chen TR
(0 [=] 0 WAR
VF
Digitized by Google
Mittheilungen
des
Vereines für Gefchichte der Dentfchen
in Böhmen,
XXV. Jahrgang.
Redigirt von
Dr. £udmwig Scälefinger.
Nebſt der
literarifihen Beilage,
2
Prag 1887.
Im Selbſtverlage des Vereins und in Commiſſion bei H. Dominicus
für die Oeſterreichiſch-Ungariſche Monarchie.
Leipzig und Wien.
In Commiſſion bei F. U. Brockhaus.
———
v4
vB
N
Pe DE [7
Kr. Hofbuchbruderei A. Haafe, Prag.
Subaltsverzeichniß.
Bonifatius, der — der Deutſchen, und F- Stavenapoftel PT
(E rillus und Methodios. Eine hiſtori arallele von Conſt. Ritter
Miscellen.
Denkſchrift über die böhmiſchen Landesfinanzen vom J. 1618. Mitgetheilt von
Dr. Binc Müchlitt. ae A ea a hier 197
Des Prager evangeliihen Pfarrers M. D. Hänichens (F 1618) Nekrolog. Von
Lie; Dr. Georg Buchwald.. 0 0 ut a 200
- een vom J. 1680. Bon Dr. L. Schleſinger . 643983
Mittheilungen der Geſchäftsleitun
Citerariſche Beilage,
Altdentfhe Bredigten. Bon E. Schönbach. Bon U. Hruhla . - . . - » 13
Bahmann Adolf: Briefe und Acten zur öſterreichiſch-deutſchen Geſchichte im
Zeitalter K. Friedrichs III. (Fontes rerum austriacarum.) Bon W. 9. . 50
Bellmann’s Führer dur Prag und Umgebung. Bon Erwig « * 16
Bohemica aus periodifchen Beitichriften. Jahrg. 1885. Bon W. Hiele . . . 104
.‚Canossa, studi e ricerche di Angelo Ferretti, professore nel r. istituto
teenieo di Reggio nell’ Emilia. Seconda edizione. Ermanno Loescher,
Torino; 1884. Bon Th. Tupeb - : rennen nn 48
Garo ac. Dr.: Gefhichte Bolend. Von —n.. » «rennen 47
Codex diplomatieus Silesiae II. Band. Schleſiens Münzgefhichte im Mittel»
alter von Friedenburg. Bon —n. . » «rer 76
Die öfterreihifh-ungarifhe Monardie in Wort und Bild. Von B. . - 65
Deutih-böhmifher Vereinskalender - - - - "rennen 24
Deutſcher Volkskalender für 18897... ee 37
Deutfher Volkskalender für die Iglauer Spradinfel 1887.» + + +. 40
Egerer Jahrbud. 17. Jahrgang - - - ernennen 39
Emler Iofef: Libri confirmationem ad beneficia ecclesiastica Pragensem per
archidioecesim. Bon L.©..: : . Hr 2er een 78
Erinnerungsblätter an Joſef Victor von Sceffel. Bon Otto Lohr. . . - 21
Ermifch Hubert: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachſen. Von 2. ©. . 69
Feftichrift des Teplis- Schönauer Anzeiger zu feinem 25. Jahres-Jubiläum.
Bon Otio Lohr e42* 13
Fournier Auguſt, Dr.: Handel und Verkehr in Ungarn und Polen um die
Mitte des 18. Jahrhunderts. Bon —än.. * 74
Fürftenbergifches Urkundenbudh. Bon G.B.- - * 41
Geſchichte des deutſchen Männergefangs Vereines in Prag vom Jahre 1859
bis 1886. Von 8. Chevalier. » - - rennen 59
Geſchichte des fürftlichen Hauſes Fürftenberg und feiner Ahnen bis zum Jahre
1509. BB ei ei — a ee 41
Geſchichte der Dörfer. Ober 1. Nieder-Mois im Neumarkter Freie. Von —n. 15
Gindely’Muton: Kalfteht Während feines erften Generalated im Lichte der
‚gleichzgitigen, Quellen 16251830. Von 2. Chevalier... . . . » - . - 1
Soll raslarr:Histeriektirgzhor .bäsni rukopisu Krälodvorsk&ho: Oldficha,
Beneie, Hermanova a Jaroslava. Bon Dr. Joh. Kniefhel. - - 26
Gradl Heinrih: Gefhichte de3 Egerlandes. Von Dr. L. Chevalier : +» » 30
Grünbagen C. Dr.: Regeften zur fchlefiihen Geihichte. Bon —m. » . . + - 14
— — Gefhichte Schlefiend. Bon m... rennen 45
— — Beitichrift de3 Vereines für Geſchichte und Alterthumskunde Schlefiens.
2. Band. Bon —n. :» ses 15
Haaſe'ſcher Haus: und Wirthichaftskalender fr d. 3. 1887... * 38
Haafe'ſcher Minuzenkalender für das Jahr 1887... en 39
Seite
Hagen von, Dr.: Das Leben König Sigmunds, von Eberhard Windede. Bon
Dr: 4 nalen 5 5 te er er De
Hallwich H., Dr.: Töplis. Eine deutſch-böhmiſche Stadtgefhichte. Von Erwig
Haupt Herm., Dr.: Der waldenſiſche Urſprung des Codex Teplensis und der
vorlutheriſchen deutſchen Bibeldrude gegen die Angriffe von Dr. Franz
Joſtes vertbeibigt. Bon T. - - rennen
Hilgard Alfred: Urkunden zur Gefchichte der Stadt Speyer. Bon L. ©. - -
Hutter Theodor: Aus der Jugendzeit. Bon Dtto Lohr. - » :» - na
Hübler Franz: Geichichte, Bedentung und praftiicher Werth der Stenographie
Gabelöbergerd. Bon Th. Tupeztzz...
Sahrbud der Gefellihaft für Gefchichte des Proteftantismus in Defterreich,
8. Sabes. 1. Seit. Be B.D,- .: : run ren nn
Jahrbuch der k. k. heraldiſchen Geſellſchaft „Adler“ in Wien. Von W. H...
John Alois: Aus dem geiſtigen Leben des Egerlandes. Von Lbe.. ...
Joſtes Franz Dr.: Die Tepler Bibelüberſetzung. Von T. R.... ..
Iro Karl: Sechs deutſchnationale Lieder. Von Otto Lohr - » -» » - 2...
Kaleidoskop: Feuilletoniftiihe Sturien, Skizzen u. Canterien. Bon Dr. Ed.
Schränka re ee ice
Ralender für das Egerland 18897. -» >: Ener ern
Katzerowsky W. Dr.: Die meteorologifhen Aufzeichnungen des Leitmeriger
Rathsverwandten Anton Gottfried Schmidt aus den J. 1500 bis 1761,
Me a a ee
Klaar Alfred: Gedenfrede zur Feier von Ludwig Börne's Hhundertiten Ge-
burtstag. Von Otto Bohr u ee na eg
Klein Johannes Dr.: Religiöje Dichtungen des Presbyter Johannes. - - - -»
Kerler Dietrih: Deutihe Reichstagsacten unter Kaifer Siegmund. Von —ı. .
Krone Fr. v., Dr.: Gefchichte der Karl Franzend-Univerfität in Graz. Bon —n.
Lahmer Robert: Induſtrielle Briefe aus Nordböhmen. Bon —r.. » .....
Die böhmisfhen Landtags-Verhbandlungen und Landtagsbeichlüffe vom
Fahre 1526 bis auf die Neuzeit, Bon —n. » » 2: 2202er
Lippert Julius: Eulturgefhichte der Menjchheit in ihrem organischen Aufbau .
Löher Franz Dr.: Archivaliſche Zeitichrift. Bon U. Möratb- - » : 2...
Lutſch Hans: Verzeihniß der Kunſtdenkmäler der Provinz Sclefien. Bon n..
Maasburg Friedrih, M. von, Dr.: Die Procef-Ordnung für Böhmen vom
28: Sinne VIOR. Bon We ee
Mach E. Dr.: Der relative Bildungsmwerth der philologiihen und mathematifch-
naturwiſſenſchaftlichen Unterrichtsfächer der höheren Schulen. Bon Erwig
Miſchler Ernft Dr.: Der öffentlihe Haushalt in Böhmen. Von Dr. %. -
Neuer Brager Kalender für Stadt und Land 1837 .» » 2: 2 ren.
Oettingana. Neuer Beitrag zur Dettingifchen Gefchichte. Von B. . . +» .-
Beter Johann: Charakter: und Sittenbilder aus dem deutſchen Böhmerwalde
Von Wenzel DUB 2 Se .
Programmaufſätze aus den Fahren 1885 und 1886. Bon B. ......
Quellen zur Geichichte der Stadt Kronftadt in Siebenbürgen. Bon —r.. » -»
Rachel M. Dr.: Ueber die Freiberger Bibelhandichrift nebft Beiträgen zur Ge—
ſchichte der vorlutheriſchen Bibelüberfegung. Bon TR... ..... .
Die Regeften des Katferreihes von Engelbert Mühlbacher Von —n. . . » - 11
Die Regeſten zur Geihichte ver Mainzer Erzbiichöfe von Corn. Will. Bon —n. 11
Reidl F. X.: Beitrag zur Geihichte von Dur. Von W. Hiefe. .: . .- » 32, 79
Reitler Anton: Conrad Ferdinand Meyer, Von Otto Lohr... - - - .... 20
Ruſtler Michael: Das fogenannte Chronicon universitatis Pragensis. Bon
ES NEDEDAEEN: u: 2 u a a re er a EN EL a ala 12
Schebef Edmund: Die Schweden und die Kapuziner im 30jährigen Sriege,
Bon win u. se ine a 32
Schlaggenwalds Mineralienreihthbum. Von Che, » -» 222.0 3
Schober Karl, Dr.: Quellenbudy zur Gefchichte der öfterr.-ungar. Monarchie.
1. Theil. Von Dr. L. Ghevaliee 2.2.0 we a nenne a 17
Schranfa Maria Eduard Dr.: Ein Bud vom Bier. Bon —r.. » +... 56
Schriften des Vereines für Geichichte und Altertum Schlefiend. Von —n. . 76
Sacher's Joſef gefammelte Schriften. Bon Otto Lohr - » » » 2... 20. 22
Stammtafel des mebdiatifirten Haufes Fürftenberg. Von ©. B. - .».... 41
Teweles Heincih: Preſſe und Staat. Bon Dr. Karl Gömer. » » -».... 18
Thomas Ferdinand: Tannwald und Umgebung Bon L.©.....:.... 81
Tomek W. W.: Dejepis mesta Prahy. Dil. VII. Bon W. Hieke » . . . - 8
Veſelsky Peter Miroflan: Der Fremdenführer in der Fönigl. freien Silberberg:
und Münzftadt Kuttenberg und deren nächften Umgebung. Bon Erwig . 16
Weichelt H. Dr.: Deutich-öfterreihiiche National-Bibliothef, Yon Otto Yohr . 20
Weizſäcker Jul.: Deutiche Reichsacten unter König Ruprecht. 2, Abtheilung.
IA4O01 - 1405. Von an a neh 11
Werunsky E. Dr.: Geſchichte Karls IV. und feiner Zeit. 2. Bd. - -...- 25
Bellner Felir Dr.: Die Incunabel-Drucke der fürftl. Fürftenberg’ihen Biblio:
thek zu Pürglitz. Von Otto Bobr - - » » + 20 re nee een. 17
Zimmermann Heinrih: Prager Spaziergänge. Bon Otto Lohr -» » . 23
Hitkelugen es Bein
Geschichte der Baı schen in Böhmen.
Nedigirt von
Br. Judwig Schlesinger.
Fünfundzwanzigiter Jahrgang. Erites Heft. 1886/7.
Zum Iubiläum der Univerfität zu Heidelberg.
2. Auguft 1886,
Die Begründung der Univerfitäten in Mitteleuropa, nachdem der
romanische Süden und Wejten mit dem großen Beijpiele vorangegangen,
ift eine der nachhaltigjten und folgenreichiten Thatſachen des ſcheidenden
Mittelalters. Herrichte bei der Begriindung der Prager Univerfität der
Gedanke vor, mehr als einer Nation einen Mittelpunkt zu geiftigem Wett:
eifer zu verjchaffen, dadurch aber ſelbſt dieſen ein gemeinfames Centrum
zu gewähren, eine Vereinigung auf dem geiftigen Gebiete, wie jie die
Kirche auf dem geijtlichen aufgerichtet hatte, einzuleiten, jo überwog bei
den nachfolgenden Gründungen das nationale, endlich das territorialiftijche
Moment, jo daß fie zulegt aus allgemeinen wijjenjchaftlihen Inſtituten,
die fie jein jollten, Staatsanftalten mit dem fpeciellen Endzwede wurden,
brauchbare Staatsbeamte für das oft ſehr Heine Territorium heranzubilden.
Auf die große Wirkſamkeit, die die Univerfitäten als Vertreter ge-
meinfamer geijtiger Bedürfniſſe, als Grundpfeiler jener Tirchlichen Umge-
ftaltung entfalteten, die im XV. Jahrhunderte die Concilienepoche fich zur
Aufgabe ftellte, folgte im NReformationszeitalter eine mit diefer im Gegen—
jage ftehende und doch aus der ganzen bisherigen Entwidlung der Dinge
hervorgegangene nad. Denn als im Anfange des XVI. Jahrhundertes
der Drang fich Fund that, mit der ganzen Vergangenheit tabula rasa zu
1
— —
Baker änb‘ — Deitlichland nit feiner ganzen Bergangenheit zu
brechen den titanifchen Entſchluß faßte, jo ging diefe Bewegung nicht blos
von einer Univerfität aus, fondern nahmen überhaupt die Univerfitäten
die entjcheidende Nichtung an, fi) für oder gegen jene Spaltung zu er-
flären, die von Deutſchland aus das Abendland erjchütterte. Je nach
der Eonfeffion des Landesherren wurden die Univerfitäten confejlionelle
Staatsanftalten, dogmatische Burgen, in welchen der Streit, der die Nation
zerfleifchte, fortwährend Nahrung fand.
Die neuere Zeit, welche an die große geiftige Bewegung des XV. Jahr—
hunderts, die Epoche des Wiedererwachens der Wiljenfchaften, anknüpfte und
die univerſelle Bedeutung des wilfenfchaftlichen Lebens als eines Gemeingutes
aller Nationen betonte, hat mehr und mehr die confejlionellen Schranken
gebrochen und eine freie Bewegung, eine individuelle Meſſung der Geifter
auf ihre Fahne gefchrieben. Lag es in der Entwiclung unferer Berhältniffe,
den ftaatlichen Charakter der Univerfitäten noch immer möglichjt zu wahren,
jo konnten ſich diefe ebenfowenig zeitweiliger Härte und einer jtörenden
Einmifchung in den Organismus des wiljenfchaftlichen Lebens entziehen,
als anderjeits der Staat den Schwankungen und Entwiclungen des Volks—
lebens, das, fo lange von ihm überhaupt die Rede fein konnte, feinen
Wiederhall, feinen natürlichen Ausdrud in der Blüthe oder dem Berfalle
der Univerfitäten fand. In feinem Lande haben fie denn auch eine jo
hohe Bedeutung erlangt als in Deutſchland. Sie blühten jo lange die
Mannigfaltigkeit des deutschen Volks- und Staatslebens bejtand. Sie
verfnöcherten fichtbar in der Zeit des Cäfaropapismus, der das Volksleben
tödtete und der Nation zur Entjchädigung für den Verluſt an geiftigen
Gütern prunfende Höfe und Kafernen gab. Aber in allen Zeiten, ob fie
Träger des Staatstirchenthums wurden oder nicht, waren und blieben fie
die Pulsadern des deutjchen Volkes, ob der Puls ſelbſt ſchwach jchlug
oder ſtark. Sie zeigten in Leid und Freud, in Erhebung und Verfall, in
kleinlichen Intereſſen, in großartigem Auffchwunge die wechjelnde Volks—
fraft an. Und während das Weich felbjt getheilt, in einander feindliche
Stücke aufgelöft war, die Gegenwart fich verjchlimmerte, ruhte in ihnen
die spes melioris aevi, die Hoffuung, ich zulegt doch wieder zurecht zu
finden, das Geheimniß wahrer Vitalkraft, daS erescere posse malis.
Um jo mehr gebührt den deutschen Firjten Lob und Anerkennung,
welche an dem Gedanken fejthaltend, daß Leben nicht in der ftarren Mo—
notonie des Befehlens und Gehorchens, jondern in der Wechjehvirfung des
Gebens und Empfangens, in der Freizügigkeit des Geiftes, im dev ununter—
brochenen Zufuhr frischer empfänglicher Naturen einerjeits, im ununter—
— —
brochenen Schaffen und Wirken andererſeits ſich zeige, das Gedeihen ihrer
Univerſitäten auch unter ungünſtigen Zeitverhältniſſen förderten, von liebender
Sorgfalt erfüllt, den Werth des geiſtigen Lebens nicht minder als die
Bedingungen ſeines Gedeihens erkannten und ihre fürſtlichen Namen mit
der Blüthe derſelben identificirten, ſtatt ſie zu maßregeln, in dem Weſen
ihres Organismus die Kraft fanden ſie zu allſeitiger Entwicklung zu bringen.
Und wenn der Name des römiſchen Königs Ruprecht von der
Pfalz, der einſt vor den Mauern von Prag ſtand, um die Einheit des
deutſchen Königthums wieder herzuſtellen, mindeſtens denſelben Ruhm er—
langte, als der des Begründers der Heidelberger Univerſität, ſo gebürt
den Fürſten nicht minderes Lob, welche, zwar nicht aus ihrem Stamme,
doc) es verſtanden, Vergangenheit und Gegenwart, Volk und Fürſt geiſtig
zu einen und, was in trüben Zeiten ein Wittelsbacher begründet, zur
reichen Eutfaltung zu bringen, als wäre es nur Ein Stamm, der geſchaffen
und derſelbe der erhalten und das Gedeihen gefördert hat.
Prag, Juni 1886.
J.
Bildet das Kaiſerthum Karls IV. das Ende eines großen Abſchnittes
in der Geſchichte des deutſchen Kaifertyums oder bildet es den Aus-
gangspunkt einer nenen Periode?
Der Herzog von Sachen, Otto, König Heinrichs I. Sohn, welcher
durch die Zuftimmung der Fünf deutjchen Stämme König der Deutjchen
geworden war, war der erjte feines Stammes, der den Ffarolingijchen Tra-
ditionen folgend, das italienische Königthum und dam, berufen von Papſt
Johaunn XI. in Rom die Kaiferfrone erlangte, die feit Kaifer Arnulfs
Tode zwar nicht Abkömmlingen der Karolinger, aber doch den Deutjchen
entzogen war, jeit 924, dem Tode Kaiſer Berengars, feinen Träger mehr
befaß. Die Vereinigung zweier Königreiche, eines auf dem Nord-
abhange der Alpen, eines auf dem Südabhange derjelben und die Krönung
zu Nom duch das Oberhaupt der Chrijtenheit bildeten das Weſen des
römischen Kaiſerthums deutjcher Nation, das jomit nicht ſowohl
eine nationale als eine internationale Aufgabe beſaß, die es anch den
Slaven gegenüber im Norden, den nach der Herrichaft über Italien ſtre—
benden Arabern im Süden gleihmäßig bethätigte. National war es nur,
1*
— —
in wie ferne es von den letzten deutſchen Stämmen, die auf dem Conti—
nente ſeßhaft, ihre Nationalität erhalten hatten, ausgegangen war, die
Langobarden umfaßte, ohne jedoch ihre Romaniſirung hindern zu können,
und endlich, ehe ein Jahrhundert ſeit der Begründung des Kaiſerthums zu
Ende ging, auch die beiden burgundifchen Königreiche (Hochburgund und
Arelat) einſchloß. ES war bezeichnend, daß gerade die alten Gegner der
Franken, die Sachen, die Vereinigung Deutfchlands und Italiens vollzogen,
aber auch bereit der dritte don ihnen zu der Erkenntniß gefommen war,
daß der Befig des Stammlandes vömischer Herrichaft ſich nur behaupten
fafjfe, wenn der Sitz des Kaiſerthums nach Rom verlegt werde.
Nah dem frühen Ausjterben der jächjischen Kaifer folgten für 101
Jahre die Franken bis 1125 ihnen nach, die auf fränfischem Boden ge-
wählt, im Dome zu Speier ſich ihre Grabesftätte bauten, auf die mittel-
rheiniſchen Städte fich ftüßten, aber von Goslar und dem Sachjenlande
aus das Neich zu regieren ſuchten, welches bereits ein mitteleuropätjches
geworden war. Sieben deutſche Könige, 6 Kaifer, 4 ſächſiſche und 2
fränfifche brachten das deutjche Neich zu feiner univerjalhiftorischen Höhe
und als es namentlich durch die Streitigkeiten des vierten Heinrichs mit
den Sachſen, jeit 1056, dem Tode Heinrichs IIL., zu finfen begann, die
großen Principienkämpfe mit den Päpften einen geradezu zerjtörenden
Charakter annahmen, in welchen ſelbſt der chrijtliche Orient fid) gegen
Heinrich V. ausſprach, 309 fi) der Schwerpunkt bereit im XII. Yahr-
hunderte von Deutjchland nach Ftalien, dejjen Kommunen die Freiheit der
Welt gegen den größten Kaiſer der dritten Dynaſtie, der ſchwäbiſchen oder
jtaufischen, fiegreich vertraten und Kaiſer Friedrich Rothbart zum vene-
ttanischen Frieden mit dem Papſte 1177, zum Conftanzer mit ihnen jelbt
zwangen 1184,
Da erfolgte die eigentliche Krife des Neiches, die Erwerbung der
päpjtlichen Lehenkrone von Sicilien durch Kaifer Heinrich VI., den zweiten
jtauftjchen Kaifer, und ihre Vererbung an feinen Sohn Friedrich, die Ver:
einigung der Königskronen des deutjchen Neiches und des deutjchen Kaifer-
thums mit der Erbfrone von Sieilien. Wo befand fich jeitvem der
Schwerpunkt des Reiches und wie ließ fich die erjte Krone der Welt mit
allen ihren Traditionen und Vorrechten vereinigen mit einer päpftlichen
Lehenkrone?
Die Antwort war der größte und nachhaltigſte Conflict der älteren
deutjchen Geſchichte. Dev gewaltige Kampf, den man mit dem Namen
des Kampfes zwijchen dem Prieſterthum und dem Kaiſerthum bezeichnete,
endete mit dem Untergange der dritten deutjchen Kaiferdynaftie, der
— —
ſtaufiſchen, die eine ſicilianiſche geworden war, mit dem vollſten Siege
der Päpſte, mit dem Erlöſchen des Kaiſerthums, ſo daß es von dem Tode
Kaiſer Friedrichs IL. 1250 bis zum Jahre 1312, volle 62 Jahre feinen
Kaifer mehr gab und der Glaube allgemein wurde, es wiirde niemehr zu
einem Kaijerthum kommen. Er endigte mit einer Umfehr der Dinge im
deutſchen Reiche, die einer Auflöfung alles deſſen gleich fam, was feit dem
zehnten Jahrhunderte gejchaffen worden war, gleichzeitig mit dem Aus:
fterben alter. Fürftengefchlechter, der Zähringer, der Thüringer, der Baben-
berger, der Merane und dem Emporfommen von Grafenhäufern an ihrer
Stelle. Bei diefem Umfturze der Dinge wurde nur mit äußerjter Mühe in
der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts der Ausrenfung des Neiches
geftenert und wenigjtens die Einheit des Königthums durch Rudolf von
Habsburg gerettet.
In diefer Zeit begegnen wir einer Thatjache, die auch für unfere
Tage unendlich Iehrreich geworden tft.
Es war der von Böhmen, welches deutfche Könige und Kaiſer zu
einem Königreiche erhoben hatten, ausgehende Verſuch, Oſtdeutſchland,
Böhmen, Mähren, Dejterreih, Steyer, Kärnthen vom Neiche zu trennen,
im Neichslande eine böhmifche Großmacht zu begründen und dadurch
das Reich ſelbſt aufzurolfen, den Conflict, der bisher in Italien gewithet
hatte, nad) dem Stammlande des deutschen Kaiſerthums, nad) Deutjchland
jelbjt zu verpflanzen.
Es war König Nudolfs größte That, daß er der Ausrenkung DO ft-
deutſchlands ſteuerte, mit Gefahr feines Lebens Dttofar II. bekämpfte,
ihn befiegte, den Often dem Neiche erhielt und das habsburgische Dejter-
reich als Warte gegen Böhmen feinem Haufe zuwandte. Es ift unjagbar,
welches Geſchick Deutſchland betroffen hätte, wäre der Ausgang der
Schlacht von Dürnfrut ein entgegengejegter geweſen.
Das Unglück Deutfchlands beftand aber nicht blos darin, daß gleich:
zeitig mit dem Untergauge des ftaufischen Haujes die Macht des fran-
zöfifchen Königthums fich zur erften im Abendlande erhob, eine franzöfiiche
Secundogeniturlinie das Königreich Sicilien gewann und Anjtalten traf,
auf Italien und die Päpſte einen dominivenden Einfluß auszuüben, das
franzöfiihe Künigshaus von Sicilien auch die unter dem Königreiche
Ungarn begriffenen Künigreiche und im XIV. Jahrhunderte jelbjt das
Königreih Polen mit Ungarn vereinigte, jomit Deutſchland — das
deutjche Reich — im Weften, Süden und Often von franzöſiſchem Befisthum
umjchloffen war, jondern, daß gleichzeitig mit diefer halb Europa um—
——
ſpannenden Veräuderung, dem Uebergewichte eines weitverzweigten roma—
niſchen Königshauſes, in Deutſchland nach dem Ausſterben ſo vieler alter
Fürſtenhäuſer und des Kaiſerhanſes ſelbſt, die neuen Häuſer und Grafeu—
geſchlechter ſich zur Aufgabe ſtellten, einander gegenſeitig von dem König—
thum auszuſchließen, und dieſes zur dynaſtiſchen Ausbeutung für ſich zu
behaupten ſuchten. Das von Rudolf von Habsburg begonnene Werk der
Wiederaufrichtuug des Reiches war nur halb gethan, ſo lange nicht
auch das Kaiſerthum wieder hergeſtellt war und das Reich eine neue
(vierte) Kaiſerdynaſtie erlangte. Das letztere verhinderte der Böhmenkönig
Wenzel II., der einerſeits ſeine Stellung als erſter weltlicher Churfürſt
dazu benützte, das Reich zu ſchwächen, andererſeits durch die Erwerbung
Polens und Ungarns eine außerdeutſche Macht neben der im deutſchen
Reiche wurzelnden zu erlangen ſtrebte. Hiedurch entſtand ein neuer Ab—
ſchnitt in der deutſchen Reichsgeſchichte, eine Periode der inneren Kämpfe
zwiſchen den bereits zu Herzogen von Oeſterreich erhobenen Grafen von
Habsburg, den Grafen von Naſſau und von Luxemburg und den früheren
Grafen von Wittelsbach, von welchen der eine Zweig Pfalzgrafen bei
Rhein, der andere Herzoge von Ober- und Niederbaiern geworden war.
Die Periode des blutigen Königſchisma, der Könige der Wahlſtatt, ſeit 1198
ſchon eingebürgert, ja ſelbſt des Königsmordes, ſchien ſtändig zu werden,
als Herzog Albrecht von Oeſterreich gegen K. Adolf von Naſſau auftrat,
letzterer erſchlagen und der Sieger wohl als König anerfamıt, dann aber
einhundert Jahre, nachdem Pfalzgraf Otto von Wittelsbach den jtanftschen
König Philipp erjchlagen, meuchlings ermordet wurde, 1308. Beinahe
gleichzeitig war der letzte premyslidische König von Böhmen ermordet
worden und begannen nım die Streitigkeiten um diefes churfürftliche König:
veich, defjen weitausgreifende Tendenzen die Nothwendigkeit erzeugt hatten,
e3 auf das Innigſte mit dem deutjchen Neiche zu verfniipfen. Es war
K. Albrechts Verdienft, nicht blos Böhmen für feinen Sohn 8. Rudolf; den
erjten deutſchen König VBöhmens zu gewinnen, fondern auch von dem
böhmischen Adel feſte Zuficherungen für feine Dynaftie zu erlangen, die
ſich dadurch den Weg zur deutschen Krone bahnte. Aber diefe Zukunft ver:
zog ſich, als K. Nudolf 1307 ftarb, der dechiſche Adel, der 1306 den König
Wenzel hatte meucheln laſſen, feine großen Stipulationen brach, 8. Ru—
dolfs Bater, 8. Albrecht J., ein Jahr nach ihm ftarb und nun Heinrich
Herzog von Kärnthen, König von Böhmen wurde, Noch mehr, als durd)
den Einfluß der Churfürjten von Mainz und Trier ein weitdeuticher Graf,
Heinrich von Luremburg, vömijcher König wurde, dieſer feinem Sohne
Johann die böhmifche Krone verlieh, König Heinrich der Kärnthner aus
a
Böhmen vertrieben, Johann eingefegt wurde und dann, was der erjte Ru—
dolf nicht erreicht, K. Heinrich der Luxemburger die Wiederherjtellung des
Kaiſerthums nach einer jo langen Vacanz durchjegte. Man konnte damals
(1312) nach menjchlicher Vorausſicht mit mehr als Wahrfcheinlichkeit an-
nehmen, daß das Neich jet eine vierte Dynastie erlange und wenn diefe
auch nicht die alemanniſche dev Habsburger war, Teßtere vielmehr der beiden
Kronen des Neiches und Böhmens zugleich verlujtig gingen, doch num eine
wejtdeutjche, die im exjten Anlauf die beiden den Habsburgern entriffenen
Kronen und die Kaiſerkrone dazu erlangte, berufen fei, emdlich die lang—
vermißte Stetigfeit in die Neichsangelegenheiten zu bringen und namentlich
das dentjche Königthum einer Barteiung zu entreißen, die Nationalinftitution
geworden zu fein fchien. In diefem verhängnißvollen Momente ſtarb
Kaiſer Heinrich, den wir den Siebenten nennen, 1313, und begamı der
neue Königskampf zwijchen den wittelsbachijchen und habsburgifchen Better,
Friedrich III. dem Schönen und Ludwig Herzog von Oberbaiern, der zu
den ſchlimmſten Ereigniffen der deutjchen Gefchichte gehört, da er auf dem
firchlichen Gebiete eine nicht geringere Verwirrung erzeugte al3 auf dem
weltlihen. Ya er führte zulegt zu einer völligen Ohnmacht des deutjchen
Kaiferthums, nachdem Ludwig der Baier durch die Tragifomödie feiner
illuſoriſchen Kaiferkrönung sin Rom einen Principienfampf eröffnet hatte,
deſſen Tragweite er jelbjt faum bemaß. Bald übermüthig und hochfahrend,
bald kleinmüthig und verzagt, immer aber bemüht, jein Hausgut zu ver:
größern und dadurch feinem improvijirten Kaiſerthum eine Stüße zu
gewähren, die diefem feit den Tagen der Hohenjtaufen fehlte, nach Tivol
und nacı Brandenburg wie nach Holland und Seeland ausgreifend, ſank
unter ihm das Karferthum tiefer als je, jo daß P. Elemens VI. förmlich
über dasjelbe hinweg wie zur Tagesordnung jchreiten Fonnte. Ward er im
ungemefjenen Streben, das wittelsbachiſche Hausgut in das Unendliche zu
vermehren, ein wilrdiger Vorgänger feines gewandten Gegners Karl von
Mähren, Sohn K. Johanns von Böhmen, fo fuchte und fand diefer die
Haupjtüge feiner Macht im Neiche, in welchem K. Ludwig ſich dauernde
Feindfchaft bereitete, und als diefer bereits zu unmwürdiger Erniedrigung feine
Zuflucht genommen, lief ihm exjt noch der böhmiſche Luxemburger in Avignon
den Rang ab. Das Neich war des Baiern müde geworden, der avignoneſiſche
Papſt drohte jelbjt auf dem Wege der Provijion iiber das erledigte König:
thum zu verfügen, als ſich der Enfel des Wiederherjtellers des Kaiſer—
thums, Karl, entjchloß, in Uebereinftimmung mit jeinem Vater die fchweren
Bedingungen anzunehmen und jener apitulation ſich zu unterwerfen,
unter welcher ihm fein früher Erzieher, B. Clemens VI., vorläufig das
=, Be
römische Königthun 1346 zuerkannte. Ein plöglicher Tod 11. Oct, 1347
befreite Ludwig den Baiern von dem Schicjale Ottos IV., der vor feinem
Gegner Friedrich II., „von Gottes und des apojtolischen Stuhles Gnaden
König der Römer” entfliehend, im Dunkel geendet hatte, und das Reich vor
langem Birgerfriege. E3 erhält an dem Enkel Kaiſer Heinrichs VII. einen
König und 1355 einen Kaifer, der fi) mit vollem Nechte von des apo-
ftolifchen Stuhles Gnaden jchreiben konnte. Tiefer war bisher das Neid)
nicht gefunfen, tiefer konnte es nicht finfen, als in den letzten Fahren
K. Ludwigs, in den erjten K. Karls IV. So waren die Anfänge jenes
Karl, der der Wohlthäter Böhmens, der Begründer der nad) ihm genannten
Univerfität geworden iſt, der Schöpfer eines Regierungsſyſtemes, welches,
noch eine Generation mit Confequenz fortgeführt, es zwar nicht zur Ent:
gliederung des deutjchen Reiches wie Ottokar II. gewollt, aber zur all-
mähligen Vereinigung in einen böhmifchen Großftaat, zu einem Aufgehen
Deutſchlands in Böhmen, zu einer ftaatlichen Einheit gebracht hätte.
Der Zögling des Parifer Hofes, der Neffe eines Sohnes des gewalt-
thätigen Königs Philipp IV. von Frankreich, der vor feinem Mittel
zurücigebebt hatte, die Macht des Königthums zu vermehren und den
ZTerritorialbeftand der franzöftichen Monarchie zu erweitern, hatte in Paris
die Quelle der Macht, die Einheit der Gewalten, fennen gelernt, er war
in allen Beziehungen ein gelehriger Schüler, der zu fchweigen und zu
handeln, zu ertragen und feine Gefinnung zu verbergen wußte, und ftets
feinen Vortheil erjah und wahrte.
Der Grund feines Weſens war VBorficht, die ihn, nachdem er die
oberjte Macht erlangt, lehrte, allen Conflicten aus dem Wege zu gehen,
Geduld zu üben und von der Zufunft zu erwarten, was die Gegenwart
nicht gewährte. Aber niemals verſchmähte er anzunehmen, was die leßtere
ihm bot, und jelbjt ein entlegener Bejig war ihm genehm, da er in ihm
den Ausgangspunft anderer Erwerbungen erblidte. Er hatte in feiner
Jugend mit feinem Vater in Italien Territorien zu gewinnen gejucht;
K. Johann, nicht ein fahrender Ritter, wenn auch ziemlich unftet, bejaß ein
bedeutendes diplomatisches Talent. Er erlangte Schlejien, das er gleich
Mähren zur böhmijchen Krone fügte, für feinen jüngeren Sohn gewann
er Zirol, verwandtjchaftliche Beziehungen ficherten ihm die Freundjchaft der
niederbaierifchen Herzoge, jo daß von den Grenzen von Polen an bis in
die Lombardei ihm der Zuzug offen ftand. Sein Sohn fchritt auf diefem
Pfade weiter. Während Cola di Nienzi feinen Kopf zum Pfande jegen
wollte, daß die Päpſte feine Wiederheritellung des Kaiſerthums wollten,
erlangte er die Kaiſerkrone doch. Er benüßte fie, feine Macht zu befejtigen
— —
und ein Reichsgrundgeſetz zu erlaſſen, das ganz ſeinen Stempel trägt. Es
gibt wenig oder gar nichts Neues, wohl aber Normen, wo bisher ſchwan—
fende Rechtsverhältniſſe waren, ordnet vor Allem die Königswahlen, um
die Hauptpunfte der deutjchen Uebeljtände, die Streitigkeiten um die Krone
zu befeitigen, die feit 150 Jahren unaufhörlich ftattgefunden; bejtimmte die
Berechtigung der Wahlfürften, läßt diefen die erworbenen Nechte und fügt
für die Zukunft hinzu, daß die Söhne der Churfürften tſchechiſch lernen
jollten. Er ftellt nicht Prag als NReichshauptitadt auf, aber factijch wird
fie, wie der Diejjenhofer jagt, was Rom war und Konftantinopel ift. Er
erwirbt die Churmark Brandenburg und incorporirt fie der Krone Böhmen.
Er gewinnt Territorien, um auf eigenem Gebiete zur Neichs- und Neichs-
tagjtadt Nürnberg zu fommen. Es wäre vielleicht nicht zu ſchwer zu
beweijen, daß er auc den Weg nach Frankfurt in ähnlicher Weije zu
gewinnen trachtete; eine genaue Karte aller erworbenen Lehen wiirde
Staunen erregen, wie weit in das Herz von Deutjchland fein Bejigthum
reichte. Man hat darüber geftritten, ob er ein Deutjcher oder ein Slave
war; bejjer wäre es vielleicht, um zur Wahrheit zu gelangen, die Frage
zu formuliven, ob er mehr Tſcheche oder mehr Deutjcher war, und die Ant-
wort dürfte lauten, er war ſtets was ihm zur Erreichung feiner Zwecke
dienlich fchien, aber fein Herz hing an Böhmen. Hatte er den römifchen
Stuhl widerwillig dahin gebracht, daß er dern doch zum Kaifer gekrönt
wurde, jo brachte er ihn auch dazu, fich der Wahl feines Sohnes Wenzel
zum römischen Künige nicht zu widerjegen. Der Kaifer rechnete auf eine
Generation, in welcher das zur Neife komme, was er ſelbſt begründet, und
die Ehurfürften, welche noch nicht zum Haufe Luxemburg gehörten, deren
Länder noch nicht Böhmen incorporirt waren, tjchechifch jprächen, eine Kunſt
oder gar eine Tugend, zu deren Uebung er ihnen wahrjcheinlich auf bisher
deutjchem Boden Gelegenheit zu geben hoffte. Es lag nicht in der Eigen:
thümlichfeit Karls, dem Zufälligen, Unberechenbaren, mehr zu überlaſſen,
als unumgänglich) nothwendig war; er liebte es nicht, durch Ereignifie,
welche er nicht vorhergejehen, überraſcht zu werden, und hatte deshalb alle
Anftalten getroffen, daß das begonnene Werk auch nach feinem Tode nicht
in Stoden gerathe. Er hatte jich nicht blos des römischen Stuhles ver:
fichert, er hatte einen wefentlichen Antheil an der Rückkehr desjelben aus
Avignon genommen. So befreundet er aud mit den Valois war, fo betrieb
er doch die Befreiung der Päpfte von überwiegend franzöfiichem Einflube.
Ihre Rückkehr nach) Rom verlich die Bürgjchaft einer jo nothwendig ge:
wordenen umfaſſenden Neformation. Die erjtere erfolgte umd das große
Bapftichisma begann. Gerade jegt erfolgte der Tod K. Karls 1378 und
— 0% —
6
hielt 8. Wenzel es nicht für nothwendig, nach Italien zu ziehen, die
Kaiſerkrone zu erlangen, dem Beifpiele eines Deinvichs III. zu folgen, der
dem Streite dreier Päpſte durch Erhebung eines Deutjchen ein Ende
gemacht hatte (1047).
Wir fehren zu der früher aufgeworfenen Frage zurüd. Bilder die
Negierung Kaiſer Karls IV. das Ende eines großen Abjchnittes der deutjchen
Staijergefchichte oder eröffnet jie eine nene Periode derjelben ? Die Antwort
kann eigentlid) erjt dann volljtändig gegeben werden, wenn nachgewiefen worden
ift, daß fein Kaiſerthum feine Fortfeßung fand; daß, was er unternahm, in
Stoden gerieth, eher das Gegentheil von dem geſchah, was er beabjichtigte,
als daß ſich eine nach Vollendung des umjichtig Begonnenen ringende
Fortſetzung ergeben hätte. Sie wird nocd einfacher lauten, wenn fich zeigt,
daß gerade die Auflöfung deſſen eintrat, was ex gejchaffen, er ſomit felbjt
zum Denfzeichen einer mit ihm abgejchlofjenen Periode wurde,
Es gehört zu den Geheimniſſen einer fittlichen Weltorduung, daß fich
die ſchlimmen Eigenjchaften cher auf die Söhne vererben als die guten, und
jelbjt der erworbene Belig nur dann ein jicheres Erbe ijt, wenn er mit
gleicher Energie behauptet wird; die in der BVerjchievenheit des Beſitzes
ltegende Ungerechtigkeit verlangt eine Ausgleichung. Sie liegt darin, daß
der Sohn die Saat des Vaters frevelnd zertritt, wie daß er ernte, was
unter den Händen der Uibermüthigen fich für Andere zur Giftjaat verfehrte.
Auch K. Karl konnte feinem Sohne und Nachfolger die Beweglichkeit
und Thatkraft nicht verleihen, die des jüngeren Sohnes Markgrafen Sigmunds
Antheil wurde, und cbenfo wenig hindern, daß, wenn eine Andentung uns
zu einem Schluße berechtigt, K. Wenzel einen leiſen Hang feines Vaters
zur verderblichen Trunkſucht befaß und dann felbftändig ausbildet. Man
bezeichnet K. Karl als rechten Durchechter der Chrijtenheit, ein jchwer
zu erffärender Ausdrud, der vielleicht bezeichnet, daß man ihm auf allen
Gebieten ſeine eigene Zwede verfolgend begegnete, ex niemals in der Verfolgung
jeiner Pläne jtille ftand. Er ähnelte in diefer Beziehung dem zweiten habs:
burgiichen Kaifer, Marimilian I. Während aber Legterer zu häufig und zu
raſch von einem einmal gefaßten Plane abjpraug, verfolgte K. Karl das
einmal ins Auge gefaßte Ziel mit aller Conſequenz und Beharrlichkeit.
Es bleibt die fir ihn zeugende Thatfache, daß, wenn er das römiſche
Königthum in nicht zu vechtfertigender Weije erlangte und das Kaiſerthum
unter höchjt demilthigenden Bedingungen, die im Anfange feiner Regierung
nod überwältigende Macht der Päpfte am Ende derjelben, freilich durch ſich
jelbjt gebrodyen, da lag und die Gefahr einer allgemeinen Auflöfung der
Dinge, des Zuſammenbruches der geſammten mittelalterlichen Ordnung wur
u ER
durch das Kaiſerthum, welches die Bäpfte jo oft gefchmälert, abgeweudet
werden konnte. Die Nothwendigkeit eines fraftvollen, jeiner Aufgabe jelbit-
bewußten Kaiſerthums trat am Ende feiner Tage entichiedener als je hervor;
auch ein Triumph für ihn. Er konnte im Innern des Neiches die großen
Gegenſätze zwijchen geiſtlichen und weltlichen Fürſten, zwijchen repu—
blikaniſcher und erbfürſtlicher Ordnung, zwiſchen Reichsſtädten und
Reichsfürſten nicht beſeitigen, wohl aber hindern, daß ſie nicht zum
Untergange des Reiches aufeinander platzten und in heftigen unverſöhnlichen
Barteifämpfen Fein gemeinſames Intereſſe mehr aufkommen Liegen. Er
konnte mit kluger Hand den Kampf verjchiebeu; es war die Frage, ob ſich
dadurch die Gegenfäge abjchliffen oder jchärften. Bor der Hand war das
Mögliche erreicht. Dazu gejellte ſich aber noch eine andere Thatjache.
Die Zeiten waren längjt vorbei, in welchen der zum Könige gewählte
Herzog auf fein Herzogthum verzichtete und die dem Neiche anheingefallenen
Lehen diejem wieder verlieh. K. Karl hatte Böhmen jo groß gemacht, und
das Kaiſerthum war fortwährend jo arm geworden, daß man fich das
Kaiſerthum ohne die materielle Grundlage des reichen Königreiches
Böhmen nicht mehr denken konnte, wie e8 denn and) noch in viel jpäteren
Zeiten als Sprichwort galt, die römiſche Krone gehört auf die böh-
miſche. Kaiſer Karl hatte aber auch mit Enger Umficht dafür gejorgt,
daß es fein deutjches Fürſtenhaus gab, welches dem nach dem Oſten ver:
pflanzten luxemburgiſchen Katferhanje gefährlich werden Fonnte. Es gab
überhaupt nur mehr ein Kaiſerhaus in Deutichland, das feine. Da
das Kaiſerthum Ludwig des Baiern nicht blos vom römischen Stuhle nie
anerkannt, jelbjt verworfen worden war, die eigenen Söhne Ludwigs
aber ich von ihm als Kaiſer Iosjagten, konnte man von einem wittels-
bachiſchen Kaijerhaufe nicht veden. Den älteren pfälzijchen Zweig hatte
Karl IV. glei anfänglih auf feine Seite gezogen; ihm beftätigte er
auch die Churwürde und damit das Neichsvicariat. Von einer Chur:
wiirde Baierns, d. h. der Erben Ludwigs des Baiern, war Feine Rede
und die nicht baierische, aber wittelsbachiiche der Mark Brandenburg wußte
Karl durch geſchickte Unterhandlungen mit den unbedeutenden Chur:
fürjten Otto von Wittelsbach für fein Haus zu gewimen Das habs—
burgische Haus war wohl ein fünigliches, aber fein Faiferliches und hatte
vor nicht langer Zeit erſt in jeiner Bewerbung um das Königtum Schiff:
bruch gelitten. Es war das Klügjte, was die Habsburger, damals anf den
Nang einer zweiten oder dritten Macht herabgedrückt, thun konnten, ſich
zu jammeln, von unfruchtbaren Bewerbungen abzujtehen, den Zerritorial-
befig durdy Kärnthen und Tirol zu vermehren, und wein es ſich Herzog
Rudolf IV. beifommen ließ, ſich neue Ehren und Titel beizulegen, jo jorgte
K. Karl dafür, daß diefe Ehren feines Schwiegerjohnes feinen Beſtand,
feine praftiichen Folgen hatten. So lange das Haus Habsburg der dur:
fürſtlichen Würde entbehrte — und woher follte es dieje erlangen ? — Böhmen
aber die doppelte Chur Böhmen-Brandenburg und den großen Einfluß auf
die Bejegung der geiftlichen Churfürjtenthümer bejaß, war das Haus König
Rudolfs nicht blos überflügelt, e8 war auch für die Luremburger unges
jährlich. In ähnlicher Weife verhielt es fich mit den übrigen Fürftenhäufern.
Der Unterfchied zwilchen ihnen und dem Kaiſerhauſe war jo groß, wie er
etwa nach dem Sturze der Welfen zwijchen dem ftaufischen Kaijerhauje
und den übrigen deutſchen Fürftenhäufern war.
Dazu gejellte ſich erſt noch die Stellung, die Karl in religiöjer Be—
ziehung behauptete. Nicht blos durch prachtvolle Kirchenbauten, durch Be:
gründung von Klöftern, wobei er auch böhmische Mönche nach Deutjchland
vorſchob, fondern vor Allem durch Begründung des Prager Erzbisthums,
wodurch er Böhmen auch in Eirchlicher Beziehung von Deutjchland ſelbſt—
jtändig machte. Das Recht, den König von Böhmen zu Frönen, wurde dem
Nachfolger des Hl. Bonifacius entzogen und dem Erzbifchofe von Prag
zugewendet. Dasſelbe gefhah mit dem bisher geiibten Metropolitenverbande,
jo daß die böhmifche Kirche von der deutfchen unabhängig wurde, was für
jpätere Vorgänge gar nicht ohne Wichtigkeit war. Während die Univerjität
mit ihren 4 Nationen, zwei deutjchen und zwei flavifchen, einen Vereini—
gungspunkft zwiſchen der deutjchen und der flavischen Welt bilden jollte,
wie Bologna und Paris Weltuniverfitäten geworden waren, follte jich in
irchlicher Beziehung Böhmen von der übrigen Welt, von der deutjchen,
mit der fie bisher ihren Fundamentalinftitutionen nach zufammenhing, aus:
jcheiden und nur der Zufammenhang mit dem allgemeinen Mittelpunkt der
hriftlichen Welt bleiben. Ob ihm Har geworden ift, welche Folgen bei feinem
ohnehin der nationalen Ausſchließlichkeit und der Ueberjpanntheit geneigten
Volke leicht entjtehen konnten, entjtehen mußten, wenn es auch noch eine
böhmifche Kirche gab, die er aber denn doch nicht in Ähnlicher Weiſe ſchützte,
wie die deutſche gejchügt war, durch Verfaſſung und Recht, jo daß ein
Angriff auf ihren Befigjtand als ein Angriff auf die gefammte Neichsver-
fafjung angefehen wurde?! Ihr war das Wahlrecht gefichert, während
die böhmifche Kirche weder das Recht der Standihaft für ihre Oberhäupter
erlangte, noch fiir ihren Bejigftand ein anderes Necht als das fünigliche, das
je nach dem rechtlichen oder minder rechtlichen Sinne der Könige auch einer
mehrfachen Deutung fähig war. Der Churfürjt von Mainz war als Reichs:
fürft unabhängig von dem Katfer, der nur indirect einen Einfluß auf feine
Ge! A
Wahl erlangen konnte. Der Erzbichof von Prag wurde vom Könige ernannt
und fein Befisthum galt als königliches. Es lag in dem kirchlichen Ver—
halten Karls etwas ſtark Byzantinijches. Er liebte auch durchaus nicht eine
Theilung der Gewalten mehr, als unbedingt nothwendig war, und während
er in Nürnberg und der weftlichen Reichsſtadt Met die goldene Bulle
verkünden Tieß, fand er wohl Luft und Zeit, für das Königreich Böhmen
eine ähnliche Urkunde auszuftellen, die den König jelbft vor Gewaltjam-
feiten, fein Reich vor inneren Unruhen, vor wilden Ausbrüchen der Selbit-
hilfe, vor Leidenschaft, Willkür und Brutalität jchüßen follte, aber feine
Macht fand hier ſehr bedenkliche Grenzen. Mit aller Energie und dem
ganzen Aufgebote verfügbarer Mittel drang er in einem der mwejentlichjten
Punkte doch nicht durch. Es beruhte zulegt denn doch Alles darauf, daß in
dem Geifte fortregiert wurde, den Karl IV. bethätigte, wir würden jagen,
auf dem perjünlichen Negime, das jehr leicht in das Entgegengejegte von
dem, was der Vater wollte, umfchlug, wenn der Sohn jene vortrefflichen
Eigenjchaften nicht beſaß, die der Vater bei Gelegenheit der Wahl Wenzels
zum römiſchen Könige in ihm erblidte und zum Behufe derjelben rühmend
hervorhob. Was aber dann, wenn das ftille ftand, was Karl begonnen, aber
jelbjt nicht zu Ende führen fonnte? So ftand denn bei Karla IV, Tode die
Thatſache feit, daß er das Kaifertfum wieder aufgerichtet hatte, ob das
deutjche war die Frage, das Inremburgifche ohne Zweifel. Stärker als
je jeit den Tagen Ottofars IL. trat das flavifche Element im Reiche hervor;
e8 hatte weniger eine gefegliche, als eine dominirende Stellung erlangt und
rief dadurch iiber kurz oder lang auch den deutſchen Antagonismus hervor.
Es kam Alles auf feinen Nachfolger au, ob man Karl als den das alte
Kaiſerthum abjchliegenden Fürften zu betrachten hatte und jein Grab nicht
der Ausgangspunkt eines neuen Conflictes, eines Nationalitätenhaders in
deutjchen Weiche werde, den man bis dahin gar nicht kannte und der eine
Gewalt, einen Umfang zu erlangen vermochte, welcher den durch Karls IV.
Nachgiebigkeit zu Ende gebrachten Streit zwifchen dem sacerdotium und
dem regnum, wenn nicht an Dauer doch an Gehäfligkeit, überragen konnte.
Und daß er diejen legten Streit, den Ludwig der Baier auf's Neue ent-
zündet, zu Ende getragen, bleibt für Karl fein geringes Verdienſt, wenn
wir auch die Art, wie er es that, nicht der Ehre und Würde eines römischen
Königs für angemeffen erachten, noch fie billigen können. Das Verdienſt
bleibt jelbjt ungefchmälert, wenn an Karls Schöpfungen ſich ein neuer und
für das Reich wie die Kirche nicht minder gefährlicher Streit anknüpfen
jollte. Wir haben aber, um das Nachfolgende in das richtige Licht zu
jtellen, der geiftigen Bewegungen in den Tagen Karls und feines Verhält-
niſſes zu ihnen noch etwas genauer zu gedenken, wobei ich aufmerkſam
machen muß, daß Geiſtig und Geiſtlich in jenen Tagen meiſt zufam-
menfielen und nur langſam fi) eine Scheidung beider Gebiete vollzog.
Die gewaltigen Stürme, welche unter Ludwig dent Baiern nicht ohne fein
Zuthun entfefjelt worden waren, verhalten in Deutſchland zum großen
Theile, che der Gegier Karls im Walde von Fürſtenfeldbruck 11. October
1347 das Biel feines iwwdiichen Lebens gefunden. Die Männer, welche
nicht gezögert hatten, um der Armuth Chrijti willen, als wäre dieje der
Inbegriff der chriftlichen Lehre, im dritten Jahrzehente des XIV. Jahr—
hundertes die geistige Welt in Bewegung zu fegen und einen Streit zu
erregen, der Papſtthum und Kaiſerthum aus ihren Yundamenten zu
heben drohte, hatten zum großen Theile ftill und unſcheinbar geendet.
Ihr Führer, der frühere Generalminifter des Minoriten » Ordens, Bruder
Michael von Eejena, der das Beijpiel des Abfalles gegeben, hatte auch
das der Unterwerfung gegeben, als ex feinen Frieden mit der Kirche
machend, die bedentendite That jeines Lebens als den größten Irrthum
bezeichnete, und dadurch den Triumph des avignoniſchen Papſtthums nicht
wenig erhöht. Die Unterwerfung der Führer und -Häupter Tieß vollends
die jtarre Oppofition der andern, die fort und fort am Sabe feithielten,
P. Johann XXII., welcher ihren Anſchauungen entgegen getreten, jei ein
Häretifer, als nicht zu duldenden Trog als eine Unbotmäßigfeit erjcheinen,
die gebrochen werden müſſe. Nicht blos Bruder Franz von Archita (Archata), der
auf Erden nichts beſaß, nicht einmal den Rod den er trug — ſein nannte,
und anf dem Dolzjtoge noch behauptete, jowenig als Johann XXII. ſeien
auch dejjen Nachfolger Benedikt XII, Clemens VI., Innocenz VI. vechtmäßige
Päpſte, endigte in den Flammen ſein Leben, jondern auc gar manche
andere, die auf ihre perjünliche Meinung gejtüßt die Berechtiguug der
übrigen chriftlichen Welt leugneten. Mit dem ſummariſchen Brocejje, welcher
jrgt namentlich in der Provence auffam und nach einem dem romäiſchen
Reiche entlehnten Verfahren das abendländiiche Europa mit einem eigen:
thümlichen Facdeljcheine beleuchtete, bis endlich die nachfolgenden veligiöjen
. Bürgerfriege 08 in eine große Lohe einzuhüllen drohten, war im Ganzen
wenig geholfen. Das Zeitalter ward dadurch weder gebejjert noch auf:
geklärt, wohl aber blicb wie im Allgemeinen der Hang nad) Nomantijchem
md Anßerordentlichen, nach einem unmittelbaren Eontacte mit dem Ueber:
jünglichen überwiegend, wie eine Neigung zur Unklarheit, zur willkürlichen Con—
ſtrnirung der Profan- und Heiligengefchichte, zu Prophezeihungen und Ver—
fündigung eines nahebevorſtehenden Wehes, wobei jelbjt 8. Karl nicht von
der Nolle des Antichrijts verjchont blieb, mit der ihn der Schwärmer Milte,
> Mer
der charafteriftiiche Feind allgemeiner Studien, beehrte. Steht nun K. Karls
32jährige Negierung als die Periode da, im welcher die großen Erjchüt-
terungen der unmittelbar vorausgegangenen ji) verzogen und eine viel-
leicht aus der Erſchöpfung hervorgegangene Beruhigung fich bemerkbar
machte, ein Bedürfniß nach Ruhe und Ordnung, jo kommt ihr doch nicht
blos der Charakter einer Reſtaurations-Periode zu. Gerade in diejer Zeit
ijt eine allgemeine Erhebung der ſlaviſchen Nationalität bemerkbar.
Bon Kleinpolen und Krakau ausgehend erwarb Caſimir der Große, Groß:
und Kleinpolen vereinigend, die Piaftenerbichaft Nothrußland und Wla-
dimir und legte dadurch felbft ven Grund zu einer ganz neuen politischen
Combination, der Bildung eines großen lateinischen Dftreiches durch
Vereinigung Polens und Ungarns. Auf anderer Grundlage, der des orien-
taliſchen Schismas begrimndete Stefan Dufchan, mit welchen fich Karl
durch jlavisches Blut verbinden erklärt, 1354, das ſerbiſche jchismatifche
Kaiferthum, dem das gleichfalls ſchismatiſche Kaiſerthum der Bulgaren
nicht ohne Anlehnung an die, an der Nordküſte des Schwarzen Meeres
begründete Zatarenherrichaft zur Seite fteht, beide ihre Spige vor Allem
dem romäiſchen Neiche der Paläologen zufehrend. Mochten die deutjchen
Fürften in ihrer Indolenz und immer unter ſich hadernd, die Gefahr, welche
aus diefem Uebergewichte der Slaven der germanischen Welt drohte, fo
wenig oder noch weniger erkennen als e8 heutigen Tages der Fall ift,
K. Karl hatte ein jehr Tebendiges Gefühl fir das Slaventhun, dem er
jeiner Mutter nach, einer Enkelin Ottokars Il, angehörte und zögerte auch
wicht, wie er durch die Lanfig, Schleften und Mähren ein Großböhmen
gewonnen, das jlavische Intereſſe vor Allem auf dem ficchlichen Gebiete in
den Vordergrund zu jehieben, mit vichtigem Gefühle bemejjend, daß, wenn es
nur einmal hier Ducchgedrungen, das Uebrige jich von jelbjt ergeben werde.
K. Friedrich Barbarofja hatte einft aus dem Bilchofe von Prag einen
deutſchen Keichsbifchof gemacht ud dem Herzoge von Böhmen einen Reichs:
fürjten gegenüber geftellt, jeine Macht zu fchmälern, die des deutſchen
NeichSoberhauptes zu erweitern. Davon war jegt nicht mehr im Entfernteften die
Nede. Als Karl entjchloffen war, die böhmijche Kirche von ihrem bisherigen
Berbande mit der Metropolie des heiligen Bonifacius zu trennen, wurde
das Firchliche Intereſſe mit dem flavischen verbrämt in den Vordergrund
gejchoben. ES wurde von den Bisthimern Prag und Olmütz zugleich be-
merkt, fie lägen 12 Tagereifen von Mainz entfernt, die Einwohner ſprächen
Havisch, was den andern Bewohnern der Mainzer Kirchenprovinz unver-
jtändlih jei. Der Weg nach Mainz ſei durch Straßenräuber, Wälder
und Berge zu gefährlich, daß die kirchliche Vifitation dur den Mainzer
— |
Erzbifchof nur einmal zu gejchehen pflege. Die beiden Didcefen Prag und
Olmütz feien zu ausgedehnt, weshalb nichts anderes übrig bleibe, als fie von
Mainz zu trennen und Brag zur Metropole zu erheben. Es ift bier nicht
nothwendig auszuführen, wie vortrefflich der Zeitpunkt gewählt war, da
Erzbifchof Heinrih von Mainz als Anhänger Ludwig des Baiern gebannt
und abgejegt war. Der Churerzfanzler des deutjchen Neiches, der
Churfürft von Mainz verlor das ihm bisher zuerfannte und ausgeübte
Necht, den König von Böhmen zu frönen an den Primas dieſes Königreiches,
der nicht blos Olmütz und Leitomifchl zu Sufraganen erhielt, fondern auch
2 deutjche, zur Befehrung der Slaven von deutjchen Kaifern gegründete
Bisthümer Bamberg und Meißen wurden gewifjermaßen dem neuen Primas
untergejtellt und jomit in die deutjche Kirchenordnung ein gar nicht unwe—
jentlicher Rif gebracht. Da Karl ermittelte, daß der Lateinische Kirchenvater
Hieronymus bereits im fünften Jahrhunderte das Evangelium aus dem
Hebräifchen in das Lateinische und in das Slavifche überjegte, wurde den
Mönchen zu Emaus in Prag geftattet, den Gottesdienft in ſlaviſcher Sprache
zu halten, aus welcher das tichechifche hervorgegangen fei. Die neue Metropole
erhielt allmälig ein Jerufalem, ein Emaus, ein Bethlehem, die Corpus-
Christi-Kivche, in welcher jährlich dem Volke der reiche Neliquienjchag
aus aller Herren Ländern und wie Karl glaubte, bis auf Mojis Zeiten
hinaufveichend, ſomit höchſt zweifelhafter Echtheit, gezeigt wurden, Nur
langjam erwachte aber das Andenken an die fogenannten Slavenapoftel
Eyrill und Methud, von deren Wirkfamkeit in Böhmen das biſchöfliche
Officium der Prager Kirche nihts wußte und nur die jpäteren
Legenden in den Sammlungen der Leben der Heiligen berichteten, daß
Methud am Hofe des Mährenfürften den tſchechiſchen Herzog Botimoj ge-
tauft und bei diefer Gelegenheit die jegt eingetvetene Größe Böhmens vor:
hergeſagt habe! Die Erinnerung an die deutjchen Biſchöfe von Regensburg,
die das Chriſtenthum in Böhmen begründet, an den bl. Wolfgang, der zur
Begründung des Prager Bisthum die Hand gereicht, Icbte no im Dome
fort, die erzbiſchöfliche Würde aber fam bis auf den unmirdigen Weit:
falen Konrad, eine Creatur 8. Wenzels, nur Tichehen zu. Die Einrichtung
jelbft aber verging jchon im der nächjtfolgenden Generation, als die Hu-
jiten die Aufgabe fich zuerfannten, Böhmen vom ausjchließlich ſlaviſchen
Standpunkte aus neu zugeftalten, man könnte jagen, Karl in ihrer Weije
ablöften.
Das war mun Karls Abficht gewiß nicht. Aber bald fürdernd, bald
hemmend, mit den Wogen fämpfend und wieder von ihnen getragen, ſchuf er
bewußt oder unbewußt aus den Elementen feiner Regierung eine neue Zeit und
PER, \, RES
arbeitete er jelbft den Männern der Zerjtörung in die Hände. Wenn er gleich
anfänglich jene Anftalten traf, die das deutſche Reich auf Koften des ſlaviſchen
Momentes jchädigten, jo fallen ſie in die Periode feines Antagonismus
gegen K. Ludwig, dem er nie vergaß, daß durch feine Bemühungen das Haus
Luxemburg den Schlüfjel zu Ftalien, Tirol, verloren hatte. Ihm konnte
der unfelige Hang der Tſchechen, jich gegen Alles, was Ausland ift, abzu-
ſchließen und in erträumter Selbjtgenügjamfeit zu verharren, nicht unbe-
kannt fein. Er fuchte ihn zu brechen, ihren Gefichtsfreis zu erweitern; er
trug nicht blos aus Deutjchland, Frankreich, Italien, was er fonnte, zu—
fammen, um Böhmen zu ſchmücken, fondern auch um dieſe bejchränfte
Ausjchlieglichkeit zu brechen, die jchon aus Unkenntniß anderer Zujtände
eine ungemejjene Selbjtüberihäßung hervorzubringen geeignet war. Der
Kaiſer konnte ſich gar nicht der Thatjache verfchließen, daß, wie die Dinge
damals Tagen, die flavifche Welt im Aufgange, die deutfche im Niedergange
begriffen war. Er pflegte Enthujiaften wie Francesco Petrarca die ganze
Nüchternheit eines Verſtandsmenſchen entgegenzuftellen und beantwortete
die Hinweifung auf die antike Herrlichkeit des Kaiſerthums mit der auf
die Gegenwart, ald es eine Art von Ungeheuer (bellua) geworden war.
So ſehr er eine Reform betrieb, jo jehr war er aud mit den Schwierig-
feiten derjelben vertraut. Wenn in der Periode unferer großen Umwälzung
es jchlimme Sitte geworden war, mehrere Bisthümer in Eine Hand zu
vereinigen ‚und mehr an die Vermehrung der Macht und des Genußes
als an die Pflicht zu denken, jo war es jegt Sitte geworden, fich von
einem Bisthume zum anderen verfegen zu laſſen, und das weniger einträg-
lihe mit dem einträglicheren vertaufchend, eine neue Art von Wander:
biſchöfen zu bilden. Die große Frage über das Verhältniß des Kaiſer—
thums zum Bapjtthume, die von Heinrich IV. au bis zum Tode Kaijer
Friedrich II. die abendländische Welt bewegt hatte und jehr zur Unzeit von
Ludwig dem Baiern wieder aufgefriicht worden war, hatte fich nicht blos
in die Frage umgewandelt, ob der Elerus zum weltlichen und damit
zum jtandesrechtlichen Bejigthum berechtigt jei, jondern ob überhaupt es
mit den Anfchauungen chrijtlicher Vollkommenheit ibereinftimme, einen
Beſitz zu haben. Die Päpſte hatten jich gegen die Eiferer, zu welchen
bejonders die aus dem Franziskanerorden hervorgegangenen Fratricellen
gehörten, erklärt und dadurch verhindert, daß nicht Erwerb und Befigjtand,
Handel und Wandel außerhalb der chriftlichen Entwicklung gejtellt wurden,
wenn auch die böhmischen Provinztaleoncilien noch immer ein Gelddarlehen
auf Zinſen als unrechtmäßigen Wucher bezeichneten. Die von den Fratri:
cellen ausgehende Bewegung. in Betreff der Armuth Chrifti concentrirte
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 1. Heft. 2
a. I
fi) damals in England, das als päpftlicher Lehenftaat den Lehenszins
leiften follte, und fand an den genialen Zeitgenoſſen Karls IV., John
of Wichif, einen neuen Vertreter, der unermüdet zu einem Kampfe auf
allen Gebieten daraus Waffen ſchmiedete. Bald erhoben ſich von allen
Seiten die Hände gegen den geiftlichen Bejiß, der den weltlihen an Aus:
dehnung vielfach überragte, und der große Kampf, welcher jo lange zwiſchen
Kaiſer und Päpſten, Königen und Biſchöfen über gegenfeitige Rechte
hin und her gewogt hatte, bildete fich, nad) den niederen Regionen hinab:
fifernd, allmälig zur jocialen Frage aus, die das XIV. Jahrh. mehr
und mehr erfüllte, und wenn fie nicht mit der gehörigen Klugheit und
Umficht behandelt und gelöft wurde, leicht zu einer Nevolution führen.
founte, an die ſich dann alle anderen Mipftände lavinenartig anfchlofjen.
Man wollte in Ktalien nichts mehr von einer geiftlichen Herrſchaft wiſſen,
und obwohl erſt kurz vorher ein Visconti Erzbifchof von Mailand einen
norditaliichen Kirchenſtaat begründen zu wollen jchien, machte ſich nachher
gerade in Mailand durch die Viscontt das Princip ausjchlieplicher welt-
licher Herrſchaft und des vollen Uibergewichtes derjelben über das geijtliche
Element mit der brutalften Nücfichtslofigkeit geltend. Das deutjche Neich aber
wahrte nicht blos feinen Charakter eines halb geiftlihen und Halb
weltlichen Reiches, jondern die Grabmäler der Ehurfürften und Erzbiſchöfe
von Mainz zeigen noch der Gegenwart ſymboliſch, wie der große Streit
zwifchen Kaifer und Papſt eigentlich zu Gunſten des deutſchen Epis-
copates geendet und der eine Erzbijchof von Mainz zweimal die deutjche
Königskrone (an Heinrich von Thüringen und Wilhelm von Holland) vergab,
der andere felbft über drei Kronen verfügte zu Gunften 8. Heinrichs VIL,
Johauns von Böhmen, Karls Vater, und Ludwigs des Baiern, während
das Grabmal B. Clemens VI. hätte zeigen können, wie diefer, die Krone
des Reiches Ludwig entziehend, fie mit „nenen und ungewöhnlichen
Eiden” Karl von Mähren verlichen! Die Dinge mußten ſehr behutfam
angegriffen werden; wurde aber die brennende Frage des Jahrhundertes
nicht bei Zeiten und mit umfichtiger Hand gelöft, jo lauerte in ihrem
Hintergennde in Form einer gewaltfamen Säcularifation die dann Alles
umfaſſende joriale Nevolution. Die bitteren Klagen der Eapitel von
Mainz, Köln, Magdeburg über das gewaltthätige Benehmen des Adels
und der Städte gegen geiftlichen Befig 1359; die Klagen der Weltlichen
gegen die Uebergriffe der Getjtlichen in das vein weltliche Gebiet des Be—
fies, über ihre großen Eremtionen und Anfprüche in Betreff der weltlichen
Güter; Karls Beftrebungen gegen offene Frievensbrecher mit Acht und
Aberacht einzutreten, beweijen Hinlänglich, welche Veränderung ſich im
— —
Stillen vorbereitete. Der Kaiſer, ein perſönlich frommer Mann, und wie
fi) an der Erhebung des ausgezeichneten Ernft von Pardubig zum erjten
Erzbifchofe von Prag und feines nächſten Nachfolgers Johann Difo von
Wlaſchim (1364—1330) zeigte, vor Allem der Begründung einer fejten
jittlichen Ordnung der Dinge zugethan, erfaunte jehr wohl den Grund der
Uebelftände und befrug, als der Papjt den Erzbiichof Gerlach von Mainz
mit ihrer Hebung beauftragt hatte, diefer die Laieneinmiſchung in die fird)-
liche Reformfrage eher zu befeitigen als zu fürdern Luſt zeigte, welche
Sagung der Kirche den Geijtlichen gejtatte, ſich wie Nitter zu Heiden, zu
tragen, zu leben? Er forderte den Erzbiſchof und Churerzkanzler auf, mit
aller Strenge, mit Kicchenbann uud Pfründenentzichung gegen die unrecht
lebenden einzufchreiten und fie zur Erfüllung ihrer Pflicht zu nöthigen.
Er jandte aus gleichen oder ähnlichen Gründen den Dechanten Wilhelm
von Wißehrad nach Avignon zu P. Innocenz VI. und duldete rubig,
daß Erzbischof Gerlach allmälig feine frühere Freundichaft in das Eut-
gegengejegte verkehrte. Der große Beichüger des Clerus — protector
cleri, wie man Karl nannte, widerjegte fi) der Einſammlung des deut-
ſchen Zehenten für die päpftliche Kammer. Als der Herzog von Schweidnig
in Avignon verklagt, dahin citirt wurde, ließ Karl erſt durch den Erzbiſchof
von Magdeburg dagegen Borjtellungen machen, jchrieb dann felbjt an das
Eardinalscollegium, es handle ſich bier um eine weltliche Sache, das Ver—
fahren der Eurie jchmälere die Gerechtjane und die Freiheit des Reiches.
Der Herzog jet ein ausgezeichnetes Glied des Neihes — was er jtet3
aud) für Böhmen anerkannte — und alle deutjchen Firften würden in dem,
was dem Herzoge begegue, ihr eigenes Schicjal erbliden; er verjichert in
gleicher Angelegenheit auch dea Bischof von Breslau, er werde mit Unterjtügung
der Fürjten des Reiches und des Königreichs Böhmen der Schmälerung
faiferlicher Ehre und der Neichsfreiheiten entgegentreten. Er dulde nicht,
daß Bischöfe Laien in weltlichen Dingen vor ihr Eonjiftorium citirten. Es war
für die Zeit bezeichnend, dal P. Junocenz den Neformationseifer 8. Karls
belobte, aber nicht die Mittel, die diefer zu ergreifen gedachte, die Nefor-
mation der Kirche als jeine eigene Aufgabe bezeichnete und diefe — als
fie der Papſt dem deutjchen Erzbiſchofe von Mainz übertragen, der als
Kanzler des Reiches in taufend weltliche Händel verwidelt war, gerade
durch das Mittel in Stoden Fam, durch welches der Papit fie ins Werf
zu jeßen hofite.
Es ijt nicht erlaubt, wenn das Streben nad) einer Reformation das
Gemeingut der Beiten einer Zeit geworden ift, dasjelbe nur einzelnen Per-
Jönlichkeiten zuzuerfennen, die jchlechte Sitten rügten. Kaiſerthum und Papit-
*
— 22 —
thum, Kicche und deutjches Reich, die Verfaffung der einen und die des andern
hingen eben jo innig zufammen, daß die Herftellung eines Rechtszuftandes
im Reiche auf dem Wege blos weltlicher Gejeggebung unerreichbar und eine
Reform der deutichen Kirche ohne eine wefentliche Veränderung der Reichs:
verfafjung undenkbar war und das galt nicht blog von dem XIV. Fahrhnuderte,
fondern von dem XV. und XVL, jo gut wie von jenem. Mean erwartete
von der Rückkehr dev Päpſte nach Rom eine umfajjende Reformation. Es
war das Unglück jener Tage, daß fie ausblieb. Man hoffte auf eine
Neform der deutjchen Kirche. Immer mehr jchloß fich das deutſche Epis-
copat gegen den Unadeligen ab, wurde e8 nur einem abgejchlojfenen Kreije
von Fürften- oder Adelsfamilien zugänglich, bewirkte der Streit der Bijchöfe
mit der Reichsſtadt, die ihre bifchöfliche Nefidenz war, daß ſelbſt die Au—
gehörigen der feßteren vom Episcopate ausgefchlojfen wurden. Der Kaijer
fonnte über die goldene Bulle hinaus die deutſche Kirche nicht veformiren,
der Papſt die Neform der Kirche nicht unternehmen, ehe nicht er ſelbſt am
Site feiner bifchöflichen Kirche feine Wohnung wieder anfgejchlagen und
dann begann jtatt der Neformbewegung von Dben das Schisma der
Päpite, das den niederen Ordnungen den Freibrief gewährte, auf eigene
Fauſt firchliche Reformen zu inprovijiren, gegen die Höheren zu donnern
und jich jelbjt jede Umbotmäßigfeit zu geftatten.
E3 kam zu den vielen eigenthümlichen Bewegungen der Zeit durch
die Gründung der Prager Univerjität eine neue höchjt folgenreiche hinzu.
Die geniale That glich jelbjt dem Ei des Columbus; als fie gejchehen war,
fehlte es nicht an Fürſten, die ſich beeiferten den 12 Tagereiſen von Mainz
gegebenen Impuls jelbjtändig fortzuführen. Aber nicht blos darin lag
die tiefe Bedeutung der That des Jahres 1348, daß fie, nachdem die
Romanen mit Paris und Bologna und jo vielen anderen Univerjitäten
vorangegangen, den beiden Hauptnationen Mitteleuropas, Deutſchen und
Slaven, freien Spielraum zu ihrer geiftigen Entwicklung bot, zugleich eine
Brücde vom flavifchen Königreiche nach Deutjchland bildete und das König:
reich, wie Karl hoffen mochte, für immer mit legterem verband. Gewiß
hoffte auch Karl auf jene großen und bleibenden Vortheile, weld) die Haupt:
Itadt durch den Zufammenfluß einer neuen, vorzugsweife aus Deutſchen
bejtehenden literarischen Bevölkerung ziehen mochte, vor Allem auf Förderung
eines großen geijtigen Lebens, das einer tüchtigen Schule bedurfte, um auf
die von fo vielen Tendenzen durchzogenen Zeit einen ginjtigen Einfluß zu
erlangen, Nicht umfonjt gab er fid) bei der Berufung der Univerfitätsichrer
jo große Mühe, tüchtige Perfonen zu gewinnen; nicht ohne Grund ftiftete
er 4 Facultäten, Denn wenn auch felbjtverjtändlic) die theologische das
3: se
Uebergewicht haben jollte, diefe aber jelbft des Durchganges durch die
Artiftenfacultät bedurfte, jo jollten doch Yurisprudenz und Medicin nicht
minder vertreten und die Univerjität fomit der Mittelpunft aller zum
Lehren und Lernen berufenen Facultäten fein. Dadurch ergab fich auch
von jelbft als weitere Entwidlung, daß, wenn”bis dahin Wiſſenſchaft und
Gelehrſamkeit faft das ausſchließliche Monopol des Clerus gemejen
und darin das Geheimniß feiner Allmacht zu juchen war, mit der Zeit
dasjelbe jchwinde, die Wiljenjchaft ohne Unterfchied des Standes denen
gehöre, die ihr dienten und jo eine Veränderung fich vollziehe, die unab—
jehbar, an und für fich, das ganze bisherige Verhältniß zu verrüden im
Stande war. Ob er aud von der Nothwendigfeit der Wirkung nach einer
anderen Seite überzeugt war? Man wird der bisher herrjchenden Methode,
der Scholaftif, zu ihrem Ruhme nachjagen dirfen, daß fie den Geift logiſch
ichulte und das Denken zwang, fich an beftimmte für alle Nationen
gleiche Gejege zu halten. Für Niemanden war diejes nothwendiger als
für die ſlaviſche Nation, bei welder die Phantajie überwiegt und die -
Neigung zum ruhigen Karen Denken von der auszujchweifen, ſich in Ueber-
treibungen zu gefallen, das Ertravagante zu begehren und mit Ungejtiim
zu erjtreben, dann aber das mühjam Errungene für Nichts zu achten
jo lange etwas noc zu erjtreben jcheint, beherrjcht wird. Die deutjche
Literatur hatte ihren Höhepunft bereitS erreicht, die tichechijche, deren
hochgepriefene Denfmale jegt erſt kritiſch feftgeftellt werden müſſen, erſt
begonnen. Die Scholaftit ſelbſt war von Seite der Deutjchen durch
Albertus magnus ruhmvoll vertreten worden, der bedeutendfte deutjche
Myſtiker Eckhart hatte auch in Böhmen, wie natürlich in deutschen Klöjtern
gewirkt, und das Magdeburger, das deutſche Recht in Böhmen wie in
Polen Eingang gefunden. Wo es in flavifchen Städten ein freies autonomes
Bürgerthum gab, war es ein deutjches, wo es freie Bauern gab, waren es
deutſche. Das Zufammenleben mit den Deutjchen mußte allmälig bemerkbar
machen, daß der jprachliche Unterjchied, der beide Völker von Natur aus
jchied, fo groß er an und für ſich war, doch der geringere war, aber alle
Rechtsauſchauungen, die bei den Deutjchen aus dem Brivatrechte hervor-
gegangen waren und das Eigenthum des Einzelnen mit jtrengen Strafen
ſchützten, waren anders, anders die Lebeusgewohnheiten, die Sitten, die ganze
Bergangenheit. Es gab mit Ausnahme der kirchlichen Gemeinschaft nur wenig
vereinigende, dejto mehr aber trennende Elemente, und es muß auch als ein
großes Meiſterſtück der Politik K. Karls angejehen werden, wenn er den
fühnen Verſuch machte, durch eine wiljenjchaftliche Inſtitution, durch gleiche
literarische Anforderungen an die Angehörigen zweier jo verjchiedener Völker
u ——
fie zur Erlangung eines höheren Zieles geistig zu vereinen. Bereits Fonnte
man zwei jehr verjchievene Richtungen bemerken. Will man durchaus den
Deutſchen Conrad Waldhaufer, den Auguftinermönd) und Geguer der Vettel:
mönche, weil er unbarmberzig den Geiz und Hochmuth der höheren Stände
rügte, al$ Vertreter der reformatorischen Richtung annehmen, jo darf man
aber weder Milie von Kremfter noch Mathias von Janov ihm beigefellen,
die den Stempel flavifcher Myſtik und Ueberichwenglichkeit-nur zu ſehr an
fich tragen; wohl aber muß in den Vordergrund der evangeliiche Prediger
Johann, ein Deutjcher und Prediger der Deutjchen zu Set. Gallus —
den Carolin in Prag gegenüber — Verfaſſer der summa colleetionum (1373)
gejtellt werden. Er wandte ſich ebenjo den Geiftlichen als den Laien, den
Mönchen wie den wiſſenſchaftlich gebildeten Elafjen, den Handwerkern und
Arbeitern, den Armen zu, die durch das Evangelium gewonnen werden
müßten, um den drückenden Unterſchied nicht blos des Standes, jondern
auch der Befiglojigfeit den Reichen gegenüber zu ertragen. An ſeine eindring:
lihe und wirffame Lehren reiht fich dann auch die verftändige Nichtung
des jpäteren Bilchofs von Worms Mathias von Krakau an, der eine der
populärjten Schriften der Zeit, vom Kampffrieg der Vernunft und des
Gewiſſens, verfaßte, von welcher fich eine vom J. 1390 datirte Abjchrift
in der kaiſerlichen Bibliothet zu Set. Petersburg vorfindet. Er jelbit
war eifriger und umerbittliher Synodalprediger bei den Prager Synoden,
welche nach einer ungemein lobenswerthen Einrichtung der erſte Erzbijchof
von Prag zwei Male jedes Jahr zu halten pflegte; er drang unabläjlig
auf die Neform des Clerus. Endlich muß auch eines der größten Werfe
‚der deutjchen Literatur gedacht werden, das freilich ſchon wegen feiner Aus:
Dehnung der nachfolgenden Zeit angehört, jeiner Anlage nach aber wohl
der früheren. Es ijt das die prachtvolle deutſche Bibelüberjegung in
6 Bänden, die Herr Martin von NRotlebin in unmittelbarer Beziehung zu
R. Wenzel und dejjen zweiten baieriſcher Gemalin, Sophia, verfaßte und deren
Koſten dieſe beftritten. Es ift das eines der großartigften und ſchönſten
Denkmäler der deutſchen Literatur, deutfchen Fleißes und der durch
Karl IV. hervorgerufenen Kunftrichtung. Sie hat glüdlicher Weife, während
jo viele herrliche Baumwerfe feiner Zeit unter der Aufitiichen Wuth in Aſche
janfen, mit Mühe der Brager Dom gerettet wurde, das Karolin der Plünderung
verfiel, fich bis auf unfere Tage erhalten; ein doppeltes Denkmal einerjeits
des geijtigen Verlangens nad) den Quellen des Heiles, andererfeits deutſchen
Geiſtesleben auf jlavischem Boden, in einer Zeit, wo die tichechischen Frauen
bereits das Necht zu predigen für fich in Anſpruch nahmen und diejenigen
ſchon Tebten, die ſich berufen fühlten, ihre Hände in das Blut derer zu
——
tauchen, die nicht an ein mit Feuer und Schwert verkündigtes Evangelium
glaubten. Sie iſt endlich ein ganz ungemein reichhaltiger Sprachſchatz, der
den Reichthum der deutjchen Sprache und ihre frühe Ausbildung beurfundet,
da fie den höchiten Empfindungen der Pjalmen und Prophezeihungen jo
gut einen richtigen Ausdruck verlieh al3 den tieffinnigften Myſterien der
Offenbarung. Ein Werk, das zur Ehre der deutichen Nation längjt verdient
hätte, genau unterſucht und feinem fprachlichen Werthe nach gewürdigt
zu werden! Nichts vermag den Unterfchied des deutjchen Geijteslebens
auf ſlaviſchem Boden jtärfer darzulegen als diejes großartige Bibelwerf
und die Hufitiiche Auffaffung des Evangeliums. K. Karl hatte feinem
Bolfe die Hand geboten es geiftig zu heben; es antwortete mit Zer—
jtörung deſſen was er Großes und Gutes gejchaffen. Es ift Zeit, daß wir
von ihm jcheiden.
E3 wäre jehr thöricht, von ihm ein Auftreten zu verlangen, wie es
die Staufer gethan, von welchen ihn ein Jahrhundert trennte, das an
den Folgen ihrer Politik jiechte. Der legte Kaiſer dieſes Hauſes hatte die
gefammte Layenmacht zum Sturme gegen den Elerus aufgeboten und war
jammt jeinem Haufe vollftändig gejchlagen worden. Ludwig der Baier
hatte zur Ungzeit den Kampf erneut und ſich Bundesgenofjen aus dem
thätigften und verbreitetjten Orden gewonnen, und war doch erlegen und
fein eigenes Haus jagte fi) von ihm los. Karl vermied fjorgjältig den
PBrineipienfampf, brachte aber mit feiner großen Vorſicht und nachhaltigen
Schlauheit die deutsche Kirche in eine größere Abhängigkeit von dem Kai—
jerthume, als fie jeit Jahrhunderten geftanden war. Er hatte im Anfange
jeiner Regierung Gelegenheit genug zu bemerken, welche Macht im Innern
des Reiches dem Papſte fein Tirchliches Anfehen verlieh, und fein Bedenken
getragen es für ſich auszubeuten, dadurch aber das eigene nicht vermindert
ſondern vermehrt. Dieje Macht war gegen das Ende jeiner Tage ge
brochen, durch die des Kaiſers erjegt, der die geijtliche Macht im Reiche,
der weltlichen nud fürftlichen gegenüber, in einen gewaltigen Hebel der
KRaiferlihen umzuwandeln gewußt hatte. Er hatte die Bisthümer
Freifing, Paſſau, Salzburg, Aquileja gegen den Einfluß der Herzoge von
Defterreich gejchüßt, den Schwerpunkt des Reiches, Mainz, in Abhängigkeit
von jich verjegt, am Rhone, der Elbe, der Weler, der Oder, der Donau
ſich eine bifchöfliche Partei gejchaffen. Marquard, Biſchof von Augsburg,
wurde jein Kanzler und wie Dietrich von Minden, Baul von Freifing, Ernit
von Prag, Johann von Olmütz, Lambert von Speier, zu den wichtigjten
Kaifergeichäften gebraucht. Wie jein Bruder, der Markgraf von Mähren,
jpäter die Prämonftratenfer, den einzigen von einem Deutjchen begrün-
— —
deten Orden begünſtigte, finden ſich Schreiben Karls zu Guuſten des
Predigerordensmeijters, der Augujtiner und Anderer. Karl verlangte aber
von denen, die er begünftigte, Gunſt und Unterftügung und wußte
auch den Einfluß des Cardinalscollegiums in Avignon ſehr wohl zu
Ihägen und fir fich zu würdigen, und das günstige Verhältnig zu den
Päpften feiner Zeit ftammte ja vielfah aus einer Zeit, wo dieſe noch
Cardinäle waren. Da er nicht daran denfen konnte, ohne die heftigften
Kämpfe die durch) das Wormſer Eoncordat garantirte Wahlfreiheit zu
befchränfen, gebrauchte er das Recht der erjten Bitte, um dadurd)
Einfluß auf die Bejegung der Cathedral-, Collegial- und Eonventualficchen,
dann auf Männer und Frauenklöſter zu gewinnen und überall jeinen
Anhängern Stellen zu verjchaffen. Da er endlich diefes Syitem auch auf
alfe firchlichen Beneficien, mit und ohne Seelforge, ausdehute, wie dieſes
die Kanzlei 8. Karls zeigt, jo mar unter ihm die deutſche Kirche auf
einem Punkte angelangt, daß jie beinahe nur als eine Verſorgungs—
anftalt für faiferlich Gefinnte angefehen werden fonnte, Da nahm freilich
die Berweltlihung zu. Karl aber eroberte jo Schritt für Schritt zurück,
was die Staufer durch ihre Gewalt und Heftigfeit verloren und gejchah
diejes nicht auf dem Wege des Rechtes, jo gejchah es auf dem des per-
jünlichen Einflußes. Er brach den Widerftand der Päpſte, der Bischöfe,
der Eapitel, er jegte feine Zwede durch und zwar jo, daß dieje zugleich
auch die des Papſtihums und der Kirche zu fein fchienen. Das Intereſſe
vereinigte beide und die chriftliche Welt ſah jo das lange entbehrte Schau:
jpiel des Friedens der beiden oberjten Gewalten und was nur
auf diefem Wege zu erzielen war, die Rückkehr der Päpfte von Avignon
nah Rom. So ſchloß er eine große, mit den heftigjten Kämpfen
erfüllte Periode friedlich ab, es feinen Nachfolger überlafjend, auf
gleiche Weije wie er voranzugehen und das Uebergewicht, das er erlangt,
in noch fehwierigerer Beit, da das Schisma ausgebrochen war, durch erhöhte
Thätigfeit zu behaupten und zu wahren.
Eine mannigfaltige reiche und große geiftige Thätigfeit knüpfte ſich
an die Perſon 8. Karls an. Er fchien der Schöpfer einer neuen Aera
zu jein, welche mit dem Glanze einer Weltuniverjität, herrlichen Bauten
und allen dem geſchmückt war, was tüchtige Meijter der Kunft, Architekten,
Maler, Bildner jeder Art nach franzöſiſchen und italienischen Meiftern er-
dachten und vollführten. Während aber auf italienischem und franzöjischem
Boden die in früheren Jahrhunderten begonnene geijtige Arbeit ohne Unter»
brechung fortgefegt, zur Entfaltung der fogenannten Nenaifjanceperiode
führte, trennt eintiefer Abgrund die Zeit Karls IV. von diejer legteren,
u —
an welcher fih Deutfche und Romanen gleich ſehr betheiligten, ein
Rückfall in Wildheit und Barbarei, welcher wie mit Flammenmwogen die
Aera Karls IV. von der nacjfolgenden trennt. Eine Generation nad) ihm
und bereit waren die Blutmenfchen thätig, auf welche jekt in unglaub-
licher Berblendung die Maſſen als auf die Herven des tichechischen Volkes
hingewiefen werden, deren Heroismus aber aus der wildejten Zerjtörung
dejjen beftand, was Karl fir ein Bolt Großes geſchaffen, das viel zu roh
war, um ihn verftehen zu fünnen. „Wir aber, jagte unter großer Zus
jtimmung der Seinigen, Bruder Simon Kovarc, einer der Gejchworenen
von Zabor, der neuen Burg des Heiles, 1434, wir werden uns raſch
erheben, mit aller Gewalt die uns widerftrebenden Barone niederwerfen,
ihrer Ländereien uns bemächtigen und alle unfere Gegner vertreiben oder
todtichlagen. Dann wollen wir einen Landtag halten, wo alle dabei
jein müſſen, und ein Landrecht aufrichten, alle, die bisher zu ung
hielten, denen wir aber nicht trauen fünnen, erſchlagen und ebenjo
die, welche nicht zum Laudtage gefommen find. Dann aber jtürzen wir ung
über die Nachbarländer und unterjochen fie, wie es die alten Römer
gethan. Ihr aber ſchaudert nicht davor, feindlihes Blut zu ver-
gießen, deun auch Judith hat es gethan, als fie unter fchönen Redensarten das
Blut des Holofernes vergoß, das Volf Gottes von feinen Feinden befreite
und dafür von den Menjchen großes Lob erntete.“ Karls IV. Culturmiſſion
hatte im Böhmen jo wenig Wurzeln gejchlagen, als im Neiche die Wieder-
heritellung des Kaiſerthums. Er jchließt das mittelalterliche Kaiſerthum ab,
da unmittelbar an ihn jid) Schritt fiir Schritt die tfchechifche Erhebung an-
Ichließt und damit eine Periode des Umfturzes, deſſen Ausdehnung zu einer
allgemeinen Revolutionsperiode nur mit äußerjter Mühe durch
ein Zuſammenwirken geiftlicher und weltlicher Gewalten verhindert wurde.
Seinen tichechifchen Landsleuten gegenüber ſchien Karl IV. jehr bald
umſonſt gelebt zu haben.
2:
Die allmälige Tſchechiſirtiung des römiſchen Rönigthums.
Es war in der Natut der Dinge begründet, daß Böhmen, welches
von dem jtaufischen Kaifer Friedrich I. wegen feiner großen Verdienſte um
Kaiſer und Reich für feinen Herzog die Krone erhalten hatte und deſſen
ausgezeichnete Dienjte auch Barbarofjas Enkel mit königlichen Diplom
anerkannte, jeinen königlichen Churfürften auch einmal als römischen König
begrüßte, der König der Römer und Böhmens auch Kaifer wurde. Es
u
Ihien um fo weniger damit eine Gefahr für das Ganze vorhanden zu fein,
al8 ja die Inremburgische Dynaftie eine deutjche war, ihre Begründer K.
Johann den größten Antheil an den deutjchen Ereignifjen nahm und der
böhmische (tſchechiſche) Adel in feinen Tagen große Neigung zu haben jchien,
jich zu germanifiren. Allein thatjächlih war durch den Umftand, daß Prag
die Hauptjtadt des Reiches geworden war und der Deurfche 12 Tagereifen
von Mainz ducch ſlaviſche Territorien wandern mußte, um zur Reſidenz
des Katjers zu gelangen, dftlih von Prag das Slavifche dominirte, das
utraqutjtiiche Element im deutjchen Reiche jtärfer als je zum Vorſcheine
gekommen und die Einrichtungen Karls IV. hatten dafür Sorge getragen,
daß dasjelbe auch für die Zukunft Wurzeln jchlage. Die Theilung des
reichen Erbes, das K. Karl hinterließ, jchwächte etwas die Gefahr, daß Oſt—
deutſchland wo nicht mehr, doch die Einheit der deutjchen Sprache verliere ;
jo lange aber das Reich von Prag aus regiert wurde, hing die Entjcheidung,
ob dasjelbe utraquiftiich werde oder nicht, davon ab, ob deutjches Wefen
und deutjche Sprache in Prag das Uebergewicht erlangten und behaupteten
oder beides einem tſchechiſchen Anſtürmen erliege ; vor Allem aber, ob der Sohn
und Nachfolger Karls die ti hehifch nationale Strömung eindämme
und beherrjche oder jelbjt von ihr ergriffen, am Ende gar ihr willenlofes
_ Spielzeug werde. Es war ein großer Triumph der Politif Karls, feinen,
wie er glaubte, jo gut gearteten Sohn als feinen Nachfolger im böh—
miſchen Königreiche wie im römischen Königthum begrüßen zu Fünnen, und
wer konnte eine Ahnung haben, als nach feinem am 29. November 1378
zu Prag erfolgten Tode vom 11—16. December die überaus Pracht:
volle Beifegung des König-Kaiſers ftatt fand, an der ja auch die 7000
Studierenden der Carolina fich betheiligten, Karls Beerdigung im pracht-
vollen Dom endlich erfolgt war — daß nad 41 Jahren 8. Wenzel,
machtlos als König von Böhmen, als römischer König nur mehr den Titel
tragend, nachdem er mit plöglicdem durchdringenden Aufſchrei — dem
Brülfen eines Löwen jagt der Zeitgenofje Laurenzius von Brezina, am
16. Auguft 1419 im Neufchloffe bei Prag geftorben war, erjt ohne
fünigliches Gepränge in den Prager Dom gebracht, dann aber bei
Naht und Nebel die Königsleiche in aller Stille zur Begräbnißftätte in
das Kloster Königjaal überführt und dort voh den Klofterleuten . heimlic)
beerdigt werde. Einige Zeit jpäter famen die durch feine Schwäche heran-
gezogenen Zerſtörer des Glanzes und der Blüthe Böhmens, die Natio-
nalen, die fich mit dem Beinamen der heiligen Gemeinde, der facrojancten
tichechiichen Nation ſchmückten, und zerftörten das Klofter und die Grabjtätte
der böhmischen Könige.
Ze
Kein Gegenfag tft geeigneter die Veränderung, welche unter dem
Sohne Karls IV, ftattfand, jchärfer darzulegen, als was 1378 und 1419
geſchah. Welcher Umfturz der Dinge ift nun vorgefallen, daß in 41 Fahren
das tichechische Volk feinem Könige nicht einmal die Ruhe des Grabes
gönute und jein eigenes Heil in der wildeſten Zerjtörung der zu dei
Ichönften Hoffnungen berechtigten Culturperiode fuchte; daß fie die Hand
des einheimifchen Königs, die ihr in der wohlmwollendften und verjtän-
digften Weiſe gereicht worden war, jchnöde zurücjtieß und den jähen
Sturz in eine Tiefe wagte, die fie 300 Jahre lang von einer Revolution der
anderen überantwortete! Mögen beſchränkte Köpfe ſich und andere belügen,
die Nationen find für einander geſchaffen, nicht zum gegenfeitigen Abſchluß,
und wenn die in Böhmen eingewanderten Tſchechen fich eines deutſchen
Landes bemäcdhtigten, mußten fie auch des Tages der Auseinanderjegung
nicht bloß mit den Deutjchen gewärtig fein, jondern auch mit dem deutjchen
Reiche, aus dejjen Mitte fie das Chriſtenthum, die zur ftaatlichen Einigung
führenden Einrichtungen des Lehensweſens ſtatt der jlavifchen Seniorats-
Erbfolgeordnung, die einen fteten Streit gebar, die hierarchiſche Ord—
nung und das Königthum, die ‚Rechtsordnung, freie Bauern und freie
Bürger, die Elemente derjenigen Eultur empfingen, die der Lateinischen Welt
den Vorzug vor der jchismatifch-orientalifchen gewährte. Anftatt aber daß
hieraus aus dem Zuſammenleben und der inneren Nothwendigfeit des Zu:
ſammenwirkens ein fröhlicher Wetteifer entjtanden wäre, jahen die Tſchechen
nad Karl IV. darin nur eine läftige Störung (perturbatio) und machten
jich in kürzeſter Friſt jene Anfchauungen wieder geltend, die jchon in
den Tagen Ottofars II. zum PVerderben Böhmens hevvorgetreten waren
und in dent "bejchränfteften Abſchluſſe der Nationalität die richtige Auf:
gabe des Königreiches in dem Augenblicke erblicdten, in welchem die gegen:
theilige Richtung Böhmen zu Macht, Glanz und Einfluß ohne
Gleichen erhoben hatte.
Man konnte nicht verblendeter vorangehen. Diejenigen, welche in den
verhängnißvolfjten Jahren der böhmischen Gejchichte jich zu Wortführern
erhoben, bejaßen ein unglückliches Übermaß nationalen Stolzes und natio-
naler Eitelfeit, eine zu geringe Einficht in die unausbleiblichen Folgen ihrer
Beitrebungen, nur zu viel von dem unwiderſtehlichen ſlaviſchen Hange,
in unmittelbarer Folge des Contactes mit einem vorangefchrittenen Volke,
jeine Gefchichte von Neuem zu beginnen und auch das Edeljte und Beite,
wenn es nicht national war, von ſich abzujchütteln.
Der Uebergang zu diefem Zuſtande nicht vermeintlicher Balingenefie,
jondern der Selbjtentmannung war jchon im Jahre 1346 erfolgt, als
— MM —
K. Karl ſeinem Lande an der majestas Carolina eine Verfaſſung zu
geben gedachte, die alle Bürgſchaften des Beſſerwerdens in ſich trug,
freilich auch die bisherige Macht des Adels, ihren Unterthauen die Augen
ausjtechen, die Naje abſchneiden, Hände oder Füße abhauen zu lafjen,
befeitigte, daS Heimfallrecht bürgerlicher oder adeliger Güter, deren Eigen:
thiimer ohne Leibeserben ftürben, der Krone ficherte, überhaupt Ordnung
zu jchaffen geeignet war. Karl, damals nody König, konnte feinen Plan
wicht durchjegen. Unter dem Vorwande, an den alterthümlichen Gewohn-
heiten jefthalten zu wollen, wurde die gefegliche Ordnung der Dinge zurück—
gewiejen und der alte Zuftand als national mit al jeinen Mißbränchen
jejtgehalten. Solche Dinge pflegen im Völkerleben nicht ohne den nach-
theiligjten Einfluß vor fid) zu gehen. Der Adel hatte Partei genommen
und ſtand den Neformen des Königs, der beabjichtigten Verfaſſung feindlich
gegenüber. Sp berührten ſich jchon in Karls Zeiten zwei einander aus-
jchliegende Gegenjäge, avite Nationalität, deren heidnifchen Gebräuchen
auf den Coneilien noch entgegengearbeitet werden mußte, wie denn der
Aberglaube noc jet eine hervorragende Rolle ſpielt; ſlaviſche Rechtsver—
hältnifje, die neben den Herren nur Knechte kannten, ein einheimiſcher.
Clerus, deſſen Sittenlojigfeit Karl IV. mit Gefegen, die Erzbifchöfe durch
Eoneilien, Wenzel durch perjünliches Eingreifen und ſummariſche Juſtiz,
jelbjt immer mehr verrohend, zu ftenern ſuchte — und die abendländifche
Cultur, die die verjchiedenen Nationen mit einem geijtigen Bande zu
umſchlingen, das dreifache Erz einer Nationalität zu durchbrechen fuchte,
die jelbjt das Chriſtenthum nur im nationalen Gewande begehrlich erachtete
und von ihm vor Allen Förderung deilen verlangte, was dem nationalen
Stolze zufagte, der endlich in dem Gedanken gipfelte, die berühmte böh—
mifche Nation ſei das auserwählte Volk Gottes, ein zweites Iſrael. Mochte
der jugendliche König, fo lange die Räthe feines Vaters lebten, noch jo jehr
Luft bezeigen, in die Pfade einzulenfen, die zum Kaiſerthume führten, ſich
anfänglich als König der Deutjchen fühlen, er konnte ſehen, ob fih in
ieinem Heimatlande nicht Dinge vorbereiteten, welche ihn in eine ganz
andere Nichtung drängten und zulegt zum willenlojen Werkzeuge einer
Partei machten, die ihre Macht im Deutſchenhaſſe fand und ihre Stärke
en der blinden Dienjtfertigfeit derer, die zu jeder Thorheit woillige Werf-
jeuge waren, wenn nur für den Augenblid ein nationaler Vortheil ſich
jrgab, unbekümmert um die jpäter unausbleiblicen Folgen vechtslojer
Thaten. Je mehr der Verfaſſer diefer Zeilen die Vergangenheit des
tichechischen Volkes am Borabende jeiner großen Ummälzung einer ruhigen
Prüfung unterwarf und damit den gegenwärtigen Andrang auf Anerfen-
— 29 —
aung eines tſchechiſchen Staatsrechtes verglich, welches Böhmen zur politiſchen
Inſel in Oeſterreich umwandeln müßte, deſto klarer geſtaltete ſich in ihm
die Ueberzeugung, daß die Kriſe der tſchechiſchen Nation in der thörichten
Verwerfung der majestas Carolina lag. Sie hatte damals die Wahl
zwiſchen ruhiger vechtliher Entwidlung auf Grundlage eines öffent—
lihen das Land, die Privaten, den Einzelnen, umfaſſenden Nectes,
einer die allgemeine Ordnung der Dinge fichernden Verfaſſung — oder
einer fich allmälig bildenden Revolution, die langjam aber gewiß — ja
unabweisbar heranfchritt, wenn die Verfaſſung verworfen wurde, die allein
eine Ummwälzung zu verhindern im Stande war: Reform oder Auarchie.
Polen und Tſchechen bewegten ſich in analogen Berhältnijjen. Beide
glaubten in aviten Zuftänden ihr Heil zu finden und gingen immer mehr
einer turbulenten Zufunft entgegen, nur mit dem Unterjchiede, daß die
tſchechiſche Revolution ji von dem XV. in das XVL, in das XVII. fort-
jegend, ihren urjprünglich joctalen Charakter wahrte, unter veränderten
Formen immer eine neue Gütervertheilung mit fich führte, und als der
tichechiiche Adel den Kampf mit dem niederen Volke in den ſyſtematiſchen
Kampf mit dem Königthume unmandelte, endlich Böhmen 150 Jahre vor
Polen feine Selbjtändigfeit verlor, der meuterifche Adel aber der Proſecrip—
tion verfiel, al3 das auf das Aeußerſte gebrachte Königthum im Jahre 1620
mit fremder Hilfe die Rebellen niederwarf und die Reihe der Föniglichen
Wenzel — der VBerjchwender der monarchiſchen Ordnung — endlich er:
lojchen war.
Nun war die deutjche Bevölkerung in Böhmen nicht eingedrungen.
Sie hatte fich nicht mit Gewalt des Landes bemächtigt, fie hatte, wenn fie als
deutſche Mönche von den Königen berufen worden, Religion, Disciplin und
rationelle Landwirthſchaft verbreitet. Die deutjchen Kaufleute in Prag, die
ven Handel mit Bolen vermittelten, beſaßen ihre landesfürjtlichen Privilegien,
die dentfchen Urkunden der Prager Stadtgemeinde oder anderer Städte
waren nicht erſchlichen — tichechische Urkunden finden fich ja überhaupt erjt
}pät vor. Bor Allem war es die Univerfität, die Böhmen im Kfeinen reprä—
jentirte und in der jich, wie in der Prager Stadtgemeinde das deutjche
Birgerthum, jo das geijtige Zeben in feinen verjchiedenen Barteiungen und
Schattirungen vereinigte, das dann wieder fchon durch den Erzbijchof als
Kanzler und die theologische Facıltät auf das Innigſte mit dem Firchlichen
Leben zujfammenhing. Je größer die Stellung und Bedeutung der Uni-
verjität geworden war, die noch immer auf wejtdeutichem Boden Feine
Gejährtin gefunden hatte, je mehr ſich die geiftigen Kräfte hier concentrirten,
dejto verderblicher konuten und mußten Streitigfeiten wirfen, die dajelbjt
— Se
ausbrachen. Wie jeder Organismus nothwendig dev Zerjegung verfällt,
wenn ein fremdartiges Element hineingetragen und ihm Spielraum gelafjen
wird, mußte aber hier, jobald der Nativnalitätenftreit im Schoße der
Univerfität Pla griff, nicht blos die Zerjegung und Berjtörung der groß:
artigen Schöpfung K. Karls unabwendbar erfolgen, fondern auch des
gejammten geiftigen Lebens, jobald diejenigen, die an der Förderung
eines gemeinfamen Zieles miteinander zu arbeiten berufen waren, ſich wider
einander fehrten. Und das war das traurige Gejchid Böhmens und
K. Wenzels zumal, daß die vereinigenden Kräfte ſich jchwächer erwieſen
als die auflöfenden und die im tichechijchen Volke liegende, ihm vielleicht
unbewußte Unruhe, raftlos, vom nationalen Inſtinet und nationaler
Erelufivität getragen, an der Zerſtörung deſſen arbeitete, was dem
doc) vor Allem zur Förderung der höchſten geiftigen und jittlichen
Zwede Böhmens und nicht blos Böhmens, fondern der Nationen begründet
worden war, die die Univerfität conftituirten. Man kann aber den Streit-
punkt, der den anfangs unfcheinbaren Ausgang der größten nationalen
und politifchen Zerwürfnifje, ja der Ummälzung Böhmens bildete, nicht
klarer formuliren, als diefes bei dem Streite über die Bejegung der
Stellen in den Eollegien K. Karls und 8. Wenzels der Fall war. Wäh-
rend nämlich die böhmiſche (tſchechiſche) Nation der Univerfität diefe für ſich
ausfchließlich in Anspruch nahm und damit ſich als die einzige und wahre
Repräfentantin der Univerfität darzuftellen bemühte, erklärten die 3 übrigen
Nationen nicht blos, daß fie fajt von der Zeit der Begründung der Col-
legien das Recht genoſſen, tangliche Magifter aus jeder Nation auszu—
wählen, daß fie diefes Recht ohne Einfprache oder Widerfpruch geübt, ſon—
dern auch, daß fie an dem Grundfage fethielten, daß nicht der Adel der
Abftammung noch das Tihehenthum, fondern Tugend und
Ehrbarfeit Jemanden vor Gott angenehm machen, in jedem
Volke der Gott genehm fei, welher Gerechtigkeit übe. Sie bezeichneten
das Benehmen der tſchechiſchen Nation als im Widerfpruche mit ihren Eiden
jtehend. Der Streit, welcher jomit von den anderen Nationen als ein all-
gemeiner und ethijcher aufgefaßt wurde, von der tichechiichen als ein
nationaler, jo daß fich das ethijche Princip dem nationalen gegenüber
befand, endigte mit einer Niederlage der 3 Nationen und dem Siege der
ZTichechen. Der Streit follte jedoch für alle Zeiten ausgetragen, der Bertrag
(eoneordia) befchworen werden. Da ein neuer Eid!) deshalb aufgejtellt
1) Wir laffen ihn bier aus einem Münchener Mannfcripte folgen: Ego N. juro
vobis rectori et vestris successoribus obedientiam in lieitis et honestis et
servare statuta statuenda pro posse meo et ordinationes formas (formatas)
——
wurde, konnte man hoffen, daß für alle Zeiten dem Streite ein Ende
gemacht ſei und er in keiner Geſtalt wiederkehre.
Selbſt der grimmigſte Gegner der Deutſchen in Böhmen, Johann
von Huſinetz, welcher in ihrer bloßen Anweſenheit in Böhmen eine ſtete
Friedensſtörung der Tſchechen erblickte und den alten Zuſtand der Dinge,
als es in Böhmen keine Deutſche gab — aber wann war dieſer? — als
den normalen wiederherſtellen wollte, und das iſt das wahre Biel des
Huſitismus — muß in feiner Apologie zugejtehen, daß jede der 4 Nationen,
als jie den Vertrag in das Univerfitätsbuch eintrug, den Eid leijtete, daß
weder eine noch mehrere der 4 Nationen fünftig einen Streit gegen die
andere über irgend eine Prärogative oder Materie anfangen
jolfe, die nicht ausdrücklich in den päpftlichen oder königlichen Privilegien
enthalten war, 1384.
Damit fchien ein Streit beendet, der den Beitand der Univerſität
bedroht hatte, und wenn die fiegende Partei wirklich Frieden wollte und
nicht zu herrſchen dachte, nicht von dem blinden Haſſe gegen das deutjche
Weſen ſich inftinetmäßig treiben ließ, fonnte man auf die Möglichkeit
eines gedeihlichen Zuſammenwirkens hoffen! Der Streit zog fi) bis in
das Jahr 1390.
Der tſchechiſche Erzbijchof- Kanzler hatte für feine Nation offen Bartei
genommen. Der deutjche Nector war von den Tſchechen, die früh ſich ge-
wöhnten, jeden Streit auf die Gajje zu tragen, geprügelt worden, und der
tſchechiſche Chronijt der Univerfität jcheint es noch als geringfügig anzufehen,
daß er nicht blutig heimgeſchickt ward, der tichechifche Nector aber, unter
welchem die Zjchechen endlich den Sieg errangen, wurde von diefen in den
Himmel erhoben. Von diefer Zeit an bemächtigte fich der Deutjchen das
Gefühl, es jei ein friedliches Zufammenleben mit den Tſchechen auf die
Daner unmöglich. Die Frequenz der Univerfität nahm ab.
E3 war der erjte Act des Eonflictes, der von Heinen Anfängen aus-
gehend, zum Umſturze dev Univerjität, der Stirche, des Königthums und des
Königreiches führte.
inter nationem bohemorum et alias nationes (aus welchem Hus eine natio
teutonica machte, um alle Deutichen in Böhmen in das gleiche Geidhid bin-
einzuziehen —) et collegia et quod bonum universitatis velim procurare ad
quemeunque statum devenero et quod injuriam propriam non velim per
me ipsum nec per alium vindicare, sed super hoc rectoris oflieium im-
plorare et quod non utor conseryatorio sine (sive) signato dummodo como-
dose illud habere potero sine dolo et fraude. Sie me deus adjuvet et sancta
dei evangelia.
ui BI
Der jugendliche König hatte nicht gezögert, ſich dem deutjchen Neiche
als Oberhaupt zu zeigen, an der Bejeitigung der inneren Hebeljtände thätigen
Antheil zu nehmen und insbejondere, jo weit er Eonnte, der Anerkennung
P. Urbans VI. als des rechtmäßig gewählten Papſtes Vorſchub zu Teiften.
Man kann nicht jagen, daß ſelbſt damals fein perjönliches Auftreten ge:
eignet war, ihm viele Freunde zu verjchaffen; ebenjo wenig, daß die zur
Befeitigung des Schismas ergriffenen Maßregeln hinreichten, die Ehrijten-
heit vor einem bisher unbekannten Schaufpiele zu wahren, in verjchiedene
päpftfiche Obedienzen zu verfallen, und dadurch die jchlimmjte Wendung
der Dinge aufzuhalten, daß ftatt der gehofften und jo nothwendigen Refor-
mation num auch noch die Zerreißung der Firchlichen Einheit, die allein
noch bisher die verfchiedenen Völker und Staaten zujammenhielt, erfolgte.
Wohl ift es denkbar, daß ein Römerzug und die Erlangung der Kaijer-
frone dem wachjenden Unheil vielfach gejtenert hätten. Allein die Gegenpartei
Urbaus unter dem Pſeudo Clemens VII. 309 ſich bereits nad) Avignon zu:
rüd, erlangte den Schuß des franzöfischen Königthums, und damit änderte
ſich wie mit einem Schlage die Lage der Dinge völlig. Nicht blos der
Römerzug unterblieb; nicht blos daß der römische Stuhl, Reichsitalien und
das arelatiſche Königreich, deſſen Tegter gefrönter König Kaifer
Karl IV. geweſen, ihrem Schidjale überlajjen wurden, jehr bald wurde es auch
das deutjche Reich, zwiſchen welchem und feinem Könige ſich eine dunfelgrüne
Wand aufthürmte; die wunderbar ſchöne Waldregion, die ſich im Südweſten
von Brag nad) Beraun, Bürglig, Betlen (Zebraf) ausdehnt, hielt den König,
defjen Jagdluſt mit den Jahren zunahm, gefangen. Der Genuß edler
Weinforten in jteigendem Uebermaße drängte die befjeren Eigenjchaften
K. Wenzels in den Hintergrund, und feine Regierung nahm allmälig den
Charakter an, den ihr ein Trunkener geben konnte, der nüchterne, ruhige,
geordnete Thätigfeit verſchmäht, wohl aber ein gewaltfames Aufraffen zeigt,
in welchem er bald den Firchlichen Neformator auf eigene Fauſt jpielt und
jeinen Zorn an unwürdigen Geiftlichen ausläßt, bald um jeine Autorität
zu ſtärken gegen den Model einjchritt, ohne zu bemerken, daß diefe Art zu
regieren, eine allgemeine gelinde Anarchie erzeugen mußte. Dabei ſenkt
ſich plöglich ein unheimlicher Schleier über fein Privatleben nieder und tritt
über Vorgänge entjeglicher Art ein Schweigen ein, das offenbar Furcht
und Grauen zum Grunde hat, aber auch jener Stille glich, die einem vul-
fanischen Ausbruche vorherzugehen pflegt. Befäßen wir nicht die Aufzeich-
nungen des Burgunders Edmund Dinter über die Vorgänge am königlichen
Hofe, jeit Wenzel nur mehr in feinen tichechischen Waldſchlöſſern ſich auf-
hielt, wir fünnten ung aus dem angftvollen Schweigen der Einheimijchen
N —
kaum Mar machen, warum offener Aufruhr und fteigende Unbotmäßigkeit
immermehr zunahmen, bis endlich geradezu an Abſetzung und Beſeiti—
gung des Königs durch) die Tſchechen jelbft gearbeitet wurde. Die Folgen der
Berwerfung der majestas Carolina hatten ſich troß des umfichtigen und
Fugen Verfahrens K. Karls bereits unter diejem gezeigt, gejchweige unter
Wenzel, der ih an Hinrichtungen von Bürgern und Adeligen gefiel, fein
Anjehen zu wahren, und zulegt felbjt dem Henker in das Handwerk griff,
wenn es ji) darum handelte, jein Miütchen an angejehenen und tugend:
haften Geiftlichen zu fühlen. Kein Wunder, wenn endlich er allen Ständen,
den verjchiedenften Ordnungen verhaßt war, und die Brutalität, die er übte,
den ohnehin rohen und gewaltthätigen Sinn des Volkes zu jenen entſetz—
lichen Unthaten trieb, von welchen die große Judenjchlächterei in Prag 1389
ein jchredlicher Beweis war. Entjtand diefe, weil ein Jude einen Geiftlichen
verhöhnte, der die legte Wegzehrung — das Sacrament, zu einem Kranken getra-
gen, jo hatte der König, welcher die des Concubinates bejchuldigten Geijtlichen
an den Pranger stellte oder jelbjt mißhandelte, dem Volke — ob Juden oder
Ehriften — die Ehrerbietung vor dem geiftlichen Stande, die bisher jtattgefunden
hatte, durch eigenes Beifpiel in die ärgite Mißachtung verfehrt und den wilden
Thaten des Hufitismus in höchſt eigener Perfon vorgearbeitet. Ein jchred-
liches Ende fchrieb die, wie es jcheint, beglaubigte Sage feiner erjten Ge—
mahlin Johanna von Wittelsbach, Enkelin Ludwig des Baiern und Tochter
Herzog Abrehts von Straubing - Holland von feiner erften Gemahlin
Margarethe Herzogin von Brieg, zu. Die Mutter jtarb im Februar 1386
im Haag, wo auch (13. December 1404) der Vater ftarb, die Tochter bei
nächtlicher Weile von 8. Wenzels großen Hunden zerriffen nach 16jähriger
Ehe mit dein um 5 Jahre jüngeren Gemahle. Das traurige Schidjal der
deutschen Königin auf tichechiicher Erde am 31. December 1386 hinderte aber
den Herzog Johann II. von Baiern-Miünchen, gleichfalls einen Enfel Ludwig
des Baiern von deſſen zweitälteftem Sohne Herzog Stefan II. — nidt,
jeine Zochter Sophie mit dem um 15 Jahre älteren königlichen Witwer
am 2. Mai 1389 zu vermählen. Geboren im Jahre 1376, in dem
Fahre, als Wenzel römischer König wurde, war die neue Königin,
als jie Gemahlin eines notorischen Trunkenboldes wurde, erſt 13 Jahre
alt. Es genügen diefe chronologischen Daten, um ein eigenthümliches Licht
auf die ehelichen Verhältniſſe zu werfen, vielleicht auch Har zu machen, warum
das Kind, welches dem 28jährigen Könige als Gattin zugeführt wurde,
ihrem Gemahle feine Kinder fchenkte. Es hat der Umstand, daß Wenzel
bon zwei wittelsbachifchen Frauen feine Nachkommenſchaft erhielt, nicht zur
Feſtigkeit feines Königthums beigetragen. Blieb man doch noc immer bei
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 1. Heft. 3
a —
dem luxemburgiſchen Hauſe, wenn man Böhmen der mähriſchen Linie des—
ſelben in die Hände ſpielte! Die Königin Sophie ſtarb nach 30jährigen
trauriger Ehe, beinahe 50 Jahre alt, fern von Böhmen, ſechs Jahre nach
dem Tode K. Wenzels, am 26. Sept. 1425 zu Preßburg unter dem
Schutze ihres Schwagers, des aus Böhmen vertriebenen Königs Sigmund.
Man mußte, als ſich K. Wenzel, außer Stande den Zerwürfniſſen
im deutſchen Reiche zu ftenern und durch jein Fchändliches Verfahren gegen
Johann von Pomuk, der „den Tjchechen wie den Deutjchen gleich theuer
war" (1393), mit fich felbjt in Zwiejpalt verjegt, in Böhmen ebeuſo gehaßt
als verachtet, von den deutjchen Angelegenheiten mehr und mehr zuridzog,
nicht mehr nach dem Reiche ging, in Befriedigung der Waidmannsluſt
und der Stillung feines Durjtes feine Lebensaufgabe erkannte, auf eine
Rataftrophe in Böhmen wie im deutschen Neiche - gefaßt machen. Die
Symptome einer herannahenden Doppelfataftrophe mehrten fich, und ſelbſt
die Frage, ob fie zuerjt in Böhmen oder im deutjchen Neiche zum Aus—
bruche kommen werde, entjchied fich, als 1393 K. Wenzel von dem böh-
mifchen SHerrenbunde gefangen genommen, aus Böhmen weggejchleppt
wurde, und nachdem er 1394 feine Freiheit wieder erlangt, dulden mußte,
daß feine Günftlinge und Nathgeber am 4. Juni 1397 in Karlftein, den
fein Vater als Hort des Landes, zum Schuge des Königthums erbaut und
mit allen Zierden feiner eigenthiümlichen Pietät geſchmückt hatte, meuchlings
überfallen und ermordet wurden. Während im Stilfen der Wichfismus
aus England in Böhmen eindrang und wenn auch nur langjam einen
geiftigen Zerfegungsproceß unter dem gelehrteren Theile des tſchechiſchen
Elerus organifirte, trat die Oppofition des böhmifchen Adels unverholen
im Gewande der Nebellion gegen den König hervor. Sie nübte die jpätere
dufitifche Bewegung zu ihren Zwecken aus, bereicherte ſich dann mit den
Gütern der Kicche und der Krone, aber fie war ſchon vor dem Hufitismus
da, dejjen Urheber auf den Adelsichlöffern, wie er felbjt in Conftanz jagte,
jichere Unterkunft fand, und bereitete ſomit die große böhmiſche Revolution
vor, deren Nejultat zulegt in der ſyſtematiſchen Schwächung der Krone,
in dem -Uebermaße der Macht des Adels beftand, der jelbjt einen ber
Seinen, den „vifgerudten" Georg von Podiebrad und Kunjtatt auf den
Throne jeßte und der dann wieder den jchwachen Jagellonen den Weg
zum Throne bahnte. Das jlavifche Element, das feinen geordneten Staat,
in Polen jo wenig als in Böhmen, auffommen ließ, wohl aber die Will:
fürherrichaft des Adels, die in Polen zur Republik mit einem Schatten:
fönig führte und in Böhmen im beften Zuge war, ein gleiches Monſtrum
herbeizuführen, gewann immer mehr die Oberhand, wenn auch noch 1397
er SA
als Borwand zur Ermordung der Gitnftlinge und Räthe in Karlſtein der
Satz galt, fie hätten Tag und Nacht dem Könige gerathen, nicht in die
deutfchen Lande zu gehen und ihn jo vom römischen Weiche zu bringen
geftrebt. Der König in den Händen Derer, die den Mord der Gegenpartei
als Reichsinftitution anfahen, und feit der erjten Gefangenschaft immer eine
Wiederholung diefes Schidjales fürchtend, fanctionirte das Gejchehene und
fand jetzt jelbjt heraus, daß die Ermordeten, die jich nicht mehr vertheidigen
fonnten, ihn an jeinen Ehren und feinem Leibe verrathen wollten.
Der Aufenthalt in Prag, in Böhmen ward immer unheimlicher. Wie
vor großen atmojphärifchen Entladungen eine drüdende Schwüle fic)
bemerkbar macht, pflegt auch großen moralischen und politischen Katajtrophen
ein banges Gefühl, ein lange unerkflärbares Etwas voranzugehen, das
freilich feinen Grund in den nachfolgenden jchweren Thatfachen zuletzt auch
dem Blödeften offenbart. Se mehr aber in Böhmen das Königthum ein
Spielball der Barteien wurde, die Freiheit, wo nicht gar das Leben
K. Wenzels bald von der einen, bald von der anderen Seite bedroht waren,
mußte man auch gewärtigen, daß das deutjche eich, trog feiner tiefen
Spaltung zwijchen den Neichjtädten und den Fürjten, der republifanischen
und der erblichen Ordnung der Stände, der Tichechifirung und, was jeht
identiſch war, der Demoralifirung des römischen Königthums nicht mehr
ruhig zujehen fünne, noc) zufehen werde. Der Stein fam von mehr als
einer Seite zum Nollen. Von wo man es am wenigſten erwarten mochte,
vom Niederrhein, aus Köln, ertönten Klagen von Vorgängen an der Prager
Univerfität, von Auswanderungen der Beften, vor Allem aber von der
Untauglichfeit des Königs — wye he eyn vndachjame man were — ud
daß fein Mittel helfe, als das der Abjegung. Er laſſe das Töbliche und
hochberühnte Studium und hohe Schule zu Prag ganz unter die Füße
fommen und eingehen; er achte weder Edelmann noch Gelehrten und bleibe
gemeiniglich liegen in Böhmen als ein ſwjin (Schwein) in ſynem jtalle.
Es nahte, je länger das Schisma der Päpſte dauerte, — und feine
Berlängerung ſtand mit dem trojtlojen geiftigen Verfalle K. Wenzels und
jeinem Aufenthalte im mittelböhmijchen Jagdrevier in unmittelbaren Zu:
ſammenhange — deſto früher die Zeit, in welcher auf den großen Reichs:
tagen der Ehrijtenheit, die man Concilien nannte und die ſich auf das
Eifrigjte um Herftellung einer allgemeinen Ordnung der Dinge verdient
machten, die Univerfitäten durch ihre bedeutenden Vertreter eine maßgebende
Rolle jpielten; nur nicht die Ältefte und lange Zeit einzige auf der Nord-
jeite unjerer Alpen, die Schöpfung K. Karls. Sie fchien gerade jegt nur
die Aufgabe zu feinen, durch den Streit und die Auflagen der Fhrigen
3*
— | pe
die offenen Wunden zur zeigen, aus denen fie blutete, feit die Tſchechen ſich
berufen glaubten, Kirche, Königthum und Wiſſenſchaft in ihre Hände zu
nehmen, um Alles und Jedes zu verderben.
3.
Die Webertragung des dentſchen Königthums von der Moldan au den
Rhein. — Der deutſche König Rupredt.
Nicht ohne die heftigſten Principienfämpfe jchied das XIV. Jahr:
hundert von dannen. Der große Streit der Schweizer Bauern mit dem
öfterreichifchen Adel und dem mannhaften Herzog Leopold endigte am
9. Juli 1386 mit dem Tode des Lebteren, der großen Niederlage der
Seinen bei Sempadh. Die Erhebung der flandriichen Communen vor
Allem Gent’s, welche, wenn fiegreich, das franzöſiſche Neich mit einer all-
gemeinen Umfehr der Dinge bedrohte, endete 27. Nov. 1332 mit der großen
Niederlage Philipps von Artevelde durch den franzöfifchen Adel uud die
franzöfifche Krone. Im Oſten beriefen die Bolen den heidniichen Beherrjcher
Lithauens Jagello (Wladislaus) anf den polnischen Thron. Sie trennten
fich faſt zugleich von Ungarn und befeitigten dem deutjchen Verlobten ihrer
Königin Hedwig und deutſche Herrſchaft 1386. Zehn Jahre jpäter
erlitten 8. Sigmund und das Kreuzheer die große Niederlage bei Nikopolis
durch die Türken 28. Sept. 1396, und als der Bruder 8. Wenzel den
gewaltigen Gefahren der Heerfahrt, der Niederlage und der Flucht ent:
ronnen, verfiel ev erjt der Gefangenjchaft der ungarischen Stände. Wie
jo häufig ſchien erjt gegen das Ende des Jahrhundertes die ſtürmiſche
Ausjaat desjelben zur Reife zu kommen!
Im deutſchen Reiche war es der Anfang des neuen Fahrhundertes, 1400,
das die nachhaltigfte Veränderung zu bringen jchien. Ich habe an einem
anderen Orte und ausführlich nachgewiefen, wie die italienischen Parteiungen,
die Macht der von Wenzel zu Herzogen erhobenen Viscontis von Mai-
land und die Beſorgniß der Florentiner vor Aufrichtung einer norditaliſchen
Großmacht die deutjchen Churfürjten beeinflußten, die Sorge um das Neid)
dem Könige, der immer mehr zu verrohen jchien, abzunehmen und den
Sig desjelben von der Moldau wieder nad dem Rhein, des Reiches wid):
tigjter Straße, zu verlegen. Bafel, Straßburg, Heidelberg, Speier, Worms,
Mainz, Eoblenz, Bonn, Cöln, Neichs- und zum Theile bijchöfliche Städte,
die an der Conſtituirung des Neiches in den verjchiedenften Zeiten Antheil
genommen, da die Grabjtätte dentjcher Kaifer, dort jener Churerzfanzler
und Erzbiichöfe, die in den ſchlimmſten Tagen an der Wiederanftichtung
Ze a
des Königthums gearbeitet und deren Grabjtätten im Dome zu Mainz zu
den lehrreichſten Monumenten der deutschen Gejchichte gehören; zwei Städte,
Heidelberg und Cöln, in jüngjter Zeit mit Univerjitäten geſchmückt, die eine
1386 durch Churfürſten Nuprecht, die andere jeit 1388, ein deutliches
Zeichen, daß, jeit die Hauptquelle der Wiſſenſchaft getrübt worden, fie
fich nach einem anderen Borne umſah; ein herrliches gejeguetes Land vom
lebhafteſten deutſchen Stamme, den Franken im mittleren und unteren Laufe
des Nheins, am oberen von Memannen bewohnt, war es fein geringer
Vorzug, daß hier jih 4 Churfürftenthüner Mainz, Trier, Cöln und
Pfalz, 3 geiftliche, ein weltliches berührten, während die Donan Feines, der
Norden 2, die Moldan das erjte weltliche und das doppelte Königthum
hatten. Allein die Machtverhältniſſe hatten ſich verfchoben, Churfürſtenthum
und Macht deckten fich wicht mehr wie in früheren Zeiten; die 4 rheinischen
Churfürften waren in Betreff des Umfanges ihrer Territorien die ſchwächſten,
namentlich für einen auswärtigen Krieg wenig geeignet. Den churfürft-
lichen Territorien gegenüber ftanden fürjtliche Häufer, das habsburgiſche,
das wittelsbach-baierifche, die ihre eigene Politif hatten, und wenn fie
fich nicht durch Therlungen zu jehr Schwächten, eine jehr anjehnliche Macht
befaßen. Damm wieder andere, die im Gegenfage zu den kriegeriſch ge-
jinnten Habsburgen, durd Erlangung von Reichsbisthümern und geiftlichen
Churfürſtenthümern fir ihre Secundogeniturlinie, was jie an Ausdehnung
ihrer Territorien nicht gewinnen konnten, durch vermehrtes Anjehen im
Neiche zu erlangen trachteten, wie in jenen Tagen ganz bejonders das
Hans der Grafen von Naſſau. Ihr Streben war vorzugsweile der Beſitz
des Churfürſtenthums Mainz, das Johann Graf von Naſſau 1397—1419
und jpäter unter harten Kämpfen Adolf 1463 —1475 erlangten. Ein
Diether von Naſſau ward 1300 Erzbiſchof von Trier. Dann aber
wandten fich die aufjtrebenden Markgrafen von Baden dieſem geiftlichen
Churfürſtenthum zu, das 1456 Johann IL, 1505 Markgraf Jakob er:
langten. Die Zeit war längjt vorbei, in welcher Grafen und Markgrafen
den Fühnen Sprung zum Königthum wagen konnten; es ſorgten jchon die
Herzoge und weltlichen Churfürften dafür, daß es nicht gejchehe. Aber die
geijtliche Laufbahn ftand ihren Brüdern oder nachgeborenen Söhnen offen,
die ja auch zum Churfürjtentfume führte, wenn ihnen nicht der Neichsadel
den Weg dazu verlegte.
Noch im Fahre 1397, als K. Wenzel ſich zur Reife nad) Paris
entjchloß, Tagen die Dinge nicht fo, daß man eine Abjegung des Königs
als jo nahe bevorjtcehend erachten mochte. Allein dringend Hatte Churfürft
Nuprecht von der Pfalz davon abgerathen, und als nun die Nachricht
ſich verbreitete, der römische König habe fich im Paris jo betrunken, daß
er nicht einmal zur Füniglichen Tafel kommen konnte, traten das Gefühl
der Schande, welche er dem Weiche ‚im Auslande bereitet, und die Be-
jorgniß, ev möchte durch feine mit dem franzöfischen Könige geplanten
kirchlichen Brojecte die Verwirrung der Dinge noch weiter treiben, lebhaft
in den Bordergrund Man mußte jich fragen, ob noch mit gewöhnlichen
Mitteln Abhilfe gejchaffen werden fünne oder der Zeitpunkt zu draftischen
gefommen jei. Zwei Jahre, nachdem K. Wenzel von feiner Barijer Reife,
die wohl den Römerzug erjegen jollte, nach Haufe gekehrt war, erfolgte am
2. Februar 1400 die Losjagung der 4 rheinischen Churfürjten in Verbindung
mit Churf. Rudolf von Sachſen von 8. Wenzel, feine Citation nach Lahu—
jtein, dann feine Abjegung durch die vier Ehurfürften 20. Augujt, endlich
auf dem Churfürjtenjtuhle zu Lahnjtein am 21. Auguft 1400 die Wahl
des Churfürjten Ruprecht genannt Clem, zum römijchen Könige. ")
Es iſt hier nicht der Ort, die Nechtsfrage zu unterfuchen, noch über:
haupt die Motive, welche die große Veränderung begründeten, die im
deutfchen Neiche vor ſich ging, als zu der allgemeinen Calamität des
päpftlihen Schisma’s auch das königliche Scisma in dem Reiche
fich gejellte, das mehr als ein anderes berufen und nach dem Vorgange
der älteren Kaifer, verpflichtet war, den ungehenren Schaden des kirch—
lichen Schisma's zu befeitigen; kaum aber dazu, ihn durch ein zweites, poli—
tifches zu vermehren, jo daß endlich es gar zu 3 Päpften und 3 römischen
Königen kam. Dieje Frage und der Einfluß von Außen, der ſich dazu
gefellte, den Entjchluß der rheinischen Churfürften zur That zu machen,
wurden in der Monographie über K. Ruprecht, den Ahnherren des jegigen
füniglichen Haufes von Baiern, jattfam erörtert. Die Wahl war und blieb
em Wagniß, zu welchem nur die äußerſte Noth drängen konnte. Wenn
aber auch diefe für den Augenblick fich weniger nachweifen ließ, fo forgte
doch die nächjte Zukunft dafür, als der König von feinem eigenen Bruder
Sigmund gefangen und aus Böhmen hinweg nad) Wien gebracht wurde,
1402, daß der Schritt zu Lahnftein im Intereſſe des Neiches geboten zu
1) Es ift ein Schwerer Mifbraud, fortwährend von einem Kaifer Ruprecht, einem
Kaiſer Nudolf von Habsburg, einem Kaifer Mdolf, einem Kaifer Albrecht zu
Iprechen. Sie waren e3 nicht und jchrieben ſich auch nicht fo. In Betreff der
Bedeutung Clem finde ich bei Menfen Monumenta landgrafiorum Thüringiae,
(Seript. II. ©. 842) den Marchio Friderieus Clem sive rigorosus. Es hatte
jomit die Bedeutung des Strengen, wo nicht desjenigen, der ſich, wie es
leider mit Nuprecht in pecuntärer Beziehung der Fall war, in fortwährender
Klemme befand,
An
jein ſchien. Blidte man aber auf die Perjönlichkeiten, jo konnte der Ver—
glei) nur zu Gunften K. Ruprechts ausfallen, vorn welchem Suchenwirt,
jein geſangkundiger Zeitgenoſſe, dichtete:
Wolauf wir ſullen fürbaz
Zu Herzog Ruprecht an den Rein;
Wenn ich (zu) dem khum, der lat mich ein,
Deß Hof ſieht man gar wirdiglich
In ſchönen Züchten freudenreich,
Mit Herſchaft und mit Vrauen
Mag man in choſtlich ſchauen.
Der verdiente Ruhm, Beſchützer der Univerſität Heidelberg und ſomit einer
Stätte des geiſtigen Lebens für ſpäte Jahrhunderte geweſen zu ſein, wäh—
rend Wenzel bald ſich zu einer That aufraffend, bald taumelnd und nieder—
ſinkend, nur berufen zu ſein ſchien, Alles zu verderben, was er in die
Hände nahm, hat K. Ruprecht einen bleibenden Schimmer der Begünſti—
gung der edelſten Richtungen verliehen und ſeinen Namen den Männern
angereiht, denen ein dankbares Andenken geſichert iſt. Es iſt nicht
meine Aufgabe, mich darüber weitläufig zu ergehen, da dieſes Verdienſt
gerecht und umſichtig nur von denen gewürdigt werden kann, die aus der
Rupertina ihr eigenes geiſtiges Leben holten und mit ihrer Entwicklung
ſich durch Beruf vertraut gemacht haben. Wenn aber die verbiindeten vier
Ehurfürften zu Lahnjtein erklärten, ev — R. Wenzel, hait auch, daz er-
jchreflich und unmenfchlich Tudet, mit feiner jelbst haut vnd auch vbermeß
vnd ander vbelteder dy er bey ym hait, eriwirdigt vnd bidderbe prelaten
pfaffen vnd geiftliche Iude ermordet, erdrenkt, verbrannt mit fafeln und fie
jemerlichen vnd unmenfchlichen widder vecht getodtet daz eiynem Noemijche
funighe vntzemlich jteh und Iudet — jo war das fittlihe Moment her-
vorgehoben, daS zur Erhebung K. Ruprechts Anlaß gab, deſſen Hofhaltung
die Dichter befangen, während die K. Wenzels gemieden und verabjcheut
wurde. Wenn aber ferner die Entwicklung des böhmischen Staatsrechtes
darin jich äußerte, daß eimerfeitS der König zu fo ſchnöden und unmenſch—
(ihen Thaten jich berechtigt fühlte, andererjeits er troß Krönung und Hul—
digung hinweggejchleppt, feine Günftlinge aber ermordet wurden, jo war
der Schritt gerechtfertigt, den Sitz des römischen Königthums von der
Moldau nad) dem Rheine zu verlegen und den böhmischen Gepflogenheiten
deutſches Necht und deutsche Sitte entgegenzuſtellen. Nur genügte es nicht,
den Berjuch zu machen, der zunächjt das deutiche Neich theilte, ſondern
mußte Macht gegen Macht entjcheiden, und da zeigte ſich, daß das Fleine
Churfürſtenthum von der Pfalz und die dem eigentlichen Kampfplage eut—
u AU
legenen drei geiftlichen Churfürftenthiimer nicht ausveichten, das Königreich
Böhmen zu bewältigen und durch Beftegung K. Wenzels die Einheit des
Neiches herzuftellen. Aber auch der Verſuch mißlang, durd) einen Römer—
zug die Staijerfrone zu gewinnen, die Wenzel um des edlen Waidmanns—
werfes verabjäumt hatte, und noch weniger, die Einheit des Papſtthums
herzuftellen, das trotz Ruperts Bemühungen zu Pija ſich gerade zum drei—
fachen gejtaltete!
Zu all diefen Kämpfen und dem BZwiejpalt im Inunern, den der
König gleichfalls nicht zu befeitigen vermochte, fam jet aber erſt noch
der fjlavische Antagonismus, der zu einem wuchtigen Schlage gegen die
Deutjchen ausholte, als dieje ein nationales Königthum dem in tjchechtiche
Abhängigkeit gerathenen entgegen, am Rhein und in Heidelberg gegen
Prag aufzurichten dachten. — Die drei nicht tihechischen Nationen der Unis
verfität hatten jidy in den Traun gewiegt, durch den früher abgejchlojfenen
Vertrag und den darauf begründeten Univerfitätseid in ihrem wenn auch
gejchmälerten Beſitzſtande unangegriffen zu bleiben. Das war aber gar
nicht die Meinung der tſchechiſchen Magifter, vor Allem des Johann von
Hufineß, der jelbjt durch feine Vorliebe für die Doctrinen des Engländers
Kohn of Wichf mit dem Erzbifchofe in einen Conflict gefommen war
und von K. Wenzel beveit3 die Drohung erhalten hatte, ev werde ihn
dem Flammentode übergeben. Da gelang es ihm, nicht blos das Intereſſe
der tjchechifchen Nation in den Vordergrund zu ftellen, fondern auc den
Augenblid zu benügen, in welchen König Wenzel feine ganze bisherige
Kirchenpolitif veränderte und zugleic) einen Vertrag mit den Cardinälen
zur Vernichtung K. Ruprechts abjchloß, um den König zu beſtimmen,
unter einer nichtSfagenden Berufung auf die Gründungsurfunde der Prager
Univerfität, im vollen Gegenjage zu feiner eigenen, königlichen Erklärung
vom 31. Januar 1399, den drei Nationen das bisher behauptete Necht bei
den Prüfungen, den Wahlen und allen Univerfitätshbandlungen
abzusprechen, der böhmiſchen Nation 3, den drei Nationen aber nur Eine
Stimme zuzuerkennen. „Nichts vermöge feine Ehre mehr zu erhöhen, hatte
der König noch am 31. Januar 1399 ausgefproden, und feinen Namen
weiter bei Fremden zu verherrlichen, als wenn durch feine Sorgfalt der
Ausländer den jüßen Boden der Heimath aufgebe, jid
nah Böhmen wende und, um Wiſſenſchaft zu erlangen, Eltern
und Freunde zurücdlafle” Jetzt wurde derjenige, welcher die Jutrigue
eingefädelt hatte, dur die der Rechtsbruch erfolgte und die bejchränfte
nationale Auffaffung in noch höherem Grad als 1384 fiegte, als Befreier
der tjchechifchen Nation begrüßt und erlangte Johann von Hufineg auf ein-
— MT
mal die dominivende Stellung, die er zur Einleitung der tichechiichen Re—
volution benüßte, von der freilich K. Wenzel jich nicht früher eine Vor—
stellung machte, al8 bis ihre Wogen über jeinem Haupte zufammenjchlugen.
Die Feindfeligkeit vecht deutlich zu machen, conſtruirten Hus und feine
Partei aus den 3 Nationen Eine, eine natio teutonica, und richteten nun
gegen diefe „als Ausländer, Verſchwörer und Lügner“ ihr Geſchütz. Der
tſchechiſche Clerus, an jeiner Spige Johann Hus, entfejjelte zu feinem Stege
die ganze Fülle des ſlaviſchen Haſſes gegen die Deutjchen und iſt jich auch
nad) diefem Vorbilde und Borgange in den jpäteren Jahrhunderlen nur
zu oft gleich geblieben. Wie Magiſter Andreas von Böhmisch Brod auf
dem Eoncil von Conftanz auf jeinen Eid befragt, erklärte, enthielt die
fönigliche Entjcheivung, al8 deren Autor Hus ſich rühmte, eine grelle Ver:
letzung der Statuten der .Univerfität und der bejchworenen Vereinigung
und es war eine moraliche Spiegelfechterei, die Sache jo darzuftellen wie
es Hus that, daß die von ihm erwirkte Entjchetvung, die den ganzen
Charakter der Univerfität umjtürzte, mit der Grimdungsurfunde K. Karls
im Einflange ftehe. Wohl aber führte fie zur Auflöjung und Zerftörung
der Univerfität. Die königliche Erklärung vom 18. Januar 1409 erklärte
jich gegen alle Nechte der deutjchen Nation, die fich nach einer wahrhaften
Relation, welche Wenzel vorgelegt worden, 3 Stimmen zueignete, während
fie jelbjt des Nechtes der Einwohnerjchaft, des Incolates, gänzlich untheil—
haftig jei; ſie wendet dieſe für ewige Zeiten der tſchechiſchen zu, die jie
friedlich genießen jolle. Schade, daß dieſes deutſchſeindliche Actenſtück, die
tichechische Kriegserflärung gegen die natio teutonica (die relatio), nur info-
ferne auf unſere Zage Fam, als fie Aufnahme im die königliche Erklärung
von Kutteuberg gefunden hat. Es ijt aber fir die Männer, welche die Sache
in ihre Hand nahmen, charakterijtijch, wie für K. Wenzel felbjt, daß die
Abgejandten der 3 Nationen den König bereits für ihre wohl begründeten
Rechte gewonnen hatten, als e8 Hus und Hieronymus von Prag gelang,
den unjelbjtändigen Monarchen wieder fir ihre Anſicht umzuſtimmen.
Es kann nicht die Aufgabe diejer Schrift fein, den offenen Act der
Feindfchaft gegen die deutjche Nation im Einzelnen zu verfolgen. Diefes it
mit Benügung vieler bisher unbekauuter Acten jchon vor 22 Jahren
gefchehen, was aber die Deutjchen nicht Hinderte, ihrem ZTodfeinde auf
dentjchem Boden Statuen zu errichten und eine gegen die deutjche Nation
und ihren König unmittelbar gerichteten Schlag zu ignoriven.
Damals war e8, daß in der Appellation der 3 Nationen dem Könige
der Vorjchlag gemacht wurde die Univerfität zu theilen und diefer,
als einziges und richtiges Mittel eines dauernden nationalen
a
Friedens dem Könige unterbreitet, von den Tjchechen abjchlägig be-
ſchieden wurde, Die tichechiiche Partei wollte die Alleinherrjchaft, Feine
Theilung. Wie heutigen Tages unter ähnlichen Verhältnijjen, ward da-
mals von den 3 Nationen bingewiefen, daß aus der Füniglichen Ent-
Scheidung von Kuttenberg nothiwendig die Verwirrung des Königreiches,
dadurc der Untergang des Königs erfolgen müßte. Die nur zu gegriindete
Prophezeihung wurde bei dem Uebermuthe der fiegenden Partei und der
heillofen Schwäche des Küniges, der mehr als je darauf bejtand, König
der Deutjchen zu fein, während der Luxemburger, der Sohn eines Kaijers,
die deutſche Nation im eigenen Lande ihren geichworenen Feinden preisgab,
verlacht und verachtet. Sie hat ihre Wahrheit nur zu jehr bethätiget und
zwar au der Univerfität, die ohne die Deutjchen geiftig zu Grunde ging,
an dem Königreiche, das der Revolution verfiel, an dem Könige, der
jehr bald froh fein mußte, den Zitel eines Königs der Römer zu bewahren,
und, nachdem ev erlebt, daß fich die Tſchechen um ihren gefrönten König
nicht im Mindejten kümmerten, am 30. Juli 1419 den Fenfterjturz in
der Neuftadt unternahmen, elend und verachtet fein Leben bejchloß.
Als nun die Deutjchen in der Erfenntniß, daß bejchworene Rechte
bei den Anhängern des Hus feine Geltung fänden, die Tſchechen das Recht
der Herrichaft für ſich behaupteten, von einem friedlichen Auskommen und
geiftigem Zuſammenwirken feine Rede jein könne, in Maßen auszogen und -
Prag den Rücken fehrten, erfolgte die Vertheidigungsjchrift des Hus und
feiner Genojjeu, die vor Jahren in der Behaufung eines Bauern gefunden
wurde md glüdlich in die Hände dejjen gelangte, der ihren Werth zu be-
meſſen verjtand. Sie ift in dem beharrlichen Kampfe der Tichechen gegen die
Deutjchen eines der merkwürdigſten, zugleich nach Form uud Inhalt eines der
widrigjten Actenſtücke, ſchon deshalb von Wichtigkeit, weil die fiegende Partei
nunmehr die Maske ablegte. Sie betonte den Unterjchied zwifchen den echten
und unechten Söhnen des Hausvaters und wies darauf hin, daß man das Brod
nicht den Hunden geben dürfe, d. h. den Deutjchen. Jetzt war K. Wenzel
als abjoluter Herrjcher, dem man zu gehorchen habe, vecht und genehm
und wurde in dem Maße unbedingter Gehorfan verlangt, in welchem feine
Entscheidung gegen die deutſche Nation war, natürlich fich vorbehaltend, ihm
den Gehorjam wieder aufzufünden, wenn ev etwas befahl, was der tichechi-
jchen Nation nicht genehm war. Jetzt ward der die hufitiiche Bewegung
feitende Grundſatz uuumwunden ausgefprochen, die böhmische Nation müſſe
die ausgezeichnete Negiererin der anderen Nationen fein. Weil
Gott das gelobte Land unter 12 Stämme (zum ausschließlichen Beſitz—
thume) getheilt, müßte es auch mit Böhmen der Fall fein. Früher wären
— —
hier nur Tſchechen geweſen, jo müſſe es auch künftig fein und die Böhmen
ohne Störung durd die Deutjchen bleiben.
Die deutjche Nation erhielt aus dem Munde des neuen evangelijchen
Predigers die Werfung: nimm das Deine und gehe. Wenige Jahre
fpäter, als das bisher unbekannte Verzeichniß der den flüchtigen Bürgern
Prags und anderer Orte widerrechtlich abgenommenen Häufer, Weinberge,
Gärten, zufammengejtellt wurde, hieß es, fei froh, wenn Du gehen Fannft,
Dein Eigenthum gehört aber dem neuen auserwählten Volke Gottes, dent
Bolfe Iſrael, dejjen Rector Johaunes Hus ward. Die heutigen Verſchwörer
— die deutjche Nation — waren ja nad) der neuen Doctrin jchlimmer
als die Juden und Phariſäer gewefen, indem fie nicht blos gegen Chriftus,
jondern aud) gegen das Königreich Böhmen und die Prager Univerjität
fich verjchiworen hätten. Mit Necht habe K. Wenzel die Deutſchen aus
jeinen Reihen gebannt und erilirt.
Dahin war es mit dem deutjchen Königthum des Königs von Böhmen
gekommen. Seit der Adel das Necht zu tummltuiven der Unterwerfung unter
die majestas Carolina vorgezogen und beharrlich bethätiget, ſteuerte die
Nation, welche ficy als zweites Iſrael bezeichnete, der Periode der Fenſter—
jtürze zu, die, als jie im Anfange des XVI. Jahrh. ſich zum drittenmal
wiederholt, als mos boheimicus, als tſchechiſche Sitte bezeichnet und vor den
Augen der civilifirten Welt dadurch entjchuldigt wurden. Keinem Bolfe war
e3 nöthiger, mit einem anderen zuſammenzuleben, und durch den Gegenjaß
vor Ertravaganzen jeder Art behütet zu werden, als dem, welches jetzt über
den böhmischen König Wenzel nad) Belieben verfügte.
Wenn auch die deutjchen Profejjoren und Studenten, die vor Hus
und jeinen Genofjen aus Prag auszogen, jich vorzüglid) nach Leipzig
wandten, jo hatte man doch jchon 1386 dafür gejorgt, daß nicht blos
Sachſen und Oeſterreich, wo Herzog Rudolf IV. die deutſche Univerjität
Bien gegründet, fondern auch das Nheinlaud feinen geijtigen Mittelpunkt
befige. Es handelte fid) aber nicht blos darum, der Wijjenfchaft und vor
Allen dev Yurisprudenz eine neue Stätte zu bereiten, durch alle Völker
der lateinischen Kirche ging damals ein gleichartiger Zug, der mit dem
Ueberdruß in Verbindung fteht, den das Schisina der Bäpfte — der berufenen
Berrreter einer geiftigen Einheit — hervorgerufen. Nicht blos die theologische
Gelehrſamkeit, überhaupt Geſchäftskenntniß und Behandlung politischer An-
gelegenheit ruhten noch immer in den Händen der Geiſtlichkeit. Karl IV.
hatte dieſen Einfluß eher vermehrt als vermindert, aber nicht hindern
können, daß das Episcopat durch die weltlichen Würden und Geſchäfte
eher verweltlichte, als ſeiner kirchlichen Aufgabe treu blieb. Was nützte es
=
aber, Weltlichen weltliche Gefchäfte übergeben zu wollen, jo lange Gelehr-
jamfeit und Bildung nicht auf diefer Seite zu finden waren? Die Bedeutung
der Univerjitäten Deutjchlands jteht daher mit dem Zuge nuh Säcula-
riſation, nach der Heranbildung weltlicher Kanzler, gejchulter Beamten und
Nichter in unmittelbarem Zuſammenhange, und es ift auch hier der Unter:
jchied zwiſchen dem jlaviichen und dem dentjchen Theile des MNeiches, dem
Beſitzthum K. Wenzels und dem K. Nuprechts, bemerkbar. In dem einen
ſanken in nächjter Zeit Kirchen und Klöfter im Ache und bemächtigte
fi) der Adel des Kirchengutes, Er jäcnlarifirte nach der Weife der auf
gewühlten rohen Maſſen, er griff wie fie in fremdes Eigenthum ein, das
zu ganz anderen Zwecken gejtiftet worden war, als da von den Zaboriten
zerjtört, dort vom tichechifchen Adel geplündert zu werden, dem es dann nad) der
Schlaht am Weizen Berge erging, wie er es zwei Jahrhunderte lang gegen
Andere getrieben hatte. In dem Bereiche 8. Ruprechts nahm die Säculari-
fation einen anderen Charakter au. Es handelte ſich darum, die weltlichen
Angelegenheiten den Weltlichen zu übergeben, diefe zum Dienjte des Staates
heranzuziehen, unbejchadet der Reichsverfaffung, die ein halb geijtliches, halb
weltliches Neid) begründete, aber den geiftlichen Fürjten nicht verwehrte, ſich zu
weltlichen Zweden um Weltliche umzuſehen und die Geijtlichen auf ihr Gebiet
zu bejchränfen. Dieje jehr wichtige und maßgebende Richtung der Zeit fteht
aber jelbjt mit den Verlaufe des großen Streites des Prieſterthums und
des Königthums, der die früheren Jahrhunderte unjerer Kaifergefchichte mit
feiner großen Wandlungen erfüllte, in einer gewijjen Folge, tft eigentlich ihr
natürlicher Ausläufer und enthält die friedliche und nad) zwei Seiten hin
berechtigte Berftändigung zweier Mächte, die in langjährigem Kampfe mit
einander ebenfo ihre gegenfeitige Kraft gemeſſen, als auch ihren wahren
Beruf, nicht gegen einander, fondern für und mit einander zu wirken, feinen
gelernt hatten, Niemand wird aber leugnen können, daß die Stellung,
welche jegt die Laienwelt errang, das harakteriftiiche Moment der
neueren Zeit, im Gegenſatze zum Mittelalter ift. Diejer früheren
Zeit gehört aber auch ein anderer nicht minder merkwürdiger Zug an. Wie
oft iſt nicht bei den Auseinanderjegungen zwifchen Kaifer und Papſt von der
translatio imperü die Nede! Es galt in gewiſſen Zeiten als ausgemacht,
daß der Papſt das Kaijerthum von den Griechen an die Deutjchen, an die
Franken (Kavolinger), dann an die deutjchen Katfer im engeren Sinne des
Wortes übertragen. Und felbft die Spige ift der Theorie nicht ferne, daß
der Papit jtreitfüchtigen Gejchlechtern gegenüber das Kaiſerthum den Deuts
hen wieder entziehen und einer anderen Nation übergeben könne und mie
jehr wünſchte z. B. 8. Manuel der Kommene im Streite B. Alerander’s IH.
u AR
mit K. Friedrich dem Staufer, daß der Papft das Kaiſerthum ihm über:
trage, das doppelte Kaiſerthum in dem von Konftantinopel vereinige!
Auch jet war es zu einer translatio gekommen uud follte das
Kaifertfum von der Moldau an den Nefar, reſpective au den Rhein ver:
pflanzt werden. Ob dazu Heidelberg ausreichte, möchten wir bezweifeln. Die
Hilfloſigkeit K. Ruprechts nahm befammtlich in den legten Jahren feiner
Negierung in einer Weife zu, die den König in den Bereich dev Hilfe
flehenden herabzog. Allein an der Moldau ließ jich das deutſche Königthum
auch nicht mehr erhalten. Dafür hatten Hus und feine fanatischen Tichechen
gejorgt, deren zerjtörende Hand auch hiebei ſichtbar iſt. Selbit als K. Sig-
mund die Hufitiichen Wirren beendete und das böhmische Königthum, wenn
auch als Ruine wiederherjtellte, war feine Nede mehr davon, daß Prag
wie in den Zeiten Karls IV. das fei, „was Nom und Konftantinopel ge:
weſen.“ In den großen Hufitiichen Kriegen trat dann jo recht die Bedeutung
der großen Fürjtenhänfer im Gegenfage zur veichsftändiichen Macht der
Fürften und Churfürjten hervor. Als Sit des Königthums, gejchweige des
Kaiſerthums Tieß ſich Heidelberg nicht halten; aber auc Prag nicht mehr.
Die Bedeutung des Nheines Titt, feit die Niederlande einem Fürſten aus
dem Haufe VBalois zugefommen; die Bedeutung der Donanlinie nahm zu,
jeit der Erbfeind aller chrijtlichen Eultur, der Osmane, die Donanländer
in Augriffspojitionen gegen das deutiche Reich umgewandelt hatte. Wie
einst Konftantinopel den Slaven, Avaren, Bulgaren gegenüber Hauptfeftung
des Neiches geworden war, deſſen Hauptjtadt es aud war, ward Wien
der Sig des Königthums und Kaiſerthums, zog ſich der Schwerpunft des
Reiches an die Donan und endigte die translatio imperii, welhe 8. Ru—
predt eingeleitet, zwar nicht zum Bortheile feines tſchechiſchen Gegners,
auch nicht zu feinem eigenen, aber zu dem eines nicht churfürſt—
lihen Haujes, das ſich nad) dem Tode des legten Luremburgers der Mühe
unterzog, Vorkämpe des Neiches im jahrhundertlangen Kampfe mit den
Erbjeinden desjelbin nach Oſt, nach Weit, nach Nord, nach Süd zu fein.
Böhmen aber blieb feit 8. Wenzels fturmbewegter Regierung der Wetter:
winfel Mitteleuropas, von welchem, jo lange es als Staat bejtand,
die Gewitter ausgingen, die in den Nachbarftaaten ziindend nieder-
fuhren, und die erjt fich verzogen, als eine deutsche Bevölkerung wieder:
fehrte und nicht mehr ein Hus ſich vorfand, der fie des Nechtes des Inco—
lates zu berauben Macht hatte, wenn auch der Wille dazu vorhanden war!
Während K. Nuprecht unter den Mühen und Sorgen, die ihm das
deutjhe Königthum und nicht in geringem Grade feine früheren Freunde
bereiteten, zujammenbrac und früh feinem Ende entgegenging, hatte ſich
Be
in der jlavifchen Welt die große Veränderung zugetragen, mit der das
XV. Jahrhundert begann. Am 15. Juli 1410 errangen die Polen bei
Zannenberg den großen Sieg über den Deutfchherren-Drden, der die Macht
desjelben brach. In Prag hatte es ſchon 1409 nicht an Verdächtigungen
der Dentjchen, die einer Hinneigung zu K. Nuprecht bejchuldigt wurden,
gefehlt, wie denn überhaupt die Luft zu verdächtigen in den böhmischen
Wirren ftets eine große Rolle ſpielte. Ganz offen wurden die Deutjchen
als Verſchwörer gegen die allerheiligite Stadt Prag, die heilige
böhmische Nation ud die heilige böhmijche Communität be:
zeichnet. Man jcheute auch den legten Schritt nicht und bezeichnete Prag und
die Prager Erde al3 den Boden, auf welchem „die Halbgötter“ wuchjen.
Längst hatten in ihren eigenen Augen die tſchechiſchen Magifter die deutjchen
bei weiten an Kenntniffen und Gelehrfamfeit überragt, auch nach diefer
Seite den Sieg davon getragen. Das wiljenfchaftlihe Turnier, welches
zu dem Endzwede von der tichechifchen Artiftenfacultät gehalten wurde, ſollte
den Beweis dafiir liefern. Der Befreier der tichechiichen Nation vom Joche
der Dentfchen, Mag. Johann Hus, betheiligte ſich hiebei mit dev quaestio,
ob von dem Bolfe Bharaos, das im rothen Meere ertrunfen,
und von den Sodomiten, die in Schwefel und Beh unter:
gegangen, Einige gerettet worden feien? Damit glaubte man
den Sieg der Tichechen über die Deutfchen und das moralifche Uebergewicht
der Tichechen itber jie hinlänglic) dargethan zu haben. Es dharakterijirt aber
den Geift und die Tendenz der ganzen Bewegung, ſowie ihres Leiters
und Urhebers, daß unter dem neuen tichechifchen Nector der Beichluß gefaßt
wurde, alle Acte der Univerfität, die fi) auf den jüngjten Streit bezogen
und dem Kuttenberger Decrete 8. Wenzel3 widerſprachen, zu vernichten.
Man wollte der Nachwelt jede Kunde der eigentlichen Vorgänge entziehen
und nur dasjenige follte ihr überliefert werden, was den von Hus und
jeinen Gefährten erjchlichenen Föniglichen Decret entſprach. In ähnlicher
Weiſe verfuhr man mit der dentſchen Sprache. Sie war in den Kirchen
wie in der Hauptjtadt des tichechifchen Königs der Römer geächtet. Der
Krieg, der jeßt begonnen und in welchem offen darauf gedrungen wurde,
die Deutfchen aus Böhmen zu vertreiben, wurde jomit eröffnet mit Ber:
nichtung der Hiftorischen Documente. Glüclicher Weiſe gelang es deutſchem
Fleiße doch, die Abficht, die Welt zu täufchen und was Hus zujagte als
hiftorische Wahrheit darzuftellen, zu vereiteln. Jetzt aber hieß es in Prag,
der Reetor der tichechifch gewordenen Univerſitit — Hus — regiere
Iſrael, das nenerwählte Volt Gottes; er fer „ver Mittler zwijchen
Gott und feinem Volke.“
— —
Sp hoch gingen bereits die Wogen der ſlaviſchen Bewegung, als
K. Ruprecht am 18. Mai 1410, von den Mühſeligkeiten ſeines hohen
Amtes gebrochen und bereits um ſein eigenes königliches Daſein kämpfend,
in Oppenheim 58 Jahre alt ſein Leben beſchloß.
Da es ihm nicht gelungen war, die große nationale Spaltung im
Reiche zu heben, dieſe vielmehr ſehr bald die Aufmerkſamkeit des allge—
meinen Reichstages der Chriſtenheit in Conſtanz in Anſpruch nahm, blieb
ſeine größte und nachhaltigſte That der Verſuch, den Sitz des Königsthums
auf wahrhaft deutſches Gebiet, nach Heidelberg zu verlegen, wo, als deutſche
Sprache, deutſches Recht, Wiſſenſchaft und Sitte in Prag geächtet wurden,
ſie eine bleibende Stätte fanden.
4.
Die Gegenfäße,
Wenige Jahre nach dem Tode K. Ruprecht, als P. Johann XXI.
im Schloffe zu Heidelberg unfreiwilliges Quartier bezog, Johann von Hu—
fineg aber, durch das Zeugniß feiner tichechifchen Freunde und nunmehrigen
Gegner überwieſen, verurtheilt wurde, ftanden ſich die Gegenfäge in größter
Scroffheit gegenüber,
Die deutjche Nation, wie fie fich jelbft bezeichnete, devota, patiens et
humilis, wandte ſich dem allgemeinen Bedürfniffe der nad) einer Reformation
lechzenden Zeit zu und Half die Konceilienperiode begriinden, die Tich die
Tilgung des Schismas, die Wiederherftellung der Eirchlichen Einheit, die Aus—
ſöhnung der den chriftlichen Orient und Decident jpaltenden Gegenfäge zum
Ziele jegte. Das Product dieſer unabläffigen mühevollen Arbeit war die Renaij-
jance, die auf dem geijtigen Gebiete nach neuen Quellen und neuer Erfenntniß
forschte, auf dem Fünftlerifchen an die Antike anknüpfte, auf dem rveligiöfen
aber den ganzen Gedaufenvorrath griechiſch- und römiſch-chriſtlicher Jahr—
hunderte demjenigen zuführte, das fich durch eine beifpiellofe Fülle ſchöpfe—
ticher, genialer Naturen auszeichnete. Die deutſche Nation ficherte ſich
dadurd ein Kapital, an das fie, wenn fie wollte, nach trüben Zeiten
immer wieder anknüpfen konnte und im XVIL Sahrhunderte auch
anfrüpfte.
In der Heimat des Johann von Hufineg gab es nur Eine Richtung,
einen Gögen, dem alles Uebrige geopfert wurde, die Nationalität. Der Bruch
mit der Vergangenheit, mit Allem, was durch die Einwirfung der von
Deutſchland herübergefommenen Culture entftanden war, war volltändig
— 48 —
wie der Triumph des einheimifchen Arels und die Knechtung der Mafjen,
der Umjturz des Königthums, der Kirche, der gefammten Eultur, alles
dejjen, was K. Karl gewollt, erjtrebt, gejchaffen. Die Univerfität jtand
jtill, das Volk verwilderte unter blutdürftigen Führern, unter dem Bürger:
friege, der mit der Zerftörung aller Stätten der Cultur begonnen hatte,
Um djefen Preis triumphirten die Männer der jacrofancten Gemeinde. Die
große Bewegung der Geifter im fünfzehnten Jahrhunderte ging au ihnen fo
viel als jpurlos vorüber. Es handelte fich darum, daß ein Einheimifcher oder
doc) ein Slave, aber fein Deutſcher König werde, und jtatt der Renaiſſance—
periode hatte man den Utraguismus als nationales Siegeszeihen. Ganz
Böhmen Tpaltete ich aufs Neue, in Städte, die den Kelch) zu ihrem Symbole
nahmen, und in die, die diefes Symbol verwarfen. Damit war der
Nationaljtolz befriedigt, und mehr bedurfte es nicht, wenn auch, wie Peter
Cheltieky jagt, das Wolf vichifch geworden war. Wer erjegte ihm den
verlorenen Wohlitand, wer den abhanden gekommenen Frieden, das einjt
jo mächtige Bedürfniß nach geiftiger Belebung? Wer die individuelle
Freiheit? Man brauchte das Alles nicht mehr! Man hatte den Fühnen
Schritt zur allgemeinen Revolution gewagt, ſelbſt auf die Gefahr hin,
daß ſie drei Jahrhunderte lang in immer neuer Geftalt wieder ericheite,
die Auflöjung unaufhaltſam weiter jchreite!
Man bedurfte der anderen Nationen, vor Allem der deutschen, nicht
mehr, und was dadurch an reellen Gütern unmiederbringlich verloren ging,
erſetzte — die Einbildungskraft, die den Abgrund nicht jehen ließ, dem
man zujtenerte, als es eigentlich Kein Volt mehr, fondern nur — Herren,
Ritter, einige Städte und verarmte Knechte gab.
War der Hufitismus, wie feine Anhänger behaupten, ein Cultur—
element, fo iſt ficher, daß die übrigen Nationen desfelben nicht bedurften,
auch feinen Grund hatten, diejenigen zu beneiden, die die Periode des
„Humanismus“ Fiir überflüſſig erachteten.
Beilage. (Anfang der K. Wenzel Bibel.)
Nach einer Mittheilung des verjtorbenen Academifers, Herrn Dr. Haupt.
f. 1.2: Hie hebt fich an die vorrede vnd. | der prologus vber das buch daz do |
heiffet vnd genant ift Biblia ete. | 0) Got got du hertzen liebes gute |
Czu dir hebit fich mein mut. Und | rufet dich gutlichen an. wenne |
nyemant wol gefchaffen kan. | An dich wil yeman icht begin | nen. Von
1) Zwiſchen der rothen Ueberichrift und dem Terte in einem blauen großen O
das Bild des Weltheilandes die Bibel oder ein Bud in der linken Hand,
su He
herezen vnd von finn@ | hebit keiner hand geticht | Und hat er deiner
hulffe nicht | Vnd ob er die vorkeuset. : Sein ar | beit er vorleufet. Wenne
alfo fp | fpricht dein werder fon.. An mich | mügt ir nicht getvn. Dor
vmbe | rufe ich herre ezu dir. Und bite | dich das du fendest mir. Deiner |
gnaden ftewer. Des heilig® gei | ftes fewer. Das mein finne durch | feuchte.
Und mein fele erleuchte. | Und mir entflieffe mein@ mvnt | Das ich mvze
« czu aller ftvnt. In | trewen ymmer meren. Das lop dei | ner eren. Das |
ich die pfvnt die du | mir. Hast vorlihen brenge dir. M | Mit reichem
wucher vrolich. Das | dein mvnt fo fruntlich. Mir denne | gütlich fpreche
ezu. vrewe dich lie | ber diener nv. Sint du bist czu di | sen ftunden.
Getrewe vber wenig | funden, Ich wil dich deiner not er- | getzen. Und
vber vil gutes feczen.
) — ouch herre deine ftew | er. Ozu diſer lieben abent tewer. Dem
vromen herren der | den rat. Uon dir felbe enpfang® | hat. Dem werden
getrewen diener | dein. Dem Rotlebin herren mer |tein. Der in rechter
tugende kern | Brinnet als ein liechter morgen | ftern. Und fich vnder
deinen dienst | beuget. Und manch gut teftamöt | czeuget. vnd meret deine
heilige | schrift. Der ouch ftiftet dife geftift | Czu lobe deiner heilicheit.
Gib | im herre fteticheit. Und dorezu | vrolichen mut. Das er dicz wer |
ke gut. Muze vol furen in fein@ | tagen. Das er do mite müze be- | iagen.
Der ewigen felden hort. | vreude beide hie vnd dort. Gib | ouch feiner
werden vrowen. die | fich lest in trewen fehowen. zu | allen eziten loze.
Recht als ein | werde rose, Sterck vnd volleku- | menheit. Das fie an
deiner ar | beit. Mit deinen fchriften erwer- | be. Das fie nymmer eriterbe. |
- Bis das ir leben alfo gevalle. den | touben an alle galle. Der Konigin |
der trewen vnd der cren. Marien | der werden heren. Das fie fi müze |
ezuchtielich. Füren in ires kindes | reich. Und gebe in do der trewen. |
erone. Nu vnd ewiclich zu lone. |
2) (a des ewigen vaters f | fon. Nu hilffe vns das | wir alfo ton. Das
f. 1.0.
vos nymmer | mifselinge. Dein helfe vns dar | ezu bringe. In aller vnfer
arbeit | Gib vns felbir dein geleit. w&nn | wir vns han gefeczet vor. Ouf |
fliefsen deiner fchrifte tor. Die | manchem noch vorfperret fein. | So das
wir aus der latein. Sie | czu deutfche richten. vnd durch | deinen namen
tichten. Dor vmbe | das dein Kindel. Die difer werlde | fwindel. Hat be-
toubet vnd vor | irret. Und von dir verre gevirret. | Dar aus helfe enpfahen.
Und | wider ezu dir gahen. vnd durch | deiner diener felden. Die vf der |
fehriften velden. Der fele narüge | fuchen. Das fie in keinen Bu | chen.
uinden keiner minne fü | ken. Und werden in liebe trvne | ken. Als vns
fchrebit herre fa | lomon. In der liebe buch do von | Efset vnd trincket
mein lieben | frünt. Und werdet truncken nv | ezu ftunt. Ewer lieb mir
flafen | machet. Jdoch mein hereze wa | chet. Nu herre in dein®@ namen. |
Durch deiner heiligen minne (tu | men. Hilfie das wir in vnfern | tagen.
Dein ioch alfo müzzen tu | ‘gen. Das wir in deines vaters lant. | Mit den
1) Blaues R.
2) Großes goldenes C.
Mittheilungen. 25. Jahrg. 1. Heft. 4
»
f. 2.
ezu der rechten hant | Enpfahen deines fegens gewin | So du fpricheft
gütlichen ezu | in. Kvmet ir gefegenten Kindel | rein. In das reich des
vaters | mein. Das euch von anegenge | ich. Han bereitet ewielich. Das |
vns das allen wider var. Des | helfe vns die muter celar. Die | in iren
iungen tagen. Criftum | meitlich hat getragen. In des | heiligen namens
volleist. Va | ter fon heiliger geist. Allen go | tes Kinder. Die sich in
trewen la | fent vinden. Und in gleicher fa |. fe. Bawen des himels ftrafe.
Die | got von herezen vnd von finnen | Und die heilige fehrift minnen |
Vnd do mit bekvmmert wefen. | Das fie gerne hvrent lefen. O | der felber
lefen den wil ich. Hie | vor legen früntlich. Der beften a | bentewer kort
Die mein oren | ye gehort. Ein buch das heiffet | biblia. Die wil ich aus
richten | fa. Und mit gleichen flechten | dingen. In deutiche ezunge v |
vod fprache bringen. Nicht zu | reime sam ich aldo. Gee in dife | prologo.
wenne wer es alfo | wolde fagen. Der müfte czu | vnd abe tragen. Und
- die fcehrift | gar vorkeren. Alfo wil ich nichte le | ren. Sunder gleich als
vos fchrei | bet da. Der heiligen fehrift hyftori- | a. Alfo wil ich euch
fehencken. U | Und mit vreuden trencken. |
7)
f. 2.b.
1)
Jses buches ausganck. Ist vö der | werlde ane vanck. Uon (dem erften |
tage. Von wreuden vnd von celage | was wunders in allen eziten. In | difer
werlde weiten. Gefchach | vnd noch gefchehen fol. wie got | die werlde
fünden vol. Bei noe | gar ertrenekte. Und den fodomi | ten fehenckte.
Swebil vnd fewer | Und machte in vreude tewer wie | er den Kynig pha-
rao. Im roten | mere czu egipto. Ertrenkte vnd | alle fein ritterfchaft.
wie chore | vnd fein gefellefchaft. Dathan | vnd abiron. In irem vbir-
mut | vod hon. Die erde lebending vor | flant. In aller difer not enpfät |
Seiner diener ny kein leit. Svn | der alle ire arbeit. Hat er fiüntl | chen
geendet. Vnd in vreude ge | wendet. Und aus allen forgen | erlost. Mit
feiner gegenwurtic- | heit getroft. Gefpracht mit in | ezu manchen {tun-
den. Als mit | feinen lieben frynden. Sulcher | grofer wunder ezil. Steen
in di | fem buche vil. Der ich euch all | hie nicht künde. Bis ezu
der | selben ftunde: Do ir die fchrifte | gegebin hat. Ir gleichen awen |
tewer ftat. wer nv difer fchrifte | hort. wil lefen vnd ir füzen wort |
Der fchol nv dancken dem vru | men. Von «dem diez geftift ift ko |
men. Dem hochgeborne Konig | wenczlab vein. Und der durch | luch-
tigiften Konigiun fein. | Der diez durch gotis wirdikeit | frumet aller
criftenheit. Got | gebe in dor ümbe czu lone. Des | edeln himelriches
crone, Amen, | Hie hat die vorrede ein ende got | vns feinen heiligen
geifte fende | Darnach hebit fich an das er | fte buch. das do heifset das
bu | che der fchepfunge mit fulche worten.
Großes grünes und viofettes D, im deſſen innerem Raum der König Wenzel
und die Königin Sophie, außerhalb der Eolumme dem Beichaner links dem
Könige rechts der einkopfige ungefrönte deutfche Adler ſchwarz in Gold, Dem
Beichauer rechts der Königin links der böhmiſche recte Inremburgiihe Löwe
golden in rothem Schild,
ur
Die Berka von Duba und ihre Befikungen
in Böhmen. |
Bon Wenzel Hiele.
IL,
Heinrich Berka von Duba anf Hanska und feine Söhne,
Im Laufe des vorigen Jahres ijt eine weitere Arbeit Knothes über
die Berka von Duba erjchienen, die fich genau mit demſelben Stoffe be:
Ihäftigt, den dieſes Capitel behandeln joll, wenn aud der Titel: „Zur
Genealogie der Berka von der Duba aus dem Haufe Mühlſtein“ zunächſt
auf einen geringern Umfang jchliegen Liege.) Auch er geht von Heinrich)
anf Hauska aus und läßt dann die Gejchichte feiner Söhne der Neihe
nach folgen, ohne jich auf die Beliger der Burg Mühlftein zu bejchränfen.
— Meine Ausführungen werden nun zeigen, daß ich in einer Neihe von
Punkten zu andern Mefultaten gelangt bin als Knothe, abgejehen von
manchen nicht unbedentenden Ergänzungen. Dabei find diefe Abweichungen
derartige, daß ich mich nad) einigem Schwanfen entjchlojs, einfach nochmals
den ganzen Stoff ſyſtematiſch zu behandeln. Diejer Weg jchien mir der
fürzefte, und auch die nöthige Klarheit läßt ic) jo am beiten erreichen.
Im erſten Theile (Meitth. 24, 125) ergab ſich Folgendes: Der ejte
Berfa von Duba, der 1348 gejtorbene Oberjtburggraf Hinko, hinterließ
feine Giter feinen zwei Söhnen Hinko und Heinrich; jeiner Witwe Agnes
verblieb der Tebenslängliche Nutzgenuß gewiljer Theile davon, die dann
nad) ihren Tode aucd an Heinrich fielen. Knothe iſt anderer Anſicht. Er
jagt (S. 81}: „Zu feiner Herrſchaft Mühlftein gewann bald darauf Heinrich
Berfa durch feine (zweite) Verheiratung mit Agnes, der Witwe Herrn
Hinkos, gen. von Duba, das veihe Daubaer Erbe als Mitgift hinzu.” —
Dazu vermuthet er, diejer „Hinko, gen. von Duba“ wäre jener Sohn des
1) Mittheilungen des nordböhm. Excurſions-Clubs VII, 81 ff. — Noch ſpäter
erihien von demjelben der Aufſatz „Die Berka von der Duba auf Mühlberg“
im NR, Archiv für Sächſ. Geld), Band VI, ©. 190 ff. — Daraus ergibt fid)
als Verbefferung und Ergänzung zu S. 144 meines 1. Abjchnittes, daß Hiuko,
der leßte Herr von Hohenstein, zwiſchen 1452 und 54 ftarb. Ihm folgten im
Befis von Mühlberg 3 Söhne: Dans (geft. vor 1457), Hinko (gejt. ce. 1464)
und Albrecht (geft. ec. 1479). Nur der erfte hinterließ einen Sohn Haus, der
am 31. December 1519 kinderlos ftarb. Diefe wären alfo in der Stammtafel
nachzutragen.
4*
—
Oberſtburggrafen Hinko, den derſelbe in der früher beſprochenen Gründungs—
urkunde von Weißwaſſer als Zeugen anführt. Nun haben wir aber im
erſten Theil gejehen, daß dies derjelbe Sohn Hinko ift, der jpäter Hohenitein
als Lehen erhielt. Diefer ftarb aber höchſt wahrjcheinlich erſt im J. 1361,
während die bewußte Witwe Agnes bereits 1356 den Pfarrer für Töfchen
präfentirt.?) Auch war diefer Hinfo von Hohenftein bekanntlich nicht
finderlos ; das Leibgedinge der Witwe hätte aljo jedenfall an die Kinder
fallen müſſen. Da aber dasjelbe jpäter (nach 1361) in den Beſitz Heinrichs,
des Bruders von Hinko auf Hohenjtein, itberging,?) jo kann jene Agnes
nur die Mutter beider, die Witwe des Oberjtburggrafen gewejen jein.
Es wurde jeinerzeit auch bereit3 ausgefprochen, daß Heinrich in
einer jedenfalls jchon vor dem Tode feines Bruders (1361) vorgenommenen
Sütertheilung die Herrichaften Hühnerwafjer, Hausfa, Dauba und Habſtein
erhalten hatte. *) Der Beweis für diefe Behauptung ergibt fich ganz zwei:
fellos, wenn man die Konfirmationsbücher durchgeht bezüglich des Patronats
bei den zu obengenannten Herrichaften gehörigen Pfarrkirchen; man erſieht
zugleich daraus, daß Heinrich auch fpäter ununterbrochen im Beſitz derjelben
verblieb. Nach dem Zeugnis jener Bücher, das freilich hier nicht über das
%. 1358 zurück veicht, übte derfelbe das Patronatsrecht aus: zunächſt in
Hühnerwafjer jelbft am 10. Oct. 1363, dann in Nieder-Krupay auf der
gleichen Herrſchaft bereits am 14. Juni 1358,°) und jeitdem öfters.
Ebenso ijt er Batron in Kadlin am 6. Juli 1380, in Widim am
23. Nov. 1385, und in Borzim (Hft. Hausfa) am 20. Juni 1377,°)
In der Stadt Dauba präfentirt Heinrich den Pfarrer 1374 (Juli 1.)
und in Töſchen feit 1364, wie erwähnt.) Nicht minder in Klum ſeit
1363 (7. Juni) mehrfach, ®) in Pablowig am 16. Jän. 1374, in Hohlen
bereits am 1. April 1359, endlih in Habſtein (Kruſſina) jelbit am
7. Jän. 1391.%) — Diejer kurzen Ueberficht muß noch hinzugefügt werden,
1) Bergl. im 1. Theil ©. 124, Anm. 1.
2) Ebenda ©. 125 und Anm. 1.
3) Bereit3 im J. 1363, am 7. Juni präfentirt Heinrih den Pfarrer in Klum
(Cl. conf. I, 2, 12.); desgleihen in Töfchen am 10. Juli 1364 (a. a. O. 50,)
4) Im 1. Theil. ©. 125.
5) Cl. conf. I, 2, 23, und I, 1, 19.
6) L. confirm. III-—IV, 128, 173, 75.
7) Ibidem IH—IV., 15.
8) Ibidem I, 2, 12. Sonſt noch 1364, Jän. 13, 6bid. 37.) und 1368, Jän. 13.
(ibid. 97.) Wenn 1363 Nov. 13. der Patron „Hinfo Berka von Leipa” heißt,
fo kann das nur eine fälfchlihe Bezeichnung fir Heinrich fein (ibid. 27.).
9) Ibidem II—IV 4. (Bablowiß); I, 1, 90 (Hohlen); V, 79 (Babftein).
— 83—
daß während der ganzen Zeit auf keiner der zu den genannten Gütern
gehörenden Pfarreien ein anderer Patrou genannt wird.
Zu dieſem freivererblichen Beſitz iſt dann noch Mſcheno als Pfand—
beſitz hinzuzurechnen. — Es geſchah wahrſcheinlich im Anschluß an die
ſeinerzeit erwähnte Einlöſung der Herrſchaft Böſig-Weißwaſſer durch Kaiſer
Karl IV., daß es zwiſchen dieſem und Hinko Berka von Duba (dem Bruder
Heinrichs) zu einem Streite fam wegen Micheno. Derjelbe endete dann
am 13. Jäner 1352 mit einem Bergleiche. Die hiezu beftimmten Schieds—
vichter ftellten feſt: Städtchen Micheno gehört vechtmäßig dem Könige,
aber diejer muß dem Hinko Berfa 300 Sch. Prag. Gr. auszahlen oder
anderweitig verfchreiben. ) — Die Pfandichaft wurde aber nicht ausgezahlt,
und Heinrich befaß Mejcheno, bis ev die Verfchreibung abtrat an Johann
von Smirzitz (das Jahr ift unbekannt). 2)
Auf der anderen Seite vergrößerte jedocd Heinrich die Zahl feiner
Güter durch anfehnliche nene Erwerbungen. Hieher gehört zunächſt Dürchel,
wo vom 11. März 1363 bis zum 28. März 1373 ſechsmal Sobehrd, Ritter
von Sebitſch (weitl. von Dürchel) als Patron genannt wird. ?)
An 28. Nov. 1388 präfentivt aber bereits Heinrich Berka von
Duba den Bfarrer. *)
Unentfchieden muß es vorläufig bleiben, ob Burg und Herrichaft
Mühlſtein erſt von Heinrich erworben wurden, oder ob fie bereit dem
Vater gehörten. Die Burg wird als Schub der belebten Handelsjtraße
von Zittau nach Prag zuerft 1343 erwähnt; ) doch erfahren wir nichts
über den Befiger. Der Herr auf dem Mühlftein war auch Patron in
Zwidan und Mergenthal. Heinrich präfentirt am erjteren Orte jeit dem
23. Mat 1362 jtets den Pfarrer, %) in Mergenthal feit dem 23. Aug. 1372. °)
Aus früherer Zeit find bezügliche Präfentationen nicht erhalten.
Zu diefem Grundbeſitz an der Nordgrenze Böhmens fügte Heinrich
noch zwei anftoßende Güter, ohne daß wir den Zeitpunkt genau angeben
1) Ms. Raudn, Abfchr. im böhm, Muſeum. — Vergl. Pamätky VII, 611.
2) Archiv tesky II, 466. Johaun von Smirzis trat fie wieder ab an Heinrich
von Michelsberg.
3) L. confirm. I, 2, 7, 30, 64. II, 24, 50, 89. (Soböhrd miles de Drewicie. Als
Zeuge fungirt derjelbe noch am 29, April 1381. (L. erect. II, 176. Borovy.)
4) L. confirm. II—IV, 204.
5) N. Seript. r. Lusat. T, 7. Wahrjcheinlic” war die Burg damals königlich.
6) L. confirm. I, 1, 176. (Es find au diefer Stelle die Namen Zwickau und
Langenau vertaufcht, was auch jonft öfters vorkommt.) — Bergl. I, 2, 58, 87.
7) Ibidem II, 80. — ®ergl. II--IV, 111,
Zr SB
fünnten. Dazu gehört erjtens Kunnersdorf, das Dis dahin den Nittern
Panzer von Smoyn gehörte, Noch am 7. Auguft 1369 ſchenkte Johann
Panzer, der in Kunnersdorf feinen Sitz hatte, gemeinjchaftlicd mit feinem
Bruder Nikolaus der unter feinem Patronat ftehenden Kunnersdorfer
Kirche 2 Schod Zins auf- Gökdorf. ) Am 22. Mai 1388 wird daun
entschieden, daß Johann, der jetzt bereits auf Neichjtadt ſaß, zur Zahlung
diejes Zinjes verpflichtet jei.?) Danach muß alſo der Befigwechjel wohl
nicht gar lange vor 1388 jtattgefunden haben.
Als die zweite Vergrößerung war nm diefelbe Zeit die Herrichaft
Gabel Hinzugefommen. — Gabel gehörte feit jehr langer Zeit den Herren
von Lemberg, und es präjentiven nody am 28. Feber 1375 und am
20. Apr. 1379 den Pfarrer für Kriesdorf (Suchä) Gallus von Lemberg,
genannt von Zwirzetitz, und Hafchek von Lemberg. *) Das Patronat diejer
Kirche übten auch noch fpäterhin die Befiger von Lemberg und von Gabel
gemeinschaftlich.) Nimmt man dazu, daß fiir die Pfarrei in Seifersdorf,
weldyes ganz zur Herrjchaft Lemberg gehörte, obiger Haſchek von Lemberg
jowohl am 8. März 1370 als auch am 13. Jän. 1384 allein Patron
ijt, >) jo geht daraus hervor, daß die einſt vereinigten Herrichaften Gabel
und Lemberg zu dieſer Zeit getrennt waren, und daß 1378 und 1379 ge-
nannter Gallus von Lemberg alleiniger Herr von Gabel war. Bon ihm
muß dieſes alfo danı übergegangen fein an Heinrich) von Duba, u. 3.
muß das vor den %. 1336 gefchehen fein; denn Knothe (S. 95) Führt
eine Urkunde von diejem Jahre aus dem Dresdner Archive an, worin ein
Henricus dietus Berka de Duba alias de Jablony als Zeuge auftritt.
Wie Gabel an die Berka Fam, ift nicht mehr feitzuftellen, jedenfalls nicht
als Meitgift mit dev Frau eines Sohnes von Heintich, wie man aus
genommen hat. ©)
Am 1. März 1391 traf nun Heinrich eine vorläufige Verfügung
über jeine Güter, indem er zunächſt die drei ältejten Söhne Hinko Dubsky,
1) L. erect. I, 73. GBorovij.)
2) L. erect. XII. Balbin p. 231.
3) L. confirm. III-—IV, 86, 108. — Für Gabel felbit verfagt das Zeuguiß diefer
Bücher, da bier der Abt von Münchengrätz Patron war.
4) L. confirm. V, 228. (Hafchef von Lemberg und Heinrich Berfa von Duba.)
5) Ibidem II, 26 und IIMIV, 165.
6) Knothe (S. 82.) meint, die halbe Herrichaft Gabel hätte der 3. Sohn,
Heinrich Berka, um 1386 als Mitgift feiner Fran Katharina erhalten. Dem
widerjpricht Folgendes: Nicht der 3. Sohn, jondern der ältefte, Hinko Dubsky,
heiratete diefe Katharina, u. zw. wohl erit um 1396. (Arch. tesky III, 471.)
Wäre Gabel Mitgift derjelben geweſen, fo wäre e3 nicht in die Theilung auf—
a DI
Heinrich d. ä. und Heinrich Berka abtheilte. *) Und zwar wies er ihnen
grade das zuleßt bejprochene Gabel-Mühljteiner Gebiet zu. Wir erfahren
in der betreffenden Urkunde, was zu dieſen Beligungen gehörte. Es
werden da aufgezählt: Stadt Gabel, Böhmifchdorf, Markersdorf, Krieg:
dorf (Suchä), Pojtrum (Postrelnd) mit Meierhof, Herrndorf (Knezice),
Petersdorf und Hermsdorf (Heimanice); — Burg Mühlſtein, Städtchen
Zwickau und ein Dorf gleichen Namens, Kınmersdorf mit Ritterfig und
Meierhof, Ober: und Nieder-Lindenan, Klein-Grin (Agrina), Glafert
(Krazhart), Mergenthal und das wüfte Dorf diejes Namens, Ober: und
Unter-Lichtenwalde und Krombad).
Nur ganz im allgemeinen verfügt dann der Vater noch in derjelben
Urkunde, daß nach jeinem Zode auch Hühnerwaſſer an die genannten
Söhne fallen follte. Herrſchaft Dauba, worauf die Mitgift feiner Frau
verjichert war, wie auch alle andern Güter hätten an die vier jüngern
Söhne zu fallen, nämlich Wenzel, Johann, Heinrih Hlawacz und Hein:
vich d. j. (genannt Wanek).- Wir werden jedoch finden, daß dieje letteren
Beſtimmungen jpäterhin bedeutend geändert wurden.
Zunächſt muß aber noch die Frage beantwortet werden: Wie lange
lebte noch Heinrich, der Vater? — Unterfucht man zu dem Zwecke die
Angaben der Eonfirmattonsbücher darüber, wer auf den Beligungen, die
der Bater jih und den jüngern Söhnen refervirt hatte, das Patronats:
recht ausübt, jo ergibt fi, daß dies bis 1404 (beziehungsweiſe 1402) ein
Heinrich Berka von Duba auf Hausfa it. Derſelbe wird an mehreren
Stellen gradezu Heinrich d. -ältere genannt; jo 1393 und 1396 als
Patron in Zöjchen;*) weiter als Patron von Dürchel 1398, ?) von Dauba
1401 ®) und endlich von Kroh 1403.°) Auch treffen wir diefen Heinrich
d. ä. am 18. Feber 1402 als Gerichtsbeifiger in Prag. ®)
Dagegen am 22. Sept. 1404 übt in Hühnerwaſſer (das ſich be-
fanntlich der Vater ſelbſt vorbehalten) das Patronatsrecht aus „Woel-
genommen worden; and wäre ihr Gemahl der Beſitzer geblieben, während er
doch gerade von Gabel nichts erhielt. Uebrigens war auch Katharina eine
Tochter Hafhels von Lemberg, nicht des Beſitzers von Gabel.
1) Reliq. I, 536.
2) L. confirm. V, 160 und 251.
3) Ibidem V, 307.
4) Ibidem VI, 46.
5) Ibidem VI, 95.
6) Archiv Gesky II, 359 f.
— 56 —
heid, die Witwe des (Heinrich d. ä.) Berka von Duba anf Habſtein.!)
Fügen wir dem noch hinzu, daß in dem ſpäter zu beſprechenden
Theiluugsvergleiche der jüngern Söhne von 1402 der Vater ohne
Zweifel noch als lebend vorausgeſetzt wird, ſo folgt aus allem als ſicherer
Schluſs, daſs dieſer Heinrich d. ä. auf Hauska (oder Habſtein) der Vater
ſelbſt und Adelheid ſeine Witwe iſt. Er muß daher erſt im Jahre 1404
geſtorben ſein.?)
Falls man nach dem Angeführten noch nicht geneigt ſein ſollte, dies
zuzugeben, und vielmehr in jenem Heinrich d. ä. einen der Söhne er—
blicken wollte, jo könnte man jedenfalls ur an den zweitälteſten, Heinrich,
denfen.?) Diefem war 1391 ein Theil von Gabel zugefallen; er hatte
fich desjelben aber entäußert (wir werden darauf zurückkommen), nnd heißt
1402 (21. Feb.) „Heinrich von Duba, gej. auf Milezan".*) Bon ihm jagt
1456 der fiebzigjährige Rzimek von Dürchel bei Gericht aus: „Ich erinnere
mid) von vor 60 Jahren ber, daß der alte, „einäugige" Berka feinem
Sohne Heinrich die Güter Milezan, Hohlen, Habjtein und Hühnerwaſſer
abtrat. Diefer hatte 2 Kinder; eine Tochter Berigua (Bonuse) und einen
Sohn Heinrih. Und als er jtarb, da nahm Hynek (Heinrich) Berka von
Hausfa beide Kinder zu ſich“ u. ſ. f.“) Nun findet fich in einer Handfchrift
des Prager Domcapitels ®) die Notiz, daß am 22. October 1406 Heinrich
Berfa von Duba, gejeffen auf Habftein, dem Tode nahe, im Tejtamente
feiner Tochter Bonuſcha gewiſſe Zinfe für Lebenszeit beſtimmte.
Berücjichtigen wir dies alles, jo wird es klar, daß es eben dieſer
Heinrich ift, dem die bereits oben genammte Witwe Adelheid am
30. April 1405 ihre Anrechte auf Habjtein, Hühnerwaſſer, Hohlen u. a.
1) L. confirm. VI, 128. Hier fteht nur „Berka von Duba“; aber 1405 April 30,
(Relig. II, 15.) heißt diefelbe: Adla relieta olim Henrici sen. de. Berka de
Duba et de Jestrebie. Nach Habitein nennt ſich Heinrich felbft auch 1403,
Dct. 4. (d. in Huska et in Jestr.) ]. confirm. VI, 102.
2) Er präfentirt noch am 22, Sept. 1404 für Kroh. Daß am gleichen Tage feine
Witwe Batronin von Hühnerwaffer ift, kann nicht auffallen, nachdem die
Bücher nicht das Datum der Präfentation, fondern der Gonfirmation geben.
L. confirm. VI, 128.
3) So eben Knothe ©. 83. Diefer Sohn wird auch wirklich jpäter einmal Hein-
rich d. ä. genannt.
4) Reliq. I, 597. — ®ergf. L. confirm. VI, 92: Pablowitz, Pal 1403: Heinrich
Berka v. Duba u. v. Milgan.
5) Archiv &esky I, 168.
6) Palackh's Notizen im böhm. Muſeum.
— —
worauf fie ihre Mitgift verſchrieben hatte, um 250 Schock verkaufte.) Und
gleih darauf verficherte derjelbe auf zwei Dörfern der Herrſchaft
Hühnerwaffer, Sciedl und Jeſowai, jeiner Gemahlin Katharina 500
Schock Mitgift.”) — Das genügt jedenfalls zur Widerlegung obiger An:
nahme. — Faſſen wir nun nochmals die Reſultate zujammen: Nachdem
Heinrich von Hauska 1391 die drei älteın Söhne abgetheilt, verwaltete
er die übrigen Güter weiter, bis am 18. Feb. 1402 auch die noch lebenden
drei jiingern ihre Antheile erhielten. Auch diesmal kamen nicht zur
Bertheilung die Herrichaften Hanska, Hühnerwaifer, Habjtein und Milczan.
Lebteres war aber vor 1402 dem zweitälteften Sohne überlajjen worden.
AS dann 1404. der Vater jtarb, erhielt Hausfa der dritte Sohn, Heinrid)
Berfa auf Gabel, Hühnerwaſſer und Habftein der zweite, Heinrich auf
Milezan.
Ueber diejen legtgenannten bleibt wenig mehr zu jagen; es foll aljo
hier eine Ausnahme gemacht werden von der durch das Alter vorgefchrie-
benen Reihenfolge.
Aus der bereits theilweije angeführten Zeugenausjage des Rzimek
von Dürchel erfahren wir. noch dies: Heinrich Berka von Hausfa, der
des verjtorbenen Bruders zwei Kinder zu fich genommen hatte, gab dann
die Zochter nach Leipa, wo fie ftarb; der Sohn Heinrich blieb auf
Hauska und ftarb dajelbit. Darauf nahmen in Beſitz: Milczan und Hohlen
Heinrich Berfa von Hauska; Hühnerwaſſer der ältefte Bruder, Hinko von
Mühlſtein, Habjtein dagegen Heinrich) Hlawacz. — Aus anderweitige
Ausjagen desjelben und weiterer Zeugen vom 25. October 1455 fünnen
wir noch hinzufügen, daß Bablowig an den jüngjten Bruder, Heinrich
(Wanẽek) auf Chudy-Hradek fiel. *)
Es wurde oben eine Notiz aus dem Teſtamente des Vaters jener
zwei Kinder angeführt. Aus dem Datum desfelben, am 22. October 1406,
geht hervor, daß man feinen Tod Ende October 1406 auzufegen haben
wird. Damit ftimmen die Angaben der Confirmationsbücher, nach denen
diefer Heinrich von Habjtein das legtemal am 22. Juli 1406 als Patron
von Hühnerwaſſer erjcheint.*) Daß fchon am 15. Sept. 1407 Heinrich
Berka von Duba auf Hausfa den Pfarrer von Hohlen präfentivt hat, ?)
ließe fich aus feiner Stellung als Vormund erflären. Daraus jedoch, daß
1) Relig. II, 15.
2) Ibidem II, 16.
3) Archiv Cesky I, 162.
4) L. confirm. VI, 187.
5) Ibidem VI, 225.
Heinrich Hlawacz am 9. Jäner 1408 Batron in Habſtein ijt, !) ijt zu Schließen,
daß derjelbe bereits vor dem Eude des J. 1407 dieſen Beſitz angetreten
hatte. Daher müſſen die genannten zwei Kinder Heinrichs von Habſtein
im Teßtgenanuten Jahre gejtorben jein.
Nachdem fo die Gejchichte des zweiten Sohnes bereits im voraus
abgehandelt worden, ſoll bei der Beiprechung der übrigen die durch das
Alter gegebene Reihenfolge eingehalten werden.
Die drei älteren Söhne hatten wohl bald nachher, nachdem fie
von dem Bater ihr Erbtheil erhalten, dasjelbe ter fich getheilt und dem
älteften, Hinko Dubsky, war der Mühljtein mit Zwidan und den zu:
gehörigen Dörfern, desgleichen auch Kunnersdorf zugefallen. Bereits am
12. Nov. 1394 iſt Hinfo als Patron von Zwidau genamıt, und am
14. Mai 1395 in Mergenthal.?) Am 4 Oectober 1396 verjchrieb er
jeiner Gemahlin, der jchon beiprochenen Katharina, Tochter des Haſchek
von Lemberg, 500 Schod Mitgift auf den Dörfern Kınmersdorf und
Hermsdorf. ?) Am 14. März 1405 vergrößerte er jein Gut, indem er den
Antheil feines nächſten Bruders hinzukaufte;) außer der Hälfte von Gabel
gehörten dazu auch die Dörfer Böhmiſchdorf und Markersdorf (theilweije).
Auf dieſe zwei Dörfer übertrug danı Hinko 1409, am 3. Juni, die vorher
erwähnte Meitgift feiner Fran. >) Inzwiſchen war aber Hinkos Befig noch
erweitert worden. Denn, wie kurz vorher ausgeführt wurde, fiel im
J. 1407, als auch die Kinder des zweiten Sohnes Heinrich von Habjtein
geftorben waren, von ihren Gittern Herrjchaft Hühnerwaſſer an den Mühl:
jteiner, und jchon am 17. Juni 1408 iſt er als Patron von Nieder:
Krupay genannt.) Hinko iſt wahrjcheinlih um 1413 gejtorben. Denn
wir finden, daß am 28. Jän. 1414 als Batron den Pfarrer von Zwidan
präjentivt hat fein Bruder Wenzel, in jeiner Eigenjchaft al Vormund;?)
und am 10. October desjelben Jahres nennen die Confirmationgbücher als
Patronin in Kunnersdorf Hinfos Witwe Katharina.) Dieſe hatte alfo
1) Ibidem VI, 235. — Am 17. Juni 1408 präfentirt auch ſchon Hinfo von
Mühlſtein für Nieder-Krupai. Ibidem VI, 246.
2) L. eonfirm. V, 201 und 218.
3) Archiv Cesky III, 471.
4) Relig. II, 14.
5) Ibidem II, 58— Archiv tesky III, 478.
6) L. confirm. VI, 246.
7) Ibidem VII, C. 22. Ms.
8) Ibidem VII, D. 7.
= Bi
hier ihren Witwenfig aufgefchlagen. — Borgenannter Wenzel Berla mag
für die Zeit der vormundichaftlihen Güterverwaltung feinen Sig in Hühner:
waſſer gehabt Haben, denn er heißt in zwei Präfentationsurfunden vom
J. 1415 (fir Widim) „gejellen auf Hühnerwaſſer“.) Mean wird dies
ſchwerlich jo auslegen dürfen, als ob er um diefe Zeit genannte Herr:
haft ctwa erworben hätte. Anderfeits freilich muß bier hervorgehoben
werden, daß Hühnerwaljer im Laufe der nächjten Jahre (vor 1430) dei
Defiger gewechjelt hat, indem wir es ſpäter als Eigenthum des Chwal
Berka, eines Sohnes von Heinrich Berka, wiederfinden werden.
Wir lernen zwei Söhne Hinfos von Deühljtein kennen. Zuerſt den
älteren, Jaroslaw, in dem Verzeichnifje jener Herren und Nitter, die am
6. Nov. 1419 den Pragern die Fehde ankündigten.?) — Am 13. Oct. 1423
präjentirt er den Pfarrer von Zwickau.“) — Er und fein jüngerer Bruder
Heinrich müſſen um diefe Zeit in den Pfandbefig der erzbiſchöflichen
Güter um Auſcha, mit der Helfenburg, gelangt fein. Eine divecte Nachricht
darüber iſt noch nicht bekaunt geworden, und wir wiſſen diefe Thatjache
nur daher, daß die Brüder die Pfandjchaft am 25. November 1429 wieder
abtraten an Johann von Smirzig. *) In der diesbezüglichen Urkunde nennen
ji) die beiden „Jaroslaw und Heinrich, Brüder Berka von Duba, ge:
jeifen auf Ronow und Mühljtein". Dies ift die erſte Notiz darüber, daß
ihnen auch die Ronburg bei Drum zeitweilig gehört hat. Hinſichtlich der
Art und Weije, wie fie zu diefem Bejige gelangten, könnte man zu fol-
gender Vermuthung geneigt jein, Es ift vom erjten Theile des Aufſatzes
her erinnerlich, daß nad) dem Tode des Wilhelm von Ronow der Mühl:
jteiner Heinrich die Herrſchaft Leipa erlangte u. z. wird noch angeführt
werden, daß dies vorübergehend bereits 1425 geſchah. Es wirde nun nahe
liegen anzunehmen, daß das Gleiche auch mit der Ronburg der Fall ge:
wejen. Indes muß dagegen angeführt werden: wir haben fein einziges
Zeugniß, daß jene Herren von Ronow wirklich Bejiger der Ronburg waren.
— Es iſt uns auch unbekannt, wie lange die Berfa von Duba diefelbe
behielten; eine einzige erhaltene Nachricht gibt noch etwas weitern Auf:
ſchluß. Ein Schreiben Heinrichs vom 26. December 1437 an die Zittauer
ift von diefer Burg datirt.?) 1444 aber war fie in der Gewalt des
1) L. eonfirm. VII, F. 2 und 6,
2) Archiv tesky IV, 375.
3) L. confirm. VIII, C. 10.
4) Arch. tesky VI, 485.
5) N. Script. rer. Lusat. I, 244.
=. 00:
Wilhelm von Ilburg, dem fie in diefem Jahre von den Lauſitzer Sechs—
ftädten als Naubburg zerjtört wurde. ')
Beide Brüder blieben natürlich, wie alle andern Glieder des Ge—
jchlechtes, in den damaligen Wirren der Fatholiichen Bartei treu und kamen
jchon deshalb, wicht minder aber auch als nächſte Nachbarn in enge
Beziehungen zur Oberlaujig. Seit dem J. 1422 jind die Nachrichten zahl:
reich über Boten, die hin md hergingen; über Warnungen vor der
nabenden Hufitengefahr, die vom Mühljtein nach Zittau gejendet wurden,
oder wieder über Züge dev Laufiger, um dem „Herrn Dubsfy" Hilfe zu
bringen. Sehr dankbar müſſen wir Knothe fein, der in feinem bezeichneten
Aufjage eine ganze Neihe Kleiner Notizen zur Geſchichte diefer Beziehungen
aus den Görliger Rathsrechnungen beigebracht hat. 2) Nur einmal hören wir
von einem Zwijt der Brüder mit den Bausnern, u. 3. durch einen Fehdebrief
jener,?) ohne Jahreszahl zwar, aber wohl, wie Knothe vermuthet, von 1431.
Nach den J. 1432 gejchieht des ältern Bınders Jaroslaw Feine
Erwähnung mehr; ev muß um diefes Jahr kinderlos Be jein, da
jpäter Heinrich alleiniger Herr aller ihrer Güter it.
Auch Heinrich war im der Folgezeit beftrebt, die Zahl feiner Herr—
Ichaften noch zu vermehren, und in diefem Streben knüpfte ev Verbindungen
an mit einer Familie, die dev feinigen ja verwandt war, nit den Herrn
von Duba auf Liebejchig. — Dieje ftammten von jenem Albrecht von
Duba, der am Anfange des eriten Auffages erwähnt wurde. Bon zwei
Enfeln desjelben wurde der jüngere, Heinrich, Herr von Aujcha, während
der ältere, Benejch, Liebefchis behielt. Dazu erwarb diejer am 18. Mai 1382
vom K. Wenzel die Laufiger Herrfchaft Hoyerswerda als Mannslehen, *)
und am Anfang des 15. Jahrhunderts kam noch Kojtenblatt bei Teplitz
hinzu.“) Nach feinem Tode (um 1405) finden wir feinen Sohn Heinrid)
als Herrn auf Hoyerswerda, während Liebejchig und Kojtenblatt der
andere Bruder, Albrecht, und die Kinder des dritten, Beueſch, der auch
bereits um 1407 verjtorben war, im Bejige hatten. Aın 31. Augujt 1420
verlieh 8. Sigmund beiden Brüdern und ihrem Neffen Johann neuerdings
Koftenblatt und Hoyerswerda als gemeinfames Lehen. ®)
1) Ebenda 221 ff.
2) ©. 86 ff.
3) Mitth. des nordböhm. Excurſionsclubs T, 108.
4) Siehe Kinothe in Webers Arch. für die ſächſ. Geſch. 10, 249, wo er über die
Geſchichte der Herrichaft handelt,
5) Am 9, April 1402: Benessius de Costomlat et de Dube. Reliq. I, 599.
6) Archiv Cesky II, 196,
— —
Heinrich von Mühlſtein ſchloß nun am 28. Feb. 1437 mit Albrecht
von Liebeſchitz eine Erbeinigung, in die auch Heinrich von Hoyerswerda
mit einbezogen ward. *) Der Erfolg dieſes Actes trat auch bald ein. Um
1441 ſtarb letzterer Heinrich, und der Mühlfteiner war feit diefem Jahre
Herr von Hoyerswerda. Allein er behielt diefes Gut nur kurze Zeit; jchon
1446 verkaufte ev es an Wilhelm von Schönburg. ?)
Geſtützt auf jene Erbeinigung machte Heinrich im ‘%. 1454 vor dem
Lehengerichte auch Ansprüche auf Koftenblatt. Es wurde jedoch nachgewiesen,
daß Albrecht von Duba dasjelbe an Jakoubek von Wiekowig verkauft -
habe, ohne daß fein Bruder Heinrich Einfprüche erhoben hätte; auch wäre
der Verkauf vor der Erbeinigung gefchehen. So behielt aljo Jakoubek
diefes Lehen. ?) — Drei Jahre darauf wurde aber nochmals iiber dasjelbe
und iiber die halbe Herrichaft Liebeichis verhandelt. *) Herbord von Roczow
(von Kolovrat) als Bormund nach dem oben angeführten Benejch von
Liebejchig (geft. nm 1407) hatte nämlich diefe Bejigungen 1418 gewifjen
Berwandten um 2000 Schod verschrieben.) Jetzt wurde diefe Verjchreibung
als heimgefallen vom Könige dem Benejch von Kolovrat auf Majchau
verliehen (1457). Da erhob Heinrich von Mühlftein bezüglich Liebeſchitz
(und Jakoubek als Herr von Kojtenblatt) Einſpruch, Beneſch von Kolovrat
trat endlich nach 7 Fahren zurüd, und Heinrich wie Jakoubek behaupteten
ihre Ansprüche (1465).
Im übrigen aber ijt mir nicht befannt, wie es fid) mit dem Beſitze
von Liebeſchitz damals verhielt.
Ueber die wichtigfte Exwerbung Heinrichs, die der Herrſchaft Leipa,
wurde bereits im erſten Theile des weiteren gejprochen, als es ſich um die
Erbſchaft nad) Hinfo Hlawacz von Leipa handelte. Ich muß jedod) mit
wenigen Worten darauf zurückkommen, einerjeit3 um nach den Ausführungen
Knothes®) das früher Gefagte zu ergänzen und gewiſſe Vermuthungen
richtig zu ftellen, andrerjeits bejonders, weil Heinrichs Verhältniß zu den
Nachbar ſich daraus ergibt.
Wir erfahren zunächſt durch eine Notiz aus den Görlitzer Naths-
rechnungen, daß bereits 1425 Wilhelm von Ronow gejtorben war, und
1) Reliq. II, 154.
2) Knothe in dem kurz vorher citirten Auffſatze.
3) Rehentafel 21, 118. — Vergl. Archiv cesky Il, 475.
4) Rehentafel 16, 321. — Archiv tesky III, 566.
5) Kehentafel 21, 151.
6) In dem anfangs citirten Aufſatze ©. 86 ff.
Be —
daß die beiden Meühljteiner Brüder ſich in Befig von Leipa gefegt hatten. ')
Wie lange jie aber dasjelbe zu behanpten wußten, bleibt noch immer
unkfar. Nur foviel ift wohl jicher, daß Heinrich im %. 1435, wo er von
K. Sigmund die Verleihungsurfunde erwirkte,”) factifch nicht Herr von
Leipa war. Vielmehr gehörte es wahrjcheinlich ſchon 1433 den Tetſchner
Heren von Wartenberg. *) Sicher ift uns dies bezeugt fir 1436 und die
nächitfolgenden Fahre. *) Diefe waren ausgefüllt von den Fehden des letzt—
genannten Geſchlechtes gegen die Laufig, welche mit geringen Unter:
brechungen bis 1445 währten. Heinrich von Mühlſtein meldete nicht bloß
Ende 1437 nad) Zittau den bevorjtehenden Beginn der Feindfeligfeiten, )
fondern er ftand immer auf der Seite der Laujiger und jeine Leite
fämpften in ihren Reihen. ®)- Dafür veriprachen fie ihm Hilfe, als er
1440 Leipa den Wartenbergern abnehmen wollte; ”) allein e8 Fam damals
nicht zur Ausführung diefes Planes, und die Tetjchner geboten daſelbſt
auch fernerhin,®) bis 1444 durch den Zug des Kreishauptmanns Jakoubel
von Wreßowitz gegen Tetſchen jelbjt und die nachfolgende Action der
Laufiger gegen Bürgſtein, Niübenau, die Ronburg, Sandau und Kamnitz
ihre Macht gebrochen wurde. Seit 1444 war auch Heinvich von Duba
wieder Herr in Leipa. — Alles Spätere iſt befannt.
Kurz fei hier erwähnt, daß Heinrich 1454 einige Befigungen tn
Dobern zugewann.“) Ebenfo ſoll aud) nur vorläufig auf die Erwerbung
des Reſtes der Herrichaft Gabel Hingewiefen werden Die eine Hälfte
hatte ja bereits fein Vater 1405 an ſich gebracht; Heinrich Faufte jegt
die andere (1447, am 17. Juli), jo daß damit der 1391 getheilte Güter:
complex wieder in einer Hand vereinigt war. Auf den Kauf werden wir
zurückkommen.
1) Als man H. Dubsky und ſeinen Brüdern zu Hilfe ſandte, als ſie die Leipe
nach H. Wilhelms Tode innehatten“ (1425).
2) Siehe im J. Theile S. 131.
3) N. Script. rer. Lusat. J, 230.
4) Am 8. Juni 1436 präſentirt für eine Kapelle iu Leipa Sigmund von War:
tenberg. (Palacky's Notizen.)
5) In dem bereit3 erwähnten, von der Ronburg datirten Briefe, N. Seript. rer.
Lusat. I, 244.
6) a. a. O. 246. Im Solde der Görliter waren „Jan u. Janke v. Molftein“,
7) a.a. O. 253.
8) Beim Raudniger Landfriedensbund (1440 Juli 25.) iſt Jan v. Wartenberg auf Leipa,
9) Xehentafel 16, 303: In villa Dobranowe& (Johannes de.) Kerusse et in Za-
luzi Georgius de, Roman decesserunt. Bonn data Henrico de Duba et de
Lipeho. Proel. in Litomer. (1454, Mai 1.).
— 63—
Heinrich von Mühlſtein war mit Eliſabeth, der Schweſter Georgs
von Podẽebrad verheiratet; ) es war alſo nur natürlich, daß ev. auf der
Seite desjelben ftand. Wie er das in dem Streite gegen Albrecht von
Duba auf Zollenjtein bethätigte, wurde jeinerzeit dargelegt.*) Bei dieſer
Parteiftellung kam er in freundfchaftliche und, wie e8 jcheint, ziemlich enge
Beziehungen zu feinem frühern Feinde, Johann d. j. von Wartenberg auf
Tetſchen.“) — Waren bier langjährige Gegner zu Freunden geworden,
jo brachten es die politischen Verwicklungen endlich ebenfo mit fich, daß
Heinrich noch am Abende jeines Lebens gegen jeine einjtigen treueſten Bundes-
genofjen, die Sechsjtädte, ins Feld ziehen mußte. Diefe hatten fich nämlich
1467 (Juni) von dem gebaunten K. Georg ab» und der ihm feindlichen
Adelspartei zugewendet, und gegen Ende Auguſt waren fie in Böhmen
eingebrochen und Hatten um Auſcha gejengt und geplündert. An dem Rache:
zuge des Herrn von Aufcha, Wenzel Ezarda von Petrowig, der am meijten
Letroffen worden, nahmen auch Heinrich und fein Sohn Yaroslam theil.
Das hatte freilich fir diefe nur den Erfolg, daß Ende 1467 und Anfang
1463 ihre Herrichaft Gabel von den Feinden heimgeſucht und jo gründlich
geplündert und vderwiljtet wurde, daß Heinrich am 28. Mai um Frieden
bat.*) Diefer kamm dann auch am 29. November 1468 zujtande,?) Erſt
jest wurde Gabel von den Zittanern wieder geräumt.
Die legten Nachrichten von Heinrich von Leipa ſtammen aus dem
Ende des J. 1469. Er hatte fich bei dem damaligen Wominijtrator
Johann von Kolovrat die Befreiung von dem über das Land verhängten
Interdiet erwirkt“) und noch am 16. December d. %. ertheilte ihm diefer
neuerdings die Erlaubniß zur Abhaltung des Gottesdienjtes für die Zeit
bis Lichtmeß.”) — Im nächſten Fahre (1470) ift dann Heinrich jeden-
falls gejtorben, denn bereits anfangs Januar 1471 jchalten feine 4 Söhne
als Herrn feiner Güter, wie ein fpäteres apitel zeigen ſoll.
Welche Güter aber Heinrich diefen Söhnen hinterließ, haben die
frühern Ausführungen gezeigt. Nur darauf muß hier der Volljtändigfeit
1) Paprochy, St. pan. 156.
2) Im I. Theile ©. 148.
3) Ich erinnere an den gemeinfamen Zug gegen den Tollenftein und dein nach—
berigen Verzicht Heinrichs auf feine Anſprüche auf Tollenftein, a. a. D.
4) Balady, Urkundl. Beiträge, S. 532.
5) Ebenda ©. 562. Vergl, Knothe a. a. O. 92. und Tomek Dej. Prahy VII,
178, 189,233.
6) ©. den Brief Heinrichs vom 4. Sept. 1469; Abſchr. im böhm. Muſeum.
7) Abſchrift ebendaſelbſt. Der Adminiſtrator nennt dort Heinrich feinen Schwager.
— 64 —
wegen noch verwieſen werden, daß er ſeit den Huſitenkriegen auch im
Beſitze gewiſſer geiſtlicher Güter bei Leipa geweſen ſein muß. Ich meine
zunächſt Neuſtadtel, Beſitz des Kloſters Münchengrätz, deſſen Abt noch am
24. November 1422 daſelbſt als Patron genannt iſt.) — Ausgedehnter
noch waren die Güter, die das Klofter Doran bier bejaß. Diejelben be-
gannen bei Graber und reichten über Johnsdorf, Hermsdorf, Jober bis
ins Polzenthal, wo noch beide Politz, Staupen u. ſ. w. dazu gehörten.
Noch 1418 (30. April) präfentiit der Propſt von Doran für die Kirche
in Graber.*; — Wir müſſen nun annehmen, daß alle die genannten Be—
figungen, vielleicht von K. Sigmund, an die Berfa von Duba verpfändet
wurden; eine diesbezügliche Nachricht iſt aber nicht erhalten, und wir
fünnen uns nur darauf ftügen, daß im nächjten Jahrhunderte (1544),
diefe Pfandfchaften als langjähriges („an zweihundertjähriges"!) Beſitzthum
der Berfa von Duba bezeichnet wurde. ?) Wir werden feinerzeit darauf
zurückkommen.
Wir kehren in der Erzählung wieder auf die Theilung des J. 1391
zurück. Als die drei älteſten Brüder die ihnen vom Vater zugewichenen
Güter theilten, fiel dem zweiten und dritten, ſoviel wir aus jpätern
Urkunden jchliegen können, Gabel zu und die Dörfer Böhmiſchdorf, Mar:
fersdorf und Sucha (Kriesdorf); und dies in der Weile, daß auf jeden
die Hälfte der Stadt Gabel und ein gewiſſer Theil von Markersdorf Fan,
während Böhmifchdorf ganz dem zweiten zufiiel, der zu Gabel gehörige
Theil von Kriesdorf aber dem dritten Sohne. *)
Heinrih d. ä, der zweite Sohn, hat jeinen Gabler Antheil
nicht gar lange behalten. Es ijt eine Urkunde vom 13. December 1399
vorhanden, womit den Bürgern von Gabel das Erbrecht auf Güter von
Berwandten bis ins fünfte Glied, das ihnen bereits 1364 Gallus von
Lemberg gewährt hatte, neuerdings bejtätigt wird.“) Dies gejchieht bereits
duch Heinrich Berka, den dritten Sohn, allein. — Wir wiſſen
aus dem früheren, daß Heinrich d. A. vom Vater andere Güter
1) Zugleich mit Hinko Berfa von Duba (und Leipa). I. contirm. VIII, B. 6. —
Am 15. März 1423 präfentirt diefer allein. ibid. B. 10,
2) Ibidem VI, J. 14.
3) Im J. 1544. Rammergerichtöreg. 11, J. 67. Es ift auch möglich, daß man die
gen. Güter ohne Pfand-Urkunde einfach in Befig genommen; wenigſtens konnte
ipäter feine ſolche Urk. vorgelegt werden,
4) 1395 präjentirt in Kriesdorf zweimal Heinrich von Duba und Gabel zugleich
mit Hafchef von Lemberg. L. confirm. V, 228 und 231; im Jahre 1399 aber
„Hinko de. Berousek de Duba alias de Gablona“, allein. (Ebenda VI, 14.)
5) Beide Urk. in Nbichrift im böhm. Muſeum.
see U
(Milezan) erhielt; daher müſſen wir jchließen, daß er auf feinen Gabler
Antheil zugunften der beiden andern Brüder verzichtete. Und fo bezieht
ji) gewiß auf diefes auch die Urkunde vom 19. März 1400, womit der
ältefte Bruder, Hinfo von Mühlſtein, fein Necht auf die halbe Herrſchaft
Gabel an Heinrich Berka, den dritten, abtritt, ")
Diefer aber behielt den jo erworbenen Theil nicht lange in eigenem
Beſitze; vielmehr verfaufte er ihn fchon am 21. Feber 1402 um 1000 Schod
an feinen jüngern Bruder Wenzel auf Lebenszeit.) Es vergingen jedoch
knapp zwei Jahre, da erhielt Heinrich Berfa (1404, Feber 23.) durch Ver—
zichtleiftung Wenzels diefe Gitter wieder zuriid,?) bis fie ihm dann ein
Jahr jpäter, am 14. März 1405, fein ältefter Bruder, Hinfo von Mühl:
jtein, abfaufte. *)
Wenn Heinrich Berka am 29. November 1403 gewiffe Befigungen
in Gersdorf und Straußnig an Hinfo von Erkeritz (Mlgersdorf) verkauft, ?)
jo mag er diefelben nicht lange vorher erworben haben, Nachricht ift ung
darüber feine erhalten.
Nachdem im %. 1404 der Bater geftorben war, fiel ihm noch die
Herrſchaft Hauska zu, und feitden nennt er fic) auch jtetS nach derjelben. ©)
Eine weitere Vermehrung feiner Güter fand jtatt, als 1406 fein älterer
Bruder Heinrich und bald auch deſſen zwei Kinder gejtorben waren, iiber
die er wohl die Vormundſchaft geführt hatte. Er erhielt damals Milezan
und Kohlen, und es wurde feinerzeit bereits angeführt, daß er ſchon am
15. Sept. 1407 als Batron in Hohlen genannt wird. ?)
As Herr von Hausfa war er auch Patron in Kroh, und im J. 1408
(Jun. 13.) ſchenkte er diejer Kirche 2, Schock Zins, )) und neuerdings
1417 (Nov.?) wies er derjelben ein Stück Aders zu.?) Außer in Kroh
gehörte ihm auch das Patronat in Kadlin. 10)
1) Reliq. I, 586.
2) Ibidem T, 597.
3) Ibidem II, 5.
4) Ibidem II, 14. BZugebör ift danach: halb Gabel, Böhmiſchdorf, Markersdorf
(theilweife), der halbe Zins in Kriesdorf, der Meierhof Krotumful.
5) Reliq. I, 605.
6) So ſchon in der gemannten Urk. vom 14. März 1405. Ibid. II, 14.
7) L. confirm. VI, 225.
8) L. erect. VII, 13.
9) Ibidem XI, 150.
10) So präfentirt er den Pfarrer in beiden zugleich 1418, 2. Juni. L. confirm.
VII, J. 20.
Miittheilungen, 25. Jahrg. 1. Heft. 5
Bee: —
Auch das Dominicaner-Klojter in Gabel erhielt Zeichen feiner Gunft.
Wir hören, daß er am 12. April 1415 demfelben 13 Schod Zins anwies
auf feinem Antheile des Dorfes Sucha (Kriesdorf).') Doch ſchon um dieje
Beit fcheint er daran gedacht zu haben, auch diejen, vom Vater ererbten
Theil von Gabel zu verkaufen. Wenigjtens kann man es dahin deuten,
wenn er im J. 1414 (Auguft 8.) die Mitgift feiner Gemahlin Anna
von Gabel und Marfersdorf (worauf er ihr diejelbe 1398 verjchrieben
hatte) ?) übertrug auf die Herrichaft Hausfa.?) — Sicher tft, daß der
Berfauf 1418 wirklich geſchah. Er überließ damals (am 26. Mai) ge-
nannten Antheil um 1150 Schod an Beneſch von Wartenberg. *)
Wie alle Berka, jo blieb auch Heinrich von Hausfa Katholif und
Anhänger des Faifers; dabei fcheint er bemüht gewejen zu fein, eine Ver:
ſöhnung der Parteien herbeizuführen. Auf der Lifte jener, die am
6. Nov. 1419 den Bragern Fehde anfagten, fteht fein Name nicht. Dagegen
war er der einzige Berka, der 1421 auf dem Czaslauer Landtage erjchien; °)
hier wurde er auch mit unter die 20 Negenten und Verweſer der Krone
gewählt, was freilich kaum praftifche Folgen hatte. In gleicher Weiſe
fand er fich audy wieder auf dem Gallilandtage 1423 in Prag ein. ©) Sonft
ijt wohl von feiner politiichen Thätigkeit kaum etwas zu vermelden.
Um wieder auf feine Befigungen zurücdzufommen, müfjen wir nun
anführen, daß er auch der Herrichaft Hausfa noch im Alter ſich entäußerte;
er verfaufte diefelbe am 30. Nov. 1432 an Johann von Smirzig. ?) Nach
diefer Urkunde umfaßte diefelbe Schloß Hausfa, mehrere Meierhöfe und
die Dörfer Libowis, Wolleſchno, Jeſtrzebitz, Dobrzin, Klein- und Groß:
Dubus, Rabenei (Roven), Klein- und Groß-Blagen, Thein, Sirtjc (Klein:
und Groß-©., Zderec), Borzim mit Patronat, Nechutnow (?), Kortjchen,
Wlkow, Kroh mit Batronat, Wosnalig, 1 Bauernhof in Nedweska (Nedv&z).
Eine Urfunte vom 14. October 1440, die Heinrich Berka von Hausfa
für zwei Brüder von Tayn ausjtellt, ®) bietet die letzte Erwähnung von
ihm, die ich kenne.
1) L. erect. X, 43. Vergl. Paprocky, st. pansk. 155.
2) Archiv tesky III, 472. Reliq. I, 578.
3) Relig. II, 108.
4) Ibidem II, 141.
5) Archiv Gesky III, 227.
6) Ibidem IH, 240 ff.
7) Obiged Datıım trägt die Orig.-Urfunde in Wittingau, Arch. Gesky III, 505.
Die landtäfl. Einlage ift datirt vom 7. März 1437, Reliq. II, 158.
8) Lehentafel 4, 55. (Ausgeftellt in Raudnitz.)
ER .,
Es find uns zwei Urkunden erhalten, wodurch Heinrich die Vormund-
ihaft über feine Kinder ordnete. Einmal übertrug er diefelbe feinem
Bruder Wenzel (am 21. Feber 1402); ') das anderemal, am
21. December 1415, jeiner Gemahlin Anna zugleicdy mit Alefh von Duba
auf Drazig und feinem Bruder Heinrich) Hlawacz. *) In keinem diefer Fälle
find die Namen der Kinder genannt. — Nur eine Urkunde vom 12. No-
vember 14233) hat uns die Namen zweier Söhne erhalten. Dajelbit
werden nämlich als Zeugen angeführt: „Heinrich Berfa von Duba, Herr
auf Hausfa; Hinfo von Duba und Chwalo von Duba, Herren auf Hausfa,
Söhne des vorgenannten Herrn."
. Von dem einen, Hinko, erfahren wir fpäter nichts mehr. Chwal
dagegen wird, zugleich) mit dem Vater, zum zweitenmal erwähnt am
5. December 1430; als fein Sig wird da Hühnerwaſſer genannt. *) Wir
wifjen, daß diefe Herrichaft um 1407 an Hinfo von Miühlftein gefommen
war, und hörten auch, daß Wenzel von Duba auf Sakſchen als Vormund
der Kinder Hinkos 1415 feinen Sig dort hatte. Wie der Uebergang an
Heinrid auf Hauska oder direct an den Sohn Chwal erfolgte, dariiber
ift mir nichts befannt geworden.
Bon dem Vater hatte diefer jedenfalls geerbt Milczan und Hohlen.
Diejen Belig zugleih mit dem wohl nicht gar lange vorher zu er:
worbenen Hofpig®) verfaufte er am 5. Juni 1437 an Sigmund von
Wartenberg auf Zetjchen. ) — Auch Kadlin gehörte ihm dur Erb:
haft. Hier überließ ev am 10. Juni 1445 das PBatronat dem Klofter in
Weißwaſſer.)
Vor dem J. 1447 ſtarb Chwal und hinterließ ſeinem Sohne Paul
und den anderen noch unmündigen Kindern außer Hühnerwaſſer auch jenen
Theil von der Herrſchaft Gabel, den ſein Vater 1418 an Beneſch von
Wartenberg verkauft hatte. Daß Chwal denſelben wieder erworben hatte,
erfahren wir freilich nur aus der Urkunde vom 17. Juli 1447, in welcher
1) Reliq. I, 597 = Archiv tesky III, 474.
2) Reliq. II, 124 = Archiv tesky II, 497.
3) Lehentafel 61, 333.
4) Relig. II, 240 = Archiv lesky II, 61.
5) Noh am 22. Juli 1423 präfentirten den Pfarrer von Hoſpitz: Hinco de
Öslavic et Wanco de Hostikovie. L. confirm. VIII, C, 6:
6) Reliqg. II, 170 = Archiv tesky III, 517.
7) Archiv desky III, 531. Wir werben auf Kadlin zurückkommen bei Gelegenheit
eines Procefjes, der faft 100 Jahre fpäter deshalb angeftrengt wurde.
5*
— 683—
Paul dieſen Beſitz neuerdings verkauft an Heinrich Berka auf Leipa, wie
ſchon oben erwähnt worden.)
Als man im J. 1453 an die Neuordnung der Beſitzverhältniſſe ging
und von jedem die Vorlage der darauf bezüglichen Urkunden verlangt
wurde, war auch Paul bereits todt; denn im Namen der andern, noch
unmündigen Kinder Chwals legte damals Johann von Wartenberg auf
Blankenſtein die Verſchreibungen über Herrſchaft Hühnerwaſſer vor. 2) —
Bon jenen Kindern lebte aber Schon 1454 nur noch eine Tochter, Barbara.
In diefem Fahre wurden aljo, „nachdem Heinrich Berfa d.j. von Duba und
Gabel und jeine Kinder gejtorben", die Gitter derjelben als heimgefallen erklärt
und vom Könige an Alejch von Duba auf Sakjchen verliehen. 3) Und infolge
deſſen wurden als ſolche Güter proclamirt: Milezan und Hoblen, Habjtein
und Hühnerwafler, jpäter (1457) auch noch Gabel.) Habjtein wurde
eigentlich Fäljchlich einbezogen, wie fich noch zeigen wird. Hinfichtlich der
erjtgenannten, Milezan und Hohlen (mit dem dort inzwifchen erbauten
Nübenau) bewies Johann von Wartenberg auf Tetfchen aus der Landtafel
feine Befisrechte, und diefelben wurden ihm zuerkannt (1. April 1462).
Ebenſo zeigte Heinrich von Duba auf Leipa, daß er Gabel (1447) ge
fauft, und diefes wurde ihm ebenjo zugefprochen (1463, März 26.) —
So blieb alfo nur Hühnerwaſſer übrig. Zwar vertheidigte genannte Bar-
bava, als einzige Erbin, ihre Rechte darauf, doch verzichtete fie bereits am
17. April 1460 zugunften des Aleſch, und diefer wurde alfo hier am
nächſten 1. Mai eingeführt; u. z. in Ritterfig und Städtchen Hühnerwaſſer
und die Dörfer Schiedl, Plaufchnig (Plücznice), Jeſowai, Krupai und
Rokitai. >)
Bon den 4 jüngern Söhnen, welche die Theilungsurfunde von
% 1391 nennt, wird Johann fpäter nicht mehr erwähnt. Die drei, die
noch am Leben waren, nämlich Wenzel, Heinrich Hlawacz und Heinrich,
genannt Wanẽk, fchritten am 21. Februar 1402 zur Theilung der ihnen
vom Bater zugewiejenen Güter, ©)
1) Relig. I, 210. Daß die Wiedererwerbung durch Chwal früheftend 1433 er-
folgte, ergibt Paprocky, St. pansk. 272 (Benes z Wartenberka na Jablonn&m).
2) Archiv &esky 1I, 204.
3) Leheutafel 26, 53. (Urf. von 11. April 1454.)
4) Ebenda 16, 63 und 58,
5) Ebenda 23, 215.
6) Relig. I, 596.
— 69 —
Wenzel, der älteſte von ihnen, erhielt: Burg Czap und die Dörfer
Tuhanzl mit Meierhof; Welhütta (Lhota), Töſchen, Sakſchen, Dobrzin und
Widim; die emphyteutiſchen Aecker in Ratſch (Hradistka, ſüdl. von Töſchen)
und Zawory (?); die Mühle „Woldanow“ u. a.; Wald am Eichberge. —
Die Stelle, wo die Burg Czap ftand, bezeichnet noch heute der Volksmund
mit dem Namen Tſchapkeule (öftlih von Tuhanzl); ſonſt erinnert daſelbſt
faft nicht3 mehr daran. Schon Wenzel muß diejelbe bald verlafjen und
feinen Siß aufgefchlagen haben in einer Burg, die im Süden des Dorfes
Sakſchen (Zaksin) lag und auch diefen Namen führte. ?) Bereits 1404
nennt ſich Wenzel nad) diefer Burg „von Sackſchen“ und fo jeitdem regel:
mäßig. ?) Faft alles was von Wenzel zu erzählen wäre, wurde bereits
früher angeführt; jo daß er 1402—1404 Beſitzer einer Hälfte von Gabel
war; ebenjo daß er 1414 und 1415 die Vormundjchaft nach feinen ältejten
Bruder Hinko führte, und daher um diefe Zeit als Patron jeines Kirch—
dorfes Widim (am 29. Juli und 6. September 1415) genannt wird
„Wenzel Berfa von Duba, gejejfen auf Hühnerwafjer".*)
Wie lange Wenzel lebte, kann ich nicht einmal annähernd bejtimmen.*)
Wie über ihn, fo ſchweigen unfere Quellen auch über jeine Söhne durd)
mehr als zwanzig Jahre vollftändig. Auch können wir diefe nur feſtſtellen
duch Rückſchlüſſe nach den Beligungen. — Am 10. März 1440 wird unter
den Herren, die auf dem Kreistage in Nimburg zujammenkamen, ?) ein
Hynek Berka von Duba und Töſchen aufgeführt, den wir aljo als Sohn
Wenzels anjehen müſſen. Wir haben nur diefe einzige Nachricht von ihn. —
Ein zweiter Sohn, Weich von Sakſchen, tritt jogar erjt jeit dem J. 1452
in unfern Quellen auf. *) Es ift derjelbe, von dem wir bereits erzählten,
daß er die Herrichaft Hühnerwaſſer vom Könige erhielt (1454.) In
Urkunden der folgenden Jahre wird er nicht felten genannt; ?) jpäter nahm
er nacheinander mehrere einflußreiche Stellungen am Hofe der Königin
ein. Zuerft war er 1461—1465 Oberjtlämmerer derjelben, dann 1469 bis
1475 Unterfämmerer der königlichen Leibgedingjtädte, endlich im legtgenannten
1) Man vergleiche über die Burgen Czap und Sakſchen Bernau im Sbornik
hist. II, 20—22.
2) Relig. II, 5.
3) L. confirm, VII, F, 2 und 6.
4) Ich finde feinen Namen zum leßtennal 1420, am 21. März genannt, Archiv
Gesky I, 405.
5) Ibidem I, 249.
6) Am 11, Juli tritt er eine VBerfchreibung anf Konojed. ab an Etibor von
Tloskow. Relig. II, 225,
7) Bergl. Archiv tesky I, 187 und III, 327.
— AM; u
Jahre Oberjthofmeiiter. der Königin. ) Wann er jtarb, kann ich nicht an-
geben; ich kenne nur noch eine Notiz vom J. 1483, die auf ihn zu beziehen
jein wird. Sie betrifft eine königliche Schenkung, ift aber jo kurz und
allgemein gehalten, daß fie nur den Werth einer einfachen Nennung des
Namens beanjpruchen Tan. ?) — Bon feinen Nachkommen bis auf den
dreißigjährigen Krieg joll der 4. Theil diefer meiner Arbeit handeln,
Dem nächften von den jüngern Söhnen, Heinrih Hlawacz, fiel
bei der Theilung nachjtehender Beſitz zu: Klum, Dürchel, Sfal, (oder
Skalka, jedenfalls bei Dürchel), Wrehhaben mit dem Berge dabei, Horka,
Groß: und Klein-Bieznis, dev Meierhof in Low ?), Nezlowig (?), Zdeſſow (?)
Drajchen (Drazejov) Schevoweig (Stfizovojice), die zinsbaren Weder in
Schwihof (neben der Roßpreſſe füdl. von Dauba), die wüften Aecker
in „Kuku“ (Kluk?) und Strkaw (?) — Heinrich) Hlawacz hatte mit feinem
zweitältejten Bruder Heinrich) von Habjtein eine Erbeinigung gejchlofjen ; *)
indejjen als diefer umd bald nachher feine Kinder jtarben (1407), erbte
Heinrich Hlawacz nur Habjtein. Daher nennt er fich jpäter meift „von
Habftein”, bisweilen auch „von Low”. Bereit in der Confirmationg-
urkunde des Habjteiner Pfarrers vom 9. Jäner 1408 wird er als Patron
genannt. Später ift das noch mehrmals der Fall. 5) — Auch in Dürchel
übte er das Patronatsrecht aus‘) Grade Dürchel aber und Skalka ver-
faufte Heinrich am 9. März 1417 an Elifabeth von SKlingenftein, die
Witwe des Heinrich von Duba auf Auſcha um 180 Schock Gr. ?) — Be
reits vorher, am 18. März 1415, hatte er 21 Schod Zins in feinen
Dörfern Klum und Nezlowig (?) veräußert an die Schweitern Katharina
und Anna, Töchter des Rzimek von Medonos (um 210 Schod Gr.) ?)
In Klum hatte Heinrich Hlawacz, wie die Theilungsurfunde bemeijt, auch
das Batronat erhalten; dies muß er aber furz nachher an den Bruder
Heiarih auf Milczan (und Habftein) abgetreten haben, nachdem diejer
1404 und 1405 dafelbjt präfentirt.?) Nach dem Tode diejes Heinrich
mag es an Heinrich Berka auf Hausfa gekommen fein; denn diefer jchenft
1) Balady, Soucasny prehled.
2) Zehentafel 6, 21. :
3) Die beiden Bieznig find wohl um Nedam zu fuchen, wo noch jeßt der Meier:
hof Brezinka liegt, In diefe Gegend möchte ich auch Low verfegen.
4) Relig. II, 16 (1405, Mai 8.)
5) L. conf. VI, 235. Ebenda aud) noch am 22. Aug. 1418. (ihid. VII, K, 7.)
6) Ibidem VII, B, 12. (1412, Mai 30.)
7) Reliq. II, 134.
8) Ibidem II, 116.
9) L. confirm. VI, 128.
— —
der dortigen Kirche am 22. October 1407 Zins von 32 Groſchen, eine
Wieſe und ein Stüd Ader. ')
In Fürforge für feine Kinder ernannte Heinrich Hlawacz zuerjt am
14. April 1410 feinen jüngjten Bruder Wanek von Chudy-Hradet zum
Bormund. ?) ALS diefer aber bereits wenige Jahre nachher ſtarb, übertrug
er die VBormundjchaft auf Anna, die Gemahlin feines Bruders Heinrich
Berka auf Hausfa, und Aleſch von Duba auf Drazig (1415, Dec. 21.).°)
Im % 1419, am 6. November, Fündigte auc er, wie die meijten
feines Gefchlechtes, den Pragern Fehde an.) Sonjt tritt er jedoch in den
nächſten Jahren nicht mehr hervor, und nur noch eine einfache Nennung
feines Namens im %. 1425 (Hlawacz von Duba) muß auf ihn bezogen
werden. ®)
Bon feinen Rindern kennen wir einen einzigen Sohn, Namens Ezenef,
und auch diejer wird erjt 1446 erwähnt, bei der Gelegenheit, wo er bie
vom Vater ererbte Herrichaft Habftein an Johann von Smirzig verkauft
(28. März).e) Lebterer war indeß jchon vorher im factischen Befige der
Burg Habftein, nachdem er diefelbe 1445 jich hatte abtreten laſſen von
dem (unbekannten) Raubritter, der von dort aus die reijenden Kaufleute
beläftigt hatte.) — In welcher Art die übrigen Bejigungen, die der Vater
Czeneks geerbt hatte, früher oder jpäter in fremde Hände kamen, kann ich
nicht entjcheiden. Es läßt fich eben nicht conftativen, was jener Heinrich,
genannt Ezendf, den wir höchjt wahrfcheinlich als Sohn jenes Czenek anzu-
jehen haben, an Gütern noch fein nannte, — Wir lerıtten diefen Heinrich,
gen. Czenek im erjten Theil kennen, als von dem Schiejale der Befigungen
Albrechts von Duba auf Tollenftein die Rede war. 1463 nämlich verlieh
K. Georg das, was gen. Albrecht in Klum und Malſchen bejejjen, an
Jaroslaw Berka von Duba auf Leipa und Heinrich, gen. Ezenef, von
Duba.?) Wir fahen feinerzeit wie diefe Verleihung von den factijchen
Beſitzern angefochten wurde, und wie fich der Proceß hinzog bis 1487,
1) L. erect. V, 148 Ms. — Später gehörte Klum den HH. von Smirzig und
fam mit Habftein 1478 an die Wartenberger. Vergl. im 1. Aufſatz ©. 150 f.
2) Relig. I, 60.
3) Ibidem II, 124. Hier fteht fäljhlih der Name Katharina für die Gemahlin
bes Heinrich Berka.
4) Archiv tesky IV, 375.
5) Ibidem II, 253. Auch Palackij, Urk, Beiträge II, 534 bezieht fi wohl auf
ihn (1426?).
6) Reliq. II, 204 — Archiv tesky LI, 534.
7) Archiv tesky II, 32.
8) Lehentafel 16, 328,
er
wo Jaroslaw und Heinrich auf ihre Nechte verzichteten.) Im letztern
Falle nennt ſich Heinrich Schon nach feiner neuen Befigung „von Dra-
hobus” ; ich vermag indeß nicht anzugeben, wie und wann er diejelbe erwarb.
Um dieje Zeit wird fein Name noch einigemal genannt, zujammen
mit dem feiner zweiten Gemahlin Dorothea von Wellefchig, die damals
(1485) durch Fönigliche Verleihung einigen Befig in Scelowig an der
Eger erhalten hatte; u. 3. zugleich mit ihrer Tochter Dorothea und ihrem
Stiefjohne Heinrich (dem Sohne des Heinrich Czenẽk aus erfter Ehe). ?)
Sn den fi an diefe Verleihung anfnüpfenden Berhandlungen wird
Heinrich Czenek bis 1488 genannt. — Sein erwähnter Sohn bejaß Dra-
hobus bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, wo er es verkaufte an
Karl von Duban (vor 1504).?) Nach dem Brande der Landtafel erneuerte
Heinrich dem Sohne Karls, Ulrich von Duban auf Liebeſchitz, die bücher:
liche Einlage (1545). Das tjt die legte Nachricht von ihm; auch von Nach—
fommen weiß ich nichts. Nur einen Bruder Heinrichs habe ich feit 1502
erwähnt gefunden, nämlich Johann (Drahobuszky) von Duba, der dann
1521—24 in Streitigkeiten mit Anna von Kowan, der Witwe des Albrecht
Libſteinsky von Kolowrat auf Loboſitz, Graupen u. f. f. verwidelt war. *)
Wir find angelangt beim jüngften Sohne, Heinrich d. j. genannt
Wanek, Sein väterliches Erbtheil umfaßte nach der Urkunde von 1402:
Schloß Chudy:Hradef?) mit dem Meeierhof, Stadt Dauba, die Dörfer
Sebitjch, Zdislaw (?), Oſchitz (Sussice), Nedwiez (?) und 2 Mühlen („in
Strieziem" und „sub obstaculo").
Seinen Sig ſchlug Wanek auf Chudy-Hradef auf und nannte ſich
darnach „von Hradef".%) Ws Patron von Dauba bejtimmte er am
10. März 1408 für einen Kaplan dafelbjt (bei der Katharinenficche)
7 Schod Zins”) Ein anderesmal (am 26. September 1411) gab er als
Gutsherr feinen Conjens zu der Scenfung eines Aders für die Pfarr:
kirche ebendajelbft.®)
1) ©. im 1. Theil ©. 151.
2) Zebentafel 17, 360.
3) Zandtafel 7, D, 27 (eingelegt 1545). Daß der Verkauf vor 1504 erfolgte, zeigt
eine Schuldverfchreibung von diefem Jahre (Landt. 84, D, 16), worin Karl
von Duban bereit? „von Drahobus” heißt.
4) Rammtergerichtöregifter 13, F. vielfach.
5) Die Stelle diefer Burg bezeichnet nody die Ruine oberhalb der Gründenmühle
fübw. von Pablowitz.
6) Bereitö 1403, Nov. 29. Reliq. I, 605.
7) L. erect. XIII, Balbin 293.
8) L. erect. VIII, 151. Ms.
— —
Auch Wandk erhielt von den Gütern des zweitälteſten Bruders
Heinrich von Habjtein, einen Theil. Das erfahren wir zwar nicht aus jener
früher eitirten Zeugenausſage des Mzintef von Dürchel vom 19. Mai 1456;
aber bereits früher, am 25. October 1455, war es bei einem ähnlichen
Anlafje von mehreren Zeugen verbürgt worden (unter welchen übrigens
ebenfalls genannter Rzimek war).) Aus ihren Ausfagen geht hervor,
daß Wanek nad) dem genannten Bruder Pablowig befam; weiter, daß
dies 5 (nad) andern 3 Jahre) vor feinem Tode gejchehen; endlich daß feit
jeinem Tode bis 1455 an 43 Jahre verfloffen feien.?) Danach wäre
Wanels Tod 1412 (oder 1415) anzufegen, womit ſehr gut jtimmt, daß
er noch am 26. September 1411 genannt wird.?) Jene Gütertheilung
nah dem Bruder muß, wie wir feinerzeit jahen, 1407 vorgenommen
worden jein; dem entjpricht die Angabe, dab Wanek Pablowitz 5 Yahre
vor jeinem Tode erhalten habe.
Wanẽks Gemahlin war Barbara, die Tochter Herbords von Roczow
aus dem Gejchlechte der Kolowrat. Diejer war VBormund der Kinder des
Beneſch von Duba auf Koftenblatt, und als jolcher verficherte er 1418
verjchiedenen Verwandten, darunter auc genannter Tochter Barbara („der
Witwe des Wanẽek von Duba“) 2000 Schod auf den Gütern Liebejchig,
und Koftenblatt. *)
Die vorgenannten Zeugenausjagen bieten uns auch noch die Namen
zweier Söhne Wankeks, Heinrich) und Johann, mit der Angabe, daß noch
andere vorhanden waren. Erjteren finden wir dann erwähnt 1429 (No—
vernber 25.) als Zeugen beim Berfaufe der Helfenburg (ſ. S. 59) u. 3.
als Heinrich Berka von Duba, gej. auf Hradef.?) Neben ihm wird
genannt Wanẽk d. j. Berfa von Duba, offenbar fein Bruder. — Als am
25. Juli 1440 der Naudniger Landfriedensbund gejchlojjen wurde, waren
unter den Anweſenden auch Hinfo Berka von der Dauba, geſeſſen daſelbſt
und Johann Berka zu Pablowitz.“) Wir kennen auf diefe Werfe 4 Söhne
Waneks: Heinrich, Johann, Wanek d. j. und Hinko, und müſſen ſchließen,
daß diejelben eine Gütertheilung vorgenommen hatten.
1) Archiv tesky I, 162. Auf den Anlaß werden wir zurüdfommen.
2) Es wird auch gejagt, daß er in Weißwaſſer begraben wurde.
3) ©. vorher S. 72, Anm. 8.
4) Zehentafel 21, 151. Auf diefe Verfchreibung wurde bereits oben (S. 61) hin—
gewiejen bei der Gejchichte Heinrich von Leipa.
5) Archiv Cesky VI, 485. Nochmals 1432, November 30. (Verlauf von Hauska)
» Ibidem ll, 505.
6) N. Script. rer. Lus. I, 249. (Aus Scultetus,)
——
Als im erſten Theile (S. 140) von der Fehde des Nikolaus Berka
von Duba auf Lemberg gegen den Kurfürſten von Sachſen die Rede war,
wurde kurz darauf hingewieſen, daß ein mitbetheiligter Johann Berka
nicht ein Bruder des Nikolaus ſein könne. Ich füge jetzt hinzu, daß damit
kein anderer gemeint ſein kann, als obiger Johann auf Pablowitz. Dazu
paßt ganz gut der Ausdruck in einem Briefe vom Juli (?) 1449 „mit dem
Birken zum Lemberge und dem von der Daube*.') Wahrjcheinlid) hatte
er nach feinem Bruder Hinfo, der nad) 1440 nicht mehr vorkommt, Dauba
geerbt. Iſt das Gejagte richtig, dann war Johann 1453 am Leben, *) doc)
muß er bald gejtorben fein, da er in dem gleich el ine Proceſſe
nicht erwähnt wird.
An längſten lebte der erſtgenannte der Brüder, — auf Chudy—
Hradek. Letzteren Beſitz muß er aber, unbefannt warn, an feine Mutter
Barbara von Kolowrat abgetreten haben. Dafür finden wir ihn an der Elbe
bei KRojteleg begütert. Zuerjt erwarb er dort Jiris, dann Elbekoſteletz jelbit.
Wir erfahren das alles nur aus den Pfandſchafts-Regiſtern (Registra z&-
pisün) vom J. 1453.) Dafelbjt jteht, daß eine Reihe von Urkunden vor:
gelegt wurden über Elbefojteleg, darunter als legte die, womit Wilhelm
von Schönburg diefe Pfandjchaft abtrat an „Heinrich von Duba und von
Sitig (z Jezie) und feine Gemahlin Elifabeth von Boskowitz.
Ein Sohn Heinrichs von Duba auf Kojteleß, wie er fich feitdem
nennt,?) Namens Wenzel, hatte um dieſe Zeit gegenüber von Elbefojteleg
Dorf Rudecz bejefjen. Vor 1454 war er gejtorben, fein Bejig galt als
heimgefallen und wurde vom Könige den Eltern verliehen.) — Durch eine
gleiche königliche Verleihung fam Heinrich auch wieder in den Beſitz feines
Erbtheiles Chudy-Hradet. Barbara von Kolowrat, feine Mutter, und ihr
zweiter Gemahl Johann von Eimburg waren geftorben. Ihr Beſitz: Chudy-
Hradef und die Dörfer Sebitſch, Zdislawitz (?), Oſchitz und Bablowig fiel an
den König, der ihn genanntem Heinrich übertrug. ©) (1454.) Was Pablowitz
1) Bahınann, Urlunden etc. F. R. A. II, 42, ©, 55. — Den Wortlaut der
andern einfchlägigen Urkunden fenne ich nicht.
2) Knothe, Mitth. des nordböhn. Ereurf.-Elub3. ©. 91.
3) Archiv Cesky I, 524. — Jiritz kann Heinrich früheftend 1439 erworben haben,
da e3 vorher dem Prager Bürger Nikolaus v. Herrndorf gehörte u. im gen.
Fahre von den Pragern an Hanuſch von Kolowrat überlaffen ward. Tomek,
Döj. Prahy VI, 66 u. 75.
4) Auf dem Prager Landtag vom 27, April 1452 ift auch Heinrich Berka von
Duba und von Kofteleg. Ibidem II, 309.
5) Lehentafel 16, 59; vergl. 20, 18,
6) Ebenda 16, 299.
ee:
betraf, jo erhob Aleſch von Duba auf Sakſchen Einfprache gegen dieje
Verleihung. AS aber Heinrich durch Zeugen ') nachgewiejen hatte, daß
diejes Dorf wirklich jeinerzeit an feinen Vater Wanef gelangt wäre, ver:
zichtete Alejch auf feine Anfprüche und Heinrich) wurde eingeführt. (1455,
November 17.)?)
Weiter ijt von Heinrich nur noch zu berichten, daß er 1458 bis 1462
Oberjthofmeifter der Königin war.?) Sein Tod iſt wahrjcheinlich ins Jahr
1465 zu jeßen; wenigjtens berichtet Schaller, %) daß in diejen Jahre ein
Heinvih von Duba in der Prager ZTeinficche begraben wurde. — Bon
Nachkommen haben wir feine Nachricht, ebenjo wie wir auch ganz im Un-
Haren find, welche Schidjale feine Güter in den nächſten Jahren Hatte.
Bon Eibe-Kofteleg wijjen wir mwenigftens, daß es bis auf das J. 1499
mehrfach den Befiger wechjelte.) Bon Chudy-Hradek jedoch erfahren wir
erjt wieder im 16. Jahrhundert. Zwilchen 1521 und 1530 verkaufte das:
felbe nämlich Georg Woftersfy Kaplit von Sulewig an Wenzel von War-
tenberg auf Rübenau.“) So fam es zur fpätern Herrichaft Neuſchloß.
(Fortjegung folgt.)
—⸗
Dr. Julius Glaſer.
Am 26. December des vergangenen Jahres wurde in Julius Glaſer
der deutſchen Rechtswiſſenſchaft einer ihrer hervorragendſten Vertreter,
unſerem Staate einer ſeiner treueſten Bürger und einſichtsvollſten Staats—
männer durch den Tod entriſſen. Da Glaſer feiner Geburt nad) Deutſch—
böhmen angehörte und ſich an unjerem Vereine feit feinem Bejtande als
Mitglied betheiligte, fo gebührt ihm auch in diefen Blättern ein ehrendes
Andenken.
Julius Glafer wurde am 19. März 1831 als Sohn unbemittelter
ifraelitifcher Eltern in dein an der Sprachgrenze gelegenen deutjchen Städtchen
Poftelberg in Böhmen geboren. Frühzeitig entwideltes Talent drängte ihn
1) Es find dies die oben erwähnten Zeugenangfagen vom 25. October 1455.
Archiv tesky I, 162.
2) Lehentafel 23, 144.
3) Palacky, Sousasny prehled.
4) Schaller, Prag IH, 98.
5) Vergl. Archiv tesky VI, 576.
6) Landtafel 5, B, 22. (Neneinlage von 1543.)
208
auf die Bahn gelehrten Berufes und fo begann er feine Gymnaſialſtudien
in Leitmeritz und beendete fie mit Unterftügung eines in Wien anfäfjigen
Oheims in leßterer Stadt. Er widmete fi) jodann im Studienjahre
1848—49 an der Univerfität Zürich philofophiichen Studien und wurde
dafelbjt am 13. October 1849 zum Doctor der Philofophie promovirt.
Neben diefen philofophiichen Studien war es aber bereits in Zürich die
Nechtswiljenjchaft, vor Allem die auf philofophifcher Grundlage beruhende
Wifjenjchaft des Strafrechtes, die ihn immer mächtiger anzog und der er
nach feiner Rückkehr nad) Wien feine geiftige Kraft ausjchließlich widmete.
AS erjte Frucht jeiner Studien, zugleich als Zeugniß feiner glänzenden Be:
gabung erjchien im J. 1850 fein „engliſch-ſchottiſches Strafverfahren",
das don der Kritik jehr beifällig aufgenommen, namentlich auch von Seite
des zur Zeit erjten Kenners des engliichen Strafverfahrens, Mittermaier,
vollfte Anerkennung fand. Auf Grundlage diefer Schrift habilitivte ſich
Glaſer, nachdem er mittlerweile zum katholiſchen Glauben übertreten war
und am 27. März 1854 die juriftifche Doctorswürde erlangt hatte, in dem—
jelben Jahre an dev Wiener Univerfität als Privatdocent für djterr. Straf:
recht und eröffnete am 9. October 1854 feine Vorlefungen mit einer ge-
haltvollen, das Programm ccht wiſſenſchaftlicher Behandlung des dfterr.
Strafrechtes Har zeichnenden Rede „über Aufgabe und Behandlungsweije
der Wifjenjchaft des öſterr. Strafrechts“. In Ausführung diefes Programms
veröffentlichte Glafer, der im %. 1856 zum aufßerordentlichen Profeſſor des
Strafrechtes ernannt worden war, außer zahlreichen kleineren Aufjägen
im J. 1858 den erſten und leider einzigen Band von „Abhandlungen aus
dem djterr. Straftechte", welche die jo wichtigen und jchwierigen Lehren
über jtrafbare Drohungen und ftrafbare Unterlajfungen in fo vorzüglicher,
die gejammte auch außerdeutfche Literatur und Gejeggebung umfaljenden
Weiſe behandelten, daß Glaſer fortan unbeftritten unter den Strafrechts-
lehrern Deutjchlands einen hervorragenden Pla einnahm. Aber nicht auf
die rein wiljenjchaftliche Thätigkeit follte die Wirkſamkeit Glafer’s, der im
%. 1860 zum o. Brofejjor ernannt worden war, bejchränft bleiben; es follte
ihm vielmehr vergönnt fein, feine durch wiſſenſchaftliche Studien gewonnenen
Ueberzeugungen im Wege der Gejeggebung auch in das praftiihe Leben
einzuführen. Denn als e8 ſich in Folge der durch die Februarverfaſſung
vom J. 1861 herbeigeführten Aenderung im öffentlichen Leben Dejterreichs
um eine Reform mehrerer Zweige der Fuflizgefeggebung, vor Allem des
Strafrechtes und Strafprocejjes handelte, da war es Glafer, dem vom
Juſtizminiſter Pratobevera die Aufforderung zuging, Vorſchläge bezüglic)
der Reform des Strafverfahrens der Regierung zu erftatten. Diejer Aufforde-
rung entfprach Slafer durch Ueberreichung einer Denkfchrift, in welcher ev im
Allgemeinen auf dem Boden der unter Schmerling’3 Juſtizminiſterium er:
laſſenen Strafproceßordnung von %. 1850 fußend doc) bereits in Bezug auf
die Berfeßung des Beichuldigten in den Anklageftand und die fubfidiäre Straf:
verfolgung von Seite des Verlegten jene Principien entwickelte, welche in
der gegenwärtigen Strafprocegordnung vom %. 1873 ihre Verwirklichung
fanden. Auf Grundlage diefer Denkſchrift arbeitete nun Glaſer den erſten
allerdings noch unvollftändigen Entwurf einer Strafprocekordnung aus und
nahm von nun an duch volle zwölf Jahre an den Vorarbeiten zum Zu—
ftandefommen der gegenwärtig in Kraft ftehenden Strafprocegordnung den
entfcheidenditen Antheil. Die Gefchichte diefer Vorarbeiten, wie fie in Mayer's
„Handbuc, des öſterr. Strafprocees" dargeftellt ift, zeigt auf jedem ihrer
Blätter nicht nur von der tiefen wiſſenſchaftlichen Einficht Glafer’s, fondern
auc von feinem bei Theoretifern felten in gleicher Schärfe vorhandenen
praktischen Blide, der ihn eben zu Tegislatorischen Arbeiten in jo hohem
Grade befähigte. Die das Maß des Gewöhnlichen weit überragende Arbeits:
fraft ermöglichte es aber auch Glaſer neben der Zeit und Geift in gleicher
Weiſe in Anſpruch nehmenden Tegislatorischen Thätigfeit noch wiſſenſchaft—
lihe Arbeiten von hervorragender Bedeutung der Deffentlichfeit zu über:
geben. Wir erwähnen aus diefer Zeit nur die trefflichen für das Schwur:
gericht mit allem Feuer tiefinnerfter Ueberzeugung eintretenden, wiederholt
aufgelegten Schriften: „Ueber die Frageftellung an die Geſchwornen“ (1863)
und „Zur Juryfrage“ (1865), jowie das Werk „Anklage, Wahrfpruc und
Rechtsmittel im engliichen Schwurgerichtsverfahren” (1866), durch das ſich
Glaſer al3 einer der gründlichſten Kenner des englifchen Strafverfahren
erwies. — Im J. 1868 trat ein Wendepunkt im Leben Glaſer's dadurch
ein, daß er von dem unvergeßlichen Neformator des öſterreichiſchen Volfs-
jchulwefens Hafner in das Minifterium für Cultus und Unterricht als
Sectionschef berufen und fo dem Lehramte und feiner juriftiichen Thätig-
feit zunächſt allerdings nur fir kürzere Zeit entzogen wurde. Denn als
das Miniſterium Hafner im %. 1870 von der Leitung der Negierungs:
gejchäfte zurücktvat, fehrte auch Glafer, von feinem Monarchen in Aner:
kennung feiner hervorragenden Verdienſte um Staat und Wiffenfchaft mit
dem Comthurfreuze des Franz Joſef-Ordens mit dem Sterne geziert, wieder
zu feinem Lehramte zurück. Aber auch diesmal nur für kurze Zeit, denn
jein Name hatte in Folge feiner hervorragenden öffentlichen Thätigkeit die
Aufmerkfamkeit auch weiterer Kreiſe auf fich gelenkt, und jo wurde er denn
bereitS im J. 1870 in der inneren Stadt Wien in den niederöfterreichifchen
Landtag und von diefem in den Neichsrath gewählt, dem er fortan bis
zu den Neumahlen des J. 1879 als einer der hervorragendften Redner
angehörte. Es waren nicht blos Fragen auf dem Gebiete der Rechtspflege,
fondern auch Fragen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichtes, die in
Glaſer einen von echt ſtaatsmänniſchem Geifte befeelten, nicht nur durch
inneren Gehalt, fondern auch durch den Adel der Form ausgezeichneten
Vertreter fanden. Wir erinnern in diefer Beziehung nur an die treffliche,
am 13. uni 1871 gehaltene Rede iiber die Sprachenfrage in Dejterreid),
in welcher er nicht nur der flovenischen Forderung nad) Errichtung einer
philoſophiſchen und juriftischen Fakultät in Laibach mit aller Entjchieden-
heit entgegentrat, fondern aud im Allgemeinen die Sprachenfrage in ihrer
Anwendung auf Ayuftiz und Unterricht von einem höheren, das wichtige
und Leider in Defterreich jo jehr verkannte Verhältniß zwijchen Zwed und
Mittel betonenden Standpunkte beleuchtete. — In das Minifterium Auers—
perg am 25. November 1871 als Minifter der Juſtiz berufen, übernahm
Glaſer die Aufgabe, drei hochwichtige Tegislative Werfe endlich zum Tang
erjehnten Abjchluffe zu bringen. Leider gelang ihm dies nur rückſichtlich
eines derjelben, der Strafprocefordnung vom 23. Mai 1873, welche ganz
eigentlich als fein Werk bezeichnet werden Tann und ihm einen Ehrenplag
in der Gefchichte der öſterreichiſchen Gefeggebung für immer fichert. Nicht
nur in den Kreiſen der Wiſſenſchaft fand fie die ungetheiltefte Anerkennung ;
jie bewährte fi) auch während ihrer bereits zwölfjährigen Wirkſamkeit als
ein im Ganzen und Großen treffliches Geſetz. Was aber Strafredht und
Civilproceß betrifft, jo wurden zwar unter Glaſer's Minifterium neue, der
bezüglichen deutjchen Legislation ſich eng anjchließende Entwürfe verfaßt
und dem NReichsrathe vorgelegt, ohne daß aber die in demfelben gepflogenen
Berhandlungen zu einem Abſchluße geführt hätten. Für ihren Werth
jpricht abgejehen von der Anerkennung desjelben von Seite der wiljen-
Ichaftlichen Kritif auch der Umstand, daß fie von dem gegenwärtigen Mi-
nifterium abermals mit nur geringen Modificationen dem Neichsrathe zur
Beſchlußfaſſung vorgelegt wurden. — Als das Minifterium Auersperg im
J. 1879 feine Entlaffung nahm, verließ auch Glaſer, deifen hervorragende
Verdienste neuerdings von feinem Monarchen durch Ernennung zum Ge:
heimrath und durch Verleihung der Großkreuze des Leopold» und des
Ordens der eifernen Krone anerfannt worden waren, dag Minifterium der
Yuftiz und übernahm das Amt des Generalprocurators am k.k. oberjten
Gerichts: und Caſſationshofe. Von welcher Bedeutung Glaſer's Wirkſam—
feit in diefer Beziehung gewefen, hat der Präfident dieſes oberjten Gerichts:
hofes, Ritter von Schmerling, bei der nach Glaſer's Hinfcheiden veranſtal—
teten Trauerfeier unummunden anerkannt und zugleich hervorgehoben, daß
N ——
die Mitglieder diefes Gerichtshofes Glaſer in feiner Thätigfeit als General:
procurator achten und Lieben gelernt, daß er ihnen ein wahrer und treuer
Freund geworden, und daß fie Gelegenheit hatten zu ſehen, welch' edler
Menſch und Menfchenfreund Glafer geweſen. — Die Zeit, welche die
amtliche Thätigkeit ihm freiließ, widmete Glaſer wieder der Pflege der
Wiſſenſchaft und betheiligte fi) neben Fleineren Arbeiten an dem groß
angelegten Handbuche der deutſchen Nechtswifjenjchaft von Binding durd)
meifterhafte Bearbeitung des Strafprocejjes. Leider war es ihm nicht be-
jchieden, das Werf, defjen zweiter Band furz vor feinem Tode erfchien, zu
vollenden; nachdem er noch am 18. December an jehs Verhandlungen
vor dem Caſſationshofe fich betheiligt hatte, verjchied er, von einer Lungen:
entzitndung ergriffen, nach furzem Kranfenlager anı 26. December 1885. —
Allgemein in und außer Dejterreich war die Trauer über das Hinjcheiden
des ausgezeichneten Mannes; allgemein das Bewußtjein von dem jchweren,
nicht leicht zu erſetzenden Berlufte, den die Wiſſenſchaft und die üfterrei-
chiſche Rechtspflege durch feinen Tod erlitten. Es würde den Nahmen
diefer Mittheilungen überfchreiten, wenn wir Glaſer's wiljenfchaftliche Be—
deutung, die Univerfalität feines Wiſſens, wenn wir das Edle feines Char:
afters in feinem Verhältniſſe als Freund, Gatte und Vater des Weiteren
jchildern wollten; es ijt dies bereits in warmen, aus tiefjter Ueberzeugung
jftammenden Worten von feinem treuen Freunde Unger, von Wahlberg,
Steinbach, Janka, Ullmann u. A. gejchehen; wir fchließen daher dieſen
furzen Lebensabriß mit dem alten einfachen Spruche: Ehre fei feinem
unvergänglichen Andenken ! Dr. Rulf,
Dr. Auguft Geyer.
Am Tage nach dem unerſetzlichen Verlufte, den die Strafrechtswifjen-
Schaft durch den Hingang Glafers erlitten, wurde derfjelben abermals
einer ihrer eifrigften und fcharffinnigften Vertreter durch den Tod entrifjen.
Dr. Auguft Geyer, o. Profefjor des Strafrechtes an der Univerfität
München, ftarb nach Furzem SKranfenlager am 27. December des ver:
gangenen Jahres. Auch Geyer gehörte unferer deutſchböhmiſchen Heimat
an und blieb unferem Vereine auch in der Ferne ftets ein treuer Genoſſe.
August Geyer wurde zu Ajch in Böhmen am 31. Mai 1831 als
ältefter Sohn des Gerichtsdivectors der gräflih Zedtwitziſchen Herrihaft
—
Aſch geboren. Nachdem er die Gymaſialſtudien theils privat theils öffent—
lich am prager Kleinſeitner Gymnaſium zurückgelegt und ſich der Matu—
ritätsprüfung mit beſtem Erfolge unterzogen hatte, widmete er ſich an der
prager und wiener Univerſität den Rechtsſtudien und erlangte an der
letzteren Univerſität im J. 1856 die juriſtiſche Doctorswürde. Im akade—
miſchen Lehramte den Lebensberuf ſuchend, habilitirte er ſich im J. 1857
auf Grund ſeiner erſten im Druck erſchienenen Schrift: Die Lehre von
der Nothwehr (Jena, 1857) an der prager Univerſität als Privatdoceut
für Strafrecht und wurde im J. 1860 zum ordentlichen Profeſſor der
Rechtsphiloſophie und des Strafrechtes an der Univerſität zu Innsbruck
ernannt. ALS ſolcher bekleidete er während "der eilfjährigen Wirkſamkeit
an dieſer Univerſität das Amt eines Decans der Juriſtenfacultät ſowie
auch das Amt des Rectors der Hochſchule und war als letzterer Mitglied
des tiroliſchen Landtages. Im J. 1871 folgte er einem Rufe als Pro—
feſſor des Strafrechtes an die Univerſität zu München und wirkte an
derſelben bis zu ſeinem am 27. December 1883 erfolgten Tode. — Dies
der kurze Abriß des äußeren Lebens Geyers. Was nun ſeine wiſſen—
ſchaftliche Bedentung anbetrifft, ſo ſind es zwei Gebiete, auf denen er ſich
durch hervorragende wiſſenſchaftliche Arbeiten einen ehrenvollen Namen
erwarb: Die Rechtsphiloſophie und das Strafrecht mit dem Strafproceß.
Im Gebiete der Rechtsphiloſophie war es die realiſtiſche Lehre Herbart's,
welche in Oeſterreich durch den unvergeßlichen Erner weite Verbreitung
gefunden hatte und in welche Geyer während feiner Studien an der prager
Univerfität durch den namentlich auf pfychologischem Gebiete hervorragenden
Bertreter diefer Lehre, Volkmann eingeführt worden war, welcher er
als Grundlage feiner vechtsphilofophifchen Forſchungen bei Wahrung voller
Selbjtändigfeit in der Anwendung und Durchführung unerjchütterlid) treu
blieb. Schon in feiner erjten Schrift von der Nothwehr waren e8 die
Herbart’schen praftifchen Ideen des Nechtes und der Vergeltung, durch die
er die Straflofigfeit der in Ausübung der Nothwehr begangenen Hand»
lung nachzuweifen juchte und jo gewichtige Einwendungen aud dagegen
von Glafer, Yhering u. U. erhoben wurden, feine Schrift bleibt immerhin
ein beachtenswerther, mit Scharffinn durchgeführter Verſuch einer Neu-
begrümdung diefer mannigfache Schwierigkeiten darbietenden Lehre. Das
ganze Gebiet der Nechtsphilofophie auf Herbart’scher Grundlage umfaßt
dann die 1863 erjchienene „Geſchichte und Syſtem der Rechtsphilofophie
in Grundzügen“ fo wie die in der vierten Auflage von Holtzendorff's
Enchelopädie der Rechtswiſſenſchaften erfchienene „Philofophifche Einleitung
in die Rechtswiſſenſchaften,“ welche beide Arbeiten, da fie auch auf voller
PERAE. \ een
Beherrichung des pofitiven Nechtsjtoffes beruhen, auch für Jene, die nicht
unbedingt Herbart's Fahne folgen, doch jehr viel des Beachtenswerthen und
Anregenden enthalten. — Bedeutender aber noch als auf dem Gebiete der
Rechtsphilojophie war Geyers Wirken auf dem Gebiete des Strafrechtes
und Strafprocejjes; unter den Vertretern dieſer Wiſſenſchaft jtand er in
vorderjter Reihe. Auch hiev war es, wie bereits erwähnt, Herbarts Lehre,
die fir ihn die gemeinjame alle allgemeinen Lehren des Strafrechtes ver-
bindende Grundlage bildete. Auf diefer Grundlage erhob ſich dann der
Bau des pofitiven Rechtes, das Geyer in allen Einzelnheiten vollfommen
beherrjchte. Während jeiner fterreichifchen Lehrerlaufbahn war «8 das
öfterreichifche Necht, dem Geyer berufsgemäß feine wiſſenſchaftliche Thä-
tigfeit widmete und deſſen Literatur neben zahlveichen Eleineren in den
juriftifchen Zeitjchriften (Gerichtszeitung, Haimerl's Vierteljahresfchrift) ent
haltenen Aufjfägen die im J. 1362 erjchienenen „Erbrterungen über den
allgemeinen Thatbejtand der Verbrechen" noch immer zu ihren tüchtigjten
Monographien zählt. Seit feiner Berufung nah München bildete aber
fortan das deutjche Neichsitrafrecht den Mittelpunkt feiner wiſſenſchaftlichen
Thätigfeit und er bereicherte die Literatur desfelben durch zahlreiche ge-
diegene Arbeiten. Wir heben in diefer Beziehung jeine erjchöpfenden Mo—
nographien über Theilnahme am Verbrechen und Begünftigung, dann über
die Verbrechen gegen die leibliche Unverjehrtheit und gegen die perjönliche
Sreiheit in Holtzendorff's „Handbuch des deutjchen Strafrechts" (4 Bände,
1871—77), jowie den kurz vor feinem Tode beendeten, an eingehenden
Ausführungen reichen „Grundriß über gemeines deutſches Strafrecht"
(1884—85) hervor, Arbeiten, welche einer allgemeinen Anerfennung ſich
erfreuten. Mit gleichem Eifer und gleichem Erfolge betheiligte er ſich
nach dem Erjcheinen der deutschen Reichsſtrafproceßordnung an der wiljen:
Ihaftlihen Erfaſſung und Bearbeitung dieſes Geſetzes, wofür ſeine Ab—
handlung über den Beweis in Holtzendorff's Handbuch des deutſchen
Strafproceſſes (2 Bände 1879), ſowie fein „Lehrbuch des gemeinen deutſchen
Strafprocejjes (1880) glänzendes Zeugniß bieten. Neben diejen größeren
Arbeiten waren es aber auch noch die wichtigjten Erſcheinungen der Lite
ratur und Gejeßgebung des In- und Auslandes, ferner die mannigfaltigſten
gerade auf der wiljenichaftlichen Tagesordnung jtehenden Fragen des
Strafrechtes und Strafprocejjes, welche Geyer in ungezählten kleineren Auf-
ſätzen im juriftifchen und nicht juriſtiſchen Zeitſchriften beſprach.
Die freiheitlichen Ideen der Neuzeit fanden an Geyer ſowohl auf dem
Boden der Wiſſenſchaft als auch bei ſeinem ſonſtigen Auftreten im öffent—
lichen Leben einen entſchiedenen und warmen Vertreter; rückhaltlos bekundete
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 1. Heft. 6
— —
er aber auch ſtets ſein deutſches Nationalbewußtſein und ſchloß ſich, ſchon
in Oeſterreich Feind jeder particulariſtiſchen Strebung, nach ſeinem Ueber—
tritte nach Baiern unbedingt den Anhängern der deutſchen Reichseinheit
an. In dieſer freiheitlichen und reichsdeutſchen Geſinnung mochte wohl
auch der Grund liegen, daß ihm ſowohl in Oeſterreich als auch in Baiern
jene Ehren verſagt blieben, die nicht ſelten Männern von weit geringerer
wiſſenſchaftlicher Bedeutung, aber, wie man zu ſagen pflegt, von correcterer
Geſinnung zu Theil zu werden pflegen. Nur der italieniſche Kronenorden
ſchmückte ſeine Bruſt als Anerkennung für eine von ihm verfaßte gründliche
Beurtheilung des italieniſchen Strafgeſetzentwurfes.
Im Privatleben war Geyer trotz ſeines etwas ſchroffen Auftretens
im vertrauten Befanntenkreife von der größten Liebenswirdigfeit; Freund
heiterer Gejpräche zeichnete er fich durch feltene Präcifion des Ausdrudes
und durch überrafchende Schlagfertigfeit bei Bekämpfung ihm entgegen—
tretender Anfichten aus. Der ideale Sinn, der ihn bejeelte, erfüllte ihn
mit Shwärmerifcher Verehrung für die Natur und namentlich war es die
Gebirgsmwelt, die ihn ſtets mächtig anzog. Jedes Jahr unternahm er in
den Ferien eine längere Reife in die Alpen; unterzog fich dabei aber aud)
nicht jelten übermäßigen jeine Gejundheit jchädigenden Anjtrengungen.
Seit 1860 Iebte Geyer in glüclichjter Ehe mit einer Tochter des
Fürjt Neußijchen geheimen AJuftizrathes Eduard Friedrich) Alberti. Diefer
Ehe eutjprojjen vier Kinder, von denen aber nur zwei den Vater überlebten.
Mitten im beiten Schaffen, in voller Frijche des Geijtes wurde Geyer
der Wiſſenſchaft entriſſen; jeine Werke fichern ihm aber in den Annalen
derjelben ein bleibendes Andenken. Dr. Rulf.
Das Rittergut Ruben bei Hörih.
Bon Franz Schmidt.
Zwischen Hörig und Gojau liegt das Dorf Ruben, einjt Mittelpunkt
eines wenn auch Fleinen Nittergutes und Sit mehrerer ritterlichen Ge:
ihlechter, die fi „von Auben“, „de Rownich“, „z Rowneho“ uud
ähnlich benannten. Eine nicht unbedeutende Fefte erhob fich in der nächſten
1) Rowne (= Ebene), im Urbar vom Jahre 1524 „Rumb“ (Proſchko „Hohen:
furt” 80).
=. BE.
Nähe des Dorfes; — wann und von wem fie gebaut wurde, wie und
wann fie in Trümmer janf, können wir nicht angeben. So viel ift ficher,
daß noch um das Jahr 1790 der Thurm der Feſte bejtand und zu
Wohnungen für 4 Barteien eingerichtet wurde. ') Jetzt erhebt fich an feiner
Stelle das Hohenfurter Forjthaus.
Es jcheinen aber außer der Fejte noch ein oder zwei Höfe in Ruben
eriftivt zu haben, wenigjtens läßt das Auftreten dreier Nitter in der
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts darauf jchließen. Jedenfalls dürfen
wir nicht an Rum (Rovne) in der Ottauer Pfarre denken, denn das
befand ſich im Beſitze der Nojenberger.?)
Wir bemerken einen fortwährenden Wechfel der Beſitzer Nubens;
ein erbangejejjenes Gejchlecht finden wir hier nicht. Der erjte urkundlich
nachweisbare Bejiger tjt
Busco von Ruben aus dem Gefchlechte der Harracher,“) den
wir am 1. Juli 1300 in einem Schenfungsbriefe Dominits von Paſſern
an die Kirche zu Kicchjchlag als Zeugen treffen.) Als jolcher erjcheint er
auch 1305, 29. Mai in Krumman?) und am 28. Juni 1308 ®) in rofen-
1) J. Schaller: Topographie des Königreiches Böhmen XI, 170.
2) Truhlat: Registrum bonorum Rosenbergieorum 30; ic) folge bier der Auficht
Auguft Sedlatef3 in „Hrady a zamky éeské“ III, 119; einer diefer Meierhöfe
dürfte identijch fein mit dem Hofe Mocerady (Mufcherad) bei Ruben; die
Lage diejes Hofes deutet der Name des „Mufchereibaches“ bei Ruben an.
3) Es dürfte hier am Plate fein, die Stammtafel der älteren böhm. Harradıer
anzuführen, fomweit wir fie eben aus Fontes rer. Anst. XXIII und XXXYII,
jowie aus L. Pröll „Seh. d. Brämonftratenferftiftes Schlägl“ kennen lernen,
?
Beneih, Burggraf v. Nofenberg Johann Johan Behuflan
(125961) erw, 1259—91. 1261—74 12601—
|
Busco von Lagau ; Albero Yacob
1291—1331. Marſchall d. Rojenberger 1306—1326
1317. 1291--1325 >,
mm m mn — — —— — — — —
Wernher von Stieks Johann von Cekau Beneſch v. Quaſſow
1317—39 1317 —49, (F vor 1377)
v Wyßlamwa
Was Busco von Ruben anbelangt, jo vermag ich ihn nicht einzureihen, ebeuſo
auch nicht Busco v. Heben (Burggraf in Welefhin 1360-69) u. a, m.
4) Pröll, „Schlägl“ 34. Aum.
5) l. c. 40,
6) Annal. Praemonst. Naney 1736, II. ©, 376, R
6
Ei BU
berger Schenfungsbriefen für das Prämonftratenferjtift Schlägl in Ober:
öfterreih. Am 1. Mai 1346 endlich beurkunden Peter v. Rojenberg —
als Lehensherr —, Johann von Eefau und Beneſch von Komatig — als
Freunde — in Krummaun, daß Busco zu einem Amiverfarium für fein
Seelenheil der Pfarrliche in Gojau eine Mühle unterhalb Nejpoting
(Mezipoto&i) gejchenft habe.')
Während diefer Zeit finden wir einen
Ulrih von Ruben am 21. December 1325 unter vielen andern
Harrachern als Zeugen — ein Beweis, daß er demjelben Gejchlechte.an-
gehörte. Am erwähnten Tage nämlich verjegte Peter von Nojenberg dent
Bohunf von Harrad) ?) für 83 Mark löthiges Silber die Dörfer Zettwing
(Zetbune) und Migolz (Nicolts).?) Dagegen gehörte, wie aus dem Wappen
(ein Helm mit Ochjenhörnern als Bierde) hervorgeht,
Smil von Ruben dem Gefchlechte der Harradher nit an. Er
wird 1360 *) bis 13875) erwähnt. Ungefähr gleichzeitig mit Smil evjcheint
Litwin genannt Ufel von Ruben zuerjt in einer Urfunde
jeines Freundes, des Pfarrers Bohunco von Budweis, am Montage vor
Maria Geburt 1363.%) 1367 verkaufte er feinen Antheil an Neudorf
(bei Gragen) dem Herrn von Roſenberg.“) Im Kampfe der Paſſauer
Bürger mit ihrem Bifchof und mit Eberhard von Walfee bemächtigte fich
Litwin Ufel 1369 der Burg Falkenjtein (an der Ranna im ob. Mühlviertel)
durch Überrumpelung und übergab fie dem Grafen Leopold von Hals. °)
1380 hatte er die Dörfer Sattling und Laimpac (Mühlviertel) zu Lehen.)
Aus jeiner Verwandtſchaft mit Bohunfo müſſen wir auf feine harrachiſche
Abkunft ſchließen. Am 24 Mai 1372 tritt uns noch ein |
Johann von Bor (Johann Boroveg) als Beſitzer einer
„euria® entgegen und zwar in einer und derfelben Urkunde mit Smil-
1) F.r. A. XXXVII, 100.
2) F. r. A. XXI, 71; Bohunk verpflanzte mit Busco v. Harrach und Dietrich)
jein Gejhleht nah und nad, durch allmäligen Giütererwerb nad) Ober:
öfterreich; eine plößliche Ueberfiedelung eines Pribits v. 9. ift unhiſtoriſch.
3) An der oberöfterreichifchen Grenze,
4) 1. c. 121.
5) XXXVII, 186.
6) BorovY, lib. erect. I, 46.
7) Sebdlätef, Hrady III. 119.
8) Annales Matseeuses (Pertz Mon. Germ. XT. 834).
9) Truhlät, Regist. bon. Rosenberg. 28.
Beide nennen fich „von Ruben”, was die obenerwähnte Annahme Sedläceks
plaufibel macht. Möglich ift es auch, daß fid) Smil oder Litwin fo be-
nannten, trogdem fie fich ihres Beſitzes längſt entäußert haben Fonnten.
Ueber 30 Yahre blieb Johann Borovetz im Befige feines Gutes. Seine
Gattin Margaretha gebar ihm einen Sohn Lambert, der in
das Prämonftratenferklofter zu Mühlhaufen eintrat und bei der Profeß
den Namen Leopold ') erhielt, und zwei Töchter Agnes und Offa, die
fi mit Pesik von Teindles?) und Nicolaus von Michnig ?) verehelichten.
Gewillt fein Befigthum zu veräußern, erbat er fid) von König Wenzel IV.
die Bewilligung, jeine Güter wann und wem immer tejtiven zu dürfen,
welchem Anfuchen denn auch der König am 11. Jänner 1406 in Zebra
(Mendici) willfahrte.) Schon nad) 3 Wochen, am 2. Feber 1406, trat
er mit Bewilligung feiner Gattin, feines Sohnes, feiner Züchter und
Scwiegerföhne fein Gut in Nuben und den Hof Mufcherad (Mocerady
bei Ruben, jegt nicht mehr beftehend) gegen eine Kaufſumme von 200 Sc.
Prager Grofchen, fowie gegen Vorbehalt des lebenslänglichen Nuggenuffes-
an Goldenkron ab.°) Zu diefem Verkaufe gibt fein Sohn Leopold mit
Genehmigung feines Abtes Spatomir feine befondere Zujtimmung am
25. Mai desjelben Jahres.“) Einen Theil des Kaufſchillings — 80 Sc).
Srofchen — erhielt Johann Boroveg am 11. Yuni;?) die übrigen 120
Schock nahm Hrocho dv. Marfchowig auf Porefching?) 4 Jahre darnad),
am 30. März 1410 in Empfang;?) er mochte fie von Johann Boroveg
zu fordern gehabt haben. Diefer blieb noch bis zum Fahre 1408 im
Beige feiner beiden Güter; am 25. Mat 1408 trat er fie mit Zuſtim—
mung feiner Gattin an das Eiftercienferftift Goldenfron jofort ab und
bedang ſich eine jährliche Leibrente aus, die ihm auch zugefichert wurde.'®)
Uebrigens fcheint er bald darauf verjchieden zu fein. Eine Zeit lang
1) So alaube ich den Widerfpruch in der Namensangabe (F. r. A. XXIII, 241
und XXXVL, 351) erffärt zu haben.
2) Bei Budweis; die meiften Rittergefchlechter Südböhmens find mit denen bon
Teindles ftammverwandt.
3) Bei Rojenthal.
4) F. r. A. XXIII, 240.
5) F. r. A. XXIII 24043.
6) XXXVII, 351.
7) Fr. A. XXXVII, 332.
8) Er war zu diefer Zeit Vormund der minderjährigen Kinder Pribifs von
Poreſching (Emler, Lib. eonfirm. VI. 282).
9) XXXVIL, 359.
10) F. r. A. XXIII, 24649.
— 86 —
blieb alſo Goldeukron im Beſitze beider Güter. Vom Jahre 1422) an
erſcheint ein
Buzko von Harrach auf Ruben; ſei es auf einem feinem
Geſchlechte erblichen Hofe (Muscherad?), was das wahrjcheinlichfte ift,
oder als Lehensmann des Goldenfroner Stiftes. Er ift 1422 bis 1427 2%)
Burggraf in Krummau; als jolcher erjcheint er oft an der Seite Ulrichs
bon Rojenberg in den Hufitiichen Kämpfen?) Rotten von Hufitischen Plün—
derern ſteckten ſeinen Hof in Ruben in Brand, nachdem fie fid) bei Neu—
ſiedl gefammelt hatten, und bramdjchagten alles, was fie fanden.) Am
14. April 1436 erfauft er vom Stifte Goldenfron das Gut Ruben,
welches das Klofter von Johann Boroveg gefauft hatte, um 160 Schod
Srojhen?) und am darauffolgenden Tage hängte Ulrich von Nojenberg
jein Siegel auf die Kaufurfunde.*) Dagegen verkaufte Busco am 1. März
1438 dem Wanfo v. Pernlesdorf (Moffifow) ”) feinen Hof in Malotiu ®)
mit Vorbehalt eines jährlichen Zinfes von 2 Sch. um 65 Schod Prager
Sildergrofchen.?) Er Tebte noch 1443.19) Nach Hohened hatte er 3 Söhne,
Ulrich, Jans und Stephan.) Ulrih Harracker verehelichte ſich 1435
mit Juliana Grueber,'?) der Sprojjin eines alten oberöfterreichifchen
Nittergejchlechtes; 1437, 11. December erjcheint er als Befiger von Ol—
bramovig ??) und wird noch im Jahre 1459 erwähnt.) Später finden
wir im Befige Rubens Andreas, Johann und Zaharias von
Nemyſchl, die 1475 der Gemeinde Krummau einen Zins im Dorfe
Mehlhüttel verfauften. ) Dann war Andreas allein Herr von Ruben
(Wappenfigur: ftehender Balken, Helmzierde: ein Paar Hörner). Nach
feinem Tode verkaufte Peter v. Nofenberg als Bormund der Waifen des
1) Palackh, Archiv deskf, II, 6.
2) 1. c., Notizenblatt d. k. Akad. d. Wiffenfchaften IT, 11 u, a. m.
3) A. 6. III, 246 und öfters,
4) Poprav£i kniha panüv z Roämberka ed. Mares, 27, 31 fig.
5) F. r. A. XXIII 266, 67.
6) XXXVI 426.
7) Bei Kaplitz.
8) Molerbauer bei Krumman.
9) F. r. A. XXII, 267; A. &. II, 520,
10) Rotizenblatt III, 442.
11) „Senealog. Beichreibg.“ ꝛc. I. 315.
12) l. c. III, 212.
13) A. 6. I, 42.
14) F. r. A. XXIII, 294.
15) Geblatef, III, 119.
— ,
Verjtorbenen 1487 am 17. November das Gut Ruben an feinen Kanzler
Wenzel um 600 ungarische Gulden.) Den Hof Mufcherad erjtand am
23. Jänner 1492 Welfl von Kicchichlag von Dorothea, der Witwe des
Andreas. Welfl überläßt ihn am 26. Jänner käuflich an Peter v. Nofen-
berg, der am 3. Februar zu Gunſten feines Kanzlers feinen Ansprüchen
auf bejagten Hof entſagt.“) So finden wir denn feitdem
Wenzelvon Ruben (Wappenfigur: Oberkörper eines Negers,
Helmzierde: Federbujch). Wenzel befleivete in der Wende des 15. Jahrh.
die Würde eines rofenbergifchen Kanzler. Sparſam wie er war, konnte
er einige Gilter in der Umgegend erfaufen. So erwarb er außer Ruben
und Mufcherad 1438 das Dorf Litfehau, ?) ſpäter von Siegfried v. Pern—
lesdorf das Dorf Pflanzen und einen Banerhof in Umlowig 9 u. ſ. w.
Seine Gattin Elijabeth gebar ihm nur eine Tochter Apollonia, die
in das Klariffinenklofter zu Krumman eintrat. Der fromme Sinn, den
jeine Tochter damit Fundthat, offenbarte fid) auch am Vater durch zahl-
reiche Schenkungen, die er theils der Pfarrfirhe St. Beit in Krummau,
theils den Klariſſinen daſelbſt, theils dem Eiftercienjerklojter in Hohenfurt
zufommen ließ. So ftiftete er an der Pfarrkirche St. Veit im
Jahre 1489 mit Konrad, Nitter dv. Petrovitz, Mathias v. Vevert und
Georg Podlipskh aus Krumman eine Altariftenjtelle beim Altare der heil.
Marin Magdalena?) am 20. Juni 1508 eine jolche beim Altare des heil.
Hieronymus mit Gütern zu Litſchau, Radiſchen und Loteniß;‘) 1509
beim Altare der heil. Märtyrer; ?) 1521 beim Altare aller Heiligen. ®)
Für die Altariften erwirbt er zwei Käufer; eines jchenft er den
Kaplänen an der Krummaner Pfarrkirche zur Wohnung 1499,°) das
andere weiſt er 1518 den von ihm gejtifteten Altarijten S. Hieronymi
SS. Martyr. et OO. SS. an und beftinmt, daß in der dajelbit befindlichen
Kapelle Conversionis S. Pauli jährlich bei 3 Meſſen für fein Seelenheil
1) XXIII, 294.
2) 1. c. 361,'62.
3) Seblacet, II, 119.
4) Rotizenblatt II, 356.
5) Trajer, Diöcefe Budweis, 61,
6) 1. c. und Notizenblatt II, 445; Litſchau bei Benefhan, Radiſchen bei Pflan-
zen, Zocenit bei Fohannisberg.
7) Trajer 61.
8) 1. eit.
9) Trajer 62.
— —
abgehalten werden ſollen.) Den Klariſſinen, in deren Kloſter, wie
erwähnt wurde, jeine Tochter eintrat, jchenfte er 1506 am 12. März das
Dorf Pflanzen und einen Bauernhof in Umlowitz; diefe Güter follten,
falls fie auf was immer für eine Art vom Klariſſinenkloſter veräußert
würden, au das Dominifanerflofter in Budweis fallen.?) Außerdem be-
ſtimmte er, daß zu Lebzeiten jeiner Tochter den Klariſſinen, jo oft der
große Teich in Litſchau geftscht werde, immer eine Tonne Fiſche gegeben
werden jolle.?) Dem Eiftercienjerjtifte Hohenfurt endlid trat
er am 12, März 1506 fein Gut Nuben und den Meierhof Mujcherad
ab; doch behielt ex fich den lebenslänglichen Nuggenuß für ſich und feine
Gattin vor. Zugleich beftimmte ev wie oben den Anfall beider Güter an
das Budweiſer Dominifanerklofter im Falle etwaiger Beräußerung von
Seite des Hohenfurter Stiftes *) — eine Beftimmung, zu deren Erfüllung
fi) der Budweifer Magijtrat am Freitag nah Maria Hinmelfahrt 1515
urkundlich verpflichtete.)
Später verfaufte Wenzel auch feine Güter in Litſchau an die Roſen—
berger.“) Wenzel von Nuben follte aber fein Alter nicht ungeftört genießen.
In feinem Nechtlichfeitsgefühle mag er den Peter von Nofenberg dazu
bewogen haben, daß er jeine Anfprüche auf die Golvenfroner Güter anfgab.
Wir könnten es ung ſonſt nicht erklären, wie der Greis, der jeinem Herrn
jo treu gedient hatte, von Heinrich) von Nojenberg, als diefer das Erbe
jeiner Bäter übernahm, volle dreiviertel Jahre gefangen gehalten wurde,
Während diejer Zeit bemächtigte fich Heinrich Nubens, nöthigte die Leute
Wenzels zur Unterthänigkeit und entlocte zulegt vom Gefangenen das
Siegel, das er dann zu jeinen Sweden mißbrauchte. Wenzel wurde erjt
nach den Tode Heinrichs in Freiheit gejeßt und erklärte 1527 alle Briefe,
die von Heinrich auf diefe Weiſe mit jeinem Siegel verjehen waren, für
gefälſcht.) Wenzel jcheint ſich jpäter in Budweis aufgehalten zu haben.
1) L. ©
2) Notizenblatt II, 366.
3) Diele Schenfung wurde 1508, 20. Juni auf dem Prager Scloffe von Ma—
gifter Ambrosius de Plzna, Dechanten der Prager Kirche und Adminiſtrator
des Erzbisthums, beftätigt. (Notizenblatt II, 356.)
4) Siegfried Küheweeg: Diplomatarium Altovadense IT und Iſidor Proſchko:
Sohenfurt, 21,
5). ec. 2.
6) Sedlacef, II, 119.
7) Lib. confirm, und II, 34. Bekanutlich hat Peter von Nofenberg die königl.
Pandbriefe bezüglich Goldenkron zerriffen — „aus Unbedachtſamkeit“ hieß es
jpäter (F. r. A. XXXVII, 596); daß diefe That aber gar wohl bedacht war,
Hier ertheilte er am St. Veitstage 1530 dem Krätfchmer aus Ruben das
Bürgerrecht und andere Privilegien. Er ftarb in Krummau am 29. Jänner
1531, hochbejahrt. *) Ein Grabjtein aus rothem Marmor am Krummaner
Kirchhofe (am Portale der St. Veitskirche) zeigt heute noch feine letzte
Ruheſtätte.
Wenzel von Ruben zählte zu den gelehrteſten Männern ſeiner Zeit;
rühmend erwähnt feiner Bohuſlav v. Lobkowitz in feinen Briefen. Daß
er auch Schriftjtellferiich aufgetreten ift, bezeugt Balbin.?) Die Hohenfurter
Stiftsbibliothef bejigt einige Handjchriften (Klafjifer, Geſchichte u. a.), die
von ihm dem Stifte gejchenft wurden. Sie tragen ſämmtlich an der
Dedelinnenfeite das Diftihen: „Autor consructae domus en me legat
amicis; Grates nunc habeo Vencesilae pias.“
Was die Gejchide feiner ehemaligen, Güter Nuben und Mufcherad
anbelangt, jo ijt nicht mehr viel zu erwähnen. Beide verblieben feit
Wenzeld Tode beim Eijtercienferftifte Hohenfurt. Diejes verkaufte 1570
eine Wiefe, die zum Rubner Gute gehört hatte, an die Klariſſinen in
Krummau.*) m dreißigjährigen Kriege wurde Ruben öfters von Fremd
und Feind geplündert, zulegt im September 1648 auch von den Schweden,
die den Einwohnern alles Vieh vaubten.*) Der Meierhof Mufcherad wird
ihon im Hohenfurter Urbar von 1524 nicht mehr erwähnt. Zum Schluſſe
wollen wir hier ein Urbar des Gutes Ruben vom Jahre 1479, aljo aus
der Zeit Andreas dv. Nemyſchl mittheilen.
Ein Binsreaifter des Gutes Ruben vom Jahre 1479.
Nah einer gleichzeitigen Handichrift der Hohenfurter Stiftsregeftratur, 4 Blätter
in Quart.
An der legten Seite jtehen, wohl von Wenzels v. Rowna Hand die
Worte: „Registrum Proventuum ex rure Rownensi, bona
fide excerptum. Pro Coenobio Altovadensi, transmit-
titur; weiter unten ‚die Jahreszahl 1479, wohl den Urſprung des.
Urbars bedeutend.
zeigt fein Teftament vom 10,/VI. 1521, in dem er auf Zuriidgabe der Golden:
froner, Oftrover und Strahöver Güter an ihre rechtmäßigen Befiger drang,
Ein herber Schlag für die Herren von Nojenberg, wäre fein Wille gefchehen !
1) Millauer, Necrolog. Altov. 1819.
2) „Bohemia’ docta* ed. Raphael Ungar II, 292.
3) Proſchko „Hohenfurt“ 25.
4) 1. c. 48; um diefe Zeit dürfte auch die Feſte zerftört worden fein,
— — —
Das Regiſter ſelbſt iſt tſchechiſch mit gegenüberſtehender lateiniſcher
Ueberſetzung und lautet:
Woytiech Census XXVI gr.
Zenezuow VIII messores 8
Senosiekuow III fenisecos 3
Z chalup zenezuow Illl ex gaza messores 4
Brany II rastra 2
Slepieze IIII Gallinas 4
Prziwezti owsa wozy III advehere Avenam currus 3
Zita wozy IlI advehere Siliginem currus 3
Poezty wanoczny XlI % honorantia pro festo nativitatis Christi 12 %
Desatek s gedne diediny Decimas ex uno agro.
Feyrer Census XXVI gr. II»
Zenezuow XVI Messores 16
Senosiekuow IIII fenisecos 4
Slepiez IIII Gallinas 4
Brany IIII Rastra 4
Prziwezti owsa wozuow VI Advcehere de Avena curr. 6
Zita VI Siligines eurrus 6
Poczty wanoeznie XXTIIl % honorantias pro festo nativitatis
Christi 24%
Jakesch Census XXIII gr.
Z, diediny od Moczeradu II gr. Ab agro ex moczerad 2 gr.
Zenezuow VIII Messores 8
Senosiekuow II fenisecos 2
Slepiez II gallinas 2
Brany II Rastra 2
Owsa prziwesti wozy III Avenam advehere currus 3
Zita III Siliginis currus 3
Poczty wanoeznie XII % honorantias XII »
Desatek z gedne diediny Decimas ex uno agello.
Pintar Census XIII gr.
Census z diediny od moczeradu IIII gr. Ez agro in moczerad 4 gr.
Zenezuow VIII Messores 8
Senosiekuow Il fenisecos 2
Slepieze II gallinas 2
Owsa prziwesti III wozy Avenam advehere 3 currus
ud
Zita III Siliginem 3 currus
Poezty wanoeznie XII % honorantia Nativitat. Dni XII
Bira Census XIII gr.
Zenezuow VIII Messores 8
Senosiekuow II fenisecos 2
Slepieze II gallinas 2
Brany II Rastra 2
Owsa prziwezti wozy III de Avena advehere currus 3
Zita wozy III de Siligine currus 3
Poczty wanocznie XII honorantias 12 5
Zechtan XVII gr.
Zenezuow VIII Messores 8
Senosiekuow II fenisecos 2
Slepiez II gallinas 2
Brany Il Rastra 2
Owsa prziwezti wozy III Avenam adducere currus 3
Zita wozy III Siliginis currus 3
Poezty wanocznie XII »» honorantiam pro festo Nativitatis Christi 12
Marzijk XII gr. Census
Zenezuow VIII Messores 8
Senosiekuow II fenisecos 2
Slepicze II Gallinas 2
Brany II Rastra 2
Owsa prziwesti III wozy Avenam advehere 3 currus
Zita wozy III Siliginis 3 currus
Poczty wanocznie XII % honorantia pro festo nativitatis Christi 12 #
Richtarz Census X gr.
Po krezemneho X gr. A taberna 10 gr.
Zenezuow IIII Messores 4
Slepiezy I Gallinam 1
Turnar Census VI gr. V %
Zenezuow IIII Messores 4
Slepiezy I Gallinam 1
Waczlaw Census VIII gr.
Z luky od moczeradu III gr. Ex prato in moczerad 3 gr.
Zenezuow IIII Messores 4
Senosieka I fenisecum 1
Slepiezy I gallinam 1
Meleznar Census VIII gr. 1%
teez z luky ll gr. Idem de prato 2 gr.
Zencezuow VIII Messores 8
Slepieze Il Gallinas 2
Schmid Census XVII »%
Z, diediny od moczeradu I gr. Ab agro in moezerad 1 gr.
Zenezuow IIII Messores 4
Slepiezy I gallinam 1
Waniek Census VIII gr. III
Z, diediny od moczeradu I gr. De Agello in moezerad 1 gr.
Zenezuow VI Messores 6
Slepiez II Gallinas 2
Schneyder Census VI gr. III »
Zenczuow IIII Messores 4
Siepiezy I gallinam 1
Wintrschuster Census Illl gr. VI %
Zenezuow IIlI messores 4
Slepiezy I gallinam 1
Rzehorz Census Ill gr. VI»
Item a silva super agrum s. gr. pro festo Georgi 7 et pro festo Galli 7
Zenezuow IIII Messores 4
Slepiezi I Gallinam 1
Homines ex Prowold dant a pascuis 1 gr.
Molendinator Census XXI gr.
Item de Agello censum 1 gr.
Et ad hoc obligatur molare aut molere (sie) Brasea quidquid
necesse est, Sin minus tunc obligatur dare XXX gr.
PN nn
Shnanhübel,.
Bon Alois Hruſchka.
Der Güte des Herrn Pfarrers Anton Tſcherney in Schnanhübel
verbanfe ich die Kenntniß einiger älterer Formen des gewiß interejjanten
— —
Namens, die er den Pfarrmatriken von Nixdorf, beziehungsweiſe Zeidler
entnommen hat. In einem Kauſvertrage von 1699 findet ſich die Form
Schnaubehübel; ſie fehrt 1704 wieder, während ſonſt, und zwar fchon in
einem Contracte vom Jahre 1668, auffm Schnauhübe', 1667 an Schnaw-
hübel (— hiebel, — hibel), aber 1696 Schnaue Hübel zu leſen ijt.
Die weiterhin oft begegnende Form Schnaw-Hübel mit vorhergehenden
von, vom, auf den, auffm, aufen u. ſ. w. bietet nichtS neues, und jo
müjjen wir uns denm mit der uns erreichbar ältejten Form Schnaubehübel
begnügen, aus der wohl zunächſt Schnaue — dann unfere jegige Form
des Ortsnamens entjtanden tft.
Der zweite Theil des Namens bietet der Deutung Feinerlei Schwierig-
feiten; das Förſtemannſche Ortsnamenbuch, 2. Aufl. pag. 855 führt ſchon
aus dem 9. Jahrhundert Belege für Ortsnamen vor, deren zweiter Theil
hubil, huuil, d. i. Hügel iſt.
Wie aber ift der erite Theil des Namens zu erfläven? In dem
bayerischen Wörterbuch von Schmeller- Frommann, II. pag. 577 finden wir
„vie Schnauppen” in der Bedeutung 1. Schnabel, Schnauze; verächtlid)
Mund 2. Der fchnabelfürnige Theil einer Kanne. 3. Das unten jpig
zulanfende Ende eines Schnürleibchens. 4. Anzüglihe Rede. Sehen wir
von der übertragenen Bedeutung des Wortes ab, jo ergibt fich, daß bair.
Schnauppen etwas ſchnabelförmig, jpig Zulaufendes bedeutet. Dem wider:
jpricht nicht, wenn ein erfroren oder ſonſt jchlecht Ausjehender im bayrischen
„g’schnaupet“ (Schmeller-Frommann a. a. DO.) heißt, dem wir würden von
einem jolchen jagen, er jehe „ſpitzig“ aus. — Das ſchwäbiſche Wörterbuch
von Joh. Chr. Schmid kennt „Schnaupe‘‘ f. in der Bedeutung Gofche
(pag. 475), und Stalder, Schweiz. Idiotikon II, 340, führt außer Schnau m.,
Wort im Tone des Unwillens, „geschnauwig“ neben „schnauig“, mit
Worten anfahrend, beißig, an. Die beiden Adjectiva zeigen uns, daß an,
Stelle des obigen p (pp) auch w ich findet, und daß der Labialfaut über:
haupt ausfallen kann. — Das bremijch:niederfächl. Wb. IV, 884 liefert
ung snau in folgender Bedeutung: 1. „Schnauze, das hervorjtehende
Maul mit der Naje bei einigen Thieren, alfo Maul, Naſe, Schnabel. Im
uneigentlichen Sim wird es von einigen leblofen Dingen, deren vorderjtes
Ende hervorragt, oder ſchmal oder jcharf zugeht, gebraucht 3. B. Schiffe
jind up de snau gebaut, welche vorn fpigig zulaufen.” Ein ſolches Schiff
heißt dann auch Snau- schip, holländiſch snauuw (daf. pag. 885 und vgl.
Kluge, Etym. Wb. 302), — Im holſtein. Idiotikon von J. F. Schüße
4, 139 jteht snau 1. in der Bedeutung von „Schnabel, was vorn eng
und jcharf zugeht. Schiffe, die Leichter ‚jegeln und durchſchneiden jollen,
— —
werden up de Snau gebaut, laufen gegen den Vorderſtäven nicht rund
und bäuchtig, jondern jchmal und fcharf zu. 2. „Ein lojes Maul” und
„snauen, afsnauen grob anfahren; ansnauen aunfahren; umsnauen um
fich beißen” u. j. w. „snauisch zänkiſch, beißig." Diefelbe Bedeutung wie
das zulegt genannte Wort hat das holländifche snaauwachtig (Brem.
Wb. IV. 886). Auch das brem. Wörterbuch liefert ung ein Verb snauen
(IV. 885) in der Bedeutung „beißen, jemand ein beifendes Maul zuwenden :
Der Hund snauet na mi; dann wird snauen aud) von leblojen Dingen
gebraucht, deren Schnabel oder Spike nad) der Seite gewandt ift 3. B.
de Balke snauet een beten to’r Rechten: der Balfen wendet ſich mit
dem vborderjten Ende ein wenig zur Rechten“.
Diefe Bedeutung des Wendens, Drehens bezeugt ung bereits das
Altnordiſche: snüa wenden, fehren, drehen; snüdhr stm. Windung, Wirbel ;
snüdhigr ich herumdrehend, wirbelnd, leicht beweglich, ſchnell; vgl. dän.
snoe drehen, wideln, winden. (Schade, Altd. Wb. 839 und Doornfaat,
Dftfrief. Wb .III. pag. 241 f.) Das goth. snivan (ftatt snivan) wie auch
das agſ. sneövan find mur in der Bedeutung gehen, fortgehen, kommen,
eilen belegt; agf. sneöme raſch; snüd agilitas, celeritas, snüd agilis
celer (Leo, agj. Gloſſ. 400; Schade a. a. D.; Kluge, Nom. Stamm
bildungst. $ 185 und 221). Beide Bedeutungen, die des Wendens und
die des Eilens, Sehens, berühren ſich nahe; beiden liegt der Begriff der
Fortbewegung zu Grunde. — Alle die oben angeführten Ausdrüde führen
auf die gemeinjame Wurzel snu zurid.
Nach diefer langen Abjchweifung ehren wir wieder zu unſerem
Schnauhübel zurüd. Betrachten wir den Hügel, auf welchem es liegt und
dein es den Namen verdankt, fo ift feine Geftalt eine eigenthümliche, auf-
fallende: er ift jchnabelförmig gekrümmt — und diefe feine Form dürfte
ihren jprachlichen Ausdrud im Namen Schnauhiübel erhalten haben. Stün-
den ung ältere Formen des Namens zu Gebote als das oben angeführte
Schnaubehübel, jo würden wir au Stelle des b ein w finden müfjen;
b tritt gern fir w ein, und vielleicht ſoll diejes, wenn auch verfannt, in
dem f der Form Schnaufhübel zum Ausdrude kommen, welche noch
Yaroslaus Schaller in feiner Topographie des Künigreihs Böhmen
v.%. 1787 im IV. Bd. S. 221 neben Schnauhübel anführt. Im Dialecte
heißt der Ort Schno"hübel; das w oder b ijt ebenfo verjchwunden wie
in Krote, Pfow, gro“, blo", Pro“; und dieſer dialectiichen Form ent-
jpräche dann wohl ein mhd. snouwe?
Ich kann übrigens unjerem Ortsnamen einen jehr ähnlichen Namen
an die Seite ftellen, der allerdings als Berfonenname zu nehmen ijt, von
dem e3 aber außer allen Zweifel jteht, daß er urfprünglich ein Ortsname
und zwar der Name eines Berges ijt. In dem Urkundenbuch des in der
Grafſchaft Wernigerode gelegenen Klofters Ilſenburg, herausgegeben von
Ed. Jacobs, Halle 1877, Band II, pag. 450 erfcheint ein zum Jahre
1482—1483 Hermannus Snauwenberch, ımd in einer Quittung vom
27. Mat 1525 (Il, pag. 514) heißt es: van dem ersamen Hermenn
Snawenberge dem jungen.
nn
Sagen aus dem füdlihen Böhmen.
Von Franz Kübler,
42. Der Schaf im Dobizer Schloß.
Nicht weit von Neſpitz erhebt fich ein Eleiner Berg mit einer Ruine,
am Fuße desjelben liegt ein Dörfchen, Namens Dobiz. Das Schloß, dejjen
Ruinen noch da find, ſoll von Zizka zerftört worden fein. Beſucht man
die Auine, jo fümmt man im Innern derjelben auf eine Thüre, die in
den ehemaligen Weinfeller führt. Diefer it jehr groß. Geht man recht
tief hinein, jo gelangt man zu einer zweiten Thür und Hinter diefer ijt
ein finjterer Schlund, den Niemand zu betreten wagt.
Im Dorfe lebte vor langen Jahren ein frommes Weib, das immer
den Rojenkranz mit fich trug. Ihm träumte einmal, e8 möge um Mitter:
nacht in jenen dunklen Schlund gehen, dort wirde es Schäße finden.
Denjelben Traum hatte es in der folgenden und dritten Nacht, außerdem
ward ihm im der legten noch befohlen, einen Geijtlichen und einen andäch-
tigen weltlihen Mann mitzunehmen; fie würde nacheinander auf zwei
Thüren ftoßen, welche von gräulichen Hunden bewacht würden, jie möge
ji) vor ihnen aber nicht fürchten, fondern nur beherzt weiter gehen, dann
würde fie in einen großen Saal gelangen, in welchem um einen Zijch
Ritter figen, obenan der Herr des Schloffes, über dejjen Haupte ein Drache
fliege. Diefen müſſe fie anfprechen und um das Gold bitten, er würde es
ihr auch geben. Die Frau erzählte dies dem Geiftlihen. Er willigte ein,
in Begleitung eines anderen frommen Mannes des Ortes mitzugehen.
Nachdem fie ſich mit einem Kruzifire und mit Weihwaſſer verfehen hatten,
gingen jie um Mitternacht in das Schloß. Sie fanden auch die erjte Thüre
bon einem Hunde bewacht, der jich jedoch nicht rührte. Bei der zweiten
Thüre löjchte aber das Licht aus und fie mußten wieder umkehren. In
a U.
der folgenden Nacht träumte jedoch dem Weibe wieder, fie möge noch
einmal hingehen, diesmal aber allein. Sie that es auch und gelangte, mit
Roſenkranz und geweihten Waller verjehen, glücklich bis in den Saal, wo
um den mit Schägen bededten Tiſch die Ritter jaßen. Als fie nun vom
Schloßherrn das Geld verlangte, weigerte er ich, e8 zu geben. Da
bejprengte fie ihn mit Weihwafler, und jofort war er mit den Anderen
verſchwunden. Am Tiſche waren aber mehrere Schüſſeln mit Gold zurüd-
geblieben, da fie von dem Weihwaſſer berührt worden. Sie nahm eine
davon mit ji) fort und ließ von der Hälfte des Geldes zwei Kirchen
bauen, eine in Dobtz und eine in Wapan.
Mittheilungen der Geſchäftsleitung.
Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglieder.
Geſchloſſen am 1. Juli 1886.
Stiftende Mitglieder:
Herr Dr. Haßerowsky W., ka k. Gymnaſial-Profeſſor in Leitmeritz.
„CTiebig Theodor, Freiherr von, Fabriksbeſitzer in Reichenberg.
„ Oswald Graf von Chun- ‚Soßenflein, £. £. Kämmerer, —
Beſitzer ze. in Prag. |
Ordentlide Mitglieder:
Herr Ehinger Adalbert, Fabrifsbejiger in Oberlangenau bei Hohenelbe.
„ Federer Bhilipp, Kaufmann in Prag.
„ P. Mannl Oswald, k. f. Gymnaſial-Profeſſor in Bilfen.
„Schmieger Joſeph, Privatier in Zwodan.
„Sauer Auguſt, Dr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag.
8. t. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbftverlag.
"GPET—GSHl
‚pet at suqaqvag
"SOgT uuvqoꝰ luv prauad
— mm nn — —
Do
jatuagz
HPLOTR
— Sao, * III. 129}
un a =0 an’, 3 = 2
qgol 9ä SSPL — _ al Da 09—-FerT (LFD) ic |
i pıaty) vavgaox invg i ;
SHIT + unua6 | uvilunzzta
OPT 9, ana „SCH | gragug a "SE—6IFL
(OFFT) ma Mm gung #7, Caaugnd "CH— eh 69 al
vgnvg (GEHT) »vgꝙh mo =agngg "vo majgog Im mapl (OFEN) aollvai (9041) dag gun Jung m
no gun Jung Uumga ia J 709) no uaplıy v ⸗aauugo (EFT) "LOFT 04 (vun) magung mouoıg v
pl gu mag mi Gum alplnusg "u plan aujgoamg
es J un nemEn Prag | —
0)05 "a vavqavg; Ai “anal | "(S6ET) Du m "(COPT) vmanggugg m (9687) baoag
g/elfl 4 gu no "08er — OrFI— "IOFL 4 ug a DNADGFONS A
Pguag-tgngg wv Hvamı (I6ET) wPluS, Inv rjsnpg qun PguvQ maygug nm mug "EIFL OF mangn
ano) 1 °g "and paaug uungod jatuagg Im org prammG jmo np *g pink Imo Agsgng; ann
(SOFT) agJagyg A
FORT + vgenof no vgng uoa vog Prag
"I pivzuuvzs⸗
I wmgog uj uobunquag aagı gun vqng uog Dax 1% :97nd "Rn? abo
Digitized by Google
Kekse les Vereines
Gesthichle der Deulschen in Böhmen.
Redigirt von
Dr. Kudwig Schlesinger.
Fünfundzwanzigiter Jahrgang. Zweites Heft. 1886/7.
Gindely’s „Waldſtein“.)
Bon Dr. Hermann Hallwich.
I.
Es war am 2. Januar 1862, fomit vor nahezu fünfundzwanzig
Jahren, als Dr. Anton Gindely, nachdem er ich, eigener Ausfage gemäß,
„Durch drei Jahre mit dem Studium in- und ausländischer Archive für die
Zeit von 1600—1648 bejchäftigt" hatte, der Faiferl. Akadamie der Wiljen-
haften in Wien den Antrag vorlegte, „das fänmtliche von ihm aufge:
fundene hiftorifche Material veröffentlichen zu wollen." Zur Begründung
diejes Antrages wurde betont: „die ganze Quellenfammlung joll einen
Kanon für die Gejchichte von 1600— 1648 bilden und die Einwirkung jedes
Staates auf die allgemeinen Ereigniffe ſoll erfchöpfend aus den verjchie-
denen Archiven dargeftellt werden.” Der Umfang der Publication war auf
zwölf Bände berechnet. Dem Schluffe der Arbeit gedachte der Herausgeber
ein Berzeichniß aller Quellenpublicationen über die Zeit von 1600—1648,
„mögen fie welcher Nation immer angehören," beizufügen, „damit es“ —
jo meinte der Antragjteller — „auf diefe Weife für die erwähnte Zeit
nicht jo jehr Gejchichtsforjcher als nur noch Gejchichtsichreiber zu geben
1) Anton Gindely, „Waldftein während feines erften Generalat3 im Xichte der
gleichzeitigen Quellen 1625—30.” Obwohl diefes Buch in diefen Blättern
bereit3 ausführlich beiprochen worden ift, jo glaubt die Redaction unfern Lejern
die Beurtheilung desfelben von Seite einer in der Wallenfteinfrage anerkannten
Autorität nicht vorenthalten zu follen, zumal der Herr Verf. für feine Ausführungen
in Sache und Form die vollfte Verantwortung übernimmt. Anm, d. Ned,
7
en —
brauche." — Die Akademie bejchloß, „die Herausgabe diefer Sammlung
auf ihre Koften zu übernehmen."
Die Herausgabe unterblieb; es wurde meines Wiſſens niemals be-
fannt gegeben, warum fie wieder fallen gelafjen werden mußte. Wer jemals
auch nur eines unjerer großen Archive, wie das Reichsarchiv oder das
Haus: und Staatsarhiv in München, das Haupt: Staatsarhiv in
Dresden, näher kennen gelernt mit ihren taujend und aber taujend Ur:
kunden-Fascikeln, jpeciell zur Gefchichte der Fahre 1600—1648, der wird
das begreiflich finden. Der Gedanke eines jungen Gelehrten, nach drei:
jährigem Studium in- und ausländischer Archive eine Quellenfammlung
zu Stande zu bringen, die fich als einen „Kanon fiir die Gejchichte von
1600— 1648" bezeichnen Tieße, war eine Naivetät jo haarfjträubender Art,
daß fie nur noch von der Ungeheuerlichfeit überboten werden konnte, auf
joldye Art dafür forgen zu wollen, daß es „für die erwähnte Zeit nicht jo
jehr Gejchichtsforjcher als nur noch Gejchichtsfchreiber zu geben brauche.“
Immerhin jchien e3 beflagenswerth, daß die Abficht Gindely’s, ſoweit
fie ernft zu nehmen war, nicht vealifiet wurde, Und gewiß wäre es heute
um die Frage, auf die es hier augenblidlic) ankommt, bejjer beftellt, als
dies thatjächlich der Fall ift: die immer wiederkehrende, weil unerjchöpfliche,
anfänglid) au von Gindely ſogenaunte Wallenjteinfrage, zu deren
„Löſung“ er Schon am jenem 2. Januar 1862 einige Andeutungen gab.
„Wallenftein hatte nach feiner Abjegung zu Negensburg entjchieden die
Abſicht, ſich am Kaifer zu rächen,“ jo behauptete Gindely damals. est
greift ev über den Tag von Regensburg weit zurück und bietet — nicht
mehr der Wiener Afademie fondern der Lejewelt überhaupt — ein zwei—
bändiges Quellenwerk unter dem Zitel: „Waldjtein während feines
erjten Öeneralats im Lichte der gleichzeitigen Quellen
1625— 1630" (Prag und Leipzig, F. Tempsky und ©. Freytag, 1886).
Ich wiederhole: Schade, daß Gindely’s „Kanon fir die Gefchichte von
1600— 1648" nicht bereits vor einem Vierteljahrhundert in Drud gelegt
wurde, Sein „Waldjtein” wäre entweder nie geboren worden oder er hätte
ſchon längjt wieder das Zeitliche gejegnet. Nun bleibt nichts übrig, als mit
ihm zu vechnen, das heit ihm näher zu treten und mit Gewiljenhaftigfeit zu
unterſuchen, wer oder was ung denn hier al3 „Waldſtein .. im Lichte der
gleichzeitigen Quellen” vorgeführt werden will. Sch denke diefe Unterfuchung
anderwärts umjtändlich und quellenmäßig anzujtellen. Man bejcheide jich vor-
läufig, hat man des offenbarten neuen Geiſtes — „einen Hauch verjpürt.‘
Gindely, der Gejchichtjchreiber des dreißigjährigen Krieges, befennt
ohneweiters Schon im „Vorwort“ feines neueſten Buches, ev gehöre „zu
——
den Anklägern Waldſtein's.“ Indem er dieſen Standpunkt in den künf—
tigen Bänden ſeines umfangreichen kriegsgeſchichtlichen Werkes einzunehmen
denkt, erkennt er die Nothwendigkeit, „die noch unbekannten Beweiſe der
Oeffentlichkeit zu übergeben.“ Dabei befaßt er ſich „noch nicht mit der
eigentlihen Schuldfrage." Doc) jollen jeine Actenſtücke klarlegen, wie Ballen:
jtein „zu feinem viejigen Vermögen und zu dem Posten als Obergeneral
gelangte, auf welche Weiſe er fein Heer verpflegte, wie er nicht blos das
Reich ausbeutete, jondern auch dem Kaiſer große Zahlungen
abnöthigte, wie unter der von ihm geduldeten Zuchtlofigfeit
der Truppen die Verwüſtung um ſich griff, wie er abſichtlich den
Ruin der Ligiften herbeizuführen juchte und auf welche Weife er in
den Bejig von Sagan und Medlenburg gelangte; endlich foll aud)
erörtert werden, ob die Anklagen, daß er jogar nad) der Kaiſerwürde
gejtrebt habe, auf bloßer Verleumdung oder auf Wahrheit beruhen.” . . .
Gewiß ein vielverheißendes „Vorwort.“
Dem Vorwort folgt als Einleitung ein Capitel „Neuere Literatur über
Waldſtein.“ Dasjelbe bietet abjolut nichts Neues bis auf die originelle Zu:
jammenftellung von Namen wie „Aretin, Hurter, Ranfe und Gädeke“
einerjeit8 und „Förſter, Schebef, Hallwich und Bilek“ audererfeits.
Wahrlich, der Altmeijter deutſcher Gefchichtichreibung, als welcher Ranke denn
doch auch von einem Gindely anerkannt werden muß, hat fich fein ganzes,
reiches Leben lang in beſſerer Gejellfchaft bewegt, als die ihm nun im Tode
zugewiejen werden will. Um nicht perjönlich zu werden, was mir volljtändig
jerne liegt, lafje ich alle Bemerkungen Gindely's betreffs meiner eigenen
Stellung in der Wallenjtein-Literatur grundjäglich außer Spiel.
Obgleich ſich Gindely, wie gejagt, „noch nicht mit der eigentlichen
Schuldfrage“ Wallenjtein’s befaßt, jo glaubt ex doch, „daß wohl die Zeit
gekommen fein dürfte, welche ein Endurtheil ermöglicht." Die ganze
Frage erjcheint ihm als Siſyphusarbeit. „Wenn ich es trogdem wage,“
fügt er Hinzu, „und mic) der voreiligen Hoffnung hingebe, die Wagſchale
endgiltig nah einer Seite finfen zu machen, jo liegt dies in
dem Gange und dem Refultate meiner Studien."
Er fährt in jeinem Bekenntniß fort: „Ich wollte mich urjprünglic)
nicht mit einer Biographie Waldjtein’s bejchäftigen, jondern (Habe?) nur die
Geſchichte des dreißigjährigen Krieges nad) allen feinen Beziehungen zum
Gegenjtande meiner Studien gemacht und im Rahmen derjelben meine
Aufmerkffamfeit auf den berühmten General gerichtet. Bei diefen weiter
ausholenden Unterfuchungen find mir eine bedeutende Anzahl wichtiger
Actenſtücke in die Hände gekommen, die der Aufmerkſamkeit dev ſich nur
7*
— 100 —
mit Waldſtein beſchäftigenden Forſcher entgangen ſind und die im Vereine
mit den bereits bekannten Schriftſtücken in mir die Ueberzeugung von der
Schuld Waldſtein's begründet haben.“ Ob nicht Wallenſtein trotzdem
„ſeine Panegyriker finden und ihm kein freiwilliger ſondern höchſtens
ein aufgezwungener Verrath zur Laſt gelegt werden wird,“ dieſe
Nebenſache läßt Gindely — „dahingeſtellt.“ Auf alle Fälle will er
ſich jelbft au von Aretin, Hurter, Ranke und Gädeke „unterjchieden
wiſſen,“ und zwar infofern er die von MWallenftein „beabjichtigte Preis-
gebung der Faiferlichen Intereſſen und die angeftrebte eigene Erhöhung”
nicht erjt von einer Entjchliegung des „Verräthers“ im Jahre 1633 datirt,
jondern „als das Reſultat feiner vieljährigen Laufbahn” betrachtet — um
Alles in einem einzigen lapidaren Sage zu fagen, Gindely will in vor:
liegenden Büchern dem Beweis für die Behauptung erbringen: „In den
fünf Jahren feines erjten Generalates bildete ſich Wald:
jftein zum Berräther heran.“
Das klingt auf den erjten Ton, wie offenbar beabjichtigt, frappant
genug, frappirt aber nicht, da es wiederum nicht nen, denn ungefähr jagt
das Herr Hurter auch — „nur mit ein bischen anderen Worten." Nach
Friedrich Hurter war Wallenjtein zwar fein Verräther, doc ein „Rebell“,
und zwar jozujagen vom Mutterleibe an. Man vergleiche defjen Vorwort
in dem Buche „Zur Gejchichte Wallenftein’s" (1855); das genügt. Die
diefem Vorwort angehängten zweihundert Blätter oder wohl gar die Lectüre
von „Wallenjtein’S vier Iegte Lebensjahre” mag fich füglich Jeder jparen.)
Auch Hurter wollte „von dem bisher Angenonmenen, auch wohl
bloß Behaupteten, weit abweichende Beiträge” liefern: ebenfalls lediglich
„das Reſultat deſſen, was der Verfaſſer in den verjchiedenen Archiven ge-
junden hat." Und da er vornehmlich aus derjelben Quelle jchöpfte wie
Gindely, jo liegt es nahe, daß fi) die Nefultate Beider ziemlich deden.
Ein wejentlicher Unterjchied waltet zwifchen Beiden ob: Gindely
bietet nicht uur das Refultat jeiner Quellenforſchungen ſondern auch zum
großen Theile dieſe Quellen jelbft und erleichtert dadurch die Controle.
Und die Quellen ? | u
Sie find nach feiner Eintheilung dreifacher Art: officielle Actenftüce,
Gejandtichaftsberichte und Privatbriefe. Zu Jenen zählt er die Protofolle
de3 Wiener Geheimen Rathes, der jeweiligen Ligatage und der Kurfürjten-
verjammmlungen, ſowie die Correfpoudenzen der dabei betheiligten Perjonen.
Sie bilden den mäßigen Grundſtock der ganzen Publication. Den weitaus
meisten Umfang nehmen die Gejandtichaftsberichte in Anſpruch: Depejchen
der Spanischen und Brüffeler Gefandten, der päpftlichen Nuntien, der fran-
— 101 —
zöfischen und venetianifchen, vor Allem aber der Gefandten der deutjchen
Kleinftaaten, insbejondere jener von Baiern, Sachſen und Brandenburg.
Einen verjchwindend geringen Raum - ‚beanfpruchen die. Hin und Wieder
eingeftreuten „Privatbriefe."
Eines muß bei der erjten Ueberſicht diefer . Quellen wahl jedem Laien
auffällig erſcheinen. Der Biograph Wallenſtein's baſirt ſein biographiſches
Werk zunächſt auf amtliche Protokolle, zumeiſt auf Geſandtſchaftsberichte,
‚zulegt auf Privatbriefe — Briefe ſogar der obſeurſten Privatperfonen: nur
nicht auf Wallenftein's eigene Eorrejpondenz. Diejer Schaf bleibt
beinahe gänzlich unberührt. Aus der Zeit von fünf Jahren hat Gindely
faum fünf bisher nicht befannte Schreiben Walleuſtein's mitzutheilen. Das
macht fast den Eindrud, als wäre der Biograph bei feinen Studien folchen
Schriftſtücken abfichtlic) aus dem Wege gegangen.
In diefer Annahme wird man bejtärft, wenn erwogen wird, wie ſich
Gindely dem bisher bereits gedruckten Briefwechjel Wallenftein’3 gegenüber
verhält, der fiir ihm gleichfalls joviel wie gar nicht vorhanden. Ich ſpreche
nicht von Londorp, Khevenhiller, Theatrum europaeum xc., die allerdings
nur „officielle" Schreiben Wallenjtein’s enthalten. Wer aber wüßte nichts
von den vielen, meiſt eigenhändigen und durchaus vertraulichen Briefen
desjelben Mannes, die jeit den Dreißiger Jahren durch Zober, v. der Deden,
Förſter, Aretin, Chlumecky, Lorenz, Tadra u. A. m. publicirt worden ?
Bon ihnen allen findet bei Gindely wenig mehr als ein Dußend auch nur
beiläufige Erwähnung — angeblich), doch irrig, weil die wichtigeren von
ihnen, insbejondere bei Förfter, den Jahren 1631—1634 angehören, „aljo
außerhalb des Rahmens des gegenwärtigen Werkes fallen." .... Die
Zahl der Wallenftein’schen Briefe fpeciell aus der Zeit von 1625—1630
beläuft jich bei Förfter und Chlumecky allein auf mehr als jehshundert
(bei Tadra auf 224).
Dazu kommt ein Zweites. Gindely weiß jehr genau, daß gevade
Privatbriefe „mitunter den höchſten Werth" bejigen, „weil fie uns das
Innere des Schreibers ohne jede Verhüllung zeigen." Iſt das im Allge—
meinen richtig, jo ganz unjtreitig bei einer Perfönlichkeit wie Wallenſtein.
In feiner äußeren Erjcheinung, feinem Thun und Laſſen Allen ein Näthjel,
it er in feinen vertraulichen Briefen die Offenheit felber. Rückhaltlos, ja
mit Ungeftüm gibt ev den tiefften Gedanfen und Empfindungen vafchen
und bündigen Ausdrud. Man merkt ſofort au jeder Zeile, daß, der fie
aufs Papier geworfen, zuvor nicht lange an der Feder gefaut hat. Hier
gibt er fich jelbit, feine Seele, fein allen Negungen der Neigung und des
Haſſes nur allzuleicht gugängliches, großes Herz. Wer ſolche Blätter ver:
— OR
ſchmäht, der geftcht damit unumwunden zu, ev hat an ihrem Schreiber,
jeinem Helden, Lei pind.ale; ati ches Intereſſe; ihm handelt ſich's
nicht um das Werfen, ſondern' une bloße Henßerlichkeiten. Es iſt
nicht nöthig, „daB: : weite: » zu degriinden. °
Und noch dt Drittes: Die übergroße Mehrzahl der von Gindely
mitgetheilten Materialien bejteht, wie gejagt, aus Gejandtichaftsberichten.
Niemand wird jolchen Berichten eine gewiffe Bedeutung jtreitig machen ;
man kann jogar zugejteben, „bezüglich der darin angedeuteten Abſichten der
betreffenden Fürften und Regierungen find fie meiſtens unanfechtbare Zeugen,
weil fie als Befenntnifje von Freunden und Angehörigen anzufehen ſind.“
— Was würde man aber beijpielsweife dazu meinen, wenn heute irgend
ein fogenannter Hiftorifer es unternähme, ein Stück Biographie etwa
Friedrich des Großen oder jagen wir Bismard’s auf Grund der
jeweiligen Berichte öſterreichiſcher, franzöfifcher und fonftiger Gejandten am
Berliner Hofe zu ſchreiben! Und fteht hier die Sache um vieles beſſer? —
Können die Herren Oſoña, Aytona und de Caſtro, die Cardinäle Caraffa
und Ballotto, Graf Wahlenberg und Mr. Manchot auch in Bezug auf die
Abjichten Wallenftein’S als „unanfechtbare Zeugen” gelten? Wei denn
nicht jeder Gebildete, und wüßte er's erſt aus dem trefflichen Buche Gre—
gorovins’ „Urban VIII. im Widerspruch zu Spanien und dem Kaiſer,“ daß
der damalige Bapjt eine dem Kaiſer feindjelige Politik befolgte? Konnte, ja
durfte jein Nuntins in Wien über den Taiferlichen Feldherrn, je wirkſamer
Diefer für die Machtjtellung jeines Monarchen eintrat, mit einer befonderen
Befriedigung hierüber nad) Nom berichten? Kennt Gindely nicht die von
gar kräftigen Belegen gejtügte Klage der Spanier, „daß Urban das Haus
Dejterreich erniedrigen, ihm die Krone des Neiches entreißen wolle, um die-
jelbe an das ehrgeizige Baiern zu bringen ?" Wie darf er angefichts deſſen
glauben machen wollen, „wenn die Nuntien nicht offen mit dem Hofe" —
dem öjterreichtichen Hofe — „jympathifirten, bewahrten jie mindeftens- eine
wohlwollende Neutralität?” — Brauche ich auszuführen, welche
notoriſch antikaiſerliche Politif die Nepublif Venedig in den Jahren 1625
bis 1630 befolgte? Dann müßte allerdings dergleichen auch erſt von Frank:
reich nachgewiejen werden.
Und die Gejandten der deutſchen Fürjten! Den bairifchen voran,
waren jie alle darüber im Klaren und konnten fie vom erjten Schritt an,
den Wallenjiein als jelbjtändiger Faiferlicher Heerführer in's Reich that,
feinen Augenblid zweifeln, daß fie gefchworenen Feinden, Todfeinden
dieſes Heerführers dienten. Wir wiſſen, nur Gindely will es nicht wiſſen,
denn er fennt auch nicht unferen waderen Ottofar Lorenz: „die fatholifche
— 13 —
Liga hatte zwar vom Kaiſer Hilfe und Unterftügung erbeten; daß es aber
möglich wäre, daß ein felbjtändiges Fatjerliches Heer von folcher Kraft und
Größe (wie es Wallenftein aufjtellte) unter einem jelbjtändigen Kriegshaupt
im Felde erjcheinen könne, dies hatte man nicht erwartet." Und wohl
Niemand war von vornherein beifer davon unterrichtet als Wallenftein,
was er von jener Liga der deutjchen Firjten als treuer Diener feines
Herrn zu gemärtigen habe. Konnte doch felbjt das Haupt der Liga in
jeinem „Congratulationsjchreiben" an den nenernannten Herzog-Öeneralis:
jimus den Groll über dejjen Ernennung mir Schlecht verbergen, daß Diejer
wieder jich nicht enthalten konnte, dariiber fchriftlich zu äußern: „sch ver:
mer? draus, daß ihm nicht wohl beim Handel iſt. . . .“
So viel oder wenig an diefer Stelle iiber Gindely’s „Quellen“, mit
deren Hilfe er fich der eingejtandenermaßen „voreiligen” Hoffnung Hingibt,
in der Wallenfteinfrage „die Wagſchale endgiltig nach einer Seite finfen zu
machen.” Bon vornherein kann Niemand im Zweifel fein, hier Wallen:
jtein nicht „im Lichte der gleichzeitigen Quellen“ überhaupt jondern
lediglich im Lichte ganz beftimmter, zum größten Theil unjtreitig par-
tetifcher, tendenciöfer „Enthüllungen” gejchildert zu jehen und darum jelbft-
verjtändlich auch gar nicht „im Lichte" ſondern durchwegs im tiefjten
Schatten: nur grau in grau oder vielmehr jchwarz in jchwarz. Unwill—
fürlich dürfte fi) Meancher der Worte erinnern, die jchon vor Jahren von
berufenjter Seite ausgejprochen worden: „Gindely bejchreibt die Vorgänge
nicht nac) dem Maße ihrer Wichtigkeit ſondern lediglich nach den Ergebniſſe
jeiner Funde in den Acten. Die innere Verbindung der Ereiguijfe geht
ihm, da er gedrudte Rejultate jelten oder gar nicht benützt, verloren ; was
er bietet, find ausfchließlich verarbeitete Actenexcerpte.“ . . .
I.
Hiermit können und jollen nur wenige loſe Proben zur Erhärtung
des Gejagten geboten werden. ch beginne mit dem Capitel „Ernennung
Waldſtein's zum Oberanführer des Faijerlichen Heeres." Schon bier liefert
Gindely ein draftisches Beifpiel der Voreingenommenbeit, ja Verbijienheit
zu Gunsten feiner allein glaubwiürdigen Gejandtjchaftsberichte. Ihnen zu
Liebe müſſen fejtjtehende, anerkannte Facta geradezu geopfert werden.
Ein Anderer als Gindely hat vor zwei Jahren das Document ver:
öffentlicht, wornach Wallenftein am 7. April 1625 offictell in aller Form ver:
jtändigt wird, daß ihn der Kaiſer zu feinem General oder, wie für's Erjte
der technische Ausdruck gewählt wurde, „zum Capo über alles Ihro
Volk, jo diefer Zeit im heiligen römischen Reich ınıd Niederland vorhanden
— 114 —
oder noch dahinwärts gejchiet und abgeorduet werden möchte, gnädigſt be-
nannt und fürgenommen habe.” Datum und Inhalt können von Gindely
nicht geleugnet werden. Allein die Ausſagen der päpftlichen, venetianifchen
und bairiſchen Gejandten jtimmen damit nicht überein; bejagte Herren
haben noch am 16. April von diefer Ernennung feine Kenntniß; man hat
ihnen vielmehr um diejelbe Zeit gejagt, daß Wallenftein in die Dienfte
Spanien’3 treten fol. Das reicht für Gindely vollfommen aus, troß jenes
Diploms fchlanfweg zu erklären (I, 46), „daß man fich bis zum 16. April
in Wien noch nicht entjchlofjen hatte, die Dienfte Waldftein’s für ſich felbft
in Anſpruch zu nehmen." Er bedenft nicht den Haren, unzmweidentigen
Wortlaut des entjcheidenden Documentes; er erwägt nicht, welches Intereſſe
man am Wiener Hofe hatte und haben mußte, das Geheimniß jener voll-
zogenen Thatfache vom 7. April vorläufig, namentlid) Baiern gegenüber,
zu wahren; er überjieht alle Berufungen jpäterer Acte auf jenes erjte
Document, ohne welches dieſe Berufungen ſämmtlich in der Luft hängen
bleiben —: Dr. Leufer, der bairiſche Gejandte, in Gindely's Augen ein
„laffifcher Zeuge” (I, 46), konnte nicht irren; er war im Gegentheil un—
fehlbar; und wußte er nichts von einem Factum, jo gilt diefes Factum
eben nichts — auch wenn er im Augenblick des Ereignifjes, wie im vor:
liegenden Fall, gar nidht zur Stelle war. Dr. Leufer fam nämlich
erjt nach Wien, als Wallenftein jeine Ernennung zum fatferlichen Truppen:
capo jchon in der Taſche hatte, |
Und nun ein zweites Erempel, am bejten gleich) aus demjelben Ca-
pitel, um Gindely's Verhältniß zu den jchon „gedrudten Reſultaten“ zu
beleuchten. Am 27. Juni 1625 erhält Wallenftein als „Capo“ der ſchon
vorhandenen und noch zu werbenden Fatjerlichen Soldatesca eine ausführ-
liche Inſtruction. Vier Wochen fpäter, am 25. Juli, erläßt der Kaiſer ein
offenes Patent, mit welchem er Wallenftein feinem Heere als „General”
vorſtellt, und am felben Tage wird Diefer durch den Hoffriegsrath ver:
ftändigt, daß ihm der Kaiſer als feinem „General“ ein bejtimmtes Gehalt,
u. 310. „zur monatlichen Unterhaltung . .. per Bausch für fich und zu
Berjehung der hohen Aemter zweitaufend Gulden rheinifch zu reichen
rejolvirt und im Kriegszahlamt unter Einem bereits auch Anordnung ge:
than." Und Gindely? Er jagt (I, 56): „Ob in dem uns (d. h. ihm)
nicht bekannten Ernennungsdeeret Waldſtein's zum General von einem
Gehalt die Rede war, wiſſen wir felbjtverjtändlich nicht anzugeben. Wir
möchten vermuthen, daß ihm nur Berfprechungen bezüglich feiner
Ihlieglichen Entlohnung gemacht wurden und daß diefer Gegenftand jegt
(1625) unerledigt blieb." Dieſe „Vermuthung“ wird ihm fpäter zur Gewiß-
— 15 —
heit; der pofitiven Gewißheit aber wird ſofort wieder eine nee Vermuthung
angehängt, indem er meint (I, 369): „Bei Gelegenheit der Uebernahme
des Obercommandos im Jahre 1625 war von feinem Gehalt die
Rede, vielleicht darum nicht, weil es ich von felbft verftand, daß ihm
derjelbe Gehalt wie anderen Oberanführern der Faiferlichen Truppen,
nämlich 3000 Gulden monatlid) angewiejen werden ſolle.“ — Auch die
zweite Vermuthung muß Gindely noch etwas jpäter, im zweiten Bande
feines Werkes, wieder über Bord werfen, nachdem er endlich belehrt worden,
daß das fragliche Decret mit feiner ziffermäßigen Angabe allerdings bereits
gedrudt vorliege, in einem Buche, „das wir" — wie Gindely im gewohnten
pluralis majestaticus ſich entſchuldigt (II, 330) — „exit bei der Abſaſſung
diefes zweiten Bandes zur Hand genommen haben." — it das Entſchul—
digung genug?
Nicht immer hat Gindely die eigene Unkenntniß des jedem Anderen
längft Bekannten hinterdrein auch bemerkt und in feiner Weiſe gutzumachen
gejucht. Sein Lieblingsthema iſt die ſonſt in biographiichen Werfen, die
außerhalb der Finanzwelt liegen, eben nicht maßgebende Geld frage. Und,
fonderbar genug, in diefer Stärke zeigt er auch feine ganze Schwäche, wie
wieder nur an einem einzigen Fall beilänfig gezeigt werden joll. Immer
und immer wieder kommt Gindely, oft an ganz unpajjender Stelle, als
auf das hauptjächlichjte Moment, auf die Contributionen zurüd, die
Wallenftein zur Erhaltung feines Heeres eintrieb. Daß der Kaifer Fein
Geld dazu hergab, daß vielmehr. eben Wallenftein nach den Worten des
Kaijers „die darauf gehende Spefa, Uns zu gehorfamften Ehren, über ſich
genommen” hatte, jelbjtverjtändlich gegen Wiedererjtattung, die aber offenbar
nicht von Wien her zu erhoffen war: das iſt für Gindely nicht der Rede
werth. Er jtellt ſich vielmehr felbjt die Frage (I, 57), ob durch die (im
Jahre 1625) von Wallenjtein erhobenen Contributionen „nicht eigentlich
alle Anfprüche der Soldaten getilgt wurden?" Er gibt auch gleich ſelbſt
die Antwort auf diefe Frage, indem er jagt: „Wir erwidern, daß die
Contributionen nirgends gebucht wurden, nirgends eine
Berrehnung zwilchen den berechtigten Forderungen der Soldaten und
Dfficiere und dem, was ihnen zu Theil geworden war, ftattfand."...
Wie ein rother Faden geht durch Gindely’s Erzählung, wenn bei ihm
überhaupt von einer „Erzählung” die Rede fein kann, diefer Vorwurf, So
heißt es (I, 154): „Als Tilly den Sieg bei Lutter am Barenberge über
Ehriftian IV. erfocht, wurde Waldftein von der Angſt erfaßt, daß der
Dänenfönig einen Frieden jchliegen Fünnte, bevor er jelbft feinen Lohn von
Kaiſer empfangen haben würde... Aus diefem Grunde rief er nad)
— 106 —
der Schlacht bei Lutter feine Truppen von Tilly ab." Am jchärfften aber
bringt Gindely denjelben Vorwurf zum Ausdrucke gelegentlich der Frage
der Ueberlaffung eines Theils der Friedländiichen Truppen an Maximilian
von Baiern im Frühjahr 1627. Sie hatte angeblich feinen anderen unmittel-
baren Zwed als „die baldige Beendigung des Krieges." Wallenftein war
gegen die Willfahrung der Bitte Marimiltan’s. Und warum? „Die Auf:
flärung lautet nach Gindely (I, 189): „Wenn der König von Dänemarf,
duch Tilly gedrängt, Frieden Schloß, jo war die Bezahlung der Truppen
dem Reiche und dem Kaiſer anheimgeftellt, dann würde man die er
hobenen Eontributionen berechnet und gefunden haben,
daß man dem Heere oder wenigftens dem Führer desfelben
nichts ſchuldig fei, und Waldjtein würde mit feinem Wunfch nach einer
glänzenden Erhöhung feines Anjehens durchgefallen ſein.“ (S. auch II, 339.)
Wohl jelten wurde gegen einen großen Todten eine empürende Ber:
dächtigung nad) zwei verschiedenen Seiten hin mit größeren Leichtjinn aus:
gejprochen. Die Eontributionen Wallenſtein's wurden „nirgends gebucht" ;
mit Soldaten und Offtcieren fand „nirgends eine Verrechnung” ftatt, und
diefelbe Rechnung, die nirgends angeftellt wurde, ergab, daß man dem
Heere oder wenigitens dem Führer — „nichts ſchuldig ſei.“ — Woher
weiß Gindely, daß jene Eontributionen „nirgends gebucht," daß mit Sol:
daten und Dfficteren „nirgends“ Abrechnungen gehalten wurden? Iſt ihm
unbefannt, daß es, wie im jedem anderen Heere, auch bei der Friedländijchen
Armee gewiffe Rechnungsbeamten gab? Hat er nie etwas von
Zahlungs: und Qnartier-Commifjarien gehört? Weiß er nichts von
Muſterſchreibern u. dergl.? Nichts von der Beitallung eines „Oberjten
Mufter-, Zahlungs: und Quartierungs-Commiſſarius“ Johann Aldringen,
der eben 1625 feines Amtes gewaltet? Hat er jemals einen Bli in die
Beftallungen diefer Officiere gethan? Hat er in ihre Papiere irgend einmal
genaue Einficht genommen? Oder auch nur in ihre Rechnungen, joweit fie
das Kriegs-Archiv in Wien und insbefondere die Negiftratur unferes
Neihsfriegsminifteriums aufbewahrt hat? Wie lautet die Summe,
die er fir 1625 oder 1627 herausgebracht? —
Kennt er das Alles aber nicht — es iſt nicht Jedermann's Sadıe,
das zu kennen — wie fommt er dazu, fich ein Urtheil über ſolche Dinge
anzumaßen? Und hat ex nicht jelber einen im dieſem Fall wirklich „elafit-
hen Zeugen" gegen jeine Verdächtigungen angeführt? Niemand wird
leugnen, daß Pater Lämmermanı, der kaiſerliche Beichtvater, als Ent—
laſtungszeuge Wallenſtein's von Gewicht erjcheint. „Mit dem Beichtvater
tractiv ich gewiß Feine negocia,“ bethenert einmal Wallenjten, und er
— 107 —
meint feinen Anderen als P. Lämmermanm. Am 19. Juni 1627 evftattet
der Figiftiiche Gefandte feinem Herrn und Meifter Maximilian von Batern
einen Bericht, in welchem die folgende — um wieder mit Gindely zu
iprehen — „bedeutjame Mittheilung“ enthalten iſt aus Anlaß einer
Zahlung der Stadt Nürnberg. Sie lautet (I, 257): „Dieje und andere
dergleihen dem Herzog von Friedland erfolgte contribu-
tiones werden nah Ausjage desP.Lämmermanns von ihm
(dem Herzog) Ihrer Kaiferlihen Majeftät ordentlich ver:
rechnet." — Es verjteht ſich von jelbjt, daß Gindely von diefem authen-
tiichen Zeugniß nirgends die Nuganwendung zieht. Im Gegentheil noch)
in jeinem Schlußmwort fonımt er auf die unzählige Male wiederholte Ber:
dächtigung zurück (I, 314): „Das Wiener Staatsarchiv enthält nicht ein
“einziges Actenftücd, das darauf Hindeutet, Waldftein habe ... . je über die
erhobenen Contributionen Rechnung gelegt. Es folgt daraus, daß der Katfer
das Gebaren Waldftein’s feiner weiteren Controle unterziehen wollte, vor:
ausgefegt, daß er ji) um die Erhaltung des Heeres nicht zu kümmern
brauche.” — Der Lejer weiß, was er von Gindely’s Prämiffen und dem:
gemäß von feinen Folgerungen in diefem Punkte zu halten hat.
Wo möglich noch erbärmlicher iſt e8 um die andere Anklage beitellt,
die in obigen Worten Gindely's gelegen: es hätte Wallenftein im Früh:
jahr 1627 oder überhaupt jemals den Frieden zu verhindern
geſucht. Sie wird duch Wallenjtein jelbjt griindlich und glänzend wider:
legt. Es gibt in dem ganzen Zeitraum von 1625 —1630 feinen zur An:
bahnung von Friedensverhandlungen oder zum Abjchluffe des endlichen
Friedens wie immer geeigneten Moment, der von ihm nicht mit aller Be:
gierde aufgegriffen und möglichjt ausgenügt worden wäre. Nie war ein
Kriegsfürſt mehr als er von ehrlicher, aufrichtiger Friedensliebe erfüllt. Er
wußte, daß er hierin mit feinem Kaiſer fich in völliger Uebereinftimmung
befand. Schon die erjten Unterhandlungsverjuche des Feindes im October
1625 nahm er wohlwollend auf; er jchrieb nach Wien und bat, „wenn's
zu der Tractation kommen joll wegen des Anftands (d. h. des Warfenftill:
jtandes), daß mir Ihre Majeftät befehlen, wie weit ich gehen foll — denn
der politifchen (Angelegenheiten) maße ich mih nicht an.“
Es. kam zum Waffenftillfftand; zu Wallenftein’s Bedauern für allzu furze
Zeit, um während derjelben zum Ziele, das heißt zum Frieden gelangen
zu können. „Von der Friedenstractation halte ich wenig," ſchreibt er am
19. November; „denn bei jo wichtiger Sach läßt fich fein Accomodirung
in vierzehn Tagen tractiven, und der Stillftand foll nicht länger als vier:
zehn Tage währen; ich vermeine, man hätte den Anftand wohl bis auf
— 18 —
Dftern machen können.“ Er wollte den Frieden und fo auch die nöthige
Zeit, darüber zu verhandeln.
Ein Kreis: oder Deputationstag trat in Braunschweig zuſammen.
MWiewohl von der Ausjichtslojigfeit jeiner Bemühungen aus dem bezeid)-
neten Grunde überzeugt, erwartet Wallenftein ungeduldig für feine Voll:
machtträger die erforderlichen Geleitsbriefe. Nach Verlauf eines Monats
klagt er: „Aus dem Frieden wird ganz und gar nichts." Als aber bald
nachher in gewiljen Wiener Kreijen nicht übel Luft geäußert wurde, das
von der Friedländer Armee bejegte Braunfchweiger Land etwa zu confis-
civen, erklärt er: „Damit erhalten wir den Credit im Neich, daß Ihrer
Meajeftät Intention auf nichts anderes gerichtet iſt, als Frieden und
Einigfeit im Reich anzurichten; und wenn Etliche wären, jo Ihrer
Dit. rathen wollten, jolches Land für fich zu behalten, jo vathen fie zu
Ihrer Mt. Bräcipitation, zum ewigen Srieg..... Ich mißte
meine Entlaffung begehren.” — Bis zum März des nächiten Jahres wurde
in Braunfchweig verhandelt. ES jtellte fich heraus, der Gegner hatte nur
Zeit zu gewinnen gejucht, nm beſſer zu rüſten. Der Kriegstanz begann
aufs Neue. Bei Wolmirſtedt und Tangermünde ſchlug Walfenftein die
Dänen unter General Fuchs (10. und 11. April); beim Brückenkopf zu
Deſſau jchlug er den Mansfelder (25. April). Zumal der Iegtere Sieg
war ein volljtändiger (Gindely thut ihn [I, 90] mit faum zwei Zeilen Text
ab). Und der Sieger? Sein dringender Nath ijt zum Frieden. „Itzt
wäre Zeit, mit dem Deputationstag fortzufahren,“ jchreibt er zehn Tage
nach der Niederlage Mansjeld’3; „denn der Kaifer hat nicht Mittel
zu friegen, und dies Weſen ohne Geld kann feinen Beſtand nicht haben.” ...
Alsbald wird mit neuen Verhandlungen Ernſt gemacht. Die Fürften Chriftian
von Anhalt und Wilhelm von Weimar benützt Wallenftein als Vermittler.
„Geſtern,“ fchreibt er am 3. Juni, „habe ich mich wiederum mit dem Fürſten
Ehrijtian aboceirt, und wird der ZTractation ein Anfang gemadt." Und
wenige Tage fpäter: „Der Herzog Wilhelm von Weimar ijt heut bei mir
zu Mittag beim Ejjen gewejen; . . ich habe fo viel von ihm vernommen,
wenn der Deputationstag wird angehen, daß der König (von Dänemark)
wird wohl Frieden mahen. Drum ift von Nöthen, je eher, je
bejjer, vaß man dazuthut."”... Er findet den Gegner nicht abge-
neigt, weshalb er auch für den Kaifer günstigere Bedingungen jtellen zu
dürfen glaubt, um fo mehr, als er die Lücken, welche die legten Kämpfe
in den Reihen feines Heeres geriffen, wieder gänzlich ausgefüllt. „Ich habe
erprejfe dem Fürſten von Anhalt gejtern gejagt,” theilt er jeinem Vertrauten
in Wien am 26. Juli mit, „daß Ihre Mt. nichts anderes begehren als
a Ne
Fried und Einigkeit im römischen Reich, doch müßte man, ihr die
Kriegsunfoften erjtatten. . . Ich verhoffe mit Gottes Hilfe, daß wir durch
Waffen die Sache bejjer werden decidiven als durch Tractation." — Im Guten
oder Böjen: er will nichts Anderes als Frieden. Allein, feinen Siegen
zum Troß, jcheint die Zahl der Feinde nur zu wachjen; der flüchtige Mans—
feld, denn-doch noch ſtärker, als man vermuthet hatte, verbindet jich mit
den Türken und dem Siebenbürger, in Oberöfterreich aber erhebt ſich der
proteftantiiche Bauer zur Revolte. Da durfte Wallenftein jchreiben: „Die,
jo Ihrer Mt. zum Krieg rathen, jehen igunder, in wag fir
Labyrinth fie diefelbige und ung Alle gebradt haben.“
Wieder nad) Ungarn trägt er in Eilmärfchen die Faiferlichen Fahnen und
zwingt die verbündeten Geguer, um Waffenruhe zu bitten. Sie wird, des
heftigen Widerftrebens feiner Umgebung ungeachtet, von ihm gewährt, um
des Friedens willen, der Bethlen Gabor und die Türken und damit
auch Mansfeld unjchädlich machen fol. Der Wiener Hof ift ihm zu langſam
mit dem Friedensjchluß; es drängt ihn, auf den deutjchen Kriegsichauplag
zurüdzufehren, nach Sclefien, wo während feiner Entfernung der Feind
bedeutende Fortjchritte gemacht. Der Winter ijt vor der Thür. „ch bitt,“
ihreibt Wallenjtein am 30, November an Harrad), „mein Herr helfe, daß
der Fried bald gejchlojjen wird, denn wäre der Fried vor einem Monat
gejchlojjen worden, jo hätte man die meijten Derter in Schlefien wieder
recuperiren können.“.
Darnach war Wallenſtein ein Feind des Friedens? — Nach den
unſäglichen Kämpfen und Strapazen eines Zeitraumes von anderthalb
Jahren zu Eurzer Erholung heimgefehrt in fein Herzogthum, in den Schooß
jeiner Familie; auc dahin verfolgt von den endlofen Sorgen für das Heer,
von den Machinationen feiner fcheeljüchtigen Neider bei Hofe, ruft er aus:
„Ich für meine Perfon verlange nichts anderes, ald daheim zu bleiben,
. .. denn ich begehre dem Kaijer wohl und nicht übel zu dienen; wird
man die Mittel impediren, daß ich nicht könnte wohl dienen, fo will
ich lieber wohl feiern. Es mag die Manejtra vertheilen, wer will," —
Auch jet bei feinen Rüſtungen in Allem und Jedem vom Hofe verlajjen,
droht er mit ernjten Worten: „Ich mache feine Präparation und will
auch feine machen. Das kann mein Herr dem Kaifer und allen Miniftern
jagen, denn man gibt mir feine Mittel. Bis dato hab id von dem
Meinigen zugejegt, hinfüro will ich's nicht thun; denn ich rui—
nive mich und die Meinigen damit, habe feinen Dank darum und in Zeit
der Noth habe ich feinen Heller, daß ich mein Weib Fünnte aus dem Lande
ſchicken.“ ...
— 10 —
Wieder im Frühjahr 1627 erhebt er ſich von feiner Refidenz Gitſchin
zu einem neuen Feldzug, vielleicht dem glänzendften und für die Sache
des Katjers glorreichjten feines ganzen Lebens. Sein Marjch von Schleften
bis an das äußerſte Ende von Jütland ijt ein einziger großer Siegeszug.
Doc, noch in Holftein ftehend, räth er zum Frieden . . . „Dahier aber
jollten Ihre Mt. jehen, den Frieden zu machen, . . . denn ſolche Gelegen-
heit, im Reich Fried zu machen, wird ſich nicht bald präfentiven wie
igunder." So am 20. September. Und fünf Tage darauf: „Sch habe
Medlenburg und das meijte Theil von Holftein inne; verhoffe noch dies
Jahr Schleswig und Jütland auch zu befommen, und alsdann vathe ich
zum Frieden; denn dies hab ich eingenommen, nicht daß ich vermeine, daß
wir's werden halten können, aber daß der Gegentheil dejto beſſere condi-
tiones pacis für ung eingeht... Man ſchmiede das Eifen, weil’s
warm ijt, und mache igt Fried.“ ..
Warum doch hält es Gindely nicht der Mühe werth, von diefen
Kundgebungen des Mannes, deſſen Biographie er jchreibt, auch nur bei-
läufig Notiz zu nehmen? Welcher andere Biograph würde fich dergleichen
jo leicht entgehen laffen? Es geht nicht an, ſolche Dicta einfach todtzu-
jchweigen. Ob noch jo „jubjectiv", charakterijiren fie die handelude Perſon,
und um jo mehr, je jubjectiver fie find. Auf alle Fälle jagen fie aber
tauſendmal mehr als die Vermuthungen, die fich hinter Wallenſtein's Rücken
allerhand dritte Perjonen in die Ohren raunen. Wenn jene Ausjprüche
nicht wahr find, warum widerlegt jie Gindely nicht? Sie find eben
wahr, ſie tragen das Gepräge der Lauterkeit an ihrer Stirn, und fie ftehen
in voller Hebereinjtimmung mit den Handlungen dejjen, der fie gethan
hat. Man müßte entweder ves Schreibers Worten oder aber feinen Werfen
Gewalt anthun, wollte man dieſe Uebereinftimmung nicht finden. Darum
werden Jene von Gindely lieber unterdrücdt. Es nügt ihm das aber nichts.
Er widerlegt ſich abermals felbft.
Er bringt (I, 69 fg.) ein Schreiben Wallenftein’$ an den Kaiſer
(ohne Angabe einer Quelle oder irgend eines Datums; es kommt vom
28. Januar 1626), worin derjelbe den Monarchen zu bewegen ſucht, in
den Friedensverhandlungen zu Braunfchweig, um aud den Schein zu
vermeiden, als ob „man jchlechten (sic) Luſt zu dem Frieden tragen thäte,“
auf „Erjtattung der Unkoſten“ zu verzichten, „weil ich befunden,” fo
verjichert der Feldherr, „daß es hierin nicht möglich wäre, etwas zu er-
halten, auch die Fürjten und Stände des nieverfächliichen Kreijes feinen
Frieden nicht eingehen würden, wenn mit Begehrung der refundirten Uns
fojten fortgefahren werden wollte.” Steht das mit Gindely’s Verdächtigung
— 11 —
(I, 189) im diametralen Widerſpruch oder nicht? Konnte und durfte Wal-
lenftein weiter gehen, um ſchon zu Anfang des Jahres 1626 den Frieden
zu ermöglichen ?
Er ging noch weiter und jchrieb am jelben Tage feinem einflußreichen
Freunde in Wien, ihn bittend, jeinem Rathſchlag an allerhöchiter Stelle den
rechten Nachdrud geben zu wollen. Er mußte, jagt er, „von den Kriegs:
erpenjen ablafjen," hätte er nicht gewollt, „daß fich der Ueberreft vom Neich
auch wider Ihre Majejtät movirt hätte.” Darum die Bitte, „dal Ihre Ma—
jeftät ratificiren.“ „Wo nicht,” fährt er fort, „jo mache man ein paar
Millionen alle Jahre fertig, diefen langwierigen Krieg zu führen; vatificirt
man’3 aber, jo verhoffe ich im Reich wohl Mittel zu finden, Ihrer Mit.
Bolt Satisfaction zu geben." ...
Auch dies wird von Gindely verjchwiegen, wie die jchon mitgetheilten,
energifchen Mahnungen Wallenjtein’S zum Frieden aus dem Jahre 1627.
Sie waren aber feineswegs die legten. Im Gegentheil können alle Triumphe
und alle Enttäufchungen deu Friedensfürften nur bejtärfen, feiner Miſſion
getreu zu bleiben. In diefem Sinne jchreibt er wieder zu Anfang Juni's 1628
an den Kaifer und wiederholt er dem Freunde: „Ich bin der Meinung,
man folle die Tractation nicht ausjchlagen, noch thun, was gegen ijt." Er
wünjcht und fördert aus diefem Grunde die Sendung Collalto's nad) München ;
„denn Ihrer Majejtät Dienjt und unjer aller Wohlfahrt erfordert’s." Und
als jich im folgenden Winter die Widerjacher endlich beugten und fürmlich
um Frieden baten, war er jofort bei der Hand, das Friedensinjtrument
zuvechtzulegen. Er gibt dem Wunjche der Compaciscenten nad), daß nicht
Hamburg jondern Lübeck als Sig der Verhandlungen gewählt werde. Schon
zu Anfang Februar’s 1629 verlangt er in Wien die Genehmigung feiner
Propofitionen, „wiewohl ich,“ fchreibt ev aus Güſtrow, „alle extrema ten—
tiven werde, auf daß cr (dev Friede) feinen Fortgang gewinnt; man
hide mir nur die Natification bald hierher.” . . In feinen Conceſſionen
geht er nach und nad) weit über jene des Kaifers hinaus und nöthigt
Diefen fchließlic, auf jede Kriegsentjchädigung definitiv zu verzichten. Am
22, Mai kam der Friede zu Stande. Gindely jelber kann nicht leugnen
(II, 105), daß Wallenftein „das Friedeuswerk ſehr erleichterte“ —
angeblih „durch feine plötzliche Nachgiebigkeit." Ein halbes Jahr
lang, wie gezeigt — vielmehr feit einer Reihe von Jahren hatte
Wallenjtein den Friedensunterhändlern gegenüber nichts anderes als ſolche
„plögliche” Nachgiebigfeit bethätigt.
Wo bleibt nun Gindely mit feiner Verdächtigung? Wie ward es, als
der Friede perfect war, mit der bewußten VBerrehnung der Wallen-
— 12 —
ftein’schen Contributionen gehalten? — Was wohl die Welt dazu
gejagt hätte, wenn etwa am 7. Juni 1629, an welchem Tage befanntlich
der Friede zu Lübeck feierlich publicirt wurde, ein kaiſerlicher Hofhiftorio-
graph in Wien oder ſonſtwo in einem Zractätlein die Behauptung aufge
jtellt hätte, „vaß man dem Heere oder wenigftens dem Führer
desjelben nihts ſchuldig jei"! Sie wäre damals jo lächerlich
gewejen, wie im Frühjahr 1627 und wie fie heute erjcheint, ganz abge:
jehen von aller hämifchen Ehrabjchneidung, die ihr Gindely beimijcht.
II.
Ich greife auf's Gerathewohl aus Gindely’s Opus eine andere „Ent:
hüllung“ heraus. Es war bei allen Hof und Leibhiftoriographen, bis
auf Friedrih Hurter und Onno Klopp herab, ein beliebtes Thema, den
Sieger an der Dejjauer Brüde darob zu tadeln, daß er es nicht verjtanden,
jeinen Sieg gehörig auszunügen. Natürlich fteht auch Gindely auf diefem
Standpunkt. Er weiß (I, 111) von einem Schreiben Wallenftein’s an den
Palatin von Ungarn, ddto. 27. Auguft 1626; der Schreiber gibt ſich in
Verfolgung Mausfeld's „voll Muthes und Zuverficht." „Seine Handlungen
entjprechen jedocd nicht diefen Verſicherungen,“ bemerkt Gindely; „weil er
nichts that, um den Einmarſch Mansfeld’s in Ungarn zu hindern, fondern
ih in Neißevierzehn Tagelang aufhielt und ruhig
zuſah, wie der Feind Mähren brandjhagte Der Kaijer
war über diefe Säumtigfeit empört” u. ſ. w. (Vgl. auch II, 338.)
Aehnliches, wie gejagt, kann man bei Hurter und Klopp nachlejen.
AS aber diefe beiden Federn Aehnliches ſchrieben, ftand ihnen an „ge
drucken Reſultaten“ nicht zu Gebote, was Gindely, auf fernen beliebten
Sejandtichaftsberichten fußend, mit gewohnter Meifterfchaft — überſieht.
Er jieht und hört nur, was die jchreibjeligen Horcher und Schleicher am
Hofe bei ihrem ewigen Antichambriren in den faiferlichen Gemächern an
Geheimniſſen erlaufcht „zu haben behaupten, die fie, fofern nur etwas
Schlimmes fir den Kaiſer und den Faiferlichen Feldherrn dabei heraus-
haut, mit der unverhohlenjten Schadenfreude zum Beften geben. Am
3. September 1626 jchreibt Badavin der Signoria: „Graf Montecuculi
wurde im der vergangenen Woche zu Waldſtein gefchiett, um ihn zum
eiligen Borrüden zu mahnen. Er fand ihn in Neiße, einer der Hauptftädte
Schlefien’s, wo er am 21. des vergangenen Monats angelangt war und zu
allgemeinem Staunen nicht blos Halt machte, jondern auch dem Pechmann
und Schlid verbot, ſich in irgend einen Kampf mit dem Feinde einzulajjen.”
Was thut Wallenftein? „Statt den Eaiferlihen Befehlen, deren Ueber—
— 13 —
bringer Montecuculi war, zu folgen, ſchickte ev alsbald den genannten
Grafen mit einer fchriftlichen Erklärung ab" — einer Reihe von Forde—
rungen an den Kaiſer, die ihm nach Padavin's Meinung „bei jedem
anderen Fürften den Kopf Eojten würden." . . „Inzwiſchen jchläft Mans-
feld nicht, nimmt einen Ort nach) dem andern ein, erhebt jtarfe Contribu-
tionen” u. j. w. Und was jagt man bei Hofe zu diefem Treiben Wallen-
jtein’8? „Entweder unterhält er ein Einverjtändni; mit dem Feinde oder
hat er kühne Abfihten gegen den Kaiſer (jchon 1626!) oder
will er den Mansfeld nicht vernichten — und dies hält man hier für
fiher — damit nicht etwa der Krieg zu Ende ei, während feine Intereſſen
noch nicht befriedigt find." (Immer diejelbe LXeier!) — Nicht viel anders
ihreibt Lenker nah Münden: „Es können Eure furfürjtl. Durchlaucht
nicht glauben, wie übel und jpöttlich man von dem Herzog von Friedland
insgemein vedt, daß er den Mansfelder hat ausreißen laſſen.“ . Sogar
der Feigheit muß fich ein Friedland von den Hoffchranzen bejchuldigen
lajjen — freilich nur insgeheim. Gindely läßt begreiflich auch diefen Vor—
wur, wie alles Andere folcher Art, geruhig auf feinem Helden jigen.
Hören wir anderweitige, gleichfalls contemporäre Quellen, vor Allen
wieder Wallenjtein jelbjt. Er gab ſich feiner Täufchung dariiber hin, daß
jein Verhalten nad) dem Tage von Deſſau in Wien nicht werde verſtanden
werden wollen. „isch zweifle nicht," jchreibt er bereit8 am 7. Mat 1626,
„daß es allerlei Discourfe bei Hofevon Weibern,
Pfaffen oder jonften etlihen welfhen Coujonen wird
abgeben, daß man die erlangte Victori gegen den Mansfelder nicht
projequirt.” Dem zu begegnen, jest ev auseinander: „Wenn ich nicht mehr
Sende hätte als den Mansfelder, jo wäre diefe ihre Meinung ausbindig.
Aber ich habe den Oberften Fuchs zu Tangermünde, der fid) allda jortt-
fteirt und vier Negimenter zu Fuß nebjt zweitaujend Pferden bei fich hat.
Der König läßt all fein Volk bei Wolfenbüttel zufammenziehen und ver:
meint, im Kurzem fein Heil zu verjuchen. Der Herzog Chriftian (von
Braunſchweig) Liegt in Göttingen und Nordheim mit 3500 Pferden nebjt
etlichen und zwanzig Fähnlein zu Fuß. Der Graf von Tilly it zu Hörxter
an der Weſer mit feiner ganzen Armee, von welchem ich Feine einzige
Aſſiſtenz nicht habe, und Hat fi) von mix auf etwa dreißig Meilen Wegs
jeparirt, Hat feinen Feind dort, in summa geht mit miv um, wie der
Bairiſchen Brauch it." Was aber die Hauptjache: „derzeit fich zu Feld
zu begeben, bevor Fourage vorhanden ift — wer ein Narr fein will
und eine Armee in vierzehn Tagen ruiniren, jo kann er's thun. Zudem mit
unbezahlter Armee läßt fich nicht thun, was eine bezahlte thut.“ . .
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 2. Heft. 8
— 14 —
Und endlich noch Eines. Wallenftein ijt für eine Cooperation
mit Tilly. Er bittet, wie er jchon wiederholt gebeten hatte, man jchreibe
an Diefen wie nad) München, „daß Herr General Tilly ſammt mir Wolfen-
büttel belagere.” Tilly's Manöver find ihm unerflärlih. „Die Urfachen
weiß Gott am beften,“ fchließt er; „ih willnihtgerntemera-
riamente von Jemandem judiciren."
Da waren in der That die Herren Padavin und Leuker nicht jo
zurücdhaltend mit ihrem Judiecium. Doch wird man — Gindely ausge:
nommen — nicht leugnen wollen, daß Wallenftein an Motiven für feine
Handlungsweife nicht gerade arm war. Er betreibt aus allen Kräften ein
gemeinfames Vorgehen der Faiferlichen und der ligijtiichen Armeen. Das
Gerücht, er hätte fic mit Tilly überworfen, weist er mit Entrüftung zurüd.
„Daß zwilchen dem Herrn Tilly und mir disgusti jollten paſſirt fein, ich
bezeug’8 mit Gott, daß ich Feine Wiſſenſchaft darum hab, und glaube
gänzlich dafür, er auch; es müſſen etliche böje Leut jolches ſpargirt haben.“
Wir kennen diefe „böfen Leut.“ „Der Herr Tilly," fährt Wallenftein fort,
„it alfo mit feiner Armee herabkommen, daß ich mich beforgen thue, daß
es einmal wird dürfen jeltfam abgehen, denn er ijt der bairijchen Com—
mifjjarien Sclavo und muß wider raggion travagliven und die Armee con-
ſumiren. Es iſt gewiß nicht ohne, daß er wegen feiner tapferen Thaten bei
der Welt glorioso iſt; wegen der Pacienz aber, jo er mit diefen Hunds—
füttern muß haben, wird er bei Gott coronam martyrii erlangen. .
Der gute Alte, er befindet jich in ziemlich travagliojfem Status, ijt aber
nicht ſelbſt jchuldig dran; . . er hat gethan, was fein Herr gefchafft hat,
welcher nicht gern Geld umfonjt ausgibt." .. „Er fir feine Perſon iſt
gewiß gut und willig, es fommen ihm aber jeltjame DOrdinanzen von
München zu.” — Man fteht, auch Wallenftein Fonnte unter Umftänden
ſcharf judieiren, er fonnte aber auch gerecht fein. Tilly, dem „guten Alten“,
it nie eim jchöneres, weil verdientes Lob gefpendet worden, als in diejen
Worten feines größeren Rivalen.
Bon Woche zu Woche harrte Wallenftein der Entjcheidung von Wien
und München über feinen Borjchlag, jich mit Tilly zu verbinden. „Ich
vermeine bald mit dem Heren Tilly zufammenzujtoßen und der Sache auf's
Beſte als möglih ein Ende zu machen," jchreibt er am 27. Juni; und
Tags darauf, nachden eine Beſprechung beider Feldherren zu Duderjtadt
verabredet worden: „Ich verhoffe mit Gottes Hilfe, daß etwas fruchtbar-
liches wird können gerichtet werden;" und abermals einen Tag fpäter:
„Auf die Woche werde ich mich mit dem Grafen von Tilly zu Duderjtadt
aboceiren, was wir Hauptſächliches gegen den Feind vornehmen follen,
— 15 —
dennesijt Zeit" Am 2. Juli findet die gewünfchte Zufammenkunft
jtatt. Sie führte, zu Wallenftein’s Leidweſen, nicht zur Vereinigung fondern
zur Trennung Die jehr auch Tilly und fein Feldmarſchall Anholt
einer Cooperation geneigt waren, die Weifungen von München lauteten
dagegen, und zwar, wie Wallenjtein fpäter erfuhr, vorwiegend weil von
Wien aus, durch den nach München entjendeten Grafen Fürftenberg, da-
gegen gearbeitet worden war. „Wäre der budelte Graf von Fitrftenberg
nicht geweſt,“ jchreibt er voll Unmuths, „der Feind hätte eine anfehnliche
botta befommen, denn der Graf von Tilly und der von Anholt haben’s
gar vor gut angejehen, ſich mit mir an der Elbe zu comjungiven, er aber,
wie ich vernehme, contraminirt fie zu München, und dieweil er ein Plo—
derer ift, jo glaubt ihm der Kurfürjt. In summa: man muß fich hüten
vor denen, jo die Natur gezeichnet hat. Wären wir zuſammengerückt, fo
wäre gewiß der Mansfeld nicht nad) Schlejien gezogen und ebenfowenig
hätte der Bethlehem (Bethlen) fi movirt.” ..
Sind das nicht intereffante Aufichlüffe? — Gindely will nichts mit
ihnen zu fchaffen Haben, wie mit tauſend anderen Dingen, die ihm wicht in
den Kram paſſen. Er müßte bei ihrer bloßen Erwähnung zugeſtehen, daß
vor den Monat Juli im Wallenftein’schen Lager gar nicht davon die
Nede fein konnte, fich noch einmal direct gegen Mansfeld zu wenden. Seit
der Abmachung von Duderftadt hat Wallenftein den Gegner allerdings im
Auge, der ihm nicht mehr entgeht. Er zweifelt faum, daß es Mansfeld auf
Schleſien abgejehen, nur meint er, „daß des Mansfelder’ 8 Sachen derzeit
ſich nicht in folchen terminis befinden, daß er fich follte allein hin
wagen. Wird aber der König wollen eine Narvetei begehen und mit feiner
ganzen Armee, wie mich der Kurfürft von Brandenburg hat berichtet, dahin
feinen Zug nehmen, fo ift er verloren wie Judas Seel, dan
ich werde ihm alsbald auf dem Fuß nachziehen und, wo ich ihn antreffen
werde, draufſchmeißen.“.. Er ſah aber nicht das Nächitliegende
allein, nicht blos das Einzelne fondern auch das Entferntefte, immer zus
gleich das Ganze, die Gegenwart und die Zukunft. So wußte er von den
Eonfpirationen Mansfeld’3 nicht blos mit Bethlen Gabor und den Türken,
auch mit dem Kurfürjten von Brandenburg und dem König von Schweden.
„Gleich itzt,“ fchreibt er am 6. Juli, „kommt der Oberft von Arnim, welcher
betätigt, daß das jchwedische Volk innerhalb drei Wochen heraußen fein
wird, 15.000 Mann ſtark. Der Kurfürſt von Brandenburg, was er mit
ung tractivt, ift Alles auf einen Betrug abgefehen; man merfe ihm wohl
auf, auf daß er feinen Herm Schwager in Siebenbürgen (Bethlen) nicht
movirt.“ Darum beſchwört er Tilly noch jegt, ohmeweiters zu ihm zu
g*
— 116 —
ftoßen, „auf daß mir auf beiden Seiten der Elbe auf den von Weimar
und Fuchs ziehen und fie zuvor abjchmieren, ehe die ſchwediſche Hilfe
kommt.“ — Wie mußte es ihn berühren, in feinen Entwürfen den täglich
wechjelnden Ereignijfen gegenüber vom Wiener Neichshofrath mit Be-
lehrungen und gar durch Abjendung veichshofräthlicher Nathgeber behelligt
zu werden. Man- ftaunt über die Ruhe und Gelajjenheit, mit der er er-
widert, wenn er jagt: „Die Herren Gelehrten find wohl gefaßt, Ordinanzen
zu geben, aber wiljen nicht, daß feine Mittel vorhanden jind, Kaijers Armee,
jo unbezahlt ift, auf folche Weife zu führen; dahero wäre gut, daß der von
Strahlendorf nicht in Acht nähme, was fein ſohl, jondern was fein fann
und was jein muß. Ich erwarte des Grafen von Trautmannsdorf mit
Freuden, auf daß er jie mit Fingern greift, alle Incomoditäten, denn ich
thue gewiß mehr bei der Sache als Mancher, der die Armee bezahlter
hätte. Weiß niht, was ich aufdie Legt für einen Dank
dafür befommen werde" — Welche beveutungsvolle Ahnung !
Es war am 10. Juli, als Mansfeld und feine Verbündeten aus der
Gegend von Tangermünde und Havelberg aufbrachen, um durch das
Brandenburgische gegen Schlefien zu marjchiren; zehn Tage fpäter hatten
fie Frankfurt a. D. paſſirt. Am 15. Juli ging die Vorhut der Fried-
ländifchen Armee unter Oberjt Bechmann über die Deffauer Brüde; ſechs
Tage darnad) war Diejer mit fieben Regimentern zu Roß und Fuß bei
Sagan angelangt, um von num au, dem Feinde fortwährend „hart an
den Eiſen,“ innerhalb vierzehn Tage ſich des ganzen Oderſtromes bis
Ratibor zu bemächtigen. Bedarf es mehr als einer Gegenüberjtellung diefer
Daten, um Wallenjtein von allem und jedem Verdacht einer abjichtlichen
oder unabjichtlichen VBerfäumniß zu reinigen? Er ſelbſt konnte und durfte
freilich nicht über Nacht mit dem Gros der Armee feine bisherige Poſition
verlajjen und einen voraussichtlich weiten, bejchwerlichen Kriegszug antreten,
ohne zuvor fir zweierlei umfaſſende Vorfehrung getroffen zu haben: für
eben feinen bisherigen und, fo lange der deutſche Krieg nicht zu Ende
war, auch fünftigen ftrategifch wichtigften Stüßpunft, die Elbe, und für
PBroviant.
Bejonders die erjte Sorge heijchte eine zweite Unterredung mit Tilly;
fie fam am 19. Juli zu Stande. Friedland verpflichtete ich, 3000 Manu
jeines Heeres dem Befehle Tilly's zu unterjtellen und demselben eine gleiche
Anzahl Truppen, die aus den Niederlanden im Anzuge war, zu über:
lafjen; dagegen jollte Tilly verhalten fein, fir die Sicherheit der Garni-
jonen an der Elbe Sorge zu tragen und ſich demgemäß der Elbe zu nähern.
Wieder und wieder bittet Wallenftein, „daß Ihre Majeftät dem Tilly ein
— 17 —
Schreiben thun und ihn erfuchen, er wolle unterdejjen an dem Elbeſtrome
fleißig Achtung geben, auf daß fich der Feind der occupirten Derter nicht
wiederum bemächtigt und dadurch dem Kurfüriten von Sachjen zufegt, denn
es entjpringeten daraus viel Ungelegenheiten." Alle Vorkehrungen zum Auf:
bruch nach Schlejien find getroffen, als ihn ein Schreiben Tilly's belehrt,
daß Diefer feineswegs gewillt,. der Vereinbarung gemäß, fich zur Dedung
der Elbe weiter oftwärts zu wenden, jondern vielmehr entjchloffen, ſich in
die Belagerung des fejten Göttingen einzulafjen. Das macht Wallenftein
neuerdings bedenklich. „Aus Beilag wird mein Herr ſehen,“ jchreibt er
am 30. Juli jeinem väterlichen Freunde, „daß der Herr Tilly wenig Zuft
hat, nach der Elbe fich zu begeben, daher ich denn in großem Zweifel jtehe,
was ich thun foll. Ziehe ich won binnen, fo jind nicht allein die occupirten
Derter verloren, das Volf, jo in praesidiis gelaffen, niedergemacht, der
Kurfürft von Sachen mit dem Gegentheil ſich zu uniren fforzirt, die übel
Intentionirten im Neid) werden fich gegen uns erklären, unfer Bolt in
große Furcht und Confuſion gerathen. Ziehe ich aber nicht, jo bejorge ich
mich, daß der Kaifer mit allen feinen Ländern perichtirt, denn, wie ich
avifirt bin, jo zieht der Mansfelder gar jtarf fort jenfeitS der Oder, auf
daß er fi) mit dem Bethlehem conjungirt; jo fommt der Schwed auch
durch Pommern heraus und nimmt feinen Weg an der Oder heraufwärts.
Ich muß mich necessariamente nodh eine Weile dahier
aufhalten, zu ſehen, wo es hinaus will, denn jollte ich jo plöglich
ohne Conſideration hineinplumpen, jo möchte etwas draus erfolgen, das
nacher übel zu vemediren wäre." ...
Daß Tilly feinen Verſprechungen gegen Wallenjtein nicht nachkam,
erflärt fich einzig und allein dadurch, daß Marimilian von Baiern
ganz entfchieden gegen den Aufbruch der Faiferlichen Armee nach Schlejien
war und diefen bis zum Testen Augenblid mit allen Mitteln zu verhindern
ſuchte. Noch am 23. Juli jtellte er Wallenftein brieflich vor, daß fein
Abzug von der Elbe nur die Folge haben könne, feine Armee „in äußerjten
Nuin zu ftellen,” andererjeits aber „Ihro königl. Majeftät zu Dänemark
alfe Gelegenheit zu eröffnen, fich der Oberhand zu bemächtigen und mehr
zu bejtärfen, auch diefer Orten größere Progrefjen zu thun, dadurch Ihrer
faiferl. Majeftät Erbfönigreiche und Lande, wie auch die ihm untergebene
Armada in gleiche Gefahr gejegt werden müſſen.“ — Wie fonnte jich
Maximilian's Gefandter in Wien erfrechen, mit hämifchen Worten über
Wallenſtein's angebliches Zögern zu berichten. Wäre ein Gindely nicht
verpflichtet gewejen, dem fraglichen Berichte Leuker's die eben erwähnte
Thatſache beizufügen? Zum mindeſten das angeführte Schreiben Mari«
— 18 —
milian’3 Konnte ihm nicht unbekannt fein; die Antwort Wallenftein’s darauf,
vom 6. Auguft, Liegt gedrudt vor. Sie fonnte bei aller ſchuldigen Ehr—
erbietung nicht Fategorifcher lauten. Er jendet Brief und Antwort Tags
darauf nach Wien. „Wenn nur der Herr Tilly mit dem böjen Göttingen
fertig wäre, jo wären meine Quartiere afjecurirt und ich fünnte dem von
Weimar und Mansfeld nachziehen,“ jo hatte er noch furz zuvor geäußert.
Die Nachricht, daß Mansfeld „feinen Zug zwiſchen Polen und der Oder
genommen" und nach Ungarn zu entkommen fuche, macht alle weiteren Be-
denken verfchwinden. „Mir wäre viel lieber, dahier zu bleiben,“ jchreibt
er; „aber will ich nicht, daß Ihre Majeftät Ihre Länder verlieren, muß
ich diefelben entjegen.” Und fchon am nächſten Tage meldet er: „Jetzt
breche ih gleich auf und marjchire auf Schlefien zu; ich werde ftarfe
Zagreifen thun und wenig rajten." An eben demſelben Tage erfolgte
der Ausmarih. Und wie wurde marjchirt? Alle vorhandenen urkund—
lihen Quellen zufammengenommen geben hierüber die unbejtreitbare Aus:
funft: Friedland erreichte mit feiner Armee am 9. Auguft Koswig, am
10. Züterbof und Dahme, am 13. Kottbus, am 15. Forft uud
Kojel, am 16. Sorau, am 17. Sagan, wo einen Tag geraftet wurde.
Am 20. in Bunzlau, am 21. in Goldberg (nicht in Neiße), eilte
Wallenjtein mit dem Heere über Jauer, Striegau, Schweidniß
und Langendls nah Strehlen, wo er am 26. eintraf, um ſodann
über Grottfau am 28. in Neiße einzurücen und dort abermals Halt
zu machen — doch nicht länger als höchſtens anderthalb Tage,
denn Schon am 30. fteht er in Neuftadt, an der äufßerjten Grenze von
Schleſien; am 2. September marjchirt er bereits in Olmüß ein, am 3.
in Kremjier, am 5. in Ungarifh-Brod an der ungarifchen Grenze,
die ev Tags darauf überjchreitet, um fofort an der Waag, bei Neujtadl,
eine feſte Stellung zu nehmen.
Wer, der nur eine blafje Idee vom Heerweſen des dreißigjährigen
Krieges zu haben glaubt, wird, mit der Karte in der Hand, nicht zugeben
wollen, daß Wallenftein mit diefem feinen Gewaltmarfh vom 9. Auguft
bi8 6. September eine für feine Zeit ganz unerhörte Leiftung in
Bezug auf Beweglichkeit und Ausdauer eines großen Truppenförpers an
ven Tag gelegt; fie war ein Meiſterſtück allererſten Ranges. Wer wollte
widersprechen, wenn er an Harrach aus Kofel fchreibt: „Ich verfichere ihn,
daß ich mir meiner Seele Seligkeit nicht alfo laſſe angelegen fein als
Ihrer Majeſtät Dienft und ziehe ſtark fort und verfichere meinen Herrn,
daß Feine Armee jo jtarf marſchirt hat als dieſe.“ Oder aus
Sagan: „Ich verfichere, daß ich mir feine Sache in der Welt mehr ange-
— 119 —
legen fein laſſe als den Fortzug zu befördern, denn ich fehe, daß ja
an der Eile Alles gelegen.” — Dabei unterläßt er nicht, gelegentlich
beizufügen: „Eher hab ich von Zerbſt nicht aufbrechen fünnen, denn der
Fuchs wäre mir in die Stifter gewifcht und hätte den Paß an der Elbe
genommen." Auch den nochmaligen Stoßjeufzer kann er nicht unterdräden :
„Hätte der Herr Tilly das böfe Göttingen gehen laffen, wie ich ihn fo
unterfchiedliche Male gebeten hab, und ſich mit mir conjugirt, jo wäre der
Sad) Schon Feierabend gemadt." . .
Nochmals: das mitgetheilte Itinerar ift nach Wallenſtein's Corre-
jpondenz und anderen gleichzeitigen Angaben, zumeift unmittelbar aus den
genannten Orten herrührend, als ganz unmwiderfprechlich anzufehen. Ya,
was das Schönfte an der Sache: Gindely ſelbſt liefert drei Seiten
jpäter, nachdem er darüber raifonnirt, daß Wallenftein „ſich in Neiße vier-
zehn Tage lang aufhielt und ruhig zuſah“ u. ſ. w, aus dem Neuhaufer
Archiv ein „Particularverzeihniß” (I, 115), das vollfommen geeignet ift,
die Nichtigkeit jenes Itinerars in allen wejentlichen Details zu erhärten.
Sindely jagt: „Als er (Wallenftein) feinen Fuß auf den Boden Schlefien’s
jegte, wurde ihm Tag für Tag der nöthige Proviant verabfolgt. .. Eine
genaue Rechnung hat ſich über diefen Gegenjtand erhalten und weist nach,
daß er für die mit ihm marfchirenden Truppen folgenden Pro—
viant erhalten habe: am 17. Auguft in Sorau...; am 18. Auguſt in
Sagan...yz am 19. Auguft in Sprottau...; am 20. Auguft in
Bunzlau...; am 21. Auguft in Goldberg...; am 22. —
in Jauer...; am 23. Auguft in „Striepe“ (recte Striegau).
am 25. Auguft in Langendls...; am 26. Auguft in Strehla
(Strehblen) . . .; am 27. Auguft in „Grotta“ (Grottkau) .. .; am
30. Auguſt in Neuſtadt.“ ..
Wie war es möglich, daß Gindely mit eigener Hand dieſe Daten
niederſchrieb und doch auf ſeiner ſonderbaren Behauptung von dem vierzehn—
tägigen Aufenthalte Wallenſtein's in Neiße hartnäckig beſtehen blieb? Wie
kam er überhaupt zu dieſer grund- und bodenloſen Behauptung? Ich hatte,
wie ich gejtehen muß, einige Mühe, big ich den allerdings ſchier unglaub-
lichen Erflärungsgrund gefunden hatte. Wie oben bemerkt, ift Gindely’s
Gewährsmann der venetianifche Geſandte Padavin, deijen Bericht vom
3. September 1626 er abdrudt. In diefem Bericht jteht aber fein Wort
davon, wie lange Wallenjtein in Neiße geblieben, wohl aber, wie gleid)-
fall8 beveit3 hervorgehoben worden, die irrige Mittheilung, daß Montecu-
culi „in der vergangenen Woche zu Waldtein geſchickt,“ denfelben
in Neiße fand, „wo er am 21. des vergangenen Monats ange
——
langt war.“ . . . Die Vermuthung iſt nicht ausgeſchloſſen, daß Padavin's
Worte, ſo wie ſie Gindely in der Ueberſetzung wiedergibt, dahin verſtanden
werden wollten, daß Montecuenli am 21. Auguſt in Neiße eintraf und
dort den Feldherrn erwartete, was mit den beglaubigten Thatfachen recht
gut in Einklang zu bringen wäre. Auf eine derartige Auslegung verfällt
aber Gindely nicht; fie wäre viel zu natürlich und — ohne alle giftige
Spige gegen Wallenftein. Ex deducirt vielmehr, in nahezu beifpiellojer
Mißachtung der Nefultate aller neueren gründlichen Forſchung über den-
jelben Gegenjtand, folgendermaßen — man höre und ſtaune —: Am
3. September berichtet Padavin ans Wien, daß Wallenjtein am
21. des vergangenen Monats in Neiße angelangt; vom 21. Au-
guft bis 3. September, jagt Adam Niefe, macht vierzehn Tage
— ergo bedarf es gar keines anderen Beweifes, daß Wallenjtein ſich
in Neiße vierzehn Tage lang aufhielt.“ —
Es dürfte ſchwer halten, in der modernen Literatur ein —
zu dieſem Nonſens aufzutreiben. Man muß in ſeine eigenen „Funde“ bis
über die Ohren vernarrt ſein, um Anderen ſolche Kraftproben höherer
— Sachkenntnis, Unparteilichkeit und Logik () vorzuführen.
IV.
Dan mag mit Gindely nicht rechten, wenn er fiir ſeine Heldengeſtalt
„im Lichte der gleichzeitigen Quellen" vom Aubeginne ihrer Laufbahn
nirgends ein Wort der Anerkennung findet und, wo er Gefahr läuft, eine
jolche aussprechen zu müſſen, wie etwa angejichts der „beiwunderungswir:
digen Thätigkeit" des Landesfürſten Wallenftein „in der Aominiftration
feiner Güter," dieſer Gefahr fich ſchleunigſt entzieht.
Begreiflich, daß er über die VBorgefchichte des Generaliſſimus — ein
Bierteljahrhundert jchwerer, aufveibender Kämpfe in Ungarn, Böhmen, den
Niederlanden, Friaul und wieder in Böhmen, Mähren, Defterreih und
Ungarn, im welchen der werdende Friedland „ver Ehre höchjte Staffel“
eben nicht allzu „raſch“ erſtieg — mit wenigen gleichgiltigen Federjtrichen
hinweggeht, um Höchjtens über. die „finanzielle Thätigkeit“ feines Opfers
mit Selbjtbewußtjein einige „bedeutfame Mittheilungen,“ das heißt Anwücrfe
wegen Betruges nnd ähnlicher Sorte gegen den Privatcharafter
Wallenſtein's vorzubringen. Darauf, wie auf das Schlußcapitel des erjten
Bandes — er jchließt, wie er beginnt, mit der Erdrterung einer Geldfrage,
natürlich wieder nur Schmug in Schmutz gemalt — behalte ich mir eine
bejonders eingehende, urkundlich belegte Erwiderung ausdrüdlid) vor.
— 121 —
Schon einmal, im Jahre 1875, wurde der Gegenftand der eben er—
wähnten Capitel von Gindely im einer Artifelveihe der jegt Münchener
„Allgemeinen Zeitung“ behandelt. In zwei vortrefflichen, überaus dankens—
werthen Schriften des Brager Gelchrten Thomas Bilef, „Gejchichte der
Eonfiscationen in Böhmen nad) dem Jahre 1618“ (2 Bände, 1882—83)
und „Beiträge zur Gefchichte Waldjtein’s“ (1886), erfuhren die dortigen
Behauptungen Gindely’s durch Publicirung alles einfchlägigen, unglaublid)
maffenhaften und, Dank dem ftaustenerregenden Fleiße Bilek's, auch beinahe
volljtändigen Actenmaterials eine totale Widerlegung. Nichts wäre erflär-
licher gewefen, als Gindely hätte nunmehr feine vormaligen, ohne alle und
jede Begründung aufgeftellten Beichuldigungen des Privatmannes Wallen:
ftein einfach fallen gelaffen und damit die eigene Sündenſchuld mit dem
Mantel Hunger — VBerfchwiegenheit zugededt. Statt deſſen erneuert Gin-
dely zwar nicht alfe feine Auflagen vom Jahre 1875, hält aber gleichwohl
den Kern derjelben durch allerhand Künfteleien aufrecht, indem er die in
Bilek's Schriften enthaltenen Thatfachen zum Theil willfürlih verdreht,
zum Theil aber ohmeweiters unterdrüdt. Doch, wie gejagt, davon an
anderem Orte im Zufammenhange. .
Um Bilef, noch ehe er auf denjelben ausführlicher zu fprechen kommt,
von vornherein beim Leſer möglichft zu discreditiren, verſucht es Gindely
gelegentlich, dem Gegner verjchiedene Ungenauigkeiten oder Unrichtigfeiten
auf minder jchlüpfrigen Gebieten nachzumeifen. Ich will hier jogleich
zeigen, mit welchem Erfolg. Dabei foll zugleich dargethan werden, wie
Gindely die früher ausgejprochene kühne Beichuldigung Wallenftein’s wegen
„der von ihn geduldeten Zuchtlofigfeit der Truppen” zu begründen
in der Rage iſt.
Indem Gindely (I, 179) der Klagen erwähnt, welche von Seite des
Kurfürjten von Batern gegen einen der Wallenjtein’schen Oberſte, einen
Herzog von Sachſen-Lauenburg, erhoben wurden, gedenft er auch cines
Schreibens Wallenjtein’3 an den Kaifer, des Inhalts, ev habe den ge-
nannten Herzog „zur perjönlichen Erſcheinung vorgeladen und ihn beweglic)
ermahnt, der kurfürſtlichen und fürſtlichen Lande zu verjchonen." Hiezu be:
merkt Gindely: „Auf die bloße Mahnung bejchränfte fich alfo die Be-
ftrafung des Lauenburgers, dejjen Schandthaten damals alle Welt empörten.“
Er fährt fort: „Mau darf überhaupt die jtrengen Weifungen, die Waldftein
in anderen Fällen auf Unterſuchung und Bejtrafung einzelner Oberjten er-
theilte, nicht wörtlich nehmen, man muß auch unterjuchen, ob fie ausgeführt
wurden. Waldjtein’s Strenge war feine ſyſtematiſche und gerechte, ſondern
eine launiſch aufbraufende und tyranniſch fich gegen unbequeme Diener
— 12 —
äußernde." .. Seine erfchöpfende Gründlichkeit in diefer Frage vor Augen
zu führen, fügt Gindely nod eine Anmerkung bei, welche lautet:
„Bilet führte in den Beilagen L IV a—d (Beiträge, S. 307 fg.) vier derartige
Beiehle aus dem Jahre 1627 an, die wider den Rauenburger, die Oberſte Hußmann,
Boyſi und Fahrensbeck und den Oberftlieutenant de3 lettern lauten, und glaubt na=
türlich in diefen Befehlen einen vollgiltigen Beweis dafür zu finden, daß Walditein
an den Erceffen feiner Truppen unfhuldig war und fie beftraft wiffen wollte. Nun
iſt dem Lauenburger, wie aus unferen Mittheilungen erfichtlih, nichts geſchehen,
ebenfowenig wurde dem Oberften Hußmann, den Waldjtein zu verarreftiren und
nach Kriegsrecht zu behandeln gebietet, ein Haar gefrümmt, denn im Jahre 1630
begegnen wir ihm an der Spiße feiner Reiter in Italien (Chlumecky, Regeften, 236,.
Fahrensbed, den der General ftreng zu überwachen befahl, wurde nicht ange
taftet, fondern trieb fein Unmwejen noch weiter fort. Ob dem Oberften Boyſi und
dem Oberftlieutenant etwas geichehen ift, kann man nad) diefen Mittheilungen
billig bezweifeln, und jo zerplagt die von Bilek aufgebaufchte Strenge Waldſtein's
wie eine Geifenblafe.“
Wieder (I, 251) fommt Gindely auf eine Mahnung des Kaifers zu
jprechen, „ven Herzog von Lauenburg, über den die größten Klagen er—
hoben wurden, zur Verantwortung zu ziehen” 2c., mit dem Beiſatz: „Dem
Lauenburger wurde fein Haar gekrümmt." Und noch einmal (], 256)
heißt e8: „Der General überfloß von Verficherungen, wie er die ligiftifchen
Fürjten entlaften und den Lanenburger trafen wolle; feine Rede war
ebenjo jaljch, wie fein Thun vücjichtslos und hart." (Vgl. auch II, 328.)
Prüfen wir diefe Rede. Dazu iſt erjtlich von Nöthen, zu wiljen, daß
in der Zeit, von welcher gehandelt wird, drei Herzoge von Sachſen—
Lauenburg als Ffaiferliche Oberfte im Friedländifchen Heere dienten:
die Herren Rudolph Mar, Franz Albrecht und Julius Heinrich. Schon
damit, daß Gindely meift nur vom „Lauenburger" fpricht, fcheint er zu
verrathen, daß ihm diefer Umſtand unbefanut. Die von ihm felbjt (I, 172,
241 fg.) mitgetheilten und viele andere Actenſtücke fagen aus, daß es ſich
hier um die Berfon des Herzogs Rudolph Mar von Sachſen-Lauenburg
handelte. Derjelbe hatte mit Wallenftein’s Zuftimmung im Jahre 1626
ein Regiment zu Fuß und erſt ein Jahr jpäter ein Eiraffierregiment er-
richtet. Er wurde nad Bilek's Mittheilung vom Generaliſſimus bereits
am 11. Juni 1627 beauftragt, fich wegen feiner Exceſſe perfönlich bei ihm
zu verantworten. Schon am 19. Juli darauf verjtändigte Wallenftein den
Hoffriegsrath von diefer Verfügung, mit dem Bemerfen, daß er den Herzog
Rudolph Mar bis zur Austragung feines Procefjes in dem feften Neifje
internirt habe. Die Procefacten liegen nicht vor — doch auch Rudolph
Mar erfheint feit diefer Zeit niemals wieder bei der Fried—
ländifhen Armee; fein Musfetierregiment wurde noch im felben
— 13 —
Jahre 1627 gänzlich aufgelöst; feine Reiter aber, zu Begimm des
Jahres 1628 noch 1220 Pferde jtark, wurden — wie Gindely eigen:
bändig (II, 66) conftatirt — im September diejes Jahres auf 500
reducirt. Rudolph Mar aber war und blieb aus dem faiferlichen
Heeresverbande für immer ausgejchloffen oder ausgeftoßen. Gin:
dely habe die Güte, ihn nach dem September 1628 bei — einer Action
dieſes Heeres namhaft zu machen. Und da wurde ihm, d em „Lauenburger“
— „fein Haar gekrümmt“?
Johann Philipp Hußmann de Namedy war mit Beftallung vom
10. Mai 1627 als Faiferlicher Oberft zur Werbung eines Cüraffierregiments
ermächtigt. Die Beitallung des Marquis von Boiſſy (nicht Boyfi) it
nicht vorhanden, datirte aber bejtimmt auch erſt vom Jahre 1627 und
lautete auf ſechs Compagnien (600 Mann) Arkebufierreiter. Der von Bilef
abgedructe Befehl des Oberfeldherrn gegen Hußmanı und Boifjy gebot
am 27. December 1627 Arnim, damals Befehlshaber in Pommern, beide
Dberjte als folche zu juspendiren, zu verhaften und gegen jie „ohne ein:
zigen Reſpect dem Kriegsbrauch nach zu verfahren,” ihre Negimenter aber
zu veduciren. Ich Habe dem beizufügen: Schon eine Woche zuvor hatte
Wallenſtein eine ähnliche Verfügung getroffen und dieſelben Officiere auch
direct hievon verftändigt; und fchon Tags darauf wurde Arnim beauftragt,
die Eompagnien Hußmann's und Boiſſy's entweder zu reduciren oder „unter
andere Regimenter zu ſtoßen“ und mit ihnen abzurechnen, was gleichfalls
beiden Oberjten in bejonderen Schreiben notificirt wurde, „denn wir wollen
nicht, daß durch eines Officiers unbilliges Wahrnehmen unter der Fatjer:
lihen Armada Unordnungen verurſacht werden." Daß diefe Worte nicht
in den Wind gejprochen waren, bemeist ein vierter Befehl Wallenjtein’s an
Arnim, nachdem „des Obrijten Hußmann Obriftlientenant aus dem Arreft
ausgeriſſen,“ denjelben „dreimal citiven und, da er zum dritten Male nicht
erjcheinen würde, jeinen Namen an den Galgen anjhlagen zu
laſſen.“
Am 29. December ging eine fünfte Weiſung an Arnim, den Proceß
gegen Hußmann und Boiſſy durchzuführen, mit dem Beiſatz: „Der Herr
gehe aber fürſichtig um, denn ſie werden gewiß ein trama (?) mit ihren
Dfficteren haben, auf daß nachher feine Mutination (Meuterei) daraus er:
folgt." .. Und was weiter? Abermals geht die Antwort ohne Gindely’s
Wiffen aus jeiner eigenen Bublication (II, 66) hervor. Collalto
meldet am 20. September 1628, dag er Hußmann’s Reiter von 1220
auf 500 Mann reducirt habe; ein Regiment „Voſſy“, wie Gindely
ſchreibt, war bei Collalto’s Ankunft 734 Pferde ſtark und ift an bejagtem
— 14 —
20. September aus der Armeeliſte der Raiferlihen geſtrichen — «8
it das Negiment Boiſſy. Thatjächlich hat denn auch der Marquis von
Boiſſy feit diefer Zeit aufgehört, Faijerlicher Oberſt zu fein: er war, wie
jener „Lauenburger”, davongejagt Wie kann nun Gindely „billig
bezweifeln,” daß dem Oberſten Boiſſy „etwas gejchehen ijt" ?
Freilich behauptet Gindely (II, 61), Eollalto hätte jene Reductionen
im September 1628 aus eigener Machtvollfommenheit vollzogen, d. h. vom
Kaiſer den Auftrag gehabt, ohne Wallenſtein's Vorwiſſen „jelbjtändig die
theilweife Entlafjung der Neiterei vorzunehmen.” Das ift einfach nicht
wahr. Abgefehen davon, daß dies ein Eingriff in die unbeſtreitbaren
Rechte des Generalijjimus gewefen wäre, den Diefer nimmermehr hätte
zugeben fünnen, ohne fofort feine Entlaffung zu nehmen, ergibt jchon die
vorhandene Eorrefpondenz Wallenftein’s mit Collalto die gänzliche Unrich—
tigfeit diefer neuen Behauptung Gindely’s. Bereits zu Anfang Juni's 1628
war bei einer Zufammenfunft der Generale zu Reichenberg die Reducirung
der Reiterei um 4000 Mann verabredet worden. Im Juli bedankte fich
Wallenftein beim Kaiſer dafür, daß er dieje Reducirung gutgeheißen, die
er „für fehr nöthig erachte,“ und gab er am 10. diejes Monats
jeinem Feldmarſchall den Auftrag, „er veformire was mehrals
die 4000, wie wir zu Neihhenberg abgeredet haben" Am
15. Auguft jchrieb Wallenftein aus Triebjees: „Meine Meinung ift, der
Herr Bruder eile nicht gar zu jehr mit der Abdanfung... Den Boiſſy,
dieweil er fo viel Unordnungen thut, danfe er nur ab" u.j.w.
— Wer kann da nocd meinen, Colfalto habe in diefer Angelegenheit gegen-
über Wallenftein „jelbftändig” handeln dürfen !
Wahr ift, daß Hußmann's Reiter im Fahre 1630 den mantuanischen
Krieg mitfochten, doch eben nur in der Stärke eines halben Regiments.
Das mußte Jener als jchwere Strafe betrachten. „Der Hußmann zieht in
Italien zu feinen Reitern,“ fchrieb damals Wallenftein an. Collalto ; „it
mehr ein Partitenmacherle als ein Soldat." Er kannte feine Leute. Huß—
mann fehrte im März 1631, mit wenig Ruhm bededt, nach Haufe zurück,
um dem Kriegsdienjt für immer Adien zu jagen.
Bleiben jonach in Gindely's Anfechtung der fraglichen Meittheilungen
Bilek's nur noch der Oberft Fahrensbed, recte Georg Wolmar .
Fahrensbac Graf zu Karkus, und deſſen Oberjtlientenant, den Gindely
dem Namen nach nicht kennt. Fahreusbach, jagt Gindely, „wurde nicht
angetaſtet.“
Es gibt in dem ganzen, großen Wallenſtein'ſchen Lager mit ſeinem
bunten Gewimmel mehr oder minder berühmter oder berüchtigter Geſtalten
—
— 15 —
nur wenige, die ihrerzeit ob ihres eigenthimlichen Schickſals eines fo aus:
gebreiteten Rufes genofjen, wie Fahrensbach. Wer davon nichts zu melden
weiß, bekennt damit, daß er in Erforfchung diefer Zeit und der in ihr
handelnden Perſonen eben nicht tiefer eingedrungen als — Gindely. Ich
kann hier natürlich Feine erjchöpfende Lebensgefchichte ſchreiben.
Auch Fahrensbach hatte erjt im Jahre 1627 ein Oberftenpatent er-
halten, und zwar ein jolches über ein Infanterieregiment. Er fiel gleid) zu
Anfang Februar's diefes Jahres in feindliche Gefangenjchaft; „mehr aus
Unachtfamfeit" als aus irgend einem andern Grunde, urtheilte der Ober:
feldherr, der auch erfuhr, „die vom Feind lamentiren fich jehr über fein
Maul, daß er ihnen Fein gutes Wort gibt." Als Fahrensbach im Mat
die Freiheit wieder erlangt hatte, gedachte ihn Wallenftein, der eben Jeden
nach feiner Qualification zu verwenden wußte, zu gewiſſen waghaljigen
Unternehmungen zu gebrauchen: „Der Fahrensbach ift gut zu einer dejpe:
rirten Diverfion oder Impreſa.“ Doch ſchon zwei Monate jpäter war
Fahrensbach des kaiſerlichen Dienjtes überdrüſſig und erklärte jich bereit,
für 20.000 Gulden fein Regiment zu refigniven, um fich bald darauf eines
Anderen zu beſinnen. Im Durchmarſch durch Brandenburg beging fein
Oberjtlieutenant Namens Ech zel (auch O ch fe l) viele Unzufömmlichkeiten,
. Auf dieerfteNahridht hievon gab Wallenjtein Befehl, ihn in
Eifen zu fchlagen und vor ein Kriegsgericht zu flellen: „er muß es mit
dem Kopf bezahlen, er hat gar zu viel Erorbitanzen gemacht.” (Bilef a. a. D.)
— Gindely glaubt nicht an den Ernſt diefer Worte. Und doch ſchon am
nächſten Tage ſchrieb Wallenftein an Eollalto: „Ich befomme fo viel Klagen
über den Fahrensbach, daß er's nicht viel bejjer, wo nicht ärger, gemacht
hat als der Görzenich“ (wir werden ſogleich hören, was das zu fagen
hatte); „nun bin ich refolvirt, eine Demonftration gegen ihn vorzunehmen.“
Dabei beforgt der General nur, daß die Sache „etwas langſam wird fort-
gehen," denn „ehe man alle die Klagen wird zufammengebracht und certi-
fieirt haben, jo gehen au drei Monate hin; auch, jobald ev gefangen wird,
jo wird fein Regiment voneinanderlaufen, denn allbereit jein Oberjt
lieutenant entlaufen tft." ..
Damit gibt jich Gindely offenbar nicht zufrieden. Blutdürftig, wie er
nun einmal ift, verlangt er die Hinrichtung Fahrensbach's ohne viel Feder:
lefen, ohne langwierige Klage und Zeugeneinvernahme, und will er den
Oberſtlieutenant gehenft jehen — man hätte ihn denn zuvor gefangen oder
nit. Zum Glüd Hatte Wallenjtein Nachricht, wohin ſich Echzel ge:
wendet, und befahl darum dem Generalwachtmeijter Lorenzo del Maejtro,
„er folle ihn Taffen beim Kopf nehmen — alsdann will ich ihm aud)
— 16 —
feinen Proceß machen. In summa ich hoffe, Etliche dermaßen zu über:
rumpeln, daß fi) Andere daran fpiegeln werden." — Damit ijt diefer
Echzel (nicht zu verwechjeln mit einem andern Ochſel oder Echzel, aud)
„Eichzell", der gleichzeitig al8 Oberftlientenant im Regiment Torquato Conti
diente; ſ. auch IL 117) für uns verfhmwunden Sch muß es Herrn
Gindely überlafjen, darüber zu denken und zu fchreiben, was ihm beliebt.
Die Unterfuchung gegen Fahrensbad) ging ihren Friegsgerihtsmäßigen
Lauf. Der Oberft blieb „auf freiem Fuß”; doch unterließ es Wallenftein
nicht, Arnim fortwährend zu ermahnen: „Auf den Fahrensbach gebe der
Herr gute Achtung, denn ich will ihm das Regiment nicht laſſen“ — „er
fennt ihn wohl” u. ſ. w. Der ſchlaue Oberst verftand es, den Proceß bis
in den Sommer 1628 hinauszuziehen und dabei noch andere Pläne zu
verfolgen, die uns Wallenftein mit den Worten verräth: „der, jo das
Bolfdem Schweden zuführen will, ift der Fahrensbach; er
thut ſonſten noch mehr loſe Stüd." Fahrensbad) aber merkte, daß er ver-
rathen war; er Fam feiner Verhaftung durch jchleunige Flucht zuvor. Er
verjuchte zu den Dänen nad) Glücjtadt zu entfommen, fand aber dort als
„verdächtige Perjon" feine Aufnahme und ging nad Amſterdam. Sein
Regiment wurde aufgelöst. — Nicht mit Wallenſtein's Zuthun, jondern
während deijen Entfernung vom Obercommando fand Fahrensbach troß
alledem im April des Jahres 1631 auf feine Bitte wieder Aufnahme in
das Faiferlihe Heer. Als jedoch Friedland abermals die Heeresleitung
übernahm, faßte er Fahrensbach ganz befonders in das Auge. Derfelbe
wurde auf Wallenjtein’s Befehl im Frühjahr 1632 verhaftet, der „heim-
lichen Intelligenz“ mit den Schweden überführt, vom Kriegsgericht zum
Zode durch das Beil verurtheilt und zu Kegensburg am 29. Mai 1633,
da er der Hinrichtung gewaltfamen Widerjtand entgegenfegte, von den
Henkern jJämmerlidh zerhbauen und niedergemepgelt." —
Sit Gindely damit endlidy befriedigt ? — Wohin doch blinder Eifer und
Parteilichfeit einen ſonſt friedlichen, harmlofen Actenmenſchen verführen
fünnen! —
Gindely ift nicht berechtigt, einen fleißigen, gewifjenhaften Forfcher
wie Bilek hofmeiftern zu wollen. Niemand verjteht das wohlfeile Spiel,
eine Seifenblafe fteigen zu laſſen, beſſer als Gindely. Zugleich aber
könnte es ganz entschieden Niemand geflifjentliher darauf abgefehen haben,
ſich felbft zu widersprechen, als Gindely. Es kann nicht anders als widerlich
wirken, wern Gindely einmal (I, 74) als die Urfache „einer allgemeinen
Unzufriedenheit" im Faiferlichen Heere „vie barbarifhe Strenge
Wallenjtein’s" bezeichnet, um fpäter mit derſelben Miene defjen unver-
— 17 —
zeihlihe Nach ſicht gegen die Zuchtlofigfeit feiner Truppen, das
„Hlemmerifhe Zuderleben der Officiere” (I, 349) zu beweifen
— wie eben bewiefen worden — und wieder jpäter dennoch beftimmte
Fälle energiichen Auftretens gegen die Ercedenten hervorheben zu müfjen,
wie beijpielsweife (II, 81) den Fall, daß Wallenftein am 16. Juli 1628
einen Verhaftsbefehl gegen den Oberften Hebron erließ, „der feine
Stellung zu maßlofer Bereicherung ausbeutete,“
Leider auch hier muß Gindely fein Halbwiſſen eingeftehen, indem er
Dinzufegt: „Welches Nefultat dies zumegebradhte, iſt nicht weiter befanıt,
ſchwerlich aber dürfte der Oberft die frühere Machtvollfommenheit erlangt
haben.” Gindely weiß wieder nicht, was er aus den von ihm fogar zu:
weilen citirten Schriften Förſter's und Chlumecky’s Leicht hätte wiſſen fünnen,
daß Oberſt Hebron wenige Monate nad) feiner Verhaftung ein todter
Mann war und jein Regiment dem Fürjten Ernſt von Anhalt gegeben
wurde. Iſt ihm ja auch nicht befannt oder thut er doch fo, als wüßte er
nicht3 davon, daß furz vor Erlaffung der von ihm verhöhnten Decrete
Wallentein’3 gegen Rudolph Dar von Sachjen-Lauenburg, Hußmann u. f. w.
ein jolches Decret in aller „ſyſtematiſchen“, nicht „launiſch aufbraufenden“
Strenge an dem Oberjten Adam Wilhelm Schellhardt Freiheren von
Görzenich die Execution wirklich erfahren hatte. „Auf daß man ſich
über mic im Weich nicht zu bejchweren hat," ſchrieb Wallenftein am
12. October 1627 an Collalto, „daß ich die Transgrejforen nicht ftraf, jo
hab ich heut dem von Öörzenich den Kopfweghauen lafjen;
er iſt wohl aufs Rad fentencirt worden, aber ich vermeine, daß man ſich
mit diefem contentiven Fan. Er foll gar wohl und andächtig gejtorben
fein." — Noch nad zwei Jahren konnte Graf Pappenheim nach münd—
licher Verſicherung eines deutfchen Kirchenfürften berichten: „es ſei durd)
die Görzenich'ſche Demonjtration männiglich genugjame Satisfaction ge:
Ichehen und aller Kur- und Firjten Gemüther dadurch acquietivt und con-
tentirt worden."
Wallenjtein war fein Tyrann, Fein Wütherich. Er ftrafte; jedoch mit
der äußerjten Strenge nur jelten und dann nur nach einem förmlichen
Gerihtsverfahren. Wer wollte ihm das zum Vorwurf machen? Es
ſchloß nicht aus, daß beijpielsweife auf feinem Marſch durch Schlefien im
Sommer 1626 bisweilen bemerft werden konnte, „wie ſechs Webelthäter
auf einmal aufgeknüpft wurden.” Der Gang der Kriegsjuftiz war auch
bei ihm fein jchleppender.
-—- 1383 —
Man findet fein Ende in Aufzählung der greulichen Widerjprüche
Gindely’s, feiner miggünftigen falfchen Behauptungen, feiner abfichtlichen oder
unabjichtlichen Entjtellungen, jowie der jchlagenden Beweiſe feiner bejchä-
meiden Unfenntniß des großen Ganzen dev Deaterie, die er behandelt. Zu
Wirklichkeit gibt es in feinem Buche Feine Seite Text, auf der ihm
nicht eine Anzahl grober und allergröbjter Verſtöße nach einer und der
anderen Richtung nachgewiejen werden könnte.
Wo fteht 3. DB. der Beleg fiir das fonderbare Dietum, mit welchem
Wallenjtein in jeinem VBerhältnifje zu Tilly von vornherein in die für
Gindely erforderliche jchiefe Stellung gebracht werden foll (I, 82): „Der
Kaiſer hätte nicht den leifeften Widerfpruch erhoben, wenn ſich Waldſtein
der Auctorität Tilly’s gefügt hätte" —? Steht jo etwas der:
gleichen in der ihm vom Kaiſer ertheilten Juftenetion oder ſonſt in einer
faijerlihen Zufchrift? Hätte denn nicht mit einer ſolchen Gefügigkeit der
Kaifer als oberſter Kriegsherr in Deutjchland einfach zu Gunften des Kur—
fürjten von Batern abdicirt? Und hatte Wallenjtein Recht oder nicht, wenn
er behauptete: „Der aus Baiern bat die anderen Kurfürjten an fich
gehenft — er wollte allein gern dominus dominantium im Reich ſein“ —?
Und weiß Gindely, indem er an derjelben Stelle die Klage erhebt, daß
„der kaiſerl. General ein gutes Einvernehmen mit Tilly gleich im Beginn
der Braunfchweiger Friedensverhandlungen durch den verlangten Vortritt
hinderte” — weiß er ſchon nicht mehr, daß er jelber kurz vorher (I, 67 fg.)
dem fraglichen Widerfpruche Wallenjtein’s gegen die Anmaßung Tilly's in
Angelegenheit des ftrittigen Vorranges der Subdelegirten auf dem Tage
zu Braunjchweig ausdrücklich zugejtimmt mit den Worten: „die Rich—
tigfeit diejer Einwendung ließ jich nicht beſtreiten“ —?
Hat er denn Feine Ahnung, wie überaus komiſch es wirken muß,
wenn er (I, 282 fg.) fo ernjthaft und jo umftändlich wie nur möglich von
der großen und lebhaften Debatte berichtet, die auf dem Ligatag zu Würz—
burg über die — Titulatur geführt wurde, „deren man ſich gegen den
verhaßten Mann (Wallenftein) bedienen follte" —? Wahrhaftig ein köftliches
Bid: Kur-Mainz, Trier und Cöln und Baiern, Sachſen und Branden-
burg im Heftigem Wortfampf gegeneinander, ob Friedland, der Herzog,
nicht nur als „Freund“, ja in Gottes Namen, wozu man dem ZTodfeind
gegenüber herzlich gerne bereit war, als „befonders lieber Freund,"
fondern auch als Herr und Freund” u. dgl. begrüßt werden dürfe. Da
= I
wird es Einem in der That ſchwer gemacht, nicht eine Satyre zu jchreiben,
jo etwa nach berühmten Muſter die Barodie:
„Schmähend mit viel böjen Reden
Ihres Kaiſers General
Saßen viele deutſche Fürſten
Einſt zu Würzburg in dem Saal.“ .. n. ſ. w.
Wie gigantiſch hebt ſich gegen dieſe Pygmäen die Perſönlichkeit
Wallenſtein's ab. Er kannte die Fürſten und ihre Stellung ihm gegen—
über. Es ſind packende Worte, die wir nach Jahren über dieſes Verhältniß
aus ſeinem Munde vernehmen: „Daß ich im Reich verhaßt bin, das
geſchieht aus der Urſach, daß ich dem Kaiſer gar zu wohl gedient hab
wider ihr vieler Willen. Daß ich mit großer Macht Frieden machen will,
das iſt Raiſon, denn si vis pacem, para bellum." .. „Wollen ſie Krieg
führen und menagiven, dem Neich aber Gufto und nicht Disgufto durch
die Einquartierungen geben, jo fuchen fie ſich unſern Herrgott zum General
und nicht mich!" . . . „Die Kerls bedenken nicht die futura jondern die
praesentia und wijjen doch, wenn der Kaiſer perielitirt, daß jie verloren
jind." — Ganze, lange Capitel in dem Buche Gindely's werden mit diejen
einen Worte wie eitel Spreu hinweggeblajen.
Es kommt nicht oft vor, daß man in diefem Buche poetijchen An—
wandlungen ausgejegt wäre. Das macht vor Allem Gindely’s Manie, bei
jeder Gelegenheit fein Zalent als Rechnenkünſtler leuchten zu laſſen.
As jolcher zählt er nicht nur, wie wir gejehen, das heivenmäßig viele
Geld, das Wallenjtein verdiente oder eigentlich nicht verdiente und doch in
jeine Taſche fteckte; er zählt auch die Truppen, die unter Wallenjtein und
Tilly jtanden. Nur ift er aud) hier wie überall bis zum Exceß parteitich.
Um zu erhärten, wie jehr Wallenftein im Unrecht war, im Sommer 1626
der Liga nicht den größten Theil feines Heeres zu überlaſſen, wird ohne
weitere Zählung jchlanfweg erklärt, daß Tilly dem Feinde gegenüber „zu
ſchwach,“ Wallenftein aber „allzu ſtark“ war (I, 97). Als ob ein
Kriegsheer im Angefichte des Feindes überhaupt jemals „allzu ſtark“ jein
könnte. Gindely hindert das nicht, gleich darauf zu erhärten, daß Tilly
mit Rückſicht auf jene Truppenzahl das Necht gehabt hätte, viel größere
Quartiere zu beanfpruchen als Wallenjtein. Zwar heißt es (I, 307): „wie
groß die effective Stärke der Ligijten war, ijt unbekannt“ (beiläufig gejagt
gibt es recht gute Quellen, denen das wohlbefannt ijt); . . . . jo viel ijt
aber erjichtlih, daß die Zahl der kaiſerlichen Negimenter dreimal jo groß
war, wie die der Ligiſten.“ Man jollte glauben, daß das gegen das legt:
erwähnte Begehren Tilly’s jpräche. Gindely weiß fich zu helfen und jegt
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 2. Heft, 9
— 130 —
nachträglich (II, 344) auseinander: da die kaiſerl. Regimenter „nie complet
waren" (mer jagt ihm, daß die Figiftifchen es jemals waren ?), „oft
ichwindelhafte Betrügereien getrieben wurden, jo kann man mit Grund
vermuthen, daß der Effectivftand der Ligiften verhältnißmäßig
ftärfer war al3 der der Kaiferlihen" — „verhältnißmäßig", was im
gegebenen Fall allerdings gar nichts beweist, in den Augen Gindely's aber
vollauf genügt, das in der Begründung zwar nur „vermuthete" Mißver-
hältniß in der Konchufion dennoch als etwas Thatſächliches hinzuſtellen.
Wie käme man fonft zu einem Verſchulden Wallenftein’s ?
Und trogdem entgeht ihm, wo eine Schuld — im Sinne Gindely’s
— ſich vielleicht finden ließe, der jchon auf feiner Hand liegende Nachweis
diefer Schuld. Er rechnet es Wallenftein zum Verbrechen an, daß er
figiftifche Officiere von bejonderer QTüchtigfeit, wie Bappenheim und den
Grafen von Anholt, für fein eigenes Heer zu gewinnen fuchte, freut ſich
aber darüber, daß hier der Liebe Mühe umſonſt gewejen, denn nach feiner
Meinung (I, 153) „gelang es ihm mit feinem von Beiden." Zum Be:
weife deifen werden Chlumecky’s Negeften, Seite 149, angeführt. Hätte
Gindely in demfelben Werke nur ein bischen weiter geblättert, jo hätte er
dafelbit (SS. 154, 157, 191, 211 fg.) erfahren, daß Johann Jacob
Brondhorft Graf von Anholt in der That im Jahre 1629 in kaiſerlichen
Dienften ftand, zwei Cavallerieregimenter auf einmal für Wallenftein warb
und auf feinen Befehl im April 1630 dreitaufend Mann nad alien
ſchickte. Anderwärts hätte er auch das Beftallungsdecret dieſes
Grafen Anholt zum Faiferlihen Feldmarjchall ddto. 20, October
1629 finden können und wieder anderwärts das Factum, daß Anholt ein
Jahr fpäter gejtorben. Doch das find Lappalien.
Woher nimmt Gindely die Beweife für die unzählige Male wieder:
holte Verdächtigung (I, 197, 208 ꝛe.; II, 24, 375 x), daß alle, die
Wallenftein bei Hofe einmal das Wort zu veden fuchten oder auch nur zu
reden Schienen: ein Queftenberg, ein Graf Werda, Fürft Eggenberg, ja
jelbft ein Pater Lämmermann und der Abt von Kremsmünjter, der
nahmalige Bifhof von Wien, ohne Ausnahme von ihm, dem Fried:
länder, durch ſchnödes Geld bejtochen waren? Woher dafür (I, 225),
daß Wallenftein im Februar 1627 den Boften eines Statthalters von
Böhmen und (I, 98 2c.) fast gleichzeitig au) die Kur Brandenburg
haben wollte? Woher endlich weiß er, daß Wallenjtein, wie gleich eingangs
mit Befriedigung hervorgehoben worden, den Wahnwitz jo weit getrieben
(II, 24 fg., 375), bereits im Jahre 1628 daran zu denken, jich über furz
oder lang jogar zum deutſchen Kaijer aufzuwerfen? Er hat für das
— 121 —
Alles Fein anderes Zeugniß, als daß nicht blos Diejer und Jener
jondern „auch zahlreiche andere Berjonen diejelbe Beichuldigung
ausgejprochen." — Heißt das beweijen? — Ich kann nur mit Gindely’s
perjönlichem Freunde fprechen: nicht blos nach eines Einzelnen Erachten
jondern vielmehr nach allgemeinsmenjchlichem Moralgejeg „geben Hundert
Berleumdungen nicht ein Quentchen Wahrheit und hundert Muthmaßungen
nicht ein einziges Zeugniß.“
Das jo denkwürdige Gutachten der Faiferlichen Geheimen Rathe über
die Frage der Entlaſſung des oberſten Feldhauptmannes, erjtattet zu Regens—
burg am 5. Augujt 1630, eine als Ganzes wie in allen ihren Theilen
prächtige Apologie der Geſammtthätigkeit Wallenjtein’s während feines
erjten Generalates, weiland von Friedrich Hurter bis zur Unkenntlichkeit
und Unkedentenheit verftiimmelt, von Ottokar Lorenz wieder zu Ehren ge:
bracht, wird unter Gindely’s Händen (I, 287) durch Fünftliches Drehen
und Deuteln in eine fulminante Anklagejchrift verwandelt. Um aber
diefe Methode bis an die äußerſte Grenze feitzuhalten, wird zum Schluß
der gefallenen Größe nach altem Brauch ein ganzer Hagel von Steinen
nachgeworfen: „In feine nunmehrige Zurückgezogenheit,“ jagt Gindely
u. A. (I, 305) von dem „geweiten" Feldhauptmann, „folgte ihm nicht die
Achtung und Bewunderung zahlreicher Anhänger, denn er hatte Raubge—
noſſen, aber feine Freunde und Verehrer gefunden." ..
Wer wüßte nicht nach einigem Studium des Yahres 1630, welchen
gewaltigen, . betäubenden Eindruck das Regensburger Ereigniß im ganzen’
faijerlichen Heerkörper und weit darüber hinaus hervorrief. Bedarf es da
erjt noch eines Citates? „Obwohl alle diejenigen, jo vielfältige Gnaden
von Eurer Fürſtl. Gn. empfangen, aber daß E. F. Gn. fich der ſchweren
Laſt abgethan, fich hart betrüben, jo Halte ich doch dafür, daß es feinen
mehr an’s Herz geht, als meiner wenigen PBerjon, denn ich gewiß Urjachen
unzählig, die mich zu trauern bewegen, . . denn feinem Potentaten in der
Welt werde ich lieber dienen al8 Eurer Fürftl. Gnaden.“ So jchreibt der
ehrliche Oberjt Yohann von Götz am 6. October 1630. — „Es ift zu:
fürderjt Gott und .. E. Fürftl. Gn. felbjt, wie männiglich bekannt, daß
aus feinen anderen Urjachen ich mich bei der römiſch kaiſerl. Armee bis
dato aufgehalten, als nur aus unterthäniger Affection und zu gehorjamjten
Dienften zu E. Fürjtl. Gn. Nun ich aber vernommen, daß E. Fürftl.
Gn. bei der Armee nicht länger fein wollen, als iſt mir's auch nicht
rathjam gewejen, dabei zu verbleiben.” So jchrieb wenige Tage ſpäter
Haus Friedrich von Sparr, der General-Quartiermeifter, und nahm die
Entlafjung. — Seinem Beifpiel folgte mit vielen Anderen Oberjt Heinrid)
9*
— 12 —
von St. Julien. — Und ganz gleichzeitig berichtet ein Vierter: .. „Die
Herren gebrauchen das Interregnum und jegnen fich mit dem Kreuze, weil
fie e8 haben. Ich bejorge, daß ich jonder Unglück jchwerlich aus diejer
Gejellfchaft gerathe; die Leute find jo plump eigennützig. . . Daß Jeder
mich ſoll commandiren und doch daneben nichts verjtehen, iſt mir unge—
legen. Weil ich das Leben habe, verbleibe ich Eurer Fürftl. Gn. unter:
thäniger, gehorfamer Diener — Heinrich Hol." Nur Wallenſtein's Tebhafte
Vorſtellung vermochte den waderen Holt bei der Armee zu bleiben, was
er mit Widerftreben verjprach, „der ganzen Hoffnung, daß E. %. Gn. nod)
einmal fich unfer armen Berlafjenen entweder annimmt oder auch uns zu fich
an andere Derter abfordert." . . Diejelben dringenden Wünjche äußert der
Seneralwachtmeifter Johann Virmont v. der Neerjen, ein ebenfo braver
Soldat: „Ich verhoffe, E. F. Gn. werden ſich Ihrer verlaffenen Lands:
fnecht bald gnädigjt wiederum annehmen, oder ich werde des Krieges müde."
— Nicht anders laſſen jich Eajpar von Gramb, Commandant in Wismar,
und Feldzeugmeifter Hannibal von Schauenburg vernehmen — „In
summa,* jchreibt Burggraf Hannibal von Dohna kurze Zeit darauf, „es
ift bei Ihrer Majeftät Armee anjego fein Reſpect jondern die höchſte Con-
fufion, da E. Fürſtl. Gn. uns verlaffen. Will deromegen vom Herzen
wünfchen” u. ſ. w. — „Jetzo befiehlt Jedermann,” feufzt Oberjt Wolf Rudolph
von Oſſa. Und ſchon in der erjten Hälfte Januar's 1631 weiß Marimi-
lian, des Herzogs Vetter, aus Wien zu melden: „Der Fürſt von Eggen-
berg ſchreibt mir, daß Ihre faijerl. Majeſtät und alle Ihre Räthe
bereits erkennen, was fie an Eurer Hoheit verloren haben." — Hans Georg
von Arnim, vor Kurzem noch Faiferlicher Feldmarfchall, nun im Begriffe,
in ſächſiſche Dienſte zu treten, Schreibt (6. October 1650) an Oberſt Wen:
giersfy auf die erfte Nachricht von Wallenftein’s Abdankung, es werde die:
jelbe „in ganz Kurzem ſowohl bei der Armee als auch fonften große Alte
ration bringen... Gewiß, Ihrer kaiſerl. Majeſtät Dienft hätte ein Anderes
erfordert. Doc) ijt Gott der Allmächtige wunderlich in feinem Rathe.“ . .
Haben die aufgezählten Namen, die-ich beliebig vermehren könnte,
für Gindely fein Gewicht, jo wird er dies Anderen doc) wohl nicht ab-
jprechen Fünnen: Männern wie Gottfried Heinrih v. Bappenheim und
Dctavio Piccolomini. „Ich verfichere Eure Herrlichkeit,“ jchreibt Diejer
aus Chierasco an Et. Julien, „daß id) feinen größeren Troſt auf der Welt
empfände, als wenn ich jehen jollte, daß der Herr Herzog von Mecklenburg
jein früheres Commando wieder übernähme. . . Ich weiß, wie viel id) der
Leutjeligfeit (gentilezza) jenes Herrn jchulde, und bin begierig, dies durd)
Thaten wahrer Erfenntlichkeit zu bezeugen.” — Kein Anderer aber als der
— 13 —
ligiſtiſche Feldmarſchall ift es, der fich zu jeinem väterlichen Freunde und
Lehrer im Friedländer Haufe zu Prag in dankbarem Bertrauen äußert:
„Eurer Fürftl. On. hätte ich dieſe Zeit hero von unferem guten Zuftand
gern berichtet, jo jcheint aber, e8 jeien mit Eurer Fürftl. On. Perſon alle
gute Succeß zugleich von uns gewichen. Und ob ich zwar derojelben
methodum fleißig obfervirt, den Feind mit Macht bei Zeit zu überjegen,
ihn nit zu verachten noch in consiliis jo vermeſſen zu fein, aufs Treulichſte
gewarnt und demonftrirt, auf was Weiſe Eure Fürftl. Gn. durch. Ueber:
jegung des Feindes das ganze römische Neich bezwungen und im Zaume
gehalten haben: jo bin ich doc) dariiber mehr verlacht als geglaubt worden.
Jetzt aber, da es zu ſpät und die Kuh aus dem Stall, befennt man, daß
fein beijer, ja fein ander Remedium ift." . .
Sp zeigt ſich denn Schritt fir Schritt in Gindely’s „Forſchung“ die
baare Unhaltbarkeit, der abjolute Mangel an jenem reinen Wahrheits-
jinn, ohne welchen eine objective Gejchichtjchretbung nicht gedacht werden
fann. Nur feine Unzulänglichfeit vermag ihn gegen ein nod) ganz anderes
Brandmal zu ſchützen; fie allen — die Unzulänglichfeit — kann ihn ent-
Ihuldigen, obwohl fie durhaus verſchuldet ift, denn Gindely hatte die
Acten und Drucdjchriften, aus denen er ſich eines Befjeren belehren konnte,
zum großen Theil vor ſich, er brauchte nur zuzugreifen. Und damit
qualifieirt ji) ganz von felbjt feine Methode, deren Abſichtlichkeit ſich
nie und nirgends zu verbergen fucht, als ungeheuerlihe — —. Sapienti
sat. Der Vorwurf, den er gegen einen der veblichiten Menſchen und
Forſcher zu jchleudern wagt (I, 207), fällt auf ihn ſelbſt zurück.
Wohl wäre es Pflicht, aud) über die Form des Gindely’schen Buches
ein Wort zu verlieren. Sch will fie nur ftreifen, um eine allgemeine that-
jächlihe Bemerkung daran zu knüpfen. Wie ein aufmerkſamer Beobachter
unferes (dfterreichifchen) Parlamentarismus ji der Wahrnehmung nicht
wird verichliegen können, daß die Gewandtheit in der Beherrichung der
deutschen Sprade, die wir vor zwanzig und noch vor zehn fahren an
tichechifchen Rednern im Neichsrathsiaale oder in der Landtagsftube auf:
richtig anerkannt, allmälig verloren zu gehen fcheint, indem fich in deren
deutjchen Neden wider Willen, doch immer auffälliger und ftörender das
Idiom ihres täglichen Umganges geltend macht: jo muß ein ähnlicher Uebel-
jtand feit Jahren auch auf literariſchem Gebiete conjtatirt werden. Unfere
böhmischen Gelehrten tichechischer Herkunft verlernen allmälig die Fertigkeit,
ein richtiges, gutes Deutjch zu jchreiben. Ein Beweis hiefür Gindely, defjen
erjte Bücher in Bezug auf Stil mit Recht als beinahe tadellos angefehen
wurden; jein Stil aber hat ſich fortwährend verjchlechtert. In feinem legten
*
— 134 —
Werfe wimmelt es von Tichehismen. Wie fiir die hiftorische Wahrheit hat er
feinen Sinn mehr für den Geijt der deutjchen Sprache. „Die Darlehen
von Perſonen, die fih an dem Aufjtande nicht betheiligt hatten und
zurüdbezahlt werden mußten," heißt es Band I, 25. „Von dem
Abbruch der Braunſchweiger Friedensverhandlungen bis auf den Ab-
marſch Waldftein’s nach Schlefien” J, 82) Klingt ebenfo gut „böhmiſch“
wie die Erzählung (an derjelben Stelle), daß „Tilly und Waldftein auf
einander Anfprüche wegen der Cooperation im Kriege ftellten."
Dffenbar weiß Gindely nicht, was das altveutiche „in die Harre“ (d. h.
auf die Dauer) zu bedeuten Hat; er macht (I, 155) „in die Haare” und
„im den Härrn“ daraus. Da kann es freilich nicht wundern, (II, 169)
zu hören: „Dem Magdeburger Rath wurde je länger je ängftlicher
zu Muthe.” Wie lange dem Nathe überhaupt „zu Muthe war,” wird nicht
gefagt. — Und fo fommen wir nicht aus dem Staunen bis zur legten
Capitelüberfchrift (II, 307 fg): „Die Ergebniffe der Waldfteinforfchung
während der Jahre 1625—30.”
Genug des Details. Wohl Niemand wird Berlangen tragen, dejjen
mehr zu erfahren — nicht einmal Gindely. Wie aber nach alledem die
Geſammtauffaſſung des Gegenjtandes bejchaffen, der in Gindely's
Buche zur Darjtellung gelangen foll, ist unjchwer zu errathen. Da ijt fein
Aufblid zur Höhe und zur Größe: nur Fleinlicher Haß und Neid, Sceel-
juht und widrige Nergelei fommen zur Geltung! Und doch war Gin:
dely vorjichtig genug, feine „Funde” aus den Vorzimmern der faiferlichen
Hofburg von vornherein gegen Eines in Schuß zu nehmen (I, 11): „Une
begründete VBermuthungen und Klatjchereien fanden bei ihnen
feinen Raum.” Und doch kann ſogar er nicht immer leugnen, daß der
ſpaniſche Gejandte „nur geflunfert” (I, 59); daß ein Bericht des
päpftlichen Nuntius „an innerer Unwahrfcheinlichfeit Teidet“
(I, 85) oder daß Leufer und Padavin und Wahlenberg -— feine beiten
Fundgruben — „Diesmal nicht genau genug unterrichtet find“
(I, 161) u. f. w,, u. . w.
Und jo kann er auch nicht vertufchen, daß, fo oft dev von den Hof.
Ihmarogern und Federhelden fortwährend aufs Aeußerjte befchimpfte und
verdächtigte Feldherr und Staatsmann bei Hofe in eigener Perfon erjcheint
oder ſich nur in deſſen Nähe zeigt, alle Verdächtiger und Schimpfer, gleich—
wie die Fröjche im Sumpfe, plötzlich verjtummen und Wallenftein nach)
oben wie nad) unten nicht blos ſich volljtändig klaglos zu ftellen weiß,
jondern auch in der Faijerlichen Gunft immer nur Höher fteigt. Kaum
hatte er, der Vielgefhmähte und Geläfterte, in der merkwürdigen Entrevue
— 15 —
zu Brud an der Leitha am 25. November 1626 des Kaifers Abgefandten
fich offenbart und ihnen fein militärifches und politisches Programm ent-
widelt, und Gindely muß gejtehen (I, 168): „Gewiß ift, daß in Wien die
Unzufriedenheit über die Kriegführung Waldſtein's jegt ein Ende nahm.”
— Noch widerhallte der Hof im Frühjahr 1627 von dem Gezeter, mit
dem „alle Welt, die Freunde und Feinde des Kaifers, . . das autofratische
Benehmen Waldftein’s, jeine Nichtbeachtung der Faijerlichen Intereſſen und
Wünſche verurtheilte, über ihn jpottete oder klagte“ (I, 208) — fogar die
ſchwere Krankheit, in die er verfallen war, wurde als „nur fingirt” bezeichnet
(I, 207) und „zu jonderbaren Vermuthungen“ ausgebeutet (I, 217 fg.) —
und Schon muß jein ärgſter Verdächtiger und Berleumder, Padavin, ſich
gründlich jelbft desavoniren und nah Haufe berichten (I, 226 fg.):
„Bevor Waldftein bei Hof anlangte, hat Jedermann über ihn geichimpft.
Heute läßt Niemand mehr feine Stimme ertönen, er felbjt aber rechtfertigt
jein bisheriges Vorgehen und beruft fid) auf die dringenden Umſtände, die
e3 unmöglich gemacht, den Befehlen des Kaifers zu folgen, weil dies
nur zu feinem größten Nachtheil hätte geſchehen können.“
— Und abermals (I, 362): „AlS Triumphator fehrte der General im
December 1627 nad) Böhmen zurüd, angeftaunt von feinen Landslenten
und beneidet von feinen früheren Standesgenoffen, die ihm auf Schritt
und Tritt übel nachredeten” — richtiger: übel nachgeredet Hatten. Der
Kaifer aber lohnte den kurz vorher als Feigling Gefcholtenen mit dem
Herzogthun Medlenburg und dem Titel eines „Seneral-:Oberjten-Feld:
hauptmanns, wie auch des Oceaniſchen und Baltiſchen Meeres Generalen.“
Sindely hat Fein Auge fir das Ganze, noch weiß er für fi) und
jeine Zejer die Hauptmomente von dem Unmejentlichen und Bedeutungs-
lofen zu fcheiden und klar zu machen; ev ift und bleibt vom Anfang bis
zum Ende in der Fluth feiner famoſen Gejandtichaftsberichte gänzlich
verfunfen. Kein Wunder, daß die mehr als achthundert Großoctav-
Seiten feiner Publication nicht einmal ein nur ungefähres Bild der äußeren
Kriegsbegebenheiten des beiprochenen Zeitraumes liefern, denn ebenfo wie
über Wallenſtein's geheimfte Gedanken weiß er in der Regel auch iiber die
jeweiligen Borgänge auf dem Kriegsichauplage lediglich aus den Wiener
Berichten diplomatijcher Agenten gefärbte und getrübte Nachricht zu geben.
Ich wiederhole: auch ſolche Berichte haben ihren bejonderen Werth. Wie
irgend Einer weiß ich die unnachahmliche hiftorifche Kunſt Leopold von
Ranke's in der Berwerthung jolcher Quellen zu jchägen, ja zu bewundern.
Was aber Gindely hier geliefert, ift beileibe Feine Kunft, ift höchjtens ein
Kunſtſtück, das wunderliche Kunſtſtück, ein- für allemal überzeugend dargethan
zu haben, wie man Geſandtſchaftsberichte nicht verwerthen foll und darf,
will man den Auf eines Hiftorifers nicht für alle Zeit verwirfen. — „Ein
Unglüd für den Lebenden, daß er eine fiegreiche Partei ficy zum Feinde
gemacht; ein Unglück Fir den Todten, daß ihn diefer Feind überlebt und
feine Geſchichte jchrieb!* Nie it mir die ganze Kraft und Tiefe
diefer Worte Schiller’s, des Hiftorifers, jo vor die Seele getreten als bei
der Lectüre des jüngften Werkes Gindely’s, feiner zweibändigen Schmäh:
ſchrift „Waldjtein .. im Lichte der gleichzeitigen Quellen.” Er darf ftolz
darauf fein: er hat die gejchichtichreibenden Feinde Wallenſtein's alle über:
trumpft; in folcher Erbärmlichkeit und Niedertracht erjchien diefer Wallen:
jtein noch bei Keinem — Keinen.
Ich verkenne nicht die gute Seite der Leiftung Gindely's; am Ende iſt
auch ihr eine folche nicht abzujprechen. Es iſt ein eigenthümlicher Gejchmad,
ſich nur mit unfauberen Dingen zu befajjen; und doch muß es wohl aller:
wärts auch ſolche Käuze geben, denen die Arbeit zufällt, dem Schmuß und
Roth, an dem es ja nirgends fehlt, ihre ganze Aufmerkſamkeit zuzumwenden.
Die Sadje wird um fo [öblicher, wenn fic Einer findet, der dies Gejchäft
aus freien Stüden und noch dazu mit ungeheucheltem Behagen verrichtet.
Sp ijt e8 denn Gindely’3 Verdienſt um die Wallenftein-Literatur, allen und
jeden Kehricht ilbler Nachrede, Verdächtigung und Berleumdung, der fich
im Laufe der Fahre in den verjchiedenen zugänglichen Staatsarchiven über
Wallenjtein’S erjtes Generalat angehäuft, in einem zweibändigen Druckwerk
ziemlich chronologijch zufammengefchrt und der Nachwelt aufbewahrt zu
haben, um dadurch — jo recht „ein Theil von jener Kraft, die jtets das
Böſe will und ftets das Gute Schafft" — endlich einmal Gelegenheit zu
bieten, die Anjchuldigungen alle der Neihe nach definitiv zu widerlegen und
jo, wie er gewollt, mw in verkehrter Richtung, „die Wagjchale
endgiltig nach einer Seite finfen zu machen.” Seine, richtiger feiner Agenten
Unwahrheit — das ift das Facit — vermag zulegt ja doch, Alles in Allen,
nur Eines zu bewahrheiten, den Ausspruch feines Helden: „Ich habe mehr
Kriegs mit etlichen ministris als mit allen den Feinden.“
Wallenſtein's Sturz im Jahre 1630 war der volljtändige Sieg der
Feinde deutjcher Größe und Neichseinheit; das geht aus Gindely’3 Publi—
cation für Jedermann, nur nicht für Gindely, fonnenflar hervor. Ein
Jahr genügte, den Kaifer jelbjt, der das entjcheidende Wort gejprochen
hatte, davon zu überzeugen. Er fitgte der Stelle in dem erwähnten
Protofoll des Eonfidenzrathes über die Entlafjung Wallenjtein’s, die auch
der möglichen Folgen diejes Schrittes in militärischer Hinficht dachte, nad)
Jahr und Tag mit eigener Hand die bedeutungsjchwere Gloſſe bei:
— 137 —
„D Jammer, das haben wir an dem unglücjeligen 17. September 1631
vor Leipzig erfahren und erfahren's noc heute mit unverwindlichen
Schäden!" — Undeutſch in feinem ganzen Wefen, fonnte ein Gindely nach
mehr als dritthalbhundert Jahren die Tragweite jenes größten Yehlers
Ferdinande'iſcher Politif nicht ermeſſen. Sein Buch iſt ein Pamphlet
und feine Biographie; die Earicatur, die er gemalt, ijt alles Mögliche,
nur nicht der „Wallenstein“ der Geſchichte, ift eben weiter nichts
als — Gindely’s „Waldftein.“
Zu dem Gedidte Ludise und Lubor in der
Königinhofer Handſchrift.
Bon Dr. Joh. Knieſchek.
Su dem um die Echtheit der Königinhofer Handichrift (Kh. HT.)
neu entbrannten Kampfe hört und lieft man oft genug den Vorwurf, wir
Dentfchen Tiefen uns in unferem Urtheile über jenes Werft nur von ein:
feitig nationaler Voreingenommenheit und nicht von dem Gewichte der
Gründe beftimmen und ftehen darum unbedingt in den Reihen der Gegner.
Die zwei Erfordernijje, die ein befannter Slawiſt von jedem verlangt
der die Kh. Hſ. in ihrem vollen Werthe erfaſſen will, können wir freilid)
nicht aufweifen: nämlidy daß man tfchechiich fühlen und womöglich aud) ein
bischen Deutjchenhaß befigen müſſe. Aber jo blindlings laſſen wir uns in
unferem Urtheile nicht von den erjten beſten Gründen leiten, vielmehr ver-
langen wir ihrer recht viele, je mehr deſto beſſer. Daß wir unfere Kräfte
nicht einfegen zur Mettung eines Werkes, das von wilden Deutjchenhafje
durchfättigt ift, das im Vereine mit andern Fälſchungen in erfter Reihe
mit dazu beigetragen hat, den Gegenjag zwifchen Deutjchen und Tjchechen zu
verschärfen, ijt jehr natürlich. Die Kh. Hf. hat fi als das bejte Lehr—
buch des nationalen Chanvinismus bewährt, und eben darum will man
unbedingt an die Echtheit der Hf. glauben und nichts hören von al den
Gründen, die Schon im Uebermaße gegen diejelbe vorgebracht worden find.)
Ich werde diefelben durch meine nun folgenden Darlegungen nicht
vermehren, vielmehr will ich nur eine Behauptung Feifalifs, die derjelbe
1) Es ift ein erfreuliche3 Zeichen, daß neueſtens jüngere tichechifche Gelehrte die
Echtheit der Rh. Hi. mit wiſſenſchaftlicher Objectivität unterſuchen. Nur ift es
nicht zu billigen und der Sache gewiß einträglidh, wenn zufällige belangloje
Privatgefpräche in die Polemik gezogen werden. In wilfenfchaftlihen Fragen
jollen nur wiſſenſchaftliche Gründe enticheiden. Anm, d. Red.
— 18 —
in feiner Schrift „über die Kh. Hſ.“ mehr angedeutet als ausgeführt
hat, in ein jchärferes Licht jegen. Ich merke überhaupt, daß diefer Gelehrte
ſchon im J. 1860 ziemlich alles vorgebracht hat, was an gemichtigen
Argumenten gegen die Echtheit diefes Denfmales jich finden ließ, wenn auch
vielfach nur die Nefultate feiner Forſchung hingeſtellt find ohne die Details
der Ausführung. Die Zeit mit ihren Fortjchritten auf allen Wifjensgebieten
beweijt immer deutlicher, daß Feifalit3 Ausführungen in den Hauptpunkten
richtig find und daß die Brüder Jirekek in ihrer Vertheidigungsjchrift „die
Echtheit der Kh. Hſ. Fritiich nachgewieſen“ feinen derjelben zu entkräftigen
im Stande waren.
Meine Erörterungen betreffen das Gedicht Ludise und Lubor oder
„von einem berühmten Turniere“.) Wie der Titel anzeigt, will das
Gedicht ein Kampffpiel am Hofe eines namenlofen flawifchen Fürſten
hinter der Elbe (kndz zälabsky) behandeln. Das erjte Näthfel, das
unlösbar dajteht, ift, daß das Gedicht in die Gejellihaft der Volkslieder
gelangen konnte. Es ijt uns ſonſt fein Beifpiel bekannt, daß ein Ge—
dicht jo rittermäßigen Inhaltes wie das vorliegende in ähnlicher Weife
unter dem Volke gefungen worden und verbreitet geweſen wäre, wie etwa
Dichtungen mythiſch- und hiftorisch-fagenhaften Gehaltes. Der jchroffe
Gegenſatz zwijchen der Bauernjchaft und dem Ritterthume, der gerade in
Böhmen im 13. 35. befonders jcharf in die Augen fpringt, läßt von
vornherein den Gedanken nicht auffonmen, daß die Verherrlihung eines
Ritters, der ſich in einem Nitterjpiele hervorgethan, auch nur von einem
einzigen Bauern ohne Widerwillen wäre angehört worden. Aber auch in
ritterlichen Kreiſen konnte das Gedicht nicht vorgetragen worden fein, ohne
das jchallende Gelächter der Zuhörer zu erregen, wie Feifalif treffend jagt.
Das Gedicht bekundet eine Unkenntuiß vitterlichen Weſens und vitterlicher
Sitte, wie jie unmöglich bei irgend einem Zeitgenoffen der Nitter voraus:
gejegt werden darf, Ein folcher hätte in den Fahren 1260—80 reichlic)
Gelegenheit gehabt, die gerühmte Kunjtfertigfeit der böhmischen Ritter im
Zurniere kennen zu lernen. Allerdings jucht der Berfafjer feine Unkenntniß
durch vorfichtiges Schweigen und Fuge Wortfargheit zu verjchleiern, troß-
dem aber verräth er noch in jeder Zeile feine Unwiſſenheit.
Sp verjchweigt er den Namen des Elbefürjten (V. 3 biese druhdy
knez zälabskf, es war einjt ein Fürſt jenjeits der Elbe) und deſſen
Wohnfig (V. 16 f. by se päni vöici sneli na hrad na hody velike,
1) So überfett Feifalik „o slavnem södänie“; J. Firecek (in feiner Ausgabe der
Grüneberger und Kgh. Hfch. vom Jahre 1879) „das feitlihe Rampfipiel“. Ich
werbe unten nachweiſen, daß beide Ueberjegungen falich find.
— 139 —
daß fich all die Herren verfammeln auf der Burg zu großem TFeftgelage);
es ijt ihm unbekannt, daß für Zurniere der Montag der geeignetjte Tag
ift. Von den Rittern, die zu dem Feſte erjcheinen, weiß er gar nichts
zu fagen,') während fonjt die ritterlichen Dichter gerade bei jolchen
Gelegenheiten ihre ganze Kunſt aufboten, um die Pracht der Ritter zu
jchildern. Bei dem Gelage werden „jonderbare Speiſen“ (V. 28 je-
denie diva) und „Honiggetränke“ (pitie mednä) aufgetragen. Sollten
diefe Speijen und Getränfe feine näher bezeichnende Namen geführt
haben? Bon den einzelnen Kämpfen erfahren wir nur das Aller:
nothdürftigfte. Unter welchen Bedingungen diefelben jtattfinden, weiß der
Verfaſſer jedenfalls jelbjt nicht, Wenn das Feſt wirklich dichterifcher
Berherrlihung jo würdig war, wie der Berfaffer in den Anfangszeilen
mit vollem Munde verfündet,?) jo werden doch wohl auch die Fahrenden
nicht gefehlt haben; denn bei jolchen Gelegenheiten fielen ihnen immer
reihe Gaben zu. Aber auch hievon nichts. Das ganze Turnier war in
der That zu erbärmlich, ein fahrender Sänger hätte dem beiten Helden in
der ganzen Verſammlung, dem Lubor, nicht ein Wort des Lobes zu jagen
vermocht. Vergebens fuchen wir in dem Gedichte auch nach all’ den Luft:
barfeiten und Unterhaltungen, die mit einen feierlichen Turniere verbunden
zu jein pflegen.?) Kein Sänger, fein Mufifant — ausgenommen die
officiellen Zrompetenbläfer und Paukenſchläger — Fein Jongleure, Fein
Seiltänzer oder anderer derartiger Künftler ift an dem ſlawiſchen Fürſten—
hofe zu treffen. Doch dem ift nun nicht abzuhelfen: der Dichter hat uns
dies alles verfchwiegen, wir müſſen ung damit befcheiden.
Das Gedicht beginnt nach zwei einleitenden Verſen mit einer Scil-
derung der Schönheit der Ludise, der Tochter des ungenannten Sfawen:
1) J kda2 be den ustaveny Und als der beftimmte Tag da war,
enöchu s& söm väiei päni fammelten ſich hier alle Herren
z daloych zemi, z dalnych aus fernen Landen, aus fernen Heimats—
vlasti gauen
na hrad knözu na sie hody. auf der Burg beim Fürften zum Gelage.
2) V. 1 f. Znamenajte stari mladi PVernehmet Alte und Junge
o potkäch i o södäni von Ringen und vom Zweifampfe.
Ich bemerke, daß Firecef in der Schon angeführten Ausgabe der Königinhofer
Handſchrift o södäni mit „von Kämpfen“ überſetzt. Dies ift falſch. sedani
ift singul. loc. nicht plur., ferner bedeutet sedani nicht „Kampf“ fondern
„gweilampf”.
3) A. Schuls, das höfifche Leben zur Zeit der Minnefinger. Lpzg. 1880, Bd. II.
Seite 124, Aum. 3,
— 10 —
fürften jenfeit3 der Elbe’) Man follte meinen, es gelte die Hand diefer
ihönen Jungfrau als Preis zu erringen, wie im Bartonopier dv. Kour. vd.
Wirzburg (V. 16394— 17362). Dem ift aber nicht jo. Das Merkwürdigſte
in unferem Gedichte ift, daß die Ritter nicht einmal erfahren, daß es zu
einem Turniere gehe. Sie werden blos zu einem Feſtgelage eingeladen.
Erit während des Schmaufens eröffnet ihnen der Fürſt den eigentlichen
Grund der Einladung.?) Der Dichter diefer Zeilen hatte offenbar feine
Ahnung, welche Vorbereitungen nöthig waren, um würdig auf dem Kampf—
plaße zu erjcheinen.
Mindeftens drei Wochen vorher pflegte man landeskundige Knappen
auszufchiden, die die fürmlichen Einladungen an bejtimmte Berjonen bringen
jollten. Zeit, Ort, Bedingungen, Urheber und Preis (wenn ein ſolcher
ausgefegt war) des Turnieres mußten genau genannt werden. Das hieß
man „den turnei schrien“.?) Der Geladene ſammelte fein Gefolge und
1) V. 5 fl. ten (knöz) imiese deer Der Fürft hatte eine einzige
jedinü
sob& i väem milü vele.
Ta dei na div sliöna biese,
tela urostleho kräsne,
lice jmiese ovsem biel£,
na licech rumönci ktviechu,
oti jako nebe jasne
i po jejiej bielej Siji
vlasi zlatostvüci veju,
u prstencech skaderöni.
Tochter,
ihm und Allen ſehr lieb.
Dieſe Tochter war wunderſchön,
ſchön gewachſenen Leibes,
Wangen hatte fie gar weiß,
auf den Wangen blühten Roſen,
die Augen wie der Himmel hell
und über ihren weißen Naden
wallten goldgläuzende Haare
in Ringlein gelodt.
Diefe Schilderung Hingt fehr modern!
2) V. 15. f. Aj druhdy knöz käze
poslu, »
by se päni vsici sneli
na hrad na hody velike
V. 32. f. Rozstüpi se sila v üdech,
rozstüpi sö bodrost v myslech.
V ta doby kn@z vece pänöm:
„Muiie, nebudi väs tajno,
z kakjch priöin ste se
sneli.
Statni muZie! jaz cheu zviesti,
kaci z vas mi najplzngji.
V mir& valku müdro
Sieh, einft gebot der Fürft dem
Boten,
daß fi) alle Herren verſammeln
auf der Burg zn großem Gelage.
Kraft ſtrömte durch die Glieder,
Frobfinn ftrömte dur die Gemüther.
Da ſprach der Fürft au den Herren:
„Männer, es ſei euch nicht verborgen,
aus welchen Urfachen ihr euch verſam—
melt habt.
Wackere Männer! ich will erfunden,
wer unter euch mir am nützlichſten.
Klng ift, im Frieden für den Krieg
2däti, bejorgt zu fein
vezdy näm süsöde Nömei.“ immer find uns Nachbarn die Deutſchen.“
3) Moriz von Craon V. 623; Partonopier 19190; Ulrich von Lichtenstein
frd. 106, 26.
ARE 7 5
rüftete fih. Seine Rüftung, feine Wappen, fein Helmſchmuck (diu zimierde),
jeine Waffen, fein Streitroß, alles mußte dem vorgeichriebenen Qurnier-
aufzuge entfprechen. Das hatte aber der Ritter nicht immer bereit. So
plöglic) überrajcht von der Aufforderung, ſich zum Turniere zu begeben,
wie dies in der Kh. Hſ. geſchieht, wären die deutjchen Nitter nicht in
der Zage gewejen, in die Schranfen zu treten und dies umfoweniger, als
fie eben ahnungslos beim jchwelgerischen Gaſtmahle ſitzen.
Soweit uns die mhd. Quellen Aufſchluß geben, war es Sitte, nur einen
Heinen Imbiß zu nehmen, ja es galt geradezu als ſchädlich, mit überfülltem
Magen das Turnier zu beginnen.) In unjerem Gedichte jedoch erheben jich
die Kämpfer nad) den Worten des Fürſten ohne Zögern und das Kampf:
jpiel beginnt. Wiederum vermiffen wir nun die Mufterung der zum Turniere
Erſchienenen.“) Sonft wurde immer evt fejtgeftellt, ob jeder Theilnehmer
turnierfähig, ob feiner zur Zeit in einem unfreien Sicherheitsverhältniffe
jtehe, ob jeder in dem vorgefchriebenen Turnieraufzuge erſchienen fei, ob
jein Roß fräftig genug, fein Helmjchmud, feine Rüftung blank gepußt, be-
jonders aber ob bei allen die Turnierwaffen gleich ſeien. Das alles ift in
unjerem Gedichte übergangen.
Nah der großen Zahl der Anweſenden zu fchließen, hätte man ein
fejtliches Maffenturnier erwartet; denn nur hierin konnte der Ritter feinen
perjöulichen Muth, feine Gemwandtheit und Kraft in dem günſtigſten Lichte
zeigen, hier entfaltete er Reichthum und Pracht: es galt als der wilrdigjte
Ausdrud vollfommener Nitterlichfeit. Auch die hiftorischen Zeugniſſe be-
weijen, daß es ehrenvoller war, im Zurniere als in bloßen Tjoſten zu
fümpfen.?) Zroßdem bleibt es in dem Gedichte nur beim „juftieren”. Bei-
fpiele diefer Art find zwar nicht unerhört. So veranftaltete König Karl v.
Anjon ein folches Turnier, das nur aus einer Reihe von Tjoſten beftand. *)
Freilich wird da von einem emzigen Nitter bedeutend mehr geleiftet als
von allen „Herren“ zufammen in unferen Gedichte. Im ganzen jedoch
galt die Tjofte als dem eigentlichen Turniere untergeordnet, weniger interefjant
und bildete zumeift die Einleitung (vesperie) oder das Nachipiel zum
eigentlichen Turniere.
1) 2eral, Turnei von Nantheiz 287 f.: Die ritter algemeine äzen ouch ein
eleine, als in das was gebaere. — Meleranz 9652: Nu was bereit dem
werden man ein kleiner imbiz zehant. Den tisch er gerihtet vant; der
degen vil vermezzen wolt ein wênie ezzen an denselben ziten. Vergleiche
Schulz a. a. O. I. 116.
2) Vergleiche Felix Niedner das deutihe Turnier, Berlin 1881. ©, 74.
3) Niedner a. a. D. ©. 58.
4) Schul a. a. O. II 110.
— 142 —
Im Frauendienfte Ulrich v. Tichtenftein (77, 25) wird das „tioftieren“
den geiftlichen Herren jchon langweilig und man bejchließt nun ein feier-
liches Turnier zu veranftalten. Eben deshalb nun, weil die Tjoſt als
minderwerthig galt, weil jte jo jelten bei ritterlichen Feitlichkeiten allein für
ji, ohne nachfolgendes Turnier geübt wurde, ift es unerklärlich, daß ein
Dichter diejelbe als die höchite Leiftung der Waffentüchtigfeit verherrlichen
konnte. Der Slawenfürft will übrigens erfunden, wer ihm im Falle eines
Krieges die beſten Dienfte leiſten könnte; da wäre hoch gerade das Maſſen—
turnier, das dem wirklichen Kampfe am meiften ähnlich war, am geeignetjten
gewefen, die Zrefflichfeit der Kämpfer zu zeigen.) Wir werden übrigens
noch jehen, daß der ung vorgeführte Kampf weder ein Turnier im engeren
Sinne, no eine Tjoſt war: im gelommien Turnierwefen läßt jich nichts
Analoges aufweisen.
Der Kampfplag befindet ji in unſerem Gedichte außerhalb *
Burg auf einer Wieſe. Der Fürſt ſammt ſeinem Gefolge, die Fürſtin mit
den Edelfrauen und Ludise mit den Jungfrauen ſehen von einem Balkone
(pavlac) zu. Unklar ift, wie die Zeile 48 zu verjtehen ift: „Vz vySina
pavlali kräsne* (oben in der Höhe auf einem ſchönen Balkone). Es drängt
ſich der Verdacht auf, daß der Verfaſſer feine rechte Vorjtellung von der
Einrichtung einer Burg hatte. War der Balkon etwa an der Außenwand
der Burgmauer und nod dazu jo groß, daß der Fürft, die Fürftin
und Ludise und das Gefolge alfer drei Perſonen?) darauf Platz gehabt
hätten? Das wäre wieder etwas ganz neues. Sonft ijt derjelbe, wenn er
ja vorhanden war — was jelten genug vorfam — im Hofraume der
Burg angebracht.“) Dder ijt etwa unter „pavlac“ eine tribinenartige Er-
höhung in der Nähe des QTurnierplages zu verftehen? Danı wäre aber
der Zweck derjelben nicht einzufehen; denn viel bequemer ließ fich ja das
1) Bergl. Schulg a. a. ©. II, 94: „Ein Turnier ift immer in erfter Linie eine
Waffenübung. ... . Es kommt den Rittern darauf an, fi) in dem Lanzen—
fampfe, im Schwertgefecht, vor allen in der Behandlung des Streitroffes zu
üben, fi) zu gewöhnen, auch im Kampfe die Laft der Rüftung und der Waffen
zu ertragen, ſich für die ernfte Feldſchlacht vorzubereiten.“
2) V. 48 f. Vz vysi na pavlali oben in der Höhe auf einem jchönen
kräsne Balcone
sede knöz se starostami aß der Fürft mit den Aelteſten
sed& knieni s zemankami ſaß die Fürftin mit den Edelfrauen
i Ludise s d&vicemi und Rudise mit den Mädchen.
3) Un der Außenwand waren zur Vertheidigung bejonderd gefährdeter Stellen
der Mauer höchſtens Keine Erker (moucharabi) ausgebaut. Vergleihe Schulz
a. a. O. 12%.
— 13 —
Kampfſpiel verfolgen von der Plattform der Mauer, von den Binnen, den
Tenftern des Palajtes und den Thürmen der Burg, da ja das Turnier,
wie ausdrüdlich hervorgehoben wird, „vor der Burg auf weiter Wieſe“
jtattfand.
Der Kampf beginnt. Ganz gegen jeglichen rittermäßigen Gebraud,
begeben jich die Streiter zu Fuß auf den Kampfplag und führen ihre
Rofje. Jedesmal wenn einer zum Kampfe vorgerufen wird, bejteigt er erjt
jein Pferd.) Wie wir jedoch aus deutjchen Dichtern wiljen, war gerade
der Aufzug zum Turniere befonders interejjant: „Die Knappen riefen vor
ihnen her „Platz da”, die Herolde (kreiirer) begrüßten mit lautem Zurufe
erprobte Kämpfer". ?)
Dren erſten Kämpfer bejtimmt der Fürſt, den zweiten die Fürſtin,
den dritten die Tochter. ?) Diefer Vorgang ift wieder unerhört. Sonſt
pflegte der Muthigfte vorzutreten und feinen Gegner herauszufordern. Aud)
fünnte man fragen, warum gerade nur diefe drei „Herren“ aufgerufen
werden. Der Fürſt will doc nach V. 37 f. erfunden, wer ihm im Kriege
am nüglichften fein wide. Stkebor und Srpos haben je einen, Lubor
drei Gegner, im ganzen treten aljo nur 8 Mann in Thätigfeit. Die große
Menge der Hebrigen mußte ſich mit dem bloßen Zufchauen begnügen. Ein
jo ärmliches Stechen verdient nur im ironischen Sinne das Attribut
„slavny“. Ebenſo auffallend wie diefe Nöthigung zum Kampfe von Seite
der fürftlichen Familie ijt die Herausforderung des Partners.
In V. 55 fordert Stiebor den Ludiſlav umd diefer muß in die
Schranken treten. Ebenfo gejchieht es V. 69, wo Srpos den Spytibor,
V. 87, wo Lubor den Bolemir, dann V. 97, wo er den Rubos aufruft.
Die einzig gebräuchliche Form der Forderung finden wir in V.105—7:
Lubor na zemany zyva: Lubor fordert die Edlinge:
„Kto s& chtéjü se mnü biti, „Ber mit mir fich Schlagen will,
töm v ohradu sömo jeti.“ der mag her in die Schranken reiten.“
1) Qal. V. 55—57 J käze knöz na Und der Fürft weift auf St.
Strebora,
Strebor Ludislava zyva St. fordert den 2.
Vsedasta oba na kon& beide beftiegen die Roſſe.
In derfelben Form ehrt die legte Zeile wieder V. 70, 88; ganz ähnlich
V. 98 und 112,
2) Schul; a. a. O. I. 117.
3) V. 53 wie auch V. 66 und 84 enthalten einen logischen Unfinn. Was foll das
heißen: „Welche (als die erften!) zum Turniere wollen, die werde ich be—
ſtimmen.“ Jirecek hat der Stelle in feiner Ueberfegung dadurch aufgeholfen,
daß er „chtie* mit „jollen“ wiedergab,
——
Nach Ritterſitte ſtand es jedem frei, eine Forderung anzunehmen
oder auch abzulehnen.
V. 57 f. heißt es:
Vsedasta oba na kong, Beide beftiegen die Roſſe
vzesta drévce ostrü hrotuü.') nahmen Schäfte mit zwei ſcharfen Spiten.
Ueber den erjten der beiden Verſe wurde jchon oben gejprochen, der
zweite enthält wieder einen argen Verftoß gegen die ritterlihe Sitte. Nach
den Worten des Fürften (V. 35 £.) joll doch nur ein Kampfipiel abgehalten
werden, um jo auffallender ijt e8 nun, daß mit ſcharfen Waffen gekämpft
wird.?) Gerade die ftumpfen Waffen find Haupterforderniß bei jedem
Turnierfpiele. „Der Turnierfpeer muß unjchädlich, d. h. ohne Spike jein;
er heißt dann auch „Schaft" “ar 2Soyn» im Gegenjaß zu „Speer" und
läuft nach vorne in mehrere Zaden, das Krünlein, aus." ?) Nur in einem
Turniere „ze ernste“, d. h. gegen Feinde wurden fcharfe Waffen ver:
wendet, fonjt war auf eine gefährlichere Verlegung des Gegners durch
Speer oder Schwert Buße geſetzt.“) In unferem Gedichte tragen übrigens
die Kämpfer auch fcharfe Schwerter. Es läßt ſich dies aus den Verſen
100 und 125 f. fchliegen. An erfter Stelle haut Lubor den Speerjchaft
mit dem Schwerte entzwei, an zweiter jpaltet Zubor den Helm Zdeſlaws.
Auch dies ift turnierwidrig; die Schwerter mußten ſtumpf jein, geeignet
höchſtens Beulen zu fchlagen aber nicht Wunden. ?)
Auf das Unfinnige in V. 59 und 60 hat bereits Feifalik (a. a. O.
©. 52) hingewiefen:
„prudko protiv sob& hnasta, „Hurtig rannten fie gegen einander,
dlüho spolu zäpasista, lange rangen fie mitfammen,
ez dirövce oba zlämasta.“ bis beide die Schäfte zerbrachen.“
1) ostrü hrotü ift dual. Wie foll man fich die Form des Speered denken? Hatte
etwa der Schaft vorne und rückwärts ein Speereifen? Firecel überjegt „mit
iharfen Doppeljpigen“; das ift eben jo unflar. Gewöhnlich war die Spiße
dreifantig an zwei Seiten Scharf geichliffen. Der Dichter verräth auch hier
feinen Dilettantismus, cr fannte weder die Geftalt eines Kampf: noch eines
Turnierſpeeres.
2) Dreimal, immer zu Beginne eines neuen Waffenganges, werden die ſcharfen
Lanzenſpitzen erwähnt; ſo V. 58, 71, 89.
3) Niedner a. a. O. 79.
4) In dem Turniere, das König Karl von Anjou zu Neapel abhalten läßt,
wurde als Geſetz beobachtet, daß wer des Andern Pferd mit der Lanze ver—
letzt, den abgeſchätzten Werth des Roſſes bezahlen muß. Schultz a. a. O. II. 111.
5) Vergl. Schultz a. a. O. U. 113 und Aum. 2.
— 15 —
Wie ift es möglich, ſolange mit den Speeren zu ringen, bis fie zer:
brechen? Die Gegner fprengen doch im Galopp am und ftürmen mit
verhängten Zügeln auf einander los. Nun find doc) nur folgende Fälle
möglich: entweder treffen fie ſich und die Lanzen zerjplittern ſofort; dann
wird mit anderen Speeren ein neuer Gang begonnen. Oder einer der
Gegner hält nicht ftand und wird abgeftochen; dann it der Kampf zu Ende,
Ein langes Ringen mit den Speeren iſt ſinnlos. In dem Gedichte aber
ift auch durch das „lange Ringen” feine Entjcheivung herbeigeführt; denn
nachdem die Lanzen gebrochen, fchleichen beide ermidet vom Plage, Waren
die Speere beider Kämpfer gebrochen, ohne daß einer auf den Sand ge-
worfen war, jo brachten die Kappen neue und die Kampfestouren mußten
jo oft wiederholt werden, bis einer befiegt war. Einen einzigen Speer zu
verjtechen und ermüdet vom Plage zu weichen, wäre eine vecht erbärmliche
Leiftung in den Augen der Ritter geweſen.
Im Kampfe zwifchen Srpos und Spytibor hebt erjterer diefen gleich
beim erjten Gange aus dem Sattel. Man jollte nun meinen, daß hiemit
der Kampf zu Ende wäre; denn wenn blos einer der Kämpfer abgejtochen
war, jo war die Tjoſt mit dem Speere allein entjchieden.”) Schwert und
Ringkampf find nach Nitterfitte nur dann zuläffig, wenn alle Speere ver-
jtochen find oder wenn einer durch Zerjtoßung des Sattelriemens auf den
Sand geworfen ift, oder wenn fich beide gegenjeitig vom Roſſe geftochen
haben. Trotzdem jedody fchwingt fi) Srpos rajch aus dem Sattel, beide
ziehen die Schwerter und jchließlich bleibt jogar noch der jchon bejiegte
Spytibor Sieger, indem er Srpos mit dem Schwerte zu Boden jchlägt.
Als drittes Baar treten Lubor und Bolemir in die Schranfen. Bole-
mir wird gleich) im erjten Anvennen geworfen, die Knechte müſſen ihn aus
den Schranfen tragen. Der Sieger läßt es ruhig gefchehen, ohne von dem
Beſiegten „Sicherheit" zu verlangen. Sein nächſter Gegner ift Rubos.
Diefer rennt ihn fofort an, ohne überhaupt zu warten, bis er kampf
bereit ift. Lubor muß fi mit dem Schwerte vertheidigen.*) Freilich
bleiben wir im Ungewifjen darüber, warum er nicht die Lanze gebraucht.
1) Nieder a. a, O. ©. 39 und Schulg a, a. ©. II. 107, f.
2) V. 98—103 Rubos rütd na kön
vskoti,
R. ſprang raſch auf das Roß,
prudko na Lubora Zene. rannte hurtig gegen X. .
Lubor kopie melöm prete, 8, hieb mit dem Schwert die Lanze
entzwei,
kröpce v helm mu vrazi ſchlug ihm kräftig auf den Helm
räanu, eine Wunde,
Rubos vazem s konö spade. R. fiel rüdlings vom Pferde.
Mittheilungen. 25. Yahrg. 2. Heft. 10
— 16 —
Da er den vorigen Gegner aus dem Sattel gehoben hat, jo dürfte
wohl fein Speer ganz geblieben fein. Wenn dies wirklich der Fall war,
jo läßt fih nur annehmen, daß Lubor den Speer fortwarf und das
Schwert zog. War jedoch der Speer zerjplittert, fo war es nad) den
Turniergefegen für Rubos unbedingt Pflicht, zu warten, bis der Gegner
neu gerüftet war. Diefe Kampfesweife, wie fie in unferem Gebichte
geiibt wird, kann im ernjten, blutigen Streite am Plage fein, niemals
jedody im Turnierſpiele. Mag ji) der Dichter die Sache wie immer vor-
gejtellt haben: jo viel ift gewiß, daß er feinen Begriff von einem ritter-
mäßigen Turniere hatte, da er die beiden Gegner mit ungleichen Waffen
kämpfen läßt. Ein Schwertfampf zu Roſſe war überdies etwas ganz
ungewöhnliches und Wolfram v. Ejchenbach conftatirt im Parcival 263, 13
einen folchen Fall ausdrücklich als Ausnahme von der ritterlichen Aegel.')
Als dritter und letzter Gegner erjcheint Zdejlav auf dem Plage.
Feifalik hat bereits auf den lächerlichen Aufzug diejes Ritters hingewiefen. °)
An jeiner Lanze weht ein Fähnlein mit einem Ochſenkopfe geziert (vielleicht
war es gar fein Wappen); er brüftet fich erſt kindiſcher Weije mit
der Heldenthat feines Großvaters (l), der einen wilden Ur erjchlagen, dann
mit dem allerdings größeren Verdienfte feines Vaters, der die Deutjchen
vertrieben hat. Hierauf rennen die beiden Gegner mit den Köpfen zufammten (!)
und jtürzen in Folge dejjen von den Nofjen.?) Daß die Roſſe mit deu
Brüften aneinanderprallten, wenn die Speere zerjpellten und der Stoß
noch nicht gebrochen war, mag oft genug vorgefonmen fein; *) ganz un:
1) Bergl. Nieder a, a, O. 39,
2) a. a. O. 6.58. |
3) V. 110--19 Vytte Zdeslav dlühe 3. redte feinen langen Schaft empor,
drevce,
ina drövei turi hlava. und auf dem Schafte war eines Urs
Kopf.
Vskodi na ors jarobujny, Er jprang auf fein muthiges Roß,
hrdivfmi slovy vece: ſprach mit üppigen Worten:
„Prad&d möj zbi diva türa, „Mein Großvater erlegte den wilden
Ur,
ot&ik zahna Nömcev sbory, mein Vater verjagte der Deutichen
Schaaren,
zkusi Lubor erabrost moju !* erproben wird L. meine Tapferkeit.”
J tu protiv sob& hnasta, Und da jagten fie gegen einander,
hlavama v sebe vrazista, rannten mit den Köpfen zuſammen,
aj oba s koniü spadesta. und beide ftürzten von den Pferden,
4) Schultz a. a. O. I, 111.
— 147 —
begreiflich aber ift’s, wie die Neiter mit den Köpfen zujammenvennen
fünnen.
In dem Kampfe, der nun zu Fuß fortgefegt wird, jpaltet Lubor und
Zdeſlav den Helm und jchlägt ihm das Schwert aus der Hand, daß es
über die Schranfen fliegt. Zdejlav wirft fich bejiegt zur Erde, Lubor
läßt fich aber wieder feine Sicherheit geben.
Hiemit ijt der Kampf zu Ende und Lubor empfängt aus der Hand
der Fürftentochter al Siegespreis einen Kranz aus Eichenlaub. |
Ueberbliden wir das ganze Gedicht, jo müſſen wir geftehen, daß
der Verfaſſer nicht den allernothdürftigjten Begriff von dem mittelalterlichen
Zurnierwejen bejaß. Wir haben gejehen, daß nahezu jede Zeile einen Ver:
jtoß gegen die Ritterjitte aufweiit. J. Jirecek!) freilich will ganz etwas
anderes als ein vitterliches Kampfjpiel in dem Gedichte finden. Nach
jeiner Anficht handle es fi um ein „heimatliches Kampfjpiel”, das aus
den ottesurtheilen hervorgegangen wäre, und jo ließen ſich danı die
Widerjprüche mit der Ritterfitte genügend erklären. Es ift nöthig auf diefe
Ausführungen näher einzugehen.
©. 141 der unten angegebenen Schrift jagt Jirecek: „Wir ftehen
nicht an, Herrn Feifalit Necht zu geben, wenn er jeden Zug, ja fajt jedes
Wort als einen Verſtoß gegen die Turniergebräuche bezeichnet, derart daß
der Nachweis davon allein eine umfangreiche Brochüre ausmachen würde,
Nur dem Schluſſe, welchen er daraus zieht, können wir nicht beiftimmen.
Wenn das in dem Gedichte gejchilderte Kampfjpiel vom Turniere in allen
Stücden fo wefentlich abweicht, jo folgt daraus nichts mehr und nichts
weniger, al8 daß es eben fein Turnier, fondern etwas vom Turniere
durchaus verjchiedenes iſt.“ Diefer Schluß wäre allerdings ganz richtig —
wenn die Echtheit der KH. Hſ. erwiejen if. Da dies jedoch nicht der
Fall ift, jo ift eine joldhe Folgerung ganz ſinnlos.
Jirecek behauptet,*) das mhd. Wort turnei heiße im Tſchechiſchen
entweder klänie oder kolba oder turnej; sedäni aber bedeute ſowohl den
ernjten gerichtlichen Zweikampf wie auch die Vorübung zu demjelben, fo
daß es alfo etwa mit „Zweifanpfjpiel” zu überjegen wäre. Die Beweis
führung ift ſehr Schwach und die Sache wird nicht gerettet: das Mert-
würdigte in umferem Gedichte, daß in einem Spiele mit ſcharfen
Waffen gefämpft wird, bleibt unerflärt.
„Bor allem ſteht feſt,“ jagt Jiretek a. a. DO. ©. 131, „daß man
im 13. und 14. Ih. das Turnier nie södänie, fondern entweder turne)
1) Die Echtheit der Kh. Hi. ©. 122 f.
2) A. a. O. S. 181.
10*
— 18 —
oder mit einem flavifchen Worte klänie (kolba, kol) benannte”. Die erjte
Hälfte des Eages iſt richtig, die zweite falfch. Sedänie bedeutete weder
im 13. noch 14. noch zu irgend einer Zeit „Turnier“ — ausgenommen
bei dem Verfaſſer der Rh. Hſ. Ebenfowenig aber ijt kolba oder kol
dasjelbe wie kläani oder turnej. Ich führe ein paar Stellen au, die un—
zweideutig darthun, daß zwifchen kolba (kol) und turnej ein Unterjchied
beitand. In Welejlavins Historicky kalendär !) heißt es: „honby, kolby,
turnagowe a gine kratochwile rytjrsk&“, ein andermal „honby, kolby,
turnagowe prowozowäny“; ebenjo in Karions Kronika sweta herans-
gegeben von Welejlavin „strogil turnage, kolby a rytjiske kratochwjle* ;
in der tichechifchen Ueberjegung der Kyropädie von Abrah. v. Gilnterode
werden ebenfall3 „kolby, turnage a gine hry rytjiske“ erwähnt. Ueberall
finden wir kolby neben turnagowe bejonders genannt, was doch über-
flüſſig wäre, wenn beide Begriffe identisch wären.
Was bedeutet alfo kolba? Eine Stelle bei TH. v. Stitne in den
knihy uteni krestanskeho (Vybor I, 738) gibt uns Aufihluß. Sie
lautet in woörtlicher Ueberjegung: „Yon der Kurzweile der Ritter nun
würde ich gerne etwas jchreiben, aber der Menjchen Groll ijt jo groß ge-
worden und hat unter ihnen alle Liebe erjtickt, daß ich fürwahr dazu
nichts jagen kaun. Denn wenn fie auch die Kurzweil in guter Gefinnung
beginnen, jo wandelt die Leute ihre Gefinnung eher zum Schlechten als
zum ©uten.?) Und ich jage nichts von der Ueppigkeit, die fie eutwideln.
Aber fie zeigen diejelbe jo, daß alles wahrer Hochmuth oder Unzucht
wird, wie wir das in den Tänzen oder in der „kolba“ jehen. Darum
richte fich jeder ſelbſt! ch kann nicht gut veden von dieſer weltlichen
Kurzweil. Bon den Turnieren (o turnejich) fürwahr jage ich, daß dieje
Kurzweil gar nicht Kurzweil heißen joll. Darum hat die Kirche die Tur—
niere verboten und wenn einer im Turniere kämpft und da Schaden
nimmt, jo joll er, wenn ihm auch die Beichte oder der Leib Gottes zur
Buße gegeben ift, doch nicht bei den Heiligen begraben werden, weil ex
das Kirchengefeß nicht gehalten Hat. Und wenn irgend SPriefter oder
Mönche einem folchen ein Begräbniß geben, jo thun fie das entweder aus
Geiz oder aus Furcht, indem fie jchmeicheln. Und das hat die Kirche
deshalb verboten, weil die Leute einen folchen Uebermuth bezeigen und
1) Ich citire nad) Jungmanns Lericon.
2) Auch im deutſchen Turnierweſen fam es oft vor, daß ein friedlid; begonnenes
Turnier durch den Zorn der unterliegenden Parteien eruften Charakter an:
nahm. Man focht dann mit ſcharfen Waffen.
— 19 —
zwar mit jo großem Aufwande, weshalb mancher da alles verliert, was
er hat, und mancher da den Tod findet. Und daß die „kolba“ eine
ebenfo jchlimme Sache tft oder gar eine jchlimmere als das Turnier,
das kann ein jeder jehen, der es merken will. Denn die Ueppigfeit
ijt hier noch größer und doch nicht jo nothwendig wie jie im Turniere
wäre, wenn dies nicht verboten wäre. Denn im Qurniere lernt der
Menſch, wie einer fi in ernſter Schlacht an feinem Plage benehmen
jol. Aber in der „kol* ijt nicht ein Rüftungsftüd, das zum
Kampfe nüglich wäre Darum wäre e8 gut für die Fatholifche
Ritterichaft, fi an den kirchlichen Gehorfam zu halten und fo zu furz-
weilen, daß die Kurzweil nicht fchädlich wäre. . . .. #
Aus diejer Stelle ift mit Sicherheit zu erjehen:
1. Daß „turnej“ ganz gleichbedeutend ift mit dem mhd. „turnei“ und
das Kampfjpiel und die gefammte damit verbundene Feſtlichkeit bezeichnet.*)
2. Daß „turnej“ verjchieden ift von „kolba* oder „kol“. Diefe
Ausdrücde bezeichnen, wie es oben heißt, ein Kampfipiel, in dem „gar
fein Rüftungsftüd, das zum Kampfe nütze wäre" angelegt wird. Das ijt
aber nur im „bühurt“ der Fall. „Es ift dies ein Neiterfchaufpiel; wenn
auch mit Speeren geftoßen, mit Schilden der Stoß parirt wird, die
Waffen mußten gänzlich ungefährlich fein, da die Nitter ohne Rüftung an
diefer Mebung theilnahmen."*) Hauptfache hiebei war, daß man möglichft
gejchloffen aufeinander Tosritt.
Unrichtig iſt ferner die Anficht Jireteks, daß kläni (verb. kläti
1. pers. koli) nur der tjchechifche Terminus für das dentjche Wort „turnei“
1) So wird aud das Eilhartifche „tornei“ (ed. Richtenftein V. 1335) im tſche—
chiſchen Zriftram (star. skläd. IV. ©, 44, 15) durch „turnag“ wiedergegeben.
Auch Dalimil jagt „na turnege gezditi* (auf Turniere fahren).
2) Schultz a. a. O. II, 96. Als Belegftelle ift hier angeführt Wigalois p. 230,
27 (ed. F. Pfeiffer) „ez were worden ein turnei, hieten sie ir harnasch
gehabet*. Wichtig ift auch der Bericht Giflebertug (Chron. Hanon. 1184) über
das große Hoffeft, das Kaifer Friedrich zu Mainz veranftaltete. „Am Montage
und Dienftage nach dem Frühmahle fingen die Söhne des Kaiſers an, im
Kreife zu reiten, und in dem Kreiſe waren nach einer Schätzung 20,000 Ritter
oder mehr. Der Kreid war aber ohne Waffen; die Ritter ergößten ſich
daran, die Schilder, Speere und Banner zu tragen und ihre Roffe zu tum—
meln.“ (Schul a. a. D.) Wenn e8 bier heißt, die Ritter feien „ohne Waffen“
erichienen, jo find matürlih die fampfesmäßigen Waffen gemeint, wie Die
gleich folgenden Worte darthun. So find auch die oben citirten Worte aus
Stitne aufzufaffen.
— 150 —
jei. Auch diefe beiden Begriffe (turnag und klänie) werden deutlich von
einander unterſchieden. Ich ziehe zuerjt die wichtige Stelle aus Smil
Flasfas Nova rada bei.!) Das Pferd (kuon) ertheilt dem nenen Könige
den Rath:
k tomu se möj wzdy wesele: Daran halte dich immer fröhlich:
tanec, turnej, &ast& klänie Tanz, Turnier, häufiges „kläni“
szowa kräsne panny i panie ergött Schöne Jungfrauen und Frauen.
Daran erfrene ſich dein Herz. In feiner weiteren Rede fchildert es
die ritterlichen Kampfipiele genauer, u. 3. zuerſt des ritterlichen Turnieres
(rytiefsky turnej). „Bier kann man in herrlicher Rüftung, von Gold und
Kleinodien jtrahlend erjcheinen. Und wenn danı die Rotten aneinander:
pralfen, da gibt es ein Schaufpiel! der wird vom Pferde gejtoßen, der
andere gequetfcht, dem wird die Wange zerjchunden, jenem die Zähne ein-
geftoßen, dazwiſchen ertünen die Rufe „reta, reta!“ In ſolch einem ritter-
lichen Turniere da vollenden manche ihren Willen. Darnach joll dein
Herz, o König, fich ſehnen.“ „Dann ſei auch," fährt das Pferd weiter
fort, „auf dem Plane, wo deine Ritterfchaft „koli“. Ueberall ertönen
Hörner, mancher jchreit nach neuen Lanzen. Furchterwedend ijt das
Donnergefrache jplitternder Speere. Das fei dein Vergnügen und dazıı
rüſte dich immer fröhlich."
Daß kläni etwas anderes bezeichnet als turnej, beweift in diefer
Stelle einmal die ausdrüdliche Erwähnung desjelben neben „turnej*, dann
die gejonderte Schilderung beider Kampfipiele. In dem Gedichte Kral
Premysl Otokar a Zävi$ (Vyb. II, 442) treffen wir gleichfalls die Unter:
ſcheidung beider Wörter. Es heißt hier: „i u@ini hody velike, turnej,
kläanie velike*. Auch in der Stelle starob skläd. III, 204 „genz tur-
nagew nebo klänie hledagj*, bezeichnet die Conjunction „nebo“ nicht die
Berjchiedenheit des Ausdrudes für denjelben Gegenftand, jondern die Ber:
Schiedenheit der Sache. Unbegreiflich ift, wie Sirelet (a. a. O. ©. 131)
ichreiben fan „Dalimil, fiir den ritterlichen Sprachgebraud) am Ende des
13. und am Anfange des 14. Yahrhundertes unftreitig der bejte Gewährs—
mann, gebraucht nur „klänie“ als gleichbedeutend mit „turnej“. Dem
Hoger von Friedberg fchreibt er die Einführung der Turniere mit folgenden
Worten zu: on klänie do Cech pfinese, tiem chudobu v zemiu vnese;
jechu s& v turnej jezditi." Gerade diefe Stelle beweift, daß ein Unter:
ſchied beftehen müſſe zwiſchen turnej und klänie, fonft hätte er nicht beide
1) Vybor J S. 873. Die neue Ausgabe von Gebauer habe ih momentan nicht
bei der Hand,
— 11 —
Ausdrüde neben einander angeführt. klänie (kläti, koli, urfpr. ich fteche)
bedeutet eben nichts anderes al8 das Stehen zu zweien, aljo das
mhd. tjost (juste oder tjostiure), ein Kampfſpiel zu Roſſe zwischen
zwei Gegnern. So läßt jih auch die aus Dalimil angeführte Stelle gut
erflären. Als einzelne Perſon kann Hoger v. Friedberg nur iu einem
klänie, einer tjost, auftreten. Er erweckte hiedurch die Vorliebe der böh-
mischen Nitterjchaft für diefes Kampfſpiel und die Folge davon war, daf
jie auf Turniere zogen. Noch deutlicher läßt eine Stelle aus der Legende
von den 10.000 Rittern (Vyb. IL, 14) die Verjchiedenheit beider Kampfes—
arten erkennen. Sie lautet: „budüli (na$e sluhy) v bojich kdy ve zlych
prihodäch nebo v turnejich neb v kterem ve zlem potkäni nebo v
dobrovolnem kläni* (wenn unfere Diener in Kämpfen je in jchlimmen
Lagen oder in Turnieren oder in einem böfen Zuſammentreffen oder in
friedlicher Tjoſt jich befinden). Es ſind auch hier die vier Begriffe boj,
turnej, zl& potkäni und dobrovolne klänie ausdrücklich nebeneinander
gejtelft. Im Triſtram (starob. sklad IV, 240) wird erzählt, daß an dem
Hofe des Königs Artus die Gewohnheit herrichte, daß die Nitter auf
aventiure anszogen, und wer ihnen begegnete, der mußte, ob er wollte
oder nicht, mit ihnen fechten (u&initi hnänie) und eine vitterliche Tjojt mit
dem Speere beftehen (a rytierske s kopjm klänie); alſo immer zu zweien.
In Martimians historia Yjmska jteht ausdrücklich „kläwali
spolu, jie tjojtierten mit einander“. Ebenſo deutlich ſpricht eine andere
Stelle aus Dalimil. Da wird der Nante des Neklan erklärt, „Ze ho
s kon& nikdy nekläli bechu, daß ſie ihn nie vom Pferde geftochen (in
der Tjoſt)“. Ebenda heißt es ferner von Koh. v. Micjelsberg: „tehdy
pan Jan z Michalovic kole po Rynu az do Parize jede; tu ctn& klav
se ctiü domöv pfijede, der Herr Joh. v. Michelsberg zog am heine
hin tjoftierend und fuhr bis nach Paris; nachdem er hier mit Ehren tjojtiert
hatte, fam er mit Ehren nach Haufe." In gleichem Sinne it das Wort
zu verjtehen, wenn derjelbe Ehronift von Smil fagt: „Smil kläniem doby
kapra £rneho, ©. erwarb fich durch Zjoftieren einen jchwarzen Karpfen“.
Wir haben uns dieſe Ritter auf ähnlichen abenteuerlihen Turnierfahrten
zu denfen wie Ulrich v. Liechtenjtein.
Wie im eigentlichen Turniere „ze schimpfe* oder „ze ernste*
gefämpft wurde, jo war natürlich auch in der Tjoſt ein freundliches oder
feindliches Zufammentreffen möglich und auch üblih. In der oben ange
führten Stelle aus der Legende von den 10.000 Rittern ift ausdrüdlich die
Rede von einem „dobrovolnem klänie, freundlichen oder friehlichen Zu-
jammentreffen”. Der Gegenſatz hievon ift „klani s ostrfm*, wie es
in dem Volksbuche von Stilfrid (Vyb. IL, 40) heißt. „J jel jest po
rozliönych zemiech na krälovske a na knieZecie dvory a nikdeZ sob6
rovni nenalezl v udatenstvi a v kläni s ostrym (er fuhr durch ver-
jchiedene Länder an die Könige: und Fürftenhöfe und fand nirgend
Leute, die ihm gleich an Tapferkeit und Zjojtieren mit jcharfen Waffen).
Ebendaſelbſt S. 43 fehrt der Ausdrud wieder. Symforian vuft dem
Stilfried zu „smieli se s nim ostrym potkati, ob er mit ihm im Exnfte
(eigentl. mit jcharfer Lanze) kämpfen wolle.” In demfelben Sinne heißt
es am Schluſſe des Gedichtes, das uns den Gerichtsfampf zwijchen Rudolt
von Kosic und Venek erzählt „nepfietelsky sd skläly, es war eine feind-
liche Tjoſt“.
Die drei Arten des ritterlichen KRampffpieles, die in den mhd. Ge—
dichten jo genau unterjchteden werden, tragen alfo auch im Zichechifchen
ihre eigenen unterjcheidenden Namen: tumej das Turnier ar 2Eoxım,
kolba (kol) der. bühurt und kläni die tjost. Auch in der Königfaaler
Chronif werden bei der Erzählung der Krönung Wenzel II. alle drei Arten
erwähnt: hie se barones clipeis per brachia trudunt (der buhürt),
illice tirones tirocinia ludunt (da3 wäre der „turnei durch lernen* nılt.
„tiroeinium*. Vgl. Niedner a. a. O. ©. 18), vibratas hastas fran-
gunt (die tjost).
Durhaus verjchteden hievon iſt der ganz allgemeine Ausdrud „se-
dani”. Es bedeutet einen Zweikampf auf Leben und Tod zwijchen ritter-
lichen Berfonen ) in vitterlicher Nüftung und zwar zu Noffe Wenn
Jirecek glaubt, diefer Ausdruck (sedani oder sedati) ftamme aus uralter
Zeit und wäre der terminus technicus gewejen für den gerichtlichen
Zweikampf, jo ift er im Irrthume.“) Er jagt a. a. DO. ©. 133 „Sowie
1) Wenn im Zriftran der Kampf zwifchen Triftran und dem Drachen ebenfalls
sedani genannt wird, jo ändert dies nichts. Der eine Theil gehörte doch dem
Nitterftande an.
2) Sch muß bier auf den Widerfprud; in der Beweisführung SFireceld hinweifen.
Seite 131 der genannten Schrift fteht „vor allem fteht feit, daß man im 13.
und 14. Jahrhunderte das Turnier nie sedänie, fondern entweder turnej oder
mit einem flavifchen Worte klänie (kolba, kol) benannt;" ©. 133 aber Icjen
wir „jowie klänie, fo war auch sedänie ein Gerichtäfampf, wofür die zahl-
reichiten Beweife vorliegen;” endlih ©. 135 „es erhellt daß insbejondere das
södanie (Zweifampf zu Pferde) unter dem zu jener Zeit in Böhmen neuen
Turniere nicht einbegriffen war, indem Dalimil, dem die ritterichaftliche
Sprache feiner Zeit wahrlicdy nicht fremd war, weder an der fraglichen noch
au anderen Stellen vom Turniere dad Wort sedänie, fondern confequent
immer nur klänie anwendet.” Was ift hier das Richtige?
— 193 —
klänie, fo war auch sedänie ein Gerichtsfampf, wofür die zahlreichjten
Beweije vorliegen." Fir klänie tft fein einziger erbradt. Für sedänie
werden Belege aus Rechtsbüchern beigezogen. Das alte Rojenberger Rechtsbuch
gehört jedoch nach Brandl in die 2. Hälfte des 13. oder in die erfte Hälfte
des 14. Yahrhundertes d. h. im die Zeit nach der Einführung des Tur-
nierweſens in Böhmen. Uebrigens wird hier wie in dem jüngeren Räd
präwa zemsk&öho ausdritdlich erwähnt, daß nur Leute adeligen Standes
(päni, barones), die damals doch ficherlich auch Ritter waren und nad)
ritterlichen Sitten lebten, durch derartige Zweifämpfe (sedäni) ihre Sadıe
beifegen durften. Die aus Wippo (10. Yahrh.) citirte Stelle (S. 134)
fommt bier nicht in Betracht; denn einmal gilt die Aeußerung nur von
den Serben, dann erhalten wir nur die Nachricht, daß in den Schlachten
zwijchen den Sachſen und Serben hervorragende Kämpfer vortraten und
durch Zweikämpfe die Sache zu entjcheiden verfuchten. Solche Gefchichten
erzählt ſchon Livius von den alten Römern. Nach dem Sachjenfpiegel freilich
„Jo der Kämpfer erjcheinen mit Leder und Leinzeng nach Belieben ge:
rüftet, das Haupt und die Füße vorne bloß, an den Händen dünne
Handjchuhe, in der Hand ein gezogenes Schwert, eins oder zwei nad)
Willkür noch umgürtet, einen hölzernen, mit Leder bezogenen Schild
tragen, deſſen Buckel allein von Eijen fei. Ueber die Nüftung darf er
einen Rock ohne Aermel "anlegen" ; ) und ebenfo beftimmt auch] der Räd
präwa zemskeho im Xrtifel 22 (Vybor I, 618) den gerichtlichen Zwei—
fampf: °) doc damit ftimmen die Beichreibungen bei den Dichtern nicht
und wir treffen da die Nitter immer in voller Nüftung. 3) Diefer ritter-
liche Zweifampf nun heißt sedänie, und es ijt durchaus unnöthig, an
eine UWebertragung des angeblich alten Ausdrudes auf die neu eingeführte
1) Schul& a. a. ©, I, 146.
2) „Sie follen gleich kämpfen, ohne Rüftung, nur in Röden und Hofen, mit
Scwertern und hinter Schilden, in den vorgerichteten Schranfen, wie es Ge—
wohnbeit ift.
3) Schul a. a. O. U, 146. So heißt es auch in dem Gerichtäfampfe zwiſchen
Nudolt und Venẽk, daß fie wohl gerüftet waren (dobre odenych). Wenn
übrigens Jirecek glaubt, daß ſolche Gerichtsfämpfe gar fo häufig vorgekommen
fein mögen, daß man fid) jogar dazu übte, jo belehrt ihn Dalimil eines
Beileren. Von dem eben erwähnten Gerichtäfampfe jagt er:
Leta od narozenie syna bo2ieho
po tisiüciu po trech stech po desieti pat&ho
pro muZobojstvo sta Se süd neslychany,
niv Geskej zemi vidany.
„ein unerhörtes, im tihechiichen Lande nicht gefehenes Gericht”,
— 14 —
ritterliche Kampfesart zu denfen. Ueberall, wo wir dies Wort finden, hat
es die Bedeutung eines ernften Zweikampfes auf Leben oder Tod, nie die
eines Rampffpieles zu zweien, wie Jirecek will.
Daraus ergibt jih aber, daß die Ueberſchrift des Ge-
dichtes der Kh. Hi. mit dem Inhalte in doppeltem Wider:
ſpruche steht: 1. iſt ums im dem Gedichte nicht ein Zweikampf
geichilvert, fondern fünf jolcher Kämpfe. Der singular des subst. (o slavném
sedanie) kann jomit nicht vichtig fein. 2. Handelt es fich in dem Ge—
dichte nicht um einen ernjten Kampf, jondern bloß um eine Vorübung zu
demjelben, es ſoll alfo nur ein Kampffpiel fein, In diejem Sinne aber
iſt sedänie nirgends zu belegen. O slavnem s&dänie jollte aljo überjegt
werden „von dem berühmten Zweifampfe (auf Tod und Leben)” und nicht
wie Sirecef „will das feftliche Kampfſpiel“ auch nicht mit Feifalik „von
einem berühmten Turniere“. Ein Dichter des 13. oder 14. Jahrhundertes
hätte eine fo finnloje Ueberfchrift nicht erfinden fünnen. Sehr wohl aber
läßt fi) denken, daß der Fälfcher zu Anfang des 19. Jahrhundertes, wo
die BVorftellungen vom Nitterwejen und Mittelalter jo vomantisch-dunfel
und verworren waren, einen jolchen Fehler begehen konnte. Daß ihm
sedäni gleichbedeutend war mit turnei, wird um jo wahrjcheinlicher, als dies
Wort jo oft es vorkommt, immer im singular fteht. Won der Weberichrift
wurde bereits gefprochen. Darm begegnet es uns in der zweiten Zeile:
Znamenajte stafi — mladi
o potkäch i o sedäni!
„Vernehmet alt und jung von Kämpfen und sedani,” der Verfaſſer meinte
offenbar „von einem Turniere". Das wirde gewiß zum Inhalte pajjen
— wenn eben alles nach den ritterlichen Turniergeſetzen abliefe. Doch die
fennt er nicht, wie oben erwiejen worden.
Wie irecef die zweite Zeile durch „vom Ringen (sing.! im Texte
plur.) und von Kämpfen (plur.! im Texte sing.)" iüberjegen fan, ift merf-
würdig. Allerdings ift das nicht der einzige Fall, wo er dem tichechifchen
Wortlaute durch eine fchiefe, willfürliche Ueberſetzung aufhelfen will. Die
gleiche Bedeutung „Turnier“ liegt offenbar dem Worte södäniu in V. 46
zu Grunde. Sinnlos aber iſt eg, wenn es in den VV. 53, 64 und 84
heißt: „kto chtie prvi (vtexi, tr&tf) na södänie wer als 1. (2. 3.) zum
Turniere will.” Oder foll hier sedänie den Einzelfampf im Turniere alfo
„Turnierkampf“ bezeichnen? Dann befigt es eine jehr bedenkliche Dehnbarkeit.
Wenn Jirecek fich weiterhin (S. 134) anftrengt, nachzumeifen, daR
jhon vor der Einführung des Turnieres (1245) in Böhmen Kampfipiele
befannt waren, jo ift feine Mühe ganz umfonft. Bei Vergil Aen. 6, 585
— 15 —
werden diefelben auch erwähnt, die Gothen führen um den Scheiterhaufen
des Hunenköniges Attila, um das Grab Alarichs Reiterfpiele auf, bei feinem
Bolfe werden fie gefehlt haben. Aber das alles hat mit unferem Gedichte
nicht8 zu thun. Um die hier gefchilverte Kampfesweiſe als die damals
wirklich übliche zu beglaubigen, find Belege aus anderen Werfen nöthig.
Dieje kann jedoch Yirecet nicht beibringen.
Lächerlich ferner ift e8, wenn er die Thatſache (S. 136 f.), daß ein-
zelne böhmiſche Adelige jchon im Jahre 1253 in Mainz als tüchtige Tur-
nierer hervorthaten, als Beweis für die Exiſtenz alteinheimifcher Kampf:
jpiele anführt. Er denkt offenbar, die böhmifchen Adeligen hätten es nicht
jo bald zu folcher Fertigkeit bringen fünnen, wenn fie nicht ſchon von
früher her eine gewifje Hebung in Neitfünften beſeſſen hätten. Als ob jie
nicht jeit 1245 ') Zeit genug dazu gehabt hätten!
Unwahr endlich ift e8, wenn Jirecek (S. 138) behauptet, in den
tſchechiſchen Schriften des 13. und 14. Yahrhundertes feien die Kunftaus-
drüde fir Dinge, die das Nitterwefen betreffen, nicht deutſch, fondern
tihechiich und daraus folgert, daß diefelben jchon früher für die alten ein:
heimifchen Spiele im Gebrauche gewefen wären. ?)
Jedermann merkt wohl, wie unlogijch diefer Schluß ift. Dieſe jeine
Behauptung aber muß Firecef gleih auf der nächiten Seite durch eine
ganze Reihe von Ausnahmen wefentlich einfchränten. Zum Ueberfluſſe
jegte ich nocdy eine Anzahl das Nitterweien betreffender Ausdriücde, die
Jirecek nicht entdeckt hat, hieher. Aus der Alerandreis: ?) rytier V. 1025
u. ö., rytiefstvo V. 323, Sturm V. 460, Sturmovati V. 2054, or
V. 1399, rota V. 1468, purgrabie JH. 246.
Sämmtliche hier angeführten Wörter finden ſich auch im Triſtram,
außerdem: w kryzu gjti, 18, 20; man 40, 18; manstwie 28, 13; turnag
44, 14; Saffar 51, 11; marsalk 54, 4; paläc 62, 22; rek 238, 19
und noch viele andere. Feifalit behält doch Recht!
In feiner Entgegnung ift es alſo Herrn Jirecek nicht gelungen, die
Erijtenz alter Kampfpiele, die den Namen „sedani* geführt hätten, zu
erweilen und feine Freude (S. 142), daß das Gedicht „o slavnem se-
1) Vor 1245 kamen die Turniere nicht nad Böhmen. Vergl. Scherer literar.
Gentralbl. 29. Aug. 1868. Das jchließt aber nicht aus, daß einzelne böhmifche
Adelige die ritterlihen Kampfipiele lange vorher in Deutſchland kennen lernten.
2) Er polemifirt hiemit gegen Feifalik, der a. a. O. die oben beftrittene Aeußerung
gethan hat.
3) Ed. M. Hattala und Patera. Prag 1881. -
— 156 —
dänie“ das Verdienſt habe, „uns mit den Details. desfelben, welche wir
aus Feiner anderen Quelle fernen, befannt gemacht zu haben”, ift ganz
eitel. Die oben erwähnten Verſtöße gegen die ritterlichen Gebräuche kenn—
zeichnen dieſes Gedicht deutlich genug als Faliificat. Ueber die Quelle, aus
der der Fälfcher gejchöpft hat, beiteht fein Zweifel. Feifalit hat erwiefen, !)
daß das Gedicht nahezu lauter Neminiscenzen aus dem Volksbuche Stilfrid
enthält; die Entlehnungen find ſo auffallend getreu, daß an eine andere
Möglichkeit als an gegeufeitige Abhängigkeit nicht zu denken iſt. Nicht
um die Aehnlichkeit der Darjtellung eines Kampfes in beiden Gedichten
handelt es jich, wie SYirecet meint (S. 122), fondern um wortgetreue
Heriübernahme ganzer Wendungen und Redensarten.
—— —
Periodicität der Ueberſchwemmungen.
Bon Dr. W. Ratzerowsky.
Im Jahre 1883 veröffentlichte Profejfor Paul Reis in Mainz unter
dem Titel: „Waſſersnoth und Waſſermangel“ die Ergebnijje jeiner Unter:
fuchungen über die Wafjer- und Wettererjcheinungen im Nheingebiete uud
fam zu dem Reſultate, daß diejelben in Perioden von 110 bis 112 Jahren
fi widerholen und daß die Marima der Waflerfluthen mit den Marimis
der Sonnenfleden und Nordlichter zujammenfallen. Die von ihm an—
geführte Periode ift der zehnfachen Sonnenfledenperiode von 11,1 Jahren
gleich.
Die Frage, ob Veränderungen auf der Sonne ſolche auch auf der
Erde zur Folge haben und namentlich die, ob vermehrter Fleckenthätigkeit
derjelben reichlichere atmoſphäriſche Niederichläge entjprechen, iſt nach ver-
jchiedenen Geſichtspunkten von vielen Forjchern bereits behandelt worden.
Hermann Fritz, welcher in jeiner von der Haarlemer Gefellfchaft der
Wiſſenſchaften gefrönten Preisichrift: „die Beziehungen der Sonnenfleden
zu den magnetischen und meteorologijchen Erſcheinungen“ die Ergebniffe
diefer Unterfuchungen publicirte, bemerkt hierüber: die Niederfchläge find
entfchieden zur Zeit der Fledenmarima bedeutender, als zur Zeit der
TFledenminima und aus den Pegeljtänden der verjchiedenen Flüſſe ergibt‘
1) A. a. O. ©. 56 f. Vgl. aud) Athenaeum, April 1886, ©. 265.
— 157 —
fich ebenfalls zur Zeit der Fleckenmaxima ein Ueberfchuß der aus den
Flüſſen abfliegenden Wafjermaffen über das Mittel. Da aber aus älterer
Zeit Feine Mejjungen der Regen- und Scneeniederjchläge vorhanden find
“und die Begeljtände der Flüffe auch nicht weit zurückreichen und von
vielerlei Umftänden abhängig find, jo iſt hier der Verſuch gemacht worden,
auf hiftoriichem Wege diefe Frage zu löſen.
Die beiliegende Chronif der Ueberſchwemmungen liefert das, wenn
auch nur lüdenhafte Material, aus welchem die tabellarifche Ueberficht der
Hochwäſſer zufammtengeftellt wurde.
In diefer Tabelle find die größeren Elbeüberſchwemmungen, die
zumeijt den in den Archiven der Stadt Leitmerig noch vorhandenen Quellen
entnommen find, zufammengeftellt. Aus diejer tabellariſchen Ueberficht joll
die Erijtenz der Fleinen Periode der Hochwäſſer und ihre Ueber—
einjtimmung mit der Sonnenfleden- und Nordlidtsperiode
nachgewiejen werden.
Tabelle der Üeberfhwemmungen
vom Fahre 782 bis 1886.
}
| | —
Ueberſchwemmungsjahr Mittel Periodenlänge SB große Periode
——— —— —
ffereuz
Di
Pe
182
— 180 = 16, 11,3 220 = 28110
962
1
nr 5. 11,0
1015, 20
= — Jus = 1.116
1118 = 5.118
n 8. 10,6
1203
* 112 = 10, 11,2 24 — 2. 112
1315
nn 117 = 10. 117 |
1432
1454 2 = 2 110 lie = 1..112
Ueberſchwemmungsjahr | Mittel große Periode
1481 1481
1495 1495
1501, 4 1502
1515 1515
os — 113 =1. 113
1549, 51 1550
1557, 59 1558
1565, 66, 69 1667 | 9 6 = 6.110 | 110
1578, 79, 62,83, 85,87 | 1582 | 15
1593, 95, 98, 99, 1601 | 1597 | 15
1607 1607 | 1
1618 1618| 11
1629 16239 | 11 | nm ee L.10R 108 = 1. 108
1640 1640 | 11
1654, 55 1654 | 14
— a Mes | 43 4.108 | 108
1675 1675 | 10 Le ern }
1682, 84 1683| 8
1698 1698 | 15
1712 1712 | 14 | 6= 6.110 | 110
1747, 48, 50, 51 1749 | 3 109 = 1. 109
1760, 61 1760| 11
1767, 68, 69, 71 1769 | 9 | 30 3116 | 116
1783, 84, 85, 1784 | 15
1799 179 | 15
1809 1809 | 10 |
1814, 15, 16 1815) 61 5= 4.118 | 118 | 99,__
1820, 21, 4 82| 7 g> 1117
1827, 28, 29, 30, 31 1189| 7
1837, 38, 39 1838 | 9
1843,44, 45,46,47,48,50| 1846 | 8 en
1855, 58 1856 | 10 | le ||19
1862 1862| 6
1872, 76 1874| 12 ,_
1881. 06 a. © N 21= 2.105 | 105
—
Schon eine oberflächliche Betrachtung der Tabelle, namentlich aber
der Differenzen und der durch Summation erhaltenen Periodenlängen zeigt
uns ein auffällig häufiges Vorkommen der Zahl 11 und der Vielfachen
dieſer Zahl. Nimmt man aber eine kleine Durchſchnittsrechnung vor, ſo
ergeben ſich folgende Reſultate:
Das Geſammtmittel von 782 bis 1883 gibt 1101 Jahre; durch
99 Perioden dividirt, erhält man den Werth 11,12 Jahre als kleine
Hocmafferperiode, welcher Zahlwerth mit der von Rudolf Wolf beftimmten
Länge der Sonnenfledenperiode von 11,11 Jahren vollfommen über:
einftimmt.
Legt man die aus 17 Berechnungen gefundene Feine Periode zu
Grunde, jo erhält man den Durchſchnitt 11,07 Fahre.
Als Endrefultat der Vergleichung der Tabellenzahlen ergibt ſich ſonach
fir die feine Hochwaſſerperiode der Mittelwert von I,l Jahren,
der mit der Sonnenfledenperiode von 11,1 genau übereinftimmt. Außer
diefer Eleinen Periode ift noch eine größere von MM,33 oder nahezu
111 Fahren deutlich bemerkbar, die mit der von Reis angegebenen von
110 bis 112 Jahren identisch ift. An der letzten Periode fehlen noch
12 Fahre zur runden Zahl von 111, jo daß diejelbe durch eine oder
mehrere Ueberſchwemmuugen ſich auf das Jahr 1895 ergänzen dürfte.
In den Rahmen der von Frig aus fat 2000 Fahren gewonnenen
großen Nordlichtsperiode von 220 Fahren pafjen ziemlich genau
die großen und weitverbreiteten Hochwäſſer von 1784, 1565, 1342, 1118,
Eine eingehendere Durchführung diefer Gejegmäßigfeit nach den
3 Perioden von 11, 111 und 222 Jahren, bezüglich der Elbe überhaupt,
der Hochwäfjer Böhmens und der europäiichen Wafjererfcheinungen erfolgt
nad Durcharbeitung des geſammelten Quellenmaterials.
782. Kurz nach dem Einfalle dev Wenden und Hunnen, bei welchen
die Stadt Magdeburg und die von Kaifer Karl dem Großen erbaute
St. Stephanskirche zerjtört wurde, hat jich die Elbe ergoffen und was
vom Feuer an Mauerwerf übrig geblieben, vollends eingewafchen und
niedergemworfen (Pötzſch, Ueberſchwemmungen der Elbe).
821. Auf den naſſen Sommer von 820 folgte ein jo heftiger Winter,
als er nur jemals gewefen, wodurch nicht bloß die Elbe fondern aud)
alle Flüſſe Deutjchlands zugefroren, daß man darüber reiten und fahren
fonnte. Als das Eis aufgebrochen, hat dasjelbe an Städten, Fleden und
Dörfern ungeheueren Schaden gethan (Pötzſch u. Spangenberg).
962, November 11. Ein plöglid) eingefallenes Thaumetter brachte
durch raſches Aufgehen des mafjenhaften Schnees eine allgemeine Ueber:
— 160 —
ſchwemmung in Böhmen hervor. Auch die Elbe bewirkte durch ihr Aus—
treten großen Schaden (Pötzſch, Weleflawina).
1002, Sommer. In Folge eines allgemeinen Negenwetters gingen
alle Feldfrüchte durch die Näffe zu Grunde Die Elbe und Moldau
ergofjen fi gewaltig (Pötzſch).
1015. September. Ein anhaltendes Negenwetter brachte in Böhmen
große Ueberfchwenmungen, namentlih der Elbe und Moldau, hervor
(Strnadt Naturbegebenheiten).
1020. Alle Quellen erzählen, daß nach einem langen und harten
Winter, als der Schnee und das Eis aufthaute, die Flüſſe aller Orten,
namentlich die Elbe gewaltig ausgetreten wären und die Wäſſer ſich alſo
ergofjen, daß eine wahre Sündfluth entjtanden, wodurch ganze Städte,
Flecken und Dörfer wmweggerijjen und eine unglaubliche Menge Menjchen
und Bieh umgekommen (Pötzſchen. Annal. Saron. u. Reis „Waſſersnoth“).
1059, Herbit. Durch ein allgemeines Regenwetter traten alle Flüſſe
Böhmens weit über ihre Ufer und überflutheten das Land; auch die
Elbe mit ihren Nebenflüffen erreichte eine außerordentliche Höhe (Pötzſch).
1118, September. In Folge anhaltender Regengüſſe entjtand in
Böhmen eine fo gewaltige Ueberſchwemmung, wie folche feit der Sündfluth
nicht vorgefommen. In Prag ftieg die Moldau 6 Ellen über das Tafel-
werk der Brüde, während fie fonjt kaum dasjelbe erreichte (20 Schuh über
Normale); in Zetjchen foll die Elbe 18 Ellen 16 Zoll Höhe gehabt
haben“ (Pötzſch n. Fabritius, Wed, Cont. Cojm).
1141, März. Plöglich eingetretene Regengüſſe brachten im Frühlinge
eine große Ueberſchwemmung in Böhmen hervor. In Prag verurjachte die
Moldau am 15. März duch ihr Austreten ungeheueren Schaden. Auch
von der Elbe werden in Meißen Hochwaller gemeldet (Pötzſch, Strnad).
1203. Nach langem Negen traten große Ueberfluthungen der Elbe
ein, namentlich um Leitmeritz und Auffig herum amd verurfachten großen
Schaden (Strnad).
1275, Auguft 24. Um den Tag Bartholomäi haben ji) die Flüffe,
darunter auch die Elbe, jo heftig und fchredlich ergofjen, daß eine große
Menge Dörfer weggefpült und unglaublich viel Menjchen und Vieh erjäuft
wurden (Pötzſch, Strnad).
1315, Juli. Nach anhaltender Diürre folgten häufige Negengüfje,
wodurch alle Flüſſe Böhmens, in fonderheit die Elbe weit aus ihren
Ufern traten und großen Schaden anrichteten (Pötzſchen. Fabritius, Chron.
Frane. Prag). .
— 161 —
1342, Februar 2. Ein plötzliches Thauwetter verurſachte ein raſches
Aufgehen des maſſenhaft gefallenen Schnees und hatte eine koloſſale
Ueberſchwemmung der Moldau und Elbe zur Folge Die Brüden zu
Prag und Dresden gingen zu Grunde, nur die von Raudnig widerftand
dem Anpralle der Wogen (Pötzſch, Strnad).
1432, März 12. und Juli 22, Zwei große Ueberſchwemmungen; die
2. jedoch bedeutender. Das Hochwaſſer durchbrach an zwei Stellen die
Prager Brücke, zerftörte die Raudniger Elbebrücke und verurfachte um
Raudnig, Melnik und Zeitmerig ungeheueren Schaden. Zu Leitmerig
war die Wafjerhöhe 22 Schuh 1 Zoll; zu Auffig 11 Zoll niedriger als
1845 und zu Tetſchen 15 Elfen 19%, Zoll (Pötzſch, patr. ök. Gefellichaft,
Sonnewend).
1454. Die im Jahre 1452 erbaute Elbebrüde bei Leitmerig
duch ein Hochwaſſer zerjtört (Notiz im Stadtarchiv).
1481, Mai. Im Frühjahre fiel jehr najjes Wetter ein, worauf am
25. Mai zu Prag ein Hochwaſſer der Moldau eintrat. Dieje Fluth wird
auch von Fabritius bei der Elbe in Meißen angeführt (Pötzſch, Hagek,
Sonflar).
1495, Auguft. War in Böhmen eine gewaltige Ergießung der Moldau,
durch welche die maſſive Prager Brüde ſtark befchädigt wurde. Auch in
Sachſen wird auf diefen Monat eine Elbeüberſchwemmung ver:
zeichnet (Pötzſch, Hammerſchmid).
1501, Auguſt 15. In Folge anhaltenden Regens entſtand bei Leit—
meritz ein Hochwaſſer der Elbe, bei welchem die Walke, Schleifmühle und
3 Felder der Brücke weggerijjen wurden. Das Waſſer umgab Melikojed,
deſſen Bewohner in die Kirche flüchteten und ihr Vieh auf einem hoch—
gelegenen Felde in Sicherheit brachten. Auch das Eijendörfel und beide
Kopift ftanden unter Waſſer.
In Leitmerig war die Filcherei, die Dubina und alles oberhalb der
Mühlen überichwenmt. Das Hochwaſſer erreichte faft das Pflafter der Brücke
und verurfachte ungeheueren Schaden (Memorabilien der Stadtjchreiber).
1504, März 8. Unverhoffte, große Eisfahrt auf der Elbe bei Leit—
merig, wodurch die neue Elbebrüde fammt 3 Pfeilern von Grund aus
weggerifjen wurde und ein dreimal jo großer Schaden gefchah, als anno
1501 (Notiz im Stadtardhive).
1515, Juli 22. War bei Leitmerig ein Hochwafjer der Elbe, welches
duch Wegihwenmen von Heu und Getreide viel Schaden verurjachte:
Diefer Ueberſchwemmung, welche bereits am 21. Juli in Prag eintrat,
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 2. Heft.
— 162 —
wird auch bei der Elbe in Sachſen gedacht (Leitmeriger Archiv, Hammer-
ſchmid, Monach Pirn).
1531, Mai. Wird ein Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz angeführt,
welches fo groß war, daß man, wie Johann z Hradu bemerkt, das Wafjer
von der Brücke aus erreichen konnte (Strnad).
1549. Eine Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig (Strnad n.
e. Leitm. Manujpt).
1551. Wegen des fortdauernden Hochwaſſers der Elbe und Eger
haben die Leitmeriger Fiſcher feine Lachje fangen können; auch konnte dag
Malz allhier nicht gemahlen, fondern mußte nach Pokratitz verführt werden
(Schmid Memor.).
1557. Nach einem ftrengen Winter, der vom 23. Nov. bis 28. März
dauerte, brachte ein raſches Thaumetter ein großes Hochwaſſer der Elbe
hervor, welches an 4 Wochen dauerte und um Leitmerig und Aufjig viel
Schaden anrichtete (Schmid, Sonnewend).
1559, December 13. Entjtand bei Leitmerig ein großes Hochwaſſer
der Elbe, welches 8 Tage andauerte und wieder ſo hoch war, daß man
es von der Brücke mit den Händen erreichen konnte (Schmid).
1565, März 3. Kam ein ftarfes Eis mit großem Waſſer und riß
die Elbebrücde bei Leitmerig von Grund aus weg. Der Schaden an
weggeſchwemmten Holze betrug viele Taufende (Schmid).
1566, Februar. Großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz. Mli—
fojed und Kopift ganz vom Wafjer umgeben, die Fiicherei uuter Waffer.
Die Elbehöhe jo groß, daß man fich von der Brücke aus wachen Fonnte
(Mem. d. Stadtichr.).
1569, Juni. Am 21. und 22. Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig,
welches ſich bis zu der Ziegelhütte jenſeits der Brücke erftredte und alle
Wiefen um Kopijt unter Wafjer ſetzte (Mem. d. Stadtid).).
1578, Januar. Am 13. begann der Eisgang der Elbe bei Leit—
merig; am 25. nahm eine riefige Scholle 5 Paar Briidenböcde weg uud
ein neuer Stoß führte die übrigen jammt der Fahrbahn der Brücke weg
(Men. d. Stadtſch.).
1578, Aug. 28. Ein Hochwaſſer der EIbe, welches Hinter dem Zie—
gelſchlage und gegen Kopijt alle Wiefen überſchwemmte und über eine Woche
dauerte, während welcher Zeit feine Mühle in Leitmerig mahlen konnte.
1579, Juni 28. War ein jo großes Hochwaſſer der Elbe, wie es feit
langen Jahren nicht gewejen; das. Waffer ging bei der neuen Mühle, von
welcher der Müller behauptete, daß fie felbjt beim höchjten Hochwafjer
— 18 —
wird mahlen Fönnen, über den Pawlatſch weg. Da die Eger wenig Waller
hatte und der geweſene Regen in keinem Verhältniffe zu der großen Waſſer—
maſſe ftand, jo vermuthete man, daß irgendwo ein Wolfenbruch gewejen
und Teichdurchbrüche jtattgefunden hätten (Mem. d. Stadtjd).).
1582, Juni. Vom 2. bis 7. bedeutendes Hochwaſſer der Elbe bei
Leitmerig. Es ging um das vordere Gebäude der Mühle, wo der Müller
wohnt, herum, überſchwemmte die Fifcherei und drang ziemlich weit in die
Dubina vor (Men. d. Stadtſch.).
1583, März 18. Hat das Eis beim Hochwafler der Elbe alle
Brüdenböde vom jteinernen Pfeiler bis zum Vogel weggefchwenmt, jo daß
nicht ein Balken übrig blieb. Einen Theil der Brücke haben die Bauern
bei Zobofig aufgefangen, welchen die Gemeinde ihnen wieder abfaufen
mußte (Mem. d. Stabtid).).
1585, Juli 4. Bedeutendes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeriß;
in Folge andauernden Regens. Kopift unter Wafjer geſetzt, der Swiniaf
überjchwenmt und auf Feldern und Wiefen großer Schaden gejchehen
(Mem. d. Stadtſch.).
1587, Juni 6. Sing bei Zeitmerig ein großes Hochwaffer an, welches
duch 2 Wochen anhielt und in der Umgebung der Stadt, namentlih am
Swiniaf viel Schaden an Wiefen, Feldern und Weingärten verurfachte
(Mem. d. Stadtſch.).
1593, Januar 24, Riß das Eis beim Hochwaſſer der Elbe die
Brüdenböde mit Ausnahme dreier Paare gegen die VBogelftange weg, bald
darauf wieder ein Paar und am 26. die Lebten (Mem. d. Stabtid).).
1593, Juli 8. Fing die Elbe bei Leitmerig in Folge täglicher Re—
gengüffe gewaltig zu fteigen an und überjchwemmte am Tage St. Mar-
gareth alle Wiejen und Felder und richtete durch Wegſchwemmen des
Heues und Verſchlämmen des Graſes und der Felder großen Schaden an
(Dem. d. Stadtſch.).
1595, März 7. Brach das Eis der Elbe bei Leitmeriß, welches in
diefem Fahre ungemein ftarf war. Dabei ftieg das Wafjer jo hoch, daß
man fich von der vordern Brücke aus in der Elbe waſchen konnte. Kopift
und Mlifojed ftanden unter Wafjer, die Fiſcherei und der Judengarten
waren überſchwemmt. Der Schaden an Wiejen, Feldern und Häufern war
ungeheuer (Mem. d. Stadtid).).
1598, März. Durch das Einbredyen eines Südftromes trat ein raſches
Aufthauen des Schnees ein, fo daß die Elbe am 11. März eine Höhe
erreichte, mie fie feit Menjchengedenfen nicht gewejen. Das Waſſer jtand
/, Ellen höher als 1595 und reichte bis zum Hute des Bradacz am
11*
— IE
fteinernen Pfeiler der Elbebrüde. Es verurfachte in der Filcherei, Du-
bina,?bei den Mühlen und im Jüdengarten vielen Schaden; auch ein Theil
der Brüde wurde weggejhwenmt Das gewaltige Wafjer reichte faft bis
auf die Brüde, jo daß Kinder von derjelben, zur Erinnerung, ſich mit dem
Elbewaſſer wuſchen (Mem. d. Stadtſch.).
1598, Auguſt 18. Heftige Regengüſſe, Wolkenbrüche und Teichdurch—
riſſe veranlaßten ein Hochwaſſer der Elbe, welches nur um Elle nie—
driger als im Frühjahre war und gleichfalls großen Schaden anrichtete
(Mem. d. Stadtſch.).
1599, März 12. Entſtand beim Eisgange der Elbe ein großes
Hochwaſſer, welches mehrere Tage andauerte und vielen Schaden an
Mühlen, Häuſern und Feldern in der Nähe des Fluſſes verurſachte (Mem.
d. Stadtſch.).
1601, Juni 27. Hochwaſſer der Elbe, welches etliche Tage anhielt
und alle Felder und Wieſen um Mlikojed, Prosmik, am Pernai und in
der Polabe überſchwemmte. Der Schaden war ungeheuer (Memorabilien
der Stadtſchreiber).
1607, März 11. War ein ſolches Hochwaſſer der Elbe bei Leit—
meritz, daß die Mühlen nicht mahlen konnten; am 22. d. M. ſtand die
Elbe im Mühlgraben unterhalb der Brettfäge bis zur Mauerhöhe (Mem.
d. Stadtſch.).
1618, Februar 5. War ein ſtarkes Gewitter, worauf allgemeines
Thauwetter eintrat und alle Gewäſſer Böhmens, namentlich die Moldan
und Elbe ſich mächtig ergoſſen und wegen des ſtarken Eiſes großen
Schaden anrichteten; beſonders in Meißen waren die Verheerungen furcht—
bar (Pötzſch, Krieſche Ehr.).
1629, October 2. Trat in Dresden eine Ueberſchwemmung der Elbe
ein, welche gegen 8 Ellen über dem Normale erreichte und faſt 14 Tage
dauerte, worauf erjt die Moldau aus Böhmen fam, die am 10. October
in Prag eine Höhe erlangte, wie fie ſeit Menſchengedenken nicht geweſen
Pötzſch, Hammerjchmid).
1640. Anfangs Februar. Iſt duch das Hochwaſſer beim Eisgange
die Elbebrücde bei Leitmerig zerftört worden; das Brüdenmateriale als:
Schiffe, Gehölze, Bretter ift bis Pirna und Dresden fortgeſchwommen.
General Banner verfuchte zwar die Brüde wieder aufzurichten, doch gelang
ihm dies nicht (Theatrum europaeum).
1654, Hochwaſſer bei Leitmerig; die Elbe nahm alle Mühlen und
40 Häufer mit; die Zahl der ertrunfenen Menfchen war eine nicht ges
ringe (Strnad).
— 165 —
1655, Februar 15. Plöglicher Eisgang und erſchreckliches Hochwaſſer
der Elbe bei Leitmerit, wodurch das Dach von der kleinen Mühle und
die Brettmühle weggejhwenmt wurden und der Gemeinde ein großer
Schaden geſchah. In Mlikojed mußten die Bervohner auf den Thurm fich
flüchten, haben geftürmt und um Hilfe gebeten (Schmid).
1665, Februar 16. Großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeriß; die
Wafjerhöhe war nur einen Schuh niedriger als 1845. m Dresden war
die Fluth jo hoch, daß man das Wafjer von der Brüde aus mit der Hand
erlangen konnte (Pötzſch, Prof. Hadel).
1675, Juni 21. Iſt ein großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz
eingetreten, welches 4 Wochen dauerte und einen Schaden von etlichen
Millionen vernrſachte (Schmid).
1682, Januar. Hatte die Elbe wieder eine gewaltige Fluth. Am
18. und 19, begann fie in Meiſſen, wo fie eine Höhe von 10 Ellen 2 Zoll
erreichte ; in Prag erlangte die Moldau ihr Marimum am 26. Yänner;
am 28. Jänner ftieg die Eger in Kaaden bis zu der ungeheueren Höhe
von 19 Schuh über Normale (Pögjch, (Theatrum europaeum).
1684, März 2. Eisgang der Elbe bei Leitmerig; durch das jtarfe
Eis wurde die Brüde zerriffen und ruinirt (Schmid).
1698, Juli 22. War in Böhmen eine große Ueberſchwemmung, be’
welcher viele Dienjchen zu Grunde gingen und ein Schaden von mehreren
Millionen verurfacht wurde. Nach Vulpius war auch in Meißen, in Folge
andanernder Negen eine ſolche Elbefluth entjtanden, wie fie jeit 113
Fahren kaum gejchehen war (Pötzſch, Hammerſchmid).
1712, April. Andauerndes Regenwetter verurſachte ein plögliches
Hochwaſſer der Elbe, welches großen Schaden an Häufern, Mauern und
Vieh in den am Fluſſe liegenden Dörfern veranlaßte und auch die Leit—
meriger Elbebrücke jehr beſchädigte (Schmid).
1747, December 15. War ein fo großes und hohes Waſſer bei
Leitmerig, daß man hinter der Brücke nicht mehr jahren, fondern überſetzen
mußte; alle Stadtmühlen erjoffen, jo daß man 14 Tage nicht mahlen
fonnte (Schmid).
1748. In Folge der beftändigen Negen in den Monaten October,
November und December entjtand bei Leitmerig ein Hochwaſſer der Elbe,
durch welches viel Floßholz weggeſchwemmt wurde und die Gemeindemühle
mehrere Wochen das Mahlen einftellen mußte (Schmid).
1750, Juli. Mehrtägige Negen und Teichdurchbrüche brachten eine
große Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig hervor, welche vom 11.
— 16 —
bis 14. Juli andanerte und großen Schaden au Feldfrüchten und Floß—
hölzern anrichtete (Schmid).
1751, März 3. Eisgang der Elbe bei Leitmerig. Das Eis blieb
oberhalb des Wehres ftehen und reichte bis Krzeſchitz. Dadurch entjtand
ein bedeutendes Hochwaſſer, welches feinen Lauf bei Böhmisch Kopift durch
die jogenammte Uhrze nahm und beim Wehre wieder in die Elbe einfiel.
Am 5. ging das Eis glüdlic) ab, ohne großen Schaden verurjaht zu
haben (Schmid).
1760, Januar 27. Hob ſich das Eis der Elbe und Eger gleid)-
zeitig. Ein Theil desjelben jegte fi in der Egermündung feſt und hatte
zur Folge, daß die Eger ihren Lauf durch die Uhrze nahm; ein zweiter
Theil blieb zwijchen der Inſel und dem Syefuitengarten jtehen und jperrte
durch 2 Wochen die Elbe derart, daß fein Waſſer zu den Mühlen gelangen
fonnte, was eine große Mahlnoth hervorbradyte (Schmid).
1761, Februar 11. Iſt das Eis der Elbe bei Leitmeriß gebrochen
und gegangen; den 20. bis 28. darauf trat ein Hochwafjer ein, welches
in dem zu Lobofig nahe an der Elbe gelegenen Magazin großen Schaden
an Hafer und Heu verurfachte. In Meißen dauerte diefe Ueberſchwemmung
vom 12. bis 27. und erreichte eine Höhe von 8", Ellen (Pötzſch, Leitm.
Dem. IL).
1767, November. Gegen Ende des Monate trat in Folge an:
haltenden Regens Hochwaſſer der Elbe und Eger ein, welches alle Felder
jenjeit8 der Brüde überſchwemmte, jo daß die ganze Gegend einem See
glih. Bei den Mühlen in Leitmerig mußten die Bewohner auf Kähnen
aus ihren Häufern fahren (Zeitm. Mem. IL).
1768, Februar 24. Eisgang der Elbe, Eger und Moldau bei Leit:
meriß, wobei ein Hochwaſſer entjtand, wie es feit 40 Jahren nicht vor:
gekommen tft. Dasfelbe verurfachte durch Einreißen der Häufer in den
Dorfichaften und Abſchwemmen des Bodens von den Feldern einen un-
beichreiblichen Schaden (Leitm. Mem. IL).
1769, Juli. Durch die feit dem 8. Juni faſt täglich eintretenden
Regengüfje find die Elbe und Eger bei Leitmerig jo geftiegen, daß alles
Heu von den Wiefen weggeſchwemmt und das Getreide auf den Feldern
vielen Schaden erlitten und nebſtdem auch eine Menge Leute ertrunfen
jind (Leitm. Mem. IL).
1769, December. In Folge des fteten Regenwetters wurden nicht
blos alle Wege und Straßen ungangbar, fondern auch alle Wäffer über-
Ichritten ihre Ufer; insbefondere in der Leitmeriger Gegend verurſachte die
Elbe in allen Ortichaften in der Nähe des Fluffes großen Schaden. Alle
— 167 —
Mühlen bei der Stadt find ganz erfoffen, jo daß durch lange Zeit kein
Körnlein gemahlen werden konnte (Zeitm. Mem. II).
1771, März. Nach ſtarkem Regen trat ein allgemeines Thauwetter
ein und brachte eine große Elbeüberfhwemmung hervor. In Sachen
fing fie am 16. März an, in Auffig drang am 18. das Waller in die
Stadt und in Prag erreichte die Moldau am 17. ihre Marimalhöhe von
6'/, Ellen ü. N. (Pötzſch, Sonnewend, Schaller).
1783, Juni. In Folge heftiger Gewitter mit ftarfen Gußregen und
Wolkenbrüchen in Böhmen trat in Sachen großes Hochwaſſer der Elbe
ein, welhes am 3. Juni in Dresden 4 Ellen 12 Zoll ü. N. betrug
Pötzſch).
1784, Februar 28. Durch die rieſige Ueberſchwemmung der Elbe
in dieſem Jahre wurde bei Leitmeritz ein unſäglicher Schaden angerichtet.
Außer den 3 Mühlen wurden 57 Häufer ruiniret, viele Menfchen ertranken
und nur der aufopfernden Thätigfeit der Behörden war es zu danken, daß
gegen 500 Perſonen aus den inundirten Gegenden auf Schiffen und
Kähnen gerettet wurden. Die Wafjerhöhe der Elbe betrug bei Leitmerig
im Marimum 20 Schuh 4 Zoll ü. N. (Pötzſch, Berthold, patr. ök.
Geſellſch.).
1785, Mitte April. Ging das Eis der Elbe bei Leitmeritz; in
Prag fing der Eisſtoß am 16. an, doch war die Ueberſchwemmung der
Moldau nicht bedeutend; dagegen erreichte die Eger ihre vorjährige Höhe
und führte der Elbe große Wafjermaffen zu. Am 23. hatte die Elbe bei
Magdeburg ihren höchſten Stand von 5,64 Meter, den fie ie m der geit
von 1731 bis 1830 je erreichte (Pötzſch, Sonklar). 2
1799, Februar 23. Bei Leitmerik, Therefienftadt und in der. ganzen
Gegend verurjachte das Hochwaſſer diefes Jahres bejonders darum große
Noth, weil diesmal die Eger ungeheure Waffer- und Eismaffen der Elbe
zuführte. Das große Waffer riß 4 Eisbbcke weg, beſchädigte 4 Brüden:
pfeiler und brachte ſelbſt die Brucke im große Gefahr. Am 24. hätte dieſe
Eisfluth ihre Maximalhöhe won 21 Schuh 8Holl erreicht und über—
ſchwemmte zu "Beiden Seiten’ der Elbe und Eger 14Ortſchaften, ſetzte den
ganzen Thereſienſtädter Keſſel amter Waſſer und bildete einen ungeheuren
See. In Leitmeritz ſtanden die unter dem Dom gelegene Vorſtadt und die
Fiſcherei2 bis83 Klaftern hoch nuter Waller. Der Schaden, den dieſes
Hochwaſſer an Häuſern, Mauern, Güärlen und Feldern, namentlich in
Krzeſchitz, Trzebautitz, Mlikojed und Paint er RE Sur.
Pögich). Dr:
— 18 —
1809, Januar 28. Brad) bei Leitmeritz das Eis der Elbe bei fehr
hohem Wafferftande, weil e8 zu Prag 3 Tage nach einander geregnet
hatte, Die Moldauhöhe betrug bei der Thaufluth 10 Wiener Schuh, beim
Eisgange aber nur 6 Fuß (Mem. d. Dechantei, Fritich).
1814, März 24. Plöglicher Eisgang der Elbe bei jehr hohem
Wafferftande, wodurch die Eisböce zertrümmert und die 3 mittleren Pfeiler
fammt der Brüde zum Einfturze gebracht wurden und 4 Perjonen mit
in’s Waller ftürzten und ertranfen. An 100 Berfonen, die auf der Brücke
ftanden, hatten ihre Rettung nur dem Umftande zu danken, daß fie furz
vor der Kataftrophe, durch die Nachricht von dem Ertrinfen eines Haupt:
mannes auf der Therejienftädter Straße, auf das jenfeitige Ufer hingelodt
wurden (Berthold).
1815, Jannar 1. Wurde die 1814 erbaute Jochbrücke beim Eisgange
der Elbe vom Hochwaljer fortgerifien (Mem. d. Dechantet).
1816, December 15. Iſt die fliegende Brüde bei Leitmerig durch
den Eisftoß der Elbe fortgeſchwemmt worden; ein Theil derjelben wurde
erft bei Dresden aufgefangen (Berthold).
1820, Januar 20. Eisgang der Elbe bei fehr hohem Wajlerftande.
Noch am 24. war das Waſſer um 1 Elle niedriger als 1814 (Berthold).
1821, März 12. Erfolgte der Eisftoß der Elbe bei jehr hohen
Stande des Waflers und verurſachte in Trzebantig, Krzejchig, Podezapel u. a.
großen Schaden. Wafjerhöhe bedeutender al$ auno 1814 (David, met.
Beob.).
1824, Juni 28. In Folge häufiger Negengüffe trat eine große
Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig ein; der Waſſerſtand betrug
12 Wiener Fuß ü. N.; 1 Boll höher als 1821. Der Schaden an Feld—
früchten war ungeheuer (Men. d. Ded).).
1827, März 2. Eisgang auf der Elbe bei Leitmerig; Marimalhöhe
am 3. März 12 Grade am Gradmeijer des Brüdenpfeilers, 4 Schuh
3 Boll niedriger als 1784 (Mem. d. Ded).).
1827, Juni 12. In Folge täglicher Gewitter und ftarfer Regengüſſe
entjtand ein bedeutendes. Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig. Waſſerhöhe
8 Grad am Brücdenpegel (Mem. d. Dechantei).
1827, December 6. Durch rajches Aufthauen der Schneemafjen trat
bei Leitmerig ein Hochwaffer der Elbe ein, welches 7 Grad nad) dem
Brüdenmefjer betrug (Mem. d. Ded).)
1828, Januar 13. Eisgang der Elbe bei Leitmerit. Waflerhöhe
6 Grad am Brüdenpegel (Mem. d. Ded).).
— 19 —
1829. Waren 2 Hochwäſſer der Elbe; das erſte am 19. April in
Folge eines wolfenbruchartigen Regens; das andere in der Zeit vom
10. big 12. uni, welches 15 Zoll höher als erjteres war. Die Urjache
des 2. Hochwaſſers fcheinen die beifpiellojen Niederfchläge im Riefengebirge
gewefen zu fein, welche da ein rapides Schmelzen des Schnees und Ueber-
ſchwemmungen hervorbrachten (Mem. d. Dech., Petrak, Rieſengeb.).
1830, Februar 28. Bei dem Eisgange dieſes Jahres wurden die
3 mittleren Eisbocke raſirt und der mittlere Pfeiler der Elbebrücke bei
Leitmeritz ſtark beſchädigt. Der Maximalſtand des Waſſers war am 2. März
und betrug 17 Schuh 8 Zoll, alfo ' Elfe niedriger als 1799, anderthalb
Ellen niedriger als 1784 (Mem. d. Ded.).
1831, Februar 13. Eisgang der Elbe bei Leitmeritz; bei Czernoſet
thürmte ſich das Eis berghoch auf und verurſachte durch Rückſtauung eine
Ueberſchwemmung. Erfolglos erwies ſich die Beſchießung der Eismaſſen mit
Kanonen; am 4. März ging das Eis von ſelbſt weg (Berthold).
1837, Mai 16. In Folge anhaltenden Negens traten die Elbe und
Eger bei Leitmerig über die Ufern und überjchwenmten die Felder und
Wiefen in der Umgebung der Stadt. Wafjerhöhe 11’, Schuh ü. N.
(Dadel).
1838, März 3. Hob fich das Eis der Elbe bei Leitmerig und ging
bei einem Wafjerftande von 13", Schuh ü. N. ab, fank dann auf 7 Fuß
und erreichte am 8. wieder eine Höhe von 14 Schuh (Hadel).
1839, Februar 23. In Folge von Öfteren Regen und Schnee erreichte
die Elbe bei Leitmerig eine Höhe von 10", Schuh ii. N. (Hadel).
1843, Januar 30. Brad) das Eis der Elbe bei Leitmerig und fam
in Gang; am 1. Februar bejchädigte die Eger die Ufern bei Doran und
Brnian. Wafjerhöhe in Leitmerig 8 Schuh ü. N. (Hadel).
1844, Mai 20, Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig; Wafjerhöhe
7’ Schuh, am 31. Mai Marimum 10 Fuß (Hadel).
1845, März 27. Erfolgte der Eisjtoß bei mittlerem Waſſerſtande;
am 28. und 29. ftieg das Waſſer rapid, am 30. März erreichte die Elbe
die unerhörte Höhe von 3 Klaftern 5 Fuß über dem gewöhnlichen Stande,
beinahe einen Fuß über dem Stande von 1784. Das Wafjer bildete einen
fürmlihen See und überſchwemmte die ganze Gegend zwiſchen den Xeit-
meriger Vorjtädten und der Berglehne des Dorfes Göblig. Die Bewohner
von Mlikojed und PBrojmit wurden, Dank der Aufopferung mehrerer
Menschenfreunde, nur mit großer Noth dem ficheren Tode des Ertrinkens
entriffen (Berthold, pat. ök. Gefell.).
— 10 —
1846, Januar 23, Fing das Eis der Eger an zu gehen, am 24.
fam das Elbeeis in Gang; der Waſſerſtand war ziemlich hoch, am 26.
6 Schuh, am 27. 13 Schuh 2 Zoll und am 28. hatte es feine größte
Höhe von 14 Schuh 2 Zoll (Hadel).
1847, Februar 19. Trat der Eisgang der Elbe bei Leitmerig ein,
doch bald erfolgte eine Stodung des Eifes, welche ein Steigen des Waſſers
bis auf 13%, Schuh hervorbrachte (Hadel).
1847, Mai 1. Hochwaſſer der Elbe bei Zeitmerig, welches am 4.
jeine größte Höhe von 10 Schuh ü. N. erreichte (Hadel).
1848, Februar 9. Erfolgte der Eisgang der Elbe bei einem Waſſer—
ftande von 2 Schub, der volljtändige Abgang des Eifes trat aber erſt bei
einer Wafjerhöhe von 11Y, Fuß ein (Hadel).
1850, Februar 4. Früh um 4 Uhr brady das Eis der Elbe bei
Leitmerig; doch blieb es bis 10 Uhr. ſtehen; darauf ftieg das Wafjer bis
12’, Schuh und brachte das Eis in Gang (Hadel).
1855, März 4. Begann das Eis der Elbe bei Leitmeritz zu gehen,
blieb aber bald ftehen, worauf das Wafler bis 16", Schuh ſtieg. Am 5.
erjt ging das Eis vollends ab und zertrimmerte den erjten Eisbod. Das
ablaufende Waffer lieg am linken Elbeufer eine Unmaſſe von Eisjchollen
von 3 bis 4 Schuh Höhe liegen (Hadel).
1858, August 3. In Folge eines heftigen Negens ftieg die Elbe bei
Leitmerig und erreichte am 2. die Höhe von 5 Schuh, am 3. überjchritt
fie die Ufer und erreichte endlih den Marimalftand von 10 Fuß ü. N.
(Hadel).
1862, Februar 2. Große Ueberfchwenmung der Elbe bei Zeitmerig.
Am 29. Januar trat fie über die Ufer, am 1. Februar überfluthete fie
die Inſel, ven folgenden Tag erreichte fie ihre Marimalhöhe von 20 Schub;
3 Schuh weniger als 1845; aber ſchon am 3. fanf das Wafjer um 5 Sub
(Hackel).
1872, Mai. Am 25. brach in mehreren Gegenden Böhmens ein
furchtbarer Wolkenbruch mit Hagelſchlag aus, wodurch ein Schaden von
über 10 Millionen Gulden verurſacht wurde. In Folge dieſer großen
Niederſchläge brachten die Moldau und Eger gewaltige Waſſermaſſen, welche
bei Leitmeritz ein Hochwaſſer veranlaßten; am 27. erreichte die Elbe eine
Höhe von 12", Schuh ü. N. und überfluthete die Faſaneninſel und einen
Theil der Schüpeninfel, jegte den Thereſienſtädter Keſſel unter ae und
ichloß das Dorf Miikojed ganz ein (Leitm;: Zeitung).
1876, Februar. Am 18.bei einem Waſſerſtande won 3:6; Mieten t teat
der Eisftoß der Elbe bei Leitmerig ein, am 19. zeigte: der Brüdenpegel
— 1 —
526 Meter und beim Eisgange der Eger jtieg das Waffer bis auf
56 Meter. Diefes Hochwafler überſchwemmte die Schüten-, Miühl- und
Herzinfel, drang in die Mühlgaſſe ein und ſtand da über 30 Centimeter
hoc), bei der. Elbereftanration war die Wafjerhöhe faſt 2 Meter. Mlikojed
ftand ganz unter Wafjer und die Therefienftädter Straße war nur auf
Kähnen paſſirbar (Leitm. Zeitung).
1881, März. Am 8., bei niedrigem Waſſerſtande, begann das Eis
der Elbe und Eger zu gehen, am 9. ftieg das Wafler auf 45 Meter
und überſchwemmte die Schüßeninfel, trat in der Fiſcherei aus, umgab
die Elbereftauration, überfluthete den Therefienftädter Keſſel und ſchloß das
Dorf Mlikojed ein (Leitm. Zeitung).
1886, März 23. Nachmittags um 2 Uhr erreichte die Elbe bei
dichtem Eisgange die Höhe von 28 Meter, das Waffer ftieg fortwährend,
am 24. fam das Egereis, worauf die Elbe bis auf 4.8 Meter anwuchs.
Bom Damme der Eifenbahu bis zu den Wällen der Feltung war cin See,
Deutſch-Mlikojed glich einer AYnfel, jo daß man nur auf Kähnen dahin
gelangen konnte. Die tiefer gelegenen Häufer der Vorftadt, wie Elbe-
reftauration, Dampfmühle u. a. ftanden ganz im Waffer. Die Schüßeninfel
war ebenfalls überfluthet und bei der Mühlgafje erreichte die Elbe gerade
die Straßenhöhe (Leitin. Zeitung).
EV WW zw WE we
Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Indn-
ftrie Nordböhmens.
Bon Profeffor Franz Kübler.
2. Ignaz Ginzfey, ')
Fährt man auf der Gebirgsftraße von Reichenberg nad dem ge:
werbfleißigen Gablonz und Tannwald, fo ift das legte große Gebäude
Reichenbergs die rühmlichjt befannte, großartige Fabrifsanlage von Johann
Liebieg und Co. Der nächſte Ort, welchen man nach kaum vierteljtündiger
1) Fortfegung des erften Artikels in der erften Nummer des 24. Yahrganges ber
„Mittheilungen“. Außer mündlichen und jchriftlihen Mittheilungen von Seite
der Firma Ginzkey wurde benugt: „Ignaz Ginzkey.“ Ein Eulturbild von
Dr. 5. Mamroth. (Als Manufeript gedrudt.) Zweite Aufl. Reichenberg 1877.
„Dorfchronik“. Geſchichte der Ortichaften Maffersdorf, Proihwig und
— 12 —
Fahrt berührt, ift Maffersdorf, und hier ift wieder eines der erſten
in die Augen fallenden Gebäude die großartige Fabrit von Ginzfey,
zwiſchen Park- und Gartenanlagen verjtedt, aus welchen die Dächer und
ſchlanken Schlote emporragen. Der Ort, welcher ſich längs der Neiſſe
und der Gebirgsjtraße dahinzieht, gewährt mit feinen malerifch im Thale
und an den grünen Bergabhängen zerjtreut Tiegenden hibjchen, weißge—
tünchten und fauber gehaltenen Hänfern und Häuschen, eingerahmt von
Heinen Objt- und Blumengärtchen, einen jchönen Anblid und macht auf
den Fremden den günftigjten Eindrud. Man fteht, daß deutſcher Fleiß
und deutjche Neinlichfeit hier haufen, daß unausgejegte lange Arbeit und
Sparjamtfeit das auge und herzerfreuende Bild jchufen.
Maffersdorf und das damit zufanmenhängende Proſchwitz,
liegt zu beiden Seiten der Neiffe und wird von zwei Kämmen: dem
Profhmiger Kamme im Norden und dem Maffersdorfer Kamme im Süden
eingeſchloſſen. Dadurch eingeengt Fonnte ſich der Ort nicht in die Breite
jondern nur in die Länge, den Neiffeftrom auf und abwärts, ausdehnen
und wenn man auf der Gebirgsitraße von Reichenberg nad) Gablonz
fährt, hat man Muße, den Ort in feiner ganzen Ausdehnung kennen zu
lernen. Der Proſchwitzer Kamm iſt ein fchöner, iſolirt daſtehender Berg-
rücken, welcher von Südoſt nach Nordweit ftreicht und deſſen höchſter
Punkt 592 Meter mißt. Sein äußerjter nordweitlicher Ausläufer ift der
jogenannte Wachberg vor Maffersporf. Diejer Bergrüden fchügt einen
Theil von Maffersdorf, namentlich das ſüdlich gelegene Proſchwitz vor den
rauhen Nordwinden, jo daß der Objtbau, wenn auch nur in mäßigem
Umfange, noch mit Erfolg betrieben werden fanı. Parallel mit dem
Projhwiger Kamme und in derjelben Richtung ftreicht der Maffersporfer
Kamm, welcher ſich von dem eine halbe Stunde von der Neijje entfernten,
634 Meter hohen Kaijerjtein oder Kohljtatter Spigberge in
Neuwald von U. Fäger, Neichenberg 1865. Bon demfelben Berf.: „Meine
Bildungsgefhichte”, Separat-Abdruck der in den erften 4 Heften bes 12.
Jahrganges der „Mittheilungen“ erjchienenen Artikel, herausgegeben von
Dr. Ludw. Schlefinger, Prag 1874. Ferner: „Böhmische Dorfinduftrie“,
Mittheilungen IV. Jahrgang, 2. Heft. „Chronik der preußifhen In—
vafion des nördlihen Böhmens im Jahre 1866“ von A. Jahnel.
Reichenberg 1867. „Beitrag zur älteften Ortskunde der Herr:
ihaften Reihenberg, Grafenftein und Lämberg“ von P. U. Hoff:
mann im 11. Jahrgange der „Mittheilungen des Vereines der Naturfreunde
in NReichenberg“. Nekrologe in der Neichenberger Zeitung Jahrgang 1876,
Nummern vom 4.—28. Juni, der deutſchen Zeitung vom 28. Juli 1876.
— 13 —
nördlicher Nichtung abzweigt. Zwijchen den beiden Kämmen eingebettet,
liegen theils auf dem Bergabhange, theils in der Thaljohle die beiden
genannten Ortjchaften Maffersdorf und Proſchwitz. Während im Sitdoften
das Thal durch die nahe hevantretenden fteilen Bergwände eingeengt ift,
erweitert es ſich im Nordweiten; die Bergabhänge treten etwas mehr vom
Ufer der Neiffe zurüc, find auch weniger fteil nnd das Thal gewinnt hier
eine Sohle bis zur Breite von hundert Schritten. Die Thalwände bejtehen,
wie beinahe das ganze Fergebirge, aus Granit. Die Thaljohle war vor
Fahrtaufenden ganz vom Waſſer der Neiffe eingenommen, denn man ftößt
alfenthalben beim Graben in der Tiefe auf mächtige Bänke angeſchwemmten
Saudes, vermifcht mit Mufchelfchalen und abgerundeten Kiefeljteinen. Be—
jteigt man irgend einen erhöhten Punkt der beiden genannten Kämme, fo
genießt man eine weithin fich erſtreckende prächtige Rundſchau, zunächit
auf das zu unferen Füßen ausgebreitete, dicht bebaute Neiffethal mit feinen
zahlreichen Häuschen und ftattlihen Fabriken, auf die in fanften Wellen:
Iinien verlaufenden beiden Kämme, auf das gegen Nordojten und Oſten
dahinter fi aufbauende Iſer- und Riefengebirge und auf das gegen Nord»
weiten jtreichende Lanfiger Gebirge mit dem Jeſchken, welches fern am
Horizonte ji) mit den Ausläufern des Iſergebirges verbindet und die
breite Thalerweiterung bei Reichenberg, das Niederland genannt, abjchlieft.
Maffersdorf wurde von Slaven und Deutfchen gegründet, indem
hier, am Endpunkte des Neichenberger Thalfejfels, die vom Norden den
Neifjeftrom aufwärts ziehenden Deutjchen und die vom Süden vorrücdenden
jlaviichen Anfiedler aufeinanderjtießen. Die Neiſſe trennte die beiden An-
fiedlungen. Die ältere Anfiedlung war die flavifche, und hieß Wrati-
ſlawitz (Wratijlamicz). Sie befand ſich am linken Neifjeufer, jedoch nicht
in der Thalfohle, jondern auf den Höhen und den Abhängen des Maffers-
dorfer Kammes. Als Ort mit einer Pfarrfiche wird Wratiflawig zuerſt
im Jahre 1359 genannt. Fu den Hufittenfriegen wurde der Ort ſammt
der Pfarrkirche völlig zerjtört. Noch jegt zeigt man den Platz, wo die
erjte Kirche gejtanden fein foll und zwar auf einer Anhöhe des Maffers-
dorfer Kammes bei den jogenannten Zobelbirfen (vormals ein fchöner
Hain) unweit dem ehemaligen Richterhaus Nro. 116. Ein Feldplan un-
weit davon heißt noch jegt „der Kicchhof”. Die deutſche Anfiedlung erfolgte
jpäter und zwar, wie beveitS erwähnt, vom Norden und Nordweften ber,
indem, wie e8 auch naturgemäß war, aus dem Niederlande der Laufig
die deutschen Anfiedler jtromanfwärts dem Laufe der Neifje folgten und
theil8 über Zittau, theils iiber Seidenberg und Friedland in den Reichen:
berger Thalkeſſel vordrangen, wie man dies namentlich aus der Ver—
— 14 —
gleichung der biefigen Ortsnamen mit denen der benachbarten Lauſitz nach-
weijen kann. Wie heutzutage noch die deutfchen Auswanderer in Amerifa
den Neugründungen die Namen ihrer Heimat geben, fo war es aud) da-
mals; die Colonijten der Laufig gaben den Neugründungen im Neifjethale
theilweife die Namen ihrer verlafjenen Heimatsorte. Daher finden mir
bier und in der preußiſchen Lauſitz gleichnamige Dörfer, wie: Kunnersdorf,
Heinersborf, Berzdorf und Maffersdorf. Das legtere entfpricht dem Meffers-
dorf in der preußifchen Laufig zwiſchen Neuftadtl und Friedeberg, wurde
früher Maeffersdorf und Meffersdorf gejchrieben und ift jedenfalls eine
Colonie des erfteren. Das Vorrücden der deutſchen Anfiedlungen, das
Neiſſethal aufwärts, erreichte in dem engen Thalkefjel zwifchen dem Maffers-
dorfer und Profchwiger Kamme feinen natürlichen Endpunkt, da das jeu—
jeit8 der Neifje auf den Höhen liegende Wratijlawig, ferner Projchwig,
Radl und Gablonz bereits von Tſchechen und zwar vom Iſerthale aus,
angelegt waren. AS im Hufittenkriege, wie jchon erwähnt, die beiden
DOrtichaften eingeäfchert wurden, trat allmählig nach dem, Wiederaufbau
derjelben der ältere Name Wratijlawig zurüd, während die deutfche Dorf-
anfiedlung am rechten Neiffeufer die Oberhand behielt, fo daß der Name
Maffersdorf auch auf die urfprünglich ſlaviſche Anfiedlung am Linken Ufer
ausgedehnt wurde, was im Laufe des 16. Jahrhunderts erfolgte. Die ur-
Iprünglihe Trennung Maffersdorfs in zwei Gemeinden dauert übrigens
bis auf den heutigen Tag fort, obwohl alle Gründe für eine Vereinigung
der beiden Gemeinden jprechen würden, indem man gegenwärtig Maffers-
dorf rechts und links der Neiſſe unterjcheidvet. Dies hat darin feinen
Grund, daß urſprünglich die beiden Thalfeiten der Neiffe zwei verſchiedenen
Herrſchaften: Neichenberg und Böhmiſch-Aicha, gehörten. Als nad) Auf-
hebung des herrichaftlichen Unterthänigfeitsverhältnifjes im Jahre 1850
beide Gemeinden in den Neichenberger Bezirk famen, hätten fich diefelben
leicht zu einer Gemeinde vereinigen können, wenn man die Vortheile einer
ſolchen Vereinigung befjer eingejehen hätte. Die im Hufittenfriege ver-
brannte alte Kirche wurde nicht mehr an derjelben Stelle aufgebaut. Die
gegenwärtige Pfarrkirche zur heiligen Dreifaltigkeit befindet ſich auf der
rechten Thalſeite der Neiffe innerhalb der deutſchen Anfiedlung und ftammt
vom Jahre 1701, indem fie an Stelle der früheren hölzernen, wahrfcheinlich
im Sabre 1563 erbauten Kirche von dem italienischen Baumeister Marco
Antonio Chianivalle aus Prag errichtet wurde. Das ältefte und merk:
wilrdigjte Geräth der Kirche ift ein vom Jahre 1563 ftammender Tauf-
brunnen aus Zinn, welcher auf einem fteinernen Fuß fich erhebt und mit
einem hölzernen Dedel verjehen ift.
— 15 —
Die Bewohner Maffersdorfs Iebten feit den älteften Zeiten neben
dem Landbau von der Zeinweberei und Spinnerei. Das ziemlich
rauhe Gebirgstlima, der unebene Kiesboden, aus welchem hie und da die
Granitmaſſen zu Tage treten, find der Landwirthichaft nicht günftig, fo
daß jchon zur Zeit der erften Anfiedlung, als die Bevölferung noch dünn
war, die Feldfrüchte zur Ernährung der Bewohner nicht hinreichten und
das Fehlende aus dem fruchtbaren Flachlande bezogen werden mußte. Die
Mittel zum Ankaufe mußten duch gewerbliche Thätigfeit gewonnen
werden. Der erste und urjprünglichjte Induſtriezweig des Ortes und der
ganzen Gegend um Neichenberg war die Leinweberei, welche die An-
jiedler aus ihrer Heimat mitbradıten. ) Man baute Flachs, ſpann den—
jelben und wob aus dem Garne Leinwand, welche zum Xheile an die
reicheren Bauern des Flachlandes verfauft oder vertaufcht wurde. Die
Wiefen an der Neilje boten auch günftige Gelegenheit zum Bleichen. Syn
der früheren Zeit traf man faft in einem jeden Haufe, mit Ausnahme -
der Banernhäufer, einen oder mehrere Webjtühle. Die Weber haufirten
auch als „Garnmänner“ im Flahland das Garn zufammen, woraus
für die Landleute um Lohn Hausleinwand gewoben wurde. Der Lein-
- weberei der hiefigen Gegend wird auch in alter Zeit jchon gedacht. Bereits
im 14. Jahrhundert unter König Johann von Luxemburg giengen böhmifche
Linnen bis nad Hamburg. Im Fahre 1630 gab es in Maffersporf
24 Weber. Die Linnenhändler diefer Gegend hatten im fogenannten
Kopengebäude zu Prag ihren Sig. Einzelne Weber brachten es im
Spinnen und Weben zu bejonderer Kunftfertigfeit, jo daß von den feinften
Strähnen vier durch einen Fingerring gezogen werden fonnten und die
daraus gefertigte Waare überall gejucht war. Manche verjtanden es auch,
das Garn für gemufterte Zeuge zu färben. Es ijt eine Thatjache, welcher
hier gedacht werden joll, die freilich beinahe ſchon vergeffen ift, daß die
Kunftweberei in Berlin durch einen Maffersdorfer Weber begründet
wurde. Bor 100 Jahren, jo erzählt A. Jäger in feiner Dorfchronif,
hatte ein Maffersporfer Weber in der Fremde die. Damaftweberei erlernt.
In feinen Geburtsort zurückgekehrt, errichtete er einen Fünftlichen Webftuhl
mit vielen ZTrittlingen, worauf er gezogene Tücher mit allerhand Figuren
und Muftern wirkte. Da er jedoch damit im feiner Heimat nicht den
rechten Wirkungsfreis finden fonnte, jehnte er fich wieder fort. Da hörte
1) In Ritter's geographifch-ftatiftiihem Lericon 7. Auflage 1883 wirb bei
Meffersdorf im preußiſchen Regierungsbezirk Liegnig die Leinweberei als
Hauptbeihäftigung ber Bewohner angeführt.
— 116 —
er, daß der preußifche König Friedrich II. gejchidte Gewerbsleute ſchätze
und gut entlohne. Raſch entjchloffen verfertigte er ein kunſtreiches Tafel—
tuch mit einer großen Zahl von Figuren und Zeichnungen und wanderte
damit, begleitet von feinem Weibe, nach Potsdam, wo er ſich dem Könige
vorftellen Tieß und ihn das Tafeltuch als Geſchenk überreichte. Er hatte
fi auch in feinen Erwartungen nicht getäufcht. Der König nahm ihn
huldvoll auf, belohnte ihn reichlich und bewog ihn, in Berlin fich nieder-
zulaffen und die Damaftweberei zu errichten. Damit war fein Glück be-
gründet und fo wurde von Maffersporf aus die Damaftweberei in Berlin
eingeführt.
Heutzutage ift die Leinweberei in Maffersporf wie in Neichenberg
beinahe gänzlich erlojchen und durch andere Induſtriezweige verdrängt,
Eigentliche Weberdörfer find gegenwärtig nur noh Langenbrud und
Jerſchmanitz und andere Ortjchaften, in welchen wegen Mangel an
fließenden Gewäſſer Feine Fabrik errichtet werden Fonnte. Außer der Lein—
weberei birgerte fich auch frühzeitig in Maffersdorf und den benachbarten
Ortichaften (Reichenberg gleichfalls) die Strumpfwirferei ein, welde
namentlich zu Anfang unjeres Yahrhundertes, während der franzöfiichen
Kriege, einen bejonderen Aufſchwung nahm, da fie beträchtlichen Gewinn
abwarf. Später jedoch begann jie rajch wieder zu finfen und von dem
ehemals blühenden Strumpfiwirfereigewerbe hat jih nur im nahen Pro:
Ihwig und den nördlich davon gelegenen Ortſchaften ein jpärlicher Reit
erhalten. Einen weiteren erheblichen Erwerbszweig für Maffersdorf bil-
deten jeit langem die Hilfsarbeiten für die Neichenberger Tud-
indujtrie, indem auf Handrädern das Garn fir die Neichenberger
Tuchmacher gefponnen wurde. Wenn auch mit der Einführung der Ma-
ſchinen diefer Erwerbszweig aufhörte, jo blieb doch dem Maffersdorfer
Thale eine andere Hilfsarbeit der Neichenberger Tuchinduſtrie fait aus-
ichlieglich erhalten, nämlich die Tuchleiften- oder Zwijtenerzen-
gung. Das Garn, wozu man überaus ftarfhaarige Wolle, wohl aud)
Ziegen- und Kälberhaare nimmt, wird jegt hauptſächlich auf Mafchinen,
jeltener. wohl auf Handrädern gejponnen und den Neichenberger Tuch-
machern für die Salbäuder der Tücher geliefert, ja es wurde bis Görlig,
Sorau und Cottbus jowie nad) Brünn ausgeführt. Hiebei ift eine Theilung
der Arbeit jeit Alters eingeführt, indem die Männer den Einfauf der
Wolle, das Färben und die Zwijtenerzeugung vornehmen, während die
Frauen die fertige Waare auf den Märkten der Umgebung, ſelbſt in Prag,
meift aber im nahen Reichenberg abjegten. Doch fam es auch vor, daß
die Frauen das Färben und die Zwiftenerzeugung gleichfalls beforgten.
= A
Endlich ſei noch eines Erwerbszmeiges gedacht, welcher in neuerer Zeit
manchen Bewohner Maffersdorfs dem Webjtuhle entzog und gegenwärtig
viele Familien ernährt, nämlich) dag Steinmetzgeſchäft. Das Gebirge
und die Thalabhänge weijen in dem zu Zage tretenden Geſtein einen
feinförnigen Granit auf, welcher zu Thürjchwellen, Stufen, Fenſterbänken
und Platten verwendet wird. Außerdem find, namentlich im oberen Neiffe-
thale, die Thalgehänge und Wieſen mit einer Unzahl von Granitblöden
bededt, welche von den betreffenden vegjamen Steinmeßfamilien verarbeitet
und in Geld umgewandelt werden.
Der Name von Maffersdorf ift jedoch erjt in der neueſten Zeit über
die engeren Grenzen der Heimat hinausgetreten, er wurde erſt weltbefannt
durch die von Ignaz Ginzfey gegriindete großartige Deden- und Teppich—
fabrif, *) die größte diefer Art in ganz Dejfterreich, wodurch nicht nur ein
neuer bedeutender Syuduftriezweig für Maffersdorf und deſſen Umgebung
geichaffen wurde, die Hundert rührige Hände ernährt, ſondern wodurd)
auch die rajchere Entwidlung des Ortes ſelbſt, der gegenwärtig zu den
bevölfertjten des ganzen Bezirkes gehört (er zählt in 458 Häufern 4910 Ein-
wohner und zwar 2503 rechts und 2407 links der Neifje), bedingt wurde.
Ignaz Ginzkey, der Begründer der genannten großartigen
Yabrifsanlage, und ein würdiges Gegenftüd zu Johann und Franz Liebieg,
wurde in Maffersdorf links der Neijje am 25. Juni 1819 im fchlichten
Weberhäuschen Nro. 212 geboren und in der Pfarrfirche dajelbit getauft.
Ignaz Ginzfey gieng, wie Johann Liebieg, aus bejcheidenen Verhältniſſen
hervor; jein Vater Ignaz betrieb neben der Gärtnerei die Weberei
und Tuchleiſtenſpinnerei, während die Mutter Helena, cine geborene
Kretihmer aus Maffersporf, das Verfaufsgefchäft der erzeugten Waaren
bejorgte. Ignaz war von 6 Gejchwijtern, 3 Brüdern und 3 Schwejtern,
das vierte Kind. Anfangs etwas fchwächlich, entwidelte er jich mit Beginn
des Schulbefuches zu einem frischen, kräftigen Jungen. Den erjten Unter-
richt genoß er in der zweiclaſſigen Pfarrjchule feines Heimatsortes, die er
fleißig durch 6 Jahre beſuchte. Unterrichtsgegenjtände zu jener Zeit waren
Religionslehre, Lejen, Rechnen, Recht: und Schönjchreiben, als Schulbücher
waren die Fibel, der Katechismus, die bibliiche Gefchichte und das Evan:
gelium in Verwendung. Obwohl nun zu jener Zeit das Schulwejen,
1) In Ritter’3 geographifcheftatiftiichem Lericon iſt Maffersporf zunächſt jelbftändig
angeführt mit der Bemerkung: „Biel Weberei, Streichgarnipinnerei und Tep—
pichfabrifen”, ohne daß der Name Ginzfey erwähnt wurde, ferner unter Rei—
henberg nohmals aber unrichtig „Meffersdorf mit Shawlsfabriken.“ Shawls
werden in Mafferödorf nicht erzeugt.
Mittheilungen, 25. Iahrgang, 2, Heft. 12
— 18 —
verglichen mit unferen gegenwärtigen Verhältniffen, auf einer jehr niedrigen
Stufe jtand, jo waren dennoc unter einem bedeutenden Bruchtheil der
Devölferung Maffersdorfs gediegene Kenntniſſe und namentlich, wie od)
heutzutage jowohl hier wie in der ganzen Gebirgsgegend, viel Sinu
für Weiterbildung vorhanden. Dies hatte vornehmlich darin feinen
Grund, daß Maffersdorf eine der erjten DOrtsgemeinden diefer Gegend
war, welche im Schulunterrichte die Reformen der bekannten Schulmänner:
Felbiger und des Bilchofs Kindermann, Edlen von Schuljtein (gejtorben
in Zeitmerig im Jahre 1801), einführte, wodurd) das frühere nußloje
Formelwerk und Auswendiglernen befeitigt, die Denkthätigkeit des Kindes
geübt, die Schüler nad) Alter und Fähigkeit in Claſſen eingetheilt und
der vegelmäßige Schulbefuch verbindlich gemacht wurde. Auch Reichenberg
nahm damals an den fortichrittlichen Neuerungen einen lebhaften Antheil.
Graf Ehrijtian Bhilipp Clam-Gallas hatte im Fahre 1776 den um die Ber:
bejjerungen des Schulwejens verdienten und auch als pädagogischen Schrift:
jtellev befannten P. Franz Scholz zum Divector des gefammten Schul:
wejens auf feinen Herrichaften: Friedland, Grafenjtein, Laemberg und
Reichenberg eingefegt. Jede Schule auf der gefammten Herrichaft beſaß
Lehrer, welche in der Prager Normaljchule ihre Prüfung abgelegt hatten.
Die von 1810—12 gebaute Altftädter Volksſchule in Neichenberg war das
größte und ſchönſte Schulgebäude in ganz Böhmen. In Maffersdorf brad)
dem neuen Unterrihte Gottfried Pijchelt Bahn. Er war 1781 im
Kunnersdorf bei Friedland geboren (gejtorben zu Maffersporf 1857,
76 Jahre alt), hatte in Brag feine Prüfung als Hauptſchullehrer ab:
gelegt und Fam im Jahre 1824 von Grafenjtein nach Maffersdorf, wo
er das alte Lehrſyſtem der Buchſtabirmethode bejeitigte und die
neue Lautirmethode einführt. Er jah bei jeinen Schülern befonders
auf eine jchöne, gleihmäßige Handjchrift und er erzielte auch im Uuter-
richte die ſchönſten Erfolge, jo daß jich jeine Schüler rühmten, bei ihm
mehr als in anderen Schulen gelerut zu haben. Sp erzählt A. Jäger, ')
daß, als nach einer Taufhandlung in der Meaffersdorfer Pfarrkirche der
Zaujpathe vom Pfarrer gefragt wurde, ob ex jeinen Namen jelber in die
Zaufmatrif einschreiben fünne, der Gefragte antwortete: „Freilich kann ich
das, ich bin ja bei Pilchelt in die Schule gegangen!" Gleichzeitig mit
Piielt wirkte an der Maffersporfer Schule von 1824—31 der Caplan
Stephan Sommer aus Oberberzdorf bei Neichenberg, ein Prieſter in
de3 Wortes edeljter Bedeutung und ein großer Kinderfreumd, der auf Weg
1) Dorſchronik, pag. 202.
— 19 —
und Steg jtetS von einem Schwarm Kinder umgeben war. Diefer Mann
pflanzte in der ihm anvertrauten Jugend, ja ſelbſt in weitere Kreife, jenen
Sinn für eigene Weiterbildung, der bis auf den heutigen Tag vorhanden
it und welcher unter anderem die trefflichen und eigenartigen Schilve-
rungen des Maffersdorfer Mühlenbefigers Anton Jäger als edle Frucht
zeitigte, Schilderungen, die zu den beiten Leijtungen ihrer Art gerechnet
werden müſſen.!) Aus eigenen bejcheidenen Mitteln jchaffte ev eine Samm-
lung von Volks- und Yugend-Schriften, 3. B. von Ehriftoph Schmidt und
Anderen an, welche er an Kinder und Erwachjene zum Leſen auslieh.
Bon der kleinen Bibliothef Sommers wurde in der Gemeinde fleißig
Gebrauch gemacht, und allmählig begann man auc in einzelnen Familien
ven Wert eigener Bücherfammlungen zu jchägen und nad) Maßgabe der
Vermögensverhältniſſe ſelbſt Bücher anzufchaffen, eine Gepflogenheit, die
leider und fjehr zum Schaden unferer dentichen Literatur heutzutage felbjt
in ſehr reihen Familien noch nicht geiibt wird, indem man lieber die
ſchmierigen Bücher der Leihbibliothefen zu leſen vorzieht, jtatt eigene Bü—
chereien, wie zum Beijpiel in England, zu bejigen.
Sp waren die Schulverhältnifje bejchaffen, als der junge Ginzfey
den erſten Unterricht genoß und das Zuſammentreffen diefer günſtigen
Verhältniſſe mag es auch erflärlih machen, daß Ginzfey in der Maffers-
dorfer Schule eine jo fihere und ausgiebige Grundlage für
jein ganzes Leben erwarb, wodurd auch ein guter Theil
jeiner fpäteren großen Erfolge bedingt wurde, In der Schule
entwicelte Ginzkey eine beſondere Vorliebe für das Nechuen, worin er
auch feine Mitſchüler überragte. Auch in den vorgenommenen ejell-
ichaftsjpielen that ev fich hervor, indem er häufig im Spiele einen jchlau
angelegten Spaß einzuflechten verjtand, wodurch demfelben mehr Leben
verliehen wurde. Als er die vorgejchriebene Schulzeit hinter ſich hatte,
wurde er, wie es damals üblich war und felbjt heute noch vorkommt, auf
ein Jahr „ins Böhmische" geſchickt, um die zweite Landesiprache zu
erlernen. In das Elternhaus zurückgekehrt, erlernte er beim Vater die
Weberei und half auch der Mutter bei dec Verfertigung und beim Färben
des Zwijtengarnes und trug mit ihr das am väterlichen Webjtuhl Erzeugte
in die nahe Stadt.
Bald traf die Familie Ginzfey, welche in befcheidenen, aber doc)
erträglichen Verhältniſſen lebte, ein fchwerer Unglüdsichlag. Der großartige
1) So 3. B. feine bereits angeführte Dorfhronit von Maffersdorf, fowie
„Meine Bildungsgefhichte” (Mittheilungen, 12. Jahrg.). Er ftarb zu Maffers-
dorf am 19. Nov, 1872,
12*
— 180 —
Aufſchwung in der Schaf- und Baummwoll-Fnduftrie des Auslandes in Folge
der allgemeinen Einführung der Mafchinen hatte fir die djterreichifche
Induſtrie, die zu Ende der dreißiger Jahre unferes Yahrhundertes durchaus
noch Hausinduftrie war, eine Reihe von fchlechten Gejchäftsjahren
zur Folge, welche ſich zwijchen 1837—39 auf die gefammte Schafwoll-
induftrie erjtredten und in vielen Hütten des gewerbfleißigen deutſchen
Nordböhmen Noth und Elend brachten. Auch Maffersdporf wurde dadurch
hart getroffen und der Vater des Ignaz Ginzkey jah jich in Folge der
allgemeinen Arbeitsjtokung und eingetretener Zahlungsverlegenheiten im
Jahre 1839 genöthigt, fein Beſitzthum mit der Gartenwirtbichaft feinem
ältejten Sohne Joſef, welcher die Strumpfwirferei betrieb, zu verkaufen.
Da fich die fchlechten Gefchäftsgänge auch auf die Strumpfwirkerei er:
jtredten und diefe immer weniger erträglich wurde, war auch er nicht
im Stande, das Verhängnis abzuwenden. Nad) zweijährigem, vergeblichem
Ningen mußte das väterliche Grundſtück gerichtlich verfauft werden. Der
Bruder überlebte diefen Schidjalsichlag nicht Tange, er ftarb bereits am
25. April 1841. Wiewohl in der VBertragsbeftimmung des Verfaufes der
Familie Ginzfey das Wohnrecht im Haufe zugefichert worden war, jchien
doch der Feine Hausjtand den bitterjten Entbehrungen entgegenzugehen,
weil die Gläubiger unaufhörlich drängten und die Großeltern durd) das
Unglück gebeugt, kaum im Stande waren, das Nöthige für den täglichen
Bedarf aufzubringen. Dies war für den jungen Ignaz eine kummerreiche
Zeit, eine rauhe Schule, welche jedoch bei ihm, wie bei alfen geſund an-
gelegten Naturen, die Thatkraft anfachte und verdoppelte, den widrigen
Berhältniffen Trog zu bieten. Da traf kurze Zeit darauf die Familie ein
zweiter Schlag: jchon am 2. März 1843 folgte der Vater dem voraus:
gegangenen Bruder ins Grab.
Nun war Ignaz im Alter von 24 Fahren das Haupt der Familie,
ihr Heimmejen war im Verein mit der Mutter feinem Fleiße und feiner
Umficht anvertraut. Das Unglüd und die ſchwere Zeit hatten feine That-
fraft geftählt, ev jah es als jeine Hauptaufgabe an, die von den Eltern
übernommenen Berpflichtungen und Verbindlichkeiten pünktlich zu erfüllen
und das verloren gegangene väterliche Bejigthum durch raftlofe Arbeit
wiederzuerlangen. Mit durchdringendem Verſtand begabt, erkannte er bald,
daß das vorgeſteckte Ziel nicht mit den gewöhnlichen Mitteln zu erreichen
und daß mit einem einzigen Webjtuhle, an welchem bloß Wollzeug ver-
fertigt wurde, nicht vorwärts zu fommen fei, daß daher neue Erwerbs:
wege eingejchlagen werden müßten. Infolge dejjen verfiel der junge
Ginzkey auf die Idee „Teppiche“ zu erzeugen, da er ſah, daß in den
— 11 —
mittleren und felbjt niederen Gejellfchaftsclaffen bereits das Streben vor-
handen war, die Wohnräume bequemer einzurichten und fie durch Teppiche
zu zieren, welche infolge der mafjenhaften Erzeugung duch die Mafchinen
bedeutend billiger geworden waren. Die Betten, wo beinahe °',, der Be:
völferung zur Lagerftätte eine hölzerne Britiche und als Kopfpoljter einen
hölzernen Block hatten, wo die wenigjten Wohnungen einen Herd befaßen,
jtatt der Glasfenfter hölzerne Läden oder in Del getränftes Papier oder
Tuchlappen und Flechtwerk verwendet wurden, wo jelbft das Schlafgemad)
der Könige jtatt mit einem Teppich mit frifchen Binjen oder Reiſig belegt
wurde, wo der Beſitz eines Hemdes oder eines Schnupftuches oder eines
Paares Strümpfe als Luxus galt, waren eben vorüber. Wie wenige
denken aber heutzutage daran, daß fie föniglicher wohnen, als früher felbft
die Könige, daß anftändige Arbeiterfamilien ‚heutzutage ſich bejjer Eleiden,
wohnen, ſchlafen und efjen als die höchjten Adelsfamilien in Deutjchland
im 11. Kahrhundert! Gab es ja doch noch zu Anfang unferes Jahrhun—
derts in diefer Gegend viele Arbeiter: und Hänsler-Wohnungen ohne
Fenfter und irgend welches Hausgeräth, Wohnungen, in welchen der
Rauch vom Herdfeuer durch die Thür und die Riten der Wand ſich Aus:
gang verfchaffen mußte und das Licht durch diefelben Deffnungen Eingang
fand. Wie anders ift es heutzutage! Wie viele Arbeiterfamilien wohnen
nicht in hübſchen aus Stein gebauten mit Schiefer gebeten Häuschen,
hinter den Fenjtern Vorhänge, hie und da auch Gypsfiguren, vor denjelben
Blumen, auch ein Gärtchen, das Innere nett und. gut eingerichtet, mit,
wenn auch einfachen, Fußteppichen und Zifchdeden verjehen. Freilich
hat diefen Zuftand verhältnismäßigen Wohlftandes in unferer von Natur
aus unfruchtbaren Gegend nur angeftrengte, gewerbliche Arbeit her-
beigeführt, vermochte nur diefe der bereits fehr dicht gewordenen Be—
völferung ihr Fortbejtehen und ihre ungefährdete Entwiclung zu fichern,
fie zu einen menjchenwirdigen Dafein emporzuführen.
Sp gieng nun der junge Ginzkey in der richtigen Erkenntnis der
Berhältniffe feiner Zeit daran, Teppiche zu erzeugen und jchon am
12. März 1843, demnach wenige Tage nad) dem Tode jeines Vaters,
jehen wir ihn im väterlichen Haufe den erjten Zeppichftuhl mit der
äußerſt finnreich gebauten Jacquardmaſchine aufftellen, dem noch im Herbfte
desjelben Jahres ein zweiter folgte. Neben feinen beiden Teppichjtühlen
jtellie Ignaz Ginzkey zwei Jahre jpäter den erjten Stuhl zur Erzeugung
ihafwollener Deden auf. Das waren, wie bei Johann Liebieg, die
Eleinen und unbedeutenden Anfänge eines Fabricationszweiges, welcher jpäter
einen jo glänzenden und bedeutenden Aufſchwung nehmen follte und welcher
— 12 —
zu der jegt ausgedehnten großartigen Fabriksanlage führte, deren Erzeug:
niffe fich den Weltmarkt eroberten und die den Namen „Maffersdorf” über
den Ozean in ferne Länder getragen haben. Wenn aud) hier, wie in allen
Dingen der Anfang jchwierig war, jo war doch bald ein Aufichwung des
kleinen Gejchäftes zu bemerken, und zu Allerheiligen des Jahres 1845
bezog Ignaz Ginzkey zum erſtenmale mit feinen jelbjterzeugten Teppichen
und Deden den Wiener Markt. Für den Anfang war es feine geringe
Lajt, welche Ginzkey mit diefer Betriebserweiterung auf feine Schultern
nahm, doch verlor er nie feinen frohen Lebensmuth und jene Hoffnungs—
freudigfeit. Stets heiteren Gemüthes uud liebenswürdig war er, wo es
mit gutem Anftande gefchehen Konnte, namentlih an Sonntagen, heiter und
febensluftig, und auf dem Zanzjaale beim „Maffersdorfer Scholzen”, damals
der Mittelpunkt ver befjeren Gejelffchaft aus Neichenberg und Umgebung,
war er als „flotter Tänzer“ gern gejehen. Trotz feiner heiteren, zum
Frohfinn geneigten Gemüthsart war Ginzkey in der Wahl feines Umganges
wählerifh und er war nicht jedermanns Freund, Er war bemitht, fich
immer den bejjeren Gejelljchaftsfreifen feines Heimatsortes anzujchliegen,
und er itberragte auch frühzeitig darin viele feiner Jugendgenoſſen, daß
er im gejchäftlichen Verkehre eine freiere Lebensanfhauung und feinere
Umgangsformen jich angeeignet hatte, als bei der Mehrzahl der damaligen
Dorfjugend anzutreffen war. Neben den Sorgen, welche das neue Gejchäft
und deſſen Erweiterung mit fich brachte, hatte der junge Ginzfey noch
andere Sorgen zu tragen, die das Herz betrafen umd die ihn nicht minder
jchwer drückten. Er hatte fein Herz au Julie Bergmann, der blühenden
Tochter eines angejchenen und vermöglichen Kaufmannes und Gaftwirthes
feines Heimatsortes verloren, welche ihrerjeitS die Bewerbung des tüchtigen
und weit und breit beliebten <fünglinges mit freundlichen Augen anſah,
während der Vater von diefer Verbindung nichts wiſſen wollte, da er einen
auf Geld und Gut fejtgegründeten Hausſtand als erjte Bedingung einer
richtigen Ehe anjah, und da Ginzkey, wenn auch von Seite des jtrengen
Baters jeinem Charakter und feinen Fähigkeiten volle Gerechtigkeit zu Theil
wurde, als Anfänger doch nicht diefe Bedingung zu erfüllen vermochte.
Indem nun Joſeph Bergmann in diefer Verbindung nad) jeinen Anjprüchen
feine Verforgung jeiner Tochter zu erblicen vermochte, verweigerte er feine
Einwilligung zur Schließung des Ehebundes und Tieß es auch in diefer
Beziehung an deutlichen Winken für den Brautwerber und an jtrengen
Nügen gegen feine Tochter nicht fehlen. Allein die muthigen Herzen der
Liebenden Tiefen fich dadurch nicht abſchrecken, fie harrten aus, und der
Standhaftigkeit des jungen Paares gelang es endlich, allevdings erſt nad)
— 13 —
Fahren, den jtarren Sinn des Vaters zu erweichen und feine Einwilligung
zur Verbindung zu geben. Doch auch jetzt jchien er noch nicht völlig aus-
gejöhnt zu jein, denn obwohl im Bejige eines nicht unbeträchtlichen Ver—
mögens, gab er jeiner einzigen Tochter (er hatte noch drei Söhne) nicht
die geringjte Mitgift mit, indem er vor der Hochzeit zu ihnen jagte:
„Ich gebeeuch nichts, ihr müßt euch fimmern!” Die Vermählung
des jungen Paares, das endlicy am Ziele feiner Wiünfche angelangt war,
erfolgte am 27. April 1847 in der Maffersporfer Pfarrkicche, und damit
war einer der wichtigften Lebensabſchnitte erreicht, von wo aus bei innigem
harmonischen Zujammenwirfen der beiden Theile Glück und Zufriedenheit
für die Zukunft zu erwarten war. Die junge Fran wurde auch im edeljten
und beiten Sinne des Wortes feine treuefte Genoſſin in Leid und Freud
für das ganze Leben, mit ihr zog neues, frisches Leben in das Ginzkey'ſche
Haus ein, deijen guter Genius fie von der erjten Stunde an war. Sie
fand fich bald in die neue, ungewohnte Arbeit des Gejchäftes, und nachdem
jie ihre hauswirthichaftlichen Obliegenheiten bejorgt hatte, jchaffte fie emfig
am Spulrade, während der junge Ehegatte von jetzt ab mit verdoppeltem
Eifer an der Hebung und Erweiterung feines Geichäftsunternehmens arbeitete.
Freilich das Jahr, in welchen der junge Herd gegründet wurde, war
biefür fein günftiges, e8 war ein Noth» und Hungerjahr, welches durch die
Kartoffelkrankheit eingeleitet und durch eine Mißernte vervolljtändigt wurde,
und welches durch jein allgemeines Elend in Nordböhmen, feine Schred-
nijje und Krankheiten allen jenen unvergeßlich blieb, welche es miterlebten.
Infolge der ungeheueren Getreidepreije jtieg allenthalben die Noth in’s
furchtbare. Eine Familie nach der andern jegte den legten Sparpfennig zu
oder erichöpfte ihren Credit; man ftillte den Hunger mit Nahrungsmitteln,
die font nur dem Vieh gereicht wurden, wie Kleienbrod, unreifem Obft
und Fleiſch von gefallenen Pferden, der Hungertyphus und die Ruhr jtellten
ſich infolge deijen ein und wütheten vom Herbſt bis gegen Oſtern des
folgenden Jahres mit furchtbarer Gewalt. Bon einzelnen Familien in
Maffersporf und Umgebung blieb auch nicht ein Glied verfchont, in
mandhem Haufe lagen 8—10 Perſonen an der ficchterlichen Krankheit
darnieder. Todesfälle gab es überall. In Neichenberg allein wurden an
einem Tage 22 Menjchen beerdigt. Werztliche Hilfe war jelten. Scharen:
weije durchzogen die Bettler die Dorfichaften der hiefigen Gegend. Als
jpäter der Staat durch Herbeifchaffung von Nahrungsmitteln, wie Mehl
und Reis, helfend eintrat, war das Schwierigfte bereits überjtanden. Freilic)
gar manche Familie war gänzlid) aus dem Kreiſe der Lebenden ver:
ſchwunden, viele waren an den Betteljtab gebracht. Wenn auch das junge
— 134 —
Ehepaar von den Wirkungen dieſer jchlimmen Zeit nicht unmittelbar
betroffen wurde, jo machte es ſich doch im Gejchäftsgange fühlbar, da
infolge der allgemeinen Noth wenig Bejtellungen eingiengen. Alle Wider:
wärtigfeiten der Zeit und alles Ungemach wurde jedoch von den beiden
durch gemeinſame Thätigkeit und pflichttvene Arbeit bejiegt und überwunden,
Allein das Gejchie brachte dem jungen Paare bald neue Prüfungen. Da
Ignaz Ginzkey nach dem Tode feines Vaters vor allem bejtrebt war, die
Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen und den väterlichen Beſitz zurüd-
zuerlangen, jo wurden jegt nach der Hochzeit die Gläubiger mit ihren
Forderungen immer dringender und ungeftüier, weil fie glaubten, daß der
vermögliche Schwiegervater feinem Eidam zu Hilfe fommen und die Geld—
verbindlichkeiten übernehmen werde. Allein hierin jahen fie jich bei dem
unbengjamen Charakter Fofeph Bergmanns völlig getäufcht. Diejer hielt
fein Wort: „ich gebe euch nichts," jo unnachfichtlich jtrenge, daß er, obwohl
ihm der Schwiegerjohn Woche für Woche bedeutende Mengen von Farb—
waaren gegen ſtets baare Bezahlung abnahın, demſelben nicht einmal einen
diesfälligen geringen Credit gewährte, wodurch jih Ginzkey einigermaßen
hätte Luft jchaffen können. Bon diefer Seite war demnach Feine Hilfe
zu erwarten. Dazu fan, da ja jelten ein Unglüd allein fommt, noch ein
ZTranerfall in der Familie. Die greife Mutter, an welcher Ginzfey mit
findlicher Liebe gehangen, jtarb nach kurzer Krankheit am 1. Mat 1847.
Kurze Zeit darauf, am 10. Auguſt desjelben Jahres, verfauften die Gläu-
biger, ohne Ginzkey's Wiffen, das väterliche Haus an Franz Skolande aus
Dörfel und zwangen ihn, dasjelbe zu verlaſſen. Infolge deſſen ſah fich
Ginzkey genöthigt, das Haus Nr. I11 zu miethen und er überjiedelte dahin
in October 1847. Wen es aud für ihn jchmerzlich gewejen war, das
Vaterhaus, die Stätte feiner Jugend, in diefer Weiſe verlaſſen zu müſſen,
und wenn auch fein Plan, dasjelbe zu erhalten, gefcheitert war, jo Tag
doch wieder in den nunmehrigen Verhältniſſen der Vortheil, daß die väter-
lichen. Gläubiger größtenteils befriedigt waren und daß dieje Laft von
jeinen Schultern genommen war. Er konnte fich nun mit ungetheilter Kraft
der Vergrößerung feines Gejchäftsbetriebes widmen. Im erjten Stodwerfe
des gemietheten Hauſes Nr. 111 ftellte er ftatt der früheren zwei, jechs
Teppichſtühle mit Jacquardmaſchinen, fowie einen Dedenftuhl
auf, errichtete im anftogenden Nebengebäude, welches früher der Schafwoll-
jpinnerei mit Göppelbetrieb gedient hatte, eine eigene Färberei, welche er
jeinem jüngeren Bruder Wilhelm übertrug. Diejer hatte fich einige Zeit in
Reichenau in Sachſen aufgehalten und in den dortigen Fabriken die Färberei
gründlich erlernt, An ihm fand Ginzfey den bereitwilligſten nud tüchtigften
— 155 —
Mitarbeiter, unter deſſen unmittelbarer Leitung das nicht unwichtige Färberei—
gejchäft bis zu feinem am 20. September 1885 erfolgten Tode verblieb.
Es währte jedoch nicht Tange, jo trat der Eigenthimer des für die Färberei
eingerichteten Gebäudes mit der Befürchtung an Ginzkey heran, daß durd)
den Qualm und die Ausdünftungen der Färberei das Gebäude Schaden
leiden werde, weshalb er auf den Anfauf der Baulichkeiten drang. Um
rascher zu feinem Ziele zu gelangen, jchente er jelbjt Feine Kniffe nicht,
indem er einzelne Bejtandtheile des für Ginzkey unentbehrlichen Neben-
gebändes verfaufen wollte, fo daß ſich ſchließlich Ginzkey gemöthigt jah,
das Gebäude Fäuflich an fich zu bringen.
Nun kam das Jahr 1848, die Sturm- und Drangperiode der öfter:
reichiſchen Völker, der VBölferfrühling, wie es von der einen, das
„tolle Fahr”, wie es von der anderen Seite genannt wurde, mit der Ent-
fefflung der gebundenen Geifter, mit feinen überfchwänglichen Hoffnungen
und bitteren Enttäufchungen. Wenn auch Maffersdorf den Ereignijjen des
Jahres 1848 nicht ohne eine gewiſſe Vorfchulung entgegentrat, indem frilher
bereits, freilich auf Ummegen, verbotene politische Schriften des Auslandes,
wie die gleichfalls verpönten deutjchen Claſſiker, ihren Weg über die öſter—
reichiiche Grenze gefunden hatten und im Orte verbreitet worden waren,
und wenn auch die damaligen Schlagworte „Breßfreiheit" und „Eon:
ſtitution“ hier richtiger verjtanden wurden als in anderen Gegenden,
jo führte doch auch hier der ideale Drang in's Gebiet des Unerreichbaren,
glaubten ja viele junge Männer jener Zeit, daß nun das Heil der Welt
angebrodhen ſei und das Glüd und die Wohlfahrt der Völker für immer
begründet wären. Im großen und ganzen verlief die Bewegung des
Jahres 1848 in Maffersdorf in geordneten Bahnen, da gleich zu Anfang
ruhige Elemente in diefelbe eingriffen und die Bevölkerung vor überſtürzten
Handlungen bewahrten. Für den friedlichen und ordnungsliebenden Siun
der Bevölferung fpricht vor allem die Thatjache, daß während der ganzen
Beit, da in anderen Landestheilen Geſetze und hergebradhte Gewohnheits-
rechte aufgehoben zu jein fchienen, in der Gegend Feine Exceſſe und
jelten Eigenthumsverletzungen vorfamen. Mit Wärme hatte aud)
Ginzfey die neue Zeit begrüßt, allein er war ein viel zu klarer md
ruhiger Kopf, um ſich von dem allgemeinen Feuer hinreißen zu lafjen.
Er verfolgte mit ruhigem Blut die Bewegung diejes Jahres und hielt fich
von den mitunter hochfliegenden und unausführbaren Anfchauungen nd
Weltverbejjerungsplänen feiner Heimatsgenofjen fern, unterjtiigte jedoch das,
was ausführbar war und für die Zukunft einen Wert zu haben jchien.
Daher trat er aus voller Ueberzeugung dem am 9. Juni 1848 in Maffers:
— 16 —
dorf gegründeten „politiihen Zejeverein zur Verbreitung der
Volksbildung durd volfsthümlihe Schriften” bei, weil damit
wirklich etwas Erfprießliches fir die Zukunft gefchaffen werden konnte.
Jeden Donnerstag verfammelten fich die freifinnigen und bildungseifrigen
jungen Männer des Thales beim Richter Anton Schäfer und beiprachen
den Stand und Berlauf der politischen Ereigniffe.
„Es war, wie U. Yäger treffend bemerkt, ein Club eifrigfter, aber
gutartiger Demokraten, die alle eine ſchwärmeriſche Begeifterung für Freiheit
und Menjchenwohl hegten und von denen jeder gern das Seinige zur
Weltverbefjerung beigetragen hätte.” Der Nationalgarde gehörte Ginzfey
wohl eine Zeit lang als Mitglied an, vermochte aber, wie Johann Liebieg,
in den Leiftungen derjelben nichts Erjprießliches und Dauerhaftes zu jehen,
und trat aus derjelben wieder aus, da er feine Zeit und Kraft nicht damit
vergeuden wollte.
AL der Maffersdorfer politifche Verein am 2. November im deutjch-
nationalen Vereine in Neichenberg, dem er als Mitglied angehörte, bean:
tragte: „es möge durch ein allgemeines Aufgebot der Landſturm organifirt
und mit diefem den Wienern zur Aufrechthaltung der Berfaffung und der
errungenen Rechte zu Hilfe geeilt werden,” wurde von Seite Ginzkey's
diefer Antrag als zu weitgehend und unausführbar befämpft und er ſtimmte
auch bei der Beichlußfafjung dagegen. Zugleich war Ginzfey bemüht, den
politijchen Verein in eine praktische Richtung zu drängen, um näher liegende
Ziele zu erreichen. So beantragte er, „der Verein möge dahin wirken,
daß die zu jener Zeit in Maffersdorf leidenſchaftlich betriebene „Winfel-
lotterie",?) welche gerade den ärmjten Leuten den legten Kreuzer aus der
Taſche Tode, eingeſchräukt oder ganz abgejchafft werde". Da jedoch von
Seiten des Vereines dieſem Antrage feine Beachtung gejchenft wurde, jo
trat Ginzkey aus demfelben aus. A. Jäger erwähnt freilich, daß bei
längerem Beftehen des Bereines auch in diefer Richtung Erfprießliches
hätte geleiftet werden können.“ Daß Ginzfey in der Zeit idealer
1) Noch heutzutage wird in Neichenberg und Umgebung von Seite der Arbeiter:
bevölferung leidenschaftlich in die Lotterie gefest. An den Ziehungstagen kann
man mitunter ganze Gruppen von Frauen, Kindern und Männern vor den
Rotto-Collecturen Reichenbergs ſehen, weldye mit Eifer die gezogenen Nummern
anfichreiben, um fie ihren Angehörigen zu Haufe mitzutheilen.
2) Nach BVerlautbarung de3 provisorischen VBereinsgefebes vom 15. März 1849
föfte fih der politiihe Berein in Maffersporf am 29. März freiwillig auf und
der Erlös aus der Vereinsbibliothef wurde als Grundcapital für die Anjchaf-
fung einer Gemeinde-Feuerſpritze angelegt,
— 17 —
Schwärmerei einen folchen Antrag ftellte, einen Antrag, der ja noch gegen:
wärtig Fahr für Fahr in unſerem Parlamente vergeblid) gejtellt wird
und der ein rein praftifches, aber in volfswirthichaftlicher Beziehung heil-
james Ziel verfolgt, ift gewiß für die Denkweiſe Ginzkey's charakteriſtiſch.
Während daher viele heigblütige und vertrauensjelige Naturen nad) dem
Ende des NRevolntionsjahres granjam in ihren Hoffnungen ſich getäufcht
ſahen und mit Schmerz die zertrümmerten Phantafiegebilde betrachteten,
blieb Ginzkey bei feiner nur auf das Vernünftige und Erreichbare ge
richteten Denfweife vor diefen Enttäufchungen verichont. Zudem hatte ev
auch den größten Theil jeiner Zeit angeftrengter Arbeit und Thätigfeit
gewidmet. In gejchäftlicher Beziehung waren nämlich die Jahre 1848 und,
49 Für das gewerbliche Nordböhmen ſehr günftig. Da die politischen und
Kriegsitürme die hieſige Gegend nicht berührten, jo hatte ſie auch unter
den Folgen verjelben nicht zu leiden. Es liefen im Gegentheil fir die
Dedürfniffe der in Ungarn und Italien ftehenden Armeen zahlreiche
Beitellungen ein, jo daß namentlich die Weberdörfer der hiefigen Gegend
vollauf mit Armeelieferungen bejchäftigt waren. Infolge dejjen zog auch
wieder in viele Hütten unjerer Gebirgsgegend ein gewiſſer Wohlſtand ein,
„und wer im Herbite 1849," bemerft A. Jäger in jeiner Chronik, „von
einem Berg die Gegend überjchaute, der erblicte in den Ortjchaften feines
Geſichtskreiſes wenigftens die Hälfte der Häufer veparirt und mit neuen
Dachungen verſehen.“ Auch Ginzfey’s Gejchäftsfreis hatte ſich im diejer
Zeit zujchends erweitert, und um den gefammten Betrieb noch zu erhöhen,
trat ev 1849 mit einem Neichenberger Fabrifanten „Franz Kofranek“ in ein
Gefchäftsverhältnis, welches bei übereinjtimmenden Anfchauungen bezüglicd)
der Fabricationsweie für beide vom größten Nugen hätte jein Können.
Allein Kofranek und Ginzkey zeigten in dieſer Hinficht die ſchärfſten Gegen-
jäge. Der erjtere gieng von dem Grundjage aus, jofort die vermehrte,
gefammte Capitalskraft einzujegen, das Unternehmen auf großen Fuß zu
jtelfen und einen vollftändigen Fabriksbetrieb einzurichten; der leßtere war
dagegen der Ueberzeugung, es dürfe nur nach Maßgabe der vorhandenen
Mittel und des Bedarfes und mit Vermeidung aller unnöthigen Regie—
Koſten gearbeitet werden, und es mühe jtetS darauf gejehen werden, den
größtmöglichjten Nugen zu erzielen. Dieſer Gegenſatz bezüglich der Gejchäfts-
gebarung trat zwifchen den beiden noch jchärfer hervor, als Ginzfey eine
Idee durchführen wollte, wodurch die nachmalige Größe des Haufes Ginzkey
begriindet wurde. Er verfiel nämlich damals zuerjt auf den Gedanken, die
rieſigen Mafjen von Wollabfällen, welche in den Höfen der Tuchjabrifanten
Reichenbergs als unbenugter Ballaft herumlagen, in der Fabrication zu ver:
— 18 —
werten. Sein Scharfblid hatte erkannt, daß durch die Verarbeitung diefer Wolf-
abfälle ein bedeutender Nuten erzielt werden müſſe. Allein jein Geſchäftsfreund
wollte davon nichts wiſſen, er wollte feinerjeits durch vortheilhaften Wolleinfauf
fi) den Nuten fichern, welcher jedoch nad) den Erfahrungen Ginzkey's meiſt
zweifelhaft blieb, in feittern Falle aber fo ausgiebig fein konnte, um die
Fabrication concurrenzfähig zu machen und fie in großen Stile einzurichten.
Infolge diefer entgegengejegten Anfichten löſte fich im Jahre 1851 die
Gejchäftsverbindung jehr zum Vortheile Ginzkey's auf, weil diefer immer
flaver einfah, vaß er nur auf der vorgeftedten Bahn etwas
Großes erreihen fünne. Nach der Trennung arbeitete jeder in feiner
Weiſe fort, Kofranef mit dem entsprechenden Capitale, Ginzfey mit feinen
immer noch ſehr beſcheidenen Mitteln. Während aber Kofranek in Furzer
Zeit mit der nad) feiner Art betriebenen Fabrication zu Grunde gieng, nad)
mehreren verfehlten Speculationen, an Geift und Körper gebrochen, Reichen:
berg verließ, um nad) Amerifa auszuwandern, in Hamburg aber des frucht—
lofen Ringens milde, gewaltfam feinem Leben ein Ende machte, hob ſich
Ginzkey in derjelben Zeit ans bejcheidenen Anfängen zu inmer größerer
Bedeutung empor. Er hatte vollfommen richtig geurtheilt, daß bei dem
großen, Schon beftehenden nud von Jahr zu Jahr zunehmenden Wollverbraud)
in Reichenberg und Umgebung die Verarbeitung der Wollabfälle zu einem
wertvollen Erzeugniſſe fich nicht nur Tebensfähig, jondern auch jehr gewinn-
bringend geftalten müſſe, und fo richtete er feine Fabrication auf die Ver—
wertung der bis dahin, wenigjtens in dieſer Weije, noch nicht benugten
Wollabfälle ein, und was Em. Tſchinkel in Schönfeld bei Kreibig mit der
Cichorie, einem damals als wertlos angefehenen Gewächs unternahm, das
führte Ginzkey mit den Abfällen der Wolle duch. Beide brachten den in
volfswirthichaftlicher Beziehung fo unendlich wichtigen Grundfag, „daß
auch die Scheinbar wertlojeften Stoffe immer noch mit
Nutzen zu verwerten feten”, zur glänzendjten Geltung. Daß jeit
jener Zeit die Verarbeitung von Abfällen jeder Art einen außerordentlichen
Aufſchwung genommen hat, indem die früher jo verächtlich behandelten
Abfaltjtoffe und Rückſtände durch phyſiſche Kraftanwendung oder chemifche
Zerfegung der Theile und Formen, in eine andere Geftalt oder jelbit in
andere Stoffe umgewandelt werden, ijt eine befannte Thatfache, welche am
deutlichjten den aufßerordentlichen Fortſchritt der Induſtrie darlegt. Gegen:
wärtig bildet die Verwertung der riefigen Mengen von Abfalljtoffen jeder
Art bereit3 wichtige mduftriezweige, an die man früher gar nicht dachte,
und jo find diefe fcheinbar jo wertlofen, ja läftigen Stoffe bereits für die
Volkswirthſchaft von hoher Bedeutung geworden.
— 189 —
Sm der Tertilinduftrie wird aus den ſchon erwähnten Woll-
abfällen und Wollumpen Kunſtwolle erzeugt, indem durch bejondere
Majchinen, die jogenannten Wölfe, die Lumpen zerriſſen, auf chemifchem
Wege entfärbt und neu verjponnen werden. Die Kunftwolle wird nad)
ihrer Qualität Mungo genannt, wenn fie aus Tuch und Streidhgarn-
waaren, und Shoddy, wenn fie aus Kammgarn und langfafrigem Ma:
teriale erzeugt ift. In England gibt es befondere Abfallfräner, welde
Wollumpen jammeln, um fie au die großen Shoddyfabrifanten in Leeds,
Dewsbury und Batley zu verkaufen.
Die Fabriken bringen alsdann die durch Mifchung mit Kunftwolle
und einem Theile friiher Wolle gewebten Stoffe unter verjchiedenen
Namen und Formen in den Handel, jo daß die Lumpen als Garn das
zweitemal den Weg in die Färberei finden. So kann es demnach der
Zufall bringen, daß dieſelbe Perſon die dem Kehrichthaufen entrifjeren
Wollabfälle eines vor einiger Zeit abgetragenen und bei Seite geworfenen
Kleidungsſtückes als „gutes Kleid" wenigjtens theilweije wieder trägt.
Die Erzeugung der Kunftwolle, im Jahre 1848 in England aufgefommen,
1850 in Deutschland eingeführt und 1854 von einem Salzburger Yabri-
fanten Matthias Gſchnitzer zuerft in Defterreich erzeugt, bildet heut:
zutage bereit3 eine neue Snduftrie von hoher Bedeutung. Es ſei auch in
Erinnerung gebracht, daß die von Franz Liebieg im Jahre 1863 in
Dörfel errichtete Kunftwollfabrif eine der erjten in Oeſterreich war und
gegenwärtig eine Fabrik erjten Ranges it.
Ginzkey trat frühzeitig mit Johann Liebieg, der bereits um dieje Zeit
in Neichenberg eine große Bedeutung erlangt hatte, in gejchäftlichen Verkehr,
indem ev von diefem gegen einen mäßigen Preis die großen Maſſen der
Abfallftoffe der Weberei und Spinnerei bezog, die fir Tiebieg ſelbſt wertlos
waren, welche aber von Ginzfey mit bedeutendem Vortheile auf den Hand-
majchinen raſch verfponnen wurden. Da Liebieg in Ginzkey nicht mur
einen tüchtigen Fabrikanten, jondern aud) einen durchaus mafellojen Char:
after fchägen lernte, gewährte er ihm ſpäter einen unbejchränften Credit.
Aus diefer Gefchäftsverbindung entwidelte fich nach und nach zwijchen den
beiden, in vielen Stüden gleichartigen, Männern ein reger perfönlicher
Berkehr, wobei fie vielfach ihre gemeinfchaftlichen Anfichten austaufchten,
und Schließlich eine aufrichtige Freundſchaft, weldhe bis zum Tode
Liebiegs währte. Ginzkey beganı fi) um diefe Zeit immer mehr auf
die Erzeugung von „Decken“ zu werfen, eines Artikels, den damals nur
wenige fannten. Es gab zu jener Zeit nur „weiße Deden“, welde in
Spanien erzeugt wurden. Einige öſterreichiſche Fabrifanten hatten wohl
— 1% —
ſchon den Verſuch gemacht, fie herzuftellen, aber es war ihnen nicht
gelungen. Nun verjuchte Ginzkey diejen Artikel nachzuahmen und jein
Verſuch war vom Erfolg gefrönt, in verhältnismäßig furzer Zeit ſchuf er
daraus einen Weltartifel. Da mit der Erweiterung der Fabrication
auch eine dem entiprechende Bergrößerung der Räumlichkeiten nöthig wurde,
miethete Ginzfey im Herbſt 1852 ein dem Maffersdorfer Scholzen Ignaz
Haufer gehörige Schafwolljpinnerei mit 3 Sag Krempeln, in welcher 49
ZTeppichjtühle aufgejtellt wurden, Außerdem begann Ginzfey auc auswärts
. Spinner und Weber zu befhäftigen, er verlegte ferner um diejelbe Zeit
einen Theil jeiner Weberei nad) Reichenau in Sachjen, wobei die dafelbjt
gewebten Teppiche zurüd nach Maffersdorf zur Appretur gefchidt wurden.
Doch wurde bei der bald darauf erfolgten Fabrikserweiterung in Maffers:
dorf diefer Gefchäftsbetrieb wieder eingejtellt. Dasjelbe Jahr 1852 brachte
eine vorübergehende Krife in der Dedenerzeugung. Es begannen nämlic)
plöglich die Beftellungen für Deden immer jpärlicher einzulanfen, um endlich
ganz in's Stoden zu gerathen. Schon erwog Ginzfey den Gedanken, diejen.
Fabricationszweig wieder aufzulafjen, als unerwartet aus Hamburg ein
großer Auftrag für Amerika einlief, dem bald andere und bedentendere
nachjolgten. Die Deden- und Teppicherzeugung nahm infolge dejien wieder
einen neuen und anhaltenden Auffhwung und diejer hatte wiederum die
Vergrößerung der Zabrifsräumlichkeiten zur Folge. Zu diefem Behufe
brachte Ginzfey im November 1854 das erwähnte, gemiethete Schafwoll-
jpinnereigebäude käuflich an jich, erbaute dazır ein Gebäude für die Weberei
und ein größeres Magazin und miethete außerdem kurze Zeit nachher die
dem Ignaz Möller gehörige Fabrik im nahen Projchwig, in welcher er
40 Stühle aufitellte. Für das jtufenweife und vorfichtige Vorgehen Ginzkey's
im Gefchäftsbetriebe ift es bezeichnend und mag hier angeführt werben,
daß er bis zum Jahre 1854 nicht einmal einen Buchhalter Fiir fein Ge:
ſchäft bejtellt hatte, fondern alle Arbeiten bezüglich der Evidenzhaltung und
Eorrefpondenz jelbft beforgte. Exit in diefem Jahre wurde ein Buchhalter
aufgenommen und die Führung der Bücher jyftematifc eingerichtet, kurze
Zeit nachher folgte ein zweiter Buchhalter nach. Da bei dem raſch zuneh-
menden Gejchäftsbetriebe die Abfälle der Liebieg’schen Fabrik nicht mehr
auszureichen begannen, fnüpfte Ginzkey mit franzöfischen Kammgarnjpinnes
reien Verbindungen an und bezog, als erjter in ganz Dejfterreid,
bedeutende Mengen von Wollabfällen aus Frankreich zu jo günftigen Preijen,
daß er bejchloß, die bisherige Deden- und Teppicherzeugung jabrifsmäßig
umzugeftalten und zum Betriebe im großen Maßſtabe überzugehen. Hiezu
luden nicht nur die günftigen Bezugsverhältnifje des Rohmateriales, jondern
— 1 —
auch die augenbliclichen Verhältniſſe bezüglih der Räumlichkeiten ein.
Der Eigenthimer der gemietheten Profhwiger Fabrit ſah ſich nämlich
wegen verjchiedenen Reparaturen und Waſſerrechts-Proceſſen mit dein Au—
rainern veranlaßt, ſein Befigthum zu verkaufen. Infolge dejjen brachte
Ignaz Ginzfey, in feinem Vorhaben durch den Rath Johann Liebieg's
befräftigt, den ganzen Beſitz ſammt Mafchinen und Zugehör am 15. Jänuer
1856 um den Kauffchilling von 16.000 Gulden EM. au jich und führte
die erwähnten Streitigkeiten mit den Anvainern iu kurzer Zeit zu einem
befriedigenden Abjchluffe. Im Jahre 1858 erweiterte er die Fabrik durch
einen Anbau, fügte 1861 einen zweiten Hinzu, in welchem er die Färberei
unterbrachte und eine Dampfmaſchine von 20 Pferdefräften aufjtellte.
Dieſe Mafchine hatte Ginzfey, ftatt wie Johann Liebieg vieth, aus Eugland
zu beziehen, bei Friedrich Völfelt in Harzdorf bei Neichenberg herjtellen
laſſen. Sie erwies ſich in der Folge als ebenfo vorzüglid) in Vezug auf
die Leijtungsfähigfeit und Dauerhaftigkeit, wie die aus England bezogenen
Mafchinen. Ginzfey gieng von dem Grundjage aus, zunächſt immer die
heimijche Induſtrie zu bedenken, wenn fie leiftungsfähig war und
nur in unabweislihen Fällen dem Auslande den Arbeitsuugen zukommen
zu lafjen. Ein von B. Strafberger gezeichnetes Bild der Teppich- und
Dedenfabrit von Ignaz Ginzfey im Jahre 1858") zeigt ung, verglichen
mit der großartigen Fabriksanlage der Jetztzeit, noch ſehr bejcheidene
Räumlichkeiten zunächit ein zweijtödiges, hohes Fabrifsgebäude (die frühere
Schafwolljpinnerei) mit einem ebenerdigen, Eleinen Anbau, von einem
niedrigen Zaun umſchloſſen, worin jid) ebenerdig die Dampfmafchine, eine
Färberei mit 6 Bottichen und 2 Kejjeln, eine Neinigungs- und eine Kunſt—
wollmajchine, 2 Wölfe, 8 Sat Krempeln mit 5 Vorſpinn- und 8 ein:
jpinnmafchinen befanden; der erjte Stod enthielt 100 Handwebjtihle mit
Facquard:Borrichtung, der zweite Stod die Spulerei, Treiberei, Zwirnerei,
Rauherei und Schererei nebjt dem Mujterzeihnungslocale, Unter dem
Dache wurden die Garnvorräthe aufbewahrt. Das Nebengebäude enthielt
ein Kejjeljaus mit den Dampffejjel von 20 Pferdefräften, ferner Räume
für Webftühle und die Schwefelei nebjt einer Werkführerwohnung. Als
Motoren diente die bereits erwähnte liegende Dampfmaſchine von Friedrich
Bölfelt, und ein unterfchlächtiges Wafjerrad von 12 Pferdefräften, welches
in der Filtal-Majchinenfabrit der Schweizer Firma Eicher Wyß und Co.
zu Leesdorf bei Wien erbaut worden war. Neben dem Hauptgebäude zeigt
1) In dem von Dr. F. Mamroth verfaßten, als Manufcript bei Stiepel in
Reichenberg gedrudten Buche „Ignaz Ginzkey“ Seite 64.
— 192 —
ſich ein ſchupfenartiges Woll- und Waaren-Magazin mit Remiſen und
Stallungen und hinter dieſem das einſtöckige Wohnhaus des Beſitzers, in
welchem ebenerdig das Comptoir und ein Waarenmagazin, im erſten Stock
aber die Wohnung des Fabriksbeſitzers ſich befand. Im ganzen arbeiteten
in der damaligen Fabriksanlage Ginzkey's 230 Perſonen, außer dem Haufe
wurden nod etwa 80 Familien bei der Spinnerei beichäftigt. Zwei Bud):
halter und ein Zeichner ſtanden der Fabrifgleitung zur Seite. Dies war
der Zuftand der Ginzkey’schen Fabrik in dem genannten Jahre, wie ihn
auch Ginzkey felbjt für den Londoner Ausftellungsbericht vom Jahre 1862
angab.
Die nächjten großen Handels- und politifchen Ereigniffe, welche die
Induſtrieplätze Europa's mehr oder weniger beeinflußten, berührten Ginzfey
in feinem Gejchäftszweige wenig oder gar nicht. So gieug die große
Handelskriſis des Jahres 1857, welche die Induſtrie und Handels:
pläge Europas und Nordamerifas jo jchwer trafen, an ihm fpurlos vorüber.
Der Krieg Defterreihs gegen Italien im Jahre 1859 legte wohl fir einige
Zeit die Teppichweberei brach, dafür aber nahm die Dedenerzeugung einen
gewaltigen Aufihwung, da Ginzfey für das Heer bedeutende Lieferungen
übernommen hatte. Tag und Nacht mußten jämmtliche Arbeiter der Fabrik
ſchaffen, um die Bejtellungen fertig zu machen. Der unerwartete Friedens:
ſchluß hatte freilich den Nachtheil für Ginzfey, daß mehrere taufend fiir
die Armee beflimmte Deden feine Uebernahme mehr fanden und Yahre
lang in den Magazinen lagerten. Es war dies wohl für das Geſchäft
fein Bortheil, aber Ginzfey hatte doch während der jchlimmen Zeit der
allgemeinen Geſchäftsſtockung feinen Arbeitern Beichäftigung gewähren fünnen,
während jehr viele Induſtrielle Defterreichs zu derfelben Zeit entweder
feiern oder nur mit halben Kräften arbeiten fonnten, Zu Beginn der
fünfziger Jahre machte Ginzfey die erjten Verſuche, feine Erzeugnijje
jenfeitS der heimifchen Grenze zu verwerthen. Diefer Verfuch war vom
günftigjten Erfolge begleitet und bald wurde nicht nur in die verjchiedenen
europätjchen Länder wie: Dejterreich, Deutjchland, Rußland, Spanien, die
Zürfei und England, jondern auch in andere Welttheile, nach dem Orient,
nach Wejtindien, Brafilien und Peru „Maffersporfer Deden” ausgeführt. Die
Zeppiche fanden den größten Abjag in den üfterreichifchen Kronländern,
während die Deden hauptjächlih in die überfeeifchen Länder ausgeführt
wurden. Kurze Zeit darauf wurden auch die Teppiche, welche in den ver:
jhiedenjten Arten und Qualitäten, ſowohl als einfache und doppelte,
wie auch als fammetartige Gewebe erzeugt wurden, mit gleichem
Erfolge in fremde Länder ausgeführt. Das Hauptabjaggebiet hiefür war
— 13 —
der Orient und Konftantinopel, wo fie häufig als „echt orientalische" Er-
zeugniſſe, als „perjische” oder „Smyrna-Teppiche“ an Nichtfenner verkauft
wurden. Einen heiteren Beleg biefür liefert folgende verbürgte Thatſache:
Ein öſterreichiſcher Magnat, welcher den Orient bereijt hatte,” machte auf
jeiner Rückkehr in Konjtantinopel einige Einkäufe, um feinen Freunden in
der Heimat damit Gejchenfe zu machen. Unter den Einfäufen befand jich
auch ein nach jeiner Meinung echter „Smyrna-Teppich“, welchen er nad)
jeiner Rückkehr einem jeiner Freunde ſchenkte. Wie groß war jedoch fein
Erjtaunen und auch feine Beichämung, als der mit dem echten „Smyrna
Teppich" bejchenfte ihn eines Tages auf das von ihm überjehene Firma—
zeichen in der Ede des Teppiches aufmerkffam machte, welches lautete:
„Ignaz Ginzkey, Maffersdorf“. Für die Ausdehnung der Deden: und
Teppihausfuhr war die Betheiligung an der Londoner Weltausftellung im
Jahre 1862 vom größten Werthe. Sie brachte ihm nicht nur für feine dafelbit
ausgejtellten Teppiche und Deden die erjte wohlverdiente Auszeichnung:
die bronzene Medaille, jeine Erzeugniſſe erregten auch in England
eine jolche Aufmerkſamkeit, daß jich ihm in den Mufterlande der Wollinduftrie
ein ganz bedeutendes Abjaggebiet erſchloß. Ginzkey hatte gleichfalls perſönlich
die Ausftellung befucht und fein Hauptaugenmert war darauf gerichtet, ſich
in die englische Teppicherzeugung au Ort und Stelle einen Einblid zu
verschaffen, was bei der befannten vorjichtigen Abgeſchloſſenheit der englischen
Fabriken nicht leicht möglich iſt; jelbjt gewichtige Empfehlungsjchreiben öffnen
nicht immer die Säle berühmter Fabriken. Es kann als ein Zeichen bejon-
derer Achtung, welche ſich Ginzfey bereits als Fabrifant nah außen
erworben hatte, gelten, daß er bloß durch Nennung jeines Namens bei
Croßley, dent erjten Teppichfabrifanten und Concurrenten in London, Zus
tritt zu deſſen Fabriksräumen erhielt, eine Zuvorkommenheit, welche
Ginzkey als Bertranensbeweis ganz bejouders erfreute.
Ju London erwarb Ginzfey einen neuen mechanischen Webftuhl zur
Erzeugung von „Brüfjeler Teppichen“ und nach Haufe zurückgekehrt,
lieg ex jofort mehrere jolder Stühle in feiner Yabrit aufftellen, um aud)
dieſe Teppichgattung in feine Fabrication einzubeziehen. Um jene Zeit er
richtete auch Ginzkey im nahen Zittan in Sachjen eine Filiale, welche er
bald darauf in einem eigens angefauften Haufe unterbrachte. Auch in
NReichenberg wurde im Jahre 1863 ein Haus in der böhmiſchen Gaſſe
angefauft und dajelbjt die noch jeßt vorhandene Niederlage errichtet,
während die Niederlagen im In- und Auslande, in Wien, Berlin und
Hamburg bedeutende Erweiterungen erfuhren. Außerdem hatte Ginzfey
kurz vorher in Maffersdorf mehrere Grundſtücke und Rue angefauft,
Mitteilungen. 25. Iahrgang. 2, Heft, 13
— 14 —
worauf er unter gleichzeitiger Erweiterung der Spinnerei im Jahre 1863
das erjte große Webereigebäude aufführte. Diefe Zeit ftiller Ent:
wiclung wurde weder durch die verheerenden Wirkungen dev amerikanischen
Baummollfrifis von 1861 —64, noch durch den Schleswig-Holjtein’schen
Krieg des Jahres 1864 gejtört, Nur der Krieg Defterreihs mit Preußen
im fahre 1866 verurjachte durch die Bejegung Neichenbergs und der be-
nachbarten Ortjchaften am 24. Juli feitens der preußifchen Truppen wuter
dem Prinzen Friedrich Karl die erjte und einzige Störung in dem regel:
mäßigen Betriebe der Fabrik. Doch erjtredte jich die Störung nur auf
die Dauer eines einzigen Tages. In Maffersdorf waren damals gegen
4000 Mann einquartiert, 2 Anfanterie-Negimenter nebjt einer Abtheilung
Artillerie, welche der Magdeburger und Berliner Gegend angehörten und deren
Benehmen im allgemeinen zufriedenftellend war. Ignaz Ginzfey und Ignaz
Hauſer hatten in Maffersdorf die jtärkte Eingnartierung. Während in kleinen
Hänjern wenigjtens 10 Mann, in größeren 30—100 eingquartiert wurden,
mußten die Fabrifen ganze Compagnien aufnehmen. In diefer jchweren Zeit
bethätigte Ginzkey zu wiederholten malen feine Einficht und Thatkraft, in dem
ev überall, wo es zwilchen der Bevölferung und den Friegerifchen Gäjten
zu Verdrieplichfeiten zu kommen drohte, mildernd und vermittelnd eintrat.
Da der Krieg mit Preußen nicht lange währte, jo begann bald
nach dem Friedensihluß eine neue Periode großer Geſchäftsthätigkeit.
Denn wenn auc vor oder während eines Krieges der einzelne ſich in
jeinen Bedürfniffen auf's äußerſte einfchränft und wenn auch durch die
Unterbrechung des Gejchäftsverfehres die Induſtrie im allgemeinen Embuße
erleidet, fo zerjtört andererfeits der Krieg eine jo ungeheuere Menge von
Induſtrieartikeln, daß dieſe nach Schluß des Krieges wiederhergeftellt werden
müſſen, wodurd die verjchiedenen Induſtriezweige, namentlich die Tertil-
industrie, vollauf bejchäftigt werden. Ginzkey that kurze Zeit darauf einen
Schritt, welcher ihn auf fremde Pfade zu leiten ſchien. Ex kaufte nämlich
am 28. Mai 1868 in Meaffersporf eine Mahlmühle und richtete hier ein
ganz neues Mühlwert nach amerikanischen Syſtem ein und jtellte gleich—
zeitig eine Dampfmaschine auf. Die Milllerei wurde jedoch nur Furze Zeit
betrieben, weil das in derjelben angelegte Capital ſich nicht verzinſte. Als
Ginzkey dieſe Ueberzeugung gewonnen hatte, ließ ev, ohme ſich Tange zu
bejinnen, die ganze koftjpielige Mithleinrichtung aus dem Gebäude entfernen
und richtete dasfelbe zur Erzeugung von Kunftwolle ein, wodurch ev
dem Kranze feiner induftriellen Erfolge ein neues Blatt hinzufügte.
Die Gefahr, daß Ginzkey fein Capital und feine geiftige Kraft auf
andere ihm fern liegende Induſtriezweige verwenden und vielleicht zer:
lo
jplittern Fönnte, war bei der Klarheit, mit welcher er feine Unternehmungen
beurtheilte, wohl nicht zu befürchten gewefen, doch war er mit diefem Ver—
juche für immer von ähnlichen Verſuchen geheilt, und er verlegte fich von
da an mit dem Anfgebote ſämmtlicher nun ſchon bedeutender Mittel nur
anf die bisher mit Erfolg betriebenen Induſtriezweige und juchte fie nad)
allen Richtungen hin zu erweitern und zu verbeſſern.
Eine ſolche Erweiterung war nun die eigene Erzeugung det
Runftwolle Ginzkey war unter den Dfterreichiichen Fabrifanten der
erjte gewefen, — und dies muß hier anerfennend hervorgehoben werden —
welcher die Vortheile klar erfaßte, die aus der Verarbeitung der
Kunftwolle für die Teppich: und Dedenerzeugung fich ergeben mußten.
Dbwohl es jest unmahrjcheinlich klingt, jo ift es doch Thatſache, daß
damals nicht bloß in den industriellen Kreifen Böhmens und der übrigen
öſterreichiſchen Kronländer, jondern ſelbſt in Deutjchland eine heftige Ab-
neigung gegen diefen nenen Artikel vorwaltete, jo daß Ginzkey auch in
Deutjchland wenig Concurrenten hatte, die gleich ihm die Bedeutung der
Kunſtwolle für die Fabrication jo frühzeitig erfannt hätten. Daher war es
auch nicht zu verwundern, daß Gſchnitzer aus Salzburg, der erſte Erzeuger
von Kunſtwolle in Dejterreich, als er mit feiner neuen Waare die Rund—
reiſe durch die Öjterreichischen Induſtrieorte machte, überall mit dem ſeltſamen
Erzeugniſſe verlacht und abgewiejen wurde und nur in Ginzfey einen
Mann fand, der demjelben die gebührende Beachtung ſchenkte, dasjelbe
verarbeitete und durch lange Zeit feine einzige Kundfchaft in Defterreich
blieb. Als dann jpäter der Werth der Kunftwolle in der Fabrication fid)
dennoch Bahn brach und namentlich "die Verarbeitung der befjeren Sorten
allgemeiner wurde, war e8 wiederum Ginzkey, der zuerft die Verarbeitung
der minder beahteten Qualitäten der Kunftwolle begamı und
damit gleichfalls entjchiedene Erfolge erzielte.
Da num um diefe Zeit, nach Beendigung des Preußifch-Defterreichifchen
Krieges, bedeutende Aufträge eingiengen und beim vajchen Wachjen eines
Geſchäftes der Bedarf an Kunſtwolle ein immer größerer wurde, jo gieng
endlich Ginzkey, wie jchon erwähnt, daran, ſelbſt dieſen Artifel zu
erzeugen, fo daß er thatjächlih auch mit Matthias Gihniger und
Franz Liebieg zu den erjten in Defterreich gehört, welde
die Erzeugung der Kunjtwolle hier begonnen haben.
Die Fabritsanlage Ginzkey's nahm nun in raſcher Folge nach innen
und außen zu, Bau reihte jih an Bau. Zunächft ließ Ginzfey durch den
Neichenberger Baumeifter G. Mitjh von Fahre 1866—68 eine von
freundlichen Gartenanlagen umgebene Billa errichten, da das frühere ein-
13*
— 1% —
fache Wohnhaus doc nicht mehr allen Bedürfniſſen entſprach, und bezog
jie am 31. Juli 1868. Durch die mit ebenjoviel Geſchmack wie bedeutenden
Koſten gejchaffene Parkanlage hat Maffersdorf nicht wur ein ungemein
freundliches Anfehen, jondern auch ſtädtiſchen Charakter gewonnen. Außer:
dem errichtete Ginzkey in den nächjten zwei Agahren eine zweite große
Weberei und ein Magazinsgebände, welchem im Jahre 1872 ein neues
Magazinsgebäude mit einem Comptoir, und im folgenden Jahre abermals
ein großer Neuban folgte, in welchem die mechanijche Weberei für Brüfjeler
Teppiche im großen Maßſtabe eingerichtet und eine Dampfmaschine von
40 Pferdekräften aufgejtellt wurde. Die jo bedeutend erweiterte Fabriks—
anlage umfaßte demnach im Jahre 1874: 15 Satz Krempeln mit ent:
jprechender Spinnerei und Zwirnerei, 30 mechanische und 400 Handweb-
jtühle, eine Färberei, Walfe, Rauherei und Schererei, ferner die Kunſt—
wollfabrif mit 3 Reid: und den font dazu gehörigen Majchinen, uebſt drei
Dampfmotoren und zwei Wafjerrädern von zufammen 230 Pferdefräften.
Dazu kam in dem genannten Jahre jelbjt in einem Erweiterungsbau die
Kammgarnjpinnerei mit einer Wollwajch- und ZTrodenmajchine und im
nächjten Jahre 1875 wurde die Elſtner'ſche Fabrik Nr. 78 rechts ver
Reife erworben. Um den gefammten Beſitz abzurumden und zugleich
Wohnungen für die Beamten und das Aufjichtsperfonal der Fabrik zu
gewinnen, wurden an 13 Grundſtücke und Bauernwirthſchaften angefauft,
daranf Neubauten aufgeführt und die öden Waldjtellen mit geſchmackvollen
Baum- und Gebüjchanlagen bepflanzt. Diefen Zuſtand der Ginzkey'ſchen
Fabrifsanlage zeigt uns ein zweites von Straßberger gezeichnetes Geſammt—
bild des Jahres 1877, welches von der Gebirgsjtraße aus aufgenommen,
im ganzen acht große, meiſt zweijtöcige Gebäude mit drei hohen Ejjen
aufweift, und zwar zwei Gebäude fir Streichgarnjpinnerei, die Kunſt—
wollfabrif, die Kammgarnfpinnerei, die Kraft- und ZTeppichiveberei, die
Deckenweberei jammt Lager, die Färberei, das Komptoir mit den Maga:
zinen, die Beamtenwohnungen und die von freundlichen Gartenanlagen
eingejchlofjene Billa.
Diefe in einem Furzen Zeitraume nacheinander aufgeführten Neubauten
bewetjen zur Genüge, in welch” gewaltiger Weije fich der Gejchäftsbetrieb
erweitert hatte, insbejondere kaun mau diejen gewaltigen Aufſchwung durd)
den Vergleich der oben angeführten von Straßberger entworfenen Ab-
bildungen der Fabrifsanlage vom Jahre 1858 und 1877 Har erkennen.
Während das erjte Bild noch eine Fabrifsanlage von bejcheidenem Umfange
zeigt, ijt diefe auf dem zweiten Bilde nach einem Zeitraume von 19 Jahren
zu einer Fabriksanlage im großen Maßſtabe angewachjen, welche nach Art
I
einer Colonie ſich mächtig vor unferen Augen ausbreitet. Naturgemäß
hatte während der legten Jahre auch die überſeeiſche Ausfuhr der Ginzfey-
ſchen Erzeugnifje an Umfang zugenommen. Namentlich mit einer gewiſſen
Gattung von Deden war es Ginzkey gelungen, ſich während diejer Zeit
den Weltmarkt zu erobern, ja jogar, wie ſchon früher auch angedeutet
wurde, auf englischen Plägen in erfolgreiher Weife mit den
gleihen Erzeugnijjen Englands zu concurriren. Lobend
muß auch hier darauf hingewieſen werden, daß, Ginzkey feine Erzeugnije
unter jeinem Namen im die Welt jchidte, jo dab feine Deden als
„Austrian blankets* als „öjterreichifche Deden" nicht nur in Eng:
land, jondern auch in allen anderen Welttheilen als Erzeugniſſe öfter:
veichifcher Arbeit bekannt und gejchägt waren und find; er wilrdigte fich
nicht herab, wie es jo manche vaterländische Fabrifanten thun, die ſelbſt
verfertigten Erzeugniſſe beim Weberjchreiten der Grenze unter fremder,
englifcher oder franzdfifcher Flagge jegeln, oder fie auch im Auslande mit
Marken verjehen, und als „ausländiiche Waare“ wieder zu uns
zurückkehren zu laffen — ein Verfahren, das gewiß der öſterreichiſchen
Induſtrie nicht zur Ehre gereicht. (Schluß folgt.)
Miscellen.
Deukſchrift über die böhmischen Landesfinanzen vom Jahre 1618.')
Mitgetheilt von Dr. Pine, Goehlert.
Die böhmische Kammer hat vom gewöhnlichen Einfommen nichts als
die Zölle, den Ertrag der Herrichaften und das Biergeld, was alles im
Sahre kaum 200.000 Thaler beträgt, welche zum Unterhalte des königl.
Hofes nothwendig in die Fünigliche Hofkammer abgeliefert werden müſſen.
Nun haften daranf über drei Millionen Schulden; dieſe zu bezahlen, find
1) Abicyrift eines Documentes aus dem Archive der böhmischen Hofkanzlei (jetzt
Deinifterium des Innern). Diefes Document hat auf der Außenſeite die
Aufſchrift, „Wie dem böhmiſchen bochbeichuldigten Kammerftaat zu belfen
jet.“ In Gindely’s Geichichte der böhmischen Finanzen (18. B. d. Deuf:
ſchriften d. hiſt. El. d. k. Akademie d. W.) geichieht diefer Denkſchrift nicht
Erwähnung.
— 18 —
nur zwei Mittel. Das erſte und gewiſſe, daß die Stände entweder die
ganze Bürde über jich nehmen und, wie es Pfalz und Brandenburg gethan,
in gewiſſen Jahren durd) dazu bewilligte Contributionen gezahlt werden,
oder daß die Contributionen dergejtalt, daß fie unfehlbar 500.000 Thaler
betragen, auf jechs Jahre bewilligt würden. Wenn jolches gejchieht, kann
die Kammer den Credit erhalten, die Jutereſſen richtig zahlen und im
Rothfalle Zr. k. M. mit Geld zu Hilfe kommen. Diefer Modus wäre dent
Hofftaat zuträglicher, als wenn die Stände die Schuld iiber ſich nehmen;
denn follen fie ſolches thun, jo würden fie zu Sr. k. M. Hofftaat. nichts
contribuiren.
Wenn aber Gott, wie zu hoffen, einen Erben gäbe, wäre in aller-
wegen dahin zu trachten, daß die Länder die Schulden ganz auf fich
nehmen, was nicht fchwer zu erhandeln; man mache nur 100.000 Thaler
Schuld und theile diefe unter die Länder.
Das andere und äußerſte Mittel ift, daß man die wenigen übrigen
Herrichaften verfaufe und wird die Herrichaft Kruman auf 800.000 Th.
gejegt, der jegige Hauptmann alldort iſt erbötig, bei jeßt verderbter Wirih:
ſchaft 30.000 Thaler jährlich herauszugeben, innerhalb zwei Fahren aber
36.000 Thaler.
Dem Herrn von Nojenberg hat fie 40.000 Thaler getragen. Weil
aber Niemand int Lande folhen Kauf vermag, könnte man die Herrichaft
in drei oder vier Theile abjondern; was in gleichem mit den übrigen
Herrichaften gejchehen könnte. Möchte man blos außer den Tafelgüteru
die Herrichaften behalten, welhe man Ir. EM. auf Lebenszeit zum
Genuffe läßt. Daß aber die Kammer-Einnahmen jo gefallen, find die
Stände jelbft Urfache, ‚welche alle Eontributionen an ſich gezogen, eigene
Einnehmer darüber gejegt und blos eine Lifte von der Kammer begehrt
haben, wenn man Intereſſen zahlen folle, fie haben aber Niemanden gezahlt.
Wie fie mit den Contributionen umgegangen, jollten ihre Einnehmer
bilfig Rechnung thun; fobald man aber von ihnen Rechnung fordert, aut—
worten jie darauf, warum man feit 15 Jahren feine Rechnung gefordert
hätte; eine Hand wäjcht die andere.
Derhalben wäre ein jehr heilfames Werf, wenn man mit Gewalt
durchdringe und von den Steuereinnehmern die jchuldigen Rechnungen
abfordere und fie wohl überprüfe.
Damit aber der König zu Böhmen fein eigenes Einkommen habe,
jind folgende Mittel. Weil Böhmen außer weniges ') fein eigenes Salz
| ) Bei Schlan.
— 19 —
bat, wäre gar zuträglich, daß die Kammer alles Salz, jo eingeführt wird,
auffaufte und in allen Städten Salzfäjten hielte;') da könnte man über
100.000 Thaler jährlid) Gewinn haben. Dies wäre auch leicht, weil zu
Budweis bereits ein Salzfaften aufgerichtet ift. Ob man wohl zum Verlag
baares Geld bedarf, jo kann man doch von den Städten die Nothdurft
anticipiren. Es ginge auch den djterreichiichen Salzjtätten und Salzfuhr-
leuten nichts ab und es wäre allen um das zu thun, daß das Salz
Niemand als die Kammer verkaufen würde. Diejen Anjchlag practieiren
jelbft der Bapft, Venedig, Mailand, Litauen und Moskau; allein man muß
es auf den Landtag vorbringen und gleich anfangen, das Salzamt richtig
zu bejtellen; die Hoffammer könute e8 dirigiven.
Zum andern liegen die Bergwerfe ganz und gar till und Bde; dieſe
wären leicht wieder zu heben, wenn ein verjtändiger Münzmeiſter vorhanden
wäre. Zum Dritten fünnte die Kammer an dem Münzjchlagen unvermerft
jährlich ein paar Tonnen Goldes zum Bejten haben. Man jchlage nämlich
zweierlei Münze, die Kleine, fo nur im Lande gilt, und die grobe, jo auch
anfer Landes angenommen wird; bei der kleinen aber iſt der Gewinn.
Der König in Polen fchlägt aus einem Thaler 18 Dutfen, auch gar
20 Dutken. Jede Dutke gilt jechs Kreuzer, das bringt, wenn man 100
Thaler münzet, 50 Procent. Diefe Dutfen werden hier für das bejte
Geld gehalten, warum wollte man fie denn nicht auch hier fchlagen? Es
werden viele dawider fein, von denen wollte ich gern willen, wenn einer
den Böhmen wollte an Dutken 200.000 Thaler darleihen, ob fie es nicht
annehmen würden. Warım jollte man dann den Gewinn nicht im Lande
behalten? Wollte man die geringere Münze hier nicht Schlagen, fo thue
man es in Schlejien oder in der Lauſitz. Es ijt ein Mittel, welches alle
Könige practieiven. Das vechte Gewicht des Geldes jchadet dem Lande,
denn es wird von der Münze ausgewechjelt, in leichtes Geld vermünzt,
welches man nachher hereinbringt und den Wechjel dadurch treibt. Diefer
Punkt muß auch anf den Landtag fommen. Derowegen ift der Kammer
zu befehlen und durch den Ober-Münzmeiſter das Werk zu treiben.
Zum vierten wäre bejjere Wirthichaft auf den Kammergütern zu
treiben. Dean deputire gewilje gute Wirthe zu Commiſſären, die auf alle
Herrichaften ziehen, tariven und Regiſter aufrichten, die Meierhöfe und Teiche
bejtandieije überlaſſen, um Ir. k. M. ein gewifjes Einfommen zu fichern.
Zum fünften könnte man von etlichen Herrichaften großen Nugen
durch Holzflößen anrichten, welches jonjt verfault und um 12.000 Thaler
1) Einführung des Salz-Monopols.
200 —
jährlich für den Hofſtaat erkauft werden muß. Die Herrſchaft Presnitz
hat 80.000 an Sailholz, der Sternberg hat dieſelbe eingenommen mit
60.000 Thaler; weil jie an Churfachjen grenzt, wiirde der Churfürſt gern
fir 20.000 Sailholz 4.000 Thaler geben, wenn man noc) drei abgelegene
Dürfer dazu verkaufte. Es ift aber zu wiſſen, daß etliche eigennüßige
Lente unter dem Scheine, fie wären treue PBatrioten, auf den Landtage
vathen, man jolle nicht fremden Fürſten Holz verkaufen, ſie jegten dann
den Fuß weiter ins Land; dadurd haben fie verurfacht, daß fie die ſchöne
Herrihaft Komotau unter einander getheilt, die Wälder nicht vecht be—
fichtiget und überdies das Holz faſt umſonſt angeichlagen. Einmal it
bewiejen, daß fo viel Holz, als der Herzan und Guſtav von Sternberg
von der Kammer um einen halben Gulden gekauft, ex keinen Kreuzer
anders als nm drei Thaler gibt. Darum wird der Sternberg, welcher die
Herrichaft gern am ſich brächte, wiverrathen, daß man die 20.000 Sailholz
dem Kurfürjten nicht verkaufen foll.
Zum jechjten it Ir. EM. im Kenntniß zu jeßen, daß über 40
Schlöfjer und Städte von Eger aus bis Nürnberg in die zehn Meilen
Länge der Krone Böhmen gehörig und um ein geringes Geld ablösliche
Pfandichaften oder verjchwiegene heimgefalfene Lehen find. Die halten
theils Churpfalz, Pfalz Neuburg, Chur Brandenburg, Landgraf v. Leuchten:
berg, der alfe feine Lehen verjchwiegen, Stadt Nürnberg, die um geringes
Geld Ichöne Prandichaften innehält; dieſe alle find über zwei Millionen
werth. Es wird aber alles verftedt, theils aus Unverftand, theils aus
Eigennug und theils aus Faulbeit.
Des Prager evangelifchen Pfarrers M. D. Hänichen’s (+ 1618)
Uekrolog.
Bon Lie. Dr. Georg Buchwald in Zwickau.
Die Zwidauer Rathsjchulbibliothet birgt in einigen hundert voluminöſen
Bänden, weldye Gelegenheitsgedichte und Predigten aller Art enthalten, einen
noch wenig beachteten, längjt noch nicht gehobenen werthvollen Schaß. Be-
jonders ergiebig für biographiiche Studien find die in großer Zahl vor:
handenen Leichenpredigten, denen nach der Sitte der Zeit regelmäßig ein
curriculum vitae beigefügt iſt. Ohne Zweifel wiirde es cine lohnende
Arbeit jein, zumächit einmal nur die Perſonen (nach den Städten geordnet)
zujammenzuftellen, deren Lebensläufe uns auf diefe Weiſe erhalten find.
— 201 —
Wir theilen im Folgenden die Biographie eines Prager Geiftlichen
mit, welche wir der für denjelben gehaltenen Leichenpredigt entnehmen.
Dieſe ijt betitelt: „Chriftliche Leichen-‘Predigt über den jchönen Schwanen
Geſang S. Pauli auß der 2. an Timoth. am 4. Verß 6. 8. Bey dem
Ehrn:Begrebniß des Weiland Ehrnwürdigen, Hochachtbarn und wolgelehrten
Herrn M. Daniel Hänichens Senioris geweiten Schwanbergifchen
Hoffpredigers und der Löblichen Evangelifchen Herren Ständen in Böhmen
Theologi. Gehalten in der Deutschen Evangelifchen Kirchen zur H. Drey:
faltigfeit der Eeineren Stadt Prag, duch M. Caſparum Wagneru,
Augustanum, Pfarrern und Lutheriſchen Predicanten dajelbjt. Philipp. 1. 23.
Ich habe luſt abzuſcheiden und bey Chriſto zu fein. Gedruckt in der Alt
Stadt Prag bey Paul Seljen, im Jahr 1619." !)
Auf Wagner’s an die Kirchenpatronen gerichteten Vorrede folgt
die Einladung des Nectors und Kanzlers der Prager Univerjität, Dr.
Johannes Jeſſenius a Jeſſen, zur Theilnahme an den Begräbnif:
feterlichfeiten. Der biographiiche Theil derjelben hat folgenden Anhalt:
„Vir Reverendus M. Daniel Haenichius prodiit in hanc lucem
ZJobelicii Missnae Oppido Anno 1566 Martü 13. Patre Casparo
ibidem Theologo, acris ingenii homo, et in linguis, artibus, primaque
Philosophia solide in tribus Academiis eruditus. Post plures func-
tiones obitas in Electoris Saxoniae aulam accitus, per octennium
ibi fuit a sacris Concionibus. Inde ante annum quasi ab Illustri Ba-
rone D. Petro de Ssvambergk Regni Boemiae supremo Curiae
Judice, vocatus, ipsius rebus Ecelesiasticis fuit praefeetus; ab omni
Ordine ob mores commodos amatus. Non videbatur altum sapere,
sed satis modeste de intelleetis sententiam dicere. Unionem hinc
institutam Concione publica collaudavit et in privato Colloquio quo-
dam de rei totius summa fundamentaliter disserens, Mauritium
Electorem Saxoniae magno religionem beneficio affecisse fatebatur,
similiterque libertati Germaniae cavisse Christianum I. impe-
diendo suo loco, ne qui inhiabat regno Galliae eo potiretur. Cae-
tera pro contione funebri narrabuntur.*
Den Schluß der Leichenpredigt bildet dann num die folgende, ziemlid)
ausführliche Biographie, die es allerdings an überjchwänglichem Lobe nicht
fehlen läßt.
„Belangend nun unſern geliebten und in Gott jelig chenden Herrn
Miitbruder, den weyland Ehrnwiürdigen, Achtbarn und wolgelehrten Herrn
1 Der Umstand, daſs dergleichen Drudichriftchen gegenwärtig felten geworden
find, dürfte den theilweilen Abdrud rechtfertigen. Aum. d. Ned.
— 202 —
M. Daniel Hänichen, jo heyjts mit Ihm auch in der that, das wie
jein Nam ift, alfo ift auch fein Rhum. Dann erjtlich war Er ein rechter
Daniel, al3 durch wellchen Got der Herr fein Kicchen-Gericht allhier auff
Erden geübet und verrichtet hat. Denn Daniel wird gedolmegjcht judicium
Dei, Gottes Gericht und urtheil.
Und ob wol fein Zumam etwas ſchwach und das diminutivum it
vom Hanen, jo hat doh diß Hänichen jo ftark und hell gekreet, das es
“mit feinem löblihen Hanengejchrey weit und breit gehöret worden, das
man allenthalben von Ihme mit Ehren zu jagen weiß, und wird aud) fein
Lob ewiglich bleiben. Denn wie die Hanen mit ihrem Geſchrey den Tag
verfündigen, und die VBerenderung deß Gewitter anzeigen: aljo war auch
unſer Hänichen, nuncius lucis, dei Licchtes prediger, der da Ehrijtun,
das warhafftige Liecht verfündigte, wellches alle Menſchen erleuchtet, die
in dieje welt fommen. So war Er aud) fein Wetterhan, der fich nur nad)
dem Wind gerichtet, und einem jeden gejagt hätte, was er gern hörte:
nein traum: ſondern Ex lernte den Weg Gottes recht und fcherpifet mit
gewalt neben der Gnaden Lehr dep H. Evangelii die Lehr deß Geſetzes
vom Fluch und zorn Gottes wider die Sünde: als der leicht und bald
vermerdt, was für triebe Wetter umb der Welt undand und Bößheit willen,
an dem Himel umbgiengen, und it jonderlich denckwürdig, dan ob ſich wo:
der Löwe, als ein behergt und unverzagtes Thier ſonſt vor Niemand
furcht noch entjegt, er dannoch ob dem Hanen und feinen Geſchreh erſchrickt,
und die Flucht gibet. Gleichergeftalt hat unſer ſelige Herr M. Hänichen
mit jeiner Stimm auß Gottes wort, unſern Widerfacher den Teufel als
einen Brüllenden Löwen, der umbher läufft und jucht, welchen er verichlinge,
davon abgeſchröckt und abgehalten, wie grimmig er fich auch durch feine
Werdzeug erzeigt und gejtellet hat. Das dann allen rechtichaffnen Lehren
im allweg zu thun eignen und gebühren will. — — ')
Sein Herr Vater war der weiland auch Ehrwürdig und mwolgelerte
Herr Caspar Hänichen, geweiter Pfarrer zn Zöblitz, in einem alten
Bergkjtädtlein in der Herſchafft Lauterſtein, nicht weit von Marien:
berg, im Land zu Meijen gelegen. Die Fraw Muter aber hieß Urjula,
ein geborne Bfeifferin, von Hänichen.
Als unſer liebe geivene Gott benanuten perfonen unfern Herrn M.
Danielem in ihrem Eheftand den 13. Martii A. C. 1566 bejchert und
geben, haben jie zu pflichtichuldiger danckbarkeit denjelben ihren Sohn Got
dem Allmächtigen nicht nur in der H. Tauffe wider gegeben, ſondern ihn
1) Hier folgt ein längeres Eitat aus Apoſtelgeſch. 20.
nachmalen auch in der zucht und vermahnung an den Herrn jederzeit ge
trenlichit aufferzogen und fleiſſig zur Kirchen und Schulen gehalten, wie
Ehriftlichen Elteren zuthun gebüret und obliget.
Und al3 Er in Schola patria zu Zöblitz jene Fundamenta gelegt,
hat ihn fein Lieber Herr Bater ſeliger nah Marienbergf und Frey:
berg verjchiet, von dannen gehn Braunfhweig und Hannover, in
Sachſen, in welder Schul Er drey Jahr lang fruchtbarlich ſtudiret hat;
biß Ihn fein Herr Vater auff die Univerfitet Yeipzig verſchickt hat, da
er in die vier Jahr ein Ehurfl. Sächſi. Stipendiarius geweit. Zu Witten—
berg ift Er Magister Philosophiae worden: nach erlangtem Grade aber,
gehn Helmftadt gezogen, von wellcher Academi Er in fein Vaterland
zu einem Pfarrer, au feines verjtorbuen Herrn Vaters jtadt, ordentlich
beruffen worden, Anno domini 1591 hat ihn aber ein Jahr hernach, ein
Erbar Rath gen Marienberg vociret, da Er am Wort Gottes in die
neun Jahr gedienet und zuvor auch, noch zu Zöblitz gefreyet und zur
Ehe genommen hatt die Ehrn:Neiche und Tugendtjame Jungkfraw Eli-
ſabeth, deß Chrenvejten und Fürnehmen Herrn Hans Fliehers,
Bürgers und Rathsverwandten zur Mitweyde, Eheleibliche Tochter, mit
welcher Er hernach in Sechs und Zwantzig halbe Jahr friedlich gehanfet
und durch Gottes Segen zehen lebendige Kinder erzeuget hatt, Bier Söhne
und Sechs Töchter: Davon noch zweene Söhne!) und zwey Züchter jo lang
Gott will, am Leben find, die andern aber find gejtorben, und mit der
Fraw Mutter im Herrn feelig entjchlaffen, welche erjt vor zwey Jahren
zu Dreßden abgeleibet.
Im Fahr nad) Ehrifti Geburt 1600 iſt unfer jeelige M. Hänichen
von der Churf. Sächſi. Fraw Wittib zu Cholnitz, in ihrer Churfürſt:
Gna: Wittumb nad der Mitweyda beruffen, da Er zwey Jahr weniger
14 Wochen Pfarrer gewejen.
Darauff ift Er zu einem Superintendentem nad Annae-Bergk
verorduet worden, welchem hohen Ambt Er mit fonder grojjem fleiß vor-
gejtanden, biß auff das Jahr Ehrifti 1610 in welchem Ihn ihre Ehur-
fürft: Gna: von Sachſen, Chur Fürſt EC hriftian der Andere, Ehrijt
Secligfter Gedächtniß, nicht zur mit fich hieher (neben andern Herren
1) Einer feiner Söhne, Namend Georg, wurde während des breißigiährigen
Krieges vertrieben. In Altwaffers Tagebuch (auf welches wir mohl
jpäter an diefer Stelle ausführlicher zu ſprechen fommen werden) it die
Notiz: Mocham, in inspectione Oschacensi bey Döbeln an ber ftraffe
nah Lomnitſch Georgius Hänichen, exul Bohemus, Pastoris filinj.
u.
Theologen) nah) Prage genommen, allda Er in allen Bier Städten Cum
Laude geprediget, jondern gar zu einem Hoffprediger angenommen hatt,
da Er dann in die acht Jahr in der SchloßsKicchen zu Dreßden am
Evangelio und Wort Gottes gedienet.
Und weil unſer lieber Herre Gott feine Heyligen wunderlich führet,
jonderlich feine getrewe Knechte jelten an einem Ort gar zu lang lajfet,
mufte unjer Herr M. Hänichen feelig vor einem Jahr wieder nach
Praga kommen, da Er von Ihren Gnaden den Hoc und Woll-Gebornen
Heren, Herrn Betervom Schwammbergkauff Rannspergk, Heydt,
Gefterihan, Worlig md Klingenberg, Herr zu Wittingen,
Grögen, Roſenbergk ımd Libiowiſſ: König: Maye: zu Böhmen
Rath, Cammerer und des Königreichs Böhmen Ober-Hoff- und Lehen:
Nichter, zu einem Hoff- Prediger bejtellet worden.
Mas für grojfe Müh und Arbeit Er bey wehrenden feinem Ministerio
in die 29 Jahr lang gehabt, bevorn, weil Er Officii ratione vielmals ver-
reifen müſſen und auff unterichiedlichen Chur: und Fürftlichen Zuſammen—
fünften, zu FJütterbergf, Nürnbergk, Frankfurdt etc. geweſt, it
leichtlichen zu erachten und abzunehmen.
Biel herrlich ſchöner Predigten, die ſehr anmutig und wol zu leſen,
jonderlich weil Er drinnen beym Text geblieben, und den ordentlich erpliciret
hat, daß das Vornembſt und Beit an einer jeden Predigt ift, hat Er jelber
publicivet und in offentlichen Drud aufgehen laſſen. Wer Ihn gehört, hatt
Ihn lieb gewunnen; und müſſen Ihm die Adversarii jelber das Lob und
Gezeugnuß geben, daß Er ein Vortreffliher Herrlicher Prediger gemeit,
ungeacht, daß Er ihrer nicht gejchonet, jondern fich ihnen als ein behertzt
Hänichen, jederzeit im Lehren und Schreiben, getrojt widerjegt und ihre
falfche Lehr und Menſchen Tand solide, auf Gottes Wort rvefutivet und
widerleget hat. Denn Er war ein recht Eyferiger und Bitandhaffter Lutheraner,
in dem fein Falſch geweſt (wie der Herr von dem Nathanaele zeuget und
ſpricht: Siehe ein rechter Iſraeliter, in dem fein Falſch tjt;) drumb hat Er
Niemand geheuchelt, jondern die Warheit frey offentlich befannt und nicht
auff Menjchen, jondern auff jeinen lieben Gott gejehen, der Ihm das zu
thun befohlen hat.
Und ob Er wol feinen allaugjunden Leib gehabt (welches faſt ein
proprium tjt aller Glerten, die fleißig Studieren und ihnen ihr Ambt einen
Ernſt und angelegen fein lajjen) jo hat Er doch ein gſunde Seel in feinem
franden Leib gehabt und behalten. Es jteht zwar beydes wol beyſammen,
Si Mens sana in Corpore sano, wann ein gjunde Seel in einem gſunden
Leibe ift; aber wann man je eines entrathen und entperen muß, jo its
— 205 —
viel taujentmal bejjer einen jiechen Leib, als eine Krande Seele haben, wie
das Erenpel Lazari und des Neichen Mannes aupweifet.
Hat demnach die Eufjerliche Leibs-befhwärung unſerem Seeligen
Herrn M. Hänichen jo gar an feiner Seele Heyl und Seeligfeit nicht
ſchaden müſſen, daß fe ihm vielmehr darzu nüglich und beförderlich geweſt
ist, danı fie ihn zu ſeinem Eid und Sterbjtiindelein einen jtarden Fortſchub
gethan hat, darzu Er jich auch recht wol und Chriftlich bereitet hat, mit
Empfahung des Wahren Leibs und Blutts Chriſti, nach gethaner feiner
Beicht und darauff Empfangner H: Absolution und ift fonderlich zu gedenden,
daß Er jein Glaubens-Befentnuß feinem Teſtament und Legten Willen mit
folgenden Worten einverleibet: Ich befenn mich von Hergen zu den
Prophetiſchen und Apoſtoliſchen Schrifften, Haubt-Sym:-
bolen, Ungeenderte Reiner Augſpurgiſchen Confeffion,
Lehr: und Streit-Schrifften Herrn Lutheri, wie diefes in
dem Ehrijtlihen Concordien-Buch, dem Ich ſubſeribieret,
verfafjet, darauff Jh auch mein Auditorium in meinen
mündtlich gethbanen und publicirten Predigten gewiesen.
Hierbey iſt Er auch biß in fein Lebtes Ende hinein bejtendiglich, durch
Gottes Gnädige Hülff verblieben, hat aud) jederman von Hergen vergeben und
darauff fein Zeben in warer Furcht und Anruffung Gottes die 2. Novembris !)
An. Chr. 1619 ſanfft und jeelig bejchlofjen, feines Alters im 54. Jahr." ®)
Sagen aus dem füdlihen Böhmen.
Von Franz Hübler,
43. Der Baubergarten auf dem Libin.
In der Nähe von Brachatig erhebt ſich der Berg Libin. Auf dejjen
Gipfel ijt der Zaubergarten, umgeben von den Ruinen der Burg darinnen
noch eine Wendeltveppe ſich befindet, die zu einer ſchönen Ausjicht führt. Die
Burg gehörte vor mehreren hundert Jahren einem Ritter, welcher bei
einem nächtlichen Ueberfalle jammt feiner Familie ermordet wurde, worauf
1) Im Orig. Octobris ift Drudfehler.
2) Bon Werken H.'s birgt die Zwickauer Bibliothek folgendes:
Scala Jacobi, ausgelegt und erklärt. Leipzig 1615.
Theses de peccato in Synod. Annamont. propos. Frib. 1608.
Capita ex secundo Act. Form. Conc. de Libero Arbitrio Frib. 1608,
— re
die Burg zerjtört ward. Hierauf erſchien zuweilen im der Nacht eine
weiße Gejtalt, die Gemahlin des Nitters, welche durch die werddeten
Räume des verfallenen Schlojies irrte. Sie that aber Niemandem etwas
zu Leide. Einmal verirrte ji) auf die Höhe des Berges ein Kind. Das
traf die weiße Frau, und Huldvolf fpielte fie mit demfelben in dem ehe-
maligen Schloßgarten, indem fie Blumen pflüdte und Sträußchen daraus
band. Endlich verlangte das Kind nad) Vater und Mutter, und die weiße
Frau nahm es an der Hand und führte es den Berg hinab bis am den
Rand des Waldes, von wo es den alten befannten Weg jah und froh
nach Haufe eilte. Aber welche Veränderung fand es zu Haufe! Die Eltern,
die Gejchwifter und Fugendgefpielen waren jchon alle längjt geſtorben,
überall ſah es fremde Leute, und die Häufer waren auch nicht mehr jo
wie früher und Niemand erinnerte jid) feiner. Endlich erſah man aus
den Taufbüchern, daß jchon Humdert Jahre verflojjen, fett das Kind von
Haufe ich entfernt hatte. Es war als verjchollen eingetragen worden.
44. Das Kreuz am Wege von Pradatit nad HYufinct,.
Wenn man von Prachatig über die fogenannte Sfalfa, einen Quarz:
jelfen, der jih im Norden über die Stadt erhebt, wandert, jo gelangt
man auf dem bejchwerlichen Wege, der bergauf, bergab geht, bei dem
Dorje Altprachatig vorbei nad) Hufjineg. Nechts von dem Wege oder
Fußſteige, beiläufig die Mitte desjelben ausmachend, jteht ein altes, ſchon
verwittertes Kreuz. Wenn man von dem Hügel, der fich in der Nähe
befindet, zurückſieht, jo erblict man linfer Hand den Friedhof der Stadt
Prachatig, dejjen alte Kirche, wie die Sage erzählt, der HI. Adalbert ein-
geweiht haben joll, während im Thale von Altprachatig nur einige Häufer
jihtbar find. Vor mehreren hundert „Jahren bededte die ganze Gegend
undurchdringlicher Urwald, durch den von Baiern nach Prachatig der
befannte „goldene Steg" führte, die einzige Verbindungsftraße zwischen
Baiern und Böhmen; an mehreren Stellen kann man noch jeßt die
Spuren diefes alten Handelsweges jehen. Obwohl zum Schuße der Han-
delszüge viele Burgen angelegt waren, jo konnten ſich dennoch in den
dichten Wäldern Räuber und Wegelagerer aufhalten, da ihnen verborgene
Schlupfwinkel Sicherheit boten. So trieb auch einmal eine Ränberbaude
in der Nähe von Prachatig lange ungeſtraft ihe Unweſen; die Prachatiger
konnten derjelben trog aller Mühe nicht habhaft werden. Sie verbanden
— 207 —
jich deshalb mit den Piſekern und Winterbergern ſowie mit der Land-
bevölferung der Umgegend und unternahmen einen gemeinfamen Streifzug
gegen die Näuber. Der Aufenthalt wurde erforscht und die ganze Bande
gefangen genommen nnd hierauf gebunden nach Prag geführt. Dort wurden
alle von peinlichen Gerichte zum Strange verurtheilt. Als der Näuber-
Hauptmann jchon auf dem Schaffote jtand, fagte ev zu den Umſtehenden,
daß er mitten im Walde unter einer jehr hohen Eiche, deren Plag er
genan bejchrieb, eine Menge Gold und Kojtbarfeiten verborgen hätte.
Unter denen, die dies hörten, war auch ein Prachatiger und dieſer eilte
nach der Hinrichtung fogleich nach Haufe, Forjchte den bejchriebenen Platz
auf und fand wirklich die eingegrabenen Schäge. Er wurde dadırd zu
einem reichen Manne, und jeine Nachfommen leben noch jegt und find
begütert. Seitdem iſt der Urwald gelichtet worden, fruchtbare Felder
dehnen ſich jegt hier aus, und an der Stelle, wo früher der Schag ge-
junden wurde, fteht jeßt das jchon oben erwähnte einfache hölzerne Krenz.
Vorher befand fich dafelbjt ein in Zebensgröße aus Papiermaché gefertigter
Ehrijtus, umgeben von Maria und Johannes, ebenfalls in Lebensgröße.
Da aber die Figuren durch die Witterung zu viel litten, jo wurden jie
in die Prachatiger Friedhoffirche gebracht, wo fie auf einem Seitenaltare
links vom Hochaltare noch heute zu jehen find. Statt diejes Kunſtwerkes
wurde an jener Stelle das hölzerne Kreuz aufgeftellt.
Mittheilungen der Geſchäftsleitung.
Die General-Verſammlung für das 24. Vereinsjahr 1885 —86
wurde den 20. November l. J. um 7 Uhr Abends im „Deutſchen Hauſe“
(Graben Nr. 859211.) abgehalten. Die bisherigen Ausſchußmitglieder
wurden wiedergewählt und Herr Dr. Franz Schmeyfal zum Ehren-
mitgliede ernannt.
Der Löbliche Stadtrath Eger hat unjerem Bereine anläßlich der
Herausgabe der „Chronifen der Stadt Eger", bearbeitet von
Heinrich Gradl, als II. Bandes der „Deutjche Chroniken aus Böhmen“,
eine Subvention von dreihundert Gulden gewidmet.
Neugegründet wurde die Vertretung in. Tannwald, geleitet von
Herrn Ferdinand Thomas, Bürgerſchul-Director; neubejegt wurde die
— 208 —
Vertretung in Reichenberg mit Herrn Anton Fiiher, Magiſtrats-Rath.
In Karlsbad wınde Herr Alois Janetſchek, Muſikvereins-Director und
Obmann des Richard Wagner-BVereins, zum alleinigen Bertreter ernannt.
Nachtrag zum VBerzeichniß der Mitglieder.
Geſchloſſen am 30. October 1886.
Stiftendes Mitglied:
Sr. Durchlaucht Herr Max Egon Fürft zu Fürftenberg, Großgrund—
bejiger ze. in Prag. .
Ordentlide Mitglieder:
Herr Böhm Heinrich, Bürgermeifter in Tannwald.
» Sajek Johann, k. k. Grundbuchsführer in Tannwald.
„GHamburger Wilhelm, Fabrifs-Director in Deutſch-Schumburg.
„Jentſch Julius, JUDr., Advocaturs-Concipient in Prag.
„ Klandber S., Kaufmann in Prag.
„ Koßn Leopold, JUDr., Advocat in Unter-Tannwald.
» Pahl Dtto, Fabrifs-Director in Unter-Tanımald.
» 2Pik Arnold, MUDr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag.
„Driebſch Robert, Fabrifant in Unter-Morchentern.
„ itfhel Robert, Kaufmann in Hohenelbe.
„Schwalb Alfred, Banquier in Karlsbad.
« Doyka Iſidor, MUDr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag.
Stumpe Auguft, Fabrilsbeſitzer in Deutſch-Schumburg.
Kühl. Stadtgemeinde Tannwald.
Herr Wagner Adolph, E. k. Bez.-Ger.-Adjunet in Unter-Tannwald.
» Zahn Franz, JUDr., Advocat in Luditz.
IE” jene Herren Mitglieder, denen das letzte Heft der Mit
th: ilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden
böflichft erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsteitung (Annaplak 188—I)
gütigft reclamiren zu wollen. WG
Rt, Hofbuchdruderei U. Hanfe, Prag. — Selbftverlag.
| Mittheilungen es Vereines
Össchichle der Deutschen in Bühnen.
Nedigirt von
dr. Kudwig Schlesingen,
Fünfundzwanzigfter Jahrgang. Drittes Heft. 1886/7.
Bonifatius,
der Apoftel der Deutfden,
und die Slavenapoftel
ROUSRUNER (Eyrillus) und Methodios.
Eine hiſtoriſche Parallele
bon
Sonflantin R. von Höfer.
Vorwort.
Bei Gelegenheit der taufendjährigen Gedächtnißfeier des am 6. April 885
verjtorbenen Erzbiichofs von Mähren und Pannonien, Methodios von The]:
jalonife (Salonidji), wurde von Seiten des römischen Stuhles mit Fug
und Recht auf die großen Verdienfte hingewiefen, die ſich ſowohl Kon:
ftantinos der Philofoph (Eyrillus), des hl. Methodios früh verjtorbener
jüngerer Bruder, als diefer jelbft um die Bekehrung der Slaven erworben
und Beiden der ehrende Beiname der Slavenapoftel zuerkannt. Damit war
die Anficht derer, welche jich in den Brüdern von Salonidi Träger des
Schisma's anzufehen das eigenthimliche Vergnügen gemacht hatten, fie einer
Kirche zumiefen, die jelbft die Rechtmäßigkeit der Taufe der lateinijchen
Kirche bejtreitet, den „Mifolatinismus” zur Seele ihres Bejtandes macht,
als völlig unhaltbar gekennzeichnet, und es wird, ohne ſich nicht lächerlich
zu machen, faum mehr vernünftigen Männern gejtattet fein, dieſe abge-
thane Doctrin wieder aufzufriichen.
Wenn aber nachher in uns näher liegenden Kreifen die Thätigfeit
der beiden Slavenapojtel infofern limitirt wurde, daß Method als ver
eigentliche Begründer des Chriſtenthums in Böhmen aufgefaßt und jomit
14
— 210 —
zum Apoftel der Tſchechen umgewandelt wurde, wobei wieder das fagen-
hafte Welehrad in Mähren in den Vordergrund gefchoben ward, fo war
begreiflich, daß diefe Anſchauung ſtarke wijjenfchaftliche Bedenken erregte,
einen Widerſpruch hervorrief und als eine Conceſſion in nationafer Be-
zichung aufgefaßt wurde, die auf der anderen Seite mehr Verwunderung
als Bewunderung erzeugen mußte.
Dieje Auffaſſung eines jo wichtigen Ereigniſſes der früheren Gefchichte
Böhmens und die daraus hervorgehende Zurückweiſung deſſen, was von
deutjcher Seite im Karolingerzeitalter zur Belehrung Böhmens gejchah,
ward Anlaß, die Frage noch einmal in Erörterung zu ziehen. Aber aud)
nur Anlaß, und da ich abjichtlid) der vorliegenden Schrift den Charaf-
ter einer hiftorischen Parallele verlieh, ift damit von ſelbſt ausgejprochen,
daß ihr jedwede polemijche Tendenz gebricht.
Ich lege das Reſultat von Forjchungen, die eine Seite aufdedten,
welche bisher nicht beachtet worden war, vor. Mag man es annehmen,
jo wird man der Wahrheit einen Dienjt erweifen; wird man es verwerfen,
jo habe wenigftens ich meine Pflicht als Hiftorifer erfüllt. Das Weitere
wird mich wenig kümmern. Sollte man ſich aufs neue Verdächtigungen
erlauben, wie e8 ſchon einmal der Fall war, jo werde ich ihnen wie früher
das Stillfchweigen entgegenftellen, das fie verdienen. Ich begreife, daß
namentlich der Paragraph: der methodische Betrug, mannigfaltige Ueber-
rajchung bereiten wird. Wir bewegen uns jedocd, auf einem Boden, auf
welchem man ſich mehr al8 einmal ftarfe hijtorische Fälſchungen gejtattete.
Sie ungeſcheut aufzudeden ift die nicht immer erfreuliche Aufgabe der
Wiſſenſchaft, aber auch in manchen Fällen eine unabweisbare Aufgabe.
$. 1. Die Kataftrophe im Anfange des VIII. Jahrhundertes.
Seit dem Untergange des weftlihen Neiches der Römer und der
Erfegung desjelben durch die germanische Vieljtaaterei fchien fein Jahr:
hundert eine verhängnißvollere Kataftrophe gleich in feinen Anfängen zu
bringen als das achte der hriftlichen Zeitrechnung. Nicht als wenn es
bisher an Völkerverſchiebungen und Ummälzung der Staaten gefehlt hätte!
Mittel- und Weſteuropa waren wiederholt dem Schidjale verfallen, Völker
auf Völfer heranziehen zu jehen, die ihre Neiche nur deshalb begründet
zu haben jchienen, um jo raſch als möglich wieder zu verſchwinden, und
bald war von den Nugiern jo wenig mehr eine Spur vorhanden als von
K. Geiſerichs Vandalen, von den Gepiden jo wenig al3 von den Oftgothen.
Man konnte ſich fragen, ob die Langobarden ſich beſſer erhalten würden
als Odoakers Heruler, Scyren und Zureelinger; ob ihre nördlichen Nach—
| a il: wi
baren, die Bajuarier ihre Selbftändigfeit beſſer vertheidigen würden als die
Thüringer den Franken und Sachſen gegenüber, die Burgunder und Ale-
manen den Franken, die in Spanien eingewanderten Sueven den Weit:
gothen gegenüber; daß aber ein großer Theil des erft feit C. Julius Cäſar
und Octavianus Augujtus dem römischen Reiche einverleibten Nordgebietes
den Germanen dauernd zugefallen fei, konnte man ebenjo wenig bezweifeln,
als daß unter diefen die in Gallien eingewauderten Franken die Hegemonie
erlangten, fich nicht nur die Kelto Römer unterwarjen, fondern auch be:
reits begonnen hatten, ein deutjches Volf nad) dem anderen jich eigen zu
‚machen und jo ein deutjches Gejammtreich zu begründen, das damals
nur im römijchen (romätschen) Reihe von Konftantinopel einen eben-
bürtigen Gegenfag fand.
Anders aber wurde es mit dem Anfange des VII. Sahrhundertes,
als der Aufmarſch des arabiſchen Weltreihes in Afien-Afrifa vollendet
war, deſſen beide langgeitredten Flügel Europa berührten, unter Walid 1.
das neue Weltreich feine größte Ausdehnung erlangte, mit Mühe das
römische Reich durch feine größte Feſtung, die Hauptitadt, erhalten wurde,
das große Wejtgothenreich aber, diejer entbehrend, den Folgen einer einzigen
Niederlage 711 erlag. Zwei Jahrzehnte fpäter ftanden die Sieger jchon
an der Loire und, obwohl dort zurücgejchlagen, im nächften Jahre 733
an dem Ahone. Bon diefer Zeit au bis zum erſten Kreuzzuge blieb das
hriftlihe Europa fortwährend von den Arabern blodirt; die europätjche
Inſelwelt fiel in ihre Hände und die gefammte Südküſte war ununterbrochen
ihren Räubereien und Einfällen ausgejegt, jo dal deutfche Kaijer mit ihnen
nicht minder zu kämpfen hatten als Normanenkönige und vomätjche Kaifer.
Der Kampf mit dem Islam war ein bleibende Uebel geworden, mit
-welhem man Jahrhunderte hindurch zu vechnen hatte, und nur darin lag
ein Unterjchied, daß anfänglich die Araber auf allen Punkten offenjiv
vorangingen und erſt langjam und allmälig die chrijtlichen. Völker ſich
entjchlojjen, von der Defenjive jelbjt zur Offenfive überzugehen und dieje
endlich 1096 nach der Brüde zu tragen, die Aſien mit Afrika verbindet.
Im gegenwärtigen Augenblide zeigte ſich aber, was ein einheitliches
Neic vermag, das eine lang gejparte und lang gehütete, ebenjo Eriegerijche
als intelligente Nation wie im erſten Anlaufe gegründet hatte, als ihm
ein wohl ausgedehnter, aber durch religiöfe und politische Barteien innerlich
gejpaltener, zerrijjener, von Avaren, Slaven, Perſern beinahe bis zur
Vernichtung befämpfter, alternder Staat gegenüber ftand. Aber auch mit
dem neuen deutjchen Neiche, das Anjtalten traf vom alten Gallien aus
einen DBereinigungs- Punkt germanischer Völker zu bilden, ftand es jchr bald
14*
— 212 —
um nicht viel, befjer, da rohe Kraft, Lift und Gewalt zur Erhaltung der
Staaten, zur Begründung eines ftaatlichen Lebens nicht hinreihen. Schien
doch das fränkische Reich unter den merovingischen Nachfolgern K. Chlodwigs
feine andere Aufgabe zu kennen, als ſich in Theile aufzulöjen, und, wenn
Glück oder Gewalt wieder Bereinigung der getrennten Bejtandtheile herbei:
geführt, den unfeligen Proceß der Theilung und Schwächung, der Bruder-
fehde und des Bürgerfrieges von nenem zu beginnen !
Es gehörte nun zu den jchlimmften Dingen, daß gerade im Anfange
des VII. Jahrhundertes, kaum daß der lang andauernde Bürgerkrieg
unter den Hausmaiern der drei Hauptbejtandtheile des fränkischen Reiches
durch die Erhebung Bippins IE zum Herzoge aller Franken bejeitigt war,
die inneren Zwiſtigkeiten unter jeinem eigenen Geſchlechte jo rajch eintraten,
als hätten ich die Pippiniden die unjelige Politif der Merovinger zum
Borbilde genommen. Die Maßregeln zur Abwehr der Araber, der Verfall
des Königthums der Merovinger, das für die nicht fränkischen Völker der
fränfischen Monarchie den natürlichen Einheitspunft gebildet hatte, drohten
auch in der fo jchwierigen Uebergangsepocye von den Mierovingern zu den
Karolingern eine innere Zerrüttung, eine moralische Auflöfung des fränkischen
Gejammtreiches herbeizuführen, der die politische auf dem Fuße nachfolgen
mußte. Was aber dann das Schidjal der germanifhen Welt
werden würde, von welcher Sachſen und Friefen noch im wildejten
Heidenthum verharrten, während die Sfandinavier fich berufen fühlten, noch
lange nachher Mord und Brand nad) den germanischen Ländern zu tragen,
war unschwer zu errathen. Drohten doc nod) im X. Jahrhunderte die ſpa—
niichen Araber durch einen Querritt von Weften nah dem Oſten Europa
dem Islam zu unterwerfen! Mag man die Thatkraft Karl Martells, die
ih in der Schlaht von Tours und Poitiers 732 bewiefen, noch fo hoch
anjdylagen; es handelte fid) nicht blos um den Bejtand gegen einen aus:
wärtigen Feind, Ter jeden Tag wiederfehren konnte, ſondern um ein gan;
ungemeines Culturintereſſe, um die geiftige und fittliche Hebung des
Frankenreiches, dem die fittlihe Führung der germanijchen Welt,
damit ihre ganze Zukunft, anvertraut war.
Allein die Deutichen waren damals noch weit entfernt, auch nur an-
nähernd ein Ganzes zu bilden. Zerjtreunt im Süden wie im Weften gab
es eine compacte Maſſe nur in der Mitte des aus Halbinjeln beftehenden
Erdtheiles. Aber auch dieſe Mafje war gejpalten, da der nördliche und nord-
wejtliche Theil, riefen und Sachjen die erflärtejten Gegner der chrijtlichen
Religion waren, die die ſüdlichen Stämme bereits angenommen hatten,
ohne jedoch jene Schulung erlangt zu haben, die in der jo nothwendigen
— 213 —
Umwandlung von Sitte, Gebräuchen, Lebensanfchauung und Lebensge-
jtaltung bejtand. Diefer jchwanfende und unfertige Zuftand war aber um
jo mißlicher, weil, ehe die Germanen ſich al8 Träger einer neuen Aera
conjtituirten, hinter ihnen in zahllofen Stämmen und Schwärmen ein neuer
Feind ſich zeigte, welcher bis dahin feinen weltgejchichtlichen Beruf nur in
der wildeften Betonung des aviten Heidenthums bethätigt hatte. Einerfeits
bemächtigten jich die Slaven der durch den Abzug der Germanen leer-
gewordenen Sige diefer Völker, deren Nachtrab fie zu bilden fchienen.
Sie machten ſich in den früheren Sigen der Marfomannen in Böhmen
breit, als hätten fie dort von Anbeginn gewohnt und feit Jahrhunderten
Bürgerredht erlangt. Wo Rugier und Quaden, wo Gothen, Gepiven und
Langobarden gewohnt, alles gehörte ihmen, den ganzen deutſchen
Befig nahmen fie für jih in Anſpruch. Während aber die Bor-
läufer der germanifchen Völkerwanderung, die Gothen ſich mit den Römern
zu ftellen verfuchten, römiſch-gothiſche Reiche zu errichten, das in feinen
Grundfejten wankende römische Weich durch gothiihe Kraft zu ftügen
ftrebten, Wejtgothen vereint mit den Römern unter Aetins die Geißel des
Abend: und Deorgenlandes, den Hunuenkönig Ebel bejtiegten, verbanden
fi die Slaven mit allen der römischen Eivilifation feindlichen Stämmen.
Selbjt Knechte oder wie die Avaren ſich ausprüdten, Jagdhunde ihres
Chagans, reichten fie den Perjeru die Hand zur Eroberung und Zerjtörung
der Baſiliſſa, 8. Conſtantins großartiger Schöpfung, und ihr Verdienst
war es nicht, wenn jich Eonjtantinopel gegen den dreifachen Ring der Avaren,
Perſer und Slaven doch erhielt, al3 es vom aſiatiſchen Ufer, auf europä-
iſchem Boden, zu Waſſer und zu Lande belagert und befämpft worden
war.) Ob chriſtlich oder clafjiich, die Slaven hatten Sinn nur für jic)
und wohin fie famen, brachten fie eben nur jich, aber Feine Keime der all:
gemeinen Cultur mit. Siegte diejes Heidenthum jo war die Welt verloren.
Nur die Vollendung der Bekehrung germanifcher Völker bildete eine Brücke,
um auch die ungezählte ſlaviſche Welt, wenn auch langſam und EIER in
den Kreis der chrijtlichen Eivilifation hineinzuziehen.
So gab e3 denn im Aufange des VII. Jahrhundertes der —
Aufgaben in Fülle und war die ſo nothwendige Umwandlung der merowingi—
ſchen Monarchie des Frankenreiches und feiner deutſchen Dependenzen, fo
ſchwierig fie an und für ſich war und jo jehr fie bedeutender Perſönlichkeiten
bedurfte, wenn nicht ebenſo nothwendig, doch nicht minder jchwierig als die
Reform, weldhe auf dem geijtigen Gebiete des Völkerlebens ſich als
1) Höfler, die Epochen ber ſlaviſchen Geſchichte Wien 1881. ©. 35.
— 214 —
unabweisbar darjtellte. Es mußte, follte eine gründliche Befferung der Dinge
möglich werden, der immere Zwieſpalt der dentſchen Nation getilgt und die
Bereinigung der deutichen Stämme Eontraleuropa’s auf dem firdhlichen Gebiete
durchgeführt werden. Es war bei dem Verfalle der Dlerowingerherrichaft
ebenjo nothwendig dem Verfalle der Eirchlichen Zucht und des Firchlichen
Lebens im Franfenreiche wirffam zu begegnen, damit die neue Ordnung
der Dinge nicht nur auf Gewalt, jondern auch anf bleibendem ethifchen
Grunde beruhe. Es war endlich nothwenvdig, dem Heiventhume, das vom
Norden nad dem Süden, vom Oſten nad dem Weſten jich gewaltiam
vorwärts ſchob, Grenzen zu ziehen, wo ſich dasjelbe zeigte, und nicht minder
der großen Offenivftellung des Islams gegenüber, im Wejten und Süden
Europa’s eine große hrijtlihe Defenſivmacht zu begründen, wie
im Oſten das romäiſche Neich, welches wir uns thörichter Weiſe als byzan—
tiniſches zu bezeichnen gewöhnt Haben, gerade im achten Yahrhunderte
durch die Noth der Zeit getrieben, unter den wilden Iſaurern, den bilder:
ftürmenden Katjern, ſich zu emer ſolchen Nolle aufraffte, während ande:
rerſeits ihr militärischer Despotismus zur Ausſcheidung Italiens aus dem
Neiche führte, das feinen lateinischen Charakter ſeitdem mit dem griechijchen
(romäiſchen) vertaufchte,
Beſäßen wir ene Gejchichte der deutjchen Geſammtnation, che fich
diefe nicht blos in verschiedene Staaten, jondern auch in Dentiche und
Nomanen jchied, jo wäre längjt eine der größten Entwiclungsjtadten zum
Gemeingute unſeres Volkes geworden. Ich meine die Thatfache, daß
e3 eine große und ziemlich langdauernde Periode unſerer Geſchichte gab,
in welcher jich die verjchiedenjten deutjchen und ſelbſt nicht deutjchen Stämme
als Glieder eines großen Ganzen fühlten, gemeinſame Inſtitutionen,
Kirche, Schule, Dynaftie und Monarchie befaßen, damit eine gemeinjame
Bergangenheit und Gejhichte, jo daß die Heroen jener Tage
ebenjo den Deutjchen als den nachherigen Franzojen angehören nnd jelbjt
die Slaven, wenn fie einen Gefammtfürjten, nicht einen ihrer National:
herzoge bezeichnen wollten, ihn nach dem erften deutjchen Kaifer, dem
großen Träger einer univerfalgefchichtlichen Beriode — Kaifer Karl = Kral
nannten.
Damit aber diefe gemeinfame Periode ermöglicht werde, mußte jpä-
tejtens im VII. Jahrhunderte und Mitten unter den großen Veränderungen
und Umwälzungen dejjelben der ethiiche Grund gelegt werden, ohne welchen
es wohl wie in Conjtantinopel auch auf germanifchem Boden zu einer rohen
und gewaltſamen Militärdespotie gekommen wäre, nicht aber zu dem völfer-
vereinigenden Kaiſerthum des Jahres 800.
— 215 —
8. 2. Der Angelſachſe Wynfrith (Bonifatius). ?)
Weder die Perjünlichfeit noch die Wirkſamkeit des Wohlthäters und
Apoftels der Deutjchen ift ein Gegenftand der Eontroverje. Es fann fein
Streit darüber entjtehen, welchen Völkern er das Licht des Heiles angezündet,
welcher Schrift er jich bedient, welche Sprache er gefprochen, welche Länder
er bejucht, welche Fürjten jeine Bemühungen unterjtügt, mit welcher Voll-
macht er ausgerüftet jeine Mifjion antrat, welche Einrichtungen er getroffen.
Sein Andenken jchwand fo wenig mit jeinem Tode, als feine Wirkjamfeit,
da, was er begründet, durch die Art und Weiſe, wie es gejchah, nicht etwa
ephemerer Natur war, jonderu in feinen Schülern, in feinen Einrichtungen,
in jeinem Geiſte fortlebte. Seine Einrichtungen umfaßten nicht einzelne
Stämme und jchloßen nicht andere aus, jondern alle Stämme ein und der:
jelben großen Nation, die er durch gleihmäßige Inſtitutionen geiftig einigte
und denen er auch einen bleibenden Mittelpunkt zu ihrer politischen Einigung,
wie mit prophetischem Blicke die Zukunft beherrjchend, tn Mainz gab. Judem
er aber jeine ganze Thätigfeit an den gemeinjamen Mittelpunkt aller chrijt-
lichen Völker anfnüpfte, vermied er nicht nur jede nationale Spaltung, jondern
eröffnete ev auch der deutfchen Nation den mniverſellen Ueberblid, den jie
in ihrer Gefchichte bethätigte und der ſich im deutjchen Neiche, das aus
jo vielen Nationen ſich zufammenjegte, abjpiegelte. Seine uns erhaltenen
Briefe führen in das Geheimniß jeines Lebens ein und machen dasjelbe
jpäteren Gejchlechtern offenbar; jeine Schüler bemühten ſich in feinem
Geijte zu leben und zu wirken. Sein Grab, feine leere Tumba, die die
Phantaſie des Bejchauers nad) Belieben ausfüllen mag, ift bis zum heutigen
Tage Gegenstand der größten Verehrung und die Gejchichte, jeden Mythus
ferne haltend, der bei Audern die Stelle beglaubigter Thatſachen erjegen
fol, aber nicht erjeßt, weijt ihn unbedingt den bedeutendjten Berfünlichkeiten,
den opfermuthigiten Charakteren zu, den wahren Gründern einer meuen
Epoche. Worin beftand aber num die Wirkjamfeit des heiligen Bonifatius
und wie unterjchied fie fich von der, welche die Slavenapojtel im Bezug
auf die flavische Nation ausibten ?
Lange vor dem Jahre 682, in welchem, der Tradition zufolge,
im heutigen Sirton in Devoujhire Wyufrith, der Sohn angejehener
Eltern geboren wurde,?) hatte die große Verſchiebung der deutjchen
Völker vom Oſten nad dem Weften ihr Ende erreicht, hatten zulegt auch
1) Ueber die Schreibart fiehe Dr. Cornelius Will, Bonifacius, eine etymologiſch—
diplomatische Unterfuhung. Hiſtor. Jahrb. 1881. Heft 2.
2) Corn. Will, Regeften zur Geſchichte der Mainzer Erzbiſchöfe. J. S. I.
— 216 —
die Langobarden fich Italiens bemächtigt, ohne jedoch wie die Oſtgothen
die ganze Halbinjel fich unterwerfen zu fünnen, und hatten im ehe:
maligen Britannien die Angeljachfen jene eigenthümliche Stellung unter
den Deutjchen erlangt, die ihnen ein geijtiges Uebergewicht ficherte. Bon
den Stammesgenofjen auf dem Kontinente, den Altfachjen, durch das
ftürmifhe deut ſche Meer — mare germanicum — getrennt, gaben
die Sachſen in Saxonia maritima das Gefühl ihrer nationalen Zu—
jammengehörigfeit nie auf, wenn auch der große Unterjchied, daß die
Altjachjen wüthende Vorkämpfer des blutdiirjtigen germaniſchen Heiden—
thums blieben, die Meerſachſen aber ihrem Herzen nach Rom zugewandt
waren, von wo ihnen Abt Auguſtin die Lehre des Heiles gebracht, die
urſprüngliche nationale Gemeinſchaft ſtark in den Hintergrund drängte.
Der geniale Wurf PB. Gregor des Großen, während er jelbjt in Rom von
den Langobarden bedräugt ward, gleichjam über ihre Köpfe und die anderen
germanischen Stämme hinweg, die Eroberer Britanniens für das Ehriften-
thum zu gewinnen, hatte das germanifche Heidenthum zwiichen zwei Feier
gebracht, und da num, ſeit Theodor von Tarſos, ein Grieche, Erzbischof
von Canterbury geworden war, unter den Neubefehrten auch der Sinn fir
allgemeine Bildung rege wurde, das Beſtreben, einen edlen clafjischen Aus:
drud für feine Empfindungen zu gewinnen, Hand in Hand mit jener
ftvengen Lebensweije ging, die der Orden des h. Benedict übte, fo
bildete ji in Mitten der Kämpfe der angelſächſiſchen Könige des Südens,
der Mitte und des Nordens um die Herrjchaft, eine geijtige Richtung aus,
die fich mit umwiderjtehlicher Kraft der Beſſeren bemächtigte. Die tief:
chriftliche Ueberzeugung, daß die Völker für einander geſchaffen find,
nicht in gegenjeitiger Ausſchließung, fondern in der Wechfel-
wirfung ihre gejchichtlihe Aufgabe beruhe, fam früh bei ihnen zum
Durchbruche.
In unſeren Tagen, in welchen an jeden Denkenden die Aufgabe
herantritt, ſich mit den chriſtlichen Ideen auseinanderzuſetzen und gleich—
ſam Stellung zu ihnen, für oder gegen ſie, auf Zeit und Ewigkeit zu
nehmen, kaun man ſich nur ſchwer eine Vorſtellung von der Kraft der
damals die Welt beherrinenden Gegenſätze zwijchen dem Heidenthum und
dem Ehriftenthum machen. Sie ftanden einander im VII. und VIII. Jahr—
hunderte in volljter Schärfe als zwei Mächte gegenüber, die mit einander
rangen und von denen die eine ebenjo entjchlojfen war, es zum blu—
tigjten Kampfe fonımen zu lajjen, als die andere, alle Kraft der Entſagung,
der perjönlichen Aufopferung, die Entfaltung aller chrijtlihen Tugenden
aufzubieten, um den gewaltigen Feind durch Belehrung der Einzelnen zu
u ET a
vernichten. Mehr als 30 Kirchen, Hagt Bonifatius in einem feiner legten
Briefe Papjt Stephan III, hätten die Heiden verwüftet und verbrannt.
Jeder Theil fümpfte mit den ihm zugänglichen Waffen. Da fühlte fich jede
bedeutende Perfönlichkeit innerlic) gedrungen, an diefem Weltenfampfe fich
zu betheiligen, ſich von diefer Frage nicht auszuſchließen. Wie wir ung nun
von der Schärfe der großen Gegenfäge der Zeit faum eine Vorſtellung
machen, jo fönnen wir ung auch nur jchwer in jene muthige Zuverjicht,
in jene Begierde, welche die Beften befeelte, einen Kampf auf ſich zu nehmen,
in welchem täglich das Leben gewagt wurde, und in jene Mifchung von
Bejonnenheit und Verwegenheit verjegen, die jchon früher britifche Geijtliche
zum Miffionszuge nad) den deutjchen Niederungen, nad dem Rhein und
den Alpen bewogen hatte, im „Meeresjachjen” aber unter den Schülern
Abt Auguftins um jo jtärfer hervortrat, als es jih um verwandte
Stämme handelte. Nichts war natürlicher, als daß, nachdem England eine
Burg des Fatholifchen Glaubens geworden war, von hier aus, wie vom
archimedischen Punkte eine gefteigerte Thätigfeit nad) dem germanischen
Süden erfolgte und zwar vorerjt in der Art, daß verjucht wurde, an ver-
jchiedenen Seiten anzuftopfen, bis fich der rechte Mann fand, der mit
genialem Blicke die ſchwächſte Seite der Gegner bemerfend, den Keil in
das Centrum feiner Schladhtordnung trieb und dann wie ein erfahrener
Feldherr zum allgemeinen Kampfe überging. Das war Wynfrith.
Nachdem Wynfrith früh im der Benedictiner Abtei zu Exeter Auf—
nahme verlangt und gefunden, verflofjen die erjten 30 Jahre feines Lebens
in ftilfer Zurücdgezogenheit, im Studium der Kirchenväter und in jener
ftrengen Ajcefe, welche er auch noch fpäter den Seinigen zur Pflicht machte,
Zum Priejter geweiht, wollte er fich der Belehrung der Friejen zuwenden,
als er zum Abte feines Kloſters gewählt wurde. Bereits hatte er jich aber
für die Verfündigung des Evangeliums unter den Heiden entichieden und
wandte er ſich deshalb, dem Beijpiele Wilbrods, des Apojtels der Friejen
folgend, an P. Gregor IL, von diejem perjönlich die Ermächtigung zur
Bekehrung der deutjchen Völker zu erlangen.) Am 15. Mai 719 begann er,
mit jener Autorität ausgerüftet, die allein ihn dazu befähigen konnte, das
gewaltige Werk, welches er unter Gregor III., Zacharias und Stephan III.
fortſetzend, 74jährig -- 130 Jahre vor dem Tode des Slavenapoitels
Method — als Märtyrer unter den Streichen der Frieſen beendete.
1) ad inspiciendos immanissimos Germaniae populos directus est. Willibaldi
vita S. Bonifatii c. V. Ad inluminationem gentis Germaniae circum quaque
in umbra mortis morantibus populis. Gregorius III. Bonifatio coepiscopo.
— 218 —
Zuerft wurde und zwar nad) Anordnung P. Gregors II. der große Berg-
wald Thüringens, um welches Sachſen und Franken gefämpft, zum Aus—
gangspunfte der Million gewählt, um von da aus zu den Helfen und
Altſachſen überzugehen und diejenigen Völfer zu gewinnen, die die Nord:
grenze der germanischen Welt, theilweife die Nachbarn der Wenden bil-
deten, in deren Barbarei fi) der Nordoften endlos verlor.") Er konnte
bereit8 im %. 739 berichten, daß es feinen Bemühungen gelungen war,
100.000 Deutſche zu befehren.?) Die „entjeglichen" Germanen hatten ſich
ihm gefügig erwiejen. Er hatte das Mittel gefunden, auf jie einzumirfen.
Die eigentlich fruchtbare und großartige Thätigfeit begann jedoch erſt
jeit dem 30. November 722, al8 er von PB. Gregor II. zum Bijchofe
geweiht worden war; fie wurde aber noch erweitert und gejteigert, als er
zchn Fahre jpäter vom P. Gregor III. nicht bloß die erzbiichöfliche Würde
über ganz Germanien erlangte, fondern auch als apoftoliicher Legat deu
Papſt jelbjt in Germanien und im fränkischen Reihe der Karolinger
36 fahre lang vertrat.?) Nur dadurd) allein war es möglich, einerjeits
in den dem Chrijtenthum gewonnenen, dunkeln Winfeln germantjcher
Völker *) bleibende Einrichtungen zu fchaffen, audererfeits in dem Herzog:
thume Bajuarien und unter Galliern und Franken, im eigentlichen Karo:
lingerreihe die jo norhwendige Neformation mit Unterjtügung des neuen
Königsgefchlechtes durchzuführen. Zur Krönung des Ganzen erfolgte ſo—
dann, aber erjt in den Ichten Fahren feines Lebens die Erhebung von
Mainz zur Metropole Deutjchlands als Mittelpunkt des Firchlichen Lebens,
als Sit feines Erzbiſchofs. So hat fi langjam und allmälig in Laufe
weniger Decennien durch unermüdliche aufreibende Thätigfeit von kleinen
Anfängen mühjamer Bekehrung Einzelner, dem fiegreichen Beweije hoher
geiftiger Kraft, der die ungeſchlachten Germanen lehrte, zwijchen dem Ge:
Ihöpfe und dem Schöpfer zu unterjcheiden und die Nichtigkeit ihrer eigenen
Götter, ihre volljtändige. Machtlofigfeit zu erkennen, ein perjönliches An—
jehen herausgejtellt, wie e8 weder vor nod) nach ihm Jemand bejejfen. Aus-
gezeichnet durch feine Lehrgabe, feine Hingebung und Geduld, feinen Ernſt
und jeine Würde gewann er Viele, weil er jeden Einzelnen gewann. Selbjt
von dem gewiljenhaftejten Pflichtgefühle erfüllt, nur feinem Berufe und zwar
mit einer Dingebung lebend, die ihm den Beinamen des sanctissimus ver:
1) Wenedi quod est foetissimum et deterrimwm genus hominum. Epist. ad
Aethilbaldum, regem Mercionum. Jaffe p. 172.
2) Epist. 38. Jaffe p. 104.
3) Bonifatius Stefano III. ep. 106. Jaffe p. 259.
4) tenebrosos angulos Germanorum gentium.
er —
haffte, womit die Päpfte ihn in ihren Briefen zu benennen pflegt em
breitete er Schritt für Schritt feine Thätigfeit über die nördlichen wie über
die öſtlichen deutschen Völker aus und während er die heidnijchen Ger:
manen befehrte, reformirte er diejenigen, die das Chriſtenthum bereits an-
genommen die Bewohner Franciens und Bajuariens. Dieſe doppelte
ZThätigfeit jchuf einen geiftigen Ring, der die Deutichen umjchloß, und damit
die dauernde Grundlage des Karolingerreiches. Ya fie erwies ſich ſelbſt
jo mächtig, daß, was er begründete, nicht. bloß das Karolingerreich über-
danerte, fondern aud) das Fundament des nachfolgenden deutfchen Reiches
bildete. Selbftverjtändlih wird aucd Niemand die Wirkſamkeit Wynfriths
nad) jenen Heinen und bejcheidenen Kirchlein bemeijen, die mit. der Axt
gezimmert, im Thüringerwalde entjtanden, den Nenbefehrten zum erſten
Male einen regelmäßig abgehaltenen Gottesdienst zeigten und in denen
fie ſelbſt den Unterricht erhielten, welcher ihnen die Nichtigkeit ihrer
„Idole“ wies. Weld ein elendes Klöjterchen war nicht anfänglich aud)
diefes Fulda (744), aber mit richtiger Erfafjung der Zukunft an der
Grenze von 4 Nationen gebaut, in weiter Oede, jo arm, daß Bonifatius
den Mönchen ') wohl Brod als- Nahrung verschaffen konnte, zum Zrinfen
Waffer, aber in Betreff der Kleidungsſtücke fremde Mildthätigkeit in An—
ſpruch nehmen mußte. Und doc ijt aus dieſer beſcheidenen Gründung
jene Schule Deutjchlandgs hervorgegangen, die Gelehrſamkeit und Bildung,
Licht und Leben weithin verbreitete. Wo finden wir in jlavischen Ländern
etwas Aehnliches, wo eine Einrichtung von fo nachhaltiger Bedentung ?
Auc bei der Wahl der Biichofiige zeigt fich die vorfichtige Klugheit, mit
welcher die Zweckmäßigkeit jedes Schrittes berechnet wurde. Die Bilchof-
fige wurden abjihtlih an namhafteren Orten eines ſchon bejtehenden
Verfehres gegründet, wie es mit den agilolfingischen Abteien im heutigen
Defterreich aud) der Fall war: Thüringen, von 3 Bisthümern eingejchloffen,
von welchen Erfurt die nördliche, Würzburg die jüdliche Grenze bildete,
Mas aber zunächſt deutſchen Stämmen zu Gute fommen follte, fam in
den nächjten Generationen jchon den ſlaviſchen zu Gute, die raſtlos ſich
durch die endlojen Wälder nach dem Weiten verjchoben. und den Main und
defjen Nebenflüße bereits erreichten. In dem Herzogthume Bajuarien gab
es bereits vier Bisthümer, von denen dann aud Salzburg jpäter jelbjt zum
Erzbisthume erhoben wurde. Sie theilten jich nicht bloß in die Belehrung
und Schulung der zur Gewaltthat geneigten Bajuarier, fondern eröffneten
1) viros strietae abstinentiae, absque carne et vino, absque sicera et —
proprio manuum suarum labore contentos. Ep. 79.
— 20 —
fi) auch einen weiteren Wirfungskreis nach dem jlavifchen Oſten, der ein
halbes Jahrhundert nach Wynfrith feine trogigen Reihen durchbrochen jah, jo
daß die bajuarijchen Bisthümer und Würzburg ’) nicht minder, das flavijche
Apoftolat fich früh zur Lebensaufgabe machten. Wer aber iſt im Stande,
dem geiftigen Impulſe, der wunderbaren Anziehungskraft geijtig überwäl—
tigender Naturen Grenzen zu ziehen und die Gebiete zu bezeichnen, auf
welche ein hervorragendes Beifpiel nachhaltig einzuwirfen vermag? Liegt
nicht in raftlofer zielbewußter Arbeit eines Mannes, der dem Höchjten
zugewandt, nimmermüde vorwärts jchreitet, etwas Anſteckendes und Bewälti—
gendes, jo daß, wer einer höheren Empfindung theilhaftig ift, ich fort-
geriljen von dem unmmiderjtehlichen Impulſe, gerne anjchliegt, und die
Perjönlichkeit, die das Centrum bildet, bald ficy von einem Kranze um:
geben ſieht, der jelbjtäudiges Leben gewinnt und basjelbe wieder in
Sphären hinüber trägt, die dem Urheber der ganzen Bewegung auch nur
zu erreichen, gejchweige zu durchdringen nicht vergönnt war. Und welcher
Arbeit und welcher Mühen bedurfte es nicht in jenen Jahrhunderten, die
der Hilfsmittel jpäterer Zeiten jo jehr entbehrten, wo die perjünliche Kraft
hundertfache Steigerung erforderte, ımd welche Diejenigen nicht als finftere
bezeichnen follten, die jelbjt jehr an perfünlicher Erleuchtung gewännen, went
fie jich die Mühe gäben, den Unterjchied der Jahrhunderte und dadurch den
Fortichritt der Zeiten fennen zu lernen?! Doch das ift die Domäne den—
fender Köpfe und die Anzahl derfelben ift in allen Zeiten nie eine zu
große gewejen.
Zwei Momente traten nun bei Wynfrith ganz bejonders hervor.
Anfänglih nur Miffionär, nimmt er auch die ganze Bürde diefes mühe-
vollen und gefährlichen Amtes auf fih. Er unterhandelt mit den Fürften
der Thüringer, er unterweiit Andere, er bildet id) Gefährten und baut mit
ihnen die erjten Firchlichen Niederlaffungen, er fällt perjönlich die heilige
Eiche bei Geismar, er jegt ich überall den größten Gefahren bei Heilen
und Thüringern aus. Er handelt unter dem Bemwußtjein, daß jegt für
die deutjche Nation der Zeitpunkt gefommen tft, in die Neihe der chrijt-
lichen Völker einzutreten, ihm ſelbſt aber die Miffion zu Theil wurde,
aus zerjtrenten Stämmen kirchliche Gruppen zu jchaffen, die allmälig die
verjchiedenen deutſchen Stämme unter einander verknüpfen. Der Legat iſt
es aber jodann, der ihnen durch die kirchliche Salbung Pippins zu Soiſſons
751 oder Anfang 752 ein gemeinfames Oberhaupt gibt, das faro-
1) Wirtzaburg in confiniis Francorum atque Saxonum atque SIRTOFATE
Siehe Seiterd, Bonifatius S. 301.
— 21 —
Ingiihe Königthum begründet; wenige Jahrzehnte fpäter vereinigt fie
das wiederhergeftellte römische Kaiferthum. Jetzt handelte es ſich zunächſt um
die Reformation der Disciplin, um die geijtige Vereinigung der Zerjtrenten,
um Gewinmung einer gemeinfamen Grundlage, durch welche eine bleibeude
Verſtändigung angebahnt, dem Ueberwuchern nationaler Gegenfäge gejteuert,
jedem Einzelnen und Wllen zujammen ein gemeinjames Lebensziel vor-
gezeichnet und dadurch geräufchlos ein Bau begriindet werde, mächtig genug
troß aller zerjegenden Beitrebungen der ſpäteren Jahrhunderte inımer wieder,
wenn das deutsche Volk zur Befinnung zurüdfehrte, zum gemeinfamen
Sammelpunfte zu dienen. Wenn in den Tagen Wynfriths noch genau
unterjchieden wurde zwijchen Langobarden und ‚Römern und bald uachher
die römische Bevölferung Mittelitaliens durch K. Pippins Schenkung ſich
unter den Päpften national und politiich comftituirte; wenn die Weſtgothen
Spaniens mit einem Male von den Arabern überritten, fir Jahrhunderte
verurtheilt waren, zur gerechten Strafe für das Verfäumte den Kampf um
das Dafein zu führen und noch vier Male in größeren oder kleineren
Pauſen das Scidjal abwehren mußten, das im Jahre 711 über fie ge:
fommen war; wenn man im fränfijchen Reiche in den Tagen Wynfriths
noch Franken und Gallier unterjchied, ein Jahrhundert jpäter aber aus
beiden Bejtandtheilen ein romanijches Volk geworden war, bei einem Theile
der Burgunder diefelbe nationale Veränderung ftattfand, und die Lango—
barden ſich noch im XI. Jahrhunderte romanifirten; wenn ferner noch
1066 der Ruin der Angelfachjen durch die romanijirten Normanen erfolgte:
jo tritt die großartige Bedeutung Wynfriths, der die deutjchen Stämme
auf der Nordjeite der Alpen in verhängnißvoller Zeit kirchlich einigend,
national erhielt aud in diefer Beziehung maßgebend hervor. Gerade
dasjenige, was uns fonderbar erjcheint, daß er fich nicht beguügte, Apojtel
der Thüringer oder der Heſſen zu fein, jondern feine Thätigfeit den Bajuaren
und Franken ebenjo gewidmet war, wie anderen deutjchen Stämmen, bildet
das Charafterijtifche und Segensreiche feiner Wirffamfeit und macht ihn zum
Üpoftel der Deutjchen, ihrem allgemeinen Wohlthäter — Bonifatius,
wie er mit ahuungsvollem Nechte in dom genannt wurde. Wir werden
noch jpäter auf den wejentlichen Unterfchied zwiichen ihm und den ſogenaunten
Slavenapofteln, zu ſprechen kommen, die in das bereits befehrte Mähren
berufen, unter Bölfern wirkten, die ſich andern gegenüber durch ihren ge-
genfeitigen Haß kenntlich und bemerkbar gemacht hatten ') und die zu ver—
einigen es ihnen jelbjt bei dem redlichjten Streben an Mitteln gebrady. Weit
1) Edvn moakknia wie die Byzantiner fie deshalb hießen.
— 112 —
eutfernt aber, fi in fremde Ernte hineinzufeßen und, wo Andere gejäet,
den Schnitter. zu machen, ging Bonifatius an denjenigen Pflanzftätten
germanifch-chriftlicher Bildung, welche ihr Entjtehen der Miſſionsthätigkeit
irländifcher Glaubensboten verdanften, entweder vorüber, jo daß die
alemannischen und rheinijchen Bisthümer von ihm nicht berührt wurden,
Mainz und Köln nur inwiefern die Deutſchen oftwärts vom Rheine
dazu gehörten, oder er ſetzte ſich mit ihnen friedlich auseinander. Anders
war es jedoch mit den bajuarischen '), wo Emmeran, Biſchof von Regens—
burg, ermordet 652, Rupert, Bijchof von Salzburg, gejtorben 718, Con—
binian, Biſchof von Freiſing, geſtorben 730, durch ihren Tod jchwere Ver:
wirrungen widerwillig hervorgerufen. Da war ein unmittelbares Eingreifen,
um dem Verfalle zu ſteuern, nothwendig. Bon den thiringifchen Bisthümern
Erfurt, Buraburg bei Friglar und Würzburg erhielt ſich nur das letere,
welches bei dem Vordringen der Slaven an Bamberg ſpäter ein Vorwerk
erhielt, während die beiden erjteren, als das Sachjenland befehrt, gleichſam
die bifchöfliche Nordgrenze mehr hinausgeſchoben wurde, fie der veränderten
Lage der Dinge nicht mehr entfprachen, eine Kette neuer bijchöflicher Vor—
lande ‚erhielten. Hingegen vermittelte die Gründung von Eichjtädt den geift-
lichen Zufammenhang zwifchen den Donaubisthümern Paſſau, Regensburg
und denen des Maines. Der eigentliche Knotenpunkt aber war und blieb
hier Regensburg.
‚Damit ftreifen wir aber jchon die laviſchen Verhältniſſe.
Der Aufenthalt in Baiern als päpſtlicher Legat ſteht der Wirkſamkeit
in Thüringen nicht nach, übertrifft ihn vielleicht noch an Bedeutung. Boni—
fatius war ſchon nach dem Tode Korbinians von Freiſing nach Baiern
gekommen. Seine Hauptthätigkeit fällt aber in die Regierungszeit H. Oa—
tilo's 735—748. Sein Sohu und Nachfolger, der unglückliche Taſſilo IL,
war bei dem Tode des Vaters unmündig. Handelte es fi auch nicht
zunächſt um die Neubegründung von Bisthiimern, jo war es doc) nothiwendig,
falſche und eingedrungene Bilchöfe und Prieſter, Verkündiger ihrer, aber
nicht der apoftolifchen Lehre, zu entfernen, geeignete Priefter heranzuziehen,
die Didcejen abzugrenzen, die Eirchliche Verfaffung ebenſo zu ordnen als
die. chrijtlichen Familien, und der trägen Maſſe einen neuen Geift einzu:
hauchen, fie um ihr Seelenheil bejorgt zu machen und den engen Kreis
1) Ueber die Thätigfeit de3 hl. Bonifatius in Baiern gibt Eberl, Studien zur
Geſchichte der zwei letzten Agilolfinger (Neuburg a. d. D. 1881) vortrefflidye
Aufichlüffe. Ich folge vor Allem den Forſchungen Will's (Regeſten zur Geſchichte
der Mainzer Erzbiſchöfe. Bd. 1.) Vergl. auch Seiters.
— 223 —
beidnifcher Anfchauungen durch die Auffchlüffe zu erweitern, die die chrift-
liche Religion für Zeit und Ewigkeit eröffnet. E3 ijt aufgezeichnet worden,
daß in etwas mehr als einem Jahrzehent in Baiern mehr Klöfter gegründet
wurden als in Ojftfranfen während eines vollen Jahrhundertes y. Eine
ungeheuere Veränderung ward dadurch an der Schwelle der ſlaviſchen Welt
angebahnt, die größte, welche überhaupt die Geſchichte der ein-
zelnen Völker fennt. Zu der kriegeriſchen Beſchäftigung des Adels
und der Freien gejellte ſich jest eine andere, an der alle Theile des Volkes
Antheil zu nehmen berufen waren, die Erfenutuiß einer Lehre, die dem
Leben, eine höhere Weihe geben follte. Die Heilighaltung der Ehe und das
Verbot, Blutsverwandte zu heiraten, wodurch die natürliche Stärke erhalten
wurde; die Weihe des Eintrittes in das Leben wie des Austrittes aus
demfelben durch den Gebrauch der Sacramente; das Verbot des Berfaufes
von Sklaven außer Land, die Sicherung der Stellung der Freigelafjenen.
Die Urkunden zeugen, wie die Einzelnen es offen ausfprachen, daß jie an
das Heil der Seele dachten, an die Gewinnung des ewigen Lebens, an die
Verbreitung des Glaubens, an die Begründung von Schulen. Es war das
ſchönſte Zeugniß feiner Wirkfamfeit, als P. Gregor I. feinem Legaten
jchrieb, mit zum Himmel erhobenen Händen danfe er Gott für feine unter
den Bajuariern erzielten Erfolge. Wie wir dir befohlen haben, jo haft du
es vollführt.*) Der gegebene Impuls zeigte ſich, als 769 Herzog Taſſilo U.
Innichen und näher bezeichnete Gebiete dem Abte von der Scharnig ſchenkte,
um das ungläubige Slavenvolf auf den Pfad der Wahrheit zu führen.
Sieg des ChrijtentHums und Sieg der chrijtlihen Eultur, das waren die
zwei großen Aufgaben, welche H. Datilo, der Zeitgenoſſe und Förderer
aller Bemühungen des HI. Bonifatius und fein ihm gleichender Sohn Taſſilo
auf ihre Fahnen gefchrieben. „Neben dem Domftifte erhob fich in den biſchöf—
lihen Sigen die Domſchule; um das Klofter wurde die Wüſte zum Saat:
felde, zum Garten die Wildniß umgewandelt. Eher als im Franfenveiche
hat eine vege literariiche Thätigfeit im Baiernland am Saume der Slaven-
länder begonnen. Bevor noch Karl d. ©. die Barbarei feiner Gelehrten
durh Alcuin befümpfen ließ, fchrieb ein Aribo in Freiſing in einer
Weife, daß man fieht, Baiern hat das Franfenreich weit überholt.) Der
gelehrte Abt Sturm von Fulda, der Schüler des hl. Bonifatius und der
Erzbiſchof Arn von Salzburg, der große Förderer der ſlaviſchen Miffion
1) Dr. Eberl ©. 13,
2) Ep. 38.
8) Eberl ©. 86.
— 24 —
waren Baiern." Zehrte fpäter im Reiche der geiftliche Reichsfürſt den
Biſchof auf, jegt trat der Biſchof und zwar in jener vollen Thätigkeit
hervor, die ihr Ziel jo lange nicht erreicht zu haben glaubte, als es noch
ein germanifches oder ſlaviſches Heidenthum gab, Diejes Episcopat ijt
die jegensvollfte Frucht der Bemühungen des heiligen Bonifatius.
Nun darf der Deutjche nicht vergeifen, daß es jih um die Zukunft
der legten Stämme feines Volkes handelte, die fich in Gentraleuropa ange:
ſammelt hatten und hinter denen, nicht angeführt von Herzogen oder Königen,
auf Zaufenden von Waldwegen über Sumpf, und Moor, Fluß und See,
fih die Slaven nachdrängten, die die Nomäer wegen ihrer vafchen
Bermehrung als die unzählbaren bezeichneten. Die Stodung in der Völ—
ferwanderung war eingetreten und die Germanen, die nun in bejtimmten
Wohnfigen erfcheinen, behaupten diefe auch im ganzen Laufe der
deutſchen Gefhichte. Aber wie viele von den deutschen Stämmen waren,
jeit Tacitus Heerfchau über fie gehalten, fpurlos untergegangen? Wenn
nicht jeßt die Ueberlebenden, aus dem allgemeinen Schiffbruche der Ihrigen
Öeretteten fich conftituirten, nicht mehr, wie es Gepiden und Langobarden
und fo viele andere gethan, an ihrer gegemfeitigen Vernichtung arbeiteten,
jondern das Princip der modernen Gefchichte, das im gegenjeitigen Wett-
eifer begriffene Nebeneinanderbeftehen der Völker als ihre Lebens—
aufgabe lernten und erfannten, jo war es rettungslos um die Zukunft ber
Deutſchen gejchehen.
Und in diefem entjcheidenden Augenblide der deutichen Gefchichte in
die ganze Entwiclung des germanischen Volkes conftitwivend eingegriffen
zu haben, unterjcheidet ja Bonifatius von feinen Vorgängern auf deutjchen
Boden, wie von den gottbegeifterten Männern, die den Slaven das Chri-
jtenthum mundgerecht zu machen fuchten.
Es gehört nun nicht zum Plane diefer Schrift, weitläufiger zu erörtern,
welhe Verdienſte ſich Boufatius um das fränfische Reich erwarb, in
welchem bei dem Webergange von den Merowingern zu den Rarolingern
Sitte und Religion in nicht geringere Verwirrung gerathen waren als das
königliche Anfchen. Er verfügte als päpitlicher Zegat mit einem Anfehen
ohne Gleichen auf dem vom Herzog Karlmann, dem Fürjten der Franken,
berufenen Conecil des Jahres 742. Er gab dem Franfenreihe an der
Stelle verfommener Metropoliten bejjere Hirten der Völker und traf An—
jtalten, die feit 70 Fahren eingerijjene Zerrüttung unter dem fränkiſchen
Clerus durch geordnete Zuſtände zu erjegen. In ähnlicher Weije wurde
743 und 744 zu Liftinä und Soiſſons an der Ausrottung der Weberrejte
— 225 —
des Heidenthums bei dem Volke und des uncanoniſchen Lebens in dem
neuſtriſchen Theile von Fraucien gearbeitet.
War zu allen Zeiten die Ehrfurcht vor Recht und Sitte, vor
göttlichem und menſchlichem Gebote die Bedingung gedeihlichen Völker- und
Staatenlebens, ſo war dieſes vor Allem in der ſchweren Uebergangszeit des
VIII. Jahrhunderts der Fall. Das nachfolgende Karolingiſche Zeitalter mit
ſeiner für jene Tage beträchtlichen Höhe geiſtiger Entwicklung wurzelte
auf der Baſis, die unermündlich Wynfrith gelegt, und die ſich im Norden,
Oſten und Weſten gleich ſehr bewährte. Er hat nachfolgenden Heiden—
bekehrern den Weg gewieſen, der auch für andere Völker als die ger—
maniſchen nicht blos in Betreff ihrer Bekehrung, ſondern auch in Bezug auf
ihre nationale und politiſche Conſtituirung die meiſten Erfolge aufwies.
Wenn in Betreff der Heiden fein leitender Gedanke war, fie aus
Feinden Chrijti jo weit er fonnte in getreue Anhänger des Heilandes
umzumanbdeln, ihnen den Weg des Heiles zu zeigen, jo mußte er jich doch
jagen, daß ohne den Schuß des Fürften der Franken er weder
das Volk zu leiten noch Clerus oder Mönche zu ſchirmen vermöge, er ohne
jeine Unteritügung außer Stande fei, den Gößendienft und heidniſche Sitte
in Deutjchland zu unterdritden. Er felbjt floh den Hof „wie Gift" und ges
brachte das Anfehen, welches ihm als päpftlicher Zegat und Erzbiſchof
zufam, in Bajuarien wie im Franfenreihe nur dazu, Biſchöfe und Geiſt—
liche auf das Firchliche Gebiet zurüdzuführen, fie daraufzu befhränfen
und Priejtern und Mönchen die freie Ausübung ihrer apoftoliichen Pflichten
zu fihern. Schon Gfrörer hat jeiner Zeit aufmerffam gemadt, welchen
Einfluß auf die fpätere Begründung des deutjchen Reiches die Erhebung
von Mainz zur Deetropole der Franken 747 und Bonifatius zum Erzbi—
ſchofe derſelben hatte. Als der neue Erzbiichof dann Pippin zum Könige
falbte, knüpfte jih an Mainz die Tradition des deutjchen Königthums an,
wenn es ſich auch vorderhand vor Allem um Berfündigung des Evangeliums
handelte. Jetzt war der rechte Mittelpunkt gefunden, dem zunächſt unter
dem Stellvertreter deS Papſtes Zacharias die Bisthümer Tengern, Cöln,
Worms, Speier und Utrecht untergejtellt wurden.) War damit der ent
jcheidende Wurf erfolgt, daß die deutſchen Völker?) an Dlainz einen gemein:
1) Bei der Begründung de3 Mainzer Etuhles find Eichftädt und Etraßburg
die ſüdlichſten deutſchen Bisthümer, deren Inhaber genannt werden. Ladewig
Regesta episcop. Constant p. 24. P. Zacharias jchreibt au 13 deutiche Biſchöfe,
daß er ihnen Bonifatius zum apoftoliihen Legaten gebe. Will. 71.
2) omnes Germaniae gentes quas tua fraternitas per suam praedicationem
Christi lumen eognoscere fecit. Zacharias papa Bonifatio.
DlittHeilungen. 25. Jahrg. 3. Heft. 15
— 226 —
ſamen Mittelpunkt für ihr kirchliches Leben erhalten ſollten, ſo war damit
auch die Möglichkeit gegeben, daß dieſe Vereinigung in der ganzen kirch—
lichen und politiſchen Entwicklung der deutſchen Nation eine bleibende
Geſtaltung ſchaffe. Ihn ſelbſt aber, der noch in ſeinem letzten Schreiben an
P. Stefan III. ſich auf das unter 3 vorhergehende Päpſte bekleidete Amt
eines apoſtoliſchen Legaten beruft,) hinderte die neue Würde nicht, hochbe—
tagt ſeinen Lieblingswunjch zu erfüllen und ſeine Miſſionsthätigkeit da zu
bejchliegen,?) wo er jie begonnen, in Friesland. In Demuth hatte er fie
begonnen, glorreich endete er ste, den Seinen die Gegenmwehr wehrend,
bei Tohkum, nachdem er erreicht, Allen Alles zu jein, eim treuer Diener
des Erlöjers der Welt, nach deſſen Worten er fein Leben gejtaltet,
fejthaltend an den Traditionen der Väter und das Evangelium verfün-
digend, treu bis zum Tode, unter den Streichen der riefen 5. Juni 754,
den Glaubensboten aller Zeiten ein berrliches Vorbild, der deutfchen
Völker geiftiger Vater und Wohlthäter.
So reichhaltig auch verhältnigmäßig die Quellen über fein ereigniß-
volles Leben fliegen, jo fehlt uns doch jede Nachricht, die und in Stand
jegte, den Apojtel der Deutjchen uns vorzuftellen, wie er leibte und Tebte,
in welcher Gejtalt wir uns ihn zu denken haben; nur von körperlichen
Beichwerden, die ihn verhältnißmäßig früh trafen, befigen wir einige
Kunde, Beinahe noch mehr ift zu bedauern, daß die ihm mit vollfter Hin-
gebung zugerhanen Schiller und Gefährten feine Zeit fanden, ein Itinerar
aufzuzeichnen und dadurd der jpäteren Zeit ein getreues Bild der Wan-
derungen zu geben, die über Berg und Thal, durch Wälder und Sümpfe,
über reißende Flüſſe und durch trojtlofe Wildnifje drei Jahrzehnte ftatt
fanden. Wie dankbar wäre die Nachwelt, für eine derartige Aufzeichnung;
aber wie fennte fie unternommen werden, da die Wildniße Feinen Namen
hatten, erjt die von Bonifacius gebauten Kirchen und Elöjterlichen Colonien
topographiidhe Anhaltspunkte gewährten, und, wie wir aus dem Leben
des Abtes Sturm wiſſen, Tage laug der Wanderer einherzog ohne eine
menschliche Behaufung zu treffen, die wilden Thiere allein die Dede be—
1) Er war berielben nicht beraubt worden, fondern fie erlofch von jelbft mit dem
Zode des Papftes, der fie ihm ertheilt und bedurfte fomit einer Erneuerung.
2) Jam enim instat resolutionis meae dies, et tempus obitus mei adpropin-
quat. Jam enim dep»sito corporis corpusculo aeternae retributionis revertar
ad bravium. Bonif, ad Lullum. Oelsner Jahrbücher des deutſchen Reiches
unter König Pipin, Exeurs VI Das Todesjahr des Bonifaz. Richter Annalen
der deutſchen Gejchichte I. Ich folge Witt, u. 133,
— 27 —
(ebten, wohl aber es Grauen erwecte, wenn man dann zufällig den noch
heidniſchen Slaven begegnete ?
Nur jein geijtiges Bild Fünnen wir entwerfen. Gott ergeben aus dem
innerjten Grunde des Herzens, des göttlichen Wortes eifrigjter Vollitreder
und Berfünder und nur feinem hohen Berufe lebend, würdig ſich an die
erjten Verkündiger des Heiles anveihend, fand er Troſt und Hilfe in
der unverjiegbaren Quelle, im Studium der heiligen Schrift, die der innere
Antrieb feiner Mifjion wurde. Geduldig, demüthig und anjpruchlos, aber
auch ebenjo unerjchroden, wo es galt, die Wahrheit zu befennen, und fie
auch den Päpſten nicht vorenthaltend, unnachfichtlich gegen fich, aber auch
diejenigen meidend, die, wenn gleich in hoher Stellung er als Berleger
göttlicher Sagungen erkannte, ein Prüfer und Kenner menjchlicher Seelen,
befaß er eine bewunderungswürdige Fähigkeit auf jie bleibend einzumirken,
die Gabe, mit klarem Blide zu erfennen, worauf e8 anfam. Zu dem
Mittel ſtets feine Zuflucht nehmend, das allein helfen Fonnte, unverwandt
das höchite Ziel im Auge faſſend und diefem Alles und vor Allem fich auf-
opfernd, nie jic) Nuhe gönnend und nie der Ruhe bediirfend, war er nicht
blos eine hervorragende Erjcheinung, jondern gemacht, Allen, die ihm
näher traten, einen unvergeglichen Eindrud zu hinterlaßen, fig, mächtig, ie
unwiderſtehlich anzuziehen. Ihm aber erjchien, was er war, nur al3 Neben:
jache; daß das bleibe, was er gejchaffen, daß das dauere, was er zum
Heile der Anderen gegründet; daß der Sieg des Kreuzes über das Hriden-
tum volljtäandig werde; dap eine neue Nera, die chrüjtliche, in Germanien
beginne, war das Biel feines Lebens und diefem opferte er auch das
eigene Leben. Nur nad) einer jo großartigen Thätigfeit pflegt das irdiiche
Dafein ſich jo harmonisch abzufchliegen. Was er ſchuf, verging nicht wieder.
$. 3. Bon dem Tode des Heiligen Bonifatius bis zum Auftreten der
Slavenapoſtel.
Man war allmälig im Weſten vor einer großen Thatſache angelangt.
Nicht blos in politiſcher Beziehung ſchied ſich im VIII. Jahrhunderte der
Weiten von dem Oſten; er bildete auf die Grundlage der lateiniſchen
Sprache troß aller VBerjchiedenheit der Nationen ein Firchliches Ganzes und
überwand hiedurcd die große Gefahr nativnalreligiöfer Spaltung, die den
rijtlichen Orient ſchwach gemacht, Secten hervorgerufen, eine armentjche,
ſyriſche, koptiſche Kirche veranlaßt und zulegt das Uebergewicht der Araber
über dieſe nationalfirdjlichen Bruchtheite entichieden hatte. Erhob ſich aus
der politiihen Scheidung des romäiſchen Reiches und des Abendlandes, als
15?
— 228 —
dieſes unter den Karolingern politiſch geeinigt daſtand, auch die ſo lange
widerſtrebenden Altſachſen bezwungen und zur Annahme des Chriſtenthums
genöthigt waren, mit einer Art von Naturnothwendigkeit das abeudländiſche
Kaiſerthum, jo war diefer Einheit eine andere, der lateinifchen
Kirche vorangegangen, Hier gab es weder Franfen noch Alemannen,
weder Alt» noch Neuſachſen — nicht Burgunder oder Wejtgothen, nicht
Bajnarier oder Langobarvden; überall herrichte derjelbe Nitus, diejelbe
Kirchensprache, diejelbe Einheit des Gottestienjtes, die Allen dasjelbe Ge-
präge verlieh uud jede Spaltung ausjchloß.
Man erfieht aus den Briefen, die Bonifatius aus feiner Heimat
(Meerjachjen) erhielt, wie jehr man jich daſelbſt einer ſchönen Latinität
befliß und in abgerundeter Stilwendung erging. Mögen diefe Ausdrücke
vor unſeren Philologen vielleicht Feine Gnade finden, fie machten doch
Anſpruch auf Eleganz und zeigten das Bemühen darnad). Indem aber der
Priejter fich einerjeits der Volksſprache, andererjeit der lateiniſchen Sprache
bediente, wurde er jelbjt ein Glied der großen Kette derjenigen, welchen ſich
mit dem lateinischen Idiom die Kenntniß einer doppelten Literatur
und eines doppelten Ideenkreiſes aufſchloß. Hinter der flavijchen
Sprache gabges weder die eine noch die andere, und wenn noch jo viele
Bücher in das Altjlavifche überjegt worden wären, der antike Ideenkreis
war den Slaven dadurch jo wenig aufgejchloßen als der chrijtliche, den ſich
der deutjche Priejter durch feine Kenntnig des römischen Idioms aus den
Werfen Auguftins, Hieronymus, Gregor des Großen u. U. erjchloß. Der
deutsche Priejter wurde nicht dadurch gelehrt, daß er deutſch verjtand. Er
mußte auch noch mehr lernen und dadurdy, daß er eine Weltiprache Iernte,
wurde und blieb er auch der natürliche Lehrer des Volkes, das in feinem
Elerus nicht blos die PVriejter, jondern auch den verehrte, welcher durch
jeine Standesbildung den Layen Jahrhunderte hindurch überragte und an
welchen der Laye nicht blos in religiöfen Dingen untrennbar augewieſen
war. Bonifatius war aud) in diejev Beziehung feiner Zeit vorangegangen.
Er war Dichter und Grammatifer, behandelte die Negeln der Merrif uud
verjtand die Runen!) und wenn jpäter der Erfinder einer ſlaviſchen Schrift,
Konjtantinos von Thefjalonife, den Beinamen des Philojophen erlangte, jo
verdiente dieſen Bonifatius vielleicht in gleichem Grade. Nun gab es aber
nichts Schwierigeres als die zum Unterrichte, zum Selbſtſtudium und eigener
Förderung nothwendigen Bücher und Geräthichaften zu erhalten uud die
Briefe des Bonifatius beweiſen hinläuglich, mit welchen Schwierigkeiten er
1) Will, Regeften J. ©. II.
— —
in dieſer Beziehung zu kämpfen hatte und wie unermüdlich er ſie zu be—
wältigen ſuchte. Als Hrabanus Maurus Kloſter Fulda zum Sitze einer
großen literariſchen Thätigkeit umwandelte, erſehen wir aus einem Briefe
des Biſchofs Freculf von Liſieux an ihn,!) daß der Biſchof in feinem Bis—
thume weder die Bücher des alten noch des neuen Teftamentes vorfand,
gejchweige Erklärungen derfelben. Kaum war der Mönch Hrabanus Erz-
bifchof von Mainz geworden 847 jo wurde auch fchon auf Grund einer
Synode von Mainz und von Tours vom Jahre 813 bejtimmt, daß jeder
Biſchof Homilien haben jolle, mit den fir Layen nöthigen Ermahmmgen.?)
Feder Biſchof folle auch Sorge tragen, daß diefelben deutlic) (aperte) in
die Volksſprache — in rusticam Romanam linguam aut Teotiscam —
überfegt würden, damit Alle das Gefagte um fo leichter verftehen Fünnten.?)
E3 war zum Gedeihen des in Deutjchland begommenen und mit fieg-
reicher Anjtrengung durchgeführten, kein geringes Moment, daß ſich die früher
aus Irland nach dem Continente gefommenen Mijfionäre vollkommen mit
denen des hl. Benedict verjtanden, die, wie feiner Zeit Ozanam fo Schön nach—
gewiefen, mit ihrer chriftlichen Colonien flußaufwärts zogen und dafür forgten,
daß aucd in die entferntejten Thäler das Licht des Evangeliums drang.
Die Gemeinjamkeit der Mittel war bei der Gemeinjamfeit des Zweckes
und desjelben Glaubens unjchwer herzuitellen, wie diejes Friedrich in feiner
deutschen Kirchengejchichte ummiderleglich darthat. Man wird auch nicht
irre gehen, wenn man in den Tagen des hl. Bonifatius den Abt Pirmin,
Begründer von 12 in den verichiedenften Theilen Deutjchlands liegenden
Klöftern, als den bedeutendſten Nepräjentauten der erften Richtung annimmt.
Aber auch Pirmin hatte felbjtverjtändlich die Vollmacht für feine Miſſion
fih) am Grabe des hl. Petrus erholt wie der angeljächlische Apojtel der
Deutichen. Beide Männer verjtändigten fi im J. 747 im Pirmin'ſchen
Klojter Hornbach über die feite Begründung der Kirche und des chrüjtlichen
Bolfes in Deutſchland.“) Die Pirmin'ſchen Klöster gaben fich eine fejtere
DOrganifation als die des hl. Benedict nach Augen bejagen; ihre Möuche
nannten ſich peregriui, deren Heim in der auswärtigen Begründung des
Chriſtenthums lag. Es iſt aufgezeichnet, daß die Bibliothek von Neichenan,
der großartigen Stiftung Abt Pirmins, vorzugsmweije grammaticaliiche Hand-
ſchriften beſaß. Zu den Klöjtern der peregrini gehörte auch Nicderaltaic),
1) Runftmann, Hrabanus Magnentins Maurus. ©. 160.
2) Von den wichtigen der Prager bifchöflichen Kirche (Saec. XL) wird weiter
unten bie Rede fein.
3) Dümmler, Geſch. des rftfränf. Reiches. I. p. 305.
4) De stabilitate ecclesiae populique christiani. Friedrih IL. 1. ©. 141.
el
dem Ludwig des Deutjchen getreuer Herzog Pribina fein Eigen zu Sala-
pinga an der Szala in Pannonien vermachte (360), ') nachdem fchon
30 Fahre früher Altaich auf ehemals avarijchem Boden ein Beſitzthum
erlangt. Am 16. Juni 863 erhielt es von K. Ludwig aud die Billa
Nabarvinida und die Bejtätigung des Eigentums von pannoniſchen Orten,
die 8. Karl dem Klofter gegeben. Da im %. 860 Tacholf (Thaculf oder
Trachulf), Graf vom Böhmerlaude, *) feine Landſchaft beit Böhmen, Sarömwe,
dem Klojter Fulda ſchenkte, leßteres wie die hochverehrte Abtei Set. Emmeran
in Regensburg flavishe Grundholden hatte,?) der HI. Gotthard Abt von
Niederaltaicy in den frühejten Zeiten in Böhmen verehrt wurde, kann man
mit Zug annehmen, daß unabhängig von dem, was zur Befchrung der
Slaven von Würzburg, *) Fulda und Set. Emmeran (Regensburg) geſchah
und gejcheben war, die peregrini von Altaih auch eine ganz bejondere
ZThätigfeit zur Belehrung der Slaven entwidelt haben. Man würde jich
ſehr täufchen, wenn man in diefer Beziehung nur auf die verhältnigmäßig
wenigen Daten Rechnung tragen würde, die von der Thätigkeit der Biſchöfe
von Negensburg, Paſſau,“) Salzburg berichten. Wie wenig pflegt noch
heutigen Tages bei ganz anderen Communicationsmitteln über die geräujch-
loje und doch jo nachhaltige Thätigkeit jegenbringender Miſſionäre in die
Deffentlichkeit zu dringen! ®)
Die große karolingiſche Monarchie war auf dem Wege der Ber:
einigung ſämmtlicher deutjcher Völker — der legten von jo vielen der früheren
Zeit, muthig vorangefchritten. Ehe die Sachſen volljtändig bezwungen
worden und die Gleichberechtigung mit den Franfen erhalten, hatte e8 die
Langobarden, dann die Bajoaren getroffen, mit Befeitigung ihrer Könige
oder Herzoge lebensvolle Glieder des einen großen germanischen Neiches
1) Dümmler, I. ©. 618.
2) Erben Reg. n. 30.
3) Kunftmann, S. 27.
4) Erben n. 26.
5) Lachuer, Memoriale Altahae inferioris. Passav. 1775 f. 63 a. Constat, quod
Altacha episcopa'ui Laureaco. Pataviensi in sun prima fundatione subiecta
furrit.
6) Wir werden an dieſe vereinzelten Thatlachen fpäter nod anknüpfen. Karl v.
Raumer bat in feiner lehrreihen Schrift über die Einwirkung des Chriften-
thums auf die althochdeutiche Sprache wiederholt hingemwiefen, wie jehr Rüdjicht
genenmen murde, dem Bolfe in feiner Eprace zu predigen und wenn im
VI. Jahrh. hiebei der deutichen und romanischen Sprache (lingua barbara) be—
ſonders gedadyt wurde, jo geihah dies im IX. Jahrh. Telbftverjtändlich auch mit
der jlavifchen, wenn man auf Slaven einwirken wollte,
u —
zu werden, das aber die Scheidung von Deutjchen und Nomanen fchon
in feinem Schoße barg. Es erlangte im Oſten ſlaviſche Beſtandtheile; an
den überwundenen Avaren jelbjt avarifch:chriftliche, die gegen ihre früheren
Unterthanen, nunmehr ihre Zodfeinde, gejchüigt wurden, Slaven auf dem-
Neichsboden galten als tributär. Wer aber zu dem Reiche gehörte, war
dem Ehrijtenthum verfallen, wenn auch Alcuin, 8. Karls Bertrauter, weife
rieth, bei den Slaven nicht mit dem Verlangen des Zehenten zu beginnen
und dabei in die Fehler zu verfallen, die bei Bekehrung der Sachſen gemacht
worden waren. Nicht blos, daß jett, als Salzburg zum Erzbisthum er-
hoben, und die bajuariichen Bisthümer zu Euffraganen erhielt, die Befehrung
der angrenzenden Slaven mit befonderem Nachdrude von Seite der Biſchöfe
unternommen wurde, der Kaiſer jelbjt ordnete teftamentarisch den Bau von
14 Kirchen an, um auf die Befehrung der Main: und Regnigwenden ein:
zuwirfen und dadurch die Pojition des Chriſtenthums nach dieſer Seite
zu jtärfen. Da ſchon 817, wo nicht früher, das Land der Boemanen als
Beitandtheil des Reiches angejeben wurde, ') wie Carentanien und Ava-
rien, die bajoariſchen Klöjter Innichen, Kremsmiünjter, Mondjee, Schlchdorf,
um von anderen nicht zu reden, ihre Miffionsthätigfeit „um das ungläu-
bige Gejchlecht der Slaven auf den Weg der Wahrheit zu leiten” *) weithin
eröffnet hatten, jo ſprach Alcuin offenbar nur die Meinung feines Faiferlichen
Herrn aus, wenn er den Erzbijchof von Salzburg zur Bekehrung der Slaven
ermunterte, Unwiderleglich aber iſt die Thatjache, daß es das fränkiſche Reich
als Vorfämpfer des Chrijtenthums, für feine Hauptaufgabe anjah, auf die
Bekehrung der öſtlichen Nachbarn einzuwirfen, die noch im Schatten des
Todes ſaßen, und zu diefem Zwede namentlih auch an der Gewinnung
der einzelnen Fürjten und Oberhäupter gearbeitet wurde. Man konnte die
Biſchöfe der Salzburgerprovinz als geijtliche Markgrafen bezeichnen, die,
wie die weltlichen die Grenzen zu jchügen, die große Handelsftraße zu
wahren und den Handel mit den Slaven zu beauflichtigen hatten, jo von
Negensburg nah Böhmen, von Paſſau nah Mähren, von Salzburg nad)
Garentanien die chrijtlichen Pfade zu bereiten hatten. Eben deshalb it
auch die befannte Thatſache, daß fich 14 böhmische Großen (ex ducibus)
mit ihren Leuten, aljo eine erhebliche Anzahl, nach Negensburg wandten
und dort am 13. Januar 845 nad dem Wunſche K. Yudwigs von dem
Biihof von Regensburg die Taufe empfingen, nicht als vereinzelt
1) Bajoariam et Carentanos et Beheimos et Avaros atque Sclavos qui ab orien-
tali parte Bajoariae sunt. Charta divisionis.
2) Monum. Schled. ad. 769.
— 232 —
aufzufaffen, wenn fie auch von dem Annaliften als das wichtigste Ereigniß
unter jo vielen andern minder wichtigen mit Recht hervorgehoben wurde.
Sie enthält aber nichts Geringeres, als daß die vornehmen Tſchechen,
"welche nad) Regensburg famen, um dort in der Octave des hohen Feittages
Epiphanie die Taufe zu erhalten, jelbjtverjtändlich auch den Biſchof als
ihren Didcejan anerkaunten und diefem ſich unterwarfen.
Umgekehrt, nachdem 14 Vornehme, die doch in ihrer Heimath ſchon
den Unterricht empfangen haben mußten, nun in Negensburg jich taufen
ließen, war auch der Biſchof von Negensburg berechtigt, ihre Heimath
als jeine Didcefe anzufehen, wie denn auch Fein einziges Zeugniß
vorhanden it, daß ji) irgend Jemand anders als Bijhof von
Böhmen benahın, geichweige ſich als jolchen bezeichnete. Wir wiljen, was
aud auf anderen Gebieten damals geſchah. Der Biſchof von Paſſau hielt
in Mähren Synoden, der Erzbiichof von Salzburg gründete zwijchen 821
und 836 das Bisthum Neitra, das eine Burg des lateinijchen Nitus war
und blieb. Als der aus Mähren vertriebene Fürſt Privina Chrijt wurde,
übergab ihm LK. Ludwig fein bisheriges Zehen zum freien Eigenthun.
Sein Sohn Fürjt Kocel, der Erbauer der Moosburg (Szalavar) galt als
bejonderer Förderer des Chriſtenthums. Als er daſelbſt die prächtige
Bajilica baute, die als Hauptfirche angejehen wurde, ſandte Erzbijchof
Liupram von Salzburg Maurer, Tiſchler und Maler dahin, fie zu bauen
und auszufchmüden, und weihte fie dann, als jie vollendet war, ſelbſt. Hatte
nad) dem Ausſpruche des Mainzer Concils im %. 853 das Wolf der Ma:
rhanen noch feine großen Fortichritte im Chrijtenthum gemacht, ") jo lautet
es wenige ‘Jahre jpäter doc) jchon anders, es habe bereits dem Götzendienſte
entjagt und wünſche das chrijtliche Gejeh zu bewahren und fchien es nur
nocd einiger Nachhilfe zu bedürfen. Es iſt undenkbar, daß jegt mit einem
Male alle Anstalten zur Bekehrung der Tjchechen stille jtanden, und nur hier
ih ein Rückſchritt gezeigt hätte, wenn auch kriegeriſche Ereigniſſe eine
vorübergehende Störung herbeiführen konnten. Was mit jo großer Energie
begonnen war, ließ ſich nicht mehr aufhalten.
Gerade jeßt (9. Juli 846) bejtätigte Ludwig der Würzburger Kirche
die 14 zur Befchrung der Slaven erbauten Bajilikun.)
1) Rudis adhuc christianitas gentis Marahensium. Ginzel ©. 31. n. 3.
2) Erben Reg. n. 26.
— 233 —
8. 4. Die SIavenapoftel bi zum Tode Konftantins (Cyrillus)
14. Februar 869 (868).
Es ift eine befannte Thatfache, daß der mährische Herzog Raſtislav,
ein beharrlicher Gegner der Karolingerberrichaft, fi) von dem romäijchen
Kaiſer Michael (862. März) einen Lehrer. erbat, der das mähriiche
Volk zu unterrichten und im Glauben zu befejtigen vermöge.!) Welche
Nebengedanken hiebei Raftislav vom pofitiihen Standpunkte aus hegen
mochte, von einem Scisma und deſſen Begünftigung konnte hiebet nicht
im Entfernteften die Nede fein, wenn auch die Thatſache fejtiteht, daß
durch die Berufung der Slavenapoftel der Ausbreitung des Lateinischen
Nitus Schranken gezogen wurden und diefer jelbjt unter den Mährern in
Abnahme gerieth.?) Allein ehe ſich Naftislav au den romäiſchen Kaijer
wandte, hatte er fich, wie aus dem Briefe Adrians IL, an die Mähren:
fürften Raſtislav, Evatopluf und Kozel hervorgeht, deshalb an den rö—
mischen Stuhl gewendet, und die Abjendung des Philoſophen Konftan:
tinos und feines älteren Bruders Methodios, geborene Thejlalonicenfer,
deren Vaterſtadt gleih Mähren einft zum römischen Sprengel gehörte, be-
wies nicht minder, daß hiebei an eine Begünſtigung des Schismas nicht
im Entfernteften gedacht werden konnte. Konftantinos, ?) ein frühreifer
Geiſt von feltenen, bewunderungswürdigen Anlagen, hatte ſich raſch durch
jeine Gelehrſamkeit nicht minder als durch feine chriftlihen Tugenden
ungewöhnliches Anfehen erworben. Es war ein Act großer Unerfchrodendeit,
als er den Patriarchen Photios, den Begründer des orientalijchen Schisma’s,
bisher jeinen Freund, laut tadelte, daß er durch feine Irrthümer, die er
gleich, Pfeilen unter das Volk geworfen, die aufgeregte Menge verwundet
habe. Die traurige Gejchichte des Schisma's uud des daraus hervorge-
gangenen Miſolatinismus — des blinden Lateinerhaſſes der griechiichen
Welt, — hat jeinen Ausipruch nur zu jehr gerechtfertigt. Grieche durch
Geburt, Erziehung und Familienverbindung glaubte er ſeinem Baterlande
den größten Dienjt zu erweijen, jelbjt aber die höchjte Zebensaufgabe zu .
erfüllen, wenn er jich der Befchrung der heidniſchen Völker zuende, die
das romätjche Neid), diefe Stüge des Chriftenthums im Ojten, befehdeten.
Es ijt augezweifelt worden, ob er an der Befehrung der Bulyaren ge-
arbeitet, jenes huuniſchen Volkes, das bei jeiner Einwanderung in das
1) Binzel, Geſchichte der Elavenapoftel ©. 33,
2) Vilescere coepit.
3) Geb. 827.
— 13 —
romäifhe Neich ſelbſt auf zahlreiche Slavenniederlaffungen ftieß und
zulegt von dieſen national bewältigt wurde; jicher iſt, daß Konjtantinos
und Methodios ſich der Befehrung der Chazaren zuwandten und bei diejer
Gelegenheit die irdischen Nejte des nad) Cherjon verbannten und dafelbft
verjtorbenen Papſtes Clemens auffanden. Sie nahmen fie, als jie ihre
Million vollendet, mit, und ihre Abjicht war zweifellos, fie zum Grabe
des hl. Petrus zu bringen, als Konftautinos und fein Bruder vermodht
wurden, die Befehrung der Mährer auf ſich zu nehmen. 863.
Hier beginnt nun die Controverje, die fich ebenjo jehr auf die Be—
rechtigung der beiden Brüder zu ihrer Mifjion als auf dasjenige bezieht,
was fie wirflih unternahmen. Bon legterem wird nachher die Rede fein.
Man wird gut thun, vor Allem das Auftreten des Konſtantinos
von dem jeines Bruders zu trennen. Was wir über fein früheres Leben
erfahren, trägt den ausgefprochenen Charakter eines ungewöhnlichen Mannes,
einer jeltenen Perjönlichkeit, die gleich Bonifatius nur ein Ziel vor Augen
hatte, Gott zu dienen. Daß er eine einflußreiche Stellung, eine vortheil-
hafte Heirat ausjchlug, um Priejter zu werden und dann diefem Amte
ſich mit vollfter Seele widmete, beweift, mit welcher Energie er dasjelbe
verfolgte; wie die Ernennung zum Bibliothefar der Hagia Sophia in Eon-
ftantinopel und die Verwendung zu Mifjionen, die große Gelehrjamfeit,
Sprachenkenntniß, Scharfjinn und Gewandtheit verlangten, darthun, welches
Bertrauen jeiner ungewöhnlichen Begabung und ſeiner Geſchicklichkeit na-
mentlich in der veligiöjen Controverje ihm gejchenft wurde.
Ob dem Auftrage Michaels IIL, aus der phrygiſchen Dynaftie der
Amorrhäer (320— 867), eine große Bedeutung zuerkannt werden muß, mag
dahin geftellt werden. Jedenfalls ungleich weniger al8 dem Auftreten des
Patriarchen Photios, gegen den ſich zu erklären Gonjtantinos fein Be—
denken trug. Ich fände es volljtändig begründet, wenn dem Bürger von
Thejfalonife, dejjen Traditionen mit Rom auf das Engjte zuſammenhingen,
der von Photios aufgewühlte Boden zu heiß wurde und er ihn gerne mit
dem römischen vertaujchte. Sein und jeines Bruders Gedanfe war es
gewiß nicht, die theuren Ueberrejte des hl. Papſtes Clemens in Conſtanti—
nopel zu belajjen, jondern jie nad) Rom zu bringen, und die Romfahrt,
mit der er fein Leben bejchloß, war ficher lange, ehe er fie antrat, das Ziel
feiner Wünſche und nicht die Reife nacı Mähren, wohin er von Rom aus
nidht wieder zurüdfehren wollte.
Nun war die Bekehrung Mährens und Pannoniens, wie wir wohl
willen, von deutjchen, felbjt von italienischen und griechijchen Geijtlichen
— 25 —
unternommen, ) von deutjchen Biichöfen und dem Erzbifchofe von Salz
burg, ebenjo als ihre Kirchliche Aufgabe wie als Neichsfache angefehen
und behandelt worden.?) Fortwährend, wie wir diefes aus der Denkjchrift
der deutjchen Bijchöfe vom J. 900 wiljen, hielten aber auch die bajuarifch-
fränfiichen Biſchöfe an dem Sage feit, daß die dem Chriſtenthum von
ihnen gewonnenen Länder und Völfer auch dem deutjchen Reiche ge
wonnen jeien und daraus ging dann eine jehr weitreichende Controverſe hervor.
Eine zweite entjtand in Bezug auf die Berechtigung der jlavischen
Sprache nicht blos zur Predigt, das war jelbjtverjtändlich, fondern auch
zum Gottesdienste. Wenn in diefer Beziehung auf die Controverfe gewieſen
wird, welche Konftantinos iu Rom mit dem Papſte und den Cardinälen
gehabt haben und in welcher er Sieger geblieben fein joll, jo vergigt man,
‚daß diefe Sache im fränkiſchen Reiche durch das berühmte Capitular des
J. 794 zu Frankfurt prineipiel entjchieden war, das da jagte: „daß Nie-
mand glaube, man dürfe Gott nurin3 Sprachen (hebräiich, griechisch,
lateinisch) anbeten. Denn Gott wird in jeder Sprache angebetet und der
Menſch wird erhört, wenn er nur das Nechte betet”.?) Kam diejes Capi—
tular auch zunächft der deutjchen und romanischen Sprache zu Gute: jo
galt es doc) überhaupt fir die lingua rustica oder barbara, aljo auch
für das Slavische jo gut als für das Deutjche oder Romanische.
Mit welhem Eifer nun in Deutjchland gearbeitet wurde, eine deutſche
Kicchenliteratur zu Stande zu bringen und wie jehr ſich hiebei einzelne
Klöfter wie z. B. Set. Gallen auszeichneten, und was in diefer Beziehung
jchon vor Dtfrieds Evangelienharmonie gejchah, ift rine befaunte Thatfache,
welche eine umermüdliche, ununterbrochen fortgefegte Wirkjamfeit eröffnet.
Und es war unjtreitig der richtige Weg, wenn zur Befehrung der Slaven
diefelben Meittel in Anwendung gebracht wurden, die bei der Bekehrung
der Deutjchen fich jo wirkſam erwiejen. Nur waren vielleicht die Schwierig:
feiten noch größer, da, was in Fruncien an vielen Orten und von vielen
Perſonen in Angriff genommen wurde, die Abfaffung deutjcher Bücher zum
Gebrauche des Gotresdienjtes und der Bekehrung, die Ueberjegung der
Pjalmen und der nothwendigen Homilien, in Betreff der Staven von
einem einzigen Manne ausging, der Alles aus dem Stegreife jchaffen
und denen, die er jich zu jeinen Werkzeugen auswählte, nicht blos die geeig:
neten Schrifter, namentlich die Homilien und Predigten verfaſſen, jondern
auch in einer erſt zu erfindenden Schrift niederfchreiben mußte; ev hatte
1) Ginzel, Bannonifche Leaende,
2) Büdinger, Geſch. Defterreihs I. ©. 191.
3) Naumer ©. 248,
— 236 —
geradezu Alles neu zu Schaffen. Eine andere Frage aber war, ob
die Meſſe oder einzelne Theile derfelben ſlaviſch zu halten ſeien) und diefe
muß genau von dem unterjchieden werden, was Konjtantinos unter:
nahm, um den Lehrern uud Belehrten Schriften in die Hand zu geben,
die die einen umd die anderen bedurfte. Das allein war ſchon eine
Niefenaufgabe. Dazu kam noch vieles Andere.
Die genauen Abgrenzungen der modernen Diöcefen machen es
unmöglich, daß fremde Priejter, Unbekannte, die aus der Ferne fommen,
Jahre lang ohne Ermächtigung des Biſchofes kirchliche Functionen aus:
üben. Aber auc die Einrichtungen früherer Jahrhunderte und Synodal-
beichlüffe regelten bereit3 dieſe Verhältniſſe und jchieden jehr genau
den unberechtigten Eindringling von demjenigen, der vorjchriftsmäßig die
Vollmachten bei dem Didcefan ſich erholt. Das Auftreten eines unbekannten
Griechen in Mähren zu einer Zeit, als große Diſſidien die Tateinifche
Kirche von der grichiichen zu trennen begannen, die Erfindung einer
unverftändlicheu neuen Schrift, in welcher die in das Altſlaviſche überjegten
Kicchenbücher gejchrieben wurden, mehrten den Verdacht, und wenn, was
ih troß der Behauptung der Legenden für undenfbar eradhte, Conſtantinos
fih nah eigenem Ermeſſen herausnahm, ohne Wiſſen des Papites
die lateinische Mejje in eine jlaviiche umzugejtalten, jo gab es Gründe
genug, das Verfahren „des Griechen" nicht blos als eine Neuerung,
jondern auch als eine gänzlich unberechtigte Anmaßung anzufehen.
Es ijt jedoch mehr als wahrjcheinlich, daß Konjtantinog mit jenem
Zacte und jener Vorſicht auf fremdem Boden einherjchritt, durch welche
jtörende Conflicte vermieden, aber nicht geiördert werden follten; daß er
die Zeit, welche er bis zu feiner Romfahrt in Mähren zubrachte, dazu
verwandte, die Glagoliza zu erfinden, jene Schrift, die Safatit als eine
jehr veratorijche bezeichnete und die ſich auch nicht zum Range einer
Voltsichrift erſchwang, noch behaupten fonnte. Es iſt zweifellos, daß es
vieler Zeit und großer Mühe bedurfte, ſich in die neue Schrift einzuüben
und fie Anderen zu Ichren; daß Konftantinos mit einer Sprache zu kämpfen
hatte, der es an Ausdrüden gebrach, um namentlic) den jo fchwierigen
Inhalt des neuen Teſtamentes richtig wiederzugeben; daß es vieler
Zeit bedurfte, um die nothwendigjten Kicchenjchriften zu überjegen; vieler
1) Mit Redt hat Raumer aufmerffam gemacht, daß während dad Mögliche auf:
geboten wurde die Deutichen im Glauben zu unterrichten, fih in den Capi—
tularien Karls d. G. und in den Concilien jeiner Zeit feine Spur des Ver—
ſuches ſich vorfindet, die Meſſe deutih zu halten, ©. 242. E3 ift auch gar nicht
denkbar, daß Konjtantinos auf eigene Autorität fo weit gegangen wäre!
— 237 —
Zeit und großer Mühe, um wenigjtens einige verläffige Schüler heranzu-
ziehen. Es ift dem Charakter eines ftrengen und ascetifchen Mannes viel
angemejjener, nachdem er beides jo weit als möglich gefördert, fich die
Autorität zu einer durchgreifenden Veränderung der Liturgie da zu erholen,
wo fie allein erholt werden Tann, als, wie die Legende will, fie im Kampfe
mit Anderen durchzujegen und zulegt auch den Papft zur Nachgiebigfeit zu
zwingen. Man darf dabei nie vergejien, daß das Ziel des Thefjalonicenfers
Rom war, und als er die Neliquien des hl. Clemens daſelbſt in Sicher-
heit gebracht, er fein Tagewerf auch für beendigt anfah. Statt ala Biſchof
zurüdzufehren und nun das Werk der flavifchen Miffion recht in Augriff
zu nehmen, leiftet er auf Würde und Amt eines Biſchofs, ohne welche die
Neuerungen nicht durchgeführt werden fonnten, Verzicht. Seine Kraft war
früh gebrochen. Glücklich fein irdiſches Tagewerk vollendend, wich er aud)
den unausbleiblichen Conflicten aus, unter welchen 15 oder 16 Jahre nad)
ihm fein Bruder (885) zufammenbradh. Die Rechtfertigung feines Ver—
fahrens den Biſchöfen der Salzburger Erzdiöceje gegenüber beruhte einfach
darin, daß er, wie die Mährenfürjten überhaupt, an dem Satze fefthielt,
Pannonien und Mähren wie alles, was einft zur ſyrmiſchen Diöceſe ge:
hörte, unterjtünde von Nechtswegen direct dem HI. Petrus, gehöre unver:
äußerlich (hereditarie) dem römiſchen Stuhle. Dadurch war ihm der
Borwurf eines Eindringlings benommen; da es aber ausdrüdlich hieß, er
habe nichts gegen die Kanonen unternommen, !) darf man auch überzeugt
jein, daß er fein weiteres Verfahren erjt der Approbation des römiſchen
Stuhles unterjtellte und in feiner Weife eigenmächtig vorging, wie die
Legenden ihn handeln lafjen.
Der Bibliothefar des römischen Stuhles, Anaftafius, wußte fehr wohl,
was er fagte, wenn er SKonftantinos als einen wahrhaft großen Mann,
als einen Lehrer des apoftoliichen Lebens bezeichnete, jomit als einen Deann
der größten perjönlichen Selbftaufopferung. Daß aber ein Mann von
jo jeltenen Tugenden, ein Briejter, der die Möuchsgelübde dem biichöflichen
Amte vorzog, es wagte, zur lateinischen und griechijchen Kirchenſprache
unberechtigt die Meſſe in einer dritten zu halten, was in Deutſchland Fein
Biſchof zu unternehmen den Muth gehabt hätte, ift pſychologiſch undenkbar.
Dem Thejjalonicenjer mußte aber jehr wohl befannt fein, daß erjt die
bilderjtürmenden Kaifer dem römijchen Stuhle feinen Sprengel, zu dem auch
Salonichi gehörte, gejchmälert hatten, und alte Traditionen ihn Pannonten
1) Hi autem cognoscentes apostolicae sedi hereditarie obvenire vestras
partes, extra canones nihil fecerant.
— 2383 —
und Mähren zumwiefen. Danı war es ein großer Unterjchied, ſich zur
Befehrung der Slaven flaviiher Schriften, die zu diefem Zwecke von ihm
aus den allgemein üblichen Kirchenjchriften ausgewählt und überjegt wurden,
zum Unterrichte zu bedienen und die Meſſe ſlaviſch zu halten, wozu fie jelbft,
wie zu ihrem ganzen Auftreten der Autorität des römiſchen Stuhles be:
durften. Konftantinosg war nach Allem, was wir wiſſen, gar nicht der
Priefter, der fich eine Vollmacht anmaßte, zu der ihm die Berechtigung
fehlte, und fein Ende in Rom, ferne von den fchismatischen Bewegungen
in Conſtantinopel beweist unwiverleglich, wie wenig er an das dachte, was
die Legende ihn thun läßt, fich in einen Gegenfag zum römischen Stuhle
zu jegen. Wenn man aber glauben jollte, daß dem Kaifer Michael III. ein
befonderer Einfluß hiebei zuzuſchreiben fei, jo befände man jich im größten
Irrthume. Michael, über dejjen Leiche im J. 867 fein früherer Stallfnecht,
Stallmeifter, Oberftallmeifter, Cäſar und Gemal der Fatjerlichen Geliebten
Eudoria, der angebliche Slave Bajilios, !) zulegt Michaels Mitkaiſer, den
Thron des romäiſchen Neiches bejtieg, war ein Fürſt ohne alle Würde
und Pflichtgefühl, der nur für Theater, Pferde und Wettrennen Sinn
hatte, ein Trunkenbold, der mit jeinen Geſellen die heiligjten Miyjterien
des Glaubens verjpottete und verhühnte und den Zonaras mit Recht den
ſchlechteſten Kaiſern des Neiches beigefellte, das in die Wette von jeinen
Autofraten bedrücdt und mißhandelt wurde. Da feine Unthaten mit den
Jahren zumahmen, es in Conjtantinopel immer unbeimlicher wurde, alle
Wiſſenſchaft (Philojophie), wie Zonaras jagt, beinahe volljtändig erlojchen
war, ijt es fehr begreiflid, wenn der Bhilojoph Konſtantinos 4 Fahre, vor
dem Tode des erbärmlichen Imperators nad) dem Weiten zog. Der Impuls,
den Meichael gab und geben konnte, bejtand nur in der Nichtswürdigfeit feiner
Perfon und der allgemeinen Verlotterung der Zujtände, die daraus hervor:
ging, in dem gerechten Wunjche ji dem Schisma und der allgemeinen
Erbärmlichkeit zu entziehen.
Durchgehen wir mım den Inhalt der Legenden, deren Alter zu er-
forschen nicht zum Endzwecke diefer Schrift gehört. Uns genügt es, innere
Widerjprüche hervorzufehren.
Nach der italifchen Legende feien die Einwohner jener Stadt, die dieje
nicht zu benennen weiß, als fie hörten, die Brüder bräcten die Reliquien
des hl. Clemens mit und Konjtantin Habe das Evangelium auch im
1) Man hielt den Nachfolger des Mafedoniers, Leo, für den Sohn Michaeld und
ber Eudoria und nur infoferne für den Sohn des Baſilios, als der Grund:
fat galt: pater est quem nuptiae demonstrant.
— 239 —
ihre Sprache überſetzt — alfo ehe fie nach Mähren gefommen — den Brüdern
freudig entgegengezogen, diefe aber hätten die Fleinen Kinder unterrichtet,
chriſtliche Aemter (als wären fie Bijchöfe) eingerichtet, vier und ein halb
Kahre in Mähren zugebracht und dort alte Schriften, die zum Kirchen-
dienste nothwendig geweſen, zuricgelaffen, dann aber auf Einladung des
Papftes Nicolaus fi) nad) Nom verfügt. Die mährifche Legende aber läßt
erſt Konftantin, dejjen Gelehrjamfeit und Anfehen feinen Bruder in den
Hintergrund drängt, ehe er nach Mähren kommt, die Bulgaren befehren,
den mährischen König, der aljo noch ein Heide geweſen fein mußte,
taufen, fein Volk befehren, Vieles aus Latein und Griechifch in das Sla-
vifche überjegen und die canonifchen Stunden und die Meſſe in ſlaviſcher
Sprache halten. So fehr fih aber P. Nicolaus itber die Befehrung der
Bulgaren und Mährer und über die Auffindung der Reliquien des hl. Clemens
freute, jo war ihm doch die Einführung jlavischer Horen und Meſſen zu
viel. Er citirte deshalb Konſtantin nach Rom, und da der Bapft vor feiner
Ankunft, 13. Nov. 867, ftarb, ftellten fein Nachfolger P. Adrian und die
übrigen Regierer der Kirche Konftantin deshalb zur Rede; vieler
aber habe Bapjt und Negierer zu feiner Meinung befehrt, jo daß fie den
ſlaviſchen Ritys geftatteten, ex jelbjt aber habe die bijchöfliche Würde aus»
gefchlagen, jei Mönch geworden, was er wohl jchon früher war, und habe
jeine Würde jeinem Bruder übertragen. DBiele Unrichtigfeiten
auf einmal. Auch die böhmische Legende erwähnt, daß Eyrillus erſt die
Bulgaren befehrte, gebraucht jelbjt im Uebrigen die Worte der italijchen,
erwähnt jedoch, daß ſlaviſche Meſſen und Horen noch jetzt in Bulgarien
und mehreren anderen flavischen Ländern im Gebrauche feien. Ein Ausdrud?)
der auf die jpätere Abfaſſung der übrigens jehr unbedeutenden Legende hinweift.
Die pannonifche Legende vom hl. Methodios hat es nur vorilber:
gehend mit dem Philoſophen Konitantin und dem ihm von Raifer Michael
ertheilten Auftrage zu thun, den Bitten Naftijlavg mit Svatopluf dem
Fürjten der Slovenen entfprechend, mit feinem Bruder, dem Abte Me—
thodios, da beide als Theſſalonienſer jlavisch verjtanden, nach Mähren zu
reijen. Gott habe Konjtantin die ſlaviſchen Buchjtaben gelehrt. Beide
jeien aber nad) 3 Jahren wieder zurüdgefehrt, nad) vielen Tagen aber
babe Konjtantin fterbend feinen Bruder aufgefordert, das Werf der Bekeh—
rung wieder aufzunchmen!
1) Usque hodie in Bulgaria et in pluribus Slavorum regionibus observatur.
Merkfwürdig, daß diefe böhmiſche Legende nicht jagt: usque hodie in Bohemia.
Sie wußte eben nicht3 davon, daß Wiethod der eigentlicdye Begründer de3 Chri—
ſtenthums in Böhmen war,
— 240 —
Die bulgariſche Legende legt den Nachdruck auf die Bekehrung Bul—
gariens durch die beiden Brüder. Sie überſetzen, nachdem ſie die bulga—
riſchen Schriftzeichen erfunden, Schriften aus dem Griechiſchen in das
Bulgariſche, wobei die Bulgaren auch als Slaven bezeichnet werden, ſie
ziehen den Gorasdus, Clemens, Naum, Angelarius und Sabbas heran. Die
Brüder aber begeben ſich nach Rom, um dem Papſte ihre Interpre—
tation der Schriften vorzulegen; werden dort ungemein freundlich
empfangen, Method Biſchof des Pannoniſchen Morabos, Cyrill aber Mönch
und wird in der Kirche des hl. Clemens begraben.) Später kommt der
Berfaffer noch einmal auf die Befehrung der Bulgaren durch Eyrill
und Methodius zurück, für diefe fei die Schrift erfunden worden, in ihrer
Sprache die Ueberſetzung gejchehen, durch fie habe das bulgarische Volt
den Weg des Heiles gefunden. Von Böhmen ijt nirgends die Rede.
Fragt man fih nun um die Quintejjenz des Ganzen, jo wird die
Berufung der beiden Brüder ebenſo allgemein behauptet, als daß Kon-
ſtantinos der Erfinder der jogenannten flaviichen oder Bulgarifchen oder
jlovenifshen Schrift, der Ueberjeger der nothwendigjten religiöfen Schriften
war, daß er mit feinem Bruder einige wenige Jahre als ſlaviſcher Miſſionär
thätig war, dann mit diefem nach Rom ging, dort Mönch wurde und (in
San Clemente) beerdigt wurde.?) Somit handelt es ſich von der Ankunft
im %. 863 an bis zu Eyrills Tode 14. Febr. 869, nad) Anderen 868, um
nicht ganz fünf Jahre.
Controverje ijt, wohin fich die beiden Brüder zunächſt begaben, ob
nad) dem jegigen Mähren, ob nad) Bannonien, ob fie erjt die Bulgaren
befehrten, was auch nicht im Fluge gejchab, ob ihre Hauptthätigfeit den
Bulgaren oder den Mährern gegolten, oder ob fie nicht die fünfthalb
Jahre bei dem Fürften Kozel in der Moosburg zugebradjt,?) um dort in
Ruhe die nöthigen Vorarbeiten zu treffen.
Controverſe ijt, welche Schrift Konjtantinos erfunden, ob die Kyrilliza,
ob die Glagoliza; Controverje, ob die Erhebung Konjtantins zum Bijchofe
1) Quasi enim ad enm finem manere in carne ei concessum esset, ut inventio-
nem literarum et translationem scripturarum efliceret. Postquam hoc prae-
stiterat divinae voluntati ab eo, qui ipsi Dei cognitionen: tradiderat, ad-
sumitur. Ginzel. codıx p. 35.
2) Card. Hergenröther, Photius II. pag. 35. Cyrills Reliquien wurden übrigen?
vom Batican nah ©. Llemente gebradit.
3) Wie Safari, Prof. Firecet und der griechifch-Fatholifhe Domcuftos Anton
Petruszewic in Lemberg (in Slovno) behaupten. Diele Anfiht hat dadurd,
dab auch Gardinal Hergenröther fi dafür ausſprach (Photius 1. p. 617),
nit wenig an Bedeutung gewonnen.
— 2141 —
der Fortführung der ſlaviſchen Miſſion gegolten; Controverfe, ob er ſlaviſche
Mejje und Horas auf eigene Fauſt und ohne Ermächtigung eingeführt;
Controverfe, welche Ermächtigung er überhaupt vor feiner Romreiſe zu
jeinem Apoftolate bejefjen; Controverfe, mit welchem Nechte er fich in ein
fremdes Feld eingedrängt, über welches K. Michael ganz und gar nicht
verfügen konnte; Controverſe, welche Schriften er in das Altjlavifche über-
jeßte; Controverje, wie er fi) zum Erzbifchof von Salzburg, dem Bifchof
von Paſſau gejtellt; Controverſe, wie er, wenn er die Bulgaren nicht be-
fehrt, fondern nur vier und ein halbes Jahr an einem uns nicht näher
befannten Orte in Bannonien oder Mähren ſaß, Apoftel der Slaven ge-
nannt werden fonnte; Controverje, ob er in Nom auf die bifchöfliche
Würde refignivend Mönch wurde und nicht ſchon früher Mönch war;
Controverje ob er 868 oder 869 ſtarb. Controverje, ob er überhaupt Bijchof
wurde.') Keine Controverje endlich, daß, wenn die beiden Brüder ihre
urſprüngliche Mißion erfüllend, die Neliquien PB. Clemens nah Nom
brachten, der feierliche Empfang nicht ihnen, fondern vor Allem den
Ueberreften eines Papſtes galt, der fein Leben ruhmvoll im Exile beendet
hatte. Keine Kontroverfe ift, daß Eyrillus im Batican am Grabe des
Apoitelfürjten ftarb, ein treuer Sohn der römischen Kirche?)
Somit ift die Frage, welche ſlaviſche Völker Konftantinos
(Eyrilfus) befehrte, gar nicht jo leicht zu beantworten. Wir überlajjen
fie auch Anderen und bleiben ‚nur dabei ftehen, daß die Unterftigung,
welche der elende Kaiſer Michael dem Patriarchen Photios verlieh und
die erjt mit dem Tode des Kaiſers aufhörte, die eigentliche Urſache gewejen
jein dürfte, warum er und fein Bruder ſich veranlaßt fahen, den Weg nad)
Nom über Mähren anzutreten. Sicher ift, daß Cyrillus die Tſchechen
nicht befehrte, und wenn fein Bruder Methodius in feinen Pfaden
wandelte, diefe auch ihn nicht nad dem Lande der Beheimen führte.
Das iſt doch wohl unbejtreitbar.
Wenn aber dadurch feine Wirkfamfeit als Apoftel der Slaven ein:
geſchräukt zu werden jcheint, jo iſt dieſes doch nur jcheinbar. Tie Welt
ftaunte als fein Wunderwerf die Erfindung der neuen Buchjtaben an.
Erjand er aber diefelben, jo mußten denn doch feine Schüler erſt leſen
leiten, während er die Bücher überjegte, die uns nur im Allgemeinen
angegeben werden, Theile des alten und des neuen Teſtamentes, Palmen
oder Homilien. Es war eine geradezu aufreibende Arbeit, in einer
1) Ginzel, Die Slavenapoftel S. 48, n.
2) Hergenröther 1. c. n. 39.
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 3. Heft. 16
— --
Sprache ohne Literatur, in einer Schrift, die erft erfunden werden mußte,
deren Richtigkeit und Gebrauch noch nicht erprobt war, die feine Ver—
gangenheit bejaß, treu und richtig den Ausdrud für die großen inhalt-
ſchweren Gedanken der heiligen Bücher zu finden. Nur derjenige, welcher
ſich mit dergleichen Arbeiten vertraut gemacht hat, vermag hierüber ein
richtiges Urtheil zu fällen.
Immer war e8 aber von Eyrill ein großartiger Gedanke, einer
Nation, die aus jo vielen einander feindlichen Stämmen bejtand, an den
fichlihen Zehrbüchern einen gemeinjamen Sprahichag, ein gemeinjames
Fundament chrijtliher Zuſammengehörigkeit und Bereinigung zu geben
und von diefem Standpunkte aus verdient er vollfommen den
ehrenden Namen eines Apoſtels der Slaven. War c3, wie e8
jcheint, die Abſicht P. Adrians IL. das wejtliche Illyrieum wieder enge an
das römische Batriarchat anzufchliegen, die alte Metropole Sivmium, den
Stuhl des Hl. Andronicus, als paunoniſches Erzbisthum wieder auf-
zurichten, für die Chriftianifirung der ſlaviſchen Lande einen
fejten Mittelpunkt, ein kirchliches Bollwerk gegen die beiden römischen
Kaiſerthümer zu Schaffen, das au den Stuhl Betri feſt gefettet bleiben
folfte ) — fo fonnte man zu diefem Zwecke ſich Feine tüchtigere, veinere,
aufopferndere Perjönlichkeit vorftellen als die Konftantins. Nur bedurfte
es dazu auch des Entgegenfommens jlavifcher Fürſten und Völker; und
das eben blieb aus. Der Sturz Raftislavs brachte einen Mann empor,
den zwar die Legende ſehr als Beichüger des beabjichtigten Neubaues
verehrt aber nicht die Geſchichte. Dffen bleibt dabei immer die Frage,
ob die Sache, wenn ſich Cyrill nicht freiwillig diefer Bürde entzogen hätte,
nicht zu früh geftorben wäre, nicht unter ihm zu einem bejjeren Gedeihen
gelangt wäre? Nicht minder auc) eine zweite, ob der Abzug der Brüder
von Theljalonife aus Conjtantinopel nad) Rom nicht in directem
Saufalzujammenhange mit dem römischen Concil (April 863)
jtand, das Photius und alle feine Genoſſen jeder geiftlichen Würde verluftig
erklärte?) und den durch Eaiferlichen Terrorismus gejtürzten Patriarchen
von Eonjtantinopel, Ignatius, als rechtmäßigen Patriarchen anerfannte?
Mir jcheint es, daß beide Fragen jeher wohl erwogen werden
dürften. Ihre Beantwortung mag das ohnehin zweifelhafte Anjehen
mancher Legenden mindern, nicht aber die hiftorische Bedeutung des „Phi—
lojophen Konſtantinos“.
1) Wie Card. Hergenröther I, ©. 36 die Sadıe jo richtig auffaßte.
2) Dergenröther I. ©. 52.
— —
F. 5. Methodios, Erzbiſchof von Mähren und Pannonien.
Man konnte ſich kaum eine ſchwierigere Lage vorſtellen, als die
Methods, den P. Adrian II. zum Erzbiſchofe von Mähren und Pannonien
conſecrirt hatte. Nicht blos deshalb, weil er bei ſeiner Rückkehr Herzog
Raſtislaw im offenen Kampfe mit K. Ludwig dem Deutſchen fand, der
zuletzt ſich des Mährenfürſten bemächtigte und an ſeiner Stelle Swatopluk
einſetzte. Seines Bruders beraubt, deſſen moraliſches Anſehen ihn ſelbſt
bisher gedeckt hatte, erſchien Method als natürlicher Feind der beſtehenden
kirchlichen Ordnung. Er griff als Erzbiſchof von Mähren, das ſich ſelbſt
nach Pannonien an die March, Donau und Gran erſtreckte, in die
Gerechtſame von Paſſau, als Erzbiſchof von Pannonien in die von
Salzburg ein und erſchien als Störer deſſen, was ſeit mehr als 70 Jahren
auf dieſer Seite aufgebaut war. Der leitende Gedanke des Papſtes war
unzweifelhaft kein anderer als ihn zum Erzbiſchof der Slaven zu machen,
ohne ihm vorderhand ſei es Laureacum, fei es Sirmium zum Wohnſitze
zu beſtimmen, die ja beide zerjtört waren; daher auch die Empfehlungen
an verjchiedene ſlaviſche Fürſten, die er erhielt. Er befand ſich als Erzbiichof
auf altem Grund und Boden des bl. Petrus, die deutichen Biſchöfe auf
Grund und Boden des ojtfränfischen Reiches, den Slaven abgerungenen oder
ihnen nur zugejtandenen Bejißes, und ihrer nad) dem Oſten in's Unbe:
jtimmte veichenden Diöcefen. Ob Methodius, der nun die zu Diaconen
geweihten Schüler mitbrachte, die ihn nach Nom gefolgt waren, jeßt
jlavischen Gottesdienst einführte oder nicht; der Conflict beftand bereits
in jeiner Berjon als Erzbifchof und war fomit unvermeidlich, ob er den
flavifchen Gottesdienjt hielt oder nicht. Die jlavifchen Fürften, an die er
empfohlen war, konnten ihn nicht ſchützen, wenn er fich auf dem deutjchen
Neichsboden befand — der Sturz des Raſtislaw 870 führte auch den
Seinen herbei. Den Bilchöfen der Salzburger Erzdiöceje wollte es nicht
eingehen, daß ihre ganze Thätigfeit auf jlaviichem Boden ungiltig jei. Der
Gedanke mußte um jo ferner liegen, als der lateinische Gottesdienft wohl
factifch dem neuen flavifchen weichen konnte, aber nirgends gefeglich auf-
gehoben ward. Aber diefe Frage trat in den Hintergrund vor der Nechts-
frage, bei welcher 8. Ludwig ſelbſt betheiligt war. Sp entftand num jenes
gerichtliche Verfahren, bei welchem Method jei es als Gefangener, fei es
freiwillig zur Nechtfertigung vor dem Könige und dem Salzburger Epis-
copate !) gezogen wurde und wobei er weder perjönlicher Mißhandlung
— —
1) Martinovie S. J. St. Methode apötre du Slaves et les lettres des souverains
pontifes conserv&es au british Museum. (Revue des questions hist. 1880. 1 Bd.)
16*
— UM —
noch zuletzt harter Gefangenſchaft) entging. Die Biſchöfe behandelten ihn
als Eindringling, wandten ſich mit einer Klageſchrift an den Papſt, ihre
Rechte zu vertheidigen und ihre fruchtbaren Bemühungen un die Befehrung
der Slaven darzulegen, Aber auch Method fand Gelegenheit eine Recht:
fertigung feines Benehmens nach Rom gelangen zu laſſen und nun erfolgte,
was vielleicht beſſer gleih anfänglich am Plage gewejen wäre, die Sen:
dung des Biſchofs Paul von Ancona, den Streit als päpftlicher Legat zu
ſchlichten. Method wurde nach 3 Jahren?) in Freiheit gejegt, die über
ihn verhängte Abjegung aufgehoben, die Bijchöfe von Freifing und Paſſau,
welche am jtärfjten gegen ihn aufgetreten, wurden für jo lange Zeit ſus—
pendirt, als Method im Gefängniß zugebradht, die neue Erzdidceje wurde
als dem römischen Stuhle unmittelbar unterjtehend bezeichnet, Method zu
Smatopluf geleitet.
Die erjten 3 Jahre der erzbiichöflichen Wirkſamkeit Methuds, in
welche Zeit Balacky unbegreiflicher Weiſe die Taufe des Böhmenherzogs
Borivoj verjegte (871), veritrichen aljo theils in den unerquidlichiten Con-
flieten, theils im Gefängnijfe. Unterdejjen ftarb P. Adrian IL, Nov. oder
Dee, 872, und fein am 14. December geweihter Nachfolger, B. Johann VIIL,
beitand zwar auf dem Anrecht des römischen Stuhles an Pannonien-
Mähren, ließ aber die Frage über die Nejivenz des neuen Erzbijchofes
unentjchieden — weshalb wieder von Welehrad gar feine Nede jein kann, ?)
jondern verbot ihm auch geradezu, durch einen ihm durch Biſchof Paul
zugefommenen Erlaß, die Mejje in lingua barbara das heißt, in flavifcher
Sprache zu celebriren. Da jid) der Papft in jeinem jpätern Schreiben vom
14. Juni 879 hierauf ganz bejtimmt bezieht, ) kann darüber fein Zweifel
obwalten, wenn auch, wie Ginzel in feiner jehr fleißigen Monographie
auseinanderjegt, Methud fortfuhr, die Meſſe jlaviich zu halten?! Der neue
Papjt nahm die Ordnung der jlaviichen Verhältniſſe ſelbſt in feine Hände,
hielt im 5%. 874 eine Synode in Ravenna, wobei er der flavifchen Unfitte,
nad) Belieben die eingegangene Ehe zu trennen und andere Frauen zu
1) colaphis caedentes heißt es von den Biſchöfen. Selbft noch ärgered gejchah.
2) Siehe die Inftruction an den Legaten Baul, Höfler, die Epochen der ſlaviſchen
Geſchichte. Wien 1881. ©. 44.
3) Ausdrüdlich jagt auch Cardinal Hergenröther IL. ©. 616 der Sprengel Methuds
habe noch feinen beftimmten Metropolitanfig gehabt, weshalb er
fi) hauptſächlich in dem Gebiete des Kozel aufbielt.
4) prohibuimus te in barbara h. c. sclavina lingua, sacra missarum s0-
lemnia celebrares.
— 245 —
nehmen,") auf das Schärfſte tadelt, an den „Grafen Kocel“ ſchrieb und die—
jenigen, welche davon nicht abließen, mit dem Banne belegte. Es gelang
ihm den Ausgleich mit K. Karlmann zu treffen und das neue Erzbisthum
dem römischen Stuhle zu vindieiren. Damit war die eine Controverfe
befeitigt und handelte e8 fid) nur mehr um das Maß des Gebrauches
der jlaviichen Sprache bei dem Gottesdienft in Mähren-Bannonien. Die
Thätigfeit Papſt Johanns VII. war vorzugsweife den orientaliichen An—
gelegenheiten, den Conflieten mit Photius, und der Bekehrung der Bul-
garen und Kroaten, der Serben und Dalmatiner zugewandt?) Aber in
Detreff Methuds war ein neuer Conflict ausgebrochen, nachdem ihm be-
reits gejtattet worden war, in dem, dem Papſt zuriücdgegebenen Erzbisthum
Pannonien nad altem Brauche alle bifchöflichen Amtsverrichtungen unge:
hindert auszuüben. Seitdem erfolgten erjt weitere Klagen über feine
Rechtgläubigkeit und machte fih der Mährenfürft Swatopluf,
der feinen Oheim Raſtislav entthront hatte, jelbjt zum Organe der
deshalb erhobenen Klage, jo daß Papſt Johann den Erzbifchof auf-
forderte, ungefäumt zu feiner Nechtfertigung nach Nom zu fommen. Ihn
begleitete einer der Getrenen Swatoplufs, der dem Papſte feine und feines
Bolfes Begierde ausdrüden ließ, wie feine Vorfahren dem HI. Petrus —
und nicht der deutjchen Kirche — unterworfen zu fein. Der Schwabe
Wiching, gleichfalls nach Rom gejandt, ſollte bei diefer Gelegenheit zum
Biihofe von Neitra confeerirt werden. Er mar jelbjtverjtändlich Ver—
treter des lateinischen Ritus.
So murde denn in Rom unmittelbar die Frage über die Recht—
gläubigfeit Methods auf einer Synode unterfucht, der Erzbifchof
ſchließlich als vollfommen rechtgläubig in feiner Würde bejtätigt und der
Entjcheid dem Mährenfürjten fundgegeben, Methud aber in vollſter Aner—
fennung, daß die wider ihn erhobenen Auflagen ungegründet ſeien, zur
weiteren Amtsführung zurückgeſandt.
Hatte PB. Johann erſt dem Erzbifchofe fein Mißfallen ausgedrüdt,
daß er die Meſſe in ſlaviſcher Sprache ſtatt in lateinischer oder griechischer
jinge, da ihm nur Predigt und Bolfsunterricht ſlaviſch zu halten gejtattet
jei, e8 aber bei dem Erjtaunen dariiber bewenden gelajjen, daß er höre, er
predige dem Volke Irrlehren, und gleichzeitig (14. Juni 879) Swatopluf
1) Sie war noch im XI. Jahrhunderte nicht ausgerottet, weshalb Biſchof Severus
den Böhmen fagte: vestra conuubia quae hactenus habuistis ut lupanaria
brutis animalibus communia, a modo sint privata. Cosmas.
2) Hergenröther I. ©. 604 ff.
a
die Mittheilung von der an Methud erfolgten Citation nach Rom gemacht,
jo enthält das päpitliche Schreiben ein Jahr fpäter (Juni 880) die
vollite Rechtfertigung des, ſei es von deutjcher, jei es von ſlaviſcher Seite
unrehtmäßig Angeklagten. ’)
Die oberjtrichterliche Entjcheidung, die Swatopluf von P. Johann
ſelbſt mitgetheilt wurde, beruhte in Folgenden: ?)
Erjtens wurde den Mährern aufgetragen den Erzbijchof, der ſich in
Allem rechtgläubig erwiejen, als ihren vechtmäßigen Oberhirten zu ehren,
der die Sorge fir alle geiftlichen Dinge habe.
Zweitens weihte der Papft nicht blos Wiching zum Bijchofe, ſondern
jolle auch noch der Erzbiichof einen zweiten (Prieſter oder Diacon) nach
Nom jenden, den der Papſt zum Bifchofe conjecriren würde. Mit diefen
zweien vom Papſte conjecrirten Bijchöfen jollte nachher für geeignete Orte
der Erzbiichof andere Biſchöfe ordiniven. Alle Briefter, Diaconen, Cleriker,
Slaven oder Nichtjlaven innerhalb der neuen Kirchenprovinz jollten ſämmtlich
dem Erzbifchofe gehorchen, diejenigen, die ein Schisma herbeiführen wollten,
jeien gemäß der dem Erzbiſchof mitgegebenen Beftimmungen (capitulis)
geradezu auszumeijen. ®)
Der Sinn diefes zweiten Punktes war Har. Der Erzbifchof und
feine 2 Suffragane wurden in Nom und nicht in Deutjchland ordinirt.
Sie ordiniren dann für neue Bisthümer neue Bilchöfe. Die ganze Kirchen:
provinz unterjteht dem Papſte, Deutjche oder Slaven, Lateiner oder Nicht:
lateiner, die neue, von Salzburg und dem deutschen Neiche völlig getrennte
Erzdidceje ift aufgerichtet und ihre Einrichtungen trennen fie davon „für
ewige Zeiten“.
3. Die jlaviniftiiche Schrift und Bücher Konftanting — und das
wird als das Miſſionswerk des einjtigen Philoſophen von dem Bapfte be—
zeichnet — litterae slaviniscae a Constantino quondam philosopho
1) Mir will es bedünken, daß die Anklagefchrift der dentichen Biſchöfe den früheren
Eonflicte angehöre und es jest fih nur um die Swatopluks handelte, beide
nicht verwechfelt werden dürfen. 3
2) Ginzel codex S. 59. Ueber den dogmatiichen Theil der Controverfe möge man
die gründliche Erörterung des Card. Hergenröther II. ©. 623 ff. nachſehen.
3) Dieſer legte Spruch wiederholt fich, aber offenbar nicht zu Gunften Methods
in dem B. Stephan VL zugejchriebenen (apocrypſchen) Erlaffe. Von einem erz—
biſchöflichen Site ift auch jett Feine Rede, noch viel weniger von Böhmen, das
ja nie zum römiſchen Patriarchate gehört hatte.
— 247 —
repertae — in welchen Gottes Lob ertöne, werden gut geheißen, da es nicht
blos in 3 Sprachen, fondern in allen Zungen gepriefen werden jolle. *)
4. Weder im Glauben noch in der chriftlichen Lehre ift etwas da:
gegen, in der jlavischen Sprache Meſſen zu fingen, das heilige Evangelium
oder die Lectionen des alten oder neuen ZTeftamentes, wenn fie nur gut
überjegt und erklärt würden, zu leſen (psallere) oder die Horen zu halten.
5. Die Abhaltung des ſlaviſchen Gottesdienjtes war jedoch nicht etwa
geboten, fondern nur gejtattet, Swatopluf aber und feinen Richtern (ju-
dicibus tuis) turchaus freigegeben, wenn ihnen die lateinischen Meſſen
beijer gefielen, fie fich in lateinischer Sprache halten zu Lajjen.
6. War durch legteres Elar geworden, daß der ſlaviſche Gottesdienft
unmöglich ein Bedürfnig des mähriichen Volkes fein Fonnte, wenn der
Herzog, deijen weites Gebiet euphemiftiich als ein Großreich (imperium)
und der ſelbſt als König bezeichnet wurde, und feine Vornehmen, die
Richter des Volkes, Feine Begierde darnach hatten, jo gejellte ich zur Er-
laubniß der jlavischen Meſſen noch eine befondere Bedingung. Es jollte
in allen Kicchen, wo dieje geiungen würden, das Evangelium zuerjt in
lateinischer Spradye und dann für diejenigen, die es nicht verjtanden,
jlavifcy gelejen werden. Der Zwed war Kar. Niemand folle glauben,
daß er, wenn er dem ſlaviſchen Gottesdienjte beimohne, deshalb aufhöre,
der lateiniſchen Kirche anzugehören.
P. Johann VII. ertheilte im Juni 880 jeine Zuftimmung zu einem
Experimente, das glücken, aber auch mißglüden fonnte. Vorderhand war
Eines erreicht. Die neue Erzdidcefe mit ihren nach Bedürfniß zu verviel-
jältigenden Bisthümern war firchlich vom fränkischen Reiche getrennt und wenn
Swatopluf der rechte Mann war, jo konnte fich auf diefer Balls auch ein
vom deutjchen Neiche ganz unabhängiges jelbjtändiges Neich erheben.
Wenn fpäter der römische Stuhl dem Kroatenfürjten eine Königskrone
fandte, der Magyare Stephan durch PB. Sylvejter eine Königsfrone er-
langte, von dem Polenfönige nicht zu reden, warum ſollte nicht auch in
dem vom dentfchen Reiche firchlich getrennten Mähren, jobald auf dieſen
Grund aud; die politische Trennung jiegreich erfolgt war, eine päpftliche
Königskrone das Gebäude frönen? Sit doch bereits von König Swatopluf
die Nede. Nun hatte aber die neue Organijation der flavifchen Kirche
von Anfang den Nachtheil, daß fie im Gegenfage zu dem fürjtlichen Cultus
1) Damit war das obenerwähnte carolingische Capitular von dem Papft fanctionirt.
Was die Legende Cyrill in den Mund gelegt, erweilt fid) umgekehrt ald päpſt—
liher Ausſpruch.
— 2483 —
der Rarolinger war, den auch unter den Slaven herrfchenden Traditionen
des großen Karl und jeinen Nachfolgern nicht entfpradh. Der lateinische
Nitus war der Ritus des königlichen und Faiferlihen Hofes und wer es
diefem gleich thun wollte, durfte nicht zu dem Volksritus herabſteigen,
den Method einführte. Diejes Moment, das jo ganz überjehen wird, war
von großer Bedeutung und diefe nahm noch durch den Umjtand zu, daß
ja im Schoße des neuen Episcopates Feine Einheit war. Der Bifchof von
Neitra blieb bei dem lateinischen Ritus, Swatopluf und feine Richter wie
es jcheint, nicht minder und der ſlaviſche Gottesdienjt litt durch die latei-
niſche Berfündigung des Evangeliums, welche anf einen höher ‚berechtigten
Ritus hinwies, vor dem jich der ſlaviſche beugen mußte.
Die Biſchöfe des Salzburger Sprengels jchienen aber die dem oſt—
fränfifchen Reiche aus diefen Verfügungen drohende Gefahr wohl erfannt
zu haben und hielten um jo feiter daran, daß „die Slaven im Oſten“
Theile des deutschen Reiches ſeien. Die Tſchechen aber arbeiteten ihnen in
diefer Beziehung im %. 895 ſelbſt in die Hände.
Wenn nun von allen Forjchern darauf hingeiwiefen wird, daß erit
der Streit mit dem deutjchen Episcopate, der die erjte Zeit der Wirkſam—
feit Methods nach feiner erjten Nückkehr aus Nom 869 —873 erfüllte, dann
der erneute Streit und zwar um jeine Nechtgläubigfeit und die, Bedin-
gungen und Cautelen des ſlaviſchen Gottesdienftes, die eine zweite Reife nach
Rom 879-880 zur Folge hatten; endlich die großen Kriege Raſtislavs
und Smwatoplufs mit dem ojtfränfiichen Reiche eine unumnterbrochene und ge—
jeguete Thätigfeit Methods in Mähren nicht auffommen ließen, jo jteht doch
die Thatſache feſt, daß jene Wirkſamkeit unter den Kroaten und den Slaven
am Küjtenlande ungleich größer geweſen jein muß, da ihre Spuren nod)
heutigen Tages jihtbar find. Wir können bei dem Mangel an Quellen
auch hier die Fahre nicht angeben, wohl aber mit Bejtimmtheit jagen, daß
für eine Wirkjamfeit nad) dem Norden über Möhren hinaus in dem Rahmen
der Chronologie fein Raum vorhanden ift, jondern im Gegentheile Pflicht
und Beruf ihn ſtets nach dem Süden drängten, wo feine Conflicte ftatt-
fanden. Und wenn nichts dejto weniger auf angeblihe Gründungen
Methods in Mähren in den Kahren nach 873 hingewiejen wird, jo muß
ich ſchon hier mich auf das Zeugniß des gelehrten Abtes Dudif berufen, der
geradezu jagt, daß, aus den eilf Fahren von 874—885, in welche ſeine größte
Wirkjamkeit als Erzbijchof fallen mußte und fiel, ') nicht ein einziges
1) Allg. Geſchichte Mähren! I. p. 227 Ginzels Darftellung ©. 89 n. 14. 15 läßt
fih dagegen nidyt behaupten,
2.949
bewährtes Zeugniß feiner kirchlichen Thätigfeitaufunfere
Seit fam.
Wir wiſſen nicht, was er im diefer Zeit in Mähren, nicht was er in
Pannonien that, ") gefchmweige, daß er, wie eine Legende fagt, nach Conſtan—
tinopel ging.?) Da ift dann freilich ein weites Feld eröffnet für Hypo—
thejen aller Art und wenn ihn nichtsdejtoweniger Hijtorifer nach Belieben
dahin oder dorthin reifen laſſen, ſo mögen fie ihm auch die Fahrgelegen-
heiten zahlen! Es ijt eine Nachricht vorhanden, daß er zulegt aus Karen—
tauien vertrieben, fi) nah Mähren wandte?) Wir kennen aber fo
wenig al3 den Namen feines bifchöflichen Siges fo den des Ortes, wo er jtarb,
wohl aber, daß der Haß der deutjchen Bijchöfe, welche in ihm die Urfache
erblidten, warum der mährijche und pannonifche Theil ihrer Sprengel ihnen
entzogen wurde, mit den Jahren eher zu als abnahm. Es war ihm nicht
gelungen, in feiner Erzdiöceje den jlavifchen Ritus zum herrſchenden,
zum einzigen zu erheben; er hatte weder Bannonien nod) viel weniger
Mähren Firchlicy geeinigt, im Gegentheile e8 war ein Dualismus ge
ihaffen, der das von Konftantin wie von ihm begonnene Werk jchon bei
jeinen Xebzeiten untergrub. Wieder ift es ein Brief B. Johauns VILL,
der uns hierüber belehrt (23. März 881).9) Es it ein Zroftichreiben
über die Widerwärtigfeiten, die den Erzbijchof betroffen und von welchen
diejer dem Papjte Deittheilung gemacht hatte. Es enthält zugleich die Er:
färung, daß der Papſt an den Fürſten Swatopluf feine anderen Briefe
gejchrieben habe als jene, in welchen er ihn der Nechtgläubigfeit des
Erzbiichofs verficherte und ebenſo wenig habe er dem Biſchofe (Wiching ?),
von dem Method gejchrieben, offen oder in geheim einen Auftrag gegeben,
gejchweige ihm den Schwur (des Stilljchweigens) abgenommen. Der Erz
biſchof möge daher jedes Bevenfen aufgeben. Was aber die großen Ber:
gehen betreffe, welhe gegen ihn jtattgefunden umd die der ungenannte
Biſchof fich gegen fein Amt erlaubt, ſo werde der Bapit, jobald Method
(nad) Rom) zuriücdgefehrt fei, beide Theile vernehmen und die Sade jo
gut zu Ende führen, daß fremde Verwegenheit dem Gerichte nicht entgehe.
Der Brief, der jchlieglich den Erzbiſchof tröjtet, wirft ein Licht auf Ber:
D Wann foll er aber in Pannonien geweſen fein, wenn nicht in diefer Zeit?!
2) Auch die Vollendung der Bibelüberjegung wird ihm zugefchrieben. Je weniger
man Sichere? von ihm weiß, deſto mehr bemühte fi die griechiiche Legende
de3 bi. Clemens ihm Thaten anzudichten.
3) Tandem fugatus a Karentanis partibus intravit Moraviam ibique quievit.
De conversione Carentanorum.
4) Codex p. 62.
— 50 —
wirfnifje, die er mehr andeutet als erörtert, die aber eine neue Romreife
benöthigten. Es ift das legte echte Document, das wir über die Wirkſamkeit
Methods bejigen. P. Johann jtarb 832, zwei Jahre jpäter jein Nachfolger
Marinus und nun ward wohl von Stefan VI, der auf Marinus folgte,
ein Schreiben an den König Zwentopolf befannt gemacht, in welchem
Method des Aberglaubens und der Streitjucht, ja jelbit des Meineides
beichuldigt wird, da er über dem Körper des heil. Petrus gejchworen,
Meſſe und Gottesdienst nicht in flavifcher Sprache zu halten und doch es
thue. Wiching habe fi), obwohl von Method mit dem Anathem belegt,
in Nom gerechtfertigt. Der Papit befiehlt endlich dem König Swatopluk
die ungehorjamen und Aergerniß gebenden aus jeinem Reiche zu vertreiben.
Gerade das letztere dürfte abgejehen von den vielen Gründen, die
der gelehrte Berfajjer des Lebens des Patriarchen Photius als Beweiſe der
Unechtheit diefes Schreibens P. Stephans anführte, jpäter zur Rechtferti-
gung des gewaltjamen VBorgehens gegen die Schüler Methods dienen,
die 200 an der Zahl Swatopluf nad) dem Tode des Erzbijchofes aus
Mähren vertrieb. Die unverholen feindjelige Haltung Swatoplufs, der,
weit entfernt dem großartigen Plane Adrians II. gemäß, dem jlavischen Inter—
ejje, Vorſchub zu leijten, dem lateinischen Ritus der oftfränfifchen Künige
huldigte, war nicht geeignet, Method den Aufenthalt in einer Herzogsburg
genehm zu machen, in welcher die jlavische Sprache nur zur Erbauung
einfältiger Leute gebraucht werden jollte. ') Es iſt mehr als wahrjcheinlic),
daß die Hauptficche, in welcher er jtarb, die einjt von Salzburger Hand:
werfern in der Sumpfjtadt erbaute war, er hier am 6. Juli 885 jein Leben
beſchloß. Sein Werk endigte in Mähren mit ihm. Seine Schüler zerjtreuten
fich ;?) die nach Bulgarien flüchteten, verfielen dem Schisma. Mähren jelbit,
anjtatt der Mittelpunkt einer großen chrijtlichen Slavenmacht, ein ſlaviſcher
Zwiſchenſtaat zwijchen dem ojtfränfischen und romätjchen Reiche zu werden,
ging im Magyarenjturme wie in einer Verſenkung unter. Die Bejtrebungen
des römischen Stuhles, das Erzbistum aufrecht zu erhalten — aber nicht
Gorazd8, dem von Methud zum Nachfolger bezeichneten, die erzbijchöfliche
Würde zufommen zu laſſen, fanden, als Bolt und Reich verjchwanden,
feine Bafis mehr; im Anfange des X. Jahrhundertes gab es auch in ganz
-—
1) Ad simplieis populi et non intelligentis aedifieationem. Angebliches Schreiben
P. Stephans VI.
2) Daß Einzelne auch nah Böhmen famen, wird Niemand beftreiten wollen.
Gerade jest wäre der richtige Moment geweſen, wenn Method der eigentliche
Begründer de3 Chrijtenthbums in Böhmen gewejen wäre, einen feiner Schüler
zum Biſchofe zu erhalten. Aber auch hievon feine Spur.
— 31 —
Pannonien niht eine chrijtliche Kirche mehr. Das Andenken Methods
ward nur noch in Bulgarien gefeiert, wohin ſich jeine Schüler gewendet.
Es dauerte nicht lange und es hieß in Dalmatien, er habe die gothijchen
Buchſtaben erfunden. Er habe viel Ligenhaftes in ſlaviſcher Sprache ge-
jchrieben, er fei ein Häretifer. Jahrhunderte verftrichen, ohne daß man
jeiner gedacdhte. Er verdiente ein bejjeres Scidjal.
$. 6. Methodios oder Emmeran von Regensburg.
Die Traditionen der mährischen Fürften knüpften an eine Zeit an,
in welcher ihr Land, das ja nach Pannonien reichte, dem römischen Stuhle
oder wie jie fich ausdrüften, dem hl. Petrus unterworfen war. Dieſe
Traditionen, an welchen die Päpſte fejthielten, führten, wie wir gejehen
haben, zu der Begründung eines eigenen Erzbisthums Mähren-PBannonien
und zur Trennung diefer Länder von dem Erzbisthume Salzburg; wie
wir gleichjall8 gejehen haben, zu einem Gonflicte mit dem lateinijchen
Ritus des oftfränfiichen Neiches, bei welchem ſich der mächtigjte Fürſt der
Mähren auf die Seite der Gegner jeines Erzbijchofes jtellte.
Die Traditionen der Mähren waren aber nicht die Traditionen der
Boemannen d. h. der verjchiedenen Stämme derjelben, deren Namen und
Wohnfige noch 1086 urkundlich unterjchieden werden. Unter ihnen findet
fi) feine Spur von ähnlichen Traditionen vor. Wohl aber heißt es, als
es ji) um die Begründung eines eigenen Bisthums Handelt, und das
Klojter S. Georg für Benedictinerinen begrindet wurde, das jolle nicht
gejchehen nad dem Ritus oder der Secte des bulgarijchen oder
ruſſiſchen Volkes oder der jlavifchen Sprace.!) Nicht blos, daß
fi) der Name des Abtes Emmeran in Böhmen vorfindet, Boleslav I. läßt
jogar feinen Sohn Strachfwas in der Abtei des hl. Emmeran in Regens—
burg erziehen und wenn der im Jahre 1125 verjtorbene Ehrontit Cosmas
von Prag von der Taufe der 14 böhmischen Herzoge in Regensburg nichts
berichtet, jo ift dies nur ein nener Beweis der vielfachen Unzuverläfligfeit »
jenes Schriftjtellers des XII. Jahrhundertes, dem von Franz Palady, in
dejfen erjter und bejter Schrift, der Würdigung der alten böhmischen
Gejchichtjchreiber, eine jo herbe Zurechtweifung jowohl in Betreff defjen
was er verjchwieg, als was er fagte, zu Theil geworden ift.
Nichtsdejtoweniger foll eine Angabe eben diejes jo unzuverläjiigen
Chroniſten des XII. Jahrhundertes, der 240 Jahre nach Method jtarb,
nicht blos allgemeine Geltung verdienen, ſondern auch die Anficht bes
1) Cosmas ad a. 967.
— 252 —
ftätigen, daß Method der eigentliche Begründer des Chriftentfums in
Böhmen geweſen jet.
Sie iſt uns in zweifacher Form, jedesmal zum Jahre 894 über:
liefert. Einmal verfichert Cosmas, es fei in diefem Jahre H. Boriwoy
getauft worden (anno dominicae incarnationis 894 Boriwoy baptizatus
est primus dux (Boemorum) sanctae fidei eatholicae, was ein Cosmas
ganz gut jagen Fonnte, da ev von den Vorgängen des %. 845 abjolut
nicht3 weiß oder nichts jagen wollte. Dabei ijt ihm aber die Unannehm-
lichkeit widerfahren, das Fahr 894 anzugeben, in welchem Botiwoy nicht
mehr lebte, wodurch von felbjt die Nachricht ſich als irrig und unzuver:
läſſig darjtellt. Das hindert aber Cosmas nicht, nochmal auf die Sache
zurüdzufommen und wieder zum Jahre 894 anzugeben, Botiwoy ſei in
diefem “fahre von dem ehrwilrdigen Biſchof Method in Mähren getauft
worden. (Hostivit genuit Boriwoy qui primus dux baptizatus est a vene-
rabili Metodio episcopo in Moravia 894.) Nicht genug aljo, daß Botiwoy
damals nicht mehr lebte, auch Method, nicht Bischof, jondern Erzbiichof,
war damals und zwar feit 9 Fahren todt; ein Beweis der Leichtfertigfeit
oder Unwiſſenheit des Cosmas, die alles Maß überjteigt. Ein Todter
hätte jomit einen Todten getauft. Aber das bringt Cosmas in feine
Berlegenheit. Er köunte Näheres berichten, will es aber nicht, weil es ſchon von
Andern berichtet worden wie das Chrijtentyum in Böhmen zugenommen.
Ausdrüdlich aber jagt er, die Taufe jet gejchehen in der Zeit Kaifer Arnulfs')
und des Meährenfönigs Zwatopolf 894. Es war nun bisher das erjte
Erfordernig hiſtoriſcher Kritif, namentlich bei Angaben, die fi) nur bei
einem einzigen und fpäteren Schriftjteller vorfinden, ſich in Betreff der
Zuverläjjigfeit des Gewährsmannes, ob er Zeitgenojje war, welchen
Glauben er verdiene, ins Meine zu jegen; nicht minder die Angabe
der Zeit, des Ortes und der Perſonen zu erörtern. Nun wird Cosmas
gerade von denjenigen, welche ihm in Betreff der widerjpruchvollen Angabe
folgen zu müſſen glauben, als höchſt unzuverläffig bezeichnet und während
er jelbjt die Zeit Katjer Arnulfs und des Königs Swatopluf angab, ver-
einigen fic) die Commentatoren beinahe ſämmtlich darin, daß diejes zum J. 894
erzählte angebliche Factum, wenn überhaupt, in einem anderen Fahre
jtatt gefunden haben müſſe; Wir haben aber mindejtens 10 verjchiedene
Hypotheſen in Betreff des Jahres, wobei die Commentatoren nicht bemerkt
zu haben jchienen, wie jehr fie die Glaubwürdigfeit der Angabe felbjt unter:
graben, wenn fie die zum J. 894 und unter Kaijer Arnulf und König Swa-
1) Arnulf wurde aber erft am 27. Febr. 896 Kaifer.
— 253 —
topluk angeführte Thatſache als jo abſolut unmöglich, in ein anderes Jahr
verjegen, ſelbſt aber ſich dabei in zehn, wo nicht in mehrere Widerfprüche
verwideln. Die einfachjte Kritik würde unter diefen VBerhältniffen gar nichts
Anderes verlangen, als die drei- und vierfach irrige Angabe eines fpäten
und nachgewiefener Maßen unzuverläjfigen Schriftftellerg,
welche für ſich allein dafteht und in Betreff der Zeit und der angeführten
Perfonen von allen Forihern zugegebene handgreiflide
Irrthümer enthält, von feinem Zeitgenoſſen bejtätiget wird, einfach
als eine Fabel, als eine der vielen Unzuverläfjigfeiten des Cosmas anzu:
jehen und mit Stillfhweigen zu begraben.
Leider haben ganz unwiffenjchaftliche Motive, auf welche näher ein-
zugehen ich mich nicht berufen fühle, es gerathener erjcheinen laſſen, den
Weg der Logif und der Kritik zu verlaffen und einen anderen, höchſt
gewagten einzufchlagen, der von Hypothefe zu Hypotheje führend, mit jeder
zu neuen Phantafiegebilden anmachjend, zulegt aus dem Erzbifchofe von
Mähren und Pannonien geradezu einen Apojtel Böhmens entjtchen lie,
als ob die Doppeldiöcefe, welche der römische Stuhl ihm genau angewiefen
und die Zerwiürfniffe, die daraus entitanden, ihm nicht hinreichende Be—
Ihäftigung gegeben und feinen Wirkungskreis niht canoniſch bejchränft
hätten!
Der eigentliche Urheber dieſer hiftorischen Extravaganz, die jegt zu
einer Art von nationalem Evangelium geworden ift, ijt aber derſelbe
Gelehrte, welcher am ſchärfſten die Unzuverläfjigfeit des Cosmas hervochob.
Diejes jein eigenes wiſſenſchaftliches Verdienſt in Frage jtellend, behauptet
er nicht blos die Taufe Bokiwoys als jihere Thatjache, jondern
führt aud) aus, daß „trog dem Schweigen der ältejten Quellen
e8 nicht zu bezweifeln fer, (?) daß Methud felbit nah Böhmen
fam — um das jo glüdlich begonnene Werk der Heidenbefehrung
mit Wort und That zu fürdern. Oder follte der apojtoliihe Mann, der
den größten Theil feines Lebens in Neijen zur Verbreitung des Chrijten-
thums zubrachte, nur die furze und gefahrloje Fahrt aus Mähren nach
Böhmen gejcheut haben, um ſich des Gedeihens der von ihm jelbjt ge:
pflanzten erſten Keime des Heiles bei einem zahlreichen Bolfe zu verjichern ?! ')
Kurz vorher führte derjelbe Gelehrte an, daß jeit 845 ein großer Theil
der Zichechen und darunter einige der mächtigften Fürften des Landes das
Chrijtenthum angenommen hatten. Dieje Bekehrung fand jedoch unabhängig
von Method und jedenfalls lange vor einer feiner imaginären Fahrten nach
1) Geſch. Böhmens I, ©. 186. Bergl. Ginzel. ©. 36 n.
— 254 —
Böhmen ſtatt. Dann wird das Jahr 871 als die Epoche der Taufe
Boriwoys bezeichnet, was ganz unmöglich iſt, und hinzugefügt: Ob ver
Taufact in Böhmen oder in Mähren jtattgefunden habe — Cosmas jagt aber
ausdrüdlich in Moravia — muß unentjchieden bleiben! Offenbar war e8 die
nur anfänglich nicht klar geuug ausgedrücdte Meinung Palackys, dag Method
damals zum eriten Male und fpäter um fich zu überzeugen, ob der von
ihm in Böhmen (!) ausgeftreute Samen aufgegangen fei, zum zweiten
Male nach Böhmen kam. Da aber die Quellen für das erjte Mal fo
wenig vorhanden find als für das zweite Mal, müſſen wir eigentlich froh
jein, daß der böhmiſche Hiftoriograph nicht auch von einer dritten oder
vierten Fahrt oder gar vom bleibenden Aufenthalte Methods in Böhmen
berichtete! Das iſt jelbjt noch etwas ftärfer als die Entdedung von dem
böhmischen Gegenpapjte in den Tagen P. Innocenz IV., der aud) jo lange
gläubig zugeftimmt wurde, — in Prag, London und St. Petersburg, —
bis ich in den Mittheilungen des deutjch-hiftorischen Vereines") bewieſen,
daß der fraglihe Gegenpapft in Bosnien aufgeftellt worden war.
Wundern wir uns, wenn, nachdem der Hijtoriograph aus eigener Voll-
macht, wo die Quellen ſchweigen, angibt, was fie hätten berichten jollen,
und weil er es fo für gut hält, annimmt und berichtet, die Epigonen —
jedenfalls mit gleichem Rechte — Method zum eigentlichen Begründer des
Chriſtenthums in Böhmen erhoben ?!
Man kann, wenn alle Negeln der Kritik befeitigt werden, jehr Eigen-
thiimliches und jelbft Widerfinniges behaupten; aber man kann zulegt der
Kritif, für welche der Satz: er hat es gejagt, alfo muß es jo fein, nicht
gilt, doch nicht entgehen.
Viel vorjichtiger als der Hiftortograph Böhmens behandelte der von
Mähren die heifele Controverje, obwohl man gerade bei diefem (Abt Dudik)
eher eine Vorliebe für die unbedingte Anerkennung der von Cosmas fo
ſeltſam zujanmengeftellten Angabe erwarten ſollte. Er bezeichnet fie als
ein zwar bejtrittenes, aber noch nicht entkräftetes Factum,?) das er aber
jelbjt in jene Zeit verjegt, aus welcher, wie er früher geftand, wir über
Methods Firchlicher Thätigkeit audy nicht ein einziges bewährtes
Zeugniß befigen, ?) zwijchen 878 und 880.
„Obwohl er Kirchen und Altäre geweiht und fiir jelbe Confecrationg-
„briefe verfaßt haben mußte, dieſe Kirchen und Altäre beftiftet und beſchenkt
1) VII Heft 5. 6. Höfler, Kritiſche Wanderungen durch die böhmische Gejchichte I.
Palacky's böhmischer Gegenpapft vom Jahre 1244,
2) ©. 271.
3) ©. 227,
— 55 —
„worden fein mußten, was Donationsurfunden verjchiedeier Art zur Folge
„batte, jo bejigen wir nichts von Alle dem; jelbjt das populär
„gewordene Factum, daß Böhmens Herzog Boriwoy an Swatopluks Hofe
„(Cosmas jagt: m Moravia) durch Method getauft wurde, ſelbſt
„dieſes Factum (?) unterliegt einigen, nicht ganz zu Löfenden
„Schwierigfeiten, ja jogar das Andenken an unferen heiligen
„Apojtel war bis zum XIV. Jahrh. in Mähren und Böhmen fo
„gut wie verſchwunden.“ Er fommt dann in der Note I. ©. 230 zum
dritten Male auf diefen Gegenjtand zurück und jagt: Daß überhaupt
Botiwoy durch den HI. Method getauft wurde, ſteht wohl mit Hinficht auf
Cosmas feſt (d. h. behauptet Cosmas). „Die Hauptichwierigkeit beruht
„aber in der Feitfegung der Zeit, wann die Taufe ftattfand. Cosmas, die
„älteſte Duelle über dieſes Factum (?), nimmt das Jahr 894 an, welches
„jedoch, da damals weder Method noch Bokiwoy mehr am Leben waren,
„gewiß unrichtig iſt.“ Ich entjcheide mich, fügt der gelehrte Hiftoriograph
Mährens Hinzu — wenn überhaupt das ganze Factum zu:
gegeben werden fann, fir das Jahr 878—880. — Aber gerade in
diefen Fahren befand fi) Method theils in Rom theils in den größten
Zerwürfniſſen mit Swatopluk, an deijen Hofe angeblich — wie eine Legende
meint — gleich nach dem Eſſen, ohne Unterricht und Vorbereitung, Method
den Boriwoy — natürlich erſt 894, getauft haben fol!
Es iſt unnöthig, ein Wort mehr darüber zu verlieren. Wer noch auf
das Zeugniß des Cosmas die Taufe Bokiwoys annimmt, wird faum dem
Berdicte entgehen können, daß er dadurch auf die Berechtigung verzichte, in
jtrittigen hiftorischen Dingen, wo Kritif und Logik allein entjcheiden, gehört _
zu werden. Es ſei mir gejtattet, ehe ich fortfahre, hier einige Momente
aus der Gejchichte Negensburgs im IX. Yahrhunderte hervorzuheben.
Wenn auch das ojtfränfiiche Erzbisthum in Salzburg jeinen Sig
hatte, jo war der Mittelpunkt der politiichen Bewegung der alte agilolfin:
giſche Herrjcherfig Negensburg, nicht mehr eine herzogliche Reſidenz, ſoudern
eine königliche, „ein Mittelpunkt, wie ihn die anderen Stämme enbehrten. ")
Hier baute 8. Karls Enfel Ludwig der Deutjche eine Marienfapelle nad)
dem Muſter der Aachener; hier hielt er 861 eine Reichsverjammlung, nahm er
865 eine Reichstheilung vor. Hier erhielt jchon früher dev Slavenfürjt Pribina
jeinen farentanijchen Beſitz (BZalavar) zum freien Eigenthyum. Hier wurde
jelbjt Erzbijchof Theotmar von Salzburg 874 confecrirt. Barfuß zog 8. Ludwig
der Deutjhe mit der Proceſſion durch die Stadt zum Grabe des heiligen
1) Dümmler L ©. 21.
— 256 —
Emmeran. Frömmigkeit und Macht, antife Herrlichkeit und das Fünigliche
Anjehen der Karolinger vereinigten ſich, Regensburg zur Metropole Oft:
deutjchlands zu machen, zum Mittelpunkte aller Eriegeriichen und friedlichen
Beitrebungen, um auf die Slaven einzuwirfen. Hieher famen die zahlreichen
Geſandtſchaften ſlaviſcher Volksſtämme, die den Karolingern Contingente zu
ihren Römerzügen stellten. ?) Feierte K. Arnulf dafelbft Weihnachten, jo kamen
mit Oftfranfen, Sachen, Thüringen und Alemannen auch in großer Zahl
Slaven hin.*) Hieher wurden die Siegeszeihen aus der großen Normanen-
ichlacht an der Dyle?) 891 gebracht. Namentlich aber wuchs unter K. Arnulf
die Verehrung des hl. Emmeran, dem der König 893 feine Mettung gegen
Swatopluf zufchrieb.*) Hier erfuhr er, ſiegreich aus Italien zurücgefehrt,
den Tod diejes feines mächtigen Feindes, den Biſchof Wiching bereits ver-
lafjen hatte, um in K. Arnulfs Dienfte zu treten. Wie in den Tagen
Karls des Großen das fränkische Reich auf feinen Kaifer als den Hort
des Glaubens blickte, jchaute jegt das Neich auf den „weiſeſten Fürſten“,
den frommen PVertheidiger der Kirche, K. Arnulf, wie er auf der Synode
von Tribur 895 hieß. As Aspert Biſchof von Regensburg und Kanzler
K. Arnulfs ftarb, erlangte feinen Einfluß und feine Stellung der vertriebene
Biſchof Wiching von Neitra.d) ES ijt dadurch ein weites Yeld fir Hifto-
tische Kombinationen eröffnet. Wir befchränfen uns auf die Thatſache hin-
zuweilen, daß, als 8. Arnulf Mitte Juli 895 die Neichsverfammlung zu
Regensburg hielt, „aus Sclavania alle Herzoge der Boemannen,
welche einjt Swatopluf aus der Verbindung und der Macht des Bajoarischen
Bolfes mit Gewalt herausgeriffen, zu dem Könige famen und jich dieſem
unterwarfen."*) War, jolange die Uebermacht Swatoplufs über die tſchechiſchen
Herzoge dauerte, auch eine politische Trennung erfolgt, die kirchliche
Eintracht mit Bajuarien bejtand ficher feit 345 durch die Bekehrten
ſelbſt. Zegt, ein Jahr nach der angeblichen Taufe Botiwyos, 895 war
fie vom ganzen Volke angenommen. Das Jahr 845 hatte über die
hrijtlihde Zukunft Böhmens für immer entjdhieden.
1) 3. 2. 877 8. Rarlmann.
2) Magna parte Slavanorum. Ann. Fuld. 888.
3) 1. Nov. 891. In diefem Jahre erfolgte auch die große Feuersbrunft, die bie
Stadt in Aſche legte.
4) Speciali tu» patrono Emmerammo pro gratiarum actione contulit totum
palatii ornatum. Arnoldus de Emmeranno. Script. IV 551.
5) Dümmiler, Geh. U. S. 401.
6) Dümmler Il. ©. 411 macht biebei aufmerkſam, daß Palacky willkürlich den
Namen des zweiten böhmischen Herzogs Wityla in Wraftijlav änderte (m. 58.)
u —
Die Stellung des Biſchofs von Regensburg war unter den wech—
ſelnden Verhältniſſen immer die gleiche. Sie war eine gegebene, ob nun
ein oder alle böhmischen Herzoge nad) Regensburg zogen. Er war oſtfrän—
kiſcher Reichsbiſchof und jchloß fich als ſolcher an die Protefte des Salz:
burger Erzbisthums an, in wie ferne das Neichsrecht durch päpjtliche Ver-
fügung gekränft, die firchliche Ordnung durch eine eingedrungene verlegt fchien.
Allein nirgends findet fi ein Proteſt gegen Eingriffe Methods in feine
eigenen Didcejanrechte, während der Biſchof von Paſſau wiederholt Klage
auf Klage jtellt wegen Verlegung feiner Didcefanrechte und daß feine
Didcefe zulegt fünffach getheilt werden follte.
- Mean vergißt gänzlich, daß diefes Schweigen jehr beredt iſt. Method
hat fich in die böhmischen Didcefanverhältniffe nicht eingemifcht, er ift nicht
nah Böhmen gefommen, er hat dem Bijchofe von Regensburg in Betreff
Böhmens feinen Grund zur Klage gegeben. Nur in Betreff der Recht:
gläubigfeit des unbekannten Griechen und feines Eimdringens in Mähren-
Karentanien, in den Paſſauer und Salzburger Sprengel, jchließt er jich
an die Klagen feiner Mitbiichöfe an.
Nun haben wir aber noch eine andere und ſehr wichtige Frage zu
beantworten. Wijjen wir denn gar nichts von dem Unterrichte, den die Be-
heimer erhielten, ehe jie zur Taufe, ſei es in Negensburg, ſei es in ihrer
Heimat zugelafjen wurden? Welches war ihre Glaubens-, welches ihre
Sittenlehre? Können wir darüber Aufjchlüffe geben und weiſen dieje auf
Method Hin? Die Antwort ijt entjcheidend. Sie lautet: „alle unfere
Traditionen, ob kirchliche, ob herzogliche und jomit premyslidiſche,
weiſen auf deutſche Glaubensboten, nicht eine auf Method hin.”
Wir befigen aber im diefer Beziehung die unverwerflidhiten Zeug:
niſſe, die man freilich, wenn man es über jich bringen kann, ignoriven
mag, die aber für wahrheitliebende Leute überzeugend ſprechen. — Das
erjte ijt dem Homiliar des Brager Biichofs aus dem eilften Jahrhundert
entnommen, das ich dor einem Vierteljahrhunderte auffand und in den
Situngsberichten der kaiſ. Afadentie 1861 beſprach und das dann Dr. Hecht
in Prag mit einem Iehrreichen Commentar herausgab.‘) Die Quelle iſt
authentiih. Spricht fich der Bischof, welcher die Traditionen der
Prager Kirche und des Chriftenthums in Böhmen ſammelte und
niederjchrieb, für Method aus, jo ift jede Discufjion unnöthig
und abgethau. Spricht er fich nicht für ihn aus, übergeht er ihn mit
1) Saec. XII. ift hiebei ein lapsus calami.
Mittheilungen. 25. Sahrgang, 8. Heft. 17
— 258 —
Stillſchweigen, ſo iſt die Wucht dieſes Argumentes auch unwiderſtehlich.
Folgen wir ihm.
Das Homiliar enthält nun zwei für unſere Erörterung höchſt merk—
würdige Momente. Zuerſt die Anleitung, wie bei der Bekehrung der Tſchechen
verfahren werden ſollte; was bei der Taufe abzuſchwören, was zu glauben,
was zu üben iſt, die Glaubens- und die Sittenlehre für die Neu—
bekehrten. Es iſt das ſomit die Grundlage der Bekehrung, das Symbolum,
das im chriſilichen Bbhmen angewendet wurde und zwar nicht etwa das
der Apojtel der Slaven, ſonderu des hl. Bonifatius, des Apojtels der
Deutjchen, wie Jedermann fih aus der Homilie mit der Ueberjchrift:
ammonitio sive praedicatio S. Bonifacii episcopi de abrenuntiatione
baptismatis — der Abjagung bei der Taufe — überzeugen fanı.?)
Nicht ein Fornmlar Methods, nicht die Glaubens: oder Sitten-
lehre der Thejjalonicenfer wurde in Böhmen zu Grunde gelegt, fondern
die im oftfränfiichen Reiche angenommene Anweijung des heiligen Bo—
nifatius, darnad) wurden die Tſchechen getauft. Das zweite ijt folgendes:
Wir haben wiederholt auf die Bedeutung der Abtei St. Emmeran in
Negensburg hingewiefen. Hier it der Ort, um anzuführen, daß ftatt
Method's der im J. 652 als Märtyrer verjtorbene Biſchof Emmeran in der
Prager biſchöflichen Kicche als Batron Böhmens, als heiligfter Vater?)
und Fürſprecher, als unjer Emmeran bezeichnet und verehrt wurde.
Er war ein Zeitgenojje des Wendenfönigs Samo (des Franken) und befand
fid) eben auf der Fahrt zu den Avaren, um dieſen das Chriftenthum zu
predigen, al3 Herzog Theodo I. von Bajuarien — der Agilolfinger —
zur Befehrung der Heiden ihn in Negensburg zurüdhielt. Man Tann
freilid) verjuchen, auch die in der Prager Kirche gebrauchten Ausdrüde:
Sanctissimus pater et protector noster, praeclarus et pius praedica-
tor ete., der herrliche und Fromme VBerfündiger des Wortes Gottes, der ung
von den Irrthümern des Heidenthums wegzuführen jich gewilrdigt hat —
auch jo lange zu deuteln und zu düpfeln, bis das Entgegengejegte heraus:
fommt. — Sp lange aber nocd eine Wahrheitsliebe vorhanden ift, man
der wiljenichaftlichen Kritik nicht ganz entjagt, bleibt die Thatjache unan-
fechtbar, daß die Prager Kirche und die Prager Bischöfe den hl.
Emmeran als den Berfündiger des Chriftenthbums, als den Batron
und Protector Böhmens verehrten und nicht Method.
1) Haec est fides quae paucis verbis tenenda in symbolo novellis christianis
datur. 8. 66. »
2) ©. 50.
— 259 —
Dazu gejellt fich aber noch ein jchwermwiegendes Moment.
Das herzoglicy premyslidiſche Klofter St. Georg auf dem Hradſchin,
welches nach jeinen ältejten Aufzeichnungen den Vater des hi. Wenzel als
fundator primus canonicorum et matronarum hujus ecclesiae und Boleslam
den Frommen als zweiten Zundator anführt '), gewährt ganz überrafchende
Aufjchlüffe über diejenigen Heiligen, die von Seiten der herzoglihen Ya:
milie verehrt wurden. Da möchte man doc vor Allem vermuthen, daß in
den Calendarien, welche handichriftlich auf ung famen, in den Codices, die ſich
auf die Aebtiſſin Kunigundis, 7 1321, die Tochter Ottafars II. beziehen,
irgend eine Andeutung in Betreff Methods und Eyrills, namentlich in Betreff
der Taufe Bokivoys durch Method vorfomme. Die Hl. Ludmilla nnd ihre
translatio ift erwähnt, der hl. Wenzel, Adalbert und Profop. Erjt ganz
jpät hat eine Hand des XVI. Jahrhundertes mit unverfennbaren Zügen
diefer Zeit und einer ganz anderen Tinte Cyrill und Method hineingekickft.
Mit den unverfennbaren alten und gleichmäßigen Zigen der früheren Jahr-
hunderte finden fich aber im Calendar, ſowie in den älteren Litanien fait
alle Heiligen aufgezeichnet, die fich an dem großen Mifjionswerfe des
VII. und IX. Jahrhunderts, ja auch noch der früheren Zeit betheiligt, au
ihrer Spite S. Emeranus episcopus et martyr, Sanctus Bonifacius
und zwar Zepter einmal für fich und ein zweitesmal mit feinen won den
Frieſen erjchlagenen Gefährten. Noch mehr. Er folgt in den Litaneien,
welche durch ihre große Einfachheit ihr hohes Alter beurfunden, unmittelbar
nad den erſten Päpjten Linus, Cletus und Clemens; der hl. Emeranus
gleih nah Sixtus, Cornelius, Eyprianus und Blafius, und das ihm ge:
widmete Gebet war dasjelbe wie das zum hi. Clemens, deſſen Cultus un—
abhängig von Eyrill oder Method dajteht, und auch der fpätefte
unter den Codices S. Georgii enthält noch die ganze Oratio an ihn und die
Worte, die er fterbend geäußert.?) Es ijt merkwürdig, daß noch Niemand auf:
merfjam machte, welch eigenthümlicher Eindrud hervorgerufen wird, wenn am
Grabe der hl. Ludmilla, die auf Befehl ihrer Schwiegertochter Drahomira
ihr Leben verlor, Jahr fir Jahr und Tag für Tag der ganze Verein
deutjcher Heiliger angerufen wurde, Martin von Tours und Got-
hart von Altaich, Willibald von Eidhjjtätt, Kilian von Würzburg,
Magnus von Füßen, Corbinian von Freifing, der Biſchof und Märty-
rer Emmeran von Negensburg, Bonifatius ohnehin, Wolfgang
von Regensburg und Birmin (episcopus et confessor), der Freund und
1) Cod. Univ Prag. XII. D. und XII G. 2%0.
2) De. 5. Emerano oratio et de S. Clemente.
17°
— 260 —
Meifter Wynfriths, Willibrot der Apoftel der Frieſen, die Aebte
Othmar und Eolumban, Gangolf, deſſen Andenken in der Twr,
der ſlaviſchen Vorſtadt Bambergs (der Turſtadt), noch heutigen Tags ver—
ehrt wird, und St. Valentin, Ulrich der Biſchof von Augsburg und
St. Goar von Cöln, Rupert von Salzburg, St. Gallus und die
hl. Afra von Augsburg wie die alemanniſche Odilia und Walpur—
gis von Eichſtätt. In dem einen Codex, deſſen Anfang in das XII. Jahr—
hundert reicht, fanden ſich zu den erjten 9 Pjalmen altdeutſche Gloſſen
von zierlicher, ich möchte glauben, weiblicher Hand!)
Es find bier zwei chrijtliche Weltalter miteinander verfnüpft, das
urchriftliche apoftoliiche mit Kirchenvätern und den ältejten Ordensjtiftern
der gemeinjamen Kirche, und die germaniſch chriſtliche Welt,
die fih auf flavischem Grund und Boden wiedergefunden hat und ſich
ebenbürtig an die erjte anreiht. Da ift fein Platz für die beiden Griechen
aus Theſſalonike und wenn fie nichtsdejtoweniger hineingefchrieben wurden,
jo ift das ein aufdringlicyer Verjuch, eine ungeeignete Störung durch eine
Hand, die ſich nicht einmal die Mühe gab, die Schrift der früheren Jahr—
hunderte nachzuahmen und durch ihre dreijte Plumpheit auffällt. Alles trägt
den vollen Stempel des Steges deutjcher Bemühungen, die Tichechen dem
1) Cod. Univ. Prag. XIII. E. 14. d. siner märter öve von sinen
membr. mit Miniaturen. Saec. XIV. svnden bechöre.
Psalterium 8. Domine Deus noster
1. Beatus vir. daz dir niht gevverre an
Disen salm David tihte dinen wertlichen eren
damit er daz goth dienst rihte- noh dhein vnlivot so
2. Quare fremuerunt gentes. sprich die dri salm
Den sali sprich vber röbaere taegelichen
und vber diebe, daz si got domine deus noster in
vervvandele. te speravi.
3. Beati sunt. Confitebor tih domine
Diesen salim sprich ob dir In domino confide
iemen mit gewalte dingvt nöme, So dy dih niderlegest
4. Cum invocarem. so sprich domine quot
Disen salm sprich so diu multiplicati,
den nıvven mänen sehest. Confitebor (p. 14)
5. Verba tua Einem geweltigen manne
disen salm sprich dn selen. din wäsch heiles iü
6. Domine ne in furore eren mit disem salme.
den sprich den siechen. In domino confido (p. 20)
7. Domine Deus meus Den sprich umbe die
den sprich dinem wertlichen sele daz si got des
friont daz in got dvrh helle — wizzes vberhöre.
— 3% —
erblichen Irrthum der Abgdtterei zu entreißen. Es ift der Sieg des Kreuzes,
wie er ſich im neunten und zehnten Jahrhunderte durch die geiftigen Er-
oberungen der kurz vorher nocd als ungezähmt bezeichneten Germanen
herausjtellte, ein glorreiches Denkmal der älteren deutichen Gejchichte und
die freudigite Anerkennung EISSRUNIR, von Gejchlecht zu Geſchlecht fort:
gefegter Wirkſamkeit.
Wir müſſen, ehe wir zum Schluffe gelangen, noch einer Thatjache
gedenken.
Die Handſchriften, welche man bisher nicht zu befragen pflegte,
liefern noch einen indirecten Beweis. P. Alexander II. (1061—1073),
der Vorgänger P. Gregors VIL, unterftellte die herzogliche Collegialkirche
des Wiljehrads, auf dem Hügel an der rechten Moldaufeite, ehe fie nad)
Prag einlenft, dem Schuge des hl. Petrus, Sie wird bei diejer Gele-
genheit bezeichnet als sacrosancta ecelesia, als totius provinciae caput,
als metropolis Bohemiae, al$ omnium terrae illius civitatum quasi
mater et domina. Bon einer mit jo großen Prädicaten ausgerifteten
Kirche jollte man doch vermuthen, daß ſie Traditionen zu bewahren wußte
und welchen Nachdruck verlieh nicht ein von ihr ftammendes Zeugniß für
Methodius! Nun befigen wir unter den Eymelien der Prager Univerjitäts-
bibliothef den berühmten Wyſchehrader Coder, ein Perikopenbuch, das
von Herzog Sobiejlav um 1131 der jacrojancten Kirche, der Metropole,
gejchenft wurde und fich durch eigenthümliche Miniaturen auszeichnet, von
welchen ich aber auch eine ganz ähnliche in einem oder von St. Georg
fand. Zu den Eon: und jejttäglichen Evangelien gejellte ſich dajelbjt
auch das in nativitate S. Wenceslai zu gebrauchende und daneben von
allen Heiligen nur Einer, der Hl. Martin von Zours, Wpoftel
der Gallofranken und hochverehrt von den Karolingern. Es findet ſich auch
hier, wie in den Calendarien von St. Georg von Method feine Spur! Wohl
aber bejigt der Wiſſehrad von alten Zeiten her eine nody im Gebrauche
jtehende St. Martinsfirche. Der Weiten, wie der Oſten Deutfchlands
und nicht der Orient wiejen Böhmen feine firchlide Stellung an. „Wir
finden in den ältejten Zeiten und jo hoc, hinauf unfere Quellen veichen,
in Böhmen, in der böhmischen Kirche nur die m Deutſchland üblichen
rituellen Formen reprodueirt," wie Dr. Hecht in der Einleitung zum
Prager Homiliar unmwiverlegt nachgewiefen hat. Wie wäre diefes denkbar,
wenn Method wirklich der eigentliche Begründer des Chrijtenthums in
Böhmen gewejen wäre? Wie hätte dann fein Andenken für ein halbes
Jahrtauſend abhanden kommen können?
— 262 —
S 7. Der methodifhe Betrug.
Dem „Durchechter der Ehrijtenheit”, wie man 8. Karl IV. nannte,
da er Alles veränderte, überallhin jeine Neuerungen trug, dem großen
Sammler von Reliquien, unter denen ſich auc die Ruthe Aarons und der
Stein befanden, von dem der Verſucher verlangte, daß er in Brod umge:
wandelt werde, dem königlichen Verfaſſer von Homilien war es vorbehalten,
der Welt mitzutheilen, „daß der hl. Hieronymus die hl. Schrift aus dem
Hebräiichen in das Latein und in das Slavonijche überjeßt habe,
woraus dann das Idiom des Künigreihs Böhmen vorzugsweiſe jeinen
Urjprung genommen.” Und als er nun das Klojter Emaus für den Eultus
in der jlavischen Sprache aus Ehrerbietung für den hl. Hieronymus neu
begründete, bezeichnete er am 21. Nov. 1347 die jungfräuliche Mutter des
Herrn, Hieronymus, Cirullus, Methudius, Adalbert und Procopius
als Patrone von Böemen.) Am 15. Nov. 1350 aber gibt er noch eine
Erläuterung, da er jagt, daß das Bencdictinerffojter Emaus oder, wie er
fih ausdrückt, wonasterium sancti Jeronymi Slavorum ordinis S. Bene-
dieti nove fun ationis nostre mit dem Namen des heiligen Hieronymus
und der anderen Patrone, nämlidy Procopius, Adalbertus, Eirullus und
Methudius geziert war. ?)
Es war diejes in der vorherrjchend flavischen Periode Karls, in
welcher er nody „von der Süßigfeit und Anmuth der flaviichen Sprache?)
wie beranjcht erſcheint.“ Man möchte glauben, er habe jelbjt Eirullus
und Methudius für Slaven gehalten.
Es war wirklich ein etwas jeltfames Unternehmen, nachdem Böhmen
ein halbes Jahrtauſend nichts davon gewußt, daß Eyrill und Methud das
Ehrijtenihum dafelbjt begründet hätten und ſie die Apojtel Böhmens geweſen
jeien, mit einem Male mit diejer Kunde hervorzutreten, ein eigenes Officium
für die Feier ihres Gedächtniſſes zu veranjtalten und damit mit einem
Schlage das Andenfen an jene verdienjtvollen Männer zu befeitigen, deren
bisher unbejtrittenes VBerdienft es war, Böhmen der Nacht des Heidenthums
entrijfen zu haben. Man mußte jich daher um hiſtoriſche Beweife umfehen,
um der Zeit Har zu machen, warum man jo lange jich um die neuentdedten
Apoſtel nicht gefümmert habe, und dann blieb noch immer übrig, den
fühnen Sprung zu wagen und aus ihnen, deren Wirkfamkeit doch notoriſch
1) Belzel, Urkb. n. 83,
2) Quorum vocabulo exstitit insignitum. Pelzel, Urfb. 94.
3) Natalis linguae dulci et suavi mansuetudine heißt es im Schreiben aus
Eiſenach. 18. Fan, 1349. 1. c. n. 90.
_ 203 —
jenem Mähren zugewandt war, das fie 500 Jahre vergeffen hatte,
Apoftel der Böhmen und dann Patrone von Böhmen zu machen. War
das Erfte gelungen, jo ergab jich das Zweite von ſelbſt. Das Officium
jorgte für beives.
Durchgehen wir die hiftoriiche Auseinanderfegung, wie fie in den
8 Lectionen des Officiums vor ung liegt. Ich lege die für Sct. Georg
bejtimmte Neinjchrift zu Grunde. ?)
Man kann den Grad der Glaubwürdigkeit des Officiums, mit
welchem für weitere 500 Jahre Cyrill und Methud als Apoſtel von
Böhmen eingeführt wurden, gleich aus dem Eingange erkennen, der die
beiden Brüder, die in Salonichi wurzelten, aus dem griechiſchen Alexan—
dria abjtanımen läßt. Dies wird bereits bei der Vesper (dem Tag vor
dem Fejte) mit großem Jubel verfündet und mit diefer Unmwahrheit die
nachfolgende noch größere eingeführt. Dann wird im erjten Nocturn im
einem Athemzuge erzählt, PB. Nicolaus habe beide mit dem Körper des
hl. Clemens empfangen — es war aber Adrian II. — und habe Eyrill (der
Name Konjtantinos kommt nicht vor) auf fein Erzbisthum Verzicht gelcijtet,
was wieder nicht wahr ift, dann fer ihm fein Bruder im Erzbisthum
Welegrad, das gar nicht erijtirte, nachgefolgt und genau genommen, ſei er
ihm ſubſtituirt worden, und beeilt fich die Antiphone zu erwähnen, Method
jei vom Könige Swatopluf freundlichjt aufgenommen, Habe bei ciner
Mahlzeit den Herzog Bortiwoy mit 30 der Seinen getauft, dann gelehrt
und ihm Prieſter zur Bekehrung feines Volfes gegeben.
Daß die Taufe nicht nach einem FFejtgelage, fordern nur zu be—
jtimmten fejtlichen Zeiten ertheilt wurde, auch die Täuflinge nicht erjt
getauft und dann unterrichtet wurden, auch Methud erjt Geiitliche haben
mußte, ehe er fie abjenden konnte, und zwar doch wohl zuerjt nad) Pan—
nonien und Mähren, Böhmen auch gar nicht feinen Sprengel bildete, weiß
heutigen Tages wohl Jedermann. Der Berfafler des Officiums jegt fich
über jolche Kleinigkeiten hivweg. Böhmen muß eben die beiden Brüder
aus Alerandria zu feinen Apojteln gehabt haben. In der erjten Lection
wird nun „aus den Gejchichten jehr vieler Heiligen und verjchiedenen
Chroniken“ dargethan, daß die Brüder aus dem griechiichen Alerandrien
und aus Sclavonien nad Mähren famen als Pilger und einfache Geift-
liche, worauf fie den hHeidnifchen König Smwatopluf und das ganze
Volk tauften. Swatopluf aber jorgte nicht blos, daß in feiner Haupt:
1) Cod. membr. S. Georgii XIII. E. 4. a. Wie ich höre, enthält auch ein Wittin-
gauer Coder Saec. XIV. diefes Officium.
— 264 —
ftadt ein Erzbisthum gegründet wurde, ſondern auch ſieben Suffragane
in „Ungarn und Polen,“ Cyrill aber wurde erjter Erzbiichof und hielt
nun Meilen und Gottesdienft in felavontscher Sprache. Ob die jieben
fabelhaften Biſchöfe ihn comfecrirten oder er fie, ijt leider nicht angegeben.
Er handelt gleich einem Bapjte, wie er es für gut findet, ohne Rückſicht
auf das Kirchenrecht, bis ihn endlich, als er nach Rom gewallfahrt, der
Papſt heftig tadelt. Allein Eyrill zieht einen Pjalter heraus und recht:
fertigt ji vollfommen, bei welcher Gelegenheit man aud) erfährt, daß er
zum Unterricht des hartnädigen Volkes Ueberjegungen aus dem Griechiſchen
oder Lateinischen in das Slavoniiche veranftaltet habe. Natürlich haben
Papſt und Eardinäle nichts anderes zu thun als jeiner wetjen Auseinander—
jegung Bewunderung zu zollen (lectio II III). Man follte meinen daß
es ſich wohl von felbjt verjtand, daß er zur Bekehrung ſich der dazu noth—
wendigen Schriften bediente und zur Abhaltung ſlaviſcher Meſſen ſeine eigene
Autorität nicht hinreichte.
Die Lection V jchildert nun den frendigen Empfang des Körpers
des hl. Clemens in Rom. Eyrill reſignirt auf das Erzbisthum zu Gunſten
jeines Bruders, ftirbt in S. Elemente und wird dort begraben. Nun aber
erfolgt die Hauptjache, ein „jtaunenswürdiges Wunder.” Methud erhebt mit
Zuftimmung des Bapjtes, jedoch heimlich, den Körper feines Bruders, um
ihn nah Mähren zu bringen; aber nad) einigen Tagereifen kann er ihn
nicht mehr fortichaffen und nachdem Methud gefaftet und gebetet, um den
Willen feines Bruders zu erfahren, jo erhebt der Todte feine Rechte, zeigt
nah Rom und verlangt wieder dort begraben zu werden, worauf wieder
Papſt und Clerus entgegengehen und die Leiche in der früheren Begräbniß—
jtätte beijegen. Methud aber wird von Swatopluf feierlih empfangen
und in feine Kirche geführt, verkündet bei dem Gajtmahle den unter
dem Tiſche ſitzenden Boriwoj die nachfolgende Größe Böhmens, das alle
Havischen Könige übertreffen werde, wie es auch bis zum heutigen
Tage fi erfüllte, — ein Beweis der jpäten Abfaffung diefer Legende
— worauf der Herzog mit 30 der Seinen ſich taufen läßt und nad) Hauje
gekehrt dafür jorgt, daß jeine Gemahlin, die hl. Ludmilla, und das ganze
Volk der Böhmen getauft werden. Nicht blos daß Eyrill und Methud
die Befehrer fait des ganzen ſlaviſchen Volfes wurden, waren jie
vorzugsweije die Apostel des böhmischen und mährijchen Volkes.
Es gehört nun zum Ganzen, daß, nachdem in Nom Eyrill die Aus-
übung feiner Neuerungen zugejtanden worden, er auf feine Bitten zurück—
fehrte (lectio IV.), ji dann nad) der Meeresinjel Terjon (Eherjon) und
in die dafelbjt von Engeln erbaute Kirche begab. Dort fand er den
— 5 —
Körper des hl. Clemens und den Anker, mit welchem der Heilige in
das Meer verjenft worden war. Er nahm den Körper mit fich nad)
feiner Kirche Welegrad und blieb dort lange Zeit. Erjt da ihm
geoffenbart worden, daß Mähren zerjtört werden wide, bringt er den
Körper zu Papft Nicolaus nad) Rom, wo er dann in St. Elemente feine
Ruheſtätte fand.
Diefer Zug ift dem Offtetum ganz eigen und beweift mehr als alles
übrige die volljtändige Unglaubwirdigfeit, da er ſich an ein Factum
anlehnt, das wir auf das Genauejte kennen. Man jollte meinen, daß dieſe
folofjale Lüge einer Rückkehr von Nom nad) VBelehrad, der Neife von hier
nach der Inſel Terfon und von da wieder nach Velehrad, von Belehrad
zum zweiten Male nach Nom auch diejenigen längſt von der allgemeinen
Berlogenheit des Officiums hätte überzeugen müſſen, die das zu Hilfe
gerufene stupendum miraculum noch nicht überzeugen konnte, zu welchen
Mitteln man damals griff, um die neuen Patrone von Alerandrien md
Slavonien an die Stelle der Deutjchen, der wahren Befehrer
der Tſchechen, zu feßen. Und dennoch fand die Sache heutigen Tages
Slauben und ſah man in der erften Hälfte des XIV. Yahrhundertes
über die jo wichtige Frage der Befehrung Böhmens flarer ala — im XIX,
das zu der abenteuerlichen Darjtellung eines Unbekannten, vielleicht Kaiſer
Karls IV. ſelbſt, wahrjcheinlicher eines Welehraders, zurückkehrte. Mag
damals das Gaude Velegrad et tota gens Bohemorum de adventu istorum
praesulum Beatorum Cyrilli et Methodii, a Deo tibi concessis de Ale-
xandria progenitis aus voller Kehle ertönt haben; nur fehre jegt die Fabel
vom Erzbisthum Welehrad nicht wieder, da die Thatfache, daß Method feinen
beftimmten Sit hatte, er Erzbifhof von Mähren und PBannonien, aber
nicht von „Velegrad“ war, unwiderleglich iſt, auf dem Zeugniſſe der
Päpfte beruht. Laſſen wir damals in wunderbarjter Weife die ſlaviſchen
Völker befehrt werden, ja troß ihrer ausgejprocdyenen Hartnädigfeit im
Fluge, mit dem Handumdrehen, nad der Mahlzeit — nicht nur inter
poeula! Man hatte Eile. Weniger Eyrill und Methud, als der Verfafjer
des Officiums, der die Seinigen zur witrdigen Feier des Feſtes der Apojtel
der Böhmen auffordert, nachdem diefelbe, wie es heißt, jo lange Zeit
vernahläfjigt worden war. „Verehren wir diefe glorreichen Fürjten
(prineipes, mit der Nebenbedentung der Urheber, Anfänger, Begründer)
und unfere Patrone, Eyrill und Methud, die ſieben Suffragane
unter fich hatten, ihren Sig in Welehrad zum Heile ſchmückten und die
Upojtel und Bekehrer jenes Volkes (dev Mährer) und unjere (Apojtel
und Befehrer) waren." Dazu die oratio: piissime Deus,
— 266 —
Alſo nicht genug, daß Methud, der nachweisbar nie ſeinen Fuß nach
Böhmen ſetzte, Urheber des Chriſtenthums und Bekehrer Böhmens war,
auch Cyrill muß es geweſen ſein! Beide hatten nicht weniger als ſieben
Suffragane unter ſich — der einzige, den Methud hatte, Wiching, machte
ihm bekanntlich ſchon mehr als genug zu ſchaffen. Nicht blos Methud,
auch Cyrill hatte ſeinen Sitz in Welehrad, wie man jetzt 500 Jahre nach
ihnen herausbrachte, und ſie waren die Apoſtel von Mähren und Böh—
men; ein Gewebe von trivialen Unwährheiten, mit denen der Autor ſich
und leider auch Andere belog. |
Die Angabe von den jieben Suffraganbisthümern hat jedoch eine
komiſche Seite. Cie jcheint auf einer Verwechslung aus jener Bulle
P. Eugens 824—7 an die Suffragane des Erzbischofs Urolf von Laureacum')
zu beruhen, im welcher gejagt tt, daß es in der Zeit der Römer und
Gepiden jieben Bisthümer (septem episceporum parochiae) gegeben
habe! Unter den angeführten Suffraganen gab es aber auch einen Me—
thodius, Bilchof von Speeulum Julium. Da lag es für eine ſo kritiſch
angelegte Natur, wie der Verfaſſer des Officiums war, fehr nahe, nicht blos
aus den ſieben Kirdyen der Gepidenzeit fieben ſlaviſche Suffragane
Eyrills und Merhods zu machen, jondern auch jenen Methodius mit
dem von Thejfalonife zu verwechſeln.
Die Rolle, welche 8. Karl dem Hl. Hieronymus zuerfannte, gibt
auch einen Anhaltspunkt in Bezug auf einen anderen blühenden Unſinn,
die beiden Elavenapoftel zu Wlerandriner zu machen. Bekanntlich über:
feste Biichor Johaun von Olmüg, bis 1374 Karls Kanzler, das Leben
des Hieronymus in das Deutiche, eine Schrift, die große Verbreitung
fand,?) und in der Eyrill, Biſchof von Alerandrien, eine hervorragende
Rolle spielt. Die Briefe Auguftiis au Cyrill, Eyrills an Augujtin wurden
gleichfalls von Bischof Johann in das Deutjche überjegt. Was war na—
türlicher, als wenn von Cyrill die Rede war, an Mlerandrien zu denken!
Wenn man für das IX. Jahrhundert ein Ungarn und Polen conftruirte,
jieben gepidiſch römische Bisthümer zu Suffragane Eyrills machte, darf
man ji) nicht wundern, wenn der Anonymus Cyrill und Methud zu
Ulerandrinern jtempelte, da e8 dort einen Eyrill gegeben!
An der ganzen hiftorischen Behauptung ijt nur das Eine wahr, daß
die Feier diefer Slavenapoftel in Böhmen fo lange Zeit vernachläfjigt
1) Erben, Reg. n. 21.
2) Dr. A. Benedict hat ſich durch Herausgabe und Gommentirung des Lebens
de3 bl. Hieronymus ein großes Werdienft erworben. Bilhof Johann widmete
es der Schwägerin R. Karls, der Markgräfin Johanna von Mähren.
— 267 —
war, d. h. nicht ſtattgefunden hatte, bis der Mythus fertig geworden
war. Sie war nicht das einzige Märchen, mit welchem das erfindungs—
reiche XIV. Jahrhundert, das Novellenzeitalter, feine Zeitgenofjen beglüctte.")
Dean fieht deutlich den Grund des Irrthums; man ſchob das näher-
gelegene Böhmen ftatt Pannoniens ein und die Legende von der Taufe
Botivoys vermittelte dabei den Mebergang. Mähren erhielt zu feinem
Antheil das Erzbisthum Welehrad, Böhmen Eyrill und Method als Heiden-
befehrer, Pannonien fiel bei dem Ausgleiche durch und Regensburg nicht
minder. Die Zabel war fertig und an dankbarem Publicum fehlte es nicht.
1) Ich theile bier das Wichtigfte aus dem Offictum mit:
Officium. Ss. Cyrillo et Methudio. Ad Vesperas.
Adest dies gloriosa Pontificum beatorum Cyrilli et Methudii germanorum
de Alexandria Graeciae genitorum.
Resp. Gaude Welegrad et tota gens Bohemorum de adventu istorum
praesulum BB. C. et. M. a Deo Tibi concessis de Alexandria Graeciae
progenitis laudaque Deum in excelsis. Hymnus.
Festa celebria pandit ecclesia in vocis juhilo duleis simphoniae ve-
hitque ad regnum Christus sempiternum Cyrillum cum Methudio.
Digne fert homini duleis memoria in Christum dominum quem tune
Moravia credidit laetanter cum fide constanter haec probant luminaria.
Adsint coelicolis inclita gaudia et nostris incolis festa celebria quorum
simphoniis se pia tota societ plebs in Bohemia.
Clemens obsegiis talibus affore dignetur dominus clementi amore
in fide strenuos nos suos servulos servans per cuncta saecula.
Ad Magnificat antiphone. Quibus Papa Nicolaus cum clero et populo
Romano occurrit et corpus.St. Clementis Romam cum ipsis adduxit in-
dulgentiasque magnas omnibus adsistentibus dunavit et Deum cum omni-
bus ob adventum tanti thesauri laudavit.
Invitator. Sonora voce et mentis jubilo iubilemus altissimo in sanc-
torum C. et. M. nostrorum patronorum natalitio.
In primo nocturno antiph.
Papa Nicolaus corpus allatum S. Clementis Romam in ecclesiam intulit
dudum in honorem ipsius constructam et honorifice sepelivit. — Ibique
B. Cyrillus Archipraesulatui cedens monachum se fieri obtinuit etineodem
loco datis miraculis vitam finivit. — Cui frater suus 8. Methudius in sede
Welegrad substituitur remuneratusque a Papa multis gratiis ad sedem
praedictam remittitur. — Beatus vir Methudius de Roma remeans a Rege
Suatopluck et sua gente gratulanter suscipitur et eis laetitia magna ex
adventu suo cumulatur. — Iste Beatus ducem Bohemorum Borzovium in
quodam convivio Regis Suatopluck convertit et cum triginta suis bapti-
zavit. et de fide catholica edocuit. — Sacerdotesque eis adjunxit qui gen-
tem suam in Bohemia regnantem (degentem) ad fidem Christi eonverterent
et ad baptismi gratiam perducerent.
— 268 —
Mir ijt eine dreiftere Fälfhung der Gejchichte nicht vorgefommen.
Aber es ijt eine merfwürdige pſychologiſche Erjcheinung, daß fich nichts
rajcher verbreitet, als — eine tüchtige Unwahrheit; nichts wird leichter
geglaubt, an nichts beharrlicher feſtgehalten. Nichts bricht ſich ſchwerer Bahn,
als die Wahrheit im Kampfe mit einem inveterirten, landläufigen und lieb:
gewordenen Irrthume.
Lectio (I) Quemadmodum ex historiis plurimorum Sanctorum et ex
chronieis diversis colligitur, B. Cyrillus et Methudius fratres germani de
Alexandria Graeciae et Sclavonia venerunt ad terram Moraviae Domino
Deo concedente ad salutem gentis illius in forma peregrinorum ac sacer-
dotali gradu sine titulo insigniti. Quibus Rex Suatopluck terrae Moraviae
paganico ritui deditus cum gente sua occurrit et revereuter eos suscepit
qui tandem gratia Dei largiente ipsum cum tota gente sua ad fidem
Christi converterunt et ad baptismi gratiam perduxerunt.
Resp. Cum B. Cyrillus Papae et Cardinalibus esset delatus quod in
Sclavica lingua missas et divina officia decantaret, multum de hoe est
per eos reprehensus, Versus. Sed ille Davidicis et Apostolicis autorita-
tibus se digne excusarit.
Lectio (IL) Qui Suatopluck Rex procuravit pro augmento fidei chris-
tianum sedem Archiepiscopatus in Welegrad Ecclesia quam idem fieri
ordinaverat et ubi sedes regni sui erat, et septem episcopi suff-
raganei sub ipsa sede ordinati in Polonia et in Ungaria fuere.
Sm. quoque Cyrillam in Archipraesulem obtinuit ordinari, cui mag-
nifice B. Cyrillus praesidens multos in fide Christi roboravit et per ejus
sanctam doctrinam multorum animae ad coelum transierunt. Resp. Cujus
rationibus Papa cum collegio Cardinalium sibi assistente acquievit. Et
ut slavice in partibus suis missa et divina cantarentur approbavit. Vers.
Quodque in partibus Scelavonieis ad haec tempora observatur.
Lectio (III.) Et cum B. Cyrillus missas et divina officia sclavonice de-
cantaret et Romam causa orationis venisset, delatus fuit summo Pontifiei
et dominis Cardinalibus quod in lingua prohibita hoc faceret contra
St. patrum instituta. Propter quod vocatus fuit ad D. Papam, qui veniens
suo se conspectui praesentavit causam suae vocationis requirens. Quem
D. Papa cum indignatione magna reprehendit cur in lingua vetita missas
et divina offieia praesumeret celebrare illo humiliter satisfaciente et eos
volens mitigare arrepto psalterio versum Psalmigraphi in medio recitavit
videlicet: omnis spiritus laudet dominum et ait cur patres electi prohi-
betis missarum solemnia derantare in lingua sua sclavonica et verba
graeca seu latina transferre in Selavoniea: nam nisi hoc facerem nullo
modo pos:sem genti per me conversae subvenire quia gens durae cer-
vicis est et idiota et ignara viarum Dei. Solum hoc salutare eis reperi
Deo inspirante per quod multos illie acquisivi. Qua propter ignoscite mihi
patıes et domini mei. Resp. Omnes qui aderant sunt admirati S. Spiritus
dona tanta ei donata qui tot et tantis autoritatibus eis superesset!
Vers. Quibus per eum vieti acquievere.
— 269 —
Wir haben zum Schluffe noch einen wichtigen Punkt zu berühren.
Es wird ausdrücklich erwähnt, daß ſich Methode Schüler nach feinem
Tode überall hin (rzavraxgov) zerjtreuten — daß fie auch nad Böhmen
famen, ift unzweifelhaft — nicht minder, daß die Glagoliza — die von
Cyrill erfundene Schrift — hier geübt und zweifelsohne auch gelehrt
Lectio IV. Siquidem et B. Paulus Apostolus inquit, loqui diversis lin-
guis nolite prohibere. At illi hoc audientes admirantes tantam viri Dei
fiduciam et meritum, autoritate sua statuunt et confirmant sclavicam
linguam in precibus illis missarum solemnia ceterasque horas canonicas
decantari. — Demum 8. Cyrillus ad preces suas rediens Spiritu Sancto
edoctus ad Terssonam insulam marinam properat et mari siecato divinitus
ecclesiam dudum per angelos ibi constructam ingreditur et corpus $. Cle-
mentis Papae et martyris cum anchora invenit quod multa tempora fuerat
ibi projectum. Quod reverenter recipit et illud ad ecclesiam suam We-
legrad deportat et ibidem multo tempore retinuit. Sed in spiritu
praevidens terrae Moraviae destructionem futuram suscepto corpore 8. Cle-
mentis Romam illud de£ulit et Papae Nicolao nunciat quod tantum the-
saurum Romam deferat.
In secundo nocturno. Antiph. S. Methudius praedixit ore prophetico
duci Borzivoi, quod si fidem Christi assumeret maior ipse et sui posteri
linguae Slavicae fierent, Antiph. Quod ab illo tempore est verificatum
et usque hodie impletum quia principes et reges Bohemiae majores sunt
totius linguae Slavicae. Ant. Hoc testantur sacrae historiae et cum mul-
torum sapientia dietatae chronicae. Antiph. Qui totius quasi Slavicae
linguae ad fidem Christi conversores fuerunt Apostolique eorum mirifici
extiterunt. Ant. Praecipue tamen gentis Bohemicae et Moraviae Apostoli
fuerunt isti et ad fidem conversores Christi. Aut. Hi beatum namque Cle-
mentem Apostolicum de Crisone insula marina sustulerunt mirificum.
Lectio (V.) D. Papa cum clero et toto populo Romano cum ingenti
gaudio oceurrit et illud corpus in ecclesia S. Clementis quae ante multa
tempora fuit fabricata honorifice sepelivit. Ubi Sus. Cyrillus episcopatui
renuncians monachum se fieri obtinuit et ibi miraculis (cor) uscans in
Domino quievit et per D. Papam in eadem ecclesia tumulatur, cui fratrem
suum S. Methudium substituit in locum archipraesulatus auem multis
gratiis remunerans ad ecclesiam suam Welegrad remittit qui benedietione
Papali recepta rogat ut fraternum corpus secum posset deferre pro aug-
mento devotionis gentis Moraviae et fidei christianae per eos susceptae
confirmatione. Resp. Laetare felix Cyrille qui meruisti convertere
Regem Moraviae Suatopluck cum gente sua incredula et ad fidem Christi
perducere.
Lectio (VI) Cujus petitioni Papa voluit annuere Sanctus tamen Methu-
dius clam pro tempore stetit Romae et tandem nocturno tempore ingre-
diens ecclesiam S. Clementis corpus 8. Cyrilli oceulte recepit et secum
illud versus Moraviam deportat et cum aliquot dietas cum eo fuisset
tandem in loco amoeno cum eo requievit et cum ab illo loco illud vellet
— 270 —
wurde, wie die glagolitiichen Fragmente bezeugen, die ich auffand und
Safatif commentirte und herausgab. Wir haben im Leben des hl. Wenzel,
des Abtes Profop, um von anderen Dingen nicht zu reden, unumftößliche
deferre, nulla ope seu oratione hoc facere potuit et abinde relevare. Resp.
Gloriosos principes nostros Cyrillum cum Methudio digno honore vene-
ramur qui sub se septem praesulatus habuerunt. Et Welegra-
densis ecelesise regni Moraviae Archipraesules fuerunt. Vers.
Nam et apostoli gentis illius extiterunt.
Lectio (VIL.) Et cum orationibus vigiliis ac jejuniis S. Methudius in-
sisteret petens sibi divinitus revelari utrum vellet Moraviam vel demum
Romam deferri qui manu dextera elevata ostendit multis videntibus quod
Romam deberet reportari. Papae hoc nunciatur qui cum clero et populo
Romano ei occurrit et illo recepto ad ecclesiam S. Clementis illud defert
et honorifice in eadem in tumulo in quo prius jacuerat recondit. Resp.
Magnificemus salvatorem omnium qui meritis praesulum BB. Cyrilli et
Methudii convertit gentem Bohemorum.
Lectio (VIIL) Post haec veniente S. Methudio ad suam ecclesiam in
Welegrad Rex Suatopluck cum gente sua ei occurrit et usque ad suam
ecelesiam condueit. Qui in Christi fide subditos suos informans tandem
in quodam convivio facto per Regem Suatopluck principibus plurimis ducem
Borzivoi Bohemorum qui sub mensa Regis in detestationem suae per-
fidiae locatus in convivio fuerat convertit, praedicans ei ore prophetico,
quod si baptizaretur ipse et sui successores principes et reges majores
omnibus principibus et regibus linguae sclavicae fierent. Quod verifice est
impletum usque in hodiernum diem, cujus verbis dux Borzivoi consentiens
post refectionem petiit baptizari cum suis omnibus numero triginta qui
tune ibi secum aderant et eis baptizatis de fide Christi edoctis et sacer-
dotibus secum receptis liberis et aliis ad propria revertitur et uxorem
suam S. Ludmillam cum tota gente Bohemorum procurat baptizari, qui
in fide Christi viventes post multa tempora animas Christo reddiderunt
sancta exempla post se relinquentes suis posteris usque in hodiernum
diem ad laudem et gloriam Deo omnipotenti cui est laus et gloria per
infinita saecula saeculorum. Amen.
Resp. Studio hie consumato in sanctis virtutibus et agone terminato
coelorum agminibus fine jungit beato Sus. Praesul.
Ad: Benedictus — antiphone. Festa veneranda ad haec tempora per
nos neglecta digne solemnissimo oflicio Cyrilli et Methudii beatorumque
nostrorum Apostolorum, qui gentem Bohemorum de statu damnatorum suis
dignis operibus angelorum agminibus sociare meruerunt, quemque consor-
tenı adjungamus et nos eorum patrocinio.
Ad Maguificat. Gloriosos principes et patronos nostros digeno honore
prosequimur BB. Cyrillum et Methudium qui sub se septem suffra-
ganeos episcopos habuerunt sedemque suam salubriter ornaverunt Apo-
stolique et conversores gentis illius et nostri fuerunt. Oratio: piis-
. sime Deus. Somit nicht Method allein, jondern auch Eprill!
— 271 —
Beweiſe, daß die von Cyrill ausgegangene Bewegung an Böhmen
nicht jpurlos vorüberging. In Betreff des Maßes und des
Umfanges kann eine Controverje fein; feine, in Betreff des Glaubens,
deftomehr in Betreff der Zeit, der Perſonen und ihrer Berechtigung.
Geſetzt aber, es jei Alles irrig und unhaltbar, was wir vom Standpunfte
objectiver Kritif gegen die Taufe Botivoys durch Method und die daraus
gezogenen Folgerungen einwenden mußten; gejegt — und zwar, „troß des
Schweigens aller Quellen” — Method habe Böhmen als jeine Kirchen:
provinz wiederholt beſuchtz; gejeßt jelbit, er ſei Erzbifchof von
Mähren: Böhmen und nicht von Mähren: Pannonien gewejen, wofür
wir den Beweis dem Verfaſſer des Officiums überlaffen wollen — was
wäre das Ergebniß, das Ende von Allem diefen? Daß ſich fpätejtens
10 Jahre nach feinem Tode jämmtliche Herzoge der Böhmen dem Bifchofe
von Regensburg als ihrem Didcefan unterwarfen und dasjenige thaten,
was 845 bereit3 14 gethan hatten. Wir befigen feine Nachrichten, ob an
dem herzoglichen Hofe, wenn überhaupt diefer Ausdrud jtatthaft ift, der
ſlaviſche und nicht der lateinische Gottesdienst ftattfand. Kaum wird aber
Jemand behaupten, daß er nad) dem Jahre 895 noch fortbeitand! Iſt es
nun denkbar, doß eine jo große Ummandlung, ein jo allgemeiner Abfall
von Method jtattgefunden hätte, wenn es ihm gelungen wäre, das
tſchechiſche VoLlf zu befehren?! Ganz genau wiſſen wir aber, daß im
Scoofe der herzoglihen Familie der Streit auf Leben und Tod
nicht fowohl um den Ritus entbrannte, als vielmehr um die Frage, foll
Böhmen hriftlich werden oder heidniſch bleiben?! Deutjch und
chriſtlich waren aber damals jo viel als identiſch.
$.8. Schluß.
Wir fonnten bei dem Apojtel der Deutjchen hinweiſen, wie der geijtige
Bau, den Bonifatins aufgeführt, fich allmälig zur feften Grundlage des karo—
lingiſchen Königthums gejtaltete, wie aus dieſem jelbjt das karolingiſche Kaiſer—
thum hervorging. Im Gegenjage hiezu gehen die Beftrebungen Eyrills
und noch mehr Methods in dag excidium Moraviae über, in den Unter:
gang der mährijchen Herricher, die es nicht verjtanden, die zur Aufrichtung
eines großen ſlaviſchen Staates ihnen von Rom aus gereichte Hand zu
ergreifen. Die Traditionen des Apoſtels der Deutjchen ermiejen fich auch
in Betreff Böhmens in eigenthümlicher Weiſe wirkſam. Kirchlich an Deutjch-
land gefnüpft, blieb Böhmen in enger Verbindung mit dem Kaijerreiche, als
diefes jich unter den Sachjen erneute. Vom tributären Herzoge erhob fich
a
— 272 —
unter dem Schuge des deutjchen Königs und Kaifers der Herzog zum
Neichsvafallen, zum Könige, zum Churfürjten, zum Kaiſer, jo daß es
noh im XVII. Jahrhunderte hieß, die römische Kaijerfrone gehöre auf
die böhmijche!
Man mag auch diefe Thatſache verfennen, ignoriren, ableugnen.
Die Wahrheit iſt jedoch glücklicher Weije unabhängig von denen, die fie nicht
erfennen wollen. Die größte Strafe diejer bejteht aber darin, einem
wirfjamen Irrthume überlafjen zu bleiben und, im der eigenen Verblendung
herumtappend, die ſelbſt gejchaffene Finfterniß für Licht zu erachten.
Chrifiansthal.
Bon Dr. 8, Schlefinger.
Die wilden und rauhen Kämme des Iſergebirges bieten für menfch-
lihe Anfievlungen wenig Verlockendes. Dichte Waldungen, jumpfiger
toorboden, unwirthliches Klima hielten das an fich jchwer zugängliche
Gebirge lange menfchenleer, und durch Jahrhunderte haujten vereinjamt
im woildreichen Forjte die Jäger des großen Grundbefiges. Die durch
die Granititformation bedingte wilde Zerriſſenheit und feljige Zerflüftung
der zur Plateaubildung fich wenig neigenden Oberfläche erjchweren nod)
heute die Anlage von Verkehrswegen, denen überdies der ‚gleichjalls durd)
den geologischen Aufbau des Gebirges erklärte Wafjerreihthum hinderlic)
entgegenfteht. In Folge defjen gejtaltet ich die Abfuhr des Holzes zu
einem mühjamen Gejchäft, und finden die üppigen weiten Waldftreden in
ihrer Unzugänglichkeit natürlichen Schug gegen übermäßige Ausbeutung.
Neuejtens erſt, gefördert dur das rührige Streben des Iſer-Jeſchken—
gebirgsvereing dringen Fußwanderer in größerer Zahl auf die in der
That lohnenden Ausfichtsgipfel des Taubenhauſes, Sichhübels u. a. vor.
An die Erzählungen von den Reiſen edelfteinjuchender Venetianer von
ehedem vermag ich nicht zu glauben, in folange nicht ftichhältige Be:
weiſe dafür erbracht werden. Die jogenannten Opferjteine, von denen
einer der interefjantejten auf dem Schwarzenberge — unter dem Namen
Zeufelsjig befannt — unmeit Chriftiansthal gelegen ift, ergeben ſich als
nichts Anderes, denn als Gebilde der ewig fchaffenden und wieder zer-
jtörenden Natur,
— 273 —
Bereinzelte ältere Anfiedelungen ſlaviſchen Urfprungs laſſen fi an
den Paßübergängen des Iſergebirges nachweiſen. Die zahlreichen In—
duftrieorte am Fuße und in den Thälern desjelben aber find Zeugniſſe
deutfchen Unternehmungsgeijtes und deutscher Kraft. Glas und Tuch
waren die Loſungsworte der hieher dringenden Vorkämpfer einer höheren
Eultur, Die Triebfräfte der zahlreichen mit rrißendem Gefälle von? Ge-
birge herabftürzenden Wajlerläufe, und der Holzreihthum der mächtigen
gefchlojjenen Waldungen bildeten die natürlichen Vorbedingungen für die
mit jugendlicher Friihe emporblühenden Induſtriezweige. Der Reichen-
berger Tuchmacher und der Gablonzer Glashändler eroberten ſich all».
mälig den Weltmarft. Die Xertilinduftrie breitete fih naturgemäß im
Thalgelände aus, die Gloserzeugung aber erflomm dem billigen Holze
nachgehend an den Rinnſalen aufwärts die höchiten Kämme des Gebirges.
Erjt ald man begann, in den Glashütten aud) die Kohlenfeuerung in An:
wendung zu bringen, und die Holzpreije id) vertheuerten, zogen die Glas—
meifter allmälig wieder thalabwärts. Die alten Hütten von Friedrichs:
walde, Neumieje, die Karlshiltte am Plattneiflügchen u. a. find in Folge
defjen eingegangen; nur wenige, wie die von Neumelt, Wilhelmshöhe und
Chriftiansthal ftehen noch heute im Betrieb.
Gelegentlich eines Sommeraufenthaltes in dem freundlichen Chriftians:
thal nahm ih Einblid in handſchriftliches Materiale über die Gejchichte
der Tieblichen Anfiedelung. Auch die Unterfuchung Kleiner hiftorijcher Stoffe
vermag einen gewijjen Anreiz zu bieten bejonders durch die Beziehungen
zur lebendigen Gegenwart. Das Eleinjte Lebeweſen gewinnt an Bedeutung
in der Erforfchung feines bejtimmten Verhältnifjes zur großen organisch
gegliederten Natur. „Willft Du Dich am Ganzen erquiden — jo mußt
Du das Ganze im Kleinften erbliden." Wer die Menjchengefchichte recht
verftehen will, deſſen Auge darf nicht haften bleiben am Glanze dev Throne
oder dem Gefunfel der meteorenhaft auftauchenden Helden der Staatskunft
und des Schlachtfeldes, dejjen Blick darf ſich nicht ausjchließlih bannen
lafjen in den Meachtkreis der Herricher im Reiche des Schönen und ver
Wifjenjchaft. Auch der Hiftorifer nehme das Mikroffop zur Hand und
forſche dem Nleinjten nad); erſt dann wird er ein echtes Bild erlangen
von der Entwicdlung des jo unendlich fein und mannigfaltig gegliederten
Lebens und Webens unjeres Gejchlcchtes.
Am Fuße des Schwarzenberges (1084 Meter) im oberen Winfel
des Zujammenfluffes der großen und Kleinen Ranınig blinkt dem von Neu-
wieje fommenden Wanderer mitten aus dunklen Waldungen ein friſchgrüner
Wiejenabhang entgegen, eine Eleine, weltabgejchlojjene I die Oaſe
Mittheilungen. 25, Jahrgang. 8. Heft.
vr
—_ 274 —
von Chriftiansthal (798 Meter).") Blaue NRauchjänlen Eräufeln dem
Himmel entgegen aus dem emporragenden Schornftein der Glashütte, einer
mächtigen Baulichfeit verwidelter Art, mit An und Zubauten mannigfacher
Geftaltung — des allmälig angewachjenen Werkes eines Yahrhunderts,
geichaffen von mehreren Generationen einer und derjelben Familie. In
der geräumigen bis unter das Dad) reichenden Halle des Hauptgebäudes
flammen drei Feueröfen, aus deren „Hafen“ die leichtgefleideten Arbeiter
das flüſſige Glas entnehmen, um es in lange Stangen zu formen — das
Nohglas, das alsdann an die Schleifereien und Drudereien zur Bearbeitung
der taujenderlei Fleinen Artikel zum Verkaufe gelangt. Die ſchönſten Farben
jpiegeln fi) im dem Stangenglas, deſſen Compofition ein alter Arbeiter
— ein Empiriker im wahrften Sinne des Wortes — in feinem „Zabora>
torium“ geheimnißvoll beforgt. Nach Oſt und Weit von der Dfenhalle
greifen gleich den Armen eines Polypen lang hin fich erſtreckende hölzerne
überdachte Gänge aus, beftimmt zum Ausziehen der hohlen Stangen, aus
denen die Glasperlen im Wege der Hausinduftrie „geblajen” werden. In
einem jüdlichen Anbau poltert geräufchvoll das Pochwerf, in einem nörd—
lichen zerfleinert mit durchdringendem Gekreiſch eine Kreisſäge die auf
einem weiten Plate aufgejpeicherten maſſigen Holzvorräthe. Wieder in
anderen Vorbauten befinden fih Magazine und Borrathsfammern und
endlih die Schreibjtube, von welcher aus der erfahrene Verwalter den
Gang der Fabrication mit Umfiht und Erfolg überwacht und Soll und
Haben verbudt.
Die Hütte ift der Mittelpunkt aller Intereſſen des Heinen nur acht
Nummern zählenden zur Orts: und politijchen Gemeinde Friedrichswalde,
das über eine Stunde entfernt liegt, gehörigen Niederlaſſung. Drei Holz
häufer an der Heinen Kamnig, von denen das tiefjt gelegene ehemals
Mahl: und Sägemühle war, beherbergen die Hüttenarbeiter. Nordwärts
von der Hiitte erhebt fich das aus zwei Nummern bejtehende „Derrenhaus“,
die Schule und das gräflich Clam'ſche Förjterhaus. Freilid) eine einfache
1) Nach der Vermeffung von 1843 ergab fi daß Flähenmaß von Chriſtians—
thal mit 24 Joch 205" u. zw.
SEE 1. 0 ee ae era 18 Jod 1272 RI.
Deber Ormttb - «a see 052% 1 „ 1898.
Male. 2 2 we ea Y:.5.. 1200
Wege - «en een ne. — „ 12%4 „
Banaxreeeeeee — „ 78,
Hutweiden. — „66,
Be ee — „ 87 „
— 275 —
Topographie. Wenn der Lehrer des Ortes den Inſtructionen für Die
Methode der Heimatsfunde entjprechend von der Betrachtung des Stand-
ortes feiner Schule ausgehend gewiſſe geographijche Grundbegriffe erklären
joll, jo dürfte er manchmal in gelinde Verzweiflung gerathen — gerade
aus dem entgegengejegten Grunde wie der Lehrer der Großjtadt, von
defjen Kleinen Schülern ein vorgefegter Pädagog die Aufzeichnung des
Stadtplanes verlangte. Abgejehen von den rein topographiichen Begriffen
aber ift der Lehrer des Dörfchens noch weitaus im Vortheile gegenüber
jeinen Fachgenoſſen in der Hauptjtadt, da er vom Schulfenfter aus Berg
und Thal, Quelle und Bad, Wald und Wiefe, Moor und Haide, Regen
und Nebel, Sturm und Gewitter, Felfenfturz und Lawinen u. ſ. w. feinen
wißbegierigen Zöglingen in Natura vorführen kann.
Das „Herrenhaus," der alte Wohnfig der „Glasmeiſter“ von Ehri-
jtiansthal, ijt ein eigenthümliches Gebäude. Mit feinen vielen Eden und
Vorjprüngen und dem in der Mitte der Dachung aufligenden Thürmchen
jammt Uhr macht das im Blockwerk ausgeführte anjehnliche Holzgebäude
auf den erjten Blid den Eindrud eines Jagdſchloſſes, wie man dergleichen
öfter im Gebirge fieht. Bei näherer Betrachtung tritt allerdings der
Charakter des behäbigen bürgerlichen Kamtlienwohnhaufes hervor. Und wie
bei der Hütte macht man auch hier wieder die Wahrnehmung, daß das
Ganze nicht aus einem Guß, nicht nach einem einheitlichen Plane errichtet
worden ijt, fondern daß der jeweilige Nachfolger im Bejige vergrößerte
und erweiterte, an-, zu- und umbaute je nach Bedürfniß und Geſchmack.
Geſchmack mühjen übrigens die Bauherrn alle bejejjen haben; denn die
verjchiedenen Bejtandtheile fügen fich gut zufammen, und man merft allent-
halben das Bejtreben, das Spätere mit dem Früheren in paffender Weife
zu verbinden. Der ältere Theil ijt offenbar der nad) Südoſten gewendete
Bau. Zwiſchen diefen und der nac Weit gerichteten fpäteren Anlage liegt
im erjten Stodwerfe das Heiligthum des Haujes, eine niedliche Kapelle
mit volljtändiger Ausrüftung bis zur Orgel und dem Glodenthurm. Das
Innere des Haufes aber heimelt uns durch jeine eigene Art von Wohn-
lichfeit uud durch eine feltene Ausnügung des Naumes an. Wir fommen
ung wie in einem fehr großen Schiffe vor. Große, Feine und kleinſte
Kajüten mit jihtbarem Gebälfe an den niedrigen Deden und zahlreichen
winzigen Fenftern, Schmale Gänge, enge Treppen verknüpfen fich in ſinn—
reicher Weije vom Erdgefchoße bis unter das Dad) hinauf. Und all die
Näume und Räumchen findet man wohl eingerichtet mit älteren Möbeln
und alterthümlichem Hausgeräthe, wie ſie die Vorfahren brnügen. Ver:
blichene_Bilvder an den Wänden, darunter Familienporträts Funitvoller Art
18*
FF
— 2776 —
erinnern an ein verflojjenes Jahrhundert, und in der nicht fehlenden Heinen
Bibliothek erfreuen Dich neben uufern Claffifern die Albums, Zeitfchriften
und Lejeromane vergangener Zeiten. Der gegenwärtige Eigenthümer, der
jeit einigen Jahren thalabwärts feinen Wohnjig anfgejchlagen hat, bewahrt
in pietätsvollem Sinne das Stammhaus jeiner Vorfahren mit dem über-
fommenen Geräth und Schmud in netter Ordnung und ftäter Wohnlichkeit.
Gegenüber vom Herreuhauje und, wiewehl mit befonderer Eonfceriptiong-
nummer verjehen, eigentlich zu diefem gehörig befindet fich die fogenannte
„Pfarrei“, ein für den feiner Zeit bier ftiftungsgemäß waltenden fatho-
lichen Geijtlichen errichtetes Eleines Wohnhaus. An dasjelbe jchliegen fich
Stallungen und Schupfen an.
Die Glaserzeugung im Iſergebirge knüpft ſich jeit einem Jahrhundert
an den Unternehmungsgeijt des Geſchlechtes der Riedel, und die gegen:
wärtig in zwei Hauptlinien verzweigte Familie diejes Namens beherrjcht
mit ihren Hütten noch heute diefen Induſtriezweig. Chriftiansthal
ift die ureigenjte Schöpfung der Riedel’ichen Arbeitskraft, und die Gefchichte
diejer Heinen Anſiedelung von feiner Entjtehung bis auf den heutigen Tag
ift lediglich) ein Stüd aus der Familienchronik der Niedel felbft. ')
In das Iſergebirge famen die Riedel aus der Gegend von Böhmifch-
Zeipa, wo befanutlich feit älterer Zeit die Glasinduftrie in befonderer Blüthe
ſich entwidelt hatte. In Pablowig auf der Herrjchaft Neufchloß Tebte
um das Jahr 1700 der Glashändler Johann Chriftoph Riedel. Er
gehörte zu jener Art von Händlern, welche mit ihren ſchwer beladenen
Karren aller Herren Länder aufjuchten, um die aus der Heimat mitge-
brachten Waaren in einfacher Weife zu verjchleißen und Bejtellungen ent-
gegenzunehmen. Diefe wandernden Kaufleute führten ein bejchwerliches
1) Die nachfolgenden Daten find zum großen Theil entlehnt der Chriftiansthaler
Hauschronik: „Ehriftianstbal und feine merkwürdigen Tage nebft beigefüster
Abftammung der Familie Riedel, infoweit felbe befannt aus den Edhriften
ber Vorfahren zufanmengetragen durdy Herin Carl Fo). Niedel, Befiger der
Ölashütte in Chriftiansthal; hronologiicd geordnet von Mathias Hofjman,
erſten Schullehrer in Chriftiausthal, im Jahre 1849." — Hofman führte die
Chronif bis zum Fahre 1858 fort. Sein zweiter Nachfolger im Echulamte
Joſeph Melzer trug im dasjelbe Bud die bemerfenswertben Ereiguiſſe bis
zum Jahre 1869 ein. — Anderes handichriftliches Materiale ftellte mir in
freundlicher Weiſe Herr Leopold Riedel, der gegenwärtige Befiger von Ehri-
ftianstbal, zur Verfügung. — Denjelben Quellen entjtammen die Nachrichten
über Chriftiansthal in dem trefflihen Bude P. Joſeph Reſſels „Geſchichte
ber Kirche und Schule in Gablonz und einiger Kirchen und Schulen der Um—
gebung mit einem Auhange über das Gablonzer Armenweſen“ (Gablonz 1879).
— 77 —
abenteuervolles und mitunter vecht gefährliches Leben. Die intereffante
Autobiographie eines jolchen Slasreifenden, des Georg Franz Kreybich aus
Steinſchönau (1662—1736) habe id) feinerzeit in diefen Blättern zur Ver-
öffentlichung gebracht. Kreybich war es vergönnt, nad) vielen und weiten
Fahrten in ganz Europa feinen Lebensabend in feiner Heimat bejcdhließen
zu fönnen. ’)
Nicht jo glücklich war fein Zeit: und engerer Fachgenoffe Johann
Chriftoph Riedel. Von einer feiner Gejchäftsreifen Fehrte er nicht mehr
heim. In Polen, jo verlautete es, joll er meuchlings ermordet worden
fein. Er hinterließ drei Söhne, Johann Chriftoph, Jeremias und
Johann Karl, Erjterer ließ ich in Vlottendorf nieder, wo er am
10. Mai 1769 jtarb. Bon Yeremias haben jich Feine weiteren Nachrichten
erhalten. Der dritte am 13. Auguſt 1701, wahrjcheinlich noch in Pablo:
wig geborene Sohn Johann Karl, welcher die Glasmalerei und Ber:
goldung erlernt, und ſich im Dorfe Falfenau auf der Herrichaft Kamnig
angejiedelt hatte, wurde in feinem Dorfe als rechtichaffener, kluger und
menjchenfreundlicher Mann hoch geachtet, und die Gutsherrichaft berief ihn
am 21. Juli des Jahres 1739 zum Vertrauenspojten des Gemeinderichterg.
Seit 1723 war er mit Anna Eltfabeth (geborne Grohmann) vermählt,
und ein reicher Kinderjegen entjproß diefer Ehe. Nicht weniger als 19
Nachkommen jchenfte Fran Anna Elifabeth ihrem geliebten Ehegemahl.
Freilih war es den Eltern bejchieden, nur zwei ihrer Kinder groß zu
ziehen, die Söhne Johann Leopold, den Gründer von Ehrijtians-
thal, und den weit jüngeren Franz Anton. Der Bater Johann Karl
erreichte ein hohes Alter. Im Jahre 1753 309 er mit feiner Frau und
dem erjt 10 Jahre alten Franz Anton von Yalfenau auf die Hütte nad)
Antoniewald, die fein Sohn Yohann Leopold in Pacht genommen hatte.
Der Bater unterjtügte feinen Sohn im Gejchäfte, die Mutter ſtand bis
zum Jahre 1759, in welchem fie jtarb, dem Haushalte vor. Johann Karl
aber erlebte nocd; die Freude der Gründung von Chrijtiansthal und ver:
brachte in demjelben feine legten Lebensjahre, bis ihn der Tod am 10, No-
vember 1781 ereilte. ?)
Genannter Johann Leopold iſt die hervorragendite Gejtalt un:
jeres Heinen Gemäldes. Geboren am 22. April 1726 zu Yalfenau wurde
er frühzeitig in der Kunft des Glasmalens und Vergoldens der gelchrige
1) Mittheilungen VIII 220 flo.
2) Bon Johann Karl Riedel hat fih ein eigenhändig gefchriebenes Büchelchen
mit Recepten für Glasfarben und mit Familiennotizen erhalten.
E
— 273 —
Schüler feines Vaters. Im zwanzigften Lebensjahre nahm ihn fein Vetter,
der Glasmeijter Johann Joſef Kittel, in die altehrwürdige und berühmte
Glashütte von Falkenau als Hittenjchreiber auf. ') Als ſolcher erwarb er
ſich durch unermüdeten Fleiß und Eifer das vollite Vertrauen feines Meijters,
und als diefer im Fahre 1752 die jogenannte Zenfnerhütte in Antoniewald ?)
pacdhtete, nahm er feinen Anjtand, dem jungen Johann Leopold die Ver-
waltung und nachher den felbjtändigen Betrieb diejer Hütte zu übertragen.
Boll frendiger Hoffnungen begab ſich der junge Slasmeifter in Geſellſchaft
des erfahrenen Glasmachers Johaun Joſef Dreßler auf den Schauplag
feines neuen Wirkungskreiſes im fernen Iſergebirge. Indeß die Prüfung
des Unglüds jollte dem Anfänger nicht erjpart bleiben, und es war be:
deuſſam, daß er gleich im Beginne feiner Selbjtändigkeit den fchweren
Kampf ums Dafein feunen lernte. Höchit ungünftige Zeitverhältnijfe für
das Glasgeſchäft waren eingetreten, die Preije janfen jeden Tag, und ver
Abſatz geftaltete fich immer ſchwieriger. Ueber eine nachhaltige Capitals:
fraft verfügte Riedel nicht, und Vetter Kittel, der jelbjt bei der allgemeinen
Geſchäftsſtockung fchwer litt, vermochte nicht helfend einzugreifen, jo gerne
er es gethan hätte. Mußte doch Kittel den Betrieb in feiner eigenen Hütte
einjtellen und diefelbe gänzlich auflaſſen.“) Raſch im Hoffen und Verzweifeln,
faßt die Jugend ihre Entſchlüſſe. Niedel kämpfte. Aber an der Stätte
jeiner Hoffnungen gähnte der Abgrund des gejchäftlichen Unterganges. Da
beichloß er, um mit den Chronijten zu reden, „die Glashütte, deren Ueber:
nahme ihm jo unendlich viel Vergnügen gewährt, und ruhige, heitere,
jorgenfreie Tage verjprochen, die Hütte, in der er fo gerne verweilte, zu
verlajjen und — im Stillen davon zu gehen." Hundert Schritte von der
Hütte auf der Brüde über die Kamnig begegnete den Neijefertigen der
erwähnte Glasmacher Dreßler. Riedel vermochte nicht dem getrenen Leidens—
genojjen gegenüber feinen verzweifelten Entichluß zu verheimlichen. Da
ſprach Dreßler: „Zu voreilig haben Sie nad) meiner Meinung diejen
Ihren Entſchluß gefaßt. Wo wir feine Hilfe jehen, kann Gott noch
helfen; auf ihn vertrauen Sie, und er wird Ihnen Mittel und Wege
zeigen, durch welche es Ihnen möglich werden kann, ſich aus diejer trau—
rigen Lage zu helfen.”
1) Die ums Jahr 1530 von Paul Schürer gegründete Hütte überging 1732 in
den Bejit des Johann Kittel aus Blottendorf, des Vaters des Johann Joſeph
Kittel. (Bergl. Schebef Böhmens Glasinduftrie und Glashandel ©. 4 flg.)
2) Dieje ums Jahr 17:0 von Eliad Zenkner erbaute Hütte war durd Kauf in
den Befig des Grafen Defours gelangt.
3) Schebek, Bohmens Gtlasinduftrie und Glashandel ©. 6,
— 279 —
Des braven Glasmachers Nede verfagte ihre Wirfung nicht. Riedel
ſchöpfte wieder Hoffnung. Noch hatte er nicht an den Morchenjterner
Amtsverwalter Namens Czerny, der ihm zugethan war, gedacht. Zu
diefem eilte ev nun und fchilderte ihm aufrichtig und wahrheitsgetreu feine
troftloje Lage, „Wohlan,“ erwiderte diefer, „wenn Sie in Ihrer Ver—
wandtichaft feinen Freund haben, jo will ich Ihr Freund fein und Sie
mit dem, was ich habe, unterftügen. Ich habe hier 500 fl. müßig Liegen.
Dieje nehmen Sie von mir als ein Kleines Darlehen ohne Zinfen fo lange
an, bis Sie bei geregelter Wirthichaft im Stande fein werden, e8 mir
wieder zurücgeben zu können.” — Belebt von neuem Muthe ergriff
Riedel wiederum das Steuer feines ſchon verloren gegebenen Sciffleins,
und diesmal gelang es ihm, dasjelbe in den ficheren Hafen zu führen. Die
allgemeine Gejchäjtslage hatte ſich wejentlich gebejjert. Der Glasmeiſter
fonnte feine Schuld bei Czerny abtragen, und Schon im nächjten Jahre 1753
berief er in der Freude jeines Herzens feine Eltern und feinen Bruder
Franz Anton zu ſich in ein geordnetes und aufblühendes Geſchäft. Zu
einer nicht unbedeutenden Erweiterung jeines Unternehmens wurde der
jtrebfame Glasmeiſter veranlaßt duch die Stürme des jiebenjährigen
Krieges. Die Stadt Zittau hatte 1756 ftark gelitten, und der dortige
Slajermeifter Chrijtoph Lehnert batie Hals über Kopf zu thun, alle die
zertrümmerten ?Fenjterjcheiben in den Häufern feiner Mitbürger wieder
zu erfegen. Ex ſchloß mit der Antoniewalder Hütte bedeutende Lieferungs-
verträge ab, und Riedel erzeugte nun zum erjtenmal in der Gegend, in
welcher bis jegt nur kleine runde Scheiben fabrizirt worden waren, Fenſter—
icheiben größeren Umfanges, wie jie Lehnert bedurfte. Durch 17 Jahre
lang bis 1774 wurde der Glasbedarf Zittaus durch Niedel gededt.")
Im Jahre 1759 am 1. Juli hatte Johann Leopold den Tod feiner
Mutter zu beklagen, die feit 1753 feinem Haushalte eine treue Vorfteherin
geweien. Der verwaijte Hausjtand drängte den nunmehr dreiunddreißig-
jährigen Mann zur Berehelihung. In Anna Franziska geb. Erben fand
ex eim treu liebendes Weib und eine vortrefflihe Hauswirthin. Indeſſen
nahm das Glasgejchäft einen immer größeren Aufſchwung, und die Antonie-
walder Hütte konnte den andrängenden Aufträgen nicht mehr genügen.
Niedel pachtete daher 1761 die jogenannte Karlshütte?) und 1766 von
1) Lehnert jandte an Riedel eine aus der Beichießung Zittaus ftammende Ka:
nonenfugel, welche als Gewicht an einer feit dem Jahre 1729 in der Familie
befindlichen Uhr verwendet wird.
2) Die Karlshütte war im Jahre 1758 am Tinten Ufer des Plattneibadhes von
Anton Weber aus Kreibig erbaut worden, ſchon nad drei Jahren aber an
— 230 —
feinem Better Johann Joſef Kittel die Hütte in Neuwieſe. In drei
Hütten entfaltete nun der unternehmende Glasmeijter einen großartigen
Geſchäftsbetrieb. Er jelbjt blieb in Antoniewald, jein noch rüftiger Vater
übernahm die Verwaltung der Hütte von Neuwiefe, während dem Bruder
Franz Anton die Leitung der Karlshütte übertragen worden war. Letzterer
hatte fih mit einer Tochter des mehrgenannten Johann Joſef Kittel
(Maria Anna) vermählt, und um nun diefem feinen Bruder zur Selbit-
ftändigfeit zu verhelfen, fam Johann Leopold im Jahre 1769 für den
Kaufſchilling von 6500 fl. auf, für welchen Johann Joſef Kittel feinem
Scwiegerjohne das Gut FFriedrichswalde, zu welchem die Neumiefner
Glashütte gehörte, abtrat.?) Da nun Franz Anton nad Neuwieje über-
ftedelte, erklärte fich Vater Riedel bereit, die Zeitung der Karlshütte zu
führen. Der jo geregelte Gejchäftsbetrieb hielt bis zum Jahre 1774 an.
In eben dem genannten Jahre wurde Johann Leopold Riedel zu
bedeutungsvollen Entjchliegungen gedrängt. In einer mit der Morchen—
jterner Herrſchaft ausgebrochenen Holzitreitigkeit fonnte feine Einigung
erzielt werden. Riedel mochte und konnte aus gejchäftlichen Rückſichten nicht
auf entfernt liegende Holzichläge, die ihm das Forjtamt anwies, eingehen,
zumal jchlagbare Bejtände noch in der Nähe der Hütten vorhanden waren.
Da jowohl der Glasmeijter al8 auch der Forjtbeamte (Oberjäger Mefchayda)
ihren Standpunkt hartnädig vertraten, Fam e8 zum Bruche, und die Herr:
Ichaft Fündigte dem Induſtriellen ſowohl die Karlshütte, al8 auch die in
Antoniewald. Und mit jolhem Ungeftüm vertrat die Forjtverwaltung ihre
feindliche Haltung gegenüber der „mwäldervernichtenden" Glasinduftrie, daß
fie die Herrſchaft zur volljtändigen Auflafjung und fofortigen Niederreißung
der Karlshütte veranlaßte, von der heute nur noc geringe Ruinen
fihtbar find. Riedel, noch vor Kurzem der gebietende Fabrikant in drei
mächtig fürdernden Hütten, hatte fein Heim, feine induftriellen Werkftätten
mit einem Sclage verloren. Doc wie jchwer er auch unter der herein-
gebrochenen Kataftrophe litt, in jene hoffnungsloſe Ergebung, in welche
er 152 verfallen war, gerieth er heute nicht. Er war ein gereifter Dann
geworden, ein erfahrener Induſtrieller, er verfügte über gute Verbin:
dungen und reichlihe Mittel, den Lohn feiner raſtloſen Thätigfeit. Der
verhängnißvolle Holzitreit mit der Morchenfterner Herrichaft wies ihn auf
die Herrihaft Morchenſtern (Defours) gelangt, von welder fie Riedel in
Pacht nahnı.
1) Die Glashütte in Neumiefe wurde 1756 von Johann Fofef Kittel erbaut.
2) Als Franz Anton Riedel i. J. 1780 verftarb, gelangte die Hütte wieder an
Johann Leopold (um den Kaufpreis von 1560 fl.) zurüd.
— 3 —
den richtigen Weg. Höher hinauf ins Gebirge, wo noch Holz in Hülle
und Fülle, war die Loſung des ſcharfſichtigen und raſch handelnden Glas-
meifters. An der fteinigen Kamnig aufwärts begannen die dichten Wal-
dungen des Clam'ſchen Iſergebirges, in mitten welcher ja bereits die
Neuwieſner Hütte fröhlich dampfte. Auch für die Karlshütte hatte Riedel
ihon von der Clam'ſchen Herrihaft Holz bezogen und wohl hiedurch
die Bekanntſchaft mit dem gräflichen Wirthichaftsinfpector Wenzel Johann
Paul in NReichenberg gemacht. Dieſer bot ihm gerne die Hand zur Er-
richtung einer jelbjtändigen Hütte auf gräflich Clam’fchen Grund — denn
an Holz, meinte er, „haben wir feinen Mangel”. Demgemäß jchritt man
denn, um mit dem Chroniften zu fprechen, „im Spätherbite des Jahres
1774 unter Anrufung des Himmels um feinen Beistand zur Abhauung
des Holzes, um einen hinreichend freien Raum für den bejtimmten Ort
zu gewinnen, welcher von zwei Seiten von den beiden Kamnizen begrenzt
wird und 50° 48° 30" n. Br. und 32° 53’ 45" ö. L., 3%, Stunden
nordöftlih von Neichenberg entfernt und um 1397 parifer Fuß höher als
diejes Liegt, nämlich 2483 parijer Fuß über der Meeresfläche mit der
mittleren Barometerhöhe von 25" 3" parifer Maß, mweitliche Abweichung
16°6°, Und im Frühjahre 1775 begann Johann Leopold Riedel unter der
Regierung Ihrer Majejtät der römischen Kaiferin Maria Thereſia, unter
dem Schuge des Chrijtian Philipp, des heil. röm. Neiches Grafen von
Clam und Gallas zu Schloß Campo und Freinthurn, Heren der Herr:
Ihaften Friedland, Reichenberg, Orafenftein, Lämberg 2e., unter dem
Inſpectorat des Herrn Wenzel Paul, unter der Amtsverwaltung des Anton
Nüdert und dem Oberforjtmeifter Friedrich Kranfe auf feine Unkoſten den
Bau des Ortes, welcher nad) dem Grafen den Namen Chrijtians-
thal erhielt."
Die Bedingungen, unter welchen die Neugründung vor ſich gehen
follte, waren mit der Herrjchaft vereinbart worden, und am 1. uni 1775
ſetzten Graf Chriftian und feine Beamten einerjeits Niedel und jein
Bruder Franz Anton (als Zeuge) andererjeitS ihre Unterfchriften unter
den abgejchloffenen Vertrag — die Rocationsurfunde von Chrijtiansthal.
Der Graf verleiht dem Johann Leopold Riedel ein Stück Dominicalwald
auf der Neichenberger Herrichaft im Hinterfriedrihswalder Forjte „zwijchen
den zweien Flöſſeln Kaminz“ von ungefähr 30 Stridy oder 45 niederöft.
Metzen Ausjaat zum Noden — zur Erbauung und Einrichtung einer voll:
fommenen Glashütte ſammt den dazır gehörigen Wohnungen, Stallungen,
Schuppen und Holzplag und die erforderlie Graferei zur Erhaltung des
nothwendigen Melfviehs. Er genehmigt den vorgelegten Plan der neuen
— 232 —
Anlage, welche nach ihm den Namen Chriſtiansthal führen ſolle. Nebſt der
Hütte und dem Wohnhauſe Riedels können noch zwei Arbeiterhäuſer und
eine eingängige Mahl- und Brettmühle errichtet werden. Außer dem Mahl:
rechte werde dem Gründer auch das freie Schlachten und Baden verliehen.
Niedel verpflichtet fi) alle Baulichfeiten auf eigene Kojten berzuftellen und
zu erhalten; nur das nothwendige Bauholz (das für die Mühle ausge:
nommen) wird ihm aus den berrjchaftlichen Waldungen unentgeltlich an—
gewiefen. Ebenjo habe der Gründer die Brücke über die Kamnitz und die
der Glashütte wegen anzulegenden Holzzufuhrwege herzurichten und in
Stand zu halten, wozu ihm gleichfalls herrichaftliches Holz zur Verfügung
gejtellt wird.
Riedel erhielt feinen Beſitzſtand als Zinsgrund, über welchen die
grundobrigkeitlichen Rechte der Herrichaft vorbehalten wurden. So wurde
insbejondere beftimmt, daß der Verbrauch von Bier, Brauntwein und Salz
in Chriftiansthal nur durch das Neichenberger Wirthichaftsantt zu bededen
jei, wobei gegenüber den fiir Neuwieſe fejtgejegten Preifen noch eine Herab—
minderung eintreten jollte. *) Bezüglich der Gebäude bedang fich die Herr:
Ihaft das Vorfaufsrecht aus. An jährlichen in zwei Raten zu zahlenden
Zinſungen, für deren pünftliche Entrichtung Riedel mit jeinem Vermögen
und Baulichkeiten haftete, wurden vereinbart:
Grund» und Hüttenzins . 2. 2 nenne. 7 fl. 30 kr.
Mahle und Brettmühlzins . » .» . 2.2... x 4.0;
REHRNANB: Re | DREH
Bon zwei abjeitigen Wohnhäufeln à 22, fr. .— „4 „
Kühe im Walde auf den vom Forftamte angewiejenen Plägen zu
weiden, wurde jowohl dem Hüttenmeijter, wie dem Müller gejtattet und
zwar gegen einen jährlichen „Hütungszins“ von 30 fr. von einem Rind.
Bon Wichtigkeit waren die Beſtimmungen über den Bezug des Holzes,
des Lebenselementes der damaligen Glaserzeugung. Die günjtig gelegenen
Waldbeſtände zwijchen den beiden Kamnigen einerjeits und jene am Schwar—
zeuberg bis an die Vogelberge andererjeits, follten für je die Hälfte des
Bedarfes als Bezugsquelle dienen. Und zwar jollte der Hüttenmeijter fiir
1) Das Faß Bier für Chriftiansthal wurde um 1 fl. billiger al3 für Neumiefe
und um 2 fl. billiger als für die Landichenker vom Bräuhaus geliefert: Den
Brauntwein hatte der Brenner per Seidl um 1 fr. billiger, als er ihn jelbit
ausſchenkte, abzulaffen. Für das Faſſel Salz wurde der patentmäßige Preis
von 7 fl. 40 Er. feftgeftellt.
— 23 —
jeden „zu 3 Schoden mäßigen Scheitern gerechneten Kaften” nebſt der
Amtsaccidenz 7 Kreuzer. für das Holz aus den Kamnigbeftänden, 4 Kreuzer
aber für das vom Schwarzenberge entrichten, und für den Spalter- und
Zufuhrlohn auffonımen. Das Forftamt wurde angewiejen, einen gewiſſen
Turnus in den Holzſchlägen einzuhalten, jo daß gleich in den erſten Fahren
nicht bloß naheliegendes, ſondern auch entfernteres Gehölze zur Verwen—
dung gelange.
Ausdrüdlich aber behielt ſich die Herrſchaft vor, in allen des Hütten:
holzes wegen anzulegenden Schlägen Holzmärfte abzuhalten und das
Klöger:, Schindel-, Faß-, Siebläuft: und Zunderholz an den Meiftbietenden
zu vergeben. Dem Hittenmeijter ſoll es unbenommen bleiben, an der Ber-
ſteigerung ſich zu betheiligen. Strengen Bedingungen unterwarf ſich der
Hüttenmeifter zur” Vorbeugung jeglicher Unvegelmäßigfeit oder Unterjchleifes _
beim Holzbezug. Er mußte jich verpflichten, die doppelten Preife zu ent:
richten, wenn er vor der ämtlichen „Auszählung“ Holz abrüde, und eine
Strafe von 10 Reichsthalern erlegen, wenn er aus nicht angewiefenem und
erfauften Holz oder Abraum Zunder oder Waldajche brenne. Gar bedenf-
ih war endlich die Klauſel, vermöge welcher der Hüttenmeifter „für alle
in dortiger Gegend, jonderlich in feinem Holzichlag für das etwa entwen-
dete Gehölz gut zu ftehen und dasjelbe im doppelten Werthe den Amts-
renten ohnweigerlich zu vergüten habe”.
Noch eine Formalität hatte unſer Riedel zu vollziehen. Er mußte
fih aus der Unterthänigkeit der Böhmiſch-Kamnitzer Herrichaft Toszählen
lajjen, da Graf Ehriftian den Vertrag nur mit einem „freien ehrbaren“
Manne abjchließen mochte. )
Noch im Jahre 1775 waren die VBaulichfeiten in Chrijtiansthal fo
weit gefördert, daß Riedel, der bis dahin mit feiner Familie bei jeinem
Bruder in Neumiefe Unterkunft gefunden hatte, im Spätherbite in fen
neues Heim einzichen konnte. Gehobenen Gefühles mochte er die Schwelle
des Herrenhaufes überjchreiten, der ſelbſtgeſchaffenen wirklichen Heimat, aus
der ihn Niemand mehr verdrängen konnte. Tage unermüdlicher Arbeit
begannen. Am Tage der heiligen drei Könige wurde unter Aurufung des
himmlischen Beiftandes die erjte Glasſchmelze in der jungfräulichen Hütte
eröffnet, und am 17. Jänner 1776 konnte fich der Hüttenmetjter an dem
fertig gewordenen Erjtlingsglas von Chrijtiansthal jtolzen Herzens erfreuen.
Bald erlangte das Ehrijtiansthaler Erzeugniß einen ausgezeichneten Ruf,
1) Der diesbezügliche Losbrief wurde vom Fürften Franz Ulrich Kinsky am
28. Februar 1776 gezeichnet.
— 284 —
und Riedel ſchaltete wieder mit Rüſtigkeit im immer weiter ſich aus—
dehnenden Geſchäfte. Tage großer Aufregung und Beſorgniß überſtand die
junge Anſiedlung im Sommer des Jahres 1778. Friedrich II. von Preußen
war in Folge des baieriſchen Erbfolgeſtreites in Böhmen eingebrochen, und
ein ſtarkes preußiſches Corps beſetzte am 11. Auguſt Reichenberg. Von hier
drangen einzelne Abtheilungen der feindlichen Truppen bis auf die Höhen
des Iſergebirges vor. In Neuwieſe fand am 8. September eine ſolche
Abtheilung bewaffneten Widerſtand an öſterreichiſchen Scharfſchützen. Die
Preußen, welche die Glasmeiſter des Gebirges in Verdacht hatten, aus
eigenem Antrieb die Scharfſchützen herangezogen zu haben, erklärten, ſämmt—
liche Hütten des Gebirges in Brand jteden zu wollen. In Chriftiansthal
hatte man alle Urfache zu zittern. Riedel beherbergte überdies anfehnliche
Gäſte aus Neichenberg, die fich zu ihm vor den Preußen geflüchtet hatten,
unter ihnen die Familie des befreundeten Inſpectors Wenzel Paul. Der
Himmel hatte ein Erbarmen. Ein echtes Fergebirgsregenwetter trat ein
und verhinderte den weiteren Bormarjch der Feinde, die übrigens bald
darauf aus Böhmen abzogen.
Zu feiner Unterftügung hatte Riedel von allem Anfang an feinen
weitgereiften Vetter Johann Chriftoph Riedel, der ſchon in Antoniewald in
jeinen Dienjten ftand, nach Ehrijtiansthal als Hüttenjchreiber aufgenommen.
Diejer bewährte fi) als waderer Arbeitsgenoffe, bejonders als Johann
Leopold von jchwerer Krankheit ergriffen wurde, ') Im Jahre 1794 erlitt
1) Diefer Johann Chriftof Niedel war ein Enkel jenes Johann Chriftof aus
Pablowig, der in Polen umgelommen fein foll. Sein Pater, gleichfalls
Fohann Chriftof, war in PBlottendorf am 10. Mai 1769 verftorben. Bon
unferm Chriftiansthaler Hüttenichreiber hat ſich ein Tagebuchblatt, von eigener
Hand gefchrieben, erhalten, das wir als einen Heinen Beitrag zur Geichichte
des Lebens und der Reifen der böhmiichen Glashändler mittheilen wollen:
„Soli Dei Gloria. 1739 den 16. Juni bin ich Johannes Ehriftof Riedel
in PBlottendorf geboren und getaufet worden. 1751 den 2. December bin ich
bon Haus nad) Mayland in Italien verreiiet. 1752 den 17. Januari bin ich
in Mayland anfommen. Diejes Jahr deu 25. May bin ich in der Mayländer
Domkirchen gefirmet worden, 1756 zum Anfang des Jahres find von Ihro
päpft. Heiligkeit etwelche Feiertäge digpenfieret worden. 1756 den 24. Juni
bin ih in Genova geweſt. 1758 den 4. u. 16. May bin ich in Reggio bi
Modena gemweien. 1763 den 10. u. 24. Juni und 8. December bin ich in
Torino gemwejen. 1764 den 2. October bin ih von Mayland abgereijet.
Diefes Fahr den 17. November bin ich in Plottendorf anfommen. Diefes
Fahr den 3, December bin ich in die Antoniewalder Glashütten anfommen,
1769 den 10. May ift mein Vater geftorben und den 12, begraben worden in
Plottendorf. 1771 den 17. Mai bin ih Johann Ehriftof beichrieben (?) worden.
— 235 —
diefer nimlic einen Schlaganfall, von dem er fich nicht mehr recht erholen
fonnte. Er verjchied am 18. März 1800. Ihm im Tode vorangegangen
waren längſt jchon fein Bruder Franz Anton, der Glasmeifter von Neu:
wieje (F 1780, November 26.) und der hochbetagte Vater Johann Karl
(r 1781, November 10.).
„Es hieße die edeljte Seite im Charakter der böhmischen Glasleute
in Schatten jtellen, würde nicht ganz bejonders ihres fittlich-veligiöfen
Geiſtes gedacht werden. Was ihr frommer Sinn in den Gemeinden Srei-
big, Falkenau, Langenau, Blottendorf, Steinſchönau, Bürgjtein, Haida
u. j. w. zu kirchlichen und Wohlthätigfeitszweden gejpendet, findet fich zum
Theil jchon in verschiedenen Schriften verzeichnet.” Für die Wahrheit
diefer Worte Schebed3 ') fpricht denn auc die Chronif von Chriftiansthal.
Der wahrhaft fromme Sinn des Gründers, der ſich auch auf feine Mad):
fommen vererbte, verewigte fich in der Gründung der Chriftiansthaler
Kapelle. In der Stiftungsurfunde fagt er: „ch Leopold Riedel ... habe
in Erwägung gezogen, daß dem Menfchen nichts anderes als feine guten
Werke in jene Welt nachfolgen, und daß unter denjelben wohl feine nütz—
licheren fünnen geftiftet werden, als an welchen mehrere gottesfiirchtige
fromme Chrijten Theil haben, und zu deren Seelenheil alle Erleichterung
geichaffet werden kann." In feinem weltabgejchiedenen Heim, das befon-
ders in der langen Winterszeit faſt unzugänglich war, mochte Riedel um
jo ftärfer das Bedürfniß empfinden, zur Befriedigung des Firchlich-reli-
giöſen Sinnes feiner felbjt, feiner Familie und feiner Arbeiter an Ort
Diefes Jahr von Juni bis Juli war in Böhmen ein Strid Korn böhm.
Maß vor 16 fl., dann vor 1 fr. 4 Roth Hausbrod. 1772 im Anfang ſeind
etwelche SFeiertäg von Ihrer päpftl. Heiligkeit aufgehoben worden. 1775 den
11. Januari bin ich auf die Neuwieſer Glashütten fommen. Dieſes Jahr den
20. bi3 27. Martii haben die Bauern die Schlöſſer ansgeraubt. 1776 den
15. Januar bin ich in die Ehriftiansthaler Glashütten kommen. Diefes Jahr
den 31. Mai ift mein Bruder Anton in Plottendorf geftorben und darauf
begraben worden den 3. Juni 1776. 1779 den 23, Martit ift meine Mutter
Veronika geftorben und den 27. Martii begraben worden. 1793 den 24. De-
cember ift meine Schweiter Maria Thersfia geftorben in Friedrihswald und
den 26. December in Fohannesberg begraben worden. 1801 den 7. September
ftarb Fobann Joſef Riedel in Zübel und den 11. September in St. Peter
begraben worden. 1804 den 20. Juli ift mein fel Bruder Fofef geftorben in
DOberarnsdorf und den 22. Juli in Plottendorf begraben worden. 1804 den
13. November ift mein Bruder Franz geftorben um 11 Uhr vormittag in
Plottendorf u. den 16. November begraben worden.” Johann Chriſtof jelbft
ftarb am 17. Juli 1812,
1) Böhmens Glasinduftrie und Glashandel S. LXIII.
— 236 —
und Stelle die geeigneten Einrichtungen zu Schaffen. Schon im Sommer des
Jahres 1778 zur Zeit der Preußennoth hatte Philipp Paul, der Pfarrer
von Einfiedel (fpäter Dechant in Reichenberg und Canonifus in Leitinerig),
am 8., 9. und 10. Auguſt in Chrijtiansthal heilige Meſſen celebrirt und
hierauf vom 12. Auguft bis 20. September P. Franz Schneider Gottes-
dienst abgehalten. Nach dem Stiftsbrief vom 1. April 1780 follte auf
Riedels Wunſch ein eigener Geijtliher unterhalten und ein Kirchlein mit
einem Friedhof errichtet werden. Der Localcaplan erhielt jeine bejondere
Wohnung in der gegenüber vom Herrenhauje erbauten Pfarrei und jollte
entweder die Verköftigung beim Glasmeijter oder einen jährlichen Koſten—
beitrag von 65 fl. genießen. Ein weiterer Geldbetrag von jährlichen 78 fl.
wurde für drei in der Woche zu leſende Meſſen gefichert. Riedel erlegte
zu diefem Zwecke 2500 fl. als baares Stiftungsvermögen bei der Reichen»
berger Herrjchaft. Da aber deſſen vierpercentige Intereſſen von 100 fl.
obige Beträge nicht dedten, fo ftellte er die fehlenden jährlichen 43 fl. auf
feine Realitäten in Chrijtiansthal fiher. Durch diejelben Hypothefen do-
tirte er für die Erhaltung des Kichleins ein Capital von 50 fl. und zur
Inſtandhaltung der Kircheneinrichtung für Wein, Kerzen und dergleichen
ein Capital von 200 fl. Graf Ehriftian beftätigte als Patron die Fromme
Fundation am 24. Juni 1780, ergänzte diefelbe durd 4 Faß Bier und
8 Klafter Holz im Jahre, bejtimmte die Stolataren und verpflichtete den
Caplan auch zur Eriheilung des Schulunterrichtes gegen Entſchädigung
jeiteng der Eltern, jo lange nicht ein eigener Schulmetiter angejtellt werde.
Die Stiftung wurde von der firhlichen Behörde bejtätigt und in die
Landtafel eingetragen. ')
Zum Baue eines Kirchleins fam es nicht, wiewohl der Patron Graf
Chrijtian Clam-Gallas am 18. Auguft 1781 den Grundjtein bereits dazu
gelegt hatte. Dagegen wurde die heute noch bejtehende im Mitteltraft be-
findliche Hauscapelle eingerichtet und in derjelben bereits am 3. April 1780
von P. Anton Kreybich die Meſſe gelejen. %) Der idyllisch gelegene Fried—
hof wurde am 24. October 1780 vom Friedländer Vicär P. Joſeph
Schöpfer eingeweiht. Der Bruder (F 1780, Nov. 26.) und der Vater
(f 1781, Nov. 10.) des Stifters waren die erjten, welche auf demfelben
1) 5. leibfarbener Raufquatern der Einlagen und Fundationen A. ddo. 26, Sep—
tember 1780 sub. lit. A. 12,
2) Die würdige Ausftattung der Kapelle läßt fih die Familie Riedel bis heute
angelegen fein. Das Flügelaltar (in der Mitte die 14 Notbhelfer, auf den
Flügeln St. Wenzel und St. Veit) fam von Witlowig auf Verwenden der
Gemalin Yeopolds R., die von Witlowig ftammte, Es diente früher als
— 28397 —
ihre ewige Ruheftätte fanden. Obengenannter Kreybich, der erfte Local:
caplan von Chriftiansthal, verblieb bis zum Jahre 1784 dafelbit. Sein
Nachfolger der originelle „Hiüttenpater” P. Franz Starrey, ein Anver-
wandter der Familie Riedel, ') verjah die LZocalie von 1785 bis 1795,
war dann eine Zeit lang Pfarrer in Lufchtineß, kehrte aber 1799 auf
jeinen geliebten. Pojten nach Chriftiansthal zuriick und harrte hier bis zu
feinem Tode aus. (31. Jänner 1822.)
Johann Leopold Riedel, der Gründer von Chriftiansthal, erlebte
noch den Anbrudy des neuen Jahrhunderts. In feinem 74. Lebensjahre
aber am 18. März 1800 jegnete er das Zeitliche und bezog die freund-
liche Heimftätte des ewigen Friedens, die er fich felbit auf Iuftiger Höhe,
umjäumt von dunklen Waldesgrün, gejchaffen. Er hat in jeiner Art
Großes vollbracht und wird im der Induſtriegeſchichte unjeres Vaterlandes
immer eine ehrenvolle Erwähnung finden müſſen. Gründliche Gejchäfts-
fenntniß, wohl erwägender Unternehmungsgeift und raftlofe Thätigfeit
beförderten den einfachen Hüttenjchreiber zum vornehmften Induſtriellen
des Gebirges, auf deſſen umwirthlichen Kamme er eine blühende Oaſe
gewerblichen Fleißes ſchuf. Ein Fräftiger Familienſinn, echt religibſe
Gläubigkeit und ein warmes Herz für feine Arbeiter, wie für alle Be:
dürftigen, zierten den Menſchen. In feinem Teſtamente finden wir bie
nicht unbeträchtlichen Summen verzeichnet, die er jeinen Glasmachern vor:
geftredt hatte. Mit diejen lebte er in einer Art patriarchaliichen Ver:
hältnifjes, und ſeit feiner Zeit ftammt wohl die noch heute in Chriſtians—
thal von den Arbeitern beobachtete Sitte, den Bejiger der Glashütte mit
der vielfagenven Anfprache „Vater“ zu ehren. Nicht immer ungetrübt
war der Himmel feines Glückes geblieben. Im erjten Beginne feiner
jelbftändigen Laufbahn im Jahre 1752 jchmetterte den jugendlichen An-
fänger der völlige Zuſammenbruch des eröffneten Unternehmens in der
Zenknerhütte nieder. Er raffte ji auf, und als er mit dem Aufgebote
der vollen Kraft feines beiten Mannesalters ein ausgedehntes blühendes
Geſchäft gegründet hatte, entzog ihm plötzlich im Jahre 1774 ein tückiſches
Feldaltar offenbar einem böhmischen Regimente und war während des fieben-
jährigen Krieges in Witkowig zurüdgeblieben. Die Orgel — gebaut 1713
von Leopold Spiegel in Prag — wurde von der Bolauner Kirche übernommen,
Früher foll fie den Benedictinern am Böfig gehört haben. Das Gloden-
thürmchen mit Uhr wurde am 13, Juni 1801 errichtet,
1) Er war der Sohn des Launer Bürgers Franz Starrey. Seine Schweitern
Eliſabeth und Magdalena waren die Frauen Antons und Karl Joſefs
Riedel, der Söhne de3 Stifterd von Chriftiansthal,
— 288 —
Geſchick Werkſtätten und Heimat. Unverzagt ſchritt er an den Aufbau
ſeines eigenen Heims. Er ſollte in dieſem nicht ohne letzte und ſchwerſte
Prüfung ſeinen Lebensabend beſchließen. Im Mai des Jahres 1794
wurde er vom Schlage gerührt, blieb gelähmt und konnte ſich nicht mehr
erholen. Sechs lange ſchmerzensreiche Jahre ſah ſich der an unermüdliche
Thätigkeit gewohnte Kranke zur unfreiwilligen Ruhe verurtheilt, bis ihn
der Tod erlöſte. Seine geliebte Frau und treue Pflegerin lebte noch bis
zum Jahre 1812, in welchem fie am 10. Auguſt in ihrem 74. Lebensjahre,
wie ihr Gemahl, jtarb. |
Schon im Jahre 1795 hatte der Gründer von Chriftiansthal, als
er in Folge feiner Gebrechlichkeit ſich von den Geſchäften zurüdziehen
mußte, die Glashütte ſammt den Wohngebäuden mittelft Kaufvertrages
vom 19. Juli an feinen Sohn Karl Joſef übertragen. In feinem be-
reits im fahre 1794 ausgefertigten Teſtamente war diejes Verhältniß
vorgejehen und Chriftiansthal mit dem mäßigen Werthe von 1500 fl. be
mejjen. Seinem zweiten Sohne Anton vererbte Johann Leopold die
Neuwieſner Glashütte, welche gleichfalls mit nur 1500 fl. bewerthet
wurde, Für feine Gemahlin und die noch ledvige Tochter Johanna wurde
in reichlicher Weile geſorgt und der andern Verwandten, wie auch der
Armen, nicht vergefjen.
Durch feine Söhne Anton und Karl Joſef wurde der Gründer von
Chriftiansthal der Stifter der beiden heute noch beftehenden Linien der
Familie Ricdel, welche die Rohglaserzeugung im Iſergebirge faft aus:
ſchließlich beherrſchen. Anton (F 1821 Feber 7.) arbeitete bis 1817 in
Neuwieſe, Schloß aber ſchon 1814 einen günftigen Pachtvertrag mit Antonie—
wald ab. Einer feiner Söhne Joſef (F 1845 Nov. 3.) ift der Vater
jenes Joſef Niedel in Polaun, der ſich durch hohe Begabung und
eijernen Fleiß zum Großinduftriellen allererjten Ranges emporarbeitete
und allgemein dir „Slasfünig" des Gebirges genannt wird, Dieje Po—
launer Linie verdiente wohl im Intereſſe unferer heimifchen Induſtrie—
geihichte in einer befonderen Abhandlung eingehend beiprochen zu werden.
Der ung gejtellten Aufgabe gemäß verweilen wir bei Chriftiansthal
und der an diefen Ort fich Fnüpfenden Linie des intereffanten Gejchlechtes.
Karl Joſef Riedel d. A. hatte, wie wir erwähnten, noch bei Zebzeiten
jeines Vaters im Fahre 1795 den Befig von Chrijtiansthal angetreten
und betrieb das ererbte Geſchäft mit wechjelvollem Geſchicke nahezu ein
halbes Jahrhundert. Der allgemeine Gejchäftsuiedergang während der
Napoleonifchen Kriege übte feine unvermeidliche verderbliche Rückwirkung
auch auf das Chrijtiansthaler Unternehmen aus. Vergeblich Tämpfte
— 2839 —
Riedel gegen die hHereingebrochene jchwere Kriſis an. Ein mit Joſef
Pfeiffer in Gablonz gejchlojjener Compagnievertrag mußte bald wieder
aufgelöft werden, und betrübten Herzens jah jich der Hüttenbefiger ge:
nöthigt „falten Ofen“ zu halten. Noth und Elend zogen in Chriftiansthal
ein. Zum Arbeitsmangel gejellte fich die befannte außerordentliche Theuerung
der Lebensmittel.) Noch wie ein Glück mußte man es anfehen, daß im
Jahre 1813 zwilchen dem 20. und 28. Auguſt die plündernden „Polaken“,
welche bis Neumiefe und bis zur Plattneimihle vorgedrungen waren, den
Weg nah Chriftiansthal nicht fanden. MS auch nach den jchweren
Kriegsjahren die Geſchäftsſtockung andauerte, ſah ſich Niedel ſchon vor die
Frage der gänzlichen Auflaſſung jeiner Hütte gejtellt. Sein Neffe Franz
Riedel, der Hüttenmeifter von Neumieje, legte ich ins Meittel, und durch
jeine Verwendung gelang es, die Chriftiansthaler Hütte wieder in Betrieb
zu jegen. Förderlich hiefür zeigte jich insbejondere der von Franz Riedel
mit der Neichenberger Herrichaft am 26. September 1824 auf 12 Jahre
abgejchlofjene Holzlieferungsvertrag, dejjen günftige Bedingungen auch Karl
Joſef zu Gute famen.?) Diejer erholte ſich denn wieder zum regelmäßigen
Sejchäftsbetrieb, und mit der wiedergewonnenen Arbeit zog auch Freude
und Zufriedenheit in Chriftiansthal ein. 1826 wurde am Serrenhaufe
eine Sonnenuhr angebracht, 1828 ein Doppelbarometer erworben und
Wetterfahnen auf den Wohngebäuden aufgejegt.?) Im Fahre 1829 ließ
Carl Joſef das jchadhaft gewordene Glockenthürmchen ausbejjern und einen
neuen Knopf aufjegen, 1835 baute er die fteinerne Brücke über die Kleine
Kamnig und 1836 die Waſſerleitung in die Küche,
Die von jeinem Vater mit vielen Mühen begründete jelbjtändige
Seeljorgeftation vermochte Karl Joſef Riedel nur bis zum Jahre 1822
aufreht zu erhalten. In demſelben am 31. Jänner jtarb nämlid)
P. Franz Starrey, der Anverwandte und treue Berather der Yamilie, der
in weiten reifen geehrte und beliebte Hüttenpater von Chriftiansthal im
Alter von 66 Jahren. Diejer hatte vermöge feiner nahen Beziehungen
zur Familie Riedel und in Folge einer Verjonalzulage aus dem Religions:
1) Der Chronift merkt an, daß im %. 1805 ein Strid Korn 52 fl., ein Strid)
Weizen 44 fl. Eoftete und für einen Kreuzer 1'/, Loth Brod verkauft wurde.
Vergl. Jäger, Dorfchronif S. 308.
2) Für das weiche Holz wurde ald Preis per Klafter 1 fl. 45 kr. C. M., für
da harte 2 fl. vereinbart. Im Fahre 1836 ſchloß Karl Joſef im eigenen
Namen einen Vertrag auf 12 Fahre ab, nad welchem das weiche Holz mit
2f. 12 ir. C. M., das harte mit 2 fl. 45 fr. bewerthet wurde.
3) Diefe Arbeiten bejorgte Meifter C. G. Scheppig aus Baugen.
Mittheilungen. 85. Jahrgang, 3. Heft. 19
— 290 —
fonde trotz der durch das Finanzpatent vom Jahre 1811 geſchmälerten
Dotation der Lokalie ſein Auskommen gefunden. Für die Unterhaltung
eines Nachfolgers reichten aber die vorhandenen Mittel nicht aus, und es
wurde daher nach längeren Verhandlungen Chriſtiansthal nach Johannes—
berg eingepfarrt. Gemäß der Weiſung des bijchöflichen Confijtoriums von
Leitmerig vom 7. Augujt 1827 und der Berordnung des Guberniums
vom 17. October 1827 hatte der Pfarrer von Yohannesberg jeden Monat
einmal in Chriftiansthal den Gottesdienft jammt Predigt abzuhalten und
wochentlich einmal den Kindern Religionsunterricht zu ertheilen. Hiefür
wurde ihm der Ertrag der Stiftung Johann Leopold Niedels im Betrage
von 100 fl. W. W. und der Bezug der von der Herrichaft bewilligten
Naturalgabe von 4 Faß Bier und 6 Klafter Holz zugeſprochen.
Wegen vorgerüdten Alters übergab Karl Joſef Riedel mit Beginn
des Jahres 1838 Ehriftiansthal jeinem älteften Sohne gleichen Namens.
Er lebte noch fünf Jahre und verjchted im jeinem 76. Lebensjahre am
23. April 1843 allgemein betvauert und beweint. Sein am 8. Jänner 1838
verfaßtes und am 10. Juli 1843 publicirtes Teſtament enthält ganz ähn-
liche Beftimmnungen, wie das feines Vaters. Demgemäß hatte fein Sohn
Karl Joſef den Beligitand von Chrijtiansthal mit 3500 fl. C. M. zu
übernehmen. Im Übrigen wurde diefer mit der Witwe Magdalena und
den überlebenden Kindern als Univerjalerben eingefegt. Die hinterlajjenen
Holzvorräthe und Glasmaterialien wurden mit 11.170 fl. C. M., die aus—
jtehenden Forderungen — Glasjchulden — mit 16.000 fl. geſchätzt.
Karl Joſef Riedel d. j. (geb. 16. Juli 1803, F 22. Jänner 1375)
hatte in feiner Jugend in den Zeiten des jchlechten Gejchäftsganges der
Ehrijtiansthaler Glashütte das Uhrmacherhandwerf in Krakau erlernt
(1819-1822), war danı auf die Wanderjchaft gegangen und ftand von
1822 bis 1826 in Wien in Arbeit. Da fich inzwijchen die Verhältnijie
der Slasindujtrie günftiger gejtaltet hatten, Fehrte er im Jahre 1826 in
jene Heimat zurüd, bejchäftigte ji vom 12. Juni bis 8. September
diejes Jahres in der Glashütte feines Vetters Franz in Antoniewald, wor:
auf er in das Gejchäft jeines Vaters in Chrijtiansthal eintrat. Mit dem
Jahre 1838 übernahm er dasjelbe in eigene Verwaltung und führte es
bis an fein Lebensende mit vorzüglichen Erfolge. Voll Eifer und mit
unermüdlicher Thätigfeit leitete er den Betrieb und die Vervollkommnung
jener Hütte. Günſtige Verhältnifje unterjtügten die Bemühungen des auf:
jtrebenden Snduftriellen. Noch im Jahre 1839 vollendete er den Bau
einer Pottafchenfammer und einer Hafenjtube. 1841 wurde eine Brofen-
und Strohfammer erbaut, 1842 eine Afchenfammer errichtet und die Sand:
— 291 —
fammer hergejtellt, und 1848 ein völlig neues Pochwerk zur Ausführung
gebracht. Bom Fahre 1853 bis 1855 führte Riedel, deſſen gejchäftliche
Unternehmungen fi immer lohnender gejtalteten, eine weſentliche Ver-
größerung der Glashütte durch. Diefelbe wurde um 10 Klafter verlängert,
um Platz für die Aufjtellung eines zweiten Ofens zu gewinnen, auf welchen
am 24. Yuli 1854 das erjte Glas gearbeitet wurde. Ferner wurden zwei
17'/, Klafter lange Ziehgänge (Ausläufer), ein anjtoßendes Gebäude mit
zwei Zurichtkammern, eine Schreibftube, dann ein Neubau für 2 Thon-
fammern, einen Thongewölbe und 2 Glasvorrathsfammern errichtet. In
derjelben Zeit entjtand eine zu erwärmende Glasauslejejtube, eine Hafen-
jtube und Hafenfammer und 3 Tamperöfen, und wurden noch andere Ver-
bejjerungen in der Hütte vorgenommen. Da das 1848 erbaute Pochwerk
den Anforderungen nicht mehr entſprach, gejtaltete es 1858 Riedel voll-
jtändig um, verjah es mit 24 Eifenhämmern und ftellte zum Betriebe eine
Turbine auf. Das in der Nähe des Friedhofs gelegene Wafjerfammel-
been wurde vergrößert und mit Cement vermauert. Die mit einem Koften-
aufwand von 400 fl. bewerfitelligte Reconjtruction bewährte fich ausge:
zeichnet, jo daß von nun an ſelbſt beim kleinſten Wafjerjtande ſämmtliche
24 Hämmer in Thätigfeit verjeßt, während früher oft nur 3 oder 4 Stampfen
zur Arbeit benügt werden fonnten.
Schon zwei Jahre darauf erweiterte Riedel feinen Wirkungsfreis
durch den Pacht der Zenfnerhütte in Antoniewald, in welcher er mannig-
jaltige Baulichfeiten vornehmen mußte, che er am 27. März 1860 die
Slasbereitung beginnen Fonnte. In Ehriftiansthal ſelbſt aber jteigerte ſich
der Betrieb immer mehr, jo daß Riedel ſchon 1865 einen neuen dritten
Dfen zwijchen den beiden bereit3 bejtehenden aufftellte, auf welchem am
29. Auguft 1865 zum erftenmale gearbeitet wurde. In Folge dejjen jah
er ſich genöthigt, das Pochwerf nenerdings zu vergrößern. Da die aus
der einen Kamnig bis jegt bezogene Waflerkraft nicht ausreichte, holte
ſich Riedel von der Neichenberger Herrichaft die Bewilligung ein, aus der
großen Kamnig mitteljt eines Kunftgrabens das Waſſer zu heben, und ſchloß
bei dieſer Gelegenheit einen Vertrag über das Waflerbezugsrecht von dei
herrſchaftlichen Gründen überhaupt, auch die kleine Kamnig betreffend, ab.
(21. Dai 1865.) Im felben Jahre 1865 ließ Riedel zwijchen den zwei
weitlichen Ziehgängen einen hölzernen Sandbehälter von bedeutendem Um-
fange erbauen.
Die wichtigen Holzlieferungsverträge wurden mit der Reichenberger
Herrichaft von Zeit zu Zeit unter verhältnigmäßig günftigen Bedingungen
erneuert. 1848 wurden auf drei Jahre 1400 Klafter weiches Scheitholz,
19*
— 292 —
100 Klafter weiches und 30 Klafter hartes Abraumholz abgeſchloſſen. Als
Preiſe wurden feſtgeſetzt für die Klafter Scheitholz 3 fl., für das harte
2 fl. 30 fr. und ein Stammgeld pr. Gulden 2 fr. ausbedungen. Im Jahre
1851 wurde der Vertrag für faſt diejelbe Quantität auf 6 Jahre erneuert;
die Preife aber follten von Jahr zu Jahr feitgejtellt werden. Für das erjte
Eontractsjahr bewegten fich diefelben fir das Scheitholz zwijchen 3 fl. und
3 fl. 15 fr. je nad) der Lage des Schlages; für das Abraumholz wurden
diefelben Preife wie 1848 beibehalten und dasjelbe Stammgeld bejtimmt. Der
wieder für 6 Fahre abgejchlojfene Holzverfaufsvertrag vom Jahre 1858
jicherte Riedel den jährlichen Bezug von 1800 Klaftern weiches Scheitholz
(zwijchen 5-6 fl. pr. RL), 30 8. hartes Abraumholz (4 fl.), 420 Kl.
weiches Prügelholz (3 fl. bis 3 fl. 20 fr.) und das Stodholz von obigen
1800 Kl. (zwifchen 2 fl. 45 fr. und 3 fl. 30 fr.). Die Preife wurden
wieder nur fir das erjte Vertragsjahr bejtimmt, das Stammgeld entfiel.
Nach Ablauf diefes Vertrags erhielt Niedel auf jein Anfuchen mitteljt Be-
jcheides vom 8. December 1863 auf weitere Jahre die Zuficherung bes
Bezuges von jährlichen 3000 Kl. Holz in der Gattung, wie es die Schläge
nach Ausjcheidung des Nugholzes und die durchzuforjtenden Waldjtreden
geben zu den beftchenden Eurrentpreifen des Jahres.
Durch den Anfauf der von Jantſch erbauten Glashütte in Joſeſsthal
(1871) hatte Riedel jein Arbeitsfeld wieder auf drei Hütten ausgedehnt, und
wenn auch jchon Fränklich, juchte er in raſtloſer Arbeitsfreudigfeit zweck—
mäßige Verbejferungen im Betriebe feiner Fabrication durchzuführen. Be:
deutungsvoll zeigte fich die im Fahre 1874 vollzogene Einrichtung der
Ehriftiansthaler Hütte nad) dem Syfteme der Gasfenerung. Den im Fahre
1875/6 vollendeten Umbau der Antoniewalder und Joſefsthaler Hütten
nad) demfelben Syiteme follte ex nicht mehr erleben. In feinen 3 Hütten
erzeugte Niedel als gangbarjte Artikel Stangen» und Stängelglas aller
Farben, Prismen, Drudglas und Flagons, letztere Waaren ſeit 1871 vor:
nehmlicy in Antoniewald und Gofefsthal.
Der in erfreulicher Weije ſich mehrende Wohljtand ſetzte Riedel in
die Lage fein „Herrenhaus nad) Bedarf zu vergrößern und immer wohn—
licher einzurichten. Ein bejonderer Stall wurde an der Seite der „Pfarrei
neugebaut und daneben ein Wohnhaus für das Gefinde errichtet. Auf
allen Baulichfeiten wurden Bligableiter aufgejtellt. Ein am 7. Mat 1869
in das Herrenhaus niederfahrender Blitz blieb in Folge deſſen unſchädlich.
Bejondere Sorgfalt widmete er der Inſtandhaltung der Hauscapelle, deren
Inventar vielfache Bereicherung fand. Hübſche Gärtchen beim Herrenhaufe
wie bei der Pfarrei wurden angelegt, die nächjten Wege hergerichtet und
— 23 —
die Kamnigbrüden in beiten Stand geſetzt. Gaſtlich öffnete Riedel fein
Haus allen, die bei ihm voriprachen. In den jchönen Sommermonaten
vergingen denn auch wenige Tage, in welchen nicht im Chriſtiansthaler
Herrenhaufe Freunde und Bekannte herzliche Aufnahme und gute Herberge
fanden. Defter trafen recht vornehme Befuche ein. Die Mitglieder der
gräflich Elam’fchen Familie unterliegen es jelten, fo oft fie im Herbſte zu
Zeiten der Hochjagden nach Neuwieje kamen, einen Abftecher nach dem
freundlichen Chrijtiansthal zu unternehmen, und war e8 gerade an einem
Sonn: oder Feiertage, dem Gottesdienfte in der Hauscapelle beizumohnen.
Fürſt Camill Rohan, duch viele Jahre ein regelmäßiger Yagdgaft des
Grafen Clam, jchlug wiederholt während der Auerhahnbalz fein Nacht:
quartier in Chrijtiansthal auf. Yon den vielen geiftlichen Herren, die als
Säfte der Familie Riedel in Chriftiansthal weilten, fei der Leitmeriger
Biſchof Auguftinus Bartholomäus Hille hervorgehoben. Er traf
in Begleitung des Ranonifus Pfeiffer am 24. Juni 1851 Abend um
7 Uhr ein umd reijte am andern Tage Nachmittag wieder ab. Er wurde
auf das Feierlichjte empfangen und mit dem Aufgebot aller Kräfte be-
wirthet. Noch am 24. uni celebrirte der Bijchof in der Hauscapelle das
Veni sancte und bejuchte den Friedhof, um fiir alle VBerjtorbenen zu beten.
Am andern Morgen weihte ev ein neues Meßgewand und Pluviale, fowie
zwei neue Fahnen — Spenden der Familie Riedel — und celebrirte die
feierliche Biihofsmefje im eben geweihten Ornate. Hierauf hielt er im
Freien von einer eigens aufgeftellten Tribüne vor der verfammelten Be:
wohnerjchaft des Ortes und vielen Gäjten eine längere Erbauungsrede und
Ipendete alsdanı das Sacrament der Firmung. In unermüdlicher Thätig:
feit wohnte der wilrdige Seelenhirt noch der in der Schule vorgenommenen
öffentlichen Prüfung bei, che er fich zur Fefttafel begab. Als fich der
Biſchof verabfchiedete, fprach er: „Sch habe mich in Chriftiansthal fo recht
heimisch gefühlt."
Ein jchönes Denkmal ihres edlen menjchenfreundlichen Sinnes jegte
jih die Familie Riedel durch die Begründung der Chriftiansthaler
Schule. Friedrichswalde, wohin Chrijtiansthal gehört, war feit jeher zu
Gränzendorf eingejchult. Die Schule in diefem zwei Stunden von Ehri-
jtiansthal entfernten Drte zu befuchen, konnte der Jugend wohl faum
zugemuthet werden. Deßwegen hatten die Beſitzer von Chrijtiansthal mit
dem Johannesberger Lehrer eine Vereinbarung getroffen, nach welcher
wöchentlich zwei bis dreimal ein Schulgehilfe den Unterricht in Chriftians-
thal ertheilte. Bis zum Jahre 1833 verfah diefen mühſeligen Dienft als
„ereurrierendes Schulindividuum," um im damaligen Sprachgebrauch zu
— 294 —
veden, Anton Appelt. Seine Nachfolger werden nicht genannt. Welch’
andern als einen nur höchſt mangelhaften Erfolg konnte eine derartige
Einrichtung des Unterrichtes erzielen? Eine fromme wadre Frau, die
Witwe nah Karl Hofes Riedel d. ä Magdalena, welde bei
ihrem Sohne in Chriftiansthal bis zu ihrem Tode (29. März 1861) lebte,
faßte den hochherzigen Entjchluß, dem unhaltbaren Zujtande ein Ende zu
bereiten und eine jelbjtändige Schule zu ftiften. Sie widmete zu diejem
Behufe im Fahre 1844 ein Capital von 3000 fl. C. M., von deſſen In—
tereffen die Befoldung des Lehrers gededt werden follte. In felten klarer
Weife äußerte jih Frau Magdalena über ihre humane Abficht in dem
mit der Herrichaft aufgenommenen Protocolle betreffend die Begründung
der Schule. So fagt fie: „Die Verpflichtungen des jeweiligen Lehrers
jolfen darin beftehen, daß er durch das ganze Jahr täglich zweimal und
zwar 2 Stunden Bormittags und 2 Stunden Nachmittags Schule halte und
dabei mit Ausnahme des NReligionsunterrichtes, der ohnehin jtiftungsmäßig
wöchentlich einmal von dem Drtsjeelforger von Johannesberg, ‚wohin
Chrijtiansthal eingepfarrt it, ertheilt werden muß, alle Gegenſtände vor-
trage, welche die politische Schulverfaffung für Trivialſchulen vorfchreibt.
Jedoch wird es dem Lehrer zur bejonderen Pflicht gemacht, nicht nur mit
dem größten und gewiljenhaftejten ?Fleife vorzugehen, damit meine gute
Abjicht, das Wohl der Kinder unferer Arbeiter fräftig zu
jürdern, erreicht werde, ſondern es wird ihm auch obliegen, die vom
Johannesberger Seeljorger ertheilten Religionslehren fleißig zu wieder:
holen. Eine weitere Berpflichtung des Lehrers joll darin beftehen, einigen
Kindern, die hiezu die Fähigkeiten haben, unentgeltlihen Gejangunterricht
zu eetheilen, damit jelbe bei dem alle 4 Wochen hier in Ehriftiansthal in
unjerer geftifteten Hauscapelle abzuhaltenden Gottesdienfte ein erhebendes
Lied fingen Können, damit auf diefe Art auch zur Berherrlichung des
Gottesdienjtes das Möglichjte beigetragen werde. Uebrigens joll dem
jeweiligen Lehrer obliegen, beim Abhalten der Gottesdienjte die Orgel zu
jpielen und alles zu verrichten, was zur Bedienung des Priejters gehört,
ebenjo wird ihm obliegen, aus den Schulfnaben jtets zwei zum Minijtrieven
abzurichten." Die edle Stifterin |pricht in dem genannten Protocolle die
Hoffnung aus, daß der zufünftige Patron der Schule Graf Clam ein
Eleines Scherflein zur bejjeren Eriftenz des Lehrers durch Gewährung
eines Deputates von Holz und etwas Bier gnädig beitragen werde.
„Sollte aber”, fährt Frau Magdalena fort, „mein kindliches Vertrauen,
welches ich zu meiner gnädigen Herrichaft hege, ſich nicht vechtfertigen, fo
bleibt, da ich von meinem hriftliden Vorſatze, eine Schule für
— 295 —
Chriftiansthal zu ftiften, nicht ablafje und auf die Aus:
führung eines wahrhaft guten Werfes nicht verzichten und
das Bewußtjein, daß ih es gethan, in die Ewigfeit mit-
zunehmen gedenfe, nichts anders übrig, als noch einige Jahre mit
der wirklichen Snslebentretung diefer Schule und zwar jo lange zu warten,
bis die Zinfen obigen Stiftungscapitals jo hoch angewachjen find, daß
ein Capital erzielt werde, aus deſſen Zinſen 6 Klafter Schulbeheizungs-
holz und 2 Faß Bier jährlich für den Lehrer in Chriftiansthal gededt
werden." Ferner jpricht die Stifterin den Wunſch aus, daß in der Ehri-
jttansthaler Schule jährlich „Öffentliche Prüfungen“ der „Control“ wegen
abgehalten werden, und die Schule als unabhängige Erpofitur von Gränzen—
dorf betrachtet werden joll. „Für die Wohlthat," führt ſie fort, „welche
ich durch dieje Stiftung den Chrijtiansthaler Kindern angedeihen Lajje,
jollen jie mit ihrem jeweiligen Lehrer am 19. Juli als an meinem
Geburtstage, am 22. Juli al8 an meinem Namenstage und endlid)
an meinem Sterbetage ein jrommes Gebet fir meine Seele in der
Schule zum Himmel richten.” Die edle Frau schließt: „Sch füge
diefer meiner Erklärung nur noch die Bitte bei, diefen für mich jo
wichtigen Gegenstand foviel als möglich zu bejchleunigen, damit ich,
die ich in Jahren ſchon vorgerückt bin, vielleicht noch das Glück genießen
fünnte, dieje Anstalt in Wirkjamfeit zu jehen."
Der wadere Sohn der hochherzigen Mutter, Karl Joſ. Riedel d. j.,
blieb in Opferwilligfeit für das menjchenfreundliche Unternehmen nicht
zurück. Er ließ auf eigene Koften ein befonders zwedmäßiges Schulhaus
aufbauen, in welchem auch für die Lehrerfamilie eine geräumige Wohnung
unterbracht wurde (1846). Graf Clam übernahm das Patronat und be-
willigte den erbetenen Holzdeputat (25. uni 1847). Mit Decret vom
30. December 1847 3. 72151 genehmigte das f. böhm. Landesgubernium
die Errichtung der Schulanftalt und fprach der Stifterin „für ihre gemein:
nüßige Widmung und Förderung des Volksſchulweſens“ das Wohlgefallen
aus. Nach längeren Verhandlungen wurde im Einvernehmen mit dem
Patrone mitteljt Eonfiftorialdecretes vom 27. Juni 1848 der Althabendorfer
Hilfslehrer Mathias Hofmann zum proviſoriſchen Lehrer in Chri—
itiansthal bejtellt und am 3. Juli unter Anrufung des heiligen Geijtes
der Schulunterricht begonnen. Im Sommer darauf am 22. Mai 1849
wurde in Anweſenheit vieler Ehrengäfte und Schulfreunde durch den
Semiler Sculdiftrietsaufjeher Vicär Joachim Schauref die Schule in
jeierlicher Weiſe Firchlid) geweiht und die erjte öffentliche Prüfung mit
31 Schülern vorgenommen. Die Erfolge waren jehr befriedigend, und
— 2% —
Frau Magdalena Riedel erblicte mit innerer Rührung und Befriedigung
die erjten Früchte ihrer großmüthigen Stiftung. Der vom PBatronat und
dem Kreisamte delegirte anweſende Commiſſär Oberamtmann Uchatzky aus
Reichenberg hielt eine vortreffliche Rede, welche in die Schulchronik mit
Recht dem vollen Wortlaute nach aufgenommen wurde. Er erzählte die
Gründungsgeſchichte des kleinen Ortes, pries den Edelmuth und Wohl-
thätigkeitsſinn der Familie Riedel überhaupt und der Schulſtifterin ins—
beſondere, kennzeichnete in wahrhaft goldenen Worten die Ziele einer guten
Volksſchule und ſprach Frau Magdalena Riedel im Namen des Patronates
und Kreisamtes Dank und Anerkennung aus. Das biſchöfliche Conſiſtorium
jandte gelegentlich der Schulmweihe ein warmes Anerfennungsjchreiben an
Frau Magdalena, der „edlen Wohlthäterin”, „die fich in den Herzen der
Eltern und Kindern das ſchönſte Denkmal errichtet habe".
Die Sorge für die gejchaffene Schule blieb der Familie Riedel bis
auf den heutigen Tag ein wahres Herzensbedürfnig. Zweckmäßige Lehr-
mittel und Einrichtungsgegenjtände wurden erworben und nad Erforder-
niß erneuert, die Schon bon der Stifterin durch Anfchaffung guter Jugend—
Ichriften gegründete Bibliothef allmälig bereichert, die Schulfinder bei den
jährlich abgehaltenen Prüfungen bejchenft und das Wohlergehen des Lehrers
nad) Möglichkeit gefördert, unter andern 1863 die Dotation für den
letzteren durch Karl Joſeph Riedel d. j. erhöht. Obwohl 1865 auf Grund
der vermehrten Bezüge des Lehrers Chriftiansthal als jelbjtändige Schul:
jtation angejehen und als jolche auch vom Bezirksſchulrathe 1870 beftätigt
wurde, reihte fie der Landesſchulrath 1871 in die Kategorie der Privat:
jchulen ein. Im Jahre 1872 hatte die Zahl der Schulkinder fich jo ver:
vingert, daß man den Unterricht aufließ. Als aber im Jahre 1878 die
Zahl der Kinder wieder auf 23 angewachjen war, eröffnete der gegenwär—
tige Befiger von Chriftiansthal, Leopold Niedel, ein Enfel der Stifterin,
die Unterrichtsanftalt vom Neuen und bringt derjelben bis auf den heutigen
Tag die größte Opferwilligfeit entgegen. ")
1) Der erfte Lehrer von Chriftianstbal M. Hofmann (1848—1858) waltete
feines Amtes in treffliher Weile und erhielt wiederholt die lobende Anerfen-
nung der vorgejegten Schulbehörden. Er führte in Chriftiansthal die Lautier-
methode ein, die im Kamnitzer Vicariate nur noch in Schönlinde im Gebraud)
ftand. Der Kamnitzer Schuldiftrict3auffeher empfahl die Methode Hofmann's
allenthalben. Wer aber Gelegenheit hatte, den Schulprüfungen beizumohnen,
ſprach fid) nur lobend aus. Wir führen den Wortlaut einiger in die Schul—
chronif eingetragener Aeußerungen an. So ſchreibt Fran; Schwarz, Dom-
capitular und Gonfiftorialrath aus Leitmerig: „Mit vielem innigen Vergnügen
babe ich heute am 23. Auguft 1850 in Gelellichaft mehrerer Schulfreunde einer
— 297 —
Karl Joſeph Riedel d. j. hatte am 24. November 1840 mit Therefia,
der Tochter des Kaufmanns Joſeph Handſchke aus Steinschönau, einen
Ehebund gejchlojjen, der mit Zufriedenheit und Glüd gejegnet war. Vier
Kinder entiprofjen demjelben: Karl Joſeph (geb. 15. Auguft 1843), Emanuel
(geb. 16. Dct. 1844), Xeopold (geb. 15. März 1846) und Anna Therefia
(geb. 6. Juli 1878, + 24. Juli). Im Sommer des Jahres 1873 feierte
Riedel feinen jiebenzigften Geburtstag. Die Mahnungen des Alters und
eine bedenkliche Krankheit, in die er verfiel, hießen ihn an die Ordnung
jeiner irdischen Angelegenheit gehen. Auf feinen Wunſch traten feine drei
Söhne als öffentliche Gefellfchafter in das Geſchäft ein, und mit innerer
Beruhigung und in frommer Gottergebenheit erwartete der irdiſche Pilger
den Ruf zum friedlichen Jenſeits nad) jo langem heißen Tagwerk. Er
jtarb am 22. Jäner 1875 tief betrauert von den Seinen und von Allen,
die ihn kannten. Nach anderthalb Jahren am 22. Juli 1876 folgte ihm
jeine treue Lebensgefährtin Therefia ins Grab.
wohlgelungenen Prüfung der Schulfinder hier beigemwohnt und jchreibe in
Folge deffen aus vollem Herzen: Diejenigen find die größten Wohlthäter der
Menichheit, die für mwohleingerichtete, auf echte Religiofität gegründete Schulen
forgen — und die Namen Derjenigen, welche in ſolchen Schulen Viele in der
Gerechtigkeit unterweifen, werben glänzen wie Sterne immer und ewig.“
Joſef Horn aus Steinſchönau ſchrieb mit eigener Hand am 21. Funi 1852
in die Schulchronik: „Während meines Aufenthaltes bei Herrn Karl Riedel
bier war mir diefen Vormittag au das Vergnügen zu Theil, dem Unterrichte
in der hiefigen Schule beizuwohnen, und ich muß befennen, daß ich von dem
ihönen, guten und äußerft zwedmäßigen Vortrage, rejp. Lehrmaxim des Herrn
Lehrers, ſowie von der Aufmerkſamkeit, Lernbegierde und. wirklich bedeutend
vorgefchrittenen Kenntniß der Schüler fehr überrafcht war, ſowie mir auch die
gut einftudirten Findlichen Lieder die innigfte Freude gewährten. Mit einem
Worte, ich fand, daß dieſe Schule einer der beften moralijchen Bildungsanftalten
ift, die ich Ferne. Ehre dem Gründer, Ehre dem Lehrer.” — Sculrath J.
Mareſch, jeinerzeit einer der beften Kenner unferes heimischen Schulmejens,
infpicirte am 12. Juli 1854 die Chriftiansthaler Schule und jchrieb alsdann
ind Gedenkbuch: „Bei der am 12, Juli abgehaltenen Prüfung fand ſich ber
Gefertigte volllommen befriedigt. Die Schule ift eine gute.” — Die Nachfolger
Hofmanns find: Franz Thum (1858— 1864), Joſef Melzer (1864—1872),
Anton Preißler (jeit 1878). Auffällig bleibt, daß nur Hofmann und
Melzer die Schulchronif, die zugleich eine Chronik des Heinen Ortes ift, führten
und zwar in jehr jorgfältiger Weife. Möge doch der gegenwärtige Lehrer gleid):
fall3 zur Feder greifen. Es gibt jelbft in der Meinften Anfiedlung täglich
etwas relativ Bemerkenswerthes zu notiren; gut geführte Nachrichten über
Witterungsverhältniffe und Naturerfheinungen auf der Höhe des Iſergebirges
böten überdies ein allgemeineres JIntereſſe.
— 28 —
Die Söhne Karl Joſephs Riedel trennten nach dem Ableben ihres
Vaters die Gefellfchaftsfirma in der Weiſe, daß Karl und Emanuel zus
fammen das Geihäft von Antoniewald und Joſephsthal fortführten,
während Leopold die Hütte von Chriftiansthal übernahm. Der unver:
heiratet gebliebene Bruder Emanuel jtarb jchon am 20. December 1879.
Karl hatte jih im Fahre 1869 mit Marie Horn und Leopold im felben
Jahre mit Augufte Herzig vermählt. Diefe beiden Familien vepräfentiven
nunmehr die Chriftiansthaler Linie der Riedel. Leopold ift Inhaber des
Stammfiges. Wenn er aud im Jahre 1882 von Chriftiansthal nad)
Reinowig überfiedelte, wo er. die angefaufte Bleiche in eine Glashütte
ummwandelte, jo ließ er das Chrijtiansthaler Gejchäft doch nicht eingehen.
Diejes blüht unter feiner Zeitung noch immer, und body in Ehren hält
Leopold Riedel das von feinen Altvordern übernommene Erbe von Ehri-
ftiansthal. Das im wohnlichen Zuftand erhaltene Herrenhaus öffnet noch
immer allen Berwandten, Freunden und Bekannten der Familie die gajt-
lichen Pforten. Die jest häufiger als früher zum Taubenhaus, Teufelsſitz
oder Sichhübel auffteigenden Wanderer halten beim gefälligen Verwalter
Nuhe und Raft. Originelle Gäſte aber rücen feit zwei Jahren regelmäßig
auf einen Sommermonat ins Herrenhaus ein, deutſche Feriencoloniften aus
Prag, die fich in der frifchen Berges- und Waldluft fichtlich erholen und
der Tiebevollen, opferwilligen Fürjorge Riedels immer dankbar gedenken
werden. Die Capelle im Herrenhaufe wurde 1880 umgebaut und voll-
jtändig neu ausgeftattet, und alle vier Wochen wird, wie ehedem, der Gottes-
dienst in derjelben abgehalten. Auch der Schule wendet Riedel feine un—
ausgejegte Sorgfalt zu, er hält die Urbeiterhäufer in Stand, ſowie er
denn jeden Baum auf feinem Befigftand als ein theueres Vermächtniß der
Vorfahren zu bewahren jucht.
Möge es wachfen, blühen und gedeihen für alle Zukunft das liebliche
Ehriftiansthal.
— — — —
Das Anſinglied in Deutſchböhmen.
Bon Dr. Michael Urban.
Das ganze Jahr hindurch freute fich ehedem ſchon Jung und Alt
auf das Chriſt- und Dreikönigs-Singen und, reich bejchenkt, zogen die
Darftelfer von Haus zu Haus, begleitet von einem Schwarm Kinder, die
an der Herrlichkeit ſich nicht fatt jehen konnten. Seit einigen Jahren iſt
— 29 —
nun diefer Theil der Volfspoefie im Niedergang begriffen u. zw. haupt:
jächlich durch das Verbot von Seite der Behörden. Es it daher Pflicht
eines Jeden, der Gelegenheit hat in den Beſitz jolcher Anfingliever zu
fommen, dieſe zu jammeln und dort niederzulegen, wo fie für die Nad)-
fommen treu bewahrt bleiben.
Ich bin im Beſitze zweier Anfinglieder, die in Falkendorf bei
Tetſchen jährlich zur coftümirten Darftellung gelangten und zwar nicht
auf einer dazu eingerichteten Bühne, fondern die Darjteller gingen von
Haus zu Haus, und das Vorhaus wurde zum Scauplag der Handlung
oder, wenn dies nicht geräumig genug war, die Stube ſelbſt. Die Dar:
ftelfer waren Männer, nur die Rolle des Heinen Engel wurde von einem
Rnaben gejpielt. Er war im langen weißen Sleide, hatte vergoldete
Pappeflügel an den Schultern, ein Krönlein auf dem Haupte, ein Schwert
und ein Körbchen in der Hand. Eine bejondere charafteriftiiche Perjon
ift in dem Chriftfpiele der „Rumperus“, der nichts anderes als eine
Geſtalt des Knechtes „Rupprecht” ift. Er erjchien mit weißem flachjernen
Barte, weiten, langem Rode und einen Sad über der Schulter. Auf
merkſam zu machen ift noch auf die Anrufung der römischen Gottheiten
im Chrijtjpiele durch den HI. Nikolaus und, was freilich zum Ganzen
bejjer paßt, im Dreifönigsfpiele durch Herodes. Ich theile num die zwei
Anfinglieder, wie fie mir durch Herrn Kohn aus Falkendorf zugemittelt
wurden, hier mit:
I. Das heilige Chrik-Spiel.')
Berjonen:
Der große Engel (ein Schwert in ber Hand).
Der Heine Engel (ein Schwert und ein Körbchen in der Hand).
Der heilige Chrift (trägt Weltkugel und Scepter).
Der heilige Martinus (trägt einen dreifachen Kreuzftab).
Der heilige Nikolaus (trägt eine Lanze).
Großer Rumperus (trägt einen Sad über der Schulter und Ruthen in der Hand).
Kleiner Rumperus (ebenfo, nur Meiner und mit einem Höcker).
Der heilige Petrus (trägt einen Schlüffel).
Der heilige Paulus (trägt einen Krummſtab).
Moſes (mit zwei Gejegestafeln und ftotternder Stimme).
Der heilige Joſef (krummen Stab in der Hand und eine Zimmermanndtafhe an
der Geite).
Der heilige Thomas (trägt einen einfachen Stab).
Mehrere Sängermäbden.
1) Öelangte zum letten Male im Jahre 1864 zur Aufführung,
Der große Engel tritt ein:
Biel Glück, viel Glüd wünfh ich in
diefed Haus
Und Allen, die da gehen ein und aus,
Ah! wenn ich gedenk an den jüngften
Tag,
Wie ed dann ergehen mag;
Mein Herz im Leib zittert mir ganz
und gar,
Gegen den Berg ftehen mir Haar.
Ich eh, ich trink, ich fchreib, ich leſ',
ich ſchlaf', ich wach',
Oder was ich mad),
Es fommt mir nicht mehr and
meinem Sinn,
Meine Gedanken ftehen mir ftet3 dahin.
Wann der jüngfte Tag wird werden,
Da fallen die Sternlein auf die Erben,
Die Bäumlein werden ſich neigen,
Die Waldvöglein werden ftille ſchweigen;
Da wird Zeus Chriftus fommen
gezogen,
Auf einem ſchönen Regenbogen.
Er wird die Poſaunen blafen laffen,
Dies wird gar fchallen über die Maffen;
Da wird es heißen, ihr Todte fteht
auf,
Ihr Jung und Alt fommt vors Gericht
Fein Schnell und bald, da wird zum
Gericht
Geführt werben, das ganze menfchliche
Geſchlecht auf Erden!
Ich bin ein Engel von Gott geſandt,
Um Menſchen anzutreiben, ich führe
Das Schwert in meiner rechten Hand,
O Menſch, thu dich zum Tod bereiten!
Höret an, höret an, wer hat viel
Gut's gethan,
Der wird wohl kommen an;
Die Böſen werden kommen zur linken
Seit,
Die Guten werden genießen die ew'ge
Freud;
Da werden fie kommen ſo dicht daher,
Als wie die Sandkörnlein in dem Meer.
O, Sünder! thu dich zu Gott bekehren.
Ich ſehe den Geift euerer Finder,
Es find fürwahr noh große Sünder;
Ich weiß auch nicht, wie’3 heut wird
werben,
Es find noch Etlich' mit mix anf
Erden,
Die Alle werden fommen und werden
jagen,
Und euere Kinder der Bosheit ans
Hagen, —
Nun komm du herein, du Engelein
Hein,
Hilf mir bedienen die Heinen Kindelein!
Der Heine Engel tritt ein:
Jetzt komm ich herein des Abends jpät,
Schön’ guten Abend geb euch Gott!
Warn Sich die Mbendröth thut zieren,
Und fi die Sonn’ verlieren, .
Kommt der Teufel, Wald und Tod! —
Sch will mich allein zu Jeſum menden,
eins ift mein Schaß, ich bin in feinen
Händen,
Wo Felus zu finden ift,
Wenn man mit Jelu it.
Jeſus Chriftus gibt Heil und Seligkeit,
Wenn man ihm dienet allezeit.
Ungewiß der Tod, ungewiß der Tag,
Die Stund auch Niemand willen mag;
Gedenk, o Menſch! doch auch dabei,
Daß dieſe Stund die letzte ſei.
Vom hohen Himmel komme ich daher,
Bring euch viel Gut' und Neues mehr;
Vom Neuen bring' ich ſoviel,
Davon ich ſing' und ſagen will:
Der heil'ge Chriſt iſt auch bei mir,
Er ſteht ſchon draußen an der Thür,
Er will auch kommen herein,
Zu eueren lieben Kindelein.
Herein, herein du heil'ger Chriſt!
Der große Engel:
Der Stuhl dir ſchon bereitet iſt.
Der kleine Engel:
Wo du dich darauf ſetzen ſollft.
— 301 —
Großer Engel:
Und dein Gericht recht halten wollt,
Kleiner Engel:
Auf, auf, er kommet ſchon!
Großer Engel:
Er ıft bereit zu feinem Thron.
Der heilige Ehrift mit den
Sängermäbden tritt ein.
Chriftus:
Selobet jei Jeſus Ehriftus! Herein
Alle, die mit mir verJammelt fein!
Den Eltern wünſch' ich eine große Freud,
Den Kindern eine Gottesfürdhtigkeit.
Weil wir find kommen abermal
Bon dem hohen Himmelsfaal,
Wollen wir befuchen die Kleinen,
Die Großen, die Böfen, die Reinen!
Großer Engel:
Sei du willkommen, du edler Gaft,
Kleiner Engel:
Daß du und Sünder nicht verichmähet haft;
Großer Engel:
Weil du bift kommen zu uns babier,
Kleiner Engel:
Wir danken dir!
Großer Engel, Heiner Engel,
beiliger Chriſt und
Sängermädchen fingen:
„Seid getröft' ihr lieben Kinder,
Ihr verftodten, harten Sünber,
Seid getröft, ihr Jung und Alt‘,
Der heil’ge Chriſt kommt zu Euch bald.
Dabei find auch die zwölf Apoftel,
Die zu euch werden kommen H’rein,
Gott wird euer Lehrer fein.
Shit den heil’gen Martinus ’rein!“
Martinud tritt ein.
Chriftus:
Martinus, Martinus fage an,
Was haben die Heinen Kinder Gut's
gethan ?
Martinus:
Ach, du mein lieber, Heiliger Ehrift,
Wenn du dies Alles wißt,
Wie fi die Kinder auf die Bosheit
befleißen,
Du würdeſt oft mit deiner Straf’ drein
ſchmeißen!
Wenn fie ſollen zur Schule gehen,
Bleiben fie auf Wegen und Straßen ftehen,
Wenn fie follen jchreiben, leſen, beten
oder fingen,
Müffen fie die Eltern mit Schlägen
dazu zwingen;
Da fängt das Kind zu weinen an,
O Herr, da muß das Beten bleiben.
Hätt' ich die Gewalt wie du,
Ich ſchlüg' mit Fäuften und Ruthen zu.
Chriſtus:
Martinus, Martinus, deine Reden ge—
fallen mir nicht.
Nikolaus, Nikolaus gib weiter Bericht!
Nikolaus tritt ein und ſingt:
Blitz, Donner, Hagel, Feuer, Flammen,
Nebel, Rauch und Finſternuß;
Ach! ihr Wolken lauft zuſammen,
Daß Sonn' und Mond erbleichen muß.
Ihr Götter laßt die Strahlen blitzen!
Karphonus ') laß die Waffen ſpitzen.
Jupiter, bift du noch oben auf,
Laß den Pfeilen feinen Lauf!
1) Karphonus gilt im Volke als einer, den man gewöhnlih auch „Strohmann“
zu nennen pflegt, und wird in diefem Sinne ald Schimpfwort gebraucht.
— 302 —
Macht euch alle auf die Bahn'
Mit ausgeſtreckter Siegesfahn'.
Es wird viel Blut vom Himmel regnen,
Unſeren Feinden zu entgegnen.
Die Beftürzung unferes Land'skönig,
Die Beitürzung ift zu wenig! ')
Was foll ich hier viele Güte zeigen,
Viel lieber will ich ftille jchweigen;
Denn ed wär’ hier feine beffere Geftalt,
Als der Rumperus mit feiner Gewalt.
Er nehme den ganzen Rinderpad
Allzufamm’ in einen Sad,
Werfe fie in einen tiefen Brunn’ hinein,
Damit fie weder Sonn’ noch Mond
bejchein” !
Chriſtus:
Nikolaus, Nikolaus, deine Reden gehen
nicht an,
Rumperus, Rumperus komm auch herein
auf dieſen Kinderplan.
Rumperus, ſich vor Kälte
ſchüttelnd, tritt ein und beginnt:
Guten Abend Fladerwiſch!
Draußen iſt mir's gar zu friſch.
Ich muß mich in die warme Stube 'rein
machen,
Muß ſehen, was die kleinen Kinder
machen;
Wenn ſie nicht fleißig beten und ſingen,
So ſoll meine Ruthe euch auf dem
Buckel 'rumſpringen.
Rumperus gegen Nikolaus
gewendet:
Nikolaus, Nikolaus! — Ich ſage dir
großen Dank,
Daß du mir dieſen Kinderplan haft
zugemiejen!
Anftatt Rofinen und Feigen,
Will ich ihnen meine Ruthe zeigen.
Großer Engel tritt gegen den
Rumperus:
Rumperus, Rumperus, was foll ih mit
dir thun und laſſen?
Rumperns:
Stroh ſchneiden!
Großer Engel:
Rumperus, Rumperus, was joll id) dir
werfen in deinen Rachen ?
Rumperns:
Eine gebratene Gans!
Großer Engel:
Rumperus, Rumperus, du wirſt mich
nicht lang fexiren,
Denn du wirſt heute noch weiter
marſchiren.
Rumperus:
Du wirſt mir auch nicht die Schuhe
ſchmieren?
Großer Engel:
Rumperus, Rumperus, pad dich hinaus,
Du feinen Theil haft in diefem Haus.
Rumperus:
Du wirft auch nicht da bleiben!
Großer Engel:
Rumperns, ich erreich dich mit meinem
Schwert,
Daß du wirſt ſinken ſogleich zur Erd'.
Rumperus:
Eh' du mich wirſt mit deinen Schwert
erreichen,
Werd' ich wohl Zeit haben davonzufleuchen.
Kleiner Bruder komm' auch herein,
Hilf mir die kleinen Kinder ſchieben in
den Sack hinein.
1) Diefe Stelle iſt jedenfalls aus dem Dreikönigsſpiele ſehr unpaſſend entlehnt
oder hat ſich in Folge der Zeit aus demſelben in dasſelbe eingeſchlichen.
— 308 —
Kleiner Rumperns mit
auswattirtem Höder tritt ein
und fingt:
Fa, ja, das thu' ich gern,
Wenn ihrer nur drei Mandl wär'n.
Schnitzlbank und Taubenneft!
Wär’ ich nur eher dagemeft,
Ich hätt euch wollen den Kitzl vertreiben,
Vierundzwanzig Stunden hinter den
Ohren 'rum reiben.
(Die beiden Rumperuffe ſetzen fich auf
die Erbe und würfeln.)
Chriſtus:
Rumperus, Rumperus, euere Reben ge—
fallen mir nicht,
Petrus gib weiteren Bericht!
Petrus tritt gravitätiſch ein
und ſingt:
Petrus, Petrus, bin ich genannt,
Ich führe den Schlüſſel in meiner rechten
Hand;
Ich ſchließe den Himmel auf und zu,
Wer hinein will, zuerſt Buße thu'.
Ach, Herr! was ich von dir begehr'n,
Ich glaube, du wirſt's nicht verwehr'n.
Chriſtus:
Sag an, mein lieber Petrus, was iſt
dein Begehr'n?
Petrus:
Ich will ſchauen auf die Erd' hinunter,
Will mir beſchau'n das menſchliche
Wunder,
Ob es noch iſt, als wie vor etlich' Jahren,
Als ich und du darunten waren.
Chriſtus:
Geh' hin, mein lieber Petrus, du ge—
treuer Knecht,
Schau dir an das menſchliche Geſchlecht;
Immerhin in etlichen Tagen,
Wirſt du viel wiſſen von der Welt zu
ſagen.
Geh' hin im Namen des Herrn!
Petrus:
Alſo will ich gehen hin,
Weil ich zur Reiſe fertig bin.
(Geht hinaus, kommt aber gleich wieder
berein).
Chriftus:
Petrus, jo bei Zeit‘,
Ich glaubte, du bift von hier noch meit,
Wie ich aber ſeh' von dir,
So bift du ſchon wieder bier,
Petrus:
Ah Herr! Ich bin jchon längſt gewan—
dert;
Auf Erden hat ſich? viel verandert;
Es ift nicht mehr ald wie zuvor,
Wo ih und du noch drunten wor",
Die Hoffart nimmt jehr überhand,
Alles lebt in Laſter, Schmad) und Schand.
Chriſtus:
Weiter, weiter, mein Petrus.
Petrus:
Da kam ich in eine Rockenſtuben,
Da waren nichts als Madeln und Buben,
Die thaten nichts, als Plaudern und
Singen,
Aber an ihren Rockeen nichts ſpinnen,
Sie machten nichts, als Schlagen und
Raufen,
Ach Herr! davor mußt' ich entlaufen.
Da begegnet mir ein altes Weib mit
ihrem Rucken,
Ach Herr! Vor der mußt ich mich bucken,
In einer Scheuer mußt ich mich verſtecken,
War ſehr kalt, hat nichts überzudecken.
Ach Herr! erlaub mir einen Tag,
Daß ich die Welt abſtrafen mag.
Das Firmament des Himmels will ich
bewegen,
Will laſſen Feuer und Schwefel 'nein
regnen.
Meinen Geift will ich d'ran wagen,
Donner und Hagel ſoll d'rein jchlagen!
ar a nn
Chriſtus:
Nein, nein, mein Petrus, mein Sinn iſt
nicht dahin gericht’!
Wenn ich wollt’ ftrafen nad der That,
So wär fein Menſch, der feine Sünden
hat,
Paulus, Paulus, gib du mir Beicheid,
Wie verhalten ſich die Nachbarsleut!
Baulus tritt würdevoll ein
und fingt:
DO, Herr! Wie Hunde und Rasen,
Wie fie einander betrügen, befragen, —
Fe weiter der Nachbar, je beffer der
Freund!
Wenn fie aber nahe beifammen ſeind
Haben fie ftet3 was zu hadern zu zanken,
Wenn einer grüßt, thut der and're nicht
danfen.
Sie heißen einander Schelm und Dieb,
Ach, Herr! Das ift fein’ Nachbarslieb.
Will ich euch fagen von Mann und
Weib,
Was die jest für Hoffart treib’;
Da haben fie ein’ Buben von fünf, ſechs
Jahren,
Muß der die Kleidung haben von aller—
lei Farben.
Will der Vater Ruhe haben, muß er die
Tochter auch begaben.
Auf den Gaſſen prahlen ſie ſich ſchön
und roth,
Zu Haufe haben fir nicht das trockeue
Brot.
Haben fie das trod’'ne Brot zu eflen und
Waſſer zu trinken,
Dann thun fie fich erft gar jehr viel dünfen.
Chriſtus:
Paulus, Paulus, die Lieb' iſt ſchlecht
beſtellt,
Wie bald wird ihr das Urtheil gefällt;
Paulus, Paulus, deine Reden gefallen
mir nicht,
Moſes, Moſes gib weiter Bericht.
Moſes tritt ein und recitirt mit
ftotternder Stimme:
Moſes bin ih genannt, krumm und elend
bin ich geboren,
Bon Gott, den Allerhöchſten auserkoren:
Ich führte das ifraelitiiche Volk durch
das rothe Meer
Mit trodenen Füßen daher;
Da jchrie ich zu Gott,
Da empfing ich die heil’gen zehn Gebot.
Gott jchrieb fie mir ſelbſt auf zwei
fteinerne Tafeln,
Ich ſollt' fie jelbft dem jüdischen Bolt
vortragen,
Chriſtus:
Moſes, wie verhalten ſich die Menſchen
nach den zehn Geboten?
Mojes:
Nur ein Hein wenig Gebuld mit mir;
Ah Gott! Sollt' ich alles jagen dir,
Käm' ich hundert Fahre nicht fort von hier.
Did und deinen heiligen Namen thun
fie eitel nennen,
Dich als feinen Gott erfennen;
Ad die Bosheit ift groß, d’rum ftraf'
fie, o Gott!
Laß’ durh Ach und Weh fie verzehren,
Thu’ fie nicht ernähren;
Stelle mir diejes frei,
Ich ſchlüge die Tafeln den Kindern am
Kopf entzwei.
Ehriftus:
Moſes, deine Reden gefallen mir nicht,
Fofef, du getreuer Pflegevater mein, gib
aud einen Rath,
Bu der feinen Kinder Miffethat.
Joſef tritt ein und recitirt:
Zu der Heinen Kinder Miffethat,
Geb ich ganz kurz diefen Rath:
Sch wollte, daß der Tod käm' über das
Gebirge,
Und die feinen Kiuder all’ erwürge.
— 305 —
Gib fie dem Rumperus in feine Hände,
Der macht mit ihnen bald ein Ende.
Ehriftus:
Joſef, deine Reden gefallen mir nicht,
Thomas, du getreuer Jünger mein,
Sag an, wie verhalten ſich die Heinen
Kindelein ?
Thomas:
Ad, du mein lieber, heiliger Chrift,
Fahr’ nicht fo jcharf in deinem Zorne
in's Gericht.
Denke doch einmal im Herzen dein,
Daß wir auch Hein geweſen fein.
Ad, Herr! thu' fie nicht ganz verdammen,
Bielleiht preifen fie nody deinen Namen;
Denn dazu find fie ja verpflicht't,
Daß fie erfennen das Glaubenslicht.
Herr, laß fie ehrbar leben,
Und gib ihnen einjt das ew'ge Reben!
Ehriftus:
Thomas, bring’ die Kinder her und laß
fie beten.
Chorgeſang zum Schluſſe:
Dreifaltigkeit, wir fallen dir zu Füßen,
Unſere Sünden abzubüßen,
Führ' uns all' in Himmel ein,
Daß wir ewig ſelig ſein! —
Nun Adien! — Behüt' euch Gott bis wir
werden wieder kommen
Aus dem Thal der Frommen.
Hier in dieſes Jammerthal. ')
Danfjagung:
Für euer Geſchenk und Theil,
Wünſchen wir euch das Heil!
Für euer Gefchenf und Gaben,
Sollt ihr Gotted Sohn zum Lohn im
Himmel haben!
II. Das heilige Dreikönig-Spiel.
Das heilige Dreifönig-Spiel wurde zum Tegtenmale im Jahre 1842
in Falkendorf aufgeführt, und die Koftüme, wie die Darftellung wurden
mir don einem Herrn, der Augenzeuge war, als befondırs gut gefchildert,
jo daß auf Verlangen das Dreifönigs-Spiel auch in Tetſchen und den
umliegenden Orten zur Aufführung kam. Der Gefang war im Volfstone
gehalten, nur wenn das Alleluja oder Gloria angejtimmt wurde, jo
erflang der Geſang kirchlich.
Perſonen:
Großer Engel,
Kleiner Engel,
Heilige Maria,
Heiliger Joſef,
Alter König,
1) Eine andere Angabe lautet:
Kleiner König,
Mohrenkönig,
Herodes,
Trabant.
„Run Adieu, behüt euch Gott,
Bis wir werden wieder kommen,
Hier aus dieſem Jammerthal,
In das ſchöne Freudenthal.
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 3. Heft.
20
— 306 —
Großer Engel tritt herein, gebt
hin und her und jingt:
Selobet fei Jeſus Ehriftus, herein,
Was ung erlaubt mag fein.
Ein Gedächtniß von den heiligen Drei—
könig',
Es iſt zwar etwas wenig;
Wir werden es machen nicht gar lang,
Mit einem ſchönen Lobgeſang!
(In) Credo! — (In) Credo!
‘Gr rufet dann Maria und Joſef herein,
zugleich fommt aber aud) der Feine Engel
und dieſe drei fingen):
Gloria Gloria in Excelsis
Deo! Alle-alleluja ! ’)
Derodes fommt herein, gebt auf
und ab, dann jingt er:
Blitz, Donn r, Hagel, Feuerflammen,
Nebel, Rauch und Finiternuß,
Lauft ihr Wolken al zuſammen,
Daß die Sonne weichen muß;
Laſſet Fenerftrahlen bligen,
Werft, ihr Götter, Pfeil herab,
Venus, thu die Waffen ſpitzeü
Und jchlag’ unfern Feind in's Grab.
G'ſchwind Saturnus mad) dich auf,
Jupiter, wenn du bift noch droben,
Laß den Keulen feinen Lauf.
Macht euch mit mir auf die Bahn,
Zu fteden aus die Stegesfahn”.
Es wird viel Blut herunter regneu,
Mit allen Unglück Heil entgegen,
Zu befchügen unler Yand und König,
Die Beſtürzung ift nicht wenig,
Herodes tjt ein ftarfer Held,
Er marichirt gegen den Feind ins Feld.
Sch weiß nicht, was ich denken ſoll,
Bon einem neuen König it alles voll;
Ein großer Schreden nimmt mich ein,
Doch er wird mir ſchon willfommen fein
Er erbittert meine Bruft fo jehr,
Een, Trinken Fanın ich nicht mehr.
So ſchwör' ich auch bei Scepter und Kron,
Das Land verbleibt mein Eigenthum,
Fc will meine Kron fein andern geben,
Soll es koſten gleich mein Leben.
(Er ſetzt jih auf einen Stuhl.)
Die Dreifönige fingen draußen:
Ein Kind geboren zu Bethlehem, Alle-
luja, Alleluja ;
Es freue ih Jeruſalem, Alleluja, Alle:
luja!
Herodes:
Trabant, du getreuer Diener!
Trabant:
Was befehlen eu're Majeſtät?
Herodes:
Geh' eilends hin nach Bethlehem, frag'
die Leut',
Was das Geſchrei bedeut'.
Trabant:
Was euer Majeſtät wird ſchaffen
Und anbefehlen, wird alles in Eil voll—
zogen werden.
(Er ſpricht zur Thüre hinaus)
Wohl edle Herrn in der Geſtalt
Wünſcht mein König euch zu ſehen bald.
(Er geht zurück und ſtellt ſich hinter
Herodes).
Die Dreikönige kommen herein
und ſingen:
Drei Könige von Sabath kommen daber,
; alleluja, alleluja!
Gold, Weihrauh und Mirrhen bringen
wir ber,
alleluja, alleluja!
Herodes:
Seid alle willkommen, ihr Freunde mein,
1) Im Urtexte heißt es: Im Gloria, in Gloria, in Excellsis
in deo alle-alleluja.
— 307 —
Wo kommt ihr her, wo zieht ihr hin,
Wiß't ihr nicht, daß ich König Herodes bin.
Alter König:
Eure Majeftät verzeihen ung,
Wir kommen daher wohl nicht umfunft;
Den neugebornen König fuchen wir heim,
Wir willen nicht, wo er wird zu finden
fein.
Mohren-König:
Diejes hab’ ih mir vorgenommen,
Nicht früher nah) Haus’ zu kommen,
Bis das ich find’ der Juden König,
Mein Verlangen ift nicht wenig.
Kleiner König:
Seinen Stern haben wir geſehen,
Und fleißig Achtung drauf gegeben,
Euer Majeftät jagen fie jitt,
Wo der nengeborne König ſitzt.
Herodes:
Ihr bei mir ſucht einen neuen König,
Davon weiß ich wahrhaftig wenig;
Hier bin ih König, jonft fein anderer,
Da ziehet hin, ſeid weiter Wanderer.
Wenn ihr aber den neuen König findt,
Sogleih mir and) die Nachricht bringt,
Auf daß ih auch hin Fommen kaun,
Und das heilige Kindlein bete an.
Alter König:
Das werden wir thun ohne Scheu,
Mohren- König:
Wir werden wieder einfehren alle drei.
Kleiner König:
Euer Majeftät! Leben fie aller Sorgen
frei.
Herodes:
So reiſet hin nach linker Hand,
Die Straße iſt jedem Maun bekannt,
Und kehret wiederum bei mir ein,
Ihr ſollt meine liebwertheſte Freunde ſein.
(Die drei Könige gehen hinter Herodes
vorbei zu Maria und Joſef, die mittler—
weilen mit dem Jeſukindlein eingetreten
find, Die drei Könige ſprechen im Gehen):
Der Stern ftehet ftill und zeigt ung au,
Daß wir in diefem Haus das Rind
jollen beten an. —
Vor Maria fnien fie nieder, opfern ihre
Geſchenke und jprechen:
Alter König:
Grüß’ dich Gott König, hochgeboren,
Ueber alle Könige auserforen,
Nimm’ an von mir das Heine Geſchenk,
In der Sterbftund’ auch meiner gedent,
Mohren- König:
Du bit von mir gar hoch geehrt,
Haft mir auf Erden viel Gutes beichert.
Nimm an von mir das Heine Geſchenk,
In der Sterbftund’ auch meiner gedenf,
Kleiner König:
O, liebes Kind, ich bet’ dich, verlaſſ' mic
nicht im meiner Noth,
D, gib auch mir das tägliche Brot! —
Maria:
Großen Dank jollt ihr Könige alle haben
Für Enere G'ſchenk und Liebesgaben.
Das Kindlein wird nad) diefem Leben
Euch allefanımt den Himmel geben.
Drei- König:
Ach, wenn wir body fünnten das Kindlein
verehren alle Stunden,
Doch laffen wir es regieren und bringen
Herodes hievon die Kunden.
Kleiner Engel (zum Heinen König):
Hör’ du König vom Orient,
Gott hat mich zu dir gejendt:
Ber Herodus jollt ihr nicht fehren ein,
Er meint! nur gut auf den Schein.
Drum reifet hin nad rechter Hand,
Gott wird euch ſchützen zu Waller und Land,
20*
— 508 —
Alter König:
So wollen wir und wieder machen auf,
Und nad) Jeruſalem richten unſern Lauf.
Kleiner König:
Nein, ach nein, mir erſchien im Schlaf
ein Engel, ganz hell und Har;
Herodus trägt einen faljhen Muth,
(Sr will fi) waſchen in unjerem Blut,
Sp folgen wir doch diefer Engelöftimme.
Alter und Mohren- König:
Ja, ch ja, jo reifen wir hin nad) rechter
Hand,
Er wird uns ſchützen zu Waller und zu
Land.
(Gehen ab.)
Großer Engel zu Joſef:
Erſchreck' nicht, Joſef, du getreuer Vater
mein,
Du auserwählter Bräutigam der zarten
Jungfrau rein;
Höre an den Unterricht,
Weil Herodes der Böfewidht,
Ausſchickt feine Soldaten,
Das Rindlein Jeſu will er tödten;
Drum gehe eilends und gejchwind,
Nimm Maria und das Kind,
Und fliehe in das fremde Egypterland,
Auf daß ihr werdet nicht erfannt.
Joſef zu Maria:
Komm Maria, du edle Brant,
Welcher Gott fein Sohn vertraut,
Diefen will Herodus laſſen tüdten;
Komm, laß’ ihm jein Leben retten.
DO, Maria, du edle Jungfrau rein,
Jetzt mußt du noch eine Tugend fein.
Maria zu Joſef:
Deine Rede ift mir im mein Herz ge—
gangen,
Ich habe danoı einen Stich empfangen,
Da man jucht, das liebe Kind
Zu tödten wieder geſchwind;
Drum woll'n wir uns nicht lang ver:
weilen,
Ueber Berg und Thal hin eilen,
Fliehen in's fremde Egypterland,
Auf daß wir werden nicht erkannt.
(Gehen ab.)
Herodes:
Ich ſinn' wohl ſchon und hör,
Das ſind mir doch gar neue Mähr;
Wo find' man zwei König' in einem Land,
Bei meinem Eid, das wär' eine große
Schand.
Ich will ferner König ſein,
Und wer begehrt die Krone mein,
Den laſſe ich ſogleich tödten,
Er ſoll nimmer lange reden. —
Ich warte jetzt ſchon mit Verlangen,
Dieſen neugebornen König zu empfangen,
Ich werde e3 nicht länger mehr treiben,
Laß alle Kinder tödten und aufreiben.
Trabant, du getreuer Diener mein!
Trabant:
Was befehlen, eure Majeftät?
Herodes:
Geh' eilends hin nach Bethlehem und
tödte alle Knäbelein,
Die zwei: und dreijährig ſein.
Han’, ſchueid' uud ftidh,
Wenn dic) au die Mutter herzlich bitt,
So wirft du mir Feind verſchonen.
MWirft du mir eins verichonen
Und ihm das Leben jchenfen,
So laſſ' ich dich ohne Gnad' aufhenken.
Trabant:
Was euer Maieftät wird fchaffen und
anbefeblen,
Soll alles in Eil vollzogen werden.
Ich werde meinen Fleiß auch fparen nicht
Bei großen Schaden und Ungelück;
Ich laſſe mich finden alle Zeit,
Bin ftet$ fertig und bereit.
Ich mill es gar nicht denken,
— 3009 —
Daß ich einem will das Leben ſchenken;
Alle, die ſich zwei- und dreijährig nennen,
Müflen fterben unter meinen Händen.
Herodes (zieht den Säbel):
Ich werde fehen aljobald,
Wie du gebrauchſt die Gewalt;
Unterdeflen gehe ich zur Liebften mein,
Sie wird wohl auch traurig fein.
Trabant zieht den Säbel, geht hinaus
und ſpricht:
Alſo Hurtig und geſchwind,
Funges Weib, gib ber dein Kind;
Heut’ ift bei mir feine Gnad’,
Sch ſchneid dir aud) die Gurgel ab.
(Stedt das Kind im Hereingehen an den
Säbel.)
Alfo friihen Muth und friſches Blut,
Heut’ hab ich viel helfen ſchlachten,
Da gab's viel zu betradhten.
Herodes:
So haft du alles ausgericht,
Wozu did; mein Befehl verpflicht.
Trabant:
Sa, mein König, mein Beweis fich fehen
laßt,
Dies ift auch ein folder Gaft;
Die Weilen haben uns betrogen,
Sie find eine andere Straße gezogen.
Herodes:
Du haſt gethan recht und gut,
Nunmehr iſt geſtillt meine Wuth.
Kleiner Engel:
Hör', du Wütherich und Tyrann,
Was dir Gott läßt zeigen an:
Das unſchuldige Blut
Er von dir fordern thut;
Gott ſtreckt aus über dich ſeine Hand,
Du mußt werden ein Höllenbrand;
Pack' dich fort aus dieſer Stadt,
Weil Gott vor dir ein Abſcheu hat.
Herodes ſpricht und erſticht ſich:
O, Mordie, o, bitterer Tod,
Ich ſterb' an der beſtimmten Noth! —
Trabant: |
O, mein König, was thuft du? — du
haft dich erftohen! —
Du bleibft nicht ungerochen! —
Alle zugleid:
Gelobet fei die heilige Dreifaltigkeit
alleluja, alleluja,
Von nun an bis in Emigfeit, alleluja,
allelujal ')
Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Indu-
ftrie Uordböhmens.
Bon Brofeffor Franz Hübler,
(Schluß).
Die vieljeitige Thätigfeit, welche mit dem Betriebe und der Erwei—
terung des großartigen Gejchäftes verbunden war, filllte trogdem den
vaftlofen Geiſt Ginzkey's nicht völlig aus, er gewann noch entjprechende
Beit, der engeren Heimat und dem allgemeinen Wohl feine Dienfte zu
1) Bergl. über Weihnachtsſpiele im Erzgebirge Jahrgang IH. 115,:Reichenberg
Jahrg. V. 66, Teplig Jahrg. VII. 49, fowie Naaff über das Volkslied Yahr-
gang XX—XKXIU.
Anm. d. Reb.
— 310 —
weibhen, er nahm jtets an allem Antheil, was die heimische Induſtrie zu
fördern und der engeren Heimat zu migen geeignet jchien. Als Ginzkey
am 20. März 1869 in Folge jeiner bedeutenden Erfahrungen als Induſtrieller
in die Neichenberger Handels: und Gemerbefanmer gewählt wurde, ent-
widelte er dafelbjt eine unauffällige aber eifrige Thätigfeit, und er bethei-
ligte fi) in hervorragender Weiſe an einer ganzen Weihe von Arbeiten
bezüglich des hiefigen Handelsfanmerbezirkes. Seine Beitrebungen in diejer
Richtung giengen insgefammt dahin, die heimiſche Arbeit und Ge-
werbthätigfeit gegen die übermächtige ausländijche, namentlich
englifche Eoncurrenz, durch Aufrihtung von Schugzöllen
zu jhügen Wiewohl Ginzkey jelbjt in der Erzeugung feiner Artikel
verhältnismäßig weniger durch den gewaltigen Strom engliſcher Erzeugniſſe
zu leiden hatte, da er einer der wenigen öÖfterreichischen Fabrikanten war,
welche den gemeinjamen Feind auf jenem eigenen Boden zu befämpfen
vermochten, jo erkannte er doch, daß England durch feine vortheilhafte
injulare Lage, fein Uebergewicht als erjte Seemacht, durch feine Colonien
und feinen Welthandel, durch die lange industrielle Schulung feiner Be:
wohner, durch feinen Reichthum und den Ueberfluß an Gapitalien und
durch feine ſelbſtſüchtige Dandelspolitit der größte Feind aller aufitrebenden
Induſtrien des Feitlandes ſei und daher nur durch ein zielbewußtes,
kräftiges Schutzzollſyſtem erfolgreich befümpft werden könne. Daher ver:
mochten auch die blendenden Abhandlungen und ſchönen Redensarten der
Eobdenmänner über die großen Vortheile des Freihandels jeine Meberzeugung
nicht zu erjchüttern. Er verfocht jeinerfeitS die Anficht, welche auch von
der geſammten öſterreichiſchen Induſtrie als maßgebend und richtig ange-
jehen wird, daß in Dejterreich die Bedingungen noch lange nicht vorhanden
jind, welche den Uebergang von der Schugzollpolitit zum Freihandel als
räthlich erjcheinen lafjen könnten; er hielt jener an dem Grundfage feit,
den Gewerbfleiß im eigenen Lande vom kleinſten an zu pflegen, die hei:
mijchen Arbeitskräfte, wo es nur immer thunlich fei, gegen die fremden zu
bevorzugen, die inländische Induſtrie mit dem durch das Exportgeſchäft
erzielten Gewinn zu unterſtützen und ſo dauernd zu kräftigen. Von gleichen
Geſichtspunkten wurde er geleitet, als er zu Anfang 1875 an den Be—
rathungen der Handelskammer über den Entwurf eines allgemeinen Zoll—
tarifs theilnahm. In dem ftreng jachlichen und lichtvollen Gutachten, welches
er über die Berhältuijje feines eigenen Yabricationszweiges jowie der hei-
mischen Webeinduftrie erjtattete, und worin fich feine ſcharfe Denkweiſe
offenbarte, weift ev unter Anführung des Mißverhältniſſes der Zolljäge
bezüglich des Nohmateriales und der fertigen Waare darauf hin, wie
— 311 —
außerordentlich jchwer es dem dfterreichiichen Induſtriellen gemacht werde,
ji) aus eigenen Kräften zur Concurrenzfähigfeit mit dem Auslande enıpor-
zufchwingen, „wie 3. B. durch die maſſenhafte Einfuhr der Juteleinwand
als Packleinwand die heimische Webeinduftrie außerordentlich gejchädigt
wiirde, indem 30.000—40.000 Weber der Gebirgsdörfer des Kammer:
bezirkes, welche bisher mit dev Erzeugung der ordinären Leingarn- und
Packleinwand bejchäftigt waren, dadurch brodlog geworden waren, weshalb,
nm diefe Tauſende von Händen wieder zu bejchäftigen und Noth und
Elend von ihnen abzuwehren, ein erhöhter Zollfag für rohe Juteleinwand
nöthig wäre." Es find dies Grundjäße, welche fir die Gegenwart noc)
diejelbe Bedeutung und Berechtigung haben wie damals. Nicht minder war
Ginzkey für das Wohl feiner Ortsgemeinde Maffersporf thätig. Diefe verdaufte
ihm außerordentlich viel, ja man kann jagen, dag Maffersporf durch Ginzkey's
gemeinnütziges Wirken binnen wenig Jahren ein raicheres Wachsthum zeigte,
als e8 jonft in eimem Zeitraum von 100 Fahren der Fall gewejen wäre.
So zeigte ex jeinen gemeinnügigen Sinn und jeine Thatkraft, daß, als im
Sommer 1863 über den Ban einer Straße von Mafferstorf nach dem
gewerbfleigigen Röchlig und zum Neichenberger Bahnhofe lange Ber:
handlungen und Berathungen jtattfanden, er jich raſch entjchloß, den Bau
jelbjt auszuführen und diefen auch in feiner gewohnten Energie in dem
furzen Beitraume von drei Monaten vollendete, während man jonjt bei
der Langjamfeit und Unentfchloffenheit der dabei Betheiligten ebenſoviel
Fahre dazu gebraucht hätte. Im Jahre 1864 erwirkte Ginzkey für
Maffersdorf die Errichtung einer Poſtſtation und im Jahre 1873 die
eines Zelegraphenamtes, wobei er die nöthigen Banlichkeiten auf eigene
Koſten herjtellte und den Beamten ſelbſt bejoldete. Als in demfelben Jahre
in Maffersdorf dev Bau einer neuen Volksſchule nöthig wurde und die
Gemeinde dadurch bedeutende, drüdende Lajten auf fich nehmen mußte,
jtreckte er derjelben ein unverzinsliches Capital von 3000 Gulden vor und
lieferte außerdem das geſammte Ziegelmaterial auf feine eigenen Kojten.
Ueberhaupt war Ginzfey der Maffersdorfer Schule ſtets zugethan, und fie
fonnte zu allen Zeiten auf jeine Opferwilligfeit bezüglich der Lehrmittel:
ſammlung, jowie ihrer Erweiterung und Hebung zählen. Gar manche
Buchhändlerredhnung wurde für die Schule von ihm beglichen, und zum
Ehrijtabend lieg er Fein armes Schulkind unbeſchenkt heimkehren. Nicht
minder wurde von Ginzkey das Bereinswejen in Maffersdorf gefürdert.
So unterjtügte er, nachdem er jelbjt mit der Errichtung einer eigenen
Fabrifsfenerwehr mit gutem Beijpiele vorangegangen war, auf das bereit:
willigfte das AJuslebentreten einer Gemeindefenerwehr As ſich im
— 312 —
Jahre 1856 und nochmals im Jahre 1869 in Maffersdorf Theater:
dilettantenvereine bildeten, um für menjchenfreundliche Zwede zu wirken,
überließ er denjelben ein mit bedeutenden Koften von ihm hergeftelltes
Theater, fo daß die Gejellfchaften die gefammten Einnahmen dem guten
Zwede zuwenden fonnten. Er ließ die öden und fahlen Gehänge des
„Wachberges" von Meaffersdorf mit Laub: und Nadelholz bepflanzen, und
heutzutage bildet diefe Anpflanzung bereits einen dichten, durch ihr frisches
Grün das Auge erjreuenden Wald. Es war ferner Ginzkey's lebhafter
Wunſch, daß die Gemeinden rechts und links der Neifje fich vereinigten
und eine einzige Gemeinde ausmachen follten. Um die Sonderftrömungen,
welche fich in beiden Gemeinden immer noch bemerkbar machten, einzudämmen
und das angeftrebte Ziel dejto eher zu erreichen, bejtimmte er in hochherziger
. Weije ein Legat von 10.000 fl. zur Erbauung eines Armenhaufes in
Maffersdorf, jedoch unter der Bedingung, daß diefer Betrag, welcher von
dem Tage feines Todes an mit 6°), verzinjt werden follte, nur dann ausge:
zahlt werden dürfe, wenn jich beide Gemeinden innerhalb 6 Fahren zu
einer einzigen verbinden würden. Käme die Vereinigung binnen der
bezeichneten Frift nicht zuftande, jo hätte das Legat an die Ginzkey’fchen
Erben zurüdzufallen. Ginzfey ließ fich hier neben dem lauterjten Wohl:
wollen zugleid von dem Gefühl leiten, den Ort, wo feine Wiege ftand,
und wo er aus Kleinen Anfängen eine große, Achtung gebietende Induſtrie
in's Leben gerufen, auch in politifcher Beziehung auf eine höhere Stufe
zu heben und fein rafcheres Aufblühen zu ermöglichen. Durch dieſe Neben-
bejtimmung des Legates wollte er den Gegenftrömungen in den Gemeinden
die Spige abbrechen, eine Abficht, die zum Nachteil der beiden Gemeinden
nicht erreicht wurde.) Es ift daher leicht erflärlich, daß Maffersporf
nicht nur in Folge diefer ausgebreiteten induftriellen Thätigkeit Ginzfey’s, der
in dem früher ziemlich unbedeutenden Orte aus Heinen Anfängen und mit
geringen Mitteln eine fo bedeutende Induſtrie gefchaffen und mit feinen
Erzeugnifjen den Namen Maffersdorfs weit über die Grenzen der Heimat
hinaus befannt gemacht hatte, jondern auch in Folge feiner menſchen—
freundlichen und gemeinnüßigen Thätigfeit einen bedeutenden Auffchwung
nehmen mußte. Diefer Aufſchwung zeigt ſich am Harften in dem Wachſen
1) Die beiden Gemeinden wollten fich nicht vereinigen, da ihre Intereſſen ſich
nicht deckten. Insbeſondere war es die Gemeinde rechts der Neiffe, welche,
im Befige der Ginzkey'ſchen Fabrif und der Brauerei, fih mit der fteuer-
ſchwachen Gemeinde links der Neiffe, wo nur fehr wenig Induſtrie betrieben
wird, nicht verbinden wollte,
— 8313 —
der Bevölkerung. Die Bevölkerung Maffersdorfs vermehrte fi) vom
Jahre 1848—76 aljo in einem Beitraume von 28 Jahren, um 100°,
indem diejelbe im erjt genannten Jahre 3496, im Tegteren 6991 Ein-
wohner zählte. ?)
Ginzkey betheiligte ſich ferner mit mehreren heimiſchen hervor:
ragenden Firmen, wie Johann Liebieg und anderen, an drei großen Un-
ternehmungen, welche feiner engeren Heimat zum Wohle gereichen follten,
nämlich zunächſt an der Errichtung der „Reichenberger Bank" im %. 1871.
Dieſelbe wurde in der Abficht gegründet, den von der heimifchen Indu—
jtrie und vom gejchäftlichen Verfehre oft beklagten in allzu enge Grenzen
gebannten Verhältniſſen des Geldverfehres auf dem Neichenberger Plage
eine größere Freiheit nnd raſchere Entwicklung zu. gewähren, als es die
Nationalbank vermochte, da diefe in ihrer Wirkſamkeit zu jehr ein-
geſchränkt war. Ginzkey gehörte der Neichenberger Bank, welche feit ihrer
Gründung eine danfenswerthe nnd für die heimische Induſtrie wichtige
Thätigfeit entfaltet hat, bis zu feinem Tode an. Auch der im J. 1859
gegründeten Neichenberger Sparcafja trat Ginzkey mit einem Beitrags:
capitale von 100 fl. bei und bewahrte diejer namentlich fir die Entwicklung
Reichenbergs wichtigen Inſtitution ftets feine aufrichtige Unterftügung.
Endlich betheiligte er fich in hervorragender Weife an der Errichtung der
großen Brauerei in Maffersporf. Ginzkey hatte fi) mit dem
Gedanken des Baues einer Brauerei in feinem Heimatsorte fchon lange
getragen, und nur die damals augenblicklich günftigen Verhältuiſſe, nicht
aber die Nahahmungsjucht der Gründerzeit brachten es mit fich, daß
die Ausführung diejes Planes in die Zeit des jogenannten volks—
wirthichaftlichen Auffchwunges fiel. Man hoffte von der Errichtung der
Brauerei günftige wirthichaftliche Folgen für den ganzen Bezirk, da
beim großen Verbrauche an Bier in dem gewerblichen, dicht bevül-
ferten Nordböhmen große Mengen fremder Biere eingeführt werden
mußten und dafür jährlich bedeutende Summen in die Ferne wanderten.
Daher follte diefe Einfuhr fremder Biere durch die Erzeugung heimijchen
Bieres aufhören, und die Hunderttaufende, der Heimat erhalten, ande-
verjeitS aber auch die heimische Landwirthſchaft dadurch gefördert, und
duch die Erzeugung eines gefunden, nahrhaften Bieres dem Branntwein—
genuß, welcher in den Arbeiterfreifen damals noch ziemlich jtarf einge:
1) Nach der fetten Volkszählung hat aber die Bevölkerung Maffersborfs wieder
abgenommen, denn fie beträgt nur 4910 Einwohner. Die Urſachen find miy
unbelannt,
— 314 —
bürgert war, entgegengetreten werden. Dieje Erwägungen und die augen-
blicklich günſtigen Verhältniffe führten zum Bau des Bräuhanfes, welches
im J. 1872 mit einem Aectiencapitale von 600.000 fl. zu baum begonnen
md im Jänner 1874 dem Betriebe übergeben wurde, wobei man freilid)
den Roftenvoranfchlag um 800.000 Fl. überjchritt. Das Maffersdorjer
Bräuhaus erhebt fi) unweit de8 „Wachberges" vor Maffersporf auf
einer mäßigen Anhöhe als impojanter, palajtartiger Bau, enthält unter
der Erde ungeheuere Kellerräume uud wird an Ausdehmumg nur von
wenigen, an Zwecdmäßigfeit der inneren Einrichtung kaum von einer
einzigen öfterreichtichen Brauerei übertroffen. Gegenwärtig ijt die Brauerei
die zweitgrößte in Böhmen, ſie jteht bloß dem bürgerlichen Bräuhaus in
Pilſen nah. Sie bejchäftigt 76 Perſonen und erzeugt jährlich 54.240 HI.
Bier im Werthe von 433.920 fl., von weldem der größte Theil von
Neichenberg und Umgebung (beiläuftg 30.000 HI.) aufgebraucht wird, das
übrige entfällt auf die benachbarten Städte und Drtjchaften des Gebirges,
wie Gablonz, Tannwald, Kragau, Friedland u. ſ. w., ein geringerer Theil
wird jelbjt ins benachbarte Sachſen, auch nach Wien ausgeführt. Freilich
hatte das Unternehmen anfangs gegen mancherlei Ungemach zu kämpfen.
Einmal gegen die Folgen des wirthichaftlichen Zuſammenbruches, und
dann gegen die VBoruriheile, welche damals ſelbſt in Neichenberg dem neuen
Erzeugniffe entgegengebracht wurden. Auch hier war Ginzfey ohne Un—
terlaß thätig, er hielt die Zuverficht und den Muth der Actiengejellichaft
aufrecht ") und errichtete, um dem Biere in der engeren Heimat Bahn zu
brechen, unweit von der Brauerei und unmittelbar am Fuße des Wad):
berges neben der Gebirgsitraße eine im Scweizerjtgl gehaltene Rejtau-
ration, die wegen ihrer jchönen Lage bald von den Reichenbergern fleißig
bejucht wurde und jich mit der Zeit zu einem beliebten Ausflugsorte
gejtaltete. So brach ſich hier allmälig das Maffersporfer Bier Bahn und
verdrängte die fremden. Meaffersdorf aber verdankt mit dem neuen Bräu—
hauſe noch Heutzutage und fir die Zukunft Ginzkey ein bedeutendes
Steuerobject.
Es konnte nicht ausbleiben, daß die bedeutende Wirkſamkeit Ginzfeys
jowohl in induftrieller wie menfchenfreundlicher und gemeinnügiger Hin:
— -—_.
1) Mit dem bald darauf erfolgenden Tode Ginzfeys, welcher der Actiengefellfchaft
immer noch einen feften Halt gewährt hatte, ſchwand die Zuverficht und auch
das Glück; im Fahre 1882 mußte die Brauerei an ein Conjortium verkauft
werden, wobei die Actionäre das geſammte Actiencapital von 600.000 fl. ver:
loren. Gegenwärtig jteht die „Neichenberger Bierbrauerei und Malzfabrif in
Maffersdorf“ unter der Leitung des Conſortiums: Th. Franf u. Co.
— 35 —
jicht öffentlich gewürdigt und anerkannt wurde. Fir feine gewerblichen
Erzengniſſe erhielt Ginzfey auf den verjchiedenen Welt- und Gewerbe—
Ausjtellungen zahlreihe Auszeichnungen. So erhielt er außer der be-
veits erwähnten bronzenen Medaille von der Londoner Ausjtellung des
Jahres 1862, auf der Barijer Welt-Ausjtellung im Jahre 1867 vie
jilberne Medaille, in demjelben Jahre auf der Induſtrieausſtellung
zu Chemnig die ſilberne Medaille und die gleiche Auszeichnung auf der
Ausjtellung zu Trieft im Jahre 1871. Die Wiener Weltausitellung des
Jahres 1373 brachte ihm für feine ausgejtellten Teppiche und Decken die
Fortjhrittsmedaille, und auf der Induſtrieausſtellung zu Santiago
in Chile wurde ihm die zweite Preismedaille zuerkannt. Bon Seite der
öſterreichiſchen Regierung wurde Ginzkey gleichfalls für die bedentenden
Erfolge auf gewerblichem Gebiete ausgezeichnet. So erhielt er durch Aller:
höchſte Entichliegung zunächjt am 31. October 1867 das goldene Ber:
dienjtfreuz mit der Krone, welcher Auszeichnung am 27. October 1873
das Nitterfreuz des Franz Joſeph-Ordens folgte. Die Stadt Zittau
in Sachſen verlieh ihm am 21. Juli 1865 das Bürgerrecht, ce
Auszeichnung, mit welcher in Sachſen weit weniger freigebig umgegangen
wird als bei ung. Für ſein menjchenfreumdliches und gemeinnütziges
Wirken erhielt Ginzkey gleichfall3 eine Neihe von Anerfennungsjchreiben
von Seite der öſterreichiſchen Miniſterien und verſchiedener Vereine, ſo
namentlich von Seite des öſterreichiſchen Unterrichts: Minifteriums am
29. Mat 1874 „wegen jeiner vielen Verdienſte um die Maffersporfer
Schule und für fein ftets an den Tag gelegtes jchulfreundliches Wirken",
und ein ſolches von der Zuchmachergenofjenjchaft in Reichenberg vom
23. December 1868, „da er als Borftand der Webjchule dieſe Anjtalt
durch eine Neihe von Jahren unterjtügt hatte”.
Die Errihtung der Maffersdorfer Brauerei war Ginzfeys letztes
Werf. Mitten in diejes thatenreiche Leben, in die glücklichjten Lebensver—
hältniſſe griff der Tod mit ungeſtümer, nerbittliher Haft ein. Ginzfey
war niemals anhaltend leidend gewefen; er erfreute fich eines rüjtigen
Körperbaues und eines gefunden Ausjehens und jcheint darüber die Aus:
bildung eines tückiſchen Herzleidens nicht beachtet zu haben. In den erſten
Maitagen des Jahres 1876 fühlte ſich Ginzkey unwohl, ohne daß er
jedody darauf bejonders geachtet hätte, um ſo weniger, da auch der Arzt
feine Bejorgnis hegte. Da trat unerwartet eine Berfchlimmerung und ein
raſch zunehmendes Sinfen der Kräfte ein, und in der Nacht von 2. auf
den 3. Mai um die 4. Morgenjtunde machte ein Herzichlag feinem ſchaffens—
frendigen Leben ein plögliches Eude.
— 816 —
Das ganze Thal trauerte, als die erfchüütternde Kunde fich verbreitet
hatte. Aus allen Theilen der Heimat und des Auslandes, aus fernen
Ländern kamen Kundgebungen der innigjten Theilnahme Am 6. Mai
fand die wiürdige Beerdigung des Verſtorbenen jtatt, zu welcher große
Menjchenmengen von nah und fern herbeigejtrömt waren. Der mit Blumen
iiberdedte Sarg wurde durch ſämmtliche Fabrikshöfe der Ginzkey'ſchen
Anlage geführt als legte Huldigung der Ueberlebenden an den Schöpfer
diefer Werfe und ſodann in der Pfarrkirche von Maffersdorf beigejegt.
So wurde Ginzfey, kaum auf der Höhe feines Wirkens angelangt,
noch in voller Rüſtigkeit und Kraft, allzufrüh den Seinigen und dem
engeren VBaterlande entrifjen.
Ignaz Ginzkey war von Berjon eine mittelgroße, marfige Gejtalt
von guten, ruhigen Manieren. Gefichtsbildung, Ausdrud und fein ganzes
Weſen erinnerten vielfach an den englischen Induſtriellen.
Ein von U. Weger in Leipzig vorzüglich ausgeführter Stich ') jtellt
ung Ginzkey im Bruftbild dar. Das von einem jchmalen Badenbarte
umrahmte Antlig verräth in den Augen Milde und Herzensgüte, die hohe.
fräftig gebaute Stirn mit zwei jcharfen Denkerfalten zwijchen den Brauen
verräth häufiges Denken und Geiftesfraft, die bujchigen Augenbrauen
und der energiiche Zug um die Mundwinfel weijen auf bedeutende That-
fraft und zähe Ausdauer hin. Ginzkey war mit jolchen Eigenjchaften und
Charaftereigenthümlichfeiten geziert, die in jedem Berufszweige, namentlich)
aber im gejchäftlichen Leben, zu beveutendem Erfolge führen müfjen: er
bejaß eine unermiübdliche Arbeitskraft, einen Haren ficheren Blick, ein reges
Verftändnis für große und weit tragende “been, ein mannhaftes Selbft-
vertrauen, ftrenge Pflichterfüllung, Chrenhaftigfeit, Verläßlichkeit und ein
erftaunliches Gedächtnis. Von Anfang an und felbjt jpäter, als die ver-
größerte Fabrifsanlage bereits in Blüte jtand, leitete er diefelbe in jeder
Hinficht ganz allein, ohne fremde Beihilfe. Nur in der Färberei jtand
ihm, wie bereit3 erwähnt, fein Bruder Wilhelm, ein ausgezeichneter Mit:
arbeiter, zur Seite. Als ſpäter Ginzkey bei dem größeren Wachsthume
des Gejchäftsbetriebes jüngere Kräfte für Buchführung, Correfpondenz u. ſ. w-
aunzuftellen genöthigt war, blieb er doch bis zum Eleinften herab von allem
unterrichtet, was fein Gejchäft betraf, die Ziffern feiner Bücher, die Be—
jtände feines Lagers kannte er fürmlich auswendig, und feine große Ge—
dächtnisfraft erjtredte fi) bis auf das Conto des geringjten Kunden, wie
auf das legte Sädchen Garn. Er beſaß von Natur aus einen Fünjtlerischen
— —
]) Dem jhon erwähnten Werke von Dr. F. Mamroth als Titelbild beigegeben.
- 87 —
Geſchmack, welcher ihm namentlich "bei der Erfindung der Teppichmufter
ſehr zujtatten Fam; obwohl er nicht regelrecht zu zeichnen gelernt hatte —
ein Mangel, den er jehr beflagte — erfand er doch ganz allein alfe Mufter
für jeine Zeppiche und Deden, jtellte fie zufammen und verbefjerte fie,
Wenn ihm zufällig ein hübjches Meufter, ein gelungener Arabesfenzug auf
irgend einer Zuchleifte oder fonjt an einem Gegenftande zu Geficht kam,
jchrieb er Bemerfungen darüber in fein Notizbuch ein oder fügte auch mit
einigen Strichen die Zeichnung bei.
Bejonders hervorragende Charaktereigenjchaften Ginzkey's waren:
Anjpruhslofigfeit, Bejcheidenheit und Herzensgüte Die
ftattliche Reihe von Ehrenbezeichnungen und Auszeichnungen, welche Ginztey
namentlich in den legten Lebensjahren zutheil wurden, gereichten ihm wohl
zur Befriedigung, aber fie erwecken feinerlei Stolz in ihm, reizten ihn nicht
zu neuen Ehren, er blieb als veifer, von Erfolg und Glück begünftigter
Mann ebenjo anfpruchslos und liebenswürdig, wie er es zu Beginn feiner
Laufbahn gewejen war. Diejes bejcheidene, dem öffentlichen Hervortreten
abgeneigte Weſen war mit Urfache, daß er die Wahl als Gemeindevorjteher
in Maffersdorf ablehnte, und daß er in der Politik ſich wenig bemerkbar
machte, abgejehen davon, daß jein eigentliche8 Arbeitsfeld ganz wo anders
lag. Bezüglich feiner politiihen Gefinnung gehörte er der deutjch-liberalen
Berfaffungspartei an, und er bethätigte dieſe ſtets offen bei allen Abjtim:
mungen, bei den Wahlen der Handelsfammer in den Neichsrath und Land—
tag, jowie im Landbezirke.
Bon feiner schlichten, anſpruchsloſen Denkweiſe gibt folgende verbürgte
Erzählung eine Probe: Als einft ein hochgeftellter öfterreichifcher Mini—
jtertalbeamter, der auf handelspolitifchem Gebiete einen maßgebenden Einfluf
ausübte, die Fabriksräume Ginzfey’s befuchte und eben in einem Magazine
jich befand, wo große Ballen der nach England bejtimmten „Austrian
blankets“ aufgeftapelt waren, machte er den Gaft nicht darauf aufmerkſam,
obwohl fein ihn begleitender Sohn es anregte, indem er nachher bemerkte:
„Der Minijterialbeamte hätte vielleicht glauben fünnen, daß die öſterreichiſche
Induſtrie jchon exportfähig jei, weil ich die Baar Deden nah England
ihide." An den Grundjägen der Ehrenhaftigfeit hielt Ginzkey unter allen
Berhältnifjen unmwandelbar feſt. Als man in der Zeit des jogenannten
volfswirthichaftlihen Aufſchwunges, da der Börfentaumel und das Gold-
fieber manchen nüchternen Kopf berücte und manchen bis dahin mafellofen
Namen befledte, mit außerordentlich lodenden Anerbietungen an ihn heran:
trat, ihm jeden Preis für feine Fabrik verſprach, wies er alle diefe Aner—
bietungen lächelnd aber feſt zurüd.
*
— 318 —
Was Ginzkey als Menfchen namentlich) auszeichnete, war feine
Herzensgüte Er war ein Menjchenfreund in des Wortes edeljter
Bedeutung, bei welchem Noth und Kummer niemals vergeblich anflopften,
ein eifriger Förderer alles Guten und Gemeinnügigen. Von jeiner
‚Herzensgüte zeugen viele ungezählte Thaten der Barmherzigkeit und Groß:
muth, welche er in jeiner engeren Heimat befundete, ebenjo das Anhäng-
lihfeits- und Danfbarfeitsgefühl, welches er jeinem Geburtsorte
Maffersporf gegenüber bewies Hievon zeugt nicht nur das Legat von
10.000 Fl. zur Erbauung eines Armenhaujes in Maffersdorf, jondern auch
der Umstand, daß er noch in den legten Tagen vor feinem Tode der
DOrtsarmen in Maffersdorf gedachte und ihnen die Summe von 1000 fl.
ausjegte, welche an jeinem Begräbnistage unter diefelben ausgetheilt werden
jollte. ) Infolge feiner reichen Erfahrung verjtand ex es vortrefflich, mit
Menſchen der verjchiedenften Zebensftellung zu verkehren, und feine milde
Würde im Verkehr und die fchonende Form, in der er jeine Anjichten
ausſprach, erwecten jchnell Vertrauen und gewannen ihm namentlich die
Herzen feiner Untergebenen. Gegen die Schwächen anderer war er jtets
nachfichtig, Kräntungen und Beleidigungen, die ihm nicht erjpart blieben,
reizten ihn niemals zur Wiedervergeltung. In der Ausübung der Mild-
thätigfeit jtand ihm auch feine Gemahlin getreulich zur Seite, So übte
jie namentlich) im Jahre 1866 an öſterreichiſchen Verwundeten zahlreiche
Werke der Wohlthätigfeit, jpendete für diejelben außer Geld Verbandſtücke
und Wäfche, und lieferte für die Berwundeten im Neichenberger Stephans-
Hofpitale 62 Ellen Teppih. Einem öfterreichifchen Jäger, welcher bei
Skalitz ſchwur verwundet, in preußiiche Gefangenschaft gerathen, dann aber
aus dem Spitale entflohen war, um nad) Sohannesberg bei Gablonz zu
den Seinigen zu gelangen, legte Frau Ginzfey auf dem Wege durch
Maffersdorf einen friſchen Verband an und bejchenfte ihn mit Geld. (Leider
geriet) der Verwundete in Liebenau zum zweiten male in preußische Ge—
Tangenjchaft.)
Hier mag auc das Verhältnis Ginzkey's zu jeinen Arbeitern eine
kurze Bejprechung finden. Ginzkey verjtand es, Ähnlich wie Johann Liebieg,
ji) jeine Wrbeitsfräfte heranzuziehen, die tüchtigften auszuwählen, ſie
fortzubilden und an Sich zu feſſeln. Das Verhältnis zwijchen ihm und
jeinen Arbeitern war ein ſchönes und würdiges, ev war jtetS wohlwollend
und gerecht gegen fie und ein wahrer Freund derjelben. Härte in der
1) Was auch von Seite der Erben gejchab, indem am 6. Mat jeder Gemeinde
liuks und rechts der Neiffe 500 fl. verabfolgt wurden,
— 319 —
Behandlung derfelben Tag ihm gänzlich fern; mit Güte und Milde fuchte
er alle Mißhelligfeiten, die jich ergeben mochten, auszugleichen und zu
ichitchten, jo daß bei ihm nie Störungen im Yabrifsbetriebe wie ander-
wärts eintraten. Dieſe richtige Pflege feiner Arbeitskräfte Fam auch natur:
gemäß jeinen Unternehmungen zujtatten. Noch jet gibt es Arbeiter in der
Ginzkey'ſchen Fabrik, welche Ginzkey in den erjten Jahren feiner Thätigfeit
zur Seite jtanden. Ginzkey nahm ftets freundlichen Antheil an den Leiden
und Sorgen feiner Arbeiter, er Half bereitwillig, wenn jie in mißlichen
Lebenslagen jich vertranensvoll an ihn wandten, aber er verjtand es and),
die Arbeiter, die häufig nur fir den Augenblid leben und felten der Zukunft
gedenken, an Sparſamkeit und Niüchternheit zu gewöhnen. Zu Beginn
jeiner gejchäftlichen ZThätigfeit war das Verhältnis Ginzkey's zu feinen
Arbeitern, da ihre Zahl noch nicht in die Hunderte ging, ein wirklich
patriarchaliſches, indem er die Werfführer und tüchtigjten derjelben
Sonntags an feinen Tiſch zu ziehen pflegte. Andererſeits verichmähte er
e8 auch nicht, au den verjchiedenen Familienfeften feiner Untergebenen
perjönlich Theil zu nehmen. So fam e8 auch, daß die Arbeiterunruben,
welche zu Ende der jechziger Jahre in Reichenberg und den benachbarten
Fabrifsorten vorfamen, ihn ſehr wenig berührten. Den Wrbeiter- und
Strifebewegungen juchte ev überhaupt bei Zeiten vorzubeugen, indem er
dann, wenn die Arbeiter unter dem Drude einer Theuerung litten, frei-
willig zu wiederholten malen Lohnerhöhungen vornahm. Für Krankheits—
und Unglüdsfälle bei feinen Arbeitern jtiftete er eine Krankencaſſe,
die bei einer Einzahlung von 1%, des Lohnes jedem Arbeiter für die
Dauer der Krankheit den halben Lohn, jowie freie ärztliche Behandlung
und Medicamente ficherte, außerdem ſah er darauf, daß die Kinder feiner
Arbeiter die Schule des Ortes eifrig bejuchten.
Ginzkey iſt auch der Segen eines glüdlihen Familienlebens
zu Theil geworden, jo daß jein Lebenslauf auch nad) diefer Richtung Hin
heitere Farbentöne darbietet. In der zufriedenen Häuslichfeit fand der
Ichaffende Mann das Afyl, wohin er fih nach de8 Tages Lajt und Mühen
zurückzog und da neue Kraft und Luſt jchöpfte im Ringen mit den Wider:
wärtigfeiten und Wechjelfällen des gejchäftlichen Lebens. Hier vergaß er
die trüben Sorgen und Enttäufchungen, welche ihn namentlich zu Beginn
feiner Laufbahn heimfuchten. Und es iſt ein jchöner Zug feiner gemüth-
vollen Natur, daß er den Seinen immer erjt dann von diefen Mißhellig-
feiten und Sorgen Mittheilung machte, wenn alles glüdlich geordnet und
ausgeglichen war. Fir das gejelige Leben bildete überhaupt das Ginz—
fey’ihe Haus einen reizvollen Anziehungspunft; von hier ift manches Gute
— 2398 —
und Schöne der Idee nach, nach Außen gegangen und in der Ausführung
gefördert worden. Daher mochten auch die Berje, welche die Kinder
Ginzkey's bei der Feier der jilbernen Hochzeit des Elternpaares am
27. April 1872 vortrugen, ihre volle Berechtigung haben:
„Bo Mann und Frau fih jo dem Fleiße weihen,
Wo Lieb' und Trew’ ſich reichen fo die Haud,
Da muß des Haufes fchönftes Glüd gedeihen,
Da blüht und wächſt ein traut Familienband.
Bald ftrömt in’3 Hans des Himmels reichiter Segen,
Die Räume wachſen, die Geſchäfte blüh'n . . .“
Werfen wir zum Schluſſe einen Rüdblid auf die indujtrielle Thä—
tigfeit und den Entwidlungsgang Ginzkey's, jo jcheint eine unüberjteigliche
Kluft zwifchen dem Spulrade und dem Großinduftriebetriebe zu liegen,
und doc Hat diefe Kluft Ginzkey durd Fleiß, Geiftesfraft, Ausdauer und
itrenge Rechtlichkeit allmälig, aber ficher überbrüdt. Als die deutlichjten
Markſteine in der erfolgreichen Laufbahn Ginzkey's erfcheinen uns zunächſt:
der glüdlich von ihm erfaßte Gedanke, jich auf einen nenen Erwerbszweig,
die Teppich: und Dedenerzeugung zu verlegen, jodanı die Aus—
nilgung der als werthlos angejehenen Wollabfälle der inländiſchen
Fabriken, und dann die Einführung der Abfälle aus den franzöfichen
KXammgarnjpinnereien, endlih die Benützung uw Selbit-
erzeugung der Kunſtwolle, durc deren Verwerthung er rajch zur
Bedeutung aufftieg, und wodurd er in Defterreich eine neue, wichtige
Quelle des Erwerbes erjchloß, und der heimijchen Induſtrie neue Wege
bahnte. Der Reichthum lag auf der Straße, aber niemand verjtand es
ihn aufzuheben, und daß e8 Ginzkey zuerjt verjtand, darauf beruht eben,
wie beim Aufjtellen des Eies des Columbus — fein Verdienſt.
Es liegt jeher nahe, den Lebenslauf Ginzkey’s mit dem Johann
Liebiegs, des Begründers der großartigen Yabrifsanlage in Neichenberg,
zu vergleichen. Unbemittelt und beinahe ohne jede Unterjtügung von Seite
des Baterhaufes, betraten beide die Laufbahn, ausgezeichnet durch Erfoig
und Ehre, faum auf der Höhe ihrer Wirkſamkeit angelangt, ſchließen beide
diejelte allzufrüh. Und troß des bedeutenden Wechjels in Bezug auf
äußere Lebensverhältnifje bewahren beide ihre Einfachheit ud Schlicht—
heit des Charafters. Beide waren Männer der Arbeit, die jeit
ihrer erjten Jugend auf die Erprobung der eigenen Kraft und auf ihre
eigene Erfahrung angewiefen waren. Beide bilden in ihrem Charakter
ein woblthuendes, abgejchloffenes Ganze und fie find vollgiltige Ber
treter des tühtigen, rührigen umd intelligenten deutſchen
——
Volkes in Nordböhmen. Ignaz Ginzkey hat wie Johann und Franz
Liebieg unſerer deutſchen Heimat, ſowie dem geſammten Vaterlande neue
Induſtriezweige erſchloſſen und damit die induſtrielle Bedeutung
Nordböhmens uud Oeſterreichs erhöht. Ignaz Ginzkey war ein
ganzer Mann, ſein Andenken wird in den gewerbfleißigen
Thälern feiner Heimat folange fortleben als rührige
Hände im Dienjte der Induſtrie thätig find.
Ignaz Ginzkey hinterließ außer feiner treuen Lebensgefährtin, mit
welcher er, wie bereits erwähnt, am 27. April 1872 die filberne Hochzeit
gefeiert hatte, drei Söhne und fünf Töchter: Ignaz, Willy, Alfred, Anna,
Marie, da, Rofa und Hermine Ginzfey. Die beiden älteften Söhne,
Ignaz und Willy, der erjtere damals 27, der letztere 22 Jahre alt, hatten
theils in Deutjchland, theils in Belgien den Gejchäftsbetrich praktiſch
erlernt, und waren dem Vater bereits durch einige Zeit vor feinem Tode
als tüchtige Mitarbeiter zur Seite gejtanden. Sie führen gegenwärtig im
Geijte des Vaters mit den langjährig bewährten Kräften und ungejchmälerten
Fonds (der jährliche Geſchäftsumſatz betrug beim Tode Ginzfey’s 2,000.000 fl.)
. das umfangreiche Gejchäft weiter. Der erjtgeborene, Ignaz Ginzfey, gegen:
wärtig im beften Mannesalter ftehend, ift mit Helene Sueß, der Tochter
des Fabrifanten und Neichsrathsabgeordneten Friedrih Sueß, ver:
mählt, der zweitgeborene, Willy, iſt noch unverheiratet und der dritte Sohn,
Alfred, vollendete in dieſem Jahre feine Gymnaſialſtudien in Leitmerig,
indem er fich mit günftigem Erfolge der Maturitätsprüfung unterzog und
gedenft auf der Univerfität in Graz ſich dem-juridischen Studium zuzuwenden.
Er ijt jedoch gleichfalls Mitinhaber der Fabrik und kann zu jeder Zeit in
diefelbe eintreten. Bon den Töchtern Ginzkey's heiratete die ältefte, noch
2 Jahre vor dem Tode des Vaters, den Wollwaarenfabrifanten Oskar
Klinger in Neuftadtl. Nach dem Tode des Vaters vermählte fih Ida
Ginzkey mit Philipp Schmidt jun, Fabrifsdivector in Jungbunzlau,
Roſa Ginzkey mit Karl Mallmann, dem Director der Neichenberger
Bank. Sie ftarb jedoch noch in der Blüthe ihrer Jahre bereit am
14, Juli 1885. Marie und Anna Ginzkey find noch unverheiratet.
Die erjtere traf vor einigen Jahren ein Unglüdsfall, welcher leicht hätte
tragisch enden fünnen. Bon einem Balle nach Haufe zurückgekehrt, ftreifte
ihr leichtes Ballfleid an ein auf der Erde ftehendes Licht, es fing Feuer
und nur durch die Geiftesgegenwart und das energische Eingreifen ihres
älteren Bruders, der das brennende Kleid raſch herabriß und die Flammen
mit den Armen erjtidte, wurde fie vor dem Tode errettet. Doch trug fie
Deittheilungen. 25. Yahrg. 3. Heft. 21
— 32 —
von dem Unglücsfall mehrere Brandwunden davon, an welchen fie lange
zu leiden hatte,
Die Yabrifsanlage wurde feit dem Tode Ginzkey's abermals be:
trächtlich erweitert und zwar zunächſt durch zwei neue Yärbereien,
jerner durch ein Wollmagazin und einen Zubau zum Comptoir-Gebäude.
Daran reihte fich im Jahre 1883 der Bau einer neuen, äußert gejchmad-
vollen Billa in italienischer Renaiſſanee, welche vom Neichenberger Bau-
meijter Eduard Troſſin gebaut wurde, Sie erhebt ſich unweit der
Gebirgsſtraße mit der Hauptfagade gegen den Park gerichtet, hat äußerſt
geihmadvoll und veich ausgeftattete Innenräume und ijt gegenwärtig der
jtilvolljte und ſchönſte Bau von Mafferspdorf. Infolge diejes
Neubanes erhielt auch die frühere Parkanlage eine Erweiterung, indem fie
Dis zur Gebirgsftraße ausgedehnt wurde. Zu der räumlichen Erweiterung
der gefammten Fabritsanlage, welche gegenwärtig gegen 20 Joh Fläde
umfaßt, fommt auch die technische, inden namentlich ſämmtliche alte
Mafchinen durch neue nach den nenejten Syjtemen erjegt, und alle ein-
ſchlägigen Berbefjerungen und Erfindungen der Neuzeit eingeführt wurden.
In den Spinnereien jind gegenwärtig 12 Sag Krempeln neueſten Syitems
nebjt den dazu gehörigen Spinnmajchinen u. ſ. w., und in den Webereien
120 mechanische und 250 Handwebjtühle im Betriebe. In der Knüpf-
teppichweberei, welche in jüngjter Zeit eine ganz bejondere Ausdehnung
erlangt hat und worin Smyrna-Teppiche erzeugt werden, arbeiten gegen
250 Mädchen. Der mechanische Betrieb der verfchiedenen Mafchinen wird
von drei Dampfmotoren, welche von 6 Kejjeln gefpeift werden, nebjt drei
Zurbinen von zufammen 500 Pferdefräften beſorgt. Sämmtliche Fabrifs-
räume und Höfe ſammt den zwei Villen find gegenwärtig eleftrijch be:
leuchtet, indem (nad) dem Syfteme der Firma B. Egger u. Co. in Wien)
100 Bogenlampen und 1200 Glühlampen von 4 Dynamomajchinen nebjt
einer ausjchließlih fir den Zwed bejtimmten Dampfmaschine geſpeiſt
werden. Nach älterer Methode war bereits feit dem Jahre 1873 die
Färberei eleftrijch beleuchtet, jo daß in diefer auch während der Nachtzeit
gearbeitet werden konnte, was bekanntlich bei einer anderen Beleuchtung, 3.B.durch
Gas, nicht möglich iſt. Außerdem find die verjchiedenen Fabrifsräume mit
dem Haupteomptoive und diefes mit Neichenberg durch eine Telephonanlage
verbunden.) Die gefammte Zahl der gegenwärtig in der Fabrik bejchäftigten
1) Die in Neichenberg in jüngiter Zeit errichtete Telephonanftalt wird von
der heimischen Induſtrie bereit? ausgiebig benugt. Mit Ende Auguft d. J.
zählte die Anftalt 126 Centrallinien mit 3 Mittelftationen, dann vier divecten
Yinien mit 8 Stationen, jo daß im ganzen 137 Stationen im Betriebe jind.
— 323 —
Arbeiter beträgt gegen 1000, wobei die eine Hälfte auf Männer und
Knaben, die andere auf Frauen und Mädchen entfällt. Ein Weber verdient
auf einem Handwebjtuhl wochentlih 5—8, auf einem mechanischen Web-
jtuhle 8—9 Gulden. In der Knüpfteppichweberei verdienen die Franen
und Mädchen wochentlih 4—7 Gulden. An Beamten find in der Maffers-
dorfer Fabriksanlage gegen 30 und ebenjoviel in der Hauptniederlage in
Wien angeftellt. An Wohlthätigkeitsanftalten für die Fabriksarbeiter Fam
zu der bereits von Ignaz Ginzfey gegründeten Kranfencafja im J. 1876
eine „Arbeiterpenfionscafja"”, indem das von Ignaz Ginzkey zur
Erbauung eines Armenhaujes in Maffersdorf bejtimmte Legat von 10.000 fi.
von jeinen Erben als Grundcapital für eine Arbeiterpenfionscajja
verwendet wurde. Dasfelbe wird von Zeit zu Zeit von der gegenwärtigen
Firma vergrößert und von drei Beamten der Fabrik und 5 aus der Mitte
der Arbeiter gewählten Vertrauensmännern verwaltet. Alle Arbeiter der
Ginzkey'ſchen Yabrif, welche durch längere Beit in derjelben bejchäftigt
waren und arbeitsunfähig geworden jind, erhalten daraus entjprechende
Penſionen. Ferner find jämmtlihe Beamten und Arbeiter der Fabrik
gegen Unglücsfälle beim „Vereine von Induſtriellen zur Berficherung
gegen Fürperliche Unfälle in Wien" auf Koften der Firma verfichert. Die
ſchon von Ignaz Ginzkey gegründete Fabriksfeuerwehr beſteht gegen:
wärtig aus 100 Mann und beſitzt außer allen nöthigen Feuerlöſch-Erforder—
nijjen auch eine Dampfiprige.
Bon den in der Fabrik erzeugten Artikeln: Teppichen, Deden und
Kogen werden gegenwärtig die Deden hauptjählih nad) Südamerika,
Teppiche, insbejondere „Smyrna=-Teppiche” nad) Frankreich, Eng-
fand und Nordamerika ausgeführt. Für Defterreich ift in Wien die Haupt-
niederlage. Die Firma ſteht mit jänmtlichen bedeutenden Handelsplägen
der Erde theils durch Vertreter, theils durch eigene Reiſende in Verbindung.
Zu den Auszeichnungen, welche die Ginzkey'ſchen Erzeugnifje auf den
verschiedenen Induſtrie- und Weltausftellungen errangen, famen nad) dem
Tode Ginzkey's Hinzu: Die goldene Medaille auf der „South
African Exhibition“ vom Jahre 1877 und diefelbe Auszeichnung
auf der im mächjten Jahre erfolgten Barifer Welt-Ausftellung.
Auf der Gewerbe: Austellung zu Wien im Jahre 1880 war Ignaz
Ginzkey jun. Preisrichter, daher blieben die Ginzkey'ſchen Erzeugniffe
außer Bewerbung, und dasjelbe war auf der im Jahre 1885 erfolgten Aus-
jtellung zu Antwerpen der Fall, auf welcher Willy Ginzfey der Jury als
Mitglied angehörte,
21*
— 324 —
Diefe angeführten Daten bemweifen zur Genüge, daß die Fabrifs-
anlage ') jeit dem Tode des Schöpfers im rüftigen Vorwärtsfchreiten begriffen
it und daß von Seite der jegigen Bejiger insbefondere für den Fabriks—
betrieb im großen, alle Erfindungen und Verbeſſerungen der
Neuzeit in ausgiebigfter Weife verwerthet wurden. Möge
die Schöpfung Ginzkey's zur Ehre feiner Nahfommen, zur
Ehre des deutjhen Namens in Defterreich weiter blühen
und der engeren Heimat eine Stätte der Arbeit und des
Fortſchrittes bleiben!
Sagen aus dem weltlichen Böhmen.
Bon Franz Wilhelm,
1. Die Sage von der weißen Fran am Schloßberge bei Buchau.
Bor nicht gar vielen Fahren bewohnte die „alte Hütte” im Eckert—
walde zwiſchen Buchau und Taſchwitz ein Jüngling allein mit feiner
Mutter. Der Jüngling trieb täglich die Herde auf die Weide, während
die Mutter den Hausftand bejorgte. ALS eines Tages der Yüngling im
Thale unterhalb des Schloßberges weidete, gejellte ſich zu ihm eine wunder:
jhöne Frau im weißen Gewande und gab fich ihm als verwunfchenes
Burgfräulein zu erkennen, dag er erlöjen fünne: „ie werde Tags darauf
wieder aber im häßlichen Aufzuge erjcheinen und bedürfte zur Erlöfung
blos Betupfen mit dem Finger, jelbjt Berühren mit feinem SHirtenftabe
würde jchon hinreichen; fie würde dann ihm ganz gehören, verſprach fie,
und feiner Mutter bei der Arbeit helfen.“
Der Morgen erjchien und ver Jüngling »trieb feine Herde wieder
zur jelben Stelle. Wirklich erjchten die Geftalt in Begleitung eines um
1) Bon hochgeſtellten Perlönlichfeiten, melde die Fabrik im Laufe der letzten
Decennien bejuchten, ferien folgende angeführt: Seine E. k. Hoheit Rronprinz
Rudolf am 9. Juli 1871 während feines Aufenthaltes in Nordböhmen, der
öſterreichiſche Reichskanzler Freiherr v. Beuft im September 1867, die Statt:
halter von Böhmen: Alerander Freiherr von Koller und Freiherr Philipp
Weber von Ebenhof im December 1874, die Handeläminifter Dr. Anton
Banhand und Ritter von Chlumesfy im Auguft 1875, die Gräfin Clotilde
Slam Gallas u. a. m.
— 325 —
ſie ftetS emporspringenden ſchwarzen Hündchens; doch waren ihre Formen
von gejtern nicht mehr zu erkennen. Der Körper über und über mit
Geſchwüren und Ungeziefer, bejonders Eidechfen und Blinpjchleichen be-
deckt, das Gejicht häßlich und verzerrt, die Sangen Haare graus über den
Rüden und das Gejicht herabflatternd. Langjam im gemefjenen Tempo
näherte fie ji) dem Jünglinge bis auf drei Schritte. Sie jprad) fein
Wort, jondern gab dem Jünglinge durch einladende Bewegungen zu ver-
jtchen, er möge das Erlöjungswerf an ihr beginnen; doc) feſt gebannt
auf den led, wo er ftand, wagte der Jüugling vor Schreden nicht die
geringfte Bewegung und nur ein Laut der verzweifelten Furcht entjchlüpfte
jeinen Lippen. Die Geftalt aber entfloh mit den Eäglichen Worten:
„Wehe, nun ift es wieder für hundert Jahre gejcheh’n!" Mühſam ſchleppte
ih) der YFüngling nad) Haufe und ward zwei Tage darauf eine Leiche,
Die weiße Frau aber wurde feitdem nicht wieder gefehen.
Mittheilungen der Gefdäftsleitung.
Su der am 29. November 1886 abgehaltenen Generalverjammlung
wurde der Jahresbericht für das Vereinsjahr 1885 —86 vollinhaltlic)
genehmigt, aus welchem ein kurzer Inhaltsauszug folgt:
Der Berein zählte am Schluſſe feines 24. Jahres 54 ftiftende und
1596 ordentliche, zufammen 1650 Mitglieder, ſomit gegen den zulegt aus:
gewiefenen Stand von 1614 Mitgliedern um 2 Stifter und 34 ordentliche
Mitglieder mehr.
Rechnungslegung für das 24. Vereinsiahr.
Einnahmen.
Sahresbeiträge der Mitglieder . . . . 5.646 fl. 43 fr.
Intereſſen vom Xetivcapitale. .... 475 „ 79 „
Erlös für veräußerte Vereinsjchriften . 136 „13 „
Sonftige Gejchenfe und Einnahmen . . 525 „9 „
Hiezu der mit Schluß des DVereinsjahres
1884,5 verbliebene Caſſareſt . » . 150 „9 „
Zufammen. 2... 6.935 fl. 28 kr.
— 326 —
Ausgaben.
Herausgabe der „Mittheilungen” . . . 3.003 fl. 51 Er.
Für die Bibliothet . . » » 2.2... 255 „ 67 „
„ das Antiuarium 22 222... 14 272 > ;
Honorar des Gejchäftsleiters fammt Woh-
nungs-Beittag > 2 22 nn. 800. 1: ;
Gehalt des Eanzelliften - . »» 2... 500 un 4,
DEEBANB 2 1.184 „ —
Einrihtungsftüde » » 2 2 2.2... 34:44: „
Für Beheizung, Beleuchtung und Reini:
BIN ee a ne 310 „4 „
Sonjtige Kanzlei- und Verwaltungs-Aus—
J ar tr RD
Bufammen. . ... 6.789 fl. 74 fr.
Demnach ftellt fich ein Ueberfchuß von. . . . . ne. 145 fl. 54 fe.
heraus.
Dazu fommt das Stammvermögen, welches mit Schluß
ves 24. Vereinsjahres. . . . . ERW 17.531 fl. 96 Er.
beträgt.
Es beziffert jich daher nach den von den NRechnungs-
revijoren geprüften Ausweiſen und Rechnungen das
gejammte Bereinsvermögen in Geld, Werthpapieren und
anstehenden Forderungen am Schluffe des 24. Vereins:
jahres d. i. mit 15. Mai 1886 zuſammen auf. . . 17.677 fl. 50 fr.
Hiezu kommt noch der Werth des Vereins-Inventars nebjt den
Borräthen an verjchtedenen Verlagsartifeln des Vereines.
Mit den Bertretern, den Hauptjtügen unferes Vereines, unterhielt
die Gejchäftsleitung teten Verkehr, und ihrer opferwilligen Mühewaltung
iſt es zumächjt zuzufchreiben, wenn die Zahl der Bereinsmitglieder im
Laufe des Jahres zugenommen hat. Darum zollt ihnen der Ausschuß jeinen
wärmjten Danf, — Neugegründet wurden 7, neubejegt 2 Vertretungen.
Der Schriftenaustaufch wurde auf 3 neue Vereine ausgedehnt, fo
daß unſer Verein mit 116 wiljenjchaftlichen Inſtituten in Beziehung steht.
In der am 29. November jtattgefundenen General - Berfammlung
wurden Zeinjtimmig gewählt:
Zum Ehrenmitgliede:
Herr JUDr. Franz Schmeyfal, Advocat, Landtagsabgeordneter.
Herr
ae
Ferner in den Ausſchuß nachitehende Herren:
Phil. Dr. &. Biermann, k.k. Schulrath, Director des k. k. deutfchen
Gymnafiuns auf der Kleinfeite.
JUDr. Johann Kiemann, Aovocat, Landtagsabgeordneter.
Phil. Dr. Hans Lambel, Profeſſor an der k. k. Univerfität.
Phil. Dr. &. €. Laube, Profeffor an der k. k. Univerfität.
P. Maurus Pfannerer, Ph. Dr., k. k. Landesjchulinfpector.
M. Pfeiffer, General-Inſpector der Bujchtiehrader Eiſenbahn.
Guſt. Rulf, pen. f. k. Staatsbuchhaltungs-Rechnungs-Rath.
Se Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferſcheid, £. k. Kämmerer,
Herr
Großgrundbeſitzer, Landtagsabgeordneter ꝛc. ꝛc.
JUDr. Edmund Schebek, kaiſ. Rath, Handelskammer-Secretär i. P.
Dr. Ludwig Schleſinger, Director des deutſchen Mädchen-Lyceums,
Landesausſchuß-Beiſitzer, Landtagsabgeordneter.
Phil. Dr. Alwin Schultz, Profeſſor an der k. k. Univerſität.
Fr. Theumer, k. k. Ober-Landesgerichtsrath.
Phil. Dr. Theodor Tupetz, k. k. Profeſſor, Docent an der E £,
Univerjität.
JUDr. Albert Werunsfi, Advocat, Landtagsabgeordneter.
JUDr. Friedrich Niter von Wiener, Advocat, Vice-Präſident der
Advocatenfammer.
In der conftituirenden Sigung am 29. November v. J. wurden
gewählt:
Zum Präjidenten :
Str. Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifjerjdeid,
f. £. Kämmerer, Großgrundbeſitzer.
Zum Bice-Präfidenten :
Herr Dr. Ludwig Schlefinger, Director des deutjchen Mädchen:
Lyceums,
Die Übrigen Functionäre wurden in ihrer Amäsſtellung beitätigt.
Nachdem der bisherige Gejchäftsleiter Herr Otto Lohr auf feine
Stelle refignirte, hat Herr Univerfttäts-Profejjor ©. C. Laube die Leitung
der Vereins-Geſchäfte gütigit übernommen.
Der Bibliothek wurden werthvolle Geſchenke übermacht:
Bon Sr. Durchlaucht Mar Egon Fürft zu Fürjtenberg. Aus dem
Nachlaſſe des Herrn kaiſerl. Nathes Franz Klutjchat und von dem Herrn
Bruno Bischoff, Cuſtos des Vereines.
— 328 —
Neu beſetzt wurden die Vertretungen in B.Leipa mit Herrn Karl
Laug, k. k. Bezirks-Schul-Inſpector, und in Graz mit Herrn Frauz
Kutſchera, Ritter von Aichbergen, fürſtl. Schwarzenberg'ſcher Hofrath.
—
Nachtrag zum VBerzeichnii der Mitglieder.
Geſchloſſen am 10. März 1887.
Stiftendes Mitglied:
Herr P. Siegl Meinrad, Abt des Eiftercienjer-Stiftes Ofjegg und Landes-
Prälat von Böhmen mit dem Jahresbeitrage von 10 fl. d. W.
Ordentlide Mitglieder:
Herr Böhm Wendelin, Kaufmann in Hohenelbe.
„ Karteffieri Friedrich, JUDr., k. k. Notariats-Subftitut in Wildſtein.
„Dollinger Fr., Erzieher in Dobtan.
„ Sleifhmann, JUDr., ka k. Notar in Landskron.
„ Ka Ernſt, Fabrikant in Reichenberg.
„ Kühn Conrad, Stadtbaumeifter in Trautenan.
„ »Pfail Sojef, MUDr., Stadtarzt in Tepl.
Löbl. Stadtgemeinde Dobran.
Herr Stauka Adolf, Bürgermeiſter in Eger.
„Walzel Mar, Ritter von Wieſentreu, Fabriks- und Realitäten.
Bejiger in Trautenau.
„ Datfhek Johann, JUDr., Canzelift der Handels- und Gewerbe:
kammer in Neichenberg.
Herr Profeffor Th. G. Mafaryk erfucht uns, mit Rüdfiht auf die Redactions—
bemerkfung zu dem Aufjase Dr. Knieſcheks im Hefte U. Jahrg. XXV. ©, 137 dieler
Blätter zur Mittheilung zu bringen, daß. von Denjenigen, die fid) gegen die Königin-
hofer Handjchrift ausgeiprochen haben, feine Privatgefprähe in die Polemik ‚gezogen
worden jeien. — Indem die Nedaction hiemit dem Wunſche de3 Herrn Profeſſors
entipricht, erübrigt ihr nur ihrerjeitS zu erflären, daß fie in der Behauptung des
Herrn Profeffors eine Berichtigung der betreffenden Redactionsbemerfung nicht zu
erkennen vermag, zumal diefelbe ganz allgemein gehalten ift, aber auch in einem
andern Sinne aufzufaffen ift, ald ihn Herr Prof. Mafaryk zu deuten fcheint.
Die Redaction.
8.8. Hofbuchbruderei U. Haafe, Prag, — Gelbftverlag.
Üittheitungen les Vereines
M
Öeschichte der Deutschen in Böhmen.
Dr. —
— nme nn ⸗ ⸗ öôöü nn an nn nn nn — ————— — ——
Fünfundzwanzigſter Jahrgang. Viertes Heft. 1886/7.
Urkunden und Traktate betreffend die Ver-
breitung des Wicliſismus in Böhmen.
Mitgetheilt von
Prof. Dr. 3. Loſerth.
Der Coder 4941 der Wiener Hofbibliothef enthält eine ziemlich
reichhaltige Sammlung von Acten und fonftigen Schriftftüden: Briefen,
Abhandlungen und dergl., welche für die Gefchichte der Ausbreitung des
Wichfismus im Böhmen von bejonderer Bedeutung find und von denen
die hervorragenditen im Laufe der nächjten Zeit veröffentlicht werden
dürften. Un diefer Stelle laſſen wir drei Schriftjtücde folgen, von denen
zwei bisher ganz unbefantıt, das dritte in einer anderen Faffung und nur
unvolfftändig befannt gewejen iſt.
1. Sn Bezug auf das legtgenannte, das unten zuerſt mitgetheilt
wird, mögen einige Bemerkungen angefügt werden:
Der Papſt Johann XXI. erließ Anfang Februar 1413 von Rom
aus mehrere Bullen, in denen die Verbreitung der Schriften Wiclif's,
namentlich) des Dialogs (Speculum militantis ecclesiae) und Trialogs,
die man (wie e3 in den Bullen Heißt) nicht bloß in den Schulen den
Studierenden, fondern auch dem Bolfe in Predigten mundgerecht zu machen
jucht, auf's jtrengjte geahndet wird. Fürderhin folle Niemandem gejtattet
fein, diefe Schriften zu leſen, zu lehren, zu verbreiten oder fich ihren
Inhalt anzueignen: man möge fie vielmehr, wo man ihrer habhaft werde
22
— 330 —
aufgreifen uud nöthigenfall® verbrennen. Zu der erjten Bulle hat Hus
eine ziemlich jcharfe Gloſſe gejchrieben, die Palacky ſammt der Bulle nach
einer Wittingauer Handjchrift in den Documenta magistri Joannis
Hus mitgetheilt dat. Wir laffen unten den Wortlaut der zweiten Bulle
folgen, in welche die erjtgenannte eingejchaltet ijt; die Gloſſe des Hus
findet jich gleichfalls bei derjelben; fie ift etwas volljtändiger, als die in
der Wittingauer Handichrift.
2. Einer der higigjten Wichfiften in Böhmen war befanntlid) Simon
von Tisnow (fiehe meinen Hus und Wichf S. 271 ff), der in der ent-
jcheidenden Krife, die der Wichfismus in Böhmen durchzumachen hatte,
eine hervorragende Nolle gejpielt hat. In dem großen Nedefampfe, der
in der Zeit vom 27. Juli bis 6. Auguſt 1410 in Prag zu Gunften des
MWichfismus abgehalten wurde, hat er durch die Schärfe feiner Dialectif,
jeinen gejunden Humor und jeine beißende Ironie die Palme davon—
getragen. Die Art und Weiſe wie die englifchen Theorien in Böhmen in’s
praftiiche übertragen wurden, hat ihn zweifellos in’3 andere Lager
getrieben; denn in dem unten folgenden Tractate, den wir nur auszugs—
weije mittheilen, wendet ex fich gegen die 4 Prager Artikel. Im Hinblide
namentlich auf feine frühere Stellung find jeine Ausführungen von bejon-
derem Intereſſe. Freilich dem muthigen und geiftwollen Vertheidiger der
Freiheit der Lehre wird man in diefem Tractate vergebens juchen; von
jeinem Humor oder jeinem äßenden Sarkasmus ijt nicht mehr eine Spur
zu finden.
3. Ein mäßigeres Talent war Andreas von Brod, troß feiner
Anhänglichkeit an die nationalen Momente vom Anfange an ein heftiger
Gegner der Fortjchritte des Wichfismus. Der unten folgende Traftat
führt uns wieder einige Jahre zurüd in die Zeit, wo man den Verſuch
machte, die ftrittigen Fragen auf religidfem Gebiete in friedlicher Weile
zu regeln. Aber ſchon aus dem genannten Tractate jieht man, wie jcharf
zugejpigt die Dinge waren. Einen Erfolg konnten die Vermittlungsverfuche
nicht mehr haben. Für die Gefchichte der Entwicklung und Verbreitung
Wichificher Lehren und Schriften in Böhmen enthält auch diefer Tractat
wichtige Belagitellen.
I.
Der Papſt erläßt ein abermaliges Verbot, die Schriften Wiclif’3
in lateinischer oder in der Volfsfprache zu verbreiten. Rom. Sct. Peter.
1413 Febr. 8.
— 331 —
Bulla contra Hussitas.
(E. cod. pal. Vindob. 4941. fol 69b).
Johannes episcopus, servorum Dei,
venerabilibus fratribus ac universis archie-
piscopis, episcopis ac dilectis filiis, electis
abbatibus, prioribus, prepositis, decanis, archi-
diaconis et aliis ecclesiarum et monasteriorum
prelatis ac inquisitoribus heretice pravitatis,
ad quos presentes litere pervenerint, salutem
et apostolicam benediccionem. Nuper in ge-
nerali concilio, quod adhue in basilica prin-
cipis apostolorum de urbe pro reformacione
et confirmacione prosperi status universalis
ecclesie celebra(ba)tur, eodem approbante
concilio quosdam libellos vel tractatus quon-
dam Johannis Wykleff seu per ipsum editos
et intitulatos dampnavimus et reprobavimus
et alia fecimus, prout plenius continetur in
nostris inde confectis literis, quorum tenor
sequitur in hec verba :*)
Johannes episcopus servus servorum
Dei in generali concilio !) ect. Inter omnes
apostolice sedis instancias quas ad regimen
christiani populi iugiter (Cod. vigil) impendit,
illa videtur esse precipua, ut cum aliquam
doetrinam suboriri senserit, que oculos divine
maiestatis offendere et grave in se periculum
animarum continere possit, eam ne propagetur
ulterius et per eam mentes fidelium dampna-
biliter capiantur mox studeat extirpare.?) Cum
ergo in nonnullis mundi partibus quidam
criminosi ea discere atque docere, non que
ad animarum salutem atque augmentum fidei,
sed ad suum fastum ampliandum et catholice
fidei subversionem tendant?) quosdann libel-
los seu volumina vel traetatus videlicet
*, In dem Doc. mag. Joh. Hus 467—469 gedrudt.
) Glossa: Verius angu-
lari, ubi non catholiei pre-
lati de regnis orbis, sed
pauci monachi symoniaci
fuerunt presentes, legis Dei
et veritatis emuli manifesti.
?) Glossa: Sieut est si-
monia, regule cancellarie
pro mediis fructibus et
bullis cum taxis earundem
et omnium beneficiorum
recepciones usurarum, le-
nocinia et omnium sacra-
mentorum vendicio.
) Glossa: Sicut deereta-
les epistole pro fastu pape
et cardinalium compilate,
ille glossantur et tenentur
et lex Dei iacet in angulis,
ymmo dicit papa, quod non
sit theologus.
22*
— 332 —
Dialogum, Trialogum et alios plures *)
nomine dieti Johannis Wikleff inscrip-
tos et intitulatos non solum in scolis frequen-
tare sed eciam ad populum in sermonibus
exponere nitantur; in quibus libellis, volu-
minibus seu tractatibus multi heretica dog-
mata®) multique continentur errores in fide
minus recte sonantes ©) et per quos simplices
a veritatis tramite deviare, experti vero atque
docti nimium scandalizari perhibentur, que
ad nostram et huius sacri concilii deducta
sunt publicam notieiam: nos ut ex iniuncto
nobis pastoralis oflicii debito tenemur, vo-
lumus (in hiis) quantum cum Deo possumus
occurrere periculis animarum, ne quod ait
apostolus, variis et peregrinis doctrinis ”)
Christi fideles in devium abducantur, quos
eciam summa cura Salvator ammonuit, ut
caverent a fermento phariseorum.°) Cuius rei
perniciosissimam pestiferamque maliciam op-
timo fermenti manifestavit (Cod. manifestat)
exemplo. Nam veluti fermentum (modicum)
testimonio Apostoli totam massam corrumpit,
sic hereticorum falsa doctrina omnem katho-
licam erudicionem, cui admiscetur, veluti ra-
bidum venenum, nisi occurreretur, inficeret. °)
Quam eciam doctrinam abhominacionem de-
solacicnis idem Salvator appellavit dicens:
Cum videritis abhominacionem desolacionis
etc, quem locum doctor sacer Jeronymus
exponens abhominacionem dieit posse intel-
ligi omne dogma perversum. Volentes autem
in premissis, licet notoria sint, matura deli-
beracione procedere et omne scrupulositatis
dubium amputare, certis ex venerabilibus
fratribus nostris sancte Romane ecclesie car-
dinalibus atque nonnullis episcopis sacre
theologie !°) (et) utriusque iuris professoribus
et aliis commisimus de premissis plenissime
*) Glossa: libros presen-
tibus haberi.
5) Glossa: usque modo
ın omnibus libris Wyklef
emuli unam conclusionem
contra scripturam (non) po-
tuerunt ostendere et quam-
vis fuissent sepius vocati.
9) Qui sunt illi? Exprime
etnomina illos, alias quid
condempnas?
) Glossa: Vere varie sunt
epistole et peregrine doc-
trine paparum, que omni
die ut luna eclipsantur,
mutantur et revocantur,
quibus totus mundus in de-
vium abductus est.
9) Glossa: scilicet symo-
niacorum et paparum hy-
pocritarum.
?, Glossa : Audacter men-
tiris ex eo, quod catholica
erudieio sit celarissima (in
eis verbis) et veritas invin-
eibilis, quam impossibile
est aliqua falsitate aut he-
resi infici vel maculari,
sieut inficiuntur bulle pape
cum suis tradicionibus, que
proprie sunt abhominacio
tocius orbis et dogmata
perversissima in multis.
'%, Glossa: scil. mona-
chis,
— 33 —
inquirere et negocium huiusmodi diligenti
examinacione discutere 1?) ; ex quorum pro-
cessu et relacione nobis et eidem sacro con-
eilio constitit atque constat premissa tam per
facti evideneiam quam per plures diffinitivas
sentencias tam auctoritate apostolica quam
nonnullorum archiepiscoporum '?) fuisse et
esse notaria atque vera.
Nos igitur eodem approbante concilio
declaramus et decernimus illa esse notoria,
que nulla possunt defensione tueri et super
illis fore tamquam super notoriis proceden-
dum et exsurgentes in Dei virtute !?) contra
hane falsam et perversam pestiferamque
doctrinam eodem sacro approbante coneilio
dietos libellos, tractatus et opuscula videlicet
Dialogum Trialogum etc. et omnes
alios*) huiusmodi libellos, cuiuscunque artis
et facultatis existant '*), attento maxime quod
in eis licet aliqua vera scripta sint, falsa
tamen in illis leceione periculosa tamquam
inter scorpiones et colubres Christi fideles
versa(re)ntur, dampnamus et reprobamus ®®)
atque Salvatoris sentenciam exequentes di-
centis: Si quis in me non manserit, mittetur
foras et tamquam palmes arescet et ni ignem
mittetur et ardet, igne iubemus publice con-
cremari !°): Eiusdem eciam auctoritate coneilii
districcius inhibentes, ne quis Christi nomine
insignitus audeat aliquem vel aliquos seu
aliqua ex dictis libellis, tractatibus et opus-
eulis diei Johannis Wykleff nomine
inscriptis**) vel intitulatis’7)legere, exponere,
docere vel tenere aut illis ac nomine et
auctore illo Wikleffuti, vel illum ut auctorem,
'!, Glossa: Manifestum
mendaceium et impossibile.
Forte Latinum loqui vel
syllabicare libros Wyklef
nescientibus, ut est expe-
riencia ex nepotibus pape
in cardinales promotis.
12) Glossa: scil. Sbinco-
nis in suis conciliis et locis
diversis, puta in serata sua
curia, |
'5, Glossa: Verius in dia-
boli mendacio et superbia.
14) Glossa: Eciam quos
nunquam vidistis, o ceci et
ydola muta!
1°, Glossa: Antichristus
triticum cum zizania de-
struitetevellit, quod Chri-
stus facere suis apostolis
prohibuit.
16) Glossa: O symoniaci,
ista sentencia (Salvatoris)
essetis omnes cum papa
conburendi, cum non ma-
neatis in vite Christo neo
per ostium ascenditis, sed
per fastum et superbiam
ac pecunias et sic fures et
latrones secundum senten-
ciam Salvatoris mactandi.
17, Glossa: Et sie nec
evangelica dieta et man-
data Dei ibidem posita. Et
quid celarius isto mandato
nisi ut Antichristi.
*) Cod. A. 16 in Wittingan ſetzt hinzu: et alia que eiusdem Johannis Wyklef
nomine insceribuntur et intitulantur.
**) Im Cod.: beidemal der Accusativ.
——
nisi forte in illorum reprobacionem allegare
publice vel oceulte. '®) Et ut de medio ecc-
lesie illa periculosa spurcissimaque doctrina
eliminetur, omnino iubemus per locorum
ordinarios, libros, tractatus et opuscula hui-
usmodi eciam auctoritate apostolica per cen-
suram ecclesiasticam, eciamsi sit opus cum
adieccione quod contra non parentes proce-
deret tamquam contra fautores heresis, dili-
genter requiri et repertos ignibus publice
concremari. Si quis autem huiusmodi senten-
cie inhibicionis decreti aut iussionis violator
ac contemptor extiterit, statuimus eodem
approbante concilio contra ipsum veluti
suspectum de fide procedi. 1?)
Monemus insuper auctoritate premissa
omnes et singulos, qui voluerint tueri me-
moriam dieti Johannis Wykleff, ut in-
fra novem menses proxime futuros, quos pro
primo, secundo et tercio atque peremptorio
termino assignamus, compareant apud sedem
apostolicam atque coram nobis vel nostro
successore canonice intrante vel in hoc sacro
concilio vel alibi, 2°) ubi contigerit nos vel
successorem predietum residere, dieturi et
allegaturi quidquid voluerint, neidem Johannes
Wykleff licet ab humanis ereptus de heresi
condempnetur. *!)
Supplementum bulle.
is) Glossa: Hic expresse
contradicit sentenciis sanc-
torum et canonibus ab ec-
clesia approbatis 37 dist.
cum suis concordanciis, et
velint nolint iuriste, opor-
tet quod legant hereses in
decreto multipliciter de-
scriptas,.
19 Glossa: Laudetur
Deus, quod habentes libros
Wykleff sunt de fide sus-
pecti et ipsi eosdem re-
probantes et comburentes
sunt suspecti de heresi ar-
gumento a contrario sensu
quod est in iure validissi-
mum.
2°, Glossa: Et compa-
rentes audirentur ac ad
defensionem admitterentur
in carceribus et ferris, ut
docuit experieneia.
2) Glossa: Nota men-
dacium puta Sbinconis ar-
chiepiscopi cum suis com-
plieibus canonieis et aliis
iuristis, qui in suis sen-
tenciis pronunciaverunt
Johannem Wyklef heresi-
‚archam condempnatum, et
° hie primo papa citat ad con-
dempnandum eum, Ecce
ex ista sulta et blasphema
commissione, diffinieione
seu bulla apparet intuenti
diligenter, quod isti car-
dinales, episcopi, monachi
et juris professores in qua-
tuor diebus omnes libros
magistri Johannis Wyklef
perlegerunt et examina-
verunt et processum, ut
— 335. —
dieitur supra, fecerunt et
retulerunt concilio et con-
dempnaverunt etc., quod
centum diaboli subtilissimi
et experti in omni malicia
non possent facere.. Ex
quo manifeste convinecitur
stultieia, presumpeio teme-
raria et mendacia apparent
pape cum toto concilio in
librorum combustione, cum
impossibilia et omni iuri
contraria scribunt et pu-
blicant sine rubore,
Cum ‚autem ad nostrum non sine displicencia grandi fide digna
relacione pervenerit auditum, quod in nonnullis regnis et provinciis
plerique clerici eosdem libellos et tractatus seu eorum copias aut
transscripta tam in latino quam vulgari ydiomatibus compositos
penes se retinent et errores hereticales dieti Johannis in eis de-
scriptos dampnabiliter teneant, approbent et defendant, ipsorum cleri-
corum aliqui in derogacionem catholice fidei et eorum periculum
animarum in sermonibus publicis in ecclesiis, quidam vero ipsorum
eciam in scolis eos legere atque dogmatizare nee non asserere eciam
publice non formidant, non attendentes quod secundum canonicas
sancciones pertinaciter tenentes hereses et errores devios a fide
prefata et a determinacione sacrdrum generalium conciliorum et doc-
torum per ecclesiam approbatorum et eciam tenentes cum ipsis in
prefatis errorihus faventes aut quomodolibet consencientes seu ipsis
quomodolibet publice vel occulte participantes, cuiuscunque status,
gradus, ordinis vel condicionis fuerint, eciamsi regali vel pontificali
aut alia quavis prefulgeant dignitate, ipso facto sunt excommunicati
et maiori anathemate laqueati, a qua nisi per summum pontificem
preterquam in mortis articulo et suos recognoscendo errores ac €08
publice abiurando possunt absolvi, nos ne per huiusmodi clericorum
et laicorum ac eorum hereses labem ac gestus et actus detestabiles
ovile contingat dominicum in eisdem regnis et provinciis infirmari,
infiei vel dispergi, sed tocius populi christiani illarum parcium ani-
marum salyti pocius providere, super premissis pastorali sollieitudine
cupientes discrecioni vestre per apostolica scripta committimus et
mandamus, quatenus in eisdem regnis et provinciis illis videlicet,
in quibus eccelesie et vestre dignitates existunt ac in vicinis locis
— 56 —
insignibus, ubi commode et tute fieri poterit, vos et quilibet vestrum in
solidum per vos vel alium seu alios presentes literas auctoritate nostra
solempniter publicetis et publicari faciatis ac omnes et singulos huius-
modi errores pertinaciter tenentes et defendentes seu ipsis quo-
modolibet publice vel occulte participantes excommunicates maiori
anathemate publice nuncietis et nunciari faciatis et contra eosdem
omnes etsingulos clericos et laicos utriusque sexus huiusmodi errores
tenentes, approbantes et defendentes, dogmatizantes seu astruentes ac
fautores, receptatores et defensores corundem seu ipsis quomodolibet
publice vel oceulte in divinis vel alias loco quocumque participantes,
exemptos et non exemptos ac quemlibet ipsorum, de quibus vobis
constiterit, eciam cuiuscunque gradus, ordinis status seu dignitatis
vel condicionis existant, super erroribus ipsis auctoritate nostra di-
ligenter inquirere studeatis et eos, quos per inquisicionem huiusmodi
aut per confessionem corum seu per facti evidenciam vel alias
huiusmodi heresis vel erroris labe respersos repereritis, auetoritate
predieta eciam per excommunicacionis, suspensionis et interdieti
nec non privacionis dignitatum, personatuum et offieiorum et .alio-
rum benefieiorum ecclesiasticorum ac feudorum, que a quibusvis
ecelesiis seu monasteriis aut aliis locis eeclesiastieis obtinent, nee non
honorum et dignitatum seeularium et graduum scienciarum quarum-
cunque faeultatum ac per alias, penas, sentencias, censuras ac vias
et modos quoscunque, quos adhuc quomodolibet expedire seu opor-
tunos esse videritis, eciam per capciones et incarceraeiones persona-
rum et alias penas corporales, quibus heretici puniuntur vel puniri
solent iuxta canonicas sancciones, eciam clericos ipsos et ecclesiasti-
cas personas usque ad degradacionem inclusive, si eorum pertinacia
sive rebellio id exigat aut requirat, corrigatis et corrigi faciatis et
debite ac diligenter puniatis et puniri faciatis, ipsosque ad tradendun:
et exhibendum vobis codices sive libellos eorum eciam in vulgari
compositos, ut prefertur, in quibus dictos libellos seu tractatus forsan
habent inscriptos et abiurandum perpetuo eciam solempniter et pu-
blice ipsus errores per predietas censuras compellatis et eosdem libellos,
quos vobis forsan tradi contigerit, in detestacionem tanti eriminis in
conspectu populi, clero loei illius, in quo illud fieri contigerit, per vos
ad illud primitus convocato, eciam comburi publice faciatis et nichilo-
minus universis et singulis utriusge sexus hominibus, eciamsi ut pre-
mittitur regali vel pontificali aut alia quacunque spirituali vel tem-
porali prefulgeant dignitate, ubilibet constitutis inhibendo, ne ipsi aut
— 337 —
aliquis ipsorum dictos errores seu libellos aut tractatus per vos, ut
premittur, dampnatos et eciam reprobatos vel contenta in eis seu
aliquo ipsorum utpote a catholicis mentibus respuenda tenere dein-
ceps audeant vel audeat seu defensare quomodolibet vel docere et
alias contra predietos tam clericos quam laicos et ipsorum laicorum
filios, de quibus potest haberi verisimilis suspieio contra eos super
predietis omnibus iuxta formam canonum procedere cum omni dili-
gencia studeatis, contradietores per censuram ecclesiasticam appella-
eione postposita compescendo, invocato ad hoc si opus fuerit auxilio
brachii secularis, non obstantibus tam felieis recordaeionis Bonifaeii
pape VIII predecessoris nostri, qua cavetur, ne quis extra suam ci-
vitatem et diocesim nisi in certis exceptis casibus et in illis ultra
unam dietam ac fine sue diocesis ad iudieium evocetur, seu ne iu-
dices a sede apostolica deputati extra civitatem diocesis, in quibus
deputati fuerint, contra quoscunque procedere sive alii vel aliis vices
suas committere aut aliquos ultra unam dietam a fine diocesis eorun-
dem trahere presumant et de duabus dietis in coneilio generali,
quam aliis quibuscungue constitucionibus a predecessoribus nostris
Romanis pontifieibus tam de iudicibus delegatis quam personis ultra
certum numerum ad iudicium non evocandis aut aliis editis, que pos-
sent in hac parte vestre iurisdiccioni aut potestati eiusque libero
exercicio quomodolibet obviare, seu si aliquibus communiter vel di-
visim ab eadem sit sede indultum, quod interdiei, suspendi vel ex-
communicari aut ultra vel extra certa loca ad iudicium evocari non
possint per literas apostolicas, non facientes plenam et expressam ac
de verbo ad verbum de indulto huiusmodi et eorum personis, locis
ordinibus et nominibus propriis menceionem et qualibet alia dicte sedis
indulgencia generali vel speciali cuiuscunque tenoris existat, per quam
presentibus non expressam vel totaliter non insertam vestre iuris-
dieeionis explicacio in hac parte valeat quomodolibet impediri et de
qua cuiusque toto tenore de verbo ad verbum in nostris literis haben-
da sit mencio specialis. Nulli ergo omnino hominum liceat hane pa-
ginam nostre declaracionis deereti dampnacionis, reprobacionis, iussi-
onis, inhibicionis, statuti, monieionis et ässignaeionis infringere vel ei
ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit
indignacionen omnipotentis Dei et beatorum Petri Pauli apostolorum
eius se noverit incursionem.
Datum Rome aput sanctum Petrum sexto Idus Februarii
pontificatus nostri anno tercio.
— 338 —
u.
Simon von Tiönow erflärt fich gegen die 4 Artifel. 1421 uni.
Tracotatus sive epistola magistri Symonis de
Tyssnow contra quatuor articulos oonolus(08).
Magnificentissimis ac nobilissimis dominis, baronibus aliisque
famosis clientibus et prudentibus eivibus ceivitatum in concilio electis
in congregacione Üzaslaviensi per predictum generale concilium
capitaneis et dispensatoribus regni Boemie quidam vilissimus et
abiectissimus sacerdotum. Salus et pax Christi et sue ecclesie sit
omnibus cum vobis.
Ad honorem Dei omnipotentis pro incremento et conservacione
fidei orthodoxe et pro labe predietam fidem in regno Boemie et
marchionatu Moravie inficiente expurganda, motus consciencia ac
naturali compassione intendo vestras dominaciones cum timore et ea
que decet reverencia paucis verbis scriptis adhortari et presertim
contra quatuor articulos in quorum fide vestras defixistis voluntates
aliosque christicolas in regno Boemie nitimini compellere, ut per eos
teneantur.
Sane quamvis tocius creator orbis et gubernator prepositis regni
sui ad hoc ut legitime presideant, regant et dirigant populos sibi
subiectos, dedisset usum racionis, leges et potestates, non tamen ex
hoc voluit, ut talia sine limitacionis dominio confusa et indistincta
servarentur, sicut ergo potestatem spiritualem sic et secularem tam-
quam partes sibi invicem inpermixtas auctoritatum terminis voluit
contentari, hinc est quod quamvis statui vel potestati seculari
data sit a Deo auctoritas in terris, ut iudicet populos in equitate et
gentes in terra dirigat. Quare illi datum est, ut non sine causa por-
tet gladium sed tamquam Dei minister, cum debet esse vindex ma-
lorum et iustorum relevator, ut in diebus eius oriatur iustieia et
habundancia pacis. Cui quidem potestati debent de necessitate subici
populi non solum propter iram sed eciam propter conscienciam,
ut hoc totum testatur magnus sanctus Paulus Rom. XIII, dum inquit:
Omnis anima potestatibus sublimioribus sit subiecta, non enim po-
testas est nisi a Deo, qne autem sunt, a Deo ordinata sunt. Ita
quoque qui resistit potestati, Dei ordinacioni resistit. Qui. autem
resistunt ipsi, dampnacionem sibi acquirunt, nam prineipes non sunt
timori boni operis sed mali. Vis autem non timere potestatem,
— 339 —
bonum fac et laudem habebis ex illo. Si male feceris time. Non
enim sine causa gladium portat, Dei enim minister est vindex: in ira
ei, qui male agit. Ideoque necessitati subditi estote non solum propter
iram, sed et propter conscienciam, Ideo etenim tributa prestatis; mi-
nistri enim Dei sunt, in hoc ipsi servientes. Reddite ergo debita eui
tributum, tributum, ceui vectigal, vectigal, cui timorem, timorem,
cui honorem, honorem. Ecce officium et auctoritas secularis
potestatis. Nullibi autem ei concessum est aut limitatum ut auctoritate
quidquam sua in materia fidei vel ecclesiastica diffiniat, statuat aut
determinet. Sed hec auctoritas notanter limitata et concessa est
ex officio hominibus status spiritualis, quorum in lege Domini est vo-
luntas et in lege eius meditetur die ac nocte. Quorum insuper subdit
alia ingenia per frequens exercieium acuuntur tam in materia fidei,
quam ecclesiastica a teneris annis. Ne autem omnis homo huius
status spiritualis de se presumendo pro se hanc auctoritatem audeat
temerarie usurpare, ideo Spiritus Sanctus, cuius providencia regitur
viatrix ecclesia catholica, in eadem ecclesia ad hoc ipsum officiales
legitimos ordinavit testante hoc beato Paulo Eph. IV. in hec verba:
Ipse dedit quosdam quidem apostolos ....'")... Qui... . superbierit
nolens obedire imperio sacerdotis, qui eo tempore ministrat, domino
Deo tuo et deereto iudieis, morietur ... Ecce hanc legem ...
tenet fidelis sancta Dei ecelesia a tempore sue constitucionis ...
Die hodierna communicatores sacramenti sub utraque specie aufu-
gientes hanc Domini legem et sibi pertinaciter contradicentes sine
timore Dei populo pronunciant talem communionem sub utraque
specie omnibus hominibus esse necessariam, quod sine ipsa non sit
salus cuiquam viator: et adhoc plurcs congesserunt scripturas menda-
cibus eas inpinguiantes sentenciis. |
Et tales hanc preciosam legem Domini aput seculares vilificant
et jpsam pertinaci animo spernunt et obieiunt et sic populum indu-
cunt in heresim manifestam. Sed det Dominus hoc preceptive legis
seculari populo hanc intelligeneiam, ut ad animum reducant sui er-
rantis cleri plurimos errores et moveantur exinde ad non credendum
ita de facili in hac materia communicacionis (sie) sub dupliei specie
contemptoribus legis Domini proximo antedicte sed pocius iuxta
legem Domini predietam ascendant ad locum, Et sacerdotes Levitici
generis, qui presunt loco, scilicet tali officio et dignitate (sie) et seru-
1) Folgt eine ziemliche Zahl ähnlicher Bibelftellen. \
2
—
— 340° —
tentur iudicii vertitatem. Rogo accedant domini seculares concor-
dantes cum hac lege Domini katholicam doctrinam sancti Gregorii
ut habetur distincecione duodecima, qui sie inquit: Preceptis aposto-
licis non dura superbia resistatis, sed per obedienciam. que a sancta
Romana ecclesia et apostolica auctoritate iussa sunt salutifere imple-
antur, si eiusdem sancte Dei ecclesie que est caput nostrum commu-
nionem habere desideratis, non novum aliquid presenti iussione
precipimus, sed illa, que olim videntur indulta firmari. Et sequitur:
Cum nulli dubium sit, quod non solum pontificalis causacio, sed
omnis sancte religionis relacio, ad sedem apostolicam quasi ad capııd
ecclesiarum debeat referri et inde notivam sumere, unde sumpsit
exhordium ex hac precedenti lege Domini. Et ex hoc canone sancti
Gregorii patet luce elarius, quod ad nullum alium in terris pertinet,
quam ad summum Romanum pontificem, quidquid diffinire vel sta-
tuere et ad collegium eius sanctum et ad sacrosancta generalia
coneilia in materia fidei et ecclesiastica. Et ad idem est sanctus
Ambrosius supra capitulo: Hec est fides papa beatissime .....
Ideo nec vos ipsos nec quoscunque alios hec vestra constitueio
potuit obligare. Eciam ex predicta patet lege Domini, ex doctrina
sancti Pauli et decretis sanctorum patrum, eidem archiepiscopus Pra-
gensis cum omnibus magistris universitatis studii Pragensis ac uni-
verso suo dyocesis clero est insufficiens et inhabilis ad diffiniendum
quidquam aut statuendum in materia fidei vel ecclesiastica, quod
totam tangit ecelesiam et per consequens hec constitueio tam quoad
clerum, quam quoad laycalem populum nullius debet esse roboris
vel munimenti.
Cum autem iuxta moralissimi Senece dietum sufficienter in veri-
tate comprobatum, perit omne consilium conseiencie iudicium, dum res
transit in affectum, sed quia clerus partis vestre nimis profunde
suam opinionem circa materiam, pro qua lis est, in effectum permisit
subintrare, ideo periit omne conscieneie iudicium cleri huius, line est,
quod postposito timore Dei per suas deordinatas predicaciones in
crudelissimas hominum oceisiones per eos est populus concitatus et
dimissa fraterna caritate magistros et doetores aliosque honorabiles
sacerdotes cum ecclesia Dei stantes extra regnum Boemie, ut suas
opiniones falsas quamvis toti ecelesie contrarias in finem quem nesei-
unt, deducere valeant, expellere procurarunt, hine eciam horribilia
mala, quorum non est nnmerus contra sanum consciencie iudicium
per sua occulta et dolosa consilia et publicas predicaciones per se et
— 341 —
suos socios ac discipulos erroneos in regno Boemie et marchionatu
Moravie ordinarunt. Preterea hec mala per clerum introducta sint
vobis monimentum, ne in peiora inducamini. O utinam saperetis
et intelligeretis, quia tamquam in foribus est per inobedienciam
per quam ducimini ad dampnosissimum scisma, ut incidatis in
dampnacionem animarum ad perpetuam infamiam exterminium vero,
quod acies ordinatis non audeo nominare, sed per se patent illa mala.
Ne autem videar per terrores, per confictos homines a suo velle
proposito abducere, ecce terrorem intendo premissum paucis deducere
scriptis. Pro quo primo suppono, quod viatrix sancta ecclesia ka-
tholica sit universitas fidelium orthodoxam integram fidem habencium
et in sacramentis ecclesiasticis societatem habencium ..... Et quero
ab adversario, an ante annos viginti tunc, quando tenebatur in Boe-
mia fides cum Romana ecclesia, scilicet quod communio tantum sub
una specie suffieit laicali populo ad salutem non obstante alio impe-
dimento et sic de aliis punctis in quibus nune certi in Boemia a Ro-
mana ecclesia discordant, an tune Boemia fuit pars viatricis sancte
ecclesie katholice vel non. Et spero quod nullus Boemus sane
mentis dicet, quod tune Boemia non fuisset pars viatricis sancte
ecclesie catholice, quia sie nullus in Boemia fuisset salvatus, quia
extra talem ecclesiam nulli est salus viatori. Si autem dieitur, quod
tune fuit pars sancte viatricis ecelesie katholice, tunc queritur, quomo-
do ergo adhuc manet pars predicte ecclesie; ex quo priorem fidem
permutavit et tenet aliam fidem a fide communis esclesie, cuius se
dicit esse partem.
Sapientes pertinenter hoc iudicare sciunt, quod ex quo Boemi
non audent suam fidem dare ad cuiuscungue iudicium catholiei iudieis
extra regnum Boemie tenentis fidem cum ecommunitate Christifidelium,
quod tales Boemi sint suspecti de heresi et scismate. Secundo quia
exercent gladium materialem et pro fide pugnare nituntur contra
alios, qui tenent cum communi ac generali fide ecclesie christianos,
tercio quod quia magistri et sacerdotes Boemi tenentes, quod com-
munio sub utraque specie sit omnibus hominibus de necessitate sa-
lutis, dieunt quod omnes extere gentes sunt fidei inimiei, et ideo non
audent consentire in magistrorum, doctorum et aliorum seientificorum
virorum de exteris gentibus publicam audienciam et informacionem,
dicentes astute more hereticorum, quod non est tantum dare causam
Dei et fidem catholicam ad iudieium hominum et presertim inimicorum.
N Folgen weitläufige Beweisftellen zu dieſem Sate.
— 32 —
De tribus autem aliis articulis pauca dicam:
Primo de libertate verbi Dei, quam conclusistis, quia libere
verbum Dei sine impedimento predicetur. Non dubito, quin verbum
Dei in regno Boemie habuit ordinatam libertatem super omnia alia
regna mundi. Sed sacerdotes, qui heu per eorum deordinatas pre-
dicaciones presens malum, quod in regno Boemie heu nimis diu con-
tinuatur, scisma suscitavit, merito timent, ne ab actu predicacionis
eorum demeritis hoc exigentibus suspendantur et puniantur. Ideo
astute per hanc constitutioneın per eos subordinatam provident, ne quod
instum est, paciantur. Sed in cautelam debet esse Prov. XXII.
Eece derisorem ..........
Secundo de manifestorum peccatorum exterminio det Deus
omnipotens, ut hec fiant in effectu ... sed tamen sane scire debetis,
quod ecclesia ..... nonnunquam tolerat minora mala propter infirmi-
tatem hominum, ut per hoc maiora mala sint sopita .. .
Tereio de ablacione temporalium a clero videte, ne regnum a
clero spolietur ... Contra vestram tamen hanc intencionem sunt
decreta sanctorum patrum in canone tamquam per totum XII. q. 1.
O igitur amantissimi Boemi redite ad cor . .. Sermo ınihi est
ad te popule sublimis regni Boemie.et presertim tibi amantissima
civitas Pragensis, cum sum vilis, exigua persona ac nullius pene
momenti hominis ..... Nonne dolor et clamor est hodie per
universum regnum? Nonne doctores, magistros, prelatos, sacerdotes,
diversos religiosos . . . eieeisti, ipsos denique domibus et rebus tuis
manibus spoliasti... Nonne deinde civitatum cives morte turpis-
sima prostravisti?..... .*)
IH.
Andreas von Brod vertheidigt fic gegen die Vorwürfe der Hufiten.
(Andreas de) Broda contra obiectus Hussonitarum,
qui sio incipiunt:**)
(E codice pal. Vind. 4941 folio 68).
De clero pestifero. Ibi obiciatur, quod per hoc infamant
rcgem. Faciunt hie Hussonite more phariseorum, qui iunxerant se
Herodianis ad opprimendum veritatem et iusticiam Salvatoris. Dicant
queso in quo rex diffamatur et per quid? Quale queso argumentum
*) . . Allgemeine Klagen.
**) In rother Schrift darunter: Contra Hussitas.
— 393 —
est istud: Hie sunt iudei, hie sunt christiani non viventes christiane?
ergo qui dicit tales esse, hie infamat regem. Sie enim omnes reges
mundi essent infames, quod non est dicendum,. cum scriptum sit:
Diis non detrahes, id est, principibus. *)
Item quia doctores dieunt de clero, cum rex non sit elericus,
quomodo per hoc infamatur? Item si per hoc infamatur dominus rex
et cum doctores nullum ex nomine expresserunt, sed loquebantur
prout decet in genere, ipsi vero Hussonite descendunt ad individuum
venerabilis viri magistri Stanislai, ergo dicentes eum et
concubinarios ac avaros esse pestiferos, maxime regnum et regem
infamant. Sed maledietus Cham, qui verenda patris sui detexit. Nes-
eiunt Kathonem dicentem: |
Quantumcunque potes celato crimen amici.
Et Aristotelem dicentem: Diis, parentibus et magistris non est
reddere equivalens. Siigitur sie est, quod ille venerandus homo ad tempus
opinabatur, non sicut debuit, circa venerabile corporis Domini sacramen-
tum correxit se, quod est patulum: igitur non est sibi peramplius
imputandum:
Cum culpas alios iudex tuus esse memento.
Et iterum: nemo sine crimine vivit. Non est enim homo, qui
vivat super terram et non peccet. 3. Reg. 8. Humanum est errare
sed diabolicum in erimine perseverare. Si seit eum adhuc errare,
cur eum occulte non corrigit iuxta doctrinam Domini Salvatoris ?
Cur testes si corrigi renuit, non adhibet? postremo cur si pertinax
ecclesie non dieit, sed ad infamiam omnibus hiis postpositis subito
prorupit?
Quod tibi non vis alteri fecisse caveto.
O Hus si quis tua peccata publice sine necessitate detegeret
o quantum turbaveris, nullus esset sermo ad populum, quin inibi
contra talem communem populum exeitares. O si tibi displicet disco-
opercio tui facinoris, cur patri tuo non pareis, eius verecundiam de-
tegis? Cur magistro tuo, aquo plurimam hausisti sapi-
enciam, irrogas tantum malum? Sequaris pocius eius vestigia,
ut sicut ipse correxit, prout ipse asseris, sie et tu errores tuos corri
gere non verearis. Arguis eum de contradiceione circa venerabile
sacramentum, argue similiter omnes apostolos, qui a Christo fuge-
runt. Sed si illos non arguis, ideo quia penituerunt, cur hune infa-
*) Daneben: Detraceio.
sa,
mas, postquam. penituit? Non alia causa »ubest, nisi quia tu perver-
sus doles eum ad fidem Christi veraciter iam conversum. *)
Item, cum Romane ecclesie papa est caput, corpus vero colle-
gium cardinalium etc. ibi obiciunt Hussonite, quod grave est illud
doctoribus probare, non solum quod sit fides credibilis, sed eciam
quod verum sit ete. Ex isto secundo obiectu patet responsio ad pri-
mum. Cum enim dieunt: Östendant doctores clerum pestiferum illum,
dico pro doctoribus: Non est necesse ostendere, cum ipsi sese patulo
manifestant, dicentes papam non esse caput vicarium ecclesie, negan-
tesque collegium cardinalium esse vicarium corpus. Tales ergo qui
hoc negant, quotquot sunt, pestiferi et pestilentes sunt. Et sic ex
obieetu secundo patuit responsio quoad primi. Eciam non sequitur:
Istud caput est infirmum, ergo non est caput. Similiter istut est ca-
num vel eciam scabidum, ergo non est caput. Et eodem modo de
corpore argui potest. Sic non sequitur: Papa non est bonus, non est
virtuosus etc. ergo non esi caput, cum eciam Petrus sub dato tem-
pore mortaliter peccavisset, scilicet negando Christum, et tamen non
desiit esse papa; similiter Judas traditor fuit de corpore mistico ecele-
sie Christi, et tamen fuit preseitus, eciam antequam electus fuisset
ad apostolatum ; qui apostolus et episcopus fuit usque ad mortem.
Utique seimus, quod in omnibus rebus mundi estordo et cum non
sit processus in infinitum in capitibus vicariis, veniemus ad illud
primum vicarium caput et ad unum vicarium corpus. Dicat ergo
Hus cum suis complicibus et profiteatur suam fidem, quod sit illud
vicarium caput et ex hoc intelligemus eum si saltem ore confitebitur
quod corde credit nisi vellet mentiri, quod heu sui discipuli consue-
verunt.
Item, ibi ubi addueit scripturam Augustini allegatam: Si quis
etc. dieit ulterius: Qnia nulla sceriptura quam recipit universalis
ecelesia docet, quod papa est caput univesalis acclesie et cardinales
corpus, falsum et mendacium dieit. Quia scriptura evangelica dicit
et est verbum Christi ad Petrum: Tu vocaberis Cephas id est caput.
Et iterum: Pasce oves meas. Quod ecclesia universalis dietum sumit
pro quolibet papa et sic convenit ewangelio et tradicioni ecclesie
universalis, que sic tenuit et tenet a principio fidei christiane.
Item, de hoc: Si diffieile ete. allegat Lyram, probet Hus, quod
papa vel sui delegati mandant aliquid erroneum et contra fidem. Si-
*) Als Titel in rother Schrift: de papa, qui est caput Romane ecelesie.
— 35 —
militer ad hoc: Non sequaris turbam Rabin, ostendat Hus coram
iudice debito, quod magistri suadent seu consulunt aliquid irraciona-
bile vel iniustum. Item allegando Augustinum: Super kathedram
Moysi, male allegat, truncat nequiter scripturam. Notat Augustinus ut
ex sequentibus colligitur: Si prelati precipinut quid mali, non debent
sic facere subditi et hie nichil mali precipit papa, immo preeipit bo-
num et necessarium, ut videlicet suspectus et accusatus de heresi non
debeat predicare.
Item, ad degradaciones vel ingradaciones regum respondeant illi,
qui degradantur et quare vel qui ingradantur et quare. Non est doc-
torum disceutere iudieia domini pape.
Item, de*) magistro Mauricio etc. Scimus quia papa multis multas
gracias facit secundum tenorem supplicacionum, que gracie intelli-
gende sunt secundum ius canonicum, si ita est. Et ius commune est,
quod papa concedens graciam, aliis per illam non vult iniuriam fa-
cere vel non vult eorum iuri quomodolibet derogare. Si ergo magi-
ster Mauricius vellet honoris meilocum recipere, quem non deberet,
credo quod dominus papa ius meum mihi non tolleret et alteri vellet
dare. Eciam magister Mauricius nunquam voluit pro illo loco instare
contra prius factum facultati theologice iuramentum.
Item, de illis artieulis Wykleff 45 condempnatis habuerunt et
habent scripturas doctorum eciam multipliciter dilatatas.
Item, de censuum**) recepcione per regen: etc. iam infamant regem
dicentes, quod rex approbat illum articalum de recepeione seu ab-
lacione temporalium, quia non sequitur:. Iste fornicatur, ergo appro-
bat fornicacionem licitam esse, iste bibit superflue, ergo approbat
ebrietatem, et si dominus rex pro sua voluntate seu necessitate
nunc abstulit, non oportet, quod per hoc errorem Wykleficum prac-
ticaret, verius approbaret.
Item, de ultima consequeneia redarguit doctores et ponit simi-
litudinem nimis claudicantem: Nam recipere uxorem alterius est
purum malum, cum sit contra preceptum Domini: Non adulteraberis.
Sed consequencia doctorum bona fuit, quia sequitur bene: Isti sunt
obedientes in licitis et honestis prelatis et superioribus suis et paru-
erunt mandatis, ergo debent, si volunt esse obedientes, adhuc parere.
Alias si non debent parere, quomodo erunt obedientes cum sit hoc
*) Als Titel: De magistro Mauricio
**) Als Titel: De censu.
Mittheilungen, 85. Yahrgang, 4. Heft. 23
— 346 —
oppositum in adiecto: Est obediens et tamen non paret iussionibus
prelatorum. Discant melius eonsequencias et tunc valebunt ad doc-
torum consequencias respondere.
— — — —
Künſtler der Neuzeit Böhmens.
Biographiſche Studien von Prof. Rudolf Müller.
XII.
Julius Melzer.
Bildhauer Julius Melzer der getreueſte und auch liebenswürdigſte
Schüler von Joſeph Max, ſeinem ganzen Weſen nach „Senſitive“ und als
ſolcher auch weniger ſpinnend wie ſinnend, hinterließ ein Tagebuch, das ähnlich
der Selbſtbiographie Führich's Einblicke in das Seelenleben des Künſt—
lers und Aufſchluß gibt über eine Periode der Neuzeit, welche einen unſerer
begabteſten Kunſtjünger faſt unbemerkt verkümmern ließ. J. Melzer war
zu Bürgſtein am 21. Februar 1823 als Sohn des dortigen Kaufmanns
Georg Ant. M. geboren. Der Vater betrieb vornehmlich Exporthandel nach
Rußland, und der Sohn war beſtimmt, deſſen Nachfolger in dieſem Geſchäfte
zu werden, für welches, wie ſich bald zeigte, der phantaſiereiche Julius
jedoch nicht im Geringſten beanlagt war. Denn kaum wurde er nach dem
Austritte aus der Ortsſchule als Lehrling im Laden, ſowie in der Schreib—
ſtube verwendet, gab es ſofort auch da wie dort Confuſionen der bedenklichſten
Art, angerichtet durch „Eulenſpiegelſtreiche“ des Julius. Die an die Par—
teien auszuſendenden Rechnungen wurden der Waare gemäß illuſtrirt; die
Verkaufsgegenſtände des Ladens, ſo weit zuläſſig, zu humoriſtiſchen Tableaux
gruppirt. Kurzum es ging nicht auf dieſem Wege, und mußte Raths
erholt werden beim „Vater Max“, dem gewöhnlichen Schiedsrichter in
verwickelten Familienangelegenheiten. Für ihn lag diesfalls die Entſcheidung
nahe, ausgeſprochen in den Worten: „Der Junge hat entſchiedenes Talent
fürn Maler oder Bildhauer, keineswegs aber fürn Kaufmann. Er ſoll
ji, was er werden will, jelber wählen, dann gibts feine Vorwürfe”, —
Und „der Junge” wählte — den Vater Mar zu feinem Lehrmeijter. Von
da ab ging es anders. Melzer, wie umgewandelt, oblag beharrlicen Fleißes
dem Zeichnen, jchnigte und modellirte nebenbei mit wahrer Herzensluft
nad den Anweisungen feines liebevollen Lehrers, und hatte bis zu dejjen
— 1838 — erfolgtem Ableben ſich ſchon jo weit entwidelt, daß ihu Joſeph
— 347 —
Marx bei der Uebernahme und Einreihung unter feine Schüler eine bevor:
zugte Stellung einräumen konnte. — Bis dahin und mwährend- des Zeit:
raumes bis 1848 führte M. fein Tagebuch, notirte dafiir blattweife alles,
was Joſ. Mar im traulichen Beifammenfein über fein Jugendleben erzählte,
was aucd von mir benügt wurde für die im XV. Bande der „Mitthei-
lungen” enthaltene Mar-Biographie.
Sicher zu jtellen vermag ich jedoch für diefe Periode, daß M. jogleic)
nad feiner Ankunft in Prag an der Akademie unter Leitung Director
Kadlik's dem Zeichnen nach der Antife und der Natur oblag, im Mar:
Atelier wieder für das Boſſiren eigener Entwürfe verhalten, nebenbei in
der Steinbearbeitung unterwiejen, in Kürze jchon mit dem Behauen einfacher
Figuren betraut werden konnte.
So ſtand es bis zum Jahre 1845, in welchem befanntlih Mar vom
jtänd. Landesausſchuſſe ven Auftrag für das „Franzensmonument am Prager
Quai“ erhielt, auf den das vom 29. Mai 1849 an geführte Tagebuc)
Melzers mit mehreren Notizen zurücgreift, als: „Die Figuren zum Franzens-
monumente, an welchen ich jo glüdlic war, mitarbeiten zu können, famen
zumeift unter fröhlihem Sang und Hammerflang zu Stande”. — „ZTroß-
dem aus dem Arbeitsgedränge Figur um Figur entjchwand, vierund—
zwanzig allein für das Franzensmonument, gab es feine eigentliche Lücken,
fondern bloß erweiterte Räume für weitere Ausführungen, und mit Stolz
blicke ich zurück auf den mir dabei zugemefjenen Antheil.“
Die YFuniereignifje des Yahres 1848 hemmten aber dieje freudige
Mitbethätigung gleicherweife, wie die zumal errichteten Barricaden den Verkehr.
Das Mar-Atelier in der Linie des von Pfingftmontag bis Freitag fortge-
ſetzten Schußwechjels zwifchen Altjtadt und Kleinfeite gelegen, mußte gefperrt
werden, und juchten gleich dem Meijter die Schüler eine Zufluchtftätte
außerhalb Prag. Mar z0g fih mit Familie auf Bürgjtein zurüd, M.
folgte nach Vollzug der ihm zur Sicherung des Atelier aufgetragenen
Maßnahmen. Erfterer nahm freilich Anfang Auguſt die unterbrochene
Arbeit wieder auf — nicht jo M.; denn noch hielt ihn Allerlei gebannt,
ja nahezu verbannt, um nicht der Aſſentirung zu verfallen, die ihm
eben bevorjtand. In diefem Zuftande jich gänzlich felbft überlaſſen, blieb
ihm denn auch fein anderer Troſt als jener, den Bapier und Feder gewähren
fünnen. Solchen Weges kam er zu den Herzensergießungen im „Tagebuche“.
Diejem vertraute er gleich auf der erjten Seite: „Wie ereignißvoll
und von nachhaltiger Einwirkung auf mich war die jeit meiner Entfer-
nung aus Prag abgelaufene Zeit”. . . . „Weniger beruhigt wie beun-
ruhigt bin ich jegt auch durch die mittlerweile vom Herrn Kreiscommiljär
23*
— 348 —
Klar erhaltene Zuſage des Genufjes der Künftlerftiftung, auf die ich nicht
mehr rechnete. Die Sachlage wurde eben dadurch anders, daß mein
vordem bevorzugter Rivale, Maler Weidlich, Anforderungen ftelte, die
nit dem Stiftsbriefe unvereinbar waren. Er wollte nämlich den auf zwei
Jahre zu vertheilenden Stipendienbetrag auf einmal erheben und fich nur
auf unbejtimmt in Rom aufhalten”. . ... . „Die Jahresſumme von
300 fl. Conv. Me. iſt freilich Feine große mit Rückſicht auf die jegige un-
ruhige Zeit, in der fich kaum durch eigene Arbeiten etwas verdienen läßt.
Schwerlich wird es daher ohne ein Zufegen von meinen Erbtheil abgehen.
Froh war ich dennoch als mir die Nachricht zufam. Innigſten Antheil
nahm auch mein lieber Meifter an diefer — wie er meinte — glüdlichen
Wendung.” An jpäterer Stelle heißt es wieder: „Quälte mich nur nicht
fort und fort die Frage: wirft Du unter den in Italien obwaltenden
Umftänden nicht am Ende doch no, wie es die Verwandten wünjchen,
dein Heil in Rußland ſuchen müſſen?!“ ...
In der nachfolgenden Rückſchau auf die 48er Ereignifie, findet ſich
u. A. auch die Notiz eingejchaltet: „Jüngſt begegnete mir Ferd. Miko—
we, zurücgefehrt aus Serbien, wohin er aus Furcht vor der k. f. Militär-
unterfuchungs-Commifjion geflohen war, in einem Anzuge, der mid) auflachen
machte. Er nannte den bunten Trödel „echt ferbijches Epftüm‘, ich, wie
die Meisten die ihn jahen, nannten e8 „Hanswurfterei, in einem jolchen
bei uns herumzugehen. Er iſt jeither verichwunden, und hat, wie bejtimmt
verlautet, fümmerliche Unterkunft in Leipzig gefunden, dazu aud) — alte
Röckel wieder angezogen.“
Unter dem 18. Juli 1849 wieder auf ſich ſelbſt —
notirte M. „Mehr und mehr beunruhigt mich nun die Gefährdung meiner
perſönlichen Freiheit durch die nächſt bevorſtehende umfangreiche Recrutiruug.
Wohl gutem Rathe folgend mußte ich zeitlang für Bürgſtein unſichtbar
werden.“
Dem erſten Verſuche nach ſolcher Unſichtbarkeit reſultirte die überaus
intereſſante, künſtleriſche Schilderung eines Ausflugs auf den Kleis: —
„Im Kreiſe der Freunde bis nach drei Uhr Morgens, als die goldum—
ſäumten Wolfen im Oſten bereits den Sonnenaufgang verkündeten, über-
fam mich plöglic) die Bejorgniß vor dem Eitiren auf den Aſſentplatz, und
ich beſchloß das Weite zu ſuchen. Einer aus der Gejellichaft, Herr B....
dem ich mein Vorhaben verrieth, erbot ſich als „Schugmann“ zur Be-
gleitung. Im Orte lag noch Alles im Schlafe, die herrfchende feierliche
Stille wurde blos hin und wieder unterbrochen durch das Wedrufen und
Antworten der Haushähne. Ueber dem Fortichreiten unferer vier Füße
— 349 —
erwachten freilich auch die Wachthunde der Gehöjte; darum galt e8 fo eilig
wie möglich von der Straße ab, auf die Feldwege zu kommen. Lautlos
zogen mir denn eine gute Strede zwifchen Kornfeldern und Wiejen dahin,
miterjchredt durch die hie und da von uns aufgefcheuchten Lerchen, die
jäh aufjchoßen, aber, nicht gelaunt noch zum Singen, fogleich wieder ein
Verſteck fuchten. Vom Murren meines Begleiters, über allzu haſtiges
Ausschreiten endlich zu kurzem Stillftande gebracht, gewahrte ich erjt den
ſchon gewonnenen Vorſprung. Der „Bretteich“, der auf feiner dunfelblauen
Fläche den „Urtelsberg”, und gleich einem Nimbus die im Often aufleud)-
tende Feuerglut jpiegelte, lag ſchon hinter ung, vor uns die eriten Häufer
von Rodowig. Da plöglid famen meinem Schugmann Bedenken ob der
Weiterbegleitung. Reſolut erklärte ich ihn dagegen für frei feiner Zuſage
und Schritt weiter.» » 2... - Der Berg fam mir immer näher, ſchon
deutlich konnte ich die Bäume, mit denen er bis zum Gipfel bewachjen ift,
von einander unterfcheiden; das Zwielicht, das bisher den Ausblick hemmte,
der Landjchaft die Plaftit benahm, ſchwand mehr und mehr; lauter und
lauter jchlug an das Ohr der Chorus der gefiederten Sänger — freier
und froher jchlug auch mein Herz. Wie bejchreibe ich aber meine Ueber-
rajhung beim Zurücdichauen und Wahrnehmen, daß es der Schugmann
doch nicht über ſich brachte mich zu verlaffen, daß er, wenn auch langfam,
doch nachfomme!.. . . . Ich harrte feiner, und fortan ging es gemein-
jchaftlich weiter, allerdings jet erjt unter allerlei Schwierigkeiten. Durch»
jchreiten hieß es thanfeuchte Grasflächen, überjpriugen die Abjiderungen
der Bergquellen, ſich ducchdrängen durch dichtes Geftrüpp, und während
dem vom rechten Wege abgefommen, nad) Orientirung ſuchen. Mühſelig
gelangten wir endlich auf die Straße, die unterhalb des Kegels vorbeifihrt,
hatten ſomit den Fuß des eigentlichen Berges erreicht, der in jehr
rejpectvolfer Höhe num vor uns jtand. Kein Wunder, daß dem Begleiter
von Neuem die Neue beifam, und cr fie auch mir beibringen wollte, durd)
flehentliche Aufforderung: „solchen Weges nicht weiter zu wandeln!” Er
hatte fich verrechnet. Es liegt in meiner Art, von einem fejten Vorhaben
troß aller Hinderniffe nicht abzulajjen. Ich ſchritt ruhig weiter, begegnete
zu meinem Ergögen einem leichtfüßig den Weg überjegenden Neh erblidte
bald darauf einen balzenden Birkhahn, und nad) kurzem Stilfftehen —
meinen nachfeuchenden Begleiter! Unter Lachen und Scherzen legten wir
den Net des Meges zurück und frochen mehr als wir gingen iiber Stein-
geröll und Felsjtüde, über Niedgras nd Heidefraut, bis wir jchweißtriefend
und ermattet den Gipfel eroberten.
— 350 —
Obwohl die Sonne die fie vordem dedende Bergwand bereits er-
jtiegen hatte, überbot das von ihren Strahlen verherrlichte vor ung Tie-
gende Panorama jegliche Erwartung. Weggezaubert war die Ermüdung,
friijh und klar wie die Luft war der Sinn, empfänglich für den Genuß,
der Sich darbot. Des Riefengebirges mafjenhafte Formen, rofig über-
ſchimmert, bildeten linf3 im Often den Grenzpunkt, während im Süden,
lange, gering gewellte Linien, nur von vereinzelten Bergfegeln und Wald-
rüden unterbrochen, ſich als das Mittelland kenntlich machten, dem weiter-
hin das Mittelgebirge mit dem hochthronenden Milleſchauer, den weit-
wärts gelegenen Gebirgszügen vom Kofeler Berge, der Parchener Hoc:
ebene, die Breitfelder und Falkenauer Buchberge jcheinbar an den Kleiß an—
ſchließen. Dieſe prächtige Fernficht gewinnt wejentlich, ergänzt jich eigentlich,
im Rüdzuge des Auges auf die unmittelbare Nähe „in der fich Berg an
Berg, Kegel an Kegel, abwechjelnd mit Burgruinen gekrönt ins Flachland
hinaus erjtreden, wo der impojante Böſig, weiterhin die beiden Trosky
den Abichluß bilden. Einen weiteren interefjanten Ausblid hatten wir auf
Neichenbergs Wejtmauer, den Jeſchken, der ſich gegen das Panfrater Ge-
birge allmälig abdacht, bi8 zum ſächſiſchen Han wieder auſchwillt, und auf
Georgenthal zu Hinter der Lauſche ins Verſchwinden kömmt. Nachden
ich noch die jchönen Niederungen, vor allem mein liebes Bürgftein, das
jih im Thale unter dem TFeljengebirge des Slawitef, des Wachfteins und
der ‚Burg‘ dahin jchlängelt, liebe- und wehmuthsvoll betrachtet, blieb nichts
anderes übrig, als bergab, und mohin zu gehen, wo ficher zu weilen wäre,
bis zu einer Benachrichtigung, daß die befürchtete Gefahr vorüber. Unter-
halb des Berges mich von meinem treuen Begleiter verabjchiedend, hieß
es zunächſt eine Erholungsjtätte aufjuchen, um dann gegen die Grenze hin
meine Wanderung fortjegen zu Können."
Gleich lebensfriſch erfaßt und malerisch geſchildert ift die Fortjegung
des unjteten Umbherirrens, das M. zu den jonderbarjten Kreuz- und Quer:
zügen im nordweitlichen Grenzbezirfe brachte. Ich hebe zuvörderſt nod)
aus der Schilderung des Weiterweges hervor: „Nach vielem Umherirren
im Walde war endlich die Straße meine Führerin geworden. Der dunkle
Föhrenwald, der von beiden Seiten ſich weit hinzog, nur zeitweilig von
den lichtgrünen Streifen ftämmiger Buchen durchbrochen, lichtete fich blos
an einer Stelle, um mid das von üppigen Wiefen und Getreidefeldern
eingejchlofjene Röhrsdorf erbliden zu laſſen. Bergan weniger dicht, ver-
mochte ich rechts, durch die Stämme hindurch die in der Tiefe Tiegenden
Hütten des Dorfes Morgenthan zu erfennen. Weiterhin jtand auf derjelben
Seite jinnig angebracht auf einem durch Kunst hergezauberten Bafalthigel
— 351 —
ein von zwei rohen Baumjtämmen gefügtes Kreuz, im fleinen Viereck um:
geben von Nuß- und Eberefchbäumen. — Das hierauf erreichte große
Wirthshaus zur Antonihöhe, vor dem viele Holzfuhren jtanden mit Liefe—
rungen für die Fabriken der unteren Gegend, ja auch für Sachjen, wurde
nun ebenfalls für mich Rajtjtätte... Die Neuhütte, die in geringer Ent-
fernung jchwarzen Rauch verbreitend dafteht und den zerjtreut liegenden
Arbeiterhäufern den Namen Teiht, hat ihren rechten Pla in diefer Wald»
einfamfeit. Bald zog die Straße, bisher bergan führend, janften Buges
in den Thalgrund dem wahrhaft im „Buſche“ verjtedten Bufchdörfel zu,
wo ich auf den nahe gelegenen Tollenjtein aufmerkſam gemacht wurde.
Raſch entſchloſſen für den Aufitieg, hielt ich auch nicht eher jtill, bis ich
auf den düjteren Ruinen, umſchwärmt von Naben und Geiern, ein Ruhe—
plägchen fand. Das ausgebrannte Gemäuer diefer alten Raubvejte ver-
fällt immer mehr; erjt vor Kurzem war wieder ein großer Ecktheil derjelben
eingeftürzt und hatte mehrere bis dahin unentdedte Gewölbe durchbrochen ..
Unter Lebensgefahr wagte ich den Durchgang unter einem frei über-
hängenden Bogen nach dem vermutheten zugänglichen Raume — einer
ziemlich gut erhaltenen Halle gothifcher Conjtruction, die auch am füdlichen
Burgthor, wie an zwei nad) Oſten gerichteten Fenſtern in bejter Form
erfennbar wird. In Betrachtung verfunfen zogen gar jeltfame Bilder vor
mir auf, Phantasmagorien will ich's nennen, die mir au Stelle von
Schutt und wucherndem Unkraut den ehemals getäfelten Fußboden, auf
welchem ver ſtolze Burgherr einherfchritt, die hoheitsvolle Burgfrau mit
dem Sclüffelbunde am Gürtel die Gafttafel anordnend, vorjpiegelt. Dort
im Erfer, wo jegt die Dijtel waltet, jehe ich das frijchwangige, goldhaarige
Burgfräulein am Stidrahmen, der fie aber nicht abhält, durch das fchmale
Spigbogenfenfter ihren Blick in’s freundliche Thal gleiten zu laſſen —
einem Gegenftande ihrer Sehnſucht entgegen... . Im Burghofe wieder iſt's,
als ſähe ich das Haften und forgliche Hin- und Herrennen der Knappen,
als hörte ich die Fallbrücke vajjelnd aufziehen, zwifchen den roſtigen
Thorriegeln die geharnischten Männer entlang des Treppenganges jchreiten,
während der Burgwart — wie mir vorfommen will — Weile um Weile,
dumpfen Yautes die nahende Gefahr anzeigt. Dabei ertappte ich mich
hinterher freilich auch als der Gilde der Romantiker angehörig, die in
die nüchterne, geldhajchende Gegenwart nicht paſſen. Faſt reumüthig zog
ich von dannen.“
Der Weiterweg, im ſeltſamſten Zick-Zackzuge fortgeſetzt, führte über
Georgenthal nad) Rumburg, ſeitab wieder nach Warnsdorf, wo M. Ver—
ſtändigung erhielt, daß es noch nicht an der Zeit ſei heimzukehren, und
— 332 —
ihm gerathen wurde, vorläufig noch bei einer Tante in Teplitz Zuflucht zu
ſuchen. Bei dieſer denn auch Standquartier haltend, von dem aus Touren
in allen Richtungen der Gegend unternommen wurden, die im Tagebuche
auf das Anziehendſte beſchrieben ſind nehme ich mit Rückſicht auf den
eigentlichen Lebensfaden Umgang von der Einſchaltung, berichte blos, daß
ihn die Sehnſucht doch vorzeitig nach Hauſe trieb, wo er indeß Verſteck
ſpielen mußte, bis daß ihm der Erlöſungsruf des „Meiſter's“ zukam —
der im Tagebuche unter dem 25. Juli 1849 folgenderweiſe verzeichnet iſt:
„Ein Brief, den ich geſtern vom Bruder Ferdinand erhielt, beſtimmt mich
übermorgen nach Prag zu reiſen. Meiſter Max hat dieſem nach eine
größere Beſtellung erhalten und bedürfe meiner dabei. Um zugleich aus
der leidigen Unſicherheit zu kommen, beſchloß ich mich in Prag aſſentiren
zu laſſen — allerdings in der Hoffnung auf Untauglichkeit ...“
In Prag, am 26. Aug. notirte er Schon: „Glücklich bei der Affentirung
davon gelommen!... Meister Mar begleitete mich... Der humane Ober-
lieutenant jo wie die beiden Doctoren nahmen die Unterfuchung meines
gänjehäutigen Körpers nicht allzuftrenge, nachdem ihnen der gute Mar in
feiner herzgewinnenden Weije allerlei zu meinem Gunſten gejagt hatte; feine
Freude über den Erfolg war wohl eben jo groß wie die meine... jetzt
bejorgte ich mir auch frohen Sinnes den Paß nach Italien . . .“
Spätere Notiz: „Im Atelier Max, wo ich mich nun wie früher
beſchäftige, und an einer großen Chriſtus-Statue (für Reichenberg) meißle,
geht es ziemlich ſtille her. Allerdings fehlt der muntere Paris — den in
der zweiten Juniwoche der Tod beim Baden ereilte — ich merke auch bei
jeder Gelegenheit wie leid es dem edlen Meiſter iſt, dieſen hoffnungsvollen
Schüler verloren zu haben.” ... „Der herrliche „Student“, der bereits
in Nehwisder Stein auspunftirt ift, wartet mit der Vollendung auf mid).
In Angriff genommen wurde noch die für das Klattauer Rathhans beitellte,
7 Fuß hohe Juſticia . . . Jene vom Bruder angezeigte „größere Beſtellung“
bei Mar ift die für ein Radetzky-Monument auf dem Prager Kleinfeitner
Ringe... Meine Reife nach Italien gedenk ic Fünftiges Frühjahr anzu—
treielt ...4”
Ein bis dahin ſorglich bewahrtes Herzensgeheimniß verräth eine
am 15. Novenber eingetragene Notiz: „Mein ſchönſter Traum, mein von
der Zukunft erwartetes höchjtes Glück ift dahin! — (Pint Mikowetz) —
das Mädchen, das ich ſchon als Knabe liebte, das dem Jünglinge deal
war, dem Manne Bürgſchaft dauernden Erdenglüdes werden jollte,
ließ ſich, wie ich heute erfuhr, einem Anderen verloben! Schmerzer:
— 353 —
griffen wie über den Tod meiner teuren Eltern, fühle ich mich heute nur
noch verlajjener, als nad) ihrem Verluſte . . .“
Daß diefe Enttäufchung nachhaltige Wirkung übte, wird ſchon er-
fennbar dadurch, daß die bisher für das Tagebuch jchreibfertige Feder
plöglid verjagte und erft wieder nad) fieben Monaten, am 17. Juni
1850, actio wurde, um einzutragen: „Bier bin ich endlih am erjchnten
Biele, in der Welt:Metropole Rom.
Im anschließenden Rückblicke bejtätigt M. im erfter Reihe, daß es
ihm jehr ſchwer geworden die Herzenswunde ins Vernarben zu bringen.
„Ihre Empfindlichkeit jchwächte die Wehmuth der Verabſchiedung von
meinen Gejchwijtern und Freunden...” „Im Gefühle, als wäre die Seele
von einem Trauerflor umzogen, trat ich Freitag Abends den 24. Mai die
große Reife an." — Nach mehrtägigem Aufenthalte in Wien und einem be
geijtert bejchriebenen Bejuche bei Führich reifte er über Graz, Laibadı,
Triejt weiter und langte am 1. Juni in Venedig an, wo er einige
Zage hindurch als ein von den Herrlichkeiten dieſer „Meereskönigin“
begeijterter Touriſt umberzog; dann fam er über Novigo, Yerrara,
Bologna nah Florenz — einer für ihn höchſt fatalen Station; denn
durch Aufenthalte da und dort, über die Berechnung hinausgerathen, jchließlich
durch Vetturinos ausgebeutet, kam er hier mit leerem Sädel an. Nebſt
den Reifeerlebniffen und der eingehenditen Schilderung des im Bereiche
der Kunſt, wie der Natur feit Wien Gefehenen, ift in der Rückſchau vom
17. Juni auch diefer Florentiner Epifode Raum gegeben. So im den
Worten: „Mißmuthig jtand ic) da. Was fonnte auch das vielgerühmte
Florenz für einen Reiz auf mich üben: in der peinlichen Schwebe zwiſchen
Hierfein und doch Ausgefchloffenfein, zwischen der Frage joll ich meinen
Zwar erinnerte ich mich an zwei Namen, auf die hin miv Mar und Guft.
Kraymann Grüße mitgaben, und glaubte mit ihrer Bejtellung zum erwünſchten
Auswege kommen zu können. Frug alfo freuz und quer nad) dem „Kupfer
jtecher Daverio," und dem, Graveur Niedereft", befam aber immer die Antwort
„sconoscinto* (unbekannt). In der höchſten Verlegenheit kam mir der
Gedanke, den öſterreichiſchen Gejandten aufzujuchen. Zur Stelle, hieß 8:
„kömmt erjt in einer Stunde”. Nach Ablauf diefer wieder vorfprechend,
fam mir alsbald ein äußert freumdlicher Herr entgegen, fragend, was
mein Anliegen. Nicht ohne VBerlegenheit gejtand ich ein, daß ich ſchlecht
vechnete, mir zu viel nah Nom anmeijen ließ und zu wenig zur Hand
behielt, deshalb nun an einer Wegjchranfe jtehe. Ohne mein Decret, das
ich zur Legitimirung vorwies, zu lefen, bedeutete er mir im wohlmwollenditen
*
— 34 —
Tone, beim „Secretär” in Form eines Schuldjcheines niederzujchreiben, wie viel
ich benöthige, welche Rüdzahlungsfrift mir erwünſcht fei. Geſagt, gethan,
händigte mir der Secretär nicht blos die verjchriebene Summe, fondern
auch einen Empfchlungsbrief an den dfterr. Conſul in Livorno ein .
Froh wie ein aus Gefangenschaft Befreiter ging ich iiber die Arnobrüce
in mein Quartier zurüd und ſah erſt jegt, daß ich im ſchönen Florenz
wohne, wo ſich Schritt auf Schritt dem KRunftpilger das Walten der großen
Meifter des 14. und 15. Jahrhunderts offenbart.” (Folgt eine mit wahrer
Begeijterung niedergejchriebene feinfühlige Schilderung der Runftherrlichfeiten
von Florenz.)
Am 8. Juni fuhr M. nach Livorno, brachte dort das Gejandtichafts-
ichreiben an den Adreſſaten, wurde dafür bejtens aufgenommen und mit
einem neuen Geleitsbriefe an den Vertreter Dejterreihs in Civitavecchia
verjehen. Im Tagebuche folgt der von allerlei Epifoden untermijchten
Beichreibung von Livorno die äußerſt humoriſtiſch aufgefaßte, von Sturm
und Seefranfheit begleitete Schiffahrt nach Livitavechia. Die Schluß:
tour von bier aus wurde über Einrathen des erwähnten Vertreters, im
behäbigen Poſtwagen abgethan. Sein, von einer ungewöhnlich reichen
Phantaſie getragenes Beichreibungstalent wußte namentlich diefe Tour zu
einer Anjchaulichkeit zu bringen, wie es ein Farbenbild kaum bejjer ver:
möchte... . „Die Straße führte längere Zeit am Ufer des Meeres
dahin, und weilte mein Auge auf der vor dem nahen Sonnenuntergange
im interejjantejten Farbenwechſel jich leicht bewegenden Wafjerfläche, bis
die allmälig zunehmende Dämmerung auch auf mich jelber überging und
andauerte, bis unter dem in Italien üblichen Gejchrei ein Pferdewechſel
vor ich ging, dazu hajtvoll der Pojtiglione jein mancia forderte. Indes
bald wieder vom Schlaf umfangen, entriß mich diefem erjt ein durch das
Wagenfenjter hereinleuchtender, greller Feuerſchein — näher bejehen das
Wachtfeuer der Hirten, die um eine wohlgenährte Gluth herum, mit Ziegen-
oder Schafsfellen bekleidet, lagerten. Ihre Schüglinge hodten theils wieder-
fäuend, theils am gelben Graje nagend in der von großen zottigen Hunden
bewadhten Bannlinie. Ein Bild, das fejtzuhalten ich mir das Zeug eines
Malers wünſchte! Darüber vollfommen munter geworden, mit der zu:
nehmenden Tageshelle auch mehr und mehr überzeugt von der Näherung
an die weltgejchichtliche Centrale, überfam mich faſt wie Fieberſchauer
eine innere Bewegung, die Aeußerung fand in den Worten: du haft
dein erfehntes Ziel glüdlih erreiht!.... . Am 11. Yuni
4 Uhr Früh, fuhr ich ein in die Thore von Rom.“
— 355 —
Wie es bei Melzer nun ſchon üblich war, hinterlegte er in ſeinem
243 Quartſeiten zählenden, meiſt ſehr klein und gedrängt geſchriebenen
Tagebuche den ausführlichſten Rechenſchaftsbericht über alle weiteren Er—
lebniſſe, über alles Geſehene, Geplante und Ausgeführte. Es geſchieht
dies oft mit überraſchend poetiſchem Schwunge, interne Angelegenheiten
betreffend meiſt wieder mit wahrhaft kindlicher Offenherzigkeit. Und will
der Biograph diefem feinen Wefen nach originellen im vielverjprechendften
Aufitreben begriffenen Künjtlev gereicht werden, danı muß er nothwendiger:
weiſe die Tagebuchnotizen gleih Mojaikftiften fir deſſen in Abficht ge-
nommenes Lebensbild benügen.
Im Gafthofe zur „Minerva“ abgejtiegen, begab fih M. nach dem
Umkleiden fogleih in den venezianischen Palaft zur Aufwartung beim
öjterreichiichen Gejandten. Zur Unzeit gefommen, war nicht dieſer, wohl
aber der Legationsrath Herr dv. Schniger zugänglich, der ſich herbeilich,
ihm & conto der noch aus ftehenden Stipendienamweijung einen Vorſchuß
auszuzahlen. Dadurch momentan jorglos gejtellt, wurden zunächſt die an
die mitgebradhten Empfehlungsichreiben gefnüpften Bejuche abgethan. In
eriter Reihe der bei Overbed, beim Bildhauer Steinhäufer und bei
dem aus Breslau ftammenden, vielbefannten Pater Auguftin Theiner
an welchen er ein Schreiben vom Leitmeriger Biſchofe abzugeben hatte —
der ihm gleicherweife durch originelles Wejen, wie „durch erjtaunliches
Willen, Intereſſe abgewann“. Ueber einen zweiten Bejuch bei Overbed
ift unter dem 30. Juni eingetragen: Heute Mittag wurde mir ein hoher
Genuß zu Theil. Ich befuchte das Atelier Overbed’3. Der große Künſtler
fam mic freundlich entgegen, veichte mir die Hand und hieß mich will:
fommen. Ich durfte nun alles an Zeichnungen und Skizzen umher befindliche
nad) Belieben betrachten. Eine figurenreiche, in Delfarbe colorirte Com:
pojition, den Triumph der Künſte darjtellend, für Frankfurt beſtimmt, fefjelte
mid) ganz bejonders. Bon den in zwei Näume vertheilten übrigen, theils
mit Kohle, theils farbig ausgeführten, überaus jchönen Carton’s hebe
ic) namentlic noch „Chrijtus am Delberge", „Madonna mit dem jchlafenden
Jeſuskinde“, „der ungläubige Thomas" hervor... .. Der allverehrte
Meijter fam mir nad) und erklärte jchlichtejter Weije, durch welchen
Gedanken diefes und jenes Bild entjtanden, welche Bejtimmung damit
getroffen wurde. Er theilte mir auch mit: „Meine größeren Gemälde
laſſe ich, bevor fie nicht vollendet find, Niemanden jehen, dann aber
jtelle ich fie Öffentlich aus.” — „Dem entiprechend iſt auch Sonn= und
Feiertag von 12 bis 2 Uhr jedermann der Zutritt in deſſen Ausjtellungs-
räume gejtatiet". . . . .
— 356 —
Eingejchaltet iſt nachfolgend im Tagebuche eine treffliche, künſtleriſcher
Auffaſſung entfprungene Schilderung der mit dem Feſte der Apoſtelfürſten
— Beter, Paul — in Rom verbundenen Feierlichkeiten: der Peterskuppel-
beleuchtung am Vorabende, des pompöfen firchlichen Aufzuges am Feittage,
der Abends wiederholten Kuppelbeleuchtung nebſt Feuerwerf.
Am 2. Juli, nad) dem Befuche der vaticanischen Antitenfammlung,
notirte M.: „Die Grichen find wohl die größten Künftler gewejen, denn
jo weit ich bisher Umſchau hielt, fand ich fie von Anderen nicht erreicht,
jo wenig in Würde, Kraft, wie in zarter Formbildung. Sie find jedenfalls
der Probierjtein, au welchem zum Bewußtjein gebracht wird: wie viel man
Ihon erlernte — wie vieles noch zu lernen übrig it.“
3. Juli. „Geſtern bejuchte ich den Wiener Penfionär, Maler Karl
Wurzinger,?') der hier in Begleitung feiner Frau der ihm zu—
gewendeten akademiſchen Stiftung Genüge zu thun jucht. Dieje beträgt
800 Fl. eine Summe, mit der jich allerdings zweijpännig fahren
läßt, im Gegenfage zu meinen 300 Gulden! Die, wie ich mehr und
mehr einjehe, dem gewiljen Schulmeifter-Gehalte gleichfommen, charakterifirt
durch das geflügelte Wort: „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel".
Uebrigens beneide ich den gemüthlich phlegmatisch, in häuslicher Stille fein
Penſum abthuenden Wurzinger nicht, weil fich wahrnehmen Täßt, feine
„Römerfahrt“ gleiche jehr ftarf dem ſpottweiſen Fluge über den Ahein"...
Selben Datums: „Gejtern Abend gab es merkwirdig genug Illumi—
nation zu Ehren der Franzejen, eigentlich zur Feier des Jahrestages
ihres Einmarjches in Rom. Die Stadt war ziemlich jtarf beleuchtet,
und paradirten in den Fenſtern offenbar die bemalten PBapierlaternen, die
vor zwei Jahren in ganz anderen Sinne functionirten, nämlich zu Ehren
der Republik! — Das Volf von Nom, wie es Shafefpeare durch feinen
„Coriolanus“ charakterifiven läßt, jcheint noch immer dasjelbe geblieben
zu jein“. ...
Am 8. Juli unternahm M. in Begleitung eines Pojener Bildhauers
den erjten Ausflug in die Umgegend von Rom, über den er wieder mit
der ganzen Begabung für Naturfchilderungen in Tagebuche berichtet:
. Nadjmittags 4 Uhr, als die größte Hige vorüber, verließen wir durch
die Porta San Giovanni das Weihhild der Stadt. Zu beiden Seiten
des Weges wucherte das hohe Rohr, welches zu Stügen für die Weinjtöde
verwendet wird; ſtreckenweis wanderten wir wieder zwifchen Einfriedungen
aus Mauerwerk oder lebenden Zäunen, abgeſchloſſen von aller Fernficht. Erit
1) Später Profeffor der Hiftorienmalerei an der Wiener Akademie.
— 357 —
nach und nad) kamen die großartigen Wajfjerleitungen zu Geficht,
deren Hunderte von Bögen fich in die weitgedehnte Campagna hinzogen.
Die Ruinen der alten, bald in Heineren Gruppen, dann wieder in langen
Linien fortlaufend der neueren Leitung zur Seite, waren der einzige
decorative Theil der an fich trojtlojen, ſumpfigen Fläche. Weiterfchreitend
fam rechts die Via Appia zu Vorjchein, hierauf an der Straße hin un—
zählige alte Grabmäler, unter denen bejonders das guterhaltene der Käcilia
Mietella meine Aufmerkjamfeit erregte: weit und breit alfo nichts als
Trümmer des einftigen Roms, todte Einöde, meilenweit feine menjch-
liche Wohnung! — Hohe vieredige Thürme ftiegen wohl bald da und
dort aus der unbebauten, mit gelblihem Graſe überwucdjerten Ebene auf,
aber auch dieje find Ruinen jpäterer nachehriftlicher Zeit. Unter einigen
von ihnen kann ſich zwar der von Hitze und Durſt gequälte Wanderer in
finfteren Gemwölben Erfrifchung holen, freilich nur an fchlechtem Weine
und noch fchlechterem Waller, das bei den in diefen Eulenneftern haufenden,
mehr Wegelagerer als Wirthen ähnlichen Krausföpfen fir theueres Geld
zu haben iſt .. .. Endlich nachdem noch der erjtiddende Dunft der
Salfaterra unfere Zungen bejchwert, die fcheidende Sonne den Bergen ihre
farbigen Strahlen entzogen hatte, ging die Straße aufwärts. Vom Sabiner-
gebirge winfte das freundliche Frascati, in weiterer Reihe links fam Tivoli
nebſt anderen wie Nefter an den Berggipfeln hängenden Städtchen zum
Vorſchein; diefen gegenüber zeigte ſich der mit einem Kloſter gefrünte
Monte Cavo und das am Fuße liegende Rocca di Papa, tiefer noch)
San Marino und Eaftell Gandolfo, bis die üppigen, der anderjeitigen Berg:
linie folgenden Oelgärten den Gefichtsfreis abjchlojien . . . . Es war halb
10 Uhr als wir die Thore von Albano durchfchritten und kurz darauf
uns bei einer Flajche Wein von den Mühfeligfeiten und Entbehrungen
während des Marjches erholten. Wir hatten binnen 5 Stunden 15 Miglien
zurückgelegt . . . . Die Morgenfonne des nächften Tages hatte leider ver-
geffen uns zu mweden, e8 hieß darum Genſano unberührt lajjen und direct
auf Frascati losſteuern für den Beſuch von Tusculum, der für diejen Tag
noh am Programme ftand . . . . Hinter Albano Hatte ich wieder den
Ausblid auf das Meer, das in einem langen blauen Streifen über die
niedrigen Ufer der Campagna jichtlic wurde. Ich jtand zugleich unter
dem Laubdache nordifcher Eichen, den Abhang zu Füßen ſchmückten Lorbeer
und Oelbäume. Oberhalb hatte ich die Mauern von Ariccia vor mir mit
der umgebauten hohen Brücke, die über das tiefe Thal hinwegführt; zur
Seite befand ſich das halbverfallene Monument der Horatier und Curatier
mit feinen vier Thürmen. — Der gedanfenvollen Betrachtung entrijjen
— 3558 —
mich erſt die in ihrer maleriſchen Tracht gruppenweiſe an mir vorüber
der nahen Kirche zujchreitenden Landleute, denen ich dann nachging, um
baldig wieder vor einem neuen, eigenartigen Bilde zu ftehen: dem eines
vor feiner pittoresfen Klauſe figenden Eremiten, welcher, wie ich jehen
fonnte, bereitwillig die Almofen der Vorübergehenden in Empfang nahm .. ..
Dann mehr und mehr bergan jteigend Tag plöglich der dunfelgrüne Albaner
See zu Füßen. Die Seitenwände diejes eingejtürzten Kraters find ringsum
und bis an den tiefgelegenen Spiegel mit frischem Grün überzogen, und
jpiegelt jih auf der ruhigen Fläche äußerjt effectvoll das nächitangelegene
Caſtell Gandolfo. Nach rechts überragt diefes Tiefenbild der hohe, jchein-
bar nahegerückte Monte Cavo. Den Genuß der prachtvollen Ausjicht erhöhte
nicht gering der aus dem den Standort umgebenden Gebüſch ertünende
Nachtigallgejang, die merfwürdig bier auch am hellen Tage fingen.
Durch eine Allee jener Hundertjährigen perennivenden Eichen, die
blos in der Form des Stammes und der Aeſte unjeren Eichen ähnlich find,
dagegen ein ganz verjchievdenes Laub tragen, famen wir nach Eajtell Gan-
dolfo. Raſt haltend in einem arten, unter eier gegen den Sonnenbrand
ſchützenden Weinlaube, erjrischt duch einen krugvoll Rebenſaft, genofjen
wir von da aus zugleich die Ausjicht auf die Campagna und die in der
Gluthige gewiſſermaſſen brodelnde Siebenhügelſtadt . . Noch einmal gingen
wir dann entlang dem Albanerjce, gelangten in einen fehattigen Hain,
über welchem die finfteren Mauern von San Marino erfchienen.... Nach
etwa zwei Stunden erreichten wir das erjehnte Frascati. Gejchmadvolle
Villen umgaben rings die heiter ausjehende Stadt, in der zudem auch des
Feſttages wegen heiteres, buntbewegtes Leben herrfchte, an dem wir jedoch)
nur während dem Genufje eines Glafes fchäumenden Bieres unter dem
Vordache einer Zaverna Theil nahmen, um baldigs weiter zu kommen.
Steil aufwärts ging es dann in der drückendſten Mittagshige eine volle
Stunde lang, bevor ‘wir über das altrömiſche Pflajter hinweg in die Ruinen
von Zuseulum eintraten. Dieje einjtige fefte Stadt iſt heute ein Trümmer:
haufen, nur die Südweitjeite mit Fragmenten von mafjigen Wölbungen,
hie und da von Schutt befreiten Architefturtheilen läßt ihre ehmalige Größe
und Herrlichkeit ahnen. Es war ein ziemlidy mühfelig Unternehmen, fid)
zwifchen dem eingejtirzten, iiber und über mit dunklem Epheu bevedten
Gemäuer durchzumwinden . . . . Ein ergreifendes Bild bietet das fait
gänzlih zu Tage gelegte Amphitheater mit den ausgezahnten Stufen,
den Marmortrümmern der Bühne, auf der aus üppig emporwuchernden
Unkraut vereinzelte Säulenjtumpfe aufragen. Merkwürdig, dicht an, unter
Eichen: und Lorbeer-Gejtrüpp weidete eine Schafherde, mittinnen jaß der
-- 359 —
Hirt, ſchweigſam den Blid auf Rom gerichtet. Tiefe Stille, Todesruhe zu
nennen, herrjchte allum! . . . Ueber Lavafchutt führte der Weg aufwärts
zum Bergesgipfel — eigentlidy iiber das verjchüttete Gemäuer der vormals
bejtandenen Gebäude. Bon oben aus überjieht man das Trimmerfeld
nad) feiner ganzen Ausdehrung . . . . Am Rückwege nad) Yrascati, nahe
der Stadt, trafen wir noch auf ein Stück rundes Gemäuer — das Grab-
mal des Zuccullus. Nach zweiftündigem Raften und vierjtündigem Marjche
waren die Thore von Rom erreicht.
16. Juli. Nachmittags befuchte ich mehrere Bildhauer— Atelier's; als
die bedeutendſten hebe ich das von Emil Wolf, einem gebornen Berliner,
und von Pietro Tenerani aus Torano hervor, obſchon ſich in dieſen, wie
den meiſten anderen nicht das darbot, was meinem Geſchmacke zugeſagt
hätte. Die vorgefundenen Werke, meiſt auf mythologiſchen Stoffen baſirt,
ſtanden mir als Romantiker fremd gegenüber. Ich vermag mich zu
erwärmen im Anblicke recht antiker Werke, weil ich ſie einer volksthüm—
lichen Kunſt entſprungen weiß und in ihr den höchſten Ausdruck des
Lebens der alten Welt erblicke; was aber ſoll einer bei ſchon vollſtändig
chriſtianiſirtem Ideenkreiſe und ganz anderer Welt- und Menſchenanſchauung,
mit den aus jener alten Welt herausgeriſſenen, dem Macher gefühlsentfremdet,
dem Beſchauer unſympathiſch gewordenen Geſtaltungen anfangen?! —
Beſten Fall kann alſo wie es den Ausführungen Tenerani's gegenüber von
mir geſchah die treffliche Technik und ſchöne Form anerkannt werden.
Daß übrigens Tenerani das Zeug hat für Gebilde „unſerer Zeit“, erſah
ich aus einer eben jo geijtvoll wie lebensfriſch aufgefaßten Marmorftatue,
die Herzogin von Leuchtenberg darjtellend. Aller Wahrjcheinlichkeit find
es nur die für fälſchliche Antifen paffionirten Engländer, welche die hier
lebenden Bildhauer außer ihrem richtigen Fahrwaſſer halten.“
24. Juli. „Endlich nach achtmalig vergeblihem Vorſprechen hatte ich
heute die Ehre vom f. k. öſterr. Gejandten (Eszterhazy) empfangen zu
werden. Aeußerſt wohlwollend aufgenommen, erklärte er dennoch die
Gewährung der Bitte um ein Freiquartier im Palazzo Venezia für
jegt als unmöglih. Beruhigend fügte er bei, Rath für mich fchaffen zu
wollen. Ueber dem Verabſchieden bedeutete er mir noch, ihr ja jofort zu
verjtändigen, wenn ich eine Arbeit fertig hätte” .
Die nächſte Notirung vom 31. Juli iſt eine jubelvolle über die
erjten aus der Heimat von Bruder und Schweiter erhaltenen Briefe.
Bon da ab beurfundet das Tagebuch einen dem Ebben und Fluthen
vergleihbaren Stimmungswechjel. Bald gehoben und freudvoll fich nahe
— 3560 ° —
fühlend jeinem Ideal, verfällt M. momentan wieder der vernichtenden
Selbjtkritif, und zerftört in jolcher Stimmung das kurz vorher zuverjichts-
voll Begonnene. Während er alfo am 25. Juli noch in Nachwirkung der
guten Nachrichten von Haufe und im Hinblide auf den geliebten Meifter
notirte: „Bereits im Neinen über meine nächjte Arbeit, hinreichend mit
Entwürfen verjehen für weitere Ausführungen fteht auch ſchon das aus
römiſchem Thon geformte erjte Gebilde — ich möchte jagen
— erwartungsvoll vor mir” lautet der Eingang der Notivungen vom
3. Auguft: „Daß es bei mir doch gar fo ſchwer geht, einen ernften Ent:
Ihluß durchzuführen.” ..... „Hier jchreibe ich mir vor" — heißt es
weiter - „wie ich die Zeit zu meinem Vortheile bemeſſen und benützen
joll, und doc gewährt es mir bisher noch Fein Vergnügen, mich ernjtlich
zu bejchäftigen, zu zeichnen oder zu boſſiren, denn al’ die mächtigen
Eindrüde des hier bereitS Gejehenen laſſen mein Thun nichtsjagend
erſcheinen“. .... „Und doch ſoll und will ich ein Künſtler werden, der
bei der Wiederkehr in die Heimat, Aug in Aug dem lieben Meiſter,
nicht erröthen ſoll!“ .. .. „Nächſt ſchon modellire ich wieder; aus den
vielen mir vorſchwebenden Ideen halte ich endlich die eine feſt.“ .....
„Hätte ich nur fchon alles in Ordnung für den Beginn einer größeren
Arbeit. Leider läßt fi nun mehr und mehr erfennen, daß der Sti-
pendienbetrag fein ausreichender fei für eine ſolche ..
Auch noch immer ohne Freiquartier, muß ich in verhältnigmäßig vecht
theurer Miethe hinbringen und jehe mich zu einer Anleihe bei meinen
Verwandten gezwungen."
Momentan wieder getragen von den hochgehenden Wellen künſtle—
riſcher Begeifterung, treffen wir ihn unter dem 5. Auguft über dem
Ausrufe: „Rom ift groß, Rom iſt herrlich! So ruft mirs auf jeden Schritt,
den ich auf diefem clafjischen Boden weiter thue, entgegen. Wer Rom
nach jeiner Gejchichte, wie nach feiner Bedeutung für Gegenwart und
Zufunft erkennen und wirdigen fol, muß bier gelebt, und offenen Auges
umbergegangen fein... . . Geſtern hatte ich wieder einen Tag reih an
Genüſſen und an nachhaltiger Anregung für thatkräftiges Vollbringen.“
(Folgt ein trefflich gefchilderter Beſuch der „Zitusthermen“.)
22. Auguft. „Heute Vormittag befuchte ich den liebenswürdigen
Ziroler Gebhard Flag, einen Maler, dem es gegönnt ift mit Overbed
zu rivalifiven, ohne daß einer dem anderen gram fein müßte; im Gegen—
theil find fie innige Freunde, heben und tragen fie fich gegenfeitig. Ich
fand ihn über der Vollendung einer orgeljpielenden Cäcilia, umgeben von
fingenden Engeln — von einer Sinnigfeit in der Erfindung, und einer
— 361 —
jtimmungsvollen Malweije, wie fie eben wieder nur Dverbed eigen ift. —
Er fnitpfte ein langes Geſpräch mit mir an und offenbarte dabei feine
Anſchauung — id) möchte jagen — über beide Welten, die reale und die
ideale. Zum Ausgange auf erjtere dienten ihm allerdings die trüben
Ereigniſſe in Rom ſeit 1848, die er mit einer Lebendigkeit jchilderte, die
mir fie faſt fichtlich machte. Den wohlthuendften Gegenjat gab dazu das
Aufrollen der herrlichen Bilder, die feiner Anfchauung vom göttlichen
Walten, vom Berufe des Künjtlers „dem Vermittler zwijchen Geift und
Natur" entjprangen. Ich fühlte mich gleicherweife tief ergriffen, wie mächtig
gehoben von diefem Geſpräche“ . . . „Beim Berabjchieden händigte mir
Flag die von ihm gefchriebene Biographie feines talentvollen Schülers,
Jakob Finf aus Vorarlberg ein. Die Werke diejes jungen Künftlers,
welcher den Hirtenjtab mit dem Pinſel vertaufchte und die Alm verließ,
um dem ſich erforenen Meifter nah Rom zu folgen, find nad) dem
Urtheile aller hiefigen Künftler von hohem Werte. Kaum 25 Jahre alt
am 6. September 1346 gejtorben, trauert Flat jet noch wie um den
Berluft eines geliebten Sohnes.”
Aus den Notirungen vom 2. September hebe ich hauptjächlich nur
die Begegnung Melzers mit Nadorp,') dem der alten Kunft-Garde Prags
in bejter Erinneruug gebliebenen Berglerſchüler hervor, der befanntlich aud)
mit Führich und Frieje das „SKleeblatt dev Unabhängigen” bildete. Sie
begegneten jich bei dem allen romfahrenden Künftlern jener Periode Stell:
dichein bietenden Buchhändler Spithöfer — gegenfeitig fremd — in einent
von legteren angeregten religiöfen Stritte, in welchem, wie M. jchreibt,
„dieſer graugelodte, das Gepräge der Intelligenz in Kopf und Gejtalt
tragende Mann durch feine klare Argumentation meine Sympathie gewann.
Der Stritt endete überdies durch ihn zu meinen Gunjten, und zwang mich
diejes, dem noch immer „Unbetannten“ beim Auseinandergehen zu folgen.
Was ich wollte, ſchien auch er zu wollen, denn er fam mir zuvor mit der
Frage: für wen er mich halten folle, hinzufegend, ich bin der Nadorp
und überrafchend für ihn vermochte ich zu erwidern: alfo der mir von
Meifter Mar jo oft genannte College von Führich und Friefe! Augen—
blieklich wurden wir nun trog des großen Unterfchieds der Jahre traute
Freunde.” ...
1) Geboren 1804 zu Anhalt in Rheinpreußen, ging von Prag nad Wien, hierauf
nah Rom, wo er ald wahres Univerfalgenie ſich gleicherweife als Maler,
Lithograph, Radirer, Modelleur und Bildhauer zu Ehren bradte.
MittHeilungen. 25. Jahrgang, 4. Heft. 24
— 3562 —
16, Sep. ..... „Noch immer in der Schwebe und voll Unruhe ;
gequält genug ſchon durch die Unficherheit wo, wann ich endlich zu
feftem Site fomme, quäle idy mich unausgejegt jelber mit Vorwürfen
darüber, dem in mich gejegten Vertrauen nicht bereits auch entſprochen
zu haben.“ .....
26. Sept... .... In größter Bedrängniß ging ich heute zum
k. k. Legationsrathe von Schniger, um einen Vorſchuß zu bitten, der mir
denn auch freundlichjt im Betrage von 20 Scudi gewährt wurde. . . ..
Denjelben Nacymittag miethete ich ein anderes Quartier — in der Via di
St. Andrea della Fratte — aud) der Modellirftuhl, der mir noch immer
fehlte, wurde beſtellt.“ . . .
Gleich erhöhter Stimmung tjt die unter dem 3. Detober niederge:
jchriebene Notiz: „Endlich Fam die von einem böjen Zufalle hintangehaltene
Hilfe durch meine Geſchwiſter. . . . Im Laufe der nächjten Tage kam
auch der erjehnte Boſſirſtuhl . . . freudig auf- und angeregt von diefer
glücklichen Wendung der Dinge griff ıch nun fejt ins Zeug, griff, um raſch
etwas fertig zu bringen, aus den vorhandenen, embryoniſchen Modellen
eines der Tiebjten, die Shafejpeare vorjtellende Statuette heraus, um fie
friſchweg zu vollenden."
Nachgetragen ift diefer Notirung ein mit gewohnter Birtuofität
bejchriebener „Ausflug nad) Zivoli" und aud ein Ausführliches über
den abjonderlichen Zwijchenfall, durch welchen ihm die aus der Heimat
angerufene Eriftenzbeihilfe von italienischen Briganten fraglich gemacht
worden war.
2: u 3 BEN Das abjcheuliche römiſche Fieber überfchlich die
faum wieder entjalteten Flügel und legte mich zugleich mit ihnen
wochenlang lahnt.
... Bin leider nicht vorwurfsfrei zur Anlodung beigetragen zu
haben; durch die fich mir immer und immer aufdrängende Ueberzeugung,
daß ich, um das Ausfommen zu finden, mich auch auf die Aseeje verlegen müſſe,
fuchte ich denn auch, wenn jchon nicht mit Kräutern und Wurzeln, jo
dod) mit Trauben und fonftigem Obfte das Ernährungsbedürfniß zu be-
friedigen. Offenbar hat fi) mein Körper nicht darauf verjtanden und jich
rächend mich feinem Anwalt — dem Doctor — überliefert. Glücklicher—
weije ift’8 ein ganz gemüthlicher Norweger, Namens Arnger, mit blonden
Badendbart und blondem Haupthaar, rothwangig und voll, ein Bild
echter Lebensfrische, deſſen Anblick jchon der Gejundung beihilft, die er
überdies, wie ich erfahren fonnte, durch eben jo einfache als zweckdienliche
Mittel zu fördern verſteht. . . . . Bin zwar jeher berabgefommen, bin zum
— 363 —
Erſchrecken hager und hohläugig geworden, auch treten die Knochen alleut—
halben höchſt zudringlich über die Muskel vor, aber ich fühle mich wieder
gejund, fait gefiinder wie in der erjten Zeit meines Hierſeins. . . .
Mein halbvollendeter Shafejpeare joll nun zur Vollendung kommen;
zum Frühjahr gedenk ich mir ein eigentliche Atelier zu miethen für
größere Ausführungen. Muß freilich bis dahin auch einige Hundert
Guben aus Bürgftein mit heranziehen — wenn’s wahr
5. Novemb. .. . So hätte ich denn auch der ärztlichen Anordnung,
ein ausgiebiges „Luftbad“ als Nachcur zu gebrauchen, Genüge gethan
und zwar durch einen zweitägigen Ausflug. Länger als erwünfcht hielt
mich das in den legten Tagen des Octobers eingetretene, mit empfindlicher
Kälte verbundene Regenwetter davon ab. Der Allerheiligtag verlieh endlich
wieder dem „italifchen Himmel" das altberühmte Gepräge. Vorerft
den Grad meiner wiedergewonnenen phyfiichen Kräfte zu erproben, ging
ih Nachmittags durh die Stadt hinüber zum Vatican und hinaus
vor die Porta Fabrica — durch welche ih am 11. Juni nah Rom
einzog. Längs der Straße unter den Stadtmauern, dann über den auch
außerhalb fich Hinziehenden Monte Baticano fortfchreitend Fam ich nad)
einem mehrjtündigen Gange wieder dur) die Porta Angelica herein.
Was aber hatte fich während der jimplen Tour dem Auge dargeboten!
Bor allem der geringe Vorzug der römischen vor der böhmijchen Land»
Ichaft im Punkte der Vegetation, denn nahezu gänzlich entlaubt waren die
Bäume; allen Schmudes baar zeigten fich die gegen den Monte Mario
hinziehenden Weinberge, nur die Niederungen hatten durch den Regen etwas
an Frische gewonnen, beſonders die Eyprefien und Pinien. Die Sonne
ging unter, ehe ich das Thor erreichte. Was fie bis dahin noch vollbradhte,
hielt freilich nicht mehr den Bergleih aus mit vaterländifchen Natur:
bildern, gehörte dem Weltſtücke an, auf dem ich jest lebte jedenfalls
auch dem Farbenjpectrum der fildlihen Zone. Denn ganz eigenartiger
Weiſe wechjelte da von Moment zu Moment das Eolorit, die vorher von
rojigem Duft überfloffenen Gebirge verfärbten ſich ins hochrothe, glühende,
wogegen die erjt in blendendem Schneeglanze erichtenenen Apenninen eine
prächtige Laſur vom feinsten Violett erhielten. Und faum vom Auge erfaßt
änderte fich ſchon wieder die Nuance, bis jchließlich die näheren Gebirge
tiefblau, die ferneren blaßroth, die Schneeberge glanzlos gran geworden,
wie durch einen plöglichen Ruck unter dem Schleier der Nacht verjanfen.
Dem durch fein Farbenſpiel gleichwie beweglichen Landſchaftsbilde jtand
das über die jieben Hügel erftredte Conglomerat jtarren düſteren Gemäuers
24*
— 364 —
in Form von Thürmen, Ruppeln und Paläften merkwürdig contraftirend
entgegen.” .... |
„Wieder innerhalb dieſes Gemäuers einherjchreitend, doch befangen
noch von der Nachwirkung der fich draußen fiir mich vollzugenen Bhantas-
magorie empfand ich eine wahre Scheu vor dem den Straßenzug filllenden
Menjchengewühl. Ich mußte noch eine Zeit lang für mich fein. Unmerklich
war ih jo am Batican vorbei über den grandiojen Petersplag zur
Dompforte gefommen; jie jtand offen, und als müßte es fein, betrat ic)
das tieffintere Innere. Allmälig erjt bei weiterem VBorjchreiten machte
fich ein Lichtſchimmer bemerkbar, jener von den hundert Lampen üiber-dem
Grabe der Apoftelfürjten. Weiter und weiter wurden noch matt fladerude,
auf einzelnen Altären angebrachte Kerzen fichtlich, mit deren Lichtjchwin-
gungen, wie ich glauben mußte, ſich Töne verbunden hatten, die ähnlich jenen
bei der Aeolsharfe, zu Gehör famen. Bei weiterem Vorgehen ich fteigernd
bis zum vollen Chor ward es nun auch leicht, ven Herd des Tonſpieles zu finden.
Diefer erſchloß ſich zu größter Ueberraſchung in einer der großen Seiten-
fapellen des Domes, in welcher rechts und links vom Altare auf jtaffel-
fürmig erhöhten Sigreihen wohl an fünfzig Priefter und vor diefen in den
unteren Bänken priejterlich gefleivete Knaben und Jünglinge (Zöglinge
des Puerorums von St. Peter) ſaßen, die im Wechjelgejange pfalmodirten.
Schließlich erhoben ſich aus der dem Altar gegeniiber figenden Gruppe
zwei Cardinalpriejter, um vortretend zu dem auf einem Pulte liegenden
Santionale einige Verſe abzufingen, worauf der den Vorſitz führende Car—
dinal auch feine Stimme erhob, mit welcher fich der volle Chor zum Finale
vereinigte. Unter Vortritt von zwei Leuchtenden, welchen der Cardinal
folgte, 309 die ganze Priefterjchaar von dannen. Daß der Vorgang
die Allerjeelen-Bigilie gewefen, konnte ich aus dem Nachipiele entnehmen.
Denn war die Kapelle geleert, erjchienen wie aus dem Boden gewachjen
Kirchendiener, und fchoben, ridten und hämmerten, bis fie den
üblichen Allerſeelen-Katafalk zurecht gezimmert hatten. Ich hatte mittler-
weile den Rückweg angetreten, allerdings in wahrhaft jchauerlicher Fin:
jterniß, noch jchauerlicher durch die des Weges an mir vorbeihufchenden,
unfichtbaren Gejtalten offenbar Dombejucher wie ih. — Momentan
jtand ich unter der Rieſenkuppel, erkennbar durch die ihre Fenfter illu—
jtrivenden Sterne des nächtigen Himmels; ich dachte unwillkürlich an
den num mit ihnen am Kunſthimmel vereinten Michelangelo; hatte über-
haupt derartig transcendente Anwandlungen, daß es gut war ins Welt-
getümmel zurückzukehren.“ . .
— 365 —
„Früh 9 Uhr des anderen Tages ging ich über den Plab des
Laterans vorbei an der myſtiſchen Pyramide und fchaute durch das offene
Gitterthor die heilige Stiege hinan. Ein ſeltſames Schaufpiel bot ſich dar
in einer Anzahl von Leuten, die mühſam auf den Knien vorrutichend
Staffel um Staffel erflommen, während fie Gebete murmelten. ....
Bald darauf hatte ich die Porta Sau Giovanni hinter mir und fchritt
wohlgemuth die lange Straße dahin in den Fühlen Morgen hinein. Piff,
Puff, knallten plöglic der Straße entlang, wie tiefer in der Ebene der
Campagna die Büchſen. Jäger, einzeln oder zu zweien, durchſtreiften mit
ihren Hunden das hohe Gras der braunen Fläche und fnallten immer
wieder in die aufgejcheuchten Lerchen, die zu Tauſenden umberflogen,
ſich niederließen, bald aber wieder von Neuem aufgefcheucht den Nim-
roden ungezählt zum Opfer fielen. Mich empörte diefes Morden der
edeljten gefiederten Sänger, aber fir mich hies es Avanti (vorbei)......
Dem Albanergebirge fefter und fefter zufchreitend erhoben ſich jcheinbar
auc mehr und mehr über das Sabinergebirg die zadigen Linien der jchnee-
weißen Apenninen — ein Linien wie Farbenwechjel der interejjantejten Art.
Die Staffage des Bildes gaben zahlreiche der Stadt zurollende Victualien-
farren, mit Säden und Körben belaftete Ejel und Pferde, Hinter welchen
die lederbeſchienten Gebirgsbauern einhertrotteten.
Um 2 Uhr fam ich in Albano an und jtieg nach Hinveichender
Stärfung wieder hinan zum jchönen See. Der Herbit hatte feit dem
früheren Hierſein den bufchreichen Ufern gänzlich verändertes, buntes
Eolorit verliehen. Unterhalb des Klofters, das inmitten eines großen Gartens
Yiegt, der fich bis nahe an das hohe Ufer des See’s und an der rechten Seite
des Berges hinzieht, vorbei fam ich wieder zum Monumente der Horatier und
Euratier, des Weiteren in das Städtchen Uriccia, dejjen Schöne Lage und freund-
liches Aeußere jehr im Widerfpruche jteht mit feinem Inneren. Denn enge un-
reinliche Gaſſen mit alten finftern Häufern, deren ebenerdige Wohnungen
Biehjtällen ähnlicher find wie Menfchenwohnungen — zu welchen übrigens
das ſchmutzige Ausjehen ihrer Inſaſſen ganz wohl paßt — bieten ji) nad)
allen Richtungen dar. Unerflärlich, daß ſich in diejen herrlichen Gegenden
das wiederfindet, was im VBaterlande zumeift nur in den gewijjen „böh—
mischen Dörfern“ jo abjchredend gedeiht!. . . . Auf der Sude nad
dem Nemifee, ſchon außerhalb des Städtchens eine Allee durchjchreitend
fam ich zum jchönen Palafte des Duca Cefarini des Beherrichers von
Ariccia von deſſen Rückſeite aus fich mir nun tief unten im Kraterkeſſel
der überrafchend prächtige Ausblid auf den leicht bewegten, dunklen See
darbot. Gegenüber am hohen Ufer desjelben lag das Städtchen Nemi, von
— 366 —
der fheidenden Abendfonne rofig überjchimmert, indeß obenhin ſanft ge-
ſchwungene, violet gefärbte Gebirgslinien fichtlich wurden und nach links,
hinter dem höher aufjtrebenden Monte Cavo mit feinem maleriſch gejtal-
teten Klofter verſchwanden. . . . .. Mein Weiterweg führte nach Genzano,
wo ich zu übernachten gedachte. Zu nicht geringer Verwunderung ſtellte
fi) aber heraus, daß es in ganz Genzano fein Gafthaus mit Nacht:
herberge gab. In verjchiedenen Locanden oder Kneipen wird wohl
Nahrung verabreicht, für Zimmer mit Betten ift jedoch nirgend vorgejorgt.
Da ſaß ich nun in einer diefer Kneipen bei Käfebrod und einer Foglietta
Wein, das Schidjal fragend, wo fich eine Stelle fände für mein müdes
Haupt. Daß es in nicht allzu melancholifcher Tonart gefchehe, dafür jorgte
meine Umgebung. Wars dody eine urwüchſige, echte Volkskneipe in der ich
laß, und allerlei neue Seiten italienischen Lebens beobachten Fonnte. Da
lagen z. B. vor der Eingangsthür decorativ auf ein Gejtell hingelegt
zierlich zugefchnittene Stüde Fleiſch von Rind und Lamm die auch
anreizten zum Begehren nach einem Braten. Schlauer Miene, achjelzudend,
erwiderte aber der Wirth „domani“! (Morgen). Wie er mir Hinter:
ber traulich miitheilte, dürfe er heute (Samſtag) Fleiſch weder kochen
noch braten, das draußen liege nur zur Anlodung für Morgen. (!)
Der Lockvogel für heute hing an einem zweiten Geſtell in Gejtalt eines
über Kohlengluth brodelnden Kejjels, aus welchem, wie ich bald erfuhr, eine
Fiſolenſuppe hervorging zur Befriedigung der mehr und mehr herbeige-
fommenen Gäfte. Um irrige Vorftellungen hintanzuhalten, ſei bemerkt,
daß diefe Gajterei nicht in einem bei uns gewöhnlichen Locale, ſondern
in einer richtigen italienischen Bottega vor ji) ging, in der e8 Raum
gibt für Möglichjtes und kaum Glaubliches. An die improvifirte Küche
mit dem Fiſolenſuppenkeſſel jchloß nämlich, nur durch eine niedere Bretter-
wand getrennt, ein oblonger Raum an mit zwei Seitennijchen, in welchen
die Weinprejje und diverjes Geräthe unterbracht waren. An der Rückwand
mit einer Art von Eredenz, auf welcher Foglietten und Gläſer jtanden,
machte ſich ganz räthjelhaft eine finjtere Höhlung bemerkbar, aus welder
zeitweiliges Schnaufen und Stampfen hörbar wurde. Die Suppengäjte,
entlang der Seitenwände figend, im behaglichen Vertilgen der gelblichen,
mit einer Menge von Bohnen untermijchten Flüffigfeit, folgten nun
plöglic wie auf ein gegebenes Zeichen meinem Blide nach jener finfteren
Höhle — aus welcher zwar nicht der leibhafte „Gottſeibeiuns“, wohl aber
der Kopf eines Gauls zum Vorjchein kam, Zuwachs an Füßen, Rumpf ꝛc.
erhielt, und im voller Lebensgröße ſich ganz ungenirt ins Publicum mifchte!
Aus feinem Hinzuge auf die Brotichnitten, die neben den Suppenden
— 367 —
lagen, ließ jich unjchwer auch auf das treibende Motiv des aus der futterlofen
Höhle hervorfommenden Pierdes ſchließen. Der Wirth war deſſen inne ge-
worden, denn er griff raſch nad) einer Schwinge mit Kleie und brachte ohne
weiteres Zuthun den „Cavallo* in fein Verließ. Mit der Wiederkehr der aljo
geftörten häuslichen Ordnung Fehrte auch der von mir ausgefendete Nacht:
quartierfucher zurück, fröhlich berichtend, e8 werde im unfern gelegenen
Haufe bereits für mich aufgebettet. Er hatte wahr gejprochen. Ihm folgend,
fand ich bei einer gutmüthigen alten Frau für 20 Bajocco ein feparirtes
Nachtlager, dahin zu verjtehen, daß in der „dreiſtöckigen“ Bettjtatt, fein
Zweiter oder Dritter fich eingemiethet hatte.” . . . . „In aller Frühe
aufgejcheucht durch lautes Treiben auf der Gafje, konnte ich wahrnehmen,
wie jchon gegen 6 Uhr ein Strom von Männern und Weibern fi) aus
der gegenüber liegenden Kirche ergoß, dafür andere dahin zogen, denen ich
dann unwillkürlich folgte. Ein gleiches Bild von Frömmigkeit, wie in diejer
schlichten Kirche, die alleum Knienden und theils in tiefjter Demuth zum
Theil im Ausdrude innigften Vertrauens Betenden darboten, hatte ich noch
nirgend gefunden. . . . . Es war inzwilchen Tag geworden, und hatte
damit auch das Treiben auf den Gafjen andere Phyſiognomie gewonnen.
Die Via Livia, in der ich die Nacht verbrachte, hinanjteigend zur Dia
Storza fam ich auf einen größeren Pla mit einem öffentlichen Brunnen,
um welchen e8 gar Iujtig zuging. Mädchen und Weiber in ihrem male:
riſchen Coſtüm füllten unter lebhaftejtem Geplauder und Kichern ihre
fupfernen Gefäße, ſchwangen fie auf den Kopf, und zogen rudelweiſe oder
von jchädernden Burjchen begleitet ihrer Wege. Zwiſchen duch wurden Maul:
thiere, Pferde, Ejel, beladen oder ohne Laſt, mit dem Morgentrunfe verjehen.
Fortjchreitend gelangte ich abermals zur Ausficht auf den Nemi-See; nicht
- gewillt nach Nemi jelbjt aufzufteigen, fuchte ich num auf's Gerathewohl einen
Rückweg nad) Rom hatte aber fehlgezielt! Im Gebüfch, das es zu durchdringen
galt, mehr und mehr thalwärt3 gefommen, in allen Richtungen von Höhen
umgeben, hieß es neuerdings aufwärts jteigen, bis endlich ein Klojter vor
mir jtand, in welchem ich als ermüdeter Wanderer vorſprach, und gajt-
freundlich ins NRefectorium geführt, mit Brod, Käfe und Wein bewirthet
wurde. Wollte fi) in das „Vergeltsgott” dafür auch die Frage mengen,
ob da oben fein bejjerer Wein, wie der mir credenzte, wachje, jo merfte
ich doch hinterher, daß es gut war, ſolch inwendiges Raifonniven zu unter:
drüden. Denn in Fortfegung der Tour unterhalb des Berges Fam ich
ja gerade am 3. November zur Weinlefje, und fonnte mich jofort
überzeugen, daß hier in ziemlich ungünftiger Lage auch ziemlich ſaure
Trauben wuchfen. Unter Verzichtleiftung auf längeres Betrachten der ſich
— 68 —
weiter noch darbietenden jchönen Landjchaftsbilder vorwärts eilend gelangte
ich in der fiebenten Abendjtunde nad) Rom zurüd.“. . . .
6. Nov... . Heute wurde ich mit dem berühmten deutjchen Bildhauer
oh. Martin Wagner befannt und gewann mächtige Anregung durch
ihn fir meine in Abficht genommenen Arbeiten.
Den weiteren Aufzeichnungen ift als Wejentlichjtes und zwar vom
17. Decemb. datirt zu entnehmen: „Mit befonderer Vorliebe griff ich aus
meinen Entwürfen den „Oſſian“ heraus und begann das Modell.” —
Bei der Gemiüthsbejchaffenheit unjeres Künjtlers läßt fich errathen, daß
ihn das erjte außerhalb des Baterlandes verbradhte Weihnachtsfeſt
zu bejonderen Betrachtungen und Bergleichungen anregen mußte. Auf
Seite 116 des Tagebuch, datirt vom 27. Decemb., hebt er denn auch an:
„Was waren das für Weihnachten — wie verjchieden von den früher
verlebten! Vereinſamt, ohne Anschluß an einen Familienfreis verbrachte
ih fie. .. . Am hl. Abend modellivte ich bis 2 Uhr, ordnete dann
meine Zelle und ging hierauf zum Lepre, meine Filchmahlzeit einzunehmen.
Der Meinung, daß Außerordentlihes draußen vorbereitet würde, begab
ih much darnach hinüber nach Traftevere um zu ſehen, welche Veran—
jtaltungen auf der Strada papale, dem mit Sand beftreuten Wege,
welchen der Papſt befährt wenn er fich zu Functionen nach anderen
Kirchen begibt. Es war indeß nichts anderes wahrnehmbar als die ganze
Strede entlang von St. Maria Maggiore bis zum VBatican in zwei Reihen
angebrachte hohe Pfähle mit breit fladernden Flambeaus. Bald kam
auch die buntfarbige - Schweizergarde mit ihren Herolden und DOfficteren
an der Spite daher; diejen folgten Abtheilungen berittener Nobelgardiften
und Dragoner, reitende Yadelträger, der Wagen mit dem Ceremoniär,
endlich unter Bedeckung von Nobelgarde der mit jechs Rappen bejpannte -
prächtige Goldwagen mit Sr. Heiligkeit und zwei Vierfpännern mit Car:
dinälen. Der ganze Zug begab fih nah Maria Maggiore. Bon der
dortigen Ceremonie fonnte ich des Menfchenandranges wegen nichts ſehen,
hörte blos den fie begleitenden, allerdings wunderjchönen Gefang des päpitlichen
Sängerhores. . . Um Mitternacht zur Peterskirche eilend mit der Erwartung,
hier zum üblichen Gottesdienfte zurecht zu kommen, fand ich fie zur größten
Berwunderung finfter und verjchloffen. In anderen Kirchen, an denen. ic)
am Heimwege vorbei fan, ging es zwar feierlich zu, doch wie fi) da und
dort zeigte, mit weit weniger Andacht, als mit Pomp und wethelojer Muſik.
Den bl. Tag jelbit verbrachte ic dem Gemüthsbedürfniffe nach zumeift
auf längeren Spaziergängen außer der Stadt... . . Der St. Stephanstag
wird in Rom nicht durch Arbeitslofigkeit gefeiert, wohl aber der folgende
— 369 —
von St. Johannes Ev., an welchem ich ausging, um im Thale der Nymphe
Egeria Beilhen zu juchen und zu finden. . . Wieder in die Stadt
gekommen, gemwahrte ich troß jchon herrjchender Dunkelheit in einer der
Gaſſen ein Gebränge von Leuten, vernahm auch Geſang. Näher gehend
zeigte fi im Umfreije der Menge ein erhöht ftehender, an die Wand eines
Hauſes gelehnter Priefter, zunächft vor ihm ein Kirchendiener mit hochge-
haltenem Kreuze, zwei andere mit Fadeln. Der Gejang verftummte, dafür
erhob ji) uun weitvernehmbar die Stimme des priefterlichen Predigers,
der auffällig contrajtirend mit den gewöhnlichen italienischen Mifjionären,
in ruhiger Haltung und gemüthvoll ſprach, doc) aber feine Zuhörer, die
fih von Moment zu Moment mehrten und Succurs erhielten durch die
‚an den Fenſtern und Thüren erjcheinenden Bewohner der umliegenden
Häufer, faft dreiviertel Stunden lang feſſelte. Abjonderlich Hang ſchließlich
die Einladung zur Nachfolge in die Kirche St. Maria in Traftevere wo
es eine lehrreiche und zugleich erheiternde Belehrung geben. werde. In
ganz regelrechter Procefjion ging e8 denn auch dahin. Neugierig auf den
Verlauf folgte ih. In der nur von wenigen Lampen erhellten Kirche
zeigte jich zubörderft auf der Kanzel ein Mann in bürgerlicher Kleidung,
der bei einer brennenden Kerze aus einem Buche etwas vorlas, nach einem
gegebenen Glodenzeichen jedoch abbrach und herabftieg, Vom Hochaltar
her wurde dann Chorgejang vernehmbar, während dem zwei Prieſter vor:
traten und eine neben der Kanzel errichtete Tribiine bejtiegen. Damit
begann die „Unterhaltung“, und zwar indem der Ältere den Beichtvater,
der jüngere den Beichtenden vorftellte. Lebterer hatte die Nolle des Komikers,
und wußte durch allerlei drollige Fragen und verkehrte Antworten das
rings auf Bänfen und Stühlen figende Publicum zu erluftigen, ja zu
öfterem, lauten Auflachen zu bringen. Es hatte das Ganze wohl die Ten-
denz die Leute zu belehren, wie fie die Beichte nehmen und auch wieder
nicht nehmen ſollen: Mir wollte indeß doch eine folche im „Gotteshauſe“
aufgeführte Comödie als bedenklich, als eine zweifchneidige Waffe erjcheinen,
gleich gefährlich für den einen wie den anderen Theil. Denn im Allgemeinen
figt, wie ich ſchon vielfach bemerken konnte, beim gewöhnlichen Italiener die
Chriftgläubigfeit blos im Temperament, und ift nicht wie bei dem Deut:
ihen Eharafterfarbe. . . ..
3. Januar 1851. „Nach allerlei peinlichen Zwiſchenfällen wurde
ſchließlich durch freundliche Vermittelung des k. k. Legationsrathes von
Schniger die Miethung eines Studio ermöglicht und gejtern von mir
bezogen. Mit erneuter Luft arbeite ih jest am „Oſſian“
weiter." — Unter dem 14. Yan. wurde in's Tagebuch ein Weitläufiges
— 370 —
über das „Sprachenfejt der Propaganda tide”, welhem Melzer an diejem
Tage beimohnte, eingetragen. Unter anderem bemerkt er hierüber: „Bei
allem Intereſſe für das Charakteriftiiche der zu Gehör gebrachten acht—
undvierzig Sprachen übte ihre Verfchiedenheit einen geradezu ver—
wirrenden Eindrud auf mich. Im Befige von drei bis vierthalb Idiomen
fühlte ich mich recht armfelig diefer Vielzüngigkeit gegenüber... Merk:
würdig, daß ſich für mih „Chineſiſch“ womit wir gewöhnlich un—
faßbaren Galimatias abfertigen hier als äußerſt wohllautend bemerkbar
machte. Am Unvortheilhafteften und ärgerlichjten wurde das „Deutſch“
durch einen breitmaulig dialectredenden Schweizer vertreten.” ...
Bom 19. Yan. findet ſich notirt: „Heute Nachmittag (Sonntag)
gab es wieder etwas Neues für mic zu jehen. Nämlich die zu Ehren von
San Antonio Abbate alljährlich vor der auf feinen Namen geweihten Kirche
bei Maria Maggiore vorgenommene Thierjegnung. Als ich um 2 Uhr
dahin fam, waren jchon viele Leute und Kutjchen auf dem Plage vor der
benannten Kirche verfammelt. Aus allen Richtungen kamen nod) Reiter zu
Pferd und Ejel, legtere mit Blumen und Bändern an Kopf und Schwanz
gejchmückt, herzu. Doch nicht nur die Thiere der Neitenden, jondern auch
jene vor Kutſchen und Karren herbeigefommenen waren gleicherweije an-
gethban. Ich konnte wahrnehmen, daß mit der Function noch hingehalten
werde, begab mich deshalb in's Innere der Kirche. Aufgepugt wie das an
Kirchenfeften üblich, den Fußboden mit Lorbeer- und Buchsbaumblättern be-
ftreut fand ich fie; unter den vielen meift der Legende des Kirchenpatrones
entnommenen Wandgemälden gibt e8 mehrere ganz beachtenswerthe. Die Statue
von St. Antonio befindet fich in der erften Kapelle rechts in einem verglaften
Gehäuſe, und fchien, wie die anderweitigen Statuen, von bedeutendem
Alter. Augenblicklich intereflirten mich freilich zumeift die „lebenden Bilder“
der Kirche, wie 3. DB. der in Mitte derfelben vor einem Tiſche ſitzende
Pater, umgeben von Leuten verjchiedenfter Claffen, die ſämmtlich ihren
draußen harrenden Thieren die Segnung zu erwerben fuchten. Es gejchah
dies durch Bezahlung einer wahrscheinlich beitimmten Taxe, die, wie ich
wahrnehmen Fonnte, für einen Ejel 20 Bajocco betrug, für Pferde, wie
mir vorfam, um 5 höher war. Auf gejonderten Zetteln erhielten fie die
Bahlungsbeitätigung. War der erjte Anlauf vorüber, dann begab jich
der Bater angethan mit dem Pluvial vor das obere Kirchenthor, um über
die während dem herangerücten Kutichen, Karren, Reiter und ledig vor:
geführten Thiere eine lateinische Segensformel herzufagen und ſchließlich
mit einem gefüllten Sprengwedel zu überriefeln. Damit war's abgethan.
Die erfte Serie zog von dannen, eine zweite, wohl auch dritte, vierte ac.
— 371 —
erhielt nad) gleicher Schablone die feſtliche Segnung. Wie nirgend bei
derartigen Ertravaganzen fehlten auch Hier nicht die — Engländer.
Schon in der erjten Serie durch zwei bejtberittene Exemplare vertreten
mögen fie wohl auch für die folgenden ihren Antheil gejtellt haben. Das
ſchon gewöhnliche Eontraftiren ihrer Haltung den Kindern anderer Völker
gegenüber machte fich hier anblids des bigotten Gethues der italienijchen
Biehbefiger um fo auffälliger. Steif und blafirt dreinjchauend ſaßen fie
da, bei der Segnung leicht nur ihre Kopfbedeckung lüftend, während die
Italiener barhaupt zuſammenknickten“ ...
Einblic auf das Innenleben Melzers im kürzlich gemietheten „Studio“,
vermittelt die Aufzeichnung vom 2. Febr. „Das Fleisch kocht, ift aber noch
nicht weich. Habe indeß die Suppe abgegofjen und frisches Waſſer dafür
zugethan. Sch koche mir jest ſelbſt, aber nicht immer Fleisch, das iſt
heute das erjtemal,. Bisher bejtand meine Kiiche für den Mittag aus
Kartoffeln, die ich gejtern und vorgeftern mit Stodfijch verbrämte. Erleide
dadurch weniger Zeitverluft, als wenn. ich in's Gafthaus ginge, und komme
zugleich um ein Drittheil billiger weg, was um jo nothwendiger, als ich
zur äußerten Einfchränfung gezwungen bin. Mein Studio adaptirte ich
deshalb auch zum Wohn: und Schlafgemahe. Zur Bedienung übernahm
ih vom Bildhauer Engel, welcher mit einer vollendeten großen Arbeit
nad) London abreifte, einen originellen alten Burjchen, der in jeinem Weſen
wohl etwas dufelig ift, übrigens aber wie ein gut gedrilltes Saumthier
feines Weges geht und feinen Anftoß nimmt an meiner primitiven Ein:
richtung, bejtehend aus einem alten Rohrcanapee, das zugleich als Bettjtatt
dient, und einem Holzkoffer, den ich als Sit beim wadlichen Schreib- und
Zeichentifche benüge. Alfo gedrillt von Engel leiftete er mir jegt auch
gute Dienfte beim Formen und Ausgießen meines Offian, auf dejjen
Weiterausführung nun mein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet iſt“ ...
Die angejchloffene Notirung bejagt: „Vor acht Tagen war ich wieder
beim Hrn. Legationsrathe, wo e8 zur Abrechnung kam über die bereits
von ihm genommenen Vorſchüſſe auf meine Penſion. Da fand jich denn
zu meiner größten Beftürzung, daß von dem fälligen balbjährigen Betrage
anftatt 20 Scudi, wie ich meinte, blos noch jo viele Bajocchi übrig
blieben. In Erfenntniß der armfeligen Lage wahrhaft niedergebeugt kam
mir Herr dv. Schniger, der meinen Zuftand wohl begriffen hatte, freund:
lichft entgegen, denn im wohlmwollenften Tone bot er mir einen Vorſchuß
aus eigenen Mitteln an, den ich dankbarft annahm: Fam ich damit
doch momentan wieder über das Unzulängliche der Klarjtiftung
hinaus. Der edle Stifter konnte freilich die vajch folgende Veränderung
— 372 —
der Verhältniſſe nicht vorausfehen, vechnete wahrjcheinlich auch darauf, daß
den Stiftlingen Aufträge zukommen würden, Wenn diejes aber, wie
zeither bei mir, nicht erfolgte, dann liegt es Har zu Tage, daß die zu-
gemeſſenen 300 Fl. nur zu einer Fläglichen Eriftenz wie ich jie that-
fächlich frifte führen müffen. Im Sinne des Stifters hätte es feither
fhon zu eimer Erhöhung der Genußjumme fir die Stiftlinge kommen
jollen.” ®)
... Meinem gepreßten Herzen Luft zu machen, ging ich jelben Tages
noch mit dem mir Freund gewordenen Bildhauer Knüpel vor die Porta
Fabrico den Monte VBaticana hinauf, wo wir mit P. Theiner zuſammen—
trafen, der uns in fein am Monte Mario gelegenes Ordenshaus zu Filippo
Neri führte. Nach allen Seiten, anf die Stadt, die Campagna mit den
fernen Gebirgen, wie auf das Meer bietet fich hier eine herrliche Ausficht.
Theiner lebt troß feiner Stellung als päpftlicher Archivar den größeren
Theil des Jahres in feiner Ordenszelle, wo er ungeftörter wie in der
Stadt, wo ihn fortwährend Bejucher beläjtigen, arbeiten fan. Auf meine
Trage, ob es ihn nicht doc manchmal noch in die Heimat — Schleſien —
ziehe, antwortete ev mit entjchiedenem „Nein"! nachjegend: „Die heimat-
lihen Anwandlungen ftreiften die 1848er Vorgänge vollftändig ab”...
— Höchſt frendiger Stimmung eingetragen erjcheint des Weiteren
die Notiz vom 11. Febr. Tautend: „Mein Geld, nämlich die von zu:
hauſe verlangten 300 fl., jtellt miv der Bruder für Fünftigen Monat
in fichere Ausficht. Das gibt endlich Beruhigung, gibt Muth zur Voll-
führung meiner Pläne!"...
— m Tagebuche, dem Plauderftübchen Melzers, wo das Treu:
dige bejchwingenden Nachhall, das Leidige beruhigenden Ausklang findet,
gibt er fich auch immer wieder als der finnreiche Erzähler des äußerlich
Erſchauten.
Dem Kalendergange folgend kömmt er ſo unter Anderem zur An—
ſchauung des römiſchen Carnevals, dem M. in ſeiner Art auch ganz neue
Seiten abzugewinnen weiß. Unter dem 22. Feb. findet ſich denn notirt:
„Heute begann der Carnevale. Längſt ſchon in Erwartung auf diefen Tag,
doc weniger nach den Volksbeluftigungen, als vielmehr wegen der Klänge
jener Glode, die regelmäßig blos für zwei Ereignifje ertönen: zur Er-
öffnung des Carnevale und zum Lebensabſchluſſe eines
Papſtes, ging ich vor zwölf aufs Capitol, um bier den vollen Eindrud
1) Erjt 1863 erfolgte die Erhöhung auf 500 fl. 1876, auf 800 fl. WVergl. „die
Prof. Dr. Aois „Klar'ſche Künftlerftiftung“ von Rud. Müller Prag 1883.)
— 3753 —
der mir „wunderſam“ gejchilderten Capitolsglode zu erhalten. Und wahrlic),
es ijt etwas wunderſam ergreifendes, trauervolles in ihren Klängen. Punkt
19 Uhr nach italienischer — 1 Uhr unferer Zeitrechnung — begann das
Geläute und mwährte eine halbe Stunde. Doc nicht blos „eine“, wie gejagt
wird, jondern beide, die untere, wie die obere wurden in Bewegung gejeßt,
das heißt, wurden die Zungen oder Klöppel mittels daran befejtigter Stride
an dem Glodenmund geworfen, jo daß die Schläge unregelmäßig fielen,
das Geläute tadtlos blieb, was den Eindruck noch erjchütternder machte,
Lange nachdem jchon die Klöppel ruhten, ſummten die Gloden unheimlich
nah. Ein alter Italiener wußte mir bei diefer Gelegenheit viel von dem
Schreden der Römer zu erzählen, als in der Nacht nad) der Schladt
bei Novara (23. März 1849) duch einige Heißjporne die Capitols-
glode in Bewegung gejeßt wurde angeblich zwar zur Verfündigung eines
großen Sieges der Italiener iiber die Defterreicher, der Schreden fei
aber richtig gewejen, wie nächjten Tags jchon die Nachrichten von der
Niederlage der Italiener bewiefen habe.
AS ich eine Stunde jpäter wieder auf mein Quartier zulenfte, war
der Corſo bereits belebt, bejonders von Fremden. Fenſter und Balkone
wurden gedfinet, bunte Teppiche herausgehangen, je nad) Qualification
der Quartierinſaſſen: aus Wolle, Seide, Damaſt mit Goldbrocat umjäumt 2c.
Auch an dem venetianischen (Öfterreichifchen Gefandtichafts-) Balafte wurden
einige Fenſter auf diefe Weiſe geſchmückt, es waren das jene, welche am
Ende des Eorjo der Piazza del Popolo gegenüber liegen. Auf legterem
Plate jtellte ji das mit Elingendem Spiel heranmarjchirte franzöſiſche
Militär auf. Gleiches gefchah auf allen am Corſo liegenden Plägen; zu
diefen Infanterietruppen rüdten noch römische Dragoner an und bejegten
die Gafjenzugänge. Uebrigens war noch allerlei im Fertigmachen, jo die
Tribünen auf der Piazza, wie auch die Barrieren, welche das Trottoir
von dem tieferliegenden Pflafter trennen follten. Die erjten Carnevals-
ftunden fcheinen überhaupt mehr zur Vorbereitung beftimmt, jelbft für das
Volk, das nur wie zu Orientirungen umberging, ohne noch die Ausgelafjenheit
aufzufnöpfen. Inzwiſchen weiter gegangen vernahm ich von Weitem Gewehr:
jalven, Pöller- und Kanonenſchüſſe, die Signale für den Beginn der
Pferdewettrennen, überhaupt für den Losbruch der Carnevalstollheiten.
Als ih um 6 Uhr auf die Piazza zurückkehrte, war für heute ſchon alles
vorüber, das Militär zog ab, nur die zahlreich noch umherliegenden Confetti
bezeugten, was mittlerweile vorging. .
Spätere Notirung: „Während der "eilftägigen Dauer des Carnevals
war ich dreimal Beobachter der Vorgänge. Die des erften Tages bejchrieb
= U
ich bereits; das nächſte Mal, am Donnerftige (Giovedi grafjo), auf das
gegebene Signal durch die Capitolsglode dem Corſo zufjchreitend, wo bereits
das Militär wieder feine Stellungen innehatte, entwidelte jich unter großem
Zudrange bald auch die ungebundenjte Heiterkeit, ja Ausgelafjenheit. Die
geſchmückten Balkone und Fenfter füllten ſich mit Zufchauern, ebenfo die
ebenerdig aufgeftellten Zribinen, Bänfe und Stühle Im Nu begann
das Blumen- und Confettiwerfen von geradezu niederjchmetternder Wir-
fung, weil begleitet von den verfänglichen Gypskügelchen, welche die Ge—
wandung mit Weiß überziehen, die Augen mit unleidlihen Staub erfüllen
und außerdem begleitet von finnbeftäubendem Gejohle its einmal zu
diefem Zollheitsausbruche gekommen, bei welchem fich die jtarf unter:
mischten Engländer befonders vorthun, dann wirds äußerjt unbehaglid).
Denn indejien die Italiener, namentlich die Frauen und Mädchen, noch
nit Sträußchen, Teig- oder Zuder-Confettis umherwerfen, haben fich dieſe
Albionsſöhne mit Blechditten, Schüſſeln und Schaufeln verjehen, die fie aus
einem ungehangenen Sade mit Gipsfugeln immer von neuem füllen, und
Shonungslos, am liebjten in Richtung auf das Geficht ausjchleudern. Am
Schlimmjten famen dabei die im Gedränge auf beftimmten Linien in Wagen
Auf und Abfahrenden weg. Wenn aud) jelbjt mit einem Vorrathe diverfer
Confetti's verjehen, hatten fie doch den Anprall jener auf der ganzen Linie
auszuhalten, Mitten drinn in der Tollheitswette war ich zugerichtet wie
ein Milllergejell, Hatte noch obendrein den Verdruß, daß mir das von
einer allerliebften Italienerin zugeworfene Sträußchen von fo einem englijchen
Gypskügler rohejter Weife entrijfen wurde. Die font üblichen Geſichts—
masken waren diesmal wieder „aus politischen Rücfichten" verboten. Wer
jich dennoch „unfenntlich” machen wollte, fand den Ausweg dafür in irgend
einer Coftumirung, die ihm bejtmöglichjt über das Verbot hinmweghalf.
Den römischen Faſchingsrummel bis auf die „Hefe“, nicht ſowohl
genießen, jondern fennen zu lernen, begab ich mich am legten Tage, am
Faſchingsdienſtage, auf den Corjo, um abfonderlich jenen Theil näher ins
Auge zu faſſen, welchen das jchon erwähnte Schießen anfündigte nämlich
das Pferderennen Diejes begann gegen halb ſechs unterhalb des
Obelisken und erſtreckte jich entlang des Corſo bis zum venetianijchen
Palajte. Die meift noc jungen Renner, aus dem Hofraume linfs der
Porta del Popolo vorgeführt, waren mit unterfchiedlichen Zeichen in roth,
weiß, gelb zc. bemalt, ihre Hintertheile überdies mit allerlei ſonderbaren
Inſtrumenten behangen, die bei der Bewegung Lärm jchlugen, oder die
Hautfläche ſtachen und zwidten, alfo das Thier aufregten und zu wilder
Flucht autrieben. So raften dann auf der faum 12 Fuß breiten, von
— 35 —
Zuſchauern dicht bejegten Bahn, acht Pferde dahin. Unter Aufjauchzen
hatte das. erfte fein Ziel erreicht und wurde nun mit Pomp durch die
Stadt geführt. Voran ſah ich eine ſchöne und Foftbare Fahne tragen
die zum Gewinnfte von 70 Scudi gehörte ihr folgte ein bunt coſtü—
mirter Bereiter, ein Trommeljchläger, diefem nad) das preisgefrönte Rößlein,
von einem buntjchedig befleidveten Stallburfchen geführt. Unendliches Bravo ı
Braviffimo! begleitete den Siegeszug... . . Als eigentliher Schluß des
Carnevals gilt das Lichteln — Maccoli — einer überaus beluftigenden
Hebe, bei welcher e8 dem einen Theile darauf ankömmt, die fait wie durch
Bauber ins Millionenfache auftauchenden Lichtchen auszublajen, dem anderen,
fie aufs Neue anzuzünden. — Diesmal wurde wegen des Masfirungs-
verbots abjonderlich demonftrirt, denn nur verjchwindend wenige Maccoli's
zeigten jich auf dem Eorjo, deſto mehr dafür in den Fenſtern, wie auf den
Balkons. Es war das ein Effect, als ob unzählbare Johannis- oder Leucht—
käfer umherhuſchten. In Vorausſicht diefer Demonjtrationsweife hatten jich
die Löſcher mit entiprechenden Apparaten verjehen, u. z. mit langen Wedeln,
an Stangen befejtigten Tüchern u. dgl. m. Damit attaquirten fie nun
unter betäubendem Gejohl die Maccoli bis Punkt Sieben. Mit dem Schlage
diefer Stunde verichwanden allum die Lichtchen, verjtummte das Kreifchen
und Kichern, fuhren die zahlreichen Equipagen ihrer Wege, und blieben
nur hörbar noch die Einzelrufe: Bona notte! Bona quaresimal“. . ..
Nachtrag. Mit diefem Bona quaresima — gute Fastenzeit wünfchen —
hat es feine guten Gründe. Schon am nädjten Tage Fam ich dahinter.
Denn als ich wie gewöhnlich im Kaffeehaufe „Cafe a latte* (mit Milch)
begehrte, erfuchte mich der Wirth mit leifer Stimme ins andere Zimmer zu
gehen, da es ihm verboten fei, während der Faſte in diefem vorderen Kaffee
mit Milch zu verabreichen. (!) Thatſächlich mußten ſich die „Schwarzen“
und die „Weißen" durch eine Scheidewand auseinander halten laffen. Die
erjteren find diesfalls die gut Römifchfatholifchen, die anderen die „Reber“.
Die Confequenz davon, wenn der Wirth nicht zwei Zimmer hat, ift ein
Borhang, mittels deſſen er das eine in zwei Hälften theilen
muß. Fir uns Defterreicher, die wir doch nicht ohneweiters unter die
Keger geworfen werden wollen, hat dieje Fajtenformel etwas geradezu
16. März. Heute fam im DBegegnen Prof. Wagner auf mich zu
mit der Einladung zur Befichtigung der Preisarbeiten an der Akademie
San Luca. Ich folgte ihm Am Concurje für den Bildhauerpreig
hatten ſich blos zwei Künjtler betheiligt, beide aber preiswürdig. Dar-
zuftellen galt e8 eine Gruppe aus dem bethlehemitischen Kindermorde. Wohl
— 376 —
im Einzelnen gut modellirt, entging doch dem einen wie dem anderen
das Zufammenfafjen der Figuren zur lebenswahren Action. ....
Die Preisaufgabe für Maler beftand in Darftellung der Berfpottung
Hiob’s. Zwölf Gemälde concurrirten. Faft alle, mit Ausnahme des einen
von Obry, einem Deutjchen, ließen auf die fehlgegriffene, ja mitunter
efelerregende Hauptfigur Hinweifen. Ein anderer Deutjcher, Namens
Tirſch, brachte zwar ein recht effectvoll gemaltes Bild bei, fteht jedoch in
der Auffaffung des Gegenjtandes zurüd hinter jenem von Obry dem
21. März „Mein Urtheil war auch das der Preisrichter: Obry
hat den Preis erhalten.“
„Auf den Anruf nah Haufe erfolgte endlich wieder ein Brief vom
Bruder Ferdinand mit eimer Note von 50 fl., die jich aber beim Um-
wechjeln in römiſches Geld durch die Eursdifferenz um 5 Scudi vermindert
Eine bisher „unberührt gelajjene Stimmungsfaite macht jich ver-
nehmbar mittels einer jpäteren Notiz, lautend: „Ich gehe jebt gern an
Sonn-⸗ und Feiertagen in die gewilfermaßen „Defterreihifche Kirche" San
Maria dell’ Anima und höre, was ich noch felten gethan, die Predigt.
Es ift das weder eine Gefinnungsänderung, weder Speculation noch
Scheinheiligfeit die mir ſtets verhaßt war und verhaßt bleibt, jon-
dern einfach Folge des Bewußtſeins: ich fei Katholik. In der Fatholiichen
Religion erzogen, durch fie geeint mit der größten Gemeinde der Welt,
bleibt e8 denn auch Pflicht, ſich als Gemeindeangehöriger zu beuehmen.
Nicht blind fiir die in fie eingefchlichenen Mißbräuche, vermag ich anderfeits
ebenjowenig das Schöne, Erhabene, das Culturleben Fördernde zu über—
ſehen. Diejer jeßige Kirchenbeſuch muthet mich, den DVereinjamten, an,
wie der Verkehr mit guter Gefellichaft, in welcher der ganz vorzügliche
Prediger der Wortführer ift, dem alle gern zuhören, und jeder fich vom
Gehörten etwas mit nad) Haufe nimmt. Zugegeben, daß das von ihm
vorgetragene mit dev heutigen Lebensprax vielfach im Widerfpruche jtehe,
jpinnt ji) damit doch unleugbar der rothe Faden fittlicher Gefinnung,
wie moralijcher Kraft weiter, und bringt zu erfrischtem Anlaufe nad) dem
Idealen, deſſen fein Menfch, am wenigjten der Künftler entrathen darf,
will er anders nicht der Trivialität verfallen.“. . .
Unter freubvoller Einleitung findet ſich dann im Tagebuche notirt:
„sch begann eine Heine Statue in Thon, den böhmischen Dichter Lom-
nicky von Budecz vorftellend, und will fie in Gyps abformen, fpäter in
— 37 —
Marmor für Prag ausführen. MS Gegenftüd dazu entwarf ic) das
Standbild der böhmischen Dichterin Eva Lobkowitz. Eutworfen ift auch
eine Variante der Shafefpeare-Figur, figend, und ich glaubte damit einen
glüclicheren Griff gethan zu haben, wie mit der zertrümmerten ftehenden.
Beitimmte fie deshalb auch zur Ausführung in Marmor“... . Diejem
neuen Aufjchwunge entjpricht der Anſchluß: „Der Frühling mit feinem
ganzen Zauber ift in Rom eingezogen: die Laubbäume grünen, die Blumen
erichließen fich, und allum entſtrömt den Gärten köſtlicher Duft.“. . .
Auffällig contraftirend lautet dafiir wieder die Epiftel vom 20. April:
„Dfterfonntag! der erjte in Rom... . Ich habe foeben geweint wie ein
Kind. Warum Fan ich jelbft nicht jagen. Offenbar hängt diefer gereizte
Zuftand mit der Krankheit zufammen, die mich jeit einer Woche wieder
verfolgt, und, wie der Arzt jagt, 's Quartier wechjelt zwijchen Magen und
Leber.“. . .. Die ärztlichen Heilmittel vermögen freilch den Zuftand nicht
ohnemeiters zu beheben. Was mir gründlich helfen Könnte, ift leider in Feiner
Apothefe zu haben. Der Arzt meint es wohl gut, wenn er jagt: „Sie
dürfen fich nicht in ihrem Studio vergraben, dürfen ſich nicht trübe Gedanken
beifommen lajjen, müſſen heitere Gefellfchaft und Zerjtreuung ſuchen.“ Räth
mir außerdem einige Zeit in Neapel zu verbringen, mindejteng einige Tage
am Lande dem Nichtsthun obliegen zu ſollen ....
3. Mai. „Mittwoch Abends kehrte ich von der Sonntag unter:
nommenen Genejungsreife — von Frascati her — zurüd, und fühle mid)
jo ziemlich wieder hergeitellt. Den beabfichtigten längeren Aufenthalt ver-
feidete mir nebjt dem vegnerischen Wetter die koſtſpielige, dabei. jchlechte
Zehrung . . . . Wenige Tage darnach unternahm ich mit Freund Knüpel
einen Ausflug zum Ausgrabungsfelde an der Via Appia. . . Da wir
jelben Weges nicht wieder zurückkehren wollten, gingen wir quer über die
Campagna in der Richtung auf St. Paul, einer Strede, die weit größer
war, al3 es den Anfchein hatte. Bald gings über Fahle Hügel, bald wieder
durch hohes, zur Bruft heranreichendes Wiejengras. Endlich) vor einer
weiteren Anhöhe, von der wir uns St. Paul nahe glaubten, war die
Enttäufchung eine ganz fatale; denn oben angelangt hatten wir ein weithin
zerflüftetes Terrain mit zu Theil tief eingefunfenen Stellen und gähnenden
Schlünden vor ung. Ah, das ift über den Katafomben! war der ge:
meinfame Ausruf, und jo war es auch. Begreiflicher Weife vom Schauer
ergriffen auf einer Scholle zu wandeln, die bei jedweder Erjchütterung in
neuerliches Sinfen gerathen könne, fuchten wir behutfam einen Rückweg,
famen dabei auch richtig zu dem an der linken Seite des Hügels gelegenen,
bequemen Eingang in die Katakomben. Diejer bejtand aus einem großen
Viuttheilungen. 2%. Yahrgang. 4. Heft. 25
Felſenthore, das, wie ich glaube, erjt jpäterer ‚Zeit die jegige Geftaltung
erhielt. E3 war offen, ich war auch gewillt auf eine Strede weit hineinzugehen,
nur jchredte mich für diesmal die herausmwehende eiſige Kühle mit Rückſicht
auf meine Gejundheit davon ab. . . Vor uns lag, blos durch eine Wieſe
getrennt, die Abtei alle tre Fontane; dahin richteten wir unſere Schritte.
Durch ein Thor, unter dejjen Kreuzbogen noch anjehnliche Reſte altchriſt—
licher Malereien vorhanden find, traten wir in den geräumigen Hof. Die
erste der drei hier vorfindlichen Kirchen, in die wir eintraten, war ©. Maria
Scala Eoeli benannt nad) der Sage, daß St. Bernhard an der Stelle
eine Dimmelsleiter erblicte, auf welcher Engel, mit erlöften „armen Seelen",
aufitiegen. Die Kirche, außer einem einzigen Altare in der linfen Seiten:
halle Teer und. weißgetüncht, hat blos ein jehenswerthes Moſaik über
jenem-Altare, nach der Zeichnung von Giovanni de Vecchi, gemalt von
Franc. Zucco. Die zweite Kirche im Hintergrunde. ©. Paolo alle tre
Fontane, iſt auf der Stelle erbaut, wo St. Baulus enthauptet wurde, die
drei Altäre aber bezeichnen die drei nach jeiner Enthauptung wunderbar
entjprungenen Quellen. — Der dritte größte und ältefte Votivbau iſt
im Aeußern wie im Innern der bejterhaltene, und datirt aus der Zeit
Papſt Honorius I. (f 1638), indeß die beiden anderen Kirchen die ftil-
widrigjten „Nenovationen“ erfuhren. Das feit 1146 mit ihnen verbundene
Eifterzienferklofter ift der höchſt ungeſunden Lage wegen verlafjen, und
üben blos noch in den Herbſt- und Wintermonaten zwei Franziskaner:
mönche geijtliche Function für die Landleute der Umgegend.. . . ."
12, Mai. „So eben fomme id) wieder von der Poſt aber fein
Brief, fein Geld harrte meiner, dafür fortgejegte Entbehrung! Vor Scham
außer Stande, das Bild meines Inneren vor Jemand zu enthüllen, muß
ih nun dulden und tragen komme was da wolle... . . Seit acht
Tagen bejteht in Folge der Cajja-Ehbe meine Nahrung aus jchwarzem
Kaffee und Brod. . . . Habe endlich die Uhr verjegen müfjen. .
Woher bei folhem Zuſtande Arbeitsluft, Arbeitskraft nehmen?!. . . .
Schon ein Jahr in Rom! Wie viel in diefem gelitten, wie wenig
vollbracht! . . . . Dennoch rufe ich mir zu: Nur Muth gefaßt, in der
ne bebarzen. s
. Mai. „Noch immer feine Aenderung. Tag um Tag ſetze ich
neues es auf die Pojt, jehe mich aber auch Tag für Tag in
meiner Hoffnung getäuſcht!“ . . .
23. Mai. Geftern bat id) Sen. Legationsrath v. Schniger um die
Gefälligfeit, mir den rücjtändigen Stiftungsbetrag für das erjte halbe Jahr
auszahlen zu wollen. Wohl erwiderte er, die bezügliche Anweifung dafür
— 39 —
jet ihm noch nicht zugefonmen, lieh mir aber doch aus Eigenem 20 Scudi.
Nach Tilgung der inzwiſchen aufgelaufenen Schulden glaube ih nun
wieder auf drei Wochen gefichert zu fein. . . .*
„König Ludwig von Baiern verließ nach einem - jchon ge:
wöhnlicd längerem Aufenthalte am 20. Rom. Wie üblich, wenn er bier
meilt, wurden auch diesmal die älteren Künftler, abwechjelnd je zwei, täglich
zu Tiſche geladen. Am Vorabende vor feiner Abreife wurde ihm zu
Ehren durch deutjchfreumndlihe Römer das Coloſſeum bengalijch beleuchtet.
Des anderen Morgens früh 4 Uhr famı er die Bafjegiato iiber den Monte
Pincio von feiner Billa herab, blos vom Bildhauer Profefjor Wagner,
jeinem Intimus, und dem Tiroler Maler Schöpf nebft geringem Gefolge
begleitet, zu den für feine Abfahrt bereitftehenden Wägen. Nach ſchlicht
herzlichen Worten an uns alle zur Verabſchiedung herbeigefonmen, Alle
zu baldigem Beſuche Münchens einladend fuhr diefer mit Grund jo
benannte „deutjche Perikles“ nach feiner Heimat. . . ."
„Am ſelben Nachmittage erhielt ich die längſt erwartete Nachricht von
Haufe. Tragikomiſch genug vermochte ich den Brief nicht jogleich in
Empfang zu nehmen, denn es belaftete ihn ein Porto von 47 Bajocchi —
die ich nicht befaß! — mußte aljo vorerjt noch von Freund Knüpel einen
Scudo pumpen, zur Sfnempfangnahme. Kläglicherweije vertröftete das
Schreiben auf eine „nächjtfolgende Geldjendung” und ftellte mich vor
die Frage: wie bis dahin das Auskommen finden?! — Glüclicherweife
hatte id) noch einige gangbare Münzen. aus einer beabfichtigten Sammlung
herausgefunden. Dieje mußten nun, wie leid es mir auch that, Flöten
gehen. . - . Am Erjprießlichjten wirkte dabei ein mit dem Bildniſſe
Napoleons, als König von Italien verjehenes 10 Centimeſtück. . - .
Darüber war ein neuer Tag vergangen, und auch die Hälfte des folgenden, .
bevor ich wieder Luxus treiben, mir ein Brod Faufen fonnte, zu welchem
fih beim verjchämten Ausgange zur Aqua accettofa ungenirt Wajjer
trinfen ließ. Diefer troftlojen Situation etwas Ideales anzuthun, jegte
ich mich auf die zur Stelle von König Ludwig 1821 angeordneten, mit
Ichattengebenden Bäumen umgebenen Steinbanf . . . Da faß ich num in
mich gekehrt, zu meinen Füßen zogen die gelben Wellen der Tiber mur-
melnd dahin; von Rom her wurde abwecjelnd Uhrenjchlag und Glocken—
geläute vernehmbar; vor mir lag der feljige Soracte, der Norden —
meine Heimat, in welcher ich noch nicht Kümmerniſſe kannte, wie te
hier in der Stadt meiner Ideale über mich famen.. . . Innerlich
erregt flatterte die Phantaſie wohl dem eingefangenen Vogel gleich wie
von Sprofje zu Sproffe, von Plan zu Plan, doch ohne Halt — am
25*
— 30° —
längjten nur bei dem: mich einem Bildhauer zu verdingen, falls
nicht bald eine Wendung zum Beljern anf anderem Wege erfolge. . . .“
Erneuten Auffhmwung fpiegelt dagegen wieder die Notiz vom
24. Juni. „Gott Dank, gejtern Fam endlich die lang erjehnte Beihilfe
von meinen Geſchwiſtern. Nun hat alle Noth, haben alle Sorgen ein
Ende. . . ." Dieſe Prüfungszeit hat mich fefter, männlicher gemacht;
ich lernte mich felbft befämpfen und an mir halten, nicht weichlich jedem
Begegnenden vorjammern und bejchämendes Mitleid in Anfpruch nehmen ...
Nun will ich auch fleißig, doppelt fleißig fein, um mir einen ehrenvollen
Platz in der Runftwelt erobern, meinem geliebten Meifter Marx, im Hoch—
gefühle fein bejter Schüler zu fein, vor Augen treten zu können. . . ."
(Schluß folgt.)
mn
Das Jahr im Volksliede und Volksbrande in
Deutfchhöhmen.
Bon Anton Auguft Naaff.
III. Oſtern.
A. Die voröfterlihe (Faften-) Zeit.
Wie bei der Weihnachtszeit, dem altdeutfchen „Jul“ und
jpäteren „Chriſt“-Feſte, jo haben wir auch bei der Dfterfeier die
urfprünglichen altheidnifchen neben den fpäteren chriftlichen Vorftellungen,
Einrichtungen und Gebräuchen zu unterjcheiden. Weihnachten und
Oſtern waren von altersher die zwei Hauptzeiten des ganzen
Bolfsjahres, was ihr Urjprung, der Zeitpunkt ihrer Feier, die ver-
Ichiedenen damit verfnüpften Sinnbilder und Gebräuche u. ſ. w. Har erweijen.
Wie das altdeutfche Jul-, (jpätere Chriſt-) Feſt, das eigentlich die
Winterfonnenwende feierte und von jeher den Falendarifchen äußeren
wie inneren (geijtigen) Mittelpunft des ganzen Winterhalbjahres
bildete, der Kern geworden ift, um welden ſich alle anderen Bor- und
Nachweihnachts:-Feittage, Gebräuche u. ſ. w. gruppiren, fo beherricht und
verdunfelt auch die Dfterfeier als das eigentlihe Sommer-Hauptfeit
alle anderen ſommerlichen Feittage und iſt und bleibt heute in der vor:
hriftlihen Form ebenſo wie einft in altheionifcher das Leitende
1) Bergl. Jahrgang XXI. Seite 182.
— 3531 —
Frühlings und Sommerfeft in dem der Natur angeglieverten
Bolfsjahre, dem alle anderen Feſte und Feftbräuche des Sommerhalbjahres
in ähnlihem Sinne wie oben nur als Einbegleitung, Vorbereitung oder
als Ausläufer und Nachfeier dienen. ')
gm chriftlichen Volksjahr der germanifchen Welt leitet nun, ähnlic)
wie Weihnachten durch den „Advent“ vorbereitet wird, die „Faſte“ zur
Diterfejtzeit hin, und wir haben uns aljo zuerft mit diefer VBorberei-
tungszeit zu bejchäftigen.
Ich habe im Testen Abjchnitt bei der Betrachtung der Fajchingszeit
dargelegt, wie es komme, daß diefelbe feit altersher und jo allgemein im
deutjchen Volks-, bejonders im Bauernjahre als die „Iuftige Zeit“ mit
Sang und Klang, mit Tanz und Mummenjchanz und in Saus und Braus
gefeiert werde. Daß ſich durch die einjt vielfach jehr ausgiebigen und
andauernden TFaftnachtsluftbarkeiten und Fafchingsgelage naturgemäß im
gewohnten Verlauf aller Dinge einestheils die Genußfraft des Volkes jelbft
zeitweije bis zu einem gewiſſen Grade erjchöpfte, anderentheilg auch der
Borrath an Geld und Gut fich minderte und jomit auch ſchon durch
wirthſchaftliche Rückſichten dem allzulangen Fajchingstreiben ein
Damm und Ziel gejegt werden mußte, ift leicht abzujehen und ferner
ebenjo naheliegend, weil noch heute durch das lebendige Beiſpiel ähnlicher
Art im Bollshaushalte bekräftigt, daß nach dem Faſching, nach der tollen,
lujtigen Zeit, für Leib und Seele ebenfo wie für Sädel und Vorraths-
fammer wiederum eine Zeit ver Sammlung, der Zurüdhaltung,
des Sparens, der Genügjamkeit und Selbſtbeſchränkung eintreten müſſe.
Dies Gebot der Selbjtbeichränfung und einer gewiſſen Enthaltjamfeit in
den Wochen gegen Ausgang des Winters nad) der vollgenofjenen Luſt—
barkeit und den Freuden des Fajchings machte ſich im Volfshaushalte und
Volksbrauche von ſelbſt um jo dringender und ganz natürlich geltend,
wenn das zunächit bevorftehende zweite Hauptfejt des Jahres, das nun bald
fommende Oſterfeſt ins Auge gefaßt wurde, das abermals jeine bejonderen
1) Diefe Unterfcheidung von blos zwei Hauptfeften für Sommer und Winte
ift durchaus volfsgemäß und der allgemeinen Vollsanficht noch heute ent—
Iprechend, die das Jahr nicht Falendarifh im Viertel und nach vier Jahres—
zeiten (Frühling, Sommer, Herbft und Winter) fondern einfach, und bei den
oft jo großen Berfchiebungen natürlicher Wandelbarfeit der fogenannten vier
Jahreszeiten, die den Frühling und Herbft nur zu oft zum Winter oder auch
Vor-, bezw, Nachſommer maht — audy am richtigften — blos in Sommer
und Winter theilt. Diefe Grundanſchauung kommt auch im Volfsbraude
und Volksliede finnig zum Ausdrud, wie jpäterhin dargelegt werden wird.
— 3532 —
Anſprüche ſtellte und ebenfalls aus dem vollen gefeiert und genoſſen ſein
wollte, d. h. mit genußfriſchem Herzen und neugefüllten Kammern und
Kaſten. Ueberdies mahnte die um Oſtern gewöhnlich auch wieder begin-
nende neue Feldarbeit, der Neubau der Sommerfrüchte und die damit
ftetS verbundenen größeren wirtbhichaftlichen Vorausgaben den Hanswirth
‚ auf dem flachen Lande ebenfalls daran, bereits vorzeitig mit Kraft wie
But Haus zu halten, und nach der Faftnacht womöglich das durch
Sparjamfeit und geringeren „Aufgang” wieder herein zu bringen, was
etwa im Faſching zu viel und zu leicht dahingegeben wurde. Sollte dem-
nad) die „Faſte“, wie fie noch heute bejteht, erjt und nur Firchlichen und
nicht viel älteren allgemeinen Urjprungs bloß aus einer Kirchenvorjchrift
und nicht etwa aus dem ganzen inneren Bedürfniffe des Volkslebens heraus
von felbjt entjtanden, jodann aber von der chrijtlichen Kirche, die Eluger
und finniger Weife und mit Recht den alten Volfsbräuchen, wo fie —
fonnte oder auch mußte — ſich anjchmiegte, einfach aufgenommen und
ihren eigenen Zweden angepaßt worden fein?
Das mindeſtens iſt gefchichtlich gewiß, die Selbftbejchränfung durch
eine gewilje Enthaltjamfeit von Speije und Zranf it uralt, älter als das
Chriſtenthum jelbjt. Schon die „Vedas“, die heiligen Bücher der indiſchen
Brahminen, welche jelbjt die Bücher Mofis, aljo auch die jüdische Glau—
bensfagung, an Alter weit überragen, bezeichnen das Faſten bereits als
einen uralten Religionsgebraud).
Die Selbſtbeſchränkung und Selbftabtödtung durch Faften findet ſich
auch unter den Vorfchriften der alten Egypter, der buddhiſtiſchen Völker,
der Hindus, Perſer, Aſſyrer u. ſ. f., ſtammt alfo beftimmt aus dem Mor—
genlande und fchon von den älteſten Religionen und Culturnationen, und
ift im Grunde eine jo allgemein menfchliche Uebung, die allzeit
und allenthalben gern mit religisfen Bräuchen verbunden wurde, daß
man annehmen muß, es war dies jelbjtändig, ohne Nahahmung
fremden Beifpiels auch feit uralter Zeit bei den Germanen u. zw. aud)
zur Vorbereitung auf das Oſterfeſt der Fall, und die fpätere chrijtliche
Lehre und Uebung betreffs des Oſter-Faſtens habe diesfalld wenig oder
nichts Neues eingeführt, jondern nur mehr jchon Bejtehendes umgejtaltet,
weiter entwicelt, geijtig erhoben und veredelt.
Anfangs beſchränkte fich die chriftliche Fafte auf eine 36—40ft ün—
dige Enthaltfamfeit zur Oftervorfeier ſelbſt u. z. vom Charfreitag Nach—
mittags bis DOfterfonntag; erjt Telesphorus (Biſchof zu Nom) führte im
2. Jahrhundert durch ein eigenes Kicchengefeg ein 36—40tägiges Fajten
ein, das natürlich nicht jo jtreng in jeinen Borjchriften fein konnte wie
— 383 —
das obige und den Urſprung der bis heute noch üblichen ſogenannten
Faſtenzeit und Oſtervorbereitung bildet, die zuletzt von Papſt Gregor (der
Große genannt) auf 40 Tage (mit dem Aſchermittwoch als Ausgangstag)
feſtgeſetzt wurde.
Die kirchlichen Bräuche und Lieder während der voröſterlichen (Faſten-)
Zeit ſind bekannt, weil noch durch allgemeine regelmäßige Uebung lebendig.
Unter den kirchlichen Faſtenliedern gibt es ebenfalls einzelne gute Volks—
lieder, deren Aufzeichuung und Zuſammenſtellung ſehr wünſchenswerth
wäre; doch konnte der Verf. bisher nichts Mittheilenswerthes hievon er—
langen. Bon den noch mit den altgermanifchen (heidnijchen) Volksüber-
lieferungen und Anjchauungen zufammenhängenden Gebräuchen und Liedern
aus der Vor-Ofter-Zeit (TFaftenzeit) ift vor Allem das Todaustragen
zu nennen — ein fehr alter und allgemeiner deutjcher Volksbrauch.
Er findet jich bis in die neuefte Zeit auch in Deutſchböhmen in der
Form in Hebung, daß eine mit Stroh, Heu, Häckſel u. dgl. ausgejtopfte
Puppe in Menjchengeftalt und Menjchengröße mit ausgejpreigten Armen
auf eine hohe Stange gejtedt, fejtgebunden und im allgemeinen Umzuge
durch das Dorf oder auch um die Felder getragen wird. Hiezu wird im
Nordweiten, im Egergebiete folgender Text gefungen:
Fied der Todausträger.
Heut trog mern Tod aus
Zu Duppe (Duppau) überd Rothhaus,
Zu Kood'n (Raaden) übern Koſt'n
Mittn in da Foſt'n!
(Zufag:) Hätt' m'rn Tod net ausgetrog'n
Hätt'r d' olt'n Woima olle drichlog’n!
Diefer „Tod“ wurde zulegt nach längerem Umzuge, wobei ftets
helle Freude herrfchte und viel Muthwille jein Spiel trieb, jo daß das
„Zodaustragen" ſtets als ein Freudentag galt, in einen Teich, Fluß oder
Bad geworfen, auch auf freiem Felde verbrannt oder ſonſt durch den
Uebermuth der Jugend zerjtört. Zumeilen pflegte man den „ausgetragenen
Tod“ auch auf der Feldmarke einer Nahbargemeinde aufzupflanzen,
was als Spott und Nederet galt und zwijchen den Burfchen der ver-
ſchiedenen Dörfer mitunter auch zu tüchtigen Raufhändeln führte.
Im Falkenauer Gebiete wird der Tod am vierten Faſten—
jonntage Mittags von 12—1 Uhr ausgetragen und dabei folgendes Lied
gefungen :
— 334 —
Trog' mern, trog mern Tod aus,
Schloggenwoller Rothhaug,
Heut in der Foften
Stell'n mern Tod am Koft'n.
Stell’n mer'n Tod auf's Butterfoß
Word er troppe-trafche noß!
Leiſom, leifom!
Kos frig Fleifh zſomm!
Eier raus!
(Falfenauer Gegend.)
Um Sinn und Urfprung diejes alten Volksbrauches fejtzuftellen und
zu erklären, brauchen wir wohl Feine weit zurüdjchweifenden und aud) Feine
allzu gelehrt tiefgründigen Forſchungen und Betrachtungen anzuftellen. Es
iſt jo naheliegend, jo jelbftverjtändlich, daß derjelbe finnige deutſche Volks—
geift, der fo jehr auf die Natur angewiefen war und ganz in derſelben
und mit derjelben lebte, nachdem er im Julfeſte fchon (zu Weihnachten)
die Wiedergeburt des neuen Lichtes und Sonnenjahres feierte, auch durch
einen finnbildlichen Volksbrauch in diefer Zeit feine Freude über den Tod
des Winters und die Ankunft des Sommers öffentlih und allgemein Fund:
gab. Es ift durchaus nicht nöthig, mehr als das hineinzudeuten oder
mit Hilfe gefchichtlicher Ableitungen u. f. w. noch mehr daraus heraus:
tifteln zu wollen. Die Sitte des Todaustragens bedeutet nicht mehr und
nicht minder al3 die Freudenfundgebung der Volksſeele über
das Ende des Winters und die bevorftehende Wiederfehr des
Sommers.')
1) Ganz deutlich ergibt fich dies insbejondere aus dem Volfäliede „Das Tod—
austreiben“, das dem Verf. nachträglich noch in der bekannten deutſchen Volks—
liederfammlung „Des Knaben Wunderhorn” S. 109 unterfam, Es lautet:
Das Todaustreiben.
So treiben wir den Winter aus,
Durch unjre Stadt zum Thor hinaus,
Mit fein’ Betrug und Riften,
Den rechten Antichriften,
Wir ftürzen ihn von Berg und Thal,
Damit er fih zu Tode fall’
Und uns nicht mehr betrüge
Durch feine fpäten Züge.
Und num der Tod das Feld geräumt,
So weit und breit der Sommer träumt,
— 3355 —
Ganz im obigen Sinne äußert ſich auch, wie ih zum Schluße noch
finde, Dr. 9. Dunger in jeinen „Rundum: und Reimſprüchen aus dem
Boigtlande”, worin er auf Seite 189 unter dem Titel „Frühlingsfeſt“
folgende, hier zur Ergänzung und Vergleichung bejonders werthvolle Mit:
theilung macht: Bis vor Kurzem jand am 1. März oder zu Laetare
namentlich im xuffischen Voigtland das auch anderwärts befannte To d-
austreiben ftatt, ein Nachflang des uralten germanischen Mythus
vom Kampfe des Sommers mit dem Winter. Das junge Volk
trug eine angepußte Strohpuppe auf einer Stange (der Tod-Winter)
im Dorfe herum und ftürzte fie dann ins Waſſer unter dem Gejange:
Heute treib'n wir'n Tod aus
Ueber Gür'ſche Roͤthhaus,
Ueber Stock und Stene,
Brech' ne Hals und Bône.
Darauf wurden in den Käufern Gejchenfe, namentlid Eier, gefam-
melt, indem man dabei jang:
Wir hab'n den Tod wol ausgetrieben,
Die faulen Mädel find zu Haufe geblieben,
Sie fißen in der Höllen
Und lauern auf die Funggejellen.
Wir bringen Euch an warmen Sommer mit,
Theilt und nur a paar Eier mit.
Durch das Erſäufen der Puppe ift der Winter getödtet und
der Sommer wieder in fein Recht eingefegt. (Man vergl. nody, um
den pangermaniftischen, altveutfchen Grundzug dieſes alten Vollsbraudyes
ſich vollends Harzulegen: Brüdner, Reuffifche Landestunde S. 189,
Panzer, Bayrifche Sagen und Gebräuche II. 73, Aheinsberg-Dürings-
feld, das feftl. Jahr S. 79, Hilffas, Curieufe Gedanken von dem Gebrauche
am Sonutag Ladtare, welchen man insgemein nennt „den Todaustreiber“
aus dem Latein. iiberjeßt, Dresden und Leipzig 1701; ©. Klamm, Hand»
Er träumet in dem Maien
Bon Blümlein manderleien.
Die Blume iproßt aus göttlih Wort
Und deutet auf viel fhönern Ort;
Wer iſt's, der das gelehret?
Gott iſt's, der das befcheeret.
(Mittel: und Norbdeutichland.)
— 36 —
buch der germanischen Alterthumskunde S. 376; Grimm, deutjche Miytho-
logie I. Ausgabe ©. 442.
Eine andere Lesart des Liedes lautet im Thüring'ſchen (nach Dun-
ger) noch:
Heute treib'n wir den Tod aus,
Ueberd Waid’ihe Rathhaus,
Ueber Stod uud Stein,
Brit Hals und Bein.
Wir Alle, wir Alle fommen raus
Und tragen heute den Tod naus;
Komm Frühling wieder mit uns in das Dorf,
Willlommen lieber Frühling!
Daß in manchen Gegenden hiemit im Zaufe der Zeit auch uod eine
ortsgejhichtliche Erinnerung od. Bedeutung verfnüpft wurde, mag
allerdings öfter vorfommen, darf jedoch für das Allgemeine das Wejen
der Sache felbft nicht verwifchen. Niemals darf vergefjen werden,
daß es fih bei all diefen Volksbräuchen wefentlih und
vor Allem ſtets um die Feier der beiden Hauptfejte des
Sommers und Winters handelt. Um diefe zwei Hauptfeite des
Boltsjahres, um Weihnachten und DOftern, als die Feftfinnbilder des
Winters und Sommers, dreht fih das Denken und Handeln,
aljo au die Dichtung des Volkes in Feftbraud, Sprud
und Lied. Ganz offen fpricht ſich diefe Thatfache in einem ebenfalls ur-
alten deutjchen Bauern-Spiele aus, das noch bis in die neue Zeit im Erz
gebirge, an der Mitteleger, im Komotauer Bezirke und auch in der Planer
Gegend — fowie gewiß auch in mancher anderen — in Uebung war und
gerade heraus den Kampf des Sommers mit dem Winter behan-
delte und verjinnbildete.
Diefes für die Auffaffung der Volksfeſte und Bräuche im Jehre be⸗
ſonders bedeutſame „Sommer- und Winterſpiel“ wurde nach den
mündlichen Mittheilungen verſchiedener älterer Gewährsleute an den Verf.
zu verſchiedenen Zeiten aufgeführt, bald im Advent (alſo in die
Weihnachtsfeſtgruppe eingereiht), bald in die Faſte, und in dieſem Falle
den Oſterfeſt-Gebräuchen zugehörend. Dieſer Wechſel der Zeit iſt hier ganz
natürlich und leicht zu erklären. Das Spiel paßte nöthigenfalls für Winter
und Sommer oder ließ ſich wenigſtens dazu einrichten, iſt aber ſeinem
— 3897 —
Ursprung und Wefen nad, wie auch aus dem nhalte erfichtlich fein
wird — doch eigentlich ein Oſterſpiel und für die voröfterlidhe
(Faſten-) Zeit gedacht und bejtimmt, weshalb es auch hier unter dieſem
Abjchnitt zur Mittheilung fommt. Meift in der Fafte, andernfalls wenn
der Trieb nach einigem Erwerb jchon ftärfer drängte, auch früher noch,
famen vom Erzgebirge die Sommer: und Winter-Sänger ins Flachland
herab und wanderten von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. Auch aus
den Eger-Dörfern felbit fanden fich folche Darfteller. — Sie waren ihren
Rollen entjprechend gekleidet, beziehungsweife ansgerüftet. So trug der
Sommer in Nord» Deutjhböhmen 3. B. an der Eger, im Planer und
Zepler Gebiete ein Eleines Bäumchen mit Früchten, in Süd-Deutſch—
böhmen (Hofterfchlag, Königsed, Böhmerwald) eine Senje (meijt
im verfleinerten Maßftabe) in der Hand, der Winter aber ging im Schaf-
pelz mit einem Drifchel einher. |
Kamen Sommer und Winter nun in ein Haus, jo führten fie im
Wettjtreit und Wettgefang das folgende Sommer: und Winterfpiel auf:
Da Summa tritt vor nnd fingt:
Ei Winta, du bift mir a jchledhta Gſell,
Gechſt d’ olt'n Weima olla in d’ Holl.
D je Herr mein,
Da Summa iS fein!
Da Winta
Ei Summa du bift a ſchlechta Bana,
Machſt den Weiwan die Millich gern ſaua!
D je Herr mein,
Da Winta is fein!
Da Summa:
Wenns kimmt zu Bartlmäitag,
Da ſchüttl' ich meine Verla und Üppel ab
(Birnen und pfel)
O je Herr mein,
Da Summa is fein!
Da Winta:
Wenns fimmt bi3 Weihnochten,
Do thu ic) dem Bauer d’ Sau oſchlochten.
D je Herr mein,
Do Winta is fein!
Da Summa:
Wenn zu G'hannes (zu Johanni) kimmt
da Schnit,
Gehts Korn und da Waza mit,
O je Herr mein,
Da Summa i3 fein!
Da Winta:
Hauft bus oh, fo driſch ichs aus,
Und 's koch'n d' Weiwa Knödla draus,
O je Herr mein,
Da Winta is fein!
Da Summa:
Hörſt Winta, du darfſt ma nimma vill
ſog'n,
Sinſt thu i dich von donna jog'n!
O je Herr mein,
Da Summa is fein!
Da Winta:
Hörft Summa, du därfſt mi net vill
dutz'n,
Ich ſteck dich unta mein Lämmel-Pelz-
Mutz'n.
O je Herr mein,
Da Winta is fein!
Da Summa:
Merk auf, dös ſog ich zu allerletzt:
— 338 —
Ich mochs, daß heuer gar nig mehr wächſt;
D je Herr mein,
Da Summa i8 fein!
Da Binta:
Hörft Summa, jeß gib i bir Recht,
Du bift da Herr und i dba Knecht.
O je Herr mein,
Da Summa i8 fein!)
(Komotauer und Saazer Gebiet.)
Mit folgendem Text, der zur Vergleichung mit dem le a
heranzuziehen geboten erfcheint:
Der Sommer und der Winter.
Sommer:
Herein: Wir wollen und machen befannt,
Sommer und Winter allezeit genannt,
Wir wollen fingen eine kurze Weil eine
Gſchicht,
Liebe Herren laßt es Euch verdrießen nicht.
Kommt der Winter an,
Er iſt ein grauſomiger Mann!
Winter:
Ei Sommer, was hab' ich dir zu Leide
gethan,
Daß du mich heiß't einen grauſomigen
Mann?
Ich habe ſchon längſt hinter dir geſtanden,
Und habe gehört deine Spottreden an.
Jetzt wag' ich daran meine beſte Kuh,
Ich muß wiſſen, wer Herr iſt, ich oder du?
Sommer:
Ich bin der Sommer ſchön;
Ich thu' mich zwar nicht rühmen,
Die Herren werden es verſteh'n.
Winter:
Sch bin der Winter hart,
Mit warmen Kleidern angelegt,
Ich trag’ nen rauchen Bart,
Ein gutes Baar Schub;
Wenn ich mich gleich jo rühmen thu,
Es ift nichts daran!
Sommer:
Jetzt tritt der Frühling ein (ber
Frühling begimnt:)
Da fang ich an zu pflanzen im meine
Bärtelein,
Da blühen die Blümlein groß und Hein,
Da fingen die Vögelein.
Jung und Alt und Alles will Fröhlich fein!
Winter:
Und wenn e3 kommt zur Weihnachtäzeit
Schlacht ih mir ein fettes Schwein,
Dazu ein fettes Kalb.
Ei, Sommer, das geb’ ich dir halb,
Was mwillft du mehr bon?
Sommer:
Ei Winter du gefräßiger Dann,
Red'ſt allezeit von guter Speife und baujt
jelbft nir an!
Ich Habe dird geführt in die Scheuer
hinein,
Du haſts gefreffen in Hals hinein!
Kein Dank foll bei dir jein!
1) Eine andere Lesart diefes Liedes gibt A. Paudler (Mittheilungen bed nord-
böhmischen Excurſionsclub 1884).
— 389 —
Winter:
Ei Sommer, ſcherr mich nicht,
Ich bin ein guter Arbeiter, fein Freſſer
bin ich nicht.
Mit meiner Schwing, mit meiner Dreſch'
Thu’ (ch') mein Korn und Weizen aus-
dreichen.
Sommer:
Und warn es fommt um Johann,
Da hau ich mir die Wiefe ab, viel Futter
ih machen fann!
Und wenn e3 kommt um Barthelmin,
Schüttle ich meine Äpfel und Birnen hin
Ei Winter, das kannſt du nicht!
Winter:
Ei Sommer, ſcheer mich nicht!
Und wenn ed kommt zur Fafchingszeit,
Da bod ih mir eine Pfannebudht’ in
meiner füppernen Pfanne,
Dazu ein fetted Schwein.
Da ſchmier' ich mir den Bart recht fett
Und lege mich zum Weib ins Bett,
Ei Sommer, das kannſt du nicht!
Sommer:
Ei Winter, ſcheer mich nicht!
Ich will dir etwas beweifen mit meinem
Ernft daber. (?)
Ich raufe dir den Bart recht aus,
Und werf’ ihn in einen Dornenftraud,
Daß ihn die Sonne verzehrt!
Winter:
Ei Sommer, thu’ das nicht!
Ich will mich untergeben, will leben nad)
deiner Pflicht,
BiftbuderHerrundihderfnedt,
So haben wir alle Beide recht!
Ich bitte um Berzeihung.
Sommer:
Verzeihen will ich fchon,
Du follft tragen feinen Zorn!
Du ſollſt mir helfen fingen
Ein Liedlein, dem höchſten Gott zu Ehren,
Den Sommer und den Winter zu einer
Nahrung an. (7)
Da bitten wir den lieben Gott,
Daß er uns helf' aus aller Noth
Zu Waſſer und zu Lande,
Soldat, zu Pferd, zu Fuß geitellt,
Da kommt der Fürft mit feiner ron’,
Er gibt und den verdienten Kohn,
Am End’, da geht es ſchon,
Am End’, da geht es ſchon!
(Ans der Gegend von Gablonz; und
Hühnermwaljer).
Wie man an dem Ausgang- und Grundgedanken diefer Som-
mer: und Winterlieder Har erkennt, joll hieduch der Sieg des Som-
mers über den Winter gefeiert werden und ijt diefer Brauch jomit
offenbar und ganz bejtimmt vom Anfang her fiir die vordfterliche (Fa—
jten:) Zeit in Geltung gewejen, welcher er auch zugehört, obſchon man
diefes Spiel, wie bemerkt, vielfacdy auch bereits im Advent und im Faſching
aufführte.
Zu den Vollsgebräuchen diefer Gruppe gehört auh das kaum
noch aufgezeichnete Spiel der Todtengänger, das wohl jchon jeit
Jahrzehnten bereits vergefjen und nicht mehr in Übung ift. Um diefelbe
Zeit (in der Fafte) wanderten felboritt die Todtengänger durd) das Land.
Der erjte fpielte den „Tod“ und trug einen kleinen hölzernen Sarg
unterm Arm, der zweite ftellte den „Bauer" dar und ein „Klagemweib"
folgte ihnen nad).
ZB
| Zu Beginn des Spieles tritt „der Tod" an den „Bauer” heran und
fordert ihm das Leben ab, denn „feine Zeit“ fei jchon abgelaufen. Das
ist dem „Bauer“ natürlich nicht vecht, er bittet um ein längeres Leben,
um 50, 30, 20, 10 Jahre oder doch nur noch um menigjtens 1 Jahr
und beginnt mit vem Tod um „Leib und Leben" zu handeln und zu feiljchen.
Er verfpricht ihm dies und das und bietet immer Höheres. Unter Anderm
läßt ji der „Bauer“ auch, wie folgt, vernehmen:
Lieber Tod, loß mid nuch a wing leb'n
Ich will dir mein ſchworz'n Ropp'n geb’n!
Allein „der Tod" läßt fich nicht erbitten, öffnet den feinen Sarg
und jählings jpringt aus demjelben dem „Bauer“ eine ziſchende Schlange
entgegen. Das „Klageweib“ jammert und bittet nun auch. Zuletzt endlich
jollfen der „Zod" und der Bauer” doch immer wieder „handelseinig" ge
worden, mit einigen Gaben bejchenft und in Friede und Freude weiter
gewandert jein. Einen volljtändigen Text des betreffenden Wechjelge-
jangs und des ganzen Spieles, deſſen vielleicht hier zum erjtenmal literarifch
Erwähnung gejchieht, Fonnte ich bisher leider nicht erlangen. Bielleicht
erinnert ſich nad) diefen Zeilen doch noch ein gedächtnißſtarker Großvater
oder ein erimmerungstreues Altmütterchen diejes Spieles und der einzelnen
Geſätzel oder Strophen desfelben! Es wäre dies zur vollends ficheren Be-
urtheilung diejes gewiß jeltfamen und bemerfenswerthen Gebrauches jehr
wünſchenswerth, um hiernach möglicherweife ganz jicherjtellen zu können,
ob man es hier wie e3 den Anjchein gewinnt, mit einem legten Ueberbleibjel
altheidnifch-germanifcher Todtenopfer-Gebräuche oder mit einem Reſte
des mittelalterlich-hrijtlichen Meyftieismus und Symbolismus zu thun hat.
Das Gegenftäd und Ergänzungsbild zu den verjchiedenen Tod-Austrägern,
Zodtengängern und deren Gebräuchen, Liedern u. ſ. w., die alle mehr we—
uiger zugleich den fterbenden Winter verjinnbilden, iſt charakteriftiicher
Weiſe ein anderes, in diejelbe Zeit fallendes Spiel, das Sommer-
doden-Spiel und Lied, welches gedanfenverwandt und ergänzend hin—
jichtlich der vorhin genannten den wiederkehrenden, neubeginnenden Som:
mer feiert, aljo abermals beweift, daß, wie bemerkt, Volksanſchauung,
Volksjahr und Volksbrauch ſich ausschließlich fait zwiſchen dem Unterſchiede
und Gegenſatz von Winter und Sommer bewegt und hauptſächlich ſonach
auch nur um die genannten zwei Hauptfeftzeiten fir Sommer und Winter
ih dreht. Das Sommerdodenlied, im ganzen Nordweſten des Landes
ziemlich allgemein verbreitet, wird meist von Schulmädchen gefungen und
bat dem weiblichen Urſprung und Charakter gemäß eine zartere, poetijchere
und oft recht anmuthende Form. Sch jelbjt ſah und hörte in den Sechziger:
— 31 —
Jahren oft in den Egerdörfern liebliche Kinder mit wirflih ſchön und
finnig ausgefhmüdten „Sommerboden" und wohlflingender erquidender
Stimme das genannte Lied fingen, das mir heute noch nach Jahrzehnten
als ein liebfrenndlicher Jugend: und Frühlingsgruß nachklingt. Ueber Brauch
und Lied ift Folgendes mitzutheilen:
Ein mittelgroßer, breit auslaufender, recht dicht bewachjener Fichten-,
Kiefern- oder Föhrenzweig wird auf der inneren (hohlen) Seite mit Gold:
und Silberjternen, Blumen, bunten Seidenbändern, Schleiern u. ſ. w.
möglichit ausgeſchmückt und inmitten desjelben die nach Kräften reich gezierte
„Sommerdode" angebracht. Mit diefer wandern die Mädchen in der Fafte,
oft auch bis gegen Pfingſten, meift jelbander, oder im Geleite der Mütter
oder Brüder von Haus zu Haus und fingen das folgende:
Sommerdofen-Lied. I.
Wir kommen herein ind Zimmer getreten Dort wären wir Rinderlein alle jo gern.
Und wollen den Herrn um Verlaubniß Das Schlüffelein hören wir Klingen,
beten Ein paar Thaler wird die Hausfrau und
Und auch feine (ſchöne, gute) Hausfrauen, bringen.
Das Himmelreid; wollen wir bauen; Und wenns auch nur ein paar Kreuzerlein
Wir baueng, wir bauens bis an die Spigen, fein,
Wo alle lieb'n Engel im Himmelreich fis'n. Wir find junge MädIn und theilen uns
Im Himmelreich ift ein goldener Tisch, drein.
Dort fit der Gottvater und Jeſus Chrift. (Bon der Mittel-Eger.)
Am Himmelreich ift ein goldener Stern,
Bemerkenswerth ift eine Abart diefes Brauches und Liedes, wie fie
der Berf. in einer einen gedrudten Sammlung ') von Volksſagen und
Gebräuchen auf Seite 73 mit folgendem Texte fand:
„Wie die Knaben (an der Eger) eine männliche, jo trugen die Mädchen
eine weibliche Figur, die „Tödin“, aus! Nachdem diefe ins Wafjer ge-
worfen war, trugen diefelben Mädchen die Sommerdode, d. i. eine an grünes
bujchiges Tannenreis befeftigte, mit Blumen und bunten Bändern auf das
prächtigfte gezierte Puppe herum. Bei jedem Haufe, in dem ein lediger
Burſche war, fangen jie:
Sommerdofen-£ied. II.
Die Tödin haben wir getrogen aus
Und dieSommerdode bringen wir Euch
ins Haus.
Wir tragen hinüber das grauslichte Kraut,
1) Volksfagen, Märhen und Gebräuhe aus Nordböhmen von %. 3. Schaffer,
Linz 1874.
— 392 —
Und wünjchen dem Herrn eine junge Braut,
Der Herr foll ſich wohl bedenken (über-
denfen)
Und uns ein paar Gröfchelein ſchenken.
Schenkt er und ein paar Gröfchelein weiß
(Weißgroſchen)
So wird er kommen ind Paradeis,
Aus dem Paradeis ind ewige Reben,
Gott wird ihm den Himmel geben.
(Für das Geld bereiten fi) dann die Mädchen einen Schmaus.)
Bemerfenswerth und für den durchaus pangermanijchen Ur-
grund und Charakter des Volfsliedes und Vollsbrauches in allen deutjchen
Stämmen und Ländern abermals einen neuen Beweis Tiefernd (Siehe Aehnl.
bei den früher beſproch. Kinderliedern“) ijt der Umftand, daß (nach
H. Frifhbiers Sammlung: „Preußische Volfsreime und Volksſpiele“,
Berlin, Elin 1867 ©. 224) ein dem Sommerdodenbraudh und Lied
ganz ähnlicher Gefang und Rundgang der „Tannenfrauen und Kinder im
Samlande und in Königsberg“, alfo an einem der nordöftlichiten
Ränder deutfcher Erde und jo weit von Deutſchböhmen entfernt und ge-
trennt, als Faftnachtsgefang und gewiß auch in der Fafte in Uebung ift.
Dieje norddeutichen Faftenfänger führen einen mit bunten Bändern, Kna—
ftergold u. |. w. gepugten Eleinen Tannenbaum (Fichten- oder Tannen:
zweig in Deutfchböhmen!) mit fich, den fie zu ihrem Geſange rhythmiſch
bewegen. (Gefchieht auch in Deutfchhöhmen.) Dazu bemerft Frijchbier
noch: Die in ihrem Liede erwähnten Fiſchchen fieht man jet (?) nicht
mehr (?) auf dem Baume, hin und wieder dafür eine Puppe.
Auh die Tannenbäume fommen mehr und mehr ab und an ihre Stelle
treten bepugte „Tannenkränze“ . . . Es ift außer Zweifel, daß dem
norddeutschen verdienftvollen Sammler hier eine fcheinbar kleine und
doh im Wejen bedeutfame Berwechjelung oder Vermiſchung zweier
verihiedener Bräuche, und zwar der uralten, ſicher panger—
manifchen Sommerdocken- (Frühling-Anfinge-) Lieder und Bräuche und
eines blos ürtlichen oder Zandesbrauches aus der Fajchingszeit unterlaufen
ift, beziehungsweife, daß das Volk jener Gegend felbjt unbewußt bereits
beide Bräuche vermijcht, verwechfelt und aljo auch ab und zu das Frühling»
anfingen als Faſtnachtsbrauch oder auch umgekehrt ein ähnliches Faſtnachts⸗
oder Fajtenlied zur Frühlingsfeter gebraucht hat. Derlei Verdrehungen,
Bermifchungen u. ſ. w. kommen in der Volksübung öfter vor und müſſen
daher von Seite der Sammler und Forscher um jo fchärfer unterfucht,
gefondert und richtig gejtellt werden.
— 393 —
Das jamländiiche Lied lautet in. jeinen wichtigften Stellen:
Wir fommen herein getreten,
Loog an de Ringe!
Mit Singen und mit Beeten,
Loog an be Ringe!
Wir wünfhen dem Herrn einen
goldenen Tiſch
Aufalle4 Eden gebratenen Fifd!
Wir wünſchen der Frau eine goldene Kron’,
Aufs andere Fahr einen jungen Sohn, -
Wir wünjchen ber Kärke a hoppre Bann,
Opt and’re Jahr a pudligen Mann!
Latt und nicht lange ftahen,
Wir wollen wieder gahen !
De Schattel hefft e goldne Rand.
De Herrichaft Hefft a milde Hand!
(Königsberger Gegend.)
Im nordweitlihen Schlefien wird am 1. Frühlingsfonntage von
den Kindern von Haus zu Haus folgendes Lied geſungen, das ebenfalls
zu den Sommerdodenliedern gehört und die allgemeine — dieſes
Brauches erweiſt.
Ei Gottes Nama heba wir an,
Wir ſinga die ſchiene Frau Wertin an,
Wir ſinga ſie nie alene an,
Wir ſinga ſie alle mitſama an,
Wir wünſcha den Herrn en gedeckte Tiſch
Uf jeder Ede en Karpa-Fiſch
Und mitta nei a Glas mit Wein,
Da ſolla die Herrn recht Iuftig fein,
Ruta Ruſa wachſa uf'm Stengel,
Der Herr is ſchien, die Fran is wie a
Engl,
Die guldene Schnur giht im das Haus,
Die Schiene Frau Wertin giht ein und aus.
Sie gieht wie eine Togge
Im Ihwarzbraunen Rode,
Sie wardt ſich wol bebenfa
Und ward ung wol was jchenfa!
(Schlefien.)
Miscellen.
Zum Banernaufftand vom Iahre 1680.
In dem ſogenannten Schwarzbuch) der Herrſchaft — (Bezirk
Ludig) finde ich folgende Eintragung:
1) Diejes im Befite des Herrn Gutsbeſitzers Milner befindlihe „Schwarzbud
des Ambtes Utritzſch, darinnen alle einfommenen Uebelthätter, Rauber und
Dieb juftifizieret und condemnieret worden, Aufgeriht im Jahr anno 1680“
gibt im angeführten Zitel feinen Zweck an, Nebſt den Urtheilen über die
aufftändifhen Bauern (Fol. 20—235) finden fi zumeift nur Sentenzen über
wegen Diebſtahls beftrafter Dreicher.
Der Grundherr von Udritſch war 1680
Fürft Julius Heinrich Herzog zu Sachſen ꝛc. Der fürftlihe Inſpector hieß
Johann Spindler. — Bergleiche über den Bauernaufftand von 1680. Mittheil.
I. Jahrg. 3. H. VI. 79, 255, IX. 58, XVI. 238,
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 4. Heft.
26
— 394 —
„Der Bauern Rebellion, ſo ihnen zu Schaden, Un—
glückſchaft ausgegangen.
Nachdeme in dieſen unglückſeelig 1680 Jahr, do das Königreich
Bohaimb abſonderlich die Hauptſtadt Prag mit einer vormahls nie erhört
ſo grauſamben peſtilenziſchen Contagion überſchwemmt, daß alles in Zittern,
Schrecken und Forcht geſtanden und de facto noch ſtehet, dennoch unge—
achtet dejjen theils Herrichaften, Unterthaneren bey Ihrer Fayf. und fönigl.
Majeftät umb ihre uhralte Gerechtigfeiten zu vecuperieren juppliziert, Ihro
Mayft. auch nicht ungeneigt gemwejen, ein medium terminum zwiſchen
denen Herrn Ständen und Ihren Unterthaneren, damit feinem Theil zu
viel oder zu wenig bejchehe, ergreiffen zu laſſen, nichts deftoweniger das
hort und rohe Volk ſich nit wollen bedeuten oder zur Geduld verweißen
lajfen, jondern immer eine Herrichaft die andere nicht nur aufgefordert,
bejondern denen jenigen, die es nicht mit ihnen halten wollen, mit Brand
und Todtjchlagen gedrohet, auch wider die faykerliche deßwegen geſchickte
Soldatesca und ihre Obrigfeiten ſich aufgeleinet, zufammen voltirt, und
wirklich) zu denen Waffen, jo viel jie aufbringen mögen gegriffen. Unter
andern dann in der h. Fastenzeit alhießige Unterthaneren, jo zwar faft die
legten, aber nicht die geringsten waren, welche erjtens die Stadt Luditz uf
einen Abend dergeftalt belagert, daß ihmen die daſelbſt auch deßwegen
gefangene Dorfrichter von dem Oberherrn herausgegeben werden müſſen.
Zum andern dann mit ihren Gewehr fich in Zeuffelsberg loairt, biß die
Neiterei von 5 Compagnien untern Obriften de Merci kommen, ihnen
das Gewehr abgenommen. Dann auch eine keyßerliche Commifjion von
Ihro Ereellenz Herrn Generalwachtmeifter Freyherrn von Har-
randt, Herrn Baron von Hißerle und Obrijtwachtmeifter Herrn
Graf von Kuffftein und Auditor des löblichen Keykerfteiner Negiments
Dr. Henri Meyer diejes rebelliiche Volk eraminiret, condemnirt und
ufs newe in die fünigliche und obrigfeitliche Pflicht genommen. So ge:
jchehen den 23. Juny obbejagten 1680ten Jahres. do dann:
1. Hanns Rohe, Udritfcher Richter, mit nachher Buchau ge-
führet und aldorten und nebjt ihrer 2 von Gißhübler und 2 von Ludiger
Herrſchaft gehenft, geföpft und ufs Rad geleget worden.
2. Folgende aber jeind condemnirt, in obrigkeitlihen Geſchäften in
Eyßen und Banden zu arbeiten, nemblichen:
Jakob Kißwetter 2 Jahr lang
Martin Stark von Stodh') 2 —
1) Mariaſtock.
— 59 —
Michael Braun von Knönitz) 1 Jahr lang
Georg Strunz von Bohentſch) 1 „ u
Thoma Kanter von Bohlemb?) 1 „u
Hans Kung von Herrſcheditz) 1 „ —
Martin Würkner von Sehrleß) 1 „ u
Mihl Khun von Zobolep®) E. u 02
3. Georg Fiſcher von Udritſch, welcher einer von den Haubt-
rebellen und 2mal aus der Gefängnuß entbrochen und flüchtig worden,
hat jollen, wann er ergriffen wiirde, der fayjerl. Commiffion nachgefendet
werden und fein Urtheil empfangen. Weillen dann die Commiffion caffiret
und zerjchlagen, als wird diefer vom fürftl. Oberamt zu beftraffen feyn.
4. Folgende Richter und Gejchworne, jo in einer Claſſe begriffen
und feiner viel bejfer als der andere war:
Georg Würdhner, Gefchworner von Udritſch. Martin
Seger, Richter zu Herrfhedig. Johann Enders, Richter zu
Bohentih. Georg Tauſch, Richter zu Sihelaw.’) Simon
Wolff, Richter zu Paſſenaw.“) Niel Süßner, Richter zu Rat-
timotz.?) Lorenz Withner, Richter zu Bohlemb. Thome
Hirſch, Gefchworener zu Stodh. Andres Wirth, Nichter zu
Boboleg — ift niemals überzeugt worden. Martin Deheimb,
Richter von Lintſch!e) — niemals rebellirt. Georg Oehmb, Richter
zu Geffring.') Welche dem hochfürjtl. Ambt die Scharwerf und alle
Arbeit auffündigen laffen.
Weitere Verbrecher find zu finden:
5. Georg Leni, Schufter zu Paſſenaw, welcher nebjt dem
Georg Fiſcher uf die legte Stund, als die kayſ. Soldatesca ſchon fait
auf biefigen Territorio war, mir der Zeit hochfürſtl. Inſpektoren
anjtatt der hohen Obrigkeit alle Freundfchaft und Gehorfamb im Namen
der ganzen Landichaft aufgejagt, Weib, Kinder, Haus, Hoff und Alles in
die Schang gefchlagen mit ausdrüdlichen Vermelden, wo fie die Soldaten
nur angriffen, jie wollten ihm den Meifter ſchon fpielen, So hat er
auch mehrers geredt als ihme befohlen war. NB. Diefes hat aud)
Georg Fiſcher als Socius und der Rebellion Abgejandter ohne Scheu
mir ins Angeficht gejagt.
1) Knönitz. 2) Bohentſch. 3) Polem. 4) Herſcheditz. 5) Serles. 6) Zoboles.
7) Sichlau. 8) Paſſnau. 9) NRatiborz. 10) Lindſch. 11) Geffing.
26
— 596 —
6. Georg Gipp, Fiichmeifter zu Udritfch ufn Schloßteuch fich Hören
laffen: der Inſpektor jollte ihnen nur einen einzigen Mann wegnehmben,
fie wollten ihm jchon kriegen, denn jie jtünden alle vor einen Mann.
7. Georg Veytvon Stodh hat nebit andern den Senf, Wirthen
von Zoboleß, geholet und beim Arm fortgerifjen.
8. Hans Boppolen von Stodh ijt bei der Abholung des
Richters von Lintjch mitgewejen; der mit zufchlagen und fo arg war,
als die andern. Der dann au den Matthes Wuffka und andere
abholen helfen.
9. Martin Wufffa. ware nebjt dem Michael Khun der erfte
Aufrührer geweſt, fo ihre Gerechtigkeit fuchen wollen.
10. Hans Wirth wird von Georg Lein gravieret, daß er
ihme befohlen zu jagen, fie wollen das Mevyerhöffiiche Gefinde alles
wegnehmben.
11. Michael Lohr wird von vielen Udritſchern gravirt, daß er
herumgeloffen und fie aufgebotten.
12. Salomon Böhmb von Geſſing hat die Trommel gefchlagen.
13. Martin Beyer von Udritjch ijt über das Keyferliche Verbott
zum legten mahl nachher Prag gegangen, welcher auch die Geldanlagen
gemachet.
14. Hans Karl von Stodh hat vor dem hiefigen Schloßthor
bedrohet und dem Kornfchreiber ins Geficht gefaget: Was ift das vor ein
Ned, daß er (scilicet der Inſpector) gejtern zu uns gejagt: DO! wer weiß,
wer gewinnen, oder wembs reuen wird!
15. Barthl Earl von Knönitz ſoll auch ſcharff geredet haben,
das jaget fein Richter.
16. Simon Schug von Knönitz uf Cenſch (?) geloffen, der
dann die Poſten Hin und wieder getragen.
17. Mathes Wagner, Ziegelichlager, hat die Mufterung verricht.
18. Schmied zu Sihelam, Andreas Tauſch, hat Spieß
gemacht.
19. tem Chriſtoph Mehring, Schmied zu Udritjch, mit
feinen Söhnen.
20. Des Sternwürths Söhn haben Spießle gemachet.
21. Jacob Hörtterich hat die Trommel geholet und zum Troß
damit pravirt und gejchlagen.
— 397 —
22. Hans Balger Salkelder, Würth zu Udritjch, hat die
Trommel vor Ludig geführt.
23. Simon Podenftein von Udritfch hat die abgedanften
Soldaten in der Nacht beherberget, wodurch die Bauern ihre Poſten
bekommen. |
Diefe Punkte jind ad perpetuam rei memoriam dem fchwarzen
Gerichtsbuch beygetragen. Weillen aber Ihro hochfürftl. Durchlaucht wie
ein oder der andere Delinquent ſowohl bey hießigen als andern hochfürftl.
Aembtern zu bejtraffen feine gnädige Refolution dato ertheilet, alſo bleibet3
His dahin fuspendiert. Spindler m. p. 8. ©.
Sagen aus dem weftliden Böhmen.
Bon Franz Wilhelm.
2. Hans Adler und das Schottenbrünn!.
Buchau jtand ehemals nicht an dem Plage, wo es heutzutage jteht,
jondern breitete jich mit einer Anzahl von nahezu Hundert Häufern um
die noch heute beftehende St. Jakobskirche jenfeits des Baches aus, welcher
fih am Fuße des von der Ruine Hartenjtein gefrönten Schloßberges
durch das reizende Wiefenthal dahin jchlängelt.
Um jene Zeit führte auch eine Straße von Maria-Stod durch den
Koppenwald zum jogenannten Schottenbriünn!, beim Götzenteich vorüber
über das Mitnichbergel nah Buchau. Nahe beim Schottenbrünn’! jtand
ein Kreuz. Hierher wurden von weit und breit Wallfahrten unternommen,
denn das Wafjer des Brünnleins befaß nicht nur eine ausgezeichnete
Heilkraft, jondern konnte auch durch eine andere myſtiſche Eigenjchaft einen
unrechtmäßig Beichuldigten feine Ehre wieder geben; denn wenn ein Uns
reiner aus dem Brunnen getrunken hatte, verjchwand das Waſſer jofort
und erjchien erjt wieder nad) Sühnung der Schuld.
Da war nun auch ein gewiljer Hans Adler aus Hartmannsgrün,
welcher in Boftelberg in Dienften geftanden hatte, bejchuldigt worden, feine
Stiefmutter mit ihren fünf Kindern umgebracht zu haben. Und da er
jedwede Schuld hartnädig leugnete, wurde er gendthigt, zum Beweiſe
feiner Unfchuld aus dem Brunnen zu trinken. Und fiehe da! Kaum hatten
die erften Tropfen Waſſers feine Lippen benegt, jo war das Wafjer bis
auf den Grund verjchwunden. Unzweifelhaft war hiermit feine Schuld
— 393 —
dargethan. Die Haut ward ihm für jeine doppelt frevelhafte That in
Form von Riemen vom Rüden gefchnitten und hierauf der gejchundene
Körper auf das Rad gebradt. Die Seele hauchte der Verbrecher erjt
am Galgen aus. Alsbald erjchien auch das Waller des Schottenbrünn-
leins wieder.
3. Der Schabgrüber vom Aünichsbergel.
Kaum einen Steinwurf weit vom Sclojje Hartenjtein, welches am
Schloßberge ftand und jegt nur noch in feinen Auinen zu erbliden ift,
entfernt liegt das fogenannte Münichsbergel. Darauf ftand vor Zeiten ein
Klofter, deſſen Inſaſſen mit dem Schloßheren, dem Grafen von Plauen,
im friedlichen Einvernehmen lebten. Ein unterivdiicher Gang verband das
Schloß mit dem Klofter, um den Bewohnern des Erjteren in Zeiten der
Bedrängniß ein rettendes Auskunftsmittel zu gewähren. Als der Graf
einjtens hart von feinen Feinden bedrängt wurde, brachte er feine Schäße
dur) den Gang in das Klofter und verbarg fie an einer ficheren Stelle,
die jelbft den Mönchen unbekannt war. Der Graf aber fehrte auf dem-
jelben Wege, den er gefommen, in das Schloß zurüd und ftarb dort den
Heldentod mit al feinen Mannen; das Schloß aber wurde verbrannt.
Längſt ſchon war auch das Kloſter verfallen und verborgen und
vergeſſen lag der Schag noch immer, bis der alte Hufchfamüller nächt-
licherweile darauf aufmerffam wurde. Allnächtlich Teuchtete nämlich von
11—12 auf dem Münichsbergel ein Lichtlein, obwohl e8 doch befannt war,
daß fich Feine menfchliche Wohnung dort befand, auch ſonſt die Stelle
gern von den Leuten gemieden ward, da ja nicht einmal Gras an der
Stelle wuchs. Es lag alfo nahe, daß hier ein Schag verborgen lag.
Mit Haue und Schaufel ausgerüftet, machte ſich der Müller auf und
ftand Schlag 11 Uhr am Miünichsbergel, um an der vom Flämmchen
bezeichneten Stelle nachzugraben. Schon mochte er bald eine Stunde ge-
wühlt haben, als plöglich aus der Erde ein heller Glanz empordrang, der
ihn faft blendete und beim Einhauen des Werkzeugs ein Metallgeklimper
vernehmbar wurde. Hinter ihm aber rief es: „Die Mühle brennt!”
„Jeſus, Maria und Joſef!“ ſchrie der Müller und blickte Hinter fich.
Kein Fenerjchein war bemerkbar, auch ſonſt hatte fich nichts Verdächtiges
gezeigt, und der Müller wollte den gefundenen Schaß heben; allein alles
war verjchwunden, und vom Buchauer Stadtthurme her erflang der
Stundenſchlag zwölf.
— 39 —
4. Die vergrabenen Meßgewänder bei der St. Iakobskirdhe.
Ein Buchauer Bürger hatte für den Fommenden Morgen‘ einen
Adersmann auf fein Feld bei der St. Jakobskirche beftellt. Er machte
auf und hielt es an der Zeit, auf das Feld zu gehen, um dem beftellten
Adersmann die nöthigen Weilungen zu ertheilen; diejer aber hatte fich noch
nicht eingefunden. In einiger Entfernung hörte er ein Rajcheln und fchritt
darauf (08. Zu feiner Verwunderung jah er, was er früher nie bemerft
hatte, ein Loch, in welchem Meßgewänder, Monftranzen, Kelche u. a. kirch—
liche Geräthe zerjtreut herumlagen. Wie vom Thale herauf vernahm
er jest ein Geräufch, ähnlich dem Rollen eines jchnell dahin fahrenden
Wagens. „Hansgirg, da müßt Ihr herauffahren!” rief der Bürger gegen
die Richtung zu, von woher das Rollen zu fommen fchien. In demfelben
Augenblide aber war das Loch mit al’ den Gegenftänden verjchwunden
und in Buchau ſchlug es zwölf.
5. Der Sanzer Schinderhans in Buchau.
Fahrt man (demn das Wandern ift in unferer Zeit zur Seltenheit
geworden) die Xerarialjtvaße von Lubenz nad) Buchau, jo gewahrt man
ſchon vom Weiten die faum eine Vierteljtunde jüdlih von Buchau auf dem
Gipfel des Schloßberges thronende Ruine Hartenftein, welche, gleihfam um
ihre malerifchen Reize zu verdeden, hinter zwei glodenfürmigen Kuppen
hervorgudt, die wie ein Zwillingspaar an der linken Seite der Straße hin- -
gelagert find. Doch trugen die beiden Geſchwiſter nicht immer jenes fried-
liche, Schatten und Ruhe jpendende Gewand, wie jet. Denn ehemals jtand
auf der der Straße näher liegenden und etwas höheren Kuppe der Galgen
aufgerichtet, während die entferntere, niedrigere das Rad trug. Zwiſchen
dem heutigen Buchau und den beiden Hügeln nahe bei den „vier Häufern“,
wo die Bezirksitraße über Teltih und Koßlau nad) Theufing und Tepl
führt, befand ſich der Richtplatz, wo geföpft wurde. Dort ftanden drei
Kreuze, die erſt entfernt wurden, al3 man die Prag-Karlsbader Straße
baute. Jenſeits der Bezirksſtraße, hart am Fußfteige nad) dem Dorfe
Teltſch gelegen, ragen zwei den früheren ähnlich gelagerte Hügel empor,
der eine Bürl (Bühl), der andere Brandling genannt. Am Fuße des Lep-
teren jtand ein kleines Dörflein, Namens Dürmaul, in welchem fich zeit-
weilig der durch feine Näubereien und Schandthaten befaunte und gefürd-
tete Schinderhans aufhielt, der doc wohl auch wegen jeiner Meildthätigfeit,
mit der er die Armen vom Gute der Reichen bejchenfte, unter jenen einige
Freunde bejaß. In Dürmaul war es nun, wo man den mehr gefürchteten
als beliebten Räuber mit Hunden aufgeſpürt hatte und ihn in das Bus
Hauer Rathhausgefängniß brachte, um am nächſten Morgen das über ihn
längft gejprochene ZTodesurtheil am Galgen zu. vollziehen. Doch der
Schinderhans war im Befige des Geheimmifjes einer Zauberformel, duch
deren Macht er alle Feſſel brechen konnte. Die Nacht hindurch hatte er
ruhig geichlafen und erjt am frühen Morgen — doch noch vor Tages-
anbruc; — entwijchte er aus dem Gefängniß und jchlenderte gleichgiltig in
der Richtung gegen Bergles dahin. Leute, die ji) ſchon am Wege nad)
Buchau befanden, um feine Hinrichtung zu ſehen, fragten den nachläſſig
daher jchreitenden Mann, deu fie nicht Fannten — denn Schinderhans
erjchien immer in anderer Tracht — warum er denn nicht in Buchau
bleibe, um den Schinderhans hängen zu jehen? Dieſen gab er zur Antwort,
daß der heute nicht gehängt würde, denn da müßte er dabei fein. Da
man ihn aber an diefem Tage nicht gefangen, jo ward er auch nicht gehangen.
Seinem längft von überirdifchen Mächten bejtimmten Schidjal follte
er aber doch nicht entgehen, denn was für den Galgen bejtimmt ift, jtirbt
in feinem Bett. Als er bald darauf in Folge jeiner Sorglofigfeit, bauend
auf feine Zauberfprüche, wieder einmal eingebracht wurde, ward er in
Ermangetung eines anderen Mitteld mit zufällig vorhandenem Lindenbajt
gebunden, über dejjen Wirkung feine Zauberformeln feine Macht hatten.
Der Schinderhans fam auf den Galgen, und feine irdischen Reſte erhielten
gleich den Leibern der übrigen Verbrecher ihren Ort am Armenjinderfelde
nächſt dem Kralenteiche beim Domajchlagberge gegen Bergles.
Sagen über Friedland und Umgebung.
Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Taunwald.
Bon Böhmen reichen im Norden zwei Zipfel in das deutjche Reich
hinein; im öftlichen derfelben liegt die Stadt Friedland, die durch
Wallenſtein Weltberühmtheit erlangt hat. Alljährlich fommen Hunderte
von Fremden aus Defterreih und Deutichland in die Stadt, um dem
Schloſſe des großen Friedländers einen Bejuch abzuftatten.
Friedland — zum Unterjchiede von Orten gleichen Namens auch
„Sriedland in Böhmen" genannt — liegt am Zufammenflujje der
Wittig und Nasnig und ift feit 1875 Station der ſüdnorddeutſchen
— 401 =
Verbindungsbahn. Hier iſt der Sig einer k. k. Bezirkshauptmannſchaft,
eines k. k. Bezirksgerichtes und anderer Aemter. Die Zahl der Einwohner
beträgt gegen 5000. Dieſelben ſind Deutſche und beſchäftigen ſich vor—
zugsweiſe mit Kleingewerbe und Feldbau, doch finden viele auch in den
hier beſtehenden Fabriken Beſchäftigung.
Von hervorragenden Gebäuden ſind das Schloß, die Decanalkirche
und das Rathhaus beſonders zu erwähnen. Entſtanden iſt Friedland vor
ungefähr jechshundert Jahren, wahrſcheinlich während der „kaiſerloſen
Zeit" im Deutjchen Reiche. Erwiejen ift, daß der dem Deutjchthume zu:
gethane Böhmenkönig Przemysl Ottofar II. das Schloß Friedland den
urfprünglichen Befigern, den Herren von Michelsberg, entriß und
es im Jahre 1278 (am 7. Feber) „mit allen Nechten und Zugehörungen“
um 800 Mark Silber dem deutjchen Freiheren Rudolf von Biber:
ftein verkaufte. Das Gejchlecht der Biberfteine herrjchte über Friedland,
zu dem auch die Städtchen Neichenberg und Seidenberg gehörten, bis zum
Jahre 1551. Kaifer Ferdinand J., zugleich König von Böhmen, verkaufte
es dann am 1. Amil 1558 an das deutſche Adelsgeſchlecht derer von
Rädern. Bei dieſem blieb es bis nach ter folgenfchweren Schlacht am
Weißen Berge bei Prag (1620).
Kaiſer Ferdinand II. verfaufte hierauf im Jahre 1622 die confis-
cirte Herrschaft Friedland nebjt vielen andern an Albreht von Wald-
ftein, deſſen Bejigungen einige Jahre jpäter zum „Herzogthum Fried-
land" erhoben wurden. Nach Wallenfteins Ermordung (am 25. Feber 1634)
fam dann Friedland an den Grafen Mathias Gallas, deſſen Nach—
fommen bis 1759 die Herrichaft bejaßen, worauf fie Eigenthum der
Grafen Clam-Gallas wurde, die fie noch heute inne haben.
Reich ift das alte Friedländer Schloß und deſſen Umgebung an
Sagen. Es fei uns geftattet, eine Anzahl derjelben Hier mitzutheilen.
1. Die Entkehung von Friedland.
Die Erbauung des Thurmes Indica.
Bor taufend Jahren war die weite Gegend, in der jegt Friedland
liegt, nody von dichten Wäldern bededt. Nur felten fam ein Fremder in
diefe Wildniß, in welcher reißende Thiere, wie Wölfe, Bären, Eber und
andere hauften. Gefchah es aber doch einmal, fo verivrie fi) gewöhnlich
der Wandersmann, oder er wurde eine Beute der wilden Thiere und der
umberziehenden Ritter vom Stegreif. Deshalb ließ der Befiger der Land-
——
ſchaft im Jahre 1004 mitten im Walde einen hohen Thurm zum Schutze
und Wegweiſer errichten, der den Namen Indica oder Inder (d. i.
Wegmeifer) erhielt. In demjelben wohnte ein Wächter, welcher die Fremden
bewirthete und ihnen die wünjchenswerthen Auskünfte ertheilte.
Der Urfprung des Namens „Kriedland”.
Einst geihah es, daß den Thurm Indiea ein Wächter bewuhnte, der
fieben Söhne hatte. Zur Taufe eines jeden hatte er den Grundheren zum
Bathen genommen. Diefer hatte wieder jedem Pathenfinde eine Hube
Waldland zum Gejchenfe gemacht. Als nun die Söhne erwachjen waren,
machten fie das ihnen gejchenfte Land urbar und bauten Häufer darauf.
Das waren die erjten Häufer der Stadt Friedland.
Noch hatte aber damals der Feine Ort feinen Namen. Da gejchah
e3, daß zwei von den fieben Brüdern, die lange miteinander uneinig ge:
wejen waren, fich wieder verfühnten. Aus Freude hierüber wurde die An-
fiedlung „Friedland“ genannt.
Andere erzählen, daß ſich einjt ein ſächſiſcher Prinz in diefe Wald-
einfamfeit flüchtete. Derjelbe hatte ſich nämlich mit einer Jungfrau von
bürgerlicher Abkunft vermählt und wurde deshalb von jeinem Vater ver-
folgt. Erſt nad) Fahren legte ſich des Vaters Ingrimm, und der Prinz
durfte erſt jegt wieder in jein Heimatland zurücfehen. Bor der Heimkehr
aber gab er der Eleinen Anfiedlung, in der er fich jo lange aufgehalten
hatte, zur jteten Erinnerung den Namen „Land des Friedens", woraus
jpäter „Friedland“ entjtanden ift.
Der Gefchichtsfchreiber von Friedland und Neichenberg, P. Rohn,
erzählt dagegen in feiner Chronif (auf Seite 20) Folgendes: „Den Namen
Friedland haben diefem Ort die Herren Berfen von der Eihe?)
darum beigeleget, weil ihrer Vorfahrer Berkowetz Herr zu Drzewitz die
Polen durch Kriegslift aus Prag und ganz Böhmen vertrieben und hiemit
Fried im Lande gejtiftet hat, auch darum vom Kaifer zum andern
Heren in Böhmen erfläret worden und von denen böhmifchen Herzogen
den Bunzlauer Kreis gejcheufet befommen hat. Conveniunt rebus no-
mina saepe suis.
Der Name mit der That
Oft ein Gleichnuß hat.“
1) Die Herren Berka wurden früher irrthümlich als Herren von Friedland ge—
nannt; erft Dr. Hermann Hallwich hat den Irrthum aufgeklärt.
— 0
2. Wie die Bafaltfänlen am Friedländer Schloßberge entſtanden find.
Bei dem Thurme Indica wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts
eine feſte Burg erbaut, die heute noch wohlerhalten ift. Diefelbe fteht auf
einem 55 Meter hohen Bajalthügel, der nur von der Nordjeite zugänglich),
an feiner übrigen faft runden Umgebung wegen der aufrechtitehenden Ba:
faltfäulen und jähen Abjtürze nicht zu erflimmen if. Die Säulen des
Schwarzen Gefteins haben namentlich an der Südoftfeite herrliche Formen,
und die ganze Felswand fieht einem gefurchten Felde nicht unähnlic).
Das Volk erzählt, daß einft in der Burg ein Nitter wohnte, der
ein Tiederliches Leben führte. Einmal kam ein Fremder auf die Burg
und bat um Nachtherberge. Gern wurde fie ihm gewährt, aber er mußte
dem Ritter mit Spiel die Zeit vertreiben helfen. Hiebei verlor aber der
Nitter ungeheure Summen Geldes, jo daß er darüber jchon in Zorn ge-
rieth. Grimmig lachte er zulegt auf und rief: „Ha, was liegt an diejem
Gelde! Ich bin ja doch der Burgherr von Friedland, und den Mauern
meines Schloſſes kann niemand, jelbjt der Teufel nicht, etwas anhaben!"
Der Fremde aber erwiderte: „Herr, Ihr irrt Euch! Noch in diefer
Nacht will ich in die Felswand, auf der Euere Burg fteht, mit einem
Pfluge Furchen ziehen!"
„Wenn Ihr das könnt,“ Sprach der Nitter, „jo will ich Euer
Sclove fein.“
„Euer Wort gilt," antwortete der Fremde.
Und nun entlud fich über der Burg ein furchtbares Gewitter; Blitz
folgte auf Blig, Donner auf Donner. Die Bewohner der Gegend dachten
nicht anders, als es ſei der jüngfte Tag über fie hereingebrodhen.
Der Fremde war während des Unwetters aus der Burg verjchwun-
den, den Ritter wieder hatte ein Blitz todt niedergeftredt. Die Diener aber
fahen beim Leuchten der Blige mit Entjegen, wie der Fremde mit einem
von zwei Rappen bejpannten Pfluge in die Felswand gewaltige Furchen
aderte.
Am nächſten Morgen erblidte man deutlich die Furchen in dem
Bajaltfelfen. Es war nun ohne Zweifel, daß der Fremde der Teufel
geweſen, und daß der Ritter diefem verfallen war.
3. Der Stößelfein.
Einft lebte im Schloffe zu Friedland ein Ritter, deſſen Gemahlin
finderlos war. Alltäglich Flagte fie dem Himmel unter Thränen ihr Leid.
u.
Endlich fand fie Erhörung und jchenkte ihrem Gatten ein Knäblein. Darob
herrſchte im Schlofje großer Jubel bei alt und jung, nur ein altes Weib
bezeugte feine Freude darüber.
Diefe Alte hatte der Herrin einmal gevathen, jie jolle, wenn fie der
Himmel nicht erhöre, von der Hölle Hilfe begehren. Damals hatte die
Herrin ihr aber fein Gehör gefchenft, und deshalb mied die Alte auch
fortan das Angeficht derjelben.
Eines Tages nun jchlich fie jih in einem unbewachten Augenblide
herbei, viß das Kind an fich, ftürzte mit ihm hinaus aus dem Gemache,
lief wie rajend die Treppen empor, von Gang zu Gang, bis fie endlich
zu dem Steine gelangte, den der Erbaner des Schlofjes einft von dem
Feljen mitgenommen hatte, auf dem feiner Väter Burg gejtanden, und
den er zum Gedächtniffe hier hatte einjegen laffen. An diefen Stein nun
jtieß fie in ihrem Wahnfinne des Kindleins Kopf, worauf fie jich jelbjt
vom Söller hinabjtürzte. |
Des Ritters Schmerz war groß; der Mutter reichte man ein anderes
neugeborenes Kind, und erſt als eine Neihe waderer Söhne und Töchter
jenem unglüclichen Erftlinge gefolgt waren, erzählte man ihr die Trauer-
funde, welche fie nie wieder froh werden ließ. Der Stein, an dem das
Kind getödtet wurde, befindet fich noch heute im Gange des zweiten Stod-
werfes der alten Burg und wird der „Stößelftein" genannt.
4. Das alte Städtchen Friedland.
Am nördlichen Abhange des Schloßberges entjtand ſchon im 13.
Jahrhunderte ein Städtchen, das mit hohen Ningmauern umgesen wurde,
von denen heute nur noch wenige Reſte ftehen. Wie erzählt wird, follen
die Arbeiter bei der Aufführung der Mauern ein Viertel Getreide er-
halten haben.
Das Städtchen hatte auch frühzeitig eine Kirche oder eigentlich eine
Capelle zu Ehren der heiligen Barbara. Die Sacriftei der jebigen De—
canalfirche wird vielfach für die erjte Kirche gehalten.
Unter den Bewohnern, die von allem Anbeginne her deutjch waren,
ſollen fich auch friiher viele Juden befunden haben, die einen eigenen
Tempel hatten; noch heute heißt ein -Stüd Ader im fogenannten „rothen
Grunde” beim Schügenhaufe der „Judentempel".
Zur Stadt gehörte in alter Zeit ein noch größerer Complex von
Feldern, Wiefen und Wäldern als heutzutage. So war früher aud) die
— 405 —
jogenannte „Harte”, eine Waldung unterhalb der Stadt am rechten Wit-
tigufer, Eigentum der Bürgerjchaft. Da gefchah es, daß einft ein Bilr-
germeifter einen Befiger des Scloffes, vielleicht um ſich bei ihm einzu-
jchmeicheln, zum Geburtstage auf einem Teller einen Reijigzweig zum
Geſchenke brachte und damit die „Harte an die Obrigkeit abtrat. Die
Bürgerfchaft war aber mit diefer Handlung ihres Oberhauptes nicht ein—
verjtanden. WS der Bürgermeifter vom Schloſſe in die Stadt herab-
fam, wurde er überfallen und getödtet. Zur Erinnerung wurde in der
„Harte“ ein Kreuz errichtet, das aber jet nicht mehr dort zu finden ift.
5. Bwei Gnadenorte,
Die meijten Ortjchaften der Friedländer Gegend befiten ein hohes
Alter. Faſt in allen Dörfern, wo heute Kirchen ftehen, befanden jich
ſchon im Jahre 1346 Pfarrkirchen. Die ältefte Kirche in der Gegend
foll die in Lusdorf fein. Bei der legten Renovirung derjelben joll
man an einem Bogen die Jahreszahl MCXXIV (1124) gefunden haben.
Bis zur Neformationgzeit war Lusdorf aud ein berühmter Wallfahrtsort.
Ulrich IV. von Biberftein erwirfte für die Lusdorfer Kirche einen Hundert-
tägigen Ablaß. (Brief, ddto. Rom 1488 den 15. Jänner, vom Bapjt
Sunocenz VII.) Die Urkunde wird im Pfarrarchive zu Neuftadtl, wohin
Lusdorf feit der Reformation als Filialfircbe gehört, aufbewahrt.
Ein noch heute ſtark befuchter Wallfahrtsort ift Haindorf. Wie
erzählt wird, träumte einft einem Maune, dejjen Weib jchon lange krank
war, er folle ein Muttergottesbild an eine Linde hängen und feine Frau
würde wieder gefund werden. Der Mann begab fi nach Zittau, Faufte
dort um fieben Pfennige ein Marienbild und hing es daheim an einem
ſchönen Lindenbaume auf. Richtig wurde nun auch das Franke Weib
gejund. ALS dies Wunder befannt wurde, ftrömten die Leute ſcharenweiſe
zum Gnadenbilde, und ſchon im %. 1211 follen die in der benachbarten
Lauſitz begüterten Herren von Biberftein um jene Linde eine Capelle er-
baut haben, die jpäter im Jahre 1252 wegen des großen Menjchen-
andranges erweitert wurde. Der Hochaltar der jegigen Klojterficche in
Haindorf foll genau an der Stelle der erwähnten Linde ftehen. Im
Jahre 1350 wurden die Wallfahrten nach Haindorf wegen des ungeheuren
Zulaufs Iandesfürftlich verboten. Später fam die Kirche durch auffällige
Wunderthaten abermals zu großem Anjehen. |
Zr A:
6. Raubritter im Friedländiſchen.
Bor vielen Jahrhunderten hauften der Sage nah in der Gegend
von Friedland Raubritter. Namentlich werden uns zwei Stellen als Auf-
enthaltsorte derfelben genannt. Die eine ift die fogenannte Feenzhöhle
in der Harte, die andere der Gebirgsjtein am Fuße des Hemmrich-
berges. In der Feenzhöhle wurden regelmäßig die VBerfammlungen abge
halten; von dort foll auch ein unterirdiicher Gang bis ins Rathhaus
führen. Auf dem Gebirgsfteine hatten die Raubritter einmal eine ge-
raubte Jungfrau zu ihrer Bedienung. Ale Tage mußte fie zur Stadt
gehen, um von dort die mothwendigen Lebensmittel zu holen. Einmal
verrieth fie aber bei einem folchen Gange dem Bejiter des Yriedländer
Schloſſes den Aufenthalt ihrer Peiniger. Damit er den Ort befjer fände,
jtreute fie auf dem Heimwege vom Schlojje bis zum Gebirgsjteine Bohnen.
Bald kam auch der Herr von Friedland mit feinen Mannen vor
den Berg gezogen. Sofort erriethen die Räuber, wer ihren Aufenthalt
verrathen haben fünnte, und fie wollten nun die Jungfrau tödten. Dieſe
aber entfloh ihnen und ftürzte auf der Flucht in einen Abgrund, wo fie
zerjchmettert den Geift aufgab. Der Abgrund heißt bis zum heutigen
Tage der Jungfernſprung. Der Gebirgsftein ſelbſt aber wurde
damals erorbert, und die Räuber fanden insgefammt den Tod.
Bei dem Berge befindet fich eine Höhle, worin in einer Wand eine
goldene Schüſſel, aus welcher die Raubritter gegefjen haben, und ein
Schwert liegen follen.
Wittheifungen der Gaſchäftsleitung.
Aufruf.
Der Bevölkerung Böhmens gereicht es zum unvergänglichen Ruhme
ſich aus dem wirthichaftlichen Elende nach dem dreißigjährigen Kriege zu
einer fruchtbringenden Thätigfeit aufgerafft und in der Zeit nach dem
Berlufte des induftriereichen Schlefiens im vorigen Jahrhundert Wohlitand
und ökonomische Geltung erlangt und zur Stärkung der politischen Kräfte
und des Anfehens der Monarchie vor andern Ländern der Krone beige-
tragen zu haben. Ebenſo unanfechtbar wie diefe Thatfache ift auch die
Wahrnehmung, daß es in vorderjter Linie die Deutſchen gemejen
— 407 —
find, welche bei diejer wirthichaftlichen Regeneration die Führung nahmen
und behielten.
Die Einzelheiten diefes wichtigen hiſtoriſchen Proceſſes find uns
aber noch zumeijt verjchlofjen, und doch ift es eine Sache der Ehre der
Deutjchen in Böhmen, ihre eigenfte hiſtoriſche That genauer zu jtudieren
und darzulegen. Auf Anregung eines unjerer Vereinsgenofjen, eines ge-
lehrten Hiftorikers, ergeht darum unſer Appell an unfere geehrten Mit-
glieder vornämlich in den gewerbethätigen Gegenden Böhmens, fie wollen
zu einer umfaſſenden Gejchichte der Induſtrie in Böhmen feit 1648 mit-
wirken, indem fie den in den Archiven und Regijtraturen der Gutsherrichaften,
Fabrifen und anderwärts befindlichen Quellenmaterial, d. i. gleichzeitigen
Aufzeichnungen über Gründungen induftrieller Etablifjements, über die
Perjönlichkeiten der Unternehmer, über Capital und Abſatz der Fabriken,
über Fabrifsmethoden, über die BVerhältniffe der Arbeiter und ihrer
Löhne u. ſ. w. nachforſchen und an die Leitung unferes Vereines liefern.
Die Archive und Regiftraturen der Gutsherrichaften, Fabriken u. ſ. f.
dürften noch viele ungehobene Schäge in diefer Richtung enthalten. Es
it nicht zu zweifeln, daß deren Eigenthümer dem Töblichen Beginne mit
Sympathie entgegenfommen werden ; handelt es fich doch auch darum, die
Berdienfte ihrer Vorgänger der Vergefjenheit zu entreißen. Wir wollen
unfere Aufgabe nicht bloß auf die beiden großen Zeiträume von 1648 bis
1748 und von da bis 1792 bejchränfen, es werden uns auch Daten
erwünfcht fein, die bis zur Gegenwart reichen. Sollte der Einjendung
von Originalhandfchriften, um fie hier copiren- zu lafjen, oder von Ab-
Schriften Schwierigkeiten unterliegen, fo wirde der Verein ſich auch mit
der bloßen Angabe von dem Norhandenfein quellenmäßiger Aufzeic)-
nungen über induftriegefchichtlihe Dinge begnügen und die betreffenden
Documente eventuell ſelbſt an Ort und Stelle copiren laffen. Aus diejen
Beiträgen würde in verhältnigmäßig kurzer Beit ein Archiv der deutjch-
böhmischen Induſtrie erwachfen, von dem in dieſen Blättern immer
wieder Mittheilungen gemacht werden würden, und fpäter könnte zu einer
wifjenfchaftlihen Bearbeitung der Sammlung durch geeignete Kräfte
gefchritten werden.
Prag, am 1. Mai 1887.
Der Ausſchuß.
— 48 —
An die geehrten Bereinsgenoffen.
Der Ausschuß hat den Beſchluß gefaßt, den in diejes Jahr fallenden
fünfundzwanzigjährigen Beitand unferes Vereines durd die Einberufung
einer außerordentlichen Bollverfammlung zu feiern, anf deren Tagesord-
nung die Berichterjtattung über die fünfundzwanzigjährige VBereinsthätigfeit
und die Wahl von Chrenmitgliedern gejett wurde.
Wenn der Ausſchuß dieſe Feſtfeier des Vereines in jo engen Grenzen
zu begehen gedenkt, fo ſah er ſich hiezu durd die Erwägung veranlaft,
daß die dermaligen politiihen und nationalen Verhältuiſſe und nur zur
ernten gewilienhaften nationalen Arbeit mahnen, aber keineswegs geeignet
find, eine frendige Stimmung zur Abhaltung eines prunkvollen Feſtes zu
erzeugen.
Die Feitverfammlung findet am 11. Juni d. J. Abends um 7 Uhr
im Spiegeljaale des Dentihen Hauſes ftatt, und ergeht an unjere Mit-
glieder hiemit die Einladung zu zahlreidem Beſuche.
Der Bibliothek wurden werthvolle Gejchenfe übermacht:
Bom Herrn Phil. Dr. &. Biermann, Schulrath, k. k. Gymnaſial—⸗
Profejjor in Prag und von dem Herrn Phil. Dr. Karl Schenfl, kaiſerl.
fönigl. Hofrath und Univerſitäts-Profeſſor in Wien.
Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglieder.
Geſchloſſen am 28, April 1887.
DOrdentlide Mitglieder:
Herr Feiler E., Director der Dynamitfabrif in Zamky bei Noftof.
» Goldmann Julius, Dr. Advocat in Warnsdorf.
„Rieger Yuftin, Apotheker in Warnsdorf.
DE jene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit:
theilungen durch einen Zufall nicht zugeitellt worden fein follte, werden
höflichſt erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsteitung (Aunaplatz 18S—I)
gütigft reclamiren zu wollen. ag
— — — — —
"8. rt. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbſterlag.
Literariſche Beilage
zu den Mittheilungen des Vereines
für
Geschichte ler Deutschen in Bähmen,
XXV. Jahrgang. I. 1886/87.
Anton Gindely: Waldftein während feines erſten Generalates im
Kichte der gleidyzeitigen Quellen 1625—1630. Zweiter Band. Prag
und Leipzig, Tempsfy und Freytag 1886.
Das erſte Gapitel beipricht die Kapuzinerrelationen des P. Mlerander von
Hales, eines diplomatischen Agenten, dev in Prag mit einer „Personaggio grande*
in Verbindung trat. Die Beſchuldigungen Wallenftein’3 durch diefe Perfönlichkeit hat
Schebeck ſchon abzuſchwächen verfucht, aber Gindely widerlegt dies und hält den
Fürften von Lobkowis für diefe Perfönlichkeit, Aretin und Hurter halten Slawata
dafür, und Gindely ſucht diefen allerdings ſchwierigen Punkt zu erweifen. Im zweiten
Gapitel behandelt Gindelv die Verfprechungen des Kaiſers bezüglich einer theilmeijen
Entlaffung feines Kriegsvolkes. Der Convent in Bingen bezog ſich nad der Propofition
des Mainzer Kanzlers Metternich auf Wallenftein’3 gefährliche Anjchläge, und Kur—
fürſt Marimilian zweifefte felber fchen, daß der Kaiſer des Herzogs mächtig fer. Es
wurde aber jest auf Befehl des Kaiſers mit der Entlaſſung eines Theils der Truppen
Ernſt gemacht. Das dritte Capitel: Waldftein’s Thätigfeit in Norddeutſchland während
des Jahres 1628 und das vierte Capitel: Die Lübeder Friedensverhandlungen, erflären
die Urfachen, die den Katfer zu fo großer Nadhgiebigfeit zwangen. Die Oppofition
der Pigiften, die Beſorgniß vor Schweden wendeten Wallenftein’3 ganze Aufmerkſamkeit
auf fih. Das fünfte Capitel jchildert Die fteigenden Leiden der Mark Brandenburg.
Alle Zufagen Wallenftein’3 hatten ſich al3 eitel erwiefen, In die Berabjchiedung des
faiferlichen Siriegsvolfes war im Herbſt wieder ein Stillftand eingetreten. Branden—
burg und die Liga befchwerten fich heftig; am Ligatag zu Heidelberg (jechites Capitel
1629) wurden die Friedensforderungen energiich betont und über die Gewaltthaten
des Kaiferlichen Kriegsvolkes geklagt; trotz diefer Oppofition der Katholifen gegen das
1
——
Wallenſtein'ſche Heer beutete der General die beſetzten Quartiere in gewohnter Weiſe
aus, befonders hatte Wallenftein e3 auf Magdeburg abgefehen (fiebentes Capitel),
ichloß aber doch einen Ausgleih unter Bedingungen, die für Magdeburg fehr günftig
waren, nicht ohne feine fcharfe Oppofition gegen dad vom Kaifer ertheilte und von
der Liga heiß erjehnte Reftitutionsedict zu äußern. Wallenftein billigte dasfelbe nicht
(achtes Eapitel: Wallenftein und das Weftitutionsedict); feine Stellung zu den
Protejtanten war immer freundlicher geworden. Nicht die Religion, fondern die
Befriedigung feines Chrgeized lag ihm am Herzen; died war ihm Zweck, alles
Andere nur Mittel, Capitel neun zeigt die Stellung, welche Wallenftein gleich
anfangs zu dem Mantuaniſchen Succeffiongftreit einnahm. Er weigerte fih an ben
italienischen Händeln Antheil zu nehmen, mußte aber dody ein Armeecorps dahin
abgehen laffen; er hatte ficy nicht mit Umvecht gegen die Erweiterung bes Kriegs:
fchauplates gewehrt. Der Convent der Liga in Mergentheim wollte auf die Ent:
laffung Wallenſteiu's und auf die Revifion des Medlenburger Proceffes dringen, aber
Marimilian feste alle Hoffnung auf einen Kurfürjtentag, da der Sailer an eine
Scmälerung der Machtvollkommenheit Wallenftein’s dachte (zehntes apitel: Die
Vorbereitungen zum Kurfürftentag zu Regensburg). Wallenftein ſchlug Marimilian
eine perfönliche Zufammenkunft vor, die diefer nicht annahm. Das eilfte Capitel:
Die Abjegung Waldſtein's erzählt diefen Act, der mit möglichfter Schonung geſchah.
An näheren Nachrichten über Wallenftein’s Verhalten während der Tage, die feiner
Abſetzung vorangingen, fehlt es; der Kanzler Werda und Hoffriegsrath Queftenberg
waren damit beauftragt. Wie Wallenftein die Nachricht von feiner Abjegung aufnahm,
fann man gleichfall$ nur vermuthen. Der zweite Band faßt im lesten Capitel das
Refultat der in den beiden enthaltenen Forihungen überfichtlich zufammıen. Mau muß
gejtehen, daß diejes Schlußcapitel eine gerechte Würdigung des Feldherrn ift. Sie gibt
ein Scharf umriffenes Bild und verjchweigt zu den Schattenfeiten nicht die Schlag:
lichter und die anderen Umftände, die das aus Wallenftein machten, wa3 er geworden
ift. Gindely befpricht und faßt in zwölf Punkten die unbeftreitbaren Ergebniſſe der
Forſchungen zufammen: Iruppenzahl, Charakter des Heeres, die Contributionen und
Erprefiungen der Officiere und Soldaten, die mangelhafte Disciplin, Wallenftein’s
Entlohnung und Lebensweile, feine langjame Kriegsführung und fein Verhältniß zur
Liga, jeinen dominirenden Einfluß, feine ehrgeizigen Pläne und die Verdächtigungen
des Kaiſers, Wallenftein’S ehrgeizige Pläne und feine Beſtechungen. Zulegt werden
die Bemühungen, jeinen Sturz herbeizuführen, erörtert. Man wußte in Wien nichts
Beitimmtes über die Quartiere und über die Stärfe de3 Heeres und kannte nicht
einmal die Namen aller Oberften. Gindely ſchätzt die Durchſchnittszahl des Heeres
während der Zeit von 1625—30 auf circa 80,000 Mann ohne Troß. Dieſe Armee
beitand mehr aus Proteftanten als aus Katholifen, die Mehrzahl der Regimenter
war von Proteftanten commandirt. Uebrigens war die Religion Wallenftein eine
nebenjächliche Angelegenheit, ev wollte beide Parteien für feine Zwecke ausnützen.
Wallenſtein ließ ſich Eontributionen in unglaublicdyer Menge zahlen; zahlreiche einzelne
Angaben beweijen die Wahrheit diefer Beihuldigung. Die regelrechten ausgejchriebenen
Gontributionen mögen wohl hingereicht haben, um den Officieren und Soldaten ihre
Zahlungen zu fihern, wöchentlich 200 Thaler für den Oberften und 50 Thaler für
den Hauptmann. Tilly behauptet nun, daß fih unter den Officieren fehr wenige
befanden, die jich nicht wöchentlich von den Contributionen 1000-2000 Thaler, die
Rittmeiſter aber 400, die Hauptleute 200—400 zu Nuten gemacht hätten. Die Oberften
er 2} a
forderten von den Orten, wo fie ihre Werbungen anftellten, das Vierfache von den
Koften für diejelben und für die erjte Nusrüftung, dazu erhob man die Contribution
für das ganze Regiment vom erjten Tag der Werbung an, während noch nahezu
feine Mannjchaft vorhanden war zc. ꝛc. Dieſes Benehmen der höheren Officiere übte
and) feine demoralijirende Wirkung auf die Soldaten, die zur Gewalt griffen. Selbft
den Faijerlihen Erblanden blieb die traurige Belanntihaft mit diefem Heerweſen
nicht erjpart. Gindely behauptet ferner, es jei eine landläufige Tradition, daß
Wallenftein ftrenge Disciplin verlangt habe von feinen Beamten und Dienern wohl,
für ihm ſelbſt war aber feine ftrenge Inftruction ein todter Buchftabe; er ließ
wenigſtens jpäter den Dingen ihren Lauf. Die Erprejlungen und fonjtigen Schand-
thaten ftrafte er jelten. Da er diefen Räubereien ruhig zujah, begnügte er ſich aud)
nicht mit dem Sold, fondern nahm einen Theil der Beute für jih in Auſpruch;
jein glanzvolles Auftreten Eoftete viel Geld, ein bedeutender Theil der Contributionen
fam dem Kaifer nicht zu, und Wallenftein wußte ftet3 Hinfichtlicy augeblicher Vor—
Ihüffe, an die man in Wien nicht glaubte, fic) ſchadlos zu halten. Gindely meint,
in Bezug auf Deutichland darf man Wallenftein nicht mit zu ftrengem Maßſtab
mejlen, in Böhmen aber habe er ſich durd) jeine Betrügereien an dem Kaiſer und
bezügliy des Smiricky'ſchen Vermögens ein Brandmal aufgedrüdt. Bedenkt man
nun dazu die geringen Xeiftungen mit einer jo großen und fo theuren Armee, bedenkt
man, daß er ſich nie um ein harmoniſches Einvernehmen mit Tilly bemühte, daß er
den Krieg nicht raſch zu enden juchte, daß er den Ligiften gegenüber ſich zu feinem
anftändigen Benehmen verpflichtet fühlte, daß er pflichtvergejfene und meineidige
Officiere von den Kigiften zum Schaden der eigenen Heeresdisciplin aufnahm, jo
jtehen derlei Leiftungen in feinen Verhältniß zu den aufgewandten Mitteln; er
fühlte ji eben als alleinigen Herrn; ftufenweife hatte er dieje gefährliche Höhe
erfionmen, Die nftructionen waren ficher nicht die Urfache diefer Ueberhebung.
Über in jeinem Verhältniß zum Kaifer lag der Grund, warum Wallenftein über die
Grenze, die ihm gezogen war, ſchritt. Man wußte in Wien, daß dad, was er durch
Eontributionen bejtritt, feine VBorjhüffe waren, aber man konnte ihn nicht aus feiner
Stellung entlaffen, um die Heeresmaſchine nicht in ihrem Gange zu ftören; jo fühlte
ih Wallenftein al3 Herrn des Heeres: „Das Heer gehört mir, und wie idy es allein
zuftande gebracht habe, jo will ih aud) nach meinem Belieben darüber verfügen.“
Um diejelbe Zeit (1626) überwarf ſich Wallenftein mit Collalto, der nicht ermangelte,
in Wien über ihn zu Hagen. Es fam freilich dann die Unterredung Wallenſtein's
mit Eggenberg in Brud, in Folge deren Wallenjtein’s Einfluß thatſächlich erhöht
wurde, Der Kaifer hatte fein Vertrauen zu ihm noch nicht verloren, er gab ihm
Medlenburg und erweiterte feine Vollmachten. Sogar der Kaijer wurde wegen ber
Uebergewalt Wallenftein’g verdächtigt, als wolle er die kaiſerliche Auctorität auf
eine feitere Grundlage ftellen; aber der Kaiſer dachte nicht daran, die Freiheiten
der deutſchen Fürften zu beſchränken oder die Succeflion anders als in herföümmlicher
Weile zu ordnen, was aud) die Neichsfürften wußten, die ihre Klagen nur gegen den
Feldhauptmann erhoben. Sah man anfangs in diefem uur einen Volljtreder kaiſer—
licher Verfügungen, jo beſchuldigte man ihm zulegt des Strebeus nach umfajjender
Herrſchaft. Gindely bringt eine Menge gewichtiger Ausjagen bedeutender Perſön—
lichfeiten für dieſen Verdacht bei (369 fg.) und glaubt (©. 375), Wallenftein wäre
auch gegen jeinen Willen zu diefem Ziele Hingedrängt worden, weil die Reichs—
vicare im Falle des Todes des Kaijerd fonft fein Verderben herbeigeführt hätten,
1*
pP
PR (pe
Die Gegner behaupteten, er habe durdy Beftehungen einflußreihe Perſönlichkeiten
gewonnen, die ihn hielten, und Gindely meint, daß died auf verläßlicdhen Mit:
theilungen beruhe. Endlich gelang es den Bemühungen der Ligiften, feine Abjegung
herbeizuführen. „Er fiel unbedauert von der erreichten Höhe, weil er die Stüßen
abgebrochen hatte. Die Documente, die aus dem Staub der Archive aus Tages:
licht treten, dulden Feine Slorificirung mehr; indem fie und Wallenftein in feinem
wahren Welen ericheinen laffen, fchwindet fein moraliicher Nimbus und es bleibt
nur der harte Gewaltmenſch übrig, Nie und nimmer wird man abftreiten fünnen,
daß der unfäglihe Sammer, mit dem der 30jährige Krieg Deutſchland erfüllte, zur
Hälfte jeine Schuld ſei.“ Mit diefen Worten jchließt Gindely diefe Vorgefdyichte oder
dieje vorhergehenden Acte der Kataftrophe. Als Beilage folgt die Juſtruction fir
Wallenſtein. Dr. L. Chevalier.
Dr. Hermann AJallwich: Töplitz. Cine deutſch-böhmiſche Stadtgeihichte.
Mit 24 Flluftrationen. Leipzig, Dunder md Humblot. 1886.
i „Eine deutich-böhmische Stadtgejchichte”, Jo begiunt Hallwich in ver Vorrede
fein glänzend geſchriebenes und gründlich gearbeitetes Buch, „gibt ſich von vornherein
al3 mehr oder minder bejcheidener Beitrag zur Geſchichte deutjcher Cultur.“ Diejen
Standpunkt hält auch dag ganze Buch feft, mag es die jchweren Kämpfe der Bürger
in der Vergangenheit oder die ruhigen Tage der Badeſtadt darftellen. Die Geſchichte
der Stadt, jo reidy aud) die Literatur hierüber ift, mınBte ganz von Neuem gejchrieben
werben, jagt der Verf., ja jo zu fagen ihr Fundament erft wieder ausgegraben werden.
Daß von einem jo gründlichen und umfichtigen Forſcher wie Hallwich nichts ver:
abjäunt wurde, um bis ins Heinfte Detail mit Sorgfalt und Schärfe jede Quelle auf:
zudeden, da3 braucht wohl an dieſem Plage nicht erwähnt zu werden. „Inland und
Ausland boten die Baufteine, die ich nach beftem Willen und Gewiſſen zu einem
Ganzen gefügt.“ Der warme Ton der Darjtellung, die liebevolle Vertiefung des
heimatsfrohen Mannes in die Vergangenheit der Vaterftadt, der Fräftige und energijche
Pulsſchlag, der Leben in das feinfte Geäder fonft nicht beachteter communaler Ereig-
niffe treibt, machen das Buch ſelbſt für jene zu einer nicht bloß lehrreichen, ſondern
auch künſtleriſch aumuthenden Lectüre, welche den böhmiſchen Berhältniffen ferne
ftehen und das Buch wie ein beliebig anderes in die Hand nehmen, um fich zu
unterhalten. Die dramatifche Ader der ganzen Darftellung, die Kraft der Schilderung,
die das eigene volle Intereſſe auch in dem fer zu erweden weiß, hat Hallwich
längit in feinen Schriften befuudet. Man kaun wicht anftehen, dieles ſchöne Bud)
als eine Mkeifterleiftung zu bezeichnen. So reibt fih in der langen Kette von
trefflichen Arbeiten die der Verein und die Bereinsgründer, zu denen Dr. Hallwid)
gehört, herausgegeben, Glied an Glied; nad) einem einviertelhundertjährigen emfigen
Schaffen ericheint das Bud; gerade zur rechten Zeit, um zu zeigen, daß die jugend-
lichen Mänuer, die voll Begeifterung den Verein geihaffen, and) im Stande waren,
ihn zu halten, Solche Leitungen fpredyen lauter als jede andere Stimme. In
Hallwich's Bud fehlt nicht dag con amore. „Es ift leider in der Geſchichts-
jchreibung Sitte geworden, Alled emendate, dilueide, apte, aber nur nicht ornate
darzuftellen, Hier ift ein Buch nicht bloß für Gelehrte, Amandae sunt artes, revo-
a rc
renda est historia“ jagt ein trefflicher Gejchichtsichreiber der nenen Zeit. Die Bürger
der Tieblichen Stadt mögen ſich des ſchönen Gefchenkes ihres dankbaren Sohnes
freuen, Die Arbeit zerfällt in 5 Bücher, Das erfte Buch: Deutihe Anfänge gliedert
fih in 3 Gapitel, die Entitchungsgefchichte (500 v. Ch. — 1250), das deutfche Stadt:
wejen 1250—1398, und die Entwidelung und Zerftörung von 1398—1426; ebenfo
klar find die übrigen 4 Bücher in je 3 Capitel getheift, jo daß die Arbeit auch Außer:
lich fein gegliedert und überfichtlich gehalten ift. Wir können in diefer Anzeige nicht
auf die älteſten Beiten eingehen, jo intereffant auch Hallwich die Bojer- und Marko:
manmenzeit, die antifen Broncefunde nnd alten Steinwälle uns vorzuführen weiß.
Die ftreug urkundliche Geſchichte des Bielathales begimmt mit dem 10, Jahrhundert.
Die Stiftung des Benedictinerinnensstlofters in Töplitz durch Judith war von großer
Bedentung. König Wladillam, ihr Gemahl, hatte auch die Johanniter gerufen. Ju
den Stürmen, welde das böhmifche Königthum erichütterten, wuchs die Macht ver
Gaftellane von Bilin, ihre Herrſchaft erjtredte fih weit ins Bielathal, ihr Amt ver:
erbte ſich auf die Hrabeſchitze; Borjo von Rieſenburg ſtammte aus diefem Haufe. Für
Böhmen Fam bald die Epoche deuticher Burgbauten; das erite Werk folder Art im
ZTöpliger Thal war die Riefenburg. Borſo von Niefenburg ftand im Aufftande des
Brinzen DOttofar von 1248 wader au der Seite Wenzel’3 I. und ſchlug den Prinzen
bei Brür; Ottofar I. hatte ſchon das deutjche Bürgerthum herangezogen. Die Ana:
logie aller Umftände zwingt zu der Annahme, daß Töpli wie Auſſig, Brür und
Bilin noch vor dem Ausgang Ottokar's II. zur Stadt erhoben wurde. Auch König
Johann von Luremburg fürderte das Deutjchthum, fo wie Karl IV., unter dem uns
das Bild der deutichen Stadt Töplis fchon deutlicher entgegentritt. Auch die Herren
von Rieſenburg waren große Wohlthäter für Töplis, verarmten aber und verkauften
1398 ihren Beſitz. An ihre Stelle trat der Markgraf von Meißen. „Die Befeftigung
der meißniſchen Macht in Böhmen war für die nationale Entwidlung des Biela-
thales ein ansichlaggebendes Moment.” Hallwich führt dies ausführlid von S. 46
au durch. Der Hufitismus fand einen ftarten Gegner an dem Orden der deutichen
Ritter und an dem Markgrafen von Meißen, doch entging Töplis feinem Schidjale
nicht. Die Werfe von Jahrhunderten deutjcher Arbeit wurden vernichtet. Das
zweite Buch: „Tſchechiſche Herrſchaft“ enthält die drei Capitel: Die Hufitenzeit (1426
bis 1459), „Um Sprache und Freiheit” (1459—1480) und „Zur Unterthänigkeit“ (1480
bis 1543). Die bleibenden Folgen des Hufitenkrieges zeigten ſich. Jakaubek der Mähre
und Siegmund von Wartenberg ftritten fi um herrenlos gewordenes Gut, und Ja—
faubef war hierbei vom Glück begünftigt. Diefer Glüdäritter baute fid) in Töplitz
fein warmes Neft, die neuen flavifchen Anfiedler waren hörig. Georg von Podiebrad
brach die meißniſche Macht in Böhmen, Töplis bekam Georg’3 zweite Gemahlin
Johanna von Rojmital; Jakaubek fcheint anderweitig entſchädigt worden zu fein,
Königin Johanna that viel für die Stadt; 1467 ertheilte fie ihr ein neues Privi-
legium, aber die eben regierende Königin erklärte Stadt und Herrſchaft als per:
lönliches Eigenthum für fih und ihre künftigen Erben, Als Töplig an eine neue
Grundobrigfeit kam, die Herren von Vitthum, hatte e8 von denfelben nicht viel zu
erwarten. Ans dem Beſitz Albrecht3 von Kolowrat fam Töplitz in den Beſitz der
Anna von Kowan. Unter der Herrichaft Wolf von Wieſowitz fiel die alte Kloſter—
und Leibgedingftadt Töplis, die von Kronlehen zu einer Herrenftadt geſunken war,
bis zur eibeigenfchaft herab. Wolf verlangte „Ichuldige Uuterthänigkeit.“ Ein treuer
Anhänger Ferdinands im Aufftand des böhmischen Adels 1547 wurde er von ihm
—
Be
mit Gnaden überhäuft; je höher ihr Befiger ftieg, bdefto mehr gewann die Gurftadt.
Der Gebrauch naturwarmer Qnellen zu Heilzweden fam erft mit Beginn des 16.
Fahrhunderts in Schwung, und Töplis öffnete fi dem großen Fremdenverkehr.
Wolf hatte durch mehr als 25 Jahre die Stadt mit großer Vorliebe bedacht uud
ihr wachlender Wohlftand war unter feiner Verwaltung nicht zu verfennen. Bern—
hard von Wiefowig, fein Bruder, ftarb bald, und eine Erbin vermählte fih mit Caſpar
von Schönberg, der aber nachher dur Streitigkeiten mit den anderen Erben in
die Klemme kam und — Goldmacher wurde. Die Herrihaft fam an feine Brüder,
aber auch diefe Fonnten fie nicht behalten: der Käufer war Radiſlaw der Aeltere
Wchinſky von Wchinitz. Das vierte Buch bringt den Streit um dad Bräuredt.
Radiſlaw war ein Mann von erbarmungslofer Herrſchſucht und Eigennüsigfeit. Sein
erfter Angriff war auf dasfelbe Streitobject gerichtet, um welches der große böhmifch:
Ständeftreit zu Anfang des Jahrhundert3 vornehmlich geführt wurde, das Brau= und
Malzrecht. Diefe Epifode ift ein Glanzpunkt des Buches. Hallwich weiß fie in allen
ihren Wendungen und Wandlungen jo vor das geiftige Auge zu führen, daß unjere
Spannung wie bei einer hiftorifhen Novelle wählt. Die gewaltthätige Schlaubeit
des Tyrannen und die Gemeinheit feiner Werkzenge, dad wadere und tapfere Bür—
gerthum eined Martin Herfloß, das fruchtlos, aber unermüdlich für das alte, gute
Recht eintritt, der ganze Uebermuth und die Anmaßung der böhmiſchen Stände ift
typiſch und doc fo imdividnell gezeichnet, daß einer künſtleriſchen Geftaltung hier
prächtig vorgearbeitet ift. Wie jchön find die Worte, die er dent Andenken des Martin
Herklotz nahruft: „Die äußeren Erfolge follen und dürfen nicht entjcheiden. Der
Prüfftein wahren Verdienftes um die engere und weitere Heimat fei für und jederzeit
die rechte, werkthätige, felbftlofe Liebe zur Heimat. Sie finde, ob noch fo fpät, auf-
richtige, dankbare Würdigung und Anerkennung.” Wohl fein anderer Grundherr von
Töplitz hat dort einen fo traurigen Nachruhm hinterlaffen wie Radiflaw ; er, „der
Reiche“, ftürzte die Stadt in Armuth und Knechtſchaft, aus der fich emporzuarbeiten
eine mehrhundertjährige Anftrengung kaum genügte. Trotz der Nationalitätengejege
von 1413 und 1615 hatte zur Zeit des dreißigiährigen Krieges die Stadt dennoch
einen deutſchen Charakter. Wilhelm, der Neffe Radiſlaw's des Nelteren, der ſich zuerft
Kinsky nannte, der Herr von Töplit war Proteftant, aber er wurde bei der Güter:
confiscation gefchont; freilich kam auch für Töplis die Zeit der Gegenreformation, im
Krieg felbft taufchte die Stadt ſächſiſche mit Faiferlicher Einquartierung. Wilhelm
Kinsky ift jene Perfünlichkeit, die in Dresden gegen den Kaifer arbeitete und Wallen-
ftein zur That drängte, er fiel auch auf der Burg zu Eger. Der Belis von Töplig
kam an das Haus Aldringen; Anna von Aldringen vermählte fi mit Hieronymus
von Clary, ihr Sohn Marcus war der Erbe des ganzen Aldringiſchen Beſitzthums.
Der Verweſer Marimin Freiherr von Mdringen that viel für die ganz herunter:
gekommene Stadt; umfonft verlangte die Stadt vom Grafen Johann Georg Markus
ihre alten verbrieften Rechte. Mit dem Tode des Grafen 1700 endet eigentlich Hall-
wich's Buch in feinen Detailangaben. „Ein Beitrag zur Geſchichte deutichen Städte:
weſens wollte geliefert werden, ein Stüd deutſcher Culturgefchichte. Yon Anfang an
haben wir Schritt für Schritt gewiffenhaft die Phafen verfolgt, denen das Deutſch—
thum einer Gemeinde Böhmens unterworfen war, bi3 zu dem Zeitpunkte in welchem
dasjelbe unbeftritten die Alleinherrſchaft in ihr zurüderlangt hatte.” Dieſes Programın
bat Hallwich ftreng erfüllt. Das Buch ift in diefer Hinficht ein Stüd hochintereffanter
Geſchichte der Deutihen in Böhmen, und gerade in einer Stadt, die noch andere
——
Beziehungen aufzuweiſen hat als bloß den Kampf um ein paar Privilegien ꝛc.
Dankbar gedenkt der Verf. noch der Thätigkeit Franz Karl Grafen von Clary und
Aldringen und erwähnt auch die neueren wichtigen Ereigniffe, die Töplis im Guten
und Schlimmen betroffen haben, Eindringlich mahnt er: „nicht zur Curftadt allein
— zur Stadt der Gewerbe in des Wortes höchſter und befter Bedeutung hat die
Natur in gleicher Weile Töplig mit überreicher Hand vorherbeftimmt. Es ift nicht
wahr, daß curftädtiiche und jpecifiih induftrielle Intereſſen fih mit einander nicht
vertragen,“ Der Berfafler weiß übrigens jehr wohl, daß die örtlichen Beziehungen
nicht genügen. „Immer nnd immer wird das Geſchick auch der einzelnen Heinen
Gemeinde — das ift die große Lehre der Gefchichte im Kleinen — in letter Linie von
den allgemeinen öffentlichen Angelegenheiten beherrfcht und beftimmt werden.” In diefer
Hinficht mahnt der Be f. zur Ausdauer und Treue. — Ueber die fprachliche Ableitung
von Töplig wollen wir mit dem Verf, nicht rechten; fie fordert gewichtiges Bedenken
heraus und greift wieder zu Eeltifhen Wurzeln als alten Nothbehelf. Das Bud) ift
vortrefflich ausgeftattet, die 24 Illuſtrationen find hier nicht eine bloße Beigabe, fondern
fie haben Anfprucd auf jelbftändigen künftlerifhen Werth. Das prächtige Titelbild bietet
einen lieblichen Blid auf die ſchöne Stadt. Ein mufterhaft gearbeitetes Namen- und
Sah-Regifter erleichtert den Gebrauch de3 Buches, das ja ebenſo ein lehrreiches
Unterhaltungsbuch wie ein gründlich gearbeitetes hiftorisches Werk ift. Erwig.
Dr. Herman Haupt: Der waldenfifhe Urjprung des Codex Teplen-
sis und der vorlutheriſchen deutſchen Bibeldrude gegen die Angriffe von
Dr. Franz Joſtes vertheidigt, Würzburg, V. J. Stahel. 1886.
Gegen die erfte von uns feinerzeit in diefen Blättern beſprochene Schrift
9. Hanpt’3, worin er den waldenfifchen Urfprung des Codex Teplensis nachzumweijen
fuchte, ift unterdeffen neben vielen zuftimmenden Kritifen auch ein Angriff verfucht
worben, der die vorlutherifchen Bibelüberfegungen als Fatholifche darzuftellen ſuchte.
Es geichah die von Dr. Franz Joſtes in der Schrift: Die Waldenfer und die vor—
lutheriſche deutſche Bibelüberfegung, Münfter 1885. Die Ausfälle gegen Haupt find
ſehr heftig, der Ton, in dem die Polemik geführt wird, ein erbitterter, Um fo
anerfennenswerther ift die vornehme Ruhe, mit welcher Haupt im vorliegenden
Schriften feine Meinung vertheidigt. Darnach ericheinen alle Einwände, die Foftes
gemacht Hat, ungerechtfertigt, alle feine Aufftellungen unhaltbar. Joſtes hatte. an
einigen lateinifchen Beigaben des Codex Teplensis Anftoß genommen, Hanpt weift
an Thatfachen nach, daß viele Waldenjer lateinifch verftanden. Die Verfuche, die
„7 Stüde de3 heiligen Glaubens” und die „7 Heiligkeiten“ als unwaldenſiſch und
übereinftimmend mit den Lehren der Fatholifchen Kirche darzuftellen, find mißlungen,
ebenfo ift abgewiefen der Verſuch, die confequente Ueberfeßung von filius hominis mit
sun der maid als unauffällig, weil allgemein üblih, darzuftellen. Die Arbeit war
für Haupt nicht leicht, und wieder müffen wir zugeftehen, daß das fette enticheidende
Wort in der Sache noch nicht geiprodhen ift. Haupt hat neuerdings den Dubliner
Codex herangezogen, hat fich in Verbindung geſetzt mit verfchtedenen gelehrten Bibel-
forſchern, hat felbt eine ganze Maffe von Handfhriften durchgejehen; aber gegenüber
der Fülle noch unedirten und unerforichten Materials auf diefem Gebiete bedürfen
feine Refultate immerhin weiterer Beftätigung, und mande Modificationen dürften
er
jeine Behauptungen noh erfahren. Die Hauptſache aber, der waldenfische Uriprung
des Codex Teplensis, und damit der gedrudten vorlutheriſchen deutſchen Bibelüber-
ſetzung, Scheint jest jchon zweifellos fiher, — Im Auhange hat Haupt „Actenſtücke
ans dem Inquiſitionsarchive des Cöleftiners Petrus, Geiftliche des Bisthums Paſſau
betreffend“ abgedrudt, dann auch „Proben ungedrudter deuticher Bibelüberſetzungen“
aus 16 Münchner und einer Mainzer Handichrift. T. R.
Die böhm. Landtagsverhandlungen und Landtagsbeſchlüſſe vom J. 1526
an bis auf die Neuzeit. Prag 1886.
Von den vom königl. Landesarchive herausgegebenen Laudtagsverhandlungen
liegt uns der IV. Band vor, der blos die Verhandlungen dreier Landtage in den
Fahren 1574—1576 umfaßt und mir Maximilian's II. Regierung ſchließt. Die Leſer
der „Mittheilungen“ dürften fich vielleicht erinnern, daß wir eine eingehendere Anzeige
über den Inhalt des III. Bandes ungern vermißten; wir werdet auf eine ſolche noch
ferner vertröftet, fie Joll erit mit dem Jahr erfolgen, in dem die alte Berfaffung des
Landes ihre Giftigfeit verloren hat. Wir nehmen e3 mit Dank an, daß mit dem vor—
liegenden Bande von dem Herausgeber ein Bericht über den Inhalt einer jeden Land:
tagsverhandlung erftattet wird. Weit wichtiger als die Verhandlungen der Landtage
von 1574 uud 1576, die fich hauptſächlich auf das Feilichen über das Mehr oder
Meniger der Steuern beſchränken, find die des Landtages von 1575, der den 21. Febr.
berufen und mit zweimaliger Vertagung den 27. Sept geicjloffen wurde. Auf dem:
jelben handelte es ſich wornämlich um religiöfe Angelegenheiten, die das Land tief
aufwühlten, daher denn auch die Verhandlungen ihrer Wichtigkeit willen vollinhaltlich
veröffentlicht werden. Die Herausgeber (Prof. Gindely nnd die Beamten de3 Lanz
desarchivs) theilen nicht blos die amtlichen Korrefpondenzen, die Föniglichen Propo—
fitionen und die Landtagsbefhlüffe mit, jondern auch dad Diarium de3 Altſtädter
Kunzlers Sirt von Dtterödorf und die Aufzeichnungen der böhmischen Brüder über
die Verhandlungen auf den Landtage, ſowie zahfreihe Schriften, welche die Brüder
unter einander wechſelten. —n.
Tome w. W.: Deéejepis mösta Prahy. Dil. VII. (Novoceskà biblio-
theka &. XVIIL) v Praze 1886.
Mit der bedingten Unterwerfung der Stadt Breslau (am 13. Jänner 1460)
ichloß der 6. Band; der 7, erzählt die weiteren Begebenheiten bis zum Jahre 1478,
und zwar in 5 Eapiteln, wovon einige wieder in je zwei Unterabtheifungen zerfallen,
Eine kurze Weberficht der Hanptmomente, foweit fie diefe Einthetlung bedingten, wird
die Gliederung Har machen. — Nachdem K. Georg in den böhmiſchen Ländern all:
gemein anerkaunt ift, betreibt ev eifrig feine Wahl zum deutjchen Könige. Doc der
Plan jcheitert am Widerftande der Hobenzollern, hat aber audy eine große Aufregung
unter den Utraquiſten zur Folge, was den König zwingt, fich öffentlich für die Auf:
rechterhaltung der Compactaten zu erklären. Die Eurie weiß er lange hinzuhalten,
endlich aber drängt diefelbe immer mehr, und er muß ſich (14. Jän. 1462) ſchließlich
zur Abſendung einer Gefandtichaft nah Rom entſchließen (Cap. 7, a). — Der Erfolg
— —
iſt die Aufhebung der Compactaten; aber Rückſichten auf die Lage des Kaiſers u. a.
halten zunächſt Binz II. vor ftrengeren Maßregeln zurüd, und nachdem er ſich zulett
dennoch dazu eutſchloſſen bat, ftirbt ev amt 15. Auguft 1564, bevor die Gitationsbulle
veröffentlicht it (7, b). — Auch der Nachfolger Paul II. zögert noch; erjt nachdem
Georg feine Fürſprache für den Landſchädiger Hinko von Vöttau zurücgewiejen,
erfolgt am 28. Juni 1465 die neuerliche Citation. Jetzt verbinden ſich die Fatholifchen
Herrn zu Grünberg; 1466 wird zwar noch mehrfad) unterhandelt, Eude dieſes Jahres
aber wird Georg gebannt, und mit feiner Berufung dagegen am 14. April 1467 hat
der Kampf begommen. (8.) — Durch das ganze Jahr 1467 dauert der Krieg mit dem
Herrenbunde, troß mancher Vermittlungsverfuche; erſt am 28, Jänner 1468 kommt
es zu einem Waffenftillftande. (9.) — Nach mehrfachen vergeblichen Bemühungen bei
andern Fürften gewinnt die Curie jest den K. Matthias zum Kampfe gegen Georg,
den derjelbe gegen Ende März beginnt, Anfangs mit entichiedenem Glück; doch
Ichlägt diejes im Spätherbfte um, und im Feber 1469 ficht ſich Matthiad in jo ge:
fährlicher Lage, daß er einen Waffenftillftand fchließen muß und aud Friedensver-
handlungen in Olmütz pflegt (10, a). — Gleichzeitig nimmt er aber die Wahl zum
Könige von Böhmen an; enttäufcht feßt Georg den Krieg fort, und der Erfolg ift
entichieden auf feiner Seite. Er fihert fi die Freundicdaft des Polenkönigs durd)
die Wahl des Prinzen Wladijlam zum Thronerben in Böhnten; die deutichen Fürften
ſprechen fih in Villach zu feinen Gunften aus, felbit der Papft zeigt ſich zu Unter:
haudlungen geneigt, da ändert Georg3 Tod am 22. März 1471 die Lage (10, b). —
Nah der Wahl Wladiflams dauert zwar ber immere Krieg noch einige Zeit fort,
endlich aber einigen die Parteien über die Herftellung der Ruhe. Nur mit Matthias
wird erfolglos verhandelt, der Krieg bricht neuerdings aus, Polen und Böhmen ftehen
den Ungarn bei Breslan gegenüber, da kommt es hier am 28, Nov, 1474 zu einem
Waffenftillftande auf 2", Jahre (11, a.) — Die Stände Böhmen! nnd Mährens
find fortdauernd bemüht, den Frieden im Lande herzuftellen,. Matthias aber macht
nad) feinem Siege über den Kaiſer neue Verfuche, die Fatholiihen Herren Böhmens
zum Kampfe gegen Wladiſlaw zu bewegen; allein vergeblih. Da entichließt aud) er
ſich endlich zum Frieden, der am 7. Dec. 1478 zu Olmütz verkündigt wird, (11, b.)
Im vorliegenden wie im vorausgehenden Bande nimmt natürlich die Perſön—
lichfeit Georgs v. Podebrad das Hanptintereffe in Anſpruch, und es find mehr als
zwei Drittheile de3 Raumes feiner Gefchichte gewidmet. — Seit Palackh 1860 in
jeiner Gejchichte Böhmens (Band IV, 2) zuerft auf urfundlicher Grundlage ein Bild
diefes Mannes vom tichehifchen Standpunkte entworfen, hat ſich aud) die Forſchung
anf deutjcher Seite diefer Zeit eifrig zugewendet. Bereit3 1861 erſchien Jordaus
Bud) über Georg, das freilich vielfady die nöthige Gründlichkeit vermiffen läßt. Dann
behandelte Voigt die Beziehungen zu Pius I. im 3, Bande der Gefchichte dieſes
Papſtes (1863), Im J. 1865 erichien die Geſchichte des Herzogs Ludwig des Reichen
von Baiern, de3 Bundesgenoffen Georg's, von Kluckhohn. Das Verhältniß zu ben
Hohenzollern fand eine Darftellung in Droyſens Gejchichte der preußifchen Politif
(IL, 1.— 1868). Eine Reihe von Aufſätzen bat weiter der Schlefier Markgraf diefem
Könige gewidmet, der zugleich durch die Herauszabe des lateinischen Ejchenloer und
der politiichen Corveipondenz Breslaus die Forihung bedeutend förderte. Endlich hat
noch Erniſch über die ſächſiſch-böhmiſchen Beziehungen 1464-71 gehandelt (1880—1).
Schon vorher hatte ſich Prof. Bachmann diefer Zeit fpeciell zugewendet; uoch in den
fiebziger Jahren erichienen von ihm 2 Arbeiten über die 3 erjten Regierungsjahre
— Si Se
Georg’3; unlängft hat er den 1. Band feiner Reichsgeichichte folgen laffen, der won
1460 bis 1468 reiht. Er hat auch zu den „Urkundlichen Beiträgen“, die Palady
zugleih mit den betreffenden Bande feiner Geſchichte erjcheinen ließ, manderlei
Nachträge and verichiedenen Archiven geliefert. — Damit find nur die Hauptwerfe
der einjchlägigen Literatur erwähnt. Unftreitig wird man alſo begierig fein, nach
diefen Arbeiten wieder eine eingehende Darftellung von tichechiicher Seite zu erhalten,
wenn e3 auch anderweitig befannt ift, daß Tomek in feiner Auffaffung der Politik
Georgs noch heute im ganzen anf dem Standpunkte Palackh's fteht. Er lehnt es
freilich ab, die entgegengefegten Anfichten zu widerlegen, da dies nicht in den Rahmen
feines Buches pafle, fondern eine befondere Behandlung erfordern würde, Dod hat
er es für nothwendig gehalten, in einer Vorrede feine Auffaſſung durch einige allge=
meine Ausführungen zu begründen. Ich darf wohl kurz den Gedankengang wieder
geben. Nachdem Tomek zuerft die Gründe hervorgehoben, warum er den Gtreit
zwiſchen den Utraquiften einerjeits, den Katholiken und dem Papfte anderjeits, wie
auch die innern und äußern Kriege fo eingehend behandelt, mweift er auf die Bear—
beitungen feit Balady hin. Wie einft Dümmler, Büdinger und Lorenz gegen Pa-
lady’3 Darftellung der älteren Geſchichte aufgetreten wären, fo hätten ſich auch hier
Gegner unter den deutſchen Schriftftellern erhoben, die KR. Georg feinen Ruhm und
feine Verdienfte rauben wollten. Der Grund fei zum Theil nationale Mißguuſt.
Man fei mit feinem Verhalten in den Angelegenheiten des deutſchen Reiches nicht
zufrieden und werfe ihm Herrſchſucht, Eigennuß und Arglift vor. Andere fänden in
feinem Borgehen in Böhmen nicht? als Ehrgeiz, „und da ift ihnen die Frage, ob
K. Georg durdy den Eid vor feiner Krönung dem Papſte die Ausrottung des Utra=
quismus gelobte und ob er durch die Nichterfüllung dieſes Verfprechens eidbrüdig
wurde, ein wahrer Rederbiffen”, fügt er Hinzu. — Bei Georg’3 Verhalten in ben
Sachen des Reiches müſſe man bedenken, einerfeit3 daß es ihm in erfter Linie auf
das Wohl feined Landes ankam, anderſeits daß er fih nach den Perfonen richten
mußte, mit denen er e3 zu thun hatte, nach den Kaifer und den Neichsfürften, bei
denen Eigennuß im Mebermaß vorhanden war, Seine guten Abfichten für das Wohl
Deutſchlands feien aus denfelben Gründen vereitelt worden, wie jene Karl3 IV. und
Wenzeld. Tomek ift überzeugt, das Urtheil über Georg werbe fich deutſcherſeits
Schließlich ebenfo ändern wie das über Karl IV., den man des Reiches Stiefvater
genannt habe, — Wer einem folhen Manne Ehrfucht vorwerfen wolle, müſſe etwas
aus feinem Leben anführen, was fi nur aus diefem Beweggrunde erklären laſſe.
Man weiſe dafür auf fein Streben nad der Krone hin; niemand aber könne jagen,
was damal3 für Böhmen gedeihlicher gemwefen wäre als Georg Wahl. Daß ihm
das Wohl feines Landes höher ftand als feine Herrfchaft, habe er gezeigt, ald er auf
die Nachfolge feines Sohnes verzichtete, um fi) einen mächtigen Bundesgenoflen zu
fihern. — Tomef gibt zu, e3 würde Georg nicht allzufchwer gefallen fein, ſich vom
Kelche Toszufagen, wenn das zum Beften feines Volkes gewefen wäre, Bei den far:
tiſchen Verhältniffen jedoch habe er nie ernftlih daran denfen fünnen; die Folge
wäre gewejen ein mörberifcher Kampf mit dem Kern feines Volkes und all die
Trübſal, die faum durch feine Bemühungen überwunden war. Er hätte fi dadurd
der Stüße feiner Herrfchaft beraubt, denn der Gegenpartei hätte er niemal3 ganz
vertrauen können. Auch meint der Verf., nicht fo jehr gegen die Communion unter
beiden Geftalten fei der Kampf der Curie gerichtet geweſen, ald gegen die übrigen
3 Artikel, welche fi auf Reformen im kirchlichen Leben bezogen; die Losſage vom
1
Kelch hätte alfo den König keineswegs von allen Schwierigkeiten befreit. Und zum
Schluß: Der Papft hätte damals den Böhmen den Kelch bewilligen follen, wie
jpäter Pius IV. und das Zridentiner Goncil gethan; ohne Kampf hätte man fich
dann über den Sinn der anderen 3 Artikel geeinigt, der fo anerfaunte Utraquismus
wäre fpäter nicht jo leicht dem Andrange der Intherifchen Refornt erlegen, der fürchter-
lihe Umfturz von 1620 wäre dem Lande erfpart worden. —
An diefen Ausführungen oder an Einzelheiten des Werkes Kritik zu üben ift
nicht meine Aufgabe. Dagegen wird man e3 der Wichtigkeit der Sache angemeffen
finden, daß diefe Anzeige etwas länger ausgefallen ift. W. Hieke.
Bon den Böhmer'ſchen Regeften liegen uns vor:
a) Die Negeiten des Kaiſerreiches (Regesta imperii) unter den Ka:
rolingern, neu bearbeitet von Engelbert Mühlbader, 1. Bd.
4, Liefr. (Innsbruck 1886); fie umfaffen die Zeit vom 12. Febr. 859
bis 12. Juni 885, und
b) Die Regeſten zur Geſchichte der Mainzer Erzbifhöfe (Regesta
archiepiscoporum Moguntinensium), mit Benügung des Nachlaſſes von
J. F. Böhmer bearbeitet und herausgegeben von Corn. Will, 2. Bd.
3. Lieferung (Jnnsbruck 1886), die vom 15. Mai 1253 bis zum
17. März 1288 veichen.
Wir begnügen uns mit der einfachen Anzeige der beiden Lieferungen, da über
den hochbedeutenden Werth der Regeftenwerfe Böhmer's die Männer vom Fade —
und für fie allein haben fie Intereffe — eines Sinnes find, ihnen ift es ja auch
bekannt, daß die Negeften durch die Neubearbeitungen an Umfang und Gehalt ge:
wonnen haben. —n.
Jul. weizſaͤcker: Deutſche Reichsacten unter König Ruprecht. 2. Abth.
1401—1405. Gotha, Perthes 1885. ©. IV und 854.
Wir haben fchon bei Beiprehung des im J. 1882 erfchienenen IV. Bandes
bingewiejen, wie wichtig die Neihsacten unter Ruprecht auch für die Gejchichte
Böhmens find; dasfelbe gilt aud) von dem V. Bande, der in verhältnißmäßig Furzer
Zeit feinem Vorgänger folgte. Er bringt die Acten zu den Tagen zu Augsburg und
die Vorbereitungen der italienischen Unternehmung im Sept. 1401, zu dem kgl. Eur:
fürftentag, mit Städten, zu Mainz im Juni 1402, zu dem fgl, Fürften- und Stände:
tage zu Nürnberg im Aug. und Sept, 1402, zu dem gl, Curfürftentag zu Boppard
im März 1404, fodann Ruprecht's Landfriedensthätigkeit in Franken und dev Wetterau
1403—1408, endlich die Reichstage zu Mainz im Dec, 1404 und im Dct. 1405. —
Die auf die Luremburger in Böhmen ſich beziehenden oder von ihnen ausgejtellten
Acten, die von dem Herausgeber im vorliegenden Bande aufgenommen wurden, find
theilweije in Palacky's Formelbüchern und anderwärts abgedrudt, fie gelangen aber
hier zu ihrer richtigen Beleuchtung. —ın.
—
Michael Ruftler: Das jogenannte Chroniecon universitatis Pra-
gensis. Mit eimem Vorwort von Dr. Adolf Bachmann, ord. dff-
Profeſſor an der deutjchen Univerfität in Brag. Leipzig, Veit und
Comp. 1886.
Profeffor Bachmann hat in feiner dentichen Reichsgefchichte daranf aufmerkſam
gemacht, daß die bedeutendften Quellen aus der öſterreichiſchen Gefchichte des mittleren
und ausgehenden 15. Jahrhunderts nur in durchaus unzulänglicher Form zu Gebote
ftehen; in der Vorrede zu diefer Schrift dehnt er diefe Bemerkung audy auf das
vorangebende Kahrhundert, namentlich auf die Sefchichtichreiber der huſitiſchen Be—
wegung aus. Die vorliegende Arbeit über das Chronicon universitatis Prageusis
ift ans feinem Seminar hervorgegangen, Nuftler befpricht in Nr. 1 zuerft die hand:
Schriftliche Vorlage; der Coder der kaiſerl. königl. Hofbibliothef in Wien enthält das
Chronicon u. P., die Handichrift ift in den Fontes abgedrudt bis zum Jahre 1420.
(Eonft. Höfler, Gefchichtsfchreiber der Hufitifchen Bewegung in Böhmen.) Höfler ift
Werth und Bedeutung des Chronicon universitatis nicht entgangen, während Pa—
lady davon wegwerfend fpricht (Würdigung 2c.); im neueſter Zeit hat Goll dieſes
Thema in verdienftliher Weife behandelt, ohne allerdings gauz zu einem Abſchluß
zu kommen, Wuftler behauptet, daß eine eingehende Prüfung des Chronicon eine
ganze Neihe pofitiver Ergebuiffe liefert. Die Meldungen von 1348 bis 1413 be-
ziehen fi) mehr oder weniger auf die Umiverfität, das folgende ift nach Brezowa's
Memoirenwerk gearbeitet. Nr. 2 geht auf Inhalt, Quellen und Berfaffer der
Prager Univerfität3:Chronit genauer ein und behandelt zuerft die annaliſtiſchen
Notizen; hier untericheidet Auftler farblofe Nachrichten und ſolche, die entſchieden
tſchechiſch⸗ nationale, bald auch Hufitiich - Freundliche Gefinnung zeigen. Die Mel-
dungen bieten auc eine Handhabe, um die Zeit ihrer Abfaffung näher zu be—
grenzen, wie der Verfaffer recht gründlich nachweiſt; ſodanu behandelt Ruſtler die
„Tagebuchartigen Notizen 1402/3 — 1413. Diefe Aufzeichnungen befunden die genaueſte
Sachkenntniß, überall läßt fih ein Zeitgenoffe erkennen. Seite 12 faßt Nuftler das
Reſultat feiner Analyfe zufammen, Er meint, daß Biezowa Autheil am erften Theil
deö Chronieon gehabt. Die Umiverfität3acten, jo kann man den- protofolfarischen
Bericht und die Ankündigung der Magifter nennen, ein neuer Abjchnitt im Chro-
nicon, führen eine ruhige Sprade. Der letzte Abjchnitt hat zum Verfafler einen
gemäßigten Katholiken, er kann alfo nicht identifc fein mit jenem, der die beiden
früheren verfaßte. Mit dem Jahre 1414 beginnt ein neuer Theil, der eine aunalen-
hafte Erzählung der damaligen Ereigniffe enthält. Der Compilator ſcheint eine ältere
weitläufiger Handichrift Brezowa's als Vorlage gehabt zu haben. Ceite 28 faßt
Ruſtler die Ergebuiffe zufammen, In Nr. 2 beſpricht er den Teßten weſentlich mit
dem Werk Biezowa’s übereinftimmenden Theil der Haudfchrift; auch hier liegt eine
nicht bekannte Handſchrift Brezowa's zugrunde, der Abichreiber war ein Deutſcher.
Als Anhang wird die Verbefferung des in Seript. rer. Hus. I. ec. gebrudten Textes
des Chronicon auf Grund der Dandichrift geneben. Die dankbaren Unterfuchnngen
Ruſtlers mögen bald weiter fi) erftreden, damit bei den grumdlegenden Arbeiten
anderer Forſcher auch diefes Gebiet nicht brach liegen bleibe, Chevalier.
u ae
Sulius Lippert: Culturgeihichte der Menfchheit in ihrem. organiſchen
Aufbau. Stuttgart, Ferdinand Enke. 1886.
Unter dieſem Titel läßt der rühmlichſt bekanute heimiſche Autor Julfus Lippert,
der uns bereits mit einer ganz ſtattlichen Anzahl von werthvollen Büchern beſchenkt
hat, ſein neueſtes Werk in Lieferungen erſcheinen, welches ein getreues und anſchau—
liches Bild der geſammten Culturentwicklung der Menſchheit als ein organiſches
Ganzes zu geben ſich zur Aufgabe ſetzt. Für eine in jeder Beziehung vorzügliche
Löſung derſelben gibt der Name des Verfaſſers die beſte Bürgſchaft, bei dem ſich,
was in dieſen Blättern zu betonen wir wiederholt erfreuliche Veranlaſſung hatten,
ein univerſelles Wiffen und liebevolles Bertiefen in den in Angriff genommenen Stoff
nit einer jelten Haren Darftellungsweife in Bezug auf Methode und Form in her-
vorragenden Maße paart. Alle diefe Vorzüge tragen die bisher erfchienenen vier
eriten Lieferungen, weldye gleichzeitig befunden, daß der Verfaſſer feinen Gegenftand
auf Grundlage der neneften Ergebniffe der einjchlägigen Forichungen behandelt und
welche bislang in ethnologiſch-hiſtoriſcher Hinficht. herrichende irrige Anfichten richtig
ftellen. Die Einleitung beichäftigt fich mit der „Lebensfürjorge als Princip der Eul-
turgefchichte” und ftellt das Programm des Verfaſſers feſt; feine Betrachtungsweiſe
will, ohne einer der bisher in der culturgefchichtlichen Literatur beliebten Methoden
zu folgen, „ſelbſt unterfcheiden lehren, wie weit dad „Naturgejeg“ als Autrieb in das
Merk des Menſchen, die Schöpfung feiner „Cultur“, hineinreicht, wie weit der Menfch
jelbft aus feinen eigenen Antrieben, Kräften und Mitteln heraus „ein bejonderes
Reich des Menfchlichen innerhalb der Natur zu Schaffen vermochte.“ Nach der Ueber-
zeugung des Referenten ift diefe Einleitung geradezu ein Meiſterſtück zu wennen,
welche den Lejer durchaus feffelt und anregt und aufpornt, die Lecture des Lippert—
chen Buches fortzufegen. Die vorliegenden vier erften Lieferungen enthalten Abichnitte
mit folgenden Anfichriften: „Die Urzeit“, „Ausblick auf die Verbreitung der Menſch—
heit“, „Die erſten Fortichrittäverfuche der Lebensfürjorge” und „Die Zähmung des
Feuers”. Das Werk ift auf zwanzig Lieferungen zu vier Bogen berechnet und joll,
im zwei Bände eingetheilt, bis im Herbft diejes Jahres vollendet fein; wir werden
fpäter nochmals ausführli auf dasſelbe zurückköommen. Die Ausftattung ift eine
durchaus jplendide und gereicht dem befannten Stuttgarter Berlage zu aller Ehre.
Otto Lohr,
Seitichrift des Teplig-Schönaner Anzeigers zu feinem fünfundzwanzigſten
Jahres-Jubiläum. Teplitz, 1. Mai 1886.
Am 1. Mai 1861 erjchien die erite Nummer des „Teplitz-Schönauer Auzei—
gers“, der feither wuchs und gedieh nud hener das Feit eines viertelhundertjährigen
Beitandes feiern könute. Aus dieſem Aulaffe gelangte obige Feftichrift zur Ver—
öffentlichung, die in einer Reihe von gediegenen Beiträgen ſich mit der Gejchichte und
dem Emporblühen der Thermenftadt und ihres Rocalblattes beichäftigt, das während
feines Beſtandes allezeit ſtramm dentich gefinut war und nunmehr einen ehrenvollen
Rang in der deutichnationalen Provinzpreſſe Böhmens einnimmt. Seine Gejdhichte
entrolft Gabriel Grimm in einem Aufſatze, der alle localen Ereigniffe von Bedeutung
regiftrirt, weldye während des Zeitrammes von 1861—1886 in dem „Teplig-Schönaner
u MR: ss
Anzeiger” publiciftiich behandelt wurden; hiezu zählt auch die IV. Wanderverjannt-
lung unjere3 „Vereins für Gefchichte der Deutihen in Böhmen“ im Jahre 1871, von
welcher der „I.-Sch. U.” jagte, daß fie ſich „zu einem Fefte von deutjchnationaler
Bedeutung®geftaltete“ und weiter: „Der Same, ber hier in ben leßten Tagen ge—
ftreut wurde, ift auf einen empfänglichen Boden gefallen, er wird die beften Früchte
tragen, Kinder und Kindeskinder werden noch in jpäten Tagen davon erzählen, wie
die Deutichen in Böhmen in trüber Zeit hier in unjerem Curorte, gleich jenen
Männern von Rütli, ſich gelobten: feſt und treu zufammenzubhalten, ſich in feiner
Noth und Gefahr zu trennen,” — Der weitere Inhalt der Feftichrift, welcher ein
getreued Bild des erften Blattes des „I.-Sch. Anzeigerd“ vom 1. Mai 1861 bei-
gegeben tft, it folgender: Ein jhwungvoller und Fräftiger „Felt: Gruß” von dem
heimischen Dichte Anton Auguft Naaff, „Offenes Sendihreiben an den Jubilar
von jeinem Taufpathen“ Franz Cerwenka, „Entftehungs-Geihichte der Stadt
Töplig“ von Dr. Herm. Hallwid. Es ıft dies das 1. Capitel des inzwifchen im
Buchhandel erfchienenen und weiter oben beiprochenen Werkes Hallwich's „Töplis, eine
deutjch-böhm. Stadtgeſchichte“ Karl Stöhr bringt in feinem Beitrage „Teplit in
den letzten 25 Jahren“ intereflante Detaild der Arbeiten des Stadtverordnetencollegiumgs,
fowie ftatiftiiche und Hiftorifche Notizen, während Norbert Mariſchler „Handel,
Gewerbe und Induftrie”, Rihard Pollak „Das Verkehrsweſen“ und Alfred
Freund „Das Vereinswejen“ der Stadt in den Jahren 1861-1886 erörtern, Die
Schweſter-Commune „Schönau in den legten 25 Jahren“ findet ihre Würdigung von
Franz Waage, Eine recht freundlich anmuthende Gefchichte aus dem Töoplitzer
Thale, betitelt „Der Knabe, der ein Bergmann werben wollte”, erzählt Adolf
Siegmund, und bemerfenswerth ift endlich der politiiche Effay von Leopold
Shönhoff „Bon Schmerling zu Taaffe“, der in dem für unfere Landsleute actueil
beberzigenswerthen Sate ausklingt: „Deutſch fei das Dad über mir und deutſch
bleibe der Boden unter mir!“ Otto Lohr.
Der „Verein für Geſchichte und Alterthum Schlejiens"
veröffentlichte im laufenden Jahre:
Dr. €. Gruͤnhagen: „Regeſten zur ſchleſiſchen Geſchichte.“ 3. Theil bis
zum Jahre 1300 nebjt Regijter. S. 153—348.
Der vorliegende Halbband umfaßt den Zeitraum vom 23. Jänner 1291 bis
12. Nov. 1300, Daran fließen fi) Nachträge und Berichtigungen zu Band II.
und das 49 Seiten umfaffende genaue Regifter. Der geheime Ardhivrat Dr. Grün—
hagen bat fich durch fein Regeſtenwerk, das allen Forderungen in vollftem Maße
entjpricht, die man an eine jolche Arbeit zu ftellen berechtigt ift, ein unvergängliches
Denkmal gejegt. Der Einfluß feiner mühevollen und gediegenen Arbeit ift nicht
vieleicht blo8 in feiner „Geſchichte Schlefiens“, fondern in gleicher Weile auch im
den mannigfahen Arbeiten Anderer über einzelne ſchleſiſche Fürftenthümer, Städte,
Klöſter u. |. w. zu verjpüren; d.e Negeften, deifen kann man ſicher fein, werden auch
fernerhin fegensreich wirken. Ihrer werden auch die Hiftorifer Polens, Böhmens
und Mährens nicht entrathen können.
ai “AB: ae
Dr. €. Grünbagen: „Zeitſchrift des Vereines für Geſchichte und Alter-
thum Schleſiens“. XX. Bd. Breslau 1886. ©. 372,
=
Sc jehe mich bemüßigt wieder und immer wieder zu betonen, baß dieſe Zeit-
ſchrift zu den gedisgenften periodiſchen Publicationen zählt, die von Seite hiftorifcher
Provincialvereine an das Tageslicht treten. Den Reigen der Abhandlungen in diefem
Bande beginnt Dr. Zul. Krebs mit „Schlefien in den Jahren 1626 und 1627."
Der Verf. ift in der Zeit des dreißigjährigen Krieges wohl bewandert, Zeuge deffen
find eine Reihe hervorragender Aufläge und die Herausgabe des VI. Bandes der
Acta publica Rob, Schüd liefert „Beiträge zur Gefchichte des ſchleſiſchen Poſt—
wejens von 1625—1740”. Dr. Grünhagens „Schlefien unter Rudolf II. und der
Majeftätsbrief 1574-1609 ift eine Arbeit, die die Aufmerkffamfeit der Leſer feilelt
und die wahrjcheinlich die Grundlage bilden wird zu der Schilderung dieſer Zeit in
jeinem in Bälde erfcheinenden 2, Bde. der „Geſchichte Schleſiens“. Löſchke handelt
über „die Politik Ottokars IL. gegenüber Schlefien und Polen, namentlich in den
letzten Jahren feiner Regierung“. Dr. Soffner fchreibt über „die Kirchen-Reduc-
tionen in den Fürftenthümern Liegnig — Brieg — Wohlau nad dem Tode des
Herzogs Georg Wilhelm“. Der Stadtardivar Herm. Markgraf, der fih um die
Geſchichte feines Heimatlandes vielfahe Verdieuſte erworben hat, jchildert uns die
Thätigkeit und das tragiiche Ende des „Breslauer Hauptmannes Heinz Dompnig F 1491“.
Dr. Wahner bringt erftlich „einiges über die Garnifonverhältniffe in Oppeln feit
Friedrich dem Großen big zum Ausgange des Freiheitäkrieges“, ſodaun über „Oppeln
zur Beit des zweiten jchlefiichen Krieges“, Wernide behandelt den „Künigsrichter
von Bunzlau Johannes Bütiner“. Dziatzko theilt „ein älteres lateiniiches Gedicht
auf die Hinrichtung des Herzogs Nikolaus von Oppeln (1497)” und Pfotenhauer
„die Pförtner vom Neumarkt und ihre Aufzeichnungen“ mit. Ueber „die eriten
Winterguartiere der Waldfteiner in Schlefien“ handelt Dr. Krebs, derjelbe und Grün—
hagen bringen „quellenmäßige Beiträge zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges“ ;
den Band jchließen „archival. Miscellen” und „Bemerkungen, Ergänzungen und Be—
richtigungen zu neueren Schriften auf dem Gebiete der ſchleſ. Gefchichte”. Der Verein
erlitt im Vorjahre durch den Tod feiner beiden Mitglieder Prof, Dr. Herm. Palm
und Öymnafialdirector Dr. Herm. Wentzel einen ſchweren Berluft; die Nefrologe
ihrieben Dr. E. Reimann und Dr. Grünhagen.
Wenn auch wicht Namens des Vereines, jo ift doch gewiß nit ohne Aure—
gung ſeinerſeits erjchienen die |
Geſchichte der Dörfer Ober: und Nieder-Mois im Neumarkter Kreife,
Nah archiv. Quellen von J. Jungwitz. Breslau 1885. ©. 285.
Das Bud, an deſſen Zuftandefommen der Vorftänd des Staatsarchivs durd)
jein dankenswerthes, hilfreiches Entgegenkonmen und feine Ermunterung, der Fürft-
biihof von Breslau durch jeine Diunificenz, mit der er d.e Dedung der Koſten über-
nahın, einen Antheil haben, ift dem Lebteren gewidmet und von ihm dem gemanuten
Bereine geſchenkt. Er behandelt die ältefte Gejchichte der Dürfer uud ihre Vergabung
an Laubus, ihre Ausjegung zu deutſchem Recht, die Gründung der Pfarrei und
Ihildert die Schidjale der Dörfer bis in die neuefte Zeit. Es ift eine gute und fleigige
Arbeit, die ſelbſtverſtändlich aud auf die kirchlichen Zuftände Rüdficht nimmt und
die Rechtsgejchichte nicht aus dem Auge läßt. —n.
ae A Be
Bellmann’s Führer durd Prag und Umgebung nebjt einem großen Stadt-
plan mit vollftändigem Straßen: und Pläteverzeichniß, drei Special-
plänen und einer Umgebungskarte. Siebente Auflage. Vollftändig um-
gearbeitet von Otto Lohr. Prag, E. Bellmanı’s Verlag 1886.
Es fehlt nicht an guten älteren und neueren Büchern über Prag und feine
Umgebung; Bellmanu's „Führer“ hat fich jtet3 der Gunft des Publicums zu erfreuen
gehabt. Solche praftiihe Wegweiſer, in denen das Nichtige gut geordnet, verzeichnet,
leicht anfzufinden und präcis bezeichnet ift, haben ihr Verdienſt. Bellmaun's Führer
hat in feiner 7. Auflage durch die geihidie Hand Dtto Lohr's gewonnen. Ein gutes
Regiſter erleichtert das Aufichlagen, dann folgen Notizen für die Fremden und die
Sehenswürbdigleiten. Hierauf gibt der „Führer“ einen gut gruppirten gefchichtlichen
Ueberblid, führt das wichtigfte topographiiche und ftatiftiiche Materiale an und nimmt
dann die Stadttheile von Prag, die Vorftädte und Vororte und Prags Unrgebungen
durch. Bei einer nächften Auflage wäre wünſchenswerth, daß bei den Prager älteren
und neneren Prachtbauten die Namen der Baufünftler angegeben würden, wie 683.8.
beim Waldftein’ihen Palais geichehen tft, bei dem herrlichen Lobkowitz'ſchen Palaſt
aber nicht. Die Pläne find vortrefflih, das ganze Buch recht praftifch angelegt und
ſonſt wohl ausreichend für den Fremden, leider muß man auch fagen für den Ein-
heimijchen ; denn e3 ift ganz unglaublich, wie wenig die Leute von Prag und feinen
Sehenswürdigfeiten, bejonderd von den Runftihäten willen. Das nette Büchlein kann
Jedermann beftens auempfohlen werden. Erwig.
Deter Miloſlav Vefelsfy: Der Fremdenführer in der königlichen freien
Silberberg: und Minzitadt Kuttenberg uud deren nädjiten Umgebung.
Ein Wegweifer ꝛc. Mit 12 Abbildungen. Kuttenberg 1886.
Karl Sole. !
Der Berfaffer gibt zuerst einen Ueberblick über die Geichichte des Silberberg-
banes. Seite 34 Ipricht ev über die Lage der Stadt und ihre ftatiftiichen Verhält-
niffe. ©. 39 beginnt er das Capitel über die Gemeindeverwaltung ꝛc. Cap. IV. führt
die Unterrichtsanftalten, Cap. V. die Wohlthätigkeitsanftalten, Cap. VI. die merf-
würdigen Bauwerke, vor Allem die prächtige Barbara-, die Jacobikirche und Marta:
Himmelfahrtskirche, fowie die anderen Baudenkmäler an. Diefes Cap. ift von großem
Intereſſe für den Lefer. Das Buch wird jeden Beſucher der Stadt gute Dienfte
feiften, e3 muß ab r ſprachlich vollkommen umgearbeitet werden. Die Sprache wim—
melt von Bohemismen. Wir wollen von den- Drudfehlern abjehen, die äußerft ſinn—
ftörend find, und nur eine Heine Blütheuleſe von den erften Seiten geben. ©. 5 ehe
zur Beichreibung . . . kommen wird — fürdachte S. 6 — daß auf einer fo geringen
Erdfläche 2c, gibt gar feinen Siun, ©. 6 daß die Stadt ſehr rajch fid) erhoben hatte,
kann mit dem Umſtande gedacht werden, ©. 6, — thaten einen Widerftand ©. 7,
dem zur Hilfe den Kuttenberger eilenden ©. 7. Das Setzen der Zeiten ift dem Verf.
eine mubefaunte Sache, wovon jede Seite Zengniß gibt. S. 7 immer ftatt immer—
mehr. ©. 8 Es entlich fih ein Wolkeubruch. S. 8 drohten der Vernichtung. ©. 9
geichlagen haben wollte; er rüdte vor K. ein. Der Sagban ift überall ungeſchlacht
u. AT
©. 10 Landtägen, ©. 11 diejelben für fid) verficherte, S. 13 im Flor war, von der
©. 14 Halt an Silber ꝛc. ꝛc. Die Abbildungen find nett, die ganze Ausstattung des
Buches nicht übel, Erwig.
Dr. Felix Zeller: Die Incunabel-Drucke der fürſtl. Fürſtenberg'ſchen
Bibliothek zu Bürglig. Stuttgart, 1885.
Die reichhaltige fürftl. Fürftenberg’sche Bibliothek, die gegenwärtig auf Schloß
Pürglitz ſich befindet, befist eine beträdhliche Zahl von Incunabeln, von denen manche
in den befannteren bibliographiichen Werfen wohl, wenn auch nicht ganz richtig. be-
Ichrieben, andere aber gar nicht angeführt eriheinen. Herr Bibliothefar Dr. Felir
Zeller hat durch eine genaue Beichreibung der vorhandenen Wiegendrude die Wiffen:
Ihaft und Fachkreife in hohen Maße zu Dauf verpflichtet; feine Arbeit, zuerft in dem
„Neuen Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswiſſenſchaft“, 46. Jahrg., erfchienen,
liegt nun als Separatabdrud vor und verzeichnet im Ganzen 173 Incunabeln, von
denen bie felteneren eingehend behandelt, die häufiger vorkommenden aber nur kurz
befchrieben werden. Zu jenen gehört‘die erfte deutiche „Bibel“, ungefähr um 1466
von 9. Eggeftein in Straßburg gedrudt, zugleich der ältefte Wiegendrud der Bi-
bfiothef, ein „Missale Pragense“, Nürnberg, Georg Stuchs, 1498 u. a. Bur
leichten Orientirung dienen die Inhalts-Ueberfichten, welche die Werke in alphabetiicher
Ordnung nad den Drudern und den Drudorten fowie aud nach den fortlaufenden
Drudjahren von 1466 - 1500 anführen, Otto Lohr.
Dr. Rarl Schober: Quellenbuch zur Gedichte der öſterreichiſch-unga—
riihen Monarchie. Ein hiſtoriſches Lefebuch fiir höhere Schulen und
für jeden Gebildeten. I. Theil. Bon der älteften Zeit bis zum Aus—
jterben der Babenberger. Wien, Alfred Hölder, 1886.
Welch ein weiter Weg aud auf pädagogiſchem Gebiete von dem erften Be—
fanntwerden eines neuen, blendenden und anjcheinend bahnbredhenden Gedankens big
zu deffen Verwirflihung zurüdzulegen ift, hat fi unter andern auch an dem Bor:
Ichlage der Herbart » Zillerihen Schule, den Geichichtöunterricht auf die Lecture der
Quellen ſelbſt zu begründen, gezeigt. Wohl gibt es feit langer Zeit Leſebücher aus
Homer, Herodot, Livius u. ſ. w.; aber durch diefelben wurben doc nur joldye
Scriftfteller für den Gefhichtäunterricht nusbar gemacht, deren Eignung als Schüler:
lecture auch früher ſchon feftitand, und die daher auch früher ſchon an Gymnajien
gelefen worden waren. Das Neue an den angeführten Lejebüchern bejtand nur darin,
daß fie die betreffenden Schriftiteller in größerem Umfange als vorher, nämlid)
nahezu vollftändig, den Schülern zugänglic zu machen fuchten, daß fie behufs leich—
teren Verftändniffes ſtatt der Urſprache eine Ueberjegung boten, und endlid darin,
daß fie, während der Gymnaſialunterricht vorher auch bei Behandlung biftoriicher
Schriftfteller mehr die ſprachliche Seite berüdfichtigt hatte, num in erſter Reihe deu
Inhalt zur Geltung braten und die Schriftfteller als Quellen geſchichtlicher Er-
fenntniß betrachten lehrten. Auf die Geſchichte des Mittelalterd und der Neuzeit
2
dagegen, für welche die Verwirklichung de3 oben angeführten Gedanfens eine voll:
ftändige Neuerung bedeutete, wurde diejes Verfahren bisher nur felten und, joweit
es öfterreichiiche Gejchichte betrifft, noch gar nicht in Anwendung gebradht. Die her—
fümmliche Nedensart von der „Lüde”, die durch ein nen erichienenes Bud ausgefüllt
werde, trifft alfo bei dem „Quelleubuche“ Schobers buchftäbli zu. Bon den „Leſe—
büchern“ zur alten Gefchichte unterjcheidet es fich freilich mwejentlih, nnd zwar ſchon
darum, weil es nicht ein einzelnes Geſchichtswerk, jondern Bruchſtücke aus einigen
Dutzend verichiedener Chroniken, Legenden u. |. w. bietet, ein Umftand, der freilich
durch die Natur der Sache fi) von jelbft ergibt, aljo dem Herausgeber nicht zur Laſt
fällt, aber doc) dem Ganzen etwas buntichediges gibt. Das Buch beichränft fidy ferner
nicht auf bloße Ueberfegung und Erklärung, ſondern gibt auch den griedhifchen oder
lateinijchen Urtert, was injofern gebilligt werden muß, weil das ſprachliche Gewand,
in welchem die mtittelalterlihen Quellen auftreten, für die betreffende Zeit bezeichnend
und dadurch lehrreich ift; nur fürchten wir, daß es wenige Gymnaſiaſten über ſich
vermögen werben, den eigenthümlichen Wendungen und Sabgebäuden diefer Quellen-
bruchjtüde nachzugehen, da unmittelbar daneben die "bequeme Ueberſetzung fich darbietet.
Segen die Answahl der Quellenabſchnitte wird fich kaum Exrhebliches einwenden laſſen;
alle irgendwie wichtigeren Begebenheiten find berüdjichtigt, umd aus dem ja großen:
theil3 recht dürren und öden Chronikenftoffe ift mit Gefchif Dasjenige herausgehoben
worden, was dem modernen Geſchmack noch am ehejten zuſagt. Ob eine eigentliche
„Belebung“, d. h. eine anjchauliche, Farbenreiche Vergegenwärtigung der mittelalter-
lihen Geſchichte gerade mit Zuhilfenahme einzelner mittelalterliher Quellen zu er:
zielen jei, daran zweifle ich, insbefondere in Bezug auf öſterreichiſche Geſchichte, nad)
Einfihtnahme in das vorliegende Buch mehr als vorher, Kunftreiche, moderne
Darftellungen, wie wir fie 3. B. in Gieſebrechts deuticher Kaiſergeſchichte haben,
ericheinen mir im diefer Hinficht wirkfiamer. Dennoch tft e3 gut, daß der Verſuch
gemacht wurde, und ein wichtige Hilfsbudy für die Hand der Lehrer, zumal folder,
welche nicht Gelegenheit hatten, ſich mit mittelalterlichen Quellen in größeren Um:
fange bekannt zu machen, wird Schober’s Quellenbuch aucd dann bleiben, wenn fich
die Erwartungen, die in Bezug auf eine ausgiebige Benützung des Werkes von Seite
der Schüler gehegt werden, nicht in vollem Maße erfüllen ſollten. Auf alle Fälle
fanı das Bud) den Lehrern der Geichichte, jowie den Vorftehern von Schülerbiblio-
theken zur Anſchaffung nur empfohlen werben. th.
Heinrich Teweles: Preile und Staat. Eine Unterfuchung. Prag 1886.
Verlag von D. Kuh.
Wohl angeregt durch die Prefanträge, welche in der jüngften Zeit im öfter:
reichiſchen Reichsrathe von verfchiedenen Seiten eingebradyt wurden, bejpricht der
Berfaffer in dem und vorliegenden Schriftchen die Laften und Dinderniffe, welche der
Staat der Preſſe auferleat und in den Weg legt. Der Verf. geht von dem, wehl von
Niemandem beftrittenen Gruudſatze aus, daß die Breffe in ihrer heutigen Form ein
hervorragendes Volfsbildungsmittel fer, und daß der Grund, daß der Staat oder viel-
mehr die Regierung, welche ſonſt alle Inftitutionen der Bolksbildung unterftüßt, gerade
dieſer alle möglichen Hinderniffe bereitet, in der falſchen Auffaffung Liege, die da lehrt:
u AG:
die Zeitung ſei von vornherein ald etwas Gefährliches, dem Staate Feindliches anzuſehen.
Dielen Grundſatz fefthaltend beſpricht nun T. die einzelnen, dem Zeitungsweſen auf:
gebürdeten Beichränkungen, die Conceſſions- und Cautionsfrage, die Cenſur- und
Inſeratenſteuer, den Zeitungsftempel u. ſ. w. Wenn er zu dem Schluffe kommt, daß
die Stempelftener als VBerbraudysftener ganz und gar unhaltbar ift, fo werden wir
ihm rückhaltslos beiftimmen. In feinem Vorſchlage aber, durch eine allerdings viel
gerechtere, fih nad) Raum und Auflage richtende Inſeratenſteuer die Stenerlaft von
dem Leſer auf den Unternehmer zu übertragen, können wir fein befonberes Heil er-
bliden. Denn würde vor Allem der Unternehmer nicht ebenfalld wieder die Laſt auf
den Conjumenten werfen? Und nachdem der Inſeratentheil bei den meiften Zeitungs—
unternehmmngen die einzige thatſächliche Einnahmsquelle ift, jo ift ja der Inſeraten—
theil durch die Einfommenftener, die der Eigenthümer doch zahlen muß, ja jo wie fo
beftenert. Diele Inferatenftener wäre unferer Anficht nach keine „Ergänzung“ der
Einfommenftener, wie T. meint, fondern einfah eine vollkommen ungerechtfertigte
Verdoppelung derjelben. Der Verf. erklärt hiebei, fein Vorfchlag zeige, daß er nicht
darauf ausgegangen jet, die Zeitungsftener im Principe zu verwerfen. Wir halten
fie aber vollkommen, auf feine übrigen Ausführungen geftüst, für vwerwerflih. Die
Beitung als gefchäftliches Unternehmen ſoll ja ficher beftenert werden, aber vollftändig
conform mit allen anderen gejhäftlichen Unternehmungen; der allgemeinen Volks—
bildnerin aber außerdem nod) eine zweite Art der Beftenerung, eine eigene Zeitungs:
ftener aufanbürden, glauben wir, ließe fi) nie und nimmer rechtfertigen. Wo bleibt
denn danı die „möglichite Erleichterung des Gewerbes”, die T. ganz folgerichtig
fordert, wenn man Extra-Abgaben gerechtfertigt findet? Gegen diefen Vorſchlag des
Berfaflers müffen wir alfo Verwahrung einlegen, allen andern in der Brochure ent—
wicelten Ideen dagegen fünnen wir volltommen beiftimmen, aud dem Berlangen,
die Eonfiscationserfenntniffe dem Geichwornengerichte zuzuweiſen, obgleich hier gerade
bei uns in Prag vom praktiſchen Standpunkte aus einige Einwendungen gemacht
werden könnten. Dr. Karl Görner.
Alfred Rlaar: Gedenfrede zur Feier von Ludwig Börne's hundertitem
Geburtstag. Brag, D. Kuh. 1886.
Der Berein deutſcher Scriftfteller uud Künftler in Böhmen „Concordia“
veranftaltete anläßlich des Hundertften Geburtstages Ludwig Börne's am 22. Mai
1886 eine erhebende Gedenkfeier, bei weldyer der Obmann Herr Alfred Klaar eine
nad; Form und Inhalt gediegene Nede hielt, die nun als Brodüre im Buchhandel
erichienen ift. Ausgehend von dem Satze: „Wie ward er (Börne) und und wie Fan
er und wieder werden?” entwirft der Reduer ein ſcharf umriſſenes Charafterbild
Börne's und feiner Zeit, würdigt jeine Bedentung und Stellung in der deutjchen
Literatur und liefert eine von ceingehendem Studium aber aud von bejonderer
Vorliebe und fait überſchwenglicher Verherrlichung des Gefeierten und jeiner Schrif-
ten zeugende Apologie des „Begründers der deutjchen Journaliftif des XIX. Fahr:
hundert3“, Otto Lohr,
2
BO.
r. Herm. Weichelt: Deutſch-öſterreichiſche National-Bibliothek, Pen).
nn des Herausgebers.
Dieſes verdienftlihe und zeitgemäße Unternehmen, deffen wir an diefer Stelle
ſchon wiederholt rühmlih Erwähnung gethan, jchreitet rüftig vorwärts und findet
immer neue Freunde, da ed Jedermann die Möglichkeit bietet, um einen verhältniß—
mäßig billigen Preis (1 Bändchen koſtet 10 Kreuzer) ſich allmälig in den Beſitz einer
guten Hausbibliothel zu jegen. Der Herausgeber weiß auch mit Verftändniß bie
richtige Wahl aus dem reichen poetiſchen Schatz unferer heimifchen Dichter zu treffen,
von denen in erfter Linie die hervorragendften nach Gebühr in jeiner „Deutſch-öſter—
reichiſchen National-Literatur” vertretin find, aber andy weniger befannte ältere und
jüngere Berüdfichtigung finden. Seit unferer legten Anzeige (Literar. Beilage zum
Sahrgang XXIV der „Mittheilungen“, Seite 35) find folgende Bändchen erichienen:
28. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Bon Anaftafius Grün — 29—30, Griſeldis.
Dramatiiches Gedicht von Friedrich Halm. — 31. Der arme Spielmann, Erzählung
von Franz Grillparzer, — 32. Todtenkränze. Canzone von Zedlitz. — 33. Onkel
Forſter. Eine Alltagsgeichichte von Karl Herloßfohn. — 34. Camoens. Dramatiſches
Gedicht von Friedrich Halm. — 35—36. Garrid in Briftol, Yuftipiel von J. 2, Dein-
barditein. — 37. Die Griehin. Novelle von Adolf Foglar. — 38—39. Das Klofter.
Idylliſche Erzählung von Karl Egon Ebert. — 40, Ein Landpfarrer, Erzählung von
&. Herloßjohn. — 41-42. Brodmann. Schanfpiel von Frig Pichler. — 43. Ingvelde
Schönwang. Altnordiſches Bild von Zedlig. — 44. Eine Nacht in den Apenninen.
Novelle von C. Herloßfohn. — 45—46. Die unheilbringende Krone. Zauberipiel von
Ferd. Raimund. — 47, Die Tage des Teufeld. Novelle von Alfred Meißner. —
61. Agda Sjöſtröm. Hifter. Schanfpiel von Heinrih Swoboda. — 63—64. Der
Fechter von Ravenna, Tranerjpiel von Friedr. Halm, Otto Lohr.
Anton Reitler: Conrad Ferdinand Meyer, Eine Titerarifche Skizze zu
des Dichters 60. Geburtstage. 2. Aufl. Leipzig, H. Haeſſel 1885.
Sonrad Ferdinand Meyer ift einer der lickenswürdjgften und eigenartigften
zeitgenöfltichen Dichter, der troß feiner prächtigen Novellen und Erzählungen bei und
zu Sande fo ziemlich unbekannt geblieben ift. Unjer Landsmann Anton Neitler unter:
nimmt es nun, in dem angezeigten Buche den Lebens: und Entwidlungsgang des
bedeutenden Schweizer Poeten Meyer, feine Werke und deren Borzüge und Schön—
heiten zu beleuchten und hiedurch manchen Leſer auf Genüffe aufmerkſam zu machen,
die ihm bisher fremd waren, Daß U. Reitler's Unternehmen ein nothwendiges nud
erfolgreiches war, dafür jpricht die zweite Auflage, die jein Buch in kurzer Zeit erlebt.
Mit Wärme führt er die Sache feines Clienten, vertieft fih im geiftwolle Unter-
fuchungen der Motive in den Dichtungen, harakterifirt in jcharfen Linien die Ge—
ftalten der Meyer'ſchen Muſe und erzielt, wa3 er will, ganz und voll: Er veranlaßt
den Leſer mit den Werfen Meyer’3 ſich jelbft vertraut zu machen, fie zur Hand zu
schmen Der literarifchen Skizze, mit welcher fih Anton Reitler auf das Belte
einführt und zu der wir ihn beglückwünſchen, ift ein fachmilirter Brief ded Dichters
an den Verfaſſer beigegeben. Otto Lohr.
— 21 —
Dr. E. Mach: Der relative Bildungswerth der philologiſchen und ma—
thematisch = naturwilienschaftlichen Unterrichtsfächer der höheren Schulen,
Vortrag, gehalten vor der Delegirtenverfanmlung des deutſchen Real—
jchulmännervereins zu Dortmund. Leipzig-Prag 1886, Tempsky—
Freytag.
Der bekanute ausgezeichnete Gelehrte gibt den Entwurf eines Vortrags, der
auf der Naturforicherverfammlung in Salzburg hatte gehalten werden jollen, aber
auf der VBerfammlung des deutichen Realſchulmännervereius gehalten wurde; der
Verf. jagt ausdrüdlich. daß feine Ausführungen zunächſt nur die deutſchen Schulen
betreffen und daß fie auf die üfterreichifchen nicht ohne alle Modificationen zu über-
tragen find. Die Mittheilungshefte des biftorifchen Vereines find fein pädagogiſches
Blatt, es handelt fi alfo bier nur darum, von der Culturbewegung Kenntniß zu
nehmen, die fi auf dem Gebiete des Unterrichtes ankündigt, befonders, wenn dieſelbe
von einem jo bedeutenden Mann der Wiffenjchaft vertreten iſt. Dr. Mad) will das
Griechische einerjeits und die Mathematik anderfeit3 für facultative Unterrichtsgegen—
ftände der Oberclaffen de3 Gymnaſiums erklärt wiffen. Gegenüber deut einfeitigen
Geſchrei gegen die Philologen hat ein Vertreter der realen Wiſſenſchaften aud einmal
den Muth, gegen das Uebertreiben der mathematischen Disciplin am Gymnaſium ein
Wort zu fprechen, was jedenfalls ſehr bemerkenswerth iſt. Die eigentliche Kluft
zwijchen dem humaniſtiſchen Gymnaſium und dem (deutfchen) Realgymnaſinm wäre
hierdurch überbrüdt. Neben vielem Richtigen begegnen wir in dem intereflanten
Schriftchen manchem fchwer anzunchmenden Sat. Seite 16 heißt e8: Wie wenig
eine complicirte Grammatik mit der Feinheit der Gedanken zu thun hat, beweijen
die Jtaliener und Franzoſen 2c. Treffend ift die Bemerkung: „Sch glaube, daß der
für eine zwedmäßige Bildung zureichende Lehrſtoff, welcher allen Zöglingen einer
Vorbereitungsichule gemeinfan geboten werden muß, ſehr beicheiden ift, ich würde bie
Bahl der Schulftunden und die Arbeitszeit außer der Schule bedeutend einjchränfen.”
„Auch in den Oberclaffen braucht der allen Zöglingen gemeinfame LXehrftoff ein be—
fonderes Maß nicht zu überjchreiten,” Mag man mit den Säten des Herr Verfs.
einverftanden fein oder nicht, aus der Schrift wird “Jeder lernen, der lernen will und
die Augen nicht abfichtlich verfchließt vor der großen Bewegung, die auf diejem vor:
bereitenden Gebiete des Unterrichtes fi) vollzieht. Die Offenheit und Klarheit, mit
der der Verf. jpricht, -Täßt über feine Anfhauungen feinen Zweifel auffommen; daß
der Herr Berf. feinen Stoff jharf erfaßt und ebenfo deutlich entwidelt hat, daß er
jede pädagogische Phraſe verfhmäht, wie fie jest in der Mode find, ift ein großer
Vorzug des Schriftchend, deflen Anregungen gewiß Freund und Gegner gern folgen
werden, Erwig.
— — —— —
Vom Büchertifche der ſchönen Fiteratur.
Erinnerungsblätter au Joſeph Victor von Scheffel. Prag, Selbſt—
verlag der „Leſe- und Redehalle der deutjchen Studenten”, 1886,
Die „Leſe- und Redehalle der deutſchen Studenten” in Prag veranftaltete
aus Anlaß des Ablebens de3 gefeierten Dichters Joſeph Victor von Scheffel am
13. Mai I. $. einen Tranercommers, Zu diefer pietätvollen Feier. ihres Ehrenmit-
gliedes trugen eine Reihe von Dichtern ftimmungsvolle Grüße und ſchön empfundene
poetijche Ergüfle bei, welche zumeift dem Heimgang des Sängers des „Gaudeamus“
gelten und die in Buchform dem großen Lefepublicum, unter welchem ja eine große
Sceffel-Gemeinde eriftirt, zugänglich gemacht wurden und dieſem gewiß willfonmen
fein werden. Ein Fachimile der Dankverje, die Scheffel der „Leie- und Redehalle“
für ihre Beglückwünſchung zu feinem 5Ojährigen Jubiläum im Jahre 1876 zu-
ſandte, eröffnet die Anthologie, in welcher 2. Anzengruber, Felir Dahn, L. A. Frankl,
Robert Hamerling, P. K. Rofegger, Ernſt Wichert und andere Nanten von beften
Klange neben jüngern, aufftrebenden Autoren vertreten find. Die Ausftattung des
Büchleins ift eine elegante.
Joſef Sacher’s gejammelte Schriften. Herausgegeben von Wilhelm
Franz. Neihenberg, Selbitverlag des Herausgebers. 1886.
Für die meiften unferer Lejer dürfte der Name Sacher's wohl ganz unbekannt
fein; und doch wird er in einer, freilich erſt zu fchreibenden Geſchichte der poetiichen
Literatur Dentih-Böhmens feinen Platz einnehmen und feinem Träger ein dauernde
Gedächtniß fihern. Der Kenner der „Erinnerungen“ aber, die dem heimiſchen Lite—
rarhiftorifer eine reiche Fundgrube bedeuten, wird in Sacher einen alten Freund
finden und ſich gewiß feines epiichen Gedichte „Ludwig von Hammerftein oder das
gegebene Ritterwort“ eutſinnen, womit unjer Dichter in den Jahrgang 1834 der
„Grinnerungen“ fich vortheilhaft einführte. Nacd dem Jahre 1848, dad Sacher mit
Ufo Horn bei dem großen Verbrüderungsfefte in Reichenberg bekannt machte, ver-
ſuchte er es mit einer periodijchen Zeitichrift, die unter dem Titel „Wandelftern“
allmälig zu einem größeren Familienblatt umgeftaltet werden follte, aber ſchon nad)
der eriten Nummer wieder einging. Bon nun an ließ Sachers feine poetifhen Pro—
ducte in verjchiedenen Journalen erjcheinen, und Herrn Wilh. Franz gebührt immerhin
unfer Dank, daß er die Schöpfungen feines Landsmannes, der am 27. Auguft 1803
in Neichenberg geboren wurde und am 22. Februar 1859 in Friedland ftarb, ſam—
melte und im einem jchön ausgeftatteten Bande von 10’, Bogen der Vergefjenheit
entzog. Dem Inhalte nad theilen fie fi im Gedichte ernften, vermifchten und
heiteren Inhaltes und in Proſaiſche Schriften. Stehen die Gedichte insgefammt auch
nicht auf der Höhe und entrathen einzelne auch echt poetilchen Schwunges, edler
Sprache und ſchöner Form, was namentlich von manchen recht unbedeutenden Gele—
genheitsfachen, den Epigrammen, Näthjeln u. a. gilt; fo findet fi in den „Gejam-
melten Schriften” Sachers manches Leſenswerthe, ja wirklich Schönes. Webrigens
hätte es dem Nachruhme des Verfaſſers keineswegs Abbrud gethan, wenn der Her—
ausgeber ftatt „Alles“ zu bringen, ſich mit einer ſorgfältigen Auswahl begnügt hätte,
In Anbetracht des ſchönen Zwedes, den er verfolgt, mit dem zu erhoffenden Rein—
ertrag die Noth der hochbetagten kranken Witwe de3 Verftorbenen in Etwas zu
lindern, und unter Hinweis auf das weiter oben Geſagte, verdient das Buch Ver—
breitung und raſchen Abjat.
— —
Theodor Autter: Aus der Jugendzeit. Gedichte Warnsdorf,
Eduard Strache. 1886.
Im netten Gewande bietet uus Theodor Hutter eine Liedergabe, für welche
wir ihm zu anfrichtigem Danke verpflichtet find. Das Mißtrauen und die Vorficht,
welche durch die heutzutage geradezu epidemiſch auftretende Dichterwuth und ihre
Ausbrüche den Kritifer erfüllen müffen, ſchwand bereit3 nad) der Lecture der erften
„Lieder ber Sehnfucht”, und je weiter wir lafen, befto beftimmter drängte fih uns die
Ueberzeugung auf, daß Theodor Hutter eine Ausnahme von ben vielen modernen
Dichterlingen bildet, die der überwiegenden Mehrzahl nad) eine jeichte, trübe Pfütze
für den caftaliichen Quell halten, ans denen fie für ihren „Wahnſinn“ das richtige
Bomitiv trinken. Theodor Hutter ift ein berufener Dichter, ein wirklicher Lyriker, ber
wie ein Zeit: und Berufsgenoffe von ihm neidlos anerkennt, „gefundes Empfinden
und finnige Gedanken zu kunſtgerechtem und wohltönendem Ausdrud zu bringen ver-
fteht“. Bei ihm findet fih nichts Gekünfteltes, nichts Geziertes; feine Rieder fließen
natürlich und einfach, fie kommen aus einem warm empfindenden Herzen und rufen
im Buſen des Leſers einen harmonischen, andauernden Wiederhall wach. Bei diejen
hohen Vorzügen wollen wir aber auch nicht unterlaffen zu geftehen, daß in Bezug
auf Formvollendung Manches zu bemängeln bleibt, daß Reime wie verflärt —
ftört (S. 20) u. a. gerade hier unangenehm auffallen; aber der Verfaffer wird dieſen
Vorwurf nicht als Heinliche Nergelei auffaffen und hiebei der Worte Leffing’3 denfen,
daß man bei einem echten Dichter den ftrengften Maßſtab der Kritif anlegen fol. —
Zu den ſchönſten Liedern des Buches, das gewiß verdienten Anwerth finden wird,
zählen wir „An die Ferne”, „O wolle fanft Dich neigen“ und „An meine Heimat“.
Einen ernften Ton ſchlagen die Gedichte „Die Wahrheit” und „Auf Alfred Meißner's
Tod“ an. Mit aufrichtiger Freude conftatiren wir nochmals Hutter's Bedeutung und
hegen den innigen Wunfch, noch öfters die Klänge jeiner Leyer ertünen zu hören,
Rarl Iro: Sechs dentihnationale Lieder, Dem jungen Oefterreich ge:
widmet. Eger, Selbjtverlag 1885.
Aus diefen patriotiichen Liedern Karl Iro's, eines talentirten Egerländer
Poeten, weht ein frifcher, jchneidiger Geift und eine hohe Begeifterung für das deutſche
Boll in Oeſterreich; ftellenmweife gemahnen fie fogar an unfere großen Sänger zur
Zeit der Freiheitöfriege. Solche Wedrufe haben gerade in unferen Tagen Bedeutung
und Berechtigung und verdienen Beachtung. Die jehs Lieder find betitelt: Deutjcher
Neujahrsgruß, Brauf’ deutiches Lied, Mein deutsches Volk, Vom Dillen, Ein Mahn:
ruf, Deutiche Art.
Heinrih Zimmermann: Prager Spaziergänge. Ein Cyelus eruſter und
heiterer Dichtungen. Prag, Selbſtverlag.
Wir hatten Gelegenheit, vor geraumer Zeit die Poeſien Zimmermann's im
Manuſcripte zu leſen und gaben der ſtillen Hoffnung Raum, daß der Autor ſich mit
— —
dem Erfolge, den er mit ihnen in einem engeren Freundeskreiſe errungen, begnügen,
ſie aber nicht der Oeffentlichkeit preisgeben werde. Und nun iſt es doch geſchehen!
Wegen einiger weniger Gedichte, die recht paſſabel genannt zu werben verdienen,
gleich einige Dutzend ganz mittelmäßige, ja nichtsfagende Neimereien, von denen das
„beitere“ der „heiteren Dichtungen“ Höchftens im Bankeljänger-Styl und Ton fi
verräth, durch Druderjchwärze verewigen zu laſſen — „ja beim Barte des Propheten
— Das war wahrlich nicht vonnöthen!”“ Die Diction diefer „Prager Spaziergänge“
gemahnt und gar zu jehr an das Pflafter in vielen der Straßen, durch die uns unfer
„Dichter“ führt: beide find holprig.
Dr. Johannes Rlein: Religiöſe Dichtungen des Presbyter Johannes.
Dritte Ausgabe. Neifje, F. Huch, 1884.
Die angezeigten Dichtungen befunden Formgemwandtheit und einen tiefen, wahr:
baft frommen Sinn und reihen zu den befferen religiöfen Liedern, deren die moderne
Richtung nur wenige zeitigt. Die fprechendfte Empfehlung für das Bud Dr. Johannes
Klein's liegt in dem Umſtande, daß es bereits die dritte Auflage erlebt hat.
Otto Lohr.
„Deutſch-böhmiſcher Vereinskalender.“ Der erfte Jahrgang eines „Deutſch-böh—
mijchen Vereinskalenders“, der gewiß in allen deutfchen Kreifen auf freundliche Auf—
nahme rechnen darf, joll im Format eines elegant ausgeftatteten Taſchenbuches im
Fahre 1887 erſcheinen. Er wird das ganze Gebiet des deutichen Vereinslebens in
Böhmen überfichtlich darftellen und beleuchten und dadurch der deutfchen Gultur-
geſchichte Böhmens ein reiches Material bieten. Sein Inhalt foll bilden: 1. Ein mit
alfen für das Vereinsweſen wichtigen Hinweifen verjehenes Kalendarium. 2. Eine
ftatiftifche Weberficht des deutfchen Vereinsweſens in Böhmen. 3, Ein nad) Bezirken
geordnete Verzeichniß aller deutichen Vereine in Böhmen, ihrer Zwecke, der wich—
tigften Momente ihrer Thätigkeit, ihres Mitgliederftandes und ihres Vermögens, ihrer
Obmänner, Vorftandsmitglieder und Functionäre. Auch beſonders bemerkenswerthe
Momente der Organiſation und die Aufnahmsbedingungen werden erſichtlich gemacht
werden. 4. Eine Reihe von Vormerkblättern mit praftiichen Rubriken für die Ver:
einsthätigkeit jedes Einzelnen. 5. Das Vereins- und Berfammlungsgefet, bezie—
hungsweiſe von Fahr zu Fahr die Neuerungen und wicdtigiten Entjcheidungen auf
diejem Gebiete, Der deutſch-böhmiſche Vereinsfalender wird außerdem alljährlich
mit dem Bilde eine hervorragenden, um das deutſche Vereinsleben befonderd ver:
dienten Mannes geſchmückt werden, zu diefem Bilde die Biographie und außerdem
eine Neihe von Artikeln bringen, welche verichiedene Seiten des deutichen Vereins:
lebens in ein helleres Licht jegen, Anregung zu Förderungen und Verbefferungen auf
diefem Gebiete enthalten follen. — Die Redaction und Adminiftration, an welche die
Bereine ihre Beiträge zu ſenden erſucht find, befindet fi in Prag, Tenugafle Nr. 17.
— — —
8. tr, Hofbuchdruckerei A. Haaſe. — Selbftverlag.
Literarifdhe Beilage
zu den Mittheilungen des Bereines
.
Geschichte ller Deutschen in Böhmen.
XXV. Jahrgang. u. 1886/87.
Dr. E. werunsfy: Gedichte Karl IV. nnd feiner Zeit. IL. Band,
2. Abth. Iunsbruck, Wagneriche Buchhandlung. 1886.
Wenn zwilchen der 1. und der vorliegenden 2, Abtheilung des IL. Bandes
von Werunsky's Karl IV. eine längere Unterbredung ftattfand, jo wird fie damit
erflärlich, daß dazwiichen eine Forſchungsreiſe nad) Rom, und ald unmittelbare Frucht
derſelben die Veröffentlihung feiner „Auszüge aus den Regeften Clemens VI. und
Innocenz VI. zur Geſchichte des Kaiſerreiches unter Karl IV.“ Tiegen. Gleich wie
die vorhergehenden Bände wollen wir, unferer Aufgabe gemäß, and die vorliegende
Abtheilung unferen Lejern zur Anzeige bringen, indem wir uns unfer Endurtheil über
das groß angelegte Werk unferes gelehrten Landsmannes bis zu dem Augenblid vor:
behalten, bis zu weldem uns der Schluß desfelben vorliegen wird,
In den let erichienenen Halbbande wird im 7. Capitel (S. 325—374) die
Gründung der Neuftadt und der Univerfität Prags und des Königs deutiche Politik
von 1350—1354 abgehandelt, das 8, (S. 375—484) beſchäftigt ſich ausichließlich mit
dem politiichen und ſocialen Zuſtand Staliens um die Mitte des 14. Jahrhunderts
und das 9. (S. 484—618) erörtert Karla IV. italienische Politif und feinen Römer:
zug. Aus diefem Ueberblid über den Inhalt des Halbbandes ift erfichtlid, daß der
Löwenantheil Ftalien und deſſen Angelegenheiten zufällt,
Was das 7. Kapitel betrifft, jo wird Karls böhmiſche Königskrönung erzählt,
hierauf die Gründung der- Neuftadt und der Univerfität mitgetheilt, jodanır zeigt uns
ber Verfafler Karls Thätigkeit in den deutjchen Angelegenheiten. Die branden-
burgifhen Händel find noch lange nicht jo weit gediehen, daß fie des Königs volle
Aufmerkſamkeit und ein energiiches Eingreifen in Anſpruch genommen hätten; dafür
jucht er die Nechtsunficherheit und die rohe Selbfthilfe durch Landfriedensbündniffe
einzubänmten, Daß deren Aufzählung und die der Theilnehmer an benjelben etwas
ermüdend auf den Lejer einwirkt, liegt in der Natur der Sadıe. In des Königs
3
— 26 —
Charakter lag es nicht den Tod feiner zweiten Gemahlin (2. Feber 1353) lange zu
betrauern; faum it er Witwer geworden, fo fteht er auch ſchon in Unterhandlungen
um die Hand der Erbin von Schweidnig und Sauer, die er den 27. Mai heimführt.
Wer die weitere Thätigleit Karls in Bezug auf Deutichland bis zu feinem Römerzug
näher fernen lernen will, den verweilen wir auf die Lectüre des 7. Capitels. Das
8, ift, wie fchon bemerft wurde, Jtalien gewidmet. Der Verfaſſer verfchafft uns eine
genane Einfiht in die politischen VBerhältniffe der Halbinjel. Wenn aud die Ueber-
fülle der großen und fleinen bis herab zu den winzigften politischen Eriftenzen, die
fih um die Mitte des 14. Jahrhunderts jenfeit3 der Alpen bemerkbar machen, den
Lejer anfänglih verwirrt und die Aufzählung der oft recht kleinlichen Intereſſen der
mannigfachen Parteien jchier erdrüdend auf ihn wirft, jo möge er fih doch ruhig
der Führung des Verfaſſers anvertrauen, der im Belige der genaneften Keuntniffe der
Berhältniffe, ihn durch das unentwirrbar jcheinende Labyrinth der Parteienpolitif
ficher leiten wird, In dieſes Getriebe der mannigfachſten Sonderintereffen wird Karl
durch feinen Römerzug verjegt; er ift Fein Fremdling auf diefem.Boden, denn er
fennt die italienischen Verhältniffe von feiner Jugendzeit her und er hat fie, jeitdem
ihn die deutſche Königskrone ſchmückt, audy nicht für einen Moment aus den Augen
verloren. Seinem Zuge über die Alpen bis zur Siebenhügelftadt fehlt der blendende
Glanz, der fih über die Römerzüge der DOttonen, Salier und Hobenftaufen aus:
breitet, jein fluchtartiges Verlaffen der ewigen Stadt nady Empfang der Kaiferfrone,
objihon dem Uebereinfommen gemäß, das lange vorher mit dem Papfte getroffen
worden war, verfiel dem Hohngelächter feiner Zeitgenoffen, und jein Feilſchen um die
Geldjummen mit einer langen Reihe von Städten erzeugt noch heute eine abftoßende
Wirkung. Trogdem erreichte der jchlaue Nealpolitifer Karl IV. feine Zwecke, er
heimfte ein, was er ſich vorgejegt hatte, Ihm ward die Kaiferfrone, ihm huldigte
Italien, und große Geldjummen, deren Werth der nüchterne Luremburger richtig zu
tariren veritand, waren in jeinen Geldbeutel gefloffen. _ı.
Taroflav Goll: Historicky rozbor basni rukopisu Krälodvor-
skeho: Oldricha, Benese Hermanova a Jaroslava. (Hiſtoriſche
Analyje der Gedichte der Königinhofer Handjchrift: Oldrich, Benes,
Hetmanov und Jaroſlav.) Prag 1886, Selbjtverlag.
Es muß vecht ſchlimm beftellt fein um die Echtheit der Königinhofer Handichrift
(Rh. Hſ.), daß, fo oft nene Einwendungen gegen diefelbe gemacht werden, ein Theil
der Nationalen über die Urheber berfallen und wicht in wilfenfchaftliher Weiſe mit
Sachlichen Gründen, fondern mit wüſtem Gejchrei und Lärm fie betämpfen. Wir haben
in fester Zeit Gelegenheit gehabt, uns hievon zu überzeugen: tichechiiche Gelehrte, die
ben Muth Hatten, ihre Zweifel über die Echtheit der Hi. zu äußern, wurden aus
Bereinen ausgeſchloſſen, als Verräther der Nation gebrandmarkt, in öffentlichen Ver:
lanımlungen wurde gegen diefelben Stellung genommen und in lächerlichiter Weiſe
die Echtheit der Hſ. decretirt. Ja der naitonale Terrorismus hat es ſoweit gebradht,
daß tſchechiſche Buchhändler ſich ſcheuen, Schriften, die Angriffe gegen die koſtbare
Hſ. enthalten, in ihren Verlag zu übernehmen. Diejes Schidjal theilt das uns
Et BR
vorliegende Büchlein, e8 mußte im Selbftverlage erfcheinen. „Bei der Aufregung bes
Bublicums — jo äußerten die Verleger — jet die Herausgabe der Schrift Ihon aus
Geihäftsrüdjichten nicht möglich.” Nicht einmal in eines der wiſſenſchaftlichen
Sammelwerfe wurde die Arbeit aufgenommen (Val. Vorrede S. 2), und doc ift fie
durchaus wiljfenichaftlid gehalten. Mit gewiflenhafter Genauigkeit werden alle Möglid)-
feiten erwogen, jelbit ganz ummahrjcheinlihe Eimmwürfe widerlegt und mit ftreug
logischer Conſequenz die Schlüffe gezogen. Wenn wir aud) mit dem Verfaſſer überein:
jtimmen, daß gerade in dieſem Streite die Bekämpfer der Echtheit der Hſ. ihre
Gründe möglichit erjchöpfend vorbringen, um den Gegnern jegliche Ausflucht zu be-
nehmen; jo müffen wir auderjeit3 die Forderung als zu weitgehend ablehnen, daß
jedes einzelne Gedicht der HI. ſowohl von hiftorifchen wie philologiſchen al3 paläolo—
giihen Standpunkte aus als unecht ſich erweiſen müſſe, bevor man fagen könnte: nun
hat der Streit ein Ende. Denn einmal braucht ein Gedicht, das 3. B. der Hiftorifer
al3 unecht erwiejen hat, nicht gerade aud) dem Grammatiker anjtößig erjcheinen und
umgekehrt. Dann aber muß auch die Hſ., wie fie uns vorliegt, al3 einheitliches
Ganzes betrachtet werden: erweiſt fih aud; nur ein Stück derfelben ald unecht, jo
fällt die ganze Hſ. Winkelzüge, wie Jiretek's Behauptung „das Lied auf dem Vyse—
hrad fei, wenn auch nicht dem Texte, jo doch gewiß der Handjchrift nach unedht“, ')
bedürfen feiner Widerlegung. Zu ſolch' unbegreiflihen Ausſprüchen „hoeret ouch
geloube zuo“.
Der Verfaſſer unterfucht den geichichtlichen Gehalt der drei Gedichte: Oldkich,
Bened Heimanov und Karoflav, freilich nicht alle drei gleich eingehend. Auf Oldrich
entfallen 60 Seiten, auf Benes 9. 14, auf Jaroflan 20. Eine Vergleihung des Haupt:
gedankens in dem Gedichte Oldtich mit dem Chroniften Dietmar einerjeits, mit Kosmas
und Dalimil andererjeit3 ergeben, daß das Gedicht jünger fein müſſe als der Dalimil.
Der Zeitgenoffe Dietmar erzählt die Vertreibung der Polen in ungeſchminkter Wahr-
heit: Jaromir wird von Heinrich I. nad Böhmen geführt. Als Boleflav Chrabry
vernimmt, daß Saromir im Anzuge gegen Prag begriffen jei, verläßt er mit feinen
Polen die Stadt ohne Kampf. Kosmas hat diefe nadte Thatjache bereit3 poetifch
ausgeſchmückt, Dalimil erweitert offenbar auf Grund mündlicher Ueberlieferungen die
fagenhaften Zuthaten und in diefer erweiterten Form finden wir auch in dem Ge-
dichte der KH. Hi. das Ereigniß der Eroberung Prags erzählt. Da fich jedoch hier
Zuthaten finden, die auf eine weitere Fortbildung der Tradition jchließen laflen, und
die im Dalimil nicht vorkommen, jo läßt id mit Recht behaupten, daß das Gedicht
jünger fein müſſe al3 der Dalimil. Ueberdies denft fi) der Dichter im Gegenfate
zu Kosmas und Dalimil die Prager Altftadt befeftigt, mit der noch offenen Kleinſeite
durch eine Brüde verbunden. Dieſe Auffaffung würde der Zeit zwiſchen 1235—57
entfprechen. Der Dichter aber zeigt in der Auffaffung feiner Quellen eine jolhe Un-
fenntniß der thatlächlichen Verhältniffe, daß man genöthigt tft, nody weiter in ber
Zeit heraufzurüden. Die Brüde über die Moldau erjcheint ihm nur am rechten Ufer
mit Thurm und Thor befeftigt, das linke Ufer ift ungeſchützt; die Polen fliehen zuerft
durd die Gräben, dann durch dag Thor. Ein Dichter des 13. Jahrh. hätte in der
Art der Befejtigung beſſer Beſcheid gewußt. Allerdings enthält das Gedicht zwei
Thatfachen, die fid) weder bei Kosmas noch bei Dalimil noch ſonſt einem biftorifchen
Schriftfteller bi3 zum 18. Jahrh. finden, nämlich einmal die Erwähnung, daß Jaromir
1) Zof. und Herm. Jirecek, die Echtheit der Kh. Hi. S. 182.
3*
— —
nad) der Vertreibung der Polen zum zweiten Male zur Herrſchaft gelangt (was
geichichtlich" falſch ift), andererjeitö daß der polnische Ujurpator nicht Mesco (Mecislav)
fondern richtiger Boleflan heißt. Palacky und Tomek fchliegen daraus auf das hohe
Ulter des”Gedichtes. Nun wird jedoch nachgewiejen, daß Dobner (im 18, Jahrh.) der
erfte war, der in ganz gleicher Weile wie der Dichter des Oldrich die Ereigniſſe in
den Fahren 999—1004 erzählt. Es ift nicht nöthig, daraus jofort einen Schluß auf
die Abhängigkeit des Gedichtes von Dobner zu ziehen, aber für die weitere Beweis-
führung bleibt es von Wichtigkeit. Die zahlreichen Uebereinftimmungen mit Häjek
(16. Jahrh.) Tegen eine doppelte Frageftellung nahe: Benuste Häjek das Gedicht oder
ift vielmehr der umgekehrte Fall anzunehmen ? Eine eingehende Erörterung der Ab-
weichungen, die ſich daneben in beiden Werken vorfinden, ergibt, daß fich diefelben
nur erklären laffen, wern man annimmt, daß der Dichter den Chroniften benust hat,
aber nicht umgekehrt. Bicher gehört auch die Erklärung de3 merkwürdigen Namens
Vihon Dub. Statt deſſen fteht bei Häjek der umpoetiihe Name Berkovec. Hiemit
will er einen Sprößling aus dem befaunten Geſchlechte des Berka von Duba be:
zeichnen. Nun heißt aber Byhon „Sprößling“; der Name bedeutet alfo in poetifcher
Umformung nichts anderes als Berkovec.
Uebrigens ftimmen alle Abweichungen von Häjek mit Dubravius überein. Sehr
bezeichnend ift aud der Nachweis, daß Swoboda in feiner hiſtoriſch-kritiſchen Ein—
leitung zur Ausgabe der Kh. Hi. (1829) feine Erläuterungen zum DOldrih aus
Häjek entlehnt hat — natürlich ohne es zu geſtehen. Nach einer Beleuchtung der
vergeblihen Bemühungen Nebesky's, die ſchon von Büdinger vorgebrachten Verdachts—
gründe zu widerlegen, geht der Verfaſſer an die Analyje des geihichtlichen Stoffes
im Benes H. Auch hier weilen zahlreiche Barallelftellen darauf hin, daß der Dichter
den Ehroniften Häjek benust habe, Diefer erwähnt die Einfälle der Brandenburger
Sadjen und Meißner zu den Jahren 1279—83, weiß aber nichts von einer Ver—
theidigung des Landes durch einen böhmifchen Abdeligen, vielmehr jei nad jeiner
Anficht durch das Erſcheinen Otto’3 von Brandenburg mit dem Fürften Wenzel der
Verwüftung des Landes ein Ende gemacht worden. Der Name „Bened Hermanov“
(Hermanns Sohn) gelangte durch eine Combination ganz eigener Art in das Gedicht.
Ber Häjek heißt es, daß die Bewohner in große Berge und Felfen fich geflüchtet und
dort gewohnt hätten. Dieser Gedanfe wurde iu das Gedicht hinübergenommen,
zugleich aber der unbeftimmten Ortsangabe der Sinn untergelegt, daß hiemit die
Gegend bei Groß-Skal gemeint fei, wo ſich merfwürdige ftadtähnliche Felsgebilde
finden. Nun wurde nad) einen Helden geſucht; er durfte natürlidy nur ans der Nähe
von Groß-Skal zu Haufe fein. Da bier die Wartenberge ihre Befigungen hatten,
fo wurde aus der Stammtafel diefes Gefchlechtes ein gewiſſer Benes, der im jener
Zeit febte, aufgenommen. Der Name war leicht aus Paprocky's „Diadochus“ (1602)
zu finden. Als Nachkomme Hermanus von Ralsko befam er das Attribut „Heima-
nov“ (ein Sprofe Hermanns). Smwoboda, der ſich ftet3 al3 richtiger Interpret der
Kh. Hi. erwieſen hat, entwidelt a. a. O. diefelbe Anficht. Nun ift aber von Pa-
fact) aufmerkfam gemacht worden, daß ſeit der Mitte des 13. Jahrh. die adeligen
Beichlechter fi) nach ihrem jeweiligen Wohnfige benannten. Dieſer Hermann jollte
alfo rechtmäßiger Weife den Beinamen „von Wartenberg“ oder „von Groß-Skal“
führen, Ein „Benes“ mit dem Geichlechtsnamen „Hekmanov“ ift ſonach ein hiftorifcher
Anachronismus. Palackh freilich, der unter allen Umftäuden die Echtheit ‚der; Kh.
Hſ. vertritt, ſucht die Sache in der Weiſe einzurenken, daß er die Einfälle in die
wei
Zeit Premysl Ottofars I. verlegt. Für diefe Zeit kann er allerdings einen „Benes
Hermanop” ausfindig machen. Gegen jegliches hiftorisches Zeugniß conftruirt er einzig
und allein auf Grund der KH. Hſ. ein neues geihichtliches Ereigniß.
Häjek war überhaupt die wichtigite Quelle für „Libusin soud“ wie für die
Kb. Hl. Mit Recht kann man den Worten des Verfaffers zuftimmen: „Häjek hat
jegliche8 Anfehen als Gefchichtsichreiber verloren, aber auch als Chronift fiel er der
Bergefienbeit anheim, was man jedoch, wenigſtens in Betreff der Rh. Hſ. und des
Libusin soud bedauern muß. Vielleicht hätte eine befjere Bekanntſchaft mit Häjek's
Chronik zu rafcherer Enticheidung des Streites beigetragen.”
Was endlich das 3. Gedicht Jaroſlav betrifft, fo ift der 1. Theil desfelben
(Ermordung der Tochter des Tatarenfürften) nach einer ſchleſiſchen Sage bearbeitet,
wie fie in Kloſe's documentirter Gefchichte aufgezeichnet ift. Auf eine überzeugende
Bemweisführung ift nicht eingegangen. Feifalik's Unterfuhungen über dieſes Stüd ')
fürdert befjere Nefultate zutage, Daß ein Gedicht aus „des Knaben Wunderhorn”
den Anftoß zu der Daritellung | in der Kh. Hi. gegeben hat, ift nach dem dort Ge—
jagten zweifellos.
Für den zweiten Theil (Kampf der Ruſſen gegen die Tataren) find außer
Häjek noch benüst M. Polos Million, die Mlerandreis und Dubravius, der
feinerfeit$ wieder aus dem polnifchen Chroniften Diugos ſchöpfte. Auch für den
dritten Theil (Kampf der Ungarn und Polen mit den Tataren) bleibt Häjek Ge-
währsmann, Für den vierten (Kampf der Mährer mit den Tataren) tritt zu Häjek
uoch Cruger (sacri pulveres, zum 25. Juni 1669) hinzu. Die Beweisführung iſt
bier bei weiten nicht fo eingehend wie bei Oldrich; es wird auch nichts weſentlich
nenes gefördert. Bekannt it ſchon die Thatjache, daß es eine Schlacht bei Olmütz
mit den Tataren nicht gibt, dab im Jaroſlav vielmehr diefe Schlacht, die angeblich
1241 geichlagen worden jein jollte, mit einer zweiten zwiſchen Bremyfl Ottofar II. und
Bela von Ungarn (1253) verwechielt wird. Intereſſant ift der Nachweis, wie dieſe
angeblidye Niederlage der Tataren im Jahre 1241 allmälig mit dem Namen Ja—
rojlav v. Sternberg verknüpft wurde. Paprockh hat in diefem Werdeproceſſe die
Schlußredaction hergeftellt und aus ihm ſchöpften die Verfaſſer. Seine Werke waren
ihnen leicht zugänglich; fie befinden fich in der Prager Univerfitätsbibliothef. Sogar
die Anregung, den Streitern ein Gebet in den Mund zu legen, das, wie Feifalik
nachgewieſen hat, *) aus Bjalnı 7 und 26 zuſammengeſchweißt iſt, hat der Dichter des
Jaroſlav aus Paprocki.
Man ſollte meinen, daß durch dieſe Schrift jeder einſichtige, objectiv urtheilende
Leſer von der Unechtheit dieſer drei Gedichte überzeugt ſein müßte. Soviel wir jedoch
die Vertheidiger der Hſ. kennen gelernt haben, dürfte es doch noch immer nicht der
Fall ſein; aber begierig ſind wir auf die neuen Ausflüchte derſelben. Die Schrift
lehrt auch, daß ſchon vor Jahren die deutſchen Gelehrten Büdinger und Feifalik über
die drei behandelten Gedichte zu ganz richtigen Reſultaten gelangt waren, wenn ſie
uns auch nicht alle Details ihrer Unterſuchungen vorgelegt haben.
Dr. Joh. Knieschek.
1) Ueber die Seh. Hi. v. J Feifalik. Wien 1860, Seite 98 f.
2) A. a. O. ©. 12 f.
Dr. von Hagen: Das Leben König Sigmunds, von Eberhard Windede.
Nah Handichriften überjegt. Leipzig, Franz Dunder. 1886.
(Gejchichtjchreiber der deutjchen Vorzeit, Lieferung 79.)
Dr. v. Hagen hat nicht das ganze Werk Windede’3 überjegt; Tapitel, in denen
anderweitig zugängliche oder wenig wichtige Nctenftüce sc. mitgetheilt werden, wurden
ausgelaffen. Dem Ueberjeter lag vor Allem au der Herftellung eines zuverläfligen
und lesbaren Textes, die Sprache wollte er im ihrer alterthümlichen Färbung be-
laſſen. v. Hagen verbreitet ſich in der Einleitung über das Verhältniß der Handichriften
und über die Lebensverhältniffe Windecke's. Im Jahre 1395 iſt Windecke in Eger, von
wo aus er „mit einem großen Kaufmanne“ Böhmen durchwanderte (E. 4), Seit 1410
ftand er in Dienften Sigmund's und fand beim Fiuanzweſen Beihäftigung; feit
1425 ließ er fih in Mainz, feiner Geburtsftadt, nieder, wo er in den politifchen
Kämpfen zwilchen den Zünften einerſeits, dem Batriciat und der Geiftlichfeit auder-
ſeits auf Seite der Erfteren eine Hauptrolle jpielte, da er Huge Vorfiht mit dema-
gogiſchem Talente verband, Er war ein tüchtiger Gefhäftsmann, ein trener Ans
hänger Sigmund’3 und befaß eine gewilfe Bildung. An dem „König Sigmund's
Buche“, jo wichtig es als Quelle ift, treten aber doch fchwere Gebrechen auf, Die
Erzählung iſt jchwerfällig, ja geradezu confus in gewilfen Partien, dabei begegnen
wir gar zu vielen Wiederholungen, v. Hagen behauptet, da nirgends ein beherr-
ſchendes Brineip für die Anordnung und BZujammenftellung der Einzelnheiten her—
vortritt, jo ftehe in diefer Hinfiht die formloſeſte Chronik höher als Windecke's
Wert. Aſchbach, Troyfen und Lorenz ſuchen dies zu erflären, und bier zeigt ſich
Lorenz’ Annahme, daß die Wiener Handichrift, die eine wohlgeordnete Erzählung
enthält, nicht3 anderes al3 ein Auszug aus Windecke's Werk jei, als gerechtfertigt.
Die „wüſte Geftalt“ des Werkes in den meiften Handfchriften ift alſo die urfprüng-
fihe. v. Hagen hält dafür, daß die Eintheilung in Gapitel die Darftellung beein-
trächtige, weil der Faden häufig abgeriffen würde, ferner Windeckes Mrbeit des Dic-
tirend die Weberficht über das Ganze verlieren ließe. Während Lorenz behauptet, er
wolle jedes Urtheil über Windecke's politische Geſinnung in der Schwebe laſſen, be—
hauptet v. Hagen, der Zweck, den Windede verfolgt, fer offenbar, den Kaiſer gegen
die Angriffe zu rechtfertigen, welche ex wegen jeiner Politik in Deutichland reichlich
erfahren habe. Für die Bedeutung der großen firchlihen Verſammlung zeigt Windede
fein Berftändniß, noch weniger kann man fich einen Begriff von den Hufitenfriegen
nad) feinem Werfe machen. Anmerkungen unter dem Strich erflären und berichtigen
das Thatlähliche, Ein gutes Regifter erleichtert den Gebrauch des Buches.
L. Ch.
Heinrich Gradl: Gedichte des Egerlandes. Mit Abbildungen, Karten
und Plänen. 1. Band. S. 1—24. Eger 1886. Druck und Verlag von
A. E. Witz.
Es iſt ein ſehr dankenswerthes Unternehmen, daß die Redaction der „Egerläuder
Zeitung“ ſich entſchloſſen hat, als Beilage zu ihrem Blatt eine vollſtändige Heimats—
kunde des Egerlandes aus der berufenen Feder Heinrich Gradls unter Mitwirkung
vieler gelehrten Landsleute abwechſelnd mit Heften der „Egerwellen“ erſcheinen zu
laffen. Das Werk wird jest auch Nichtabonnenten zugänglih. Wir machen bag
Publicum auf dasjelbe aufmerkſam. Wie das erfte Heft jchen zeigt, findet ſich
viel Intereffantes auf Grundlage tüchtiger, nicht leicht zugänglicher Forfchungen in
einer Darftellung, die jehr hohen Anforderungen entipricht. Der 1. Abichnitt erzählt
den Zuftand des Ländchens bis zum Auftreten der erften Bewohner. Es ift ein groß:
artiged Bild ans der Primordial-, Secundar-, Tertiarzeit und Onartarzeit. Leicht:
verftändlich wird der Leſer hier über die Bildung der Torfmoore und Mineralmoore
belehrt. Der 2. Abjchnitt gibt einen muftergiltigen Ueberblif über die Anfiedlungen
der Ureinwohner, der Kelten und Germanen, über die ältere Steinzeit, die Renthier—
zeit und die jüngere Steinzeit, über die Bronze und Eifenzeit. Hier lieft der Lern:
begierige anſchaulich an einem beftimmten, ihm bekannten Landſtrich jene Erörterungen,
die ihm im wiflenichaftlihen Werfen wegen ihrer Allgemeinheit nicht fo leicht ver:
ftändlich werden. Die ulturaxbeit der Kelten und Germauen wird treffend und auf
Grund der Funde geichildert. Wir begrüßen diefe Arbeit frendig und können nur
wünſchen, daß das Gebotene gern und willig aufgenommen werde und zwar aucd von
jolhen Kreifen, die nicht der egerländiichen Landsmannfchaft angehören. Die Aus»
ftattung in Großoctav ift jehr gut, der Drud correct und mit Slluftrationen ver:
jehen. Eine genaue Angabe der benusten Literatur gehört unbedingt zu den Vorzügen
des Werkes. L. Ch.
Der Mineralreihthun Schlaggenwalds, (Zur Preisbewerbung.) Erzgebirgs-
Zeitung VIL Jahrg. 5-8. Heft. ©. 75 ff.
Artikel in populären Zeitfchriften, welche beftimmt find, wiſſenſchaftliches In—
terejfe im weiteren Kreiſe zu erregen, find immer ſehr danfenswerthe Leiftungen, nur
dürfen fie nicht jo ausſehen, wie jener, deifen Titel wir diefer Beiprehung voraus:
jetsten, der überdies noch al3 eine Concurrenzarbeit angejchen werden will, Der längit:
vergangenen Tagen angebörende Mineralreihthbum Sclaggenwalds ift vor langer
Zeit ſchon von Glückſelig in feinen „Mineralien des Egerer Kreifes“ und in Zepharovich's
„Mineralogiſchem Lericon der öfterr. Monarchie” jehr genau und erjchöpfend bejchrieben
worden, und der Verfaffer hätte beifer getban, aus diefen beiden ihm unbekannt ge:
bliebenen, aber jo leicht zugänglichen Quellen zu jchöpfen und jo wenigſtens grobe
Fehler zu vermeiden, als fein eigenes Licht ziemlich trübe feuchten zu laffen. Bon
den 48 von Schlaggenwald befaunt gewordenen Mineralien führt der Verfalfer nur
24 au, allerdings unter 36 Nummern, da mehrere Mineralien unter verichtedenen
Namen zwei: und dreimal vorhanden find, Dabei begnügt er fih nicht mit der An—
gabe des Vorkommens, jondern fiigt den meisten Namen eine mangelhafte, aus Quen—
ſtedt's mineralogiſchem Handbuch (3. Th. wörtlich benüst!) ausgezogene Charakteriftif
bei, die manchmal gar nicht auf das Schlaggenwalder Vorkommen paßt. Bon den
vielen groben Drudfehlern (Natern ftatt Natron, Orthokles ftatt Orthoflas u. ſ. w.)
wollen wir ganz abſehen; auch find nicht minder zahlreiche Schreibfehler zu rügen (das
arern lieft der Verfaſſer apaty, Cali ftatt Kali, Nacrid ftatt Nafrit, Caſſiterit ftatt
Kaffiterit, Wiſmuth (sie!) ftatt Wismuth kömmt vor). Weiter gebraudıt der Berfaffer
das Wort „PBrodicte” zur Abwechslung fir „Mineral“ und ſpricht von „regulärem
Zinn“, wo er regulinifches oder metalliiches Zinn meint. Wo derjelbe aber aus dem
Bourne eigener mineralogijcher Kenutniſſe jchöpft, gibt er fic) nicht minder arge Blößen.
Flußſpath hat bei ihm „unebenen Bruch”, der in Sclaggenwald vorfommende
Lithionglimmer foll Kaliglimmer jein, Greifen, ein gemengtes Geftein, wird als
Mineral aufgeführt, Gyps foll im rhombiihen Säulen kryſtalliſiren, Megobafit
(rihtig Megabafit) joll vermwitterter Karpholit jein, wiewohl darunter Wolfram zu
verftehen ift u. dgl. m. — Dieſe Blüthenlefe wird binreichen zu beweifen, daß bie
mineralogifhen Kenntniſſe des Verfaſſers nicht weit her, Faum für den Hausgebraud,
geichweige denn für die Abfaſſung mineralogifcher Artikel für die Deffentlichkeit ans—
reihen. Wir müffen uns auch fragen, wie die Redaction der Erzgebirgs-Zeitung ſich
berbeilaffen konnte, ein ſolches Machwerk, da3 gleihwohl feinem Erzeuger einen
gewiſſen wiſſenſchaftlichen Anftrich, ja fogar einen Ehrenpreis verichaffen fol, ohne
alle weitere Prüfung zu veröffentlichen, und möchten ihr im eigenen Jutereſſe empfehlen,
ein wenig Eritifcher bei Behandlung folder Beiträge zu fein, die in ihrer Unfertigfeit
befjer für den Papierkorb als für die Beröffentlihung taugen. Lbe.
Scebef Edmund: Die Schweden und die Kapuziner im dreißigjährigen
Kriege, (Separatabdrudf aus der dterr..ungar. Nevue 1886. Heft II.)
Fürft-Erzbifchof Zbinko Berka von Duba und Lipa brachte die Kapuziner nad)
Böhmen; der Berfaffer erzählt deren Ankunft und Aufnahme unter der Führung des
P. Lorenzo, Im Jahre 1602 wurde ihre Kirche auf dem Hradihin dur den Erz:
bifchof eingeweiht. Der Schwerpunft ihrer Thätigkeit lag im Predigen. Zur Beit des
Schwedenkrieges machten die Kapuziner einen jo guten Eindrud auf Baner, daß er
fie Schütte. Der BVerfaffer erzählt Beifpiele, wie in Brür, Brünn, Iglau, Prag die
Schweden den KRapuzinern überall mit Schonung begegneten uud fie reichlich unter:
jtüßten; gerade in der jchweren Zeit des 17. Jahrhunderts nahm der Orden in der
böhmischen Provinz den größten Aufſchwung. Im Fahre 1626 erftand dem Orden
in dem lauretanifchen Haufe auf dem Hradichin ein hochangejehener Andachtsort. Der
Berfaffer hat mit diefer Heinen Arbeit, die gleichjam als Span von feiner befannten
großen Arbeit über Wallenftein abgefallen jein mag, einen recht danfenZwerthen
Beitrag für jene Zeit geliefert. Erwig.
Reid! 5. X.: Beitrag zur Geſchichte von Dur. Oux, F. Scheithaner 1886.
Man würde irren, wollte man nad dem Titel eine genauere Behandlung
irgend einer Partie aus der Gedichte der Stadt Dur erwarten. Der ziemlich
bunte Inhalt des Büchleins läßt fi überhanpt ſchwer mit funzen Worten charalte:
rifiren. Der Verf, erflärt im Vorwort: „Sch habe im Laufe der Jahre jo Manches
aus der Vorzeit meiner Baterftadt erforicht, und damit dieje von mir mit Mühe
gelfammelten Notizen für die Zukunft nicht verloren gehen, habe ich diefelben druden
laſſen.“ Dem entjprechend enthält der erfte, größere Theil in Form einer Art Chronik
eine Reihe hiftorifcher, topographifcher und befonders culturgefchichtlicher Nachrichten,
die fich freilich auf die verfchiedenen Zeiten recht ungleihmäßig vertheilen; fo ift das
ganze 16. Fahrhundert auf kaum zwei Seiten abgethan. Die eigentlich Hiftorifchen
Notizen leiden aud vielfach an jehr großer Unbeftimmtbheit. — Der zweite Theil bringt
auf 20 Seiten „Eintragungen aus dem Durer Stadtbuche im Originaltert”, u. zw.
aus den Jahren 1390-1533, zum Schluffe ein Verzeichnis der Namen der Bürger:
meifter von Dur von 1390 au. — Der Berf. verwahrt ſich dagegen, daß die Arbeit
für „eine nad) hiſtoriſchen Begriffen gejchriebene Gejchichte gehalten werde“; das ent-
waffnet die Kritif, die mande Bemerkungen zu machen hätte, Aber auch in einer
ſolchen Schrift follten Behauptungen vermieden werben, die geeignet find, falfche An—
Ihaunngen von den factifchen Verhäftniffen zu verbreiten; fo, wenn es heißt, daß um
1400 der Markgraf von Meißen der „Zandesherr” von Dur war (©. 8 f.). Derfelbe
war nur Gutsherr feit dem Kauf von 1398, ben übrigens der Verfaffer nicht zu
fernen jcheint. W. Hieke.
Dr. Franz von Köber: Archivaliſche Beitfchrift. X. Band. München,
Theodor Adermann. 1885. 320 Seiten.
Die Geſchichte des fränkischen Archiv: und Kanzleimefens ift in dem foeben
genannten Bande der „Archivaliſchen Zeitſchrift“ beſonders reichhaltig vertreten. Der
verdiente Hohenzollern-Forjcher Dr. Wagner bietet uns durch jeinen Aufſatz „Kanzlei—
und Archivweſen der fränkiichen Hohenzollern von der Mitte de3 15. bis zur Mitte
de3 16. Jahrhunderts“ eine Ergänzung und Erweiterung der im vorigen Bande er-
Schienenen Abhandlung „Schidjale des Maffenburger Archivs“. Er macht uns u. a.
nit der Thatſache befannt, daß ſich jchon feit dem 15. Jahrhunderte aud in Ausbach
ein hohenzolleriches Archiv befunden habe. — In das ältere „Archipweſen der
Reichsſtadt Nürnberg”, das ein ziemlidy complicirtes- war, werden wir durch den
königl. Kreisarchivfecretäv Dr. Johann Per eingeführt. — Die Einrichtung des Ur—
fundenarhivs des fränkiſchen Hochſtifts Würzburg im 16. Jahrhunderte lernen wir
durch einen Auffab des Reichsarchivrathes Dr. Schäffler kennen, welcher in demfelben
das von dem um die fränkiſche Geichichte hochverdienten Arhivar und bifchöflichen
Secretär Lorenz Fries (F 1550) entworfene „Verzaichnuſs der Schreine und Be-
halter, jo uf unfer lieben Framwenberg ob Wirzburg in dem Gewelb fteen” ver:
öffentlicht. — Reichsarchiv-Aſſeſſor Dr. Wittmann theilt und in feinem ſehr leſens—
werthen Auflage „us jtädtiichen, geiftlichen und Adelsarchiven Süddeutſchlands“ die
ſummariſchen Nepertorien über die Archive der ehemaligen NReichsjtädte Windsheim
in Franken und Heilbronn im Schwaben mit. Der nächte Band wird eine Fort:
jeßung dieſes Aufjages bringen.
Ju dem angezeigten Bande findet ſich aud) der Schluß des Artikel3 von Dr. Boos
„sur Geſchichte des Stadtarhivg in Worms“, Die Geichichte eines anderen Stadt-
arhivs nämlich jenes zu Freiburg im Breisgau behandelt A. Poinfignon, der fih um
die Neuordnung desjelben große Verdienfte erworben hat. Ueber mehrere hiſtoriſch
werthvolle Manuſeripte aus der Handichriftenfammlung des kgl. bayerifchen Kreisarchivs
in Aınberg berichtet und Dr. Scyneiderwirth. Eine von ihm erwähnte Handichrift,
welche eine „Erzehlung von dem Bayrifchen Krieg und funderli von der Sulz:
bachſchen Belagerung der Behmen in Anno 1503* enthält, dürfte auch der Beachtung
böhmiſcher Hiftorifer werth jein,
Die neuefte Gefchichte des in Oeſterreich als Mufterarhiv befannten fteier-
märfiichen Landesarchivs enthält der Aufjat des ſteir. Yandesarchivdirectord Dr. von
Bahn „Die Ergebniffe am fteiermärfifchen Landesarchive in dem Jahrzehnt 1873— 1882”.
Den Bemühungen Zahn's ift es gelungen, viele Heinere fteirifche Archive für das Lan-
—
— —
desarchiv zu erwerben und ſie dadurch für immer vom Untergange zu retten; ſogar ein
Archiv aus dem Staatsbeſitz, nämlich das in der k. k. Finanzprocuratur aufgeſtellt ge—
weſene ſteiriſche Lehensarchiv hat Zahn für das Landesarchiv übernommen. Er motivirt
die Uebernahme dieſer Archivalien mit folgenden für die öſterreichiſchen Archivszuſtände
ſehr bezeichnenden Worten: Da nämlich in Oeſterreich nur Scartirungs- nicht aber
ioftematiihe Confervirungsnormen für Staatsarchivalien beftehen, jo wären dieſe
Acten eben in die Stampfe gewandert! Möchte die öfterreichijche Regierung doch bald
auf dem Berordnungsmwege eine VBerbefferung diefer traurigen Arhivsverhältniffe, welche
für die Landesgefhichte unmiederbringliche Berlufte herbeiführen können, veranlaffen !
Die Aufmerkſamkeit deutjcher und öſterreichiſcher Hiftorifer möchte der Referent
ganz befonders auf den Aufſatz des leider feither verftorbenen kgl. preußifchen Staats—
arhivard Dr. Göde „Ueber das 17. preußiiche Staatsarchiv“ hinleuken. Diejes Archiv
bat feinen Sit in Weslar und birgt in fich den größten Theil des Archivs des ehe—
maligen deutfchen Reichskammergerichts. Für die Gefchichte aller einft zum heil, römi—
ſchen Reiche deuticher Nation gehörig geweſenen Staaten ift dort nody viel bisher
unbefanntes Material zu finden.
Von noch allgemeinerem Jutereſſe für den Hiftorifer ift der jehr anziehend
gefchriebene Artifel de3 Univerfitätsprofefford Dr. Julius Pflugk-Harotung „Ueber
Archive und Bibliotheken”. Er theilt uns darin feine Beobadhtungen und Erfahrungen
mit, die er auf feinen wiſſenſchaftlichen Reifen in den Archiven und Bibliotheken
Deutichlands, Frankreichs und Staliend gemacht hat. Befonder3 für Gelehrte, die
wiflenfchaftliher Forihungen wegen die Archive und Bibliotheken Italiens zu bejuchen
beabfichtigen, gibt er ſehr wichtige Rathichläge und Fingerzeige, Zum Schluffe fommt
er zu dem intereffanten Reſultate, daß Deutjchland nicht nur in Bezug auf die Zahl
und Reichhaltigkeit, fondern auc auf die Benugungsiyfteme feiner Archive und Biblio—
thefen den romanijchen Ländern weit überlegen if. Daraus erklärt fih auch zum
großen Theile die hervorragende Stellung und Bedentung, welche gegenwärtig die
deutihe Wiſſenſchaft in der civiliſirten Welt einnimmt,
Beiträge zur Gefchichte des Archivweſens in Rußland Tiefern die Abhandlung
de3 Stadtardivard Dr. Schiemann in Reval „Das herzoglice Archiv in Mitau“
und der Bericht von A. W. Gawrilow und A. N. Lwow „Ueber die Ordnung des
Drenburger Gouvernementsarhivs.” Das ſchwediſche Archivweſen betrifft der Aufſatz
des ſchwediſchen Reichsarchivars G. ©. Malmjtröm in Stodholm „Wblteferung von
Geſandtſchaftsacten in Schweden im 17. und 18. Jahrhundert“.
Für Sphragiftifer und Heraldifer befonders bemerkenswerth ift der Aufſatz des
königl. Reichsarchivsrathes Primbs „Eine Wanderung durd die Sammlıng von
Siegelabgüffen im kgl. allgemeinen Reichsarchiv zu München”. Der Verfaſſer begimut
in diefem Auflage mit der Bublication des KRataloges diefer auch für Adelsgeihichte
jo wichtigen Sammlung, weldye im nächften Bande ihre Fortiegung finden wird. In
das Gebiet der Heraldik gehört der in diefem Bande begonnene Anfla des Heraus—
gebers über „Bedeutung, Recht und Gejchichte dev Helmfleinodien“, Jeder Fachmann
wird auch die in demfelben enthaltene Fortfegung der Artifelferie von Löher's „Ueber
Einrihtung von Archiven“ mit Freunde begrüßen. Er beſpricht diesmal vorerft die
Inhaltsverzeichnung von Codiced und Amtsbüchern, jowie die Verzeichnung und Ein—
theilung der Acten in den Archiven. Dann geht er zu der Erörterung über, wie man
am beften Orts-, Perſonen- und Sachenkataloge und Repertorienfammlungen anlegt.
Als praktiſche Beifpiele gibt er eine Schlagwörterüberficht und drei Artifel aus dem
hiftorifchen Ortslexicon für Bayern, welches auf Grund der in den bayerifchen Staats:
archiven vorhandenen Urkunden einſt der verftorbene (and als Germanift berühmte)
Reichsarchiv-Functionär Dr. Karl Roth angelegt hat. Der Kiteraturbericht befpricht
einige neuere für Archivare beſonders beachtenswerthe Bücher. Mit Recht werden
darin die vom Oberardivar Dr. C. A. 9. Burkhardt verfaßten „Stammtafeln der
Erneftinifchen Linie des Hauſes Sachſen“ als eine genealogifhe Mufterarbeit gerühmt.
Aus den Heineren Mittbeilungen, die diefen Band befchließen, find für Fachmänner
von bejonderem Jutereſſe die beiden Artikel „Nepertorien-Veröffentlihung der frau:
zöſiſchen Archive” und „Ungariſch-kroatiſcher Archivsſcandal“.
Möchte es dem verdienten Herausgeber der „Archivaliſchen Zeitſchrift“, die mit
dieſem Bande ihr erſtes Jahrzehnt abſchließt, vergönnt ſein, die wiſſenſchaftliche Welt
noch mit ſehr vielen Bänden derſelben von ebenſo reichem und allgemein intereſſantem
Inhalt zu erfreuen! A. Mörath.
Dr. 93. Sriedrih von Maasburg: Die Proceh-Ordnung für Böhmen
vom 23. Januar 1753. Herausgegeben und mit Anmerkungen verfehen.
Wien 1886. Manz'ſche kak. Hof-Verlags- und Univerfitäts-
Buchhandlung. ©. VI, 77.
Die in Böhmen, Mähren und Schlefien um die Mitte des vorigen Jahrhundertes
fih ſtets häufenden Beichwerden über Verfchleppung der Civilproceſſe und fchlechte
Parteienvertretung vor Gericht beſtimmten die Ratferin Maria Therefia am 27. Juni 1748
die k. Statthalterei in Prag zu beauftragen, von den böhmischen Landesftellen Gut-
achten abzuverlangen, wie den erwähnten Webeljtänden abzuhelfen wäre, und fodann
auf Grundlage diefer Gutachten einen Entwurf des zu erlaffenden Geſetzes zu ver-
faffen und der Hoffanzlei vorzulegen. Ueber diejen Entwurf fanden dann in den
Jahren 1751 und 1752 im böhmifchen Senate der oberiten Juſtizſtelle eingehende
Berathungen ftatt, bei denen als Neferent der Juſtizhofrath, nachmals Feldzengmeifter
und Generaldirector der Artillerie Franz Graf (jpäter Fürft) von Kinsky (geb. 1726,
geftorben zu Prag am 18. December 1792) fungirte. Bei diefen Berathungen wurde
daran feftgehalten, daß es ſich zumächft nur um die Befeitigung einzelner Mängel
des Verfahrens ſowie der fchreiendften Mißbräuche, die in dasjelbe fich eingefchlichen
hatten, feineswegs aber um Berfaflung einer ganz nenen allgemeinen Gerichtsordnung
handle. Der auf Örundlage diefer Berathungen von der oberften Auftizftelle an. die
Kaiſerin erftattete Vorſchlag wurde von bderfelben zunächſt dem ihr bejonderes Ver—
trauen genießenden Vice - Präfidenten der oberften Juſtizſtelle Otto Grafen von
Franfenburg zur Abgabe eines Separatvotums mitgetheilt, welches Votum dann den
Gegenſtand nenerlicher Berathungen bei der oberften Yuftizftelle bildete. Der jo end-
giltig feitgeitellte Entwurf einer Proceßordnnug fir Böhmen wurde von der Kaiferin
janctionirt, am 23. Januar 1753 fundgemaht und trat am 1. Auguſt desjelben
Jahres in Wirkſamkeit. — Durch die Herausgabe diefer Procefordnung, einer Vor:
fäuferin der noch gegenwärtig in Defterreich geltenden allgemeinen Gerichtsordnung,
bat fih nun der um die Geichichte der öfterreichiichen Juftiz im 18. Jahrhunderte
bereit3 hochverdiente Verfall neuerlich ein nicht geringes Verdienft erworben und
zwar umjomehr, als er ſich nicht mit dem bloßen Abdrucke des Geſetzes begnügte,
fondern jedem Artikel desfelben eine eingehende, namentlich die won den oberften
Gerichtsbehörden erftatteten Gutachten und die bei der oberſten Juſtizſtelle gepflogenen
Verhandlungen berüdfichtigende Erläuterung beifügte. Diefe Gutachten und Verhand-
lungen find aber nicht nur für das volle Verftändniß der einzelnen Beftimmungen
des Geſetzes von größter Bedeutung, fondern fie gewähren zugleich ein, allerdings nicht
jehr erfrenliches Bild der Juftizverhältniffe Böhmens um die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts. Die Benügung derfelben wird durd ein jorgfältig gearbeitetes Namen- und
Sadıregifter wejentlich erleichtert. Dr. R.
Hans Lutſch: Berzeihniß der Kunftdenfmäler der Provinz Schleſien.
1. Band. Die Kunftdenfmäler der Stadt Breslau. Breslau, Wilhelm
Gottlieb Korn. 1886. S. XIV und 260,
Vom Minifter der Unterrichts: ımd Medicinalangelegenheiten veranlaßt, von
den Landesſtänden Schlefiens und der Oberlaufig unterftüßt, hat der Verfaſſer es
unternommen eine Weberfiht über die für die Kunſt und Technik des Mittelalters
und der Neuzeit bebeutiamften Denkmäler ald eine Ergänzung zu den Urkunden und
Regeftenwerken zu liefern. Die Arbeit will feine abjchließende fein, fie will blos in
einheitlihem Rahmen eine Anleitung zur Beſtimmung des Werthes der Denkmäler
für die Eulturgefchichte bieten und überläßt ein endgiltiges Urtheil und eine ein-
gehende Würdigung der Zukunft. Der Verf. er ift Regierungs-Baumeiſter, läßt in
jeinem verdienftvollen Buche die vorgeichichtliche Zeit und das 19. Jahrhundert un—
berücjichtigt, er jchließt e8 mit den Schöpfungen der Gilly'ſchen Schule ab; er fchliekt.
aud die im Mufeum jchlefiicher Alterthümer md die in den Büchereien, namentlic)
der Breslauer Stadt- und Univerfitätsbibliothef der Verfchleuderung entzogenen Runft-
werfe aus, Im vorliegenden 1. Bande werden die Kunjtdenfntäler Breslaus auf:
gezählt, und zwar in den erften drei Capiteln des erften Buches die firhlichen Denk:
mäler ber Dom= und der Sandinjel, die Kirchen der vom Stadtgraben umgebenen
Stadt und die der Vorftädte; das 4. und 5. Capitel erörtert die Profanbanten. Das
2. Bud) beipricht die Ausftattung der Gebäude mit befonderer Berüdjihtigung der
Kleinkunſt. — Die Bedeutung der mühevollen Arbeit für die Culturgeſchichte Schle-
find wird aus dem Mitgetheilten erfichtlih, man muß ihr den beften Fortgang
wünſchen. Die Aufgabe, die ſich der Herr Verfaſſer geſetzt hat, fällt in vwielfacher
Beziehung mit der zufammen, die ſich die „Eaijerl. königl. Geſellſchaft zur Er—
forihung und Erhaltung der Runft- und biftoriichen Denkmäler” gejest und theil-
weile durchgeführt hat. —n.
Franz Huͤbler: Geſchichte, Bedeutung und praftiiher Werth der Ste:
nographie Gabelsbergers. Selbitverlag des Stenographen-Vereines in
Reichenberg.
Seit einigen Jahren ift das ftenographiiche Keben in Deutihböhmen ein überaus
reges geworben, welcher Erfolg befonders dem Wirken &3 deutſchen Stenographen-
Verbandes in Böhmen, der bereit3 weit über 1000 Mitglieder zählt, zu danken ift.
— —
Unter den Vereinen, welche dieſem Verbande angehören, nimmt der Reichenberger
Verein Dank der trefflichen Leitung, deren er ſich erfreut, eine der erſten Stellen ein,
und es freut und, hiemit ein Werkchen des langjährigen Vorſtandes dieſes Vereines
mit verdienten Lobe anzeigen zu können. Auf blos 24 Seiten faßt es alles zuſam—
men, was geeignet ift, den Laien mit der Bedeutung der Gabelsberger’ichen Steno-
graphie bekannt zu machen. Die einzelnen Kapitel de3 verdienftvollen Werkchens
führen folgende Weberjhriften: 1. Geſchichte der Stenographie; 2, Geſchichte und
Syſtem Gabelöbergers; 3. die übrigen deutſchen Kurzichriftigfteme der Gegenwart;
4. Berbreitung und gegenwärtiger Stand de3 Gabeläberger'ihen Syſtems (aus dieſem
Capitel verzeichnen wir die bemerfenswerthe und erfreuliche Thatfache, daß die Ga—
belsberger'ſche Stenographie 1870 nur von 163 Vereinen mit 4635 Mitgliedern ge-
pflegt wurbe, während ihr 1885 bereit3 544 Vereine mit 14.145 Mitgliedern ihre
Thätigfeit zumendeten); 5. Bedeutung und praftifcher Werth der Stenographie (dieſes
Capitel ift befonders lejenswerth); 6. die materielle Stellung der Stenographen
(auch diefes Capitel enthält viele beachtenswerthe Mittheilungen); 7. Schluß. Welches
Kurzſchriftſyſtem fol gewählt, waun und wie joll e3 erlernt werben? Die zuletzt auf:
geworfene Frage wird unſeres Erachtens ganz richtig dahin beantwortet, daß das
Gabelsberger'ſche Syitem, ſelbſt wenn es nicht das befte aller vorhandenen Syſteme
wäre, doc) ſchon darum jedem amderen vorzuziehen ift, weil es das verbreitetite ift,
indem jährlich in Deutichland und Defterreih an 30.000 Perfonen nach Gabeläberger
unterrichtet werden; daher ift e3 bei diefem Syftem viel leichter, Perjonen zu finden,
welche eine darin abgefaßte Niederfchrift zu leſen im Stande find, als bei den anderen
Spyftemen, die wie 3. B. die Faulmann'ſche Phonographie höchſtens 3—400 Anhänger
aufzumeilen vermögen, Alles in allem kann Hübler’3 Schrift folchen, die fih für
ftenographifche Fragen intereffiren, nur wärmſtens empfohlen werden. Th. Tupetz.
Balenderfhan.
Deutſcher Volkskalender für 1887, Nedigirt von Julius Lippert.
Diefes vortreffliche, von Julins Lippert wie befaunt ausgezeichnet redigirte
Haus: und Familienbud; unjerer deutjchen Landsleute hat mit dem vorliegenden
nunmehr feinen XVII. Jahrgang erreicht und bedarf nicht erft einer nochmaligen
Empfehlung; es hat Freunde in den weiteften Kreifen gefunden, und daß es fie er-
halten, ja die Zahl derjelben immer erweitern wird, dafür bürgt der Herausgeber,
der „Deutiche Verein zur Verbreitung gemeinnüßiger Renntniffe in Prag“, und ber
Name feines Redactenrs. — Der Jahrgang für das Jahr 1887 bringt nebit dem
Kalendarium und den üblichen verſchiedenen Tabellen und Regiftern in der Abthei-
fung „Belehrendes und Unterhaltendes“ das mannigfaltigfte und reichhaltigfte Ma—
terial, darunter einige nette Erzählungen von M. Waltraut und W. Wiechovsky,
eine Gefhicdhte der Prager Taubftummen-Anftalt aus der Feder des unvergeßlichen
Dr. Alex. Wiechovsky, werthvolle ethnographiſche und culturgefchichtlihe Bilder aus
Dentihböhmen von unferem waderen Gefinnungsgenofien Dr. Michael Urban in
Plan und noch eine Reihe diverjer gemeinnüsiger Winfe und Aufllärungen. Lefens-
u, BR
werth ift ferner die Skizze über Guſtav Bohland, den Begründer der erften mecha-
nischen Werkftätte für Mufifinftrumente zu Graslig im Erzgebirge, Das „Gedenkbuch“
feiert in pietätvollen Worten den am 18. Juni 1886 zu Gießhübel dahingefchiedenen
Prof. Dr. Joſeph Kaulich, Director de3 von Dr. 3. Freiherru von Löfchner gegrün—
deten Franz Fojeph3-Kinderjpitals in Prag, einen mwaderen, verläßlichen Deutichen
und tüchtigen, theilnehmenden Arzt. — Unſeren Stammesgenoſſen am Lande dürfte
das Titelbild, welches das nee deutjche Theater, das Ergebniß der Opferwilligkeit
aller Deutihen in Böhmen, in feiner zukünftigen Vollendung zeigt, eine willkommene
Beigabe fein.
Neuer Prager Kalender für Stadt und Land auf das Jahr 1887.
Nedigirt von Joſeph Willomißer.
Auch diefer altbewährte Kalender, der auf eine ehrenvolle Vergangenheit von
vier Decennien zurüdiehen kann — der vorliegende Jahrgang ift der einundvierzigfte
— und ber in unjerem bekannten Humoriften Joſeph Willomiser einen umfichtigen
und tüchtigen Redacteur befitt, behandelt das jeiner Vollendung raſch entgegengehende
neue deutſche Theater; dem anſchaulich und erichöpfend geichriebenen Auflage von
Herm. Kat ift das Bild der künftigen Pflegeftätte deutſcher Kunſt in Prag beige:
geben. Ein glüdlicher Gedanke war ed, die Gefchichte und Bedeutung, Zwecke und
Erfolge des „Deutſchen Handwerfervereins“ in Prag, die Dr. Carl v. Görner dem
Kataloge der von diefem Vereine veranftalteten Austellung als Geleitswort beigab,
zum Abdruf und zur allgemeinen Kenntniß zu bringen, Gleiches gilt von dem
Artikel „Die Königinhofer Handichrift“, der gewiß geeignet ift, ferner Stehende über
den immer nod währenden literarifchen Streit zu orientiren. Der beutjche land-
wirtbichaftliche Gentral-Verband, das Verzeihniß der deutjchen Mitglieder des böh-
mifchen Landtages und der deutſchen Reichgrathsabgeordneten aus Böhmen, charak—
teriftifche Skizzen über Bismard, zeitgemäße Auffäse über die Königin-Witwe von
Spanien, den König Ludwig I. von Bayern, den Volksſchriftſteller P. K. Rofegger,
Brof. L. Paſteur bilden weiterd den höchft intereffanten Inhalt des Kalenders, der
aber damit noch lange nicht erjchöpft ift; demm wir finden außerdem noch eine Fülle
anregender, unterhaltender und belehrender Lectüre, jo die hübfche Originalnovelle
„Die Badereife” von Hedwig Wolf, Humoriftiiches, Wortlaut des Laudſturmgeſetzes
u. ſ. w. Daß nebft dem Kalendarium auch die gewohnten Skalen, Tabellen u. dgl.
nicht fehlen, braucht nicht bejonderd erwähnt zu werden. Ginige der Kalender:
Sprüdjlein find originell und mögen hier angeführt fein: Auguſt: Sei deutſch mit
der Seele — Nicht blos mit der Kehle — Nicht blos mit den Lippen — Auch hinter
ben Rippen. Geptember: Sol ihn der Wenzel rejpeciren — Muß fi der
Michel felber rühren,
Haaſe'ſcher Haus: und Wirthihaftsfalender XV. Jahrgang. Für das
Jahr 1887. Nedigirt von Joſeph Willomiger.
Diefer Kalender enthält zum Theil dieſelben Aufläge, die wir bei dem vor-
bergenannten hervorgehoben haben, zum Theil andere, jo den mit Sachkenntniß ge-
A —
ſchriebenen, beherzigungswürdigen Artikel von Joſeph Maraß: Ueber die allzugroße
Studirluſt auf dem Lande, eine Dorfgeſchichte von demſelben Verfaſſer, die Erzählung
„Der Glücksfund“ von Guftav Löffel, landwirthichaftliche Notizen u. ſ. m.
Haaſe'ſcher Minuzen-Kaleuder auf das Jahr 1887.
Es ift dies eine Heinere Ausgabe des Haaſe'ſchen Haus: und Wirthichaftd-
kalender mit Johannisbad als Titelbild, einer gedrängten hiftorifchen Skizze dieſes
freundlichen Badeorte3 au der Hand des erft kürzlich im Buchhandel erjchienenen
Buches „Sohannisbad“ von Dr. Bernhard Pauer, der Humoreste „Auch eine Hoch—
zeitgreife“ von Karl Georges und dem übrigen befanuten Apparat eines praftifchen
Kalenders.
Egerer Jahrbuch. Kalender für das Egerland und ſeine Freunde. Re—
digirt von Georg Gſchihay.
Der ſiebenzehnte Jahrgang dieſes Kalenders ſchließt ſich würdig an ſeine
Vorgänger an und ſorgt in ausgiebiger und höchſt befriedigender Weiſe für Kurzweil
und Belehrung ſeiner Leſer. Sofern dieſe eingeborene Egerländer ſind, und wenn ſie
heutigentags zerftrent in der Welt lebend, den alten Dialect nicht verlernt haben,
werden ihnen die mundartlihen Erzählungen und Lieder des Jahrbuches ebenfo viele
liebe Grüße aus der Heimat fein, Mit ſolchen haben fi) diesmal eingefunden
Dr. Michael Urban, deſſen Novelle „Zu Haufe — im lieben Egerlande” das Thema:
Ueberall jhön, aber zu Haufe — im Egerlande — iſt's doch am jchönften! fehr an:
muthig variirt; in einer anderen Erzählung desjelben Autord „Die alte Geiga-Aiva“
betitelt, werden einige Zauberfprüche, Feuerſegen, Krankheitsbeſchwörungen u. dergl.
al3 intereffante Eulturbeiträge der alten guten Zeit angeführt. Der Stoff aller
übrigen Erzählungen und Sagen von M. Nieder, Joh, Dietl und Ernft Stirner
ift der Vorzeit de3 Egerlandes entnommen, dad außerdem M. Rieder und J. M.
Brauner in begeifterten Weifen feiern, während Karl Iro einige andere formſchöne
Producte feiner jangsfrohen Muſe beiftenert. Das Titelbild zeigt die ältefte Anficht
von Schloß Kinsberg, über welche Nittervefte im vorigen Jahrgang des „Egerer
Fahrbuches” eine eingehende Hiftorifche Skizze enthalten war, Den Schluß bildet
eine Abhandlung über die Geichichte und Entwidlung der Muſikſchule in Eger.
Kalender für das Egerland, Redigirt von Johann Wüſt. Eger,
A. E. Wit 1887.
Bon diefem Kalender ift der IV. Jahrgang für 1887 erfchienen. Unter feinen
Auffägen verdient in erfter Linie die Gefchichte des Egerer „Sauerbrunnd” von
Heinrich Gradl genannt zu werden, der an der Hand verläßlicher Quellen und mit
der dieſem Hiftorifer eigenen Gründlichkeit eine Geſchichte des Badeortes Franzen»
— 4 —
bad entwirft- Dr. &. Habermann ftellt in feinem Beitrage „Ruinen“ betitelt, höchſt
intereffante Betrachtungen über Ruinen von Induſtrialien an, wie fie der gegen-
wärtigen Zeit eigenthümlich find. Den weiteren Juhalt bilden die hübſche Skizze
von Graf Clemens Zedtwitz-Liebenſtein: „Der lebte einer alten Familie“, eine Er:
innerung aus dem Lehrerleben vergangener Tage „Die erfte Schulprüfung“ von
Wilhelm Appelt, der Schwank „Landsknechts drei Wünſche“ von Carl W. Gama-
lovski, Egerländiiche Vierzeiler von Dr. Michael Urban, Sprüche, Gedichte, Humo-
riftifches und volfs-, land- und hauswirthichaftliche Bemerkungen.
Deutſcher Volkskalender für die Iglauer Spradinjel, Geleitet von
Dr. Dagobert Zöwenthal. Iglau 1837.
Mit der Herausgabe diefes Kalenders hat fi) der „Deutiche Verein für Iglan
und Umgebung” unftreitig ein großes Verdienſt erworben, und es fteht zu erwarten,
daß dieſes Unternehmen bald zu einem wirklich volksthümlichen ſich geftalten und
erfolgreich wirken werde. Die Redaction des erften Jahrganges zeigt, mit. welcher
Umficht und richtiger Stoffwahl bei Zufammenftellung des Textes vorgegangen wurde.
Prof. Julius Wallner bringt eine Geichichte der Iglauer Epradinfel, eine populär
biftorifche Arbeit, aus welcher wir erjchen, wie fräftig dad Deutſchthum im diefer
Gegend fi) erhalten hat. Der Berfaffer fußt wohl auf Schlefingers gelehrten Arbeit
„Geſchichte der Entftehung der Iglauer Sprachinſel“ hätte aber diejelbe insbeſondere
in Bezug auf die agrarifchen und Bergbauverhältniffe nod mehr ausnützen jollen —
allerdings unter Angabe der benutzten Quelle. Die Geſammtzahl der Deutjchen in der
Iglauer Spradinjel beträgt nad) dem Verfaffer 37,178, denen nur 7207 Tſchechen gegen:
über ftehen. Er ruft den Bewohnern zu, feſt und treu zu halten an der deutſchen Sprache
und Sitte „es ift das Eoftbarfte Erbtheil Eurer Ahnen und Urväter, die nuter dieſem
Zeichen reich und mächtig geworden, die als deutjche Eoloniften in’s Land gekommen
und mit ihrer Hänbearbeit den Boden für fi und ihre Enkel im feindlichen Kampfe
erobert!” — Der Ausschuß des „Deutichen Vereins für Iglan und Umgebung“ er-
ftattet Bericht über feine Entftehung und Thätigfeit fowie über die Zwecke des Ka—
lenders, ferner finden wir einen Bericht über „Die deutſche Volksbibliothek“ in
Iglau, eine Weberficht der deutichen Vereine, ein Adreſſenbuch der Iglauer RAN
infel, Erzählungen, Gemeinnüßiges n. |. w.
8. t, Hofbuchdruderei A. Hanje, Prag, — Selbjtverlag.
Literariſche Beilage
zu den Mittheilungen des Vereines
Geschichte ller Deutschen in Böhmen.
XXV. Sahrgang. III. 1886/87.
1. Fürſtenbergiſches Urkundenbuch. Sammlung der Quellen zur Gefchichte
des Hauſes Yürjtenberg uud feiner Lande in Schwaben. Herausgegeben
von dem fürjtlihen Hauptarhiv in Donauefchingen. J. Bd.: Quellen
zur Gejchichte der Grafen von Achalm, Urach und Fürjtenberg bis zum
jahre 1299; Tübingen 1877, S. XVII und 404. II. I. und IV. Bd.
Tüb. 1877—79 ©. 460, 466 und 583. V. Bd.: Quellen zur Gefchichte
der Fürjtenbergifchen Lande in Schwaben vom Jahre 700 —1359,
Ziübingen 1885, ©. 563.
2. Geſchichte des fürjtlihen Hauſes Fürftenberg und feiner Ahnen bis zum
Fahre 1509 von Dr. Siegm. Riezler. Tüb. 1833, ©. XXIV und 500.
3. Stammtafel des mediatifirten Hauſes Fürftenberg. 1884.
Eines der hervorragendften Türftlichen Häufer Süddentichlands ift das der
Fürftenberge, dad auf eine lange, viele Jahrhunderte umfaſſende, ununterbrochene
Reihe von Ahnen hinweiſen kann. Faſt alle Mitglieder dieſes Geichlechtes find mit
der Geichichte des deutſchen Südweſtens auf das Innigſte verflodhten, viele von ihnen
ftanden im Dienfte der deutfchen Kaifer aus dem habsburgifchen Haufe und gar
manche nahmen und nehmen auch in Defterreicdh eine hervorragende Stellung ein.
Die fürftlihe Familie, die reichsunmittelbar über weite Gebiete herrſchte und noch
heute, troß ihrer Mebdiatifirung, eine hohe Stelle unter den Adelsgeſchlechtern des
deutjchen Reiches einnimmt, blüht gegenwärtig in zwei Linien, der ſchwäbiſchen und
der böhmiſchen. Das regierende Haupt der erfteren, Fürft Karl Egon, faßte den
Gedanken, die Quellen zur Gefchichte ſeines Haufes durch feine Archivverwaltung
4
a RE
fihten und herausgeben zu laffen und fo find in Durchführung feines Planes jenes
Urkundenwerk und auf Grundlage desjelben die Gejhichte und die Stamm—
tafeln des fürftlichen Haufes entitanden, die in Hinblic auf ihre gediegene und pracht—
volle Ausftattung, bei Weitem mehr jedody in Hinblick auf ihren hoben inneren
Werth ein höchſt bedeutjames und umvergängliches Denkmal find, die der fürftliche
Herr fih und feinem Haufe gejegt hat.
Wenn ich die oben angeführten Publicationen, die dent Gebiete weit entrüdt
zu fein fcheinen, das der Verein für die Gefchichte der Deutſchen in Böhmen pflegt,
dennod in diefen Blättern zur Anzeige bringe, jo fehe ich mich dazu nicht etwa darum
verpflichtet, weil Seine Durchlaucht Fürft Karl Egon ein glänzend ausgeftattetes
Eremplar der gefammten obengenannten Schriften in bochherziger Weije unjerem
Vereine verehrte, jondern ich jehe mich dazu veranlaßt, weil, wie ſchon bemerkt wurde,
eine Linie des Haufes jeit der Mitte de3 vorigen Jahrhunderts in Böhmen“ fehhaft
it, die nicht ohne hervorragenden Einfluß auf die Geſchicke unferes engeren Vater:
landes ift und bleiben wird, ſodann und nicht zuletzt darum, weil das große Urfuuden-
werf, jowie die auf dasjelbe fich ftüßende Geichichte und die Stammtafeln auf der
Höhe der Wiſſenſchaft fiehen. Hat doh Seine Durhlaudt die beften Kräfte für
bas Unternehmen gewonnen, denn die eriten 4 Bände der Urkundenfammlung, ſowie
die Geichichte und die Stammtafeln find bearbeitet vom Archivrath (jest Oberbibliothefar
in Münden) Dr, Siegm. NRiezler, der fih auch als Hiftoriograph Baierns einen
berühmten Namen gemacht bat, der V. Bd., der, wie jchon gejagt, die Quellen zur
Geſchichte der Fürftenberg’schen Yande in Schwaben bringt, und dem gewiß noch ein VI,
folgen wird, ift von dem jeßigen fürftlichen Archivrath Dr, Baumann herausgegeben,
ber auch als Mitarbeiter bei deu vorhergehenden Bänden fich bethätigt hatte,
Bezüglich des Urfundenbudes wäre zu bemerfen, daß wohl fein Beurtheiler
besjelben den Herausgebern daraus einen Vorwurf machen wird, daß fie fich nicht
auf die Wiedergabe von Urkunden und Negeften beichränften, fondern daß fie auch
Nachrichten aus Chroniken und Dichtern, Einträge in Nefrologien, Jahrzeit- und
Lagerbüchern mittheilten, ja daß fie auch Inſchriften, bitdneriiche Denkmäler und eine
große Zahl von Siegeln im Texte aufnahmen (überdies jchließt der V, Band mit
87 Siegeln auf 8 Tafeln ab), die man jonft in Urkfundenbüchern, jchon wegen des
Koftenpunktes, gar nicht oder doch nur höchſt ſparſam findet. So beginnt gleich. der
I, Band mit einem Auszug aus dem Zwiefaltner Nefrolog A: 14. Kal. Dee. (811?)
Vnröch und B Vnrich (am Rande: proauus Liutoldi comitis), Auch damit mird
man mit den Herausgebern einverftanden jein, daß fie die älteren, für die Hans- und
Landesgeſchichte wichtigeren Urkunden, auch wenn fie Schon anderwärts gedrudt waren,
vollinhaltlich, unbedeutendere Stüde aber, wenn fie and) bislang nicht gedindt waren,
bloß im Regeſt mittbeilen. Mit dem Anfange des 13. Jahrhunderts beginnt die
Meittheilung bisher ungedrucdten Materials, das jeit der Mitte desjelben Jahrhunderts,
jeit der Begründung der fürjtenbergifchen Linie des Hauſes, in den Vordergrund tritt
und mit dem 14, Jahrhundert weitaus vorwiegend wird, Es kann nicht meine Auf:
gabe fein, auf das hier vorliegende reiche Quellenmaterial, das den Zeitraum von 811 (?)
bis zum 31. Dec. 1509 umfaßt, und das and) in rechtögefchichtlicher und ſprachlicher
Richtung jeine hohe Bedeutung bat, näher einzugehen, ich will auch nicht der Erb—
folgeordnungen und ZTeftamente, der Verzichte weiblicher und männlicher Mitglieder
des Hauſes auf das Erbe, hauptjählic wenn ſie geiitlihen Standes waren, der
Käufe, Schenkungen und Verpfändungen, der Auszüge aus Lehen- und Rechnungs—
ur A
bücher, der Schlihtungen von Streit, der Abfagebriefe und Urfehden, der Weis:
thümer u. ſ. f. erwähnen, ih will bloß im Vorbeigehen auf eine unfcheinbare den
14. Mat 1485 ausgeftellte Urkunde aufmerfiam machen, auf die Urfehde der Anna
Henni von Röthenbach, die ald Here vor dem Gerichte des Grafen Heinrich zu
Fürftenberg die Fenerprobe beftanden hat, und das zu einer Zeit, in der von Hexeu—
procefjen und der dabei angewandten Feuerprobe, es ift in der Regel die Waſſer—
probe in der Uebung, faum noch die Rede tft. Der I, in noch größerem Umfange
der IV, Band bringt Nachträge und jeder der 5 Bände endigt mit einen genau
zulammengeftellten Orts- und Perfonenverzeichniffe.
Auf die „Geſchichte des Hauſes“ übergebend, erwähne ich, daß es ſich
im 11. und 12, Jahrhunderte. nady den Burgen Ahalm und Urad, ſeit dem 13.
nah Freiburg und Fürftenberg nannte, Als feinen Ahnheren kann es mit
einiger Wahrjcheinlichkeit den oben genannten, im Nefrolog des Klofters Zwiefalten
zum 18. Nov, angeführten Unruoc, einen Zeitgenoffen Karls des Großen, aufftellen;
von den Tagen des Kaiſers Konrad U. an ſchließen ſich dann, von feiner Lücke
unterbroden, 26 Generationen zu einer Ahnenreihe von jeltener Fülle zuſammen.
Jener Unruoch wird als Urahne des Grafen Liutold von Ahalm, des Gründers
von Klofter Zwicfalten, erwähnt, der wieder ein Ahne der Fürftenberge ift. Sicheren
Boden betritt man freilich erft mit dem 11. Kahrhundert, von welcher Zeit an die
Familie fiherlih Schwaben angehört. — Zur Zeit Konrad I. bauten die Brüder
Egino und Nudolf die Burg Adhalm bei Nentlingen, von Rudolf ftammen die
Grafen von Ahalm. Sein jüngfter Sohn Wernher, Bilhof von Straßburg,
war Anhänger Heinrichs IV., die beiden älteften Kuno und Liutold, gründeten
Zwiefalten, dem fie beinahe ihr gelfammtes Gut ſchenkten; mit ihnen ftarben die
Grafen von Adalm aus. Eines Stammes mit diefen find die Grafen von
Urad; fie leiteten ihre Abkunft wohl von dem jchon erwähnten Egino I. her und
nannten fi nach der Burg Urach, dem heutigen Hohenurach im Thale der Erms.
Sein Urenkel Egino IV. war vermählt mit Agnes von Zähringen, durch die ein
Theil ihres väterlichen Exbes, jo Freiburg, au ihren Sohn Egino V. von Uradı
gelangte. Bon deffen älteften Sohn Konrad ftammen die Grafen von Frei—
burg, die 1475 ausitarben ; von feinem jüngeren Heinrich 1. die von Fürften-
berg ab. Diefer ftand dem König Audolf von Habsburg nahe, mit dem er diefelben
Urgroßeltern batte, in jeinen Dienften wanderte er Jahre lang von der Ditiee bis
nach) Italien, er 309 1277 mit Friedrich Burggrafen von Nürnberg, als König Rudolfs
Unterhändler, an Ottofard Hoflager nah Prag, und focht das Jahr darauf in der
Schlacht bei Dürrnkrut, in welcher ihm und dem Hohenzollern Friedrich das Fönigliche
Banner empfohlen ward. Als Lohn für feine treuen Dienfte wurden ihm zwei wich:
tige Punkte aus dem zähringiichen Erbe, Villingen und Haslach, als Reichslehen ge:
rettet und er erhielt die „Srafichaft in der Baar“, nad) der er fid) „Landgraf in der
Baar“ nannte. Aber unter jeinen Söhnen und Enfeln erlitt die Macht des Haufes
empfindliche Verfufte. Jene theilten den Befis, womit der jüngere Egon das Haupt
der Haslacher Linie wurde, die mit dem bei Sempad gefallenen Johann er-
fojch, während Friedrich die Hauptlinie des fürftenbergifchen Hauſes fortpflanzte,
Sein Sohn Heinrich I. geräth mit König Albrecht I. im Kampfe, wurde in jeiner
Felte Fürftenberg belagert, muß einen Theil feiner Ländereien an des Königs Sohn,
den Herzog Friedrich, abtreten und erhält fie von ihn als Lehen zurück. Auch Bräunu—
fingen wurde abgetreten und Villingen ging verloren. Später hält er freu zu den
4*
a
Habsburgern, nimmt in Herzog Leopolds Dienſten Theil an den Nömerzug Hein:
richs VII, fteht nad) deſſen Tod auf der Seite Friedrichs des Schönen und ſeit 1330
auf der Ludwigs von Baiern. Sein Enkel Heinrich IV. vereinigte den erledigten
Beſitz der Haslacher Linie, Durch neue Theilungen entftanden die Kinzigthaler,
die Geijinger und die Konradiſche Linie. Der Gründer diejer ftand mit Sieg
mund von Tirol in Verbindung, was ihn mit den Eidgenofen verfeindet. Seit
Heinrichs I. Ableben hatten Theilungen die Macht des Hauſes geſchwächt, und ebenjo
lang hatte ſich die Wirkſamkeit der Grafen faſt ausjchließlich in den engen reifen
der Heimat und der nächiten Nachbarichaft bewegt, exit jeit Heinrichs VII. und
Wolfgangs Zeiten gewinnt die Geichichte des Hauſes wieder einen reicheren In—
halt. Mit dem Erlöichen der Kinzigthaler Linie wird das Fürftenberg’ihe Erbe in
den Händen der zwei genannten Brüder und jchließlich bloß in denen Wolfgang
vereinigt. Heinrich unternahm in jugendlichen Jahren eine gefahrvolle Pilgerfahrt
nad; dem heil. Grabe, er ift jpäter Rath des Erzherzogs von Tirol und tritt dann
mit feinem Bruder in die Dienfte Maximilians. Wolfgang macht deſſen Feldzug gegen
Ungarıe mit und war Theilnehmer an der Eroberung von Wien und Stuhlweißen:
burg. Beide Brüder werden Näthe des Königs und mehren ihren Beſitz, jo 3. 8.
dur Kauf von Donaneihingen. Als Hofmarichall zieht Heinrich mit dem römischen
König 1496 nad) Stalien, wohnte danı am Hoflager in Innsbruck in der nach ihm
benannten Deinrihsburg und machte mit den Kaiſer und in deflen Auftrage weite
Reifen, während Wolfgang an der Vertreibung des Württembergers Eberbard großen
Anteil hatte. Beiden war jodanı in dem Krieg mit den Schweizern von 1499 eine
hervorragende Nolle beicyteden, in welchem Heinrich in dem leberfalle bei Dorned
den Tod fand. Wolfgang war nun der alleinige Regent der fürftenbergiihen Lande.
Er hatte als Oberithofmeister und Ritter des goldenen Vließes Philipp den Schönen
1506 nad Spanien begleitet, während fein Sohn Friedrich ald Spiel» und Studien-
genoffe des Prinzen Karl in den Niederlanden blieb. Nach einem viel bewegten Leben
ftarb Wolfgang den 31. Dec. 1509 und mit jeinem Tode jchließt das Geſchichtswerk
ab, dem eine forgfältig ausgeführte Karte beiliegt, die die ſchwäbiſchen Lande des
Haufes Adhalm-IUracd Freiburg: Fürftenberg zur Darftellung bringt.
Auf Grund der „Stammtafeln” merke ih in Fortiegung der Geſchichte
der Fürftenberge Folgendes an: Von Wolfgangs Enkeln gehen die Kinzigtbaler
und Heiligenberger Linien aus. Diefen gehörten an die Brüder Ferdinand,
Neichshofrath, F 1662, Leopold, er fiel ebenjo wie fein jüngerer Bırnder Ernft Egon
in kaiſ. Dienften, jener 1639 bei Thronville, diefer 1652 bei Etampes; Franz
Egon ftirbt 1682 als Firftbiihof von Straßburg, dann die in den Neichsfürftenitand
erhobenen Herman Egon und Wilhelm Egon. Der Sohn Ferdinands, Maxi
milian Joſef, fiel 1676 vor Philippsburg, dejlen Vetter Anton Egon ift Statt:
halter König Anguſts des Starken in Sachſen und ftirbt 1716, fein Bruder Emanuel
fällt 1685 vor Belgrad. Mit Anton Egon erlifcht die Linie. Der Kinzigthaler Linie
entitanımten der als Hauptmann bei Ofen 1684 gefallene junge Friedrih Chriſtoph,
jodann jein Bruder Karl Egon, der als Feldmarihall-Lieutenant 1702 bei Fried—
lingen blieb, Aus der von Friedrid Rudolf, * 1655, ftammenden Stühlinger
Linie erwähne ich den bei der Belagerung von Landau 1704 gefallenen Brosper
Ferdinand, ſodann deſſen Sohn Joſef Wilhelm, F 1762, der in den Reichs—
fürftenftand mit Ausdehnung auf feine gefammte Descendenz erhoben ward. Er war
vermählt mit Maria Anna Gräfin von Waldftein, die die GStifterin des
|
n
an
|
fürftenbergiihen Fideicommifies Pürglit in Böhmen als Secundogenitur
wurde. Der eritgeborne Sohn der Beiden, Joſef Wenzel, F 1783, ftiftet ‚die
reih3fürftliche, der zweite Karl Egon die böhmiſche Linie, Deſſen Enkel,
Karl Egon, vermählt mit einer Tochter des Großherzogs von Baden, fuccedirte 1804
auch in das reichöfürftliche Fideiconmiß, und von feinen drei Söhnen wurde der
jeßt regierende Karl Egon IL das Haupt der reihsfürftliden, Marimiltian
Egon, F 1873, der böhmischen (ihm folgte fein gleichnamiger 1863 geborner Sohn)
und Emil Egon der Königshofer Linie, al3 Stifter des Königshofer Fider-
commifjes. Schließlih wäre noch anzuführen, daß Ludwig Auguſt Egon, Bruder
des oben erwähnten Fürften Joſef Wilhelm, die landgräfliche Kinie mit der
Derrihaft Weitra in Niederöfterreich geftiftet hat, welcher unter Anderen der jeßige
Erzbifhof von Olmüs angehört. Von der landgräflichen zweigte fi) die Tay-
fowißer oder die mährijche Linie ab, die bereits ansgeftorben ift. G. B.
Dr. €. Grünbagen: Geſchichte Schlefiens. II. Bd. (bis zur Vereinigung
mit Preußen; 1526 -—1740). Gotha 1886; ©. 446, Quellennachwei—
jungen 1—46.
Den von mir angezeigten 1. Band ift der 2, verhältnißmäßig raſch gefolgt und
mit ihm ift das verbienftvolle Werk abaefchloffen, Der vorliegende Band, der in
drei Büchern zerfällt, von denen das 1. die Umgeftaltung der kirchlichen Verhältniffe
in Schlefien bis zu deren Anerkennung duch den Majeftätsbrief, dag 2. die Zeit des
dreißigjährigen Krieges und das 3. Schleften in den Zeiten der firhlichen Reaction
beleuchtet, handelt über einen Theil der ſchleſiſchen Gejchichte, der, wenn von der
dentichen Coloniſation des Landes abgehen wird, zu dem intereffanteften Abjchuitt
zu zählen ift. Bezüglih der Firdlichen Bewegung, von der Schleſien ſofort nad)
Beginn der Neformation ergriffen wurde, will ich nur bemerken, daß die Umwand—
(ung anf kirchlichem Gebiete bier hauptlählihd von den Obrigfeiten herbeigeführt
wurde. Sie berufen Prediger, die der neuen Lehre anhängen, und dieje wieder
führen im Einverſtändniß mit der Yaienwelt die Umgeitaltung der kirchlichen Verhält-
niffe Schritt für Schritt durch; Gegnerſchaft und Widerfpruch bleibt einzig und allein
der Geiftlichkeit überlaffen. Diefer Vorgang hatte zur Folge, dab die Landesbiſchöfe,
die als die Oberhirten auch der zu der neuen Lehre ſich Bekennenden angefehen
wurden, fie bis tief in das 16. Jahrhundert nicht als Abgefallene anfahen,
jondern daß fie nicht daran zweifeln, mit ihnen innerhalb der Kirche ein Aus—
kommen finden zu können, Mit den Nenderungen auf firdlichem Gebiete hält die
Hebung des Schulweſens gleihen Schritt. Moiban, erfter proteft, Brediger an der
Elijabetblirche, früher Nector der Magdalenenfchule, bürgerte dag Griechiſche ein,
Joh. Huf hielt Borlefungen in lateiniſcher Sprache über die heil. Schrift, der Stabt-
Ichreiber Joh. Nabe (Gorvinus), einer der berühmtelten Poeten de3 Dumanismus,
und der Patricier Joh. Metzler waren Förderer der humaniftiichen Studien, Valentin
Trogendorf verichaffte der von ihm geleiteten Schule zu Goldberg großen Ruhm. —
Als Schleſien an die Habsburger gelangte, war der Sieg der Reformation in Breslau
bereits ein vollftändiger, für fie hatten fi) die mächtigiten Fürften Schleſiens erklärt,
— | Re
ihre Anhänger hatten das Uebergewicht anf den Fürftentagen; und dennoch war von
einer Kirchenſpaltung faum die Rede, die Kirchengüter waren kaum angetaftet, die
Autorität des Biſchofs nicht beftritten. Unter Rudolf wurde die Bewegung zum
Stillftande gebracht, ja e3 traten die Reactionsbeftrebungen und zwar vorerft in den
jogenannten Erbfürſtenthümern immer deutlicher hervor, der Neigen beginnt mit
Troppau. Sein jchlaffes Negiment bringt den Kaifer um Ungarn, Defterreih und
Mähren; Böhmen und Schlefien bleiben ihm noch für kurze Zeit, er muß jedoch den
Ständen die Majeftätsbriefe ausitellen. Der für Schlefien fest in Haren und ein—
fachen Zügen die vollitändige Gleichberechtigung der beiden Religionsparteien mit
einer Freiheit und Folgerichtigkeit feft, die im 17, Jahrhundert beipiellos ift.
Der Dresdener Accord (28, Febr. 1621) Ichüste Schlefien vor dem Scidjale,
dem Böhmen nad) der Schlacht auf dem weißen Berge verfallen war, der Einfall
Mannsfelds in das Laud gab jedoch die erwünfchte Handhabe zur Gegenreformation
mit Hilfe der berüchtigten Lichtenjteiner. Won den Leiden, die der unfelige Krieg
für Deutſchland in Gefolge hatte, blieb Schlefien nicht verichont, Mannsfelder, Kaiſer—
liche und Schweden verwülteten gleichmäßig das Land, das beim Abſchluß des Frie-
dens aus taujend Wunden biutete, Aber auch der Friede bradıte den gequälten
Schlefiern feine Ruhe, denn die von Ferdinand II. wieder in Angriff genommene,
von Leopold I. fortgeſetzte Kirchliche Reaction nahm auf die den ſchleſiſchen Proteftanten
in der weſtphäliſchen Friedensurkunde zugeitandenen kümmerlichen Zugeftändniffe
wenig Nüdficht. Aber auch die etwaige Hoffnung der Schlefier auf eine größere
Berüdfihtigung ihrer materiellen Intereffen waren vergebend. Denn wenn vielleicht
auch Leopold guten Nathichlägen nad) diefer Richtung bin nicht unzugänglich war, fo
it doch bei der Schmwerfälligfeit der Regierung, der beftändigen Geldnoth und ber
Unterordnung der politiichen Rückſichten unter die kirchlichen tbatlächlich von landes-
päterlicher Fürforge feiner Regierung nur wenig zu veripüren; ein Glüd, das dem
ſchwer zerrütteten Lande der Friede gewahrt blieb. Es ift begreiflid, wenn unter
jolhen Berhältnifien dem Schwedenföntg Karl XII. auf feinem Zuge durch Schlefien
die Klagen der Proteftanten über erlittene Verfolgung und ihre Bitten um jeine Ver:
wendung laut entgegengebradht wurden.
Mir gebricht e3 an Raum, um auf die Regungen hinzuweiſen, die fih auf
dem Gebiete der Wilfenfchaften, der Kunst und Poeſie, des Gewerbes und Handels
nad dem großen Kriege in Schlefien fühlbar machten. Bezüglich der inneren Bolitif
bezeugte blos Ferdinand IL Sinn und Verſtändniß für die Aufgaben derjelben, er
bemühte ſich, eine einheitlihe Münze zu jchaffen, er führte directe und imdirecte
Steuern ein, und was in der habäburgifchen Zeit für die Organifativn der Verwal:
tung in Schlefien aefchehen ift, reicht auf Ferdinand zurüd, fo daß feine Nachfolger
eigentlich ganz allein davon gezebrt haben; nur auf religiöfem Gebiete find fie erfin:
derijh und energisch in Maßregeln zur Befämpfung des Proteftantismus geweien.
Der Verfaſſer Ichilderte die Geſchichte Schlefiens als die eines Yandes für fid,,
mit beionderen Schidfalen und ihn eigenthümlichen Intereſſen, die wefentlich ver:
Ichieden von denen der andern habsburgischen Erbländer waren. Es iſt ja richtig,
daß mit dem Fahre 1740 diefe Selbitäudigfeit ein Ende nimmt, und daß von mun
an die Geſchichte Schlefiend mit der Preußens zufammenfließt; trotzdem hätte der
geehrte Verfaſſer, wie ich meine, feine anziehende Darjtellung nicht mit der Eroberung
Schleſiens abbrechen jollen, denn es wäre feinen Lefern, wie er ja felbjt zugibt, von
hohem Intereſſe geweſen, zu erfahren, wie es preußiſch wurde, wie e3 jo jchnell mit
— —
dent neuen Staate verſchmelzen konnte, und welche eminente Bedeutung, wie wir
hinzufügen, die Provinz ſehr bald für den preußiſchen Staat bekam. Wir wollen
aber mit dem Verfaſſer wicht rechten, daß er ſein Werk mit 1740 abſchließt, find ihm
vielmehr dankbar für das treffliche Buch, deſſen Eriftenzberechtigung von Jedermann
anerfannt werden muß und das, deſſen find wir gewiß, einen weiten Leſerkreis,
namentlich unter jeinen Landsleuten finden wird, unter denen ja fein Name fchon
jeit vielen Fahren von beftem Klange ift. n.
Dr. Jak. Caro: Geſchichte Polens, V. Theil. 1. Hälfte: 1455 — 1480
(die 47. Liefer. 1. Abth. der Herren Ukert'ſchen Sammlung, fortgefegt
von Giejebrecht) Gotha, 1886, Berthes; ©. 500.
Bekanntlich hat den 1. Band dieſes Werkes, der für die ältefte Geichichte Polens
grundlegend wurde, Herr Dr. Richard Roepell bearbeitet, die Fortfegung übernabın
fein jüngerer College Prof. Caro in Breslau, der den vorliegenden Band dem hoch—
verdienten Profeſſor Roepell verehrungsvoll zueignet. Wie in den von ihm verfaßten
drei vorangehenden Bänden zeigt Caro auch in dem neueften, daß er feiner ſchwie—
rigen Aufgabe völlig gewadjlen ift. Tiefes Verftändniß der die Zeit und die Perſonen
treibenden Ideen, bejonnene Kritik, die der Berf. wiederholt, 3. B. an Diugoß aus—
übt, und eine anziehende Darftellung und Screibweile werden dem Bude einen
bleibenden Werth fihern. Der Zeitraum, innerhalb deſſen ſich die Schilderung be—
wegt, ift oben angegeben. Der Band beginnt mit dem 11. Buche, das in 11 Capiteln
zerfällt uud den dreizchnjährigen Krieg (1453—1466) Polens mit dem deutjchen
Orden erzählt, dazwifchen wird aber immer wieder eingehende Rüdfiht auf die
inneren Zuftände de3 Meiches genommen. In dem Kriege hat Danzig einen „trans
rigen Ruhm“ erworben; denn „jo troftlos die Bemerkung für den deutſchen Batrioten
auch fein mag, jo ſehr entipricht e3 doch der Wahrheit, daß vielleicht im ganzen Verlauf
der deutjchen Geſchichte niemals ein ftädtifches Gemeinweien eine jo zähe und von
Fahr zu Jahr wachlende Straft für den Verbleib bei dem politiichen Verbande Deutich-
lands entfaltet habe, als hier die deutiche Seeftadt aufbot, um ſich von demjelben
zu trennen“. Die Darftellung der Urſachen des Verfalls des deutſchen Ordens be-
zeugt, daß der geehrte Verfafler e3 verfteht, bi3 zum innerſten Kern vorzudringen. —
Im 12. Buche mit feinen 6 Gapiteln wird der Kampf um die Thronfolge in Böhmen
dargelegt; Kafimir IV. fegt jchließlich die Erhebung feines Sohnes anf den böhmischen
Thron durch.
Wir fcheiden von dem Buche mit dem egoiftiihen Wunfche, es möge der Herr
Verf. recht bald in den Stand gelegt fein, uns mit der Fortſetzung feines Geſchichts—
werfes zu erfreuen. n.
Dietrih Rerler: Deutſche Reichstagsacten unter Kaifer Siegmmud.
Dritte Abtheilung. 1427—1431. Berthes, Gotha 188575; ©. 649.
Ich habe ſchon mehrere Bände der durch die hiftorifhe Commiſſion der kgl.
Akademie der Willenfchaften in München veröffentlichten Reichstagsacten angezeigt,
== AR
fo auch die zwei vorangehenden aus der Regierungszeit Kaiſer Siegmunds. In den
vorliegenden fallen die zwei wichtigen Reichſstage von Frankfurt 1427 und von Nürns
berg 1431. Bon den 514 Nummern, die der Band zählt, waren 295 bisher ganz
unbefannt. Um für die auf dem erfteren Tage geplante Reichskriegsiteuer zum Be—
hufe der Belriegung der Hufiten auch die Städte zu gewinnen, deren Zuftimmung
bei pecuniären Leiftungen vornehmlich nothwendig war, wurde für Ende Dec. 1427
der Tag zu Heidelberg angefagt, auf welchem der ſchwäbiſche Städtebund den hart-
nädigften Widerftand leiftete. Ueberhaupt bietet die Gejchichte der Erhebung ber
Reichskriegsſteuer von 1427 ein trauriges Bild, es tritt die Zerrüttung des deutſchen
Staatsweſens, die Machtlofigfeit feiner Leiter, der Sondergeift und die Unbot-
mäßtgfeit der hohen und niederen Stände kläglich zu Tage. Aus dem wenigen
Mitgetheilten wird Jedem die Wichtigkeit der Reichdtagsacten für die Gedichte
Böhmen einleuchten, der Fünftige Geſchichtſchreiber der Hufitenkriege wird fie nicht
entrathen fünnen, er wird auch in dem vorliegenden Bande, der gleich den früheren
die uneingefchränkte Anerkennung verdient, ein reiches Material auf das Gewiſſen—
haftefte und Sorgfältigfte zufanımengetragen finden. Die Nusftattung de3 Bandes
ift, wie fi) das von der geſchätzten Berlagshandlung Perthes von jelbit verfteht,
eine rühmenswerthe, —n.
Canossa, studi e ricerche di Angelo Ferretti, professore nel r.
istituto tecnico di Reggio nell’ Emilia. Seconda edizione. Ermanno
Loescher, Torino; 1834.
Sm Jahre 1877 waren e3 gerade 800 Fahre, daß ſich in Canoffa jene uner-
hörte Demüthigung eines deutichen Königs zutrug, welche die genannte Burg für
immer berühmt machen follte. Ein Fahr vorher, 1876, erſchien die erfte Auflage des
vorliegenden Buches, welche einen bei einem gelehrten Werfe nicht eben häufigen,
praftiichen Erfolg hatte. Die Aufmerkſamkeit nämlich, welche dadurd neuerdings der
merfwürdigen Burg fich zumendete, hatte zur Folge, daß durdy Wegräumung der den
Bergabhang bededenden Steintrümmer und Anlegung von Wegen die Burg überhaupt
erft wieder dem großen Bublicum zugänglich gemacht wurde und daß auf der Höhe des
Bergkegels Ausgrabungen begannen, welche über die Lage der dafelbft befindlichen
Gebäude ſchätzenswerthe Aufllärungen ergaben. Fa die Burg wurde fogar von dem
italienischen Unterrichtsminifterium nad Jahrhunderte langer Vernachläſſigung als
„Nationaldenfmal” ertlärt, wobei man jelbftverftändlich weniger das Andenken an
den Sieg des Papſtthums über das Kaijerthbum, von dem Canoſſa Zeuge war, zu
feiern gedachte, als vielmehr das Andenken an die „große Jtalienerin”, die Gräfin
Mathilde, der auch das Buch Ferretti's zum größten Theil gewidmet ift und welche
man im heutigen Stalien vorzugsweile als Vertheidigerin der nationalen Selbſtän—
digkeit Italiens gegen dentjche Eroberungsluſt zu betrachten geneigt it. Um gerecht
zu fein, muß indeffen zugeftanden werden, daß Ferretti ſelbſt jenen lWebertreibungen
entgegentritt, welche die nationalen Gefühle des 19. Jahrhunderts jchon in das 11.
zurückverſetzen möchten.
Da der Gegenstand, dem der Verf. fein Buch gewidmet hat, auch von deutjchen
Gelehrten vielfach behandelt worden ift, fo ergibt fi) für den deutjchen Beurtheiler
en A
unwillkürlich die Frage, ob und bis zu welchem Grade die Ergebniffe der deutichen
Forſchungen dem Verf. bekannt geworden find. Ein Verzeichniß der benüsten Werke,
das dem Buche vorangeftellt ift, fcheint geeignet, darüber am rafcheften Aufichluß zu
geben; aber gerechte Vermunderung- muß e3 erregen, in dieſen Verzeichniffe zwar den
hiftorifhen Roman: „Eanoffa“ von Bolanden, dagegen weder Gieſebrechts Kaiſerge—
Ishichte, noch die Jahrbücher des deutjchen Reichs, noch die Monumenta Germaniae
vorzufinden Bei der Lectüre des Buches felbft ftellt fih der Sachverhalt freilich als
minder ſchlimm heraus. Bolandens Roman wird nur citirt, um eine alberne Erdich
tnug, die Heinrich IV. Buße in minder grellem Lichte zeigen fol, zu widerlegen;
aber wer, um Himmelswillen, muthet einem Hiftorifer zu, fich bezüglich deifen, mas
er al3 hiftoriiche Thatſache berichtet, mit einem Noman anseinanderzufeben? Auch
die Monumenta Germaniae find dem Berf., wie ſich fpäter zeigt, nicht völlig unbes
faunt; er bemüßt in der Ausgabe der Monumenta u. a. den Donizo, feine Hanpt-
auelle für das Leben der Gräfin Mathilde, Aber des Verf. Bekanntſchaft mit dem
deutjchen Urkundenwerke ift doch eine fehr ungenügende, denn er würde jonft gewiß
wicht den Lambert von Hersfeld, den er mit dem länaft als falich erkannten Namen:
„Lambert von Aſchaffenburg“ benennt, den Wipo von Burgund und den Hermannus
Gontractus, nad) der Ausgabe des Struvius vom Fahre 1726 citiren.
Leicht könnte man jo Shen nad; dem Verzeichniß der benüsten Werke zu den
ungünftigften Folgerungen über das ganze Buch gelangen; doc mit Unrecht. In dem
engen Kreiſe von Quellen, die der Verf. zu Rathe zieht, bewegt er fih im ganzen
nit Vorſicht und nicht ohne Fritiiches Geſchick; der quellenkritiſche Apparat ift jogar
meift unmittelbar in den Tert aufgenommen. Freilich fällt dabei auf, daß der Berf.
den Unterichied zwiichen primären, zeitgenöffischen, und fecundären, abgelciteten Quellen
viel zu wenig beachtet; wie könnte er fonft feine Schilderung der Erziehung, welche
die große Gräfin genoß, aus einem Schriftiteller von 1666 entnehmen! Auch jonft
vermag fi) der Verf. bei aller Keritif von Irrthümern nicht freizubalten, und zwar
von Irrthümern, die leicht zu vermeiden gewejen wären, wenn er auch in neuere
deulſche Seichichtäwerfe als Ludens Geichichte des deutichen Volkes von 1825—37
Einjiht genommen hätte. So macht 3. B. der Verf. über den Inveſtiturſtreit die
ganz unrichtige Angabe, als hätte e3 von Aufang an zwei Inveſtituren, Die geiftliche
mit Ring und Stab und die weltliche mit dem Scepter, neben einander gegeben
und als hätte es fih bei dem Streite um nicht? gehandelt, ald um die Frage,
welche der beiden Anveftituren früher zu erfolgen habe. Heinrich IV. wird von dem
Verf, obwohl diefer fonft keineswegs klerikal ift, höchſt ungerecht beurtbeilt: „gleich
ſchlecht als Menih und als König,“ jagt er von ihm, babe er den Krieg gegen die
Sachſen „mehr wie ein Straßenräuber, als wie ein Soldat geführt.“ Der Grund
it offenbar, weil der Verf. dem Donizo, dem Lobredner Canoſſa's und der großen
Gräfin, Vertrauen fchenkt, als er nad) den Ergebniffen der deutichen Kritik ver:
dient. Falſch ift auch die Darftellung, als wäre die Demüthigung Heinrich IV. zu
Cauoſſa von dem Bapfte verlangt worden, als Bedingung zur Zurüdnahme des
Bannes, falſch die Angabe, als wären die jogenannten „dietatus papae*, Brivatanf-
zeichnungen Gregor VII Beichlüffe jener Synode, auf der der Bann gegen Heinrich IV.
ausgelprochen wurde,
Doch genug der Ausstellungen! Als Vorzug des Werkes muß neben dem guten,
mitunter ſchwungvollen Stil befonders der Fleiß gelobt werden, den der Verf. auf
Localftudien verwendet hat; das Ergebniß derfelben legt er in zwei Plänen, dem von
Canoſſa felbft und dem feiner Umgebung, dem Lefer vor, Auch zwei Abbildungen dev
Burg Ihmüden das MWerf.
Was die Bertheilung des Inhaltes betrifft, jo erzählt das erfte Capitel die
Erbauung der Burg durch Azzo Adalbert, Sohn des Sigifredo aus Lucca, denfelben,
welcher der flüchtigen Adelheid, Witwe Kaijer Lothars und naher Gemahlin Otto's
des Großen in Canoſſa Zuflucht gewährte, das zweite dag weitere Emporfommen de3
Geichlechtes unter Tedald und Bonifacius im Bunde mit den deutſchen Kaiſern, das
dritte und vierte behandelt die Zeit der großen Gräfin, das fünfte die ſpäteren
Schickſale der Burg. Im Schlußcapitel bejpricht der Verf. den gegenwärtigen Zuftand
der Burg, welche feit ihrer Zerftörung dur die Einwohner von Reggio im Fahre
1255 niemals wieder völlig hergeftellt wurde. Th. Tupetz.
Adolf Bachmann: Briefe und Meten zur öſterreichiſch-deutſchen Geſchichte
im Zeitalter Kaifer Friedrichs II. (Fontes rerum austriacarum,
2. Abth. 44. Band. Wien 1885.
Für denjelben Zeitraum, auf den fih Palacky's „Urkundliche Beiträge zur
Geſchichte Böhmens und feiner Nachbarländer im Zeitalter Georgs von Podiebrad“
bezogen, alſo für die Jahre 1450 ; 71, erhalten wir jest von Prof. Bachmann bereits
die zweite Sammlung von neuem Material. Die vorliegende joll eine Ergänzung
fein zur erjten, den 18379 im 42. Bande der Fontes erichienenen „Urkunden und Acten—
ſtücken zur öſterreichiſchen Geſchichte im Zeitalter K. Friedrihg III. und K. Georgs
von Böhmen“ Bon einer Nachleſe fann man eigentlich kaum jprechen, wenn man
jieht, daß der vorliegende Band um mehr al3 150 Seiten ftärfer ift als jener, troß-
dem der Zeitraum ein fürzerer ift, nachdem die hier mitgetheilten Stüde erft mit
dem Jahre 1453 beginnen.
Mas diesmal vollftändig oder in Negeftenform neu geboten wird, vertbeilt fich
freilich auf die einzelnen Jahre ungemein verſchieden. So entfallen auf die eriten
8 Jahre (1455—60) blos 55 Nummern, auf die 8 letzten (1464—T71) auch nur 79,
dagegen auf die dazwiſchen liegenden 3 Fahre (1461—63) die übrigen 414 Nummern,
während die erfte Sammlung für diefe nur 33 Stüde gebracht hatte, — Dieſes findet
feine Erklärung, wenn man in Betracht zieht, woher die Beiträge ftammen. Zwar
bat das reiche Dresdner Archiv, aus dem doch bereit? Palacky und auch wieder
Bachmann ſelbſt jo viel veröffentlicht hatten, neuerdings an 80 Nummern beigefteuert.
Hicher gehören gleich die eriten 34 des Bandes, die ſich beziehen auf die Fehden an
der böhmiſch-ſächſiſchen Grenze und_auf die Verhandlungen über die böhmischen Lehen
in ſächſiſchem Befis. Soweit diefe Sachen allgemeinere Bedeutung haben, dürfte damit
das meiſte veröffentlicht fein. Wer ſich aber mit Zocalgefibichte, peciell Nordböhmens,
beichäftigt, dem bietet das genannte Archiv auch jest noch viele intereffante Details,
wovon fich Referent perfönlich überzengt hat. — Das großherzogliche und herzogliche
Geſammt-Archiv in Weimar hat, wie früher ſchon, jo auch diesmal wieder jehr An—
ſehnliches geliefert. Darunter find 3. B. eine Neihe längerer Berichte über die Ber:
bandlungen von Nürnberg, Roth und Prag im Jahre 1460, ganz beionders aber die
Berichte, die fid) Herzog Wilhelm von Sachſen zur Zeit feiner Wallfahrt nah Balä-
jtina von feinen Statthaltern evftatten lich, „eine elle erften Ranges für das
— —
Fahr 1461“, wie Bachmann ſelbſt ſagt (Nummern 81, 82, 88 -90, 99—102 u. ſ. f.,
worunter vor Allem Nr. 90 für die böhmiſchen Verhältniſſe höchſt wichtig iſt).
Auch mehrere andere Archive ſind noch vertreten, alle aber, auch die beiden
zuerſt genannten, zuſammen übertrifft an Reichthum des Gebotenen das Kreisarchiv
in Bamberg. Das zeigen am beſten folgende Zahlen: Von allen 548 Stücken des Bandes
eutſtammen demſelben gerade 300, alſo über die Hälfte. Dieſes Archiv vereinigt jetzt
alles, was früher in Oberfranken zerſtreut war, darunter auch das Plaſſenburger
Archiv der früheren Markgrafen von Ansbah aus dem Haufe Hohenzollern. Nun iſt
ja befannt, welche wichtige Rolle die Brandenburger und in erfter Linie Markgraf
Albrecht jpielte in den Fahren 1459—63, ald man im Reiche mit dem Verlangen
nad Reformen gegen den unthätigen Kaifer auftrat und K. Georg diefe Stimmung
benüßen wollte, um fich zum dentichen Könige wählen zu laffen. Diejer Plan fchei:
terte an dem MWiderftande der brandenburgiichen Fürften. Diefes und die Feindichaft
gegen den bairiſchen Herzog Ludwig, den Bundesgenoffen des Böhmenkönigs, verband
den Markgrafen Albrecht immer enger mit dem Kaiſer, in deifen Politik er vielfach
vathend und drängend eingeiff. Albreht war unter den damaligen NReichsfürften
mftreitig der bedeutendfte; bei feiner großartigen politiſchen Gejchäftigfeit iſt es alſo
jelbftverftändlich, daß ſeine Correipondenz eine ganz bejondere Bedentung beanſprucht.
Und gerade für die Jahre, um die e3 fich bier handelt, ift fie am beften erhalten.
Tiefe und viele fonftige Acten, Briefe u. dgl., die fi außerdem in dem Bamberger
Archive befinden, bedingen die Hohe Wichtigkeit desſelben für die Geſchichte jener Zeit.
Daß Vieles von dem bier vorhandenen Material auch für die böhmiſche Geichichte
in Betracht kommt, ergibt fih aus den Beziehungen K. Georg zum Neihe und
jpeciell aus feiner directen Betheiligung an dem Kampfe gegen den Markgrafen
Albrecht. Auf Einzelheiten hier hinzumeifen, würde viel zu weit führen.
Faft durchweg find es alio die auswärtigen Beziehungen Böhmeng, deren
Kenntniß durch vorliegende Sammlung gefördert wird. Erſt für die fpäteren Jahre
feit 1464 enthält diefelbe aud) mehrere Stüde, die ſich auf die inneren Verhältniffe
beziehen. Ginerjeit3 find dies Briefe, die über K. Georgs Verhältniß zum Bapfte
und zu der Katholifenpartei der böhmischen Länder handeln (Nr. 480, 483, 489, 491,
499, 504). Unter anderen erhalten wir auch einen Brief der Pilfener an Herzog
Wilhelm von Sachſen vom 11, Juli 1466 mit Klagen über K. Georg (Nr. 503);
der Herzog endete denfelben dem Könige zu, der fi) dann dafür beim Herzoge be—
dankt und gegen die erhobenen Vorwürfe vertheidigt (12. October, Nr. 505). Ueber
die Vorgänge nach) dem Ausbruche des Krieges gegen K. Georg handeln mehrere
Berichte, darunter drei, die dem damaligen Bürgermeifter von Eger, Kaspar Junker
von Geeberg, zugeididt wurden (Nr. 513, 517, 532).
Die Behandlung der Terte ift die gleiche, wie in der früheren Sammlung.
Huf das beigegebene Regifter ift, ſoviel fi durch einige Proben feftftellen ließ, hin—
länglicdye Sorgfalt verwendet. Bei einigen wenigen Nummern bat Nef. die Angabe
des Archivs vermißt; indes läßt ſich da meift der Urſprung ziemlich ſicher erratheı,
abgejehen etwa von Nr. 317,
Wie befannt, bat Prof. Bachmann das befprodhene Quellen-Material zum
größten Theil bereit3 vermwerthet in dem 1. Bande feiner Neichsgeichichte, der die
‘Jahre 1460—68 behandelt. Es kann nur der Wunſch ausgeſprochen werden, der Herr
Verfajler möge bald in der Lage jein, den 2. Band uns vorlegen zu fönnen und dazu
ebenfoviel neue Urkunden, Acten u. dgl. wie für die behandelte Periode, W. H.
Dr. Franz von Rrones: Geſchichte der Karl Franzens-Iniverfität in Graz.
1886. ©. XVI. und 684.
Das Bud) ıft eine werthvolle Feltgab: zu der ine Vorjahre begangenen Feier
des dreihundertjährigen Beftandes der Hochſchule. Es zerfällt in zwei Theile, von denen
der erſte (bis ©. 212) die „Sahrbücher der Geichichte der Grazer Univerfität von ihrer
Gründung bis zur Gegenwart, 1585/6— 1885, mit Einfchluß der Vorgeſchichte 1570— 1585“
nrittheilt, der zweite die „Grundzüge der Entwidlung und des Beltandes der Univer—
fität“ umfaßt. Der Verf., Profeffor au der Hochſchule in Graz, hat in die „Jahr—
bücher” „als fortlaufende Chronik der Umiverfität gewiffermaßen das Dateugerüft für
den Aufbau der pragmatiichen Geichichte derſelben“ unteraebradjt, jo dah die „Jahr—
bücher“ und die „Grundzüge“ fich einander ergänzen, ohne ſich inhaltlich zu decken.
In jenen werden die die Univerfität betreffenden Ereigniffe Jahr für Jahr verzeichnet ;
fie beginnen mit dem Briefe des Erzherzogs Karl vom 27. Januar 1570 an den
Rector des Wiener Jefuiten-Collegiums, erwähnen jodann die Stiftungsurkunde des—
jelben Landesfürften vom 1. Ian. 1585 für dag „Publicum studium, Gymnasium
und die Universitas“, weiter die Eröffnung der Schulen des Eollegiums den 11. No—
vember und endigen mit der Eintragung: „als Tag der dreihundertjährigen Gründungs—
feier der Grazer Univerfität wird der 25, Nov. 1886 feſtgeſetzt.“ — In den „Grund:
zügen“ behandelt der Herr Profeffor im 1. Bud) die VBorgefchichte der Hochſchule und
die Gründung derielben und zwar bejpricht er zuerft das Schulwefen Steiermarf3 im
Mittelalter und während der Reformation bis 1564, ſodann die Negierung Erzherzog
Karls und die Thätigkeit der Jeſuiten bis 1584, Ichließlih die Gründung der Unis
perfität. Im 2. Buche werden die äußeren Berhältniffe der Hochſchule im Verbande
mit dem Feluitencollegum zur Spradye gebradıt, e3 wird der Stiftungsbrief vom
1. Jan. 1602, die Baugeihichte des Collegiums und der Univerfität, die Glaubens
miſſion der Jeſniten und die Sopdalitäten an der Hochſchule, endlich das Stiftungs-
und Stipendienwefen erörtert. Im 3. Buche werden die Studentenjchaft, die akade—
milche Gerichtsbarkeit der Hochichule und ihr Theaterweien, im 4. die Verfaffung und
Lehre der Jeſuiten-Hochſchule, die Lehrkräfte derjelben und deren literarische Thätig-
feit dargelegt. Das 5. und 6. Bud handeln von der ftaatlichen Reformation bis zur
Aufhebung des Kefnitenordend und von da bis zur Umwandlung in ein Iyceum.
Das 7. befpricht die Grazer Hochſchule als Lyceum, das 8, von ihrer Wiederher-
ftellung als Univerfität von 1827—50, und das 9, von ihrer VBervollftändigung
jeit 1863 und ihrer Entwidlung bis zur Gegenwart. — Fünf Anhänge bringen die
Würdenträger, Profefforen und fonftige Lehrkräfte der Hochſchule, die Stiftungs- und
sreiheitsbriefe des Collegiums und der Univerfität, die Actenftüfe und Urkunden
gemiichter Art und die Verzeichniffe der benüsten Hand- und Druchkſchriften.
Der geehrte Herr Berf., als Geſchichtsforſcher und Hiftoriograph in den weiteften
Streifen befannt, hat mit dem vorliegenden Buche der Lehranftalt, an der er ſeit 1862
thätig ift, ein ihr würdiges Denkmal gefett; das Werk ift nicht blos für Alle, die
der Univerfität al3 Lehrer und Studirende angehörten und noch angehören, jondern
für Zeden, der ſich für die Gefchichte intereffirt, von hohem Werthe. n.
Dr. Ernſt Miſchler: Der öffentliche Haushalt in Böhmen, Beitrag zur
Kenntniß und Benrtheilung des Finanzwejens der Selbjtverwaltung in
Dejterreih. Leipzig md Wien Töplitz und Deutide 1887.
©. XI 206.
Wichtige ftaatlihe Intereffen find es — wir nennen beifpielsweile das Volks—
ſchulweſen — deren Verwaltung in jüngjter Zeit auch in Oeſterreich von Seite des
Staates beftimmten ihm untergeordneten Gemeindewejen ganz oder theilweile über-
tragen wurde. Man bezeichnet diefe Berwaltung im Gegenſatze zu der durch ben
Staat unmittelbar geübten mit dem Namen der Selbftverwaltung, in Defterreich aber
regelmäßig mit dem allerdings nicht ganz ſachgemäßen Namen der Autonomie und
nennt die Gemeinweſen, die Länder, Bezirke und Gemeinden, denen dieſe Selbitver-
waltung übertragen ift, Selbjtverwaltungs- oder autonome Körperjchaften. Dieſe
Sclbftverwaltung und die ihr dienenden Körperſchaften bieten nun ſowohl was ihre
Organifation, als was ihre Thätigkeit und die Reſultate derfelben betrifft, der wiſſen—
Ihaftlihen Betrachtung die mannigfachiten Seiten dar und bei der Wichtigkeit der
durch dieſe Körperjchaften verwalteten Intereſſen für das gefammte jociale und ftaat-
liche Zeben vermag es nur die Kürze der Zeit, mit welcher fie erit in Defterreich
beftehen, fjowie der damit zufammenhängende Mangel an allgemein zugänglichen
Quellen zu entjchuldigen, daß, abgeſehen von Ulbrichs trefflicher Darftellung in deffen
öfterreichiichem Staatsrecht unfere ſtaats- und verwaltungsrechtliche ſowie ſtatiſtiſche
Literatur ihrer Aufgabe in diefer Beziehung noch jo wenig entiprochen hat. Wir
müſſen daher jeden Beitrag zur Kenntuiß des Lebens unjerer Selbftverwaltungstörper
mit Freude begrüßen und vor Allen, wenn er, wie der vorliegende, eine der wid):
tigften Seiten dieſes Lebens, die finanzwirtbichaftliche, zum Gegenftande hat. Mit
Recht hebt der Verf., der bereits durch zahlreiche Eleinere in der „Statiftiichen Mo—
natsichrift” veröffentlichte Arbeiten jeine willenjchaftlihe Befähigung auf diefem Ge—
biete erwielen hat, hervor, daß bei dem gegenwärtigen jo überans dürftigen Stande
der Quellen von einer erjchöpfenden und gründlichen Darftellung der Finanzwirth—
Iichaft der Selbjtverwaltung in Defterreich feine Nede jein könne und daß er ſich daher
auf die Daritellung der autonomen Finanzwirthſchaft des wichtigften öfterreichiichen
Landes, deſſen gemeinwirthſchaftlichen Verhältniffe überdieg auch noh im Großen
und Ganzen als für die übrigen öfterreihiicdhen Länder typiich aufgefaßt werden
fünnen und zwar umſomehr beichränten musste, al3 ihm nur für dieſes Land die
nöthigen Quellen, insbefondere auch durch die Güte des Oberftlandmarichalls, Fürften
Lobfowicz die Landtagsacten zu Gebote jtanden. Der Berfafjer hat nun auf Grund
diefer Quellen die Finanzwirtbichaft der Selbjtverwaltungsförper in Böhmen in einer
Weiſe dargeftellt, die zwar nicht allen Anforderungen, die an eine ſolche Arbeit zu
jtellen find, im vollen Umfange entipricht, aber jedenfall als ein ſehr wertvoller
Beitrag zur Kenntniß und Beurtheilung des Finanzweſens der Selbitverwaltung in
Böhmen bezeichnet werden muß. Dies näher zu begründen, ift hier weder Ort noch
Kaum; wir müſſen uns vielmehr begnügen, nur den reichhaltigen Inhalt des Buches
zu ſkizziren. Nach einer die Selbjtverwaltung in Defterreih im Allgemeinen charak—
terifivenden Einleitung behandelt der Verfaſſer zunäcft den Haushalt (die Eigen:
verwaltung) des Landes (S. 7—48) und die mit dem Zandeshaushalte vereinigte
Selbftverwaltung (S. 49—67), bei weldher er wieder die temporären Daushaltungen
ua —
Grundentlaſtung, Proprinationsablöſung), die Haushaltungen ftaatlih-autonom ge—
miſchter Natur (Normalſchulfond, Lehrerpenſionsfond) und die mit dem Lande ver—
bundenen Stiftungen untericheidet. Dem Lande folgen die Bezirke (S. 68—86) und
in einem Anhange zu denſelben bejpricht der Verf. die der Aufſicht des Bezirkes
unterliegende, aus den ehemaligen Getreidefonden entjtandenen und durch das Gefet
vom 22, März 1882 organifirten landwirtbichaftlihhen Bezirksvorſchußcaſſen. Den
Slanzpunft des Buches bildet unftreitig die num folgende Darftellung der Finanz:
wirtbichaft der Echulbezirke (S. 87—112), für welche, wie der Verf. hervorhebt, ihm
meift vertreffliche Quellen, jo namentlich die noch viel zu wenig gewürbigten feit
1874 jährlih dem Landtage vorgelegten Berichte des Landesausſchuſſes über den
Zuftand des Volksſchulweſens zu Gebote ftanden. An die Schulbezirke reiht fih nun
die Darftellung der Finanzwirthſchaft der umterften Stufe der Selbjtverwaltung, der
Gemeinden (S. 113—179) und den Schluß des Buches bilden Betrachtungen über den
Unterfchied der Staatöverwaltung und Selbftverwaltung, über das Verhältniß beider zu
einander und Vorſchläge zur Reform der Selbftverwaltung. In Bezug auf das letztere
jet hervorgehoben, daß fich der Verf. im ganzen Verlaufe feiner Darftellung nicht damit
begnügt hat, nur die thatfächlichen Verhältniffe zu Schildern, fondern daß er an die—
jelben — ob zum Vortheile des Ganzen, ſei dabingeftellt — doch den kritiſchen Maß:
ſtab gelegt hat und jo zu Neformvorichlägen gelangte; welche eingehender Discuffion
ein weites Feld darbieten. Schließlich ſei noch bemerkt, daß zahlreiche in den Text
de3 Buches aufgenommene ftatiftiihe Tafeln eine ſehr lehrreiche Ueberfiht über die
fortichreitende Entwidlung der Finanzwirthichaft der einzelnen Selbftverwaltungs-
fürper gewähren. Dr. F.
Johann Peter: Charakter: und Sittenbilder aus dem deutjchen Bohmer⸗
walde. Graz 1886.
Das Buch vereinigt eine größere Zahl von Skizzen, die vorher in Roſeggers
Zeitſchrift „Heimgarten“ evichienen waren. Der erite Theil umfaßt Charakterbilder
der Bevölferung des füdlichen Böhmerwaldes, wie fie ſich nach Alter, Geſchlecht und
Beichäftigung gliedert. „Der Waldbauer”, „Bua und Diandle“, „Näl und Nal“,
(Großvater und Großmutter), „Der Richter”, „Der Wildſchütz“. „Der Vogelfteller“,
„Der Paſcher“, „Der Holzhauer“, „Der Gmoahiat“ (Gemeindehirt) — dieje Capitel-
überichriften bezeichnen aud) den Inhalt. — Im zweiten Theil, „Sittenbilder”“ be—
titelt, it die Eintheilung von der nach den Jahreszeiten wechſelnden Beihäftigung
und von den verschiedenen Fefteszeiten hergenommen. Der Berfaffer ift im Böhmer:
walde aufgewachjen und fennt das Leben und die Sprache jeiner Heimat gewiß gut.
Manche Abjchnitte Haben auch ficher den Zwed, in einer Zeitichrift für ein Stündchen
flüchtiger Unterhaltung zu ſorgen, pafjend erfüllt. In einem Buche vereinigt wollen
jie uns aber doch — aud) die beiten — recht unbedeutend ericheinen. Gar manche
der Bilder haben gar zu wenig oder gar nichts „Charakteriftiiches” an ſich; fie könnten
mit kleinen Aenderungen anf jede andere deutjche Landichaft übertragen werden. Der
Verf. verlangt im Vorwort: Um das Volk zu würdigen, müffe man die „naturwahre
und weltreine (!) Volksſeele vollinhaltlich begreifen”; das ıft ihm aber nicht gelungen,
denn jeine Schilderungen halten fi bloß an das Neußerliche, ind Herz dringen fie
ie cin, — Auch hätte das Buch als ſolches einer ftrengen Redaction bedurft. Die
— —
in einfacher Sprache, manchmal faſt trocken gehaltenen Beſchreibungen des Lebens
und Treibens in den Walddörfern find eingeleitet oder unterbrochen von jchwung-
vollen Naturjchilderungen, welche aber über einen ziemlich engen Kreis von Bildern
verfügen, die ich jo mehrmals, oft mit den gleichen Worten wiederholen; das wirkt
bei fortlanfender Lecture ftörend. Und gerade in diefen Schilderungen zeigt ſich nicht
jelten ein Mangel in der Beherrihung der Sprade (©. 115: „Der Wald ſammt
feiner Behauſung wadht auf” — ©. 165: „unaufhörliche Conſequenz“ — ©. 160:
„grünbefränterte Thäler“ — ©. 161: „gefrorene Schneekryſtalle“ u. |. w.). Gewiſſe
Wendungen erweilen fih als Nachwirkungen des Dialects. — Doch genug der Einzel:
heiten, dem aufmerfiamen Lefer werden vdiefelben leicht auffallen, — Der hier zuge:
meſſene Raum ift eigentlich ſchon überjchritten. W. Hieke.
Alois Ichn: Aus dem geiltigen Peben des Cgerlandes. Ein Ueberblic
über die nenejte Literatur desſelben. Separatabdrudf aus der
Egerländer Zeitung. Eger 1887. Selbitverlag.
Eine mit vieler Liebe zur Sache und mit forgfältiger Benüsung alles bekannt
gewordenen Materiales gejchriebene Ueberficht über das, was auf dem Gebiete der
Wiſſenſchaft und Kunft in den lebten Jahren mit Bezug auf das Egerland veröffentlicht
worden iſt. Diejelbe Hingt in den Wunſch aus, die zerftreuten und iſolirten wiſſen—
Ichaftlichen Kräfte des „gelehrten Egerlandes“ in der engeren Heimat und Fremde
mögen fih zu einem gemeinfamen Verbande vereinen, damit fid) mit der Zeit der
Plan einer wiffenihaftliden Zeitfchrift des Egerlandes verwirkliche. Wir bezweifeln
freilich, daß dieler von echt egerländiſchem Localpatriotismus getragene Wunſch jemals
in Erfüllung gehen, und daß ein folcher auch in weiteren Kreiſen werde getheilt werden.
Vorläufig wird fi der Verfaffer aber jedenfall ein bleibendes Verdienft erwerben
wenn er von Zeit zu Zeit in der Gejtalt des vorliegenden Aufſatzes zulammenfaßt,
in welcher Weile fih Wilfenihaft und Kunft mit dent Egerlande beichäftigen. Lhe.
Robert Laͤhmer: Induſtrielle Briefe aus Nordböhmen. Warnsdorf,
Strade.
Der Berfajler hat in diefem Bande die feit dem Jahre 1882 nad und nad)
veröffentlichten „Briefe” gefammelt; er konnte mit Necht von dem regen Intereſſe
ſprechen, welche dieſen Briefen bei ihrem Ericheinen zugewendet wurde. Wer fi ın
leicht faßlicher, fast durchans verläßlicher Weife über die ftaunenswerthe Erwerbs—
thätigkeit unſeres deutichen Volkes in den Induſtriebezirken Böhmens unterrichten
will, findet hier alles Wiffenswerthe kurz und treffend zulammengeftellt. Der Verf.
ftellt aber nicht bloß zuſammen; ein Eurer nationalöfonomifcher Blick ift ihm eigen,
der die Gefahr nicht überfieht, die mauchem Indnſtriezweig droht. In der Vorrede
fchüttet der Vrf; in diefer Beziehung fein Herz aus. Es find im ganzen 14 Abhand:
lungen, die intereflantes culturgefhichtliches, biographifches, handelspolitiiches und
anderes Diaterial gut verarbeitet in abgejchlofjenen Bildern bringen. Wie lehrreich
diefe Abhandlungen für den Geographen ꝛc. find, geht ſchon daraus hervor, daß in
ben wmeiften allgemeinen und jpeciellen Geographien, Heimatskunden ꝛc. meift fo
dürftiges Material gebradht wird, daß eine tiefere Einficht in die induftriellen Ver—
hältniſſe Böhmens nicht gewonnen werden kann. Aus bloßen Tabellen 2c. ftellt ſich
nie ein lebbaftes Bild ber. Dabei liejt fi das Buch auch für denjenigen gut, der
den induftriellen Verhältniffen nicht das rege Intereſſe entgegen bringt, das diejelben
verdienen. Möge der Verf. feine Arbeitökraft nicht ruhen laſſen und feine Schrift
planmäßig erweitern. Es gibt noch genug Material hierzu. Die Ausftattung ift
durchaus lobenswerth. —r.
Dr. Eduard Maria Schranfa: Ein Bud vom Bier. Ceruriſiologiſche
Studien mit Skizzen. Theil 1 und 2. Frankfurt a. d. O. B. Wald:
manns VBerlag 1886.
In 29 Gapiteln bringt der Verfaſſer in diefen Studien, fo kann man fie mit
vollem Recht nennen, ein reiches vortrefflih und planvoll verarbeitete Material über
den berühmten Gerftenfaft. Er hat wohl alle Kategorien, erjhöpft unter welchem fein
Stoff zu betrachten ift, infofern fie nicht bloß technischer Natur find. Er jagt in der
Vorrede: „und doch läßt gerade das Bier, das Fosmopolitischefte der Getränke, noch
eine literarifhe Behandlung zu, da nicht nur für den Biermacher, fondern auch für
den Biertrinfer, für den Producenten wie für den Confumenten, für jeden Gebildeten
von Intereſſe jein dürfte,” Es iſt im diefen Blättern nicht möglich, auf den Inhalt im
Einzelnen einzugehen, jo ſehr auch unſer engeres Vaterland ein Anrecht hat, gerade
bei diejer Arbeit hervorgehoben zu werden. Gapitel 1 handelt vom Bier als Wort
und feine Etymologie. Capitel 2, 3, 4 behandeln ähnliches. Capitel 16 und 17 „die
Mythologie des Bieres und das Bier im Aberglauben“ würden es wohl verdienen
im Auszug mitgetheilt zu werden, Mit diefen Gapiteln endet der erfte Theil, der
zweite Theil beginnt E. 18 mit dem Bier in der Sage und C. 19 im Märchen. Referent
hat bier nur einige Eapitel genannt, um darauf aufmerffam zu machen, unter welchen
Geſichtspunkten und wie reihhaltig die Behandlung diefer Studien if. Das Bud)
kann nicht geichildert, es muß gelefen werden. Schon die eigenthümliche Arbeitsart
des Verf. läßt eine Furze Andentung diefer oder jener Bartie des Buches nicht zu.
Es dürfte kaum möglid) jein, den Stoff intenfiver zu behandeln als wie es hier vom
Verf. geicheben it. Es tft eine gelehrte, tief eindringende Arbeit mander Jahre, die
hier in gut abgerundeten Gapiteln mit einer die betreffende Kategorie erichöpfenden
Srimdlichkeit geboten wird. Poeſie und Proſa haben ihren gleichen Theil an der
Aıbeit. Es dürfte dem Verf. faum irgend ein poeiiiches Lob des „Bieres“ entgangen
fein oder ſouſt eine Dichterftelle, die auf den Geritenfaft Bezug bat, die er nicht fenut
uud palfend citirt. Mit vollem Recht Eonıte der Berf. jagen, daß es bieher an einem
ipeciellen „Bud; vom Biere“ feuilletoniſtiſch-wiſſenſchaftlichen Genres mit culturbifto-
riſchem Gepräge gefehlt habe. Graeſſes „Bierftudien“ Haben viel Verdienftliches, aber
ein Bud) für die biertrinfende Welt it doch ficher nur Schranfas Bud; par excellence,
Hier findet in leichter gewandter auf wiſſenſchaftlicher Bafis ftehende Darftellung der
Leſer alles, was ihm zu wiſſen wünſchenswerth iſt und er wird ficher nicht einmal ſondern
öfter zu manchem Gapitel gene zurückkehren. Der Verf. zeigt fi) aber nicht etwa als
ein bloßer Compilator, der eine Reihe von gelehrten und nicht gelehrten Büchern
Be A
ercerpirt, ben Stoff anorbnet und verbrämt. Es ift Geift und Sinn in allem; der Vrf.
weiß bie entlegenften Punkte jcharffinnig zufammenzubalten und feine Refultate Daraus
zu ziehen. Es wäre zu wünjchen, daß der Verf. feine andern culturhiftortichen Studien
über verjchiedene Themata, die er anderswo furz behandelt hat, in ähnlicher Weife
ausweitet. Was die Benüsung ber Quellen und der vorhandenen Kiteratur betrifft,
jo dürfte dem Verf. faum etwas auf jein Thema näher Bezughabendes entgangen
fein. Seine Belefenheit ift eine erftaunliche und vieljeitige, nicht bloß älterer Quellen
und Arbeiten, auch der neueren und neueſten. Die Aphorismen zu einem Bierrechte
ließen fi wohl leicht vermehren und zu einem umfaffenden und intereffanten Capitel
ansgeftalten. Beionderd die Chroniken deutſcher Städte in Böhmen bieten da reid-
haltige8 Material, was noch lange nicht ausgenügr ift. Der Vrf. hat übrigens durch
den Zitel „Aphorismen“ angedeutet, daß er nur das ganze Bebiet des Bierrechtes in
feinen einzelnen Theilen abſtecken wollte. Wir wünſchen dem Berf. zu feinem von den
verjchiedenften hierzu berufenen Rritifern rühmlichſt anerkannten Werke Glück und
würden uns herzlich freuen, ihn auf diefen Pfade mit eben jo viel Erfolg und Wiſſen
weiterfchreiten zu jehen. Die Ausftattung des Buches ift glänzend, —T.
Kaleidoffop: Feuilletoniftiiche Studien, Skizzen und Canterien von Dr. Ed.
Maria Schranfa.
In diefem Kaleidoftop bringt Schranka 30 Fenilletond- Skizzen und Cauferien
die durchaus von feiner Belefenheit und Gewandtheit zeigen, abgeriffene Gedanken um
einen Einheitspunkt geſchickt zu gruppiven, Anecboten und culturgeichichtliche Notizen
treffend zu verwerthen. Schranfa hat feine Eigenthümlichkeit Culturgefchichte in bril-
lanten Effecten zu fchreiben, in mehreren großen Schriften gezeigt; man fieht diefen
Heinern Arbeiten nichts Gequältes an, fie find leicht hingeworfen und gut gefchrieben.
Er zeigt einen jcharfen Blid für die Schwächen mander Schriftfteller, ohne gerade
boshaft zu werden, Anderſeits findet fi mancher fräftige würzige Humor in dieſen
bingeworfenen Blättern. Der Stoff, um welchen der Verfaffer feine heiteren Gedauken—
füden jpinnt, ift mannigfaltig genug, da gibt es „etymologifche Curioſitäten“, da ſpricht
er vom „Schweigen“, vom „Zintenkler”, vom „Bleiftift“. Ueberall reiche Dichterbelege,
feinfinnig ausgewählt. Das fpringende Wefen diefer Art von Darftellungen jheint dem
lebhaften Temperament de3 nad allen Seiten auslugenden Verf. am meiften zuzu—
lagen. Ein heiteres Stünblein ift ficher der Effect diefer harmlofen, nichts deſto we—
niger aber nady vielen Seiten anregenden Lectüre, Bon dem Verfaſſer gelten die von
ihm citirten Verſe Tandler's. Und wie ich fo auf meinen Pfad die müßigen Blide
richte, ‚ftudire ich im Vorübergehen: ein Stüd Culturgefhichte, Druck und Ausftattung
bes Schriftrechens ift vortrefflich. - x.
Jahrbuch der k. k. heraldiſchen Geſellſchaft „Adler“ in Wien, XVI. Jahr—
gang der Zeitſchrift, XIII. des Jahrbuches. Wien 1886.
(Die beiden Böhmen angehenden Aufſätze, nämlich: „Zur älteſten Geſchichte
der Schlid” von Heinrich Gradl, — und „Blätter aus der altböhmiſchen Genealogie“
von %. Teige find auch feparat erfchienen.)
5
— —
In der Rubrik „Bohemica aus periodiſchen Zeitſchriften“ wurden in der lite—
rariſchen Beilage unſerer Mittheilungen bereits ſeit mehreren Jahren jene Aufſätze
aus den Publicationen dieſer Geſellſchaft verzeichnet, welche ſich mit böhmiſchen Ge—
ſchlechtern beſchäftigten. Wenn wir dem vorliegenden Jahrgange eine längere Be—
ſprechung widmen, ſo liegt der Grund darin, weil derſelbe zu gleicher Zeit zwei ſolche
uns näher angehende Arbeiten bringt.
Der an der Spitze genannte Aufſatz des fleißigen Geſchichtſchreibers des Eger—
landes, H. Gradl, eröffnet den Band. Wie den Leſern der Mittheilungen bekanut
iſt, hat derſelbe bereits 1882 im 20. Jahrgange unſerer Zeitſchrift (S. 347—51) einen
kurzen Beitrag „zur Herkunft der Schlicke“ geliefert. Ziemlich allgemein wurde bis
dahin angenommen, daß die Familie aus Eger ſtamme. Gradl brachte damals für
die Zeit zwiſchen 1260 und 1266 aus voigtländiſchen Urkunden einige Namen, welche
ſchließen laſſen, daß die Vorfahren der Schlick zu jener Zeit zwiſchen Plauen und
Oelsnitz anſäſſig waren; auf das hier gelegene Ober-Loſau wäre demnach auch jenes
Laſan zu beziehen, welches ſpäter als Prädicat angenommen wurde. Zwiſchen dieſer
Zeit und dem erſten Auftreten des Geſchlechtes im Egerlande liegen weit über hundert
Jahre, für welche alle Nachrichten fehlen, ſo daß es noch nicht gelungen iſt, den
Anſchluß der ſpätern Schlick an jene erſten bekannten Glieder zu finden. — Diesmal
hat es ſich Gradl zur Aufgabe geſetzt, alle Nachrichten zuſammenzuſtellen, die ſich über
die in Eger anſäſſigen Schlick finden ließen vom erſten Auftreten im Jahre 1390 bis
zum Jahre 1449, wo Kaspar Schlick ſtarb. Wir erhalten ſo nicht weniger als 243
kürzere oder längere Notizen, die meiſt aus den Büchern der Stadt Eger ſelbſt
ſtammen. Die Verwandtſchaft aller darin genaunten Glieder läßt ſich freilich damit
nicht ſicher feſtſtellen, doch ſo viel iſt klar, daß wir wenigſtens zwei Zweige der
Familie zu unterſcheiden haben, deren Verwandtſchaftsgrad noch zweifelhaft bleibt.
Zuerſt tritt Hand Schlick auf (1390), ſpäter ſeine Brüder Heinrich I und Niklas II;
Heinrich hinterließ 5 Söhne, darunter als älteften Kaspar. — 1410 fiedelt fi in
Eger ein anderer Niklas Schlick an; ob er Brüder hatte, bleibt unentjchieden, auch
Nachkommen laſſen fi) nicht ſicher nachweiſen. — Wichtig ift nod die Schlußbe-
merfuug, daß die Prädicate „von Laſan“ oder „von Weißenkirchen“ bis 1450 nicht
vorfommen. j
Der Auffa von Joſef Teige behandelt I. die Slavnikiden. IL die Vrsovcen;
IM. die Herren von Lichtenburg; IV. die Anfänge de3 Hauſes Gernin von Chubdenic.
Indem ich gebührend den Fleiß herporhebe, mit dem die in vielen Urkunden und
in Chronifen zerftrenten Notizen zufammengeftellt find, muß ich darauf verzichten,
bier darauf einzugehen, was an neuen Vermuthungen geboten wird, und dasjelbe auf
feine Richtigkeit zu prüfen. Nur zwei’ furze Bemerkungen möchte ih an Nr. IH.
(Die Herren von Lichtenburg) fnüpfen. Das Befte, was in der lebten Zeit über die
älteften Glieder diejes Hauſes gefchrieben wurde, fteht doch unftreitig in dem Auflat
von Dr. Schleſinger „Die deutihe Spradinfel von Iglau“ in den Mittheilungen,
23. Jahrgang ©. 312 ff. — Teige jcheint denjelben ganz überjehen zu haben, da ich
nirgends eine Grwähnung finde. Er hätte gefunden, daß Schlefinger dajelbjt in
directem Gegenfage zu Palackh (dem Zeige folgt) in Heinrich von Zittau (dem Vater
Smils von Lichtenburg) den Sohn des Tichaftolaus von Zittau fieht und denjelben
ftreng fcheidet von dem Bruder, dem Burggrafen von Bauten. — Teige führt jelbft
die Stelle aus Dalimil an, wo diejer von den Urahnen der Lichtenburger berichtet:
„Er furt an dem fhild roönn.“ Nun bedeutet die „rone” den Baumrumpf; jolche
u
alfo, nicht Pfahlleitern führte das Gefchleht im Wappen. — Beigefügt ift dem Auf-
jage Zeiges eine große Stammtafel de3 böhmischen Geichlechtes der „Vancura von
Rehnic“, wobei nur bemerkt ift, daß fie nach der gräfl. Wunjhwit - Wratislamfchen
Sammlung im böhmischen Mufenm zufammengeftellt wurde. Wer diefe Sammlung
kennt, weiß, daß fie neben vielem Guten auch mandes Falſche enthält. Es wäre
alfo wohl wünfchenswerth, der Verf. hätte die Angaben, fo weit al3 möglich, auf
ihre Nichtigkeit geprüft und darüber kurz Bericht erftattet. Dann erſt hätte die
Stammtafel eigentliben Werth erlangt.
Bon bedeutendem allgemeinen Intereſſe ift noch die Arbeit aus dem Nachlaffe
des 1885 verftorbenen Retberg: „Die Geſchichte der deutichen Wappenbilder“, deren
Abdrud im vorliegenden Jahrbuche begonnen wird, wofür gewiß jeder ea
dankbar iſt. W. H
Jahrbuch der Geſellſchaft für Geſchichte des Proteſtantismus in Oeſter⸗
reich. Achter Jahrgang. 1. Heft (Januar bis März 1887).
Wenn wir hier diesmal ausnahmsweiſe das erſte Heft eines Jahrgangs von
einer periodiſchen Zeitſchrift anzeigen, ſo geſchieht dies nicht, um den Inhalt im
einzelnen zu beſprechen; vielmehr möchten wir damit unſere Leſer auf ein Unter—
nehmen aufmerkſam machen, welches auch über ben Kreis der Proteftanten ſelbſt
hinaus Beachtung und Förderung verdient. Es wird noch vieler Einzelforfchungen
bedürfen, bevor 3. B. die Geichichte des Lutherthums in Böhmen gefchrieben werden
fan; darum muß jeder Beitrag dazu dankbar aufgenommen werden. — Bereits die
früheren Jahrgänge brachten manches auf Böhmen bezüglihe; ich will nur erwähnen,
daß ein Theil der „Studien zur nordböhmiſchen Reformationsgefchichte”, die Wolkan
in den letten Jahren veröffentlicht hat, zuerft in diefem Jahrbuche erichienen: ift.
Das vorliegende erite Heft des 8. Jahrganges wird eröffnet durch einen Aufſatz des—
jelben Berfaffers: „Beiträge zu einer Geichichte der Neformation in Böhmen“. Es
wird zunächſt das Decanat Auffig behandelt, doch ift auch diefer Theil noch nicht
abgeichloffen. Eine Beſprechung der Arbeit müffen wir alfo verfchieben, bis weiteres
erſchienen jein wird. W. H.
Geſchichte des deutſchen Mäünnergefangs-Vereines in Prag vom Jahre
1859 bis 1886. Anläflich der 2djähr. Bejtandesfeier, verfaßt von Ferd.
Höhm. NRedigirt von Franz Mathe, Schriftführer. Prag. A. Haafe.
Solche Abfchnitte, wie eine 25jährige Veftandesfeier, laden dazu ein, die Ge-
ichichte eines Vereines ind Auge zu faffen, damit nicht, wie es leider nur zu häufig
geichteht, die eriten Anfänge wichtiger und erfolgreicher Vereine in „ewige Nadıt
getaucht find“, Die Jahre rauſchen dahin, die erften Mitglieder zerftreuen ſich oder
jterben ab und der Reft ift — Schweigen oder Sage. Es ift daher auch hier wieder
eine durch unſere ganzen Zeitverhältniffe bedingtes verdienftvolles Unternehmen, die
erste Vereinsbildung unſeres hochangefehenen Männergefangdvereines zu betrachten.
Es ift das die „Zauberflöte“ im Jahre 1859. Vierzehn Namen von Mitgliedern
5*
zei
find überliefert. Der Director war C. G. Pfullmann. Diefer Verein Töfte fi auf
und e3 trat in demfelben Jahr 1860 die „Harmonie“ an feine Stelle, den der Ge—
fangverein „Flöte“ im Jahre 1861 ablöfte. Seit dem 8. Mai 1861 erfolgte Feine
Auflöfung des Vereines mehr; dies ift alfo der Gründungstag des heut beftehenden
blühenden Vereines. Unſere Gefchichte geht nun die einzelnen Vereinsjahre durch;
manches für den Verein ruhmvolle Blatt ift darin verzeichnet. Seit dem J. 1866
nahm der Verein den Titel, den er jett führt, an, Möge ber treffliche Verein blühen
und gedeihen! Ch.
Programmanffäge aus den Jahren 1885 und 1886.
Die Rebdaction biefer Blätter forgte feit einer Reihe von Jahren dafür, daß
die den Sahresberichten der deutſchen Mittelihulen Böhmeus beigegebenen hiſto—
riihen Abhandlungen und die in den andren Kronländern eriheinenden Progranını-
auffäge, fofern fie die Gejhhichte Böhmens berühren in der „Beilage zu den Mitthei-
lungen” zur Anzeige gebracht werden; ſeitdem diefe Gepflogenheit in Uebung ift, hat
der Unterzeichnete diefe Arbeiten beiproden. Referent hat fich dieſer Aufgabe gern
unterzogen, weil, feiner Meinung nad), die Mitglieder unfered Vereines von ber
wiſſenſchaftlichen Thätigkeit der in ihrer Mitte lebenden Mittelichullehrer in
Kenntnis zu jeßen, weil bejjere Abhandlungen der Bergeffenheit zu entrüden find,
und endlich) weil er der Anſchauung it, daß die wohlmeinenden Winfe, an denen es
der Referent im Laufe der Jahre nicht fehlen ließ, die Hiftorifer an unferen Mittel-
ichulen dazu beftimmen würden, fich in der Wahl der Themen immer mehr der Randes-
und Localgeſchichte zuzuwenden, denn die ift und bleibt ja hauptſächlich das Gebiet,
auf welchem der Gejchichtsforicher, der in einem Kleinen Orte lebt, in weldem ihm
große Bibliothefen nicht zur Verfügung ftehen, höchft erfolgreidy wirken kann. Selbft-
verftändlich denke ich nicht entfernt daran, daß univerſalhiſtoriſche oder aber Arbeiten,
die einen Theil der Gefchichte anderer Kronländer oder eines fremden Staated be:
rühren, unbedingt anszufchließen wären. Aber noch ein Umftand beftimmt mich dem
Wunſche der Redaction nachzukommen; ich muß aber, um ihn klar zu legen, etwas
weiter ausholen. Die Programmenliteratur Oeſterreichs erblidte befanutlih mit ber
Organiſation unferer Oymnafien das Licht der Welt. Feder von uns, ber fich der Zeit
erinnert, in welcher der Organifationsentwurf ins Leben trat, und an die unmittelbar
daranf folgenden Fahre, feier damals Lehrer, oder aber Mitglied eined Seminars der
philofophiichen Facultät geweſen, der wird aud) der Begeifterung denken, die unjeren
Buſen für das Gymnaſialweſen jehwellte. Ein frifches, fröhliches Leben pulfirte in dem
Lehrerftand, das in der Schule, in den Conferenzen, in der wiſſenſchaftlichen Thä-
tigkeit der Lehrer zu Tage trat. Das glänzendfte Zeugniß dafür legt die „Zeitichrift
für die öfterreihifchen Gymnafien“ ab, die während der fünfziger und eines Theils
der jechziger Jahre unter der Leitung des trefflichen Profeſſors Dr. 9. Bonig auf
ihrem Höhepunkt ftand. Dean blättere die erjten zehn bis fünfzehn Jahrgänge der
Zeitfchrift duch und man wird über die Fülle von gediegenen Abhandlungen philo-
logiſchen, germaniſtiſchen, hiſtoriſchen u. ſ. w. Inhalts ftaunen, die in derjelben auf:
geſpeichert ſind. Sie ſtellte ſich aber auch zur Aufgabe, ſämmtliche Programmaufſätze
zur Anzeige zu bringen, und ſie übte damit auf dieſen Zweig der Schulliteratur einen
— —
überaus günftigen Einfluß aus, indem fie gute Arbeiten lobend anerkannte und die
Berf., die verfehlte Themen bearbeiteten, nicht blos tabelte, jondern audy belehrte.
Wie in fo mander Beziehung wandelt nunmehr die Beitichrift auch in diefer Rich:
tung andere Wege; denn während fie jedwedes von irgend einem Wiener Lehrer her:
ausgegebene Schulbüchlein breit tritt, und während fie fih faft nur nod auf An:
zeigen von Büchern meift philologischen Inhalts befchränkt, beipricht fie Programm:
arbeiten blos ausnahmsweiſe. So manche den Yahresberichten öfterreihiiher Gym—
nafien beigegebene Abhandlungen finden in Deutichland lobende Anerfennung, während
fie innerhalb der Grenzen unſeres PVaterlanded tobt gefchwiegen werden. Um nun
diefen fühlbaren Maugel, ſoweit ed in unjeren Kräften fteht, einigermaßen abzuhelfen,
follen wenigſtens die oben näher bezeichneten Brogrammaufjäge in diefen Blättern
berüdfichtigt werben.
Ich habe diesmal die in den Jahren 1885 und 1886 erſchienenen Abhandlungen
anzuzeigen, ihre Zahl, vornehmlich der zu Ende des legten Schuljahres publicirten, ift
eine äußerft geringe,
1. Dr. willibald Ladenbauer: Der hifter. Unterricht ald Grundlage einer
religiöfen Weltanfhanung. Progr. des deutſch. Gymnaſ. in Budweis,
1885; ©. 53.
Wir haben und nicht darum zu kümmern, ob der vorliegende Aufſatz die Be—
arbeitung des pädagogiſchen Themas ift, das dem Verf. bei Gelegenheit der Staats:
prüfung geftellt wurde, es fcheint ung aber faum fraglich, daß der Einfiuß des Prof.
Willmann und der von ihm vertretenen Richtung in Ladenbauers Arbeit zur Geltung
fommt. Da in unferen Heften der Erörterung pädagogifcher Fragen fein Raum
gegeben ift, jo beichränfen wir uns auf die Bemerkung, daß der Verf. mit Luft und
Liebe an jeine Aufgabe ging und fie gründlich erörtert. Dem theoretifchen Theile
der Arbeit folgt ein Abfchnitt, der die theiftische, fobann ein zweiter, der die chriftliche
Geſchichtsauffaſſung darlegt.
2. w. Rnoblodh: Die wichtigſten Kalender der Gegenwart. Eine Dar-
jtellung des gefanmten Kalenderwejens. 9. Yahresbericht der deutjch.
Realſchule in Karolinenthal, 1885; ©. 90.
Der Berf. bietet feinen Lefern eine jehr danfenswerthe Schilderung des Ka—
lenderweſens, die auch für den Hiftorifer nußbringend ift.
3. Der Jahresbericht des Comm. Realgymnafiums in Teplis vom J.
1885 bringt:
a) ein um bie Mitte des 16. Jahrhundert verfaßtes, in lateinischer Sprade
gefchriebened Thomae Mitis idyllion de thermis Teplicensibus nnb
b) einen gejchichtlichen Ueberblicd über das erfie Jahrzehnt der Lehranftalt mit
ftatiftiichen Nachweiſen.
BI:
4. Georg Mair: Das Land der Skythen bei Herodot und der Feldzug des
Dareios in demfelben. Eine geograph. Unterfuhung; IL Thl. Brogr.
des Gymnaſ. in Saaz 1885; ©. 68.
Der I. Theil findet fi im vorhergehenden Jahresberichte, In beiden handelt
es fi) um eine geographiiche Unterfuchung und um die Nahmweifung uud Klarlegung
von Frrthümern, deren fich Herodot in jeinen Angaben über das Land und über
den Feldzug des Großkönigs Ihuldig macht. Die Arbeit ift auf die Quellenfchriften
gegründet, läßt aber auch die neueren Arbeiten nicht außer Acht und bezeugt eine
tüchtige Sachkenntniß, eine bejonnene Kritif und ein ſcharfes Urtheil.
5. Defid. Koebmann: Die Kaijerfrönung Karls IV. und ihre Bedeu—
tung. Progr. des Comm.Gymn. in Komotau, 1885; ©. 37,
Der Verf. nimmt einen weiten Anlauf; er beginnt mit dem Tode Heinrichs VIT.,
erwähnt ben Römerzug Ludwigs des Baiern, ben er bald in „Born“, bald in „Wuth“
gegen den Papſt gerathen läßt, und jpricht von der Berheiratung Margarethens
von Tirol mit Ludwig von Brandenburg, bei welcher „der Kaifer, da ſich feiner von den
anweſenden Biſchöfen zur Vornahme diefer Handlung herbeilafjfen will, die Trauung
jelbft vollzog.“ Der Berf. läßt (in einer Anm.) alle Kurfürften von Ludwig ab-
fallen, die an deſſen Stelle Karl zum Könige wählten. Belanntlih ganz unridtig.
Die Eide, die Karl der Curie leiftete, werden erwähnt und bei diefer Gelegenheit
abermal3 weit in die deutiche Kaiſergeſchichte zurüdgegriffen, um endli auf S. 14
beim Römerzug Karl3 anzulangen, Wie in der Einleitung find wir auch im weiteren
Verlauf der Arbeit auf neue Ergebuiffe nicht geftoßen; Alles, was er mittheilt, findet
fi) bei anderen Forſchern, vornehmlich in der Geihichte Karls IV. von Werunsky,
eingehender und Flarer dargelegt.
6. Adolf Wurfcher: Beziehung des Königs Mathias von Ungarn zu
- Georg von Podebrad und Wladiflaw von Böhmen; 14. Jahresbericht
der k. k. Oberrealfchule im II. Bez. von Wien, 1855; ©. 29.
Die Abhandlung, die jedem Hinweis auf Quellenfchriften und auf Hilfsmittel
mit übertriebener Aengftlichfeit ausmeicht, erzählt, wie es das Thema mit fih bringt,
hauptſächlich den Krieg zwijchen Ungarn und Böhmen. Was uns der Verf. bietet, ift
möglicherweije blos der Auszug aus irgend einem größeren Dandbuche.
7. Joſ. Münzberger: Aus dem Böhm.-Leipaer Stadtardiv; IL. Abſchn.
“- Nachrichten zur Gejchichte Leipas vom Jahre 1660 bis zum Beginne
des 18. Jahrhunderts. — 22. Yahresbericht der Comm.Oberrealſchule
in Böhm.-Leipa, 1885; ©. 33.
Ein kurzer Nekrolog, betreffend den am 27. Mai 1885 mit Tod abgegangenen
verdienftvollen Director der Lehranftalt, Dr. Caj. Watel, Teitet das Jahresprogramm ein.
Was,die beigegebene Arbeit betrifft, deren erſten Abſchnitt wir feinerzeit beiprochen, jo tft fie
vielenanderen hiftorifchen Programmanfjägen jchun darum vorzuziehen, meil fie fich
auf localem Boden bewegt, fih auf Haubfchriftliches, bislang unbekanntes Material
Be
ftüst und biefed ben Lefern zur näheren Kenntniß bringt. Für die Gefchichte der
Stadt wäre aus dem oben angeführten Zeitraume hervorzuheben, daß das Teftament
de3 Grafen Ernft von Kaunitz vom 24, Octob. 1672 feine Brüder übergeht und daß e3
die Herrichaft Neuſchloß und die Stadt Leipa feinem Neffen Karl Grafen von Wald:
ftein vermacht; ſodann find die Seudye von 1680, die Streitigkeiten der Gewerbe:
treibenden mit der jüdiſchen Bewohnerſchaft u. j. w. zu erwähnen, Die Abhandlung
verdient die volljte Anerkennung.
8. P. Amand Paudler: Graf Joſef Kinsky, Herr auf Bürgftein und
Schwoyfa; Jahresbericht des Gymnaſiums in B.-Leipa, 1885; S. 47.
Nicht blog Männer bürgerlicher Herkunft, jondern auch Mdelige haben jih um
die Fnduftrie in den deutſchen Gebieten Böhmens große Berdienfte erworben; einer
der hervorragendften und verdienteften, wenn er nicht etwa gar den eriten Plaß bean:
Ipruchen kann, war Graf Joſef Kinsky, der unvergeßliche Befiser der Herrichaft
Bürgftein. Den 15. Nov. 1705 geboren, verlor er in jeinem 13. Jahre feinen Vater ;
er genoß eine forgfältige Erziehung, machte Reifen und erwarb ſich eine geläuterte
Weltanfhauung. Im jugendlichen Alter ftehend, trat er in den Fohanniterorden, er
wurde Oberamtratb, dann Commercienrath, fpäter Commerzien:Vicepräfident in Schle—
fien, hierauf Aſſeſſor bein fönigl. Landesgubernium und Präfident des Commerzial-Conſeß
und des Wechielgerichtes zweiter Inftanz in Böhmen und ſegnete deu 17. April 1780
das Zeitliche, Er verſchied in feinem Haufe in der Hibernergafie in Prag Graf
Kinsky war ein gereifter Mann, der ſich in öffentlichen Aemtern durch mancherlei
Erfahrungen vorbereitet hatte, als er den Entſchluß faßte, auf feiner Herrichaft Bürg—
jtein eine induftrielle Mufterwirtbichaft für ganz Böhmen einzurichten. Die Aulegung
zahlreicher Dörfer, die Gründung einer neuen Stadt Haida) und die Erridtung
zahlreicher Yabrifen wurde in wenigen Jahren vollftändig durchgeführt. Es fehlt uns
au Raum, die zahlreichen indujtriellen Schöpfungen des Grafen auch nur einfach)
aufzuzählen, wir begnügen uns auf die verdienftvolle Monographie Paudlers zu ver:
weijen, der zu derjelben gedrudtes und nugedrudtes Material verwerthete, Referent
begegnete dem geehrten Verf. ſchon wiederholt auf feinen Streifzügen in der Programm
literatur, und immer wieder war er in der angenehmen Lage, dem Prof. Paudler
bezüglich der Wahl und der Bearbeitung feiner Abhandlungen die Anerkennung zum
Ausdrud bringen zu fünnen; auch der vorliegende Auffag gibt vollen Anlaß dazu.
9. G. Mair: Der Feldzug des Dareios gegen die Shythen; Progranım
des Gymnaſiums in Saaz, 1886; S. 30.
In den zwei vorhergehenden Programmauflägen hat ſich der Verf. mit feinen
Unterfuhungen über das Land der Skythen den Boden zubereitet, um nun ben Feld—
zug des Dareios zu ſchildern. Er weicht von der Darftellung Herodot3 vielfach ab,
corrigirt fie und legt bar, welchen Kiriegsplan der Großkönig hatte und durch welde
Gegenmaßregeln die Ausführung durch feine Gegner vereitelt wurde. In einem An-
bang Sprit Mair über die Herkunft und die Nationalität der Sfolot, eine Frage,
die er, wie er uns hoffen läßt, au einem anderen Orte eingehender behandeln wird.
Die fleißige Arbeit verdient, daß fi) die Aufmerkſamkeit der Fachgenoſſen ihr zumende,
10. Dr. Hugo Oſtermann: Die Borlänfer der Diocletianiſchen Reichs—
theilung; Jahresbericht des Gymnafiums in B.-Leipa, 1886; ©. 19.
Der Zweck des Aufſatzes ift, wie fein Verf. mittheilt, die Theilungen der faifer:
lihen Gewalt im römifchen Reiche unter zwei oder mehrere Träger und die damit
zufammenhängenden Theilungen des Reiches in chronologiſcher Reihenfolge darzuftellen,
um ſowohl die Verfchiedenheit der Motive und der Durhführung der einzelnen Thei-
lungen fennen zu lernen, ald auch darzuthun, inwiefern dad Beifpiel der vorangegan=
genen Theilungen auf die Diocletianifche Keichötheilung eingewirft hat. — Die Dar-
ftellung beginnt mit der Theilung zwiſchen Octavian und Antonius, worauf eine
nad) der anderen abgethan wird. Ich bin nicht einer Auffaffung begegnet, die nicht
jelbftverftändlich oder auf die ich nicht fchon anderwärts geftoßen wäre,
11. Defid. Loebmann: König Wenzels Thätigfeit als deutſcher König;
Programm des Comm.-Öymnafiums in Komotau, 1886; ©. 28.
Die Abhandlung Ichließt fih an die oben angezeigte Arbeit von bemjelben
Berf. on. Die Folgen der Kaiferfrönung Karls IV., die ja auch wir nicht gering an-
ſchlagen, werden überjhätt, und ans ber Unterlaffung des Römerzuged von Seite
jeines Sohnes jcheint Loebmann alle Uebel abzuleiten, von welchen diefer und
Deutfchland während feiner Regierung betreffen wurden. „Dur die Kaiſerkrone
hätte der König fein moraliihes Anſehen gerade jo ftärfen fünnen, wie e8 vor ihm
jein Vater gethan;“ den Kaifer würden die Fürften „Leinesfall3 fo leichterdingd ab-
gejegt haben“; er hätte als Schirmuogt der Kirche viel zur Beleitigung des Papft-
ſchismas beitragen, die deutjche Königskrone feinem Haufe erhalten können; er würde
„al3 Kaifer von feinen eigenen Unterthanen faum in Gefangenschaft gebracht worden
jein; endlich hätte König Wenzel als Kaifer die huffitiiche Bewegung bei Beiten
fteuern, die böhmischen Wirren in ihren Anfängen bejeitigen und jo Böhmens gol-
denes Zeitalter erhalten können“, — Es hätte vom Verf. ebenfo gut auch noch die
Behauptung aufgeftellt werden fünnen: Wäre Wenzel in Rom geſalbt und ihm bie
Kaiſerkrone auf das Haupt gejest worden, dann würde er im Handumdrehen ein
völlig anderer Menſch, er würde ein Mann von hellftem Geiſte, edelſtem Gemüthe,
von raftlojer Thätigfeit geworden fein und es wüßte die Gefchichte von einem a
Zizka u. ſ. w. nichts zu berichten. B.
R.t, Hofbuchdruderei A. Haafe, Prag. — Seibftverlag.
Literariſche Beilage
zu den Mittheilungen des Vereines
für
Öeschichte der Meutschen in Bähmen,
XXV. Jahrgang. IV. 1886/87.
Die öfterreihiich-ungariihe Monardiie in Wort und Bild, Auf Anre-
gung und unter Mitwirkung Seinerfaif. u. fönigl. Hoheit
des durchlauchtigſten Kronprinzen Erzherzog Rudolf.
Ueberfichtsband. 1. Abt. Naturgefchichtl. Theil. — Wien und Nieder-
dfterreih. 1. Abt. Wien.
Es wird unter unjeren Leſern wohl Niemanden geben, der nicht von dem emi—
nent patriotiichen Unternehmen Kunde erhalten hätte, unſer großes Geſammtvater—
land, die öſterreichiſch-ungariſche Monarchie, in Wort und Bild darzuftellen, ein
Unternehmen, das auf Anregung und unter Mitwirkung Seiner f, u. E Hoheit des
Kronprinzen in das Leben trat; ed werben fich aber anch unter unferen Leſern gewiß
nur wenige finden, die, wenn auch nicht ſämmtliche bis jett erfchienenen 34 Liefe—
rungen des Werkes, jo dody einen Theil derjelben aufmerfiam durchblättert, ſich in
den von anerkannt tüchtigen Fachmännern gefchriebenen Tert vertieft und fih an den
funftooll ausgeführten Randzeihnungen und an den dem Texte beigegebenen zahl-
reichen Slluftrationen erfreut hätten. Wenn wir das großartig angelegte, auf 14 bis
15 Bände geplante Werk, in welchem jeded Land unjeres herrlichen Vaterlandes und
jeder der zahlreichen Volksſtämme unferer Monarchie feine volle Berädfichtigung finden
joll, bislang noch nicht zur Anzeige brachten, wie es doch gewiß viele unjerer Leſer
und das mit vollem Rechte erwarteten, fo gefhah es blos darum, weil wir der Mei-
nung waren und nody find, daß es verfehlt wäre, jede Lieferung einzeln zu beiprechen
jondern daß wir den Abichluß eines oder mehrerer Bände abwarten müßten, um
eine eingehende Anzeige über einen einigermaßen abgerundeten Theil des Werkes
geben zu können. Nachdem jeo die zwei oben bezeichneten Bände abgeſchloſſen vor—
liegen, wollen wir nicht länger jäumen, unferer Pflicht nachzufommen.
6
23. Bi
Die „Einleitung“ zum Ueberfichtsband ftammt aus der Feder Seiner, m £.
Hoheit des Kronprinzen, fie beginnt mit der Bemerkung, daß unjere Monarchie
noch immer eines ethnographiſchen Werkes entbehrt, welches, auf der Höhe der wiſſen—
Ihaftlihen Forihung ftehend, mit Zuhilfenahme der fo jehr vervollfommmeten künſt—
ferifchen Reproductiongmittel, anregend und befehrend zugleich, ein umfafjendes Ge—
jammtbild unjeres VBaterlandes und feiner Volksſtämme bietet. Mit diefen Worten
ift das Programm de3 Gefammtwerfes ausgefprochen, das, foweit wir bis jetzt fehen,
trenlich eingehalten wird. Im weiteren Verlaufe führt ung die Einleitung von Wien
aus durch das Tiebliche Niederöfterreich bis zu dem hochragenden Schneeberg mit
feinen fahlen Halden und Krummholzgeftrüppe, wir ſchauen die Kalkgebirge Ober:
Öfterreich3 mit ihren zadigen Formen, milde Thäler und Schluchten, blaue Seen,
grünende Wieſen. Salzburg, die alte Biſchoféſtadt, erhebt ſich, vor ung liegt die
Fellenburg Tirol; in Vorarlberg, an den Geftaden des jchönen Bodenſees, halten wir
an. Zunächſt geht es, den Gebirgszügen folgend, längs der ichneebededten Kette der
Tauern durch die herrliche grüne Steiermarf, Kärnten und rain mit ihren Seen
und Kalfgebirgen fie durchziehen wir und gelangen durh Görz hinab in den Karft,
in die Steinhalden mit fpärlihem Grün, ein Typus fo ganz eigenthümlich und
einzig in feiner Art. Vom weißen und kahlen Felfen aus erblidt der Wanderer das
reiche jchöne Trieft, und nun geht es zwilchen zahlreichen Inſeln an den Küſten des
großartig ſchönen Dalmatiens bis Hinunter in die herrliche Boche di Cattaro, wo
als mächtiger Grenzpflod ſich das ernftsmajeltätifche Gebirgsmaffiv der Schwarzen
Berge erhebt. Nah Norden fchwebt unſer Blick. Mähren, das reiche Rand, mit
feinen lieblichen Higelketten ift burchwandert, und Böhmen, das wohlhabende
Plateau, umgrenzt von einem Kranze ſchöner Waldgebirge, liegt vor uns ausgebreitet.
Doch genug der Wanderung. Wem die früheren literariihen Schöpfungen Seiner
faif. Hoheit befannt find, der wird fi) mit wonnigem Gefühle erinnern an die aus
einem Herzen voller Begeifterung quellenden, poetifh durchhauchten Schtlöcrungen
der Naturjhönheiten, wie fie fih dem finnigen Beobachter im dichtbelaubten Walde,
in den von zahllojen Waffervögeln belebten fumpfigen Niederungen oder auf ein—
famen Pfaden in den Wildniffen des Hochgebirges aufdrängten; diefelbe ſchwungvolle,
begeifterte Sprache erkennt der aufmerfiame Leſer in der „Einleitung“ wieder. Die
Widmung, Seiner faif. u, königl. Majeftät zugeeignet, ſowie die Worte der Einleitung,
welche auch die verfchiedenen Volksſtämme unferes Vaterlandes raſch au unferen
Bliden vorüberführt, und die Aufgabe kurz bezeichnet, die ſich das Werk geſetzt hat,
find mit ſchönen, den Text begleitenden Randzeichnungen gefhmüdt, die vom Prof.
Rampler componirt find. — Der Einleitung folgt auf dem Fuße die Oro- und
Hydrographie von dem Generalmajor Karl von Sonflar, einem genauen Kenner
unferer Alpen, der fich, wie männiglich befannt, um die Durchforſchung unferer
alpinen Welt große Berdienfte erworben hat. Wenn auch einzelne Heine Irrthümer,
wie und von Dr. Hecht, einem unferer herporragenditen Alpenwanderer, mitgetheilt
wurde, fich in die Höhenangaben eingefchlichen haben, jo können jie dody der trefflichen
Arbeit des leider feither mit Tod abgegangenen Verfaffers nicht Abbruch thun. Diefer
Theil des Buches hat außer einer Karte über die öftlichen Alpen 13 Flluftrationen
von Lichtenfels, von welchen wir den Ortler, den Krimler Wailerfall, den großen
Fifchlee in der hohen Tatra und tas Geläufe hervorheben. Auch die geologiiche
Ueberfiht von Fr. v. Hauer hat einen Gelehrten zum Verf, der auf diefem Ge-
biete fein Neuling ift. Die überfichtlihe und Mare Darftellung ift von 10 Xichten-
we —
fels'ſchen und 3 Holzſchnitten von ungar. Künſtlern geziert; wir machen auf das den
Plöckenſtein darſtellende Bild aufmerkſam. Intereſſant iſt der Abſchnitt über die
klimatiſchen Verhältniſſe von J. Hann, dem Illuſtrationen von Schindler und
Schaeffer beigegeben ſind. A. v. Kerner ſchildert die Pflanzenwelt Oeſterreich—
Ungarns und A. v. Moſjiſovits die Hanna, jene zieren 11 dieſe 10 Abbildungen
von Bar. v. Ranfonnet, Schindler, Mataf, Bauk, Pauſinger u. f. f.
Wie aus der 33. Lieferung erfichtlich ift, wird ſich die 2. Abtheilung des Weberfichtd-
bandes mit der Ethnographie und der Gefchichte der Monarchie befchäftigen.
Der zweite und complet vorliegende Band beichäftigt ſich ausſchließlich mit
Wien. Die einleitenden Worte von Seiner faif. Hoheit find der Lage unferer
Metropole gewidmet, der Schilderung des gottgejegneten Stüdes Erde, auf „den ſich
jeit den Römertagen unfere herrliche Baterftadt erhoben hat. Nahe der Donau in
den grünenden Praterauen erglänzt die hohe Kuppel der Rotunde, ein Wahrzeichen
des neuen Wiens, wie e3 der Stephansdom des alten ift. Stephansdom und Rotunde,
Markfteine in unferer Gejchichte, fünden weithin leuchtend den Wanderer die Yage Wiens,
diefer Metropole an der blauen Donau zwifchen Oft und Welt, wo Nationen aneinander
grenzen und Natur und Völkerleben einen großen Stapelplat der Eultur für Gegenwart
und Zukunft geichaffen haben.“ Aus jedem Worte diefer „Einleitung“ weht dem Leſer
die ftolze Freude entgegen, die der hohe Verfaffer über feine herrliche Vaterftadt, em-
pfindet, eıne Freude, die lauten Nachklang in Millionen Herzen findet, denn nur
nationale Bornirtheit könnte unferes Reiches Reſidenzſtadt, die Kaiferftadt an der
Donau, mit mißgünftigen Augen betradten. Mit Fug und NRedt ift diefem Juwel
unjerer Monarchie ein voller Band eingeräumt, noch immer ein viel zu larger Raum,
wenn man bed reichen Lebens gedenft, das bier jeit den Nömerzeiten ſich auf allen
Gebieten entfaltete und bis auf die Gegenwart pulfirt.
Die Ueberficht über die Geihichte der Stadt iſt von K. Weiß, und gerade
für diefen Theil konnte eine erprobtere Kraft faum gewonnen werden. Der Verf.
führt und zurüd in die Vergangenheit big zu dem Augenblid, wo auf feltiihem Boden
das geſchichtliche Leben Wiens als römische Anfiedlung beginnt. Mit dem Untergange
- der Römerherrichaft verlor Vindobona feine Beſtimmung als befeftigter Grenzort und
gleichzeitig jenft ein dichter Schleier ſich über die Stadt, der fich erft nach Jahr—
hunderten wieder lüftet. Erſt 1030 wird Wien in einer Chronif wieder genannt,
um gleich darauf abermals für ein Jahrhundert vergeffen zu fein. Als aber um bie
Mitte des 12. Jahrhunderts der Schleier für immer gehoben ward, da herricht auch
ſchon reges Leben innerhalb der Mauern der Stadt, die feit dem Fridericianiſchen
Freiheitöbrief die Reſidenz eines mit ftattlichen Hoheit3rechten bewidmeten Landesherrn
ift. Wir wollen nicht die Entwidlung der Stadt jhildern, nicht die Privilegien an-
führen, die der gemwerbe- und handelsthätigen Bürgerfchaft zuerkannt wurden, wir
fönnen aber nicht unerwähnt laffen, daß e3 für Wien, obihon es zu Ottokar I. von
Böhmen, deffen Gunft es beſaß, treu hielt, nur zum Heile ward, daß die Habsburger
an feine Stelle traten, denn mit Böhmen vereinigt würde Prag der Schwerpunkt der
Premyfliden-Herrihaft geblieben und Wien in den Hintergrund getreten fein. Bis
zum Ausgang des Mittelalters ftanden die Wiener, von vorübergehenden Trübungen
abgejehen, unentwegt zu ihren Landesfürften. Die Stadt ſelbſt wuchs immer Fräftiger
empor, bi3 fi) vom Ende de3 15. Zahrhundert3 an ein Sinken wahrnehmen läßt,
deſſen Urfachen in der Aenderung der Handelöwege, in der Türfengefahr und in der
Kirhenipaltung zu juchen find. Die Anftrengungen zur Wiederherftellung der Ein-
6*
——
heit des Glaubens verkümmerten das geiſtige Leben, die Univerſität gelangte vollſtändig
in die Hände der Jeſuiten, ſie übten mit größter Strenge die Büchercenſur, die Ver—
bindung mit dem geiſtigen Leben Deutſchlands wurde gelodert, die Fortſchritte der deut-
ihen Bildung ferne gehalten und mit dem überwiegenden Einfluß der Spanier und Ita—
liener am faiferlihen Hofe wurden fremdländiſche Sitten und Einrichtungen herrſchend.
Glänzend bewährte fidy der Heldenmuth der Bürger während der türfifchen Umlage-
rung von 1527 und 1683. Die Türfennoth ift beendet. Je mehr die Staatdmänner
jeit Zeopold I. beftrebt waren die Bande der unter Habsburgs Scepter vereinigten
Volksſtämme zu feftigen, die Hilfsquellen zur Hebung der Macht und des Wohlftandes
des Neiches zu erichließen, die verfchiedenen Völker durch die Verbreitung ber deutſchen
Sprade und Bildung, durch gemeinfame Grundſätze in der Verwaltung, der Rechts-
pflege und der Heereseinrichtungen fefter zu verbinden, defto mehr wurde Wien ber
Mittelpunkt der Fortichritte auf dem Gebiete der Induſtrie und des Handels, des
Unterrichts, der Kunft und Wiſſenſchaft. Und treu und feſt ftand die Bevölkerung
der Metropole zur Dynaſtie, fie ſchaute in begeifterter Liebe zu ihrer Landesmutter
Maria Therefia hinauf, brachte enthufiaftiiche Hingebung Joſef II., dem Wohlthäter
ber Menjchheit, dem Schöpfer der großen Reformen auf allen Gebieten des öffent»
lichen Lebens entgegen, und jie war während der Franzofenfriege zu jedem Opfer
bereit. Wenn auch der Aufihwung Wiens anf jedem Gebiete menſchlicher Thätigfeit
nad) den Freiheitskriegen wieder erlahmte, fo erreichte er doch unter der Regierung
Kaiſer Franz Joſef L., des Schöpferd des neuen Wiens, eine früher nicht geahnte
Höhe. Wir fließen den gefhhichtlichen Ueberblid mit dem heißen Wunſche des Berf.:
„Möge die ſchöne Stadt unter dem Schuße des Kaiferhanfes, unter den Segnungen
des fortichreitenden geiftigen und wirtbichaftlichen LXebens, des Gemeinfinned und der
Scaffenskraft des freien Bürgerthums zu ihrem Glüde und ihrem Wohle, zur Ehre
und zum Stolze des Vaterlandes fortblühen bis in die fernften Tage!“ —
Wir find bemüßigt in unjerer Anzeige und kürzer zu fallen. Die Darftellung
von „Wien! ardhitektonifcher Entwicklung“ übernahmen A. Hauſer, K. Lind, ©.
Niemann und K. v. Lützow, von denen der erfte die römilchen, der zweite die
mittelalterlicyen, der folgende die Baudenkmäler des 16. bis 18. und der letzte die des
19. Jahrhunderts ſchildert. Von den römischen ift, von dürftigen Reften abgejehen,
nicht3 auf uns gefommen, von den mittelalterlihen find faft nur noch kirchliche Ge—
bäude, in erfter Linie der Stephansdom, vorhanden, allein fie genügen um auf die
große Kunftblüthe fchließen zu können, die feit dem Auftreten der Habsburger in
Wien geherricht bat. Früher ald anderswo in deutſchen Landen erblühte in Defter-
reich die Kunft der Renaiffance. Was aber die Architektur jeit dem kaiſerlichen Hand—
ichreiben vom 20. December 1857 leiftete, daS haben wir ftaunend miterlebt. Die
Meifter Joh. Georg Müller, Schmidt, Ferftel, van der Nüll, Siccardsburg, Hanfen,
Semper, Hafenauer u. f. wm. werben in der dankbaren Erinnerung der Wiener und
in der Geſchichte der Architektur fortleben. — In feiner Schilderung des Volkslebens
in Wien bewegt fih Fr. Schlögl auf feinem eigenften Gebiete; wir machen anf das
von ihm entworfene Bild befonders aufmerffam, — „Die Mufit in Wien“ hat den
für diefen Abjchnitt in erfter Linie berufenen E. Hauslik zum Verf., er führt ung
bis in das Mittelalter zurüf und verweilt mit Necht längere Beit bei den Heroen
diefer Kunſt, bei Glud, Haydn, Mozart, Beethoven und Echubert. Das gewiß
dankbare Thema: „Die deutiche Literatur in Wien und N,-Defterreih” ift von J.
Minor ſachgemäß und in abgerundeter Weife behandelt. Wir wollen nicht auf die
— 69 —
mittelalterliche Poeſie zurüdgreifen, die, wie männiglid) befannt, glänzende Vertreter
in Defterreich fand, wir wollen auch nur fur; an Marmilians I. Bedeutung für die
Literatur erinnern, haben jedod anzumerken, daß die Zeit der Gegenreformation und
des breißigjährigen Krieges die Öfterr. Literatur auf dem tiefiten Punkte jahen. Die
Cenſur zerftörte jeden geiftigen Verkehr mit dem proteftantifchen Deutjchland, die
Meifterfingerfchulen, die mit Luthers Lehre nad Defterreich gelommen waren, theilten
mit diefer das Los der Verfolgung, und nichts blieb zurück als das latein, Schul-
drama, das von den Jeſuiten mit unerhörtem Glanz und Pomp in Scene gefeßt
wurde. Erſt in neuerer und neuefter Zeit trat Defterreich wieder in die Arena ein
und brachte hochbedentjame Schöpfungen hervor; um dies zu erhärten, gemügt es auf
Srillparzer, U. Grün, Lenau und viele Andere hinzuweiſen. „Das Wiener Schau:
jpiel” ift von X. Speidel, die „Malerei und PBlaftif in Wien“, und zwar die vom
Mittelalter big zur Neuzeit von lg, die im 19. Jahrhundert von Lützow ge—
ihildert. „Die Wiener Kunftinduftrie” hat Falke zum Verf. und an bem „volfe-
wirthichaftlihen Leben in Wien“ haben Erner, Grimburg, Hede und Sar
gearbeitet; vedigirt wurde diefer Theil von Neumann Spallart.
E3 fehlt und an Raum, um die Bedeutung der angeführten Abjchnitte auch
nur kurz und bündig hervorheben zu fünnen; für ihre Tüchtigkeit Iprechen die Namen
der Verf.; gelang es doch der Redaction des Werkes für jeden Theil des Buches die
beiten Kräfte zu finden und fie an den gehörigen Plaß zu jtellen. Ob aber die Arbeits-
theilung nicht etwa doch in zu minutiöfer Weife durchgeführt und ob damit der Ein-
heit der Arbeit Eintrag geichehen ift, überlaffen mir der Beurtheilung der Leſer. —
Es wäre noch zu bemerken, daß der Tert auch diejed Bandes von Ylluftrationen be—
gleitet ift; wir zählen deren, abgejehen von hübſchen Initialen und ſchönen Rand—
zeichnungen, iiber 120, die theilweife von Fünftleriihem Werthe find. — Wir fchließen
diefe Anzeige mit dem Vorſatze, in nicht zu langer Zeit unfere Leſer wieder mit einem
oder mehreren Bänden näber befannt machen zu föunen, und mit der ftillen Hoffnung,
recht viele unjerer Leſer zu beftimmen, daß fie das groß angelegte Werk nicht achtlos
bei Seite liegen Taffen. B.
Aubert Ermifch: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sadjen. II. Bd.
Bergbau, Bergredjt, Münze. Leipzig. Giefede und Devrient. 1886.
Der im Auftrage der königlich ſächſiſchen Staatsregierung herausgegebene
„Codex diplomaticus Saxoniae regiae* ift bei feinem XII. Bande
(zweiter Haupttbeil) angelangt. Der XIL Band bradte ald I. Band des Urkunden-
buches der Stadt Freiberg die für die eigentliche Stadtgeſchichte in Betracht kom—
menden Urkunden und Diplomatarien der drei Klöfter und des Collegiatitiftes von
Freiberg. Der vorliegende zweite Theil des Urknndenbuches der alten ſächſiſchen
Bergitadt bejchäftigt ſich ausichließlid mit der Geſchichte des Bergbaus und der
Münze von Freiberg; der dritte Theil fol die noch fehlenden Materialen zur Ge—
Ihichte der Stadtverfafjung und des Stadtrechte bringen. Diefe Gliederung kann
angeſichts des maflenhaften vorliegenden Stoffes nur volle Billigung finden. Im
2. Bande fpeciell liefert der bewährte Herausgeber Ermifch eine über das locale Inter—
eſſe hinausreichende, grundlegende Arbeit über den Bergbau in Sachſen im Allgemeinen,
— 0 —
wermwegen er die wichtigeren Urkunden des XIII. u. XIV. Jahrh. der ſächſ. Bergwerfe
überhaupt mittheilt und insbefondere im Anhange II die älteften Bergordnungen von
Schneeberg und Annaberg dem vollen Wortlaute nad veröffentlicht. Somit hat
gerade die GSelbftändigfeit diefeg zweiten Bandes feine Berechtigung, und es wäre
vielleicht zwedmäßig gemwejen, derfelben auch durch ein jelbftändiges Wort: und Sach—
regifter, im melches der Herausgeber ja aud „einzelne Erklärungen“ verlegen will,
Ausdrud zu verleihen. Auf eine tiefere Erörterung des Stofflihen will der Ver-
fafler in der Einleitung nicht eingehen; er glaubt in feiner Beicheidenbeit eine zu—
ſammenhängende Darftellung der Geichichte des Berabanes und Bergredhtes mit einer
Inftematifchen Bearbeitung des geſammten Rechtsftoffes völlig ausgereift nicht bringen
zu fünuen. Eine folde umfangreiche Arbeit hätte nach der Anſicht Ermiſchs das
Ericheinen des vorliegenden Bandes auf Jahre hinaus verzögert. Uebrigens jeien auch
zur Yöfung einer ſolchen Aufgabe jehr eingehende bergtechnifche Kenntniffe nothwendig.
Indeſſen bringt und die Einleitung fo viel Lehrreiches, daß wir dem Berfafler
auch für die enger begrenzte Beiprehung nur dankbar fein können. Der Eintheilung
des Urfundenbuches jelbft entiprechend, erörtert er 1. die Urkunden über Bergbau und
Münze, 2. das Freiberger Bergredht, 3. das ältefte Bergurtelbuch des Freiberger
Rathes (1476—1485), 4. die Rechnungen der Freiberger Münzmeifter, Zehntner uſw.
(1353—1485) und 5. die älteften Schneeberger und Annaberger Bergordnungen.
Selbjtverftändficdh macht und der Herausgeber in feiner befannten gründlichen Weije
über das Formale, Fundort u. dergl. der urkumdlichen und handichriftlihen Vor—
lagen auf das Genauefte befannt. Wir können nur Einzelnes hervorheben. Die
Ölanzperiode des Freiberger Bergbaues fällt in die Zeit von jeiner Entjtehung
(1162—1170) bis zum Tode Heinrichs des Erlauchten. Die Urkunden fließen ſpärlich,
weil dag gelammte Verfahren in Bergfadhen ein mündliches war und feinen Anlaß
zu jchriftlichen Ausfertigungen bot. Eine zweite Periode kann vom Ausgange des
XI. Jahrhunderts bis zu den Hufitenfriegen gerechnet werden. In dieſe fällt die
Godification der Gewohnheitsrechte und die Ergänzung derjelben durch Neception
fremder Rechte. Die Grubenbauten mußten tiefer angelegt werden, und maſchinelle
Hilfgmittel zur Bewältigung der Grubenwäfjer famen zur Anwendung. Auswärtige
Meifter wurden herangezogen und mit Vorrechten ausgeftattet. So beriefen 3. B.
die Markgrafen (1379 März 20.) neben anderen Technikern den Joh. Zceheslam
und Dominik Goltimid von Prag zur Anlegung von Wafferkünften. In diefer
Periode gelangte auch die Anlegung von Stollen zum Durchbruch, und es bildete fich
ein eigened® Stollenreht aus, das in der Hauptfahe aus Iglau übernommen
wurde. Doch beginnt ſchon aus inneren Gründen der Berfall des Bergbaues,
welchen die Hufitenkriege, „welche die gefammte Induſtrie des ſächſiſchen Landes ſchwer
geihäbdigt haben“ bejchleunigten. Diefer Verfall dauert bis tief in das XVI. Jahrh.,
„während durch das Aufkommen des Schneeberger Bergbaus feit etwa 1470 eine
neue zweite Ölanzperiode der ſächſiſchen Bergwerksgeſchichte eingeleitet wurde.”
Das Freiberger Bergrecht ift wahrſcheinlich niederſächſiſchen Urſprungs.
Die Codification begann im Beginn des XIV. Jahrh., indem man verſuchte, das
Recht, welches während des XII. und XIII. Jahrh. in Freiberg ſich ausgebildet hatte,
feſtzuſtellen. Der Verſuch GBergrecht A) blieb Entwurf, iſt aber von Wichtigkeit als
Unteilage für die jpätere Codification, fowie als hiſtoriſche Quelle für die ältefte
Berfaffung des meißnijchen Bergbaues überhaupt. Bekannt ift der Einfluß des Frei—
‚berger Bergrechts auf das Iglauer, welches in der Mitte des XIII. Jahrhuuderts
codifteirt, das Freiberger zur Grundlage hat. Nicht lange nach der Entſtehung des
Bergrechtes A erbat ſich der Freiberger Ralh zur Ergänzung der Rüden bes beite-
benden Gemwohnheitsrechtes eine Rechtsweiſung aus Iglau. Auf Grund der erhal:
tenen Iglauer Rechtsweiſung und des alten einheimischen Gewohnheitsrechts (Berg:
recht A) entftand nun um die Mitte des XIV. Jahrhunderts eine neue Codification
(Bergredt B) — die Grundlage des ſächſiſch-meißniſchen Bergrechtes bis in bie
Meuzeit herein. Die beiden Freiberger nnd die Iglauer Rechtsaufzeichnungen bringt
num der Herausgeber in kritiſch gefichteten Texten, deren Emendation troß ber
vielen gedrudten und handichriftlichen Vorlagen ficherlich ein ſchweres Stüd Arbeit
geweien. Ahnen fchließt fih noch als vierter Abjchnitt eine bisher unbekannte Frei-
berger Berggericht3orduung aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts an.
Der Abdrud des „älteften Bergurtelbudhes des Freiberger
Rathes“ (S. 301-371) ift nur zu begrüßen. Denn ed werben durch dasſelbe
zahlreiche Belege für die praftiihe Anwendung der im Freiberger Bergrechte ent—
baltenen Grundfäge erbradt. Bis in die Nenzeit herein hatte der Rath zu Frei»
berg die Befugniß, in Bergrechtsfragen Rechtsbelehrungen zu ertheilen. Wie diefe
Befugniß in den älteften Berfajlungsverhältniffen der Stadt mwurzelte, und unter
welchen Formen diejelbe ausgeübt wurde, erläutert der Derausgeber auf das Klarſte.
Freiberg bildete ſich als eine Art „Bergichöffenftuhl” für die ganze Provinz heraus.
Zahlreic find insbeſondere die in Schneeberger Angelegenheiten erfloffenen Rechts—
belebrungen. .
Die im Anhange I. (S. 374—455) veröffentlichten Rechnungen der Freiberger
Münzmeiiter, Zehntner u. ſ. w. (1353—1485) bilden eine werthvolle Quelle für die
jo ſchwierige Münz- und Finanzgefhichte des Mittelalterd. Vom Jahre 1461 hat
fie der Herausgeber der mühevollen tabellariichen Umarbeitung unterzogen. Anhang II.
(S. 456 —529) bringt, wie ſchon bemerkt, die älteften Schneeberger und Annaberger
Bergordnnungen,
Haben wir im Vorftehenden nur ganz im Allgemeinen auf den reichen Inhalt
des vorliegenden Urkundenwerkes hinweiſen wollen, jo möchten wir jchließlih nur
noch bemerken, daß jeder, der ſich mit geichidhtlihen Forihungen über Bergbau-
angelegenbeiten befaßt, auf Ermichs treffliche Arbeit wird zurüdfommen müſſen.
Belonders für unjere böhmiſche Bergwerksgefhicdhte, die ja feit Sternberg ganz ind
Stoden gerathen ift, bietet die Publication die fruchtbarften Anregungen und Aus—
gangspuntte, L. S.
Dr. Franz Toftes: Die Tepler Bibelüberjegung. Eine zweite Kritik.
Münjteri. W. 1886.
Eine erite Kritif der Haupt'ſchen Hypotheie, daß die Bibelüberjegung des Cod.
Teplensis Waldenfishen Urfprungs jet, hat eine zweite Schrift von Haupt hervorgerufen,
die num von Joſtes neuerdings und man muß zugeftehen, mit viel Glück angegriffen
wird, Die Gründe, die Haupt vorgebradht hatte, erfcheinen jehr erfchüttert oder ganz
widerlegt. Nachdem hier in diefen Blättern über die Haupt'ihe Schrift zuftimmend
berichtet wurde, müſſen wir das ausbdrüdlich hervorheben, um der Wahrheit die Ehre
zu geben, und zugeftehen, daß nach Lefung der zweiten Joſtes ſchen Schrift der walden-
ſiſche Urſprung des Cod. Teplenji3 höchſtens noch als möglich ericheint, keineswegs
wahrjcheinlih und am allerwenigiten in irgend einem Punkte bewiefen. — Wenn
wir einen Irrthum unſererſeits — begangen durch vorjchnelle wenn auch bedingte
Zuftimmung zu den Haupt’ihen Argumenten — zugeftehen, fo find wir nur in der:
jelben Lage wie andere Fachblätter und bedeutendere Gelehrte. Bon allen Bibel:
überjegungen ift allgemein befannt nur die des Ulfilas und die Luthers — zweier
„Ketzer“. Die fatholiihe Kirche war ftet3 gegen das Bibellefen von Seite der Laien,
nody auf dem Tridenter Concil wurde e3 verboten: es reihte ſich alfo die Hypotheſe
vom waldenfifchen Urjprung der vorlutheriſchen deutichen Bibelüberiegung jehr leicht in
unfere fonftige Vorftellungen von den ketzteriſchen Strebungen und den Fatholifchen Vor—
ſchriften. Es muß aber eine andere Borftellung in den Vordergrund treten. Bekannt
ift, daß jchon zur Zeit Karls des Großen das Evangelium des Mathäus überjegt
wurde, um einem Bebirfniffe beim Gottesdienft entgegen zu kommen nnd dieſes Be-
dürfniß beftand doch das ganze Mittelalter hindurch fort. Der Geiftlihe muß doch
der Borjchrift gemäß jeden Sonntag und Feiertag einen Abjchnitt aus den Evan—
gelien vorlefen und jeder mußte dazu, wenn er nicht] ſelbſt überfegen wollte oder
konnte, trachten eine Ueberſetzung wenigftens diefer Lectionen (Perikopen) zu befommen.
Wir haben bi3 auf weiteres im God. Teplenfis eine ſolche Ueberfegung des neuen
Teftantente mit Bezeichnung der Lectionen für den Gebrauch beim Gottesdienfte zu
erbliden. — Sicherbeit herrſcht allerdings noch immer nicht und das muß auch jest
wieder betont werden. Der Streit um ben God. Tepl. zeigt jehr Kar, wie ganz
mangelhaft unfere Kenntniffe von den Waldenjern find und daß wir von ber Ge—
ihichte der deutichen Bibelüberfegungen vor Luther noch immer jo gut wie gar nichts
wiſſen. Letzteres war allerdings ein längft gefühlter Mangel unjerer Sprad: und
Kiteraturgefhichte und es wurde auch gleich beim Erfcheinen des erften Heftes des
God. Tepl. betont, daß diefe Ausgabe endlich den enticheidenden Anſtoß zum Angriff
diejer Forichungen geben müſſe. Das fcheint denn nun in der That fich erfüllen zu
jolfen. Hr. Joſtes verfpricht eine Geichichte der deutichen Bibelüberjegungen und bittet
um Unterftügung bei feinem Unternehmen von Seite der Bibliothelsvorftände und
Beier alter Ueberſetzungen. Falls dies Buch erjcheint, jo bleibt noch immer eine
Maſſe fchwieriger und umfangreicher Arbeiten zu thun, bevor man an endgiltige
Löſung der ſchwierigen Frage über Zeit, Ort und Zweck der Ueberjegung und jpeciell
bes einen Coder gehen kann. Gin anderer jehr nahe verwandter Coder derjelben
Ueberjegung findet fih — wie längft befannt ift — in der Gymnaftalbibliothef in
Freiberg in Sachſen, darüber erhalten wir auch jet erft etwas reicheren Aufihluß
durch:
Dr. M. Rachel: Ueber die Freiberger Bibelhandſchrift nebſt Beiträgen
zur Geſchichte der vorlutheriſchen Bibelüberfegung. Freiberg (Programm
Nr. 495) 1886.
Nadel gibt zuerft eine Geſchichte und Beichreibung der Hf., dann Verglei—
Hungen mit anderen Weberjezungen insbefondere der Tepler. Er kommt dabei zu
folgenden Schlüffen: Weder der Freiberger nod der Tepler Cod. find unmittelbare
Vorlagen der eriten Drude geweſen, die aber der Freiberger näher als ber Tepler
ſtehen; zwilchen dieſen beiden befteht ein fehr enger Zufammenhang. Der Freiberger
Coder ſtammt wahrjcheinlih aus einem Klofter und diente wohl feeljorgeriichen
Zwecken. — Auch) die Arbeit Rachel ift nicht abichließend : er verfpricht „eingehendere
u
Behandlung der jprachlichen Seite“ der Hf., ſowie „eine genauere Vergleihung der-
jelben mit dem Cod. Teplenfi3 und dem älteften Bibeldrude, T. R.
Altdentiche Predigten, herausgegeben von Anton E. Schönbad. Eriter
Band. Terte. Graz, BVerlagsbuhhandlung. Styria 1886. XVII.
531. 9 Marf.
Das Bud, dem früh verjtorbenen Profeffor Wilhelm Scherer gewidmet,
bildet den erſten Theil eines großartig angelegten, auf drei Theile berechneten Werkes
über die altdeutiche Predigtliteratur. Während der erjte Band Texte altdeuticher Bre-
digten liefert, joll der zweite die Unterfuhungen bringen, welche die wijfenfchaftliche
Bedeutung diefer Terte erfordert; es wird aljo vor allem der Rautftand der Ueber:
lieferung, der Stil, die Quellen und deren Verwerthung erörtert werden u. ſ. w. Der
dritte Band endlich wird al3 Ergänzung zum erften die kleineren und größeren
Predigtfammlungen enthalten, welche, wenn auch von geringerer Bedeutung, doch das
Material für dad Studium altdeutiher Ranzelberedfamkeit bis zum 14. Jahrhundert
vervollitändigen.
Der vorliegende erite Band gibt die Predigtſammlung der Handichrift der
füniglichen Univerfität3bibliothet zu Leipzig Nr. 760, deren genaue Beichreibung
Schönbah ©. IX f. liefert und von der er nur jene 38 von Leyier bereit3 abge—
drudten Nummern (ausgenommen Nummer 105) fortließ. Sie gehört wohl nicht,
wie Leyſer gemeint hat, der Mitte, fondern dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts
an, Unter dem DTerte finden wir die forgfältige und genaue Angabe der Lesarten
und Varianten, wie fie und andere Handichriften bieten. Mit Zuhilfenahme dieſer
Varianten die-ältefte Geftalt der Predigten herzuftellen, erfcheint wegen der zu großen
Verſchiedenheit der einzelnen Faſſungen unmöglich. Jede einzelne Handichrift trägt
eben ein gemwilfe individuelles Gepräge und aud das Alter der Codices ift nicht
maßgebend. Der Herausgeber hat alfo in feinem Texte die Handichrift getren wieder—
gegeben und nur infoweit geändert, als er die Abkürzungen auflöfte und Unklarheiten
befeitigte.
Ueberhaupt hat er alles gethan, um fein ſchönes Buch einem möglichit großen
Bublicum zugängig zu machen. So wird jeder Leſer, ber fich für die altdeutſche
Predigtliteratur intereffirt, ohne gerade fonft mit dem Mltdeutichen vertraut zu fein,
Ihon in der reichlichen Interpunction eine mächtige Förderin finden und dem Heraus—
geber danken, der alles gethan hat das Verſtändniß des Textes zu erleichtern. Die
reichhaltigen Anmerkungen, welche Seite 391—455 umfaſſen, weiſen die Citate der
Bibel oder der Väter nad) und geben, jo weit ald nur möglich, den Quellen der
Predigten nah. Sie geben den beiten Beweis, welch tiefgehende und umfallende
Kenntniß Schönbad von der firdjlichen Literatur befist, Nicht minderes Lob gebührt
dem Wörterverzeihniß (S. 459-503). Auch hier will der Herandgeber, einem
Wunſche der Verlagsbuchhandlung entiprechend, welche gerne auf ein Publicum aus
theologifhen Kreifen zählen möchte, — demjenigen die Lectüre erleichtern, der jich
fonft mit dem Altdeutſchen nicht bejchäftigt hat. Aber dabei verliert er den Foricher
nicht aus dem Auge. Auch diefer wird niemals vergeblih das Wörterverzeihniß zu
Rathe ziehen, wenn es ſich um feltene Redensarten und Fügungen, um felten be=
legte oder font nicht nachgewielene Ausdrücke handelt, ja gerade bei den leßteren
wird er die Zahl der Beleaitellen möglichit vollftändig beiſammen finden.
Sehr danfenswerth ift das Sachverzeichniß, welches zugleih ein Regifter für
die Anmerkungen ift und jedem höchſt willfommen fein muß, der ſich mit geiftlicher
Poefie und Proſa beihäftigt und erfahren will, ob beftimmte Ausdrüde und Bilder
auch in der Predigtliteratur anzutreffen jeien. Das Buch beichließen noch einige
überfichtlihe VBerzeichniffe: jo das der in den Predigten citirten Bibelftellen und der
Gitate aus den Bätern; es werden die Nummern der Predigten nach dem Inhalte
. geordnet (sermones de tempore, de sanctis) angeführt u. j. w. So hat der Heraus:
geber alles gethan, um fein Buch zu einem vortrefflicen zu geftalten und den Wunſch
nach der baldigen Fortjegung des fo ſchön Begonnenen in und wachzurufen. Möchte
aber das würdig ausgeltattete Buch auch im Kreiſe unferer deutichen Geiftlichkeit
recht viele Leſer finden und ihr zeigen, weld fleißige Pflege die deutjche Predigt im
Mittelalter gefunden bat. A. Hruschka.
Dr. Auguft Sonrnier: Handel und Verkehr in Ungarn uud Polen um
die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur öſterr. Commer-
cialpolitif. Aus dem Archive für Öfterr. Gejchichte. LXIX. Bd. 2. Hälfte.
©. 317—481 (Akad. der Wiſſenſch. in Wien) feparat abgedrudt.
Herr Profeffor Fournier fand in den Archiven des kaiſerl. königl. Mini—
ſteriums des Innern zwei Foltobände im Manufcript, die Handelsfahen enthielten,
von denen der ftärfere die „Relation“ einer den 19. Mai 1755 von Brünn aus
angetretenen „Commercial-Reiſe“ ift, die über Ungarn, Siebenbürgen, Defterreichtich-
Schleſien und Polen ging, Danzig, Wismar, Roftod, Kübel, Hamburg, Lünne—
burg, Braunjchweig und Leipzig berührte und nach dem Beſuche einiger böhmijcher
Fabriken den 6. Jänner 1756 abſchloß. — Der zweite Band nennt fih: „Re—
flerionen über die beichriebene Commercial-Reiſe duch Hungarn u. ſ. w. jammt an—
gebängten verichiedenen unmaßgeblihen Vorſchlägen.“ Wie fi) aus den Neflerionen
ergibt, waren es Graf Karl Otto von Haugwig, Eohn des Staatdminifterd, und
Ludw. Friedr. Procop, Inſpector des Brünner Manufacturamtes, die im Auftrage
de3 Wiener General Conmerciendirectoriums die Neife unternommen hatten. Bon
den 4 Bänden der Relationen ift nur der erfte vorhanden, der aber darum der wid
tigite ift, weil er gründlichen Aufihluß über Handel und Verkehr in Ländern gibt,
über deren commercielle Verhältniffe zu jener Zeit wir nur ganz obenhin unterrichtet
find. Der Herr Prof. bringt nun die Haugwitz-Procopſche Relation zum Abdrud
uud läßt im Anhang zwei zeitgenöffifche Berichte über den Stand der böhmtichen
Induſtrie im Jahre 1756 folgen und zwar erftlih die Relation Ludwigd von Los—
cati, die fih im Archive unſeres Vereines im Mier. vorfindet, jodann Mittheilnngen
aus den „Reflexionen“ über einzelne böhmiſche Fabriken. E3 fehlt und an Raum,
um näher auf die für den Handel und die Induftrie unter Maria Therejia jo hoch—
wichtige „Relation“ einzugeben.
Prof. Fournier begnügt fid) keineswegs, wie vielleicht ans meinem bisherigen
Neferate geichloffen werden könnte, mit dem bloßen Abdruck de3 obenangeführten
bandihriftlihen Materiald, er leitet es vielmehr mit einer gediegenen Abhandlung
— —
ein, welche die „achn Jahre öſterreichiſcher Haudelspolitik (1746—1756)“ zum Gegen
ftande hat. Er erörtert, wie Maria Therefia den enticheidenden Schritt aus dem
fendalen Weſen heraus in die Bahn de3 modernen Staates mit genialer Regierungs—
gewalt und geordneter unabhängiger Wirthichaft gemacht hat, bei welchem fie unter
Anderem von dem Grafen Friedrih Wilhelm von Haugwis und von Bartenftein
unterjtüßt wurde. Jener hat den Entwurf zur Zulammenfaffung der getrennten
Adminiftration der Erbländer in ein „Directorium in publieis et cameralibus“ au$-
gearbeitet, mit dem jpäter das Commerzdirectorium vereinigt wurde, Damit begann
der aroße und commercielle Aufihwung. Seit 1748 verfolgt die Regierung die
Löſung des doppelten Problems, einmal in den gewerbsfähigen deutſchen Erbländern
die Induſtrie zu heben, zu entwideln und zu ſchützen, um die verlorene wirthſchaftliche
Unabhängigkeit des Staates wieder zu erlangen, und zweitens den ungarischen Roh—
producten neue Abſatzwege zu eröffnen. In Bezug auf das erftere fand zunächſt
Böhmen die meifte Berüdfichtigung. Es ift wahrhaft ſtaunenswerth, wie rajd) fich
bier, in Mähren, Niederöfterreich u. |. w. die Induſtrie hob. So wie die Regierung
einerjeit8 mit Verordnungen und mit dem Beijpiel der Induſtrie unter die Arme
griff, jo forgte fie auch andererfeits, da ein inländiſcher Großhandel nicht beftand, für
den Abjat der öfterreichiichen Producte und Fabrifate. In ZTrieft, jeit 1719 Frei—
bafen, wurde 1751 mit dem Bau des Molo San Carlo begonnen, eine Levante:
Compagnie für den Export ungarischer Producte und erbländiicher Fabrikate und
1755 eine andlungsbörje gegründet. Der Straßenbau im Norden von Bielig nad)
Brünn, nad) Böhmen u. ſ mw. wurde in Angriff genommen. Die Beamten der Re-
gierung begaben ſich als fürmliche Handlungsreifende auf die Suche nad Abnehmern
der öfterreichiichen Waaren, fie führten Muſter derjelben mit fich, ftudirten Geſchmack
und Bedarf, empfahlen ihre Artikel, brachten Aufträge mit beim vder doch ſchätzbare
Kenntniffe, wie die beiden genannten Haugwitz und Procop.
Ih kann die Anzeige der verdienitwollen Arbeit des geehrten Verfaflers nicht
ichließen, ohne bier des Vorſchlags zu gedenken, den derjelbe an die Bereinsleitung
machte und der in dem im vorliegenden Hefte der Mittheilungen befindlichen „Aufruf“
feinen Ausdruck findet. In demielben wird zur Beiſchaffung des Materiald aufge:
fordert, das vielleicht jpäter zu einer „Seichichte de3 Handel und der Induſtrie“ zu
verwerthen wäre. An diejer Aufgabe ſich zu betheiligen, wären, wie ich wähne,
meine Collegen, die Lehrer für Geſchichte an den Mittelſchulen, in erſter Linie mit-
berufen. Hier erſchlöße fich ihnen ein reiches und danfbares Feld für ihre Privat:
ftudien. Sie follten die Hand mit anlegen bei der Durchforſchung der Archive in
Induſtrieſtädten, der Fabriksbeſitzer u. ſ. f.; die Archive der Statthalterei in Prag,
der Minifterien des Innern und der Finanzen u. |. w. müſſen gleichfall3 eine Fülle
ungehobener Schäße bergen. Die Beröffentlihung des aufgefundenen Materiald und
die Verarbeitung desfelben, fei e8 in Programmauflägen, oder in unfern „Mittheis
lungen“, fei es in felbitändigen Publicationen, würden Baufteine von hohem Werthe
für eine jpätere Geichichte der Induſtrie in Böhmen abgeben, eine Geſchichte, welche
die eminente Bedeutung unſeres deutichen Volke! in unferm KRronlande in das glän-
endfte Licht ſetzen müßte. —n.
— 26 —
Schriften des ‚Vereines für Geſchichte und Alterthum Schleſiens“.
Der diesjährige XXI. Band der Vereinszeitſchrift bringt wieder eine Fülle
guter Arbeiten, die mit der Abhandlung des auf hiftoriichem Gebiete vielfady erprobten
Prof. und Directord Reimann „über das höhere Schulmefen Breslaus in den
Fahren 1763—1786“ beginnen; der Aufſatz hebt mit der 1765 eröffneten reformirten
Realſchule an und endigt mit der Reform des Elifabethbgymnafiums, Stadtardhivar
Markgraf jchreibt über „die Entfeftigung Breslaus und der geſchenkweiſen Ueber—
laffung des Feftungsterraind an die Stadt, 1807-13”, Dr. Krebs fest feine Arbeit:
„Schlefien in den Fahren 1626 und 1627” fort, er jchildert Mansfelds Zug durch
Schiefien und behält jih bie Darlegung der von den Schlefiern ergriffenen Gegen-
maßregeln und den Zug des Herzogs von Friedland durch die Provinz wahrſcheinlich
für den nächſten Band vor. Dr. Wahners Beiträge „zur Geſchichte der Standes-
berrihaft Benthen“ gehören der Zeit der Gegenreformation au. Bon Prof. Grün-
hagen bringt die Zeitfchrift 1. einen öffentlich gehaltenen Vortrag: „Die alten
ſchleſiſchen Landesfürften und ihre Bedeutung“ zum Abdrud und fie theilt 2. in dem
Aufſatz: „Schlefiiched aus London“ Gejandtichaftsberichte aus dem Anfang des 30jähr.
Krieges betreffend mit. Beiträge liefern W. Bernhard „zur Biographie des Lie—
derdichterd Fohann Herrmann“, H. Jaekel „zur Geſchichte Hedwigs von Breslau
und der Landgrafen Heinrich v. Altenburg und Friedrich ohne Land“ und K. Wein
hold: „zur Entwidlungsgeihichte der Ortsnamen im deutſchen Schleſien“. Archivar
Dr. Bfotenhaner jchlieht die Reihe der Abhandlungen mit feiner Arbeit: „Der
del des Fürſtenthums Dels im 16. Jahrhundert“. — Aus den „archivaliſchen Mis-
cellen führe ih an: „ein unbefannter Breslauer Biſchof“ von Petrzynski, „ein Uns
terrichtöplan für jchleftihe Prinzen von 1601“ von Pfotenhauer und „zur Authentici-
tätsfrage von Öttofars II. Broclamation an die polnischen Fürften vom J. 1678“ von
Ulanowäfi, der geftügt anf eine in der Univerfitätsbibliothet von Krakau befindlichen
Handichrift aus dem 15. Jahrhundert für die von Grünhagen (Schleſ. Reg. Nr. 1566
und Geſchichte Schlefiens I. Anm. S. 36 Nr, 15) bezweifelte Echtheit eintritt.
Codex diplomatieus Silesiae II. Bd. Schlefiens Münzgeſchichte im
Mittelalter von Friedenburg.
Der vorliegende Band enthält alle eigentlichen Münzbriefe, die noch zu er-
mitteln geweſen find, und foldhe Urkunden, die jonft ihrem ganzen Inhalte nach von
Wichtigkeit für die Münzgeichichte find. Die rechtzeitige Herftellung der zu dieſem
Bande gehörigen 17 Tafeln mit Abbildungen konnte nicht bewerfitelligt werben, fie
folleu mit dem im nädjten Jahre herauszugebenden zweiten Bande publicirt werden,
welcher der Darftellung des ſchleſiſchen Münzweſens gewidmet fein wird. Die Ur-
kunden 1—31 betreffen Sclefien im Allgemeinen, die von 32-109 nehmen Bezug
auf die einzelnen Fürſtenthümer. Die vier legten Urkunden beziehen fi auf die zu
Defterreich gehörigen Herzogthümer Teſchen, Troppau und Jägerndorf; der Heraus:
geber hat fie der Magijtratursregiftratur in Zeichen, dem Stadtarhive in Breslau
und einem Copialbuche in der Mufeums-Bibliothef in Troppau entnommen; fie find
von Biermann in feiner Geihichte des Herzogthums Teſchen (S. 161 und 241) und
——
in feiner Geſchichte der Herzogthümer Troppan und Jägerndorf (S. 391 und 392)
bereits benützt worden, nur ſcheint ihm die im Breslauer Stadtarchive befindliche
Urkunde vom 5. Juli 1475 unbekannt geblieben zu ſein. —
Oettingana. Neuer Beitrag zur Oettingiſchen Geſchichte, insbeſondere
zur Gejchichte des Dettingifchen Münzweſens von Dr. Wilh. Frei-
herrn Röffelholz von Kolberg. Als Manufer. gedrudt; S. LX
und 278.
Ich zeigte im legten Hefte der „Mittheilungen” das „Fürſtenbergſche Urkunden-
buch“ an nnd nun ift mir die Aufgabe geworben, die Leſer diefer Zeilen mit dem
oben angeführten werthvollen Buche befannt zu machen, das jeine Eriftenz Seiner
Durhlaudht dem Herrn Fürften Karl zu Dettingen-Wallerftein verbanft.
Gleich den Fürften zu Fürftenberg find auch die von Dettingen ein uraltes ſchwä—
biſches Geſchlecht, das aud in Böhmen reich begütert ift. Es verdient die volljte
Anerkennung, daß die Häupter der beiden fürftlichen Häufer die unter ihrer Obhut
befindlichen hiſtoriſchen Schätze wenigſtens theilweife der Deffentlichfeit übergeben,
Schäße, die ja au für die Landichaften, in deren Gebiet ihre Befigungen waren
und nod find, von größtem Werthe find; fie gehen in diefer Beziehung mit einem
glänzenden Beifpiele vor, dag gewiß der Naceiferung auch der hohen Adels—
geichlechter Böhmens würdig wäre, die in nenerer Beit in diefer Nichtung ſich eben
nicht gar zu eifrig zeigten,
Indem ich mich dem vorliegenden Buche wieder zumende, habe ich zu erwähnen,
daß eine Abtheilung der fürftlichen Kunft und wiflenfchaftlihen Sammlungen aus:
ichließlich der Oettingiſchen Hausgeſchichte gewidmet ift, ihr gehört unter andern aud)
eine Sammlung Dettingifher Münzen und Medaillen an; der numismatiſche Katalog
macht eben den Kern der vorliegenden Arbeit aus, welcher ſich der fürftliche Domänial-
Kauzleirath und Arhivar Freihere von Löffelholz-Kolberg unterzog. Die VBorrede
macht und mit der umfangreichen Literatur über das Fürftenhaus, über die Topo—
graphie, die naturhiftorifchen WVerhältniffe der Dettingifchen Lande u. ſ. f. befannt;
es ift eine Fülle gedrudter und handfchriftlicher Schriften angeführt und den Namen
ihrer Verfaffer find biographiiche Skizzen und Bemerkungen über die größere oder
geringere Wichtigkeit ihrer Arbeiten angefügt, jo daß die „Vorrede“ einem etwaigen
jpäteren Gejchichtsjchreiber des Dettingifchen Hauſes und jeiner Lande ald unent—
behrlicher Wegmeiler dienen wird, Zur Dettingiichen „Münzgefchichte” übergehend
habe ich anzumerken, daß die erften Münzherren die Grafen Ludwig XI. und Fried»
rich III. waren, die vom König Wenzel 1391 das Recht erhielten in ihrer Stadt zu
Dettingen eine Münze zu haben und daſelbſt Münze mit Korn und Aufzahl zu
ſchlagen wie andere Fürften und Getrene des Reiches, welche Münze haben. Friedrichs
Sohn Ulrich, in zweiter Ehe mit Georg Podiebrads Muhme Barbara von Kunftat
vermählt, beichränkte fi) auf die Prägung von Pfennige, bejonders auf die jogenannten
„Schwarzpfennige”, die in großer Menge vorhanden find. Zu Anfang des 16. Jahr—
hundertö wurde das Münzprivilegium auch auf die Goldprägung ausgedehnt und
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde das Oettingiſche Münzweſen ab-
geſchloſſen. — In der „Münzgefchichte” gibt der Verf. urkundlich ficher geftellte hiſto—
— —
riſche Notizen über die einzelnen Münzherrn; im „Münzkatalog“ werden die Münzen,
zuleßt die Conventionsthaler, die Eonventionsgulden, die Zwölfer, Sechjer und Kreuzer
von 1759 beichrieben; im Medaillenfatalog werden die Denktmünzen des Hauſes im
Ganzen 31 Stüd geihildert. Die „ardhivaliichen Beilagen“, neun an der Zahl, find
werthvolle Beiträge zur Geichichte des Münzweſens; ſchließlich findet das Dettingifche
Wappen eine eingehende Beichreibung und Erklärung. Der auf urkundlichem Material
aufgebaute Stammbaum des fürftlihen Hauſes zeigt uns den um 1007 lebenden
Reisgaugrafen Sieghard al? den Stammherrn des Gefchlechtes, das fih im Laufe
der Jahrhunderte in einzelne Linien jpaltete. Das gelehrte Werk ſchließt mit etlichen
Tafeln, auf denen Münzen, Siegeln und das Fürftenwappen abgebildet find. B.
Joſef Emler: Libri confirmationum ad beneficia ecelesiastica
Pragensem per archidionesim. Liber septimus ab anno 1410
usque ad annum 1419. Pragae 1886.
Es ift ſehr verdienftlich, daß der tichechifche hiftorifche Verein die Herausgabe
der Prager Confirmationsbücder fortiegt. Die bewährte- Hand Emlers hat fich der
NRedaction ſowie ſchon des jechiten, fo auch des vorliegenden fiebenten Buches unter:
zogen. Dasjelbe beginnt mit dem 24. Mai 1410 und reicht bi3 Ende Juni 1419.
Die Lücke zwiſchen dem jechften Buche, welches mit Ende April 1410 fchließt und dem
fiebenten (Mai 1—24) erklärt ſich durch das fehlende Blatt im Originalcoder, Diefer
ift zwar nicht erhalten, jondern die Edition erfolgte auf Grund einer Abfhrift aus
dem Ende des XV. oder dem Anfange de3 XVI. Jahrhunderts; aber auch dem da-
maligen Copiften lag der Originalcoder ſchon mit dem erwähnten Defect vor. Daß
die Mangelhaftigkeit der Abichrift befonders für die richtige Schreibung uud Inter—
pretation der Eigennamen große Schwierigkeiten bot, wollen wir dem Herausgeber
gerne glauben. Dem Benüger des Buches wird eben in manchen Fällen die eigene
entiprechende Emendation nicht erjpart bleiben. Tingls Vorgang in der äußeren
Einrihtung, Anordnung und Eintheilung wurde aud) wie ſchon beim fechften fo aud)
beim fiebenten Buche mit Recht beibehalten. — Noch eine Kleinigkeit: Wenzel Schulz
lieferte die mübhjelige Arbeit de3 Inder für das 6, und 7. Bud. Er vermweift zur
bejjeren Orientirung über die Ortönamen in eingeflammerten Ziffern auf den Palacky—
ichen Popis, was ja für viele Fälle (nicht für alle) ganz zwedmäßig if. Im 6. Buche
vermißten wir die Anmerkung zur Erklärung der eingeflammerten Ziffern. Diejelbe
erfolgt nun im 7. Buche am Kopfe des Inder. Die Löjung des Räthſels ift aber
nur zur Hälfte erfolgt. Denn während Titel, das Vorwort Emlers, ja jelbit das
Inſerat des tichechifchen Geſchichtsvereins auf der Rüdfeite des Schlußdeckblattes in der
internationalen lateiniſchen Sprache erjcheint, präfentirt fi jene Anmerkung zum
Inder im tihehifchen Gemwande. Die Klammern bleiben alfo immer noch allen noch
jo gelehrten Benützern, welche nicht tichechifch verftehen, Hieroglyphen. Ich muß an—
nehmen, daß bier feine Abficht vorliegt; ed wäre zu kindiſch! L. S.
— se
F. &. Reidl: Beitrag zur Geihichte von Dur. 1866. (Dur, Scheithauer.)
Die Anfpruchslofigkeit, mit welcher das Büchlein auftritt, und die Verwahrung
de? Verfalfers im Vorworte „gegen das Anfinnen, daß dieſe jeine bejcheidene Arbeit
für eine nad biftorifchen Begriffen gejchriebene Geichichte gehalten werden folle* —
entwaffnet in vorhinein jedmwede ftrenge Kritif. Wir wollen aud eine ſolche nicht in
Anwendung bringen und nur einiges aus dem Büchlein hervorheben, was der wirk—
lichen willenichaftlichen Erörterung empfohlen jei. Die vornehmliche Quelle der Mit:
theilungen unjeres Verfaſſers für die ältere Zeit bildet dad Gerichtsbuch von 1390,
das fich erhalten hat. Die Eintragungen in demfelben bieten marncherlei Intereſſe.
Das Durer. Schöppengericht erfreute ji) eines weiten Anfehens. Die Gerichtsipradhe
ift die deutiche, die vorkommenden Perſonen- und Flurnamen find zumeift deutich.
Schon zum Fahre 1390 wird eine deutſche Schule erwähnt. Die heute verſchwun—
denen Ortihaften „Dünſlewiz“ und „KReilhban“ werden häufig genannt. Die
Teihwirthichaft in der Umgebung von Dur fcheint frühzeitig eine ſehr ausgebreitete
gemejen zu fein; insgleihen werden häufig Wein- und Hopfengärten erwähnt, Im
Fahre 1426 wurde die Stadt von den Hufiten zerftört. Das Gerichtsbuch zeigt eine
Lüde von 10 Jahren. Der Schusherr Markgraf Friedrih von Meißen beftätigte am
25. (?) Juli 1438 im Felde vor Brür die alten Gerechtſame. Ein fchöner Brauch hat
ſich nad) der Erzählung des Verfaffers an diefen Tag geknüpft. Die Durer hätten
eine Stiftung gegründet, durch welche fi die Prahner Inſaſſen, auf deren Weide:
grund das Zelt de3 Markgrafen gejtanden, als er das genannte Privilegiun ertheilte,
verpflichteten, alljährlih im Juli auf jener denfwürdigen Stelle drei Kreuze in den
Raſen hauen, und zu diefer Stelle pilgerten alljährlid am 25. Juli die dankbaren
Durer in feierliher Proceffion — ein Brauch, der fich bis zum Ende de3 vorigen
Fahrhunderts erhielt. Zu bemerken wäre nur, daß die Beftätigungsurfunde Friedrichs
am Sonnabend nad St. Jakobstag datirt ift, welches Datum für 1438 nicht auf
den 25. jondern den 26. Juli fällt. -
Am Sabre 1459 fiel Dur an Böhmen zurüd. Als Schutheren finden wir die
Sulewite bis zum Fahre 1529, in welchem die Lobkowitze die Schusherrichaft erlangten.
Seit 1642 befindet fi die Herrſchaft Dur im Beſitze der Waldfteine. Ueber den
dreißigjährigen und fiebenjährigen Krieg, über die Jahre 1813 und 1866 bringt das
Büchelchen ganz intereffante Nachrichten. Aus eigener Anſchauung berichtet der Ver—
faffer iiber den riefigen Aufſchwung des Kohlenbergbaues in den Jahren 1870 und
1871. Er jchreibt unter andern über die Einwanderung der fremden Arbeiter: „Zum
Bau der Bahnen und zur Errichtung mehrerer großer Kohlenwerfe wurde eine be—
bentende Anzahl von Arbeitern in Dur benöthigt, welche durch Zeitungsannoncen und
Agenten geworben, denn auch in großer Menge bier anfamen. 3 etablirte fi für
die Folge in Dur eine echt Falifornische Wirthihaft. Da die beftehenden Wohnhäufer
den Andrang der Arbeiter nicht aufzunehmen im Stande waren, wurden in der Eile .
proviforifche Holzbarafen errichtet und al3 auch diefe unzureichend waren, wühlten ſich
die neuen Anfömmlinge Löcher in die Erde und führten bier, unbehelligt von Mieth-
zins und Meldungsvorjchriften, ein echtes Troglodytenleben. Noch andere zogen e3
vor, die ftet3 brennenden und rauchenden Löihhalden als Schlafftätten zu benüßen,
und ift es um diefe Zeit nicht felten vorgefommen, daß im einer einzigen Nacht
mehrere diefer Schläfer durch den Kohlenrauch erftidt und durdy das in der Halde
fortglimmende Feuer verbrannt waren. Am Sonntage und an dem vorhergegangenen
- 80 —
Lohntage kamen dieje Höhlen: und Baratenbewohner in die Stadt, um den reichlich
verdienten Lohn jobald ald möglich durdygubringen. Dann wimmelten alle Verkaufs:
läden und Wirthshäuſer von Arbeitern, und in entlegenen Schenfen wurde um hohen
Einſatz gejpielt, wobei manchmal die Meffer blitten und arge Naufhändel an der
Tagesordnung waren. Die ftädtifche Polizei hatte damals eine jchwierige Aufgabe
und mußte manchmal zu Streifzügen in das Barafenrevier die Afliftenz einiger Mit-
glieder des bewaffneten Schützencorps nachſuchen. — Da bei einigen Durer Kohlen-
werfen der compalte Kohlenkörper auf manden Stellen kaum zwei bis drei Meter
unter dem Dedgebirge gelagert war, jo wurden die Erdabhubarbeiten an Unternehmer
verpachtet, welche leßtere aber eine Menfchengattung nach Dur brachten, wie fie hier
vordem nie gejehen worden war. Halbnadte verwahrlofte Geftalten, die von Unger
ziefer jtrogend, vom übermäßigen Branntweingenuß aufgedinien, im Sommer und im
Winter barfuß gehend, ein gräßliches Bild menſchlicher Verkommenheit boten. Das
an Lohntagen empfangene Geld trugen die Abräumer, fo wurden diefe bedauerns-
werthen Menfchen hier genannt, nur ftet3 in der Hand, da fie in den ihren Körper
bededenden Lumpen feine Taſchen hatten, und trachteten das jauer verdiente Geld
baldbmöglichit gegen Branntwein und Pferdewürjte umzuſetzen. Nachdem in ber
Folge die jeicht liegenden Kohlenflöge abgebaut worden waren, ift auch die Species
der Abräumer wieder aus dem Weichbilde von Dur verfhwunden.“
In einem zweiten Theile bringt der Verfafler Auszüge aus dem ſchon genannten
Gerihtsbuhe (1390— 1533) und im Anhange ein cdronologisches Verzeihniß der
Durer Bürgermeiſter von 1390 bis heute. Von der tſchechiſchen Schule in Dur, die
doch in öffentlichen Blättern jo oft zur an gelangte, erfahren wir jonderbarer
Weiſe nicht ein Wort. S.
Alfred Hilgard: Urkunden zur Geſchichte der Stadt Speyer. Dem
Hiſtoriſchen Verein der Pfalz zu Speyer gewidmet von Heinrich)
Hilgard-Billard. Straßburg 1885 Trübner.
Dieſes prachtvoll ausgeftattete Urkundenwerk verdankt fein Erjcheinen „der
Munificenz de3 durdy feinen großartigen Unternehmungsgeift und durch feine nad den
verichiedenften Richtungen hin bethätigte mehr als fürftliche Freigebigfeit diesſeits wie
jenſeits des Oceans wohl bekannten Herrn Heinrich Hilgard- Billard“, eines
geborenen Speyrer, welcher die Koften der Herausgabe großmüthig jpendete. Das
Werk bringt den urkundlichen Vorrath der Stadt Speyer und benachbarter Archive
bi3 zum Fahre 1349, in welchem nah endgiltiger Bejeitiguna der patrizifchen Vor:
rechte die Stadtverwaltung auf rein zünftıger Grundlage eingerichtet erſcheint. Selbit-
verftändlich werden nur die öffentlichen Urkunden vollftändig gebracht; Privaturkunden
fanden nur in bejonderen Fällen Aufnahme. Auch das bereit? Gedrudte wurde mit
Recht herangezogen. Ueber jeine urtundlichen und handichriftlicden Borlagen, ſowie über
die angewandten Principien der Textkritik fpricht fich der Herausgeber in der Vorrede
eingehend aus. Bezüglich der letteren weicht er von den jest allgemein üblichen
Regeln im Wefentlihen nicht ab. Große Sorgfalt und Gewiljenhaftigkeit kann dem
Herausgeber nadgerühmt, und es darf wohl die volle Verläßlichkeit des Gebo—
tenen angenommen werden. Im Ganzen werden uns 536 Urkunden vorgeführt. Die
ältefte um das Fahr 653 ift eine Gonfirmation Stegbert II. von Franken, gegeben
der Speyrer Kirche, betreffend den berrichaftlichen Zehnt im Speyergau. Es folgt
eine zweite aus dem VII. Zahrh., eine aus dem VII. (Karl d. G.), 4 aus dem X.
5 aus dem XL, 10 aus dem XII. Jahrh. u. f. w. Ein Auhang bringt noch 8 größere
Uctenftüde, Ein forgfältig bearbeitete Regiſter erleichtert die Beuützung des
umfangreichen Bandes. Der Freiheitsbrief Kaifer Friedrihs I. vom 27. Mai 1182
ift im Faximile beigegeben.
Ein reichhaltiges wohlgefichtetes urkundliches Materiale liegt den Localforichern
von Speyer vor. Aber auch die Gefchichte der benachbarten Städte, der ganzen Pfalz
wird ihren entiprechenden Nuten aus dem Werke ziehen fünnen, Cine große Aus:
beute wird ſelbſtverſtändlich der Eufturhiitorifer gewinnen; ich möchte befonders auf
das Zunftwejen, die alte FJudengemeinde von Speyer (au) von Worms), auf die
mannigfachen inneren ſtädtiſchen Einrichtungen und dergleichen aufmerkjam machen.
Der Namenforjcher darf nur den geordneten Inder überbliden, um manche werth-
volle Entdedung zu machen. Ja jelbit die allgemeine Kaifergeichichte findet ihre
Bereicherung. So wird uns 3. B. in Nr. 520 zum 2, April 1349 ein Confirmations-
brief Karla IV. mitgeteilt, welchen wir in den Huberſchen Negeften nicht finden.
L. S.
Dr. W. Rogerowesfy: Die meteorologiihen Aufzeichnungen des Leit—
meriger Nathsverwandten Auton Gottfried Schmidt aus den Jahren
1500 bis 1761. Brag 1887. (Domimnifus.)
Aus der Ehronif Schmidts (F 1762) theilt der auf dem Gebiete der Leitmeritzer
Hiltoriographie rührige Verfaffer eine weitere Folge meteorologiſcher Beobachtungen
mit, welche nicht bloß ein locales Intereſſe zu erregen geeignet find. Große Dürre
und Kälte, Regen und Schnee, Gewitter und Sturm, Eisgänge, Hochwaſſer, Ueber—
ſchwemmungen, Kometen, Nordlicht:r, Erdbeben, Heujchreden und Maifäfernoth u. ſ. w.,
Alles was an Natnrereigniffen ſich bemerfenswerthes im genannten Zeitraume in
Leitmerig und Umgebung ergab, wird uns in hronologisher Ordnung vorgeführt.
Uber auch über gute und fchlechte Fechſungsjahre, namentlih in Bezug auf Wein,
Obſt und Getreide werden wir unterrichtet, und geftaltet fih die fortlaufende Angabe
der Wein: und Getreidepreife recht lehrreich Erdbeben wurden in Leitmeritz
beobachtet am 2%6. März 1511, am 15. September 1590 und am 4. December 1690;
am 28. Februar 1761 gegen 8 Uhr Abends „war ein Nordſchein in Form einer
jehr lichten fpisigen Säule zu ſehen“. Ein Sad: und Ortsregifter erleichtern die Be-
nügung der ſchätzenswerthen Publication, deren Verfaſſer wir noch recht oft mit deu
Ergebniſſen feiner gründlichen Iocalen Forihungen zu begegnen hoffen. L. S.
Serdinand Thomas: Taunwald und Umgebung. 1837. (Berl. J. Fritiche
in Reichenberg und Tannwald.)
Das Büchelden hat den Zweck, dem Fremden, der nah Taunwald konnt,
alles Wilfenswerthe über diefen Ort und deilen Umgebung mitzuteilen. Es will
eine Art Meiner Bädecker fein und erfüllt nach diefer Richtung vollftändig ſeinen
7
— 82 —
Zweck. Bemerkungen über Bevölkerungs-, Erwerbs- und Verkehrsverhältniſſe, hiſtoriſche
Nachrichten fiuden ſich in der knappſten Form vereinigt. Bon Tannwald aus ſelbſt
werden wir angeregt zu Spaziergängen nad) Swarow mit der großartigen Fabriks—
anlage Liebigs, nah Tiefenbad und Unterpolaun in welchen landſchaftlich
ſchön gelegenen Orten uns zugleich Gelegenheit geboten wird, die Glasinduſtrie im
Großen und Kleinen zu ſtudieren (Joſef Riedel, Ferdinand Unger und Johann Umann).
Ron Tiefenbach zweigt ein prächtiger Weg nad Deijendorf, dem Ausgangspunkt
der altkatholiihen Bewegung des Jiergebirges, ab. Wir werden ferner unter aller:
hand nützlichen Winfen nad) Morhenftern, Albrehtsdorf, Prichowitz bis
zum idylliſch gelegenen Wurz elödorf geleitet und auf die hervorragenderen Aus—
fichtspunkte des Gebirges geführt. Wenn auch mur flüchtig, aber doch verſtändlich
weift der PVerfaffer auf das Vordringen der tihehiihen Nationalität in Reiditz,
Böhm.-Schumburg und Polefchnig bin. Perfonalien über Tannwald und Reiſeregeln
ichließen das Werkchen, dem ein praktiſches Orientirungslärtchen beigeſchloſſen iſt.
Alten Einheimiſchen, ſowie namentlich den in der Gegend verkehrenden Freinden ſei
dasſelbe beſtens empfohlen; die Nachrichten find durchweg verläßlich. LS.
Quellen zur Gedichte der Stadt Kronftadt in Siebenbürgen. Heraus:
gegeben auf Koften der Stadt Kronftadt von dem mit der Herausgabe
betrautem Ausſchuſſe. 1. Band. Kronjtadt. Römer u. Kammer 1886.
(776 Seiten.)
Dieſes höchft verdienftvolle Werk, veranlaßt durch die Stadtvertretung von
Kronftadt, ſoll alle Geſchichtsdenkmäler zur Veröffentlihung bringen, welche auf die
Geſchichte der Stadt Bezug haben und die im ftädtifchen Archiv ſowie im Befig von
Einzelnen und Körperſchaften find. Die Profefforen des k. evangelijhen Gymnaſiums
nebſt zwei Würdenträgern des Magiſtrats Schnell ſpäter Boyer und Mayer find die
mit der Herausgabe betrauten Männer. Der erfte Band enthält „Rechnungen aus
dem Archive der Stadt Hermannjtadt und ber fächftichen Nation“. Ein genaues Ver—
zeichniß der Ortö- und Perjonennamen fowie ein lateiniſches und deutiches Gloſſar
erleichtern den Gebraud). Drei Tafeln geben die Wafferzeihen und Schriftproben.
Die Rechnungen beginnen vom Jahre 1503 und gehen bis zum Jahre 1526 incl.
Solche gründliche Vorarbeiten für eine künftige Gefchichte der Stadt Kronftadt müſſen
vorangehen, wenn wie Dr. Eugen von Trauſchenfels fagt, eine Monographie würdig
der Stadt hergeftellt werden foll. „Welch unfhätbare Daten von photographiſcher
Treue in denfelben enthalten find“ hat der genannte Gelehrte in feinem Vortrag über
Krouftadt zur Zeit des Fürſten Stefan Bäthori und Michael Apafi, ſowie Biſchof
Dr. Teutſch in feinem Vortrage über Honterus und Kronftadt nachgewieſen. Das
Bedürfniß nach umfaffender und treuer Einzeldarftellung der Geſchichte Kronftadts,
jagt die Vorrede, hatte fic ſchon bei der Vertheidigung ber ftädtifchen Privatrechte
wiederholt fühlbar gemacht. Es wurde in Folge der Schmähungen nationaler Gegner
in der Stadtvertretung Kronftabt3 ber Entihluß gefaßt, einen Preis für Abfaffung
der Geſchichte Kronſtadts auszuſchreiben. Aber ein ſolches Preisausſchreiben wäre
erfolglos geweſen. Senator von Trauſchenfels zeigte die richtige Bahn, die zwar
laugſam aber ſicher zum Ziele führt; es wurden ſeit dem Jahre 1876 nicht unbedeu—
— 88 —
tende Summen in den ſtädtiſchen Jahresvoranſchlag zur Herausgabe der ſtädtiſchen
Geſchichtsquellen eingeftellt. Dem Fleiße und der geordneten Gejammtthätigfeit der
Profefforen de3 Gymnaſiums und den oben genannten Männern verdankt der ftatt-
liche 1. Band fein Erfcheinen. Auch hier eine fchwere Kampfarbeit für die Erhaltung
wenigftend des Andenfens an die ehrenvolle Vergangenheit. Wir fünnen nur dem
Wunfche der Herausgeber zuftimmen: Es mögen gütige Mächte über den Fortgang
diefer Arbeit wachen. —r.
Dohemica
aus periodifchen Beitfchriften, Jahrg. 1886.
Arhiv für öſterreichiſche Geſchichte. Herausgegeben von der faif.
Akademie der Wiffenfchaften in Wien. Band 67 und 68.
67. Band. J. Huemer: Rhythmus über die Schladht auf dem Marchfelde
(1278). ©. 183. — 68, Band. F. Tadra: Cancellaria Johannis Noviforensis,
episcopi Olomucensis 1364—1380. ©. 1. — 4. Lewidi: Ein Blid in die Politik
K. Sigmunds gegen die Polen in Bezug auf die Hufitenkriege (feit dem Käsmarker
Frieden). ©. 327,
Neues Archiv für ſächſiſche Gefhihte und AlterthHums-
funde. Herausgegeben von Dr. Hubert Ermiſch. 7. Bd. Dresden.
Gaedeke: Zu den Berhandlungen Wallenfteins mit den Schweden und
Sadjen 1633. ©. 156. — Rnothe: Die Kragenihe Fehde S. 216. — Gaedeke:
Aus den Papieren des kurſächſ. Generallientenant3 Hans Georg v. Arnim 1631—34.
Arhiv für flavifche Philologie. Herausgegeben von V. Yagit.
IX. Band. Berlin.
3. Knieſchek: Die tſchechiſchen Marienklagen. ©. 36.
Hiftorifch politifche Blätter. Herausgegeben von E. Jörg und
Fr. Binder, München.
97. Bd. Deutiche und Tſchechen in der Vergangenheit und Gegenwart. ©. 48,
199, 259. — Die beiden Slavenapoftel ald Bekehrer von Böhmen. Eine Entgegnung.
S. 1%. — 8. Band: Fürft Alfred Windiih-Gräs und Graf Leo Thun in den
Prager Junitagen 1848,
Der deutjhe Herold. Zeitichrift für Heraldik, Sphragiftif und
Genealogie. Organ des Vereins Herold in Berlin. XVII. Jahrgang.
% Zeige: Beiträge zur Geſchichte der Kinsky-Tettauiſchen Familie. ©. 75.
7*
— Sn
Jahrbuch der E E heraldiſchen Gejellihaft „Adler“ im
Wien. XII. Jahrgang des Yahrbuches. Wien.
Heinrih Gradl: Zur älteften Geſchichte der Schlid. S. 1. — F. Teige:
Blätter aus der altböhmijchen Genealogie. S. 9.
Jahrbuch der Geſellſchaft für die Geſchichte des Prote-
jtantismus in Defterreich. VII. Jahrg. Wien und Leipzig.
Rob. Leidenfroft: Die Eheordnung des böhmischen Landtages von 1609
bis 1610, ©. 157. — Th. Molnar: Die Erecntion zu Prag im Jahre 1621. 1.
©. 174. — oh. Scheuffler: Der Zug der öfterreihifchen Geiftlihen nad und
aus Sachſen. I. (Forti.) S. 188.
Jahrbücher und Jahresberichte des Vereines für mellen-
burgifhe Gejhichte und Alterthbumsfunde. 51. Yahrgang.
Schwerin.
W. Rogge: Wallenftein und die Stadt Roſtock. S. 283.
Neues Lauſitziſches Magazin Im Auftrage der Oberlauſitziſchen
Geſellſchaft der Wiſſenſchaften. 62. Bd. Görlitz.
Edelmann: Der Rückgang des Landes Budiſſin aus der Brandenburgiſchen
an die böhmiſche Herrſchaft anno 1319. S. 79. — Sauppe: Geſchichte der Burg
und bes Cöleſtinerkloſters Oybin. ©. 88. — U Moſchkau: Die Burg Karlsfried
bei Zittau. ©. 111. — 9. Knothe: Wie Seifhennersdorf zur Oberlaufig gejchlagen
wurde. ©. 286. — Derjelbe: Wie die Burg Karlöfried und die Zittaner Vogtei
für die Krone Böhmen reclamirt werden follte. ©. 288,
- Mittheilungen der. f. Central: Commijjion zur Erforjchung
und Erhaltung der Kunjt: und hijtor. Denfmale. XI. Bd. Wien.
U. Weber v. Ebenhof: Holzkirche zu Huttendorf (bei Starfenbad) ©. 1.
— E. Wernide: Urkundliche Beiträge zur Prager Künftlergefhichte. S. VII. —
Zur Kunde mittelalterlicher Städtefiegel (au Böhmen). S. X. — E. Wernide:
Beiträge zur Ki eäichifchen Künftlergefhichte aus Geſchichtsquellen ſchleſiſcher Pro—
vpincialftädte, S. LI
Mittheilungen des Nordböhmiihen Excurſions-Clubs.
Nedigirt von N. Paudler und J. Müngzberger. IX. Jahrg. Zeipa.
Heine R. v. Kopes: Gut Sufohrad und jeine Beſitzer 1696—1802. ©. 1.
— A. Paudler: Aus dem Zeitalter Wallenfteins. ©. 9, 110. — Derjelbe: Die
Botenmaner bei Schönau. ©. 37. — Derjelbe: Wälſche Baulünftler in Nord—
böhmen, ©. 140. — Derjelbe: Aus dem Gedächtniſſe. ©. 185. — Derjelbe:
Das rothe in Keipa. ©. 215. — Derielbe: Aus dem Hohenelber Klofter-
gedenkbuche. ©. 219. — Derjelbe: Das Aufha Wernftädter Urkundenbuch. ©. 257.
— 35 —
— 9. Knothe: Die ritterlihe Familie Kucbloeh auf Warusdorf. S. 16. —
NR. Müller: Ein Fund und eine Mahnung. ©. 19. — J. Neumann: Der
Kattundrud in Wernftadt. ©. 21. — R. Lahmer: Induſtrielle Briefe aus Nord—
böhmen. ©. 44, 143. — W. Hiefe: Meiftersdorf. S. 48. — Derjelbe: Die Be-
fiter von Markersdorf. S. 07. — W. Künftner: Sagen vom Podhornberge.
S. 49. — W. Katzerowsky: Leitmeriß in dem Sriegsiahre 1756. ©. 97. —
A. Sedlacek: Verfchollene Namen. ©. 105. — F. und A. Kunze: Deutjche
Volksſagen. ©. 124. — 4. Baudler und F. Dreßler: Abentenerliche Briefe.
©. 134. — W. Bayer: Anton Richter aus Leipa. ©. 148. — A. W. Stellzig:
Die Stadt Kreibig im fiebenjährigen Kriege. S. 177. — Ortörepertorium des Dau—
baer Gerichtsbezirkes. S. 193. — U Wiskotſchil: Sagen aus dem Elbethale.
S. 19. — 3. Teige: Lofes zur Geſchichte der Stadt Keipa. ©. 212. — Sagen
aus dem Niederlande. S. 367. — J. Bed: Heimiſche Städtewappen. ©. 272. —
WR. Stellzig: Von Leipa über Kamnis und Kreibig nad Zittau. S. 290. —
Fr. Bernau: Die Hut: und Wactberge. S. 297.
Mittheilungen des Juſtituts für Öfterreihiihe Geſchichts—
forſchung. Nedigirt von E. Mühlbacher. VIL Band. Innsbruck.
Lindner: Ueber die bei der Abjesung des Königs Wenzel verlefenen Artikel.
©. 340. — Mayer: Zur Geidichte des fiebenjährigen Krieges. I. Zwei Berichte
über die Schladht bei Kolin, IT. Zum Rüdzug der Preußen aus Böhmen II.
Die Eroberung der Stadt Zittau. ©. 378. — Buſſon: Berfprehungen des
Markgrafen Otto II. von Brandenburg an DOttofar von Böhmen betreffS der
römischen Königswahl 1262. — ©. 636,
Mittheilungen des kak. Kriegs: Arhivs. Jahrg. 1886. Wien.
Zwiſchen Donau und Elbe. Skizze der Kriegsbegebenheiten in Oftböhmen im
18. Sahrhunderte. S. 1. — Dunder: Beiträge zur Gefchichte des erſten ſchleſiſchen
Krieges 1741. ©. 113.
Mittheilungen aus dem germanifhen Nationalmujeum.
I. Band. 3. Heft. Jahrgang 1886.
9. Löſch: Ein Kunftreiter producirt fih vor Kaifer Rudolf II. im J. 1588
zu Prag.
Altpreußiſche Monatsjchrift neue Folge. Herausg. von H. Neide
und E. Wichert. XXI. Bd. Königsberg.
V. v. Keltſch: Der baterifche Geograph. S. 505.
Ungarijhe Revue. Herausgegeben von B. Hunfaloy u. ©. Heinrich.
6. Jahrgang. Budapeft.
©. Borovßfy: Pie Urgeichichte der Langobardeu. S. 184.
— Be
Das Niejengebirge in Wort und Bild. Herausgegeben vom
Öfterr. Niefengebirgs-Vereine. Heft 19—22. -
F. Knothe: Die jchlefiijhe Mundart in Nordböhmen. (Fortf.) ©. 1, 34, 59,
91. — U Halmwinger: Weber den lateinifchen Namen des Riefengebirges, ©. 13.
— R. Möchel: Nahrichten über die Bolfsihule in Ober-Rodlig. ©. 21.
Verhandlungen des hiftorijhen Vereins von Oberpfalz
und Regensburg. 40. Band. Stadtamhof.
W. Neumann: Der Regensburger Dombaumeifter Wenzla und fein Ge-
ihledt. ©. 243.
Bierteljahresfhrift für Gejhihte und Heimatsfunde der
Grafſchaft Glatz. VI Jahrg. Heft 1—3. Habeljchwerdt.
Volkmar: Georg von Podiebrad und die Greiguiffe feiner Zeit im Glager
Lande. ©. 177.
Arhivalifhe Zeitfhrift. Herausgegeben von F. von Löher.
XI. Band. München.
J. Teige: Eine alte Nachricht über das Archiv von Rarlftein. S. 315.
Zeitſchrift für Kirchengeſchichte. Herausgegeben von Th. Brieger.
VII. Band. Gotha.
J. Gottſchick: Hug’, Luther! und Zwinglis Lehre von der Kirche mit Rück—
fiht auf das zwiſchen benfelben beftehende Verhältniß der Verwandtſchaft oder Ab—
hängigfeit. ©. 345, 543.
Zeitfchrift für Fatholifhe Theologie. Redigirt von J. Wiefer
und 9. Grijar. X. Band. Innsbruck.
J. Smwoboda: Die Kirhenfhliefung zu Kloftergrab und Braunau und die
Anfänge des 3Ojährigen Krieges. S. 3855. — 9. Grifar: Vaticaniſche Berichte
über die Proteftantifirung und die fatholifhe Reftauration in Böhmen zur Zeit
Ferdinands II. ©, 722,
Beitfchrift des Vereines für Geſchichte und Alterthbum
Schlejiens. Herausgegeben von C. Grünhagen. Breslau.
19. Band. W. Milkowitſch: Ueber die Zeit des gütlichen Uebereinfommens
zwiſchen R. Fohann von Böhmen und Herzog Johann von Steinau. S. 307.
20. Band. Th. Löſchke: Die Bolitif K. Ottofars II. gegenüber Schlefien und
Polen, namentlih in den legten Jahren jeiner Regierung. S. 97. — J. Krebs:
Die erften Winterquartiere der Waldfteiner in Schlefien. S. 297.
——
(In tſchechiſcher Sprade:;)
Athenaeum. Blätter für wiſſenſchaftliche Literatur und Kritik. Haupt:
Redacteur: %. G. Maſaryk. II. Jahrg. Prag.
%. Gebauer: Nothwendigkeit weiterer Unterfuchungen der Königinhofer und
Grünberger Handicrift. — (Von Verfchiedenen:) Materialien zu einer wiſſenſchaftlichen
Beurtheilung diefer Handichriften.
Casopis musea krälovstvi deskeho. (Zeitfhrift des Fön. böhm.
Muſeums.) Redacteur: J. Emler. 60. Jahrg. Prag.
K. Jirecef: Der ferbifhe Zar Uroſch, König Vukaſchin und die Ragufaner.
S. 3, 41. — J. Trublat: Sigismund Gelenius, fein Leben und feine wiſſen—
fchaftlihe Thätigfeit. ©. 27, 210. — F. I. Zoubek: Komenskys theologiihe Pole-
mifen. V. VI. ©, 48, 396, 449. — A. Trublat: Tſchechiſche literarifche Arbeiten
des Mathebaeus Bohdanechy. S. 70. — F. Tadra: Johannes Nopiforenfis, Kanzler
Raif. Karls IV. ©. 85, 276. — W. W. Zeleny: Thomas Peichina von Czechorod.
©. 102, 331, 554. — J. Goll: Die Brüdergemeinde im 15. Jahrhundert. ©. 121,
297, 468. — Ad. Batera: Im Mufenm befindliche Bruchſtücke eines altböhmischen
Pſalters etwa aus dem Anfang des 14. Ihdts. ©. 129. — ©. Winter: Stabt und
Kreis Rakonitz während des 3Ojährigen Krieged. ©. 235. — W. W. Tome: Zur
Erklärung des Gedichtes von Oldrih in der Königinhofer Handicrift. S. 357. —
$. Soll: Einige Worte ald Antwort (auf vorftehende Abhandlung). S. 6083. — A.
Rezek: Eine Jeſuiten-Komödie zur Verherrlichung des Kaiſers Mathias vom J. 1617,
©. 388. — J. Emler: Nod einige Briefe Joſef Jungmanns an Anton Maref.
S. 433. — M. Hattala: „Pavlak“ in Dalimild Chronik. ©. 444. — N. PBatera:
„Bom Leiden Chrifti.“ Altböhmifches Neimwerf aus dem 14. Fahrhundert. ©. 582,
Pamätky archaeologieke a mistopisne. (Archäologifche und
topograpbijche Denfmaler.) NRedacteur: Johann B. Miltner.
XII. Theil, 4.—8. Heft. Prag.
K. Cermäk: Kreuze aus Gräbern in der Kirche zu Bratſchitz. ©. 145. —
K. Ehytil: Entwidelung der Miniaturmalerei unter den Königen aus dem Haufe
Luxemburg (Fortf.). S. 151, 207, 311, 361. — 3.8. Miltner: Bartholom. Prokops
Deukwürdigkeiten von Wolin (Forti.). ©. 163, 255, 315. — Derf.: Wie viel wog
eine altböhmishe Mark. ©. 169. — T. Bilek: Zuftand der Pfarreien 1650—2 im
Chrudimer, Königgräßer, Bunzlauer, Schlaner und Saazer Kreiſe ꝛc. ©. 177, 263,
325, 867. — M. Lüffner: Bydzower Flügelaltar. ©. 181. — Derſ.: Mrtnik und
Komarow. ©. 279. — Böhmifche Denare unter audländifhen Yunden. ©. 185. —
Aug. Rofina, der Verfaffer der Denkwürdigkeiten von Schlan. S. 190. — Fleiſcher—
ordnung von Chrudim. S. 191. — Desgl. von Neuhaus, ©. 287. — J. Smoltf:
er AB
Gußformen für Bronzegegenftände, gefunden zu Swolinowes. S. 193. — Desgl. von
Hoftomis. ©. 331. — Derf.: Fund böhmischer und böhmiſch-mähriſcher Denare bei
Rakwitz in Mähren. ©. 289, 337. — Derſ.: Grab zu Onxetz. ©. 321. — U. Ry—
bicka: Beiträge zu einem biographiichen Lerifon der böhmiſchen Maler. S. 225. —
J. Teige: Genealogiſche Beiträge. ©. 229. — F. Pruſik: Alte tichechiiche In—
ichriften. ©. 269. — Fr. Yepat: Proceſſe des Jeſuiten-Collegiums zu Gitichin.
©. 271. — Fir. Leger: Grabhügel unterm Tuhoſcht. ©. 217. — F. Rychli: Der
Maflenfiind von Krtenow. Nachträge. ©. 238, 2856. — E. Leminger: Burgftätte
oberhalb der Eimburf- Mühle bei Kuttenberg. S. 341. — Prähiſtoriſches Grab bei
Rzehnitz. ©. 283. — Gräberftätte bei Radonis. S. 284. — Ein Czaslauer prähiſto—
riiher Fund. ©. 334. — Bronze-Fund bei Ritihen. S. 331. — Grabhügel auf dem
—
Huſſin bei Klattau. S. 332.
Sbornik historicky. (Hiſtoriſches Magazin). Herausgeber und
Redacteur Anton Rezek. IV. Jahrgang. Prag.
Fr. Wacef: Kirchliche VBerhältniffe in Südböhmen zur Zeit des 30jährigen
Krieges. ©. 1, 85, 142, 215, 257. — 3. Janousek: Das Stadtarchiv zu Teltſch
in Mähren. ©. 6, 111, 175, 240, 263. — Fr. Ramentief: Die Betheiligung der
Mährer an den Türkenkriegen von 15236—1568. S. 15, 65, 157, 193, 271. — Ders
felbe: Die Erpedition des Erzh. Ferdinand zum Entſatz de3 von den Türken be-
lagerten Sziget 1556. ©. 321. — 3. Tenora: Die Linie Kunftatt-Statehow. ©. 30.
— J. V. Novak: Sechs hiftoriiche Predigten des Priefters Gallus Zalanſkh. ©. 46.
— U Rezek: Cyrilliſch-methodiſche Nachklänge. S. 57. — Derfelbe: Zur Bio-
graphie Daticlys von Heslowa. ©. 185. — Derſ.: Zwei Beiträge zur mähriſchen
Geſchichte. S. 371. — Deri.: Vertrag über Schloß Niefenberg (1497). ©. 372. —
F. Bernau: Noch etwas über den Tod des Georg von Loblowis. ©. 59. — ©.
Zibrt: Ueber die tſchechiſche Poftille des Prieſters Martin Philadelphus von Zämrsk.
S. 77, 149. — 3. Simek: Baul Stransfy3 „Respublica Bojema*. ©. 93, 134. —
Derjelbe: Wie die Huttenberger 1529 gegen die Türken rüfteten. S. 310. — Der:
jelbe: Die Betheiligung der Kuttenberger am Türkenkriege 1532. ©. 376. — Fr.
Snopek: Die pannonifchen Legenden und der Mönd Chrabr. S. 129. — K. Köpl:
Ueber einige altböhmiiche Mathe. S. 184. — Derjelbe: Contract über den Ban der
Kirche in Wodnian vom 3. 1584. ©. 187. — 2. Domeifa: Ueber die Herkunft der
Witkowitze. ©. 206, 254, 342. — Derjelbe: Schrieb ſich Zawiſch Witkowetz nach dem
bairiſchen Falkenftein? S 309. — K. Nowäk: Beiträge zur nähern Keuntniß der
Schriften Huffens und jeines Lebens. ©. 222, 301, 332. — V. Praſek: Nothwen-
digfeit der philologishen Methode bei der Erklärung von Ortönamen. ©. 251. —
%. Vävra: Das landtäflihe Gut Kbel. ©. 264. — Fr. Tiiher: Schreiben des
Grafen Wilhelm Slawata an den Grafen Jaroslam Borita von Martini und dejjen
Sohn vom J. 1635. ©. 352. — E. Zibrt: Thomas Reichel von Neubaus. S. 234,
298, 881, W. Hieke.
"8. f. Hofbuchdruckerei N. Hanfe, Prag. — Selbitverlag.
U.C. BERKELEY LIBRARIES >>
B003022034
THE UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY