottswood Letters, Sprague Annais, Tracy The Great Avakening,
Winsor Narrative and Critical History of America. Die Quäker
wies anfangs ein Cordon harter Gesetze ab, als Ketzerproteuse,
Anzetteler schismatisch er Ranke, schleichende Schwätzer des Un-
sinns, Schmäher der Pfarrer, Rebellen, Gotteslästerer. Doch die
Integrität und die Stocks der gesuchten Eingewanderten schützten
sie vor der Anwendung der Statuten, die dann die Toleranzakte
von 1689 abrogierte. Da durch schmähliche Abhängigkeit von
den Gemeinden die anglikanische Geistlichkeit gesunken war,
bedurfte es oft nur a learned, talkative, snbtle Quaker, um
„Freunde" in Menge zu werben. Hugenottische Opfer der Re-
vokation, Deutsche schlössen sich der Landeskirche an, erwünschte
Barrieren gegen die Indianer. Nach der grofsen Erweckung von
1740 eroberten sich die Presbyterianer durch kühne Prediger
Duldung. Sie besiegten den Argwohn der Kirchenmänner gegen
die „Neuen Lichter", diese intriganten, verschlagenen Schisma-
tiker, Feinde der Staatskirche, Proselytenmacher, die, jede gesetz-
liche Schranke durchbrechend, predigten wo sie wollten. Die
nationalökonomischen Interessen der Kolonie waren für den Sieg
nicht minder ausschlaggebend, wie die Ratschläge des trefflichen
Dr. Doddridge in Northampton und des jeder Gewaltmafsregel
abgeneigten Bischofs von London.
*14. The Catholic University Bulletin. A Quar-
terly Publication devoted to the interests of religion and science,
conducted by Professors of the Catholic University of America,
ZeiUchr. f. K.-G. XVII, 3. 29
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448
NACHRICHTEN.
edited by Rev. Thomas J. Shahan D. D. Vol. I. N. 1. Was-
hington 1895. 146 p. 8. Auf Leos XIII. Vorliebe für die
Vereinigten Staaten konnte sich Präsident Cleveland berufen, als
er seine Jubiläumsgabe in den Vatikan sandte, eine kostbare
Sammlung Ton Manuskripten zur Geschichte Amerikas. Der
scholastischeste und modernste aller neueren Päpste hat aus dem
Lande der freien Kirche im freien Staate viel Erfreuliches er-
lebt. 1883 hatte das Provinzialkonzil in Baltimore erklärt: per-
magni interest , ut ecclesiae, hisce in regionibus militanti, non-
quam desint viri philosophiae et Theologiae disciplinis eruditissimi,
qui causam veritatis strenue et invicte tueri valeant contra
omnigena errorum monstra et opinionum deliramenta ex insanae
philosophiae latebris in dies emergentia. Sofort schenkte eine
Dame 300000 Dollars zum Anfang. 1888 stiftete Leo die
jüngste katholische Universität, die 42. seit 1552. Am 13. No-
vember 1889, bei der Centenariumsfeier der Aufrichtung der
Hierarchie in den Vereinigten Staaten fand die Einweihung des
Institutes statt, von dem der Papst für Amerika Erfolge voraus-
sieht, die sich kein Sanguiniker träumen lasse. Nach der Weise
der dortigen Akademieen und Universitäten, die auf dem Frei-
willigtaitssystem ruhend, weite Kreise in ihr Interesse ziehen
müssen, will die, der Hilfe und Sympathie so sehr bedürftige,
Hochschule in Washington sich durch das Bulletin mit den über
den Erdteil zerstreuten Freunden höherer katholischer Bildung in
Connex erhalten. Die Zeitschrift soll die äufsere uud innere
Geschichte der Anstalt, der Collegien, Sammlungen, Bibliotheken
erzählen, über Geist, Plan, Methode des Unterrichts, die Arbeiten
der Lehrenden und Lernenden kritisch referieren, Diskussionen
anregen, Promotionen, Preisaufgaben, Prüfungen in die freie,
scharfe Luft der Publizität bringen, einen gründlichen, fafslichen
Oberblick über die Bewegungen in der wissenschaftlichen Welt
vermitteln. Das erste Heft legt nach Quantität und Qualität des
Gebotenen ein viel gewährendes und viel verheifsendes Zeugnis
für die Ausführung des Programms ab. Der Kanzler Kardinal
Gibions sieht in der neuen Universität den wahren Ausdruck der
Beziehungen zwischen Katholicismus und Wissenschaft. Der wahren
Autorität beuge sich trotz allem die Welt, ihr Gericht gebühre
in der Domäne des Wissens den Meistern; zur wissenschaftlichen
Meisterschaft in allen Fächern seien die Katholiken berufen, deren
Kirche für dus aufser ihrer Lehrmission Liegende Prinzipien und
Methoden nicht oktroyiere. 0. Gormau schildert die mittelalter-
lichen Universitäten und ihre demokratische Freiheit. Wie sie
Offenbarongs- und Vernunfterkenntnis versöhnt hätten, sei es
Aufgabe der heutigen kirchlichen Hochschulen den Bund zwischen
den Naturwissenschaften und dem Christentum zn schliefsen.
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NACHRICHTEN.
449
Leo XIII. Labe grofse Impulse gegeben für die Philosophie durch
„Aeterni patris", für die Geschichtsforschung durch „Saepe-
numero", für die Theologie durch „Providentissimus". Th. Bouquillon
zeigt die Notwendigkeit, den amerikanischen Klerus im Lande
auszubilden, nicht in Rom, Frankreich, Belgien, Irland, damit er
durch und durch das amerikanische Volksleben verstehe. Es sei
heilsam, wenn die theologischeu Hörsäle an die Laboratorien
stiefsen, wie in der Bibliothek die kirchlichen Bücher an die
weltlichen. Schlössen sich die Priester in die Sakristei ein, bliebe
die Theologie auf der Kanzel und die Moral im Beichtstuhl, so
verschwinde der Einflufs auf das Leben des Volkes. Charles
Graman giebt ein Stück Encyklopädie in Form von Ausführungen
der in „Providentissimus" gegebenen Direktiven, die sich auf
die biblische Einleitung beziehen. E. A. Pace beschreibt den
Universitätspallast, Don Quinn das amerikanisch archäologische
Institut in Athen. Sehr tüchtige Bücherkritiken, Nekrologe,
schliefsen sich an Berichte über Geschenke, in denen die Ziffern
50000, 100 000 eine beneidenswerte Eolle spielen. Wohltbuend
ist der noble Ton auch gegen die Protestanten, der sehr absticht
gegen die unwürdige Art, in der die methodistisch - pietistische
Presse Amerikas zu polemisieren liebt.
* 15. Asbury Lowrey schildert in den Papers of the
American Society of Church-History. Vol. VI (1894). Life and
Work of Bishop Francis Asbury. Nicht wie ein gepeitschter
Windhund, wie ein ins Joch gespannter Ochs, wie ein geprefster
Soldat ging Asbury an seine Arbeit, als ihn 1771 John Wesley
nach Amerika sandte. Wohin gehe ich? fragte er sich. In die
neue Welt? Was will ich? Ehre? Nein, wenn ich mein Herz
kenne. Geld? Nein. Ich gehe hin einzig und allein, um für
Gott zu leben und andere dahin zu bringon, es auch zu thun.
Eine Bauern- und Heldennatur, geboren zu schaffen und zu
wagen, vollbrachte er, was die Wesleys, Fletcher, Whitefield,
Clarke, Watson, Benson nicht konnten. Als erster Methodisten-
bischof war er eine eiserne Säule und eherne Mauer inbezug auf
die Kirch enzuebt. Ohne sie habe man einen frommen Mob, eine
v agieren de, aufgelöste, demoralisierte Armee. Unermüdlich thätig
für Schulen aller Kategorieen, gründete er die Missionskollekten,
die jetzt jährlich 1| Millionen Dollars geben. Den Wander-
Predigern lebte er ihren Beruf vor, indem er jährlich 6000 Meilen
meist zu Pferde reiste, auf dem Boden schlief, Hitze, Kälte,
Stürme, Fieber, Gefahr unter den Indianern ertrug. Ein schlichter,
zündender Prediger der Urwälder, der die Apfel nie so hoch
hing, dafs die Leute unten sie nicht pflücken konnten, wurde er
29*
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4 5U
KACIJKICHTEN.
der J. Wesley Amerikas durch die Organisation der Wander-
predigt. Bei seiner Ankunft gab es dort 600 Methodisten bei
seinem Tode 1816 eine Viertel Million. Er hatte seinen Lieb-
lingsvers zur Tbat gemacht: Long as my God shall lend me
breath, My every pulse shall beat for him. Dem Freunde Was-
hingtons ist ein Ehrenplatz unter den Schöpfern der amerika-
nischen Nation geworden, nicht als Entdecker, General, Denker,
Gesetzgeber, Staatsmann, but as a purifier of bis nation's moral
in its germ.
* 10. Als ein Werk of first rate importance for the reli-
gious history of Scotland dnring the last thirty or forty years
bezeichnet die Scottish Review, July 1895: Life and Letters
of John Cairns D. D. L. L. D. by Alexander R. Mac
Ewan D. D. London, Hodder and Stoughton, 1895. Schon als
Pfarrer zu Golden Square in Berwick sei Cairns eine Macht in
Schottland gewesen, mit der jede Bewegung religiösen oder philo-
sophischen Denkens im Lande habe rechnen müssen. Die Briefe
zeichneten die Stellung des Schreibers zu Menschen, Büchern,
Autoren seiner Zeit und die ihm nahe tretenden Persönlichkeiten.
* 17. Adamnani Vita S. Columbae. Edited from
Dr. Reeves Text with an Introduction on Early Irish Chnrch
History, Notes and Glossary by J. T. Fowler M. A. D. C. L.
Oxford, Clarendon Press, 1894. Eine gute Handausgabe des
Meisterstücks der Uagiographie mit Angabe der wichtigsten Va-
rianten und kurzen, den topographischen, biographischen und
historischen Inhalt der Vita gut erläuternden Noten. Die Ein-
leitung bebandelt die Codices, die Biographieen Columbas skizziert
die alte irische Kirchengeschichte und das Leben des Heiligen
wie das seines Historikers. Aus Pinkertons Vitae antiquae
Sanctorum Scotiae hat W. M. Metcalfe Adamnans Werk über-
setzt in Ancient Lives of Scottish Saints. With an Introduction
London 1895. Aufserdem die für das second-sight zeugenden
Wunder Columbas von Cuimine the Tair, Ailreds of Rievaux'
Life ot S. Ninian, Jocelin of Furness Life of S. Kentigern, das
anonyme Life of S. Scof, Life of S. Margaret Queen of Scotland
by Turgot und Life of S. Magnus of the Isles. Die Übersetzung
soll vornehmlich dem historischen, kulturhistorischen und poeti-
schen Interesse dienen. Von der Schilderung des Charakters und
Todes der schottischen Königin, Gemahlin Malcolm Canmores,
sagt Forbes: there is an atmosphere of calm unexcited truth-
fulness about the narrative, as well as an absence of the mythi-
cal, which commends it to us as the work of an eminent, truth-
loving man and the incident&l allusion to the current history
bear the test of all, that we know of the times. Das Leben
S. Magnus von Magister Robert ward ins Isländische übertragen
Digitized by Googl
NACHRICHTEN.
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und durch Jonas .Tonaeus wieder ins Lateinische übersetzt Met-
calfe hält sich an den Text der Sagas. Die Einleitung zeigt den
wertvollen Ertrag der Biographieen auf.
* 18. Vie du bienheureux martyr Jean Fisher
Cardinal, Evßque de Rochester (H 535). Texte anglais
et traduction latine duXVI® siecle publice et anno-
t<$8 par Fr. van Ortroy S. J. Bollandiste. Extrait des
Analecta Bollandiana, T. X (1891) et T. XII (1893) Bruxelles
1893. 435 p. 8. Als Margaretha Beaufort, die Mutter Hein-
richs VII., in Cambridge Christ und St. Johns Colleges stiftete,
unterstützte sie dabei mit Hat und That ihr Beichtvater John
Fisher. Auf dem Stuhle von Rochester hat er dem christlichen
und katholischen Bischofeideale nachgetrachtet mit Cilicium, Geifsel,
Totenschädel auf Altar und Mittagstafel, als sorg- und sparsamer
Haus-, Armen- und Krankenvater, der in unerträglichem Rauch
stundenlang neben den Leidenden safs, dem keine Leiter von
Dachkammern fern hielt. Lebenslänglich Kanzler von Cambridge,
setzte er lutherischen Regungen Thränen, Exkommunikationen,
Verurteilungen entgegen. Befreundet mit Erasmus, dem es graute
vor dem zugigen Bibliotheksparadies des Prälaten, hat er in ge-
lehrten, schwerfälligen, doch nicht unwirksamen Schriften gegen
Luther und Oecolampadius , diese Ungeheuer, die babylonische
Gefangenschaft der Kirche und die Realpräsenz verteidigt. Freilich
erwiderte er später Lobrednern : besser wäre es gewesen zu beten
als zu polemisieren. Seiner von allen verlassenen, schuld- und
wehrlosen Königin Katharina war er ein ritterlicher Verfechter
des Rechts und des päpstlichen Dispenses gegen die Skrupel des
ehebrecherischen defensor fidei. Für die päpstliche gegen die
angemafsto königliche Tiara ist er mit Thomas More, seinem
Freunde, um des Gewissens, des Rechtes, der Kirchenfreiheit
willen, eingetreten. Nicht König, nicht Bischöfe konnten ihn
überreden, Überzengen, überüslen, überrumpeln zu dem Supremats-
eide, wie Heinrich ihn verstand, nicht um den Preis der ganzen
Welt. Paul III. hoffte den gefangenen, in seinen Lumpen einer
wandelnden Leiche ähnlichen Greis durch den Purpur dem Tower
zu entreifsen. Den roten Hut mufs er auf den Schultern tragen,
höhnte der König. Heldengrofs, with a verio good desire and
Willing mind to die, schlief er noch ruhig zwei Stunden nach der
Ankündigung der Hinrichtung um 5 für 9 Uhr. Auf dem Todes-
wege betet er um ein Bibelwort. Sein Bück trifft Joh. 17, 2. 3:
here is even learning ynongh for me to my lives end! Die
Sonne strahlte ihm ins Antlitz, als er zum Schaffot leicht hin-
aufstieg: „accedite ad enm et illuminamini et facies vestrae non
confundentur rief er fröhlich. „Y forgive thee with all my
harte and y tru^t, thou shalt see me ovorcome this storm lustily4^
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KACHRICHTKX.
sagte er zu dem vor ihm knieenden Henker. Als gebe e6 zur
Hochzeit legte er sein Haupt unter das Beil. Mit Blut hat er
seinen Namen der englischen Geschichte eingeschrieben. Man
begegnet dem ehrwürdigen Manne in den neueren Arbeiten über
Cambridge (Documents relating to the University and |Colleges of
Cambridge 1852. J. E. B. Mayor Early Statutes of the College
of St. John 1859. Th. Baker, History of the College of St. Jobn
ed. J. E. B. Mayor. 1869. 2 Vol. J. B. Mullinger, The Uni-
versity of Cambridge. 1873. 2 Vol. Ch. H. Cooper, Memoir of
Lady Margaret. 1874), über die cause celebre der Ehescheidung
(J. S. Brewer und Gairdner, Letters, Papers foreign and domestic
of the reign of Henry VIII. 9 Vol. Dnko of Manchester, Court
and Society from Elisabeth to Ann. 1864. 2 Vol. H. W. Dixon,
History of two Queens. 1873. T. I. F. Lee, Sketches of the
Reformation. 1878. A. Harpsfield, A Treatise on the pretended
divorse ed. N. Pocock. 1878. N. Pocock, Records of the Re-
formation. The divorce 1527— 1533. 1872. 2 Vol. A. du Bois,
Catharine d'Aragon. 1880, engl. 1881. 2 Vol. P. Friedmann,
Anne Boleyn. 1884. 2 Vol. M. Creighton, Cardinal Wolsey.
1891. J. A. Freude, Divorce of Catharine of Aragon. 1891,
1893), über die englische Reformation (R. W. Dixon, History of
the Church of England. I. Henry VIII. 1529—1537. 1878.
H. E. Jacobs, The Lutheran Movement in England dnring the
roigns of Henry VIII and Edward VI. 1892. F. D. Ingram,
England and Rome. 1892). Als die aus dem Status persecutio-
nis erlösten englischen Katholiken an die litterarische Rehabili-
tation ihrer Ahnen im 16. und 17. Jahrhundert gingen, ward
der Kardinal von Rochester der zweite Thomas Becket durch
Biographieen geehrt. T. Hudson Turner edierte J. Lewis Life
of the Bishop of Rochester. 1855. 2 Vol., wertvoll durch viele
Dokumente aus den Archiven von Rochester und Cambridge.
T. E. Bridgett veröffentlichte 1888 sein Life of Blessed John
Fisher. Das jüngste dem Gegenstande gewidmete Buch ist zu-
gleich das älteste. Sein Autor ist der gelehrte Bollandist Fr.
van Ortroy, der Bearbeiter St. Karls für die Acta Sanctorum.
Der Convertit Thomas Bailey edierte 1655 Tbe Life and Death
of that renowned John Fisher Bishop of Rochester. Comprising
the highest and hidden Transactions of Church and State in the
reign of Henry the 8 th with divers Morall Historicall and Po-
liticall Animadversions upon Cardinal Wolsey, Thomas More,
Martin Luther with a füll relation of Queen Katharines Divorce.
Carefully selected from several ancient Records. Der Herausgeber
schrieb sich das anonyme Buch zu, verewigte chronologische Irr-
tümer des Manuskripts und verdarb das Werk durch alberne Mifs-
verstandnisse, einfältige Interpolationen, willkürliche Auslassungen
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NACHRICHTEN.
453
und Bombast. Es gelang ihm so, die wertvolle Biographie zu
diskreditieren. Nur mit Vorsicht meinten spätere Autoren sie
benutzen zu dürfen. Und doch verdient sie volles Vertrauen.
Vorbereitet unter Maria Tudor, abgeschlossen nicht vor 1577,
ruht sie auf authentischen Nachrichten zuverlässiger Zeitgenossen,
zeugt von Kritik und Takt. Elle est preparäo et composäe avec
un soin jaloux et nvec une sollicitude constante de la verite* a
une äpoque, ou la memoire des travaux et des äpreuves de
Fisher 6*tait encore vivace sagt van Ortroy. Der Autor por-
trätiert stellenweise wie mit Uolbeins Pinsel, redet die markige
Sprache ehrlicher Überzeugung, trifft den Ton der besten mittel-
alterlichen Biographieen. Wie in frischen, anschaulichen Me-
moiren erscheint ein reiches charakteristisches Detail. Natürlich
kannte der Darsteller manche Partieen des Labyrinths der Schei-
dungssache nicht, die erst 300 Jahre später zutage kamen. Doch
zeigt die jetzt mögliche Kontrolle, wie gut er informiert war.
Fisher wird mafsvoll gelobt. Der König erhält als Nero, was
ihm gebührt. Bleibt doch Heinz trotz Froudes Mohrenwäsche,
was er war. Je näher man Anna Boleyn tritt, um so mehr
verliert sie von dem Ansehen, das sie der Unkunde und dem
konfessionellen Übereifer dankt. Bei einem so wertvollen Buche
verlohnte sich die Restitution der Urgestalt, die van Ortroy treff-
lich gelungen ist. Das Manuskript, nach dem Bailey sein Mach-
werk fabrizierte, ist verloren. Doch finden sich im Brittischen
Museum Handschriften des englischen Textes und der lateinischen
Übersetzung. Die beste Arundel 152, die durch Brand sehr litt,
hat ein Anonymus stilistisch retouchiert. In ihr fehlen die Le-
genden von der Aasgrabung und Verbrennung der Leichen Bu-
cers und Fagius', von den Ohrfeigen, die Anna Boleyn dem ihr
gebrachten Kopfe Fishers gegeben. Aufser Cod. Harley 7047,
Cod. Stonyburst ist eine sehr genaue, nach einer verlorenen Kopie
des Arundelcodex gemachte, neue, wertvolle Notizen bringende
lateinische Übersetzung in der Barberina benutzt, mit einer
Akribie, wie sie etwa von Härtel den Werken Cyprians angedeihen
liefs. Man erhält einen authentischen Text aus einem Gufs, den
die Early English Text Society 1876 bei Herausgabe der English
Works of J. Fisher, XXII and 428 p. 8, in Aussicht gestellt
hatte. Cod. Arundel 151. 152 enthalten die Collectaneen und
Studienblätter zu dem Life, Fragebogen an Urheber sicherer
Überlieferungen mit den Antworten. Der erste Entwurf, die erste
und die Schlufsredaktion sind vorhanden und lassen in die
Werkstätte blicken, wo der Verfasser mit den Gehilfen arbeitet,
die nur geben, was sie sicher wissen, Zweifel und Nichtwissen
eingestehen. Van Ortroys Dissertation pre'liminaire behandelt den
Apparat, die Abfassung, die Quellen, die Zeit der Schlufsredaktion
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XACHKKJ1TEX.
mit der Solidität und kritischen Schärfe der alten Bollandisten,
nach den Prinzipien der historischen Methode, die de Smedt so
ausgezeichnet entwickelt hat. Jedes Stück des Quellenmaterials
wird geprüft, datiert, kontrolliert. Wer das Buch schrieb, weifs
niemand. Richard Hall, Kanonikus in Saint Omer, gest. 1604,
gilt irrig als Verfasser. Viele sehr wichtige Fragen erledigen
die Noten, Irrtümer bis in die Quellen verfolgend. Übereinstim-
mung oder Widerspruch von Angaben mit offiziellen Dokumenten
werden konstatiert. Kein Phantasiebild erhält Gnade; wo unser
Wissen nichts ist, wir nur dem Gerüchte lauscnen, wird es ge-
sagt. Wolsey, den der Autor zu schwarz malt, nennt der Her-
ausgeber ein politisches Genie ohne gleichen, das England zum
Bang einer malsgebenden Macht erhob und die Politik des Gleich-
gewichts inaugurierte, als Prinzip der Gröfce des Reiches, das
der Kardinal regierte, und als Pfand der Ruhe Europas.
* 19. Pieter Johannes Kromsigt (Predikant te Scher-
penisse), John Knox als Kerkhervormer. Proefschrift ter
Verkrijging von don Graad van Doctor in de Godgeleerdheid aan
de Rijks - Universiteit te Utrecht. Utrecht, A. H. ten Bokkel
Heimink, 1895. XII and 360 p. 8. Knox ist in Licht und
Schatten Anfänger uud Vollender des schottischen Puritanismus,
whom God has made both the first planter and also the chief
waterer of his kirk amonges us. Unter den Reformatoren und
ihren ersten Jüngern hat er seinesgleichen nicht an kirchlichem,
politischem, theoretischem und praktischem Radikalismus, an buch-
stäblich-gesetzlichem , beschränktem Biblicismus, an Gleichgültig-
keit gegen historisches Recht und historische Bildungen, an Ge-
waltsamkeit, Zerstörungslust, erbarmungsloser Intoleranz gegen die
Synagoge des Satans, an Härte, Schroffheit, unbändiger Heftig-
keit. Dennoch hat er Schottlands heroische, rauhe, streit- und
opferfrohe Frömmigkeit und kulturelle Blüte mit begründet und
gehört zu den Glories und Worthies der Nation. Daher konnte
die erste, meisterhafte Knoxbiographie Th. M'Cries 1811 bis 1881
in sieben Auflagen ihren Rang behaupten. Die Hauptquelle des
Buches Knox' Schriften publizierte David Laing für den Banatyne
Club und die Wodrow-Society in zwei durch aufgefundene Inedita,
gelehrte Einleitungen und Anmerkungen sehr wertvollen Aus-
gaben, Edinb. 1846—1864. 6 Vols. 8. Dokumente und Briefe
von Wichtigkeit für Knox' Wirken in England teilte P. Lorimer
mit in: John Knox and the Church of England, London 1875.
Da der Reformator entscheidend in die Regierung Maria Stuarts
eingreift, mufsten die Bearbeiter der Geschichte der unglücklich-
sten Fürstin sich mit ihm beschäftigen: J. Hosack, Mary Queen
of Scotts and her Accusers. 2 Ed. 1870. 2 Vols. Derselbe,
M. Stuart, A brief Statement of the principal charges brought
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NACH RICHTEN.
455
against her with awnsers to the same. 1888. Th. Opitz, M. Stuart.
1879. 2 Bde. J. Small, Queen Mary at Jedburgh in 1566.
1881. E. Bekker, Maria Stuart, Darnley and Bothweli. 1881.
B. Sepp, Tagebuch der Königin Maria Stuart. 1882. J. Steven-
son, Tbe History of Maria Stuart from the murder of Biccio until
her flight unto England by Claude Nau her secretary. 1883.
Desselben, Maria Stuart, A Narrati ve of the first eighteen years
of her life. 1886. Colin Lindsay, Mary Queen of Scots and her
marriage with Bothweli. 1883. M. Philippson, Etüde sur l'hi-
stoire de Maria Stuart 1889. Desselben, Histoire du regne de
Marie Stuart 1892, 1893. 3 Vol. Die Aktenrevision der schot-
tischen Reformation auf katholischem Standpunkte unternahmen
J. Walsh, History of the Catholic Church in Scotland. 1847.
E. Beilesheim, Geschichte der katholischen Kirche in Schottland.
1883. 2 Bde. W. Forbes Leith, Narratives of Scottish Catholics
nnder Mary Stuart and James VI. 1885. J. Shelton, Maitland
of Lethington and the Scottland of Mary Stuart 1888. 2 Vols.
Diese Autoren haben den reichen Stoff für die Leidensgeschichte
der alten Kirche gesammelt, die Ungerechtigkeiten, Gewalttaten,
die Barbareien eines Glaubenshasses wider die Katholiken so
stark wie der, welchem in der ßarthelemi die Hugenotten zum
Opfer fielen. Dies Audiatur et altera pars modifizierte stellen-
weise die Auffassung der kirchlichen Umwälzung, die Knox, Historie
of the reformation of religion within the realm of Scotland,
sanktioniert hatte , und deren Alleinherrschaft W. Scott erschüt-
terte, indem er als Dichter und Historiker das Schuldbuch beider
Teile unparteiisch — als Anglikaner — ans Licht zog. Den
altschottischen Standpunkt vertritt das Buch Kromsigts. Dem
Verfasser ist Knox Schottlands auserwählter Prophet, Schotte aus
den Schotten, praktisch, radikal, nüchtern, selbst mehr oder min-
der borniert, ein Mann voll heiligen Geistes, dessen feuriger
Glaube Herzen entflammt, der Urheber der geistlichen Wieder-
geburt seines Vaterlandes, dieses Fundamentes der religiösen,
sittlichen, sozialen Blüte, der Leader aus mittelalterlicher Barbarei
zur neuen Geschichte mit ihren großartigen Errungenschaften auf
allen Gebieten. Knox früheste Entwickelung, erstes Auftreten,
Gefangenschaft, Irrfahrten in England und auf dem Kontinent,
Rückkehr nach Schottland , Aufenthalt in Genf, Wirken in der
Heimat darzustellen und die Lehre eingehender als M'Crio gethan
zn berücksichtigen, ist die Aufgabe. Sie wird gelöst durch um-
fassendes, tiefdringendes Studium aller, auch der praktisch parä-
netischen , innige Frömmigkeit vorzugsweise dokumentierenden,
Schriften des Helden. Keine biographisch brauchbare Stelle ist über-
sehen. Mit der holländischen Autoren eigenen, hier erwünschten,
Aosführlichkeit werden die urkundlichen Belege in Analysen, Ci-
4r>o
NACHMCHTEX
taten reichlich beigebracht und erläntert. Für das Zeitgeschicht-
liche bietet Knox eigene Darstellung die Grundlage, Froudes Er-
gänzungen werden nicht verschmäht. Man kennt freilich die
Perfidie, Roheit, Unzuverlässigkeit und Kirchenfeindlichkeit dieses
Antors, dessen Praxis das Gegenteil der Forderung von Sybels
zeigt: Es ist Pflicht des Historikers, kein fortdauerndes Urteil
Ober eine Handlung oder über einen Menschen zu fallen, bis die
belastende Ankluge durch zwingende Beweise bestätigt ist (Tgl.
J. F. Meline, Mary Queen of Scots and her latest English Hi-
storian. 1893). — So neu wie verdienstlich ist die detaillierte,
sorgfältige Exposition der Beziehungen zwischen Knox und Calvin.
Widerlegt wird die herkömmliche Annahme, die Abhängigkeit des
Schotten, der kein grofser Theolog und Denker, sondern ein Mann
der Tbat war, der Oberzeugte wie ein Schmiedehammer, datiere
von dem Aufenthalt in Genf. Koox Wirken und Lehren werden
an Calvin gemessen. Gebilligt wird beides, soweit es die vom
Genfer Reformator gezogenen Grenzen inne hält. Überschrei-
tungen, auch wenn sie nur Konsequenzen der Sätze des Meisters
sind, trifft Tadel. GerOgt wird z. B. der Radikalismus, der sich
starr, beschränkt, abstrakt an den Buchstaben der Schrift klam-
mert, den Malsstab buchstäblicher Übereinstimmung mit dem piain,
express word auf die Spitze treibt und an alles legt. Dadurch
werde alles gleich wichtig und prinzipiell , das Aufserliche trete
zn sehr in den Vordergrund, Kultus- und Verfassungsfragen er-
hielten dieselbe Bedeutung wie die Lehre, für Indifferentia bliebe
kein Raum, jeder nicht wörtlich in der Schrift befohlene Kultusakt
werde götzendienerischer Greuel. Ohne Perspektive und historischen
Sinn sehe Knox alles in der Bibel auf gleicher Linie, vermische
alt- und neutestamentliche Ökonomie. Es heifst nun umgekehrt
wie bei Augustin Novum testamentum in vetere patet. Ohne
jede Röcksicht aut Zeit, Ort, Volk werden israelitische Zustände
und Gebote auf die Schotten des 16 Jahrhunderts übertragen.
Daher der theokratisch gesetzliche Charakter der puritanischen
Reformation. Knox Landsleute werden zum auserwählten Bundes-
volk, die Prediger — mutinous knaves nannte sie aus bitterer
Erfahrung unhöflich Jakob I. — empfangen Stellung und Macht
der Propheten. Die Erwählteu Olingen, in Ermangelung des
Feuers vom Himmel, gegen die Verworfenen nämlich die teuf-
lischen, verpesteten, ungläubigen Papisten Gottes Kriminal- und
Vertilgungsjustiz wider die Kanoniter in Anwendung und strafen
dreimaliges Hören der Messe mit dem Tode. Gebilligt wird
weder Knox Teilnahme am diplomatischen Intrigoiren Elisabeths,
die in dieser Kunst Katharina Medici gleich kam, noch seine
Empörungslehre, bei der eine Monarchie nicht bestehen kann.
Schrieb doch der Mann der That, des kraftvollen, individualisti-
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NACHRICHTEN.
•157
sehen, prophetischen Bewufstseins dessen Ideal Calvins Gent
war, jedem Gliede des Volkes Gottes das Recht zn, darüber zu
entscheiden, ob der Fürst nach Gottes Ordnnng regiere. Wo
nicht, so durfte der Kontrakt gebrochen und der Souverän ab-
gesetzt werden. Katholischen Fürsten, Weibern sprach Knox das
Thronrecht ab und bediente auf und unter der Kanzel seine Kö-
niginnen mit pastoralen Admonitionen , die Pasquillen sehr ähn-
lich sehen, und die sich kein Souverän gefallen lassen kann und
darf. Die Ermordung Beatons hatte Knox als heilige Ausübung
des Zelotenrecht« verteidigt, was ihm die Galere eintrug (Car-
dinal Beaton Priest and Politician by J. Herkless 1891). Krom-
sigbt teilt diese Auffassung nicht, geht vielleicht etwas zu scho-
nend über die Schändlichkeiten hinweg, welche Pöbelhorden bei
der Zerstörung und Verwüstung von Cupar, St. Andrews, Holy-
rood, Melrose, Skone, Dunnfermline, Paisley u. s. w. ausübten.
Von Maria Guise und ihrer Tochter fordern, dafs sie die kirch-
liche Revolution nicht nur als fait accompli anerkennen und dul-
den, sondern positiv fördern und die Hand bieten sollen zur
völligen Vernichtung der eigenen Kirche, der viele, von brutaler
Gewalt niedergetretene, Anhänger nicht fehlten, ist etwas zu viel
verlangt. Natürlich stellt der Autor Calvin über Luther, dessen
Doktrin Knox aus Schottland verdrängte. Bekenner der Angti-
stana können nicht einräumen, bei dem Verfasser der Institutio
finde sich das Gleichgewicht zwischen den beiden Prinzipien der
Keformation, bei Luther habe das materiale, bei Knox das for-
male die Oberhand Hat doch Calvin ein ganz anderes Material-
prinzip als den Solafidismus. Nicht richtig ist, dafs nur die
reformierte Theologie den usus didacticus legis kenne. Das mit
Recht gepriesene Kleinod der Kirchenzucbt glänzte doch allezeit
mehr auf dem geduldigen Papier als in der ungeduldigen Wirk-
lichkeit. Selbst der eiserne Donnerer konnte sie nicht durchsetzen
gegen die avaritiousness of the corrupt generation, die mercilesso
devourers of the patrimonie of the church. Trotz der Kirchen-
zucht spotteten die adligen Herren, gröfstonteils Virtuosen in
Treulosigkeit, Verechwörungskunst und Kirchenraub, nicht blofs
über den steten Refrain idolatry sondern auch über die Forde-
rung, einen Teil der Beute Schulen und Universitäten zu über-
lassen, als über eine wohlgemeinte, undurchführbare Phantasterei.
Trotz der Kirchenzncht mufste Knox am Ende seines Lebens er-
fahren, dafs es leichter sei, uralte Autoritäten brechen, als neue
aufrichten. Kromsigt hat seiner alttestamentlich-schottischen Heroen-
gestalt alle Ehre erwiesen. Dem ehrfurchtsvollen Staunen, das
sie erweckt, ist ein leises Grauen beigemischt Trefflich resümiert
das Schlufskapitel die Sonderlehren und entwickelt, von der
Wurzel aus, mit feinen Distinktionen , ihr Verhältnis zu den re-
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45K
NACHRICHTEN
formierten Zentraldogmen. Dennoch bleibt Stahls Urteil über den
Puritanismus und seine Theokratie von nüchternstem und streng-
stem Charakter stehen: der christliche Glaube soll das Zentrum
des öffentlichen Lebens sein, der Puritanismus macht ihn zum
alleinigen Inhalt desselben. In weitem Umfange werden natür-
liche Zustände nnd natürliche Bestrebungen vertilgt, statt sie im
christlichen Qlaubeu zu läutern und zu verklären. Es ist ein
Vorzieht auf Lebensgebiete und menschliche Leistungen, die Gott
selbst will, bei Unnatur nnd Manieriertheit der Frömmigkeit
Falsch ist der politische Grundsatz des Rechtes zur Empörung,
falsch ist die Herabdrückung des Königtums, falsch ist die spiri-
tnalistische Gründung der Gewalt auf ein geistliches Element,
statt auf die organische Ordnung, ein Irrtum ist der Bruch mit
der Geschichte, mit der geschichtlichen Autorität, dem geschicht-
lichen Recht, der geschichtlichen Sitte und Bildung, um das
Leben nur nach eigenem Plane zu gestalten.
* 20. In England hat sich der Gebrauch eingebürgert , je-
<lein Bischof, mag er eine celebrite oder nur eine actualite ge-
wesen sein, eine zweibändige Biographie aufs Grab zu legen.
Man ist deshalb nicht unangenehm von einer Ausnahme über-
rascht: Bishop Lightfoot. Reprinted from the Quar-
terly Review with a prefatory note by Brooke Foss
Westcott, Bishop of Durham. London, Macmillan, 1894.
XII and 139 p. 8. Es beifst auf dem Denkmal in der Kathe-
drale zu Durham von Joseph Barberhein, Lighfoot 1828 — 1889:
qualis fuerit antiquitatis investigator , evangelii interpres, eccle-
siae rector testantur opera, ut aequalibus ita posteris profutura,
ad majorem Dei gloriam. Dieses In merooriam, von Westcott ver-
fafst, erweiterte ein Anonymus aus der Familia des verstorbener.
Bischofs zu einer Lebensskizze, die, ein Tribut dankbarer Liebe,
sich auf das Interessante aus Leben und Schriften beschränkt,
und es mit dem Lobe gnädig macht. Man sieht den scheuen,
reservierten Gelehrten, dem in der Kindheit Bücher als Arzenei
dienten, werden und wirken. Auf den Cantab von enormem Fleifs
folgt der fellow of Trinity, der das Journal of classical and
sacred philology gründet und versorgt, der Professor, dessen Hör-
saal die von dem Meister der Ezegese scharenweise herangelockten
und elektrisierten gownsmen kaum fafst, dessen Kommentare zu
den Paulinen an die Galater, Philipper, Kolosser in immer neuen
Auflagen sich als Standard works behaupten. In den fünf Bän-
der Apostolic fathers schuf der Patristiker ein unübertroffenes
Monument des Scharfsinns, der Gelehrsamkeit und vollkommener
Beherrschung des spinösen Gebietes. Durchaus kein homo um-
braticus wirkt der bücherseiige Autor in Cambridge, Oxford,
Whitehall durch kraft- und gedankenvolle Predigten. In England
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NACHK1CHTKN.
459
waren die Bekenner des neuen Glaubens, denen der ehrliche Straufs
den Christennamen absprach, nahe daran Dechanten, ja Bischöfe zu
werden. Wider einen derselben, der Fichtes Kritik aller Offenbarung
-erneute, vertheidigte Lightfoot in Essays on supernatural Religion
den christlichen Glauben gegen solchen Deismus reüivivus. In
Auckland Castle mit der schönsten Schlofskapelle Englands, lebte
der schlichte, allem Glanz abholde Bischof nur seinem Amte, das
ihm monatelang nicht erlaubte, auch nur eine Zeile Gelehrtes zu
schreiben. Für vier neue von seiner Diöcese abgezweigte Bis-
tümer gaben ihm drei Freunde sofort 37 000 «£, für den Diö-
cesanfond brachte ein meeting 30 000 £. Der Jahresbeitrag des
Prälaten dazu betrug den Gehalt eines preufsischen Generalsuper-
intendenten. Zur Abhilfe der Kircheunot baute er in fünf Jahren
40 Kirchen und Kapellen. Schweigsam im Oberhause, in der
Gegenwart Gottes wandelnd, verstand er so die Sprache der Liebe,
des Seins und der That zu reden, dafs er 70 Theologen in seinem
Pallaste ausbilden konnte für besonders arme und schwierige Stel-
lungen. Im Blick auf das grofsartige durch den Reichtum der
main morte auch hier bedingte Wirken des Kirchenfürsten be-
greift man, dafs er Disestablishment bekämpft als ein nationales
Unglück und ein unabsehbare Erschütterungen hervorrufendes
nationales Verbrechen.
21. Life of the Right Rev. William Reeves D. D.
Lord Bishop of Down, Connor and Dromore, Presi-
dent of the Royal IrishAcademy, by Lady Ferguson.
Dublin , Hodges Figgis & Co. London , Longmans Green & Co.,
1893. VI. 210 p. 8. Zu den kostbarsten Denkmälern derNational-
litteratur Irlands gehört das 812 geschriebene Book of Armagh.
Nach S. Bergers kompetentem Urteil (Histoire de la Vulgate,
Paris 1893, p. 33) repräsentiert dieses Neue Testament la juxta-
position d'au moins deux textes, dont Tun paraSt avoir dte* ex-
cellent, l'autre procedant de l'ancienne traduction sous sa forme
irlandaise. Der Codex trägt noch das Reisekleid, worin er die
Missionsmönche begleitet hat. Er birgt ein merkwürdiges Zeug-
nis dafür, wie wert das Andenken des Pelagius den Landsleuten
blieb. Als der Schatz der grünen Insel für Geld auswandern
sollte, kaufte ihn für 300 £ ein armer Dorfvikar, dessen Jahres-
einkommen 100 £ betrug, um ihn in der lieben Heimat fest-
zuhalten. Es war William Reeves gestorben als Lord Bischof von
Down, Connor and Dromore. Schon als Kind ein Stück Anti-
quary fand er sich als Curate in Ballymena unter Altertümern
aller Art in dem Zauberkreise von Studienobjekten, denen seine
begeisterte Liebe gehörte. Sein Haus wurde ein Zentrum für
alle gleicbgesinnten Freunde der Vorzeit Oft hat es an einem
T;ige dreifsig Briefe ausgesendet. Der Schreiber galt als einer
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4ÜU
NACH1ÜCI1TEN
der gelehrtesten Archäologen Irlands. Es gab nur eine Stimme
höchster Anerkennung seiner Verdienste um die irische Kirchen-
geschichte, seit 1845 The ecclesiastical Antiquities of Down,
Connor and Dromore erschienen waren. 1855 folgte , ein
wahres Prachtwerk innerlich und äufserlich, die Edition von
Adamnans Vita Coiumbae, dieser Perle unter den Heiligenleben.
1864 drang der Autor mit den Culdees of the British Islands
bahnbrechend in eines der donkeisten Gebiete der ältesten eng-
lischen Kirchengeschichte. Eine Reibe von Arbeiten schlössen
sich an, den gediegenen liebevollen Forscher auf jeder Seite be-
kundend. In das innerlich so reiche von Entdeckerglück and
Entdeckerfreude erfüllte Stillleben des originellen, liebenswürdigen
Curate, Vikar, Rural Dean und Bischofs hat Lady Ferguson ein-
geführt, indem sie die reichhaltige Korrespondenz ihres Freundes,
worin Personal ia und Antiquaria anziehend abwechseln mit dem
sorgfältig gearbeiteten Rahmen einer Lebensskizze umgab.
* ZZ, Eine schöne Ergänzung zum Semi-Centennial of Phi-
lipp Schaff New- York 1893 bildet der Bericht über The Schaff
Memorial Meeting 27. Dezember 1893 in den Papers of the
American Society of Church-History. Vol. VI. 1894. Schaff,
dreifacher Doktor der Theologie und der Rechte, wohl der viel-
seitigste Kosmopolit unter Neanders Schülern war Gründer, Zen-
trum , Präsident und bester Freund der amerikanischen Gesell-
schaft für Kirchengeschichte. Noch kurz vor seinem Tode be-
mühte er sich, ihr einen Fond zu schaffen zur Förderung nicht
lukrativer aber notwendiger gelehrter Untersuchungen. Sieben
Redner hatten sich bei der Gedächtnisfeier in der Charakteristik
des gröfsten Kirchenbistorikers Amerikas geteilt, who bad learning, *
fervor, picturessness and iron diligence. Der niederländisch
Refoimieite T. W. Chambers schildert den Bible-Student and Re-
visor, der Methodistenbischof Hurst den Vereiniger deutscher und
angelsächsischer Gelehrsamkeit, der Lutheraner H. E. Jacobs den
Freund der lutherischen Kirche, der Anglikaner C. C. Tiffany den
von englischen Erzbischöfen und Bischöfen geehrten Lobredner
der Episkopalkirche. Der Katholik J. Shahan würdigte Schaffs
Stellung zum Katholicismns , der Unitarier J. H. Allen schlofs
sich mit einer persönlichen Huldigung an, E. C. Ricbardson mit
einem Elogium auf den Bibliophilen. Nachdem alles dessen ge-
dacht war, was die Partikularkirchen dem Autor und den Werken
verdankten, sagte der Sekretär der Gesellschaft S. M. Jackson
über den Menschen: he was respected and trusted; he was also
beloved. His bright smile, bis cordial greeting, his hearty laugb,
bis heen interest in all things about him, his comradeship with
persona in all lines of occupation; the readiness, with which he
formed acquaintances and the tenacity, with which he held them,
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NACHRICHTEN.
461
these are traits remembered aud emphasied. ile was a lovcr
of his kind aud a friend of men. In every assembly he attrac-
ted attention and drew people towards him. And yet how mo-
deat, almost sby he was! One of the most distinguished men of
our time, he bore himself quieltly, unostentatiously and simply.
He hedged himself round with no pomp or citcomstance. He
was always dignified and no one would have thought of being
familiär with him, yet he never repelled any one, rather he had
a welcome for every one. It were his noble qualities, which gave
him his hoste of friends.
23. Seit der Cyprianus anglicus, Laud, als Märtyrer der
Konformität des Anglicanismus nnd Royalismus unschuldig auf dem
Schafott geendet hatte, lautete in Schottland das kirchliche Feld-
geschrei nicht nur no popery, sondern auch no prelacy. Epi-
skopat , apostolische Succession , Liturgie , waren so verhalst wie
der Katholicismus. Die Antipathie gegen beides vererbte sich von
den alten Covenanters auf die spätesten Nachzügler, die Dichter-
hand in Old Mortality und dem Heart of Mid-Lothian verewigt
bat. Eine nationale Macht wie Staats-, Freie- und Unierte presby-
terianische Kirche ist der Episkopalismus nie geworden. Er führte
ein so aristokratisches Stillleben, dafs man ihn auswärts kaum be-
achtete. Ihn kcunen zu lernen, bietet die zweibändige Auto-
biographie des Bischofs von St. Andrews Charles Words-
worth, Annais of uay Life. 1847—1856 edited by W. Barl
Hodgson. London, Longmans, 1893. XXXVI and 230 p,
treffliche Mittel. Wordsworth üel die Aufgabe zu, den Angli-
canismus zu beleben, zu popularisieren, gegen die Presbyte rianer
zu vertreten und ihm bei den englischen Qeistlichen Gunst zu
gewinnen, die sich fürchteten durch die genuinen Doktrinen
Lands Puseyten zu werden. Wie erfolgreich der Bischof das
schwierige Werk durchführte und seine Kirche in einer Weise
hob wie kein Prälat vor ihm, mit welchen Mitteln ihm dies
gelang, wie er der litterarischen Opposition begegnete und als
Kektor des Trinity - College in Glenalmond für den geistlichen
Nachwuchs sorgte, bat er in der Fortsetzung der Annais of my
early Life 1806—1846, London 1891, XVI and 420 p., bis
ins Einzelste zu schildern begonnen. Ein dritter Band, wahr-
scheinlich aus der Feder des Bischofs von Salisbury, dem alle
binterlassenen Papiere anvertraut sind, wird von Earl Hodgson
in Aussicht gestellt. C. A. Wilkens.
402
NACHRICHTEN
Französisches.
Von
C. A. Wiikens.
1* Memoire« de la Sociäte* de l'Histoire de Paris et de
risle de France T. XX. Paris 1893. p. 295—357 behandelt
L6on Le Grand Les Beguines de Paris. Gil d'Orvals oft
angefochtenes Zeugnis für Lambert le Begue als Stifter des Be-
guinenwesens wird durch ein von Paul Meyer entdecktes Datum
einer Miniatur bestätigt. Ludwig IX. bereitete in Paris 400 ver-
armten adeligen Frauen ein Asyl. Es war den Nachfolgern ein
Pietäts- und Ehrenpunkt zu pflegen Le quel monseigneur saint
Loys fonda Robert de Sorbon gab den Beguinen das Zeugnis:
au jour du jugement une simple beguine pourra peut-ötre mon-
trer plus d'assurance que de savants theologiens. Ruteboeufs Sa-
tiren können dieses Urteil nicht umstofsen. Weil die Frauen
sich der Geistesgemeinschaft und des Schutzes wegen den Bettel-
orden anschlössen, traf sie der Hafs Gnillaumes de Saint Amour.
Von schwarmgeistigen, häretischen, verbrecherischen Verirrungen
blieben die Pariser Beguinen frei, wurden daher als solche, qui
vivaient pieusement chez elles ou en commun soumises a. leurs
äveques et ä leurs cur 6s von der Verurteilung Clemens V. und
Johanns XXII. nicht getroffen. Le Grand bespricht Ursprung,
Geschichte, Errichtung des Pariser Instituts, die Beschlösse des
Konzils von Vienne, das Verschwinden der Beguinage und deren
teilweisen Ersatz durch die Haudriettes und die Bonnes Femmes
Sainte Atroye. Die Statuten von 1341 S. 88— 95 und die Regle
des Bonnes Femmes sind der Abhandlung angehängt.
* 2. Documents inödits pour servir ä l'histoire ecelfaiastique
de la Belgique publik par le R. P. Dom Ursmer Berliöre,
Be'nedictin de Tabbaye de Maredsous. Tome I. Maredsous. Ab-
baye de Saint Benoit. 1894. VI. 325 p. 8. In den achtziger
Jahren des vorigen Jahrhunderts sah man auf der Ueerstrafse
des Rbeingaues nicht selten eigentümlich befrachtete Wagen.
Sie führten den Trödlern in Mainz und Frankfurt für Buchbinder
uud Goldschläger die Handschriften der Klöster als wertlosen
Plunder zu. Heute liefse sich ein litterarischer Ehrenkatalog
von Werken klösterlicher Autoren aus den letzten 50 Jahren zu-
sammenstellen, der einen eminenten Fortschritt aus dem auf-
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NAC! I K1CHTKN .
463
geklärten Winterschlaf dokumentierte. Eine der schönsten
Schöpfungen des 1894 gestorbenen Architekten Baron de Bo-
thnne ist die Abtei Maredsous. Im frühgotischen Stil erbaut,
gewährt sie in Wand- und Fenstergemälden, Bildhauerarbeiten,
Kirchengeraten, Parumenten, Altären den Genufs einer reinen,
künstlerischen Harmonie. Auch die Studien blühen in diesem
einzig schönen Kloster, für die der Stoff nicht mangelt Es giebt
keine Kirchengeschichte Belgiens, nur Vorarbeiten dazu in Ur-
kundenbüchern und Spezialmonographieen einzelner Klöster. Die
Analectes pour senrir k l'histoire ecclesiastique de Belgique sind
zu 20 Bänden gediehen, und doch bergen Archive und Biblio-
theken noch kostbare Reste an Kartularien und Nekrologieen, die
Chroniken ersten Ranges sind den Monuments Germaniae und de
Smedts Corpus Chronicorum Flandriae einverleibt Doch bleibt
eine Nachlese solcher, die für die Entstehungszeit und als Echo
verlorener Dokumente von Wert sind: quoniam inter multimodos
primae praevaricationis poenas etiam oblivionis morbo genus la-
borat humanum, discretornm virorum providit industria, bene
gesta mortalium posteritati scriptis mandari. Hier treten die
Benediktiner ein. Die Sammlung der Documenta iuedita soll
Urkunden publizieren, nicht in kostspieligen Reproduktionen, sondern
nach dem alten System, die Nekrologieen von Bonne Esperance,
Saint Ghislain, Broquevoie, Saint Amand, Saind Baron, Parc, Bau-
deloo, Moulins u. a. Den ersten Band eröffnen Chartes der Abtei
Florennes, darunter Kaiserui künden von authentischer Grundlage,
Ballen, Bischofsdiplome. Die Gesta Abbatura monasterii Sancti
Jacobi Leodiensis aus dem 15. und 16. Jahrhundert enthalten
interessante Details über die dunkelste Zeit dieses Hauses, eines
Herdes der von Bursfelde ausgehenden Reform und über die
Zustände in den reformierten Klöstern Saint Paul in Utrecht,
Vlierbach, Stavelot, Gembloux und andern. Die Chapitres G6-
näraux des monasteres be'nödictins des provinces de Reims et de
Sens 13. — 15. Jahrhundert sind proces verbaux der Versamm-
lungen zu St Quentin 1299, Reims 1348, Saint Germain- des-
Pr& 1363, Compiegne 1379, Saint Germain - des - Präs 1408,
Saint Faron de Meaux 1410. Man sieht, wie diese in der
Provinz Reims 1135 wohl vom heiligen Bernard angeregten,
dnrch Innocenz III 1215 für den ganzen Orden obligatorisch ge-
machten, durch Gregor IX. und Benedikt XII. modifizierten Ka-
pitel sich mühen, spinas et tribulos exstirpare, ne, quos timor
J)ei et metus Jehenne a malo non revocat, saltem districtio et
severitas coherceat discipline. Zu den von Piot 1881 edierten
Cartulaire de l'abbaye d'Eename giebt die Chronik der Äbte Er-
läuterungen. Der Nekrologe de l'Abbaye de Saint Martin de
Tonrnai 1360—1370 und die Actes de confraternite' et fon-
ZeiUchr. f. K.-O XVII. 3. 30
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464
X ACH RICHTEN.
daüoii8 d'Obit sind wegen der chronologischen und genealogischen
Wichtigkeil gedruckt. Dom Berliere der Bearbeiter des 1890
begonnenen Monasticon Beige, der fleifeige Mitarbeiter an den
Stadien und Mitteilungen aus dem Benediktinerorden und an der
Revue Benädictine bewährt in den Documents seinen gelehrten
Ruf, mag er Geschichte und Quellen des Unternehmens darlegen
oder einzelne Teile mit diplomatischen, historischen, mon astischen
Nach weisungen einleiten. Das Nummer Verzeichnis zum Nekrologe
von Saint Martin enthält 3500 Artikel und zu 106 Seiten
590 Noten!! Und doch gesteht der Verfasser, noch weit mehr
wurde er gegeben haben, hätte er die Tausende von Urkunden
des Archivs in Tournai untersuchen können. Wie sorgfältig sind
die Namen identifiziert, die Urkunden aufgespürt, die Licht auf
die Geschichte der genannten Personen werfen können. In den
Noten giebt Berliere wie ein Mann von altem Reichtum, der den
Prunk verschmäht, Genealogisches, Biographisches, Diplomatisches,
Lexikalisches, alles aus erster Hand, korrigiert Interpolationen,
ergänzt Textlücken, verweist zu weiterer Information auf die
Litteratur. Mit Konjekturen wird der Leser verschont Wo die
Hilfsmittel versagen, wo das Reichsarchiv und die Bibliothek in
Brüssel die Staatsarchive in Gent und Möns im Stiche lassen,
bleibt es hei dem ehrlichen: nous l'ignorons!
* 3. Histoire religieuse et bagiologique du Diocese de Digne.
Aix. J. Nicot, 1893. XXXIII. 500. p. 8. Die Troubadours des
19. Jahrhunderts, die FeUiber Jansemin, Boumanille, Aubanel,
Mistral, deren Werke Hunderttausende lesen, haben für die durch
sie geadelte Sprache und für die durch sie mit beispiellosem Erfolge
geschaffene Litteratur ein europäisches Interesse erweckt Die
Freude an der occitaniscben Renaissance läfst viele mit L. Geo-
froy sagen: T'ämi moon beu pais! T'ämi bello Prouveuce! Ami
toun ceu tant clar! Ami toun soule'n rousl Tei coumbo emai
tei baus, e toun clima tant dous! De ta masclo beuta gardi la
souvenence! Die9e Sympathie mit dem Lande, das den Ruhm der
bolle France rettet, mit der Sprache voll musikalischen Zaubers,
mit den frommen Traditionen eines gläubigen Volkes, dürfte auch
dem Bilderalbum zur Kirchengeschichte der Provence, der „Histoire
religieuse" Freunde gewinnen. Der Kanonikus J. F. Cruvellier
unternahm dieses Seitenstück zu Deperys Histoire bagiologique dn
Diocese de Gap und zu Nadais Histoire hagiologique du Diocese
de Valence, ohne es zu vollenden. Abbe' Andrieu that es in
fünfjähriger Arbeit. Die „Leben*4 der Heiligen und Frommen
sollten so in die Diöcesangeschichte sich einfügen, dafs klar werde,
wie Zeiten, Orte, Personen, Sachen, Erfolge, Leiden auf die Be-
treffenden wirkten und alles sollte seine Stätte finden, im Anschlufs
an Celebritäten der Kirche und Welt, an Facta und Institutionen,
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NACHRICHTEN.
465
an heilige und profane Denkmäler, Kirchen, Kapellen, Abteien,
Klöster, was das kirchliche Leben Dignes berührte. Die Archive
des alten Bistums sind untergegangen, ausführliche Vitae nur
aus dem 13. und 14. Jahrhundert erhalten. Kritische Unter-
suchungen, wie sie die beutigen Bollandisten fordern, lagen der
Arbeit fern. Sie folgt weder der traditionalen noch der histo-
rischen Schule ausschliefslich , schöpft aus Überlieferungen und
Urkunden. Plausible Induktionen müssen für die ältesten Zeiten
aushelfen. Deductions sans logique , temoignages suspectes werden
gerügt: mieux avouer son ignorance, qne de recourir ä de pa-
reilles argumentsl Archaeologische Fiktionen, Fälschungen zu-
gunsten hohen Alters, Hypothesen auf Grund von suppositions,
affirmations gratuites, interpretations forcees ou deloyales de texte
empfangen ihre Strafe. Damit der Leser richten könne, erhält
er das Pro und Contra, bei divergierenden Ansichten die an-
erkannten Facta. Legenden sind erzählt samt dem Echo in ver-
blaßten Lokalreminiscenzen, die Geschichten der den Heiligen ge-
weihten Kirchen, der Beliquien. Es treten Apostel-Missionare auf,
Bischöfe, Einsiedler, Grandseigneurs , Volksprediger, Mystiker:
Maxime und Fauste von Biez, Majeuil von Cluny, Gerard Tanque
Gründer der Hospitaliter in Jerusalem, Jean Mathe Stifter der
Trinitarier. Die Bevolutionszeit vertreten Befractaires, die lieber
starben als Assernientes wurden, wie der 80jährige Erzbischof
von Arles, Nonnen, die bis aufs Schafott bekannten, la loi hu-
maine ne peut pas nous Commander des choses opposles ä la loi
divine. Ergreifend ist das Bild J. H. Chastans 1803—1839,
der, Missionar in Korea, starb, weil er das rettende Wort der
Apostasie nicht sprechen wollte, so wenig wie 150 in gräfslicher
Gefangenschaft schmachtende Christen. Gern hört man vieilles
traditiona aus Alpenthälern, ans der imposant gelegenen Bischofs-
stadt am Ufer der über Felsen in die Durance stürzenden Bleone.
Altpro venzalische Texte erhöhen den Beiz der Heiligenleben, von
denen selbst Felix Dahn meint, diese Litteratur biete oft einen
edlen Genufs, eine Fülle von Idealismus, den wir am fin de
siecle brauchen könnten.
*4. Le Pere Joseph et Bichelieu (1577—1638) par
Gustave Fagniez. Paris Hachette et Co 1894. 2 Vols. 605.
514 p. 8. Sind wir nur eine Stunde ehrlich, dann sind wir
für eine Ewigkeit verloren! Dieses antichristliche Wort des
Karl of Chatäin enthält die Signatur der diplomatischen Maul-
wurfsarbeit der grauen Eminenz im Dienste der roten, zu-
gunsten der europäischen Hegemonie Frankreichs. Paul V., Fer-
dinand II., Bichelieu, Bmlart, Spada, Grotius beglaubigen Bankes
Verdikt über den zweizüngigen verschlagenen Mönch: der Pater
hatte nicht allein Kopf, sondern auch Stirn für alles. Nichts
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NACHRICHTEN.
brachte ihn aufser Fassung; für alles fand er Entschuldigung.
Das Gehässigste nahm er ohne Bedenken über sich. Er hat die
labyrinthischen Gänge einer vor nichts zorückscheuenden Politik
und dunkelen Gewaltsamkeit eröffnet. Alle Skrupel hatte er noch
weiter von sich geworfen als der Kardinal. Im Himmel und
auf Erden beschäftigte ihn nichts als die Politik des Moments.
Der tenebroso, cavernoso, mit dem goüt pour le mystere et les
menees souterraines, wie ihn sein Gebieter charakterisiert, ist im
Metier ein Stern erster Gröfse. Unübertrefflich operierte er mit
den Giften Zweizüngigkeit , Lüge, Heuchelei, Schmeichelei, Ver-
lockung, Bestechung, Verrat, Spionage. Keines versagte ihm,
wenn er es für einen kühnen Griff d. h. für eine fourberie seines
Herrn bedurfte, dem er überlegen war an Detailkenntnis der po-
litischen Dinge in Europa, an Optimismus, Mut, Findigkeit, Ar-
beitskraft, Sachkunde, Unerschöpflichkeit an Auskunftsmitteln, Aus-
wegen, Umwegen, an Spürsinn für die entscheidende Conjunktur,
an Geschick mit Kleinigkeiten und Privatinteressen zu rechnen, an
Verständnis der Preise, für welche die zu haben seien, die in sein
Netz gerieten, an Clairvoyance , an Kühnheit der Initiative bis
zum Abenteuerlichen, an Taubheit für Recht und Sünde. Und
derselbe Mann, der keine Seele hat, sondern an ihrer Stelle Un-
tiefen und Lachen, scheint redlich, bieder, gütig, arg- und selbst-
los, voll Friedensliebe. Er ist orthodoxer Katholik, Tbeolog,
Priester, Mönch, Ordensstifter, Erbauungsschriftsteller, Visionär,
Mystiker, Kreuzzugsagitator, ein Saulus wider die Hugenotten, zu
Tausenden erobert er Ketzer, den Principe in der Rechten, das
Kruzifix in der Linken. Welch ein Beispiel doppelter Buch-
führung zur Erhärtung der Renanthese von den Frommen, die
der heilige Geist über Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit hoch er-
hebe, von den maskierten Schurken mit der Aureole. Man mufs
den nationalen und wissenschaftlichen Heroismus Fagniez' be-
wundern, der an die Schilderung einer solchen Persönlichkeit ein
grofses Stück seines Lebens setzte. Im Britischen Museum fand
er das Autograph der Memoires d'Etat du P. Joseph, betitelt
Supplement ä THistoire de France, ou sont expliquees les plus
considerables choses de cet 6tat durant l'administration du Car-
dinal de R. depuis l'annee 1624 jusqu'ä 16(38). Man wufste
nicht, das Lepre* Balain diese Denkwürdigkeiten mit Hilfe des
Sekretärs P. Ange de Montagne aus binterlassenen Staatspapieren
Josephs zusammengestellt habe, den Jünger stellenweise über
den Meister erhebend. Über eine unvollständige Kopie de**
Buches in der Bibliotheque Nationale Histoire de Louis XI] I.
pendant les annees 1634, 1635, 1636. 4 Vol. fol., las Ranke
in der Academie des sciences morales et politiques, ohne den
Autor zn erraten. Parmentiers dachte den Prussien zu schlagen,
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NACHRICHTEN.
467
indem er das Werk zum Supplement der Memoiren Richelieus
machte. Kaum war er für diese Leistung Doktor der Sorbonne
geworden, als Fagniez' Widerlegung in der Berne critique 1879
den vermeinten Sieger besiegte. Er durchforschte zur Ergänzung
der Mlmoires nicht nur alle deutschen, franzosischen, italienischen
und spanischen Publikationen, sondern auch sämtliche Korrespon-
denzen der in Frankreich accreditierten diplomatischen Agenten
mit der englischen, bayerischen, brandenburgischen, holländischen,
schwedischen, kaiserlichen, mantuanischen , savoyischen, toska-
nischen und päpstlichen Regierung. Das Familienarchiv der Le
Clerc de Tremblay stand ihm offen und die französischen , archi-
valischen Depots. So gewann er aus erster Hand eine Kunde der
politischen Verhältnisse der Zeit, wie sie Joseph seinen Reisen,
dem Aufenthalt im Auslande, den allgegenwärtigen Kapuzinern,
dem Netz seiner Verbindungen verdankte. Mit diesem Material
kann er jeder Frage nachgehen, welche die beiden Associes in
Atem hielt nnd ans Licht ziehen, was im Finstem verborgen
war. Über den Heros der Kirche instruierten Lepre" Balains
handschriftliche Biographie aus den besten Quellen und die von
den filles calvaires gehüteten autobiographischen Reliquien ihres
Stifters. Josef war es zur Natur geworden, sich vor Mit- nnd
Nachwelt zu verstecken. Fagniez treibt Reineke zum Loch heraus.
Mit Richelieu fast er seinen Liebling zusammen, da sie ein Herz
und eine Seele sind Über jenen giebt er nicht sowohl neue
Züge, als dass er die bekannten Eigenschaften sich glänzender
abheben läfst auf der Folie der Schwächen, Härten, Kleinlichkeiten,
Veiwegenheiten. Der allgemeinen Geschichte entnimmt er den
Zug der die beiden Politiker occupierenden Ereignisse, der Bio-
graphie das malerische Detail, sich auf das für die Erkenntnis
der geistigen Physiognomie Wichtige beschränkend. So bat er sich
in die Gedanken- und Empßndungswelt seiner Helden eingelebt,
dafs er sie durchsichtig machen kanu wie ein Drama Shakespeares.
Und das Resultat? Der berüchtigte Kapuziner wird aus der Ge-
sellschaft der abgefeimten Schurken befreit nnd in den Kreis der
bewundernswürdigen Patrioten und grofsen Christen versetzt
Also eine totale, sittliche Restauration, bei der man an die
Triumphscene des Schlusses unseres Thierepos denken mufs. Aber
haben denn wirklich Papst und Kaiser, Nuntien und Gesandte,
Ordensbrüder nnd Historiker sich zur moralischen Ermordung des
ausgezeichneten Mannes verbündet? Ist hier wirklich nach Leo XIII.
Anspruch die Geschichtschreibung eine Verschwörung gegen die
Wahrheit gewesen? Folgte Ranke blind der fable convänue?
Keinesweges. Nur verwandeln sich die Vorwürfe in Vorzüge unter
dem Zauberstabe des nationalen Vorteils, im Sinne der natürlichen
Grenzen und der Beherrschung Europas. Was diesen Tendenzen
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NACHRICHTEN.
dient, ist legitim. Richelieu steht über Deutschland wie e»n
Beate spähender Raabvogel. Sein Alterego unterminiert das heilige,
römische Reich, um die Ruine mittelst der unter Frankreichs
Vormundschaft gebrachten Fürsten zu ruinieren; den Rosenkranz
des Hauses Österreich zu zerreifsen, das Kaiserbaus zum Schatten
herabzubringen. Bs ist wahr, was ein Edelmann nach einer
Audienz Josephs bei Tilly ihn vernehmen liefs: ihr seid als Ka-
puziner verpflichtet, Friede iu der Christenheit zu fördern und
entzündet blutige Kriege zwischen dem Kaiser und den Königen
von Spanien und Frankreich, fort, erröten solltet ihr über die
Schande! Fagniez findet diese Schande ehrenvoll, da sie Frank-
reich erhöhen will. Geduldig verfolgt er des Paters Fährte
durch alle Misere der Politik auf endlosen Schneckengängen der
Verhandlungen vom ersten Entwurf der geheimen Instruktion für
einen Gesandten oder Agenten an. Man bewundert ihn wie
einen Anatomen, der ein Präparat arbeitet, wenn er alle Fäden
des von Joseph gewebten Netzes aufzeigt. Man meint den Ka-
puziner zu sehen, wie er bei Negotiationen viel spricht, um nichts
zu sagen, den Gegner mit Schwung und Fener zum Sprechen ver-
lockt, ihn durch allgemeine Reflexionen von der Hauptsache ab-
lenkt, zu Konzessionen überrumpelt, in weiten Kreisen auf das
Ziel losgeht, bald kühn, offen, herrisch, bald herzlich, liebens-
würdig, einschmeichelnd , oder bedenklich, mifstrauisch, versteckt.
Mit diesen Künsten bläst er z. B. in Regensburg die Zwietracht
an und predigt Eintracht, entflammt die Leidenschaften, alarmiert
die Interessen , verbittert die Zwistigkeiten zwischen Kaiser und
Kurfürsten, mildert liebevoll die Differenzen dieser untereinander,
mischt als ehrlicher Makler Religion und Politik, Bestechung und
Berufung auf die Traditionen der alten fürstlichen Freiheit. Das
ist der grofse Patriot, dem die Türken gegen Österreich will-
kommne Alliierte sind, den keine Skrupel stören, wie sie Maxi-
milian von Bayern und die geistlichen Korfürsten hinderten ihre
Eide zu brechen und vom Kaiser abzufallen. Doch wie erhält
man den grofsen Christen? Paul V. nannte Joseph l'apötre
double d'un politique, possede* d'un demon aussi seduisant qu'in-
qutötant. Ist das Verleumdung? keinesweges. Freilich hat sich
der Mönch bewufst und konsequent für den gröfsten Teil seines
Lebenswerkes von den christlichen Geboten emanzipiert Dennoch
bleibt er ein grofser Christ, weil er für die Macht der französischen
Kirche arbeitet als eines Koefficienten der Oberherrschaft Frank-
reichs, und weil er durch das Imperium seines Landes die heilige
Kirche zum Siege über Ketzer und Ungläubige, somit zur höch-
sten Lebensentfaltung führen will. Im Bann der krummen Wege,
gleichgültig gegen die Mittel bleibt er auch hier. Drei Tage
vor dem Tode seines Getreuen hat ihn Richelieu zum Theater in
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NACHRICHTEN.
409
Rueil eingeladen, das Stück sei sehr ernst. Joseph erwiderte:
ich will lieber Komödie mit meinem Brevier spielen. Das hat
der Diplomat gethan, der sich vom Mönch die Absolution holte
wegen des Sündigens zum guten Zweck, und den Pferdefufs fast
zu weit hervorstreckte, wenn er seinen Calvairiennes Offenbarungen
suggerierte, um Ludwig XI II. als Gewissensrat politische Projekte
plausibler machen zu können. Jeden Augenblick hielt er für
verloren, der nicht der Verkündigung und Ausbreitung des Ka-
tholicismus gewidmet sei, Richelieus Lauheit, Weltlichkeit, Schlaff-
heit in dieser Beziehung sollten die Nonnen durch Gebete bannen
helfen. Aber die schändlichsten Mittel sind erlaubt, um hugenot-
tische Geistliche zum Verrat nnd Abfall zu locken. Fagniez
hat die kirchenhistorische Seite seines Stoffes nicht minder gründ-
lich, ausführlich, weitsichtig, mit derselben warmen Anteilnahme,
mit demselben Takt für das Entscheidende, för die eventuelle
Wichtigkeit des kleinen behandelt wie die politische. Er ver-
steht den ungeheueren Einflufs der kirchlichen Fragen und be-
urteilt sie konfessionell nicht befangen. Er sieht ein, dafs Hein-
richs IV. und Richelieus Maximen auf religiösem Gebiet ebenso
zur sittlichen Verödung führen , wie auf politischem zu Isoliertheit
und Erschöpfung. Viel Neues in geistvoller Verarbeitung dankt
man ihm, wenn er den Anteil Josephs am Reveil an der Re-
katholisiernng des Poitou, Languedocs, an der Niederwerfung des
Hugenottenstaates im Staate, an den Missionen, an der Reform
der kirchlichen Disziplin, an der Bekämpfung des Richerismus,
Illumini8mu8, Jansenismus schildert. Die Kreuzzugschimäre, die
Stiftung eines Ritterordens zur Erweiterung nnd Verteidigung der
christlichen Republik, die Opposition gegen die Patriarchatspläne
Richelieus und die konfessionelle Politik Berulles, der beiden
Königinnen nnd der Devote, die indirekte Einwirkung Josephs
auf den Klerus als Pfleger des Patriotismus und der bürgerlichen
Tugenden, die Begünstigungen des politischen nnd religiösen
Gallikanismu8 , die Neubelebung des von der Renaissance, dem
Protestantismus und der eigenen Korruption nullifizierten Ordens-
wesens, die riesigen Erfolge bei solchen Hugenotten, die mit dem
Calvinismus nur noch zusammengeleimt waren durch Tradition,
Herkommen, Vorteile, Vorurteile, Negation, Nebensachen — dieses
alles findet eine tiefdringende Würdigung in dem auch für die
Kirchengeschichte sehr wertvollen Buche. Völlig eins mit Fagniez
in der Bewunderung für P. Josephs Gaben, Tendenzen, Mittel,
Frömmigkeit, Kirchlichkeit, Bekehrungseifer hat Abbe* L. Dedouvres
in seinem Werke Le Pere Joseph Polemiste. Ses premiers ecrits
1623—1626, Paris, Picard et fils, 1895, 637 p. 8, ein Supple-
ment znr obigen Biographie gegeben. Es behandelt die journa-
listische Thätigkeit des Troglodyten in der Kapuze, der anonym
470
NACHRICHTEN.
und Pseudonym im Mercure francois, dessen geheimer Direktor
er 1624 — 1628 war, für seine und Riehe! ieas Politik Stimmung
machte. Die „Meisterwerke" werden dem Urheber kritisch zu-
gesprochen, angeblichen Autoren abgesprochen, analysiert, gelobt,
chauvinistisch gewürdigt.
5. Im Oids 1894 giebtFruin eine sehr reichhaltige Dar-
stellung der katholischen Renaissance in Nordnieder-
land zu Anfang des 17. Jahrhunderts.
* 6. Histoire des Seminaires de Bordeaux et de
Bazas par L. Bertrand, Directeur au Grand Se'minaire de
Bordeaux. 3 Vol. Bordeaux, Ferat freres, 1894. Der erste Band
der Seminarmonographie erzählt die Geschichte der Anstalt in
Bordeaux bis zur Revolution, der zweite die Restauration und
Reorganisation nach dem Konkordat, der dritte ist dem Seminar
in Bazas 1644 — 1830 gewidmet. Hundert Jahre vor dem Tri-
enter Konzil hatte Bischof Pay Barland das älteste Priester-
seminar in Frankreich gegründet. Die Beziehungen desselben zu
den Nachfolgern des Stifters bilden den wichtigsten Teil der Ge-
schichte des Hauses. Sie berührt vielfach die allgemeine und
Provinzialkircbengeschichte. Der Verfasser schöpft aus Urkunden
und guten Lokal traditionen. Auch die charakteristische Anekdote
aus dem Professoren- und Studentenleben verschmäht er nicht.
Napoleon meinte kraft des Konkordats die Geistichen gleich
Soldaten be- und mifshandeln zu können. Erzbischof d'Aviau
erwies sich jedoch als ein sehr begriffstütziger Rekrut, dem weder
der Genius noch der Despotismus des jüngstältesten Sohnes der
Kirche imponierte. Seine Renitenz auf dem Nationalkonzil würde
ihm eine Retraite in Vincennes eingetragen haben, wäre er dem
Machthaber mehr als eine alte Reliquie gewesen, die freilich
nichts mehr wirke, die man aber doch nicht anrühren dürfe,
ohne ein Volk von Tröpfen aufzuregen. Unter vielen Kämpfen
ist er der Wiederhersteller des Seminars geworden. Da Bazas
vor der Revolution ein eigenes Bistum mit autonomen Kollegien
war, erheischte die Geschichte seines an die pätites äcoles de
Port-Royal gelehnten Seminars eine gesonderte Behandlung.
* 7. Los Be*n6dictins de Saint- Germain-des-Pres
et les Sa v ante Lyonnais d'apres leur correspondance in-
e*dite, par rAbbe* J. B. Vanel, Vicaire de Saint Germain-des-
Pr& Paris. A. Picard, Lyon. E. Vitte 1894. X. 379. Die
revolutionäre Kulturbarbarei, die dem durchaus modernen Hermann
Grimm seine viel verhöhnte Klage über Roms Vernichtung aus-
gepreist hat, wollte 1803, um einen freien Platz zu gewinnen,
eines der schönsten Werke französischer Gotik niederreifsen , die
Sainte Chapelle Pierre de Montereaus im Pariser Pallast Lud-
wigs IX. Derselbe Meister hatte als Seitenstück zu diesem Straufs
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NACHRICHTEN.
471
von Fensterrosen die ebenbürtige Marienkapelle in Saint Germain-
des-Pres gebaut, die 1794 zugunsten einer neuen Strafse de-
moliert war. Dasselbe Schicksal traf das vieltürmige Kloster, von
dem nichts blieb als die Mauern der alten Kirche der Merowinger
und der Pallast des Abtes. In ihm wohnen jetzt die Pfarrgeist-
lichen, Hüter grofser Erinnerungen an die Mauriner; nous
conservons, sagt Vanel, en he*ritage leur magnifique Oglise, nous
veillons sur leur cendres, nos enfants recoivent l'öducation chre*-
tienne et nos pauyres sont assiste* dans le palais de leurs puis-
sants abbes. Ergriffen vom genins loci, widmete Vanel in ge-
lehrter und christlicher Pietät die dem Amte abgesparten Muße-
stunden dem serieux et agräable töte ä tete mit den Männern,
über dessen Grabsteine er so oft, um zu celebrieren, zu der Statte
geht, wo einst Mabillon jedes erste geschriebene Blatt eines
Werkes auf dem Hochaltar niederlegte. Er vergräbt sich in die
Mauriner-Papiere der Nationalbibliothek: rien ne nous semblait
plus reconfortant et plus capable de nous gagner de plus en
plus aux austeres jouissances de la science et de la critique,
que les persuasives 1090ns de ces pages jaunis par le temps aux
ecritures plus ou moins dechiffrables , de pro?enences si diverses,
mais toutes pleines de la noble preoccupation de servir la vente*
et de la faire triompher du prejuge' et de l'ignorance. Diesen
Gewinn will das Buch auch andern zuwenden, die Wahrheit in
der unverhallten, packenden Gestalt der authentischen Urkunde
zeigend. Die litterarischen Verbindungen Saint Germains in und
aufser Frankreich mit Mönchen aller Orden, mit Kapitularen, Uni-
versitätslehrern, Autoren, Samlern sind bekannt. Lyon hatte im
17. und 18. Jahrhundert in seinen Klöstern, Schulen, Drucke-
reien, Komptoiren Männer von so regem gelehrten Interesse, dafs
die Entdeckung einer Caracallamünze den Prävöt des marchands,
die Jesuiten, den General vikar und den Erzbischof in Bewegung
bringen konnte. Die Zeugnisse der Beziehung zwischen Saint
Germain und Lyon befinden sich in der Correspondance B^nädic-
tine. Von ihren 70 Bänden kommen auf Mabillon 11, auf Mont-
faucon 13, auf de Vic 5, auf d'Achery 7. Manches bergen die
Collectaneen zum Augustin, zum Monasticon Gallicanum, zur Gallia
christiana. Daher nimmt Vanel etwa 130 Briefe 1650 — 1775,
die er in 8 Kapitel verteilt. Absender sind aus der Kongre-
gation Mabillon, Louvet, Cousin, Martianay, Germain, de la Serre,
Gerard, Clouet, Fillastre, Montfaucon. Zu den Empfängern ge-
hören De Vic, Le Tallier, Le Simon, d'Achery, Ruinart, Martene,
Bivet, Montfaucon, Porcheron, Pommeryae, Blampin, Thuillier, La-
taste, de la Vie, Massuet, Clouet, Baffier. Nicht-Mauriner: ßey-
naud, — Jesuite, qui a beaucoup ecrit, unterschrieb er sich als
Verfasser von 21 Folianten, — Montmorin. Erzbischof von Vienne,
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472
NACHRICHTEN.
Drouet de Maupertuis, Viennes Kirchenhistoriker, Gasparini, Ge-
neralabt von St Antoine, der Buchhändler Jean Anisson, Chatean-
nenf de Bocheion, Bischof von Noyon, Guerin de Tancin, Erz-
bischof von Embrun, Kardinal Fleury, Erzbischof Fontanini, Stifts -
bibliotbekar Müller in St Gallen. Es ergehen Schreiben an den
Erzbischof von Lyon, an Gattola Prior von Monte- Casino, an den
Tübinger Kanzler Pfaff. An die Spitze der Sammlung stellt Vanel
Mabillons dissertation epistolaire über die Series Archiepisco-
porum Lugdnnensium als Aviso nachfolgender Diskussionen über
d'Acherys Edition des Lanfranc, des Guibert von Nogent, des
Spicilegium, über die Angnstinusausgabe , Ruinarts Acta Marty-
rum, Apologie de la Mission de Saint Maur, Abrege de la Vie
de Jean Mabillon, über die Histoire litteraire de France, Mont-
faucons Athanasius, Antiquite's et Monuments, Massuets Irenaeus.
Für Personalien und Zeitfragen lassen die gelehrten Themen
Baum. Man erfahrt vom Streit Saint Germains mit dem Erz-
bischof Perefixe über das Privilegium, kraft dessen die Abtei die
quasiepiscopale Jurisdiktion über das Faubourg beanspruchte.
Die Verstimmung Clunys über gelehrten Baub wird laut; einer
der Anciens schilt Louvet, er habe un des vötres gesehen, empör-
ter plein un sac de papiers et que cela ötait vole* hautement
Der Kampf der Pariser Buchhändler gegen Anissons Etablisse-
ment in der Stadt interessiert alle Freunde des Hauses. Mabillon
erzählt von seiner flandrischen Reise 1672: fromm bis znm Aber-
glauben seien die gutartigen Einwohner, prächtige Kirchen und
Klöster; die alte Disziplin sei fast dahin. Man verschreie in Gent
den honnete ecclesiastique de Buscum, weil er die Absolution
den zu ihrem Empfang nicht Disponierten versage. Die Funde
veranlafsten den Beschlufs einer General Visitation der Häuser
der Kongregation, um die Archive zu ordnen, die Fonds zu in-
ventieren, Kataloge zu machen, die Besitzer der Pergamente mit
Achtung, Sorge und Lust zur Benutzung zu erfüllen. Zwölf
Jahre widmete sich de la Serre (Estiennot) dieser delikaten
Wandermission, bien en rapport avec ses aptitudes intellectu-
elles, sa nature affable et distinguee, und an zwanzig Stellen
wirkte la flamme de sa cnriosite* et l'exemple de l'assiduite la
plus acharnöe au travail. Beiträge zu der noch ungeschriebenen
Geschichte des Jansenismus von Saint Germain und des Über-
ganges vom Zentrum zur Linken zum Streit der Constitutionaires
und Appellanten finden sich. Vanel giebt seine Texte treu,
nötigenfalls mit erläuternden Noten. Dem Herausgeber steht der
Historiker gleich. Der Stoff ist in die Gruppen gegliedert: une
lettre ine'dite de Mabillon , Idsuite et Chartreux, un collaborateur
de bonne volonte*, variae, une maison de librairie lyonnaise et la
bibliotheque du Roi, le sons-prieur Ambronay, Constitutionnaires
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NACHKICHTEN.
473
et Appellants, re*ditenr de Saint Irenee. Die Einleitungen sprechen
über Leben, Charakter, Studien, Briefwechsel der Hauptfiguren
und enthalten fein gezeichnete Porträts von Estiennot, Menestrier,
Thuillier, Massuet, den Anissons. Hier zeigt sich Vanels um-
fassende Quellenforschung. Er geht auch auf den gelehrten In-
halt der Briefe ein, resümiert die Fragen und sucht sie der Ent-
scheidung naher zu führen. Den Texten entnimmt er Aufschlüsse,
Fakta, Ideeen und verwendet sie zu Darstellungen, ou rimagi-
nation avec ses graces et ses creations deguise la se*cheresse du
document et orne sa nudite\ Einleitungen und Schlufs-
betrachtungen rahmen geschmackvoll die Documente ein; man
brauche ja die Leser nicht abzustofsen, indem man sie belehre:
le gout et l'art ne sont pas necessairement exclus parcequ'on
foumit de l'inödit. Auch die note gaie fehlt nicht. Gegen
Rances Bekämpfung der Etudes monastiques tritt er auf Mabillons
Seite: il reste invinciblement demontre*, que les Stüdes ne nuisent
pas ä la rägularite* monastique, et que la science n'est pas
diminule par la pieHl. Launoy, den denicheur des saints, findet
er überall, ou la critique peut exercer ses droits de reversion
et de suppression. Einer der Lieblinge Vanels ist Estiennot, le
pe*lerin de l'erudition, un homme capable d'6crire de sa main
pres de L volumes en folio, sans avoir la vanite' d'imprimer une
seule ligne Immorior studiis lautete sein Motto et amore senesco
sciendi, sed ea quae mihi prosunt et meis aliquando profutura
sint. Diesen Freund Mabillons zu behandeln avec tous les deve-
loppements qu'il appelle, wird der Inhalt des nächsten Buches
sein, für das sich der Autor legitimiert hat wie wenige. Ehe er
es den Freunden der Mauriner darbot, hat er den Thesaurus der
Nekrologe seiner Abtei in der Bibliotheque Nationale verwertet
in: Les Bönödictins de Saint Maur ä Saint Germain - des - Pres
1630 — 1792. Necrologie des religieux de la Congregation de
Saint Maur decedäs a l'abbaye de Saint Germain - des - Präs pu-
blice avec introduction, Supplements et appendices. Paris, Cham-
pion, 1896. XIII et 412 p. 4.
*8. L' Eglise d'Agen sous l'ancien regime. Pouille'e
Listorique du Diocese d'Agen pour l'annöe 1789 par TAbbe'
Durangues. Agen, Ferran freres, 1894. XVI et 750 p.
avec une carte. Toqueville und Taine die Historiker des Ancien
Regime wQrden sich dieses Pfründenregisters gefreut haben als
eines wichtigen Beitrages für die Erkenntnis der Vermögenslage
der alten französischen Kirche und zur Widerlegung vieler Irr-
tümer, die über diesen Punkt tradiert werden. Der Verfasser
verfügte über das verläfslichste Material, Register, Rechnungen,
Protokolle der Kirchen Visitationen, und kann Hab und Gut jeder
kleinen Dorfpfarre notieren. Wie bei Prozessionen der Bischof
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174
NACHRICHTEN
zuletzt kommt, macht er die Pfarren zu Ausgangspunkten, denen
Abteien, Priorate, Kapitel, Eveche* folgen.
* 9. L'ancien Clerge de France, deuxieme partie: les
äveques pendant la Revolution par PAbbe Sicard. Paris, V. Le-
coffre, 1894. 513 p. 8. Gegenfiber den aus Unwissenheit nnd
Parteihafs gebornen traditionellen Urteilen über den Klerus des
ancien regime ist Toqueville für denselben mit dem Bekenntnis
eingetreten: je ne sais, si, a tout prendre et malgre* les vices
eclatants de quelques -uns de ses membres il y eut jamais dans
le monde un clerge* plus remarquable que le clerge catholiqne
de France au moment, ou la Revolution l'a surpris, plus eclairö,
plus national, moins retranchä dans les seules vertue privees,
mieux pourvu des vertue politiques et en memo temps de plus
de foi. La persecution l'a bien montre*. «Tai commencö Petude
de Pancienne socie'tä plein de prejugös contre lui et j'ai fini
plein de respect. Der Stoiker Taine bestätigt das Votum: mon
jagement, fonde* sur les textes, coincide comme ailleurs avec celui
de M. de Toqueville. Les documents trop nombreuses pour $tre
cites se trouvent surtont dans les biographies et les histoires
locales. Aus ihnen mit umfassender Kunde und gerechtem Ur-
teile schöpfend, hat Abbe* Sicard im ersten Teile seines Werkes
ein reiches, erschöpfendes Beweismaterial für die Urteile de Haistres,
Bnrkes und der beiden neuesten Darsteller des ancien regime
gesammelt und trefflich verarbeitet. Den Kommentar aus glei-
chem Stoff zum „la persecution l'a bien monträ" liefern Les
Eveques pendant la Revolution, urkundlich, sachlich, unparteiisch,
gründlich gelehrt. Das erste Buch zeigt, wie der Hafs gegen
Kirche und Monarchie, gegen jene zum Teil um dieser willen
zur Vernichtung beider, zu dem der Entchrtstlichung Frankreichs
dienenden Raube der Kirchengüter fortschreitet Im zweiten wird
der Kampf gegen die Zivilkonstitution dargestellt, der dem Klerus
die Bewunderung der Mit- und Nachwelt erworben hat. Diese
heroische Treue zwang selbst Mirabeau zu dem Geständnis: nous
avons pris leur bien, mais ils ont garde* leur honneur. Alle Ti-
raden von der allgemeinen Korruption der hohen Geistlichkeit wer-
den vor Protesten zu Schanden, wie dem des Bischofs von Poitiers :
j'ai 70 ans; j'en ai passe" 35 dans l'episcopat ou j'ai fait tout le
bien que je pouvais faire. Accable* d'annäes et infirmites je ne
veux pas deshonorer ma viellesse, je ne veux pas preter le ser-
ment; je prendrai mon sort en esprit de penitence. Die Frevel-
tbaten der brutalen Gewalt als Antwort auf das je ne veux pas
der Eides- und Gottesfurcht, des Haltens an Amt und Recht
waren die höchste Ehre für die 130 Bischöfe und 100000
Priester, in deren Sinn der Bischof von Senez gesprochen hatte :
man zwinge mich nicht, mein Amt zu verraten; ma tete est aux
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NACHRICHTEN.
475
homme8, mais mon äme n'est qu'ä Dien; und ein armer eid-
weigernder Vikar dem beeideten Pfarrer auf die Frage comment
ferez-vous donc pour vivre? erwiderte: et vous Monsieur le
Recteur comment ferez-vous pour monrir?
♦10. A la Recherche d'une religion civile. Par
l'abbe Sicard. Paris, Lecoffre, 1895. 308 p. 8. Napoleon I.
hat erkannt und ausgesprochen: ein Volk von Atheisten sei nicht
zu regieren. Schon vor ihm hatte sich den Häuptern des Ja-
kobinismus die Überzeugung aufgedrängt, dafs Religionslosigkeit und
Anarchismus Geschwister seien. Nachdem sie den alten Aber-
glauben des Christentums, wie sie meinten, in Blutströmen er-
säuft hatten, galt es nun die Lücke auszufüllen, indem man
eine religion civile fabriziere, in der auch Rousseaus Generaluhr-
macher eine Statistenrolle übernehme. Nach dem Rezepte rühren
und amüsieren wurde ein Sortiment von Festen arrangiert, Feste
der Gründung der Republik, der Ermordung des Königs, der
Ächtung der Girondisten, der Freiheit, des heiligen Feldbans, der
Kindheit, der Jugend, des Alters, der Haus- und Staatstugenden,
aller Tugenden, des Höchsten Wesens, der Unsterblichkeit. Die
Harlekinaden, Kapuzinaden, Albernheiten, Schenfslichkeiten dieser
Karikaturen , dieses teils blödsinnigen, teils diabolischen Treibens,
das seinen Gipfel im Kultus einer Buhlerin und des Herzens
Marats erreichte, hat Sicard mit gewohnter Gründlichkeit dar-
gestellt, zur heilsamen Abschreckung von ähnlichen Greueln für
alle Zeiten. C. Ä. Wükens.
(Fortsetzung folgt.)
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Druck to» Friedrich Andres PertbM in Gotha.
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Inhalt.
S.ut*
Untersuehutlgeu und Essays:
1. Sceck, Untersuchungen zur Geschichte des Nizäuischen
Konzils ^Fortsetzung und Schlufs) 319
2. Schulz, Peter von Murrhone als Papst Cölestiu V.
(I. Teil) 363
Anmlektea :
1. Albrecht, Studien zu Luthers Sendschreiben an die
Christen zu Riga und in Liefland vom Jahn- l.VJ-t
2. Tschackert, Nachträge zur preufsischen Reformation»«
geschichte 410
Nachrichten :
1. Tuchackert, Zur neuesten hirehengesebiebte .... 414
'J. H'ilkens, Englisches l"«7
... U'ilkew, Französisches 4G2
Hierzu Beilage:
Verzeichnis theologischer Werke aus dem Vel lage von
Friedrich Andreas Perthes in Ciotha.
Auagegeben den 15. Januar 1897.
ZEITSCHRIFT
Ki'i:
KIRCHENGESCHICHTE.
II l'RAL'SGEGRBBX VON
D. THEODOR BRIEGER.
IM»
I Li BERNHARD BESS,
ttm zrrr hClvkakbkitv.r an df.r kol. tiKiv/.R8)TÄT»BiBi iothkk zu o»Tn»OW.
XVII. Band, 4. Heft.
GOTHA.
FKIEDKICH ANDREAS PERTHES.
1897.
Die Hefte der „Zeitschrift für Kirchengeschichte" erscheinen
zu Beginn eines jeden Quartals.
Mitteilung der Redaktion.
Die geehrten Herren Mitarbeiter werden gebeten, hinfort in
der Regel ihre Manuskripte an den zweiten Redakteur au Bonden.
Auch sei darauf hingewiesen, dafs mit dem Wegfall der Nach-
richten vom nächsten Jahrgang ab ein bedeutend schnellerer Ab-
druck der eingesandten Beiträge erfolgen wird.
Die Nachrichten werden durch eine Bibliographie ersetzt
werden.
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Peter von Murrlion^ls Papst £öfestin V.
Vom
Dr. Hans Schulz in Berlin.
(Schli f-.)
3. Die Abdankung; l.
Bereits aber war es auch Colestin zum Bewufstsein ge-
kommen, dafs er seinen Platz nicht ausfülle. Man wird
nach dem bisher geschilderten Verlauf seines Pontifikates
sagen dürfen, d«ifs er die ihm angebotene Würde über-
nommen hatte, ohne eine Ahnung davon zu haben, was sie
von ihm forderte: welche positiven Kenntnisse und Lei-
stungen und welche Aufopferung alter Gewohnheiten. Erst
als er sich in dem neuen Amte selbst befand, lernte er
dessen Anforderungen kennen, da aber wurde er sich zu-
gleich darüber klar, dafs nicht blofs seine körperlichen wie
geistigen Kräfte nicht ausreichten *, sondern dafs er auch
keine Befriedigung in den neuen Verhältnissen fand.
1) 8. oben S. 363.
2) „ Debilitate corpoiis" heifst es in der Abdankungsformel (siehe
S. 493 Anm. -1). Jac. Card. III. III, 475:
Defectus, Senium, mores, inculta loquela,
Non ptudens animus, non mens expeita, nee altum
Ingenium, trepidare monent in sede peritlum
sagt er selbst vor den Kardinälen. — Villaiii, Hist. Fiotentine VIII, 5:
ap Murat. SS. rer. Ital. XIII, 347: non sentendosi suftieicnte. — Schrei-
ben der Kardinäle bei IJalan, II processo di lionifazio VIII. Rom
1881, S. 82: humiliter defectus proprio» reeognoscens patentes et n< tos,
propter quos iinpoteus reddebatur et prorsus inhabilis ad summi aposto-
latus officium exercendum, in tuntum, quod nee mala, que e^eiat in
papatu, revoeare poterat, nec sciebat, sed nec a malis agendis in antea
Zeitschr. f. K.-0. XVII, 4. 31
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478
SCHULZ,
Wir haben gesehen, wie seine Verfügungen in Ordens-
angelegenheiten das einzige waren, was sich in seinem bis-
herigen Gesichtskreise bewegte, von den politischen Ab-
machungen zwischen Aragon und Neapel, welchen seine
Bullen dienten, verstand er nichts l. Mehr aber als das
Gefühl seiner Unzulänglichkeit beunruhigte es ihn, dafs er
zu seinen gewohnten Bufsübungen nicht mehr Zeit genug
fand, und als er sich dieselbe verschaffte, geschah es auf
Kosten der Pflichten, die er als Papst hatte; beim Heran-
nahen der Advontszeit liefs er sich eine hölzerne Zelle in
einem abgelegenen Teile des Palastes bauen *, die fast nur
für ihn und einen Altar Raum bot Hier suchte er in Ge-
beten und Bufskämpfen die verlorene Ruhe der Seele wieder-
zugewinnen, und hier wird es gewesen sein, wo ihn eines
Tages Franzesko da Barberino, der provencalische Dichter,
erblickte, wie er an einem Stück Brot nagte, während ein
Diener einen Krug hielt, aus dem er trank; dies sei, sagte
der Papst, die weiseste Art zu essen und zu trinken, die es
aut der Welt geben könne, und das habe ihn seine Mutter
gelehrt. Oft erklärte er auch den Seinigen : „ Wenn es nicht
um Euretwillen wäre, wollte ich nicht Papst sein"; als sie
ihn fragten, aus welchem Grunde, antwortete er: ,,W7eil ich
des Herrschens so sehr überdrüssig bin, dafs es mir ein
gröfserer Trost ist, wenn ich alles durch mich selber thue."
In solcher Lage mag er oft genug des Bibelwortes gedacht
haben : „ Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt
gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele " *.
abstinere, propter que anime sue peiiculum reforuridans elegit magis
papatui cedere etc.
1) Brief bei Barth. Cotton ap. Mon. Germ. XXVIII, 611: tempo-
ralium et omnino inexpertum.
2) Jac. Card. III. III, 321 ff. Anonymus 8. den Anbang S. 605.
3) A. T h o m a s , Francesco da Barbe) ino et la letterature provencale
en Italie au moyen age (Paris 1883), p. 14 et 181 sqq.: Vidi quendan
ponüficem, cuius nomen taceo in presenti, qui de vili statu ad digni-
tatem pontifiris promotus eztiterat, nec servierst unquam ulli nec alius
unquara sibi. Contigit quod rüdes multi sibi similes secuti sunt eum
et viventes ut rustici ei rustice minist) abant. Semel enim per quandam
cameram euntem illum inreni cum pane uno in manu, morden tem illuro.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 479
Die Führimg der Geschäfte überliefs er drei Kardinälen ;
zu ihnen wird man auch Benedikt Gaetani zu zählen haben,
welcher von nun an mehr und mehr in den Vordergrund
tritt Die übergangenen Kardinäle jedoch waren mit der
Übertragung der Regierungsgewalt nicht einverstanden ; schon
war die päpstliche Verordnung, welche die drei Vertreter
bevollmächtigen sollte, fertig gestellt, da eilte Matthäus Orsini
von Rom herbei und erhob lebhaften Widerspruch dagegen,
dafs an die Stelle eines Papstes drei träten l.
Der erste Versuch Cölestins, sein früheres Mönchsleben
wieder aufzunehmen und mit seinem Papsttum zu vereinigen,
war somit gescheitert und mufste scheitern, denn nach seiner
Auffassung sollten bei diesem Ausgleich die Forderungen
des Papsttums zurückstehen hinter dem heiligeren, unmittel-
baren Dienste Gottes, aber jene hatten, wie die Verhältnisse
wirklich lagen, die bei weitem gröfsere Kraft, sich Geltung
zu verschaffen. Wäre Cölestin auch nur etwas mehr Scharf-
blick eigen gewesen, so hätte er den Konflikt schon voraus-
sehen können, als die Gesandten der Kardinäle ihn in seiner
Zelle auf dem Murrhone aufsuchten, und ihn vielleicht ver-
mieden. Klarer sehende Köpfe haben ihn thatsächlich früher
erkannt, die Kardinäle Latinus und Benedikt Gaetani hatten
ebenso wie Karl II. auf diesen Zwiespalt ihre Berechnungen
gebaut, aber es absichtlich unterlassen, Peter aufzuklären,
weil sie gerade aus der Unvereinbarkeit der Gegensätze in
et unum ex servitoribus urceum tenentem vini, cum quo bibebat, et di-
centem pontificem quod hoc erat sapidius bibere et commedere quam
esse posset in mundo et quod hoc sibi dixerat mater sua Dicebat
etiam iste pontifex sepe suis: „Nisi propter vos nollem pontifex esse/1
Querebant quare. Dicebat: „Quod in tantum me imperare tedet, ut
maius sit michi sollatium cum omnia facio per me ipaum." — Casti bei
Autinori S. 172 verlegt die Scene vor die Ernennung der zwölf Kardi-
näle, welche am 18. September in Aquila stattfand, und benutzt sie
zur Begründung derselben. Doch lafst sich Barberino noch am 22. Sep-
tember urkundlich in Bologna nachweisen (Thomas S. 13), und der
ganze Text scheint mir, namentlich wegen der geschilderten Oemttts-
erregung Cölestins, ziemlich sicher auf die Zeit vor der Abdankung in
Neapel hinzudeuten.
1) Neben Jacob. Card. tgl. Lei. Marin. 1. c p. 523, 104.
81*
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480
SCHULZ,
ihm Vorteil zu ziehen gehofft hatten. Menschlicher fühlte
und handelte Jakopone von Todi; er wufste, dafs Peter ein
ruhiges Leben dahingab, um entweder Kampf und Streit
oder ein drückendes Joch dafür einzutauschen, und warnend
rief er ihm zu 1 :
„Ist's das Amt, das Dich berauschet,
Hast Du wahrlich schlecht getauschet;
Wohl ein Fluch ist's, Gott zu missen
Wegen eines solchen Bissen.
Deine Wahl hört ich mit Schmerzen,
Rede drum aus offnem Herzen;
Hast ein Joch jetzt auf dem Nacken,
Dran Dich Satan leicht kann packen.
Wenn ein Held, ein kühner Streiter,
Steht auf höchster Sturmesleiter,
Soll man ihn stets sehon fechten
Mit dem Banner in der Rechten.
Du stehst auf dem höchsten Turme,
Mitten im Gedrang und Sturme,
Wirst wohl auch in Deinen Scharen
Zwietracht nur zu viel erfahren."
Aber die Ermahnung des Mönches zu mannhaftem Aus-
harren auf dem Platze, auf den der Papst gestellt war, war
umsonst. Peter war nicht aus dem Holze, wie Gregor VII.
und seine Streiter. Diese hatten erkannt, dafs gerade sie,
die geglaubt hatten, der Welt abgestorben zu sein, nach-
dem sie ins Kloster gegangen waren, die geeignetsten
Vorkämpfer der Kirche waren, denn sie besafsen nichts,
was sie im Kampfe hätten verlieren können, und willig,
wenn auch schweren Herzens, verliefsen sie auf den Ruf
des Papstes ihre Klosterzelle und stellten all' ihre Kräfte in
den Dienst der Kirche und ihres streitbaren Oberhauptes,
durchdrungen von der Uberzeugung, dafs nur die Welt-
herrschaft der Kirche die völlige Weltflucht ermöglichen
werde. Ein solcher Geist hatte die Kirche zum Siege über
die äufseren Machtmittel des Kaisertums führen müssen.
Cölestin aber versuchte, sich durch heimliche Flucht von
1) Dissertation S. 45—46.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
481
der Last zu befreien, welche er auf sich genommen hatte.
Man fand ihn in einer Kirche versteckt, und auf die Frage,
warum er sich entfernt habe, erklärte er, er sei des Papst-
tums satt und zu alt, er wolle abdanken zugunsten eines
anderen, der seinen Platz besser auszufüllen verstehe. Man
staunte und glaubte, er sei von Sinnen; kaum gelang es,
ihn mit Bitten und guten Worten zu beruhigen, und man
zog ihn schleunigst wieder, damit nur das Volk nichts da-
von erfahre, auf den päpstlichen Stuhl l.
Nachdem der Versuch, die eigentliche Regierung anderen
zu überlassen, mifsglückt war, blieb für den Papst, wenn
der Tod ihn nicht erlöste, nur noch ein Mittel: die Ab-
dankung Aber das war ein Ausweg, welchen, so lange es
einen römischen Bischof gab, noch keiner beschritten hatte.
Bei der grofsen Rolle, welche die Abdankung Cölestins später
in den Kämpfen Bonifaz' VIII. mit den Colonna und Phi-
lipp IV., selbst noch jahrelang über den Tod des Papstes
hinaus gespielt hat, dürfte die Frage, wer zuerst auf den
bisher unerhörten Gedanken gekommen ist, keine müfsige
sein. Der gewöhnlichen Annahme zufolge waren die Kar-
dinäle die Urheber des Planes, für welchen sie zwei Gründe
anführten: erstens gerate die Kirche unter Cölestin in Ge-
fahr und Verwirrung, daraus folge zweitens, dafs sein eigenes
Seelenheil auf dem Spiele stehe, denn dereinst werde er
Rechenschaft ablegen müssen vor dem Richterstuhle Gottes
und sich nicht verantworten können wegen des Unheils,
welches er als Papst angerichtet habe; Benedikt Gaetani
sei damit beauftragt worden, dem Papste die Bedenken der
Kardinäle nahe zu legen.
Diese Form der Darstellung aber beruht allein auf To-
lomeo von Lucca *. Ihm zufolge begannen die Kardinäle
bereits vor der Übersiedelung der Kurie nach Neapel an-
gesichts der M ifs Wirtschaft , welche im Kirchenregiment
herrschte, dem Papst Vorstellungen zu machen und, indem
sie seine Heiligkeit zum Vorwand nahmen, ihm darzulegen,
1) Ferr. Vicent. ap. Murat. IX, 966.
2) Hist. eccl. XXIV, 32.
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482
SCHULZ,
welche Gefahr ihm drohte. Auf dem Wege nach Neapel
drängten sie ihn dann mit den oben erwähnten Gründen
geradezu zur Abdankung. Wenn nun auch Tolomeo sich
damals wohl an der Kurie aufhielt, so steht doch seine Er-
zählung nicht blofs vereinzelt da, sondern auch geradezu im
Widerspruch mit den Mitteilungen anderer Zeugen, welche
noch dazu sehr wohl imstande waren, diese Dinge, um die
anfangs gewifs nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten
wufste, aus gröfserer Nähe zu beobachten als der nicht ein-
mal zum Personal der Kurie gehörige Bischof.
Sowohl unser bestunterrichtetster und zuverlässigster Ge-
währsmann, der Kardinal Jakob, wie der unbekannte Ver-
fasser einer Lebensbeschreibung Cölestins *, welcher dem
Papst sehr nahe gestanden zu haben scheint, lassen unver-
kennbar den Plan der Abdankung im Kopfe Peters ent-
standen sein. Jakob Stephaneschi , dessen Glaubwürdigkeit
in dem vorliegenden Falle noch erhöht wird durch seine
eigene Versicherung, er habe den Papst selbst darüber ge-
hört schildert im Eingang des Kapitels , welches die Ab-
dankung behandelt, wie Peter sich zunächst ganz allein
mit Gewissensbedenken über die Frage plagt, ob er ab-
danken dürfe, darauf aus dem kanonischen Rechte sich Be-
lehrung zu verschaffen sucht und erst, als er dieselbe nicht
klar und deutlich findet, einen Freund zu sich rufen läfst
Auch diesem vertraut er seine Gedanken anfangs nur im
geheimen, dann zieht er noch einen zweiten hinzu, und erst
mehrere Tage später macht er dem ganzen Kardinalskolleg
Mitteilung.
In vollkommener Ubereinstimmung hiennit befindet sich
der Bericht des Anonymus, Cölestin habe, während er in
seiner hölzernen Zelle ganz abgeschlossen lebte, nachgedacht
über die Last, welche er trug und über die Art und Weise,
auf welche er sie ohne Gefahr für seine Seele von sich
werfen könne. Auch die Darstellung der weiteren Beratungen
deckt sich durchaus mit der des Kardinals Jakob.
1) Anhang S. 504 ff.
2) Jac. Card. HL III, 353: ut nos vi?a patris docuit vox.
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PETER VON MUKRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
483
An die beiden so unmittelbaren Zeugnisse reihen sich
zwei andere, welche zwar für sich allein nichts beweisen
würden, aber in Verbindung mit den beiden ersteren doch
nicht ohne Bedeutung sind. Das eine ist die vorhin wieder-
gegebene Erzählung des freilich nicht zuverlässigen Ferretus
Vicentinus, in welcher Cölestin nach seinem mifsglückten
Fluchtversuch gleichfalls zuerst den Gedanken einer Ab-
dankung äußert und die Kardinäle darüber höchst erstaunt
sind ; das andere liefert Villani l, wenn er sagt, Cölestin habe
in dem Gefühl seiner Unzulänglichkeit und in der Besorgnis
um sein Seelenheil nach einem Wege gesucht, auf dem er
sich des Papats entledigen könne *.
Zu einem solchen Quellenbefunde kommt die Erwägung,
dafs die Kardinäle, falls der Plan von ihnen ausgegangen
wäre, für Peter, dessen Unbeholfenheit sie kannten, die Wege
von vornherein mehr geebnet und gegen Karl II., dessen
lebhaften Widerspruch sie fürchten raufsten, weit umfang-
reichere Vorkehrungen getroffen haben würden, als es, wie
die folgenden Verhandlungen zeigen, in der That geschehen
ist. Man wird daher, wie mir scheint, den Ursprung des
Abdankungsplanes durchaus bei Cölestin zu suchen haben,
wenn auch alte wie neue Geschichtschreiber 3 fast ausnahms-
los die ersten und zuverlässigsten Quellen aufser acht ge-
lassen und Tolomeo von Lucca gefolgt sind.
Wenden wir uns nunmehr zur Darstellung zurück, so
war für Peter jetzt die Frage die, wie er seinen Plan aus-
1) VIII, 5: cereava ogni via, come potesse renuntiare il papato.
2) Das Zeugnis beider fällt um so mehr ins Gewicht, als sie aa
mehreren Stellen ihrer Abneigung gegen Bonifuz VIII deutlichen Aus-
druck verleihen, man also gerade im Gegenteil erwarten könnte, dafs
sie die Erfindung des Abdankungsplanes seinem Ehrgeize zuschrieben.
3) Wadding, Ann. Minorum, Lugduni 1628 a. a. 1294, IV. —
Eggs, Pontificium doctum (1718), p. 499. — Bower-Rambach, ün-
parth. Mist d. röm. Päpste (1770) VIII, 229. — Planck, Gesch. d.
christlich -kirchl. Gesellschaftsverfassung (1809) V, 11. — Tosti I,
64. — Reumont, Gesch. d. Stadt Rom (1867) II, 617. — Sybel,
Vorträge und Aufsätze (1874). S. 157. — Balan, II processo di Boni-
fazio VIII. (1881), p. 29.
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SCHILZ,
führen könne. Zunächst suchte er im kanonischen Rechte
nach einer Bestimmung durch welche sich der bisher un-
erhörte Schritt rechtfertigen liefse, aber dort war ein Ver-
zicht ohne weiteres nur bei einer einfachen Pfründe erlaubt,
einem Prälaten jedoch nur „ex causa et licentia, scilicet
propter humilitatem et raeliorem vitam, propter conscientiam
criminis, debilitatem corporis, defectum scientiae, malitiam
plebis et irregularitatem peraonae', und jedes Amt sollte in
die Hände dessen zurückgegeben werden, von dem es erteilt
war. So kam es für Cölestin jetzt darauf an, eine causa
und eine licentia ausfindig zu machen. Im letzteren Punkte
lag die Hauptschwierigkeit, denn in wessen Hände sollte
der Papst, der oberste Herr der Christenheit auf Erden,
seine Würde niederlegen?
Um darüber zu beraten, lieis Cölestin „einen Freund"
zu sich kommen. Mit gewohnter Zurückhaltung verschweigt
der Kardinal Jakob a den Namen desselben , aber der un-
bekannte Freund Cölestins 3 bezeichnete ihn ganz bestimmt :
es war Benedikt Gaetani. Von nun an ging die Leitung
der Kurie an ihn über.
Eine Zeit lang hatte es geschienen, als sollte seine Hoff-
nung, auf den unfähigen Papst mafsgebenden Einflufs zu
gewinnen, durch die unbedingte Übermacht Karls vereitelt
werden, und Benedikt war klug genug gewesen, sich in
diesen Monaten still zurückzuhalten. Selbst bei der im ganz
ausschliefsiichen Interesse Karls ins Werk gesetzten ersten
Krönung Cölestins und der Ernennung der zwölf Kardinäle,
welche nach jenem Besuche des Königs in Perugia gegen
Ende das Jahres 1293 neue unmittelbare Eingriffe desselben
in die innersten Angelegenheiten der Kirche waren, hatte
Benedikt sich wohl gehütet, seinen alten Gegner noch ein-
mal durch einen Widerstand zu reizen, der mitten in seinem
Reiche ohnehin völlig aussichtslos gewesen wäre.
1) Jac. Card. III. III, 371 ff. Lei. Marinus aj>. Act. Sanct Mai
IV, 524, 106.
2) III. III, 392.
3) S. Anhang S. 505.
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PETEU VON MÜRKHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 485
Einem solchen passiven Verhalten gegenüber scheint
Karl II. die verschiedensten Versuche gemacht zu haben,
seinen Gegner entweder zu vernichten oder für sich zu ge-
winnen. Der späteren Aussage des Kardinals Peter Colonna
zufolge *, welche etwas übertrieben sein mag, aber im übrigen
zu der Lage der Dinge in jener Zeit sehr wohl pafst, fragte
der König in Aquila einen der beiden Colonna, ob er auf
die Beihilfe seiner Partei rechnen könne, wenn er Cölestin
dahin zu bringen suchte, dafs er gegen Benedikt vorgehe
und ihn als Häretiker des Kardinalats beraube. Jakob Co-
lonna aber riet dem Könige ab, weil Benedikts Häresie
nicht sicher erwiesen sei und weil — was wohl der Haupt-
grund für den Kardinal war — ein solches Verfahren sich
mit der Ehre der römischen Kirche und des Kardinalats
nicht vertrage. Da gab denn Karl seinen Plan auf.
Wie gesagt ist es zweifelhalt, ob oder inwieweit man
den Worten des Kardinals nach alledem, was sich in dem
voraufgegangenen Jahrzehnt zwischen Bonifaz VIII. und den
Colonna ereignet hatte, Glauben schenken darf. Liegt ihnen
wirklich ein Kern zugrunde, so hat sich der König bald,
nachdem er die Unaustührbarkeit seiner Absicht, den Feind
zu vernichten, erkannt hatte, zu dem Versuche entschlossen,
auf dem entgegengesetzten Wege seiner Herr zu werden,
oder zu gleicher Zeit ein doppeltes Spiel gespielt. Schon
bei der im September vollzogenen Ernennung des jüngeren
Benedikt Gaetani zum Kardinal sprach ich die Vermutung
aus, dafs dieselbe ein Annäherungsversuch Karls gewesen
1) Bei Höfler, „Rückblick auf Bonifaz VIII.14 (Abhdlgn. d. bayer.
Akad. 1843) unter den Aussagen der Kardinäle vor Klemens V., S. üO:
Carolus ... in Aquila requisivit cardinalem de Colurana, si posset seu
potnisset babere assistcntiam Columuensium, quia intendebat procurare,
quod D. Coelestinus procedcret contra eum et privaret eum cardinalatu
tanquam haereticum. . . . Aber Jakob Colonna riet ihm ab, quia de
eius haeiesi forte non ad pleuum constaret, . . . abstineret pro honore
ecclesiae et statu cardinalatus; et quia Rex Siciliac non potuit babere
consensum Colutnnensiuin ad processum praedictum privationis fiendae
ex causa baeresis contra Bonifacium, tunc Benedictum G, abstinuit nec
fuit contra ipsum processum.
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486
SCHULZ,
sei, und jetzt haben wir vom 11. November 1294 einen
Brief 1 des Königs aus Capua , welcher dem Jakob von
Avellino befiehlt, einer Klage des Vikars Benedikts, „des
Kardinalpriesters von St. Martin in Montibus, unsere teuer-
sten Freundes" wegen Schädigung von Rechten auf einen
ihm zugehörigen Wald Gehör zu geben.
Aber Benedikt liefs sich weder durch die eine noch die
andere Mafsnahme des Königs beeinflussen. Zwar zeigen
manche Erlasse der päpstlichen Regierung, dafs die Kanzlei,
obwohl Cölestin durchaus in den Händen Karls II. war,
doch vielfach ihre eigenen Wege ging 2, und gerade an
ihnen mag Benedikt nicht ganz unbeteiligt gewesen sein.
Im wesentlichen jedoch beobachtete er die gröfste Zurück-
haltung, und dafs er es verstand, sich bis zu dem rechten
Augenblick zu gedulden, ist nicht das letzte, was ihm den
Sieg verschafft hat. Er wufste sehr wohl, dafs der Rück-
schlag gegen das so plötzlich übermächtig gewordene fremde
Regiment an der Kurie nicht ausbleiben konnte, und auf
Grund seiner Vergangenheit — sowohl wegen des Ansehens,
welches er an der Kurie genofs, wie seiner Stellung zu
Karl II. halber — war er der gegebene Führer der Oppo-
sitionspartei s. Sobald nun die Unzufriedenheit unter den
1) Gregorovius, Gesch. d. Stadt Rom (1878) V, 600, 1: venerab.
patris D. Benedict! . . . amici nostri carissimi.
2) So Lorenz, Deutsche Geschichte II, 557, doch zeigen die Re-
gesten Cölestins nur sehr wenige Beispiele hierfür, und wenn gar Höfler
S. 16 (s. S. 485 Aum. 1) von der „so vielen Historikern entgangenen
Thatsache" spricht, „dafs, was die Behandlung der nicht rein geist-
lichen Verhältnisse betrifft, . . . zwischen seinem Pontifikate und dem
seines Nachfolgers kein merklicher Unterschied sich zeigt, ja im Gegen-
teil ein Geist, der des Kardinals Benedikt, nachherigen Bonifa z VIII.,
sich in dem einen wie in dem andern Pontifikate erweist", so hält es
schwer, hierfür auch nur eine kleinere Anzahl von Belegen zu finden.
Beweise vom Gegenteil haben wir im vorigen Kapitel zur Genüge kennen
gelernt, und wie Cölestins Zeitgenossen über ihn dachten, sahen wir be-
reits S. 393 Aum. 1 und S. 394 Anm. 2. In wunderlichem Gegeusatze
zu Höflers Urteil steht auch das von Damberger, Synchronist.
Gesch. der Kirche u. der Welt (1851), XII, 99—102.
3) Zutreffend scheint mir das Urteil Tostis I, 61—62, welcher,
nachdem er von der päpstlichen und der angiovinischen Partei der Kar-
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PETER VON MURRHONE ALS PAP8T CÖLESTIN V. 487
Kardinälen die geschilderte Höhe erreicht hatte, war die
Zeit fiir ihn gekommen, es bedurfte nur eines geeigneten
Anlasses, der ihn zum Aufgeben seiner bisherigen Zurück-
haltung scheinbar zwang.
Jetzt bot Cölestin ihm einen solchen dar. In seiner Un-
gewifsheit, ob das Kirchenrecht ihm die Abdankung wirk-
lich gestatte, konnte der Papst an niemand einen besseren
Berater finden als an dem rechtskundigen Benedikt Gaetani.
Er trat daher mit ihm in die engste Verbindung. Aber
noch schien die Macht Karls zu grofs und der Plan im
Papste selbst zu wenig entwickelt, als dafs der kluge Diplo-
mat ohne weiteres seine Zustimmung gegeben hätte *. Schein-
bar erstaunt fragte er, weshalb Cölestin sich solche Gedanken
mache und riet ihm, sich nicht mit derartigen Dingen selbst
die Ruhe seines Gemütes zu zerstören. Natürlich drang der
dinäle gesprochen hat, fortfahrt: Di entrambi queste parti non poteva
il Gaetano esser signore, perche opposte; e a dire piuttosto che signo-
reggiasse quella che si opponeva agli artifizi dello Zoppo, cou cui er»
acerbo. E questo signoreggiare era appunto nella dipendenza che ave-
vano da lui, come da uomo di singolare iugegno, tutti gli altri cardinali.
S. a. Souchon, Die Papstwahlen von Bonifaz VIII. bis Urban VIII.
(1888), S. 8-9.
1) Jac. Card. III. III, 399:
Ille tarnen cautus roentem simulare coegit:
Cur, pater, hic opus est? Quaenam cunctatio curam
Ingerit? Optatis absiste gravare quietem.
Die anfängliche Weigerung Benedikts, auf Coelestins Gedanken ein-
zugehen, nehmen einige so ernst, dafs sie aus ihr sogar den Schlufs
ziehen, Benedikt sei ein Gegner der Abdankung gewesen, könne also
auch nicht beschuldigt werden, für sich nach dem Papsttum gestrebt
zu haben: Rubeus, Bonifatius VIII. e familia Caietanorum principum
(Rom 1661), p. 4. Aegidius Colonna: De renunciatione papae, cap. 23
(s. S. 502 Anm. 3): Potest quidem ex pluribus adhuc viventibus com-
probari, d. Bonifacium p. VIII. . . . persuasisse d. tunc Coelestino,
quod non renuntiaret, quia sufficiebat collegio, quod nomen Suae Sancti-
tatis invocaretur super eos. Auch Act. Sanct. Mai IV, 469 Anm. y zu
Vers 538. Wiseman: Difesi di varj punü della vita di Bonifazio VIII.
(Ann. delle scienze religiöse [1840] XI, 261). — Meines Erachtens war
es nur Vorsicht, wenn Benedikt zunächst an sich hielt; so versteht
auch Tosti I, 67 die Worte des Kardinals Jakob, er sagt: con modi,
che celavano la interna contentezza, rispose ....
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488
SCHULZ,
Papst nur um so heftiger in ihn, und gleichsam gezwungen
erklärte Benedikt endlich, er könne abdanken, wenn ein
triftiger Grund vorhanden sei. Diesen fand Cölestin bald
in den Qualen, welche ihm der Zwiespalt zwischen seinem
Hang zum Eremitenleben und seiner völligen Unzulänglich-
keit einerseits und den Anforderungen des Amtes an ihn
anderseits unablässig verursachte. Noch ein anderer Ver-
trauter wurde gerufen, der sich gleichfalls einverstanden er-
klärte 1 , und nachdem endlich auch eine gröfsere Anzahl
von Kardinälen in das Geheimnis eingeweiht und um ihre
Meinung befragt war * , gewann für Cölestin die Aussicht,
endlich seiner Bürde ledig zu werden, immer mehr an Wahr-
scheinlichkeit.
Es leuchtet ein, dafs Karl IL, dem die gepflogenen Ver-
handlungen nicht verborgen blieben 3, einer solchen Ent-
wickelung der Dinge nicht ruhig zusehen konnte, und nicht
weniger bedroht als er waren die, welche durch ihn erst
zur Macht gelangt waren, die neuen Beamten der Kurie
und die zwölf kürzlich ernannten Kardinäle. Dazu kamen
schliefslich noch die Brüder vom Cölestinereremitenorden,
deren Zukunftsträume zugleich mit Cölestins Papat zer-
rinnen mulsten 4.
Die letztere Partei brach zuerst los, im geheimen viel-
leicht von Karl IL bestärkt, vom Volke, mit dem sie ja in
enger Beziehung stand, offen unterstützt: eine erregte Menge,
unter der sich zahlreiche Cölestiner befanden, rottete sich
zusammen und erzwang den Eintritt in die Burg, in welcher
sich der dem Papst angewiesene Palast befand. Der König
wird den Eindringlingen keinen Widerstand haben entgegen-
1) Jac. Card. III. III, 409:
Vocat inde alinm quo ccrtius esset
CoDsilium. Firmabat ideni.
2) Jac. Card. III. III, 420:
Attainen absconsi pandit secreta cubilia
Nonnullis procerum, quorum consulta reposcit.
Wie ihre Antwort ausfiel, erfahren wir nicht.
3) L. c. 427: Sed verba latenter subrepunt aures houiinum.
4) Dissertation S. 34 u. 44.
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PETEK VON MTKRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
489
setzen lassen, denn sie förderten seine Interessen. Bis an
die einsame Zelle Peters im Innern des Palastes drang der
Haufe und verlangte den Papst zu sehen. Der drohenden
Haltung der Menge gegenüber wagte Cölestin nicht, seine
wahren Absichten einzugestehen, voller Furcht erklärte er *,
der Plan, die Regierung niederzulegen, sei mehr nur ein
Gedanke als ein wirklicher Herzenswunsch von ihm gewesen.
Doch die Verleugnung seines Abdankungsplanes war nur
erzwungen und deshalb ohne Dauer. Schon wenige Tage
später trat er im Konsistorium offen mit demselben hervor
und forderte die Ansicht des Kardinalskollegs über ihn ein:
seine Schwäche, sein Alter, sein Charakter, seine Unbeholfen-
heit in der Sprache, der Mangel an Klugheit, Erfahrung und
Geist — alles das, erklärte er, mahne ihn, Gefahr zu furchten,
solange er den apostolischen Stuhl inne habe *. Die Ant-
wort, welche ihm das Kardinalskolleg nach längerer Be-
ratung erteilte, bestand wie dieses selbst aus zwei Teilen
und läfst die Absichten der beiden Parteien deutlich hervor-
treten 3; einerseits erkannte man die Berechtigung der von
Cölestin angeführten Gründe an, anderseits aber bat man
ihn, von seinem Vorhaben, welches bisher unerhört und des-
halb gefährlich sei, abzustehen, denn er drohe den Ruf des
Papsttums damit zu beflecken ; er möge sich nicht übereilen,
sondern es noch einmal mit der Fortführung der Geschäfte
1) L. c. 159:
At pater attonitus senior, non sponte videndus
Turbidus cxibat, faeiern demissus . . .
Animo maius, quam verba, sod, inquit,
Cordis iu archivo geriinus.
2) S. S. 477 Anm. 2.
3) L. c. 484:
Sic fantur: Nunc . . . licet alta senectus
Praecipitet stupeatque uovis tarnen insita cordi
Fovet. . . .
491: Si libet, (ut peumus) pravis avertere mentem
Consdiis, quibus omne malum, damnosaque mundo
Procedit novitas; placeat desistere tantis
Ac non auditis, quibus et maculare videris
Pomiticis famam.
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49U
SCHULZ,
versuchen, vielleicht könne er die gethanen Mifsgrifle wieder
gut machen und in Zukunft sich vor ähnlichen hüten l.
In derselben Sitzung wurde die Abhaltung einer Pro-
zession beschlossen, in welcher man Gott um seinen Bei-
stand in der schwierigen Lage der Kirche anrufen wollte;
es war das letzte Mittel Karls II. und der angiovinisch ge-
sinnten Kardinäle, deren numerisches Ubergewicht im Kol-
legium jetzt durch Cölestins immer stärker werdende Sehn-
sucht nach Befreiung allmählich hinfällig wurde. Durch den
Eindruck, welchen ein Aufgebot der Massen auf ihn machen
mufste, hoffte man den Papst umzustimmen, und ein solches
ins Werk zu setzen, fiel bei der Stimmung der Cölestiner
und des Volks nicht schwer. Um den 6. Dezember herum *
setzte sich ein grofser Zug, an welchem viele Bischöfe, alle
Mönche und die ganze Geistlichkeit des Königreiches teil-
nahmen, von der Kathedrale aus nach Cölestins Palast in
Bewegung.
Als der Papst mit drei Bischöfen an das Fenster
trat und den apostolischen Segen erteilte, bat ein Bischof
aus der Prozession um Gehör und erklärte, er spreche im
Namen des Königs sowie der Geistlichkeit und des Volkes
vom ganzen Königreich Neapel : alle diese liefsen den Papst
durch ihn, den Sprecher, beschwören, auf keine Stimme zu
hören, welche ihn zur Abdankung überreden wolle, denn er
sei der Ruhm des Reiches, und alle Völker wollten kein
anderes Oberhaupt haben. Seiner Gewohnheit gemäfs beauf-
tragte Cölestin einen der ihn umgebenden Bischöfe mit der
Antwort und liefs sagen, er dächte nicht daran, abzudanken,
wenn sich nicht etwas herausstellen sollte, wodurch sein Ge-
wissen beschwert würde. Mit dem Gesänge eines Tedeums
erreichte dann die Scene ihr Ende.
Der König hatte eine entschiedene Niederlage erlitten,
1) Ebenso die Kardinale bei Bai an 1. c. 82: Licet a . . . cardi-
nalibus fuisset inductus, ut saltem cessionera seu renuntiationem papa-
tus differet, et experiretur, si adhuc nonnulla de malefactis suis posset
corrijiere et a similibus abstinere.
2) Ptol. Luc. XXIV, 32, welcher bei der Prozession zugegen war.
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PETER VON MÜKKHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
491
die Antwort des Bischofs liefs dem Papste völlige Freiheit
und zeigte, wohin sein Entechlufs sich neigte; dieses Mal
verleugnete er nicht mehr, wie einige Tage früher, seine
wahre Absicht. Vielmehr wurde er von nun an, soviel er
sonst unschlüssig hin und her schwankte, in seinem Ent-
schlüsse abzudanken so fest, dafs er sich nicht mehr von
demselben abbringen liefs l. Die Unzufriedenheit mit seiner
jetzigen Lage und die Sehnsucht nach dem früheren,
sorgenfreien Eremitenleben gewannen jetzt das entschiedene
Übergewicht über den Einflufs des Königs und seiner
Partei.
Noch immer aber quälten zwei Bedenken den Papst.
Wenn auch das Kardinalskolleg anerkannt hatte, dafs er
sich in einer raifs liehen Lage befinde, so hatte es ihn doch
zu gleicher Zeit nachdrücklich darauf hingewiesen, dafs der
von ihm beabsichtigte Schritt durchaus ohne Präcedenzfall
sei und deshalb die schwersten Folgen nach sich ziehen
könne. Zweitens war auch die Frage, in wessen Hände der
Papst verzichten solle, noch nicht gelöst. Unter solchen Um-
ständen mufste Cölestin furchten, dafs entweder die Kardi-
näle in einem zweiten Konsistorium seinem Wunsche ihre
Zustimmung versagen, oder die Abdankung, selbst wenn sie
auf irgendeine Weise zustande kommen sollte, nicht die
allgemeine Anerkennung der Kirche finden würde. So rief
er denn den rechtskundigen Gaetani von neuem und ver-
1) Anonymus s. Anhang S. 506 — 606: Ita in hoc consilio finnavit cor
suura, quod nullus itlum ab illo potuit removere Audiens et videns
idem papa tantam pietatem omnium, qui aderant (bei der Prozession),
distulit illam voluntatem, sed a proposito coneepto nunquam recessit,
nec fletibus nec clamoribus nec etiam rogaminibus. — Die Kardinäle
bei Balan 8. 83: Firmiter in renuntiandi papatui proposito persistebat.
Cumque a Uli proposito non posset aliquatenns revocari etc. — Wenn
jedoch Conz, Kleine pros. Schriften, S. 351, meint, Cölestin sei durch
die Prozession „nur mehr in seinem Entschlüsse befestigt, schien ja
das Opfer doch jetzt nur gröfser und der Ruhm der Entsagung glän-
zender, erhabener'4, so lagen meines Erachtens derartige Erwägungen
Cölestin völlig fern, er wollte nur heraus aus einer Lage, in der er
sich vollkommen unzureichend und daher unglücklich fühlte und oben-
drein noch für sein Seelenheil fürchtete.
49 2
SCHULZ,
handelte ganz geheim mit ihm; so geheim l, dafs Fern-
stehende und selbst der König über den Erfolg der Prozession
vollkommen getäuscht wurden und schon glaubten, Cölestin
habe den ganzen Plan fallen gelassen. Benedikt wies ihn
nun auf Klemens I. hin2, welcher, wie er nach damaliger
Anschauung 3 auseinandersetzte, vom Apostel Petrus zu seinem
Nachfolger ernannt, abgedankt hatte, damit nicht die Er-
nennung eines Nachfolgers durch den regierenden Papst zur
Gewohnheit würde. Auch für die zweite Schwierigkeit
wufste Benedikt Rat, indem er das Kardinalskolleg für be-
rechtigt erklärte, die Würde, die es zu vergeben habe, auch
wieder zurückzunehmen, wenn der, dem es sie übertragen,
sie nicht weiter führen könne oder wolle. Auf Grund dieser
beiden Erwägungen erliefs Cölestin mit Zustimmung der
Kardinäle ein Dekret 4, demzufolge es dem römischen Papste,
wenn gewisse genügende Gründe vorhanden seien, gestattet
sein sollte, abzudanken b.
1) Jac. Card. III. III, 519:
Interea Murro post tot consulta virorum
Atque lepugnantes animos aveitere verba
Ccdendi longeque suas protendere curas
Dissimulans . . . quoad . . . patres
Crediderint. hunc nolle giadum dimittere pritnum.
Cumque foret geuerata fides omnesque putarent
Rex etiam etc.
2) Villani VIII, 5. Ptol. Luc. XXIV, 33. Anonymus S. 506. An-
tonius bei Hayn. 1294, 19.
3) Infolge eines Mifsverständnisses einer Stelle im 54. Kapitel des
ersten Klemensbriefes. S. Herzog u. Pütt. Protest. Rcalencyklopädie
unter „Klemens von Rom". Ilcfele VI, 273*.
4) Die Kaid.näle bei Balan S. 83: circumspectio ... cardinalium
persuasit eideui, ut de eorundem fratrura consilio constitutionem faceret
. . . quod tarn ipse quam Romaui pontifiecs qui tempore forent possent
renuntiare papatui in manibus sui collegü, quam consitutionem . . .
fecit de eorundem . . . consilio unanimi et concordi. — Corpus iur.
can. Lib. VI. Decret üb. 1, tit. Vll De renuntiatione: Coelestiuus V.
. . . deliberatione habita cum . . . cardinalibus, de quoruin uumero
tunc eramus, de nostro et ipsorum omnium concordi consilio et assensu
. . . statuit etc.
5) Das Dekret wird zwischen dem Tage der Prozession und dem
10. Dezember erlassen sein, denn in der Bestätigung von Gregors X.
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PETER VON MCJRRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
193
In den Tagen vom 10. — 13. Dezember mufs das Gegen-
spiel der beiden Parteien ein äufserst lebhaftes gewesen
sein: am 10. Dezember setzte Karl II. noch einmal die Er-
neuerung des Konklavegesetzes Gregors X. durch, und eben-
so läfst die Ernennung des Königs zum Senator von Rom,
welche am nächsten Tage erfolgt sein soll l, darauf schliessen,
dafs die Macht Karls am päpstlichen Hofe noch nicht ganz
gebrochen war, oder dafs man ihr Zugeständnisse machte.
Aber bereits zwei Tage später vollzog sich das Ereignis, um
welches sich der heifse Kampf der letzten Zeit gedreht hatte.
Am 13. Dezember 1294 2 verzichtete Cölestin auf die höchste
Würde, welche nach damaliger Autfassung die Christenheit zu
vergeben hatte. Im vollen Ornat erschien er im Konsistorium,
und nachdem er im voraus deu Kardinälen geboten hatte,
ihn nicht zu unterbrechen, verlas er folgende Abdankungs-
formel, welche Benedikt Gaetani am Tage vorher in Über-
einstimmung mit ihm verfafst hatte 3 :
„Ich4, Papst Cölestin V., bestimmt durch gesetzliche
Konklavegesetz am 10. Dezember (Potthast 24019) ist bereits die Mög-
lichkeit der Abdankung eines Papstes ins Auge gefafst. Vgl. auch
Ptol. Luc. cap. 83: Ante istam autem cessionem de consilio et assensu
Fratrum Constitutionen! facit, quod Papa potest in certis casibus re-
signare. Damit wird die Angabe des Jac Card. III. III, 523. 655,
welche zudem im Gegensatz zu allen anderen Q icllen steht und auch
unwahrscheinlich ist, widerlegt, dafs nämlich die Verzichtleistung am
13. Dezember den Kardinälen unerwartet gekommen sei und sie erst
nach derselben ein solches Dekret verlangt hätten. Ihm folgen Tosti I,
IV, 82 (gegen ihu Roviglio bei Antinoii 230. 2) und Hefele VI, 273
bis 274. Vgl. Drumanu, Gesch. Bnnifaz' VIII. (1852) I, 12—13.
1) Casti bei Antinori 200 ohne Quellenangabe.
2) Potthast II, 1921. — Auffallend ist die falsche Zeitbestimmung
in dem Schriftstück der Kardinäle bei Ii a lau S. 82: A.D. 1295, mense
Januarii, in die bcate Lucie Virginis. Die ülriueu Zeitbestimmungen
in demselben sind richtig.
3) Anonymus: D. lienedictuni et fecit se dneeii et scrib-. — Jac*.
Card. HI. Iii, 531: nec defuit eius auetor.
4) Ego, Coelestinus papa V, motus ex leu'itimis causis, i. e. causa
hurailitatis et melioris vitac et eouscirntiae illaesae, d. bilitate covpn-is,
defectu scientiae, nialiguitate plebis et iiitirmitatc persona« et ut p:ac-
teritae eonsolationH vitac possiin i eparare quietem, spoute ac libere
ZeiUtflir. f. K -G. XVII. 4. 32
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494
SCHULZ,
Gründe, nämlich um der Demut und eine» vollkommeneren
Lebens und eines verletzten Gewissens willen, wegen Ge-
brechlichkeit meines Körpers, Mangels an Kenntnissen, Müs-
gunst des Volkes, persönlicher Unzulänglichkeit und um die
tröstliche Ruhe meiner früheren Lebensweise wieder zu ge-
winnen, trete aus eigenem Antrieb und freiem Willen vom
Papsttum zurück, verzichte ausdrücklich auf Stand und
Würde, Last und Ehre und gebe von diesem Augenblick
an dem heiligen Kollegium der Kardinäle volle und un-
beschränkte Freiheit — nur dafe es den Gesetzen gemäfs
geschehe — , für die gesamte Kirche einen Hirten zu wählen
und zu bestellen."
Die Formel war eng an diejenige angeschlossen, welche
das Kirchenrecht bereits für den Verzicht auf die höheren
kirchlichen Würden enthielt, natürlich mit entsprechenden
Änderungen
Darauf stieg Cölestin von seinem Throne herunter, legte
sämtliche päpstliche Abzeichen, den Hing, die Krone und
den Mantel ab und setzte sich auf die Erde nieder. Der
Anblick so rührender Demut machte selbst auf die gewifs
nicht weichherzigen Kardinäle einen tiefen Eindruck, „wenn
auch bei vielen die Freude gröfser war als die Trauer"*.
cedo papatui et ex presse rem.ntio loco et dignitati, oneii et bonori;
dans plenam et liberara facultatem ex nunc sacio metui cardiualium
eligendi et provideudi , dumtaxat ranonice, universali ecclesie de pa-
store. — Ciac-Oldoin 11, 274. Raynald 1294, 20. Marini, Vita e
miracoli di S. Pietio del Moroiie (Mail und 1640), p. 400. Bzovius
1294, X. Über <!en wohl unbegründeten Zweifel an der Echtheit der
Formel s. Lei. Marinus 1. c. 525, 109.
1) S. S. 484: conscientiae illaesae für con seien tiam criminis, infirm i-
täte personae für irregularitatem pers. Das melioris vitae und der Zu-
satz ut praeteritae — q niete m zeigt ausdrücklich, dafs die Sehnsucht
nach dem alten Eremitenleben einer der hauptsächlichsten Giüude für
die Abdankung war. Auffallend sind bei der bekaunteu Stimmung des
Volkes, besonders nach dem uugestümen Auftteteu desselben in der Burg
und der Prozession die Worte: inalitmitate plebis; hier scheint man
Cölestn getäuscht zu haben. Mit dem Schiufa: dans plenam etc. ist
dem Rate Benedikts gemäß nunmehr das Kai diuals-kolleg an die Stelle
des sonst erforderlichen Vorgesetzten getreten.
2) Der Anonymus bei Balau S. 33.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLEST1N V. 495
„Du fliehst das, wonach jeder Thor und jeder Weise zu-
gleich verlangt", sagte Matthäus Orsini zu ihm ». Auf
Grund des vor wenigen Tagen erlassenen Gesetzes schritt
man dann zur Beratung darüber, ob die von Cölestin vor-
getragenen Gründe in der That, wie es in jenen Bestim-
mungen verlangt war, ausreichend seien *. Das Ergebnis
war die Annahme der Abdankung8, wie es unter den ob-
waltenden Umständen nicht anders sein konnte: es war ja
der lebhafteste Wunsch der Kardinäle selbst, dem Zustande
der Verwirrung und der fortwährenden Beeinflussung durch
Karl II. sobald als möglich ein Ende zu machen. Dazu
kam als zweiter nicht zu unterschätzender Beweggrund, dafs
die Abdankung, welche von der ausdrücklichen Bewilligung
des Kardinalskollegiums abhängig gemacht war, von neuem
die Stellung desselben gegenüber dem Papsttum erheblich
stärkte *.
Von einer Last befreit, welche ihn in Wahrheit zu er-
drücken gedroht hatte, eilte Peter, als er endlich sich selbst
wiedergegeben war, mit dem Ausdruck höchster Freude in
den Augen und Gesichtszügen aus der Versammlung, „als 6
1) Jac. Card. III. III, 665:
Refugis, quod postulat omnis
Iudoctus prudensque simul.
2) Wenn auch das voraufgejrangene Dekret die Möglichkeit
einer Abdankung ausgesprochen hatte, so mufste doch in jedem ein-
zelnen Falle das Kardinalskolleg darüber beraten, ob die zur Bedingung
gemachten Gründe wirklich vorhanden waren. Dafs jenes Dekret früher
erlassen war, ist sicher bezeugt, und die Angaben des Kardinals Jakob
(s. S. 492 Anm. 5) sind daher hier nicht zuverlässig.
3) Vgl. das Schreiben Bonifaz' VIII. vom 22. Januar 1295 (Rayn.
1296, 8): Vacante Rrnnana ecelesia per . . . Petri de Morone . . . ces-
sioncm . . . a cardiualibus praedictis admissam, cum illam posse sie
legitime fieri et primorum gesta pontificum et constitutio declarent
apertius et etiara faciendam expressus accesserit cardinalium praedicto-
rum assensus. — Jac. Card. III. III, 570. — Balan S. 83: babitaque
deliberatione solenni idem collegium cessionem et renuntiationem huius-
modi aeeeptavit.
4) So uc hon S. 9 — 10 bezeichnet die Abdankung geradezu als
„einen neuen Abschnitt in der Entwickelung des Kardinalats".
6) Petrarca, De vita solitaiia, Lib. II, tract. III, cap. 18: Au-
32 ♦
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49G
SCHULZ,
wenn er nicht seine Schultern einer angenehmen Last, sundern
den Hals dem schrecklichen Beile entzogen hätte" Unver-
züglich begab er sich in seine Zelle innerhalb des Palastes,
legte das langersehnte Mönchsgewand wieder an und harrte
der Wahl seines Nachfolgers, um vor ihm sein Herz aus-
zuschütten und volle Absolution zu empfangen l.
Es ist kein Zweifel: neben der Sehnsucht Cölestins nach
Freiheit hatte die römische Partei des Kardinalskollegiums
den Hauptanteil daran, dafs die Abdankung wirklich zu-
stande kam. Vor allem hatte Benedikt Gaetaui als Führer *
dieser Partei in den letzten Tagen eine hervorragende Rolle
gespielt, und da er aus all diesen Wirren schliefslich als
Papst hervorging8, kann es nicht wunder nehmen, dafs
nicht nur zu seiner Zeit seine Feinde, sondern auch viele
Geschichtschreiber bis herab auf unsere Tage der Ansicht
Ausdruck verliehen haben, das Ganze sei von ihm ins Werk
gesetzt und durchgeführt in der Absicht, sich an Stelle
Cölestins auf den päpstlichen Thron zu schwingen *.
divi narrantes, qui viderunt tanto illum fugisse cum gaudio eaque sign*
lactitiae spiritalis oculis ac fronte gestallte, dum a conspectu conrilii
iain tandem sibi redditur ac liber abscederet, quasi non humerum blando
oneri sed Collum diria securibus subduxisset, utque eius in vultu nescio
quid angelicum reluceret
1) Jae. Card. III. III, 578:
babitus mutaverat omnes
Papatue, chlamydem vestitus terga pilosam.
Fit monachu8, qui papa fuit
Lei. Marinus 1. c. 526, 110. — Eine bereits ausgeschmückte Darstel-
lung des ganzen Hergangs, auch mit freierer Fassung der Abdankung«-
fonnel, s. bei Barth. Cotton ap. Mon. Germ. XXV11I, 611.
2) Carlo de Lellis, Discorsi delle famiglie nobili del regno di Na-
poli (Neapel 1654) I, 186 berichtet, Benedikt sei der Beichtvater Cö-
lestins gewesen, eine Thatsache, welche sehr interessant wäre, weun
man wüfate, wie de Lellis zu seiner Angabe kommt.
3) Nie. Wiseman, Difesa di vaij puuti della vita di Bonifa zio VIII.
(Annali delle scienze religiöse [1840] XI, 260. — Ann. de philosophie
chretienne [1842J V, 428).
4) Den genau entgegengesetzten Standpunkt vertritt Tosti I, IV, 82
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PETER VON MURR HONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 497
Treten wir der so oft wiederholten Meinung näher, so
müssen wir zunächst, nachdem sich uns oben als die gröfsere
Wahrscheinlichkeit ergeben hat, dafs der Ursprung des Ab-
dankungsplanes bei Cölestin und nicht bei den Kardinälen
zu suchen ist, den Vorwurf zurückweisen, der Gaetani habe
den Plan erdacht und Cölestin zur Befolgung desselben über-
redet l. Eine andere Frage ist die, inwieweit er, als die
Verhandlungen in Gang gekommen waren, sie in seinem
Interesse zu lenken versucht hat. Auch hier haben Spätere
die schwersten Anschuldigungen gegen ihn erhoben. Man
erzählt 2, er habe öfter des Nachts durch ein Rohr oder eine
Öffnung in der Wand dem in seiner Holzzelle betenden
Cölestin zugeflüstert oder zuflüstern lassen — sodafs der-
selbe einen Engel zu vernehmen glaubte — , er solle die
Verlockungen der falschen Welt fliehen und Gott allein
dienen, sonst werde er an seiner Seele Schaden leiden. Nach
anderen 3 hätte er heimlich vor das Bett des schlafenden
Papstes Schriftstücke werfen lassen, auf denen mit goldenen
Buchstaben es wie göttliche Offenbarung geschrieben stand,
dafs Cölestin im Papsttum sein Heil nicht finden könne 4.
Solche Berichte sind schon aus äufseren Gründen ver-
und a. a. 0. Celest. V. rinunziö al pontificato non ispinto da alcimo e
meno dal Gaetani. Gegen ihn Roviglio bei Antinori 210 ff. 228 ff.
1) Franc. Pipimis: persuasor enim fertur abdicationis Coelestini
u. a. — Dagegen Rubeus 1. c. 2G2— 263. Wisemau 1. c. 261—263
Ann. de phil. ehret. V, 418—424. Balan 1. c. 29—31.
2) Ferr. Vicent. ap. Murat. IX, 966. Job. Victoriensis ap. Boehmer
Fontes Rer. Germ. I, 334. Istore et Cron. de Flaudres, ed. K. de,
Lettenhove (1879), p. 199. Piatina, De vitis pontiiieum. Phil Bergo-
mas Lib. XIII u. a. — Job. Lonaus, Chron. Monast. S. Bertini ap.
Mon. Germ. XXV, 866 sagt wenigstens: dicunt aliqui, foite invidi etc. —
S. Graf, Miti, loggende e superstizioni dei Medio Evo (Torino 1893) II,
223—230.
3) Martini Oppaviensis Contin. Brabautiua ap. Mon. Germ. XXIV,
261; er sagt zwar zuerst nur: qnidam cardinalis ... litteras ... iactari
fetit, nachher aber von Bonifaz VIII.: Istc ftiit ille Benedictas, qui p.
Coelestiuum circumvenit.
4) Mit unbestimmten Ausdrücken finden sich Beschuldigungen bei
den Ann. Lubiceuses ap. Mon. Germ. XVI, 416. — Anu. Haleslirunnenses
Majores, ibid. XXIV, 46. — Sifridus de Balnhusin, ibid. XXV, 712.
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498
SCHULZ,
dächtig, da kein Zeitgenosse von ihnen weifs; vielmehr tau-
chen sie erst nach jener Zeit auf, in der gegen Bonifaz VIII.
zahlreiche ähnliche Schmähungen wegen der Verfolgung der
Colon na erhoben worden waren. Selbst die letzteren wissen
in ihrer eigenen , gegen den Papst verfafsten Parteischrift,
in welcher sie die Gültigkeit der Abdankung Cölestins be-
streiten, nichts von solchen Machenschaften des ehemaligen
Kardinals, und sicher würden sie diesen Anklagepunkt nicht
vergessen haben, wenn sie auch nur die geringste Begrün-
dung für ihn hätten vorbringen können l. Ein Blick auf den
Charakter Cölestins und sein hcifses Verlangen, die Bürde
des Papsttums möglichst bald von sich werfen zu können,
zeigt aber auch, dafs solche Kunststücke ganz unnötig ge-
wesen wären *.
Sind mithin diese groben Beschuldigungen als unberechtigt
anzusehen, so wird man doch auf der andern Seite zugeben,
dafs Benedikt bei der Abdankung Cölestins ebenso wenig
wie bei der Wahl desselben aus reiner Uneigennützigkeit
gehandelt hat, wenn er den Papst in seinem einmal gefafsten
Entschlüsse mehrmals von neuem bestärkte und ihm die Aus-
führung auf jede Weise zu ermöglichen suchte*. So zu
handeln hatte er einen doppelten Grund. Einmal war er
Mitglied des Kardinalskollegiums, dessen Unzufriedenheit mit
1) Rocquain, Journal des Savants (1875), p. 67.
2) S. Le Clerc, Bibliotheque ancienne et moderne (1718) X, I,
44—46. — Bower-Rambach VIII, 230. — Für die Glaubwürdigkeit der
Beschuldigungen spricht sich 8chroeckh, Christi. Kirchengesch. (1798)
XXVI, 621 aus.
3) Die Schilderung seines Verhaltens bei Ferr. Vicent. ist zwar in
etwas bissigen Ausdrücken gehalten, aber im wesentlichen doch woht
zutreffend: Quod prudens et «atutus Benedictus Cajetanus mente con-
cipiens et ad id decus animum suum extollens audacter, Uli se familiä-
rem et gratum snlito magis exhibuit. et ut perhibent, in obsequio stu-
diosum. Atque interea, dum saepe sibi laudatum vitae solitariae otium
intelligeret, rite iudicasse credebat, ipsumque magis ceremoniis et tem-
plorum ministerio, quam rei susceptae vocitabat aptissimum: cuius per-
suasione roaior ei subibat impetus resignandi. — Nie. Trivetus, ed.
Th. Hog (1845), p. 333 und Wilh. Rishanger, ed. Riley (1865), p. 145:
de consilio Benedicti Gaietani cessit papatui.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 499
Cölestin, Feindschaft gegen Karl II. und Herrschaftsbestre-
bungen gegenüber dem Papsttum sattsam erörtert sind, und
zweitens wird er sehr wohl gewufst haben, dafs, wenn es
ihm gelang, die Abdankung wirklich herbeizufuhren, niemand
mehr Aussichten auf den Thron hatte als er mit seiner an
Erfahrungen und Erfolgen reichen Vergangenheit, in seiner
Stellung als Führer der römischen Partei und als derjenige,
dem hauptsächlich das Verdienst zukam, die Kirche von der
Regierung eines unf ähigen Papstes und eines weltlichen Fürsten
befreit zu haben. Zweifellos war sein Blick, während er,
äufserlich betrachtet, nur die Sache Cölestins und seiner
Anhänger vom Kardinalskollegium führte, bereits auf die
päpstliche Krone gerichtet. Man wird daher schwerlich in
das Lob seiner begeisterten Verehrer 1 einstimmen, welche
ihm die Herbeiführung der Abdankung als eine den Papst
und die Kirche zu gleicher Zeit befreiende und aus reiner
Sorge um das Wohl der Kirche unternommene That zur
höchsten Ehre anrechnen; aber auch eine Anklage auf An-
wendung verwerflicher Mittel wird sich nicht rechtfertigen
lassen, seine Handlungsweise war klug, wenn man will,
achlau, aber nicht verurteilungswürdig.
Was nun die Abdankung selbst betrifft, so hat die Nach-
welt sehr verschieden über sie geurteilt *. Dante erblickt 3
in seiner göttlichen Komödie, bevor er über den Charon
1) Rubeus II, 258—264. Wiseman 1. c. 257—267. Ann. de phil.
ehret V, 421—429.
2) Schon Wadding 1294, VII: Varie scripserunt de hac abdicatione
historici; sunt qui digne extollant, atque hi melioris notae; alii, qui
reprehendant, sed ii pauci, atque indigne quidem.
3) Inferno III, 69 ff.:
Vidi e conobbi l'ombra di cohü
Che fece per viltate ü gran rifiuto.
Incontanente intesi, e cei to fui
Che quest* era la setta dei cattivi,
A Dio spiaeeoti ed ai nemiti sui.
Die gewöhnliche Auslegung bezieht die Verse auf Cölestin. Vgl. Murat.
Antiqu. Ital. I, 1038. Victorelli bei Ciac.-Old. II , 275 bezieht sie auf
Esau. Innocenzo Barcellini da Fossombrone (Cölestinerabt) : Industrie
filologiche etc. (Milano 1701). Ludovisi bei Antinori 1. c. 18—26.
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500
SCHULZ,
gelangt, unter der Schar der Charakterlosen, welche weder
Himmel noch Hölle aufnehmen wollen, „den Schatten dessen,
der aus Kleinmut den grofsen Verzicht gethan", und an
anderer Stelle läfst er Bonifaz VIII. sprechen von den beiden
Schlüsseln, die sein Vorgänger nicht wert gehalten habe l.
Andere dagegen preisen die Handlungsweise Cölestins als
„ein Beispiel der Demut, staunenswert allen, nachgeahmt
von wenigen4' 2, und Petrarca scheint sich ausdrücklich gegen
Dante zu wenden, wenn er sagt3: „Mag die That des welt-
flüchtigen und heiligen Vaters dem Kleinmut zuschreiben,
wer da will — ich halte sie vielmehr für die That eines
hohen und freien, keine Fessel duldenden und wahrhaft
himmlischen Geistes". Ja er scheut sich nicht, Cölestin um
seiner letzten Regierungshandlung willen höher zu stellen
als die Apostel und viele Heiligen: „Die einen haben ihre
Nachen und Netze, andere ihre kleinen Besitzungen, die
einen ihr Zollhaus, andere sogar Königreiche oder Aussichten
auf solche verlassen und sind dem Herrn Christus nach-
gefolgt, sind Apostel, Heilige und Freunde Gottes geworden:
den Papat aber, das Höchste von allem, — wer hat den
jemals, namentlich seitdem er von so hohem Wert geworden,
mit so bewunderungswürdigem und erhabenem Sinn ver-
schmäht wie Cölestin?"
Und welches Urteil sollen wir fällen? Nach all' dem,
1) Inferno XXVII, 103:
. . . perö son due le chiavi,
Che il mio autecessor non ebbe care.
2) Jordanus bei Rayn. 1294, 21. — Franc. Pipin. ap. Murat. IV,
736 sagt: Exetnplum tantue humilitatis et abjoctionis voluntariae relin-
quens posteris, a nullis, ut reor, aut paucissimis imitandum. Uude non.
tarn suam electionern , quam resiguationem admirati sunt universi.
Fertur ante papatum et post miraculis claruisse. Quod si dicatur inira-
culum, unde inirantur homines, quod rarum est et insolitum eveniret
miraculosa eius resignatio orbi proponitur in exempluin.
3) De vita solitaria, Lib. II, tract. III, cap. 18: Quod factum soli-
tarii sauetique patns vilitati (Dante 1. c. : per viltate) aniini quisquis
volet attribuat, — ego prorsus altissimi cuiusdam et liberrimi et iugura
nescientiH vereque coelestis anitni factum reor. Vgl. Ludovisi: Giudizio
di Franc. Petrarca 6ulla Kinuncia di Cel. V.
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PETEK VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V
501
was wir von Cölestin gehört haben, werden wir weder allein
den Heiligen, noch auch nur den unfähigen Papst in ihm
sehen1. Will man ihn mit dem strengsten Mafsstabe
messen, so ist es freilich leicht, gegen ihn den Vorwurf zu
erbeben, dafs er die Pflichten, welche er als Papst auf sich
genommen hatte, nicht erfüllt, sondern in echt mönchischem
Egoismus zugunsten seines Hanges zur Einsamkeit und As-
kese vernachlässigt habe. Aber wenn es wahr ist, dafs der
Historiker nicht nach einem absoluten Mafsstabe, sondern
unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände *, und nicht
allein nach seinem, sondern aus dem Denken und Fühlen
derjenigen Zeit heraus, die er behandelt, urteilen soll, so
wird der Spruch über Cölestin ein milderer sein. Gewifs
hat sein Pontifikat der römischen Kirche mehr Schaden als
Nutzen gebracht, aber Peter hat sich wahrlich nicht aus
seiner Klause zum höchsten Thron der Christenheit heran-
gedrängt; nicht ehrgeiziges Streben, sondern Pflichtgefühl
oder fremde Einwirkung bestimmte ihn, dem an ihn ergan-
genen Rufe Folge zu leisten. Und auch dafs er trotz seiner
völligen Unzulänglichkeit einen solchen Schritt gewagt hat,
kann man ihm gerechterweise nicht als moralische Schuld
anrechnen, denn er war sich seiner Unfähigkeit ebenso wenig
bewufst, wie er die Pflichten seines neuen Amtes kannte 3.
Sodann aber wollen wir doch Cölestin nicht ohne Rück-
sicht auf die Verhältnisse, in welchen er lebte, beurteilen,
1) Vgl. Casti bei Antinori 203: La rinuncia di Celestino V non fu
atto ne di viltä, ne d'eroismo: fu il sereno couipimento d'un rigoroso
dovere, che iueombe a chiunque si trovi in un ufficio nou punto pro
porzionato e di gran hmga superiore alle proprio forze.
2) Vgl. Casti bei Antiuori: Celestino V etc. 154—155.
3) Ich stimme hier dem Urteil von Le Clerc 1. c. p. 47 bei, wel-
cher meint: ob Cölestin zu loben oder zu tadeln sei — cela dopend de
la connoissance, qu'il pouvnit avoir de lui — meine et de l'etat des
choses. . . . S'il sc sentoit en eiat de remplir diirnement 1c poste,
auquel on l'avait elcve\ il fit mal de rabandonner ä des cardinaux
aussi factieux Mais s'il n'avait pas assez de lumiöres, de
Penetration et d'etcndue d'esprit, pour s'aquitter, conime i! falloit, d'un
emploi si difficile, il avait malfait de l'aceepter et il ne fit pas mal de
s'en defaire.
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502
SCHULZ,
und in dieser Beziehung dürfen wir dreierlei nicht vergessen :
erstens, dafs die Schule des Lebens, welche Cölestin durch-
gemacht hatte, höchst unvollkommen war: sein Mönchsleben
hat ihn auf Handlungen von der Tragweite und der Kom-
pliziertheit, wie man sie von ihm als Papst verlangte, nicht
im mindesten vorbereitet, und seine kurze Reise nach Rom
scheint die einzige Gelegenheit gewesen zu sein, bei welcher
er aus seiner engen Zelle heraus und in andere Verhältnisse
kam. Zweitens ist zu bedenken, von welchen Ideeen ein
grofser Teil der Menschen jener Zeit und namentlich jener
Gegend erfüllt war; dieselben Ideeen lebten auch in Cölestin,
wenn auch nicht mit der gleichen Kraft wie in den eigent-
lichen Spiritualen; in ihnen allein schien die Rettung der
Christenheit zu liegen, und gerade weil Cölestin so war,
wie er war, schien er ihnen zum Siege verhelfen zu sollen l.
Endlich aber hat bei allen seinen Handlungen, selbst bei
denjenigen, welche dem Wohle der Kirche schnurstracks
zuwiderliefen, jede böse Absicht ihm völlig fern gelegen 2.
Selbst seine Gegner haben ihm thatsächlich schlechte Hand-
lungen nicht nachgesagt, und zweifellos war er bemüht,
nach bestem Können seines Amtes zu walten. Hält man
sich alles das gegenwärtig, so wird man Cölestin nicht ver-
dammen, vielmehr die Schuld daran, dafs sein Papat die
Interessen der Kirche nicht gefördert hat, weniger ihm als
denen zumessen, welche, wie die Kardinäle es bei der Wahl
beabsichtigten 8, seine Schwächen im eigenen Interesse aus-
beuten wollten oder wirklich ausgebeutet haben, wie Karl II.
und seine Kreaturen thaten.
1) Der Erörterung dieses Punktes dient das dritte Kapitel meiner
Dissertation.
2) Jacob, de Vorag: Et quamvis non ex malitia, sed ex quadam
simplicitatc haec faceret.
3) Die juristische Frage nach der Gültigkeit der Abdankung dürfen
wir hier wohl aus dem Spiele lassen. Vgl. dazu die Abhandlung des
P. Joh. Olivi , welche Ehrle im Archiv f. Litteratur- und Kirchengesch,
des Mittelalters III, 526 veröffentlicht hat. Dann Aegidius Colonua:
De renuntiatione papae, ap. Roccaberti: Biblioth. maxima pontirlcia
(Rom 1695) II, cap. 23. Hinschius, Kirchenrecht I, 295.
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PETER VON MURRHONE ALS PAPST CÖLESTIN V. 503
Wie ein Experiment fa9t, welches die Weltgeschichte
einmal auf eine kurze Spanne Zeit sich erlaubte, erscheint
der Pontifikat dieses seltsamen Mannes. Seit den Tagen der
Rluniacenser und Gregors VII. hatten die beiden grofsen,
von ihnen verfochtenen Ideeen, so entgegengesetzt sie waren,
nebeneinander fortbestanden: die Idee der Weltflucht und
die der Weltherrschaft der Kirche. Aber während nach dem
Sinne der ersten grofsen Kluniacenser die Weltherrschaft
nur das Mittel zur Herbeiführung der völligen Weltflucht
sein sollte, hatte das Streben nach ihr allein schnell die
Oberhand gewonnen und war von einem Innocenz III. zum
Siege geführt worden; im 13. Jahrhundert endete das ge-
waltige Ringen wider das Kaisertum mit der völligen Ob-
macht der Kirche, und Päpste wie Gregor IX. und Inno-
cenz IV. schraubten bereits die Ansprüche Roms zu einer
Höhe empor, über die hinaus es keine Steigerung mehr,
sondern nur noch einen Sturz zu geben schien. — Da, un-
mittelbar bevor der anmafsendste und herrschsüchtigste aller
Päpste, unter welchem dann die Katastrophe über das Papst-
tum hereingebrochen ist, sich auf den römischen Stuhl
schwang, kam jenes andere Extrem der Kluniacenser zum
Durchbruch, und ein Mann wurde auf den höchsten Platz
der Christenheit gestellt, der sein Leben lang nichts gethan
hatte, als sich in völliger Weltflucht üben, und der für an-
deres weder Sinn noch Verständnis hatte. Wohl jubelten
die Massen ihm zu, und die Eiferer für kirchliche Strenge
erhofften von ihm die Erfüllung ihrer hochgespannten For-
derungen, aber der Ubergang geschah zu jäh, der Gegensatz
gegen das Althergebrachte war zu schroff, und der Papst
selbst zu wenig zur Durchführung eines so gewaltigen Wer-
kes geeignet, als dafs der Umschlag hätte von Dauer sein
können. Bereits wenige Monate nach seiner Wahl fühlte
Cölestin selbst, dafs sich das Prinzip der Weltflucht nicht
vereinigen lasse mit dem weltbeherrschenden Papsttum und
war froh, sich schon nach einem halben Jahre seiner Würde
entledigen zu können. In den nächsten Jahrzehnten wurden
dann auch seine Anhänger, welche zunächst als Spiritualen,
später als Fraticellen mit immer wachsender Heftigkeit die
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504
SCHULZ,
Rückkehr der Kirche zur apostolischen Einfachheit ver-
langten, zum Schweigen gebracht
Anhang.
Rubeu8, Bonifacius VIII. e familia Cajetanorum (Rom 1651),
S. 6. 12. 13. (262). — Wisemann, Annali delle scienze reli-
giöse (Rom 1840), XI. 262 — 263. — Tosti, Storia di Boni-
fazio VIII. etc. (Montecassino 18 46), I. 232. — Bai an, II
processo di Bonifazio VIII (Rom 1881), S. 32 — 33 teilen aus
dem vatikanischen Archive (Cod. Arm. VII. Capsula I n. I) ver-
schiedene Bruchstücke einer namentlich die Abdankung Cölestins V.
behandelnden Aufzeichnung mit, welche ich mehrfach (S. 478. 482.
484. 491 — 494) verwendet habe, da ich sie für sehr zuverlässig
halte. Um dem Leser ein Urteil über dieselbe zn ermöglichen,
stelle ich im folgenden die einzelnen Teile, welche sich an den
angeführten Stellen zerstreut finden, zusammen. Wo mehrere Les-
arten 1 vorhanden sind, lege ich den von Balan gegebenen Text
zugrunde.
Incipit de contlnua eouversatione 8. Celestinl, quam
quidam suus seripsit devotus *.
. . . Nam 3 contigit, ut una diernm apud urbem Perusinam
Cardinales ad exequias cuiusdam Nobilis 4 congregarentur, quorum
nonnulli de Papali electiono coeperunt tractare ad invicem dicen-
tes: Eamus in nomine Jesu Christi ad Papam eligendum; et forte
Dens pietate sua grcgi suo dignabitur providere. Iiis igitur in
unum convenientibus post factum orationem, qui vocem primam
habebat instigante Spiritu Sancto dixit 5 : In nomine Patris et
Filii et spiritus saucti, Ego eligo Fratrem Petrum de Morone;
ad cuius vocem omncs stupefacti et tanquani spiritu illuminati
1) Die Anfangsbuchstaben K, W, T. B geben an, bei welchem der
oben penannten Autoren die Textabweiehnngcn voi kommen. 2) \V.
262, B 32. 3) Nam — uon tardamnt nur bei R 6. 4) Vgl. Jac.
Card. II I, 30 ff. 5) Vgl. Jac. Card. II. I, 83 ff.
PETER VON MUKRHONE ALS PAPST CÖELSTIN V.
505
unanimes et uno ore praefatom Fratrem Petrum elegerunt, et
facto decreto ad eundem eloctom illad mittere non tardarunt *.
Adveniente 2 vero quadragesima s. Martini Papa ille sanctus
decrevit solus raanere et orationi vacare; feceratque sibi cellam
ligneam 3 intra cameram fieri, et caepit in eadem solus manere,
sicnt ante facere consueverat. Et 4 sie ibidem permanente 6 cepit
cogitare 6 de onere, quod portabat, si 7 quo modo posset ülud
abicere absque periculo et discrimine sue anime. Ad 8 hos suos
cogitatus 9 convoeavit10 unumn sagacissimunm atque 18 probatissi-
mnm cardinalem18 tunc temporis, dominum Benedictum u, qui, ut
hoc audivit, gavisus est nimium et respondit ei dicens, quod
posset16 libere; et16 dedit eidem exemplum aliquorum Pontificom,
qualiter olim renuntiaverunt17. Ille18 audito19, quod posset*0 pa-
patum renuntiare, ita in hoc consilio*1 firmavit cor sunm, quod
nullus iüum ab illo potuit removere.
Audiens28 et videns idem Papa tantam pietatem omnium, qni
aderant, distnlit illam volnntatem, sed a*4 proposito coneepto nun-
quam recessit nec fletibus nec clamoribus nec*6 rogaminüms; sed
contieuit ad tempns fere octo diebus, ut non molestaretur*6. Et
sie per istam sufferentiam omnes credebant ipsum ab illo peni-
tnisse proposito. Sed infra octo dies convoeavit ad se istum,
1) Vgl. jedoch Dissertation S 31 Anm. 35. 2) Adveniente . . .
consueverat bei W 262. 3) Vgl. Jac Card. III. III, 320 ff. 4) Et
— aniine bei W 202 — 203, B 32; coepit cogitare — animae bei
T 232. 5) W: Et in eudem ibi permanente. 6) R 12: cngitare
coepit ebenso bis absque pe:irulo animae suac, dagegen S. 202 die
Variante: Anxio pnntinVis animo cardinalium voeibus commoto et cogi-
tanti de onere — animae suac. 7) W: et. 8) Ad — libere bei
W 263, T 232, B 32. Ad — Bein dictum bei R 13. 9) R: cogi-
tatus suos. 10) W, T: advoeavit. 11) fehlt R. 12) R: et. B:
ad quo 13) R, T: Cardinaiem Benedirtum. 14) Vgl. Jac. Card.
III. III, 392: acciri coram eui fatur ainicum 15) T: posset papatui
libere renuntiare. 16) et — renuntiaverunt bei W 203, T 232.
17) T: renunciaverant. 18) W, T: Hoc illo audito 19) audito —
removere bei W 263, T 232, B 32. 20) W, T: posset papatui libere
renuntiare (W ohne libere). 21) consilio fehlt T. 22) Hier steht
ein StOrk wie aus den Worten Wisemans hervorgeht: Lo scrittore
poi continua diceudo, ehe essendosi Rparsa largamente voce dello iuten-
dimento di Celestino. il clero di Napoli, con esso l'arcivescovo alla
testa, si eondussero al Castel Nuovo, dove egli sogtriornava , per pre-
garlo che volesse rimnove o dal su<» proposito. 23) Nur bis sed bei
W 263. 24) a — debe-et bei W 203, B 33. 25) W: Nec etiam.
20) Vgl. Jac. Card. HI. III, 519ff.
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500
SCHULZ,
quem prediximus cardinalem dominum B. et fecit se doceri et
scribi 1 totam renuntiationem, qualiter et quomodo facere deberet
Et 8 in octa?a die intravit consistorium paratus ad tale negotium
peragendum et sedens ipse in throno pontificali primo omnibus
cardinalibus silentium imposuit 3 , ut ad illa, que iacere inten-
debat, non contradicerent, et accepit cartam et cepit legere illam
sententiam merore plenam et renuntiavit papatui descendens de
sede, anulum, mitram seu coronam et mantum pontificale in terra
deposuit et in terra sedere cepit. Quod cardinales videntes, quod
ante viderant, ceperont omnes plorare et flere, licet qoamplures
illorum essent magis gaudentes quam dolentea.
Et ad probandum, quod Domino non displicuerat hoc, quod
8UU8 famulus Petrus fecerat, tali miraculo ipse Dominus voluit
comprobare 4 . . .
Der erste Abschnitt über die Wahl in Perugia ist kaum von
Bedeutung, und das ist leicht erklärlich, wenn er, wie es allen
Anschein hat, von einem Cölestinermönch verfafst ist, welcher
naturgemäfs nur nach späteren Erzählungen schreiben konnte und
in der Wahl Peters durchaus ein göttliches Wunder erblickte.
Um so gröfser ist der Wert desjenigen Teiles, welcher die
Abdankung Cölestins V. behandelt Durch ihn wird die freilich
naheliegende und von jeher ausgesprochene Vermutung, dafs
Benedikt Gaetani von Anfang an der Berater des Papstes in der
heiklen Sache gewesen sei, zur Gewi&heit erhoben, während der
Kardinal Jacob nur von einem „Freunde" spricht. Ebenso er-
fahren wir hier bestimmt, dafs Benedikt die Abdankungsformel
aufgesetzt bat
Die Gesinnung des Verfassers gegen Benedikt, den späteren
Bonifaz VIII., welcher seinen Vorgänger einkerkern liefs und die
Cölestinerereniiten verfolgte, ist keineswegs freundlich; dadurch
aber gewinnt seine Beschreibung der Abdankung nur noch mehr
an Bedeutung, denn sie bietet uns ein Gegenstück zu der des
Jakob Stephaneschi, welcher eher gegen als für Cölestin ein-
genommen ist, sicher aber zu den unbedingten Verehrern Boni-
faz1 VIII. gehört Dafs beide Durstellungen trotz ihres so ent-
gegengesetzten Standpunktes in allen Hauptsachen durchaus über-
einstimmen, beweist, dafs sie Quellen ersten Banges sind.
1) Jac. Card. III. III, 581 sagt nur: nec defuit eius auctor.
2) Alles Folgende nur bei B 33—34. 3) Jac. Card. III. III, 632:
et incipiens vetuit, ne cardo loquenti obstaret. 4) Balan bricht hier
ab, macht jedoch in seinem eigenen Texte über das Wunder die An-
gabe: saoando colla benedizione di lui un ratratto. S. Peter d'Ailly
II, cap. 13.
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PETER VON MUKKHONE ALS PAPST CÖLESTIN V.
507
Der Verfasser scheint, wie schon Wisemann 1 hervorgehoben
hat, den Ereignissen sehr nahe gestanden zu haben; das gebt
aus der Genauigkeit hervor, mit der er so viele Einzelheiten be-
richtet, und die Schilderung der Abdankung selbst macht den
Eindruck, dafs sie von einem Augenzeugen herrühre. Jedenfalls
hing er sehr an Cölestin, und vielleicht rechtfertigen das „suus
. . . devotus" der Überschrift, das „sententiam merore plenam"
und der schwerfallige Stil die Vermutung, dafs er unter den
Cölestinermönchen zu suchen sei.
1) A. a. 0.: Ecco dunque la testimonianza di un discepolo divota-
roente affezionato a Celeatino, il quäle in tutta la sua istoria mostra
perfotta conoscenza di ofrni atto di lui, e che costantemente parla di
Bonifazio con parole molto acerbe.
ANALEKTEN
Bibliographische Studien
zur Geschichte der ältesten Ausgaben von
D. Mart. Luthers kleinem Katechismus.
Vou
Lic. theol. Eduard Frhr. von der Goltz.
Ein neuerdings hergestellter Sammelband, der sich gegen-
wärtig im Besitze des Propst D. Freiherrn von der Goltz zu
Berlin befindet, enthalt folgende sämtlich in Oktavformat ge-
druckte Schriften Luthers, durchweg in ausgezeichneter Er-
haltung:
L
Unternehmung D. Martini | Luthers, wie man die Kinder | m&ge
füren zu Gottes wort | vnd dienste | welches die entern vn
verweser zu thun | schuldig sein. | 1527
auf 4 Blättern ; die letzten 1 llt Seiten sind leer.
Die Titelbordüre zeigt rechts und links 2 Säulen, auf deren
oberem Kapital je ein nackter Knabe kauert, der den oberen
Kandbalken hält; auf letzterem 2 geflügelte Gestalten mit einem
Schweif, die eine Schale halten. Unter dem Boden der Säulen
Blattornamente, die sich an die untere Einfassungsborte an-
schließen; auf dieser in der Mitte eiu geflügelter Guom; rechts
und links je ein reich ornamentiertes nach oben gewundenes Füll-
horn. Leider ist mir eine sichere Ermittlung des Druckers und
Druckorts bisher nicht gelungen; vielleicht ist es ein Nürnberger *.
I) Herr Dr. A. v. Donnuer in Marburg, dem der Druck vorlag, war
so gütig mir mitzuteilen, dafa ihm derselbe vou Jobst Gutknecht in Nürn-
berg zu stammen scheine.
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN.
509
Der Text beginnt anf fol. ib mit den Worten:
Auff8 erste im teutschen gottesdienst | ein grober | schlechter |
einfeltiger | gut |ter Catechismns vo nftten.
und schliefst auf fol. iiii*:
Ja es ist aber | noch nicht in die hertzen getriben.
Von demselben Schriftchen fand ich auf der Bibliothek zu
Wolfenbüttel (996 Th.) ein anderes Exemplar von 1527 mit
andrer Titelbordüre \ gedruckt, wie ein Impressum am Schlufs
besagt, „zu Nürnberg durch Friederichen Peypus". Die Ortho-
graphie ist eino etwas abweichende; so auf dem Titel seyn st.
sein, MDXXVII st. 1527. Bei den biblischen Zitaten benutzt
unser Druck arabische, der Nürnberger römische Ziffern. Ersterer
schreibt: teutschen, sunderliche , entbeyliget, zeytlich, secklein,
beutelein, gülden; letzterer: deutschen, sonderliche, entheiliget,
zeitlich, secklin, beutlin, golden. Von den andern zahlreichen
kleinen Druckvarianten ist nur hervorzuheben, dafs der Peypussche
Druck am Schlufs schreibt: Ja, es ist aber noch nicht alles in
die hertzen getrieben, während der andere Druck „alles", offen-
bar aus Versehen, aosläfst. Überhaupt scheint der Peypussche
Druck etwas sorgfaltiger hergestellt zu sein. Je ein dem Wolfen-
büttler gleiches Exemplar befindet sich auf der Berliner Kgl. Bi-
bliothek (Luth. 4676) und auf der Nürnberger Stadtbibliothek.
Hermann von der Hardt erwähnt in seinen Autographa
Lutheri IU pag. 157 ebenfalls ein Exemplar von 1527, schreibt
aber „Vorweser" st. „Verweser" und „sind" st „sein". Da
das jetzige Wolfenbütteler Exemplar, wie mir auf der dortigen
Bibliothek versichert wurde, nicht aus der Helmstädter Sammlung
stammt, so wird es auch mit dem von Hardt citierten nicht iden-
tisch sein.
Das Schriftchen ist ein im Jahre 1527 veranstalteter unter
diesem besondern Titel herausgegebener Separatdruck eines auf
den Unterricht bezüglichen Stücks der Vorrede zur deutschen
Messe. Eine Vergleichung unsres Textes mit dem entsprechenden
Abschnitt in zwei der ältesten Wittenberger Drucke der deut-
schen Messe von 1526 2 ergab eine verhältnismässig sehr geringe
Abweichung in Interpunktion und Orthographie, indem bald unser
Druck, bald der Peypussche da mit dem Originaldruck überein-
stimmt, wo sie untereinander verschieden sind. Der Anfang
1) Säalenhalle mit Bogen, oben drei Engel; rechts und links Ansatz
zu weiteren Bogen; zwischen den Säulen unten ein Blattornament. Zei-
chen: F. P.
2) Deutsche | Messe vnd Ordnung Gottesdiensta | zu Wittenberg |
forgenomen | M. D. XXVI. (Wolfenbüttel 182. 4°. Th.) u. Deutsche [
Messe vnd ord- | nung Gottisdiensts | Wittenberg. (Bordüre : Hirsche am
Wasser) gedruckt zu Wittetnb. M.DXXVI. (Wolfenbüttel 151. 4°. Th.).
Z«itschr. f. K.-0. XVII. 3. 33
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510
ANALEKTEN
jenes Abschnittes der Vorrede zur deutschen Messe „Wolan in
Gottes Namen. Ist auffs erbte im Teutschen" n. s. w. ist in
den Sonderdrucken von 1527 verändert in „Auffs erste ist im
teutschen" u. s. w. Am Schlüte des vierten Absatzes steht statt
„anrichtet, wie gesagt ist" in den Sonderdrucken: „anrichtet,
wie im bßcblein von der teutschen messe geschriben ist" Diese
Änderungen machten sich für den Sonderdruck von selbst not»
wendig. Ob derselbe von Luther selbst veranlagst wurde, läfat
sich zunächst gar nicht sagen.
Nun findet sich das gleiche Stück in wesentlich gleicher
Form abgedruckt in der von Anrifaber veranstalteten Eislebener
Ergänzungsausgabe zu Luthers Werken T. II von 1565 fol. 13
und zwar unter folgender Überschrift:
„Vorrede D. Martin Luthers | auff das Büchlin | Enchiridion
Christlicher vnterweisungen | nützlich und gut fftr die jugent
vnd einfeltige Leien | Ja auch fftr alle Christen | wie man
sie zu Gottes worte vnd | dienste füren möge | Anno 1529.
Diese Vorrede ist nicht in den Wittenbergischen vnd Jhenischen
Tomis | vnd mir nach Vollendung des Ersten Eislebischen Tomi
von M. Joachim Pfarberrn zu H elber in der Grafschaft Mans-
felt zugeschickt worden."
Die Altenburger Ausgabe (1661) Bd. IV fol. 465 druckt das
Stück mit derselben Überschrift nach der Eislebener Ausgabe
ab, und zwar zwischen der gewöhnlichen Vorrede und dem Text
des kleinen Katechismus, die Leipziger Ausgabe Bd XXII p. 44
an derselben Stelle ebenso, nur ohne die Bemerkung Aurifabers
Erwähnt als eine zweite aber zu beanstandende Vorrede zum
kleinen Katechismus wird dieser Eislebener Druck auch bei Lange-
nbek \ Illgen * und Walch 8. Er schliefst sich wie der Anfang
„Auffn erste" u. s. w. und die Lesart „wie im bftchlein von der
teutschen Messe geschrieben ist" nicht direkt an einen Druck der
deutschen Messe, sondern an unser Schriftchen von 1527 an. Er-
innert doch auch der Schlufs der Überschrift „wie man sie zu
gottes wort und dienste füren mö^e, deutlich an den Titel der
Unterrichtong 1527. Der M. Joachim zn Helber in der Grafschaft
Mansfelt hat augenscheinlich einen kleinen Sonderdruck dieser
„Vorrede" von 1529 an Aurifaber geschickt. Es ist also dieses
die katechetischen Grundgedanken Luthers so schön zusammen-
fassende Stück von ihm selbst oder von einem Buchhändler als
Vorrede zu einer kleinen katechetischen Schrift des Jahres 1529
1) Langemack, Historiae catecheticae, II p. 105.
2) Illgen, Memoria ntrioeque catecbisroi Lutheri Commentatio III
p. 23 (Leipzig 1829. 30).
3) Walch, Luthers Werke Bd. X, Einl. § VI, S. 11.
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN.
511
abermals benetzt worden. Welches „büchlin Enchiridion Christ-
licher Unterweisungen u. s. w." ist aber gemeint? Es findet sich
in den alten bibliographischen Nachrichten und Katalogen, soviel
ich sehe, nirgends ein Schriftchen mit diesem Titel *, auch nicht
in dem von Luther selbst mit einem Vorwort 1533 herausgege-
benen Verzeichnis seiner Schriften (Wittemberger Exemplar von
1533 in der Herl. Bibl. Cn. 4215). Dafs erst Aurifaber ihn
frei gebildet habe, ist wegen des Anklangs an den Titel von
1527 nicht wahrscheinlich. Er hat offenbar genau so in dem
von M. Joachim übersandten Exemplar von 1529 gestanden.
Das Wort „Enchiridion" dagegen läfst an Luthers kleinen Kate-
chismus selbst denken. Allerdings trägt erst die dritte Witten-
berger Ausgabe von 1529 diese Bezeichnung, und keine der uns
erhaltenen Ausgaben des kleinen Katechismus trägt den Titel
„Enchiridion christlicher Unterweisungen". Dagegen sagt Luther
in der Katechismuspredigt vom 14. September 1528 2 :
„Ideo etiam dicitur Catechismus i. e. ein Unterweisung oder
Christlicher Unterricht, das yhn alle Christen zum
allerwenigsten wissen sollen, post hoc sollen sie weiter in die
schriflft gefurt werden. Ideo omnes pueri richten sich darnach,
ut discant. Und ybr Eltern seid schuldig, ut liberi vestri
ista discant. Similiter vos heri (Verweser?) date operam etc."
Diese Worte klingen deutlich an den Titel der Unterrichtung von
1527 an und nennen den Katechismus wie der Eislebener Druck
eine „unterweysung" für „alle Christen". Es erscheint deshalb
wohl denkbar, dafs Luther selbst das Stück aus seiner Vorrede
zur deutschen Messe, im Jahr 1527 besonders hat ausgehen lassen,
so wie es unsere Exemplare zeigen, und es dann wiederum einer
seiner ältesten Katechismusausgaben von 1529 vorangestellt hat.
Nnn haben aber auch die ältesten Nachdrucke des kleinen Kate-
chismus von 1529, welche nach der editio prineeps der Buch-
ausgabe hergestellt sind, einen anderen Titel und die gewöhnliche
Vorrede an die Pfarrherren und Prediger. Es bliebe also nur
die Möglichkeit, dafs jene erste Ausgabe der drei ersten Haupt-
1) Zu vergleichen: a) Eyne schone vnd | sehr nutte Christlike vuder|
wysunge allen Christgelovigen mynschen (nicht alleene denn Kyndern vnde
j an gen lüden | sunder ok den olden wol antomerkede) na der wyse eynen
vrage vn antwordt. MDXXX gedr. bei Ludovich Duetz (Wolfenbüttel
1882. 2. Th. v. d. Hardt I, 222) — aber es findet sich nichts von Luther
darin, b) Eene schöne nie Verkläringe des Kinderbokelins | women se in
den rechten Loven vnde werken lehren sehall | in Bewüfs der H. Schrifit
gegründet | ganz nützbarlich simpeln conscientien to den andermal gecor-
rigieret. Wittemb. 1526 u. 1529 [v. d. Hardt II, 136; 111, 182J ist in
Wolfenbüttel leider nicht zu finden.
2) G. Buchwald, Die Entstehung der Katechismen Luthers und
die Grundlage des grofsen Katechismus, S. 1.
33*
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512
ANALEKTEN.
stücke in tabulis, welche Buchwald nachgewiesen hat, von Rörer
am 20. Januar 1529 als „tabulae complectentes brevissime simul
et crasse catechismum Lutheii pro pueris et familia" namhaft ge-
macht \ zusammen mit einer Vorrede Luthers ausgesandt worden
ist und dafs als solche seine Unterrichtung von 1527 benutzt
wurde.
Legt uns die Eislebener Oberschrift diese Vermutung schon
nahe, so gewinnt dieselbe an Wahrscheinlichkeit durch zwei höchst
interessante Varianten , welche der Eislebener Druck (und die
von ihm abhängigen Ausgaben) bietet, die bisher von allen For-
schern, auch von Buchwald, wie es scheint, unbeachtet geblieben
sind. Hinter den Worten „fürgesagt oder gelesen werde" steht
noch: „auffs aller einfeltigste | wie es den nu auff den zeddeln
gedruckt ist" und eine Seite später statt „solche fragen mag
man nemen aufs dem unsern betbüchlein | da die drej stuck
kurtz aufsgelegt sind | oder u. 8. w. findet sich hier die Lesart:
Solche fragen mag man nemen aus den zeddeln | darauf! der
Catechismus kurtz vnd schlecht gedruckt ist | oder u. s. w.
Diese Lesarten bieten zunächst eine glänzende Bestätigung der
Untersuchung Buchwalds, wonach Luther zuerst den catechismus
brevissime simul et crasse (auffs allerein fei tigste — kurtz und
schlecht) pro pueris et familia in Tafelform herausgegeben hat.
Es erscheint aber auch naheliegend, dafs diese Vorrede aus dem
Jahre 1529, wie sie ausdrücklich auf die „zeddel" Rücksicht
nimmt, mit den Zetteln versandt worden ist, und dafs die Zettel-
ausgabe den Titel „Encbiridion christlicher Unterweisungen (Plu-
ral 1) nützlich vnd gut für die jugent und einfeltige Laien | Ja
auch ffir alle Christen, wie man sie zu gottes wort vnd dienste
füren möge. Anno 1529" getragen hat. Damit wäre auch er-
klärt, wie diese Vorrede so isoliert dem Aurifaber zugeschickt
werden konnte und den Wittenberger und Jenenser Ausgaben
unbekannt, dem Aurifaber aber auch nur nachträglich bekannt
werden konnte. Da sie inhaltlich auch nur auf die drey stücke
Vaterunser, Glaube und Zehn Gebote Bücksicht nimmt, eignete sie
sich auch nur für jene erste Zettelausgabe, welche nur jene drei
Stücke enthielt und mufste in dem Katechismus für die gemeine
Pfarhern und Prediger durch eine andere ersetzt werden. Bemer-
kenswert ist auch, dafs Aurifaber in seiner „Geschichtmeldung"
für 1529 (Altenburger Ausgabe Bd. IX fol. 800) von einer
Ausgabe des kleinen Katechismus im Januar berichtet8. Dafs
1) Bachwald a. a. 0. S. XII.
2) Vgl. Buchwald a. a. 0. S. XII Sp. 2.
3) „Es liefs auch im Monat Januario D. M. Luth. den deutschen
Katechifmum erstlich in druck aus gehen , darinnen für die Jugend und
den gemeinen Mann die Haupt Stücke Christlicher Lehre, mit ihren Aufs-
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN.
513
aber gerade dieses Stück aas der Vorrede zur deutschen Messo
in wenig veränderter Form im Jahre 1529 als Vorrede zu der
Zettelausgabe der drei ersten Stücke des Katechismus neu ver-
wendet wurde, ist um so begreiflicher, wenn es schon 1527 als
besondere „Unterrichtung etc." erschienen war. Die Zettelaus-
gabe des Januar 1529 konnte mit keinem bessern Begleitwort
ausgesandt werden als mit diesem Stück, welches bereits in den
Jahren vorher Luthers katechetische Gedanken bekannt gemacht
hatte. Wenn die Altenburger und die Leipziger Ausgabe das
Stück als zweite Vorrede zum kleinen Katechismus abdrucken,
so beruht das freilich kaum auf einer Erkenntnis dieses geschicht-
lichen Sachverhalts, sondern auf einem naheliegenden Schlufs aus
der Oberschrift in der Eislebener Ausgabe. Dahingestellt mufs
auch bleiben, ob Luther selbst die Sonderdrucke von 1527 und
die Verwendung als Vorrede im Januar 1529 veranlafst hat,
oder ob — und das ist wahrscheinlicher — ein Buchhändler
das Stück so benutzt hat. Jedenfalls sind diese Sonderdrucke
für die Geschichte der katechetischen Arbeiten Luthers wichtig.
IL
Der zweite in dem Sammelband enthaltene Druck ist fol-
gender :
Der kleyne | Catechismus / Für | die gemeyne Pfar-[herr vn pre-
diger, | mit de alphabett | für die schftler. | Mart. Luht |
mdixxi.
Die Titelbordüre ist die von Dommer 1 unter Nr. 23 B be-
schriebene. Auf der Titelrückseite steht das Alphabet. 32 Blätter
in 8°.
Signaturen Ai — Dviii; auf der vorletzten Seite unten: Gedruckt
zu Mapurg (sie!) ym | Jar MDXXXI. Die letzte Seite ist leer
(es ist der Vers „dein Zion streut dir Palmen", von einem früheren
Besitzer ca. Ende des 17. Jahrhunderts, Lorentz Wag, Für-
sprech (?) darauf geschrieben; derselbe bemerkt schon auf dem
alten Vorsatzblatt von I, er habe dies schöne Buch oder Unter-
richt zu Strafsburg auf dem Gimpelmatkt um 1 fl. 6 kr. gekauft.
I und II waren also schon damals zusammengebunden).
Der Druck ist, wie sich aus dem Buch von Dommer, in wel-
chem aber dies Exemplar noch nicht aufgeführt ist, ergiebt, von
dem Marburger Drucker Franciscus Rohde hergestellt. Derselbe
druckte nach dor editio prineeps den kleinen Katechismus schon
legungen nützlich zusammengetragen und gefasset sind" (Altenburger
Ausg. Bd. IV, S. 800 u. Leipziger Ai sg. Bd. XXII, S. 1).
1) A. v. Dommer, Die ältesten Drucke aus Marburg in Hessen
1527-66; Marburg 1892, S. 159.
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ANALEKTEX
Mitte des Jahres 1529 (bei Dommer Nr. 29, herausgegeben von
Th. Harnack 1856 *), ebendenselben lateinisch 1530 (Parvus
catechismus pro pueris Dommer Nr. 33 a. Panzer VII 376
Nr. 8); den grofseu oder „deutsch Catechismus" 1529 (Dommer
Nr. 28) und ebendenselben lateinisch, übersetzt von Joannes
Lonicerus im September 1529. (Dommer Nr. 22.) Es sind dies
alles Nachdrucko nach den bei Georg Bhaw oder Nickel Schir-
lentz in Wittenberg erschienenen Originalausgaben, nicht ohne
Sorgfalt hergestellt.
Unser Druck vom Jahre 1531 ist also bereits ein zweiter
Nachdruck des kleinen Katechismus durch FranciscusRohde
und soll von uns im Unterschied zu jenem ersten (M *), kurz
mit M ' bezeichnet werden. Robde hat M 1 nicht einfach wieder
abgedruckt. Das Titelblatt hat er freilich, abgesehen von der
Jahreszahl und dem Dmckfehler „Luht" statt „Luth", beibehalten.
Ancb dieselben Typen und Initialen hat er wieder gebraucht,
wie ich in Wolfenbüttel durch eigene Vergleichung der Exem-
plare feststellen konnte. Für den ganzen Umfang von M 1 sind
auch die Drucklage der Blätter, die Seitenabsätze, die Interpunktion
und Schreibweise in M 2 im ganzen genommen dieselben. Jedoch
hat er auch vielfach korrigiert bezw. neue Druckfehler herein-
gebracht, vor allem aber die Ausgabe um das Taufbüchlein,
die Beichte (in der älteren Form) und die deutsche Litaney ver-
mehrt Auf die Vorrede (aii— avib), die zehen Gebot (avib— aviiib),
den glauben (Bi — Biib), das Vaterunser (Biib — Bv), das Sakrament
der heiligen Tauffe (Bv — Bvib), das Sakrament des alters (Bvib
bis Bviib, ebenfalls wie in M 1 ohne die dritte Frage !) , Morgen-
und Abendsegen, Benedicite, Gratias und Haustafel (Bviib — Ciii),
das Trawbüchlein (Ciii — Cviib) — alle im wesentlichen wie in
M 1 (vgl. Harnack a. a. 0.) gedruckt, folgen :
1) Bl. Cviib unten bis Diiiib Das Tauffb&chlin ver deudschet, vnnd
auffs newe zugoricht durch | Martinnm Luther | . Bei dem
Anfangswort der Vorrede „Weil" grofse Initiale W (zwei nackte
Knaben, die das W umschlingen); beim Beginn des Textes
kleine Initiale F, in Diii: Z.
2) Diiiib Z. 8— Dvb Z. 8. Eine kurtze weise zu beichte für die
einfeltigen dem Priester
W (kleine Initiale) irdiger lieber herr u. 8. w.
(Dv) Ein ander bekentnis der Beicht
I (kleine Initiale, Nixe mit Fischschwanz) CH bekenne mich
für Gott vn euch u. s. w.
bis „ist deste besser".
1) Th. Harnack, Der kleine Katechismus D. Martin Luthers in
seiner Urgestalt. Stuttgart 1856.
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN.
515
3) Dvb Z. 9 — Dviii* Die deutsch Litaney, hintereinander mit
gleichen Typen gedruckt, ohne Noten, am Schlüte drei Gebete.
Dviii* unten: Gedruckt zu Mapurg ym | Jar MDXXXI.
Dviiib leer.
Es sind dies genau dieselben drei Stücke, welche die einzige
uns aus dem Jahre 1529 aufbehaltene Wittenberger Originalans-
gabe (gedruckt bei Nickel Schirlentz in 16°, jetzt im Germani-
schen Museum zu Nürnberg, von nns mit Wn bezeichnet) 1
bietet. Da die Beichtform bereits 1531 von Luther durch eine
andere ersetzt wurde und die Litaney in den späteren Ausgaben
nicht mehr gedruckt wurde, so ist ausgeschlossen, dafs Bohde für
Ma eine spätere als diese Wittenberger Ausgabe benutzt habe.
Da aber Wu erst die dritte Wittenberger Ausgabe des Jahres
1529 sein wird2, so bleibt die Möglichkeit, dafs für M2 die
zweite nns nicht mehr erhaltene Wittenberger Ausgabe benutzt
wurde. Um diese Frage zu entscheiden, ist zunächst eine genaue
Vergleichung des Textes von Wn und M2 in diesen drei Schlufs-
stücken anzustellen. Diese ergiebt eine ziemlich grofse Ähnlich-
keit beider Drucke, auch in besonderen Schreibweisen (z. B. Nviüb
wilchs); dabei aber auch eine grössere Zahl von Abweichungen,
teils aus Versehen, teils aus dialektischen Eigentümlichkeiten und
andern Gewohnheiten der Setzer zu erklären, so der Wechsel von
b und p, d und t, y und i, u und &, n und nn, t und tt u. dergl.
Hervorzuheben sind dagegen folgende Verschiedenheiten, bei wel-
chen M2 augenscheinlich eine bessere Lesart hat 3 :
Lviil Wn kindein M2 kindern
Lviiö Wn geredt, M2 geredet
Lviib12 Wn christlich M2 Christliche
Mii7 Wn einmftgtiglich M2 einmüttiglich
Niii 7 u. 8 Wn Vater unser der M2 Vater unser der du bist ym
du bist etc. bymel etc.
Niiii 5 Wn alle M2 allen
Niiiib4 Wn vnd erden? M2 von der erdö?
Nv4 Wn ein M2 eine
1) Enchiridion. Der kleine Catechitsmus für die gemeine Pfarher vnd
Prediger, Gemehret vnd gebessert, durch Mart. Luther. Witteraberg. Am
Schlüte: Gedruckt zu Wit-]teinberg durch | Nickel Schir lentz | M. D.
XXIX | in 16° vgl. Th. Harnack a. a. 0. p. XX-XX11I, p. XLV1II,
ebenda abgedruckt S. 21—84.
2) Vgl. die Worte Rörers am 13. Juni 1529 an Roth: „Parvua ca-
techismus sub inendem jaro tertio revocatus est, et in ista postrema edi-
tione adauetus ideo hujus j exemplar tibi mitto". Vgl. Buchwald
a. a. 0. S. XIV.
3) Die Bezeichnung der Stellen nach dem Druck von Harnack a. a. 0„
S. 74-84.
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516
ANA LEUTEN.
Nv5 Wn kirche gemeine M8 Kirche, gemoine
Nviiibl Wn gebrehlich M* gebrechlich
Nviiib4 Wn nicht M" nichts
Nviiib8 Wn gegewiesen M* gewissen.
Demgegenüber finden sich bei M* natürlich auch eine Reihe offen-
bare Versehen, die sich bei Wn nicht zeigen, also jedenfalls auf
Rechnung von Rohde kommen. Die Litanei, welche Harnack leider
nicht mit abgedruckt hat l, ist in Wn mit Noten in der Weise
gedruckt, dafs die Chöre auf zwei nebeneinanderstehende Seiten
verteilt sind. M* hat nun die Noten nicht und druckt, nnter
Anwendung seiner gewöhnlichen Typen ohne irgendwelche Her-
vorhebung auf */8 Breite der Seite den ersten Chor ab und stellt
die Responsorien (Behüt uns lieber Herr Gott) auf derselben Seite
daneben, hier und da auch einmal dazwischen. Abgesehen von
den gewöhnlichen orthographischen Abweichungen ist sonst der
Text in Wn und M2 der gleiche. Nur am Anfang und Schiufa
findet sich eine Verschiedenheit:
Am Anfang nämlich druckt WD:
Oiib u. Oiii Kyrie Eleison
Christe Eleison
Kyrie Eleison
Christe Erhöre uns
Herr Gott Vater ym Himel
Herr Got son der weit Heiland Erbarm dich über uns
Herr Gott heiliger Geist,
dagegen hat M*:
Kyrie. Christe. Eleison.
Kyrie. Christe. Eleison.
Herr Gott vater ym bymel
Erbarm dich über uns
Herr Gott Son der weit heiland |
Erbarm dich vber uns.
Herr Gott heilgrr geist |
Erbarm dich vber uns.
Am Scblufs der Litanei hat Wn:
Piiib u. Piiiid Christe Erhöre uns
Kyrie Eleison
Christe Eleison
Piiiib Kyrie Eleison
Amen
Dafür hat Ms nur
Christe Eleison Kyrie etc.
1) Herr stud. theol. Ernst Heller besorgte mir gütigst eine diploma-
tisch genaue Abschrift nach dem Nürnberger Exemplar.
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN. 517
Der Text der darauf folgenden Gebete stimmt dagegen, von
elf ganz unbedeutenden Ausnahmen abgesehen, auch in der Or-
thographie ganz genau. Die Abweichungen in der Litaney, be-
sonders das Fehlen der Noten und die kürzere Lesart am Ende
können durch Raummangel nicht erklärt werden, da ja am Ende
noch eine Seite leer blieb. Sie finden ihre Erklärung am besten
in der Annahme, dafs M* in diesen Schlufsstücken nicht nach
Wn selbst, sondern nach einem mit diesem nahe verwandten Ex-
emplar gedruckt ist. Dafs dieses ein Wittenberger gewesen ist*
darf bestimmt angenommen werden, da Bohde seine anderen Ka-
techismusausgaben alle nach Wittenberger Originalen gedruckt hat.
Da es nun schon der älteren Beichtform wegen ein späteres Ex-
emplar nicht sein kann, läfst sich nur annehmen, dafs es jene
zweite Ausgabe gewesen ist, welche wir nach Rörers Worten noch
zwischen der ersten und der „gemehrten und gebesserten" an-
nehmen müssen. Diese hat dann vermutlich auch die oben an-
gefahrten Lesarten gehabt, durch welche M* sich vor W° aus-
zeichnet. Wn zeigt dann einige Fehler, die sich in W* nicht
befanden, was ja leicht erklärlich ist, während viele kleine Fehler,
die sich in Ma, nicht aber in Wn finden, auf Rechnung von W*
kommen, während sie in W3 = Wn verbessert wurden. Auch
wegen der Zugabe der Noten konnte WB dann „gemehret und
gebessert u heifsen.
Der Einflufs dieser Wittenberger Ausgabe, welche sie auch
gewesen sein mag, zeigt sich nämlich offenbar auch in den alten
Stücken, welche Rohde im wesentlichen nach M1 wiederdruckte.
Er behielt die alte Drucklage und den alten Text bei (es fehlte
also auch die Verbeifsung beim vierten Gebot, die Anrede des
Vaterunser mit Erklärung und die dritte Frage im fünfteu Haupt-
stflck), aber brachte doch nicht nur alte Druckfehler fort und
machte neue hinein, sondern korrigierte unter Benutzung dersel-
ben Ausgabe, aus welcher er die SchlufsstGcke hinzufügte. Dies
zeigt Bich am deutlichsten daran, dafs er die erste Zeile der
Teilüberschriften nicht wieder, wie in M1 mit grösseren, sondern
mit den gewöhnlichen kleinen Textlettern druckte und an Stelle
der in M1 hinter der Vorrede stehenden alten Überschrift „Ein
kleiner Katechismus odder Christliche Zucht" die neue Teilüber-
»chrift setzte, wie wir sie in W" finden: „Die zehen gebot, wie
sie ein haufs- vater seinem gesinde einfei- [tiglich fürhalten sol".
Von den zahlreichen kleinen Abweichungen aber, die ich durch
eine auf den Buchstaben genaue und vollständige Kollation mit
M1 fentgestellt habe, sind die folgenden hervorzuheben, in wel-
chen M* im Unterschiede von M1, die Lesarten von Wn teilt1:
1) Die Bezeichnung der Stellen ist nach Harnack a. a. 0. S. 6ff.
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518
ANALEKTEN.
M1
»
n
»»
>1
»
»»
M1 Aib 2 Predigern Gnad —
„ Aib17 jrih
„ 25 gestalt, vnd
Aii8 behüte
Aiib4 kynd
Aiib 6 seinem
Aiib 25 weisse
Aüi 6 ricblich
Aiiib34 streiche nur wol de"
(== El u *)
Aiiiib13 beten vnd danken
„ „ 16 heiigen
„ Avi 26 hoffe (= E
„ Avii3 heyligen
„ Avib19 auffgefaren
„ Aviib12 Gotes
„ Bib15 frilich
1 u. t>
Bib25 reichlich dorch
„ BÜ27 jangern (= El° *)
„ BH28 Esset, das
„ ßiib24 zwivelt
„ Biii 15 heiiger
„ Biii 33 alles ynn
„ Biiib15 hymelischer
„ Biiib 21 weisse
„ Biiiil Herrn (= E)
„ Biiii24 gots
„ Biiiib 1 6 ewre (= E1 Q 2)
„ Biiüb26 Meiden
„ Bv5 haushern
„ Bv31 Trawbuchlin
„ Bvb5 oder (= E»)
„ Bvb10 Etliche — Etliche
„ Bvb18 dise (= E*)
„ Bvil5 narreit (= E2)
„ Bvi24 n. 27 oder
M2 = W° Predigern | Gnad (=
E1 ° *)
vihe (= E)
„ gestalt vnd (= E)
sich hftte (= El n- »)
„ kind (= E1 *)
„ seinen (= E1 *)
ii weise (= E1 °- *)
„ reichlich (= E1 *)
„ streiche nur wol aafo
de
„ beten loben vnd dan-
ken (= E1 u- *)
„ heiligen
„ hofe
„ heiligen
„ Auffgefaren
„ Gottes (= El tt- *)
M» freilich W» u. E* freylich
M2 = Wn reichlich | durch (=
El a *)
„ iungern
Esset, Das (= E1 *-*)
M2 zweivelt Wn aweiflfelt
M* = Wn heiliger (= El *)
„ alles, ynn
„ hymlischer(=El 0 *)
„ weise (= Eln»)
Herre
Gottes (= E1 u- *)
ewere
Meyden (= El «• *)
„ hausherrn
„ TrawbuchIin(Wntraw)
odder (= E1)
Etlich — Etlich
„ diese (= E>)
„ narheit (El narrheit)
„ odder
>»
»»
gemäfa dem Erfurter Druck von 1529 gegeben, zu welchem Harnack die
Varianten von M1 giebt. Zum Vergleich herangezogen ist auch der von
HartuDg herausgegebene andere Erfurter Nachdruck von 1529, der sich
jetzt in Leipzig befindet und von mir nach dem Hartungschen Druck
verglichen worden ist (E*).
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN. 519
M1 Bvib5 noch (= E8)
Bvib7 gemeyn
Bvii22 gemeyne
Bviib2/3 gemeyne (= E1)
B?üb 4 gemeine ynn Christo
>»
»
Bviib 7 standt
Bviib 7 geleget (= E1 8)
Bviib 8 Weibe (= E1)
Bviib12 er wird dein herr
sein
Bviü9 bede
Bviii 1 1 verornet
Bviii 1 6 gescheffe (= E1 u *)
Bviii 20 Christ
M2 = Wn nach (= El)
gemein
geraeine
gemeine (= E8)
M8 gemeyne Christo
WQ geraeine Christo (= El f)
M8 = Wn stand (= El ■ 8)
gelegt
„ weibe (= E8)
er 8ol dein herr sein
(= El ■• 8)
bete (= El »• 8)
verordnet (Wn denet)
geschepf
Christum
»»
Kann anch in der Mehrzahl dieser Fälle die Obereinstimmung
von Wn und M8 ans Zufall erklärt werden , so spricht doch so-
wohl ihre Anzahl als auch der Charakter von einzelnen wie Aii8,
Aiiiö, Aiiib34, Aiiiib13, BÜ28 und vor allem Bviib12 entschie-
den dafür, dafs Rohde nach der Wittenberger Ausgabe, aus wel-
cher er die Scblnfsstflcke abdruckte, auch die alten Stücke, bei
denen er sich im wesentlichen an Ml hielt, flberkorrigierte. War
dies nicht Wn (= W8) sondern W8, so dürften noch manche der
andern noch viel zahlreicheren Abweichungen1 von M1, welche
nicht mit W" übereinstimmen, anf den Einflofs dieser zweiten
Wittenberger Ausgabe zurückzuführen sein. Dazu möchte ich vor
allem folgende Sonderlesarten rechnen, in welchen M* den Vorzug
vor Ml verdient, ohne doch mit Wn übereinzustimmen:
Ml Av 28 feischlichen (= El 2 M8 feischlich (= Ausg. v. 1531
u. W»)
M1 Avi 17 Schepffung (= E» 0 8
u. Wn)
Ml Avi 19 ScheprTer (= E1 Q-8
n. Wn)
M» B 10 solch (= El 8 u. Wn)
u. 39)
M8 SchöprTung (= 1539)
M8 Scböpffer (= 1539)
M8 solche (= 1539)
Wie dem aber auch sein mag, die Benutzung einer der äl-
testen Wittenberger Ausgaben auch für die erste Hälfte von M*
steht fest Warum fehlt dann auch in diesem Exemplar wieder
die dritte Frage beim Sakrament des Altars? Aus Baummangel
nicht, da ja die letzte Seite leer blieb; aus tendenziösen Grün-
den auch nicht Aus Versehen? — das scheint mir doch bei
1) Heine vollständigen Kollationen des Druckes M* mit H1 und W»
onter Berücksichtigung von El und E* stehen jedem zugebotc, der sich
für das kleine Detail näher interessiert.
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520
ANALKKTEN.
dem nachgewiesenen Mafs der Benutzung jener Ausgabe eine schwie-
rige Annahme. Es wird deshalb immer noch die einfachste Hy-
pothese sein, dafs Rohde auch in dem von ihm benutzten Witten-
berger Exemplar die dritte Abendmahlsfrage noch nicht vorfand,
und dafs dieses eben jene uns nicht mehr bekannte zweite Ori-
ginalausgabe war, von deren Existenz wir durch Rörer wissen.
Dieselbe enthielt vermutlich auch das Scholion zu dem Benedicite
und Gratias noch nicht, wie dasselbe auch in M* fehlt; freilich
steht es schon in E*. In dem Titel von W* mögen wie bei M*
das Wort „Enchiridion" und „gemehret und gebessert" gefehlt
haben. Dagegen wird das Alphabet auf der Rückseite des Titels
von M* wohl als eigene Zothat Rohdes gelten müssen. Die Worte
„gemehret und gebessert" w Orden sich dann bei WD auf die
Hinzufügung der dritten Abendmahlsfrage, des Scholions, der Sing-
noten bei der Litaney und einzelne Verbesserungen der Schreib-
weise beziehen, wenn sie nicht vielleicht doch schon auch auf dem
Titel von W8 standen.
Der niederdeutsche „Katechismus effte Unterricht", der von
Mönkeberg herausgegeben wurde, könnte trotz unserer Annahme im
Anschlnfs an die alten Katechismustafeln hergestellt seien *, frei-
lich erst nach dorn 13. Juni 1529, unter Berücksichtigung der
dritten Buchausgabe. Die im Oktober 1529 von Sauromanuus
augefertigte lateinische Obersetzung des kleinen Katechismus ist,
wie ich mich durch Vergleich mit dem in Zwickau befindlichen
Originalexemplar * Oberzeugen konnte , jedenfalls nach Ws ge-
macht, von dem sie nur in der Stellung des alten Beichtstackes,
durch Zusätze in der Haustafel und durch Fortlassen der agen-
darischen Stücke abweicht Ober das Verhältnis der ältesten
deutschen Ausgaben zu einander ist aus ihr nichts zu entnehmen.
Mit völliger Sicherheit ist diese Frage überhaupt noch nicht zu
beantworten. Auch die von Buchwald veröffentlichten Katechis-
muspredigten Luthers von 1528 geben keine Gewifsheit über die
1) Vgl. Buchwald a. a. 0., p. XIII.
2) Zwickauer Ratsschulbibliothek 1, XIX, 5. Parvus { Cate- chis-
mus Pro | Pueris in | schola j Parve pucr parvom tu ne con-jtemne Übel-
lum | Continet bicsuromi Dogmata | Minima Dei | Mart. Luther | MDXXIX.
8°. 32 hlätUr. Verheifsnng beim 4. Gebot: „ut eis longenus super ter-
ram". Anrede beim Vaterunser fehlt. Zwischen Sacr. baptismi und
Sacr. alteris Bvii1»: Quoraodo Paedagogi suos pueros brevem confitendi
rationem simplicissime docere debeant (die ältere Beicbtl'orm); 3. Frage;
Scholion. Hei d. sententiae: Quid debeant auditores episcopis suis und
quid subditi magistratibns suis debeant. Am Schlafs Elementa ehr. re-
ligionia von Sauromannus. Ps. iv. cx cxn. Vvitembergae apnd Geor-
gium Rhan Anno MDXXIX, vgl. ein gleiches Exemplar von MDXXXI.
Berl. liibl. Luth. 5631 (32 Bl. 8°) und ohne Angabe des Jahres (spater)
in der Gotting. Bibl. Tu. Thet I, 71
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VON DER GOLTZ, BIBLIOGRAPHISCHE STUDIEN. 521
Sache; denn wenn auch die zweite und dritte Reihe Gedanken-
anklänge an die dritte Abend mahlsfrage enthalten 1)y so beweisen
diese doch nicht das wirkliche Vorhandensein jener Frage im Text
der ersten Ausgaben, zumal die Abendmahlspredigt Fröscheis vom
Februar 1529 deutlich nur eine Dreiteilung der Abendmahlsfragen
voraussetzt und keine Parallele zur dritten Frage des Luther-
schen Katechismus darbietet *).
Es genfigt hier, auf den bisher unbekannten Marburger Druck
von 1531 und seinen Wert för die Sache aufmerksam gemacht
zu haben s).
1) Buchwald a. a. 0. p. XIII, Sp. 2, Anna. 3.
2) Vgl. Buchwald, Die letzten Wittenberger Katechismuspredigten
vor dem Erscheinen des kleinen Katechismus Luthers. Aua der Festschrift
für Jul. Köstlin (bei Friedrich Andreas Perthes, Gotha), S. 10 u. 11.
3) Aufser den beiden hier besprochenen Drucken enthält der genannte
Sammelband noch folgende Drucke, die anderweitig bereits bekannt sind :
a) Deudsch Ca|techisrous. | Mit einer newtn vorrhede und vermanunge zu
der Beicht. | Mart. Luth. [ 1531, gedruckt bei Georg Rhaw; vgl. Erlanger
Ausgabe 21. Bd. S. 4 Nr. 7. b) Ausle gung der zehen gepot j aus dem
XXIX. rnd XX. Cap. des andern buchs Mosi gepreiigt durch | Mart.
Luth.; am Schlafs: Von der heimlichen Beicht -vnterricht | Johan. Poraer.'
Die Fünft* frage vom Sacrament des Altars. Gedruckt bei Georg Rhaw
in Wittenberg; vgl. über ein Stuttgarter Exemplar Th. Brieger, Zeit-
schrift f. Kirchengesch. IV 1881, S. 581 Anm. c) Das Vaterunser u. h. w.
durch Martinum Luther Augustiner zu Wittenberg uisgelegt, gedr. 1522
Basel bei Valentin Kurio; vgl. Weimarer Ausgabe Bd. II, S. 78 N. d) Ein
knrtzer begriff der zehen gebot u. s. w. u. von den guten werken u. s. w.
MDXXIII; bei Val. Kurio. Basel, vgl. Weimarer Ausgabe Bd. VI S.
198 L.
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NACHRICHTEN.
Französisches.
Von
C. A. Willens.
(Fortsetzung.)
* 11. Das napoleonische Konkordat hat drei Dynastieen, drei
Revolutionen, sechs Regierungsformen überdauert, ist jedoch täg-
lich von einer mächtigen Partei bedroht. Bei jeder Beratung
des Kultusbudgets erneuern die Radikalen ihre Vorstöfse. In
ihrer Blindheit und Wut meinen sie, heifse es nicht mehr, der
Staat übernimmt eine angemessene Erhaltung der Kirche, dann
werde sie zur vogelfreien Sekte, und der letzte Tag des ver-
balsten Christentums breche an. Dann brauche man die Pfaffen
nicht mehr zu guillotinieren, der Hunger werde sie dezimieren.
Dabei vergifst man, dafs Amerika kein Kultusbudget kennt, die
Kirche blüht, über Millionen gebietet, und die Geistlichkeit dort
dem Hungertyphus noch nicht erlag. Um die Aufhebung des
Konkordats anzubahnen, es in der Öffentlichen Meinung zu unter-
wühlen, wird es nach Inhalt und Geschichte gefälscht und zur
Vogelscheuche gemacht. Diese Lügen veranlagten Forschungen,
die Waffen liefern werden in den kommenden Kämpfen. Con-
salvis Memolres 1864, 2 Vol., d'Haussonvilles l'Kglise romaine
et le premier empire, 1800 — 14. 1868, 5 Vol., Theiners Hi-
stoire des deux Concordats 1869, 2 Vol., Cretineau-Jolys Bona-
parte et le Concordat 1869, hatten den Gegenstand noch nicht
erschöpft. Graf Boulay de la Meurthe hat 1891 — 1893 in drei
grofsen Bänden Documenta sur la negotiation du Concordat et
sur les autres rapports de la France avec le Saint Siege en
1800 et 1801 alles einschlägige Material gesammelt, geordnet,
bearbeitet. Es besteht in diplomatischen Noten, Berichten, Re-
daktionsentwürfen, Korrespondenzen der Unterhändler mit den
Regierungen, der französischen Generäle mit dem Quirinal, der
Agenten Ludwigs XVIII. und der auswärtigen Mächte. Im sechsten
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NACHRICHTEN.
Bande seines grofsartigen Werkes „Les Origines de la Pranco
contemporaine " 1894 schilderte Taine auf Grund dieser Publika-
tionen, Entstehung, Wesen und Wirkung des Konkordats meisterhaft.
Kaum hatte der Duc de Broglie die Frage staatsmannisch beleuchtet,
Le Concordat 1893, so liefs Leon Se*ch6, im oppositionellen Inter-
esse, Les Origines du Concordat erscheinen, 1894, 2 Vol. Pius VI.
und VII. benutzten bisweilen in den Beziehungen zu den fran-
zösischen Gewalthabern die Vermittlung des spanischen Ge-
sandten Marques del Campo und des Ritters d'Azara, des Mäcens
der Gelehrten, dessen Generosität man den prächtigen Bordoni
Horaz Arteagas verdankt. Die Knrie und Napoleon vertrauten
dem ehrlichen, vorsichtigen, wohlgesinnten Agenten Cacault, dessen
diplomatische Korrespondenz im Pariser Staatsarchiv von Seche*
benutzt wurde, wie die der beiden Spanier im Archiv zu Alcala.
Kein Historiker des Konkordats hatte die amtliche Korrespondenz
der Präfekten nnter dem Konsulat benutzt. Seche* thut es mit
Erfolg. Sie liefert Detailberichte über die Stellungnahme des
Volkes gegen die Bekämpfung des Katholicismus von oben, Ober
die Revolten der Männer und Frauen in Wort und That. Die
Memoiren des Gesandten Ludwigs XVIII. Abbe* Maury führen in
die dem Konkordat feindlichen Kreise von Geistlichen und Laien,
die M£moires inädits de l'Internonce pendant la Revolution sind
benutzt, und ans all diesen Quellen hat Seche* die Genesis der
Negotiationen, die fünf Entwürfe, Gregoire's Einwirkungen auf
Kapoleon, die Bemühungen des Abbe* Bernier samt allen fördern-
den und hemmenden Momenten und Elementen vorführen können.
Den neu erschlossenen Reichtum an Informationen benutzte Auguste
Rivet in der Universite catholique 1895, Nr. 4, Les nägo-
tiations du Concordat dapres les dernieres publi-
cations übersichtlich darzustellen, eine durch die andere kontrol-
lierend und korrigierend. Er weist in den kirchlichen Zuständen
die Notwendigkeit des Vertrages nach: les prötres fideles toleres
dans certaius lieux, proscrits dans d'autres, e*taient dans une Si-
tuation ä peu pres semblable ä celle des missionaires en pays
infideles; ils avaient contre eux la legislation et la haine des
magistrats, des philosopbes, des libertins, des rövolutionnaires qui,
pour les combattre faisaient cause commune avec les constitution-
nels leurs plus implacables ennemis. Die Paganisierung Frank-
reichs drohte. Die Motive des ersten Konsuls und Pius VII.
werden dargelegt, die des frommen Papstes mit Verteidigung gegen
Insinuationen Se'cbe's. Es folgen die Unterhandlungen Spinas und
Bernier8 in Paris, die Entwürfe, das do ut des, die Fortsetzung
des in Paris Begonnenen dort und in Rom. Man sieht, wie un-
zugänglich Pius VII. und Consalvi der Einschüchterung und der
Überlistung sind, wie viel weiter sie ihre unbeugsame Festigkeit
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524
N ACH K I C II T KN .
fährt als Caprara die Konzessionsmaxime: ä tout prix gilt*s
auf den Beinen zu bleiben, denn liegt man einmal, so giebt's
kein Aufstehen. Das Anti- Konkordat der 77 organischen Artikel
wird gewürdigt und die Wirkung der päpstlichen Protestation
gegen dasselbe gezeigt, durch die es le document le plus informe
geworden ist qui est place" dans le Systeme legislatif trappe* d'one
dechlance irremediable. Das Konkordat blieb, wie Pius VII.
sagte, un acte höroiquement sauveur. Daher der Ingrimm der
Feinde.
* 12. Napoleon et les cardinaux noirs (1810 — 1814)
par Geoffroy de Grandmaison. Paris, Perrin, 1895. IV.
219 p. 12. Bei der Trauung Napoleons I. mit Marie Louise
waren rechts vom Altare in Notre Dame Sitze für die 27 ein-
geladenen Kardinäle reserviert. Dreizehn blieben leer und demon-
strierten Sr. Majestät ad oculos, dafs ihre Eminenzen Mattei,
Pignatelli, Scotti, della Somaglia, Cousalvi, Brancadoro, Saluzzo,
Galeffi, Litta, Ruffo-Scilla, Oppizoni, Gabrielli, di Pietri die Ehe
mit Josefine für rechtsgültig, die Scheidung für null und nichtig
hielten, es ihnen deshalb unmöglich sei, bei der Schliefsung der
kirchlich unzulässigen Ehe mit der Tochter des Kaisers Franz
zu erscheinen. Sie werden es nicht wagen, hatte der Bräu-
tigam gesagt. Und siehe, sie wagten es doch, obwohl sie die
allerhöchste Ungnade voraussahen. Die traf sie freilich in voller
Schwere. In der ersten Wut sprach der Despot von Hinrichtung.
Dazu kam es nicht. Dafs er die kirchliche Würde so wenig
nehmen wie geben könne, mufste er einräumen. Aber aus den
roten schwarze Kardinäle machen, indem er ihnen verbot, die
Insignien zu tragen, ihre Güter sequestrieren, die Temporalien
sperren, sie im Osten Frankreichs in Bethel, Mezieres, Reims,
Sedan, Charleville, St. Quentin, Montbard, Saulien, Semur inter-
nieren, das konnte er und that es in der brutalsten Form. Was
und wie sie litten, wie die treuen Katholiken zum erstenmale
sich a8sociierten zugunsten der auf Almosen Angewiesenen, wie
trotz aller Chicane der Polizei die Caisse des Confesseurs de la
foi sich füllte und hier der heute so einflufsreiche Laienapostolat
entstand, dies alles hat Grandmaison mit voller Sympathie urkund-
lich erzählt.
IS* Gallia Christiana novissima. Histoire des
archevöches, evöcbe*s et abbayes de France aecompagneo de documents
authentiques recueillies dans les registres du Vatican et les
archives locales par le chanoine 1. H. A 1 b a n e s T. Ier Premiere
partie. Province d'Aix: Archevöche* d'Aix, Evöche" d'Apt et Frejus,
Grand in 4° k 2 col., p. 1—240. Montbeliard HoMmann. Unter
diesem Titel erscheint die vierte Bearbeitung der Gallia christiana
Es sind 168 Jahre vergangen, seit Claude Robert Archidiakon
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2s' ACI I RICHTEN.
525
zu Chalons, angeregt durch den Pariser Parlamentsadvokaten Jean
Chenu, den ersten Versuch eines derartigen Werkes 1626 her-
ausgegeben hatte. 1645 billigte die Assemblee du clerge den
Entwurf einer Fortsetzung, den ihr die Brüder Scävola und Louis
de Sainte Älarthe vorlegten. Doch erst Scävolas Söhne Pierre
und Abel konnten 1656 nach des Vaters und Oheims Tode das
Werk abschüefsen. So wenig genügten die vier Folianten, dafs
1710 die Assemble'e Revision und partielle dm Schmelzung ver-
fugte. Die Mauriner Denis de Sainte Martbe, Edmond Martene,
Ursin Durand, Etienne Brice, Chrotien du Plessis, Jaques Roger,
Jean Thiroux, Josephe Duclow, Claude Bohier, Petit de la Croix,
Felix Hodin übernahmen die Aufgabe. Die Kollektaneen d'Acherys,
Mabillons, de la Serres, du Lauras wurden durch Nachforschungen
in ganz Frankreich vervollständigt, Massen von Dokumenten in
Originalen und Kopieen nach Saint Germain des Pres geliefert.
1715 konnte der erste Band dem Regenten überreicht werden.
Bis 1770 folgten noch elf. Doch entsprach die Qualität der
Leistung dem alten Ruhme der Kongregation nicht, und das
Journal de Trevoux hatte Grund, die Arbeiter zweiten Ranges zu
tadeln. Etienne Baluze schrieb Korrekturen zum ersten Bande.
Nachträge zu demselben und zum zweiten gab Roger de
Gaignieres der Besitzer einer unschätzbaren Sammlung von Zeich-
nungen, Kupferstichen, Gemälden, Manuskripten und Büchern zur
französischen Geschichte des Mittelalters. Auf Reisen , vom
Zeichner und Kopisten begleitet, im Archiv der chambre de
comptes hatte er sie zusammengebracht und rettete durch seine
Abschriften Tausende von Dokumenten, deren Originale die Re-
volution vernichtet hat. Also lange vor Vollendung des Ganzen
war schon wieder eine Umarbeitung in Aussicht. Noch war der
XIII. Band nicht gedruckt, als Saint Germain zerstört wurde.
Gleich der Histoire litte'raire de France und dem Recueil des
Historiens de Gaule et de la France erlebte auch die Gallia
christiana, nachdem das alte Frankreich und die alte französische
Kirche untergegangen waren, eine Fortsetzung durch die Aka-
demie. B. Haureau fügte dem Torso drei Bände hinzu. Eine
nene Ausgabe begann der Benedictiner zu Solesmes Dom Piolin;
deren 11. Band 1874 erschien. Eine Nouvelle Edition avec de
nombreuses notes, des commentaires en francais et des preuves
additionelles dapres les travaux modernes begann 1891 der Ver-
leger Privat, T. I. Premiere partie Provincia Tolosana in 8. Ge-
wifs ist die Gallia besser als ihr Ruf. Doch haften ihr Mängel
an, die nur durch eine totale Umarbeitung zu heben sind. Z. B.
die Bischofskataloge lassen viele Namen aus, führen Prälaten auf,
die nie existierten oder an anderen Orten Bischöfe waren, ver-
weisen sie auf Sitze, die es gar nicht gab. Durch Multiplikation
Zeilachr. f. K.-0. XVII, 4. 34
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526 NACHRICHTEN.
wurden ans einem Bischof fünf, jeder mit eigenem Namen und
eigener Geschiebte. Statt Geburtsort, Nationalität, Familie zu
bezeichnen, erscheinen in vielen Fällen nur die Vornamen oder
ein Familienname, aus dem der richtige nicht zu erraten ist.
Diplome sind falsch datiert, die Chronologie ist oft ungenau, Ver-
setzungen komineu vor. Hat ein Bischof drei Diöcesen verwaltet,
so wird er zu drei Personen. Durch dieses Exporiment erhalten
die Bistümer der Provence 200 Namen zu viel. Bei solcher
Sachlage ist also der Bau an vielen Stellen neu zu fondamentieren
und mit echtem Material zu errichten. Dieses ist in Hunderten
von Cartulaires und Spezialgeschichten, in topographischen Werken
aufgespeichert. Zur Richtigstellung der Bischofskataloge sind die
Provisionsbullen unentbehrlich, von denen ein Teil im vatikanischen
Archive liegt, die meisten in Lokalarchiven zerstreut sind. Für
die Provinz Aix kommen 800 Stücke in Betracht. Zwanzig Jahre
hat Albanes Vorstudien gemacht. Als erstes Resultat ist 1896
der erste Band des ersten Teiles der neuen Gallia christiana er-
scheinen. In fünf Quartbänden, je von 1 200 Spalten soll die erste
Abteilung die Provinzen Aix, Arles, Avignon, Embrun samt den
dortigen Abteien und Klöstern der Benediktiner, Augustiner, Cister-
zienser, Franziskaner und Dominikaner umfassen. Jeder Band zer-
fallt in zwei Teile. Der erste erzählt dir Geschichte der Metro-
pole, der Erzbischöfe, der Suffraganbistümer und Bischöfe, der zweite
giebt alle wichtigen Urkunden. Endlich wird man also durch den
Fleifs eines Mannes erhalten, was seit 1610 als notwendig erkannt,
begonnen, verfehlt, wieder unternommen wurde. Den Gedanken
an ein Hemmnis kann man freilich nicht unterdrücken. Wie alt
ist er, fragte Baronius, als er von Rosweydes Plan der Acta Sanc-
torum hörte; 40 Jahre, war die Antwort. Will er 200 werden?
* 14. Cinquante ans de ministere paroissial et d'autorite"
«Spiscopale en Anjou. Mgr. Argembault et Mgr. Freppel.
Etüde par J. Subileau. 1842—1885. 1885—1893. Paris,
Marpon et Flammarion, 1894. 2 Vol. VIII et 336 p. et VI
et 295 p. 8. Snbileau le pauvre pretre, le tout petit eure, sur
la tele de qui, par sa faute ou non, se sont amassäes nne quan-
titä ä peine concevable d'injustices, d'abus d'antoritä, de tortures
morales, bereitet sich das Jubilaeum der Explosion eines in 50
Amts-, d. h. Kriegsjahren angesammelten Ingrimms gegen seine
Feinde. Die beiden Bande enthalten die Akten des Prozesses.
Wer ist der Kläger? Kein Pfarrer, der fünf Tage der Woche
auf Urlaub geht, meidet sich Feinde zu machen, aus seiner Un-
wissenheit die Oberzeugung schöpft, ein exemplarischer Priester
zu sein. Subileau zeichnet sich als eifrigen, begabten, populären,
studienfrohen Prediger ohne Phrasen und Bübnenkunstgriffe. Er
ist der Berater der Pfarrkinder in allen Dingen, auch in Vieh-
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NACH RICHTEN.
527
zucht und Abwässerung, zugänglich, gefällig, wohlthätig, honnete
nomine, tadellosen Wandels, ein scharfer Sittenrichter, unermüdet
im Organisieren, Gründen, um durch charite Gläubige und Un-
gläubige einander zu nähern. Freilich auch ein Mann von an
Rechthaberei grenzendem Bechtssinn, von einer Lust zu regieren,
die für fünf Bistümer ausreichte, durch Heftigkeit oft gehindert,
kleines klein zu sehen und als animal disputai mit dem Talente
begabt, querelies et animosites zu erregen. Dazu moderater
Gallikaner, Bekenner der Volkssouveränität und Anhänger der
Bepublik, Feind ihrer Feinde, loyal gegen die Pariser Machthaber,
deren Kirchenhafs er ignoriert Wer sind die Angeklagten? Die
Bischöfe von Angers, Archembault und Freppel, diese prinzipiellen
Gegner des Galiikanismus, der Volkssouveränität, der Demokratie,
der Revolution, ihr allmächtiger, dummer, intriganter, ordinärer,
kleinlicher Generalvikar. Es folgen auf der Anklagebank die
Nonnen, die mit Entsetzen jeden Priester fliehen, der lauter oder
leiser frondeur gegen Sa Gran den r zu sein wagt, dann die Legiti-
misten unter den Pfarrkindern, denen die Pariser Regenten Un-
geheuer sind, die jeder Christ mit dem Gewicht seiner Verach-
tung zermalmen müsse. Diese adeligen faiseurs, turbulants,
intriguants verdächtigen einen Pfarrer, der keinen Unterschied
kennt zwischen dem Seignenr und dem Maire, zwischen Patrizier-
und Plebejerkatholiken , zwischen Königsmördern und Königs-
märtyrern, zwischen der heidnischen Staats- und der kirchlichen
Privatschule. Und vollends die legitimistischen Damen mit den
devotions hasardees de grimaces, die den Glauben als ihre Privat-
domäne ansehen, mit ihrer petitesse des idäes sich in alles
mischen und einen trikoloren Priester zum Teufel wünschen.
Worauf lautet die Klage? Auf Mifstrauen, Mifsliebigkeit, Chi-
kane, Intriguen, Kabalen, Verfolgungen, Zurücksetzungen, Straf-
versetzungen, pekuniäre Schädigung, moralischen Totschlag. Su-
bileau erscheint sich als das schuldlose Opfer einer zu seiner
Vernichtung verschworenen Pharisäerbande, die ihn mit Schmäh-
briefen, Denuntiationen , Verleumdungen, von Uaus zu Haus, bei
den Amtsbrüdern, in der Präfektur, in der äveche' verfolgt in der
Intrigue einen Heroismus der Zähigkeit, der Lüge, der Abscheu-
lichkeit entwickelnd. Welches sind die Beweismittel für die An-
klage? Klatsch, Zwischenträgereien, Lappalien, Kirchenrechnungen,
Gebührentarifsdifferenzen. Den Kirchenfürsten wird imputiert
Taktlosigkeit, Hoffahrt, Dummheit, Blindheit, Verlogenheit, Unter-
schleife, Diebstahl, monströse Ungerechtigkeit, Skandalmacherei,
Zweizüngigkeit, geistiger Meuchelmord. Beweise? Schmähartikel
gegen Freppel in radikalen Zeitungen während der Wahlen, Er-
zählungen politischer und kirchlicher Gegner. Die mitgeteilten
Schreiben der angegriffenen Bischöfe stechen im Ton und Inhalt
34*
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528
NACHRICHTEN.
sehr ab gegen die Injurien nnd Invektiven des Pfarrers, bei dem,
wie er gesteht, le savoir faire s'est toujours efface devant une
nerte* naturelle und dessen starke Seite nicht die Obedienz war.
Man merkt nichts von den interminables tracasseries, vom annihiler,
bailloner, gavotter, egorcher, wundert sich vielmehr über die
Mäfsigung, womit die Bischöfe die ihnen konkordatsmäfsig zu-
stehende Gewalt in diesem Falle übten. Gegen den Klager spricht,
dafs er öffentlich alles wiederrufen hat, was er Injuriöses und
Empörendes zum Ärgernis der Glaubigen gegen seine Bischöfe
geschrieben und durch den Druck verbreitet habe, und dann nach
dem Tode der Prälaten den Widerruf revoziert, alle Anklagen,
Schmähungen und Kritiken erneut, da man vom Erwürgten nicht
fordern könne, dafs er seine Mörder anlächele und ihre Grofsmut
preise. Natürlich gilt er nun als ein aus Sakrilegien zusammen-
gesetzter Bebell. Um redliche, gottvertrauende Seelen zu stärken
und die öffentliche Meinung auf den unerhörten Skandal zu lenken,
erzählt er in der leidenschaftlichsten Weise seine Trübsale im
Anscblufs an den Briefwechsel mit den Bischöfen, dem General-
vikar, Freunden und Feinden. Man mufs alles hören, was Sa
Grandeur dem Pfarrer A, dem Vikar B, der Gräfin C, dem
Marquis D gesagt haben soll, was Subileaus Vikare „diese Lam-
mer in der Höhle Polyphems" verbrochen, um die bischöfliche
Tyrannei zu konstatieren, zu brandmarken, die niedergetretenen
Pfairer zu ermutigen, den Despoten in der Mitra die Stirn zu
bieten. Als der Autor sein Buch las, war er betroffen über den
Ton, der einen hochfahrenden Charakter, einen der Demut baren
Geist, einen Mann bekunde, der sich die Miene gebe, in dummer
Weise die meistern zu wollen, denen er Gehorsam schuldig sei.
Diese Autokritik kommt der Wahrheit sehr nahe. Einen grofsen
Teil dessen, was ihn traf, hat er der provozierenden Art zuzu-
schreiben, womit er seine politischen und kirchenpolitischen An-
sichten vertritt, den Gegnern das Existenzrecht streitig macht,
und nicht fafst, dafs die Bischöfe volkssouveränen Pfarrern gegen-
über auf den Gehorsam bestehen, auf die Seite der strengen Ka-
tholiken treten müssen, die grofsartige Opfer bringen, dafs sie die
kirchliche Schnle, die Kongregationen mit ihrer Autorität zu stützen
verpflichtet sind.
* 15. Histoire generale de la Socilte* des Missions
Etrangeres par Adrian Launay. 3 Vol. 695. 594. 646. p.
Paris, Tegni, 1894. 8. Zehn Jahre hatte der Autor im Archiv
der Gesellschaft das überreiche Material an Briefen, Berichten,
sonstigen Dokumenten aller Art, Publikationen über Entstehung,
Wachstum, Einrichtungen, Arbeits fol der, Hemmnisse, Förderungen,
Leiden, Erfolge der 8ociete" durchforscht, geprüft, gesichtet In
seinem Buche erzählt er die Geschichte derselben bis 1892.
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NACHRICHTEN.
529
1968 Missionare hat sie aasgesandt, vornehmlich nach dem
äußersten Osten. Ihr Arbeitsfeld umfafst 27 apostolische Vika-
riate, 2 Erzbistümer, 26 Bistümer, 852 Pfarren, 7091 Gemein-
den, eine Million Katholiken. Es wirken 837 Missionare, 887
eingeborene Priester, 6652 Katecheten. Die Geschichte der ein-
zelnen Missionen wird Launay in einem eigenen Buche darstellen.
16. Der Kanonikus und Akademiker Ulysso Chevalier
will seinem Repertorium hymnologicum (Catalogue des chants,
hymnes, proses, sequences, tropes en usage daus TEglise latine
dopuis les origines jusqu'ä nos jonrs) ein Repertoire des
cantiques folgen lassen, d. h. eine Bibliographie kirchlicher
und geistlicher Poesieen in französischer Sprache (d'oil, d'oc,
baskisch, bretonisch). Durch einen Aufruf in der Universite* Ca-
tholique 1895, Nr. 7 erbittet er sich Nachweisungen aus hand-
schriftlichen und gedruckten Gesangbüchern, Heiligenlegenden nach
folgendem Schema: Incipit: (18 — 20 Silben) Saint: Fete: Ferie:
Auteur: Nombre des strophes: de vers ä la Strophe: Source
MS., imprimäe: Remarques.
* 17. La Reaction contre le Positivisme par
M. L'Abbe de Broglie. Paris, Plön, Nourrit et Cie 1894 XIII
et 297 p. 8. Einem Religionsfabrikanten, riet Talleyrand znr
Besserung des Geschäftsganges, sich kreuzigen zu lassen und am
dritten Tage aufzuerstehen. Die beifsende Persiflage dieses To-
desurteils traf auch Comte. Das Fiasko der atheistischen Thoo-
kratie, die der aus dem Irrenhause kommende Oberpriester des
Menschheitskultns gründete, hielten weder die Menschheitstempel
auf mit Statuen der Humanitatsgöttin , noch die Anbetung der
weiblichen Schutzengel Mutter, Frau, Tochter (Schwiegermutter
fehlt), nicht die neuen Sakramente und das Totengericht, nicht
die Kalender mit dem Sonntage Humanidi, den schönen Monats-
namen Ehe, Vaterschaft, Sobnschaft, mit dem Schaltfluchtage
Julian und Napoleon. Taine, der als Fatalist begann, als Pessi-
mist endete, sieht im Christentum das Schwingenpaar, ohne das
die Menschheit in den Abgrund stürze, hält es aber durch die
Wissenschaft für unwiderruflich zum Tode verdammt. Comtes
antichristliches Surrogat hat es dennoch überlebt. Aber die
pseudophilosophische Doktrin, nichts könne man wissen, nichts sei
wissenswert als was Erfahrung, Beobachtung und Räsonnement
auf ihrer Basis lehrten, hat in Frankreich alle Teile des sozialen
Körpers mittelst der Staatszwangsschule durchdrungeu. Das
Credo des Gebildeten schien Littre gegeben zu haben: wir sollen
in der wissenschaftlichen Domäne bleiben, wie auf einer Insel,
umgeben von einem Ozean, für den es weder Barke noch Segel
giebt. Doch das Unbehagen an dieser Existenz ä la Robinson
regte sich und Exkursionen in Nachen, die Spencer ans Hypo-
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530
NACHRICHTEN.
thesen zimmerte, fanden wenige Freunde. Eine Reaktion trat
ein, die, richtig geleitet, das Millenium des Positivismus verzögern
kann. Ihre Kritik bat jetzt Abbe' de Broglie seinen Schriften
Le positivisme et la science experimentale 2. Vs Conferences snr
la vie surnaturelle 3 Vs Problemes et conclusions de l'bistoire
des religions, La Morale sans Dien folgen lassen. Er prüft, was
man gegen den Feind ohne die Waffen der christlichen Welt-
anschauung und Philosophie vermocht, um das Joch der Negation
abzuschütteln, die Rechte der Vernunft und des Gewissens wider
die tyrannische Usurpation des mathematisch-physikalischen Wissens
zu behaupten, die dumpfe Angst und folternde Unruhe der in
einem Hungerturme eingesperrten Geister zu bannen. In der
Reaktion hat der Enthusiasmus des Anfangs nachgelassen. Wo-
her rührt sie? Das widergeschichtliche Hirngespinst in den drei
sich ablösenden Weltaltern, dem religiösen, philosophischen, ag-
nostisch-atheistischen ist als solches erkannt. In der Atmosphäre,
die ihnen der Positivismus läfst, können Herz, Gewissen, Vernunft
nicht leben. Mit dem Audelä verliert die Phantasie ihre Ideale,
die Liebe ihr vollkommenes Objekt, die Vernunft die Antwort auf
ihre unaustilgbaren Probleme, das Handeln seine Norm, die
Pflicht ihre göttliche Sanktion, das Böse seine Zügel, das Sehnen
nach Seligkeit seine Erfüllung, das Bedürfnis jenseits der Fakta
und Gesetze die Ursachen zu erkennen resigniert nicht zugunsten
der Beobachtung der Phänomene. Auf die Frage, was wird aus
der armen Menschheit, falls es nichts giebt, als das gegen die
Sünde machtloso Wissen, hört man die Botschaft von der Welt-
verbessemng statt des Individualglücks, vom Altruismus, doch es
fehlt der Glaube. Der Zweifel, ob eine neue Menschheit, deren
Uraspirationen zum Audelä durch moderne ersetzt seien, möglich,
erhöhte den Mut gegen die doktrinäre Despotie zu reagieren.
Herrscht sie durch die Behauptung, die Vielheit der Religionen und
Philosophien beweise die Unfähigkeit des religiösen Lebens und
der Spekulation zum Audelä und seinen transcendentalen Rea-
litäten zu fuhren, so erwartet man den Hauptangriff der Reaktion
an diesem Punkte. Aber durch die Umgebung dieser unan-
getasteten Positionen sucht sie zu siegen. Die Täuschung eineä
so denkschwachen, widerspruchsvollen Unterfangens mit den tra-
ditionellen Respektsphrasen von Gott, Pflicht, Christentum als
Nationalsache, mit christlich scheinenden, sentimentalen Vellei-
täten deckt Broglie auf. Die Positivisten zweifelten nicht an sieb,
am Fortschritt, am Himmel auf Erden. Die Opponenten aber
zweifelten am Positivismus, an sich, an den Menschen und am
Audelä, versprächen ein höheres Ideal, böten statt der zerstörten
Illusion Worte, vermehrten die Negationen um eine neue nnd
verschlimmerten die Lage der Getäuschten und Enttäuschten. Sie
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NACHRICHTEN.
531
ahnen das Chimärische einer Reaktion mittelst der natürlichen
Religion Rousseaus und Jules Simons. Ein vages Pseudochristen-
tum, das sich pantheistischen und deterministischen Lehren ac-
commodiert, ce partum, wie Renan sagt, qui subsiste encore
quelque temps, quand la vase est briste, gleicht dem Messer ohne
Klinge, dem der Griff fehlt Nur das volle Christentum, zeigt
Broglie, sei der Stärkere, der den Starken binde. Nur durch
Affirmation desselben als absoluter Wahrheit seien die Geister
vor dem Schiffbruch des Gewissens zu retten. Attaquer et dd-
truire müsse die Parole sein. Um den halben Freunden und
halben Gegnern aus der Halbheit zu helfen , zeigt ihnen Broglie
die Kraft der Hindernisse des Sieges ihrer Reaktion, indem er
sie anleitet, dieselben zu zerstören. Zuerst gilt es das Phantom,
das exakte Wissen absorbiere so alle menschliche Affirmations-
kraft, dafs aufser ihm nur blinde Schwärmerei und willkürliche
Meinung bleibe. Religiöse und philosophische Wahrheit hätten
ihre eigenartige Gewifsheit, die necessairement militante sich nie
aller bemächtigen könne, weil ihre Objekte, mit dem Willen, dem
Gewissen, den Leidenschaften eng verbunden, in der menschlichen
Natur mächtige Gegenwirkungen aufriefen. Gegen das Argument
von der Gleichwertigkeit, also objektiven Nullität aller Religionen
werden dann die der Vernunft und dem Gewissen evidenten Merk-
male der Transcendenz, d. b. der Superiorite* eminente des Christen-
tums komparativ aufgezeigt, als eines göttlichen Phänomens, das
nicht aus den Ursachen zu erklären sei, die die übrigen Reli-
gionen hervorriefen. Gegen den Kultus der fünf Sinne wird
geltend gemacht: eine unsichtbare, überweltliche Ursache fordert,
was die Erfahrung zeigt. Nur Gottes Intelligenz konnte den
Naturgesetzen ihre Gedanken einprägen, der organischen Welt
den Charakter der Zweckmäfsigkeit , dem trägen Stoff Energie
verleihen, die fortschreitende Stufenfolge bis zum Menschen er-
möglichen. Das Minus kann das Plus nicht produzieren. Es
folgt dio Ausführung, nur christlicher Glaube und christliche
Philosophie vermöchten die Bande des Positivismus zu sprengen.
Das schwankende Terrain, auf dem Rousseau seine Hütte bauen
wollte, sinko ein bei jedem Schritt. Blieben die Vertreter der
Reaktion, statt mit dem Positivismus völlig zu brechen und das
Christentum energisch zu ergreifen, bei einer vermeintlichen Philo-
sophie und Religion, die sich der Wahrheit beider Gebiote nähern
wolle, ohno sie zu erreichen, dann verfalle das Unternehmen
dem Lose aller Halbheiten. Nützen könne es höchstens, sofern
die acceptierten partiellen Wahrheiten Menschen guten Willens
weiter drängten. Dem Positivismus gehöre nicht die Zukunft.
Einer Gedankenrevolution entsprungen, der Menschenuatur wider-
sprechend, scheinbar stark, in Wahrheit schwach fundamentiert,
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532
NACHRICHTEN.
werde er das Idol von Kliquen bleiben. Scharfsinnig vertritt
Broglie mit voller Überzeugung die christliche Weltanschauung,
natürlich in katholischer Gestalt. Er denkt mit Sachen. Die
Netze der negativen Dpktrin zerreifsen, wenn man sie verachtet
und durch die Energie des Willens wieder zur Freiheit des Ge-
dankens kommt. Es giebt Detail Wahrheiten, die man nur durch
subtile Analyse erkennt. Der Zentralwahrheiten bemächtigen sich
allein Intelligenz und Gewissen zusammen. Mit solchen operiert
er gegen die geistige Epidemie, diese Strafe der Zeitgenossen,
welche durch die Gowöhnung an Kritik und Analyse sich um die
Fähigkeit brachten, die Evidenz wahrzunehmen, die erkannte
Wahrheit zu konzentrieren, festzuhalten, gegen Einwände zu ver-
teidigen. Broglie mifsbilligt es, die Burg der christlichen Wahr-
heit so zu verpalli8adieren, dafs wohl keiner heraus, aber auch nie-
mand hinein könne. Als vorzüglicher Dialektiker bringt er Rede
und Gegenrede in die knappste, vielsagende Formel, zerfasert die
alten, blendend kostümierten Einwände, zeigt die Erschleichungen
und Sprünge, womit man zwingenden Konklusionen zu entschlüpfen
sucht, oder solche zieht, die weit über das Prinzip hinausgehen.
Unleugbare Fakta läfst er falsche Axiome widerlegen und er-
schwert der Begriffs- und Sprachverwirrung das Geschäft. Die
banalen Phrasen von der Natur, die thatsächlicher Begründung
entbehrenden, sich selbst widersprechenden, deterministischen Hy-
pothesen, die Negation der Zwecke in der Natur, die Annahme
unbewufster Zweckmäfsigkeit werden ihrer scheinbaren Stützen
beraubt. Der absolute Determinismus, dieses nichtigste, chimä-
rischeste, gransamste aller Phantome, die im Denken unserer Zeit,
die sich von allem Aberglauben frei dünkt, nmgehen, wird so
glücklich bestritten wie das Princip de la superiorite* necessaire
que la cause doit avoir sur son effot glänzend durchgeführt. Die
auf das künftige Erdenparadies ausgestellten Wechsel werden als
faul mit Protest abgelehnt und verstohlene Anlehen bei dem
Christentum auf die Provenienz geprüft. Gern wüfste Broglie,
wie der Mensch als Rechenmaschine, eingeschlossen in seine ir-
dischen Gedanken, einzig mit den Naturgesetzen beschäftigt, um
die Naturkräfte auszubeuten, dazu komme, sich über sich selbst
zu erheben, wie zum Altruismus, dem Zauberstabe, der die Fäuste
lähmen soll, die sich ballen infolge der Lebren: Gott und sein
Gebot ist nichts, gleiches Glück für alle ist unmöglich, da es
immer Reiche und Arme geben wird, wollen nun die Armen um
jeden Preis die Reichen werden.
* 18« Kirchenhistorisch beachtenswerte Artikel der gedie-
genen Universite" Catholique sind: 1894. Nr. 1. M. J. Belon,
Le Martyre de Jeannne d'Arc. Nr. 8. F. Vernet, Le pape In-
nocent VII et les Juifs. Nr. 6. Reure, Les deux proces de
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NACH RICHTEN .
533
Joanne d'Arc et le Manuscrit D'ürsö. Nr. 9. C. Douais, Saint
Augustin et le Judaisme. Nr. 10. 11. P. Vernet, Saint Bernar-
din de Sienne intime. — 1895. Nr. 1. 2. A. Devaux, La Priere
dans le paganisme Romain. Nr. 2. Ph. Gönnet, Plutarque, di-
rectenr de conscience. Nr. 3. 4. 5. Ch. F. Bellet, Les Origines des
Eglises de France et les Fastes Episcopaux. Nr. 3. 4. 0. Bey,
Remarques inedites de Bossuet sur la Genese, l'ßxode, le Levi-
tique et les Nombres. Nr. 6. F. Vernet, Papes et banquiere
jnifs an XVIe siecle.
* 19. G. Lanson: Bossnet Paris Lecene, Oudin et Co.
1894. 4* edition. XII. 522 p. 8°. Die Kommune schoufslicben
Andenkens inaugurierte 1870, den Konvent nachäffend, mit der
Ermordung des Erzbischofs von Paris, der so viel gethan, um
Demokratie und Kirche zu versöhnen, eine Hochflut aggressiven
Antichristentums. Sie läfst heute nach. L'horrible vent d'atheisme
officiel weht augenblicklich nicht mehr. Man hört die Klage: in
Paris werde das verrostete Kirchgerät wieder blank gerieben und
wird an Chateaubriands Zeit erinnert. Bote Sozialdemokraten be-
dauern, dafs man den Enterbten das süfse Wiegenlied der Reli-
gion raubte, das sie ihr Elend vergessen liefs. Eine Celebrität
wie F. Brunetiere, obwohl Nichtchrist, hat den Mut, den Ban-
krott der atheistisch-materialistischen Pseudowissenscbaft zu ver-
künden, die durch Versprechungen eines Wissens- und GenuJs-
paradieses Schulden gehäuft habe, die sie nicht zahlen könne. Die
Maulhelden des Quartier latin tobten gegen den Reaktionär, der
Bossuet pries, Voltaire nur als Vulgarisateur Bayles gelten lieüs.
Aber die Conferences, die Artikel iu der Revue des deux mondes
waren mächtiger als das Studentengeheul. Nachdem Renan den
horame de toutes les sciences et de tous les talents als Dekla-
mator und Phraseur deklassiert hatte, um wo möglich an seine
Stelle zu kommen, wurde der Adler von Meaux wieder Mode.
Seine gestürzte Statue erhebt sich aufs neue unter den grands
0*crivains de France. A. Rebelliau, Bossuet Historien de Pro«
testantisme 1891. C. E. Freppel, Bossuet et l'eloquence sacräe
au XVII6 siecle 1893 2 Vs. A. Sorel, Bossuet, Historien de la
Be*forme. Lectures historiques 1894. L. Crousle\ Fe'ne'lon et Bossuet
(Etudes morales et littöraires) T. I 1894. Th. Delmont, Fenelon et
Bossuet d'apres les derniers travaux de la critique 1896. An dieser
Restitutio in integrum arbeitet auch Brunetieres Schüler Lanson.
Sein Buch petitioniert für einen Stern, nicht des ancien regime,
sondern Frankreichs. Es möchte die Antipathie der Modernen
gegen den Christen, den Katholiken, den Theologen, den Bischof, von
dem Schriftsteller ablenken. Man habe an den Triumph des
Freidenkertum8, der religionslosen Moral, des Parlamentarismus ge-
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534
NACHRICHTEN
glaubt und inne werden müssen, all diese Experimente seien Chi-
mären, Illusionen des Traums. Satt des höhnenden Skepticismus
und fanatischen Unglaubens, zweifelnd ohne zu insultieren, ziehe
man in weiten Kreisen die Frommen den Atheisten vor, ahne die
Notwendigkeit einer Autorität auch für das politische und soziale
Leben, die Unentbehrlichkeit der Sitte und Tradition für Orga-
nisation desselben. Eine nur auf Interesse und Genufs basierte
Moral sei eine Sottise. Endlos könne man doch nicht reformieren,
revidieren, legiferieren. Leben müsse man, ohne bindende, auto-
ritative Moral sei das unmöglich. Man müsse sich also, bis die
neue vollkommene da sei, mit der alten christlichen behelfen, die
jedenfalls besser sei als der Kodex der brutalen, wilden Immo-
ralität. Opportunisten dieses Sinnes möchten Lanson bestimmen,
Bossuet nicht mehr in blindem Fanatismus zu verabscheuen. Sie
mögen ihn lesen um des soliden Materials willen, ohne welches
der auf den Prinzipien des XVIII. Jahrhunderts errichtete Bau
unfertig und ruinenhafb bleibe. Religiös biete Bossuet die christ-
liche Hypothese in der wirksamsten, logischesten und lockendsten
Gestalt. In der Politik gebe er die vernünftigste, praktisch
brauchbarste Formel ; es komme darauf an, der geschmähten Theorie
von droit divin socialkonservative Prinzipien abzugewinnen, bei
denen eine Republik sich nicht schlecht befinde. Für seinen Zweck
will Lanson nicht Bossuets ganzes Werk vorfahren, sondern nur
zeigen, weshalb und wie derselbe zu studieren sei, welche idees
utiles et pensees fortes man acceptieren könne. Der Adler er-
scheint also nicht kreisend über Alpengipfeln, sondern gleichsam
in einer Voliere, zahm, ruhig, nur bisweilen die machtigen Schwin-
gen ausbreitend , und das leuchtende Auge zur Sonne wendend.
Man sieht ihn als Mensch und Autor, als Redner, Prinzenerzieher,
Politiker, Historiker, Theologen, Polemiker, Bischof, Beichtvater
und Philosophen. Sachkundig auch in Theologischem, wie Predigt,
Mystik, Polemik, in philosophischen und pädagogischen Fragen,
löst der Autor seine Aufgabe. Die Gesamtcharakteristik läfst mit
psychologischer Schärfe und Feinheit die Eigenschaften simplicite*,
tendresse, d&int£ressement, franchise, patriotisme, volonte* et ac-
tivitö, öquilibre des facultes, bons sens, amour de la väritä her-
vortreten. Gegen vielerlei Mifsdeutungen wird Bossuet in Schutz
genommen. Nie war er ein Streber. Ohne Ehrgeiz, zufrieden
mit dem kleinen Bistum, klagte er nicht, wenn G randseigne urs»
die er weit überragte, als solche, Kardinäle und Erzbischöfe wur-
den. Seine Logik ist furchtbar, doch sein Herz ohne Hafs und
Bitterkeit Bei Betrachtung der geistigen Universalität wird her-
ausgestellt, was er der Erfahrung und dem klassischen Altertum
verdankte. Als Eigentümlichkeiten des Stils sind proprio^, ne-
cessite des tours et des tormes, variötö, grandes periodes, phrases
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NACHRICHTEN.
courtes et vivres, le pittoresque bezeichnet. Indem der Apologet
in partibus infidelium M Angel des Charakters, des Genies, der
Wirksamkeit, der Schriften zugesteht, erleichtert er sich die Wider-
legung solcher, die nichts von Bossuet, wohl aber die von Buch
zu Buch wandernden versteinerten Produkte des aufgeklarten Jahr-
hunderts kennen. Man fasele von pompösen Phrason, obligater
Donnerstimme, imposanten Gesten, und doch habe dieser Kanzel-
redner das Verdienst keinen Stil zu haben, wo nicht dor Ort
dazu war. Die Leichenreden waren keine Flunkerei, sondern
ruhten auf genauer, oft mühsam erlangter Information. Gewifs
konnte er irren, hat aber seine Überzeugung ehrlich und taktvoll
ausgesprochen. Die Urteile seien anfechtbar, aber weder die
Wahrheit der Gemälde aus der Geschichte, noch die Ähnlichkeit
der Porträts. Nicht plump und brutal, doch nnmifsverstehbar
und wirksam habe der angeblich servile Hofbischof dem Könige
von der Kanzel Dinge gesagt, die heute kein Hofprediger wage.
Leichtfertige Litteraten hätten sich eingebildet, die Predigten seien
der Kommentar zu den damals üblichen, aber nichts bedeutenden
Höflichkeitsformeln des Kanzelstils in der königlichen Kapelle ge-
wesen. Weniger Mut gehörte dazu, anonyme Insulten zu schreiben,
als die beiden ehrfurchtsvollen aber festen Briefe 1675. Die
Politik nach der Schrift gelte, des Titels wegen, als Sottise eines
bornierten, fanatischen Pfaffen, sei jedoch ein originelles, gedanken-
reiches Meisterwork, und noch heute von aktuellem Interesse.
Nie habe der angebliche Advokat des Despotismus den Königen
das Recht eingeräumt, zu thun was sie wollten, allein, in alloni,
überall das Gesetz zu geben, oder gar ihren Launen und Leiden-
schaften die Sanktion des göttlichen Rechtes verliehen, wenn er
sie den Menschen gegenüber als unabhängig und unverantwort-
lich hinstelle. Gegen die Volkssouveränetät der Hugenotten führt
er allerdings Keulenschläge. Hat er auch die römische Geschichte
nicht wie Mommsen modernisiert, so bleibt der Kern des Dis-
cours noch heute wahr. Rückhaltlos verurteilte er die im Namen
der Kirche begangenen Sünden, warnte Bischöfe und Intendanten
vor Dragonaden, und hat in seiner Diöcese keine Gewalt gegen
Protestanten geduldot Ober die pastorale Thätigkeit als Bischof,
den Kampf gegen die Äbtissin von Jouarre wird Neues mitgeteilt,
das dem Prälaten zur Ehre gereicht. Als Gewissensrath sucht
er durch Festigung des Urteils und des Willens sich entbehr-
licher zu machen. Unpoetisch soll er sein wegen einiger schwa-
cher Verse. Und doch finden sich in seinen Schriften Stellen
voll die Seele ergreifender Poesie. Lanson versteht Bossuets Ge-
danken zu entwickeln und zu konzentrieren, theologische Ideen
der veralteten Form zu entkleiden, um sie den Zeitgenossen mund-
gerecht zu machen. Sein sententiöser Stil verrät, dafs er in der
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NAC II RICHTEN.
Schule eines Prosaisten war, dem er rapidite, rectitude absolue,
mouvement continu, le style de logicien nachrahmt, qui sait en-
chalner des pensöes, style d'homme pratique, qui satt le prix
de temps, style d'honnöto liomme enfin, qui ne tortille jamais et
ne se veut faire suivre qu'ä force de se faire comprendro. Chaqne
phrase de Bossuet eclaire sa pensäe, mais eile a des r<§flets, qui
nous decou?rent en nous des pensees, que nous n'y soupconnions
pas; il y a mille choses, auxqoelles il n'a jamais songe" et que
nous ne trouvrions pas sans lui. Bei einem Bittgänge in Ver-
sailles konnte der totkranke Bossnet in glühender Jnlihitze kaum
aus der Stelle. Die neben ihm gehende Herzogin von Orleans,
Liselotte flüsterte ihm zu: Courage, Monsieur de Meaux, nous
parviendrons ! An diese Scene wird man erinuert, wenn man
Brunetiere und Lanson den Bischof drängen sieht, mit ihnen Schritt
zu halten und in ihren Kreisen als homogenes Element sich zu be-
nehmen. Ohne Verletzungen und Verkümmerung gebt es bei den
Häutungen seiner Gedanken nicht ab, wenn der Kirchenvater wie
von Brunotiere zum Bitter Bayard des Vorsehungsglaubens ge-
macht wird, oder wenn er die Volkssouveränetät fundamentieren
mufs. Dieser apologetische Brückenschlag dürfte bei den meisten
Lesern nur den Bindruck eines pont volant machen.
C. A. Wittens.
20. Die Pariser Bibliotheque nationale hat kürzlich eine Kopie
der Akten des Prozesses der Franziskaner von Meaux gegen Bischof
Gnill. Briconnet (24. Juli — 1. Sept 1525) erworben, die,
früher im Besitz des College de Montaigu, von Noßl Beda, dem
Gegner Briconnets, benutzt worden ist Sam. Berger berichtet
über sie in einem Schreiben an Baron F. v. Schickler im Januar-
heft des Bulletin de la Soc. de l'hist. dn Protestantisme francais
1895. Besonders wichtig ist, dafs aus diesen Akten hervorgeht,
dafs Briconnet thatsächlich schon Oktober 1523 in aller Form
das Luthertum in seiner Diöcese verdammte, und nicht erst Ok-
tober 1525, wie man aus inneren Gründen meist meinte anneh-
men zu müssen. Vom Beginn seines Konfliktes mit den Fran-
ziskanern an steht er zwar fest in der Verteidigung der Verbrei-
tung der Bibel in französischer Sprache, aber ebenso sehr ist er
beflissen , de separer sa cause de celle des luthäriens. Berger
tritt dafür ein, dafs Briconnet niemals „Protestant" gewesen, also
auch nie „Renegat" geworden sei, sondern immer nur Keform-
katholik und dabei un homme de pen de courage; eben darum
wurde er in der Fortentwickelung der Reformationsgedanken „fac-
tionis lutheranae debellator acerrimus". Er nimmt ferner für
Frankreich Ritschis These von der Einwirkung franziskanischer
Gedanken auf das kirchliche Programm Lamberts von Avignon
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NACHRICHTEN.
537
auf; diese Einflüsse hätten doch in den Handwerkerkreisen ge-
wirkt; es bandle sich am ein däveloppement de la dämocratie
religieuse. Bri9onnet habe diesen Zusammenhang richtig erkannt,
wenn er darauf hingewiesen habe „comment, pour les franciscains,
la source de l'autorite' est dans le peuple". G. Katoerau.
* 21 • In der Revue de Theologie et des Questione reli-
gieuses (Montanban 1895), Hoft 2, hat J. Vielles gegen Reufs*
Datierung der erbten Ausgabe der Institution chrötienne
Calvins 1536 das Jahr 1535 verteidigt Entscheidend sei,
dafs alle französischen Ausgaben die Widmung an Franz I. 1535
datierten, die lateinischen 1536, dafs Beza die Abfassung 1534
setze, dafs nach Calvins Worten in der Einleitung zum Psalmen-
kommentar die erste französiticlie Edition anonym erschien, die
von 1536 hat den Autornamen. Ein Exemplar dieser editio
princeps sei allerdings noch nicht gefunden, aber bis 1877 habe
man auch keines vom Katechismus 1536 gekannt.
Josse Clicbtow (Jodocus Clichtovaeus) aus Nieupoort
in Flandern, Schüler le Fevre d'Estaples, Doctor von Navarra,
Kanonikus nnd Theologal des Bischof von Chartres, den er er-
zogen hatte, dachte über die Kirchenschaden wie Hadrian VI.
Die Reformdekrete der Pariser Synode 1528 rühren grösstenteils
von ihm her. Im Chor der Kirche St Andre* zu Chartres, als
deren Decbant er 1545 starb, siebt man das Grab dos seiner
Zeit berühmten Predigers und Theologen, der sein Vermögen zu
Stipendien für Studenten aus seiner Vaterstadt bestimmte. Unter
den „furiosis Theol«»gahtris , den groben Pariser Eselu" war er
einer der ersten , der die Feder gegen Luther ergriff. Die drei
Bücher des Antiiutherus erschienen 1524. Er lief» ihnen folgen:
De veneratione Sanctorum 1525, Propugnaculum E*clesiae ad-
versus Lutheranos 1526. De Sacramento Eucharistiae contra Oeco-
lampadium 1526. Compendium veritatum contra Lott.eranos 1529.
Improbatio articulorum quorundem Lutheri a ventate Catholica
dissidentium 1533. Couvulsio calumniarum TJlrici Veleni, quibus
S. Petrum nunquam Romae fuisae, cavillatur 1535. De Sacra
scriptnra in linqua vernacula non legenda 1536. Er ist vergessen.
Selbst in grofaen reformationsgeschichtlichen Weik n fehlt sein
Name. A. Cleval, Verfasser des für Scholastik und mittelalter-
liches Studienwesen so instruktiven Buches Les Ecoles de Chartres
an moyen age, Paris 1895, XX et 572 p. hat Clicbtow eine auf
Urkunden ruhende, die philosophischen und theologischen Schrif-
ten bibliographisch und kritisch sorgfältig behandelnde Monographie
gewidmet: De Iodoci Clichtbovei Neoport.urnsis Dnctoris, Theologi
Parisiensis et Canonici Camotensis vita et operib»? 1172 — 1548.
Paris 1895. XXXII et 153 p.
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NACHRICHTEN.
23, Baron de Ruble* publiciert aus einem Manuskript der
Bibliotheque Nationale, fonds francais Nr. 24 993, in den M6-
moires de la Soci&e* de Paris et de l'Isle de France T. XXI.
1894. p. 1 — 52 das Journal de Francois Grin, Beligieux de
Saint Victor 1554 — 1570. Dieses Unikum eines Klostertage-
buches erzählt Tag für Tag die grofsen Aktionen des Hauses,
Novizenaufnahmen, Profefsablegungen , Weihen, Todesfalle, Feier-
lichkeiten, Besuche des Königs, der Prinzen, Wahlen der haus-
lichen Würdenträger mit Vor- und Nachspielen. Nebenher kommt
vor, was draufsen geschieht, Prozessionen, Hinrichtungen, Ver-
brechen, Äufserungon des Volksglaubens. Man vernimmt die voi
populi der petits bourgois um die Abtei her über die Ereignisse
unter Heinrich II., Franz IL, Karl IX. Darin liegt ein gewisser
Wert wie in der chronologischen Genauigkeit, womit der Kano-
nikus datiert. Über die Kämpfe um Paris 1567 bis zur Schlacht
von Saint Denys spricht er als Zeuge. Die Hinrichtung der Hu-
genotten tadelt er, ebenso das Religionsgespräch von Poissy, dessen
Vergeblichkeit er richtig einsieht.
* 24. 1782 — 1854. Lamennais d'apres sa Correspon-
dance et les travaux les plus recents par LeR P. Mercier
S. J. Paris, V. Lecoffre, 1895. XX et 344 p. 8°. Ist kein
Kreuz da? fragte der Totengräber, als den Armensarg, der auf
dem Woge zum Pere-Lacbaise in keine Kirche getragen worden,
ein Massengrab aufgenommen hatte. Nein, hiefs es. Der Ver-
storbene hatte es verboten. Der alte Freund Berryer erinnerte
den Totkranken an christliche Äußerungen von ehemals; ich habe
mich seitdem besonnen, war die Antwort. Dem Sterbenden Uefa
Pius IX. sagen, es werde der schönste Tag seines Lebens sein,
wo er ihn umarmen könne. Der Papst ist mir wie jeder andere
Mensch! Feli, veux tu un prltre? Tu veux nn prltre, n'est-ce
pas? bat die Nichte. Nou! Je t'en Supplik: Non! Non! Non!
qu'on me laisse en paixl So endete Lamennais' von schreienden
Kontrasten zerrissenes Leben. Ein Teil desselben gehört dem
Abbe de Lamennais. Er ist der gefeiertste französische Priester,
seit Massillon der erste Geistliche, der als litterarische Gröfse
allgemein anerkannt wird. Man nennt ihn den zweiten Bossuet,
«inen Kirchenvater seines Jahrhunderts, wie ein Heiliger wird
er verehrt. Leo XII. bietet dem Autor, dessen Werke Europa
in Erstaunen und Entzücken setzen, den Purpur an, das Bild
desselben ist der einzige Schmuck des päpstlichen Kabinetts.
Könige ehren den Ritter ohne Furcht nnd Tadel, der unter der
weifsen Fahne für Thron und Altar kämpft. Ein Polemiker von
der Schneide Paskais, schreibt er den Essai Aber den Indifforen-
tismus, der für den Verstand sein sollte, was Chateaubhands
Genie du Christianisme für Herz und Phantasie gewesen. Das
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NACHRICHTEN.
539
Buch ist ein Erdbeben nuter bleiernem Himmel, rief de Maistre.
Es kann Tote aufwecken; er mufs wachsen, ich mufs abnehmen,
sagte Bischof Frayssinous der Kultusminister. Es demonstrierte
die Notwendigkeit des Glaubens, aufser dem es nur Narrheit und
rettungsloses Elend gebe, wider die atheistische, deistische, pseudo-
protestantische Opposition, um der Verfolgung des Indifferentis-
mus Einhalt zu tbun, die auf die Verfolgung mit Schwert und
Räsonnement gefolgt sei. Evangelische Theologen, protestierend
gegen den Mifsverstand und die Müshandlung der Reformation,
nannten doch den Essaisten den bedeutendsten Theologen des
Auslandes, eine geistige Zierde der französischen Kirche. Auf
das Familiengut bei La Chenaye, eine Oase in den Steppen der
Bretagne, folgt ihm ein Jungerkreis Die Glieder dieses ultra-
montanen Portroyal stehen im Bann des kleinen, häfslichen Mannes
mit grauen Augen, langer Nase, golbsüchtigem, gerunzelten Ge-
sicht, der aussieht wie ein Küster und redet wie ein Buch. Unter
seinen Augen bilden sie sich für die Aufgabe ihres Lebens, die
Erfüllung des Klerus mit neuem Geiste und die Verteidigung
der heiligen Kirche gegen alle Feinde. Nie hatte der Gallika-
nismus einen Bekämpfer, der in solchem Mafse Feuer vom Himmel
auf ihn fallen liefs. Ein Dofensor von so hinreifsender Gewalt
und vor nichts zurückschreckeuder Kühnheit war Rom seit Jahr-
hunderten nicht erstanden: ohne Papst keine Kirche, ohne Kirche
kein Christentum, ohne Christentum keine Gesellschaft, also der
Papst über alles, sein Fufs gehört auf den Nacken der Fürsten;
wer dem Nachfolger Petri das Recht abspricht Kronen zu geben
und zu nehmen, fallt von Gott ab. Ihm gehört die Zukunft der
Welt, wenn sein Wahlspruch ist: Liberte" et l'Eglise, Liberte par
l'Eglise, Liberte pour l'Eglise. Dies die eine Seite in Lamennais
Leben. Was zeigt die andere? Im Gefängnis Sainte Pelagie
läfst der Bürgerkönig und seine Bourgoisie ihn dafür büfsen, dafs
er in Paris nur knechtende Reiche und goknechtete Arme sah.
Die Paroles d'un croyant apotheosieren die Massen, satanisieren
das Fürstentum als Pandorabücbse der Menschheit, erklären die
Revolution für die heiligste Pflicht, um die Hierarchie des Staates
und der Kirche, diese beiden Gespenster, die sich in einem Grabe
umarmen, zu vertreiben. Gregor XVII. beschuldigt deu Apoka-
lyptiker der Finsternis des ruchlosen Mifsbrauches der Bibel, der
Aufreizung der Völker zur Zertrümmerung aller staatlichen Ord-
nung, zur Beseitigung aller Autoritäten. Voll Hafs gegen die
Kirche als eine Verräterin der Menschheit und gegen die mon-
archische Bande rifs F. Lammenais den Bau seiner Apologetik
nieder und machte Propaganda für den Pantheismus, bofriedigt
in Vernunft und Menschheit. Hatte er im Koran der empörten
Fabriken, diesem Evangelium, das den Krieg predigte und den
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54U
NACHRICHTEN.
Fluch in Form des Segens gab, wie Ranke die Paroles charak-
terisiert, die rote Mütze anf das Kruzifix gesetzt, so arbeitete er
in Pamphleten „für die tollste Politik, die je vorgekommen In
der Assemblee Constituante gehörte er zur äufsersten Linken. Wie
eine Welt drückte der Anblick Lacordaires auf seine Schultern.
Jetzt waren seine Genossen Beranger, George Sand und radikale
Demagogen. In 40000 Exemplaren war der erste Band des
Essai verbreitet, in wenigen Monaten brachten es die Paroles auf
400000; die Broschüren des ideologischen Träumers wurden aus-
gelacht Mit der Arbeit für Zeitungen, ces tristes feuilles pour
lesquelles il n'y a pas de lendemain, war es seit dem silence an
panvre des Kautionsgesetzes zu Ende. Die neuen Freunde zuckten
die Achseln über den Mann von immensem Talent, das ihn vor
Dummheiten und Schlingen der 8churken nicht schützt, wie Be-
ranger sagte, über das Kind in Kenntnis der Menschen und Dinge,
dessen sich Intriganten und Narren bedienten und es dann ver-
liefsen. Die alten Geistesgenossen Montalembert, Gerbet, Rohr-
bacher, Salinis mufsten an Berryers Weissagung denken nach
dem Erscheinen des Essai: du wirst ein Sektonbaupt — Nie
werde ich die Kirche verlassen. — Ich sage dir, du wirst es
thun, ich sehe dich schon draufsen. — Warum und wie? —
Weil du unerbittlich deinen Gedanken folgen wirst, wohin sie
dich führen, ohne dafs irgendeine Erwägung dich aufhalten könnte. —
Das war geschehen. Der Mann, der es unternommen hatte, die
Hoffnung zu verteidigen, nachdem sechzig Jahre lang die Sache
der Verzweiflung und des Todes geführt war, der allen ewigen
Gründen für die Wahrheit einen neuen Siegeszug zu bereiten ge-
dachte, sah sich von Irrlichtern, die ihm Leuchttürme dünkten,
verlockt. Ans einem Theokraten und Legitimisten ward er zum
Demokraten und Radikalen. Ausgehend von der absoluten Auto-
rität des Papstes, der untrüglichen Stimme der allgemeinen Ver-
nunft, als einziger Quelle der Gewifsheit, endete er im absoluten
Skepticismus. Die Gläubigen klagten über den zum Feinde ge-
wordenen Widerchristen : nur ein Engel und ein katholischer
Priester könnte so tief sinken wie er. Guizot zählt den grofoen
Geist, der geboren war einer ihrer strengBten Zuchtmeister zu
werden, zu den intellektuellen Missethätern der Zeit. Man be-
greift, dafs ein so eigentümliches, widerspruchsvolles, unglückseliges
Leben die biographische Forschung reizte, wie das Abälards. Wie
viele Autoren haben sich mit ihm beschäftigt! Barbey d'Aure-
villy, Baumgarten-Crusius , Birö, Blaige, Boyer, de Brunetiere»
Caro, Chalembert, Combalot, Courchinoux, de Courey, Farraz, Forgues,
de Gaillart, Gerbet, de Grandmaison, Guillon, Guizot, La Roche-
Häron, Janet, Lacordaire, J. P. Lauge, Lerminier, H. Leo, de
Lomenie, Madrolle, Manet, Maret, Matignon, Mirecourt, Paganel,
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NACHRICHTEN.
541
Peign6, Peyrat, Pontal, de Pontmartin, Ranke, Regnaut, Renan,
Ricard, Rispel, Robinet, Roussel de Sacy, Sainte Beuve, Sainte
Poi, Scherer, J. Simon, Spuller, Taillandier. 1867 hatte Mercier
in den Etudes religienses dem Leben Lamennais, einem der in-
struktivsten in der Geistesgeschichte des Jahrhunderts, eine psy-
chologische Studie gewidmet. Er hält dafür, dafs der Einflufs
des Autors, der zugleich die Freude und der Schmerz der Kirche
war, durch den sogenannten christlichen Sozialismus noch stei-
gen werde, je mehr die religiösen und sozialen Fragen in den
Vordergrund träten. Dem freien und stolzen Geiste geht er nach
auf allen Wegen und Irrwegen, die doch nie zu einer schwäch-
lichen, unklaren Mitte führten. Nicht vor einem unlösbaren Rät-
sel will er stehen bleiben angesichts des Kontrastes zwischen
dem Bekenner des Essai und dem Montagnard der Constituante.
Bis in den Grund dieser leidenschaftlichen, ruhelosen Seele sucht
«r zu dringen, um zu erkennen, wie sich langsam und unbewufst
die Bewegung vollzieht, die ihn in der Welt seiner Ideen von
einem Pol zum andern führte. Den Schlüssel sucht er durch die
Zwischenstufen in Herkunft, Temperament, Erziehung, in den Ma-
nifestationen des Herzens, der Intelligenz, der Charakters, in den
verschiedenen Milieus und ihrem Einflufs auf die Kämpfe, Passio-
nen, Utopien. Das rasche meteorartige Aufsteigen erklärt sich
ihm so wie der jähe Sturz. Alle Gerüchte draufsen heifst er
schweigen und zieht sich in den intimsten Kreis seines Helden
zurück, studiert ihn, wie er sich in der Korrespondenz darstellt.
Sie ist Hauptquelle unseres Buches. Freilich enthält sie nicht
alle Briefe, soviel auch durch Blaize, Em. Forgues, de Courcy et
de la Gournesie, Eug. Forgues, du Bois, de la Villerabel publi-
ziert sind. Darin liegt kein Hindernis. Einige Schreiben aus
jeder Lebensperiode zeigen den ganzen Hann, wie er sich in
allen übrigen dieser Zeit angehörenden giebt. Lamennais selbst
hat den Briefwechsel mit vielen, die seit Ende des ersten Em-
pire in die politischen, religiösen, philosophischen Bewegungen
eingriffen, als authentische Dokumente zur Erkenntnis seiner Ge-
danken bezeichnet. Bei präzisem, energischem, oft brillantem Aus-
druck Bind es kurze Pamphlete von ermüdender Monotonie. Der
Schreiber spricht allein und macht dreifsig Jahre lang der Ironie,
der Verachtung, dem Hafs, dem Ingrimm Luft gegen die Schur-
ken, Banditen, Korsaren, Piraten, Besessenen, die ames mächantes,
viles, caverneuses, die seine Gegner sind, die Fürsten, die blöd-
sinnige Gesellschaft, die aus der Salpetriere in die Morgue geht
Auf tausend Druckseiten entladet sich, in konstanter Stärke, ohne
Nüance, ein giftiger Pessimismus, dessen Paroxismen kleine All-
täglichkeiten, Journalartikel, Kammerverhandlungen erregen. Mer-
cier legt nach den Briefen die Wurzeln dieses grauenvollen Ge-
Z*iUchr. f. K.-G. XVII. 4. 35
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542
NACHRICHTEN.
mfit6zu8tandc8 blofs. Man sieht einen an Gröfsenwahn grenzen-
den Hochmnt. Als Kind erschrak Lamennais selbst vor einer
Äufserung desselben: diese Menschenmasse betrachtet was ich
betrachte, aber was ich sehe, sieht sie nicht. Auf der letzten
Reise nach Roin sagte er zn einem Gefährten, die Zähne zusam-
men beifsend, die Hände aufn Herz drückend: hier spüre ich einen
bösen Geist, der mich eines Tages ins Verderben treiben wird.
Im Capanens Dantes, der anter der Qnalen lästert, erkannte er
eich. Der Apostel der raison generale war der stolzeste Anbeter
seines Verstandes, der die handfeste, eiserne Säge der Logik und
Dialektik siegesgewifs handhabte, den Verstandeshochmut brach
die Frömmigkeit nicht. Babelais und Rousseau, die Encyklopä-
disten, hatten dem Knaben Reinheit und Glauben genommen, die
oft tobsüchtige Phantasie verwüstet. Bis zum 22 Jahr verschob
er die erste Kommunion, wählte den Katholicismus als Religion
der Autorität, ohne in ihr Hilfe gegen Unstäte, Melancholie, Ohn-
macht, Ängste, Agonieen der Seele zu finden. Mit 32 Jahren
erscheint er sich unglücklich, verächtlich, nicht gelangweilt, nicht
amüsiert, nicht arbeitend, nicht müssig, niedergedrückt von einer
geistigen und leiblichen Indolenz, bitterer und erschöpfender als
alle Arbeit Angeekelt von Menschen, von Natnrschönheiten ist
seine Seele eisig, schwarz, genagt von Langerweile. Er kann
nicht studieren, wirken, ruhen, nichts interessiert ihn, er ist mit
der Welt, mit dem Leben, das ihm eine Hölle scheint, fertig.
Mit sich selbst möchte er brechen können, um der qualvollsten,
unheilbarsten aller Krankheiten zu entfliehen, wo man nur noch
Kraft hat sich zu foltern Offenbar leidet er an der sündlichen
Seelenkrankheit der Akedie, die aus Mangel der Freude an Gott
entspringend, za Apathie, Verbitterung, Wubnsinn, Selbstmord
führen kann. Und diesem Zustande meint er zu entgehen, wenn
er Priester wird, wozu gutmütige, blinde Freunde raten, obwohl
nichts ihm so widerstand. Nach der Weihe meint er an einem
Haar über dem Abgrund der Verzweiflung zu hängen So unglück-
lich wie möglich, will er versuchen am Fufse des Pfahles, an
den man seine Kette genietet, zu schlummern, glücklich wenn
nur niemand, unter tausend ermattenden Vorwahlen, seinen
Schlummer störe. In den Huldigungen, die der erste Band des
Essai brachte, sah er Redensarten und den Ruin des einzigen
Gutes, das ihm das Leben erträglich mache, Verborgenheit. Nur
eines wünscht er, zu sterben. Diese Öde und Apathie drückt
noch seine letzten Jahre Auf den Libanon möchte er, ist aber
an Paris gekettet, weifs nicht was Irische Lurt ist, kennt die
Farbe des Grases nicht mehr, dt»n Duft der Wälder und Felder,
der Schmutz ist Paris, Paris ist der Schmutz I Eine solche ake-
dische Zerrüttung ist möglich bei Kopfrhristen, die, wie Lamen-
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NACHRICHTEN.
543
nais sagt, von den kirchlichen Wahrheiten fiberzeugt sind kraft
der Verstandesdemonstratiooen wie von den Sätzen des Enklid.
Zu solchen gehört er selbst. Bei dem Gefühlschristentnm hat
seine Phantasie hospitiert, die soziale Bedeutung der Kirche war
ihm klar, die Mysterien des Glaubens hat er nie wirklich erfahren.
Darüber sind Freunde und Feinde einig. Die acceptierte objek-
tive Wahrheit war ihm nicht zur subjektiven geworden. Er konnte
geistreiche Reflexionen zur Imitatio schreiben, für die Ideale Gre-
gors VII. glühen, den Reichtum der Welt in eine scholastische
Formel zusammenpressen, mittelst der Phantasie die Dinge auf
eine chimärische Spitze treiben und sich durch Leidenschaftlich-
keit über den Hauptmangel seines Herzens täuschen. Sie erhöhte
die Intensität seines Empfindens, malte ihm ungeheure Perspek-
tiven vor, zeigte ihm nur Engel und Teufel, nicht Menschen, liefe
ihn bald nur Licht-, bald nur Schattenseiten des Katholicismus
sehen, die gallikaniscben Artikel als Produkte des Antichristen-
tums verfolgen, die Bedingungen der Realisierung seiner Projekte
völlig verkennen. Kardinal Wiseman fragte ihn, wie denn die
geschilderte Palingenesie wirklich werden solle: mir ist, war die
Antwort, als stehe ich am Ende einer langen Galerie, an deren
anderem Ende sich glänzende Lichter zeigen, die über die dor-
tigen Gegenstände ihre Strahlen ausgiefsen. Gemälde, Skulpturen,
Geräte, Personen erblicke ich. Aber dunkel ist der ganze Zwischen-
raum zwischen mir und ihnen, was ihn erfüllt, kann ich nicht
beschreiben. So verhüllen ihm logischer Fanatismus, kühne Würfe
ohne Begründung und Vermittelung, phantastische Voraussetzun-
gen, die, momentan blendend, sich in Dunst und Nebel auflösen,
wenn der Gedanke sie zu ergreifen sucht, alles was zwischen
Ludwig IX. und XVIII., Innocenz III. und Gregor XVI. liegt.
Was er von Tertullian und Antoine Arnauld sagt, gilt von ihm:
d'un charactere ardent, pr&omptueux , opiniätre, plein de genie,
tous deux ayant rendu ä la religion d'äminents Services, ils se
laisserent entrainer ä la fouge d'une imagination qui outrait tout
Widerspruch brachte ihn schon als Kind aufser sich, in der
Schule muf&te man den Unbändigen binden. Die Zeit der Ligue
war ihm eine der schönsten der heimatlichen Geschichte. Be-
ranger wies ihm den Terreur als homogenes Terrain zu. Mer-
cier ist es vor allem um ein Seelengemälde zu thun, das ihm
gelungen ist Die der Korrespondenz entnommenen Data ver-
knüpft er mittelst der Erinnerungen der Freunde, der Arbeiten
über Lamennais, Lacordaire, Gerbet, Laurentie, Tesseyre, Bore*,
Combalot, J. de Lamennais, Carron, Quelen. Unäcbte Bonmots,
Irrtümer, die der H*»fs propagierte, notiert er, läfst spatere
Fehler nicht den Maf>stab für frühere Thaten abgeben. Über
die bona fides urteilt er milder wie Ranke, eingedenk der Ge-
35»
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544
NACHKICHTEN.
brechlichkeit unseres Herzens, das unbewnfst ein Abgrund von
Widersprüchen sei. Im wesentlichen stimmt er den würdigen
Worten Guizots zu: J'admira autant que personne cet esprit
äleve* et hardi, qui avait besoin de s'älancer jusqu'au dernier
terme de son idöe, qu'elle fut, ce talent grave et passionn£,
brillant et pur, amer et melancolique, apre avec älegance et tendre
quelqoefois avec tristesse. «Tai la confiance, qu'il y avait dans
cette äme, oü Torgoeil blosse* ä mort semblait seul regner, beau-
coup de nobles penchants, de bons däsirs et de doulourux com-
bats; ä quoi ont abonte* tous ces dons? Ce sera Tun des griefs
les plus särieux contre notre 6poque que ce, quelle a fait de cette
nature superieure et de quelques autres, qui so sont egalement
perverties et perdues. Sans doute ces anges döchus ont eu eux-
mömes leur part dans leur chute; mais ils ont subi tant de per-
nicieuses tentations, ils ont assiste" ä des spectacles ei troublauts
et si corrupteure, ils ont väcu au milieu d'un tel döreglement de
la pens^e, de l'ambition et de la destinee humaine, ils ont obtenu,
par leurs egarements memes, et en flattant les passions et les
erreurs de leur temps de si faciles et si brillante succes, qu'il
n'y a pas ä s'etonner beaucoup, que les mauvais germes se
soient developpls et aient fini par dominer en eux. Je ressens
plus de tristesse que de colere. et je demande grace pour eox
au moment meme, oü je ne puis m'empecher de prononcer dans
mon Äme snr leurs oeuvres et leur influence une severe condam-
nation.
* 25. Le Cardinal d'Ossat Eveqne de Bennes et de Ba-
yeux (1537 — 1604). Sa vie, ses negotiations ä Borne par M.
VAbbö A. Degert. Paris, V. Lecoffre, 1894. XIII et 403 p. 8°.
Lange bevor Bänke die Schatzkammer der venetianischen Gesandt-
schaftsberichte aufschlofs, hatten d'Ossats Depeschen Bewunderer
an Balzac, Voiture, d'Avaux, Colbert, Naude\ Saint Simon, Wique-
fort, Chesterfield, Voltaire, Diderot gefunden. Dem Verfasser
wurde einstimmig grofs^s geschichtliches, juristisches, kanonistisches
Wissen, genaue Kenntnis der zu behandelnden Sachen und Per-
sonen zugesprochen, psychologischer Scharfblick, feine Beobachtung
des einzelnen, richtige Totalauffassung der Situation und ihrer
Forderungen. Dieser Einsicht entspreche die Gesch&ftsgewandbeit,
das Geschick günstige Konjunkturen zu wittern, ungünstigen Kom-
plikationen Erfolge abzugewinnen, in den schwierigsten Lagen
Auswege zu entdecken, ce que la fortune sembloit präsenter de
la main gauche prenant de la droite. Gleich dem Arzt nach den
Ursachen der Krankheit und der Natur des Patienten die Heil-
mittel wählend, war er für den entscheidenden Moment, oft wie
durch geniale Inspiration, gerüstet Vertraut mit dem inneren
Zusammenhang aller grofsen kirchenpolitischen Fragen Europas
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NACHRICHTEN.
operierte er nüchtern, wachsam, ohne Eigensinn. Gefragt Bprach
er rondement et librement seine Ansicht ans, korrigierte sie gern
und unterwarf sich leicht dem Urteil besser Unterrichteter, auch
ohne ihre Gründe zu verstehen. Keine Illusion liefe ihn nach
einem momentanen Erfolge haschen, weder Mangel noch Obermafs
an Eifer ihn seine Sache kompromittieren oder in Fallen geraten,
wie sie ihm in einer Zeit gestellt wurden, von der Clemens VIII.
klagte: Könige und Fürsten erlauben sich alles was Profit bringt,
und die Sache ist soweit gekommen, dafs man es in der Ordnung
findet nnd gar nicht Übel nimmt Herzog Francesco Maria von
Urbino hat gesagt: Bricht der einfache Edelmann oder nicht sou-
veräne Seigneur sein Woit, so trifft ihn Tadel und Schmach, aber
Sou?eräne können im Staatsinteresse Vertrago schliefsen und bre-
chen, Alliancen eingehen und lösen, lügen, verraten u. b. w.
d'Ossat liefs sich von Gewissen und Bepntation, diesen wertvoll-
sten Dingen in der Welt leiten, billigte nie, was jenes verurteilte,
um den Mächtigen zu gefallen, verabscheute es nach Bedarf mit
der Löwen- und Fuchshaut zu wechseln. Möchten Narren und
Schurken auch Wahrheit und Recht falschen, dennoch blieben sie
eins und sicher der schliefslichen Anerkennung der Guten und
Einsichtigen. In Rom, ou il a plus de finesse que dans le reste
du monde, übte er als Unterhändler franchise et loyaute, ver-
zichtete, um reine, freie Hände zu behalten, auf Geld nnd Wür-
den. Belohnt mit Pfründen, die fast nichts eintrugen, mit Pen-
sionen, die nicht bezahlt wurden, verdammte ihn Pack und Sack
des Kardinalates zu steter, schimpflicher Armut. Non chatouilleux
de ces grandeurs hatte er keinen Schritt gethan, kein Wort ge-
sagt, um Fürst der Kirche zu werden. Dreifsig Jahre bewahrte
er seine Integrität unter Diplomaten, die grofs geworden in einer
Schule der Verstellung, nur Gewinn und Ehre suchten. Obwohl
er Lob und Lohn für das ihm Gelungene gern andern zuwandte,
blieb ihm doch das Vertrauen Heinrichs IV-, dessen politische
Rechnungsfehler er entdeckte: „unternehmen sie mit ihrer ge-
wohnten Klugheit, Sorgfalt und Treue die Sache zu ordnen; thun
sie es nicht, so wird niemand damit fertig". Gern gewährte der
König dem weitsichtigen, kaltblütigen Patrioten, der geistlichen
Ernst, Herzlichkeit, Güte mit kühner Energie und einer royale
facon de procäder verband, den erforderlichen Spielraum zur selb-
ständigen Aktion. Nach einer schwierigen Unterhandlung bat
Pius VII. Niebuhr beide Hände gereicht und ihm gedankt, dafs
er sich als redlicher Mann erwiesen Ahnlich dachte der durch-
aus aufrichtige Clemens VIII. über den Mann, der sich ihm in
einer der gröfsten Sachen als ehrenhaft nnd wahr bewährt hatte,
die seit Jahrhunderten die Entscheidung des heiligen Stuhles ver-
langt hätten. Förderte sie doch die Versöhnung Heinrichs mit
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646 NACHRICHTEN.
den Katholiken, Frankreichs mit Rod, die Pacifikaiion, die Rman-
cipation der Kirche von der Co rate 1 Philippe IL Wegen seiner
Mitwirkung zur Absolution des Königs erscheint d'OssatB Name
bei 'ien Historikern des französischen Calvinismus, der Religions-
kriege, der Ligue, des Ediktes von Nantes, der Regierung Hein-
richs IV., des Pontifikates Clemens VIII. Sein Leben war ver-
gessen wie das Gran vel las Die kurze Biographie Amelot de la
Houssave's yor der Ausgabe der Lettre« 1697 blieb die erste
und letzte, denn Madame d'Arconville'a längst vergessene geist-
lose Paraphrase derselben zählt nicht Erinnere ich mich richtig,
so fehlt in der Galerie zu Versailles d'Ossats BUd. Solcher un-
verdienten Vergessenheit bat Abbe Degert einen Diplomaten ent-
zogen, der in Wort und That dem bösen Rufe widerspricht, den
seine Kollegen als Gimpel oder Schurken geniefsen. In drei
Büchern vindiciert er den Anspruch seines Helden auf die Be-
wunderung der Vergangenheit und die Dankbarkeit der Gegen-
wart Das erste Buch erzählt die Lehrjahre des armen, ver-
waisten Hufscbmiedsobnes. Der hofmeisternde Student unter Rame
und Cujas wird Sekretär des Gesandten de Foix, Berater des
Kardinalprotektors der französischen Angelegenheiten und macht
Schule für die Aufgabe seines Lebens in Verhandlungen mit
dem Papst und den Ministern, die in ihm einen der hommes
supärienrs erkennen lassen, qui tout en faisant leur mätier Ka-
vent faire bien d'autres choses, wie Heinrich IV. sagte. Im zwei-
ten Buch Le Diplomate wird die Biographie naturgemäfs Schil-
derung der Negotiationen über die Absolution. Die Präliminarien
zeigen d'Ossat, der als Katholik und Franzose den Übertritt sei-
nes Monarchen für aufrichtig hält, den Bearner verteidigend gegen
das nur zu begründete Mifstrauen des Papstes, der Spanier und
der Hugenotten. Er weifs den drohenden Bruch zwischen Frank-
reich und der Kurie zu verhüten und trotz des Sturmes gegen
Arnaulds Mördergesindel die Jesuiten, seine Position und ihre Er-
rungenschaften zu behaupten. Nach unsäglichen, aus der Sache,
der Lage Clemens VIII. und Philipps II. entspringenden Schwie-
rigkeiten ist endlich das Ziel erreicht Seitdem hat der ständige
Interpret und Defeusor der französischen Politik in Rom ihre In-
teressen zu vertreten, den Einflnfs der Spanier, „dieser Christen
ohne alle Religion" auf den Papst zu paralysieren, ihn von un-
zeitigen Schritten abzuhalten, zu denen faux rapporteurs treiben,
lie et ordure restans de la ligne, qui en leur coeur ne feront
jamais paix ni avec le Roi , ni avec les bons Francois, ni avec
eux meraes. Den König, Villeroi, die wechselnden Gesandten
muf8 er instruieren, beraten, Fnnken löschen, Friktionen ebnen.
Es galt die Spanier von Marseille fernzuhalten, die von Toscana
besetzten Inseln If nnd Pomueges an Frankreich zurückzubringen,
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NACHRICHTEN.
547
den Wölfchen vou Savoyen, die sich untereinander fressen wür-
den, wenn man sie in ihren Bergen und Hötilen hausen lasse,
Saluzzo streitig zu machen. Als der König den Hugenotten Zu-
gestandnisse macht, erhalt d'Ossat die Bolle eines Beschwichtigungs-
hofrates. Schwer wird sie ihm nicht Die Religionskriege hatten
ihn die absolute Notwendigkeit politischer und sozialer Toleranz
gelehrt Für jene arbeitete er im katholisch- nationalen Interesse.
Diese übte er, wenn er dem Sohne Duplessy-Mornay's so gütig
begegnete wie Du Perron und Baronius dem Casaubonus, wenn
er sich der Witwe Colignys eifrig annahm. Jeder Schritt zum Edikt
von Nantes, und dieses selbst bringt Clemens aufser sich. Der
Gesandte, korrekter Katholik, wenn auch nicht vom Credo espano),
beklagt mit dem Papste diese Übel, verteidigt sie aber als poli-
tische Notwendigkeit für die pauvre convalescente France. Nie
war ein Kardinal weniger amoureux de Rome als er, doch unter-
laßt er nie, wenn der Papst und der heilige Stuhl Recht haben,
das auszusprechen und dahin zu wirken, dafs es ihnen werde,
auch vom Könige, dem es wohl austebe jedem Gerechtigkeit zu
erweisen. Vergebens mühte er sich um die Publikation des Tri-
dentinums, im Notfall sauf de deux ou trois lignes, als Bedingung
der Reform des Klerus. Er erreichte aber, dafs den Nachzüglern
der Ligue auf den Kanzeln von Rom ans die aufrührerische Ein-
mischung in Staatssachen, deren Motive sie nicht verstanden,
untersagt wurde. In die Jesuiten war er nicht verliebt, plaidierte
aber im Interesse des Vaterlandes für die Unentbehrlichen, die
allein mehr Eifer, Geschick, Mittel hätten Völker im Gehorsam
zu erhalten als alle Orden zusammen. Die Hebung der ver-
kommenen Marine, die Annullierung der Ehe des Königs lagen
ihm am Herzen wie die Erfindung von Verbeasernngen an Wind-
end Wassermühlen. Die schönen Geister, die etwas der Mensch-
heit Nützliches entdeckten, verdienten Förderung und Lohn. Im
Gegensatze zu den fourberies Savoyens soll Frankreich moralische
Eroberungen machen durch Achtung vor den Rechten anderer,
durch die Sympathien, die der Anblick seiner starken, ruhigen
und würdigen Haltung erwecken müsse. Etwas Einkommen mehr
oder weniger mache die Reputation eines grofsen Königs nicht
aus, aber die Reputation erwerbe Revenues und Staaten, erhalte
und behaupte sie. Diesem Zweck soll auch die Allianz mit Hol-
land und England dienen. Dafür arbeitet d'Ossat im Kabinett
des Papstes und im Konsistorium, qui est le clef du bien ou du
mal du royaume et de l'Europe Das dritte Buch ist dem Autor
gewidmet, der, ohne an diesen Titel zu denken, Stenograph und
Photograph zugleich, jahraus jahrein seine Depeschen schrieb, die
Tagebücher, Zeitungen, Staatsschriften, Proces verbaux sind, deren
Geschichte, Methode, Sprache, Charakter bebandelt werden. Wie
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548
NACHRICHTEN.
Cujas verstand der Verfasser es, sein Wissen durch das Gewicht
des Gedankens und die Gemessenheit des Wortes zur Geltung zu
Dringen. Den Einflufs seiner litterarischen Lieblinge Plato und
Comines erkennt man in der Klarheit und Natürlichkeit, in der
Weise alle Seiten eines Falles zu exponieren, das ganze Für und
Wider abzuwägen, Hauptgedanken von nebensächlichen Details
zu sondern, untergeordnete Ideen zu gruppieren ohne Trockenheit
und Verschwommenheit. Durch die von spanischer Grandiloquenz
völlig freie, schlichte Darstellung kommen die Fülle und Sicher-
heit der politischen Kunde, die Feinheit der Apercus, die Rich-
tigkeit der Urteile, die glückliche Auswahl der charakteristischen
Einzelheiten recht zur Geltung. Wenn er will, kann d'Ossat por-
trätieren wie seine venetianischen Kollegen, denen er dnrch
Ausschliesslichkeit des politischen Geschäftsinteresses nachsteht.
Das zeigen einzelne Bilder päpstlicher Audienzen, die jedes wich-
tige Wort, jede bedeutende Geste der Anwesenden wiedergeben.
Man ist überrascht in Vitringas Typus tbeologiae practicae ein
Schreiben des Kardinals gerühmt zu finden als copiosa, polita,
prudentissimi viri ingenio digna, ein Signalement, das für viele
der 76 Schreiben an den König der 274 an Villeroi gilt Sie
sind die Hauptquelle für die Biographie, in ihr teils geschickt
excerpiert, teils vollständig benutzt. Tamizey de Larroque und
Dagert haben Inädita entdeckt, doch nicht die Briefe an Mon-
taigne, de Bauves, die verlorenen 43 an Heinrich IV. Die hand-
schriftlichen Instruktionen und Depeschen der Kardinäle Eiste und
Joyeuse, die Papiere Luxembourgs, Sillerys, Bethunes, ungedruckte
Denkschriften d'Ossats sind konsultiert, um des letzteren heil-
samen Einflufs auf die Politik in auswärtigen oder inneren An-
gelegenheiten zu illustrieren. Vorsichtig in Voraussetzungen und
Folgerungen ohne Quellenstütze übergeht Degert das Interesselose,
orientiert ohne weit auszuholen, ordnet Verwickeltes gut, charak-
terisiert z. B. Clemens VIII. trefflich, gehört nicht zu den Kle-
bern unter den Historikern, die von einer diplomatischen Ver-
handlung dem Leser keinen Federstrich schenken, korrigiert ein-
seitige, zu harte Urteile d'Ossats über die Liguisten, verteidigt
ihn gegen Sully. Der Kardinal war immer ein Freund der klei-
nen Leute, des armen, niedergetretenen Volkes, für das er bessere
Justiz, geringere Lasten, Schutz gegen die Härten der Bureau-
kratie verlangte. Der König müsse zugunsten des dritten Standes
gründlich reformieren und bei sich selbst anfangen. Der hoch-
aristokratische, stolze, egoistische Finanzminister sah dariu ein
Attentat von hartstirniger Frechheit gegen seine unübertreffliche
Administration, das er in den Memoiren noch an dem Toten durch
Injurien und Lügen strafte. Den Lettres legte man bleibenden
Wert bei als Anleitung zur Negotiationskunst, zur Auflösung gor-
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NACHRICHTEN.
549
discher Knoten, zu christlichem Denken in der Politik. Diesen
Dienst haben sie auch dem Biographen geleistet Kann er ancb
nicht mit La Bruyere d'Ossat neben Richelieu, nicht mit Fenälon
ihn neben die klassischen Historiker stellen, so bemüht er sieb
doch mit dem besten Erfolg „einer der sympathischesten und
ehrenhaftesten Gestalten" gerecht zu werden und giebt den Le-
sern, selbst protestantischen, die ja manches anders beurteilen
müssen, keinen Anlass zur Erfüllung der Bitte, die Folgen der mal-
adresse de l'ouvrier en faveur de sa bonne volonte" zu verzeihen.
* 26. Pius IX. hat am 19 Juni 1877 Franz von Sales
zum Kirchenlehrer erhoben. Mag auf die Wahl der Dank für
den Einfluß*, den die Ausführungen des Heiligen über die päpst-
liche Macht im Vatikan um übten, eingewirkt haben, sie war glück-
lieber als diejenige, welche Liguori neben Athanasius und Chry-
sosthomos stellte. Die neue Würde drückte das Placet auf eine
Aufserung Clemens VIII. Als der Schüler Maldonats, der An-
walt der Verbindung von Frömmigkeit und Wissenschaft im Klerus,
der in Liebe und Milde gegen den Nächsten aufgelöst zu sein
wünschte, in Rom war, sagte ihm der Papst, die Fülle dieses le-
bendigen Wassers möge sich in alle Lande ergiefsen. Dafs dies
geschehen ist, bezeugen auch die zahlreichen Ausgaben der Schriften
des Bischofs von Genf, die ein wertvolles geistliches Gut der rö-
mischen Kirche sind. In unserem Jahrhundert folgten sich rasch
die Editionen Paris bei Blaise 1821 f., 16 Bde., bei Guyot 1830f.,
5 Bde. Lettres ine*dites 1833. Nouvelles Lettres inedites publices
par P. L. Datta, Paris 1835, 2 Vol. Baudry Supplements aux Oeuvres,
Lyon 1836 Kaum war die schöne Ausgabe der Oeuvres com-
plötes vom Kanonikus Peltier in Reims, Paris Vives 1858 mit dem
VI. Bande abgeschlossen, so begann 1861 Abbe" Migne seine Edition
seule complete in sechs starken Quartanten, denen zwei der Oeuvres
completes de Sainte Chantal und ein Band Pieces complementives
folgten. 1896 kam eine edition revue et corrige'e avec les plus
grands soins par une societe d'ecclesiastiques in 10 Bänden Bar
le duc zum Abschlufs, dem die Edition complete d'apies les auto-
graphes et les dditions originales, enriebie de nombreuses pieces
inedites. Paris, Lecoffre mit T. VII 1896 nahe ist Vorangegangen
war ihr die erste philologisch-kritische Ausgabe des Benediktiners
Mackey: Oeuvres de Saint Francois de Sales eveque et prince
de Geneve et Docteur de TEglise. Annecy. Die Bände 4 und 5
1895 enthalten den Traite de l'amour de Dieu. Die Einleitung
bebandelt Geschichte, Plan, Zweck, Quellen dieser berühmten
Schrift, würdigt und verteidigt ihren Lehrgehalt nach der dog-
matischen, mystischen und asketischen Seite, bespricht die Form,
den von der Pariser Akademie für klassisch erklärten Stil und
das Verhältnis des Traktates zum Leben und deu andern Werken
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550
NACH Ii ICKTEN.
des Autors. Auf diese gediegene Arbeit des Herauegebers läfst
sich auch Sales schönes Wort anwenden: der Christ braucht keine
absonderlichen Dinge zu thun, er mufs nur die alltäglichen Dinge
besonders gut thun. Die Quintessenz der Ausführungen bot
Ph. Gönnet den Stoff zu einer Abhandlung in der Uni versitz
catholique 1895, Nr. 7: LeTraite de l'amour deDieu de
S. Fr. de S. Die Geschichte der Liebe zu Gott von der Geburt
in der Seele an bis zur völligen Entfaltung, des Verfalles, der
Zerstörung, die Darlegung der Mittel sie zu erhalten, zu mehren
und wiederzugewinnen, enthält viele schöne christliche Gedanken
und Erfahrungen. Sales kann Subtil i täten scholastischer Meta-
physik und hochgespannter Mystik mit gleicher Sachkunde und
Sicherheit behandeln. In der schwierigen Kunst der Illustration
ist er Meister gleich Luther, Scriver, Arndt, Spurgeon, Beecher,
Stolz, Funcke. Wegen dieses Vorzuges sollten einige seiner
Schriften bei uns für Predigt und Katechese beachtet werden
pour bien definir et bien peindre.
* 27. Im zweiten Heft 1895 der Montauban Revue de Theo-
logie et des Questions religieuses giebt F. Leenhardt einen
schönen Nekrolog Charles 8ecre*tan's, froh von einem solchen
Denker, einer so reichen Natur, einem so edeln Gemüte reden zu
dürfen. Der originelle, christliche Philosoph und Sociolog, dem
der Glaube ein kategorischer Imperativ war und die Offenbarung
Ober Sündenfall, Sünde, Erlösung die Rätsel der Welt löste, hatte
25 Jahre klagen müssen: meiner ist vergessen wie eines Toten.
Da erlebte er seit 1877 seine Restitution, sah, dais l'action de
ses puissantes et gänereuses pensees ne s'exerca plus ä la därobee,
ou dans quelques milieux restraints, mais pänätra dans les nou-
velles gen&rations universitäres. Man wetteiferte in Ovationen,
um die lange Zurücksetzung zu sühnen, und der vergessene Pro-
fessor in Lausanne war fast eine europäische Berühmtheit ge-
worden, ehe er achtzigjährig als Mitglied des Institut de France
und Ritter der Ehrenlegion starb. Um den Werken des Geschie-
denen neue Freunde zu erwerben, charakterisiert sie der Nekro-
logist nach dem Zusammenhang mit den Perioden der Geistes-
arbeit und Wirksamkeit Secrltans. Das Motto dürfte lauten: wenn
Christus die Wahrheit sagt, mufs die wahre Philosophie die christ-
liche sein, und er sagt sie. Zuerst werden System und Prin-
zipien konstituiert in La Philosophie de la liberte* 1848 (2e edit
1866), La Recherche de la methode, qui conduit ä la ve>ite* sur
dos plus grand8 inte"röts 1857. Die strengere umfassende An-
wendung auf die Theologie folgt in den Discours laiques, Raison
et Christianisme, Philosophie et Religion, Le Principe de la Mo-
rale. In der dritten Periode behandelt der Autor die sozialen
Probleme nach seinen Prinzipien als Vorkämpfer christlicher Frei-
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NACH RICHTEN.
551
heit, als schonungsloser Richter sozialer Greul, als Konfessor der
göttlichen Wahrheit: Civilisation et Croyance. Etudes sociales.
* 28. ün eure* d'autrefois. 1'AbM de Tal honet (1737—
1802) par Geoffroy de Grandmaiso n. Paris. Ponssielgue.
1894. V et 361 p. 12°. Marie Vincent de Talhonet 1773 — 1779
Rektor von Hennebont in der Bretagne wurde, weil er den Eid
verweigerte, zur Deportation verurteilt Mit 21 Gefährten wählte
er Spanien als Exil. Das Volk nahm die Bekenner mit Bewun-
derung auf, während Pfarrer, die nichts zu fürchten hatten, gegen
die Ausrei88er eiferten. Die Bischöfe schützten die Schuldlosen.
Pretres francais, sagte der Bischof von Orense Que?edo, qui ötes
restes fideles ä Dieu, qui avez bien merites de l'Eglise univer-
selle, vous 6tes aujourdhui ornement de l'Espagne; ses eveques
vous reeoivent non en Prangers, mais en concitoyens des saints.
Die Regierung lavierte, verbot ihnen Predigt und Unterricht und
verwies sie 1796 nach Mallorca oder den Kanarischen Inseln.
Talhouet entging diesem Schicksal, fand aber auf der Rückreise
nach Frankreich 1802 den Tod im Meer, da der Kapitän das
Schiff scheitern liefs, um die Passagiere zu plündern. Die Ge-
schichte Talhouets ist durch viele Züge aus der Zeit Ludwigs XV.
und XVI. interessant, vor allem freilich durch den würdigen Cha-
rakter des Pfarrers von ehemals.
* 29. Saint Vincent de Paul et ses Oeuvres a Marseille
par H. Simard, Pretre de la mission, Directeur au grand Semi-
naire de Marseille. Lyon, E. Vitte, 1894. III et 479 p. 8°.
O Seigneur! Qui eüt jamais pensö, que cela en ffit venu au
point, ou il est maintenant? Qui me l'aurait dit aurait passe
dans mon esprit pour un moqueur! Quand je considere, la con-
duite de Dieu pour faire naltre la compagnie dans son eglise,
j'avoue, que je ne sais ou j'en suis! 0 cela n'est point de l'homme,
cela est de Dieu. So sprach am Feierabend Vincent de Paul
im Rückblick auf die Führungen, durch die der Tagelöhnersohn,
der die Schweine gehütet, die Galeerenkette getragen, als Sklave
gearbeitet hatte, Gewissensrat seines Königs, neben Berulle, Olier,
Bourdoise Regenerator des Klerus geworden war, ein Gründer um
Christi willen, pen a peu, ohne Posaunen und Machereien, ein
Grosalmosenier der Caritas, dem zwanzig Millionen zuflössen. Die
Revolution hatte sein Andenken in Marseille verdrängt. Dafs es
wiederauflebte, zeigt die prachtvolle, gotische Kirche, welche
1855 — 88 die Stadt als Monument ihrer Dankbarkeit erbaut hat.
Wofür? Das sagt Simards anziehendes, an neuer Kunde reiches
Buch Über Vincents Beziehungen zu und Schöpfungen in Mar-
seille, das auf die Galeeren, in das Seminar, zu den Landmissionen,
in die Berberei führt Zehntausend Galöneus büfsten an der
Kette, Verbrecher, Bettler, Hugenotten, Schuldlose, die man um
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552
NACTIUICHTEN.
einer Bagatelle willen, als kraftige Leute viele Jahre an die
Ruderbank schmiedete, d. b. in einen Morast von Blasphemie,
Unzucht, Ungerechtigkeit und Grausamkeit stiefs. Vincent pre-
digte den forcats herzlich und geduldig, küiste ihre Ketten voll
Mitgefühl ; sie hörten ihn und seine Lazaristen und gaben Gott
die Ehre. Die Erfolge der Galeerenmission weckten ihr vornehme
Frennde, die dem Gründer halfen jährlich 40000 li?res für sein
Werk zu erbetteln sans einpressement, sans agitation, Dien ne
compte pas nos oeuvres il les pese. Das Hospital des pauvres
forcats malades war eine Mördergrube voll Schmutz, Ungeziefer,
Verwahrlosung. Eine barbarische Militär-Bureaukratie mufste er-
tragen lernen, dafs Vincents Lazaristen das Haus gründlich von
den Mifsbräuchen säuberten, unter denen die 500 - 600 Kranken
entsetzlich litten. Die Seelsorge auf den Schiffen übten geistliche
Handwerker. Das Missionshaus gab ihr Hirten. Durch Retraites
spirituelles und Konferenzen arbeitete es an der Erneuerung des
geistlichen Standes. Vincents „Pätite Methode" hatte die gelehrten
Phrasenpredigten diskreditiert und die katechisiorende, praktische
Bauemweise zu Ehren gebracht. Sogar auf der Bühne hörte
man statt des Donnerns und Tremulierens natürliche Sprache.
In den Missions de la Campagne erhielten die Hörer scharfe,
wirksame Gesetzespredigt. 50 000 Franzosen schmachteten in
afrikanischer Sklaverei. Was an ihnen der König, Richelieu, Ma-
zarin versäumt hatten, that Vincent, der vier Millionen für die
Sklaven ausgab, 1200 loskaufte, durch seine Jünger in Marseille
zwischen den Unglücklichen, den Konsuln in Algier und Tunis,
den Ministern vermittelte, Bank- und Postgeschäfte besorgte.
Noch als Greis von 85 Jahren sammelte er Geld für eine Ex-
pedition gegen Algier, pour anäantir a tout jamais la piraterie
musulmane daus son propre repaire. Nach einem Gespräch mit
dem Mann der armen Leute, der im Bettelrock — doch ohne
Löcher und Flecken — im Conseil de Regence safs, hatte Riche-
lieu zu seiner Nichte gesagt: J'avais dejä une grande idee de
M. Vincent; mais je le regarde comme un tout autre nomine de-
puis ce dernier entretien. Alle Seiten dieser Gröfse hat Simard
herausgestellt, Kraft, Feinheit, Einfalt, Demut, praktische Genia-
lität, organisatorisches Geschick, unermüdliche Liebe, Herrscher-
blick, Festigkeit, heroisches Gottvertrauen. Der zweite Teil seines
Buches erzählt die Schicksale der Marseiller Werke vom Tode
des Gründers bis zur Revolution. So lange der Ruderdienst und
die Galeerenstrafe wüteten, dauerte die Lazaristenarbeit an den
forcats und die musterhafto Verwaltung des Hospitals. Als 1720
die Pest 50U00 Opfer forderte, bewährten sich die Söhne Vin-
cents. Ihr Super ior schützte die 40 Aumoniers der Galeeren
gegen hochfahrende, militärische Behörden, die jenen den Bettel-
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NACHRICHTEN.
gebalt vorenthielten und sie zum don gratuit für den König za
pressen wagten, denunzierte an höchster Stelle eintragliche Un-
ordnung, forderte Gerechtigkeit für Sträflinge, die, Opfer des Des-
potismus und der Willkür, weit aber die Strafzeit festgehalten
wurden, weil sie muskulös waren. Hunderten von Invaliden,
Greisen, Schwachen im Bagno ward Schutz gegen Grausamkeit
nnd Habgier. Die Konsulate in Algier und Tunis hatte Vincent
gekauft. Simard veranschaulicht aus der amtlichen Korrespon-
denz die Wirksamkeit der Lazaristenkonsuln. Man findet Männer
von hervorragen dor Geschäftstüchtigkeit, Geistesschärfe, Mut, die
selbstlos mit grofsen, pekuniären Opfern und Lebensgefahr die
Interessen ihrer Landsleute vertreten , 3000 loskaufen , bei Aus-
wechslung von Gefangenen intervenieren, geraubte Kinder retten,
mit Deys, Heys, Divan um Rückgabe von Prisen kämpfen, oft
dnrch Geduld, Festigkeit nnd die Autorität ihrer würdigen Lebens-
führung zum Ziel kommen und durch ihre Bemühungen zugunsten
redlichen Handelns das Vertrauen der Marseiller Kaufmannschaft
erwerben. Das Seminar der Lazaristen bleibt als Institut der
Diöcese fest gegen den Jansenismus und die Verlockungen der
Zivilkonstitution, ün missionaire, qui ne sait pas mourir pour
la congregation n'est digne d'elle hiefs die Losung in der Ver-
folgung durch die Nachfolger „des Tyrannen" Ludwig XVI., deren
Tedeum die Marseillaise war. Unter Napoleon I. und Ludwig XVIII.
erstand die Stiftung von Saint Lazare wieder. Ächte Arbeiter
fehlten nicht; so Figon, der mit 2000 Frs. jährlich auskam, keine
Möbeln hatte, anf einem geliehenen Bette starb, seine Soutane
trug, bis sie auseinanderfiel, so eifrig wie offen und schlagfertig.
Ein Missionar hatte ihn gelobt. Figon trat vor die Gemeinde,
winkte zur Kanzel hinauf: einen Lebenden darf man so nicht
loben; Tote brauchen nur Wahrheit. Glücklicherweise kennen
meine Pfarrkinder mich besser. Über seinen Vikar schrieb er
dem Erzbischof: Monseigneur haben mir einen Zierbengel geschickt.
Wir haben deren schon genng Behalten kann ich ihn nicht ohne
Schaden für meine Gemeinde; wollen sie ihn abrufen — Der
handschriftliche Nachlafs einzelner aus der alten Garde Vin-
cents hat Simard prächtige Züge pastoraler Art geliefert. Er
benutzte die Korrespondenz der Lazaristenkonsuln im Archiv der
Marseiller Handelskammer, die der Beys mit dem französischen
Hofe, mehr als hundert Bände Akten des Fonds des Galeres im
Archiv des Marineministeriums. Diese Quellen ermöglichen gründ-
liche Einsicht in das Arsenal-, Galeeren-, Korsarenwesen, in Han-
dels- und Sklavereiverhältnisse der Berberei. Daher sind die in-
teressanten Details aus der Missions-, Handels- und Piraten-
geschichte, die der Autor ohne Ausmalung, deshalb um so wirk-
samer, als Lokalkenner Marseilles einfügt. Als Kritiker be-
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554
NACHRICHTEN.
währt er sich gegen die Bestreitung des Faktums, dafs Vincent
forcat gewesen sei und gegen de Grammonts Verleumdung der
LazarUtenkonsuln. Alle Vorarbeiten sind benutzt Doch über-
wiegt das Neue in dem von Anfang bis zu Ende spannenden
Buche. C. A. Wüktns.
Italienisches.
Von
F. Hubert u. a.
* 1. Hase mufste sich einst von Gieseler- Röhr wegen Ober-
flüssiger Empfindsamkeit verhöhnen lassen, weil er von Bona-
ventura gesagt hatte: er ist eine der hohen Gestalten, an
denen sich das in sich befriedigte Eirchentum glorreich darstellt;
an seinem Sarge weinten die Repräsentanten des ganzen Abend-
landes. Aber der Theologus Jenensis hielt den beiden licht-
fremdlichen Feinden des finstern Mittelalters nicht nur das Wort
ihres Schlosser von der Engelseele Bonaventuras vor. Er bewies
unwiderleglich das Becht seiner Charakteristik des homo emi-
nentis scientiae, des vir sanctitate praecipuus, benignus, affabilis,
misericors, virtutibus plenus, Deo et hominibus dilectus. Die
Franziskaner von Quaracchi haben dem Doctor seraphicus eine
Ausgabe der Opera omnia geschaffen, wie sie kein Scholastiker
besitzt. Fidelis de Fanna hatte, so erzählt Tb. Bouquillon im
Catholic Univereity Bulletin Washington 1895, viele Jahre die
Doktrin Bonaventuras gelernt und gelehrt, als er 1871 an die
Bearbeitung der Werke seines Meisters ging. Er besuchte 400
Bibliotheken in Frankreich , Spanien , Portugal , Dunemark , Hol-
land, Österreich, Baiern, Preufsen, der Schweiz. Es galt die
besten Handschriften und die ältesten Drucke. Drei, vier Mönche
folgten seinen Spuren und machten die angewiesene Detailarbeit,
wo er Felder weife zur Ernte entdeckt hatte. 1874 war der
Plan zur Edition festgestellt und ein Stab von Assistenten dem
Herausgeber auf Beinen Wunsch zugesellt. 1879 schlofs man
die Vorarbeiten. Aber Fanna war tot, als 1882 erschien: Bona-
ventura (S) Opera Omnia ad plurimos Codices Mss. emendata,
anecdotis aucta, prolegomenis, scholiis notisque illustrata, nova
editio. Tom. I complectens commentarium in librum primum Sen-
tentiarum Magistri Petri Lombardi. Ad Claras Aquas (Quaracchi)
1882 in 4 majori. LXXXVin et 870 p. Auf die Vorrede, die
Bullen Sixtus V Superna und Triumphantis Ecclesiae folgen Pro-
legomenen. Sie besprechen die Sentenzen im allgemeinen, das
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NACHRICHTEN.
555
Verhältnis von Bonaventuras Kommentar zur Summa Alexanders
von Haies und das erste Buch der Sentenzen. Dem Texte des
Lombarden folgt die Erklärung mit textkritischem Apparat von
Varianten und Konjekturen. Der Lehrgehalt jeder Quaestio ist
am Schlufs in einem Scholion zusammengefaßt, unter Beigabe
von Parallelen aus den grofsen Scholastikern. Tomus II (1885),
XII et 1026 p.; Tomus III (1887), X et 906 p.; Tomus IV
(1889), VIII et 1067 p. bringen den Kommentar zum Abschluß.
Der fünfte Band (1891) LXIV et 606 p. enthält die Opuscnla
varia theologica, aofser den drei Ineditis De scientia Christi, De
mysterio Sanctae Trinitatis, De perfectione evangelica, das IU-
nerarium, Do redactione artium ad tbeologiaw, Collationes in
Hexaemeronem, Collationes de Septem donis Spiritus Sancti, Ser-
mones de rebus tbeologicis. In den Prolegomenen werden als
unecht dargethan: Centiloqnium , De ecclesiastiea hierarchia, De
qnatuor virtutibus cardinalibus , XXX Sennones de Eucharistia,
Tractatus de studio divinarnm litterarum. Tomus VI Commen-
tarii in Sacram Scripturam 1893, XXVII et 640 p. bietet die
Erläuterungen zum Ecclesiastes, zum Liber Sapientiae zum vierten
Evangelium und die zum letzteren gehörenden Collationen. Die
Prolegomenen behandeln die Bibelstudien der Scholastiker und
entwickeln die Gründe, weshalb neun unter Bonaventuras Namen
gehende exegetische Schriften ihm abgesprochen werden müssen. —
Die Ausgabe erfüllt die Anforderungen der heutigen Paläographie
und Diplomatik in einem Mafse, wie es selbst bei der Editio
Leonina des Thomas nicht der Fall ist. 1896 erschienen: S. B.
Decem Opuscula ad Theologiam mysticam spectantia, in textu
correcta et notis illustrata a P. P. Collegii S. B. Ad Claras Aquas
XI, 519. 16.
*Z. The Life of Saint Philipp Neri, Apostle of Rome
by Alfonse Cardinal Capecelatro, Archbishop of Capua and
Librarian of Holy Church, sometime Superior of the Oratory of
Naples. Translated by Thomas Alder Pope M. A of the Ora-
tory. Second Edition. London, Bums & Oates, 1894. 2 Vols.
XVIII and 490 p. and VI and 504 p. 8. Goethe hat ver-
sichert, kein Lied gemacht zu haben, was in einem lutherischen
Gesangbuche stehen könnte. Doch als Hagiegraph gewann er
das Interesse solcher Kreise für Filippo Neri, deren Bekannt-
schaft mit Heiligen sonst wenig über die Kalendernamen hinaus-
reiebt Der Dichter liefs „ auf den höchst ausgezeichneten, leiden-
schaftlichen, wundersamen, aber immer höchst verständigen, prak-
tischen Mann" Streiflichter fallen, die der Aufklärung 1787 sehr
fern lagen. Noch frappanter würde der humoristische Heilige
hervortreten, hätte Goethe die handschriftliche Sammlung genialer
Witze gekannt, die, wie Augustin Theiner Hermann Beuchlin sagte,
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556 NACHRICHTEN.
nicht veröffentlicht werden dürften. Doch bot die biographische
Quelle eine Anzahl heiter-frommer Züge, die einst Kardinal Va-
lerios „Philipp oder christliche Fröhlichkeit " veranlagten and
die Antonio Gallonio, der erste Annalist nnd Biograph des Selig-
gesprochenen, nebst vielen geflügelten Worten bewahrt hat Gia-
como Bacci benutzte für seine, von ihm sechsmal revidierte, von
1623 bis 1874 in mehr als hundert Ausgaben verbreitete Arbeit
die Kanonisationsakten mit detaillierender Umständlichkeit, bisweilen
vergessend, dafs Ermüdung die Erbauung verscheucht. Die in
die Acta Sanctornm Mai T. VI aufgenommenen Bücher Gallonios
nnd Baccis bleiben Hauptquellen für alle Späteren; hatte doch
der erstere 300 Augenzengen vernommen. Theiner im Kirchen-
lexikon giebt Neues, das Beuchlin in „den Herzog" herübemahm.
Die vierzehn Bände Opere zeigen Capecelatro als würdigen Titular-
successor des Baronius. Der Storia di 8. Caterina da Siena e
del Papato del suo tempo, der Storia di San Pier Damiano e del
suo tempo Neris Biographie folgen zu lassen, bestimmten ihn
persönliche und sachliche Motive. Dem Sohne des Herzogs von
Castel Pagano, dem sechzehnjährigen Oratorianer, galt schon vier
Jahre früher der Gründer seiner Kongregation als Inbegriff des
Edlen und Heiligen. Dem Kirchenhistoriker genügten die Schriften
Gallonios, Baccis, du Saussays, Kosweydes, Bertrands, Vasquez',
Frames', Barnabei's, Sonzonios nicht, weil das „e del suo tempo u
in politischer, kirchlicher und sozialer Hinsicht nicht zu seinem
Recht komme. Daher die Farblosigkeit, Starrheit, das Schablonen-
hafte der Darstellung. Auch an Lücken mangelte es nicht. Von
Neris Leben als Laie erfuhr schon Gallonio wenig. Alle vor
dem 45. Jahre geschriebenen Briefe sind verloren. Seine Papiere
hat der Heilige vor dem Tode aus Demut verbrannt. Es über-
rascht daher, dafs Giovanni Marciano in den fünf Folianten Me-
morie istoriche della Congregazione del Oratorio Napoli 1693 —
1702 ein im weiteren Sinne biographisches Supplement geben
konnte. Sie wiesen den Weg in das Archiv des neapol itaner
Oratoriums, der Vallicella in Rom, des Vatikans, den Capecelatro,
unterstützt von seinen Filippini, einschlug. Er konnte Briefe,
eine handschriftliche, von Baronius revidierte Vita, Kongregations-
annalen bis 1 606 benutzen. In drei Büchern schildert er Filippo
als Laien, als Priester, als Gründer des Oratoriums, um nach allen
Beziehungen die Schönheit nnd Fülle dieses seltenen Lebens zu
veranschaulichen. Er zeichnet als Familiär vieler Dinge aus
Autopsie, z. B. den Gang zu den sieben Basiliken, die Katakomben
von S. Sebastiano, wo Neri zwölf Jahre lang oft Nachts meditierte
und betete. Die zeitgeschichtliche Umgebung ist eingehend ge-
würdigt. Porträts von fünfzehn Päpsten, von dreifsig Kardinälen
sind eingefügt. Die Beziehungen zu Pius V., Gregor XIII., Six-
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NACHRICHTEN.
557
tus V., Leo XI., Urban IV., Gregor XIV., Clemens VIII., zu den
Kardinalen Medici, Tarugi, Paravicino, Cusano, Visconti, Aldo-
brandini, Borromeo, Baronio, Bellarmino, zu Franz von Sales, Ca-
terina dei Bicci, Feiice de Centalice, Antonio Bozio, Luigi Pa-
lestrina, Giovanni Animuccia zur römischen Aristokratie treten im
Detail fesselnd hervor. Man sieht, wie der Freund der Wissen-
schaft die Annalen plant, ihren „Koch" inspiriert und festhalt,
in das intellektuelle und musikalische Leben Borns eingreift, wie
der Berater der Päpste die kompliziertesten kirchenpolitischen
Fragen, z. B. Heinrichs IV. Absolution scharfsinnig durchdringt.
Natürlich bildet das Oratorium den Mittelpunkt seines Wirkens.
Schritt für Schritt wird der Weg beschrieben, auf den ein un-
bekannter, junger Mensch, ohne die Autorität des Banges, des
Amtes, des Wissens, ohne weltliche Mittel, ohne je von Beform
zu sprechen, durch Glauben, Liebe, Opfer den in Unglauben und
Unsittlichkeit versunkenen Klerus, die korrumpierte, römische Ge-
sellschaft reformiert. Sein herzliches Gespräch von unwidersteh-
licher Liebenswürdigkeit brach dem Seelsorger Bahn, dessen Selt-
samkeiten seinen Einflufs erhöhten. Klar, einfältig, aus vollem
Herzen von Gott redend, hat er als Stralsenprediger Erfolge wie
Wesley. Als Priester Allen Alles wirkt er in sonniger Freund-
lichkeit und warmem Mitleid tiefer binnen wenigen Minuten als
andere in vielen Stunden, und durchschaut die Herzen. Ein Pa-
dagog enthusiasmierte er Knaben und Jünglinge, nie jubelten und
tobten sie ihm zu viel, konnte er sie nur vom Bösen fernhalten,
so mochten sie auf seinem Bücken Holz hacken. Jeden liefs er
gern seinen Weg laufen, wenn Gott nur Anfang und Ende war.
In San Girolamo gründete er einen Heerd, von dem aus das
heilige Feuer durch Konferenzen, Predigten, Gebetsstunden um
sich griff. Gehorsam fand er, weil er wenig befahl, selbst die
Kegel war ; die Liebe vertrat die Gelübde. Nichts lag ihm ferner
als Macherei. Erfolge kommen von Gott und von der Wahrheit,
alle anderen Mittel sind Nebensachen. Sein Beichtkind Clemens VIII.
drängte ihm den oft zurückgewiesenen Purpur auf; er rief para-
diso, und warf ein altes Barett wie Ball spielend in die Luft
Viel Neues giebt Capecelatro über die Ausbreitung des Instituts
und die Spezialgeschichte der einzelnen Häuser. Über sein inneres
Leben war Neri sehr schweigsam. Es birgt Erweisungen seltener
Gebetskraft, deren kaum zu ertragende Glut das Herz erweitert
hatte; die Augen leuchteten bisweilen wie Sterne, wenn ihn die
Wonne zu überwältigen drohte, so dafs er rief : nicht mehr, {lerr,
nicht mehr! Diese Zustände traten oft plötzlich ein, nachdem er
noch eben mit Kindern gespielt, es den Fröhlichsten gleich ge-
than oder in seiner Zelle durch Scherze alle erheitert hatte.
Ohne innere Störung konnte er selbst eine Heilung mit einem
Zeitaehr. f. K.-O. XVn, 4. 36
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538
NACHRICHTEN.
Witz begleiten. In seiner beichtväterlichen und pädagogischen
Methode sind Scherz und Ernst originell verschmolzen. Statt
durch Geißelung und Fasten mortificiert er gelehrte Eitelkeit
durch Auslachen. Mufste doch Baronius zum allgemeinen Spafs
in einer Riesenflasche ein wenig Wein holen, auf einer Hochzeit
Miserere singen. Andere Jünger hatten den Spott zu provozieren,
indem sie mit Brillen einherstolzierten, das Cilicium über die
Kleider zogen, das Volk zusammenläuteten, das mit Steinwürfen
antwortete. Neri konnte man zur Kirche gehen sehen, das Ba-
rott auf einem Ohr, den Rock umgewendet, von der Strafsenjugend
als alter Gimpel verlacht. Dies als Praservatif gegen geistlichen
Dünkel. Sachten Freunde den Theologen auf, so schützte er sich
gegen Weihrauch durch Sprachschnitzer oder Vorlesen aus einem
albernen Buch. Wer dem Heiligen den Hof machen wollte, ward
mit Witzen regaliert. Capecelatro macht die tiefen Motive dieser
Exzentrizitäten klar. Er will ein treues Bild geben. Mag es
auch etwas stark nach dem heimischen Boden schmecken. Alle
ernaltenen Aussprüche Neris sind verwendet. Der Übersetzer hat
von dem Recht zu kürzen Gebranch gemacht, das ihm der Autor
mit dem Zugeständnis gegeben hatte, der Rahmen sei etwas grofs
geworden durch zu viel asketische und mystische Doktrin und
die ausführliche Berücksichtigung von Ereignissen, die mehr der
ganzen Kirche als dem Leben Neris angehörten.
* S. LeConclave et le „Veto4' des Gouvernements
par L. Lector: l'Universite' catholique T. XV. 1894.
N. 2. 3. 4. Über das Veto der katholischen Mächte im Kon-
klave ist viel Unwahres, Halbwahres, Konfuses ins Blaue hinein
geredet und geschrieben. An rhetorisch doktrinären Übertrei-
bungen der Vorteile für die Regierungen, der Gefahren für die
Kirche liefsen es weder Lob- noch Strafredner fehlen. Im leiden-
schaftlichen Eifer sehen beide Gespenster. Und doch handelt es
um nichts als um ein dreifaches, einmaliges Nein, das das Kon-
klave nicht bindet, ignoriert, weder die Wahl ungültig machen,
noch je zum Schisma führen kann. Hatte Karl V. die Erhebung
Pauls IV. hindern können, obwohl sein Gesandter kein Geheimnis
daraus machte, dafs der Satan eventuell den Vorzug verdiene?
Philipp II. exkludierte einmal 50 Kardinäle, gab sich damit die
Inklusion und Nomination, und doch verdankt die Kirche seiner
Agitation Pius V., Gregor XIII., Sixtus V. Wie brutal tyranni-
sierte der rechte Arm Roms das Konklave 1551. War etwa der
gewählte Pius IV. Philipps Kreatur? Mufste der nicht zu seinem
Verdrufs erfahren : Kommt man hin, um etwas zu erhalten, erhält
man nichts, man bringe denn was hin, und glücklich, wenn man
da noch was erhält? L. Lector, der Pseudonyme Verfasser des
grofsen Werkes: Le Conclave, origines, histoire, Organisation, legis-
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NACH RICHTEN.
559
lation, ancienne et moderne avec un appendice contenant le texte
des bnlles secretes de Pie IX., Paris 1894, 788 p. hat das Thema
eingehend behandelt. Üneingenommen , besonnen, alle Momente
umsichtig erwägend, betrachtet er Ursprung, Entwickelung, Trag-
weite des Veto, die Bedingungen der Ausübung, der Exklusive.
In der Geschichte der Konklaven, von der Bonghi sagte, uner-
meßlich werde ihr Ruf durch Eröffnung der päpstlichen Archive
gewinnen, geht Lector Schritt für Schritt der historischen Aus-
bildung der Rolle der katholischen Mächte bei der Papstwahl nach.
Er charakterisiert rnhige und bewegte Epochen, mutige und
schwache Fürsten, wenig markierte Päpste und imposante Gestalten.
Drei Stufen lieben Rieh ab, Ingerenz, indirekte, geheime, öffentliche,
officielle Exklusive. Es werden die Übergangspunkte scharf prä-
zisiert Der monströse Auswuchs ruft in der geregelten Übung
des Veto das Heilmittel des Übels hervor. An die Stelle der
heimlichen Machinationen tritt im Konklave Pauls V. die offene
Exklusive des 17. Jahrhunderts, aus der die formelle und perem-
torische erwächst. Mit Innocenz XII. erscheint der Begriff des
Veto definitiv und vollständig ausgebildet, das Recht der formellen,
direkten Exklusive durch das Konklave anerkannt. Freilich wird
es nie geschriebenes Recht. Keine Bulle, kein päpstliches Dekret
hat es je erwähnt, verliehen oder bestätigt. Merkwürdigerweise
verliert es die Bedeutung mit der offiziellen Anerkennung und
wird immer seltener geübt: le veto a contribue ä supprimer les
exces coupables et les ingörences odieuses de la politique sans
scrupnle8 et parfois simoniaques. Politiquement il est d'un em-
ploi si delicat et si perilleux ponr les gouvernements , qu'il se
fera sans doute de plus en plus rare. Pratiquement il räpresente
peu de chose: uvantages mesquins pour les gouvernements et
minces inconvenients pour l'Eglise lautet das Schlufsurteil. Viel
Charakteristisches wird aus den Konklaven Benedikts XIV., Leos XII.,
Pius VIII., Gregors XVI., Pius IX. mitgeteilt.
C. A. Wittens.
* 4« Notizie e documenti della chiesa Pinerolese, raecolta
compnsta da Pietro Caffaro. I Pinerolo 1893. Der Ver-
fasser, Professor der Dogmatik und Kanonikus in Pinerolo, sam-
melt mit teil weiser Beihilfe seines Bruders, des Professors Albino
Caffaro, die auf die Geschichte des Sprengeis bezüglichen Nach-
richten. Was Franzosen und Italiener darüber geschrieben haben,
ist herangezogen. An handschriftlichen Quellen sind aufser denen
einiger naher Bibliotheken und Archive besonders Archivalien aus
dem bischöflichen Stiftsarchiv benutzt worden. Wird es auch ge-
legentlich fühlbar, dafs der Verfasser nicht Fachmann ist, und
ferner, dafs ein Mitglied des Kapitels für die Geschichte seines
36*
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560
NACHRICHTEN.
Sprengel« nicht immer einen unbefangenen Beurteiler abgeben
kann, so sind das doch nicht allzusehr zn betonende Mängel an
diesem im großen und ganzen gründlich gearbeiteten Sammelbuch.
Der erste Band Tun fast 700 Seiten behandelt die Geschichte:
1) der wohl 1064 gegründeten Marienabtei zn Pinerolo, die
seit 1433 nur Kommendataräbte, darunter manch einen Kardinal,
gehabt bat; 2) der Probstei Oolx und 3) des aus beiden und
einem Stück des Erzbistums Turin (1748) erwachsenen Bistums
Pinerolo. Der zweite Band soll handeln von dem Kapitel, den
Kirchen und den „frommen" Anstalten in Pinerolo, der letate
von den Pfarreien des Sprengeis und den Nichtkatholiken, näm-
lich von Waldensern, Juden und Freimaurern. Das Vorkommen
der Waldenser in einigen Thälern des Sprengeis verleiht der vor-
liegenden Veröffentlichung ein besonderes Interesse. — „Und
Urkunden" — hoffentlich werden die folgenden Bände diesem
Teile des Titels mehr entsprechen, als der erste Band.
* 5. Federigo di Montefeltro, dnca di Urbino. Cronaca di
Giov. Santi. Nach dem cod. Vat. Ottob. 1305 zum erstenmale
herausgegeben von Dr. Heinrich Holtzinger, Professor der
Kunstgeschichte .... zu Hannover. Stuttgart 1893. Der Dichter,
Raphaels Vater, hat diese den kriegerischen Herzog von Urbino
verherrlichende Beimcbronik (Über 20000 Verse) dem auch von
ihm gemalten Sohne seines Helden, dem Herzog Guidobaldo, ge-
widmet, aber wohl schwerlich noch überreicht, wie sein Hand-
exemplar, eben der vatikanische Kodex, vermuten läfst Nachdem
das Werk schon durch mancherlei Proben bekannt geworden war,
hat nun Holtzinger die von ihm bereits 1886 angekündigte, übri-
gens vorher von August Schmarsow geplante Ausgabe geleistet.
Santi hat, soweit durch andernorts erhaltene Brachstücke seiner
Vorlage eine Prüfung ermöglicht ist, äufserst gewissenhaft das
zur Zeit als verloren geltende, indes wahrscheinlich noch in der
vatikanischen Urhandschrift 1 (Angabe des Reposati, Deila zecca di
Gubbio, I S. 142 Anm.) vorhandene Werk des herzoglichen Se-
kretärs Paltroni benutzt. So kann die Reimchronik im ganzen als
geschichtlich treu gelten. Diese ihre geschichtliche Treue ist gröfser
als ihr dichterischer Wert, der — abgesehen von der freilich auch
nicht durchweg auf eigener Konzeption beruhenden Eingangsvision
und manchen einzelnen Schönheiten — recht gering ist. Der
Hauptwert der Schrift liegt darin, dafs wir durch sie einen Ein-
blick gewinnen in die Persönlichkeit des Giov. Santi und den Ein-
flufs ermessen können, den der ernst-sittlich und sinnig-religiös
gestimmte Vater, in dessen Hause neben der Malerei Dichtkunst
und Geschichte heimisch waren, auf den Sohn ausgeübt hat. —
1) Die Antwort auf eine Anfrage in Rom steht noch aus.
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NACHRICHTEN.
561
Zu tadeln ist, dafs der Herausgeber sich sklavisch genau an die
Urschrift gehalten hat Eine im ganzen buchstäblich genaue
Wiedergabe mag bei nationalsprachlichen Qaellen dieser Zeit iu
der That angezeigt sein. Aber offenkundige Verschreibnisse, wie
Cristofaro zu buchen, ist zwecklos. Wozu soll man der willkür-
lichen Schreibung mit grofsen und kleinen Anfangsbuchstaben fol-
gen? Wozu der möglichst thörichten Interpunktion des Schrei-
bers? Holtzinger selbst sagt von dieser: „Sie fehlt durchgängig
und, wo sie angebracht wird, steht sie meistens am verkehrten
Ort."
6. Kevue historique LIII (1893, Bd. 3), S. 1 — 28. Eugen
Müntz: lesentiment religieux en Italie pendant le sei-
zieme siecle, eine interessante Studie, doch nicht von der weit-
tragenden Bedeutung, welche der Titel annehmen läfst In Kürze
erörtert Müntz, welche Stellung die Kirche in Italien den Äufse-
rungen reformatorischer Ideen gegenüber und zur Kunst eingenom-
men hat Ferner zeigt er au zwei klassischen Beispielen — Lio-
nardo da Vinoi und Michel Angelo — , wie verschieden sich die
Kunst in ihren vornehmsten Vertretern zu Religion und Kirche
verhielt Hier bewegt sich Müntz auf ihm wohl vertrauten Gebiet,
wie er selbst sagt: seiner Domäne.
7. Von de Leva's storia documentata di Carlo V
in correlazione all' Italia ist der fünfte Band erschienen, der
•die Zeit vom Interim bis zum Passauer Vertrage behandelt. Bo-
logna, Zanichelli, 1894. 497 S.
8. Th. von Sickel hat in den Mitteilungen des Instituts
für österreichische Geschichtsforschung XIV, 1893, S. 537 — 588
ein Buolo di famiglia des Papstes Pius IV. veröffent-
licht Die höchst dankenswerte ausführliche Einleitung macht auf
die eigenartigen Schwierigkeiten, welche diese Buoli, die Listen
der päpstlichen Haushaltsfamilie, dem Forscher bieten, aufmerk-
sam. So ist die Feststellung der durch die Thronwechsel her-
beigeführten Verschiebungen der Papstfamilien sehr schwierig; nur
vorbehaltlich giebt Sickel z. B. an, dafs Pius IV. etwa den zehnten,
Pius V. etwa den sechsten Teil der Familie des Vorgängers bei-
behielt Anhangsweise stellt Sickel die von ihm gesammelten
Notizen zur Geschichte der Sekretariate und der Bibliothek zu-
sammen. — Die Ruoli, über welche das in Deutschland wenig
bekannte Dizionario di erudizione storico-ecclesiastica von Gaetano
Moroni manche Nachrichten enthält, werden aufbewahrt in der
Computisteria, welche zu den Amtern der Amministrazione pala-
tina gehört, deren Akten geheim gehalten werden. Sickel, zu
dessen Gunsten — er konnte Buoli von Julius III., Paul IV.,
Pius IV., Pius V. und Sixtus V. einsehen — eine Ausnahme ge-
macht wurde, befürwortet ihre Überführung in das päpstliche
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NACHRICHTEN.
Geheimarchiv, welches unter dem gegenwärtigen Papste bekannt-
lich der historischen Forschung zugänglich ist.
9. Michele de Montaigne: giornale del viaggio
in Italia nel 1580 e 1581, zwar schon früher gedruckt, doch
höchst selten geworden, neu herausgegeben von Alessandro
d* Anco na, in zweiter Auflage Cittä di Castello, S. Lapi, 1895.
Preis: 1. 10. — Dieses teils französisch, teils italienisch geschrie-
bene Tagebuch, dem eine bis an unser Jahrhundert herangeführte
bibliographische Zusammenstellung der ausländischen Beisel itteratur
über Italien und jetzt ein auch besonders zu beziehendes (1. 1)
alphabetisches Inhaltsverzeichnis beigegeben sind, ist eine wichtige
Quelle für die Kenntnis italienischen Lebens im letzten Drittel des
sechzehnten Jahrhunderts. Als Beispiele interessanter Einzelheiten
seien angeführt die Audienz beim Papste (S. 212) und die Zensur
der „essais" des Montaigne. Lehrreich sind insbesondere die Mit-
teilungen über das gesellige Leben, auch über seine Nachtseiten.
10. Annibale Borne i, gentiluomo ferrarese: Ferrara e
la Corte Estense nella secouda meta del secolo XVI, discorsi
di , herausgegeben von A. Solerti, Civitä di Castello,
S. Lapi, 1895. Preis: 1. 7.
* 11. Luigi Staffetti: il cardinale Innocenzo Cybo
. . . . mit Bildnis . . ., Florenz, Le Monnier Nachfolger, 1894.
Preis: 1. 4. — Staffetti, der bereits in früheren Arbeiten mit der
Geschichte der Cybo sich beschäftigt hat, liefert auf Grund seiner Stu-
dien in den Archiven zu Bologna, Florenz, Genua, Mantua, Massa,
Modena und Venedig eine peinlich sorgfaltige, freilich mit manchem
überflüssigen Kleinkram beladene Lebensbeschreibung eines welt-
licheu Durchschnittskardinals , der doch wiederholt Kandidat bei
Papstwahlen war. Anno 1491 als Enkel des Papstes Innocenz' V1IL
geboren, wurde er als der Neffe Leos X. in sehr jugendlichem
Alter Kardinal. Von Interesse ist seine politische Thätigkeit
während der italienischen Wirren der zwanziger und dreifeiger
Jahre, zumal seine Beziehungen zu Florenz, zu den Medici und
zu Guicciardini. Er starb bald nach der durch ihn erfolgten Kon-
sekration Julius* III. (1550). In seinem Testament sind seine
vier Kinder bedacht, zwei zu diesem Zwecke legitimierte Söhne
und zwei Töchter. Charakteristisch ist die Bemerkung in den
Familienerinnerungen der Cybo: „Mit dem Tode des Kardinals Cybo
verlor die Familie mehr als 35000 scudi Einkommen". Das
beigegebene Bild stammt aus der Galleria degli Uffizi in Florenz.
12. Im Ntiovo Archivio Veneto 1893 VI 1. (3. Jahrgang)
giebt Gaetano Capasso einige Nachrichten über die Erhe-
bung des P. Bembo zum Kardinal (1538/39) auf Grund
von parmeser und venetianischen Archivalien.
13. Athanasius Zimmermann hat das Leben des Kar-
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NACHRICHTEN.
563
dinals Reginald Pole beschrieben, Regensburg 1893. Preis:
Mk. 3. 60. (Hist. Jahrb. d. Görres-Ges. 1894, S. 166.)
14. Giov. Grill, fattori dei movimenti riforma-
tori italiani nel secolo XVI. Rostocker Dissertation. Pine-
rolo, tip. sociale, 1893. 114 S. — Es ist die Arbeit eines
mehr in der Litteratur als in den Quellen belesenen italienischen
Protestanten, dessen religiöse Überzeugung und Vaterlandsliebe
in glühenden Worten zum Ausdruck kommen.
15. In dem mir zur Zeit nicht zugänglichen Archivio della
B. Societa romana di storie patria XV 1892/93 hat Fontana
150 Aktenstücke abgedruckt, welche die evangelische Be-
wegung in Italien während der Jahre 1524 — 1570 betreffen.
16. Das vorzüglich für die moderne Geschichte wichtige
Werk des verstorbenen Luigi Amabile über die In quisition
in Neapel bat Hermann Haupt in Baud XV dieser Zeitschrift
S. 441 ff. angezeigt. — In der nächsten Zeit darf man vielleicht
eine gründliche Darstellung der reformatorischen Bewegung
in Neapel erwarten; denn die im Jahre 1890 von der Societa
reale di Napoli (Accademiadiscienze politiche) ausgeschriebene Preis-
arbeit über das Thema „II movimento della riforma religiosa nelle
provincie napoletane nel secolo XVI" war im vorigen Jahre fallig. —
Memorie della famiglia Caracciolo. Neapel, Giannini, 1893 f.
17. Die seit 1890 von der R. Accademia dei Rozzi heraus-
gegebene Biblioteca popolare senese dei secolo XVI
enthält möglicherweise wichtige Neudrucke.
18. Ochinos Gespräch von des Papsttums Entste-
hung und Fall ist von seinem klassischen Biographen Karl
Benrath verdeutscht worden. Halle, Strien, 1893. Preis Mk. 1. 20.
(Vorher in Beyschlags deutsch-evangelischen Blättern.)
* 19. Eugen Burnat: Lelio Socio; Vevey, Gebr. Klaus-
felder, 1894. 92 S. — Eine mit Sachkenntnis und innigem Ver-
ständnis für das Wesen und Wollen dieses allzeit fragenden Zweif-
lers geschriebene Biographie. Drei nicht eben sonderlich belang-
reiche Briefe des Lelio Sozini, einer an Ambrosius Moibanus (vgl.
P. Konrad: Ambrosius Moibanus, S. 77) und zwei an Crato von
Kraftheim sind nach den Urschriften der Breslauer Stadtbibliothek
abgedruckt; im ganzen richtig, nur im letzten Briefe ändert Burnat
ohne Grund: vir dignissimus, qui ab indignis tractatur indigne,
während dasteht: vir i n dignissimus, qui ab indignis tractetur in-
digne S. 84 heifst es versehentlich: duc Christian statt: Christophe.
20. Bart. Fontana verdankt man eine neue nach Mate-
rialien der Hausarchive der Eiste, der Medici und der Gonzaga
sowie des vatikanischen Archivs gearbeitete Biographie der Her-
zogin Renata von Ferrara. Rom, Forzani, 1893. XVI und
584 S., mit Bildnis. Preis: 1. 10. — Betreffs des Aufenthaltes
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564
NACHRICHTEN.
Calvins vgl. diese Zeitschrift 1894, XIV, 467. — In der deut-
schen Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Quidde) IX (1893) 1,
S. 203 — 222 beantwortet C. A. Cornelius die Frage, welchen
Erfolg Calvins Besuch in Ferrara gehabt haben könne,
indem er nach Fontanas Forschungen die Lage der Dinge am
Hofe schildert, die damals für einen etwaigen Einflufs Calvins so
ungünstig wie möglich war.
21. D. Tordi: Vittoria Colonna ... supplemento
al carteggio, eine Ergänzung zu ihrem (Turin 1890) von
Ferrero und Gins. Müller herausgegebenen Briefwechsel (vgl. diese
Zeitschrift 1892, XII, 569), angezeigt 1893 im Archivio storico
per le provincie Napoletane. — Über die Bildnisse der Vittoria
Colonna einige feine Bemerkungen in dem unter 6 angeführten
Aufsatze (S. 25) von Eugen Müntz.
2t. Von Professor Biagio Brugi wird ein Werk vorbe-
reitet über Padua als Juristenuniversität im sechzehnten Jahr-
hundert. Ein Vorläufer davon ist ein zuerst in den Atti del R.
Institute Veneto di scienze, lettere ed arti LH (V der 7. Folge)
1893/94 S. 1015—1033, dann auch besonders (bei Ferrari 1894)
erschienener Aufsatz: gli studenti tedeschi e la S. Inquisizione a
Padova nella seconda metä del secolo XVI, worin Auskunft ge-
geben wird über die Behelligungen, denen die deutschen Studenten
in Padua damals vonseiten der kirchlichen Behörden ausgesetzt
waren. Von den in dem halben Jahrhundert von 1550 bis 1599
eingeschriebenen deutschen Studenten, nämlich fast 5100 Juristen
und fast 1000 Artisten, waren nur verschwindend wenige nach
dem Ausdruck der Universitätsakten „pontificii". Im Interesse
des Besuches ihrer Universität aber nahm die Republik Venedig
eine durchaus mafsvolle Haltung in dieser Sache ein. Wie Sarpi
später riet, so handelte man: Jeder wurde für einen Katholiken
gehalten, von dem nicht das Gegenteil feststand.
23. Gaetano Capasso: nuovi documenti Verge-
riani, estrntto dal vol. IV. dell' Archivio storico per Trieste,
Vlstria e il Trentino, Verona, Franchini, 1894. Quelle: Staats-
archiv in Parma; vgl. Nontiaturberichte I ed. Friedensburg, die
Mitteilungen am Schlüsse. — Bald danach hat Professor R o -
dolfo Renier im Giornale storico della letteratnra italiana
XXIV, 452 ff. zwei Briefe des Kardinals Ercole Gonzaga an Ver-
gerio veröffentlicht aus einem einst dem Historiker Ireneo Affo
gehörigen Kodex der Biblioteca Palatina in Parma, welcher Ab-
schriften enthält von Originalen der Bibliothek Barberini. Der
erste Brief vom Oktober 1545 bespricht Vergerios damalige lit-
terarische Arbeiten; der zweite, vom August 1546, wirft ein
Schlaglicht auf das zuweilen sehr unkluge Benehmen des Bischofs
Von Capodistria,
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NACHRICHTEN.
565
24. Im Archeografo Triestino XIII, fasc. 2 (Triest, Caprin,
1893) findet sich ein Lebensbild des Giorolamo Mntio von Pro-
fessor Aless. Morpurgo (32 S.), das auf selbständigen Studien be-
ruht Mntio ist bekannt dnrch seine Fehden wider Männer der
Reformation, so Ochino, Bullinger u. a, besonders aber seinen
Landsmann Vergerio, mit welchem er einig war nur in der Liebe
zu seinem Vaterlande und zn seiner Muttersprache, nm die er sich
dnrch die Schrift „Battaglie per difesa deir italica lingua" ver-
dient gemacht hat. Morpurgo zieht die Schreibung Muzio der
anderen Mntio vor, welche jedoch Mutio selbst in Werken und
Briefen anwendet — Von dem Professor Albino Zenatti ist
die Heransgabe des Briefwechsels Mutios zu erwarten.
25. Battisteila: II S. Officio e la riforma reli-
giosa in Friuli. üdine, Gambierasi, 1895.
26. M. Rosi: La riforma religiosa in Lignria e
l'eretico nmbro Bartolommeo Bartoccio. Genova, Sordo-
muti, 1894. 178 S. ; aus den Atti della Societa ligure di storia
patria XXIV. Bartoccio, päpstlicher Unterthan, doch auch Genfer
Bärger, wurde 1569 verbrannt. Rost benutzt besonders Akten
des Staatsarchivs zn Genua. — Derselbe: Le monache nella
vita genovese dal secolo XV al XVII. Atti della Societa
ligure di storia patria XXVII. 1895.
27. In der amtlichen Zeitschrift der R. Accademia araldica
italiana, dem Giornale araldico genealogico diplomatico, Jahrgang
II der neuen Folge 1893 IV, 8 handelt Ad. Gautier von Gen-
fer Familien italienischen Ursprungs, von denen sehr
viele ans Lucca stammen.
28« Ireneo Sanesi: il cinquecentista Ortensio Lando
(1512— [1553]), Pistoia, Gebr. Bracali, 1893; angezeigt Arch.
stör. ital. 1894, XIII, 198 ff.
29. In italienischen Fachzeitschriften werden den beiden im
vorigen Jahre verstorbenen Historikern, die sich auch anf dem Ge-
biete, dessen Kenntnis diese Nachrichten dienen, bethätigt haben,
anerkennende Nachrufe gewidmet: Isidore Carini starb in Rom
am 25 Januar, Cesare Cantü in Mailand am 11. März 1895.
* 80. Nur, weil znr Besprechung eingesandt, wird hier ge-
bucht das Schriftchen von Antonino Pennisi Manro: poesie
giovanili Catania, Pansini, 1894. Der Dichter ist in Italien
bekannter als Verfasser des bereits in zweiter Auflage vorliegen-
den Werkes : La rivelazione doli* ente nell' atto del giudizio doli*
ossere suo l. F. Hubert.
1) Mit Rucksicht auf das Eingehen dieses Teiles unserer Zeitschrift
wird darauf verzichtet, die vorstehenden Nachrichten, die vor mehr denn
Jahresfrist niedergeschrieben wurden, weiterzuführen.
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566
NACHRICHTEN.
Spanisches.
Von
C. A. Wüken»,
1. Espagne. Topo - Bibliographie par le Chanoine Ulysse
Chevalier. Montbeliard, Hoffmann, 1895. 37 p. 18. Der Ka-
nonikus Chevalier ist ein Magliabecchi unseres Jahrhunderts. Ein
glänzendes Zeugnis seiner stupenden Bücher- und Handschriften -
künde ist das in den Analecta Bollendiana erschienene Reperto-
rium hymnologicum, Catalogue des Chants, Hymne«, Proses, Se-
quences, Tropes en usage dans TEglise latin depuis les origines
jusqu'ä nos jours T. I A — K N0B 1 — 9935. Louvain 1892.
601 p. T. II L— U bis jetzt N08 9936 — 20 884 und die kri-
tische Ausgabe der in allen Kirchen des Abendlandes gebrauch-
ten Hymnen und Prosen: Poesie litnrgique traditionelle de l'Eglise
catholique en Occident. Paris 1894. LXIII et 288 p. Das Re-
pertoir des sources historiques du moyen age in fünf Banden ist
zum zweiten fortgerückt, Topo-Bibliographie. Montbeliard, Hoffmann,
1894. 528 p. Hatte der erste bio-bibliographische Teil 284G
Spalten, so führen die 3450 Kolumnen des zweiten etwa 250000
Titel von Büchern, Broschüren, Joumalartikeln aus allen Ländern
auf, die Orte, Ereignisse, Sitten, Institutionen, Künste, Litteratur
des Mittelalters betreffen. Chevalier verdient damit den Dank
aller, denen er durch seine wichtige Leistung im Gebiete der
historischen Hilfswissenschaften, die einschlägigen Studien erleich-
tert Man erstaunt ebenso sehr über die unglaubliche Summe
der der Erforschung des Mittelalters bereits gewidmeten Arbeit,
wie über die Geduld, den Spürsinn, die Sorgfalt, womit der Autor
dieses Gut inventiert bat. Für Spanien waren die betreffenden
Schriften sehr schwer aufzufinden, und man wird daher den Sonder-
abdruck der dieses Land behandelnden Topo-Bibliographie will-
kommen heifsen.
2. Die zu 51 Bänden angewachsene Espana Sagrada
des Augustiners Fray Enrique Florez hat selbst eine interessante
Geschichte. Einen wichtigen Teil derselben erzählte 1780 Fray
Francisco Mendez in den Noticias sobre la vida, escritos y viajes
del reverendisimo P. Maestro F. E. Florez. Diese Schrift liefs
die Akademie der Geschichte 1860 sehr bereichert erscheinen,
nachdem Pedro Sainz de Baranda im 22. Bande der Coleccion
de documentos in&Htos para la Historia de Espana 1852 den
Schlüssel zur Espana Sagrade publiziert hatte. Mit diesem Ge-
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NACHRICHTEN.
567
lehrten waren seit 1850 Carlos Bamon Fort, Jaan Manuel Mont-
alban, Vicente de la Fuente für die Fortsetzung des grofsen
Werkes thätig. Ihren Beriebt an die Akademie über gelehrte
Reisen nach Barbastro, Barcelona, Gerona, Vick, über die Resultate
der Forschungen in den Archiven von Tarazona, Verucla, Tudela
teilt das Boletin T. XXIV, p. 200 f. 1894 mit, wobei die Lei-
stnngen von Florez und Bisco gewürdigt werden.
3. Handschri ftenschätze Spaniens. Bericht über
eine im Auftrage der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften
in den Jahren 1886 — 1888 durchgeführte Forschungsreise von
Dr. Rudolf Beer, Amanuensis der k. k. Hofbibliothek. Wien
1894. In Kommission bei F. Tempsky. 755 S. 8°. Wie ent-
wickelte sieb das Schrifttum Spaniens im Mittelalter? Welche
biblische, patristische, klassische Kodices treten besonders hervor?
Wer veranlafste, schrieb, besafs, sammelte, katalogisierte sie?
Wo befinden sie sich? Welche Wirkungen übten sie? Welche
Schicksale haben sie erlebt? Wo sind sie jetzt? Wo finden sich
handschriftliche, wo gedruckte Nachrichten über sie? Welche
Aufgabe hat die Handschriftenkunde Spaniens noch zu lösen ? Die
Beantwortung dieser Fragen bieten die Handschriftenschatze, die
Frucht zehnjähriger Arbeit. Für die Wichtigkeit des Themas
spricht, dafs seit 300 Jahren etwa 60 spanische, französische,
italienische, deutsche, englische, dänische Gelehrte es nach ein-
zelnen Seiten in Angriff nahmen. Anlafs boten Bibelstudium,
Patristik, Kirchen- und Konziliengeschicbte, Liturgik, kanonisches
und Zivilrecht, europäische, spanische und Literaturgeschichte,
klassische und romanische Philologie, Diplomatik, Paläographie,
Bibliologie, Archivs- und Bibliothekswissenschaft. Guiaeppe Va-
lentinelli, Delle biblioteche della Spagna 1860, Jules Tailhan,
Les bibliotheques espagnoles du haut moyen-äge 1877. Charles
Graux, Essai sur les origines du fonds giec de l'Escorial 1880.
Isidoro Carini, Gli Archivi e le Biblioteche di Spagna 1885 hatten
auf dem Felde geerntet. Dafs Beer sich ihnen anschliefsend sie
weit überbieten konnte, veranlafste dio Wiener Akademie. Sie
bestimmte ihn zum Fortsetzer der von Loewe- Härtel begonnenen
Bibliotheca patrum latinorum Hispaniensis T. I 1877. Er erhielt
den Auftrag, im Osten und Norden Spaniens die bisher minder
berücksichtigten Handschriften bestände der Bibliotheken und Ar-
chive möglichst umfassend zu durchforschen, dio vorzüglichsten
Manuskripte der patristischen und klassischen Autoren zu be-
schreiben, ohne wichtiges Material aus anderen Disziplinen zu
übersehen, und einen Überblick über das gesamte Schrifttum des
mittelalterlichen Spaniens zn geben mit Berücksichtigung der
Leistungen aller früheren Forscher. Den ehren- und mühevollen
Auftrag hat der Verfasser, ein tüchtiger Philolog und Paläograph,
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f)G8
NACHRICHTEN.
in einer Weise gelöst, die ihm von allen Seiten einstimmiges Lob
erwarb. Während eines zweijährigen Aufenthaltes in Spanien
hat er, gefördert von der Königin-Regentin, vom Nuntius, von
Bischöfen, Domherren, Klöstern, Akademien und Gelehrten, wich-
tige Funde gemacht, lange vergeblich Gesachtes entdeckt, ver-
kannte Schätze den Besitzern enthüllt, an wiederholt durchsuchten
Stätten ertragreiche Nachlesen gehalten, 2000 Handschriften an
80 Fundorten untersucht Die Einleitung bespricht Plan, Ten-
denz und Nutzen des Werkes, charakterisiert die Perioden des
Handschriftenwesons der pyrenäischen Halbinsel und würdigt die
Verdienste der Vorgänger. Dann werden in alphabetischer Reihen-
folge 614 Archive und Bibliotheken — darunter 231 nicht mehr
existierende — behandelt. Sind Über die Manuskripte einer erz-
bischöflichen, bischöflichen, Kathedral-, Kapitel-, Kirchen-, Sa-
kristei-, Kloster-, Templer-, Bruderschafts-, Universität-, Fakul-
tät«-, Akademie-, Provinzial-, National-Bibliothek nur wenige Nach-
richten erhalten, so werden die urkundlichen Zeugnisse, chrono-
logisch geordnet ipsissimis verbis, auch sehr wichtige, uralte Ka-
taloge vollständig gegeben. Liegt ein durch Jahrhunderte rei-
chendes, handschriftliches oder gedrucktes Informationsmaterial an
Verzeichnissen vor, dann erhält man darüber die genaueste, auf
Autopsie ruhende Belehrung. 62 Artikel sind den handschrift-
lichen Katalogen der Escorialkodices gewidmet, 140 Autoren er-
scheinen in der Rubrik: Druckwerke über die Escorialensia. Die
69 Bibliotheken Madrids S. 278 — 350 veranlassen 260 littera-
risch-bibliograpbische Nacbweisungen. Tabellen verzeichnen 234
datierte Handschriften vom 8. bis 16. Jahrhundert, deren Schreiber
und Illuminatoren und 243 Miniaturkodices. Alles ist in Be-
tracht gezogen. Genesis, Dotirung, Bestände, Anordnung, Erhal-
tung, Verwaltung der Sammlungen, Schenkungen, Vermächtnisse,
Käufe, Verkäufe, Tausche, Entlehnungen, Vermerke, Subskriptionen.
Diese Punkte sind mit einer Genauigkeit erwogen, wie sie etwa
Böckh der Metrik Pindars, Ritsehl dem Texte des Plautus wid-
mete. Nicht nur die ganze aufser Spanien unerreichbare Spetial-
litteratur ist benutzt, auch die 200000 Seiten der Espana Sa-
grada, die 22 Bände von Villanuevas Viaje literario, Monogra-
phien über Städte, Kirchen, Klöster, Altertümer. Viel Wissens-
wertes erfahrt man über die Bibliophilie Isidors von Sevilla und
Philipps II., über die Pflege der Kalligraphie in Klöstern wie
Silos, über die Zerstörung lange gehüteter Schätze durch Revo-
lution- und Bürgerkriege, Diebstähle und Verschleuderungen.
Wie Carini hunderte unbekannter Urkunden zur Geschichte Sici-
liens aufTand, so stiefs Beer im Kathedralarchiv von Leon auf
eine Menge von Bullen, Dekrotalen , die niemand je benutzt hat.
Er rekonstruiert die Sammlung westgotischer Handschriften in
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NACHRICHTEN.
569
Oviedo, von denen sich dort keine einzige mehr befindet. Eine
solche Einleitung zu dem nächstens erscheinenden zweiten Bande
der Bibliothek bezeugt, dafs der Verfasser mit gutem Recht Mit-
glied ?on drei spanischen Akademien und Besitzer ebenso vieler
spanischer Orden ist.
4. Im Boletin de la Academia Beal de la 'Historia T. XXIV,
1894, p. 215—236. T. XXV, 1894 p. 299—342; 449—475
teilt Fidel Fita y Colome* Akten und sonstige Dokumente zur
Geschichte der unbekannt gewordenen Nationalkonzilien in
Palencia 1100, Gerona 1101, Carrion 1103, Leon 1107, Sala-
manca 1154, Valladolid 1155 mit. Erläuterungen über Anlafs,
Gang, Folgen der Versammlungen sind beigefügt.
* 5. Histoire de Saint Vincent Fe rri er, apötre de l'Europe
par P. Fages. Paris, Maison de la bonne Presse, 1894. 2 Vol.
X et 354 — CXLII, 450 — CI p. 16°. Wer es einmal unter-
nehmen wird, die Geschichte der Predigt im Italien der Renaissance
zu schreiben, bemerkt L. Pastor, der wird zeigen, dafs die eifrige,
höchst freimütige Verwaltung des Predigtamtes eine der erfreu-
lichsten Erscheinungen dieser Zeit ist, die im übrigen so viele
Schattenseiten aufweist. Gerade hier offenbart sich, dafs ein
neuer, frischer Geist sich im kirchlichen Leben zu regen be-
gann. — Einen wichtigen Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe
liefert der Dominikaner Fages in seiner trotz einiger bibliogra-
phischer Mängel sehr instruktiven Geschichte Vincente Ferrers
von Valencia. In Spanien, Italien, Frankreich, England, Schott-
land, Irland brachte dieser Missionar Unzählige unter den erhe-
benden Einflufs des Wortes Gottes, wie es nicht der Wortmacher,
der Kanzelredner, wie es einzig und allein der Zeuge vermag.
Auf seinen biographischen Forschungsreisen war Fages so glück-
lieb, zwei antographe Predigtsammlungen Ferrers in Toulouse und
Perugia zu entdecken. Bisher meinte man, es seien nur Nach-
schriften erhalten. Der Edition dieses Fundes dient die Histoire
als Einleitung. Sie ruht auf einem grofsen, L. Heller nnbekannt
gebliebenen, urkundlichen Material, das mit vieler Mühe gesam-
melt ist und die ältesten Vitae von Razzano, Videl y Mico,
die Nachrichten Teypidors beträchtlich ergänzt Nichts ist ver-
schmäht, nicht Kanzleierlässe, Missiven, Protokolle vun Munizipal-
ratsverhandlungen, Relationen von Zeitgenossen, Traditionen, Denk-
mäler. Die Menge des zutage geförderten Stoffes hätte, um voll-
ständig verwertet zu werden, statt der zwei vorliegenden Bände
mit den vielen Noten und Preuves vier gefordert. Also ein rei-
cher Ersatz für die bei der Plünderung Roms 1527 vernichteten
Akten des Kaiionisationsprozesses.
6. Die spanische Akademie der Geschichte hat die Publika-
tion eines Werkes von grofsem kirchengeschichtlichen Interesse auf
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570
NACHRICHTEN.
Staatskosten beschlossen, dessen erster Band vorliegt. Ricardo
de Hinajosa, Los despächos de la diplomacia pontificia en Espana.
Memoria de nna mision oficial en el archivo secreto de la
Santa Sede. T. I Madrid 1896. LVIII. 425 p. 4°. Die Ein-
leitung bebandelt die Geschichte der päpstlichen Archive, die
des secreto, seiner Schicksale, Fonds und entwickelt die Bedeu-
tung desselben für Spanien. Dann werden alle Dokumente nam-
haft gemacht, worin sich die Einwirkung der spanischen Krone
auf das Trienter Konzil darstellt. Sie finden sich in 104 Bän-
den Concilio di Trento, in 172 Bänden Varia Politicornm, in
7000 Bänden und Cartons des Archivio di Segretaria di Stato.
Das estudio preliminar zu den Nuntiaturberichten verbreitet sich
über Entstehung, Entwicklung, Bedeutung des Nuntien wesens,
über Stellang und Wirkungskreis der Kardinalstaatssekretäre,
über die charakteristischen Züge der päpstlichen Diplomatie, den
Wert der Depeschen, die Errichtung ständiger spanischer Nun-
tiaturen. Hinajosa hat den Gegenstand in den öffentlichen und
Privatbibliotheken und Archiven Italiens weiter verfolgt, in der
Casanata, der Angelica, der Barberina, der Corsina, der Chigiana,
in der Ambrosiana. Das Florentiner Staatsarchiv wurde wegen
der Depeschen unter Leo X. untersucht. Neapel und Parma
boten die Dokumoute gleichen Charakters unter Paul III., wäh-
rend die einst den ßorghese gehörende diplomatische Korrespon-
denz unter Clemens VIII., Leo XI., Paul V., durch Leo XHI.
für das vatikanische Archiv erworben, dort zu benutzen war. Je
nach der Wichtigkeit des Gegenstandes giobt Hinajosa längere
oder kürzere Auszüge aus den Instruktionen der Nuntien und
Legaten und aus den Depeschen der aufserordentlichen Gesandten
beider Kategorien von Julius II. an bis Ende des 18. Jahrhun-
dert«. Fehlen diese Schriftstücke, so entnimmt der Bearbeiter
die Information über Mission und Negotiationen den Depeschen
der nuncios ordinarios. Er prüft die Korrespondenz der 68 seit
300 Jahren in Spanien thätigen Nuntien, der Auditoren, Fiskale,
Abbreviatoren , die bisweilen Parallelberichte zweiten Banges er-
statten mufsten. Man erkennt, dafs das päpstliche Archiv für
die neuere Geschichte eine nicht minder reiche Fundgrube ist wie
für die des Mittelalters. Enthält es doch Nunziature el Legazioni
6000 Bände, Lettere dei Cardinali 158 Bände, Lettere de' Vescovi
e Prelati 230 Bände, Lettere de1 Principi e Titolati 210 Bände,
Lettere de* Particolari 223 Bände, Lettere de' Soldati 179, Mis-
cellanea 250 Bände. Alle Spanien betreffenden Stücke dieser im
Archivio di Segretario di Stato befindlichen Sammlungen hat der
Verfasser geprüft und nötigenfalls verzeichnet.
7. Aus Anlafs der Seligsprechung Juans de Avila ist
die Vida por el Venerable Padre Maestro Fray Luis de Granada,
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NACHRICHTEN.
571
neu gedruckt Madrid 1894. 172 p. 8°. Agustin Catalan y La-
torre, El beato Juan de Avila, su vida y sus escritos y la lite-
ratnra mistica en Espana. Zaragoza 1894. 203 p. 8°, und
J. B. Coudere S. J., Le bienheureux Jean d'Avila 1500 — 1569.
Paris 1894. 140 p. 8° schöpfen aus Granada, Oddi, Muixoz,
Montana; Jimenez de la Llave publiziert Tnedila im Boletin de
la Academia Real de la Historia. T. XXIV. 1894.
8. Es war zu erwarten, dafs die Publikation der Briefe
Loyola' s auf die Biographieen desselben einen bedeutenden Ein-
flufs üben werde. Er stellt sich in Bearbeitungen älterer Werke
dar und in neuen Arbeiten. In der Weise der Acta Sanctorum
stattete Ch. Clair S. J. Rihadeneiras Vida mit einem historisch-
kritischen Kommentar aus: La Vie de Saint Ignace de Loyola.
Paris 1891. IV et 459 p. 8°. L. Michel S. J. hat die alte
französische Übersetzung von Daniel Bartolis auf guten Quellen-
studien ruhendem Buche verbessert und bereichert: Histoire de
Saint Ignace de Loyola dapres les documents originanx. Tra-
duction revue, completoe, annotee et enrichie de Documents in-
edits. Paris 1893. 2 Vol. XV et 424 p. 450 p. 8°. Cristof
GenolH hatte für seiue sehr sorgfaltig gearbeitete Biographie das
Ordensarchiv benutzen dürfen, V. Kolbs Bearbeitung beseitigt
die formellen und bibliographischen Mängel: Leben des H. Igna-
tius von Loyola in neuer Bearbeitung. Wien 1894. XVI und
404 S. 8°. W. von Nieuwenhoff läfst Kritik des Legendarischen
vermissen: Leben van den H. Ignatius van Loyola. Amster-
dam 1892. 2 D. VIII. 405 S. 611 S. 8° wie Stewart Rose:
St Ignatius Loyola and the early Jesuits. London 1891. XV
632 p. 8°. Emilio Castelars frivole Mifshandlung der Geschichte
Loyolas hat die verdiente Strafe erhalten in San Ignacio segum Ca-
stelar. Genialidades por J. M. y S. A. J. Bilbao 1892. 276 p. 8°.
9. Die Vida del angelico protector de la juventud San Luis
Gonzaga. Madrid 1892. 340 p. 8° von Federico Gervos
hat die Bücher von Plati, Janning, Maineri, Cassani, Pruvot, Nar-
bonne, Nannesini, die Arbeiten Fitas, die von Jozzi edirten, später
aufgefundenen Briefe und sonstiges bei dem dritten Centenarium
zutage gefördertes Material verwertet. Schroeder S. J. vervoll-
ständigt Ceparis Vita aus den Kanonisationsakten auch topogra-
phisch und genealogisch: Vita de San Luigi Gonzaga. Einsiedeln
1891. XXVIH et 414 p. 8°.
* 10. Santa Teresa. Being some account of her Life
and Times with some pages of the last great Reform of the re-
ligious Orders by Gabriela Cunningham Graham. London,
A & C. Black, 1894. 2 Vols. 910 p. 8°. Am 17. Oktober 1878
antwortete Leo XIII. den spanischen Pilgern, die ihm als romeria
de Santa Teresa vorgestellt wurden: Diese erhabene Frau, eure
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572
NACHRICHTEN.
Mitbürgerin, mit Recht der Seraph des Karmel genannt, wufcter
begabt mit edlen, hochstrebenden Geisteskräften, bevorzugt durch
seltene Intelligenz, zur Ehre Gottes die großartigsten Pläne zu
fassen, sie mit seltener Willenskraft und unüberwindlichem Hut,
inmitten der gröfsten Schwierigkeiten und im erbittertsten Kriege,
den ihre Feinde gegen sie führten, in Thaten zu übersetzen. —
Der päpstliche Lobspruch fand einen vielstimmigen Widerhall bei
der Feier des dritten Centenariums des Todes der Madre serafica
de Espana 1882. Auch in der Litteratur zog das Ereignis Kreise,
indem es den Neudruck älterer Arbeiten und neue Schriften ver-
anlafste. Der genaueste Kenner des Gebietes, Vicente de la Fnente,
hatte seit 1861 für Ribadeneyras Biblioteca de Autores Espanoles
T. 53. 54. 55 Teresas Werke bearbeitet. 1881 liefs er in sechs
Bänden die Obras de Santa Teresa de Jesus erscheinen, Novisima
edicion corregida y aumentada conforme a les originales y ä las
ultimas revisiones y con notas aclaratorias. Madrid. I: XX et
550 p., II: XX et 350 p., III: LIV et 308 p., IV: LI et 432 p.,
V: 434 p., VI: 432 p. Die unechten Briefe sind hier aus-
geschieden, auf denen die Annahme einer Gefangenschaft Teresas
ruht. Dieselbe ist ebenso grundlos wie die so oft wiederholte
Behauptung eines Iuquisitionsprozesses gegen die künftige Patronin
Spaniens. Er hat nie stattgefunden. Das Officium prüfte nur
eine Schrift der Heiligen, freilich nahm es sich dazu fünf Jahre
Zeit. Unter de la Fuentes Leitung war die Autobiographie nach
dem Autograph des Escorial phototypographisch 1844 erschienen
Vida de S. T. d. J. Madrid. III et 415 und 204 p. 1882 folgte
eine neue Ausgabe desselben Werkes con un prologo general,
Madrid. XX et 570 p. Den Libro de les fundaciones de sn
reformacion edirte derselbe Gelehrte conforme al original auto-
grafo mit Anmerkungen. Madrid 1882. 424 p. 1884 begann
er die photolitographische Reproduktion der 728 Briefe. Die
Biographieen vermehrte er durch Herausgabe der neu entdeckten
Vida de S. T. d. J. por el Maestro Julian de Avila primer ca~
pellan de la Santa. Obra inedita, anotada y adicionada. Madrid
1881. XXIV et 392 p. Kaiserin Maria, Schwester Philipps II.,
hatte von dem ersten Herausgeber der Werke Teresas, Fray Lais
de Leon, eine ähnliche Arbeit gewünscht Nur ein Bruchstück
kam zustande. Es erschien 1886: Vida de S. T. d. J. por
Fr. Luis de Leon Manuscrito ine*dito in der Revista Agnstiniana
La Cindad de Dios. Unter den alten Lebensbeschreibungen von
Francisco de Ribera 1590, Diego de Yepes 1599, Juan de Jesus
Maria 1605, Sebastiano la Parra 1609, Geronimo Gracian 1611,
Eusebio Nieremberg 1630, Miguel de Lanuza 1657, Antonio de
San Joaquin 1733 — 1766, wnrden nur die Werke Nierembergs
1883 nnd Yepes' wiedergedruckt Barcelona 1887. 2 T. 241 p.
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NACHRICHTEN.
673
et 245 p. Zu J. Vandermoeres Vita vitarum im 7. Oktoberbande
der Acta Sanctorum, die alle früheren Arbeiten antiquiert, indem
sie das Wichtige derselben zusammenfafst, können als Nachtrage
gelten: S. T. d. J. Ensayo critico por el conde de Vinaza. Ma-
drid 1882. 174 p., Paulino Alvarez, Santa Teresa y el Padre
Banez. Madrid 1882, Jose* Vinas y Compla, Tratado filoaofico-
teotogico acerca de lo sobrenatural, quo se prueva en su existencia
por los hechos extraordinarios , quo se manifestaron en S. T. de
J. Madrid. 1883. 140 p., Juan Maura J. T. d. J. y la critica
rationalista. Mallorca y Madrid. 1883. 172 p. (T. d. J. ante
la critica por Raaion Leon Mainez. Madrid 1880. 270 p.). A de
Smedt, Los Revelations de Saiute Therese in T. XXXV der Re-
vue des Questions historiques. 1884. I Seisdedos Sanz, Estudios
sobre les obras de S. T. d. J. in La Ciencia cristiana, Madrid
1886; ebendaselbst Luis de Sanf £tnde patolo-theologique Sur
S. T. 1886. W. Pingsmann S. T. d. J. Eine Studie Ober das
Leben und die Schriften des H. T. Vereinsschrift der Görres-
gesellschaft 1886. 116 p. Angel Lasso de la Vega, S. T. en
la literatura patria, vor der Coleccion de les principales obras de
la insigne fundadora de N. Senora del Carmen, Madrid 1886.
J. R. A, Glorias Teresianas de Cataluna, publicadas con el motivo
del tercer centenario de la fundacion del convento de Carmelitos
Descalzos de Barcelona. Barcelona 1888. LIV et 690 p. Wer
sich von Teresa selbst ihr Leben nicht erzählen lassen mochte und
sich durch Vandermoeres 750 Seiten folio nicht hindurcharbeiten
kann, für den sorgt Dona Isabel AI ix Martinez mit der Historia de
S. T. d. J. Madrid 1893. XXI et 660 p. Während die Schriften
der Spanierin in Amerika viel gelesen wurden, war sie in England
eine ziemlich unbekannte Gröfse. James Anthony Fronde, der Ro-
mancier im Kleide des Historikers, hielt dafür, die Repräsentantin
des spanischen Enthusiasmus verdiene ein bleibendes Andenken als
bewundernswürdige Frau. Das möchte ihr Gabriela Cunningham
Graham sichern auf originelle und wirksame Weise. Den Biograpbief n
des 16. und 17. Jahrhunderts fehlt sehr das lokale Kolorit. In
diesen dicken Bänden ist doch kein Raum für anschauliche Schil-
derungen der Städte, Schlösser, Klöster, in denen Teresa lebte
und wirkte. Die Gravität verbot, auf solche Allotria einzugehen.
Wie viel Material dieser Art man gehabt hätte, wies Vicente de
la Fuente nach. Wenn man weifs, wie die Neutümler, Franzosen
und Afrancesados, gegen Altertümer wüteten, wie sie mit Bauwerken
und Denkmälern nmgingen, so staunt man über die Menge von
Trägern der Reminiscenzen an Teresa, die de la Fuente namhaft
machen konnte in El tercer centenario de S. T. d. J. Manual del
peregrino para ?isitar la patria, sepulcro y parajes, donde fundö
la Santa o existen recuerdos suyos en Espana. Madrid 1882.
ZelUchr. f. K.-G XVII, 4. 37
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574
NACHRICHTEN.
VIII et 480 p. Die zweite Ausgabe aus demselben Jahre bat
den Titel : Casas y recuerdos de Santa Teresa en Espana. Wahr-
scheinlich veranlagte dieses Pilgerbuch den frommen Laien Hye
Hoys in Gent zwei Jahre in Spanien zu leben, dann Frankreich,
Oesterreich und Italien zu bereisen, um das Material für eine
Iconographie der Heiligen zu sammeln. 1892, nach des Ver-
fassers Tode, erschien l'Espagne Theresienne. Diese Ausgabe
vernichtete die Witwe des Autors zugunsten einer zweiten 1894.
Das Prachtwerk enthält auf dreifsig Tafeln Ansichten der Klöster,
die Teresa bewohnte oder stiftete, Bilder mit ihr in Beziehung
stehender Personen, Zeichnungen von Beliquien, Angaben über
ihr gehörende oder von ihr verfertigte Gegenstände. Jede Tafel
ist mit einem Kommentar versehen. Ehe diese Publikation er-
schien, hatte sich die reisemutige Engländerin auf den Weg ge-
macht, um mit eigenen Augen jede Stätte zu sehen, die de la
Fuente genannt hatte. Auf ihrem Esel reist sie Teresa de Ce-
peda y Ahumada nach, besucht Avila, Medina del Campo, Mala-
gon, Valladolid, Toledo, Pastrana, Salamanca, Alba, Segovia, Veas,
Sevilla, Caravaca, Villanova, Palencia, Soria, Granada, Burgos,
Diruelo, Mancera, Alcala, Altamira, Almodovar, Baeza. Wie eine
Biene im Korbe wirkend, hatte Teresa einst Castilien und seine
endlosen Heiden durchzogen, bei Kälte und Glut, im offenen
Karren, auf den schlechtesten Wegen, mit Wasseruhr und Glöck-
chen , um zu stiften , zu visitieren , zu regieren. Ihre enthusia-
stische Freundin scheut keine Strapaze spanischen Wanderlebens,
um sich durch Autopsie die Staffage zu den Thatsachen zu schaffen,
die ihr die alten Bücher erzählten. Sie hat Augen eines Land-
schafters, und ihre Feder ist ein Künstlerpinsel. Realistisch im
besten Sinn sind ihre Gemälde, wenn sie bergartige, von turm-
gekrönten Mauern umgebene Städte schildert, wie das zwischen
Himmel und Erde schwebende, zu den Füfsen der Kathedrale
kauernde Avila, oder verfallene Schlösser, oder die von eisigen
Winden gepeitschten Hochebenen, die noch heute so öde und un-
wirtlich sind, wie vor 300 Jahren. Mittelst noch bestehender
Volkssitten uud Institute veranschaulicht sie das Milieu Teresas,
die sie möglichst treu und wahr zeichnen will, wie ihr Volk sie
liebt, die Freundin der Armut und Genügsamkeit, mutig, unbeug-
sam, edel durch und durch. Mit der Beform der Karmeliter wollte
der arme Schmetterling, der, von so vielen Ketten gebunden,
nicht fliegen konnte, wohin er wollte, etwas zur Ehre Gottes und
wider die Ketzer thun. Aber nun regten sich die Feinde, wie
der Schakal der Gazelle im Gestrüpp auflauert. Den Sieg im
Kampfe mit Mönchen, Nonnen, Definitoren, Visitatoren, Provin-
zialen, Predigern, Denuntianten , Inquisitoren, Kapiteln, Nuntien,
Zivilbehörden, mit Heimtücke, Ungerechtigkeit, Schmähungen schreibt
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NACHKICHTEN.
575
die Verfasserin dem gesunden Menschenverstände und praktischen
Geiste der Nonne zu. Ihr durchdringender Blick hat Welt und
Menschen gesehen, wie sie waren, so die richtigen Mittel gefun-
den. Um die Opposition zu entwaffnen, hätte sie, mit Thorheit
und Dummheit rechnend, sich dem Charakter der Leute accomo-
diert. Mit wie vielen Notabilitäten steht die Aristokratin der
Frömmigkeit durch ihr Wesen und Wirken in Verbindung! Zu
ihrem Kreise gehören die Bischöfe von Jaen, Avila, Osma, Pa-
lencia, Segovia, Evora, Francisco Borja, Bodrigo Alvarez, Pedro
Ibanaz, Domingo Banez, Pedro de Alcantara, Juan de Avila, Luis
de Granada, Luis de Leon, Juan de la Cruz, Geronimo Gracian,
Kardinal Quiroga, Hurtado da Mendoza, Fadrique Alvarez de To-
ledo, Nicolas Doria, die Infantin Juana, die Aja des Don Car-
los Leonor Mascarenas, die Prinzessin Eboli, die Herzoginnen
Beatrix von Bejar und Leonor von Pastrana, die Prinzessinnen
Laisa von Monedo und Luisa de la Cerda, Schwestern der Her-
zöge von Montalto und von Medina-Celi. Die Gelegenheit, diese
Personen zu charakterisieren, läfst sich die Verfasserin nicht ent-
gehen und führt ein in diese vornehme Gesellschaft Natürlich
gehört ihre Sympathie auch der Dichterin, die aus Überströmen-
dem Herzen ihre schönen Verse wie im Fluge hinwarf, und der
ungelehrten klassischen Schriftstellerin, die Aber Weltliches klar,
verstündig, umsichtig, praktisch , mit harmlos scherzender, anmu-
tiger Liebenswürdigkeit schrieb, Geistliches schlicht, natürlich,
geistreich behandelte, über die tiefsten Phänomene der Mystik
mit einer Subtilit&t, Präcision und Klarheit spricht, bis an die
Grenze, wo es heifst: man kann es nicht sagen noch schreiben,
die Zunge erreicht das Herz nicht. Dennoch kann man die
Frage, würde Teresa ihr neuestes englisches Porträt für ähnlich
erklärt haben, nicht bejahen. Zwischen der Heldin und der Bio-
graphin besteht ein unversöhnlicher Gegensatz. Diese bekämpft
das Christentum mit offenem Visir zugunsten der Vernunft und
Gerechtigkeit, als der höchsten, der Menschheit erreichbaren Ziele.
Ihre Pseudonyme französische Gesinnungsgenossin Arvede Barine,
die geistreiche Artikel in die Revue des deux mondes, in die
Revue bleue, in das Journal des Debats schreibt, hat auch Te-
resas Leben studiert, doch nur pour chercher le rien, la petite
etincelle, qui rendait le monde plus pittoresque et la vie plus
interessante. Dafs Santa Teresa der anti christlichen Weltanschauung
dienen soll, hindert die Verfasserin nicht, die geniale Frau von
grofsen Gaben zu bewundern und brillant zu schildern. Unmög-
lich ist es ihr zu verstehen, wie auf dieser Naturbasis die Christin
sich entfaltete, die das Heil allein um des Verdienstes Christi
willen als Gnadengeschenk hoffte: Die Quelle ihres Heroismus
und der Grund ihrer Erfolge ist nicht der gesunde Menschen-
37*
576
NACHRICHTEN.
verstand, sondern das Gottesleben in Christo, das sie nichts furch-
ten läfst als die Sünde, worin sie für ihn nie genug thun kann,
nie zn viel arbeiten, nie zu viel leiden. Teresas mystische Er-
lebnisse, zu denen Leibnitz mit ehrfurchtsvollem Staunen aufsah,
verhalten sich zu den Erfahrungen jedes glaubigen Christen, wie
das Schweben des Zugvogels über dem Nest auf blühender Wiese
oder im Eichenwipfel zu seinem Fluge 20000 Pufs hoch, wie
die Volksmelodie zu einer Fuge Bachs. Unsere Benanistin ist
völlig unfähig, das Alphabet innern christlichen Lebens zu lesen,
wie könnte sie die Anticipationen des Zukünftigen in der Kon-
templation verstehen, von denen der Alltagschrist nur noch Ana-
logieen, eine blitzartige, fragmentarische Ahnung erlangt. Doch
ist anzuerkennen, dafs die Verfasserin den beliebten Modeschlüssel
zum Verständnis der Mysterien des Glaubens, die Hysterie, mit
Abscheu von sich wirft. A Parales y Gutierrez, Et supernatura-
lismo de S. T. d. J. y la filosofia medica, Madrid 1894, ver-
suchte es damit, wurde aber widerlegt vom Karmeliter Gregoire
de Saint Joseph in La prätendue Hysterie de S. Therese, Lyon
1895. Das Buch der Engländerin gleicht Gemälden, denen die
Hintergründe Wert geben.
1 1. La Mystique de Saint JeandelaCroixparP. Auguste
Poulain S. J., Paris 1893. 51 p. Ist Juan de la Cruz als
Theoretiker der Mystik originell oder hält er sich an die Auf-
stellungen der Vorgänger? Ist er in der Lehre vom innern Ge-
bet dem Wesen nach mit Teresa de Jesus einig und nur in der
Terminologie von ihr verschieden? Wie hat er die Stufen des
kontemplativen Lebens geordnet. Diese Fragen beantwortet Pou-
lain dahin, dafs er für die Eigentümlichkeit seines Autors ein-
tritt, für seine Cbereinstimmung mit Teresa und einen Abrift
dor scala mystica Juans giebt.
12* Doctor eximius nannte Benedikt XIV. den gröfsten spa-
nischen Scholastiker des 17. Jahrhunderts Francisco Suarez,
der als Jüngling unfähig für philosophische Studien seinen ein-
stigen Widerwillen dagegen durch dreiundzwanzig Folianten ge-
sühnt hat. Antonio Garcia Ribeiro de Vasconcellos giebt in
portugiesischer Sprache biographische Nachrichten über den Spa-
nien und Portugal gemeinsamen Heros des Scharfsinnes aus un-
edierten Dokumenten des Universitätsarchivs zu Coimbra im Bo-
letin de la Real Academia de la Historia T. XXIV. 1894. Sie
betreffen Suarez' Versetzung von Salamanca nach der ti^L gesun-
kenen portugiesischen Hochschule durch Philipp IL, der vom
Könige Erbetene neunzehn Jahre als Professor Primarius der Theo-
logie angehörte, Fakultätsstreitigkeiten, den Gegensatz des Tho-
mismus und Molinismus. Auch Suarez* Anteil an der Kanonisation
der Urenkelin der heiligen Elisabeth von Thüringen Königin Isa-
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NACHRICHTEN.
577
bella von Portugal, f 1336, durch Urban VIII. berühren die Ur-
kunden, und das schöne Ende dessen, der suo judicio Nihil, nicht
gedacht hätte, dafs Sterben so süfs sei, wie er es erfuhr, als er
mit einem In te Domine speravi — Quam dilecta tabernacula
tua! verschied. Ober das entdeckte Grab hatte Antonio Sanchez
Moguel im Boletin T. XXIII, 1894 referiert, der auch ebenda-
selbst eine Carta del doctor eximio dd. 10 April 1611 mitteilt.
* 13. The Life of Francis Borgia of tlie Society of Je-
sus, by A. M. Clarke. London, Burns & Oates, 1894. II. 4
464 p. 8°. Man sieht leicht, der wird einer der gröfsten Ge-
nerale seiner Zeit werden, sagte Kaiser Karl Y. bei der Tafel
zur Kaiserin, als er von den Tbaten des Marquis de Lombay im
afrikanischen Feldzuge 1535 erzählte. Franciso de Borja wurde
General der Gesellschaft Jesu, dieses Miniaturbildes der Monarchie
der römischen Kirche. Er gehört zu den imposanten Gestalten
der katholischen Renaissance seines Jahrhunderts. Majestätisch
schön, reich begabt, bewältigte er spielend was er lernen wollte.
Täglich repetierte der Kaiser eine Zeit lang mit ihm kriegswissen-
schaftliche Mathematik und lernte von dem Jüngling, dessen Geist
und Originalität jedes Gespräch verriet, mehr als von Professoren.
Musik hatte er studiert, spielte mehrere Instrumente, komponierte,
bändigte als Reiter jedes Pferd, glänzte als Schütze bei den Hof-
jagden und dressierte Falken meisterlich. Karl V. besprach mit
ihm, der als Page schon der Liebling des Kaiserhauses gewor-
den, die grofsen Fragen, überrascht von einem Fernblick, der die
Zukunft divinierte und die Situation sofort erfafste. Er gab ihm
das Zeugnis, das er sich selbst versagen mufste, in seinem Munde
ist nur Wahrheit. Trotz der Jugend leitete der vollkommene
Kavalier sein Haus mit unbeugsamer Festigkeit, im Geben und
Helfen so klug wie liebevoll. Seine Regierung Cataloniens war
ein einziger Erfolg. Der Vizekönig, hiefs es, herrscht wie ein
Engel. Erscheine er, dann sei es, wie wenn die Sonne aufgehe
und die Vögel sie mit Gesang grüfsten. Aus der Gesellschaft
in Barcelona verbannte er den Klatsch. Als Repräsentant der
Autorität giebt er ihr durch die Macht seiner Persönlichkeit
Nachdruck, mag er wichtige Fragen entscheiden, rivalisierende
Ansprüche ausgleichen, das Räuberwesen beseitigen, die verfallene
militärische Disziplin herstellen, die Korruption der Justiz aus-
rotten, die Sittenzncht verbessern, das Schulwesen reformieren.
Selbst führt er Truppen gegen die Banditen, baut Festungen,
läfst Schul häliser aufführen, dotiert Professoren. Ein taktvoller
Präsident der Cortes und tüchtiger Redner, zeigt er auch in na-
tionalökonomischen Dingen die Sachkunde, die den Vasallen des
Herzogs von Gandia zugute kam, der seine Bauern schützte, be-
riet, durch einsichtige und prompte Freigebigkeit vor Verarmung
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578 NACHKICHTKN.
schützte. Dies ist die eine Seite seines Wesens. Willkommen,
Francisco, mein Engel, sagte die Mutter, als er geboren war, als
abne sie, wie ehrfurchtsvoll das Kind das Wort Gott stammeln,
wie es fünfjährig über die Passion predigen, im zehnten Jahre
sich geifseln werde. Nie spielte er am Hofe, damit er nicht
Zeit, Geld und Seelenfrieden verliere. Eingedenk dessen, was
der Herr für ihn und er gegen den Herrn gethan, sagte er täg-
lich mit St Bernard nunc coepi. Und doch mufste er nicht
mit seinem Freunde Garcilaso de la Vega, dem er den Tod an-
kündigte, klagen: 0 die Sülsen Dinge, an denen ich zu meinem
Weh so viel Gefallen fand! 1889 bat Moreno Carbonaro ihn
gemalt am offenen Sarge der verwesten Kaiserin, wie er Petrar-
cas quento piace al mondo e breve sogno mit Entsetzen inne wird,
entschlossen, nimmermehr im Dienste eines Herrn zu leben, der
sterben kann. Als Vizekönig widmete er die Hälfte des Tages
dem Gebet und der Betrachtung, den Castigationen, die er sterbend
bereute. Beständig las er die Briefe Pauli, diese stummen und
doch so beredten Lehrer, die mehr Seelen bekehren als die mäch-
tigsten Prediger, die je eine Kanzel bestiegen. Im väterlichen
Schlosse lebte der duque santo wie ein Bischof. Sein schweig-
samer Kaiser vertraute ihm 1542, während sie Arm in Arm in
der Galerie des Palastes von Barcelona auf und ab gingen, die
Absicht an, der Krone zu entsagen, um der Sorge für sein Heil
leben zu können. Gleiche Sehnsucht trieb Borja in den Jesuiten-
orden, wo er keine Ehren zu fürchten hätte. Loyola sah er zu-
erst, als er in Alcala auf der Strafse arretiert wurde. In Gandia
hatte er ein Kollegium mit reicher Bibliothek gestiftet, obwohl
ihm die ,.Exercitia" noch höher standen als die BücherschAtze des
Herzogs von Mantua. Loyola nahm ihn, der auf dem Wege zum
Selbstmorde sei, in strenge Zucht, verbot alle Singularitäten, auch
die Unterschrift Pecador. Nach der Heirat des Sohnes bezog
der Herzog ein kleines Haus, studierte Theologie und wurde 1549
Doktor. Seine Thesen waren: Ex nihilo factus sum, ad nibilum
redactus sum. Quid sim ignosco. Sin aliquid scio, hoc tantum
scio, infernum domum meam esse. Ex me ipso facio nihil. In
Rom, wo er das Collegium Romanum stiftete, ward er wie ein
König empfangen. Er wird mehr Bewunderer finden als Nach-
ahmer, meinte Karl V. Lafst uns den Mann hören, der vom
Himmel gekommen ist, rief das Volk, als er anfing zu predigen.
Ein hoher Offizier dagegen schwor, er wolle lieber sogleich zur
Hölle fahren, als den Teufel predigen hören. Borja suchte ihn
auf, fiel ihm zu Füfsen, bat um Vergebung wegen all der Sün-
den, die ihn so erzürnt hätten und gewann ihn. Als einer, der
nun dem vollkommensten Glück entgegengehe, verliefe er, In
exitu Israel de Egypto singend Gandia, trug als Noviz in Ofiate
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NACHRICHTEN.
579
den Bettelsack, behielt aber seinen Bang als Sohn der Prinzessin
Juana von Aragon, wohnte in Pallasten, verkehrte mit Pürsten
als mit seinesgleichen. Briefe mit der früheren Titulatur nahm
er nicht an: nicht für mich, Francisco 8. J. Die Schlagfertig-
keit, der Witz blieben ihm. Ein Baner schenkte dem Hause ein
Schwein, Borja lnd es sich auf: warum sollte nicht ein Schwein
«las andere tragen? Der Rektor, der ihn nicht mochte, quälte
ihn mit Graben, Sägen, Kochen: Gehorsam, tröstet er sich, ist
ein sicheres Fahrzeug, das man nicht verlassen darf, will man
glücklich reisen und gut in den Hafen kommen. Die dem Spa-
nier eigene Heimatsliebe überwand er ; sogleich wäre er nach In-
dien gegangen. Die zarte Sympathie für seine Familie steigerte
sich , wenn er auch um den Tod seiner Lieblingstochter nicht
weinen konnte. Fünfmal lehnte er den Purpur ab, um in der
Armut Christi zu leben und zu sterben. Als er Generalkommissär
für Spanien und Indien gewordeu war, lagen die heimischen Or-
denssachen in seinen Händen. Er warb für die Gesellschaft unter
der Aristokratie, gründete Häuser und Kollegien, worin Armut
dominierte. Mit reichen und stolzen Aspiranten, die nicht ohne
eigene Zimmer, Diener, täglich frische Wäsche leben zu können
meinten, hatte er Geduld, bis sie sich schämten. Gegen Fehler
aus Unwissenheit und Schwäche war er mild. Den Tadel des
Hochmutes, des Mangels an Liebe und Takt vergafsen die Ge-
troffenen nie. Wenn er tausend Leben hätte, würde er sie als
Dankopfer für die Wohlthat hingeben, dem Orden anzugehören,
sagte er in Jarandilla dem gegen die Jesuiten argwöhnischen
Kaiser. Den Kreuzestod hatte er sich oft gewünscht, aber nicht
auf ein so schweres Kreuz gerechnet, wie es ihm wurde durch
die Wahl zum General. Zur Strafe seiner Sünden werde er
fortan leben als ein mit schweren Bürden beladenes Lasttier.
Der Herzog fand hier sein Feld wie der Mann der Kontempla-
tion. Kein Sturm, sagte er, ist so gefährlich als lange Wind-
stille; man kann nicht zu viel Feinde haben; je weniger Gewicht
man Schmähschriften beilegt, um so eher sind sie vergessen. Die
Herrschereigenschaft, die rechten Leute an die rechte Stelle zu
setzen, besafs er; Bellarmin und Tolet wies er in die richtige
Bahn. Unter ihm breitete sich der Orden in Deutschland, Polen,
Schweden, Litauen aus. Betend hat er regiert Die wichtigsten
Stellen erhielten die in Gebet, Meditation, Verleugnung Gröfsten.
Pius V. unterstützte er im Reformwerk. Noch einmal predigte
er in Valencia, wohin ihn die Reise nach Spanien, Portugal und
Frankreich als Konsul tor des Legaten Alessandrino führte. Man
mufste ihn auf die Kanzel tragen, da er sich durch die Menge
nicht zn drängen vermochte. Philipp II. umarmte ihn ; mit Hul-
digungen ward er überhäuft. In Blois warnte er Katharina Me-
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580
NACHRICHTEN.
dici vor der woltlichen Politik. Seine Todeskrankbeit holte er
sich, als er in einer von Hugenotten verwüsteten Kirche in kalter
Morgenfrühe Messe las. Expertus potest credere, Quid eit Jesum
diligere, war eines seiner letzten Worte. Auf den Wunsch seine»
Beichtvaters Vasquez schrieb er Meditationen nieder, vielleicht
in den Notizbüchern, die er, Meister im Flicken, wenn man da
Meister werden könne, aus den abgeschnittenen und zusammen-
geklebten leeren Stellen empfangener Briefe konstruierte. Sie
sind in Spanien viel gelesen und 1882 neu gedruckt. Es be-
durfte eines Heiligen, sagte A. v. ßeumont, um den Namen Borja
wieder zu Ehren zu bringen. Dafs es geschehen sei, bezeugten
die 46 Ur- und Ururenkel aus 14 fürstlichen Häusern, die Bahre
und Fahne trugen, als 1625 der Leichnam in das Profefshaus
der Jesuiten übertragen wurde. 1594 hatte Pedro Ribadeneira
das Leben Borjas geschrieben, wie ein Vertrauter, Vasquez' Mit-
teilungen benutzend. Kurz und schlicht will er nur die Wahr-
heit sagen. Ist jede Lüge schon an sich abscheulich und eines
Christen unwürdig, wieviel mehr die hagiographische! Als wenn
Gott der Lügen bedürfte, und es nicht der christlichen Frömmig-
keit fern läge, den Herrn, der die höchste und ewige Wahrheit
ist, mit erdichteten Geschichten und Wundern zu verherrlichen,
sagt er in seinem Leben Loyolas. Nach langem Zwischenraum
schrieb erst 1716 der Erzbischof von Monreal Kardinal Cienfue-
gos, La beroica Vida, Virtudes y Milagros del grande S. F. d.
B. antes Duque Quarto de Gandia, y despues Tercero General
de la Compania de Jesus. Dieser Foliant bietet manches Neue
durch den Kanonisationsprozefs zutage Gekommene, ist aber breit
und panegyrisch. Stirling, Mignet, Gacbard haben ihn für das
Klosterleben Karls V. benutzt. Der neueste Biograph, Clarke.
verwendet erschöpfend das von den Vorgängern herrührende Ma-
terial. Die Darstellung ist fesselnd und frisch. Hätte das Werk
im Manuskript den Bollandisten oder dem spanischen Jesuiten
Fita zur Präventivzensur vorgelegen, es dürfte mancherlei Kor-
rekturen erhalten haben. Elias als Gründer des Karmeliterordens
hätte keine Gnade gefunden, ebenso wenig wie die hohen Geistes-
gaben und das eheliche Glück der Köuigin Juana la loca. Dafs
es mit der Rettung Alexanders VI. und der Borja durch M. H. Ol-
livier nichts ist, hätte Pastor den Verfasser lehren können.
14. Mit der Bibliothek des Augustinerklosters in Salamanca
verbrannte 1744 der handschriftliche Nachlafs des Professors der
Theologie Fr. Luis de Leon, der als Lyriker, Übersetzer, tief-
sinniger Exeget und philosophischer Denker zu den Gröfeen der
spanischen Litteratur des 16. Jahrhunderts gehört, und der durch
die Gelehrtensünden seines Kollegen Leon de Castro alle Leiden
eines fünf Jahre dauernden Inquisitionsprozesses zu dulden hatte.
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NACHRICHTEN.
581
Es erhielt sich die Kunde, dafs noch Manuskripte Leons existierten ;
wo, wufste man freilich nicht Da entdeckte Fr. Tomas Cämara,
Bischof von Trenopolis yor einigen Jahren in dem Bücherreste
einer Madrider Bibliothek drei Quarthände Autographen und Ko-
pieen von Schriften Leons, die einst den beiden Klöstern der
Hauptstadt San Felipe el Real und dem Hause de P. P. Trini-
tarios gehörten. Sie enthalten spanische und lateinische, voll-
ständige und fragmentarische Arbeiten exegetischen, dogmatischen,
ethischen Inhalts Aber das Lied Moses, einzelne Psalmen und
Psalmstellen, Kohelet, das Hohe Lied, Obadja, den zweiten Brief
an die Thessalonicher , die Autorität und Auslegung der heiligen
Schrift, das göttliche Gesetz und Aktenstücke zum Prozefs. Unter
dem Titel El perfecto predicador erschien 1886 die Auslegung
des Kohelet in der Revista Agustiniana. Ihr lassen nun die
Augustiner, als längst gewünschten Ersatz der unvollständigen
Edition Antolino Merinos, Madrid 1804 — 1816, 6 Bände, eine
Gesamtausgabe der Werke ihres Ordensgenossen folgen, von der
1891 — 1893 4 Bände erschienen sind: Magistri Luisii Legio-
nensis Agustiniani, Divinorum librorum primi apud Salmaticenses
interpretis, Opera nunc primum ex MSS ejusdem omnibus Patrum
Agustiniensinm studio edita. Salmanticae.
15* Philipp II. und das lateinische Autograpb
der Augustana. Hase bemerkt in seiner Ausgabe der Libri
Symbolici Ecclesiae Evangelicae. Ed. III 1846, p. 6 der Prole-
gomena: Latinum exemplum Caesar secum Bruxellas tulit, ibique
in tabulario Melanchthonis autographum, nominibus principum
subsignatum A. 1560 se vidisto Lindanus Archiepiscopus testa-
tur, id vero duci de Alba petenti a. 1568 tradidisse Zuichem
ab Aytta urbis Praefectus conmemorat.
Dem Datum widerspricht ein Schreiben des Königs in den
Docomentos relativos a los Paises Bajos y singularmente a los
servicio8 hechos por los Espanolos, que estuvieron destinados en
aquellos Estados durante el gobierno del duque de Alba y sus
recompensas. Coleccion de documentos inäditos para la Historia
de Espana T. XXXVII. 1860. Philipp schreibt dort 1869 an
Alba: Yo he sido advertido, qne entre algunos papeles, que eran
del emperador mi Senor, que esta in gloria, o en el archivo dosa
villa esta el libro de la confession Augustana, que Philippo Me-
1 an ton escribio de su propia mano, y porque segon las danados,
que hay en esos estados convieno quitarlo de ahi , porque no lo
tengan por alcoran, atenta la inclinacion que tienon ä esta mal-
dita secta, sera bien, quo vos digais a Viglio, que quereis ver
el dicho libro, que lo busque y os lo entrigue y guardar lo heis
en vuestro poder, para le traer con vos cuando en buen hora
volvieredes ä estos reinos y habeis de advertir, qne os de el
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582
NACHRICHTEN
original y no copia y quo no quede otra ni rastro del porque se
hunda por siempre tan malvada obra. Vielleicht fände sich unter
den Papieren des Viglius, deren die Göttinger Bibliothek 22 Bande
besitzt, Aufschlofs Ober die Erfüllung der Forderung Philipps
und die höchsteigenhändige Vernichtung des verhaßten und ge-
flüchteten Dokuments, das bis jetzt vergebens in Brüssel, Siman-
cas und Born gesucht wurde.
* 16* Gl au b e n s f 1 Ö oh tl inge aus Spanien mit den
Niederlanden, Italien und Frankreich, seit dem Jahre 1500: Eine
kulturgeschichtliche Abhandlung von Franz Sehe ich 1. Linz 1894.
E. Hareis. 59 S. 8°. In Frankreich, Belgien, England, der
Schweiz, Amerika hat man sich mit der Statistik und Geschichte
der Exulanten des 16. und 17. Jahrhunderts beschäftigt. Das
bezeugen: Cooper, Lists of foreign protestants and alms resident
in Eugland 1618—1688. From returns in the Statespaper Of-
fice. London 1842. J. Burn, The History of the Frencb, Wal-
loon, Dutsch and otber foreign Protestant refugees, settled in
England from the reign of Henry VIII to the Revocation of the
Edict of Nantes, London 1846; Weiss, Histoire des refogiees
protestants de France depuis la Bevocation de l'edit de Nantes
jusqu'ä nos jours. Paris 1853; Cooper, Protestant Refugees in
Sussex. London 1861; Smiles, The Hugenots, their Settlements,
eburches and industries in England and Ireland. London 1867;
Agnew, Protestant Exiles from France in the reign of Louis XIV,
or the Hugenot Refugees and their descendants in Great Britain
and Ireland. London 1871; Mörikofer, Geschichte der evange-
lischen Flüchtlinge in der Schweiz 1876; Baird, History of the
Hugenot Emigration to America 1885, 2 Vol.; Claessens, l'ln-
quisicion et le regime pe'nal pour la repression de Theresie dans
les Pays-Bas du Passe* 1886. —
Ans diesen Arbeiten ergab sich die Nötigung, die Ziffern der
Exulanten zu reduzieren. Inmitten der Verfolgung waren sie
nicht statistisch korrekt angesetzt, vom Mitleid erhöht, vom Hais
gegen die Verfolger, ja gegen Kirche und Christentum ins Un-
geheure multipliziert. Es ging damit wie mit den Angaben aber
die Zahl der protestantischen Märtyrer in den Niederlanden und
in 8panien. Dort lftfst Hugo Grotius unter Karl V. 100000
hingerichtet werden. Es starben 2000, wie van der Haeghens,
Du nombre des protestants exäcutes dans les Pays-Bas en vertu
des placards sur THäräsie 1889, darthut Kam vollends Philipp IL
und die Inquisition ins Spiel, dann nahm man es, wie Llorente,
de Castro und ihr Nachschreiber zeigen, zur Ehre der guten
Sache und zur Schmach der Henker, mit Nullen nicht sonderlich
genau. Zur Illustration der Lieblingsthese Buckles, tantum re-
ligio potuit suadere malorum, giebt Scheichl eine gut geordnete
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NACHRICHTEN.
583
Übersicht der Ausweisungen und Auswanderungen in Europa aus
religiösen Gründen seit 1500. Aus welchen Ländern kommen die
Exulanten? Welchen Volksklassen gehören sie an? Wo finden
sie ein Asyl? Welche Gewerbsfertigkeiten brachten sie mit?
Wieviel Vermögen importierten sie? Welche kulturellen Einwir-
kungen gingen von ihnen aus? Auf diese Fragen antwortet der
Verfasser, soweit sein statistisches Material reicht, den Stoff gut
gruppierend, mit warmem Interesse Einzelheiten Aber die Seg-
nungen der Bekenntnistreue einfügend. In die Tiefe der Staats -
und kirchenrechtlichen Seite der Frage dringen die Bemerkungen
Aber die Motive der Verfolgungen nicht, so wenig wie in die
Bedeutung religiöser Volkseinheit an sich und nach den An-
schauungen des 16. Jahrhunderts. Die Sympathie für spanische
Juden nnd Moriscos ubersieht, dafs christliche Völker noch höhere
als merkantile Aufgaben haben, dafs Königin Isabella die natio-
nale und christliche Selbständigkeit ihres Volkes vor der Zer-
setzung durch Judentum und Mohammedanismus schützen wollte.
C. Ä. Wükens.
Griechische Kirche.
Von
Ph. Meyer u. a.
1. Karl Krumbacher, M ittel grie chische Sprich-
wörter. München 1893. In Kommission des G. Franzschen
Verlags. 272 S. Die Bedeutung dieses höchst interessanten
Buchs für die Theologie, mit der es dem Titel nach nichts zu
thun zu haben scheint, beruht in dem Nachweis, dafs die Sprich-
wörter, ähnlich wie die Erzählungen des Physiologus, in byzan-
tinischer Zeit als kirchlich - katechetischer Stoff benutzt wurden.
Ks scheint, dafs man ähnlich wie bei uns den Katechismus, da-
mals eine Anzahl Ton Sprichwörtern zur katechetischen Beleh-
rung verwendet hat Auf einen theologischen, dogmatischen oder
ethischen Sinn kam man dnrcb die gewagtesten Allegorieen, die
man wiederum damit rechtfertigte, dafs man alles in der Welt
auf Christum und den Menschen deuten dürfe. Es kommt daher
in dem Buche Krumbachers namentlich in Betracht die Fülle
neuen Materials, das der Verfasser aus umfassenden handschrift-
lichen Studien gewonnen hat. Das Material findet sodann treff-
liche Erklärungen, die für die Zeitgeschichte und die theologische
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NACHRICHTEN
Bildung der Zeit sehr interessant sind. Die Anfänge der merk-
würdigen Litteratur gehen auf Michael Glykas zurück.
%, ^ExxXr^taaxix^ 'AXfötta, Jahrgang XIV, S. 379. 395 bis
398. 403—404. B. A. MvoTaxidtje, 'ExXoyr xut ng6/iXr(<Jig
olxoviiivtxov naiQtuQ/ov. Eine Darstellung der Wahl und In-
thronisation der Patriarchen bei den Byzantinern, sodann Er-
örterung Über das Recht des Metropoliten von Heraklea, den
Patriarchen, wenn nötig, zu weisen, immer aber ihm das Scepter
zu reichen. Mit Recht leitet der Verfasser das Recht aus der
alten Zeit ab, wo noch Byzanz unter Heraklea stand. Es werden
aber auch viele Fälle genannt, wo das Recht nicht ausgeübt ist.
3. 'ExxXyaiaoTtxr, *AXrt&ttu, Jahrgang XIV, S. 374. B. A.
l\lvoiax(Sri<; , 4vfrifiot , naxgtug/ui KtovorurTiyovnoXtwg. Bei
Gelegenheit der Thronbesteigung des Patriarchen Anthimos VII.
giebt der Verfasser eine Übersicht über die Patriarchen von
Konstantinopel, die auch den Namen Anthimos geführt haben.
4« Karl Krumbacher, Michael Glykas. Eine Skizze
seiner Biographie und seiner litterarischen Thätigkeit nebst einem
unedierten Gedichte und Briefe desselben. (Aus den Sitzungs-
berichten der philos.- philolog. und der historischen Klasse der
k. bayer. Akad. der Wissensch. 1894, Heft III. Auch als Se-
paratabdruck im Franzschen Verlag erschienen, München 1895.)
Der Verfasser giebt auf Grund der Schriften des Glykas und der
Zeitgeschichte die erste genauere Biographie und Charakteristik
des bisher fast unbekannten Byzantiners. Danach lebte dieser
vom ersten Drittel des 12. Jahrhunderts bis in die letzten Jahr-
zehnte desselben. Glykas wurde 1156 wegen eines politischen
Vergehens von Kaiser Manuel eingekerkert und leicht geblendet.
Aus der Haft entlassen, scheint er dennoch sein Leben in Not
zugebracht zu haben. Das hängt mit seiner Bildung und mit
seinem Charakter zusammen. Er stand wissenschaftlich, theo-
logisch und als Charakter im Gegensatz zu dem antikisierenden
Geiste seiner Zeit. Er ist ein Vertreter der volkstümlichen Bil-
dung, strenger Kirchlichkeit und ernster Lebensanschanung. Als
Werke von ihm haben jetzt zu gelten seine Chronik, ein vulgär-
griechisches Bittgedicht, eine Sprich Wörtersammlung, die zuerst
durch Allegorie das Sprichwort kirchlich - katechetisch verwandte
und eine Reihe von Briefen meist theologischen Inhalts. Die
Einleitung zur Sprichwörtersammlung nnd ein besonders cha-
rakteristischer Brief sind am Ende der Schrift zum erstenmal
veröffentlicht.
5. 'ExxXtjoiuaHxt) 'AXfötiu, Jahrgang XV, S. CO — 62. 68
bis 71. 86. J. J. X. TooXaxtöyq, Ntgotg o Xagmg. Wir
erhalten zuerst eine kurze Biographie des bei den Armeniern be-
rühmten Patriarchen Narses, der 1102 geboren, 1136 auf den
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NACHUICHTKN.
585
Patriarchenstuhl erhoben wurde und 1175 starb. Sodann folgen
zwei Glaubensbekenntnisse der armenischen Kirche, deren erstes
von Narses stammt und 1165 dem Kaiser Manuel Komnenos
Qberreicht wurde. Das zweite, das noch jetzt im liturgischen Ge-
brauche stehen soll, ist scheinbar alt Mit dem allgemeinen
Symbol der Armenier stimmt es jedoch nicht überein. Ich finde
auch bei dem Verfasser keine näheren Angaben.
6. 'EtuiqIu o *E\\rtvitTfit6$, Tu iv avxf, yivo^kva ov-
ayywa^aju. Tufiog A' (Athen 1894), S. 5 — 23. Ntxtjyogov
uQ/nntoxltnov n. YlaiQiov tov KuXoytgu tu, w/ara tov iv
BvCpLvxlto 'EMrjvtxov xQurovg xui to TtXtvxuiov StnXoftuTtxhx
avrov uniiÄomov rjoi 'l(tiorq> tov Bovtvxlov o nwiado-
fitvoQ fivozrjQiiuöw tvionxog Xoyog vtv nQwtox diu Trtg toropiug
tg/Ltijvtvofuyog. Im Auszöge auch deutsch in der Revue inter-
nationale de Theologie 1894, S. 505 — 517. An mehreren Stellen
seiner Geschichte des Florentiner Konzils berichtet Syropulos,
dafs der Kaiser Jobannes Paläologos vor den versammelten grie-
chischen Unionsdeputierten von einem geheimen Mittel des Joseph
Bryennios gesprochen habe, das, wenn es offenbar würde, unfehl-
bar zu einer Union führen werde, die alle befriedige. Auch der
Kardinal Cesarius kommt einmal darauf zu sprechen. Die Griechen
hingegen lehnen jedesmal die Sache als ihnen unbekannt ab.
Kalogeras will nun diese seltsame Sache anf Grund der Stelle
bei Phrantzes (II, 13) dahin erklären, dafs Joseph durch seine
Fiktion die Politik des Kaisers Manuel inbezug auf die Union,
durch stete Verhandlungen die Römer zu gewinnen, die Türken
damit abzuschrecken, aber niemals die Union wirklich zu voll-
ziehen, habe unterstützen wollen. Die Meinung des Kalogeras
ist jedoch nicht wahrscheinlich, denn weder in den früher edierten
Werken des Joseph, die mir vorliegen, noch in dem von Kalogeras
publizierten Briefe ist jenes Geheimnis auch nur berührt Joseph
vertritt hier vielmehr an vielen Stellen die Meinung, man solle
die Union suchen, aber nur unter der Bedingung, dafs das grie-
chische Dogma unversehrt bleibe. Ich halte das Geheimnis des
Bryennios für eine Fiktion des lügnerischen Kaisers Johannes,
der von den Griechen allein die Sache zu kennen vorgiebt und
der damit auch Cesarini getauscht haben mochte. Er brauchte
seinerseits so die Autorität des Joseph für seine Politik. Eine
gröfsere Abhandlung über den bis jetzt fast unbekannten Joseph
Bryennios werde ich nächstens veröffentlichen und dabei auf die
Sache zurückkommen. (Nachträglich erschienen in Byz. Zeitschrift
Jahrgang 1896 S. 74—111.)
7. 'ExxXrjütaariKT} *AX^&uat Jahrgang XIV, 8. 172 — 173.
*0 'A^aathg jiv&tpos, *0 'AxqISwv rußgir\X. Der Bischof An-
thimos von Amaseia spricht über den von Le Quien im Orions
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586
NACHRICHTEN.
chri8tianus Übergegangenen Erzbischof von Achrida Qabriel.
Dieser lebte im 16. Jahrhundert und unternahm auch eine Reise
nach Europa, um durch eine Geldsammlung die Schulden seines
Stuhls zu tilgen.
8. ^xxXtjotuartx^ 'AX/fitia, Jahrgang XIV, S. 283— 29fr.
300—301. 310—312. 317—320. B. A. MvoTaxtdtjg,
'O TlaxQiuQXrjg 'legtet tote B' b Tgayog. In einer Reihe
lose verknüpfter Artikel erörtert der gelehrte Verfasser die Ver-
hältnisse des genannten Patriarchen, der ja für die evangelische
Kirche besonderes Interesse bat. Zuerst kommt Persönliches zur
Sprache, dann die Beziehungen zu den Tübinger Theologen. Der
Verfasser war in der Lage, hierfür bisher un ediertes Material der
Tübinger Bibliothek zu benutzen. Besonderes Interesse haben
drei bisher nicht herausgegebene Briefe des Martin Crusius.
Der erste ist an den bekannten Gabriel von Philadelphia ge-
richtet Er enthält eine Warnung vor dem Kollegen Frischlin,
den er tXXrjyixwg Bajguxtog nennt Frischlin wolle Crusius und
Genossen verleumden. Ähnlichen Inhalts ist der dritte Brief, der
zum Addressaten Theodosius Zygomatas hat Der dritte, von
1589 richtet sich an den Patriarchen Jeremias und bittet, den
Verkehr mit den Tübingern doch nicht abzubrechen, wie ja sei-
tens der Griechen geschehen. Da jedoch der Lutheraner auf
seinen dogmatischen Positionen wiederum beharrte, war der nega-
tive Erfolg zu erwarten. Am Schlufs der Artikel bespricht der
Verfasser die bekannten Acta et Scripta Theologorum Wirtem-
bergensium und die sich daran schliefsenden Drucke. Ich be-
merke, dafs die behandelten Verbältnisse weitläufiger ausgeführt
sind von E. Legrand im Kecueil de textes et de trad actio ns
publik par les professeurs d'äcole des langues orientales Vivantes
ä l'occasion du VIII congres international des Orientalistes tenu ä
Stockholm von 1889. Hier tritt indessen das Theologische zurück.
9« HunadonovXog - KfQu^itvg. AvuXtxxa hgoaoXvfitnxt g
axu%voXoyiaG. Tottog B . Er IltTQovnoXei 1894. Der vor-
liegende zweite Teil der Jerusalemischen Stachyologie
enthält von S. 258 — 481 eine Reihe von Schriften, die für die
Geschichte der orthodoxen Kirche, namentlich in Palästina sehr
wichtig sind. Ich nenne vor allem eine Reihe von Patriarchat-
urkunden und zwar aus der Zeit des Germanos und Sophronios
(16. Jahrh.), des Nektarios (1661—1667), des Dositbeos (1669
bis 1706), des Chrysanthos (1709—1729), des Meletios (1731
bis 1734). Der Inhalt der Urkunden ist sehr mannigfaltig.
Viele beziehen sich auf das Mönchwesen, namentlich auf die Um-
bildung verschiedener Klöster vom idiorrhythmischen Leben zum
koinobiatischen. Andere handeln von dem Regierungsantritt und
Abdankung der Patriarchen. Auch werden liturgische Fragen
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NACHRICHTEN.
587
geregelt. Lateiner werden befehdet. Eine Menge von persön-
lichen Angelegenheiten werden erledigt Neben den Patriarchal-
ausecbreiben ist ein längerer Aufsatz von einem Neophytos aus
Cypern zu erwähnen, der das beliebte Thema von dem Recht der
Orthodoxen, Armenier etc. an den heiligen Stätten zu Jerusalem
erörtert
10. Revue internationale de Theologie 1895, 8.217—259.
E. Michaud, Etudes sur la Latinisation de l'Orient sous
Louis XIV. I. L'Ambassade de M. de Nointel ä Constantinople
(1670 — 1677), d'apres les documents inödits des Archiv es du
ministere des Affaires ätrangeres ä Paris. Der Verfasser hat zu
diesem sehr instruktiven Artikel, der den ersten einer gröfseren
Reise bildet, die Archive des Ministeriums der Auswärtigen An-
gelegenheiten und die handschriftliche Bibliothek des Instituts zu
Paris benutzen können. Für das vorliegende Thema kam nament-
lich die Korrespondenz und ein Band Memoiren Nointels in Be-
tracht. Charles- Francois -Olier de Nointel war französischer
Botschafter in Konstantinopel von 1670—1679. Seine Bedeu-
tung für die Kirchengeschichte besteht bekanntlich darin, dafs
er mit allen Mitteln den Einflufs des französischen Katholicismns
namentlich durch die Protektion der französischen Jesuiten in der
Levante befördert hat Die Korrespondenz Nointels, aus der wir
im Vorliegenden genaue Auszüge erhalten, bestätigt die frühere
Annahme aufs genaueste. Sie reicht übrigens vom 30. Oktober
1670 bis 23. Dezember 1677 und wechselt zwischen Nointel
einerseits und dem König Louis XIV-, dem Herzog d'fistrees, Col-
bert, den Königinnen von Frankreich und Spanien und vielen
geringeren Personen anderseits. Das Offizielle der Briefe enthält
Instruktionen, Berichte, Anfragen u. dgl.; dazwischen läuft Pri-
vates her. Namentlich kommen eine Menge von Details für die
Biographieen der damaligen höheren griech. Geistlichkeit vor.
Auch vom Erwerb von Handschriften ist viel die Rede. Es ist
zu erwarten, dafs die Fortsetzung der Artikel noch viel Nene«
und Aufklärendes für die Ausbreitung des Katholicismus bringen
wird.
11. Sanfo, Jahrgang XV, S. 297—305. 327—334. 364
bis 370; XVI, S. 74 — 78. KvQtXXog l4&ayaou' Ötjs^ Tu
xara tV aoidtftoy J oai&toy naipiaQ/^y tcok 'itQOOoXvfiüJy.
Der Archimandrit Athanasiades setzt in diesen Artikeln die Bio-
graphie des Patriarchen Dositheos fort und bringt sie zu Ende.
(Vgl. Nachrichten im 12. Bande S. 137.) Er nennt und be-
schreibt zuerst die unedierten Werke des Patriarchen. Es sind
a) eine yo^ixrj avXXoyrj, ein Foliant von 800 Blättern, der auch
eine Menge Urkunden enthält; b) ein avyygaftfia xara 2tyai-
rwr. Der Inhaltsangabe nach handelt es sich um die oft be-
588
NACHRICHTEN.
bandelte Frage, ob das Sinaikloster unter dem Patriarchat von
Jerusalem steht, c) eine Reihe von Briefen, die auch znm Abdruck
kommen. Der interessanteste ist an den englischen Priester Ben-
jamin gerichtet und lehnt dessen Bitte ab, junge Griechen zur Aus-
bildung nach England zu schicken. Dositheos fürchtet mit Recht
eine Verführung zur Apostasie. Er bittet dagegen, die Engländer
möchten in Konstantinopel eine griechische Universität errichten.
Also schon damals, 1702, aufseiten der Griechen der einzig rich-
tige Gedanke! eine Reihe von 149 Briefen, die sich schein-
bar auf das Besitzrecht der Orthodoxen am heiligen Grabe be-
ziehen. Nach den inedita führt der Verfasser die edita an und
bespricht sie dem Inhalt nach. Wir besitzen in diesem Aufsatz
des Athanasiades die erste gründliche Biographie des berühmten
Patriarchen, zwar parteiisch vom griechischen Standpunkt aus,
aber inhaltsvoll und genau.
\%. 'ExxXtjotuoTixy 'AX fata, Jahrgang XIV, S. 407—408.
Ein interessanter Brief des Patriarchen Konstantios I. von
1850 an den Bischof Typaldos von Stawropolis. Konstantios hat
entdeckt, dafs infolge eines Druckfehlers aus dem 16. Jahr-
hundert in den Menäen am 10. Februar ein Bilderstürmer, näm-
lich der Patriarch Anastasios von Konstantinopel verehrt werde.
Der rechtmäfsig zu feiernde Anastasios ist Patriarch von Jeru-
salem gewesen. Die Thatsache des Druckfehlers konstatiere ich
allerdings aus einem Februarmenaeo von 1699. Oder liegt hier
ein älterer Irrtum vor? Auch Nikodemos hat in seinem Syna-
xaristen von 1819 den Fehler. Übrigens ist der Brief kein Jn-
editum; er steht bereits in der Ausgabe der Werke des Kon-
stantios von 1866, die mir vorliegen S. 447. Auch Gedeon er-
wähnt die Sache bereits in seinen TIujqhxqx^ Iltvaxte. Aber
welch ein Unglück, dafs 300 Jahre ein Bilderstürmer kirchliche
Verehrung genossen hat!
18. 'ExxXtjOtuottTr. 'AXi&ua, Jahrgang XIV, S. 23. 86-88.
94—95. 101 — 102. 110—112. 118—120. 143—144. 149
bis 150. 166. J. TooXaxtd i\ g , rtvixoi xavov ia fxol
x (üv i y Kü)y<jTayttyoynoX(t uq (xtv ixwv naigtaQ/rt icü v.
Nachdem S. 23 die Redaktion die Anzeige des Werkes von Tso-
lakides gebracht hat, das ursprünglich armenisch geschrieben, in
griechischer Übersetzung den Titel führt To xu^* r^tug olxo-
ytvtiaxoy d/xatoy, läfst dann der Verfasser von S. 86 an eine
griechische Übersetzung seiner Arbeit unter dem obigen Titel
folgen. Es ist das eine höchst wichi'.ge Publikation zur Kennt-
nis der armenischen Kirche in der Türkei. Irre ich nicht, so
sind es die Ftvixol xavoviofj.oi für die armenische Kirche, die
durch den Hatti humajum vom 18. Februar 1858 au gebahnt
wurden. Sie bilden demnach eine Parallele zu den Tmxoi xa-
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NACHRICHTEN.
589
rovwfiot der orthodoxen Kirche, die 1888 neu abgedruckt wur-
den und die ich in Nr. ö der Tbeol. Litteraturzeitung vom Jahre
1890 angezeigt habe. Auf den Inhalt näher einzugehen, ver-
bietet der Baum. Über den Verfasser sei noch bemerkt, daCs
derselbe in seinen Publikationen auf eine Vereinigung der ortho-
doxen und armenischen Kirche hinarbeitet. Meyer.
14. Die bereits in XV, 1 dieser Zeitschrift von Ph. Meyer
angezeigte römische Tendenz- und Schmähschrift von Dr. Knie,
Die russi6ch-schismatische Kirche [übrigens deshalb
falsch, weil seit dem Vaticanum 1870 durch Verwerfung der
zwei neuen römischen Dogmen das „Schisma" zur „Häresie" ge-
worden ist], hat nun auch von berufener russisch-orthodoxer Seite
eine Zurückweisung erfahren. Propst Maltzew - Berlin , bekannt
als Herausgeber liturgischer Werke wie als Apologet seiner Kirche
— er hat für diese Thätigkeit am 14. Juli 1893 und 21. Februar
1894 von Sr. Heiligkeit dem ökumenischen Patriarchen von
Byzanz zwei Belobungsbreven erhalten — , beschäftigt sich aus-
führlich in der Internationalen Tbeol. Zeitschrift II, Nr. 7 (Juli
1894), p. 483 — 504 mit der Widerlegung Knies. Er erweist,
dafs für die Kritik der Schrift Knies zweierlei übrig bleibt, das
ihm vorgeworfen werden kann, Unwissenheit oder Unwahrhaftig-
keit, p. 484. Die ganze Schrift Knies ist durchzogeu von rö-
mischem Hafs gegen die anatolische Kirche, die Übersicht der
russischen Kirchengeschichte ist lediglich tendenziös gefärbt vom
krassen römischen Parteistandpunkt aus. Von allem dem, was
Knie der russischen Kirche zum Vorwurf macht, weist Maltzew
mit Glück nach, dafs es ein Charakteristikum der römischen
Kirche sei : so der Hochmut auf den alleinseligmachenden Glauben,
die Grausamkeit gegen alle, die davon abweichen, anderseits die
übermäfsige von der Geistlichkeit begünstigte und gepflegte Super-
stition, der Teufelsglaube, die Exorzismen, er beruft sich dabei
mit Recht auf das Rituale Romanum, das die unglaublichsten
Anschauungen über die Bosheit der bösen Geister bei Exorzismen
hegt. In manchen Dingen ist Knie sogar päpstlicher als der Papst,
z. B. über die Gültigkeit und Wirkung der russischen Sakramenten-
Hpendung. Auch thatsächliche Irrtümer bei der Darstellung des
Ritus weist Maltzew Knie nach. Mit viel Eifer verwahrt Maltzew
seine Kirche gegen den Vorwurf des Cäsaropapismus , „er [der
Kaiser] hat auf Dogmen und Kultus der Kirche gar keinen Einflufs",
p. 497. „Der Kaiser von Rufsland ist keineswegs der Herr, sondern
der »erste Sohn der Kirche"*. Bei den gegenwärtig mit so vielem
Anfwand in Scene gesetzten päpstlichen Konferenzen zur Union
mit der griechischen Kirche — , die natürlich bei der bekannten
ablehnenden Haltung der Griechen absolut resultatlos verlaufen
Z«iUehr. f. K.-Q. XVII. 4. 38
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590
NACH RICHTEN .
und eitel Spiegelfechterei sind, damit Born bzw. der Papst un-
kundigen zumal protestantischen Staaten gegenüber sich als der
Hort des Friedens aufspielen könne, was leider gelingt — sind
einige Gedanken von Maltzew über die Möglichkeit einer Union
von Interesse. Sie sei in nächster Zeit nicht wahrscheinlich,
indes unmöglich sei sie auch nicht „Das Verhältnis zwischen
der katholischen Kirche des Orients und des Occidents, wie es
Tor der Spaltung bestand, kann zweifellos rekonstruiert werden;
eine Unterwerfung der orthodox - katholischen Kirche des
Morgenlandes unter Born aber ist ein Gedanke, dessen Verwirk-
lichung außerhalb aller Grenzen der Möglichkeit liegt" Vor
allem weist Maltzew auch energisch den prätendierten Jurisdiktions-
primat des Papstes zurück. Unfehlbar sind ihm die ökumenischen
Konzilien, neben denen ein unfehlbarer Papst überflüssig ist Die
russische Kirche hat also nach Maltzew und gegen die Behaup-
tung von Knie sich durchaus nicht von dem Staudpunkt entfernt,
der „bis auf die kleinsten Äufserlichkeiten den Traditionen der
hl. Väter" entspricht Der Gang der russischen Kirche seit
ihrer Gründung bis in alle Zukunft ist eben der, dafs sie „auf
den unerschütterlichen Felsen Christi gegründet, keiner Än-
derung, keiner Weiterentwickelung, keinem Fort-
schritt, keiner Beform sich unterwirft". Dement-
sprechend „ist noch im russischen Volke der kirchliche Glaube
des Mittelalters lebendig", p. 504. Ob das der Aufgabe einer
christlichen Kirche entspricht? Wir glauben es nicht
Leopold Karl Goete.
15. 'ExxXrioiaoTtxTi *jiXy&na, Jahrgang XIV, S. 162—166.
187—189. 196 — 199. 205 — 206. Erbiceanu, 7arop*xoi pt-
Ä/iai ntoi rt{g vnapitwq jfg Ugag^iag xfc Pwfianx^g ixxXr^aiag
xazä jovg 9 — 14 altovag. Der Verfasser, Professor an der Universität
von Bukarest giebt in diesem Aufsatz, der ursprünglich im ru-
mänischen Blatte Biserica orthodoxa erschienen, gestützt auf abend-
ländische und orientalische Quellen eine Übersicht über den Be-
stand der rumänischen Kirche in der angegebenen Zeit Der
Artikel ist etwas zu patriotisch gehalten, um nicht einseitig zu sein.
* 16. Milkowicz, Monumenta confraternitatis Stanropigianae
Leopoliensis. Tom I. Leopol is 1895. Sumptibus Institut» Stauro-
pigiani. XVI et 496 p. 8°. fl. 5. Eine interessante und dabei
wenig behandelte Erscheinung auf dem Gebiet der orthodoxen
Kirche sind die kirchlichen Vereinigungen, die sich zu verschie-
denen kirchlichen Zwecken, so namentlich zur Abwehr des Ein-
flusses fremder Kirchen bilden. In meinem Besitz sind die
xayopiofAoi verschiedener neuer derartiger vdtX^lxtjttg. Zu dieser
Art von Gemeinschaften gehört auch geschichtlich die adtXtpotfjg
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NACHRICHTEN.
591
oruvQonrjyiuxri zu Lemberg, die im 15. Jahrhundert aus weit*
liehen Anfangen sich bildend, im 16. Jahrhundert namentlich
energisch den Kampf für orthodoxen Glauben und ruthenische
Nationalität gegen den durch das Tridentinum erstarkten Ka-
tholicismus und seine gröTsten Vorkämpfer, die Jesuiten aufnahm.
Die Brüderschaft aber konnte Macht einsetzen, seitdem ihr 1585
das Recht der Schulengründang und des Bücherdruckens gegeben
war. Hernach ist sie zwar selbst der Union mit der römischen
Kirche verfallen. Seit 1788 führt sie durch Joseph II. den
Namen Institutum Stauropigianum. Von dieser Gesellschaft wird
uns in dem vorliegenden interessanten und instruktiven Werk für
die Jahre 1518—1593 mit 300 Urkunden oder Inhaltsangaben
von solchen die Geschichte dargeboten. Der Inhalt derselben
bezieht sich namentlich auf die Entwickelung der Brüderschaft,
besonders auf den Kampf der Patriarchen von Konstantinopel,
Alexandrien, Antiochien und die Metropoliten von Kiew mit dem
Bischof von Lemberg um das Aafsichtsrecht über die Brüder-
schaft. Es ist höchst interessant, wie die griechische Kirche zu
der Zeit noch ihre Rechte durchfocht Es standen allerdings da-
mals Leute wie Jeremias II. und Meletios Pigas an der Spitze.
Besonders bemerkenswert ist, wie die Politik von Konstantiopel
nach 1590 schwankte, um nicht den inzwischen selbständig ge-
wordenen Russen die Macht in die Ilände zu geben. Der Herr
Herausgeber der Urkunden, der seine dahingehenden Studien am
Wiener Institut gemacht und dieses Werk der Universität als
Habilitationsschrift vorgelegt, hat sich der paläographisch und
chronologisch sehr mühevollen Arbeit mit grofsem Geschick er-
ledigt. Nur die im Volksgriechisch gehaltene Urkunde Nr. 101
hätte wohl noch einmal mit richtiger Vokal isation und sonstigen
Verbesserungen gegeben werden müssen. Denn des Verfassers
Urteil: Exceptis enim signis graecis et nonnullis verbis, quae
literam graecam esse testantur, invenitur inibi nihil de vera
Graecorum lingua, ist zu stark. Es ist Volksgriechisch, leicht
verständlich, wenn man es spricht. Es ist meist nur die sehr
starke Verwechslung der Vokale, die die Sache fremd erscheinen
läfst. Die slavischen Urkunden kann ich nicht beurteilen. Dafs
sich der Verfasser der lateinischen Sprache zur Herausgabe be-
dient hat, ist nur zu billigen, ebenso ist die ganze Methode klar
und durchsichtig. Die vorangestellte Datierung mit der guten
Inhaltsangabe, die erläuternden Bemerkungen am Ende machen
die Arbeit in (lern Buche leicht Ich wünsche, dafs der Herr
Herausgeber sein Werk fortsetzen möge, das für die Spezial-
Kirchengeschichte des Orients von grofsem Wert ist.
17. Jwrr(>, Jahrgang XV, S. 319. 335—342. 359—363.
Die neu entstandene orthodoxe Gesellschaft, o avXXoyog t<7v
38*
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592
NACH RICHTEN
MiXQuotuKüv „'^yuro/lr'" wird beifällig besprochen und
ihr Aufruf an die Christen Europas und Amerikas abgedruckt.
Eine deutsche Übersetzung des Appells findet sich auch in der
Revue internationale de theologie II, p. 132 sqq., auf die hier
verwiesen wird. Meyer.
18. Die Unionsbestrebungen der romfreien katho-
lischen Kirchen, über die seit den denkwürdigen Bonner
Unionskonferenzen unter Döllingers Leitung 1874, 1875 äufser-
lich wenig mehr verlautete, sind in ein neues Stadium getreten
und haben seit zwei Jahren einen Aufschwung genommen, der
vielleicht in nicht allzu ferner Zeit zu praktischen Resultaten
führt. Ihnen dient vor allem die Internationale theologische Zeit-
schrift (Revue Internat de Theologie) herausgegeben von dem
(Altkath.) Theologieprofeesur an der Berner Universität E. Michaud.
Diese Zeitschrift, deren zweiter Jahrgang nun vollendet ist, ist
eine Schöpfung des internationalen Altkath. Kongrefs 1892 in
Luzern. Ihr Ziel ist, die Union der christlichen Kirchen zu
fordern. Diesem Zwecke dienen ihre wissenschaftlichen Arbeiten,
die vor allem in ironischem Sinn gehalten, mehr das einigende be-
tonend als das trennende und die durchaus objektiv geschrieben
sein sollen. Grundsatz für diese Studien soll der bekannte Sprach
dos Vincenz von Lerin sein: Id teneamus, quod ubique, qnod
semper, quod ab omnibus creditum est. An der Zeitschrift ar-
beiten neben anderen auch die berufensten Gelehrten der ein-
zelnen Kirchen mit, und der Kreis der Arbeiten ist natürlich ein
sehr weiter. Ich hebe im Folgenden nur die hervor, die rein
kirchengeschichtlichen Inhaltes sind und die mit Rücksicht auf
gegenseitige Annäherung geschriebenen kirchengeschichtlichen und
dogmenge8chich tlichen Aufsatze. Rein kirchengeschichtliche The-
mata behandeln J. Langen -Bonn Nr. 4 u. 5, die Schule des
Hierotheus; Priscillian, Bischof Herzog- Bern Nr. 5; Ivantzov-
Platonov (Professor der Kirchengesch, an der Universität Mos-
kau): Pbotius Nr. 4, 5, 6; Lauchert-Bonn: Die Lehre einiger
hl. Y&ter von der Eucharistie Nr. 7; über die Apologie de»
Aristides (enthält eine Zusammenstellung der bisherigen Arbeiten)
Nr. 6; J. B. Hirscher als theol. Schriftsteller Nr. 8; Goetz-
Passau: Studien zur Gesch. des Bufssakrainents Nr. 6, 7. Dem
Zwecke der Zeitschrift entsprechend steht natürlich die Union im
Vordergrand, darum ist die überwiegende Mehrzahl der Arbeiten
zur gegenseitigen Annäherung der Kirchen und im Geiste einer
Union ironisch gehalten. Allgemeine prinzipielle Fragen
und Gedanken zur Union behandeln vor allem die Bussen
Krzpriester und Beichtvater des Kaisers Janyscbev und der theo-
logische Schriftsteller General Kirejev und seitens der Engländer
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NACH RICHTEN.
593
Kanonikus Meyriek. Grundlegende Aufsätze sind ferner von Be-
layev: Der Grundsatz des römischen Katholicismus, Nr. 4; Swet-
lov: Dogma und theologische Spekulation, Nr. 4; Sokolov (Prof.
d. Univ. Moskau): La Lägitimite de la Hierarchie des anciens-
catholiques, Nr. 3; Holly eveque de l'Egliso haltieune: L'infnilli-
bilite" de l'Eglise, Nr. 6; Nippold- Kohlschmidt: Was verdanken
die evangelischen Kirchen dem altkatholischen Martyrium, Nr. 2;
Kyriakos (nach seinen in der Athenischen Wochenschrift „Elxovo-
YQutpwtyT] *Eoi(uil veröffentlichten Artikeln): Die in Rom ge-
plante Vereinigung der morgenländischen und abendländischen
Kirche, Nr. 3. Hierher gehören auch die Studien von Beyschlag
Nr. 1 , 5 und Langen Nr. 7 über die Aussprüche Jesu an
Petrus, die von der Exegese von Matth. 16, 17 sich zu Aus-
führungen über dio prinzipiellen Unterschiede von Katholisch und
Protestantisch und zu Gedanken über die Union erheben. —
Dogmengeschichtliche Arbeiten , die das römische Dogma als
historisch unbegründet darstellen, sind Bischof Reinkens- Bonn:
Einiges über den Endzweck der Weltschöpfung, Nr. 1 ; Bischof Weber-
Bonn: Das Dasein Gottes, Nr. 3; Reusch-Bonn: Die Siebenzahl
der Sakramente, Nr. 2, und Thesen über die Inspiration der
hl. Schrift, Nr. 6; Michaud- Bern : S. Augustin et l'Eucharistie,
Nr. 5; La Notion de TEglise d'apres S. Augustin, Nr. 8. —
Rein kirchengeschichtliche Arbeiten, die der Union dienen, sind:
Nikophoros Kalogeras, Erzbischof von Patras: Die Verhandlungen
zwischen der orthodox-katholischen Kirche und dem Konzil von
Basel über die Wiedervereinigung der Kirchen (1433 — 1437),
Nr. 1 , und : Markos Eugenikos und der Kardinal Bessarion als
politische Führer des griechischen Volkes, Nr. 4; Lias: The
Thirty-Nine Articles, Nr. 4, und Pnsey, Nr. 7; Croswell - Doane,
Bishop of Albany: The position of the XXXIX articles in the
Episcopal Church in the United States of America, Nr. 6. —
Die Übersicht über die also für die Kirchengeschichte
in Betracht kommenden Arbeiten zeigt, dafs das Arbeitsfeld ein
grofses ist, die angeführten ^nfsätze sind indes weitaus nicht der
ganze Inhalt der Internationalen theol. Zeitschrift. So will ich
nur noch e. g. die Arbeiten des gelehrten Bischofs von Salisbnry
Johannes Wordsworth und die Studien aus der holländisch- alt-
katholischen und armenischen Kirche erwähnen. Die Zeitschrift
hat jedenfalls innerhalb der christlichen Kirche eine grofse auch
praktische Bedeutung und wird sich Verdienste erwerben, wenn sie
zumal die holländische und russisch-katholische Theologie aus dem
langen Winterschlaf auferweckt. — Über die Jahre 95 — 97 und den
gTofsen Fortschritt, den die teilweise ihrem glücklichen Abschlufs
nahen Unionsbestrebungen zwischen Altkatholicismus und Orthodoxie
gemacht haben, werde ich später berichten. Leopold Karl Goetz.
594 NACHRICHTEN.
19. *Exx\r{otuoTixri ldkr&tta, Jahrgang XIV, S. 218 — 219.
laxojpoq Baoiudqg, To lr PoiTigSafif] avyiÜQtov zur riu).uto~
xofroXtx(Zv. Ein sachlicher Bericht über den jüngsten Alt-
katholikenkongrefs. Meyer.
Zur alten Kirchengeschichte.
Voi*
Franklin Arnold, Erwiu Preuschen r.. a.
* 1. Tiele, C. P. , Geschichte der Religion im
Altertum bis auf Alexander den Grofsen. Deutsche
autorisierte Ausgabe von G. Gehrich. I. Band, 1. Hälfte:
Geschichte der ägyptischen und der babylonisch - assyrischen Re-
ligion. Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1895. (XII und
216 S.) Mk. 4. — . Dafs eine Geschichte der Religion im
Altertum eine wichtige Lücke in unserer religionsgeschichtlichen
Litteratur ausfüllen könnte, unterliegt keinem Zweifel; ebenso
wenig, dafs der Verfasser vorstehender Geschichte seinen Beruf
dazu durch zahlreiche Arbeiten bekundet hat. Nur das dürfte
sehr fraglich sein, ob der gegenwärtige Zeitpunkt geeignet er-
scheint, mit einer solchen umfassenden Behandlung ans Licht zu
treten. Nun hat zwar der Verfasser S. 4 seine Methode er-
örtert und vorsichtige Grenzlinien gegenüber der Verwendung
von Hypothesen auf dem Gebiete der Religionen gezogen, über
die man nicht als Fachmann orientiert ist. Er hat sich daher
auch erfreulicherweise bei der Darstellung der ägyptischen Re-
ligion von den luftigen Konstruktionen Brugschs fern gehalten.
Aber wie sehr gerade hier die Forschung ein Neues pflügen
mufs, ist erst jüngst von berufenster Seite an hervorragender
Stelle betont worden: „Die ägyptische Religion erschien vordem
so verständlich . . . jetzt sehen wir ein, dafs wir besser mit un-
serem Urteil über die ägyptische Religion zurückhalten, bis wir
ihre Thatsachen und ihre Geschichte kennen; nnd wie weit wir
davon entfernt sind, zeigt ons jeder Text" (Erman, Antrittsrede
in der Berliner Akademie, 8. Sitz.-Ber. d. Berl. Akad. d. Wiss.
1895, XXIII [4. Juli], 744). Mit der assyrisch- babylonischen
Religion wird es nicht viel besser stehen, so sehr sich freilich
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NACHRICHTEN,
595
die Assyriologen das Gefühl der Sicherheit bei ihren Behauptungen
zu geben wissen. Den Wert einer abschliefsenden Zusammen-
fassung der alten Religionsgeschichte möchte somit das Werk
nicht haben. Dem, der sich Ober den gegenwärtigen Stand be-
quem und zuverlässig orientieren möchte, kann es bestens em-
pfohlen werden.
* 2. Seeck, 0., Geschichte des Untergangs der
antiken Welt 1. Band und Anhang zum 1. Band. Berlin,
Siemenroth & Worms, 1895. (X u. 404 S.; IV u. S. 405 bis
551.) Mk. 6 — u. Mk. 2.50. Es ist mit hoher Freude zu
begrüfsen, dafs Seeck, schon lange als einer der besten Kenner
der römischen Kaiserzeit bekannt, nun daran gegangen ist, den
Ertrag seiner Arbeiten in einer grofs angelegten Geschichte des
Untergangs der Antike znsammenzufassen. Es hat dieser Disziplin
zwar bis in die neueste Zeit nicht an Bearbeitern gefehlt ; aber sie
hat darunter gelitten, dafs sie entweder Apologeten oder dem
Gegenteil von solchen in die Hände gefallen ist. Um so dank-
barer darf man sein, dafs nun G. Boissier in Deutschland ein
— man darf mit Genngthuung sagen, überlegener — Neben-
buhler erstanden ist. Der vorliegende Band erzählt im ersten
Buch in fünf Kapiteln „die Anfange Konstantins des Grofsen"
bis zur Unterwerfung des Licinius und der Herstellung der Reichs-
einheit. Das zweite Buch „Der Verfall der antiken Welt" geht
den Faktoren dieses Verfalles nach (Germanen, Verfall des Heeres,
Untergang der freien selbständigen Persönlichkeiten im öffent-
lichen Leben, Sklavenwirtschaft, Entvölkerung und Eindringen der
barbarischen Elemente ins Reich). Seeck denkt von Konstantin,
wie dessen neuester Biograph, Flasch, sehr hoch. Er war nach
seiner Ansicht nicht der vorsichtige, kalt berechnende Politiker,
der jedes Mittel sich zunutze macht, um eine Stellung zu ge-
winnen und sich in ihr dauernd zu befestigen. Wenn es schliefs-
lich dahin kam, dafs durch ihn das von Diokletian ersonnene
System der Reichsregierung zusammenstürzte, und er in seiner
Person die Regierungseinheit wiederherstellte, so war diese Rolle
ihm von den Verbältnissen aufgezwungen, nicht freiwillig von ihm
übernommen und mit kluger Ausnutzung der Lage durchgeführt
worden. Von dieser Gesamtauffassung des Charakters Konstan-
tins aus urteilt Seeck auch anders über seine Stellung zum
Christentum. Den Traum vor der Schlacht am Ponte Molle hält
Seeck für nicht unwahrscheinlich und sucht ihn psychologisch
begreiflich zu machen. Die Folge seines Sieges war dann die
Obermacht des Chriatengottes, die bei der dauernden Gunst seines
Sternes in ihm nur befestigt werden mufste. Es war also nicht
politische Berechnung, was Konstantin dem Christentum günstig
machte, sondern reine Begeisterung, wie sie seinem lebhaften,
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596
NACHRICHTEN.
feurigen Naturell entsprach. Dafs Konstantin freilich weit davon
entfernt war, ein Musterchrist zu sein, verhehlt auch Seeck keines-
wegs. Das Buch fesselt in hohem Grade durch seine glänzende
Darstellung ; es war ein sehr glücklicher Gedanke, dafs Seeck das
gelehrte Material in einen besonderen Band verwiesen hat; onr
sollte das Register nicht hier, sondern im ersten Bande stehen.
Der Fortsetzung, die hoffentlich nicht lang auf sich warten läjfst,
darf man mit Spannung entgegensehen. [Vgl. K. J. Neumann
im Lit. Centr. Bl. 1895, Nr. 19, 688—690.]
* 3. Einen Ausschnitt aus der Geschichte des Verfalles des
römischen Beiches behandelt das Buch von M. Baumgarten,
L. Annaeus Seneca und das Christentum in der tief ge-
sunkenen antiken Weltzeit (Rostock, W. Werther, 1895. VIII
u. 368 S.). Wie das, mit St unterzeichnete Vorwort bemerkt,
ist die vorliegende Schrift die „summarische aber doch wort-
getreue Wiedergabe eines sehr umfangreichen Manuskripts". An
einzelnen Stellen mag durch diese Umarbeitung eine Unklarheit
im Ausdruck verschuldet sein, und nur allzu zahlreiche Fehler in
den Citaten dürften hier ihre Quelle haben. Der Titel ist zu
eng. Das Werk enthalt im Grunde eine Apologie des Christen-
tums auf historischer Grundlage, wie sie etwa auch Tzschirner
vorgeschwebt haben wird. Seneca, der nach seinen Licht- und
Schattenseiten geschildert wird (Kap. 2 u. 3), ist für Baumgarten
nnr ein Repräsentant der gegen die dämonischen Mächte des
Heidentums, die „zwei sakrilegischen Lügen", d. h. die Menschen-
vergötterung im Cäsarenkult und die Unsittlichkeit (Kap. 4) ver-
geblich kämpfenden Philosophie. Diese Mächte, die das Heiden-
tom zu Falle bringen, werden überwunden durch die sittlichen
Kräfte des Christentums (Kap. 6 u. 7). Das Urteil Über Seneca
sucht Einseitigkeit im Loben und Verdammen zu vermeiden. Ein
Genie war Seneca gewifs nicht, und was ihm von originellen
Gedanken von Baurogarten zugesprochen wird, ist ein Erbteil der
stoischen Schule von Posidonius her. Der Widerspruch zwischen
Wort und Leben wird begreiflich in einer Umgebung von Sklaven
und schranzenden Excellenzen, in der auch der Philosoph zum
Lakaien wurde; und Seneca war keiner der schlechtesten von
ihnen. Das „christliche" in seinen Schriften erklärt sich aus
den geistigen Spannungen seiner Zeit, dem, was Georgii die
„Philosophie des Weltreiches" nannte. — Das Buch von Baum-
garten beruht auf umfangreichen Studien und ist von hohem sitt-
lichen Ernste getragen. Eine leichte Lektüre ist es nicht; aber
ohne Anregung wird es niemand aus der Hand legen. (Vgl.
S. Deutsch, Theol. Lit.-Ztg. 1895, Nr. 24, 619—621.)
* 4. Eine vor einem halben Jahrhundert im Mittelpunkt der
Erörterungen über die alte Kirchengeschichte stehende und seit-
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NACH NICHTEN.
597
dem fast ganz brach liegende Frage behandeln die Vorlesungen
des verstorbenen, unvergessenen F. J. A. Hort, Jndaistic
Chri8tianity (Cambridge and London, Macmillan & Co., 1H94.
VII and 222 p). Die zwölf von J. 0. F. Murray zum Druck
gebrachten Vorlesungen sind, wie man wohl ans einer Notiz
Uber Weizsäckers Apostolisches Zeitalter (S. 11) schliefsen darf,
im Jahre 1888 gehalten. Die seit dieser Zeit geführten De-
batten konnten also nicht mehr berücksichtigt werden, wie auch
Weizsäckers Werk nicht benutzt ist. Aber auch so mufste
sich , dem Zweck der Vorlesungen entsprechend die Ausein-
andersetzung mit abweichenden Ansichten auf ein Minimum be-
schränken. Eine Bearbeitung aller in Frage kommenden Pro-
bleme bietet das Buch nicht, wohl aber eine knappe, auf ge-
nauer Kenntnis der Quellen beruhende, in der Anwendung der
Kritik sehr vorsichtige Darstellung des Entwickelungsganges des
Judenchristentums bis zur Zeit der Pseudodemenzen , über die
uns eine besondere Schrift (ebenfalls Vorlesungen) Horts in Aus-
sicht gestellt wird. Dieser Stoff ist fogendermafsen verteilt:
nach der Begriff, Methode, Disposition und Litteratur behandeln-
den Einleitung (I) folgt eine Erörterung über die Stellung Jesu
zum Gesetz (II), eine Schilderung der ältesten Jerusalemer Ge-
meinde (III), sowie der Gemeinde von Antiochien (Apostelkonzil,
Streit des Paulus mit Petrus) (IV). Der selbständigen Wirksamkeit
Pauli ist die V. Vorlesung gewidmet, die VI. seiner Gefangenschaft
und den aus ihr stammenden Briefen. Die folgenden Vorlesungen
behandeln: Pastoralbriefe (VII), Jakobusbrief, Petrusbrief, Hebräer-
brief, Apokalypse (VIII), die Geschichte der Jerusalemer Gemeinde
bis auf Hadrian (Hegesippns) (IX), die Judaisten der Ignatius-
briefe (X), Korinth, Barnabas, Justin d. M. (XI), die Judaisten
von Palästina (XII).
* 5. Den Styliten hat der gelehrte Direktor der Bollandisten,
Hippolyte Delahaye, eine interessante Studie gewidmet („Les
Sty 1 i tes " Compte rendu du 3e congres seien tifique international
des Catholiques tenu ä Bruxelles du 3 au 8 Sept. 1894. Bru-
xelles, Polleunis et Ceuterick impr, 1895. p. 191 — 232; auch
separat 44 p.). Man findet hier aufser einer sorgfaltigen Zu-
sammenstellung der namentlich genannten Styliten, zum Teil nach
ungedruckten Materialien, u. a. den Nachweis, dafs das Styliten-
tum keine vereinzelte Ausgeburt einer unnatürlich gesteigerten
asketischen Stimmung war, sondern dafs es gleichsam einen Or-
den der Styliten gab, der sogar eine Art von Ritual der Sty-
litenweihe (mit dem Evangelium Lukas 20) besafs. Wie Dela-
haye zeigt, florierte das Stylitentum noch im 12. Jahrhundert.
Wann es aus der Geschichte verschwand, läfst sich nicht mehr
ermitteln.
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508
NACIIKICIITEN.
* 6. Bardenhewer, Otto. Patrologie. Freibarg i. Br.
Herder 1894. X u. 635 S. Mk. 8. Geb. Mk. 10. — Der Ver-
fasser hatte ursprünglich die Bearbeitung der in demselben Ver-
lage erschienenen Alzogschen Patrologie übernommen. Da eich
der Durchführung dieses Auftrages Hindernisse in den Weg stell-
ten, unternahm er, sobald er in der Lage war, die Ausarbeitung
eines völlig neuen Buches. Man wird das nicht beklagen. Der
Verfasser war auf diese Weise viel besser in den Stand gesetzt,
seine ausgebreitete Gelehrsamkeit, sein feines Urteil zur Geltung
zu bringen. Er definiert seine Aufgabe selbst dahin, dafs er „in
möglichst knapper und übersichtlicher Form den gegenwartigen
Stand patrologischen Wissens und Forschens zur Darstellung"
bringen, „und zugleich durch Vorführung der jedesmaligen Li-
teratur zu weiterem Eindringen in Einzelfragen" anregen wolle.
Das ist ihm vortrefflich gelungen. Sein Buch orientiert in knapper
und zuverlässiger Weise über den augenblicklichen Stand, d. h.
natürlich bis zum Jahre 1894, seit welcher Zeit allerdings wieder
neue, wichtige Untersuchungen, z. B. Über Novatian und Sixtus
erschienen sind. Auf Einzelheiten einzugehen vorbietet an diesem
Orte der Raum. Nur das sei beiläufig bemerkt, dafs Barden-
hewer in dem von Tertullian in de pudic. bekämpften Gegner
den Bischof Zephvrin sieht (S. 53. 133. 138). Zwar führt S. 138
als Litteratur Harnack (Altchr. Lit.-Gesch. 1, 603 ff.) und Bolffs
an. Das deckt sich aber doch nicht mit seiner Auffassung, und
zur Vermeidung eines Irrtums wäre in der Anmerkung zu sagen
gewesen, dafs man das sogen. Bufsedikt neuerdings gewöhnlich
dem Bischof Kallist zuschreibe. Es wäre übrigens interessant,
die Gründe zu hören, die Bardenhewer veranlafsten, von der jetzt
herkömmlichen Annahme, die meines Erachtens bewiesen ist, ab-
zuweichen. Allein selbst solcher Kleinigkeiten wird man nicht viel
auszusetzen finden. Das einzige, was man bedanern kann, ist, dafs
der Verfasser keiuen Versuch gemacht hat, eine christliche Lit-
terat u rg-esch ich t e im höheren Sinne zu schreiben. Er teilt den
Stoff in drei Zeiträume, den ersten mit dem Beginne des 4. Jahr-
hunderts, den zweiten mit der Mitte des 5. Jahrhunderts, den
dritten mit dem Ende der patristischen Zeit abgrenzend. Inner-
halb dieser Zeiträume werden nur die Sprachgebiete unterschieden,
im ersten Griechisches und Lateinisches, im zweiten Griechisches,
Syrisches, Lateinisches, im dritten Griechisches, Armenisches, La-
teinisches. Ein solches Verfahren hat für ein Nachschlagebuch
seine unzweifelhaften Vorteile; aber das vorliegende Werk ledig-
lich als ein solches anzusehen, würde ein Unrecht gegen es be-
deuten. Eine Entschuldigung hat der Verfasser freilich darin,
dafs er nur die herkömmliche Art, Patristik darzustellen, befolgt
hat. — In den Dank teilt sich mit dem Verfasser C. Weyman,
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NACHRICHTEN.
599
dessen ausgezeichnete Kenntnis der Kirchenväter dieser Patrologie
zugute gekommen ist. Preuschen.
* ?• Lehrbuch der Dogmengeschichte von Adolf
Uarnack. Erster Band: Die Entstehung des kirchlichen Dogmas.
Dritte verbesserte und vermehrte Auflage. Freiburg i. Br. 1894
(VIII und 799 S.). Zweiter Band: Die Entwickelung des kirch-
lichen Dogmas I. Dritte verbesserte und vermehrte Auflage.
Freiburg i. Br. 1894 (XV und 483 S.). Von stilistischen Än-
derungen abgesehen, hat der Verfasser sein Lehrbuch umgear-
beitet, indem er die in den Jahren 1888(1887) — 1893 publi-
zierten Ergebnisse eigener und fremder Forschungen dogmengeschicht-
lich verwertet, zutage getretene Mißverständnisse beseitigt und
seine Abweichung von neuerdings vorgetragenen Theorieen be-
gründet. Er halt I, S. 64 mit der Zustimmung zu Spittas Ansiebt
von dem ursprünglichen Sinn des h. Abendmahls zurück, stellt
S. 148 f. unter Polemik gegen die Zahnsche Hypothese eine eigene
über die Symbolbildung vor dem römischen Symbol auf, lehnt
S. 205 die Sohmsche Auffassung von der epochemachenden Be-
deutung des ersten Clemensbriefes ab, bekämpft den Grundgedan-
ken des Sohmschen „ Kircheurechts " als „ wiedertäuferisch" und
entscheidet sich II, 157 gegen Dräseke für die athanasianische
Herkunft der Schriften „Gegen die Hellenen" und „Von der
Menschwerdung des Logos". — Noch bedeutungsvoller sind die
Zusätze, in denen sich Harnack über die eschatologisebe und
weltflüchtige Richtung im Urchristentum ausspricht: I, S. 56 über
das Eschatologisebe im Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbst-
zeugnis; S. 71 — 73 über die Frage, ob nicht das Evangelium
mit jenen Elementen so verknüpft sei, dafs es um sein Wesen
gebracht werde, wo diese wegfallen, vgl. S. 133 über den Chilias-
mus. Ferner ist als neu hervorzuheben S. 96 über die jungfräuliche
Geburt, S. 136 Über die Dunkelheit der Periode von ca. 61
n. Chr. bis zur Regierungszeit Trajans, S. 209 f. über die Theo-
logie des Ignatius, S. 217 über den platonischen Geist im Gno-
sticismus, S. 230 die Charakteristik verschiedener Gnostiker,
S. 240 f. über die Unterschiede zwischen dem gnostischen und
dem gemein-kirchlichen Christentum, S. 295 f. über den antipla-
tonischen stoischen Rationalismus der pseudoclementinischen Schrif-
ten, S. 453 über den Sturz des Paul von Samosata als einen
Sieg römischer Kircheneigentümlicbkeit in Antiochien, S. 338 die
Grundsätze für die Kritik des Neuen Testaments, S. 348 Über
die Apostelgeschichte , die nur im Hinblick auf den Kauon eine
junge Schrift zu nennen sei: „an sich ist die Schrift alt und
größtenteils zuverlässig", S. 500 über Justin als Vorläufer des
Irenaus und des Melito, S. 763 über das Verhältnis von Joh 3, 16
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600
NACHRICHTEN
zu Phil. 2, 5 ff. und über den normalen Charakter der johannei-
schen Christologie im Gegensatz zur kirchlich-dogmatischen. —
Methodologisch und prinzipiell wichtig sind endlich die Erörte-
rungen über den dreilachen Gebrauch des Wortes „Dogma", über
den doppelten des Wortes „Dogmatik", sowie die Abweisung der
Forderung eines undogmatischen Christentums S. 21 f.
Arnold.
* 8. Bibliotheca hagiographica Graeca seu elenchus ri-
tarum sanctorum Graece typis impressarnm ed. Hagiographi Bol-
landiani. Bruxellis, ap. editores 1895 (XII et 143 p). — Einen
vortrefflichen Wegweiser durch die griechischen Heiligenlegenden
haben die Bollandisten mit obigem Werkeben geliefert, das in
alphabetischer Reihenfolge die bis jetzt gedruckten Heiligenviten
mit Angabe der Fundorte und der den Drucken zugrunde geleg-
ten Handschriften enthält. Wer auf grösseren Bibliotheken die
hagiographischen Handschriften durchsucht, wird an dieser biblio-
theca ein unentbehrliches Hilfsmittel haben. Dafs nicht genauer
bezeichnete Handschriften nicht identifiziert worden, und dafs bei
den Parisern vielfach die alten Nummern angegeben sind, wird
man bedauern. Aber es wäre unbillig, der fleifsigen Arbeit des-
wegen einen Vorwurf zu machen. (Vgl. H. üsener, Deutsche
Lit.-Zeitg. 1894, 46, 1443—1446. Ph. Meyer, Theol. Lit.-Ztg.
1895, 4, 108—110.)
* 9. Einen Teil des Ertrages einer Studienreise nach Italien
legt E. Klostermann in seinen Analecta zur Se ptuaginta,
Hexapla und Patristik (Leipzig, Deicbert, 1895. VIII und
128 S. Mk. 3.—) vor. Der erste Abschnitt (Analecta zur Sep-
tuaginta) zeigt, was schon lange kein Geheimnis mehr war, wie
wenig Verlafs im allgemeinen auf die Kollationen der Handschrif-
ten bei Holmes und Parsons ist Da eine neue kritische Sep-
tuagintaausgabe nach dem Muster von Holmes in England geplant
ist, wird man sich hoffentlich diese Nachweise zur Warnung die-
nen lassen. Es kommt doch wahrlich nicht daranf an, ein paar
Uncialen genau zu vergleichen, sondern darauf, über die verschie-
denen Gruppen zuverlässige Kunde zu erhalten. Ein Anhang ver-
zeichnet die stichometrisclien Notizen, die sich in elf Handschrif-
ten fanden. Der zweite Abschnitt (Analecta zur Hexapla) giebt
Materialien zur Vermehrung der hexaplarischen Überlieferung von
Hab. 3, 1 Sam. 1 — 14 und Hiob. Teil III (Analecta zur Pa-
tristik) beschäftigt sich mit der unter Athanasius und Chrysosto-
mus Namen stehenden Synopse, und giebt ausführliche Mitteilungen
aus dem Cod. Barb. III, 36 sc. XI. Die auf die Exodus, Threni,
Daniel, Markus, epp. Pauli bezüglichen Stücke, sowie die Über-
sicht über die biblischen Bücher druckt Klostermann in extenso
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NACHRICHTEN.
601
ab. Aus einer Analyse der Athanasius- und Cbrysostomustexte
glaubt Klostermann schliefsen zu dürfen, dafs es sich ursprüng-
lich um zwei verschiedene, jetzt nirgends mehr in ihrer originalen
Form vorliegende Schriften handele, deren Texte sich später gegen-
seitig beeinflnfst haben. Mit seiner Forderung, dafs man an eine
Lösung der Frage nicht eher herangehen dürfe, als bis die Texte
besser bekannt sind, ist Klo6termann durchaus im Rechte. Man
wird einen Schritt weiterkommen, wenn Corsseus Untersuchung
über die lateinischen Evangelienprologe vorliegt, an die Kloster-
mann nicht gedacht zu haben scheint. Im Anhang zu diesem
Teil druckt Klostermann die Danielapokalypse nach zwei Vene-
diger und zwei Pariser Handschriften ab, dazu nach Venet. VII, 3
drei weitere apokryphe Stücke. Preuschen.
* 10* Zö ekler s Biblische und kirchenhistorische Studien
(München, Beckgehe Buchhandlung) wollen eine Reibe solcher
auf dem einschlägigen Gebiet liegender Probleme behandeln, welche
ein aktuelles Interesse bieten. Die fünf Hefte sind sowohl einzeln
wie in einen Sammel band vereinigt zu haben. Krstes Heft: Zum
Apostolikumstreit. Gedanken und Untersuchungen insbesondere
aus Anlafs der Schriften von A. Harnack und F. Kattenbusch
(85 S.) 1 Mk. 60 Pf. Die zwölfgliedrige Gestalt des Symbols
ist nachnieänisch ; ursprünglich war es dreigliedrig, seiner Her-
kunft aus Christi Tauf befehl gemäfs. Die vornieänischen Kirchen-
väter erkennen in ihrer Mehrzahl den hypostatischeu Charakter
des h. Geistes an. Die „communio sanetorum" wurde ursprüng-
lich nicht vom Heiligenkult verstanden. „Catholicam" stammt
nicht aus dem Cyprianschen Kirchenbegriff, sondern ist orienta-
lischen Ursprungs. Der descensus Christi ist biblisch begründet.
In gewissem Sinne ist das Apostolikum ökumenisch zu nennen
(Epistola Flaviana. Quinisextum). Zweites Heft: Diakonen
und Evangelisten. Zur Entwickelung der Kirchen- und Gemeinde-
ämter im Urchristentum. Mit besonderer Rücksicht auf Sohms
Kirchenrecht I (170 S.) Mk. 1. 80. Das Amt der Presbyter ist
entstanden aus der Stellung, welche die Häupter der Hausgemein-
den innehatten. Die Hausväter und Hausbesitzer überwachten
den bei ihnen gehaltenen Gottesdienst und übten Gemeindedis-
ziplin. Das Diakonenamt hat sich aus den Befugnissen der Sie-
ben (Actor. 6) entwickelt und ist nicht spezifisch römischer Her-
kunft (vgl. Iren. I, 26, 3). Der Episkopat ist unmittelbar apo-
stolischen Ursprungs. Drittes Heft: Das Lehrstück von den
sieben Hauptsunden. Beitrag zur Dogmen- und Sittengeschichte,
insbesondere der reformatorischen Zeit (118 S.). Mk. 2. 40.
Viertes Heft: Evagxius Pontikus. Seine Stellung in der alt-
christlichen Litteratur- und Dogmengeschichte (126 S.). Mk. 2
C02
NACHRICHTEN
Tertullian adv. Marcion. IV, 9 redet bei Gelegenheit des sieben-
maligen Untertaachens Naemans im Jordan zum erstenmal von
septem maculae capitalium delictorum, bietet aber noch nicht das
spätere Schema. Urheber des Kataloges der 7 (8) Laster ist
Evagrius Ponticus (t ca. 400), der nach Gennadius de vir. ill.
c. 11 „octo principalium vitiorum suggestiones ant primns advertit
aut inter primos didicit". 8ein Antirrhetikos führte anch den
Titel „Über die acht Lastergedanken". Das Schema ist, wie es
scheint, auf stoischen Einflufs zurückzuführen. Nilus und Johan-
nes Cassianus de inst, coenob. V-XII haben es aufgenommen
und zum Teil mit Deuter. 7 , 1 motiviert. Im augustinischen
Sinne wird es von Cäsarius Arelatensis u in gebildet und von Gre-
gor d. Gr. tradiert. Zöckler verfolgt die Lehre durch die Scho-
lastik (Bonaventura S. 75 f.) bis zur jesuitischen Moraltbeologie.
Das vierte Heft erörtert Lebenslauf und Schrifts teilerei des Eva-
grius Ponticus. Ein Anhang von D. F. Baethgen bietet eine
Übersetzung von Evagrius' grösserer Schrift über die acht Laster-
gedanken, aus einem zu Berlin bruchstückweise erhaltenen syri-
schen Text (vgl. Dräseke, Zu Evagrios Pontikos Z. f. w. Th. 1894,
S. 125—137; Preuschen, Th. L. Z. 1894, S. 484—488; Krö-
ger, Theol. Jahreaber. XIII, 195).
* 11. Analecta. Kürzere Texte zur Geschichte der alten
Kirche und des Kanons zusammengestellt von Erwin Preuschen
(Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschichtlicher Quellen-
schriften als Grundlage für Seminarübungen, herausgegeben unter
Leitung von D. G. Krüger, achtes Heft), Freiburg i. Br. 1893
(Xn und 185 S ) Mk. 3. Eine Sammlung der hauptsächlichsten
Quellenstellen zur Geschichte der Christenverfolgungen und zur
Geschichte des Kanons ist ein dankenswertes Unternehmen. Die
vorliegenden Analecta können beim Privatstudium gute Dienste
leisten und sind auch für Seminarübungen zu empfehlen, wenn
die Leiter derselben zu Anfang die allerdings nicht unerheblichen
Versehen austilgen lassen, auf welche Haufsleiter im Theol. Lit-
teraturblatt 1894, S. 75 ff., Lüdemann im Theol. Jahresber. XIII,
153 und Lauchert in der Internationalen Theol. Zeitschrift II
(1894), S. 356—358 hingewiesen haben.
* 1 2. ThebookofEnoch translated from Professor Dill-
manns Ethiopic text, emended and revised in accordance with
hitherto uncollated Ethiopic Mss. and with the Gizeh and other
greek and latin fragments, which are here published in füll, edited
with introduction, notes, appendices and indices bj B. H. Charles
M. A. Trinity College, and Exeter College, Oxford. Oxford, Clarendon
press 1893 (XIII, 391 S.). Die hier gebotene Übersetzung basiert
an etwa 600 Stellen auf einem Text, der von dem Dillmannschen
abweicht Der Gebrauch dieses Buches ist dadurch unbequem, dafs
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NACHRICHTEN.
603
dem Verfasser im Verlaof des Druckes, besonders durch die in-
zwischen eingetretene Publikation der Handschrift von Qizeb, die
Vorzüge der Manuskripte des Britischen Museums immer einleuch-
tender wurden. Charles unterscheidet folgende Bestandteile: 1) Kap.
I — XXXVI, geschrieben vor 170 v. Chr., prophetischen Charakters,
verwandt mit Jes. 65 und 66. — 2) Kap. LXXXIII— XC, geschrie-
ben ca. 166 — 161 v. Chr. unter dem Eindruck der Kriegserfolge
des Judas Maccabäus. — 3) Kap. XCI— CIV geschrieben ca. 134 —
94 v. Chr., transcendental und spiritualisierend. — 4) Die Si-
militudines Kap. XXXVII— LXX, geschrieben zwischen 94—64
v. Chr., mit einer von dem dritten Teil gänzlich abweichenden
Tendenz. Hier spiegeln sich die wechselnden Beziehungen zwi-
schen den Hasmonaern und den Chasidäern ab. — 5) Das Buch
von der Himmelswelt Kap. LXXII — LXXIX und LXXXII, aus
ungewisser Zeit. — 6) Interpolationen aus der Offenbarung Noahs
u. 8. w., einverleibt in vorchristlicher Zeit. Die Einleitungen,
Anmerkungen und Exkurse bieten reichlichstes Studienmaterial.
Der Verfasser stellt ein Werk Ober die vorchristlichste apokry-
phische Eschatologie in Aussicht Arnold.
* 13. Das zuerst von Dillmann 1859 äthiopisch nach zwei
jungen Handschriften edierte Buch der Jubiläen (vgl. dessen
vorher in Ewalds Jahrbb. 1841 f. erschienene deutsche Übersetzung)
hat B. A. Charles nach zwei älteren Handschriften, einer Pa-
riser aus dem 15. und einer Londoner aus dem 1 6. Jahrhundert
mit Berücksichtigung der bereits von Dillmann benutzten und des
übrigen textkritischen Materials, der griechischen Fragmente, des
kleinen syrischen Excerptes und der alten lateinischen Obersetzung
herausgegeben. Seine Ausgabe ist, wie Praetorius zeigt (TbeoL
Lit-Zeitg. 1895, 24, 613—616) nicht von Willkürlichkeiten frei.
Eine neue Übersetzung wäre, da die Dillmannsche nicht mehr
genügt, recht wünschenswert. Peuschen.
* 14. xVAAMOl lO^OMÜNTOZ. Die Psalmen Salo-
mos zum erstenmale mit Benutzung der Athoshandscbriften und
des codex Casanatensis herausgegeben von Oscar von Geb-
hardt (Texte und Untersuchungen zur Gesch. der altchristlichen
Litteratur, hsgg. von 0. v. Gebhardt und Ad. Harnack, 13. Band,
Heft 2), Leipzig 1895. VI u. 151 8. (Mk. 5). Von den Psal-
men Salomes darf jetzt als ausgemacht gelten, dafs sie „ die authen-
tische Quelle für den Charakter des Gegensatzes zwischen Phari-
säern und Sadducäern" bieten (vgl. Wellhausen, Israelit, und jüd.
Gesch. S. 249). Die Verherrlichung des Xgtat'g xvgiov am
Schluß des Psalters (18, 7. — 17, 32) erklärt es genugsam,
dafs das Buch in christlichen Kreisen geschätzt wurde. In dem
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604
NACHKICHTKX.
ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung läfst sich sogar eine ge-
wisse Steigerung des Gebrauchs nachweisen : bei der Pistis Sophia
bleibt es nur wahrscheinlich, dafs sie in ihrem zweiten Citat aus
den Salomonischen Oden die 18 Psalmen voraussetzt; der biblische
codex Alexandrinus nennt diese ausdrücklich, aber am Schlufs
seines Verzeichnisses; später rücken sie an ehrenvollere Platze
(vgl. Zahn, Gesch. des neut. Kan. II, 1, S. 289. 292. 299. 317).
Dann ist das Buch, wenigstens im Abendland, wo man es im
Altertum kannte, verschollen. — Als Hilgenfeid im Jahre 1868
(Z f. w. Th. XI, 133 — 168) die wissenschaftliche Behandlung
des Textes begann, stand ihm aufser der editio prineeps des Je-
suiten de la Gerda (Lugduu. 1626) nur die ungenaue Kollation
eines Wiener Codex zur Verfügung: v. Gebhardt verwertet jetzt
die sorgfältigen, grofsenteils von ihm selbst vorgenommenen Ver-
gleichungen von acht Handschriften. Aber die Überlieferung ist
nicht nur reicher, sie ist auch einfacher geworden. Die beiden
Zeugen Hilgenfelds sind überflüssig gemacht durch den histori-
schen Nachweis, dafs die eilitio prineeps nur auf ungenauen Ab-
schriften jenes Wiener Zeugen beruht, und dieser wiederum er-
weist sich als sklavische Kopie des zuerst 1891 von Ryle und
James benutzten cod. Hauniensis 6 saec. X/XI. Aus dieser äl-
testen aller bis jetzt bekannten Handschriften, einem kalligra-
phischen Meisterwerk, sind auch zwei andere zuerst in der Cam-
bridger Ausgabe verwertete Handschriften geflossen. Leider hat
der sorgfältige Schreiber des cod. Hauniensis eine ziemlich schlechte
Vorlage gehabt. Eine Handschrift, die einen anderen Zweig der
Überlieferung repräsentiert, wurde zum erstenmale 1894 von
Swete im Anhang zum dritten Bande seiner LXX-Ausgabe ver-
wertet, doch ohne die erforderliche Akribie (cod. Vat. Gr. 336
saec. XI/XII). Selbständig von H sind ferner drei jetzt zum
erstenmale herangezogene Manuskripte: ein in Stichen geschrie-
bener Codex des Klosters Iwiron auf dem Berge Athos (saec.
XIV), von Philipp Meyer in Erichsburg entdeckt und abgeschrie-
ben, sowie einer des Lauraklosters auf dem Athos (L), dessen
Bibliothekar Herr Alexandros ihn genau kollationiert hat. Die
letztgenannten drei Textzeugen sind direkt aus Uncialhandschrif-
ten geflossen. Dasselbe gilt von dem mit L derselben Vorlage
entstammenden cod. Casanatensis saec. XII/XIII, nicht aber von
H; v. Gebhardt weist in dieser Quelle aller bis 1894 erschie-
nenen Ausgaben etwa 70 schlechte Sonderlesarten nach. Manche
von Hilgenfeld an ihnen vorgenommene Korrekturen sind jetzt
durch die besseren Textzeugen bestätigt. — Der neu gewonnene
Text ist nicht selten lichtvoller als der bisher bekannte : die groß-
artige Schilderung von dem Ende des Pompejus II, 26 (30)
stimmt besser als die früher gelesene zu Plutarch, Vita Pomp.
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NACHRICHTEN'.
605
c. 80. Aber wie viele Dunkelheiten bleiben noch zurück t Bei
dem historisch so wichtigen 4. Psalm findet man sich für die
Entscheidung, ob man ihn (bes. Vers 9), mit Wellhausen (Pharis.
und Sadd. S. 146) auf Alexander Jannäus zu deuten habe, nicht
gefördert. Die geschichtliche Situation desselben Liedes hat durch
die Parallele, welche jetzt durch die Ähnlichkeit von IV, 1 mit
XVII, 16 (18) entsteht, sogar an Deutlichkeit verloren. Aber
gerade solche und ähnliche Schwierigkeiten zeigen, dafs wir eine
Übersetzung vor uns haben. Bei der Zustimmung, die Hilgen-
felds These von der Ursprünglichkeit der griechischen Sprache
der Psalmen neuerdings bei Zöckler gefunden hat, ist die Ent-
schiedenheit hervorzuheben, mit der v. Gebhardt an der hebräischen
Gruudschrift festhält, wozu Stellen wie II, 25 (29) verglichen mit
Hosea 4, 7 doch auch geradezu nötigen. Der Herausgeber schliefst
seine Einleitung (S. 88): „Gar manches Rätsel harrt noch der
Lösung, und nur eine mit voller Beherrschung des Gegenstandes
unternommene Bückübersetzung ins Hebräische kann hier Hilfe
bringen." Franz Delitzsch hatte gehofft, wenn der Herausgeber
die textkritische Grundlage gelegt haben werde, dies Werk aus-
zuführen — jetzt ist die Vorarbeit seinem Gedächtnis gewidmet.
Arnold.
* 15. Heinrich Lisco, Prediger (in Rommelsburg bei
Berlin), Paulus Antipaulinus. Ein Beitrag zur Auslegung
der ersten vier Kapitel des ersten Korintherbriefes. Berlin,
G. W. P. Müller, 1894. VIII und 192 S. Mk. 4. — Der Ver-
fasser giebt im Vorwort den Inhalt seiner Arbeit selbst folgender-
mafsen an: sie „entwirft auf Grund von 1 Kor. 1 — 4 ein neues
Bild von den korinthischen Parteiverhältnissen, vom Charakter
des Apostels Paulus, von der Lehre, die er in Korinth verkün-
digte. Sie behauptet, dafs nur zwei Parteien in Korinth bestan-
den haben, eine heidenchristliche Majorität der Pauliner und eine
judenchristliche Minorität der Apollonier. Sie sucht nachzuweisen,
dafs der Apostel in Kap. 1 — 4 gegen die heidenchristlichen Pau-
liner stritt. — Sie vertritt die Ansicht, dafs das Christentum
des Apostels Paulus kein theoretisch-dogmatisches, sondern ein
ethisch-pneumatisches war. In drei Abschnitten versuche ich den
Beweis für die Richtigkeit dieser Ansichten zu führen. Der erste
Abschnitt — die Weisheit Pauli — bringt eine Auslegung der
dogmatischen Partieon Kap. 1, 17 — 3, 4 und stellt das Bild vom
Auftreten des Apostel [so!] Paulus in Korinth fest (p. 1 — 76). —
Der zweite Abschnitt — Pauliner und Apollonier — stellt uns
1, 17 — 3, 4 ein neues Bild her von dem Verhältnis der beiden
genannten Parteien und führt das neugewonnene Bild für 1, 13 bis
17 und 3, 5 — 4, 17 durch (p. 77—150). Der dritte Abschnitt
Z«it»chr. f. K.-G. XVII. 4. 39
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60 G
NACHRICHTEN.
— Petriner und Christiner — bringt eine Erklärung der Stellen
1, 12 — 13 und 3, 21 — 23; er schliefst mit einem Hinblick anf
Anfang und Schlufs der vier Kapitel (p. 151 — 187). Im Schluß-
wort findet sich ein Rückblick auf den Gang der Beweisführung
im einzelnen und ein Überblick über die gewonnenen Resultate
(p. 188—192)". Von den „Resultaten" hebe ich als die cha-
rakteristischeren folgende hervor, wieder in der Formulierung des
Verfassers selbst. „Der Abschnitt 1, 17 — 3, 4 ist gegen Freunde
der griechischen Weisheit gerichtet Sie haben den Apostel wegen
seines weisheitsvollen Auftretens gelobt. Die Weisheitefreunde
sind Pauliner gewesen" (S. 188). „Nur gering sind die Erfolge
des Apollos gewesen; die Apollonier waren eine verachtete Partei;
die Pauliner fingen den Zank an. Paulus schützt in 1, 17 bis
3, 5 in innig zarter Weise die verachteten Apollonier gegen die
Angriffe der Pauliner" (S. 188). „Apollos und die Apollonier
sind nicht unter den Heidenebristen, sondern unter den Juden-
christen zu suchen" (8. 189). „In 1, 12 darf man die Parolen
iyui Krjtfu, iyci Xgtarov nicht zu einer dritten und vierten Partei
materialisieren" (S. 189). Dieser Parolen „müssen die Pauliner
und die Apollonier sich im Widerstreit der Meinungen zur Er-
gänzung der Grundparolen iyw JIuvXov, iyw *Anok\w bedient
haben" (S. 189). „Die chiastische Stellung der Parolen Pau-
lus (a), Apollos (b), Kephas (b), Christus (a) war für den Apostel
die einzig mögliche" (S. 190).
* 16. P. Vetter, Dr., ord. Prof. der alttest. Exegese an
der kathol.- theolog. Fakultät in Tübingen, Der apokryphe
dritte Korintherbrief, Wien, Mechitharisten-Buchdruckerei
1894, VIII und 100 S. 4°. (Einladung zur akad. Feier des Ge-
burtsfestes Sr. Majestät des Königs Wilhelm II. von Württem-
berg .... der Kgl. Universität Tübingen 1894.) Seitdem
W. F. Rinck, evangelischer Pfarrer zu Bischoffingen, 1823 „Das
Sendschreiben der Eorinther an den Apostel Paulus und das dritte
Sendschreiben Pauli an die Eorinther, in armenischer Übersetzung
erhalten, nun verdeutscht und mit einer Einleitung über die Aecbt-
heit begleitet" zu Heidelberg herausgegeben hatte, ist dieser apo-
kryphe Briefwechsel nicht mehr Gearbeitet worden. S. Berger
fand 1890 in der Ambrosiana eine bis dahin unbekannte latei-
nische Obersetzung und gab sie mit dem Armenisten A. Carriere
1891 heraus (La correspondance apoeryphe de Saint Paul et des
Corinthiens, ancienne version latine et traduetion du texte armenien,
Paris 1891); einen selbständigen Abdruck dieses Textes publizierte
A. Harnack in der Theologischen Literaturzeitung 1892 Nr. 1.
Ein anderer lateinischer Text des Apokryphons, den E. Bratke
in der öffentlichen Bibliothek zu Laon entdeckte, ist von ihm in
der Theol. Lit-Zeitg. 1892 Nr. 24 veröffentlicht. Die vorlie-
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NACn RICHTEN.
607
gende Monographie Vetters ist überaus dankenswert nnd in ge-
wissem Sinne abschliefsend. Ihr erstes Kapitel, eine litterar-
geschichtliche Einleitung, handelt zunächst Aber die bisherigen
Editionen des dritten Korintherbriefes (S. 1 — 3), sodann über die
Kommentare (S. 4 — 7); d. h. eigentlich nur den Kommentar des
Syrers Ephram und dessen spätere noch ungedruckte Überarbeitung
durch Jobannes Kachik (f 1388). Vetter hält den nur in einer
altarmenischen Übersetzung erhaltenen Kommentar Ephrams für
echt. Über die ursprüngliche Sprache des Apokryphons (8. 7 —
12) sei nur soviel sicher, dafs der armenische Text und die bei-
den lateinischen Texte aus dem Syrischen geflossen sind. Dafs
der Briefwechsel von Anfang an syrisch verfafst worden sei, folge
daraus noch nicht; ein Syrer hätte ihn ja aus dem Griechischen
übertragen und die erkennbaren biblischen Citate mit der syrischen
Bibel in Einklang bringen können. Näheres hierüber ergiebt der
folgende Paragraph „Die Quellen des apokryphen Briefwechsels"
(S. 13—17). Vetter sucht die Vermutung zu begründen, dafs
der Grundstock des Briefwechels einer grösseren Schrift geschicht-
lichen Inhalts entnommen nnd dafs diese Quellenschrift ein grie-
chisches Buch gewesen sei. Er sieht in dieser Quellenschrift
die griechischen Paulusakten und schliefst sich damit im wesent-
lichen an Th. Zahn an, der den ganzen Briefwechsel den nga^fig
TlavXov entnommen sein läfst. Ein Syrer habe den Grundstock
des Apokryphons den griechischen Paulusakten entlehnt, ins Sy-
rische fibersetzt und nach Hinzufügung des von ihm selbst syrisch
verfafsten Stückes TU, 23 — 40 als einen Briefwechsel aus apo-
stolischer Zeit veröffentlicht. Anlafs und Zeit der Fälschung
(S. 17 — 22) bestimmt Vetter, indem er nachzuweisen sucht, dafs sie
in ihrer syrischen Gestalt von Anfang an als Streitschrift gegen
Bardesanes oder doch gegen dessen Anhänger beabsichtigt ge-
wesen sei. Er hält den Episkopat des Bischofs Palut von Edessa,
in runder Angabe etwa das Jahr 200 n. Chr. für die wahrschein-
liche Zeit der Abfassung. Die wahrscheinliche Annahme, dafs
die Evangeliencitate des Büchleins auf dem Diatessaron beruhen
(S. 22 f.), glaubt Vetter durch Untersuchung des Citats Matth.
12, 40 erhärten zu können (S. 23 f.); die Citate aus den aposto-
lischen Briefen stimmen mit Ausnahme dreier Stellen durchgängig
mit dem Wortlaute der Peschittha (S. 24 — 26). In der syrischen
Kirche mufs der Briefwechsel längere Zeit „förmlich kanonisches
Ansehen" gehabt haben : Ephräm hat ihn in einer Reihe mit den
kanonischen Korintherbriefen kommentiert, und auf Grund der vier
erhaltenen Übersetzungen lassen sich noch zwei Rezensionen inner-
halb der syrischen Textüberlieferung nachweisen (S. 26 — 29).
Als das Apokryphon in seiner Heimat der Vergessenheit anheim-
fiel, gewann es in der aufblühenden kirchlichen Litteratur der
39*
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608
NACHKICHTKX.
Armenier ein neues, freilich niemals unbestrittenes Ansehen
(S. 29 — 35). Das einzige Zeugnis für seinen Gebrauch in der abend-
ländischen Litteratur (S. 35 f.) sind die beiden unabhängig von
einander entstandenen, jedoch auf derselben syrischen Textrezen-
sion ruhenden lateinischen Übersetzungen. In der griechischen
Litteratur (S. 36 — 38) liegt ein förmliches Citat aus dem Brief-
wechsel nicht vor; eine unverkennbare Berührung der griechisch
geschriebenen, aber nur syrisch erhaltenen Didascalia apostolorum
mit dem Apokryphon erklärt Vetter im Anschlufs an Zahn als
Citat nicht aus der letzteren Schrift, sondern ans ihrer Quelle,
den ngd^fig TlavXov. — Das zweite Kapitel giebt auf Grund
eines reichen handschriftlichen Materiales den Text der altarme-
nischen Übersetzung (S. 39 — 52) und eine nach derselben ange-
fertigte Übersetzung des Apokryphons ius Deutsche (I. Schreiben
der Korinther an den heiligen Apostel Paulus, II. geschichtliches
Mittelstück, III. Schreiben Pauli an die Korinther; S. 52 — 57).
£8 folgt im dritten Kapitel der Text der beiden lateinischen Über-
setzungen (S. 58 — 69). Über die hierbei befolgten Grundsätze
der Orthographie der Eigennamen könnte man streiten. Die bei-
den Handschriften schreiben z. B. konsequent Jhesus. Vetter
setzt in seinen Text ebenso konsequent Jesus und bemerkt jedes-
mal in den Noten, die Handschrift schreibe Jhesus. Weshalb
ist Jhesus nicht im Texte beibehalten ? Ebenso Gabrihel (III, 5)
in der Mailänder Handschrift (S. 59), Eelisaei resp. Helisei III,
32 in beiden Handschriften (S. 62 und 68) und Ähnliches mehr.
Das vierte Kapitel enthält den Kommentar des Ephram in deut-
scher Übersetzung (S. 70 — 79), das fünfte ist die editio princeps
des armenischen Kommentars des Johannes Kachik (S. 80—88),
der uns durch eine deutsche Übersetzung dann noch ebenfalls
zugänglich gemacht wird (S. 88—97).
* 17. JohannesJQngst (Lic. theol., jetzt Pfarrer zu St Jo-
hannisberg bei Kirn), Die Quellen der Apostelgeschichte.
Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1895. VI u. 226 S. Mk. 4. Die
Arbeit geht von dem Glanben aus, dafs der Zustand skeptischer
Resignation betreffs der Frage nach den Quellen der Apostelgeschichte
in jedem Falle dem Fortschritt der Wissenschaft viel nachteiliger
ist, als selbst die extravagantesten Lösungsversuche (S. 101).
Bezüglich der TJntersuchungsmethode sei der einzig richtige Ka-
non von Clemen aufgestellt, wenn auch nur zu wenig befolg!
worden: für die Scheidung der Quellen dürfen nicht in erster
Linie historische Voraussetzungen, sondern nur Risse und Sprünge
in der Komposition maisgebend sein. Natürlich sei auch das
Eingehen auf die historische Kritik und biblisch-theologische Fra-
gen nicht zu umgehen. Dazu komme noch ein anderes, „bisher
sehr vernachlässigtes u Kriterium, nämlich die Sprache. Der Ar-
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NACH RICHTEN.
609
beit seien deshalb Oberall „sprachlich-lexikalische" Untersuchungen
zugrunde gelegt (S. 11). Selbstverständlich könne bei der Quellen-
scheidung, namentlich wo sie stark ins Detail hinein arbeite, nicht
die Rede davon sein, den genauen Wortlaut der Quellen wieder-
herzustellen, besonders wegen der in der Apostelgeschichte aller-
dings nicht sehr bedeutenden Verschleierung des Sprachkolorits
der Quellen durch den Redaktor (S. 12). In dem Hauptteile
(S. 14—190) unterzieht Jüngst die Apostelgeschichte einer aus-
führlichen quellenscheidenden Analyse, deren Resultat er so zu-
saromenfafst: „Die Apostelgeschichte setzt sich wesentlich aus
zwei Quellen zusammen, von denen die eine (A), auch die „ Wir-
stücke" umfassend, sich durch das ganze Buch hindurchzieht und
im zweiten Teil, von Kap. 13 — 28, eine Menge redaktioneller
Einschöbe erfahren hat Im ersten Teil hat der Redaktor (R)
sie mit einer zweiten Quelle (B), die identisch ist mit der sogen,
ebionitischen Quelle des Evangeliums, unter starken chronologisc hen
Verschiebungen innerhalb derselben vereinigt" (S. 191). Zur
Erläuterung ist (S. 221 — 226) eine „Quellenübersicht" beige-
geben. Die Schnfsabhandlung beschäftigt sich mit dem schrift-
stellerischen und religiösen Charakter der Quellen und des Re-
daktors (S. 191—220). Die Quelle A zerfällt in drei an Um-
fang ziemlich gleiche Teile, die sich charakteristisch von einander
unterscheiden (S. 191). Der erste Teil ist nicht, was wir Ge-
schichtsschreibung nennen; der Verfasser steht den hier geschil-
derten Ereignissen schon ziemlich fern. Der zweite Teil giebt
aufser der Apollosepisode nur eine Vita Pauli, meist in trockener,
das Interesse an dem Helden fast nur durch Genauigkeit im Auf-
zählen seiner Wirkungsstätten, Erfolge und Schicksale verratenden
Weise (S. 192). Die eingearbeiteten Wirstücke, für den Histo-
riker äufsert wertvoll, tragen keinen von Tagebuchblättern allzu
verschiedenen Charakter; natürlich wird dem Verfasser, der nicht
steter Begleiter des Paulus war, vieles unbekannt geblieben sein
(S. 192 f.). Freilich mufste „der Verfasser von A als Reise-
begleiter Pauli von dessen Konflikten mit den Judaisten wissen"
(S. 193). Tendenziös im Sinne der Tübinger wird man es nicht
nennen können, dafs er sie übergeht (S. 195). Der dritte Teil
giebt einen eingehenden Bericht über das Endschicksal des Apo-
stels, dessen Bild hier mehr an Individualität gewinnt, als im
zweiten Teil (S. 196). In religiöser Hinsicht ist der Verfasser
von A zu charakterisieren als Mann der Mission (S. 198), in
dessen schlichten Gedankenreihen „keine komplizierten Verwicke-
lungen, keine Probleme, wie Paulns sie kennt" liegen, wohl aber
ein grofser Reichtum von religiös wertvollon und fruchtbaren
Ideen (S. 200). Die einfachste und natürlichste Lösung der Frage
nach der Person des Verfassers von A ist noch immer die An-
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610
NACHRICHTEN.
nähme, dafs der Arzt Lukas die Quelle verfafat hat (S. 201).
Die Zeit der Abfassung liefce sieb fixieren, wenn der Nachweis
gelänge, dafs Lukas (der Verfasser von A) die Schriften des Jo-
sephus gekannt hatte, wie ja Krenkel „eine Benutzung der Jo-
sephus8chriften bei dem kanonischen Lukas nach langem Streit
unter den Forschern wohl endgültig festgestellt" habe (S. 201 f.).
Sollte die Kenntnis der Vita des Josephos bei A erwiesen sein,
so wäre als terminus a quo etwa das Jahr 101 anzusetzen
(S. 202). — Die Quelle B steht in fast allen ihren Eigenschaften
antipodisch zu A, „was ihr in schriftstellerischer Hinsicht ebenso
sehr zum Buhm, als inbezug auf historischen Wert zum Nachteil
gereicht" (S. 203). Weit mehr als A beschäftigt sie sich mit
den inneren Gemeindeverhältnissen: wir empfangen ein Bild, „in
welchem sich die religiöse und soziale Seite des Gemeindelebens
innig verquickt " [!] (S. 205). B „ bildet einen Sageneyklus, mit
dem die Gemeindetradition die historischen Thatsachen umrankt,
zugleich aber auch verschleiert hat" (S. 206). Die religiösen
Anschauungen des als Erbauungsbucb, nicht als treue historische
Quelle aufzufassenden Werkes (S. 206) geben bei aller Energie
der Überzeugung und dem Feuer der Darstellung eine im Ver-
hältnis zu A auffallend geringe Ausbeute; dieselbe ergänzt und
bereichert sich aber vielfach aus dem Evangelium (S. 208). Feind-
schaft gegen das Judentum geht durch die Quelle hindurch. Über
die Person des Verfassers läfst sich nichts, über die Zeit der Ab-
fassung ohne Heranziehung des Evangeliums nichts Bestimmteres
ausmachen (S. 208). — Dem Redaktor hat im wesentlichen die
Quelle A als feststehender Rahmen gedient Man merkt sein
Bestreben, den ganzen überlieferten Erzählungsstoff axQißwg an-
zubringen (S. 210). Eine gelegentliche chronologische Verschie-
bung, Einschübe und Zusätze sind wahrnehmbar (S. 2 10 f.). Die
religiöse Gedankenwelt von R ist „mit Vorsicht" statistisch auf-
zunehmen und darzustellen (S. 212). Seine zur Theologie der
apostolischen Väter, ja schon dor Apologeten überleitende, vom
Paulinismus befruchtete religiöse Weltanschauung, die das Christen-
tum bei aller Feindschaft gegen das gegenwärtige Judentum zum
wahren Träger des Monotheismus und des Gesetzes macht, äufsert
sich besonders in der in apologetischer Tendenz unternommenen
Veränderung des Charakterbildes Pauli (S. 218). R schrieb wohl
unter Trajan oder im Anfang der Regierung des Hadrian, „sagen
wir etwa zwischen 110 und 125". Ort der Abfassung ist keines-
falls Rom, sondern vielleicht „Griechenland oder Kleinasien
(Ephesus?)" (S. 219).
Es ist hier nicht der Ort, zu den Ansichten Jüngsts Stellung
zu nehmen. Schliefslich käme die Debatte auf Prinzipienfragen
der historischen Methode hinaus, meines Erachtens besonders auf
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NACHRICHTEN".
611
die Frage nach der Tragweite und der Verwertung der sprach-
lichen Verhältnisse. Ich habe darüber wahrscheinlich andere An-
sichten als der Verfasser Die lexikalischen Verhaltnisse impo-
nieren mir, als historisches Argument aufgefafst, sehr wenig; viel
mehr kommt heraus bei einem geduldigen Eindringen in das
Detail der Syntax oder in ein scheinbar so formelles Kriterium
wie das Vorkommen des Hiatus. — Für die historisch-methodo-
logische Vorarbeit zur Quellenkritik der Apostelgeschichte scheint
mir die höchste Beachtung zu verdienen die eingehende Bespre-
chung von F. Spitta, Die Apostelgeschichte, Halle a. S. 1891,
durch William Wrede in den ööttingischen gelehrten Anzeigen
1895 Nr. 7, S. 497 — 516. — Durch die unfeine Rezension
seines Buches von „Prof. Dr. F. W." im Theol. Litteraturbericht
1895 Nr. 5, S. 163 f. wird sich Jüngst hoffentlich nicht ein-
schüchtern lassen. A. Deißmann.
*18. Der Italatext der Apostelgeschichte, der sich im Cod.
Laud. F. 82 der Bodlejana findet, ist zuerst von Hearne ver-
öffentlicht, nach dieser Ausgabe von Sabatier nachgedruckt, dann
von Tischendorf in seinen Monumenta sacra inedita IX splendid
aber inkorrekt (vgl. darüber S. Berger, Notices et extraits XXXV,
1, 175) neu ediert worden. Die neueste Ausgabe dieses wich-
tigen Textes rührt von J. Boisheim her (Acta apostolorum
ante Hieronymum latine translata ex codice latino-graeco
Landiano Oxoniensi denuo ed. J. B. [Christiania Videnskabs-
Selskabs Forhandlinger for 1893 No. 19; auch separat Chri-
stiania, i Commission hos Jacob Dybwad 1893]). Leider ist
Handlichkeit so ziemlich das einzige, was man dieser neuesten
Ausgabe nachrühmen kann. Preuschen.
* 19. Bruchstücke des Evangeliums und der Apo-
kalypse des Petrus von Ad. Harnack. Texte und Unter-
suchungen IX, 2. Leipzig, Hinrichs, 1893 (78 8.). — Die
Petrusapokalypse in der alten abendländischen Kirche Texte und
Untersuchungen XIII, 1, S. 70 — 73 (Leipzig 1895). Die mit
ausführlichem Kommentar versehene zweite Harnacksche Ausgabe
der von Bouriant veröffentlichten Bruchstücke erhält einen Nach-
trag in den interessanten Nachweisen, dals die wahrächeinlich
von Novatian herrührende pseudocyprianische Schrift de laude
martyrii in Kap. 20 f. von der Petrusapokalypse abhängig ist,
und dals auch die gallischen Märtyrerakten des Felix (von Va-
lence), Fortonatus und Achillaus (Bolland., 23. April) in Kap. 3
eine verkürzte Übersetzung von PA v. 15 bieten.
*fcv. Kunze, Dr. Jon., Das neu aufgefundene Bruch-
stück des sogen. Petrusevangeliums übersetzt und be-
612
NACHRICHTEN.
urteilt. Leipzig, Dörffling & Franke, 1893. (IV u. 48 S.)
Mk. — .60. Das aas einem am 31. Jannar 1893 vor Leipziger
Studenten gehaltenen Vortrag entstandene Schriftchen trifft mit
Zahns Abhandlung in der N. K. Z. 1893 Heft 2 mehrfach anf
selbständigem Wege zusammen.
A. Sabatier, L'ävangile de Pierre et les
ävangiles canoniques (Ecole pratique des bautes Stüdes.
Section des sciences religieuses. Paris, Imprimerie nationale,
1893 (30 S.). Das Petrus-Evangelium ist historisch wertlos,
aber litteratnrgeschichtlich wichtig. Der Verfasser unterscheidet
fünf Perioden der Überlieferung über das Leben Jesu. 1) bis
ca. 60 n. Chr. mündliche Tradition. 2) bis 80 u. Chr. Logia
des Matthäus, Fixierung der Predigt des Petrus durch Markus,
und mehrere des Luk. 1, 1 erwähnten noXXoi. 3) bis 98 n. Chr.
Erste Versuche regulärer Geschichtschreibung unter Nachahmung
des Josepbus: Lukas-Evangelium, erste Redaktion unseres Mat-
thäus, und vielleicht das Hebräer-Evangelium. 4) bis 117 n. Chr.
Entstehung des Johannes- Evangeliums in Kleinasien. Scblufs-
redaktion unseres Matthäus in Palästina. 5) bis 138 n. Chr.
Redaktion des Petrus- Evangeliums, der Acta Pilati und anderer
Apokrypba.
* 22. Thomas, Lic. Dr. Carl, Melito von Sardes.
Eine kirchengeschichtliche Studie. Osnabrück , Rackhorstsche
Buchhandlung, 1893. (145 S.) Das vierte Kapitel, „die Theo-
logie Melitos" (S. 107 — 138 der vorliegenden Schrift), ist schon
als Göttinger Licentiaten-Dissertation gedruckt. Der Verfasser hat
ihm eine Erörterung der Quellen, ein Kapitel über das Verhält-
nis Melitos „zum Christentum altertümlicher Form" und eine
Würdigung des Bischofs als Apologeten vorangeschickt. Ein
Schlufskapitel sucht die kirchen- und dogmengeschicbtliche Stel-
lung Melitos zu schildern. Arnold.
* 23. Für den Text der Pseudoclementinen ist noch so gut
wie alles zu thun; die Homilien sind von Lagarde hinaus- nicht
herausgegeben worden, wie er selbst meinte; d. h. seine Aus-
gabe ist in keiner Hinsicht als abschliefsend anzusehen. Weder
der Lateiner noch der Syrer ist bis jetzt benutzt, der Otto-
bonianus noch nicht genügend verglichen. Von den Rekognitionen
ist eine neue kritische Ausgahe aus Amerika zu erwarten. Ehe
die Texte handlich vorliegen, was freilich keine leichte Sache ist,
wird die historische Frage nach der Bedeutung dieser Litteratur
nicht von neuem in Angriff genommen werden dürfen. Für den,
der sich trotzdem mit diesen Schriften befassen mufs, bietet der
Index graecitatis zu den Homilien eine dankenswerte Hilfe (Index
of noteworty words and phrases found in the Cle-
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NACHRICHTEN.
613
mentine writings commonly called the homilies of Clement
Published by the trustees of the Lightfoot fund. London, Mac-
millan and Comp., 1893). Die verständig angelegte und sorg-
faltig ausgeführte Arbeit war zur Unterstützung einer von Light-
foot geplanten Ausgabe der Rekognitionen bestimmt. Nun kann
sie wenigstens dazu dienen, das Studium der Homilien zo er-
leichtern. Sie wird gewifs um so mehr mit Freuden begrüfst
werden, als Lagardes Ausgabe eines Index entbehrte. Oafs solche
Bücher gegenwartig eigentlich nur in England gedruckt werden
können, ist für uns recht beschämend.
* 24« Die Anthropologie des Irenaus hat E. K 1 e b b a zum
Gegenstand einer besonderen dogrnengescbichtlichen Monographie
gemacht (Die Anthropologie des hl. Irenäus. Eine
dogmenhistorische Studie von E. K 1 e b b a in den kirchengeschicht-
lichen Studien, herausgeg. von Knöpfler, Schrörs, Sdralek. 2. Band,
3. Heft. Münster, Schöningh, 1894. VIII u. 191 S. Mk. 4. 40,
Subskriptionspreis Mk. 3. 20). Der Verfasser will „zunächst die
Anthropologie des hl. Irenäus genau so darstellen, wie sie in
ihrem Verhältnis zu früheren und späteren Vätern und zu den
heidnischen Philosophen, also in ihrem geschichtlichen Zusammen-
hange erscheint" (S. 10). Er hat zu diesem Zwecke ziemlich
reichlich Parallelen besonders aus den Apologeten, aber auch aus
den Apost. Vätern und Clemens beigebracht, sowie die Stoiker,
besonders Epiktet und Mark Aurel fleifsig benutzt. Aber wäh-
rend es methodisch richtig gewesen wäre, zunächst einmal die
Anschauungen des Irenäus für sich zu entwickeln und sie dann
auf ihr Verhältnis zu Paulus, den Apologeten etc., sowie auf
ihre philosophischen Grundlagen zu untersuchen, verfährt Klebba
so , dafs er in zwei Hauptteilen I. die biblische Anthropologie :
Urzustand, SOndenfall, Ureltern im Stande der Sünde, Erbsünde;
II. die spekulative Anthropologie : die Natur des Menschen, Vernunft
des Menschen, Wahlfreiheit des Menschen und seine sittliche Frei*
heit, Begnadigung und Vollendung des Menschen, darstellt. Auf
diese Weise verschwimmt das System des Irenäus, soweit man von
einem solchen überhaupt sprechen kann bei seinen Versuchen, dispa-
rate Gedankenreihen zu vereinigen, viel zu sehr in einem dogmen-
gescbicbtlichen Nebel, ans dem nur undeutlich ein paar Spitzen
hervorragen. Das ist charakteristisch. Wenn auch Klebba versichert,
„ dafs es uns völlig gleich bleiben kann, ob diese so gefundenen Sätze
sich mit den von der Kirche definierten Wahrheiten decken oder
nicht" (S. 10), so leitet ihn doch deutlich das Streben, seine
Dogmatik aus den alten Vätern zu erweisen. Damit stimmt, dafs
er sein Bedauern darüber ausspricht, dafs von den protestan-
tischen Dogmenhistorikern „vielleicht niemand eine katholische
Dogmatik gründlich und systematisch durchgearbeitet hat" (S. 9).
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614
NACHRICHTEN.
Ich kann nicht finden, dafs ihm dieses Stadium besonders genützt
hat, und meine vielmehr, dafs eine sorgfaltigere Erwägung von
Harnacks Darstellung (DG. 1*, 499 ff.) ihm zu richtigeren Ein-
sichten verholfen hätte. Prexischen.
* 25. Clemens Alexandrinus Quis dives salvetur? her-
ausgegeben von Oberlehrer K. Köster am Realgymnasium in
Marne (Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschicht-
licher Quellenschriften . . . herausgegeben unter Leitung von
D. 6. Krüger. Sechstes Heft). Freiburg i. Br. 1893. (XI und
63 S.) Mk 1. 40. Der Herausgeber bat die editio princeps
von Ghisler (Lugd. 1623) zugrunde gelegt, zahlreiche Lesefehler
derselben durch Konjektur verbessert, und die Lücken im 42. Ka-
pitel nach dem Schweglerschen Text des Eusebius ergänzt
* 26« Esser, Dr. Gern., Repetent am Collegium Albertinum
in Bonn, Die Seelenlehre Tertullians Mit kirchlicher
Approbation. Paderborn, Schöningh, 1893. (VI und 234 S.)
Der Verfasser stellt Tertullian als den Begründer einer christ-
lichen Psychologie dar und nimmt ihn gegen den Vorwurf des
Eklekticismus in Schutz. Trotz aller aufgewandten Mühe ist es
ihm nicht gehingen, die Widersprüche und Unklarheiten in dem
Denken des grofsen Advokaten zu heben, die innere Selbständig-
keit desselben von dem stoischen System nachzuweisen. Ein
streng historisches Verfahren hätte mit einer Darstellung der
(stoischen) Popularphilosophie beginnen und dann Tertullians Ver-
halten zu ihr darlegen müssen. Immerbin liegt eine beachtens-
werte Arbeit vor. S. 61 ff. wird gegen Harnack DG.5 II, 286
polemisiert. Arnold.
* 27. Der Bufsdisziplin bei Cyprian bat K. G o e t z eine
fleifsige Arbeit gewidmet (Die Bufs lehre Cyprians. Eine
Studie zur Geschichte des Bufssakraments. Königsberg i. Pr,
Braun & Weber, 1895. X u. 100 S). Goetz erörtert zunächst
in der Einleitung den Begriff der Bufse und Bufsdisziplin bei
Cyprian, bespricht dann die paenitentia, d. h. die Voraussetzungen,
Bedeutung, Art und Dauer der Bufse, die satisfactio nach Inhalt
und Verhältnis zur paenitentia, die Exhomologese , die Wieder-
aufnahme und zuletzt den Wert und die Bedeutung der Wieder-
aufnahme. Ein Anhang: Zur Terminologie Cyprians, handelt von:
episcopus, religio und fides, sacramentum, haeresis und schisma.
Die Arbeit zeugt von guter Beherrschung des Materials. Aber
leider hat Goetz zu wenig beachtet, dafs eine Darstellung der
Bufsdisziplin bei Cyprian ähnlich, wie bei Tertullian, historisch,
nicht systematisch zu verfahren hat. In dieser Weise ist das
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NACHRICHTEN.
615
Problem seitdem von E. Müller in seiner Abhandlung in dieser
Zeitschrift behandelt worden. Preuschen.
28. Lactantins. Augnsto Mancini bat in den Studi
storici II, p. 444—464 (Pisa 1893) Qaaestiones Lactantianae
veröffentlicht, in denen er mehrere Aufstellungen bestreitet, die
Samuel Brandt an verschiedenen Orten Torgetragen hatte. Vol. III,
fasc. 1, p. 65—70 der genannten Zeitschrift (Pisa 1894) halt
Brandt 1) seine Erklärung der Stelle de opif. Dei 20, 1 auf-
recht, wonach sich die Worte „pro rerum ac temporis necessi-
tate" auf die diokletianische Christenverfolgung beziehen, die
während der Abfassung jener Schrift wütete. Mancini hatte hier
die Notwendigkeit der Widerlegung von damals herrschenden Irr-
tümern ausgedrückt finden wollen. — 2) bestritt Mancini, dafs
die Schrift De opif. Dei zunächst nur dem Demetrianus ein-
gehändigt sei, und wollte aus Inst II, 10, 14 sq. erweisen, dafs
sie, als Lactanz seine Institutionen schrieb, publiziert war. Brandt
giebt zu, hier zu weit gegangen zu sein, hält aber fest, dals
jenes Werkchen zunächst nur in christlichen Kreisen verbreitet
wurde. Aus dem „uuper", das Lactanz a. a. 0. inbezug auf
die Abfassung des Buchs De opif. Dei gebraucht, mit Mancini
chronologische Schlufsfolgerungen zu ziehen, ist wegen Inst. I,
21, 1 („nuper Hadriane imperante") unmöglich. — 3) Dafs
Lactantius Verfasser des Buchs „De mortibus pereecutorum " sei,
leugnet auch Mancini Aber seine Bestreitung der Benutzung
der Epitome und des Buchs De opif. Dei bei Pseudolactanz ist
unhaltbar, wie besonders die Lesart des Cod. Paris, an der Stelle
Mort. 17, 9 zeigt. — Die übrigen Differenzpunkte zwischen bei-
den Forschern sind teils unerheblich, teils von Brandt [Wiener
Studien XIII (1891), S. 255 f.] im voraus erledigt.
Arnold.
* 29» Eine „ Verbreiterung und Durchforschung des geschicht-
lichen Bodens, auf dem das Evangelium Wurzel geschlagen hat"
ist das Ziel der „Beiträge zur Geschichte und Erklä-
rung des Neuen Testamentes von D. C. F. Qeorg Hein-
rici", von denen das erste Heft „Das Urchristentum in der
Kirchengeschichte des Eusebius. Litterarische Verhältnisse des
2. Jahrhunderts" vorliegt (Leipzig, Dürrsche Buchhandl., 1894.
VI u. 78 S.). In dem ersten Abschnitt sucht Heinrici den
Zweck der Kirchengeschichte des Eusebius zu ermitteln. Gegen
Overbeck findet er diesen in der herkömmlichen Weise darin, den
Sieg des Gottesreiches über das Weltreich und zugleich den Sieg
der Wahrheit über die häretischen Irrtümer darzustellen. Eine
Betrachtung der Methode des Historikers zeigt, dafs Euseb, wenn
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616
NACHIUCHTEX
er auch von einer kritischen Benutzung seiner Quellen weit ent-
fernt war und unter Umständen sich direkt widersprechende Über-
lieferungen einfach nebeneinander stellte, doch seine Quellen sorg-
faltig benutzte und ohne Entstellung wiedergab. Der zweite, um-
fangreichste Abschnitt befafst sich mit den Nachrichten des Euseb
vom Urchristentum und zwar seinen Nachrichten über die evan-
gelische Geschichte, die Apostel, die apostolische Zeit und endlich
die apostolischen Schriften. Ein Anhang liefert einen Beitrag zur
Charakteristik der litterarischen Verhältnisse im 2. Jahrhundert
mit Bezug auf die Stellung der Zeit gegenüber litterarischen
Fälschungen. Massgebend für diesen Abschnitt ist die für die Ent-
stehungsgeschichte der neutestamentlichen Pseudepigrapha durch-
aus unzutreffende Alternative „entweder ist die Schrift echt, oder
sie ist eine Fälschung, die auf Täuschung ausgeht" (S. 71).
Recht merkwürdig berührt bei einer wissenschaftlichen Arbeit
dieser Art die Citiermethode. Eine Stelle der Kirchengeschichte
des Socrates (I, 1) wird nach Danz, De Eusebio, citiert; Origenes
bald nach Lommatzsch, bald nach de la Eue, bald nach Huet»
Das sieht fast so aus, als seien diese Citate ans zweiter Hand
übernommen. Auch sonst fehlt es nicht an fragwürdigen Auf-
stellungen. Dafs Euseb die Archive benutzt habe, wird damit
belegt, dafs H. e. V, 18, 9 (von dem Antimontanisten !) das öffent-
liche Archiv der Provinz Asien angezogen wird. Wenn derartige
Spezialuntersuchungen, die gewifs äufserst wünschenswert sind,
Wert haben sollen, müssen sie mit der gröfsten Sorgfalt ausgeführt
werden.
* 30. Zur Vita Antonii des Athanasius liegt in der Disser-
tation von F. Schulthess (Probe einer syrischen Ver-
sion der Vita St Antonii. Leipzig 1894) ein wichtiger
Beitrag vor, der die Frage in ein neues Stadium zu führen ge-
eignet ist. In der Einleitung berichtet Schulthess über die Hand-
schriften, untersucht dann das Verhältnis des Syrers zum Grie-
chen, wobei sich ergiebt, dafs die syrische Version eine von dein
jetzigen griechischen Text stark abweichende Vorlage voraussetzt.
Das Zeugnis des Ephräm, das dem Verfasser S. 20 ff. einiges
Kopfzerbrechen macht, verliert jede Schwierigkeit, wenn wir an-
nehmen , dafs der griechische Übersetzer jener Schrift die an-
gezogene Stelle aus Athanasius selbst entnahm und nicht aus
Ephräm übersetzte. Solche Beispiele sind nicht eben selten. Wir
haben also keinen Grund, mit dem Verfasser wegen dieser einen
Stelle dem Ephräm jenen Sermon abzusprechen, so wonig wir
anderseits behaupten dürfen, dafs Ephräm den jetzigen griechi-
schen Text der Vita bezeuge. Den Beschlufs macht eine Über-
setzung und eine Edition des syrischen Textes der ersten 15 Ka-
pitel. Inzwischen ist die ganze Vita von Bedjan gedruckt wor-
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NACHRICHTEN.
617
den (Acta martyrum et sanctorum syr. V, 1 — 121); leider nicht
in einer den Erfordernissen modemer abendländischer Wissenschaft
ensprecbenden Weise (vgl. Schtilthess in den Gött Gelehrten An-
zeigen 1895, Okt.). Preuschm.
* 31. Precatio pro universa ecclesia ex sacra
liturgia S. J. Chrysostomi quinquaginta linguis exarata ac
propriis typis excusa. Caravit P. Gregoris Dr. Kalemkiar ex
congr. Mecbitharistarum. Editio altera. Vindobonae Typis con-
gregationis Mechitharistarnm 1893. 105 S. 4°.
* 32. Dreves, Guido Maria, S. J., Aurelius Ambrosius,
der Vater des Kirchengesanges. Eine bymnologische Studie.
Freiburg i. Br., Herdersche Verlagshandlung, 1893. (V und
146 S.) Der Verfasser will nachweiseu, dafs wir 14 Hymnen-
texte mit moralischer (!) Gewifsheit als von Ambrosius herrührend
ansehen können, drei andere mit grösserer, einen letzten mit ge-
ringerer Wahrscheinlichkeit Im Anhang sind diese Hymnen
nach Biraghis Text mitgeteilt, mit Singweisen nach der Rekon-
struktion des Verfassers. Eine Lichtdrucktafel bietet die Schrift-
probe des cod. Vat. Reg 1 1 , saec. VIII/IX. in Originalgröße.
Die kritischen Grundsätze des Verfassers sind etwas bedenklich,
Sachkenntnis ist ihm nicht abzusprechen, der wiederholte Hinweis
auf Biraghi ist berechtigt. Arnold.
1) Der Schriftstellerkatalog des Hierony-
mus. Ein Beitrag zur Geschichte der altchristlichen Litteratur
von Lic. Carl Albrecht Bernoulli. Freiburg i. Br. und Leipzig,
J. C. B. Mohr, 1895. VIII und 342 S.
2) Hieronymus und Gennadius de viris inlustri-
b u s. Herausgegeben von Lic. Carl Albrecht Bernoulli. Mit zwei
Tafeln in Lichtdruck. Freiburg i. B. und Leipzig, J. C. B. Mohr,
1895. [Sammlung ausgewählter kirchen- und dogmengeschicht-
licher Quellenschriften von G. Kröger. Elftes Heft] LVI und
98 S.
3) Die griechische Ü bersetzung derviri inlustres
des Hieronymus. Von Georg Wentzel. Leipzig, J. C. Hin-
richs, 1895 [Texte und Untersuchungen zur Geschichte der
altchristlichen Litteratur herausgegeben von 0. v. Gebhardt und
A. Harnack, 13. Band, Heft 3.] 63 S.
Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie manchmal Genera-
tionen lang offen gebliebene wissenschaftliche Fragen auf einmal
znr Lösung drängen und dann von verschiedenen unabhängig von-
einander arbeitenden Gelehrten im gleichen Sinne beantwortet
werden, bietet die Frage nach den Quellen der viri inlustres des
Hieronymus. Das für alle Forschungen zur älteren christlichen
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618
NACHRICHTEN.
Literaturgeschichte unumgängliche Handbüchlein ist zwar unend-
lich oft nicht nur herangezogen, sondern auch auf die Zuver-
lässigkeit einzelner Kachrichten hin geprüft worden, aber da das
stets nur beiläufig im Verlaufe einer auf andere Ziele gerichteten
Erörterung geschah, so waren die Ergebnisse höchst problema-
tische und sich widersprechende, weil es an der unentbehrlichen
Grundlage, einer klaren Vorstellung von der Arbeitsweise des
Verfassers und den Hilfsmitteln seiner Darstellung, fehlte. Seit
Vallarsis Kommentar, der ja wenigstens einen guten Teü des
Rohmaterials bot, hatte 6ich niemand an eine zusammenhängende
Quellenuntersuchung gewagt, jetzt ist eine solche innerhalb eines
Jahres von drei Seiten her in Angriff genommen worden, in
St von Sychowskis „Hieronymus als Literaturhistoriker" (1894)
im ersten Abschnitt von J. Huemers „Studien zu den christlich-
lateinischen Literarhistorikern 44 (Wiener Studien XVI, 1894,
121 — 158) und in dem oben an erster Stelle genannten Buche
Bernoullis, eines Schülers von Franz Overbeck. Dais die Frage
spruchreif war, zeigt die Übereinstimmung des Ergebnisses aller
drei Untersuchungen: dasselbe gestaltet sich zu einer vernichten-
den Kritik des litterarischen und Quellenwertes jenes Schriftcbens,
das noch Zöckler als das „klassische Heisterwerk der kirchlichen
Literaturgeschichte" bezeichnen durfte. Nach Inhalt und Form
am schärfsten tritt dies Verdammungsurteil in der Schrift Ber-
noullis hervor, da dieser sich im wesentlichen auf den fast ganz
von der Kirchengeschichte des Eusebius abhängigen ersten Teil
der Schrift (Kap. 1 — 78) beschränkt und die Frage nach Wert
und Quellen der relativ selbständigeren späteren Kapitel nur ge-
legentlich streift Für jenen ersten Teil aber hat er nach-
gewiesen, dais von den 78 Kapiteln 69 in allen Hauptsachen
aus Eusebius abgeschrieben sind, mit zahlreichen Flüchtigkeiten
und Entstellungen, vielfach auch unter Herübernahme von ur-
sprünglich auf Eusebius und seine Zeit bezüglichen Wendungen
(usque hodie = itg dtvgo)] dafs auch für die Abfolge der Ka-
pitel die Kirchengeschichte gewissermafsen den Faden znr Auf-
reihung gegeben habe, führt Bernoulli, einem Gedanken Overbecks
folgend, S. 81 ff., wenn auch nicht ganz ohne Künsteleien, aus.
Die von Hieronymus vorgenommenen Abänderungen der eusebia-
nischen Vorlage bringt Verfasser in seinem Textabdrucke S. 1
bis 46 durch verschiedene Arten von Unterstreichungen zur Dar-
stellung, als a) willkürliche Abweichungen, b) aus den hierony-
mianischen Eintragungen zur Chronik des Eusebius entnommene
Zusätze und c) ans eigener Initiative des Hieronymus hervor-
gegangene Erweiterungen. Diese orj/utfutois wird dann S. 105
bis 295 ausführlich erläutert und begründet in der Weise, dafs
erst die Kirchengeschichte des Eusebius und ihre Behandlung
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NACH RICHTEN.
619
dnrch Hieronymus, dann die Ergänzungen und Erweiterungen
dieser Vorlage (nach biblischen, kirchlichen und wissenschaftlichen
Zusätzen getrennt) behandelt werden: diese Anordnung hat den
Nachteil, dafs der Stoff in sehr störender Weise zerrissen wird
(für den Nachweis der Kirchengeschichte als Quelle und für die
Darstellung nach Art der Benutzung werden z. 6. jedesmal ge-
sondert alle Kapitel von 1 — 78 durchgenommen), und ich würde
die Kommentarform vorgezogen haben: die am Schlüsse bei-
gegebene analytische Tabelle (S. 311 — 340) erleichtert allerdings
die Auffindung des Einzelnen, zeigt aber auch, dafs man mehr-
fach, um sich Über Herkunft und Wert einer einzigen Notiz zu
unterrichten, an 4—5 Stellen nachschlagen mufs. Zugegeben
kann jedoch werden, dafs manche Punkte bei dieser Anordnung
deutlicher hervortreten, als es sonst der Fall wäre, namentlich
das Verfahren des Hieronymus bei der Erweiterung der Vorlage:
hier ist ebenso gelungen wie wichtig der Nachweis, dafs seine
Zusätze durchweg die Form von ßeminiscenzen haben, nicht Er-
gebnisse eigens angestellter Studien sind. Was Bemoulli über
die Absichten des Hieronymus bei Abfassung des Schriftchens,
namentlich seine Tendenz eine recht grofee Anzahl christlicher
Schriftsteller der heidnischen Litteratur entgegenzustellen, sagt,
ist zutreffend, dagegen mufs das Verhältnis des Hieronymus zur
biographischen Technik des Altertums noch genauer untersucht
werden; was der Verfasser S. 74 ff. über das Verhältnis zu 8ueton
sagt, ist recht dürftig, und die S. 78 f. zusammengestellten an-
geblichen Anklänge sind fast durchweg ganz bedeutungslos : wenn
er Dinge, wie Terentius Afer <v Cyprianus Afer, a quo . . .
supra diximus rv> de quo supra diximus, scripsit comoedias sex
scripsit autem . . . novem epistulas u. ähnl. als Oberein-
stimmungen notiert, so darf man billig fragen, wie sich denn
Hieronymus anders hätte ausdrücken können. Dafs sich Ber-
noulli hier auf einem nicht recht vertrauten Boden bewegt, zeigt
der Umstand, dafs er Hier. v. inl. 33, 1 Bardesanes Mesopotamiae
clarus habitus est mit Suet. frag. 5 p. 22, 6 Reiff. Livius
tragoediarum scriptor clarus habetur vergleicht, ohne zu merken,
dafs das Suetonfragment nichts andres ist als eine Notiz des
Hieronymus selbst zu Euseb. chron. Ol. 148, 2. In eigener
Sache bemerke ich, dafs der S. 54 Anm. 1 gegen mich gerich-
tete Tadel wegen zu vertrauensseliger Benützung der Hieronymus-
stelle v. inl. 53 durchaus berechtigt ist; der „Senator" Apollo-
nia, den auch ich als gemeinsame Quelle des Minucius Felix
und des tertullianischen Apologeticum für möglich gehalten habe,
hat kein Recht als Schriftsteller zu gelten: aber das Ergebnis
von F. Wilhelms Quellenanalyse der genannten beiden Schriften
scheint mir eine beiden zugrundeliegende christliche Apologie in
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621)
NACHRICHTEN.
lateinischer Sprache so sicher zu erweisen , dafs dem gegenüber
das Fehlen ausdrücklicher Zeugnisse über vortertulüanische Schrift-
steller lateinischer Zunge nichts beweisen kann.
Der Zeitpunkt für Bernoullis Untersuchung war insofern un-
günstig gewählt, als dieselbe natnrgemäfs an vielen Stellen ein
Eingehen auf die Einzelheiten des hieronymianischen Textes ver-
langte, von diesem aber die sehnlichst erwartete kritische Aus-
gabe von J. Huemer im Wiener Kirchen väter-Corpus noch aus-
steht. Der Verfasser hat sich also der Aufgabe nicht entziehen
können, sich für seine Untersuchung eine eigene B^censio zu
schaffen, für welche er den Beginensis (A), Yeronensis (C) und
Vercellensis (()) selbst eingesehen hat; er hat von A eine Ab-
schrift genommen, C und namentlich D damit verglichen und für
die viorte sehr alte Handschrift, den Parisinus (Corbeiensis , B)
aufser der bei Uerding veröffentlichten Kollation A. Schönes
briefliche Mitteilungen L. Delisles benützt. Danach ist in der
oben unter Nr. 2 genannten Ausgabe der Text des Hieronymus
hergestellt, wobei in der vorausgeschickten Einleitung nicht nur,
dem Plane der Krügerachen Sammlung entsprechend, die für die
Einführung in die Lektüre der Schrift nötigsten Vorbemerkungen,
sondern auch ein kritischer Apparat gegeben werden, der für
Kap. 1 — 40 eine reichere, von da an eine knappere Auswahl
von Varianten der genannten Handschriften und einiger Ausgaben
(aufser Fabricius und Vallarsi auch Herdiogs elendes Macbweik
zu berücksichtigen, war recht überflüssig) gegeben wird. Für
Gennadius besafs Bernoulli nur vom Vercellensis eine eigene
Kollation, während er sonst auf Vallarsi und Herding angewiesen
war und während des Druckes subsidiär eine Berner Handschrift
(nr. 225, saec. X/XI) herangezogen hat. Über den provisorischen
Charakter, den seine Texteskonstitution unter diesen Verhältnissen
tragen mufste, ist sich Bernoulli selbst durchaus nicht im Un-
klaren, zumal er als Neuling den technischen Schwierigkeiten des
Handschriftenlesens nicht durchweg gewachsen gewesen zu sein
scheint (S. XLVIII: „Sigla habe ich, wo ich sie lesen konnte,
aufgelöst"). Trotzdem ist die Ausgabe für den begrenzten Zweck
brauchbar und willkommen, namentlich für Hieronymus, während
der Gennadiustext doch auf einem gar zu schwachen Fundamente
anfgebant ist Um an einem Beispiele zu zeigen, dafs mit diesen
Hilfsmitteln nicht auszukommen ist, führe ich die Vita des Victo-
rinns rhetor Massiliensis (Kap. 60) an, für die ich zufällig den
Apparat aus den vier alten Handschriften besitze (vgl. Gött Gel.
Anz. 1869 S. 296 Anm. 2): innerhalb sieben Zeilen fehlen drei
sachlich wichtige Varianten: 1 Victorius AB statt Victorinus,
3 quattuor AB statt tres, 7 Valentiniano AB statt Valente, die
sämtlich in den Text hätten aufgenommen werden müssen (vgl
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NACH U1CHTEX.
621
C. Schenkl, Poet Christ, min. I p. 347); jedenfalls durfte das
unmögliche Theodosio et Valente ebenso wenig stehen bleiben,
wie Kap. 61 (Cassianus) Z. 28 Theodosio et Yalentiano. So-
liefse sich auch an der Emendatio mancherlei aussetzen, doch ist
es immer unbillig, an ein Bach mit Anforderungen heranzutreten,
die zu erfüllen es gar nicht den Anspruch erhebt. Die Beigabe
eines Faksimile zweier Seiten des Reginensis (nach Photographie)
ist sehr dankenswert.
Das Buch von G. Wentzel (oben Nr. 3) ist eine ausgezeich-
nete literarhistorische Untersuchung, die im engen Zusammen-
hange steht mit desselben Gelehrten mustergültigen Arbeiten zur
Geschichte und Quellenkunde der griechischen Lexikographen (siehe
S.-Ber. d. Berl. Akad. 1895 S. 477 ff.). Der Titel ist allerdings
irrefahrend: man erwartet eine Erörterung über Entstehungszeit
und Verfasser der seit Erasmus unter dem Namen des Sophronius
gehenden griechischen Übersetzung der viri inlustres des Hie-
ronymus, statt dessen erhält man etwas Wertvolleres, eine mit
der dem Veifasser eigenen Knappheit und Sauberkeit geführte
Untersuchung über die biographische Quelle des Suidas, in der
allerdings der sogen. Sophronius eine bedeutsame Rolle spielt
und durch die auch er in ein neues Licht gesetzt wird. Das
Ergebnis ist dieses: Sowohl Photius in der Bibliothek als Suidas
benützen als biographische Quelle eine zwischen 829 und 857
abgefafste Epitome aus des Hesychius Milesius niyu$ jtäv *V
naiSi/a ovofiaoTwy. Der Epitomator begnügte sich nicht damit,
die Vorlage zu verkürzen, sondern gestaltete einerseit die eido-
graphische Anordnung derselben zu einer lexikalischen um, anderer-
seits fügte er die bei Hesychius ausgeschlossenen Biographieen
christlicher Schriftsteller hinzu. Für diese war seine Hauptquelle
die griechische Obersetzung der viri inlustres, aufserdem benutzte
er Eusebius' Kirchengeschichte, Philostorgius und die kirchen-
geschichtliche Eicerptensammlung des Theodorus Anagnostes und
fügte aus eigener Kenntnis bei einigen zu seiner Zeit geleseneren
Autoren Schriftentitel hinzu. Das scheint mir alles völlig unan-
fechtbar und abschliefsend, und es folgt daraus für die Textkritik
des Hieronymus, dafs Suidas und Photius zusammen eine Hand-
schrift der griechischen Obersetzung, und zwar eine solche des
9. Jahrhunderts, darstellen und entsprechend für die Recensio zu
verwerten sind, für die griechische Obersetzung selbst aber, dafs
sie bereits vor dem 9. Jahrhundert vorlag, also der Gedanke an
eine Humanistenfälschung (Isaac Vossius) ausgeschlossen ist. Aller-
neuestens ist durch Bernonlli (vgl. Theol. Lit.-Ztg. 1895 S. 475 f.)
die Handschrift, aus welcher Erasmus den griechischen Text her-
ausgab, in der Züricher Stadtbibliothek (Ms. C 11 chart., saec. XIII)
wieder aufgefunden worden, wobei es sich ergab, dafs in der
Z«iUchr. r. k.-g. xvrr. 4. 40
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622
NACHRICHTEN.
Handschrift der Käme des Sopbronius als Autor nicht genannt
ist, derselbe also nnr auf einer Kombination des Erasmus beruht.
Für die Beantwortung der Frage, ob diese nach vir. inl. 134
(Sopbronius . . . opuscula mea in graecum sermonem elegantis-
sime transtulit) recht nahe liegende Vermutung das Richtige trifft,
giebt auch Wentzels Buch kein entscheidendes Moment; hier wird
die sprachliche Untersuchung eintreten müssen und festzustellen
haben, ob die Schrift ihrer sprachlichen Form nach ins 4. Jahr-
hundert gesetzt werden kann. Zum Schlüsse will ich ein Be-
denken gegen ein Glied in Wentzels Beweisführung nicht unter-
drücken. In einer Moskauer Handschrift des Gregor von Nazianz
aus dem 9. — 10. Jahrhundert ist von einem Besitzer derselben
aus dem 14. oder 15. Jahrhundet eine bis auf einige Auslas-
sungen wörtlich mit Suidas übereinstimmende Biographie des
Gregor von Nazianz eingetragen, an deren Spitze die Worte
stehen: Tudt mgt iov fuyulov rgrjyogfov (frjoir *Hav/iog *A-
Xovoigiog o rovg ßiovq nov oorpwv anuvuav axtuygaiptjoug.
Wentzel folgert daraus, dafs der Schreiber dieselbe Quelle wie
Suidas, d. h. eben die Hesych-Epitome , benutzte und dafs diese
nicht den Namen des Epitomators, sondern nur den des Hesychius
trug, eine Bescheidenheit, die im 9. Jahrhundert nicht recht
glaublich ist. Ist es denn nicht denkbar, dafs der doch wohl
gelehrte Schreiber jener Gregor vita einfach den Suidas ausschrieb
und den Namen des Hesychius aus seiner Kenntnis des viel-
besprochenen Suidas- Artikels Havyjoq . . . tygtx\p*y orofiaio-
Xoyov r, m'vuxu Tiüv fr nuidtiu oyoftannt.v ot tnti Of.irt toxi rorro
to ffiflXtoy entnahm? (?. Wissowa.
Vgl. Nr. 36.
* 33. In sehr erfreulicher Weise hat sich neuerdings der
Teubnerscbe Verlag auch etwas der Patristik angenommen. In
dem letzten Jahre ist eine Anzahl christlicher Schriften in die
Bibliotheca Teubneriana aufgenommen worden, und man darf dafür
dankbar sein, dafs mehrere sonst schwer zugängliche und noch
nicht genügend edierte Schriften nun in guten und billigen Ab-
drücken vorliegen. Die Streitschrift des Alexander von Lycopolis
gegen die Manicbäer hat Aug. Brinkmann nach der ältesten
und besten Handschrift, dem Cod. Laur. plut IX, c. 23, eaec. IX
o. X, sehr sorgfältig herausgegeben (Alexandri Lycopoli-
tani contra Manichaei opiniones disputatio ed. A.B.
Lipsiae, B. G. Teubner, 1895. XXXI et 50 p. Mk. 1. — ).
Dem nicht immer tadellos Überlieferten Texte hat der Heraus-
geber durch besonnene Konjekturalkritik aufgeholfen. Wertvolle
Emendationen haben auch Bücheler und Usener beigesteuert.
Eine ganz besonders dankenswerte Gabe hat Maximilian Ihm ge-
liefert (Anthologiae latinae suppleme nta. Vol. I. Da-
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NACHRICHTKN.
masi epigrammata. Accedunt Pseudodamasiana aliaque ad Da-
masiana inlustranda idonea. Becens. et adnotavit M. I. Lipsiae,
B. G. Teubner, 1895. LIV et 147 p. Cum tabula. Mk. 2, 40).
Um die Sammlung der Damasusepigramme hat sich vor andern
der verstorbene J. B. de Rossi, dessen Andenken diese Ausgabe
gewidmet ist, verdient gemacht. Durch seine unermüdlichen und
sachkundigen Ausgrabungen bat er zahlreiche Fragmente der Epi-
gramminschriften zutage gefördert, wie er das gesamte Material
samt dem, was die Handschriften boten, in dem zweiten Bande
seiner christlichen Inschriften der Stadt Rom bearbeitet hat.
Ihms Ausgabe zeichnet sich ebenso durch Handlichkeit wie Sorg-
falt und billigen Preis aus. Die christlichen Epigramme, die sich
in der Anthologia Palatina finden, haben ebenfalls eine vorzüg-
liche Bearbeitung in der Neuen Ausgabe der Anthologia Palatina
von Hugo Stadtmüller gefunden (Anthologia Oraeca
epigrammatum Palatina cum Planudea ed. H. St.
Vol. I. Palatinae lib. I— VI. Lipsiae, B. G. Teubner, 1894.
XLI et 419 p. Hk. 6. — ). Eine recht interessante Heiligen-
vita, die bisher nur in einem verstümmelten, von den Bollan-
disten (Acta Sanct. Juni III, 308 sqq.) herausgegebenen Texte
vorlag, ist aus Useners Schule neu bearbeitet hervorgegangen:
Callinici de vita S. Hypatii liber. Ediderunt seminarii
philologorum Bonnensis sodales. Lipsiae 1895. XX et 158 p.
Mk. 3. — . Die Schrift ist Bücheler zu seinem Jubiläum ge-
widmet und ein seiner würdiger akademischer Grufs. Zugrunde
gelegt ist die beste Handschrift Paris, gr. 1488 sc. XI. Der
Text ist auf Grund der beiden Handschriften rezensiert; die
Konjekturen, durch die die sodales ihren philologischen Scharf-
sinn dokumentiert haben, halten sich mit Recht meist in den
Noten. Die Indices füllen ein Drittel des Bandes. Dafs übri-
gens das Bekenntnis, das Hypatius p. 78 s» ablegt, trotz der vor-
hergehenden Behauptung nicht das apostolische ist, sondern ein
antinestorianisches , hätte p. 119, um Irrtümer zu vermeiden,
deutlich gesagt sein sollen. Ein anonymer Dialog Hermippus
(Anonymi Christiani Hermippns de astrologia dia-
logus ediderunt Guilelmus Kroll et Paulus Viereck. Lipsia,
B. G. Teubner, 1895. XI et 87 p. Mk. 1.80) dessen Text
arg verderbt überliefert ist, bietet weniger Interesse für Theo-
logen als für Philosophen.
• $4. Von dem Wiener Corpus liegen zwei weitere Bände
vor: von den Werken des Eucherius von Lyon der erste Band
bearbeitet von K. Wotke (S. Eucherii Lugdunensis for-
mulae spiritalis intelligentiae, instructionum libri duo, passio
Agaunensium martyrum, epietula de laude heremL Accedunt
epistulae ab Salviano et Hilario et Rnstico ad Eucherium datae.
40 •
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024
NACHRICHTEN.
Receosuit et commentario critico instruxit C. W. Vindobonae,
F. Tempsky, 1894. XXV et 200 p. Mk. 5.60). Die Über-
lieferang ist sehr verzwickt. Zwar bat Eucherius das Glück,
aufser in jüngeren, auch in zwei Handschriften ans dem 6. Jahr-
hundert erhalten zu sein, einem Sessorianus 77 und dem Paris,
lat. 9550. Aber die Verhältnisse liegen hier noch ungünstiger,
wie z. B. bei Hilarius in dem Psalmen kommentar. Die von bei-
den Handschriften gebotenen Rezensionen sind so verschieden, dafs
nur die Möglichkeit war, der einen auf Kosten der andern za
folgen. Zur Erklärung des Verhältnisses beider beliebt Wotke
die neuerdings recht in Schwung gekommene , aber nur in ganz
vereinzelten Fällen (wie bei Optatus) wirklich stichhaltige An-
nahme einer doppelten Bearbeitung, die frühere vom Sess., die
spätere vom Paris, und den von ihm abhängigen Handschriften
repräsentiert. Abgesehen von anderem macht schon die Häufig-
keit der Erscheinung gegen diese Annahme sehr bedenklich.
Wotke legt P zugrunde. Dafs die späteren Interpolationen (cf.
p. XIV) für die Geschichte des Bibeltextes doch recht wichtig
sind, hat W. nicht überlegt; sonst würde er wohl ihnen gegen-
über ein anderes Verfahren eingeschlagen haben. Die passio
Agaunensium martyrum ist nach einem Cod. Sangallens. s. IX/X,
die Schrift laude heremi nach vier jüngeren Handschriften, die
im Anbang abgedruckten Briefe sind nach einem Paris, s. VII
bis VIII rezensiert. Im einzelnen ist der Apparat nicht überall
zuverlässig, wie auch die Notierung der Bibelstellen nicht ohne
Lücken ist Wie üblich ist der Band W. v. Härtel dediziert
(Vgl. E. v. Dobschütz, Lit. Centr.- Blatt 1895, 24, 854£;
A. Jülicher, Theol. Lit.-Ztg. 1895, 12, 310—312.) — Von den
Briefen Augustins liegt der Anfang der neuen von AI. Gold-
bacher besorgten Ausgabe vor (S. Aurelii Augustini,
Hippionensis episcopi epistulae rec. et commentario
critico instruxit A. G. Pars I. Praefatio. Ep. I — XXX. Vindo-
bonae, F. Tempsky, 1895. 125 p. Mk. 3. 60). Da eine prae-
fatio fehlt, ist über die textkritischen Grundsätze des Heraus-
gebers noch nichts zu sagen. Auch eine Übersicht über die
zahlreichen nicht zu jedem Brief erklärten Sigla f 1 in r s bet-
zugeben hat man für überflüssig erachtet. Soweit sich auf so
mangelhafter Grundlage urteilen läfst, ist die neue Ausgabe sorg-
fältig gearbeitet Warum freilich die Abnehmer der Ausgabe
mit so mikroskopischen Portionen abgespeist werden, ist nicht
recht erfindbar. (Vgl. meine Anzeige im Lit Centr.- Bl. 1895,
26, 924 f.) Preuschtn.
* 35. Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinornm editum
conailio et impensis Academiae litterarum Caesareae Vindobonensia.
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NACHRICHTEN.
G25
Vol. XXX. S. Pontii Meropii Paulini Nolani opera.
Pars II Carmina, Indices voluminum XXVIIII et XXX, ex recensione
Goilelmi de Härtel. Vind. 1894. Bei dem Text der für die
Geschichte der Völkerwanderung und der kirchlichen Kultur so
wichtigen Gedichte des Paulinus von Nola befand man sich bis-
her in einer noch ableren Lage als bei den Brieftexten desselben
Autors. Zahlreiche Willkürlichkeiten der Erstlingseditionen
schleppten sich durch alle Ausgaben. Erst jetzt wird die Ge-
schichte der Textüberlieferung klar. Man hat zwei Gruppen von
Dichtwerken zu unterscheiden. Die 15 Carmina auf den h. Felix
sind sehr früh gesammelt. Alle Handschriften gehen auf einen
Archetypus zurück, der wahrscheinlich in der Kirche von Nola,
vermutlich vom Verfasser selbst, hergestellt wurde. Die übrigen
18 Gedichte sind meist in Ausonius- Handschriften überliefert,
unter denen der cod. Vossianus die älteste ist, vermutlich in dem
Benediktinerkloster Ilo Barle während der Regierung Karls d. Gr.
zu Schulzwecken zusammengestellt Der einst im Besitz des Ni-
kolaus von Cusa befindliche cod. Bruxellensis saec. XII vereinigt
Gedichte aus beiden Sammlungen. — v. Härtel hat die unchrono-
logische Reihenfolge Muratoris beibehalten. Die carmina XXX bis
XXXIV (= Migne 61, 671—676) fehlen. Es sind nur Bruchstücke
aus anderen Gedichten, was übrigens die früheren Herausgeber
nicht hinderte, eigene Abfassungsdaten zu bestimmen. Statt ihrer
erscheinen jetzt unter XXVIIII Fragmente, die in „Dungali re-
Bponsa adversus perversas Claudii Taurinensis sententias" auf-
bewahrt sind. In dem cod. Ambros. B 102 sup. saec. IX scheint
das Autograph dieser Schrift, aus dem Kloster Bobbio, vor-
zuliegen. Hinzugekommen sind ferner die inschriftlich erhaltenen
Distichen unter XXX* (siehe de Rossi, Inscr. ehr. II, 1, 189,
Romae 1888); aufserdem zwei Verse (290 und 327) in dem
beim Goteneinfall des Jahres 401 gedichteten Carmen XXVI und
Vers 42. 43 in dem Gedicht De obitu Celsi. Hingegen hat
XVIII, Vers 85 (= Migne 61, 492 0) teils ausfallen, teils zu
Vers 84 gezogen werden müssen. Der zweite der drei Indices
S. 377 — 396 bietet aus den Sammlungen von Manitius [nicht
Munutius wie S. 377 steht], Hümer und Zingerle nicht blofs die
von Paulinus nachgeahmten Original-, sondern auch Parallelstellen
zu den Episteln und Gedichten. Arnold.
*36. Eine Untersuchung der Schrift des Hieronymus De
viris illu8tribu8 war, wie eine kritische Ausgabe von ihr, schon
längst ein Desiderium. Letzterem Bedürfnis hilft einstweilen in
gewisser Weise die Ausgabe von Bernoulli in Krügers Sammlung
ab; zur Befriedigung des ersteren haben wir ziemlich gleichzeitig
zwei Arbeiten erhalten. Die vortreffliche Untersuchung von
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626
NACHRICHT KN.
C. Bern o ulli und die vgd Stanislaus von Sychowski (Hie-
ronymus als Literarhistoriker. Eine quellenkritische
Untersuchung der Schrift des hl. Hieronymus De Tins illustribns
von St v. S. in: kirchengeschichtliche Studien herausgegeben von
Knöpf ler, Schrörs und Sdralek II, 2. Münster, Schöningh, 1894.
VIII und 198 S. Mk. 4.60. Subskriptionspreis Mk. 3.40).
Fast zwei Drittel der Schrift füllt der dritte Abschnitt, ein Ab-
druck des Textes des catalogus nach Vallarsi mit kritischen Er-
örterungen. Der Verfasser hat viel Fleifs darauf verwendet, das
zur Erläoterung dienliche Material herbeizuschaffen und im ein-
zelnen zu zeigen , wie Hieronymus bei seiner Bearbeitung ver-
fahren ist Die beiden ersten Abschnitte sind im Vergleich dazu
nicht selten etwas dürftig und flüchtig geraten und scheinen
eigentlich nur den Zweck zu haben, zum Verständnis des dritten
zu verhelfen und seine Ergebnisse kurz zusammenzufassen. Der
erste Abschnitt handelt von der äufseren Bestimmung der Schrift,
den Umständen, die ihr Ansehen begründet haben, den Beurtei-
lungen, die sie gefunden hat (Harnacks Urteil in der altchrist-
lichen Literaturgeschichte, das seine Begründung in dem ganzen
Werke findet, hatte nicht übergangen werden sollen), der Be-
deutung nach den Ergebnissen der Quellenkritik, der Chronologie
und endlich von der Integrität (gegen die verschollene Hypothese
von A. Ebrard gerichtet). Der zweite Abschnitt ist dem Nach-
weis der charakteristischen Arbeitsweise des Hieronymus gewidmet,
wobei Sychowski weder die zahlreichen Fehler und Flüchtigkeiten
im einzelnen verschleiert, noch auch die Methode im ganzen in
Schutz nimmt. Die Beilagen bringen nützliche Indices. Inter-
essant wäre der Nachweis gewesen, wo Hieronymus wider besseres
Wissen liederlich war. Aus seinen zahlreichen Schriften liefs
sich das Material dazu leicht beschaffen und der etwas zu um-
fassende Titel der Abhandlung weckt eine derartige Erwartung.
* $?• Von A. Harnacks Vortrag Augustins Konfes-
sionen (Giefsen, J. Kickersche Buchhandlung, 1895. 32 S.
Mk. — . 60) ist eine zweite , gegenüber der ersten kaum ver-
änderte Auflage erschienen. Es ist nicht nötig, zu dieser geist-
vollen Einleitung in das Studium der Konfessionen noch ein Wort
der Empfehlung zu sagen. Preuschen.
*38. Angustin de catech izandis rudibus heraus-
gegeben von A. Wolfhard. Zweite vollständig umgearbeitet«
Ausgabe von G. Krüger (Sammlung kirchen- und dogmengeschicht-
licher Quellenschriften . . . herausgegeben unter Leitung von
D. G. Krüger, 4. Heft). (XV u. 76 S.) Freiburg i. Br. (Mk. 1.40.)
Die zurückgezogene erste Ausgabe wird hier durch eine muster-
hafte Edition ersetzt. Hoffentlich wird in einer dritten Auflage
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NACHRICHTEN.
627
auch die triviale Einleitung Wolfhards, die grösstenteils stehen
geblieben ist, mit einer litterargesohichtlichen Einführung in die
Schrift vertauscht. Arnold.
*S9. Über die „Lehren des Johannes Cassianus
von Natur und Gnade" handelt Alexander Hoch (Freiburg
i. Br., Herder, 1895. VIII und 116 S. Mk. 1.60). Nachdem
Hoch im ersten Abschnitt den Standpunkt Cassians im allgemeinen
beleuchtet hat, bespricht er im zweiten die menschliche Natur
im jetzigen Widerstreit zwischen Geist und Fleisch, drittens den
Sündenfall, viertens die sittliche Anlage des Menschen nach dem
Sündenfall, fünftens Prädestination, Freiheit und Gnade, Notwendig-
keit der Gnade, sechstens Gnade und Rechtfertigung, um im letzten
Abschnitte seine Resultate noch einmal kurz zusammenzufassen.
Hoch ist sichtbar bemüht, Cassian von dem Vorwurf des Pola-
gianisierens frei zu machen, dem er bekanntlich bereits zu seinen
Lebzeiten nicht entgangen ist. Doch kann man nicht sagen, dafs
der Erfolg diesen Bemühungen entspräche. Dankenswert ist da-
gegen die durchgängige Vergleichung mit den Anschauungen des
Chrysostomus, dessen Vorbildlichkeit für Cassian von Hoch deut-
lich hervorgehoben wird. (Vgl. G. Krüger, Theol. Lit.-Ztg. 1895,
14, 368—370. A. Jülicher, Götting. Gel. Nachr. 1895, 10,
745—748)
* 40. Die Schrift von Anton Koch, Der hl. Faustus,
B i 8 c h o f von Riez (Stuttgart, Jos. Rothsche Buchhandlung, 1 895.
III u. 208 S. Mk. 3. 50) ist im wesentlichen ein Neudruck der in
der Theol. Qnartalschr. LXXI (1889). LXXIII (1891) veröffent-
lichten Aufsätze, was in der Vorrede ohne Schaden bemerkt werden
konnte. Es ist eine recht fleifsige Darstellung des Lehrsystems; neue
Gesichtspunkte werden kaum zutage gefördert. (Vgl. F. Loofe,
Theol. Lit-Ztg. 1895, 22, 567—570.) Preuschen.
41. Zu Boethius sind vor allem drei Aufsätze von Prof.
Dr. G. Schopf 8 in Speyer zu verzeichnen, der seit Jahren mit
einer Neuausgabe beschäftigt ist. 1) Aus dem Bericht über den
Stand der Vorarbeiten in den Commentationes Woelfflinianae
(Lipsiae 1891), S. 277— 280, ist für die Leser dieser Zeitschrift
besonders hervorzuheben, dafs zu den Opuscnla sacra, die sich
im Anhang von R. Peipers Ausgabe der Consolatio (Teubner
1871) finden, acht von Peiper nicht ausgenutzte Handschriften
vollständig kollationiert, aus vierzig andern Auszüge gemacht sind.
8. 278 setzt sich Schopfs im Anschlufs an seine Arbeit im N.
Archiv f. ält. d. Gesch. XI, 125 mit den Auslassungen J. Drä-
sekes (Zeitschr. f. w. Theol. 1888, S. 125 ff.) auseinander, tritt
aber dabei keineswegs, wie es nach Bardenbewer Patr. 587 f.
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628
NACHRICHTEN.
scheinen könnte, unbedingt für die Unechtheit aller Opuscula
sacra ein. — Die wichtigsten von Tallinns im Jahre 1656 ver-
werteten Handschriften bat Schopfs rekognosziert Als Gegen-
stand einer Spezialuntersuchung empfiehlt er S. 280 die zahl-
reichen Berührungen zwischen den Gedichten der consolatio und
denen des Prudentius (vgl. Tlieol. Litteraturbl. 1871, 601 ff.). —
t) Zu Pseudo-Boethius De fide catholica von G. Schepfs Zeitschr.
f. w. Theol. XXXVIII (1895), S. 269—278. Aus Nr. IV der
Opuscula sacra (ed. Peiper 1. c. p. 175 — 185) ist schon früh ein
Excerpt gemacht und zu einer Predigt verarbeitet. Diese er-
scheint hier aus einem Wiener cod. saec. IX nach einer Kopie
K. v. Schenkls zum erstenmal gedruckt. Der Herausgeber weist
nach, dafs der Überarbeiter die schon im Original benutzte Au-
gustinische Schrift De catech. rud. auch seinerseits oft heran-
gezogen und Stellen ans De civ. Dei verwertet hat. Unter den
Zusätzen ist der bedeutendste das auf die Taufe Christi im Jordan
bezügliche Wort: „Christus omnes aquas sanctificavit". — Über
tr. IV selbst macht Schepfs in der Wochenschr. f. klass. Phil.
1894, col. 411 f. einige Mitteilungen. — 8) In den Blättern f.
d. boyer. Gymnasialschulw. XXVIII (1892) weist Schepfs nach,
dafs die in den Berl. Studien XI, 2 (1890) von Petschenig
neu edierten lasciven Elegieen Maximians häufig auf die Con-
solatio des Boethius Bezug nehmen, woraus ihm hervorzugehen
scheint, dafs diese Gedichte erst geraume Zeit nach dem Tode
des Boethius verfafst sind.
*42. Benedicti Regula Monachorum recensuit Eduardus
Woelfflin. Lipsiae, In aedibus Teubneri, 1895. (XV et 85 p.)
Mk. 1.60. — Schon im Jahre 1880 wies P. Edm. Schmidt
0. S. B. in seiner zu Regensburg erschienenen Editio major der
Benediktinerregel nach, dafs in den Handschriften zwei uralte
Versionen des Textes nebeneinander hergehen, vor allem im
Prolog, dann aber auch am Schlnfs von Kap. 6. Wölfflin zeigt
jetzt, dafs die Schrift ursprünglich mit den Schlufsworten von
Kap. 66 endigte: „Hanc autem regulam saepius volumus in
congregatione legi, ne qnis fratrom se de ignorantia excuset".
Ferner ist vor dem Beginn des letzten (73.) Kapitels, das mit
den Worten anhebt: „Regulam autem banc descripsimus etc.**,
und überhaupt den Charakter eines Nachtrags zeigt, in einer
alten Handschrift ein „Amen" stehen geblieben, wodurch die
weitere Vermutung bestätigt wird, dafs eine spätere Rezension
mit den Worten: „qui nos pariter ad vitam aeternam perducat**
Kap. 72 abgeschlossen hat. Dnrch Kombinierung dieses drei-
fachen Schlusses mit der Doppelrezension des Prologs gewinnt
Wölfflin drei resp. vier Originaltexte. Ähnlich wie Schmidt die
beiden Rezensionen, führt Wölfflin alle diese Überarbeitungen auf
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NACHRICHTEN.
«29
Benedikt selbst zurück, obwohl er sich über die Nachricht, der
h. Maurus habe das Urexemplar nach Gallien mitgenommen, vor-
sichtiger äufsert als jener. — Der handschriftliche Apparat ist
genauer, aber weniger reichhaltig als in Schmidts Editio major.
Wer sich z. B. über die Lesarten des cod. Fuldensis s. IX orien-
tieren will, sieht sich noch auf diese verwiesen. Eine Geschichte
der handschriftlichen Überlieferung läfst sich aus dem heute vor-
liegenden Material nicht gewinnen, und doch würde diese auch
für die Fragen der sogenannten höheren Kritik Bedeutung haben. —
Wölfflin legt die älteste Handschrift, den cod. Oxoniensis s. VII/VIII,
der von Arthur Hunt neu verglichen ist, zugrunde, und weist
nach, dafs sowohl die Handschrift von Tegernsee s. IX, wie die
(Keronische) von St. Gallen s. VIII sprachliche Korrekturen ent-
halten. Schmidt hatte 1880 jene, 1892 diese bevorzugt; erst
jetzt sind sie von Wölfflin unter Beihilfe von J. Egli genügend
kollationiert. Aufser diesen drei Handschriften hat er nur noch
den Emmeramensi8 s. VIII und den Kommentar des Hildemar
8. IX zugezogen. — Ein vorzügliches Hilfsmittel bietet die neue
Ausgabe in sprachlicher Beziehung. Auf Herstellung der ur-
sprünglichen Wortformen ist grofse Sorgfalt verwandt; Ausdrücke
und Konstruktionen, die im Index durch Parallelstellen oder
Übertragung ins Deutsche erläutert werden, sind mit einem *
versehen. Die „Loci scripturae sacrae" sind unvollständig an-
geführt. Der Herausgeber selbst bemerkt p. XIII im allgemeinen:
„ cum aliam rationem sequi liceat theologo, aliam philologo, nobis
certe ea detur venia, ut quicquid ad cognoscendam linguae latinae
historiam disci possit, id in praecipuo lucro ponamus".
Arnold.
* 48« Unter dem Titel 2tvr,gog b MoyoyvoiTrjg na-
jgtag^g lAvTio/tluQ xui r unb rot? tyojxixov tov Zr^torog f-i^XQ1
jrtg ini Mqvü owodov (482 — 536) oyloig tov fAOvotpvoaiOfiov
ngbg ity 6o&odo%iay (Lipsiae 1894. 68 p.) behandelt ein grie-
chischer Geistlicher Job. Eustratios in einer Jenaer Doktor-
dissertation eine wichtige Epoche der Geschichte des Monophysi-
tismus mit tüchtiger Quellenkenntnis und gutem Urteil, dem man
Geizers Schule anmerkt. Preuschen.
44. D. Geimain Morin, Mes principes et ma methode pour
la future edition de S. C^saire. (Extrait de la Revue Bene-
dictine feWrier 1893. Abbaye de Maredsous 1893 [18 S.].) Morin
zieht seine Revue Bänäd. 1892, p. 49 sqq. vorgetragene Ansicht
zurück, dafs der pseudohieronymianische Traktat „De septem or-
dinibus ecclesiae" (Migne XXX, 148 — 162) Faustus Rejensis zum
Verfasser habe und erklärt dieselbe für widerlegt durch die Aus-
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630
NACHRICHTEN.
führungen A. Engelbrechts (Patrist Analekten, Wien 1892, S. 5
bis 19). Um so entschiedener aber b< er daran fest, dafs der codex
Durlacensis (C. S. E. L. XXI, p. LIV, p. 223—313) ein Cäsa-
riensisches Homiliariam biete nnd bekämpft die von Engelbrecht
in der Zeitschrift f. d. ö. Gymn. 1892, Heft 11 vorgebrachten
Gegengründe. Er rechtfertigt die von jenem beanstandete Me-
thode der Maariner bei der Abfassung des fünften Bandes ihrer
Aogustin-Au8gabe , ediert znm erstenmal vollständig den 1838
im Archiv von Pertz VI, 498 durch Uoheneicher teilweise publi-
zierten Prolog zu einer Homiliensammlnng von Pestpredigten und
erweist ihn als Eigentum des Cäsarius von Arles. Der Verfasser
hat in seiner mit meisterhafter Klarheit und Präcision abgefafsten
Schrift aufs neue dargethan, dafs die von ihm geübte innere
Kritik sich von subjektiven Velleitäten freihält, dafs der hier
eingeschlagene Weg in diesen Fragen der richtige ist und zum
Ziel führt S. 7 f. wird die durchaus verschiedene Eigentümlich-
keit des Faustus und des Cäsarius in ihren homiletischen Pro-
duktionen und Reproduktionen treffend charakterisiert.
* 45. Hallier, Ludwig, Untersuchungen über die
edessenische Chronik mit dem syrischen Text und einer
Übersetzung herausgegeben. — Die Apologie des Aristides aus
dem Syrischen übersetzt und mit Beiträgen zur Textvergleichung
herausgegeben von Dr. Richard Raabe (Texte und Untersuchungen
zur Geschichte der altchristlichen Litteratnr, herausgegeben von
0. v. Gebhardt und Ad. Harnack, 9. Band, Heft 1). Mk. 8. 50.
Die „Erzählungen der (edessenischen) Begebenheiten im Abriis"
umfassen die Zeit vom November 201 n. Chr. bis Mai 540
(einige Notizen reichen bis 133 v. Chr. zurück). Bisher nahm
man an, der Verfasser habe bald nach dem ersten Feldzug des
Chosroes geschrieben; Hallier macht wahrscheinlich, dafs die Ab-
fassung etwa 60 Jahre später, um das Jahr 600 n. Chr. fallt.
Für die Zeit vom Mai 498 bis September 503 ist die Chronik
des ersten syrischen Geschichtschreibers, Josua Stylites (schrieb
ca. 515), wahrscheinlich durch Vermittelung einer Epitome, be-
nutzt Von besonderem Wert scheint die edessenische Bischofs-
liste, die mit dem Tode des Bischofs Abraham, 360/1 n. Chr.,
beginnt. Sie entstammt nicht direkt dem Kirchenarchiv, sondern
der Kirchenbibliothek. Durch Vermittelung des ersteren hat aber
auch eine umfangreiche heidnische Urkunde aus dem königlichen
Archiv von Edessa Aufnahme gefunden, welche die Verdienste
Abgars IX. (179 — 214) bei Gelegenheit der grofsen Überschwem-
mung des Jahres 201 preist, als die Fluten unter anderen „auch
das Heiligtum der christlichen Kirche zerstörten*'. Diese Er-
wähnung verschaffte dem Überschwemmungsbericht Aufnahme in
das durch Eusebius berühmt gewordene Bischofsarchiv, welches
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NACHRICHTEN.
631
zwischen 313 und 324 entstanden zu sein scheint. Als sonstige
Quellen sucht Hallier ein antiochenisches Werk, ein Martyrologium
und eine Schrift über die Perserkriege nachzuweisen. Der Chro-
nist zeigt orthodox-nestorianisierende Gesinnung und ist ein Frennd
der anfänglichen Kirchenpolitik des Kaisers Justinian. Krüger
scheint Th. Jahresber. (Braunschweig 1893) S. 179 im allgemeinen
mit Hallier einverstanden, doch rügt er die Art der Verwertung
einer Stelle aus dem Sammelwerk, dessen drittes bis siebentes
Buch dem Bischof Zacharias von Mitylene angehört, auf S. 64
bei Hallier. — Die Verdienste der Raabeschen Arbeit liegen auf
dem philologischen Gebiet. Von seinen sachlichen Erörterungen
sagt er selbst, dafs sie „wenig zu positiven Resultaten führen".
Arnold.
46. Der Konsekrationsmoment im heiligen Abend-
mahl und seine Geschichte. Von Johannes Watterich,
o. ö Professor der Geschichte a. D., Dr. phil. et. theol. Heidel-
berg, Karl Winters Universitätsbuchhandlung, 1896. VIII u.
340 S. broch. Mk. 9.—, geb. Mk. 11.—. Der Verfasser dieses
sowohl nach der eingeschlagenen Methode wie nach seinen Re-
sultaten bedeutsamen Buches, beginnt mit einer eingehenden Un-
tersuchung der biblischen Abenlmahlsberichte behufs Feststellung
des Konsekrationsmomentes beim Ersten Herrenmahl. Er weist
nach, dafs die Apostel, dem Gebote des Herrn entsprechend
„Dies" in dramatischer Wiederholung ganz richtig „gethan" und
verordnet haben. Den Moment erkannten sie in dem Akt, bezw.
Wort: „er segnete" nicht in den bei der Darreichung des Brotes
und Weines deklarativ gesprochenen Worten „ Dies ist — ". Diese
Erkenntnis schwand, wie W. an der Hand des Klemensbriefes
und der Didache darlegt, gegen Ende des 1. Jahrhunderts mit
dem Hinscheiden der Apostel in der Kirche, auch zu Rom, und
im Anfang des 2. Jahrhunderts und fortan überhaupt giebt es,
nach den richtig verstandenen Zeugnissen des Justin, des Irenäus
und der folgenden Kirchenschriftsteller des Morgen- und des
Abendlandes, sowie der ältesten Liturgieen in der ganzen Kirche
nur eine Konsekrationsform : die durch ein Gebet, durch die Epi-
klese. Die aus einem alten leicht erklärlichen Mifsverstflndnis
herrührenden Väterstellen, die dieser Thatsache zu widersprechen
scheinen, entkräftet W. durch den Nachweis der in ihnen vor-
liegenden Selbstwidersprüche und der sie absolut ausschliefsenden
Liturgieen. — Der weitaus interessanteste und ernsteste Teil der
Untersuchung befafst sieb, von S. 1 20 an, mit dem Beweis, dafs
die Konsekrationsform in der Kirche zu Rom von jeher, bis in
die Mitte des Pontifikates Gelasins I. (J. 494 — 496) keine andere
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632
NACHRICHTEN.
gewesen ist, als die der ganzen übrigen Christenheit, nämlich
die konsekratoriscbe Epiklese. In diesem, den Morgenländern
feindlich gesinnten und von den extremsten Primatansprüchen
erfüllten, energischen Papst Gelasias I., der auch das erste
Indexdekret erlassen hat, zeigt W. den Unterdrücker der nach-
apostolischen allgemein christlichen Konsekrationsform, der kon-
8ekratorischen Epiklese, in der Kirche Borns und den wahren
Vater dor neurömiscben Konsekrationsform durch die Herrenworte.
Die Umwälzung hat sich, wie W. reichlich aus dem im wesent-
lichen noch erhaltenen Oelasianischen Mefsbuch und anderen neu-
römischen Liturgiedenkmälern nachweist, verhältnismäfsig still
vollziehen lassen durch die Verlegung der altrömischen Epiklese
vor den Abendmablsbericht, wodurch von diesem, nachdem der
richtige Moment desselben seit der Apostf lzeit verwischt war, die
Herrenworte von selbst als die Konsekrationsform übrig blieben.
Das so „reformierte" neurömische Mefsbuch Oelasius I. wurde
mit sehr geringem Erfolg von Rom aus in Oberitalien, Spanien
und Gallien einzuführen gesucht; Volk und Geistlichkeit hielten
zäh am Alten fest. Auch die durch Gregor I. vollzogene knappere
Fassung des Gelasianischen Mefsbuchs, begleitet von feinem mu-
sikalischen Arrangement, führte nur langsam weiter. Erst Boni-
fatius gelang es, die fränkischen Hausmeyer und späteren Könige
für das neurömische Mefsbuch und die Abschaffung der alten Li-
turgie zu gewinnen. Karl der Grofso vollendete in Mailand und
Gallien seines Vaters Werk. In Spanien, dessen alte Liturgie
noch erhalten ist, führte Gregor VII. mit Gewalt die neurömische
Messe eiu. — Dies der geschichtliche Entwicklungsgang, wenn
man ihn so nennen darf, der christlichen Liturgie im Abendlande
in ihrem maßgebenden zentralen Teile, wie ihn W., gestützt auf
die, zum Teil päpstlichen Quellen, aufrollt. Das Bild, das sich
hieraus für einen wichtigen, bisher etwas leicht genommenen Ab-
schnitt der Kirchengeschichte ergiebt, ist ein neues. Von römi-
scher Seite wird heftiger Widerspruch nicht ausbleiben. W. kann
ihm, nach unserem Dafürhalten, ruhig entgegensehen. Die Orien-
talen aber finden in dem hochwichtigen Werke endlich gerade
jetzt, wo sie Leo XIII. zur Vereinigung mit der römischen Kirche
einladet, das Arsenal zur Gegenwehr im heiligsten Mittelpunkt,
das ihnen auf dem Konzil von Florenz die selbst von ihrem
tapferen Markus von Ephesus gemachte Konzession gegenüber Born
erspart haben würde. Klotz.
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NAC11HICHTEX
633
Zur mittelalterlichen Kirchengeschichte.
Von
Gerhard Fieker u. a.
1. Potthast, Aug., ßibliotheca historica medii aevi.
Wegweiser durch die Geschichtswerke des europaischen Mittelalters
bis 1500. Vollständiges Inhaltsverzeichnis zu „Acta Sanctorum"
Boll. — Bouquet — Migne — Monum. germ. hiat. — Mura-
tori — Berum britann. scriptores etc. — Anhang: Quellenkunde
für die Geschichte der europäischen Staaten während des Mittel-
alters. 2. Aufl. gr. 8°. 1. Band. 8. CXLVII und 800 S.
2. Band, S. 801—1749. Berlin, W. Weber, 1896.
t. Monumenta Germaniae historica inde ab a.Chr.
D ußque ad a. MD, ed. societas aperiendis fontibus rerum ger-
manicarnm medii aevi. Epistolarum tomi II, pars 2 et T. IV.
gr. 4°. Berlin, Weidmann, 1895. — II, 2. Gregorii I. papae
registrum epistolarum. Tomi II, pars 2. Libri X — XIV cum
appendicibus. Post Pauli Ewaldi obitum ed. Ludov. M. Hart-
mann (S. 233—464). — IV. Epistolae Karolini aevi. Tom. II.
Becensuit Ernest. Ofimmler. VIII und 639 S. (enthält in der
Hauptsache die Briefe Alcvius, epistolae variorum Carolo magno
regnante scriptae [Paulus Diaconus etc.], die Briefe des Schotten
Dungal, des Claudius von Turin). — Auctorum antiquissimorum
tomi XIII pars 2 u. 3. gr. 4° Berlin, Weidmann, 1895 u. 1896
Chronica minora saec. IV. V. VI. VII. edidit Th. Mommsen.
Vol. III, fasc. 2 et 3. S 223—469.
3. Die Geschichtschreiber der deutschen Vor-
zeit, 2. Gesamtausgabe. 8°. Leipzig, Dyk. — 63. Band:
Die Jahrbücher von Magdeburg (Chronograph us Saxo). Nach der
Ausgabe der Monumenta Germaniae Obersetzt von Dr. Ed. Win-
kelmann, 2. Aufl. Neu bearbeitet von W. Wattenbach, IX und
128 S. 1895. — 62. Band: Die Chronik von Stederburg. Nach
der Aasgabe der Monumenta Germaniae, übersetzt von Dr. Ed.
Winkelmann. 2. Aufl. überarbeitet von W. Wattenbach. VII
und 88 S. — 64. Band: Leben des heiligen Norbert, Erzbischofs
von Magdeburg. Nebst der Lebensbeschreibung des Grafen Gott-
fried von Kappenberg und Auszögen aus verwandten Quellen.
Nach der Ausgabe der Monumenta Germaniae übersetzt von Dr.
-G. Hertel. Mit einem Nachtrag von W. Wattenbach. XII und
196 S. 1895. - 65. Band: Des Dekans Cosmas Chronik von
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631
NACHRICHTEN.
Böhmen. Nach der Ausgabe der Monumenta Qermaniae fiber-
setzt von Geo. Grandaur. 2. Ausgabe. Mit einem Nachtrag zur
Einleitung von W. Wattenbach. XII. und 246 S. — 66. Band:
Die Fortsetzungen des Kosmas von Prag. Nach der Ausgabe der
Monumeuta Germaniae abersetzt von Geo. Grandaur. XVI und
238 S. 1895.
* 4. Regesta episcoporum Constantiensium. Begesten
zur Geschichte der Bischöfe von Konstanz von Bubulcus bis Tho-
mas Berlower 517 — 1496. Herausgegeben von der badischen
historischen Kommission. 1. Band: 518 — 1293. 5. (Schlüte-)
Lieferung. Bearbeitet von Paul Ladewig und Thdr. Müller, gr. 4°.
VII und S. 321 — 399. Innsbruck, Wagner, 1895; enthält die
Begesten bis zum Tode Budolfs II. von Habsburg, 3. April 1293
und das von Tb. Müller bearbeitete Orts- und Personenregister. —
Vor dieser Schlufslieferung ist die erste Lieferung des zweiten
Bandes erschienen; bearbeitet von Alexander Cartellieri, 1894.
80 S. Sie enthält die Nummern 2845-3667; vom 26. Mai
1293 bis 17. März 1314. Dr. Ladewig ist 1889 von der Be-
arbeitung des Begestenwerkes zurückgetreten. Die von ihm herüber-
genommenen Begesten sind im vorliegenden Hefte mit L. be-
zeichnet, über Einzelheiten der Bearbeitung spricht sich Dr.
Cartellieri auf dem Umschlage, S. 2 und 3, ans. — Vgl. noch:
Beiträge zur Konstanzer Geschichtsschreibung von Tb. Ludwig
in „Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins" N. F., Bd. X,
1895, S. 267 — 278. Einige unbekannte Konstanzer Chroniken
und Bischofsreihen des General-Landesarchivs zu Karlsruhe. —
Ludwig (Th.), Die Konstanzer Geschichtschreibung bis zum 18. Jahr-
hundert. Straf8burger Dissertation. Strafsburg, Trübner, 1895.
271 S.
* 4*. Ausgewählte Urkunden zur Erläuterung der Ver-
fassungsgeschichte Deutschlands im Mittelalter. Zum Handgebrauch
für Juristen und Historiker. Herausgegeben von. Wilh. Alt-
mann und Ernst Bernheim. Zweite wesentlich erweiterte und
verbesserte Auflage. Berlin, B. Gärtners Verlagsbuchhandlung,
Hermann Heyfelder, 1895. X und 405 S. 8°. Wie brauchbar
eine solche Sammlung wie die vorliegende ist, geht daraus her-
vor, dafs schon nach vier Jahren (die erste Auflage erschien
Mai 1891) eine neue Auflage nötig geworden ist. Einige Num-
mern (5) der ersten Auflage sind fortgelassen, dafür eine gröfeere
Anzahl neuer aufgenommen (83). Der Umfang ist von 270 Seiten
auf 405 gestiegen. Der Stoff ist in systematisch geordnete Ab-
schnitte gegliedert, innerhalb deren die einzelnen Urkunden chro-
nologisch aneinander gereiht sind. Der Text wird nach den zu-
verlässigen Ausgaben gedruckt, doch ist bei einigen Stücken auf
die ursprünglichen Vorlagen zurückgegangen. Die Litteraturnach-
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NACHHK'HTEX.
635
weise sind weggelassen; dafür wird auf Rieh. Schröders Rechts-
geschichte (2. Aufl. 1894) verwiesen. Den Kirchenhistoriker geht
an insbesondere der 2. Abschnitt : Reich und Kirche, Nr. 35 — 60 ;
aber auch in den anderen Abschnitten giebt es kaum eine Ur-
kunde, die ihn nicht interessieren könnte.
5. Im neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche
Geschichtekunde XXI, 1895, S. 11 — 82, setzt F. Kurze seine
Untersuchungen über die karolingi sehen Reichsann alen
von 741 — 829 fort. 1. Die zwischen 795 und 813 erschienenen
Annalen. 2. Die zweite Hälfte der Reichsannalen. (Bis 820 ist
jedenfalls Einhard der Verfasser; der letzte Abschnitt 820 bis
829 wird dem Abt Hilduin zugeschrieben, wie es auch Honod
thut in den Mdlanges Havet, vgl. diese Zeitschrift Bd. XVI,
S. 326 unter Nr. 80.) 3. Die Überarbeitung. Annales Einhardi;
sie sind erst nach 829 verfafst; sind abhängig von den Annales
Fuldenses; der Bearbeiter ist nicht Einhard, sondern ein Nieder-
deutscher, vielleicht Gerold, der Archidiakon Ludwigs.
6. Zu dem Pariser Nation alkonzil von 1290, für
das H. Finke in der Römischen Quartalschrift 1895, S. 171 bis
182 eine wichtige Urkunde veröffentlicht hat, vgl. L. Delisle im
Bulletin de la sociale de l'histoire de Paris et de Tlle de France,
22. Jahrgang, 1895, 3. Heft, S. 114—119 und Journal des sa-
vants, avril 1895, p. 240—244.
7. Die Analecta Bollandiana XIV (1895), p. 1—88
bringen die genaue Beschreibung der in der kaiserlichen Fidei-
Commif8-Bibliothek zu Wien befindlichen Sammelwerke des Johann
Gielemans in Rouge-Cloltre bei Brüssel (f 1487): Das Sancti-
lbgium, Hagiologium Brabantinorum etc.
8. Die Fortsetzung der Studien zu Thüringischen
Geschichtsquellen von Oswald Holde r-Egger (Neues Ar-
chiv XXI [1895], 237—297) handelt über die Überlieferung und
die Ableitungen der Reinhardsbrunner Chronik.
9. Harry Bresslau druckt in den „Bamberger Studien"
(Neues Archiv XXI [1895], S. 141—234) eine Schrift des Mi-
chelsberger Priors Bnrcbard (t 1149), die als Geschichte der
Bibliothek von Kloster Michelsberg in der ersten Hälfte des
12. Jahrhunderts bezeichnet werden kann und andere auf die Ge-
schichte dieser Bibliothek bezügliche Urkunden ab. Diese Schrift
Burchards ermöglicht es auch, den Verfasser der Rezension A der
grofsen Weltchronik, die bisher fälschlich Ekkehard von Aura
zugeschrieben wurde (vgl. Wattenbacb, Geschichtsquellen II6, 189 ff.)
zu erkennen, nämlich Frutolf von Pichelsberg. Von diesem haben
sich noch ein breviarium de musica erhalten in einer Münchener
Handschrift s. XII (clm. 14965b) und zwei Bücher De offieiis
divinis in der Bamberger Handschrift (Ed. V. 13).
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636 NACHRICHTEN.
!•. Die in den Anecdota Bruxellensia I. Chroniqnes by-
z an t ioes du Meer. 11376 veröffentlichte Chronik (Recueil de
travaox p. p. la faealte" de Philosophie et lettre« de Gaod fasc 9:
herausgegeben von Franz Cumont, vgl. Byzant Zettsehr. III, 415)
erzählt, dafs die Bossen zuerst am 18. Juni 860 vor Byzanz ge-
kommen seien. C. de Boor beweist in der Byzantinischen Zeit«
Schrift IV (1895), S. 445 — 466, dals dieses Datum gegenüber
dem in neoerer Zeit bevorzugte o (865 oder 866) das richtige
sei. Im Zusammenhang damit steht seine Untersuchung über
die Chronologie einiger Patriarchen von Konstantinopel, die er
vielfach abweichend von früheren Angaben folgendermaßen fest-
stellt: l. April 815 Theodotos,
? 821 Antonios,
21. (26.?) April 834 Johannes,
März 843 Methodios (t 14. Juni 847),
Juni 847 Ignatios (dep. 23. Not. 858),
25. Dez. 858 Photios (dep. 25. Sept. 867),
23. Nov. 867 Ignatios.
11. Mitteilungen aus dem Vatikanischen Ar-
chive, herausgegeben von der Kaiserlichen Akademie der Wissen-
schaften. II. Band: Eine Wiener Briefsammlung zur Geschichte
des deutschen Reiches und der österreichischen Länder in der
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Nach den Abschriften von
Albert Starzer, herausgegeben von Oswald Redlich, a. ö. Professor
an der Universität Wien. Mit 3 Tafeln. Wien, in Kommission
bei P. Tempbky, 1894. LV und 422 S. 8°. Der Codex Vati-
canus Ottobonianus 2115, am Ende des 13. oder zu Beginn des
14. Jahrhunderts in Wien entstanden, enthält aufser der Summa
Bononiensis eine aus zwoi Teilen bestehende Briefsammlung.
Während der zweite Teil mit den Formularbüchern aus der Kanzlei
Rudolfs von Uabsburg grösstenteils fibereinstimmt, bietet der erste
eine Formularsammlung von so gut wie vollständig unbekannten
Briefen des 13. Jahrhunderts. Der Herausgeber hat die Urkunden
chronologisch geordnet, Veränderungen, die sie durchzumachen ge-
habt, gekennzeichnet, notwendige Ergänzungen und Erklärungen
hinzugefügt. Eine ganze Reibe der abgedruckten Urkunden sind
für die Kirchengeschichte von Wichtigkeit: so Nr. 23 der Be-
richt Ober das Konzil von Lyon von 1274 (notificatio de quali-
tate concilii), Briefe Rudolfs von Habsburg an Gregor X. und
vieles, was im einzelnen auszuführen hier nicht angeht
1*. In den Analecta Bollandiana XIV (1895), p. 89 — 107
wird bewiesen, dafs die längere Rezension der vita des heiligen
Geraldus von Aurillac (f909; gedruckt in Acta Sanctorum
Boll. Oct VI, 300-332) die originale, von Odo von Cluny ver-
fafste sei.
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NACHRICHTEN.
637
13. Die Tita des heiligen Nicephorus, Bischofs von
Milet (10. Jahrhundert) wird in den Analecta Bolland. XIV
(1895), p. 129 — 166 veröffentlicht aas dem einzigen Codex, der
sie (anvollständig) aufbehalten hat (Cod. Paris. Graec. 1181,
s. XII).
14. E. Nestle publiziert in der Byzantinischen Zeitschrift
IV (1895). S. 319—345 den ältesten griechischen Text der
Kreuzauffindungslegende aus der Handschrift des Sinai
(Nr. 493 in Gardthausens Katalog, VI1I/1X S.) nach photogra-
phiscben Platten und einer Kopie, die ihm von Harris zur Ver-
fügung gestellt worden sind. Er zählt die gedruckten syrischen,
griechischen und lateinischen Fassungen der Legende auf, unter-
sucht ihr gegenseitiges Verhältnis und kommt zu dem Resultat,
dafs die griechischen und lateinischen Helenalegenden die syri-
schen Helenalegenden, diese aber ihrerseits die Protonicelegende
voraussetzen , die in ihrer relativ ursprünglichen Gestalt uns in
der Doctrina Addaei erhalten ist. Ob die lateinischen direkt auf
-die syrischen oder nur mittelbar durch die griechischen zurück-
gehen, bleibt noch in suspenso.
15. L. Leger bringt in der Revoe de l'histoire des reli-
gions (Annales du Musee Guimet) XXXI, 2 (1895), p. 89—102
die Beweise, dafs an die Stelle des Kultus des slavischen Donner-
gottes Perun der Kultus des Propheten Elias getreten sei.
Ficker.
16. Schneeberger Handschritten zur mittel alter-
lichen Kir chengescbichte. Das evangelische Städtchen
Schneeberg im sächsischen Obererzgebirge enthält eine startliche
Reihe von Handschriftenbänden zum katholischen Kirchenrecbt
und zur mittelalterlichen Kirchengeschichte Deutschlands und Ita-
liens. Das ist um so merkwürdiger, als der durch keine Be-
festigung geschützte Ort nicht nur wiederholt durch Kriegs-
drangsale aufs ärgste geschädigt, sondern auch mehr als einmal
durch grofse Brände heimgesucht wurde, denen auch ein grofser
Teil des städtischen Archivs zum Opfer fiel. Der Feuersgefahr
entrannen diese Handschriften 1614, indem sie in der St, Wolf-
gangskirche untergebracht wurden. Der Überlieferung nach aollen
sie zum Teil von Jobann von Torquemada im letzten Jahrzehnt
des 15. Jahrhunderts bei einem Besuch in Schneeberg dem ka-
tholischen Pfarrer Job. Bischoff geschenkt worden sein (Melzer,
Chronik von Schneeberg, S. 202). Doch kann nur soviel als
möglich gelten, dafs ein Teil der Manuskripte dem Kardinal ehedem
gehörte und später wohl aus dritter Hand nach Scbneeberg kam
(vgl. Quetif und Echard, Scriptores Praedicatorum I, 838b). Ich
habe über diese „geschriebene buchere allerley Materien groß
z*itB«hr. f. K.-n. xvn. 4. 41
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638
XACHKICHTEX.
und klein", wie sie in einem 1597 aufgenommenen Inventar des
Scbneeberger Ratearchiv heifsen, an folgenden Stellen gebandelt:
Festschrift zur Einweihung des neuen Scbneeberger Gymnasial-
gebäudes, S. 40 ff. ; Mitteilungen des Wissenschaftlichen Vereins
für Schneeberg und Umgegend, 3. Heft (1893), S. 1 ff.; Neues
Archiv für sächsische Geschichte (1892), S. 91 ff. 142 ff. Wenn
ich hier nochmals kurz auf das Wichtigste hinweise, was in dieser
bisher ganz unbenutzt gebliebenen Überlieferung uns erhalten ist,
möchte ich etwas zur Nutzbarmachung derselben um so mehr
beitragen, als meine Schneeberger Lokalarbeiten das häufige Los
von Gelegenheitsschriften, übersehen zu werden, gehabt haben und
z. B. in den kirchengeschichtlichen Referaten der Jastrowschen
Jahresberichte unerwähnt geblieben sind. Sämtliche im Folgenden
erwähnte Handschriften befinden sich gegenwärtig im neuen
Schneeberger Gymnasialgebäude. In die kirchenrechtlichen Ver-
hältnisse unter König Robert von Sicilien, d. i. Robert le Sage,
der auch le Bon heifst und von 1309 bis 1343 regierte, wer-
den wir eingeführt durch ein umfangreiches Manuskript (Band XIV,
Blatt 126 — 287), dessen Anfang lautet: Sicut fulgur anri su-
perat fulgorem omninm metallorum, ut legitur in Canon. XCVI
d . . duo sunt, Sic lucet profunda scientia sacrae majestatis domini
nostri Roberti Jeorosoljmae et Siciliae regis illustris vera data
fulgoribus in omni genere scripturarum. Wir haben den Lau-
rentins Puldericus vor uns, einen clericus Neapolitanus , wie er
sich in der Handschrift nennt, einen Autor, dessen breviarium
fCr die Geschichte des kanonischen Rechtes bemerkenswert und
anscheinend noch nicht gedruckt ist (Schulte, Geschichte der
Quellen und Litteratur des kanonischen Rechts II, 392) und zwar
in einer Bearbeitung, die mit den Worten „Explicit über qui
dicitur breviarium decretorum" auf Blatt 285 beendet wird und
Über die ein angefügtes Register, betitelt „Tituli librorum decre-
talium cum remissionibus in decretis" eine Übersicht gewährt.
Nicht nur über Symonie, Exkommunikation, Kirchenzehnten, Recht
der Witwen und Waisen und zahlreiche andere Gegenstände des
bürgerlichen und kirchlichen Lebens, sondern auch über das
wechselseitige Verhältnis der höchsten Autoritäten, des Papstes,
des Kaisers, des Generalkonzils, wird in diesem Werke gehandelt.
Von den sonstigen auf Italien bezüglichen Handschriften erwähne
ich einen Brief des Papstes Eugen IV. vom 7. Juli 1446 über
die Abendmahlslehre (Band X , Blatt 257). Der Episcopus Li.,
der in dieser Abbreviatur hierin genannt wird, ist wohl entweder
der Bischof von Lecce (Liciensis) oder von Lipari (Liparensis)
(Döllinger, Materialien zur Geschichte des 15. und 16. Jahrhun-
derts I, 137. 144 f.). Die „Bulla que in cena domini legi solet
Rhome" Alexanders VI. Borgia vom Jahre 1495 ist, wie ich zur
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NACHRICHTEN.
639
Schneeberger Festschrift, S. 42 ergänzend bemerke, eine so-
genannte In cena domini Bulle, die am Gründonnerstag verlesen
wnrde und alle jene Vergehen enthält, deren Absolution sich der
Papst reservier! Zahlreich sind die Handschriften zur Quellen-
kunde der Geschichte des Franziskanerordens (Schneeberger Fest-
schrift, S. 42 ff.). Neben Wundergeschichten und erbaulichen
Betrachtungen findet sich eine von dem Terminarius der Fran-
ziskaner Nikolaus Baumgärtel noch vor der Gründung eines
Franziskanerklosters in Chemnitz daselbst gefertigte Margaretha
juris vom Jahr 1478 zum decretum Gratians (Band XII), eine
„tabula de concordia et discordia evangeliorum ubi conveniunt et
ubi non" des berühmten Nikolaus de Lira (Fabricius Bibl. lat.
med. et inf. aet. V, 114 ff.), „Bubricae diversorum voluminum
juris civilis secundum ordinem alphabeti positae sive compilatae"
des Astesanus de Aste" (vgl. Wadding, Ann. min. VI, 245),
ein Zeugnis des frater Tbeobaldus episcopus dei gratia Assisii
über den heiligen Franziskus und den Ablafs (vgl. Wadding, Ann.
min. I, 42 und Ebrle, Archiv für Litter. und Kirchengeschichte
des Mittelalters I, 487). Besonders bemerkenswert ist der fünfte
der Schneeberger Handschriftenbände, der zahlreiche Auszüge der
päpstlichen Dekretalen enthält und über die ich S. 44 der an-
geführten Festschrift gehandelt habe. Interessant sind auch Fran-
ziskanergelöbnisse. Zwei derselben, in Gestalt von Formularen,
wurden in Schneeberg von Herrn Gymnasial- Oberlehrer Zürn, jetzt
in Plauen i. V., dadurch gefunden, dafs er den betreffenden Ein-
band sorgfaltig entfernte; es sind dies Incunabeldrncke und von
mir im Archiv für S&chs. Geschichte besprochen. Wohlgelungen
sind auch sieben Strophen (Festschrift, S. 45) auf den heiligen
Franziskus, deren erste lautet: •
Coeli coeli in colono
totus orbis in patrono
Christo promat dulci sono
melos ac tripudia.
gratulentur et minores
in Francisco cuius mores
aegros sanat et languores
mentis atque vitia.
Zum Kon 8 tanzer Konzil bietet Band XXIII die Oratio pro matu-
randa reformatione des Theoderich von Münster vom 5. April
1416; aus der Schneeberger Handschrift ergeben sich Verbes-
serungen zu dem Druck bei Walch, Monimenta medii aevi II,
163 sqq. Unbekannt war bisher der in Band XXIII, 156 ff.
erhaltene „Sermo factus constantii tempore generalis concUii anno
domini MCCCCXVII die XXV Martii" des Alexius de Siregno,
der auch neue Beiträge zu den meditationes St. Bernardi und zu
41*
640
NACHKICHTfcX.
den Werken des Thomas de Aquino enthält (vgl. Schneeberger
Festschrift, S. 46). Sehr schön Bind die in dieser Bede auf-
genommenen nenn Strophen anf die Jungfrau Maria, die ich
a. a. 0. 8. 47 abgedruckt habe. Die Bede behandelt die Em-
pfängnis der Maria, die gerade zur Zeit des Kostnitzer Konziles
eifrig besprochen wnrde. Es ist kein Zufall, dals auch der Be-
schlufs des Baseler Konzils vom 17. September 1439, welcher
diese Verhandlungen zum Abschluß brachte, in den Schneeberger
Handschriften erhalten ist. Für eine Neuausgabe der Briefe des
Äneas Silvius kommt der Gesandtschaftsbericht vom 21. August
1451 in Frage, der eine höchst anziehende Schilderung des böh-
mischen Sektenstaates enthalt (G. Voigt, Enea Silvio und sein
Zeitalter II, 29 und derselbe im Archiv für Kunde österr. Ge-
schichtsquellen XV [1856], S. 400). Ein bisher völlig unbekannt
gebliebener Text von des Dietrich von Apolda Leben der heiligen
Elisabeth enthält auch ein neues Fragment dieses Autors (ver-
öffentlicht im Archiv, S. 97). Die noch angedruckten „Articali
in quibus magister non tenetur communiter" des venerabilis et
egregius vir sacre theologie professor dominus atque doctor An-
dreas de Görlitz sind ein neuer Beleg für den Verkehr zwischen
der Universität Leipzig und dem Kloster Altzella (Archiv,
S. 100 ff.). Ich erwähne noch einige Handschriften, auf die ich
an den angegebenen Orten nicht eingegangen bin: „Begule cum
quibusdam dubiis de ecclesiastico interdicto extracte de quodam
tractatu qui intytulatur de ecclesiastico interdicto domini Johannis
Caldarini doctoris" (T. IV, fol. 144 sqq.), „Alanus de laude beate
Marie virginis" aus dem Anticlandianus des Alanus ab insulis,
lib. V, cap. IX (T. III, fol. 141. 142); „Tractatus de sancti-
ficatione sabathi dtctoris Jacobi Carthusiensis, qui approbatus est
per scdem apostolicam cum aliis his subtractatibus " (T. XXIV,
fol. 301); „Liber de miseria humanae condicionis editus a Lo-
thario dyacono Cardinali sanctorum Sergii et Bacbii qui postea
Innocentius tertius appellatus est" (T. XXIV, fol. 380 — 396).
Band XVII enthält aulser anderm Blatt 408 ff. einen „Sermo
venerande passionis Budolphi in Zwencz graciosi predicatoris " und
Blatt 438 ff. einen deutschen Text mit lateinischen Urteilen und
diesem Anfang: „In den hernach geschriben Urteilen ist ejn
zwitracht czwischen meynen gnedigen hern herczogen Johannsen
und dem p&rrer zcu Alttorff auf eynem vnd den Burgern da-
selbst an dem andern teyl, wan der zehent da selbst halp meyns
hern herczogen halb des pfarrers ist" In Band XXVI findet sich
unter anderen ein „Liber de sanctis quibusdam editus per egre-
gium reverendum doctorem magistrum Nicoiaum de dinckelspuel
alme universitatis Wienens is pie memorie.u Aus den Franziskaner-
Überlieferungen von Band I sei folgende (Blatt 11 f.) mitgeteilt:
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NACHRICHTEN-
641
„Item anno domini 1326 pridie kalendas augusti qnidam pere-
grinus de treveri almanie venit assisium ad indulgentiam. Et com
ad civitatem tarde venisset non potuit intrare. Sed ad unum
paleare accedens ibi stetit. Et cum audiret pulsari in loco fe-
mina ad matatinum surrexit, ut diceret horas suas. Et ecce que-
dam domina pulchenima apparuit juxta eam habens pnerum Jhesum
Christum in brachio et in alio cereum qui illaminabat totum lo-
cum, quam agnoscens beatam Mariam ait ad eam: 0 domina
miserere mei, ad quem illa: non indulgebo tibi bic, sed indul-
gebo hic ad tres dies in ista ecclesia mea et his dictis disparuit . . .
Qui de mane assisium venit ad locnm et confessus peccata sua
fratri Engiliberto de colonia singula enarravit, et devote indul-
gentiam haboit." Band III ist von sehr buntem Inhalt: Neben
dem anctor ad Herennium (Ciceronis opera ed. Kayser I, 47sqq),
Chrisostomus und Ovid steht eine „ Significatio planetarum affec-
tuum ad lunam" Blatt 9 flf . , eine „Expositio titulorum legal i um
Blatt 33 ff., „Valerii maximiani oratoris primarii exempla ad ruf-
finnm", d. i. der dem Anfang des 6. Jahrhunderts angebörige
Valerius ad Rufinum, dessen Brief gegen das Heiraten nach Hie-
ronymus und Augustinus gearbeitet ist (Lucian Müller in Fleckei-
sens Jahrb. für Philol. 95 [1867], S. 790) und bei Migne,
Patrol. curs. compl. I, 30 Hieronymus XI, S. 254 ff. gedruckt
vorliegt Die Schneeberger Handschrift enthält auch Scholien,
z. B. „ Calatum eyn korp do man dy spulin inwurfft uf dem hant-
wergke". Aus dem sonstigen Inhalt dieses Bandes sei noch
Blatt 252 ff. eine grammatische Arbeit in Versen über die verba
deponentia hervorgehoben. Eingeleitet durch ein Vorwort und
erläutert durch zahlreiche marginale und interlineare Scholien,
hat sie vielleicht Jakobus Karstyn zum Verfasser, dessen Name
auf dem Rand von Blatt 253 eingetragen ist. Dem Schreiber
scheint die Niederschrift nicht ein gleichmäfsiges Vergnügen be-
reitet zu haben. Denn er unterbricht auf Blatt 279 sein Latein
dnrch die urwüchsige, für unsere Wörterbücher neuen Stoff bie-
tende Bemerkung: „lecke mich posse mich küsse mich in den
orsch, locket feczen, esset dregk mit leffeln." Von den alten
Drucken der Schneeberger Gymnasialbibliothek sei der wertvolle
Lübecker Psalter- Pergamentdruck vom Jahr 1484 erwähnt. Das
Jahr des Druckes ergiebt sich aus der folgenden Unterschrift,
deren beide letzten Zeilen leider durch Feuchtigkeit ganz un-
leserlich gemacht sind:
Cuncta regens pleno laus eva iesu (?) nazarene
Sit tibi christe deus quo ghotan bartholomeus
Anno milleno C quatuor octuageno
Sub primo . . . mille psalteria presserat ille
642
NACHRICHTEN.
Omnibus apta quidem post fata pa . . eidem
Porta supernorum quod premia fide priorum.
Die Geldnot des 30jäbrigen Krieges brachte es mit sich, dafs
Handschriften aller Art im sächsischen Erzgebirge an Buchbinder
und andere Leute für einen Spottpreis verkauft wurden, nicht
blofs in gröTseren zusammenbringenden Abschnitten, sondern auch
in einzelnen Bogen. Im benachbarten Freiberg sind allein in den
beiden Jahren 1644 und 1645 über 90 Pfund Pergament auf
solche Weise weggeschleudert worden (Neues Archiv für ältere
deutsche Geschichte V, 210 ff.). Auch in Schneeberg und Um-
gegend sind Bücher und alte Akten wiederholt mit den Trümmern
alter Codices eingebunden. Das in der Schneeberger St. Wolf-
gangskirche aufbewahrte Totenregister 1642—1683 ist mit einem
Teil der Sequenz de dedicatione ecclesiae = Psallat ecclesia von
Notker Balbulus vom Jahre 887 eingebunden. Ähnliche Um-
schlage finden sich z. B. im Schneeberger Amtsgericht, Akten-
band IV, cap. XXVII, Nr. 42 und im Löfsnitzer Amtsgericht,
Kaufbuch Pfannenstiel 1692 ff. und Löfsnitzer Stadtbücher 1694 ff.
1705 ff. 1720 ff. Heydenreich.
17. Auch Ernst Sackur („Die Promissio Pippins
vom Jahre 754 und ihre Erneuerung durch Karl den
Grofsen" in den Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung XVI, 3. Heft [1895], 385—424) erklart
sich für die Echtheit der das Schenkungsversprechen wiedergeben-
den Stücke in den Viten der Päpste Stephan II. und Hadrian I.
des Liber pontiOcalis. In beiden handelt es sich nnr um die-
selbe promissio (resp. ihre Erneuerung); es kommt darauf an, die
scheinbar widersprechenden Aufaorungen in Einklang zu setzen und
zu erklären. Der (Duchesne-)Kehrsche Erklärungsversuch (vgl.
diese Zeitschrift Bd. XVI, S. 342, Nr. 128), als handele es sich
um einen Teil uugs vertrag im Falle einer Eroberung des Longo-
bardischen Reiches, wird als innerlich unwahrscheinlich und nicht
zusammenstimmend mit den friedlichen Intentionen der Herrscher
und der Päpste abgelehnt Dagegen hat Stephan II. sich als
den Erbnachfolger der byzantinischen Macht in Italien betrachtet:
die in der Vita Hadriani angegebene Grenzlinie entspricht histo-
rischen Verhältnissen und bezeichnet die Grenzlinie zwischen der
byzantinischen Provinz Italia und dem longobardischen Reiche
bis etwa zu der Regierungszeit Autharis. Beansprucht hat Ste-
phan das so bezeichnete Gebiet (mit Spoleto, Benevent, Tuscien,
Corsica) und Pippin hat es ihm 754 zugebilligt Dafs die „ pro-
missio " nun doch nicht verwirklicht worden ist, liegt an der ver-
änderten politischen Lage, und die Päpste haben sich, ihrer
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NACHRICHTEN.
643
Realpolitik entsprechend, immer mit dem begnügt, was sie im
einzelnen Falle erreichen konnten, ohne doch darum ihre An-
sprüche aufzugeben.
18. Hadrians I. Verteidigung der zweiten nicänischen
Synode gegen die Angriffe Karls des Grofsen. Von Karl Hampe.
Neues Archiv XXI (1895), S. 85—113. Das Schreiben Hadrians
(Jaffe" Reg. 2483, Migne PL 98, col. 1247 sqq.; vollständig nur
erhalten im Cod. Vatic. 3827, s. X) ist mit Ausnahme der kleinen
Lücke im Anfang unversehrt auf uns gekommen, nur in einer
durch den Abschreiber gestörten Ordnung. Hampe stellt die Ord-
nung der Kapitel her. Auch der angezweifelte Schlafs ist echt.
Es fällt höchst wahrscheinlich in das Frühjahr 791. Die in
Kap. I, 5 und öfter erwähnte Synode unter Gregorius „secundus
iunior", die Hefele (Konziliengeschichte III8, 405) für Gregor II.
in Anspruch genommen und ins Jahr 727 gesetzt hat, ist viel-
mehr die unter Gregor III. im November 731 abgehaltene Sy-
node. Mithin sind auch in den Papstregesten die Stücke Jaffe'
2173 und 2190—2228 aus den Begesten Gregors II. zu strei-
chen und denen Gregors III. zuzufügen. Jaffe* 2173 erhält
fortan das Datum des 13. April 740. — Auch für die Lateran-
synode von 769 unter Stephan III. bietet der Brief Hadrians
einige noch nicht beachtete Bruchstücke. Aus ihm erfahren wir
auch den bis jetzt unbekannten Namen des Verfassers der Wider-
legungsschrift, die in der sechsten Sitzung des Konzils von Nicäa
787 verlesen wurde (Hefele a. a. 0. S. 470): es ist der Patriarch
von Konstantin opel : Tarasius. — Auch das ist zu bemerken, dafs
Hampe die 85 capita gegon die Bilderverehrung, die nach Born
geschickt wurden, nicht für einen Auszug aus den libri Carolini
hält, sondern das Verhältnis umkehrt.
19. Les registres d'Alexandre I V. Becueil des b alles
de ce pape, publikes ou analysees, d' apres les manuscrits ori-
ginaux des archives du Vatican, par M. M. Bourel de la Bonciere,
J. de Loyo et A. Coulon, anciens membres de l'Ecole francaise
de Borne. 1er fascicule, grand in 4° (feuilles 1—16, p. 1 — 128),
public par M. Bourel de la Bonciere. Toulouse, impr. Chauvin
et fils. Paris, libraire Thorin et fils, 1895. fr. 9. 60.
(Bibliotheque des ecoles franc. d'Athenes et de Borne. 2* se>ie,
XV, 1)
20. Gegen Ottenthai hält K. Uhlirz daran fest, dafs am
2. Januar 968 von Johann XIII. eine Bulle für Meifsen
ausgestellt worden sei. (Mitteilungen des Instituts 1895, XVI,
3. Heft, S. 508—518.)
21. Im Histor. Jahrbuch 1895, XVI, 274—282 wehrt sich
W. Martens gegen Scheffer- Boichorst (Quiddes deutsche Zeit-
schrift für Geschichtswissenschaft XI [1894], S. 227—241) und
64 1
NACHRICHTEN.
halt an seinem Satze fest, dafs Gregor VII. nicht Mönch ge-
wesen sei. Dagegen vertritt Grauert a. a. 0. S. 283 — 311 die
entgegengesetzte Ansicht, stimmt aber Martens bei, wenn er die-
Nachricht zerstört, nach welcher Hildebrand in Clony das Ordens-
gelfibde abgelegt habe. In Rom ist er Mönch geworden; in wel-
chem Jahre nnd in welchem Kloster, wissen wir nicht Zugleich
führt Grauert aus, dafs es auch im Mittelalter eine strengere und
eine mildere Ansicht Qber die Rechtsstellung der Ordensbischöfe
und Ordenskardinaie gegeben habe.
22. Den Bericht Qber die Pilgerfahrt der Äbtissin
Euphrosine, Prinzessin von Polotsk, nach Jerusalem und ihren
Tod (im Jahre 1173) übersetzt Mm* B. de Khitrowo in der Revue
de l'oiient latin 1895, III, 32—35.
28. Adolf Gottlob beantwortet die Frage: Hat Papst Inno-
cenz III. sich das Recht zuerkannt, auch die Laien für Kreuz-
zugszwecke zu besteuern? auch im Histor. Jahrbuch XVI (1895),
S. 312 — 319 verneinend gegen Michael in seiner Rezension des
Gottlobschen Buches: Die päpstlichen Kreuzzugssteuern des 13.
Jahrhunderts (Zeitschr. f. kath. Theol. 1893, S. 721 f.).
24. Eine bisher unbekannte Bulle Honorius' III. (da-
tiert: Segni, 2G. August 1223) publiziert P. Fabre in den Mc-
langes d'Archeologie et d'histoire, Ecole francaise de Rome XV
(1895), p. 71 — 76 aus MS. lat. no. 2357, nouv. acq. der Na-
tionalbibliothek zu Paris (XIII. s.). Der Papst nimmt die Kle-
riker der festen Stadt Livadia unter den Schutz des Apostels
Petrus. Die Bolle gehört zu zwei anderen von Muratori bereits
veröffentlichten Schriftstücken (Antiquitates V, col. 833 u. 835 A),
aus denen hervorgeht, dafs Otho de la Roche die Stadt Livadia
der römischen Kirche unterstellt hatte, um von der bischöflichen
Jurisdiktion befreit zu sein. Diese drei Schriftstücke vidimiert
der lateinische Erzbischof von Athen Conrad. Wir erfahren also
hier den Namen des bis dahin unbekannten athenischen Erz-
bischofs.
25. Der von J. Loserth im Neuen Archiv XXI (1895),
S. 307 — 310 beschriebene Codex 975 der Grazer Universitäts-
bibliothek (XIII/XIV s.) enthalt u. a. Akten über die Wahl des
Papstes Gregor X., deren Text von dem gedruckten erheblich
abweicht
26. Recueil des historiens des croisades, public"
par les soins de l'Acadämie des inscriptions et belies -lettres.
Historiens occidentaux. 2 vol. gr. fol. T. 5: prlface, CLVI p.;
T. V: deuxieme partie, p. 345 — 923. Paris, Impr. nation.,
1895.
27. Unter dem Titel In ventaire des chartes deSyrie
befindet sich in den Archiven des Departements Bonches-du-Rhöne
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NACHRICHTEN.
645
in Marseille ein Katalog von 378 Schriftstücken, die den Zeit-
raum von 1107 bis 1287 umfassend, sich sämtlich auf die Ge-
schichte der Hospitaliter im heiligen Lande beziehen. Der Archivar
des Grote - Priorats von Saint -Gilles im 18. Jahrhundert, Jean
Kaybaud, dem man eine (nur handschriftliche) Histoire des grands
prieurs et du prieure de Saint-Gilles verdankt, hat ihn angelegt.
Ungefähr 300 von den hier analysierten Stücken sind bis jetzt
unbekannt. Die Analysen erhalten dadorch einen hervorragenden
Wert, dafs die meisten Originale auf immer verloren sind. Leider
sind auch Spuren von TJnzuverlässigkeit der Arbeitsweise Ray-
nauds vorhanden. Gleichwohl ist dieses Verzeichnis von hoher
Wichtigkeit für die Geschichte der Kreuzzüge. J. Delaville
le Roulx publiziert es in der Rev«e de l'orient latin III (1895),
36 — 106, stellt zusammen, was sich über die Geschichte des von
Ray band analysierten Fonds sagen läfst, weist die Publikationen
der noch erhaltenen Originale nach und korrigiert soweit möglich
die Fehler, die sich bei Baybaud eingeschlichen haben.
* 28. Dr. Paulus Geyer, Adamnanus, Abt von Jona.
1. Teil: Sein Leben. Seine Quellen. Sein Verhältnis zu Pseudo-
eucherius de locis sanctis. Seine Sprache. Programm zu dem
Jahresberichte des k. b. Gymnasiums bei St. Anna in Augsburg
für das Schuljahr 1894/95. Augsburg, Druck von Ph. J. Pfeiffer,
1895. 47 S. gr. 8°. Verfasser schildert zuerst in kurzen Zügen
das Leben des Abtes (im wesentlichen nach Reeves, The Life of
S. Columba, Dublin 1857), macht auf die Notwendigkeit einer
neuen Ausgabe der Schrift De locis sanctis aufmerksam, zeigt
deren Quellen und die Benutzung derselben durch Adamnan auf,
beweist, dafs des Pseudo-Eucherius De locis sanctis später fallen
müsse, als Adamnan s Schrift (ins 8. Jahrhundert), konstatiert die
gleiche Anordnung in der Vita Columbae und der Schrift De
locis sanctis des Adamnanus, ebenso die Benutzung des Sulpicius
Severus in der Vita Col., und beschreibt endlich den Stil des
Autors. Auch die neue Ausgabe der Vita Columbae von Fowler
ist vom Verfasser benutzt. (Adamnani vita 8. Columbae. Edited
from Dr. Reeves' Text with an introduction on early irish Cburch
history, notes and a glossary by J. T. Fowler; Oxford at the
Clarendon press, 1894, XCVII u. 201 S. 8°; vgl. dazu Loofs in
der Theol. Lit-Ztg. 1895, Nr. 17, Sp. 447. 448.
*29. Kühl mann, Bernh., Der hl. Bonifatius, Apostel
der Deutschen, gr. 8°. XV u. 504 S. Paderborn, Boni-
facius- Druckerei, 1895. Die vorliegende Lebensbeschreibung ist
nach einem bekannten Schema angefertigt. Das Buch verfolgt
keinen wissenschaftlichen, sondern einen apologetischen und po-
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G4<;
NACHRICHTEN.
lemiscben Zweck. Es verteidigt den Bonifatins gegen die An-
schuldigungen, die protestantische Geschichtschreiber auf ihn ge-
häuft haben. Nur Unwissenheit oder Bosheit können sie erhoben
haben (S. 208. 362 Anm. und öfter). Bonifatius ist der gröfste
Wohlthäter Deutschlands u. s. w. Natürlich müssen alle anderen
Gestirne neben dem seinen verbleichen. Vor allen läfst der Ver-
fasser seinen Zorn an Luther aus. Die Ausfalle gegen ihn und
gegen die „ protestantischen " Kirchen hätte er sich lieber sparen
sollen; sie verraten ein nicht gewöhnliches Mafs von Enge des Hori-
zontes, und wenn er protestantischen Geschichtschreibern öfter lei-
denschaftliche Verblendung vorwirft, so dürfte dieser Vorwurf mit
gröfserem Rechte ihm gemacht werden. Eine populäre Biographie
des Bonifatius für das deutsch Volk — warum sollte sie nicht
auch ein Katholik schreiben können — ist eine gewifs dankens-
werte Aufgabe. Ich kann nicht finden, dafs der Verfasser ihr
gerecht geworden ist: dem Katholiken wird das Buch den Hafs
gegen die Evangelischen stärken, den evangelischen Christen wird
es sofort abstofsen. Eine wirklich wissenschaftliche Leistung ist
das Buch nicht; also darf ich mir erlauben, das Buch für völlig
verfehlt zu halten.
30. Die Theologisch Tijdschrift bringt in ihrem 29. Jahr-
gang 1895 eine Reibe von Artikeln überAgobard von Lyon
von P. A. Klap. S. 15 — 48: I. Het leven van Agobard.
S. 121 — 151: II. Agobard als Verdediger der Kerkleer. S. 385
bis 407: III. Agobard en de uitwendige belanget) der Katholieke
Kerk.
Comba, Em., Claudio di Torino, ossia la pro-
testa di un vescovo: cenno storico di E. C, Firenze, libreria
Claudiana, 1895. 157 p. 16°. Verfasser giebt ein lebensvolles,
packendes Bild von dem Leben nnd Wirken des Turiner Bischofs;
schildert den Zeithintergrund, von dem sich die Gestalt des
Bischofs abbebt, seine litterarische Thätigkeit, seine Lehre, seinen
Augustinismus, seine Versuche zu reformieren und die Ursachen,
aus denen sie abzuleiten sind. Weder die Apologeten des Clau-
dius, noch seine Gegner haben ihn richtig beurteilt: Verfasser
zerstört die katholische sowohl, wie die waldensische Legende
und ruft ihn auf als einen Zeugen der Wahrheit auch gegen die
jetzige römische Kirche. — Der Anhang stellt die Litteratur
Aber Claudius zusammen und beschreibt die Handschriften der
Kommentare in den Bibliotheken zu Paris, Monte Cassino, Boin
(Vaticana und Vallicelliana). Zur Ergänzung werden hier dienen
die Nachweise von Handschriften, die Dümmler in dem oben er-
wähnten Artikel (vgl. diese Zeitschrift Bd. XVI, 8. 375, Nr. 239)
und in der Vorrede und den Anmerkungen zu der Neuausgabe
der Briefe des Claudius (M. G., Epistolae 4. Band) gegeben hat.
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NACHRICHTEN.
647
Es steht zu hoffen, dafs die Benediktiner von Monte Cassino, die
die Kommentare des Claudius herauszugeben beabsichtigen, sich
an Dammlers Vorschläge für die Ausgabe halten werden.
*32. Schräder, Fr. X., Leben und Wirken des se-
ligen Meiuwerk, Bischofs von Paderborn, 1009 — 1036.
104 S. gr. 8°. Paderborn, Jnnfermann, 1895. Diese Biographie
stellt in schlichter Weise in 13 Kapiteln zusammen, was sich
in den Quellen über Meinwerk findet. Einen breiten Baum nimmt
die Aufzählung der Güter ein, die der Bischof für sein Bistum
zu erwerben wufste. In der Beurteilung schliefst sich der Ver-
fasser an Wattenbach (G.-Q. II6, 35 — 38) an, dessen Ausfah-
rungen er fast sämtlich meist wörtlich Übernommen hat. Wert
ist auch auf die Bauthätigkeit des Bischofs gelegt. Grössere
historische Gesichtspunkte fehlen. — Von einer „Heiligsprechung"
Moinwerks im Jahre 1376 (so Herzog und Pütt, Beal-Encyklo-
pädie IX*, 470) weifs Verfasser nichts; sie scheint nie statt-
gefunden zu haben.
33. Mignon (A.), Les origines de ia scolastique
et Hugues de Saint- Vi ctor, par l'abbe* A. Mignon, docteur
en thoologie au grand seminaire du Mans. T. Ier. 386 p. 8°.
Paris, imp. Schneider, Hb. Lethielleux, s. a. — T. II. 410 p. 8°.
Saint-Dizier, impr. Thövenot; Paris, libr. Letbielleui (1895).
34. Anselmi Laudunensis et Badulfi fratris eius
sententias excerptas nunc primum in lucem edidit G. Lefevre,
in gymnasio Laudunensi philosophiae professor. 50 p. 8°. Ev-
reux, impr. Herissey, 1895.
35. Vacandard, Vie de saint Bernard, abbe* de Clair-
vaux; par Tabbö E. V., docteur en thöologie, premier aumönier
du lycee der Bouen. 2 vol. 8°. T. I: LI V et 511 p. T. II:
592 p. Mesnil, impr. Firmin -Didot et Ce. Paris, libr. Le-
coffre, 1895.
36. Bonaventura. Opera omnia, iussu et auetoritate
r. p. Aloysii a Parma edita, studio et cura pp. collegii a s. Bona-
ventura ad plurimos Codices mss. emendata, aneedotis aueta, pro-
legomenis, scholiis, notisque illostrata. T. VII. Ad Claras Aquas
(Quaracchi) prope Florentiam, ex typ. collegii s. Bonaventurae,
1895. XVIII et 857 p. fol.
87. Thomas Aquinas. — Opera omnia iussu impen-
saque Leonis XIII. P. M. edita. Tomus VIII, secunda secundae
Summae tbeologiae a questione I ad questionem LVI, ad codices
manuscriptos vaticanos exaeta, cum commentariis Thomae De Vio
Caietani, ordinis praedicatorum , cura et studio fratrum eiusdem
ordinis. Bomae, ex typ. Poliglotta s. c. de propagauda fide,
1895. XLI et 412 p. fol. — Bibliotheca Thomistica (I).
Sancti Thomae Aquinatis compendium theologiae. Text mit Über-
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648
NACHRICHTEN.
Setzung und Anmerkungen von Prof. Dr. Frdr. Abert. IV und
515 S. gr. 8°. Würzburg, A. Göbel, 1895. — Billot, Ludo-
vicus. De ccclesiae sacramentis: commentarius in tertiana partem
8. Thomae. Tomus posterior, complectens, quaestiones de poeni-
tentia extrema unctione, ordine et matrimonio. Bomae, ex typ.
Polyglotta s. c. de Propaganda fide, 1895. 449 p. 8°. —
Esser, Fr. Thom., 0. Praed. , Die Lehre des hl. Thomas
vonAquino über die Möglichkeit einer anfangslosen
Schöpfung. Dargestellt und geprüft. VI und 176 S. gr. 8a.
Münster, Aschendorff, 1895. — Walter, Frz., Das Eigen-
tum nach der Lehre des hl. Thomas von Aquin und
der Sozialismus. Gekrönte Preisschrift. VIII u. 227 S. gr. 8°.
Freiburg i. Br. , Herder, 1895. — Gardair, Philosophie
de saint Thomas. La Connaissance par M. J. G., professeur
libre de Philosophie ä la Faculte* des lettres de Paris ä la Sor-
bonne. 308 p. 18. Paris, impr. Schneider, libr. Lethielleux,
1895.
*S8. Vilmar, A. F. C, Die hl. Elisabeth. Skizze
aus dem christlichen Leben des 13. Jahrhunderts (Gütersloh,
Bertelsmann, 1895. 56 S. 8°), ist Wiederabdruck der 1842 in
der Hengstenberg ischen Kirchenzeitung (30. Band, 4. Heft) anonym
erschienenen Charakteristik.
*$9. Holzhey, Karl, Die Inspiration der hl. Schrift
in der Anschauung des Mittelalters. Von Karl dem
Grofsen bis zum Konzil von Trient IV und 167 S. gr. 8a.
München, J. J. Lentner, 1895. Verfasser will nicht blofs die
zentrale Stellung der hl. Schrift im Glauben nnd Leben der
mittelalterlichen Völker nachweisen, sondern auch durch sorgfal-
tige Herausstellung nnd Zusammenfassung der von den einzelnen
Autoren vertretenen Anschauungen einen quellenmäßigen Nach-
weis des Inspirationsbegriffes liefern, auf welchem die einzigartige
Stellung der hl. Schrift beruht Den ersten Nachweis ist Ver-
fasser schuldig geblieben, der zweite besteht in der Aneinander-
reihung von Ansichten der verschiedenen Theologen rosp. von
dogmatischen Entscheidungen bis zum Konzil von Trient Auch
Luthers Inspirationslehre wird auf 8. 129 — 136 als ein nicht in
sich abgeschlossenes System dargestellt Wenn ich recht sehe,
ist auch diese Schrift der polemischen Litteratur beizuzahlen.
40. D. Viktor Schultze, Professor an der Universität
Greifswald, Archäologie der altchristlichen Kunst Mit
120 Abbildungen. München, C. H. Becksche Verlagsbuchhand-
lung, Oskar Beck, 1895. XII und 382 S. gr. 8°. Mk. 10.—
Zur Empfehlung dieses vortrefflichen Werkes, das alles zusammen-
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NACH RICHTEN.
64'J
fafst, was wir unter altchristlicher Kunst verstehen, erlaube ich
mir, auf meine Rezension in der Zeitschrift für bildende Kunst
1895, VII. Jahrgang, S. 44 — 46, zu verweisen.
41* Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft (der Ge-
sellschaft für vaterländische Altertümer) in Zürich. 24. Band.
1. Heft gr. 4°. Zürich, Fäsi & Beer in Komm. 1. Die
christlichen Inschriften der Schweiz vom 4.— 9. Jahr-
hundert. Gesammelt und erläutert von Emil Egli (64 S. mit
3 Abbildungen und 4 Tafeln in Lichtdruck, 1895) enthalt unter
50 Nnmmern (dazu in den Nachträgen noch eine) die christ-
lichen Inschriften der Schweiz aus der spätrömischen, merovin-
gischen und karolingischen Zeit, soweit sie im Originale oder
handschriftlich erhalten sind. Die vorliegende Sammlung reiht
sich ähnlichen Arbeiten über christliche Inschriften würdig an,
ja übertrifft sie durch die Genauigkeit, mit welcher der Verfasser
arbeitet, und durch die Ausführlichkeit des Kommentars. Die
meisten der erhaltenen werden nach den Originalen oder nach
Abdrücken in Lichtdruck auf den Tafeln wiedergegeben. Die äl-
teste datierte ist vom Jahre 377 n. Chr. Eine Grabschrift
(Nr. 14) ist bisher unediert
4*2. Die Wiener Genesis. Herausgegeben von Wilh.
Ritter v. Härtel und Franz Wickhoff. Mit 52 Lichtdrucktafeln,
6 Hilfstafeln und 20 Textillustrationen. (Beilage zum 15. und
16. Bande des „Jahrbuches der kunsthistorischen Sammlungen
des Allerhöchsten Kaiserhauses".) gr. Folio. IV und 171 S.
Wien und Prag, F. Tempsky — Leipzig, G. Frey tag, 1895. Vgl.
dazu das Referat von Jul. v. Schlosser in der Münchener All-
gemeinen Zeitung 1895, Nr. 182, Beilage, Nr. 160, S. 1 —5 und
Nr. 183, Beilage, Nr. 151, S. 2 — 6. Bei dieser vornehmen
Publikation weifs man nicht, was man mehr bewundern soll, die
vortrefflichen Tatein oder den begleitenden Text. Technik und
Wissenschaft haben sich die Hand gereicht, um ein Meisterwerk
hervorzubringen. Den philologischen Teil der Arbeit, die Wieder-
gabe und Würdigung des Textes der Genesis und der beiden
Blätter aus dem Lukasevangelium, hat Härtel besorgt, den kunst-
historischen Teil Wickhoff. Er giebt eine Beschreibung der Bilder
und in der umfangreichen, an neuen Gesichtspunkten und über-
raschenden Resultaten reichen Einleitung eine Erklärung ihres
Stiles. Wie kamen die Christen (im 5. Jahrhundert) dazu, die
Genesis zu illustrieren und gerade so zu illustrieren? Die Frage
wird beantwortet durch die Darlegung der künstlerischen Strö-
mungen, welche zum Stile der Genesisbilder geführt haben. Wir
lernen die Bilder verstehen als ein Werk der ausgehenden An-
tike. — Da es hier unmöglich ist, ein auch nur annähernd ge-
naues Referat zu geben, so verweise ich auf die beiden oben
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650
NACHRICHTEN.
aufgeführten Aufsätze von Schlosser. Die Einleitung ist allen
denen dringend zu empfehlen, die wissen wollen, mit welchen
Problemen es die altchristliche Kunst zu tbun hat. Hoffentlich
wird eine Separatausgabe der Wickhoffschen Einleitung erscheinen,
damit auch ein weiterer Leserkreis sich ihrer erfreuen könne.
43. Das Alter der Kirchen S. Demetrius und S. Sophia in
Thessalonich bestimmt J. Laurent in der Byzantinischen Zeit-
schrift IV (1895), S. 420—434. Sie sind in der ersten Hälfte
des 7. Jahrhunderts entstanden.
44. Der Tesoro sacro Eossi ist von Hartm. Grisar S. J.,
Zeitschrift für katholische Theologie 1895, 2. Heft, S. 306—331
als Fälschung nachgewiesen; vgl. auch Bepertor. für Kunstwissen-
schaft 1895, Band XVIII, S. 37. Grisars Abhandlung ist auch
französisch erschienen. (Rom, Spithöver, 1895. Hit 2 Tafeln.
41 S.)
45. Die Herausgabe der Inventarisationen der Bau- und
Kunstdenkmäler der einzelnen Länder Deutschlands
schreitet rüstig weiter. Im Jahre 1895 sind Lieferungen bezw.
Bände erschienen über Anhalt, Bayern, Hessen, Ostpreufsen, Po-
sen, Bbeinprovinz , Provinz und Königreich Sachsen, Thüringen,
Westfalen, Westpreufsen. Sie einzeln aufzuzählen, ist hier nicht
der Ort; doch möchte ich nicht versäumen, darauf aufmerksam
zu machen, dafs hier eine noch ungehobene Fülle von Schätzen
für die kirchengeschichtliche Verarbeitung bereit liegt.
46. Analecta hymnica medii aevi. Herausgegeben von
Guido Maria Dreves, S. J. gr. 8°. Leipzig, 0. B. Reisland,
1895. XX. T. : Cantiones et muteti. Lieder und Motetten des
Mittelalters. 1. Folge: Cantiones Natalitiae, Partheniae. 264 S.
XIX. T. : Hymni inediti. Liturgische Hymnen des Mittelalters aus
Handschriften und Wiegendrucken. IV. Folge. 280 S. XXI. T. :
Cantiones et muteti. Lieder und Motetten des Mittelalters.
II. Folge: Cantiones festivae, morales, variae. 226 S.
47. Ceriani, A. M., Notitia liturgiae Ambrosianae
ante saeculum XI medium. Mailand, U. Hoepli.
48. Gregorianisch, Bibliographische Lösung der Streit-
frage über den Ursprung des gregorianisch en Gesanges.
Von Wilh. Brambach. V u. 32 S. (Sammlung bibliothekswissen-
schaftlicher Arbeiten, herausgegeben von Karl Dziatzko. 7. Heft,
gr. 8°. Leipzig, M. Spirgatis, 1895.) Die „bibliographische Lö-
sung" stützt sich auf einige verwaltungsmäfsige Büchereinträge
aus der Karolingerzeit, in denen „gregorianisch" dem „gela-
sianisch" entgegengesetzt ist. Damit werden die liturgischen
Bücher neuen und alten Stiles bezeichnet. Seit dem 10. Jahr-
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NACHRICHTEN.
«51
hundert hat dieser Gegensatz nicht mehr Bezug auf ein rivali-
sierendes Buch ; es bekommt das Wort gregorianisch seinen be-
sonderen musikgeschichtlichen Sinn. Nach den Zuständen des
9. Jahrhunderts ist es nur möglich, „gregorianisch" von Gregor I.
abzuleiten. — Doch sind wir auch nach den Bemerkungen des
Verfassers, die gewifs alle Beachtung verdienen, noch nicht weiter
als zuvor.
49. Zu Wilh. Brambachs „Psalterium" (Berlin, A.
Asher & Co., 1887) sind zu vergleichen die Bemerkungen von
F. Leitschuh im Zentralblatt für Bibliothekswesen XII (1895),
S. 287 f.
50. Das Kalendarium in einem Psalter des British Mu-
seum, das (Galba A XVIII) B. T. Uampson in Medü Aevi Ka-
lendarium, London 1841, I, 393. 394 als angelsächsisch be-
zeichnet hatte, ist irischen Ursprungs und gehört ungefähr dem
9. Jahrhundert an nach Whitley Stokes in The Academy,
No. 1208, p. 545 sq.; dagegen J. H. Hessels, No. 1209, p. 12.
Ficker.
* 51. Etwas verspätet sei hingewiesen auf die Zusätze und
Bereicherungen, die L. Pastors Geschichte der Päpste,
Band II in 2. Auflage (1894) erfahren hat. Die Seitenzahl des
Textes ist von 590 auf 637 gestiegen. Diese Vermehrung fallt
zum guten Teil auf Rechnung der Anmerkungen, in denen Hin-
weise aof die inzwischen erschienene Litteratur in weitreichendem
Mafse, aber auch Ergänzungen aus älteren Druckwerken und ans
handschriftlichem Material hinzugefügt sind. Der Anhang unge-
druckter Aktenstücke ist um sieben Nummern (44a, 57*, 57b, 58*,
76*, 131*, 147*) vermehrt worden — die ersten vier sind Schrei-
ben des Kardinals Besßarion (drei an Papst Pius IL), Nr. 44* von
1461, die andern von 1463. Pastor hatte diese vier Briefe schon
früher benutzt, hat sie nun aber gegenüber den A. Bacbmannschen
Auszügen bezw. Abdrücken vollständig und berichtigt eingereiht.
Die drei anderen Nnmmern sind ein Schreiben Pauls IL und zwei
Sixtus' IV. aus den Jahren 1465, 1482 und 1483. Gröfsere
Veränderungen und Zusätze im Text habe ich beispielsweise in den
Partieen, die von Gregor Heimborg handeln, beobachtet. Aber die
Unbefangenheit des ihnen zugrunde liegenden Joachimsohnschen
Buches kommt darin nicht zum Ausdruck. Eine eingehende ab-
fällige Besprechung der zweiten Auflage des zweiten Bandes hat
vor kurzem A. Bachmann in den Mitteilungen des Österreich.
Instituts XVII, 487—501 erscheinen lassen.
*53. ürkundenbuch von Stadt und Kloster Bür-
gel. I. Teil: 1133—1454. Bearbeitet von P. Mitzschke,
auch unter dem Titel : Thüringisch-sächsische Geschichtsbibliothek,
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652
NACHRICHTKX.
3. Bd. Gotha, Friedrich Andreas Perthes, 1895. XXXVIII und
568 8. Dieses, auf drei Bände berechnete ürkundenboch , das
neben den Urkunden der Stadt und des Benediktinermönchsklosters
Bürgel (zwischen Jena und Eisenberg) auch die des abhängigen
Benediktinerinnenklosters Remse bei Glauchau in Sachsen mitteilt,
liefert in dem ersten zunächst allein erschienenen Teile ein rei-
ches Material zur thüringisch - sächsischen Kirchen- und Lokal-
geschichte. Namentlich vom 14. Jahrhundert ab begegnen noch
recht viele Inedita, andere Stücke sind erst hier in brauchbarem
Text gegeben. Der Herausgeber hat mit hingebendem Fleifs ge-
arbeitet, freilich etwas zu sehr in die Breite, indem er unter-
schiedslos angiebt, wo eine Urkunde, eine chronikalische oder
kalendarische Notiz handschriftlich (bis ins 19. Jahrb. herab!)
oder gedruckt überliefert ist, ohne doch bezüglich der Druckorte
wirkliche Vollständigkeit anzustreben, indem er ferner Urkunden,
deren früheres Vorhandensein sich aus den Hinweisungen anderer
Urkunden vermuten läfst, als selbständige Nummern anfuhrt und,
indem er endlich dem handschriftlichen Apparat wie den sach-
lichen Anmerkungen eine übermfifsige Ausführlichkeit gewahrt
Die Einleitung unterrichtet über die frühere Geschichtsschreibung
Bürgels und über die archivalischen Quellen des Urkundenbuchs,
ein Namensverzeichnis von über achtzig Seiten erleichtert die
Benutzung des splendid gedruckten Buches. Wenck.
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■
REGISTER.
I.
Verzeichnis der abgedruckten Quellenstflcke.
Saec. VII: Regula coenobialis S. Columbani abbatia (Neudrnck)
220—234.
1527: Aigentliche beschreibung der handlangen, so sich mit den
widerteuf ern zu Augspur g zugetragen und verlaufen hat 251
bis 258.
IL
Verzeichnis der besprochenen Schriften.
Am ein ng, K. , Johannes Mathe-
sius 309 f.
Bardenhewer, Patrologie 598.
Beer, Handschriftenschätze Spa-
niens 567 ff.
Beiträge zur bayer. Kirchen-
geschichte 293 f.
Berg er, E. , Die Kulturaufgaben
der Reformation 289 f.
— , Martin Luther 310 ff.
ZciUchr. f. K.-O XVII, 4.
Bern oui Iii, Der Schriftsteller-
katalog des Hieronymus 617 ff.
— , Hieronymus u. Gennadius de
viris inlustribus ibid.
Befs, Zur Geschichte des Kon-
stanzer Konzils I: 234 ff.
Bonnard, Aug., Thomas Eraste
303 f.
Brieger, Th., Über den Prozefs
des Erzbischofs Albrecht gegen
Luther 312 f.
Broglie, La Reaction contre le
Positivisme 529 ff.
42
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G54
REGISTER.
Capecelatro, The life of S. Phi-
lipp Neri etc. transl. by Th. A.
Pope 555 ff.
Chevalier, Topo - Bibliographie
566.
Clarke, Francis Borgia 577 ff.
Coinba, Emilio, I nostri prote-
stanti 270 f.
— , Claudio di Torino 275 f.
Crivellucci, Deila fede storica
di Eusebio 53 ff.
C u n n i n g h a m , Santa Teresa 571 ff.
Degert, Le Cardinal d'Ossat
644 ff.
Documenta inldits p. s. ä Thist.
eccl. de la Belgiqne p. p. U. Ber-
liere 462ff.
Fagniez, G., Le Pore Joseph et
Richelieu 465 ff.
Frede ricq, Paul, De geheimzin-
nige ketterin Bioein aerdinne . . .
278 f.
— , Lea documents de Glasgow . . .
279 f.
G a 1 1 i a christiana novissima 524ff.
Genesis, Die Wiener 649f.
Geschichte des Sozialismus 271f.
Graf, A.t Geschichte des Teufels-
glaubens 274.
Harnack, Dogmengeschichte9
599 f.
Hinajoaa, Ric. de, Los despächos
de la diplomacia pontificia en
Espana 570.
Hofsted e de Groot, C. P., Hun-
dert Jahre aus der Gesch. der
Ref. in den Niederlanden 296 f.
Holtzinger, Federigo di Monte-
feltro duca di Urbino. Cronaca
di Giov. Santi 560f.
J ostes, Franz, Die „Waldenser-
bibeln" ... 280t
Jüngst, Quellen der Apostel-
geschichte 608 ff.
Knie, Die russisch-schismat
Kirche 589 f.
Krebs, Kurt, Haugold von Ein-
siedel ... 302 f.
K r o m s i g t , John Knox als Kerkher-
vorraer 454 ff.
Kuhlmann, Der hl. Bonifatius
645 f.
Lanson, Bossuet 533 ff.
Li sco, Paulus Antipaulinus 605 f.
Lösche, G., Johannes Mathesius
307 ff.
Luther- Ausgabe, Weimar 165 bis
210.
Mercier, Lamenais 538 ff.
Mdller-Kawer au, Lehrbuch der
Kirchengeschichte III 288 f.
Ortroy, Fr. van, Vie du b. m.
Jean Fisher 451 — 454.
Pastor, Geschichte der Päpste ?
651.
Paulus, N., Die Strafsburger Re-
formation . . . 299 f.
Philippson, M.t Ein Ministerium
unter Philipp II. 305.
Kivet, Aug., Les negotiations du
Concordat etc. 522 ff.
Rocquain, F., La cour de Ronie
etc. 271.
Nchaper, Die Sachsenbäuser Ap-
pellation 76 ff.
S c h e i c h 1 , Glaubensflüchtlinge aas
Spanien 582 f.
Schlecht, J, Ein abenteuerlicher
Rennionsversuch 258 ff.
Sch warz, W. E., Briefe u. Akten
zur Geschichte Maximilians 11.
293.
Schwenke, P., Hans Weinreich
... 297 f. 410ff.
Sc eck, Geschichte des Untergangs
der antiken Welt 595.
Sepp, J. , Religionsgeschichte von
Oberbayern 294 f.
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Sicard, L'ancien clerge* de France
474 f.
Simard, S. Vincent de Paul etc.
551—554.
Sychowski, Hieronymns als Lit-
terarhistoriker 626."
Tiele, Geschichte der Religion
etc. 594 f.
Tocco, Fei., I fraticelli ... 277 f.
Vanel, J. B., Lea Benedictins de
S. Gennain-des-Prea . . . 470 ff.
PER. 655
Vetter, Der apokryphe dritte Ko-
rintherbrief 606 ff.
Virck, H., Lübeck u. der Schmalk.
Band 295 f.
Wahrmund, L., Die Bulle „Ae-
terni patris filius" 417 f.
Watterich, Der Konsekrations-
moment 631 f.
W e n t z e 1 , Die griech. Übersetzung
der viri inlustres des Hieronymus
617 ff.
Winckelmann, 0., DerSchmal-
kaldische Bund ... 291 f.
Wolf, G., Der Passauer Vertrag
... 292.
III.
Sach- und Namenregister.
Abaelard 271.
Abendmahl, Konsekrationsmo-
ment 631 f.
Ablafs 639.
Abraham a Sancta Clara 431.
Acacius 8. Konzile (Nicaea).
Adarunanus v. Jona 645.
Aenaeas Sylvius s. Pius II.
Agen 473 f.
Agenden: s. Preufaen.
Agobard v. Lvon 646.
Agricola, G. 302.
Ailii 234ff.
Alan us ab insulis 640.
Albert v. Stade s. Kölbigk.
Albigenser 276.
Albrecht v. Brandenburg 298.
Alezander IV.: 643; VI.: 638f.
Alexander v. Alexandrias. Kon-
zile (Nicaea).
Alexander Baukalis s. Kon-
zile (Nicaea).
Alexander von Konstantinopel
s. Konzile (Nicaea).
Alexander Lycopolitanus 622 f.
Althamer, Andr. 293 f.
Altkatholiken 592ff.
Alveld, Augustinus 246 f.
Ambrosius 617; 8. Kirchen-
gesang.
Ambrosius Ca tharinus 207 ff.
America: Katholicismus i. d. U.
St 447 ff.; Luth. Kirche 424 f.
l Am ort, Eus. 295.
I Anastasios der Bilderstürmer
588.
„*A v«r oXi)" 592.
Anselm von Laon 647.
Antonius d. hl. 616 f.
Apokalypse des Petrus 611 f.
Apostelbrüder 366.
Apostelgeschichte 608ff.
Argembault 526 ff.
Arius und Arianismus s. Kon-
zile (Nicaea).
Armenien s. xavoviopoi.
Arnold von Brescia 271.
Asbury, Fr. 449.
Athanasius s. Konzile (Nicaea),
Synopse.
Augsburg, Wiedertäufer in A.
42*
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C56
REGISTER.
Augustinus d. h. 144. 533. 624.
626 f.
Avila, Juan de 570f.
Bachiarius 211—215.
Bartoccio, Bart. 565.
Baumgärtel, Nik. 639.
Baumgarten, Mich. 431.
Bazas 470.
Beghinen 280. 462.
Belgien: s Maredsous.
Bembo 562.
Benedikt von Nursia: s. Regel
628 f.
Benedikt XIII.: 234ff.
Benediktiner s. Germain-des-
Pres, Maredsous.
Bernhard d. hl. 647.
Bernardino v. Siena 533.
Bibelübersetzung: s. Walden-
ser, Wiclif.
Bloemaer dinne 278f.
Boethius 627 f.
Bonaventura: Ausgabe seiner
Werke 654 f.; 647.
Bonifatius 645.
Bonifatius V11L: 364.
Bordeaux 470.
Borgia, Franc. 577 ff.
Bossuet 5.33 ff.
Braun, Konrad 301.
Briconnet 536 f.
Bruderschaften 421; in der
orthodoxen Kirche 590 f.
Brüder, böhm. 285.
Brüdergemeinde 415.
Bryennios 585.
Bucer 299.
Bullen: Aeterni patris filius 417.
Bund, Schmalkald. 291 f. 295 f.
Bufse: Luthers Lehre v. d. B.
207 f.
Caesarius v. Arles 629 f.
Cajetan 173f.
Cairns, John 450.
Calvin, Institutio 537; in Fer-
rara 564.
Capito 299.
Carolina 446.
Chrysostomus: Liturgie 617;
s. Synopse.
Claudius von Turin 271.275f.
646 f.
Clemens Alexandrinus 614.
Clemens V.: 277; VII.: 258ff.;
VIII.: 545.
Clementinen 612f.
Clichtow 537.
Cölestin V.: 278. 363- 397. 477
bis 507.
Cölestiner s. Cölestin V.
Colonna, Jakob s. Cölestin V.
Colon na, Vittoria 564.
Columba d. Ält. 450.
Columba d. J. 215—234.
Corate 529.
Confessio Augustana 581 f.
Consalvi s. Konkordat.
Cromwell, Ol. 440.
Culdeer 276. 437 f.
Cybo, Innoc. 662.
Cyprian 614f.
Dachser, Jakob 249f.
Damasus 623.
Dante s. Cölestin V.
Denk, Hans 248 ff.
Diakonen 601.
Digne 464.
Dinkelsbühl, Nik. von 640.
Dissen ters s. Virginia.
Dominikaner s. Cölestin V.
Dositheos 587.
Dürer 294.
Eberl in v. Günzburg 294. 305.
Ebrach 295.
Eck hart, Meister 278.
Eder, Georg 301.
Edessa: Chronik 630.
Edikt v. Nantes s. Oasat.
Einhard 635.
Einsiedel, Haugold von 302f.
Elias d. Prophet: s. Kultus 637.
Elias v. Cortona 278.
Elisabeth d. hl. 640. 648.
England: s. Culdeer, Weihen,
Lander, Cromwell; Mittelalterliche
Reste 440; kirchliche Gebrauche
441 ; Kirche im 19 Jahrh. 442 ff. ;
s. Presbyterianer.
England, Neu- 445f.
Eoban Hess 291.
Epiphaniu« s. Konzile (Nicaea).
ßraste, Thomas 303f.
Erthal, Fr. L. v. 431 f.
Espana Sagrada 566 f.
Estrich, Casp. 258ff.
Eucherius 623f.
Digitized by Google
REfilSTEH.
657
Eugen IV.: 638.
Eunapius s. Konzile (Nicaea).
Eusebius von Caesarea 615 f. ; s.
Konzile (Nicaea).
Eusebius v. Nikomedien s. Kon-
zile (Nicaea).
Eustathius s. Konzile (Nicaea).
Evagrius Ponticus 601.
Evangelium: des Petrus 61 1 f.
Evangelisten 601.
Faustus von Riez 627.
Ferreri, Zaccaria 313 f.
Ferrier, Vincent 569.
Fisher, Jean 451 f.
Fonzio, Barthol. 258 ff.
Forster, Georg 432.
Frankreich: Litteratur 522 bis
554; krl. Anfänge 533; die
Bischöfe während der Revolution
474; Religion der Rev. 475; s.
Agen, Bazas. Bordeaux, Digne,
S. Germain-des-Pres.
Franz v. Assisi 639.
Franziskaner: s. Minoriten.
Freppel 526ff
Friaul: Reformation 565.
Friedrich III. v. d. Pfalz s.
E raste.
Friedrich Wilhelm d. gr. Kur-
fürst 432 f.
Friedrich Wilhelm I. von
Preufsen 436.
Frosch, Joh. 269.
Fr u toi f v. Michelsberg 635.
Gabriel, Erzb. v. Achrida 586.
Gaetani, Bencd. s. Bonifaz VIII.
Gallia christiana 524 ff.
Gallicanismus 418.
Gegenreformation 417: Alt-
bayern 295: Eichsfeld 425; Nie-
derland 470.
Gelasius Kyzikcnus s. Konzile
(Nicaea).
Genf: lUliener in G. 565.
Gennep, Caspar v. 302.
Georg v. Brandenburg 294.
Gerald us v. Aurillac 636.
Germain-dcs-Pr6s 470ff.
Gerson 234ff.
Gewissensfreiheit 291» f.
Gi eleman 635.
Glykas, Mich. 584.
Goeze 433.
; Gonzaga 571.
Granvella 305.
Gregor I. s. Kirchengesang; III.:
643; VII.: 644; X.: 363. 636.
644.
Grin 538.
I GrunenbeTg, Johann 177.
Gürtler, Hieron. 305 f.
Gustav Adolf 433.
Hadrian I.: 642 f.
Hase, K v. 434.
Heidentum: Kampf der Kirche
dagegen 157 ff.
Heilige, Griechische 600.
1 Heinrich v. Herford s. Kölbigk.
Heiding, Michael 302. 306.
Heliae, Paulus 306.
Henoch 602.
Herroippus 623.
Hetzer, Ludwig 248 ff.
Hexapla 610.
Hexenprozesse 275.
Hieronymus 617 ff. 625 f.; s.
Konzile (Nicaea).
Hilduin 635.
Honorius III : 644.
Hosius v. Corduba s. Konzile
(Nicaea).
Hubmair, Balth. 248IT.
I Hugenotten 423. 426f.
I Hugo v. S. Victor 647.
HusitiHmus 283 f.
Hütt, Hans 249 ff.
Hymnen 650 f.
Hypatius d. hl. 623.
Index 302.
In itien- Verzeichnis 244.
Innocenz III.: 644; VII.: 532.
Inquisition 273.
■ Inspiration: im MA. 648.
j Interim 298
Irenaus 613 f.
Italien: Litteratur 554. 565 ; Re-
formation 563.
Jacopone v. Todi 366.
Jakob v. Salza 316.
Jakob v. Sachsen 259.
Jeanne d' Are 532 f.
Jerem ias 1 1. : 586.
Jesuiten 4181T. 424. 428.
Joachim v. Fiore 365.
658
REGISTER.
Joachimismus 278.
Johann XIII.: 643; XXII.: s.
Ludwig d. B.
Jobann d. Best. v. Sachsen 258 IT.
Johannes Cassianus 627.
Johannes de Fabrica 201.
Johannes v. Kreuze 570.
Johann v. Parma 365.
Johann v. Schwarzenberg
410 f.
Johanniter s. Cölestin V.
Joseph, le Pere s. Richelieu.
Jubiläen, Buch der 603.
Judaisten 277.
Judenchristen 596f.
Kaisersage 278.
Kalendarium 651.
KavoviauoX: ytvixoi 588f. ; 590f.
Karl d. Gr. s. Pippin, Hadrian I.
Karl V.: 561.
Karl II. v. Neapel s.CölestinV.
Katecbetik s. Sprichwörter.
Katechismus 302.
Katholicismus 421. 422.
Keller, Mich. 260.
Kepler 435.
Kerkener, Job. 307.
Kirchen pesanji: s. Entstehung
337 f.; 650 f.
Kircbengut s. Eugland.
Kling, Konrad 301.
Klöster: Altzella 640; Bürgel
651 f ; Micbelsberg 635.
Knox , John 454
Kölbigk, Tänzer von 94-164.
Kolluthos 8. Konzile (Nicaea).
Kommunismus 287.
Konklave: das Veto der Mächte
558 f.
Konkordat 1801: 522ff.
Konkordienformel 294.
Konstans s. Konzile (Nicaea).
Konstantia s. Konzile (Nicaea).
Konstantin d. Gr. 595 f.; s.
Konzile (Nicaea).
Konstantin II. s. Konzile (Ni-
caea).
Konstantinopel: Patriarchen
636; s. auch Patriarch.
Konstanz: Bischofsregesten 634.
Konzile u. Synoden: Konstanz
639 f.; Lyon (1274) 636; Nicaea
(321. 325. 327) 1-71. 319 bis
362; Paris (1290) 635 ; Spanische
569-, Strafsburgor s Strasburg;
Tyrus (335) s. Nicaea.
Kor in t berbriefe 605 ff.
Kretz, Matthias 301.
Kreuzwegandacbt 302.
Kreuzzüge 644f.
Krieg, Schmalk. 295.
Kunst, kirchl. 648ff.
Lactantius 615.
Lagarde, Paul de 435.
Lambert v. Hersfeld 8. Kölbigk.
Lambert le Regne 279f.
Lamenais 538 ff.
Lander, John 439.
Lando, Hort 565
Lang, Matthäus 307.
Langenmantcl, Hans 248 ff.
Laurentius Puldericus 638.
Legenden: Kreuzauffindungsl.
Lemberg: Confraternitas Stauro-
pigiana 590 f.
Lemnius 314f.
Leo X s. Luther (Resolutionen).
Lessing s. Goeze 435f.
Li ein ins s. Konzile (Nicaea).
Lightfoot 458.
Lipsius 436.
Löner, Casp. 294
Löscher. Val. 436.
Lorichius, Gerhard 302.
L ott her, Melchior 175 ff.
Loyola, Ign. 571.
Lucianus v. Antiochia h. Konzile
(Nicaea).
Ludwig XIV. 8. Nointel.
Ludwig d. Baier: Sachsenhauser
Appellation 72-93. 413.
Lübeck: Ref. in 295.
Luis de Leon 580 f.
Luther: Leben v. Berger 310 ff.;
Schule u Humanismus 314; Dis-
putationen 314; Beziehungen zu
Böhmen 314; Prozefs des Erzb.
Albrecht 312 f.; Resolutionen 165
bis 210; in Würzburg 313; Brief
an Mansfeld 245 ff. ; Beichtbüch-
lein 248; wider die Bauern 286;
an die Christen in Riga 398 bis
410; die ältesten Ausgaben des
kl. Katechismus 508 —521; Re~
union8versuch (1531) 258 ff. ; s.
Tod 315; s. Ferreri, Kerkener,
Letnnius.
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KEGISTER.
659
Macedonius s. Konzile (Nicaea).
Maredsous 462f.
Maria: Streit über Empfängnis
640.
Marpeck, Pilgram 287.
Marsilius v. Padua 271.
MathesiuB, Job. 307 ff.
Mathias v. Ungarn 283 f.
Matthäus Paris 8. Kölbigk.
Maurin er s. Gallia christiana.
Maximilian II. 293.
Mayer, Seb. 259.
Mayer, Wolfg. 301.
Meinwerk 647.
Meletiu8 s. Konzile (Nicaea).
Melito v. Sardes 612.
Memmingen, Ref. i. M. 294.
Menno Simonis 287.
Minoriten: bd. Quellen 639. 641 ;
bäret. Bewegungen 277 f.; —
„ Sperlinge " 247 f ; s. Briconnet,
Cölestin V., Ludwig d. B.
Mission, äofsere: s. Soc de
miss. etr.
Möhler, J. A. 436.
MonophysitismuB 629.
Montaigne, Mich, de 562.
Müller, Gallus 287.
Münzer, Thomas 286.
Muhlius, Heinrich 189. 200.
Murrhoniten s. Cölestin V.
Musculus, Wolfg. 259.
Mutio, Girol. 565.
Mystik 278ff.
Nachtigall 315.
Napoleon: s. Konkordat; s. 2.
Trauung 524.
Narses, Patriarch 584 f.
Neapel: Reformation 563.
Neri, Philipp 555 f.
Nicephorus d. hl. 637.
Niederlande: Ref. 296f.
Nikolaus Richardi 200 f.
Nointel 587.
Norbert d. hl. 633.
Nürnberg: Ref. in N. 291.
Nuntiaturen 290.
Ochino 563.
Odo ?. Pins 383.
Ökolarapad 315.
Oldenburg 427 f.
Olivi, Pet. Job 278.
Ordericus Vitalis s. Kölbigk.
Ortenburg 297.
Ossat 544 ff.
Palazzolo 258ff.
Paltz, Johann v. 200 f.
Papsttum 420 f.; 533.
Papatwahl 417.
Patriarch: Wahl u. Inthroni-
sation bei den Byzantinern 584;
die P. von Konstantinopel ibid.
Pauli, H. R. 436.
Paulicianer 276.
Paulinus Nulanua 625.
Paulinus v. Tyrus s. Konzile
(Nicaea).
Paulus s Korintherbriefe.
Paulus v. Konstantinopel s. Kon-
zile (Nicaea).
Peregrinus 211 — 215.
Peter v. Murr hone s. Cölestin V.
Petrarca s. Cölestin V.
Petrus v. Alexandria b. Konzile
(Nicaea).
Pen tinger, Konrad 249.
Pfalz: reform. Kirche 308 f.
Philipp v. Hessen 292.
Philipp II. von Spanien s. Conf.
Aug.
PhiloBtorgins s. Konzile (Ni-
caea).
Pilgerfahrten 644.
Pinerolo 559 f.
Pippin: proiniasio 642.
Pius II.: 640; IV.: 292f. 561 f.;
VII.: s. Konkordat.
Poesie, geistl. 529.
Poiret, Pierre 436.
Pole, Reginald 563.
Porphyriancr s. Konzile (Ni-
caea).
Positivismus 529ff.
P rämonstrate nser 160.
Predigt: Ende des Mittelalters
290.
Presby terianer 444.
Preufsen: Ref. 297 f. 410ff.; Kir-
cbenrecht u. Agende 429; Refor-
mierte u. Unitarier 428.
Prierias 166ff.
Priscillianismus 211-215.
Psalmen Salomos 603 f.
Psalter: Druck (1484) 641; 651.
Reeves, Will. 459.
Religionsfriede, Nürnberger
291 f.
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660 REG)
Religionsgespräche: in Ale-
xandria s. Konzile (Nicaea);
Tborn 41«.
Renata v. Ferrara 563 f.
Rbegius, Urban 259. 294. 301.
Richelieu 465
Ritsehl, A. 436.
Robert von Brunne s. Kölbigk.
Rock, d. hl. 422
Rösner, J. P. 437.
Rufinus s Konzile (Nicaea).
Rumänien 590.
R u f s 1 an d : schismat. Kirche 589 f.
Sabinus s. Konzile (Nicaea).
Sachsen 430. 652.
Sales, Franz v. 549 f.
Sangerhausen: Äufserung Lu-
thers 245 ff.
Sauti, Giov. 560 f.
Savonarola 280.
Schaff, Pb. 460.
Schisma: das abe ndländische
234 ff.
Schlesien: Ref. 298 f.; Katholi-
cismus 430 f.
Schmid, Konrad , aus Sanger-
hausen 246 ff.
Schneeberg: Handschriften 637 ff.
Schottland 444.
Schwarzenberg, Christoph v.
301.
Scriptoris, Paul 302.
Scultetus s Luther (Resolu-
tionen).
Secretan 550 f.
Secundus v. Ptolemais s. Konzile
(Nicaea).
Seelentrost 153f.
SegareJli, Ger. 366.
Sei dl, Wolfg. 301.
Seneca 596.
Serapion s. Konzile (Nicaea).
Sickingen, Franz v. 316.
Simultaneen 418.
Sittardus, Matthias 301.
Societö des missions etrangeres
528 f.
Sokrates s. Konzile (Nicaea).
Soldatenbibel s. Cromwell.
Sozialismus 271 f.
Sozin, Lelio 563.
SozinianismuB 415.
Span gen berg, Cyr. 121.
Spanien: Litteratur 566-583.
Spengler, Laz. 403.
Speratus, Paul 412.
Spiritualen s. Cölestin V.
Sprichwörter, mittelgriechische
583 f.
Stachyologie. Jerusalemisch.586.
Staupitz 165ff
Stephan 11. 642.
1 Stephaneschi, Jakob 394.
S tosen, Barth. 437.
Strafe bürg: s. Reformatoren 299f.;
Diöcesaneynoden 431.
Styliten 597.
Suarez, Franc. 576 f.
Symbolum Apostolicum 601.
Synopse des Athanasius u. Chry-
so8tomus 600 f.
: Talhouet 551.
Tanzwut s Kölbigk.
Taufnamen 107f.
Templer 276 f.
Tertullian 614.
Teufelglauben 274.
Teufellitteratur 120f.
Theodoret s. Konzile (Nicaea).
1 Theognis v. Nicaea s. Konzile
(Nicaea).
Thomas v. Marmarica s. Kon-
zile (Nicaea)
Theresia, d. h 571 ff.
Thomas v. Aquin 647.
! Thomas v. Okra 385.
Thüringen 652.
Todsünden 601.
Tolomeo v. Lucca s. Cölestin V.
| Torqucmada 637.
Unionsversuche: Protestantis-
mus u. griech. Kirche 586: der
romfreien kath. Kirchen 592 ff.
Unitarier: s. Preufsen.
Universitäten: Halle u. Göt-
tingen 425 f ; Leipzig 426. 640 ;
Padua 564.
Urban IV.: 363f.; VI.: 282f.
Valerius ad Rußnum 641.
Vergerio 316 564.
Vertrag von Passau 292.
S. Victor 538.
Vielfeld, Jacob 286.
Vincenz v. Beauvais s. Kölbigk.
Vincent v. Paula 551ff.
Virginia 446.
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Wahrhaftigkeit §. Konzile
(Nicaea).
WalasBcr, Adam 302.
Waldemar 280ff. 426.
Wangemano, H. Tb. 437.
Warbeck, Vict. 316f.
Wege, Johannes vom 817.
Weihen: d. anglikan. 438.
Weinreich 297f.
Wiclif 282f.
STER. 661
Wiedertänfer;248ff. 285f,
Wilhelm v. Malmesbary b. Köl-
bigk.
Wintzler, Johann 301.
Wizol, Georg 302.
; Wordaworth, Cb. 461.
Zauberei 274.
Zürich: vor der Ref. 300.
. Zwingli 317 f.
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l»ruck von Friedrich Andreas Perthes in Ii. .tri».
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I nhalt .
Untersuchungen mi<l Essays:
1. Si/inl: , lYier von Murrhouc uls Papst Cölcstin V.
(Schiurs) 477
Analekten :
1. vim iler (inlt:. Bibliographische Studien inr Geschichte
der ältesten An*g*ben von I). Mart. Luthers kleinem
Katechismus ;"><>s
Nachrichten :
1. Wilkcns, Französisches (Fortsetzung und Schlüte) . 532
2. Hubert u. a., Italienisches f» j-1
."5. Wilkrm, Spanisches 666
4. Meyer u. a., Griechische Kirche 583
f». Arnnhl, Pi t'HxcIwu u. a., Zur alten Kirchengeschichte. 504
Ti. Ficl.tr u n, Zur mittelalterlichen Kirehengesohichte . B33
Heilster:
1. Verzeichnis der abgedruckten Qucllenstücke .... $53
II. Verzeichnis der besprochenen Schriften ... . ßiVJ
III. Sach- und Namenregister . Göa
■
> . ■
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