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Full text of "Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in den Sudetenländern"

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Mittheilungen 


des 


Vereines für Gefchichte der Dentfchen 


in Böhmen, 


XXV. Jahrgang. 


Redigirt von 


Dr. £udmwig Scälefinger. 


Nebſt der 


literarifihen Beilage, 


2 


Prag 1887. 
Im Selbſtverlage des Vereins und in Commiſſion bei H. Dominicus 
für die Oeſterreichiſch-Ungariſche Monarchie. 
Leipzig und Wien. 
In Commiſſion bei F. U. Brockhaus. 


——— 
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Kr. Hofbuchbruderei A. Haafe, Prag. 





Subaltsverzeichniß. 





Bonifatius, der — der Deutſchen, und F- Stavenapoftel PT 
(E rillus und Methodios. Eine hiſtori arallele von Conſt. Ritter 





Miscellen. 
Denkſchrift über die böhmiſchen Landesfinanzen vom J. 1618. Mitgetheilt von 
Dr. Binc Müchlitt. ae A ea a hier 197 
Des Prager evangeliihen Pfarrers M. D. Hänichens (F 1618) Nekrolog. Von 
Lie; Dr. Georg Buchwald.. 0 0 ut a 200 








- een vom J. 1680. Bon Dr. L. Schleſinger . 643983 





Mittheilungen der Geſchäftsleitun 


Citerariſche Beilage, 


Altdentfhe Bredigten. Bon E. Schönbach. Bon U. Hruhla . - . . - » 13 
Bahmann Adolf: Briefe und Acten zur öſterreichiſch-deutſchen Geſchichte im 
Zeitalter K. Friedrichs III. (Fontes rerum austriacarum.) Bon W. 9. . 50 


Bellmann’s Führer dur Prag und Umgebung. Bon Erwig « * 16 
Bohemica aus periodifchen Beitichriften. Jahrg. 1885. Bon W. Hiele . . . 104 


.‚Canossa, studi e ricerche di Angelo Ferretti, professore nel r. istituto 
teenieo di Reggio nell’ Emilia. Seconda edizione. Ermanno Loescher, 


Torino; 1884. Bon Th. Tupeb - : rennen nn 48 
Garo ac. Dr.: Gefhichte Bolend. Von —n.. » «rennen 47 
Codex diplomatieus Silesiae II. Band. Schleſiens Münzgefhichte im Mittel» 

alter von Friedenburg. Bon —n. . » «rer 76 
Die öfterreihifh-ungarifhe Monardie in Wort und Bild. Von B. . - 65 
Deutih-böhmifher Vereinskalender - - - - "rennen 24 
Deutſcher Volkskalender für 18897... ee 37 
Deutfher Volkskalender für die Iglauer Spradinfel 1887.» + + +. 40 
Egerer Jahrbud. 17. Jahrgang - - - ernennen 39 
Emler Iofef: Libri confirmationem ad beneficia ecclesiastica Pragensem per 

archidioecesim. Bon L.©..: : . Hr 2er een 78 
Erinnerungsblätter an Joſef Victor von Sceffel. Bon Otto Lohr. . . - 21 


Ermifch Hubert: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sachſen. Von 2. ©. . 69 
Feftichrift des Teplis- Schönauer Anzeiger zu feinem 25. Jahres-Jubiläum. 


Bon Otio Lohr e42* 13 
Fournier Auguſt, Dr.: Handel und Verkehr in Ungarn und Polen um die 

Mitte des 18. Jahrhunderts. Bon —än.. * 74 
Fürftenbergifches Urkundenbudh. Bon G.B.- - * 41 
Geſchichte des deutſchen Männergefangs Vereines in Prag vom Jahre 1859 

bis 1886. Von 8. Chevalier. » - - rennen 59 
Geſchichte des fürftlichen Hauſes Fürftenberg und feiner Ahnen bis zum Jahre 

1509. BB ei ei — a ee 41 


Geſchichte der Dörfer. Ober 1. Nieder-Mois im Neumarkter Freie. Von —n. 15 
Gindely’Muton: Kalfteht Während feines erften Generalated im Lichte der 


‚gleichzgitigen, Quellen 16251830. Von 2. Chevalier... . . . » - . - 1 
Soll raslarr:Histeriektirgzhor .bäsni rukopisu Krälodvorsk&ho: Oldficha, 

Beneie, Hermanova a Jaroslava. Bon Dr. Joh. Kniefhel. - - 26 
Gradl Heinrih: Gefhichte de3 Egerlandes. Von Dr. L. Chevalier : +» » 30 
Grünbagen C. Dr.: Regeften zur fchlefiihen Geihichte. Bon —m. » . . + - 14 
— — Gefhichte Schlefiend. Bon m... rennen 45 
— — Beitichrift de3 Vereines für Geſchichte und Alterthumskunde Schlefiens. 

2. Band. Bon —n. :» ses 15 
Haaſe'ſcher Haus: und Wirthichaftskalender fr d. 3. 1887... * 38 


Haafe'ſcher Minuzenkalender für das Jahr 1887... en 39 


Seite 


Hagen von, Dr.: Das Leben König Sigmunds, von Eberhard Windede. Bon 
Dr: 4 nalen 5 5 te er er De 
Hallwich H., Dr.: Töplis. Eine deutſch-böhmiſche Stadtgefhichte. Von Erwig 
Haupt Herm., Dr.: Der waldenſiſche Urſprung des Codex Teplensis und der 
vorlutheriſchen deutſchen Bibeldrude gegen die Angriffe von Dr. Franz 
Joſtes vertbeibigt. Bon T. - - rennen 
Hilgard Alfred: Urkunden zur Gefchichte der Stadt Speyer. Bon L. ©. - - 
Hutter Theodor: Aus der Jugendzeit. Bon Dtto Lohr. - » :» - na 
Hübler Franz: Geichichte, Bedentung und praftiicher Werth der Stenographie 
Gabelöbergerd. Bon Th. Tupeztzz... 
Sahrbud der Gefellihaft für Gefchichte des Proteftantismus in Defterreich, 
8. Sabes. 1. Seit. Be B.D,- .: : run ren nn 
Jahrbuch der k. k. heraldiſchen Geſellſchaft „Adler“ in Wien. Von W. H... 
John Alois: Aus dem geiſtigen Leben des Egerlandes. Von Lbe.. ... 
Joſtes Franz Dr.: Die Tepler Bibelüberſetzung. Von T. R.... .. 
Iro Karl: Sechs deutſchnationale Lieder. Von Otto Lohr - » -» » - 2... 
Kaleidoskop: Feuilletoniftiihe Sturien, Skizzen u. Canterien. Bon Dr. Ed. 
Schränka re ee ice 
Ralender für das Egerland 18897. -» >: Ener ern 
Katzerowsky W. Dr.: Die meteorologifhen Aufzeichnungen des Leitmeriger 
Rathsverwandten Anton Gottfried Schmidt aus den J. 1500 bis 1761, 
Me a a ee 
Klaar Alfred: Gedenfrede zur Feier von Ludwig Börne's Hhundertiten Ge- 
burtstag. Von Otto Bohr u ee na eg 
Klein Johannes Dr.: Religiöje Dichtungen des Presbyter Johannes. - - - -» 
Kerler Dietrih: Deutihe Reichstagsacten unter Kaifer Siegmund. Von —ı. . 
Krone Fr. v., Dr.: Gefchichte der Karl Franzend-Univerfität in Graz. Bon —n. 
Lahmer Robert: Induſtrielle Briefe aus Nordböhmen. Bon —r.. » ..... 
Die böhmisfhen Landtags-Verhbandlungen und Landtagsbeichlüffe vom 
Fahre 1526 bis auf die Neuzeit, Bon —n. » » 2: 2202er 
Lippert Julius: Eulturgefhichte der Menjchheit in ihrem organischen Aufbau . 
Löher Franz Dr.: Archivaliſche Zeitichrift. Bon U. Möratb- - » : 2... 
Lutſch Hans: Verzeihniß der Kunſtdenkmäler der Provinz Sclefien. Bon n.. 
Maasburg Friedrih, M. von, Dr.: Die Procef-Ordnung für Böhmen vom 
28: Sinne VIOR. Bon We ee 
Mach E. Dr.: Der relative Bildungsmwerth der philologiihen und mathematifch- 
naturwiſſenſchaftlichen Unterrichtsfächer der höheren Schulen. Bon Erwig 
Miſchler Ernft Dr.: Der öffentlihe Haushalt in Böhmen. Von Dr. %. - 
Neuer Brager Kalender für Stadt und Land 1837 .» » 2: 2 ren. 
Oettingana. Neuer Beitrag zur Dettingifchen Gefchichte. Von B. . . +» .- 
Beter Johann: Charakter: und Sittenbilder aus dem deutſchen Böhmerwalde 
Von Wenzel DUB 2 Se . 
Programmaufſätze aus den Fahren 1885 und 1886. Bon B. ...... 
Quellen zur Geichichte der Stadt Kronftadt in Siebenbürgen. Bon —r.. » -» 
Rachel M. Dr.: Ueber die Freiberger Bibelhandichrift nebft Beiträgen zur Ge— 
ſchichte der vorlutheriſchen Bibelüberfegung. Bon TR... ..... . 


Die Regeften des Katferreihes von Engelbert Mühlbacher Von —n. . . » - 11 
Die Regeſten zur Geihichte ver Mainzer Erzbiichöfe von Corn. Will. Bon —n. 11 
Reidl F. X.: Beitrag zur Geihichte von Dur. Von W. Hiefe. .: . .- » 32, 79 
Reitler Anton: Conrad Ferdinand Meyer, Von Otto Lohr... - - - .... 20 
Ruſtler Michael: Das fogenannte Chronicon universitatis Pragensis. Bon 

ES NEDEDAEEN: u: 2 u a a re er a EN EL a ala 12 
Schebef Edmund: Die Schweden und die Kapuziner im 30jährigen Sriege, 

Bon win u. se ine a 32 
Schlaggenwalds Mineralienreihthbum. Von Che, » -» 222.0 3 
Schober Karl, Dr.: Quellenbudy zur Gefchichte der öfterr.-ungar. Monarchie. 

1. Theil. Von Dr. L. Ghevaliee 2.2.0 we a nenne a 17 
Schranfa Maria Eduard Dr.: Ein Bud vom Bier. Bon —r.. » +... 56 
Schriften des Vereines für Geichichte und Altertum Schlefiend. Von —n. . 76 
Sacher's Joſef gefammelte Schriften. Bon Otto Lohr - » » » 2... 20. 22 
Stammtafel des mebdiatifirten Haufes Fürftenberg. Von ©. B. - .».... 41 
Teweles Heincih: Preſſe und Staat. Bon Dr. Karl Gömer. » » -».... 18 
Thomas Ferdinand: Tannwald und Umgebung Bon L.©.....:.... 81 
Tomek W. W.: Dejepis mesta Prahy. Dil. VII. Bon W. Hieke » . . . - 8 


Veſelsky Peter Miroflan: Der Fremdenführer in der Fönigl. freien Silberberg: 
und Münzftadt Kuttenberg und deren nächften Umgebung. Bon Erwig . 16 

Weichelt H. Dr.: Deutich-öfterreihiiche National-Bibliothef, Yon Otto Yohr . 20 

Weizſäcker Jul.: Deutiche Reichsacten unter König Ruprecht. 2, Abtheilung. 


IA4O01 - 1405. Von an a neh 11 
Werunsky E. Dr.: Geſchichte Karls IV. und feiner Zeit. 2. Bd. - -...- 25 
Bellner Felir Dr.: Die Incunabel-Drucke der fürftl. Fürftenberg’ihen Biblio: 

thek zu Pürglitz. Von Otto Bobr - - » » + 20 re nee een. 17 
Zimmermann Heinrih: Prager Spaziergänge. Bon Otto Lohr -» » . 23 


Hitkelugen es Bein 


Geschichte der Baı schen in Böhmen. 


Nedigirt von 


Br. Judwig Schlesinger. 





Fünfundzwanzigiter Jahrgang. Erites Heft. 1886/7. 





Zum Iubiläum der Univerfität zu Heidelberg. 
2. Auguft 1886, 


Die Begründung der Univerfitäten in Mitteleuropa, nachdem der 
romanische Süden und Wejten mit dem großen Beijpiele vorangegangen, 
ift eine der nachhaltigjten und folgenreichiten Thatſachen des ſcheidenden 
Mittelalters. Herrichte bei der Begriindung der Prager Univerfität der 
Gedanke vor, mehr als einer Nation einen Mittelpunkt zu geiftigem Wett: 
eifer zu verjchaffen, dadurch aber ſelbſt dieſen ein gemeinfames Centrum 
zu gewähren, eine Vereinigung auf dem geiftigen Gebiete, wie jie die 
Kirche auf dem geijtlichen aufgerichtet hatte, einzuleiten, jo überwog bei 
den nachfolgenden Gründungen das nationale, endlich das territorialiftijche 
Moment, jo daß fie zulegt aus allgemeinen wijjenjchaftlihen Inſtituten, 
die fie jein jollten, Staatsanftalten mit dem fpeciellen Endzwede wurden, 
brauchbare Staatsbeamte für das oft ſehr Heine Territorium heranzubilden. 

Auf die große Wirkſamkeit, die die Univerfitäten als Vertreter ge- 
meinfamer geijtiger Bedürfniſſe, als Grundpfeiler jener Tirchlichen Umge- 
ftaltung entfalteten, die im XV. Jahrhunderte die Concilienepoche fich zur 
Aufgabe ftellte, folgte im NReformationszeitalter eine mit diefer im Gegen— 
jage ftehende und doch aus der ganzen bisherigen Entwidlung der Dinge 
hervorgegangene nad. Denn als im Anfange des XVI. Jahrhundertes 
der Drang fich Fund that, mit der ganzen Vergangenheit tabula rasa zu 

1 


— — 


Baker änb‘ — Deitlichland nit feiner ganzen Bergangenheit zu 
brechen den titanifchen Entſchluß faßte, jo ging diefe Bewegung nicht blos 
von einer Univerfität aus, fondern nahmen überhaupt die Univerfitäten 
die entjcheidende Nichtung an, fi) für oder gegen jene Spaltung zu er- 
flären, die von Deutſchland aus das Abendland erjchütterte. Je nach 
der Eonfeffion des Landesherren wurden die Univerfitäten confejlionelle 
Staatsanftalten, dogmatische Burgen, in welchen der Streit, der die Nation 
zerfleifchte, fortwährend Nahrung fand. 

Die neuere Zeit, welche an die große geiftige Bewegung des XV. Jahr— 
hunderts, die Epoche des Wiedererwachens der Wiljenfchaften, anknüpfte und 
die univerſelle Bedeutung des wilfenfchaftlichen Lebens als eines Gemeingutes 
aller Nationen betonte, hat mehr und mehr die confejlionellen Schranken 
gebrochen und eine freie Bewegung, eine individuelle Meſſung der Geifter 
auf ihre Fahne gefchrieben. Lag es in der Entwiclung unferer Berhältniffe, 
den ftaatlichen Charakter der Univerfitäten noch immer möglichjt zu wahren, 
jo konnten ſich diefe ebenfowenig zeitweiliger Härte und einer jtörenden 
Einmifchung in den Organismus des wiljenfchaftlichen Lebens entziehen, 
als anderjeits der Staat den Schwankungen und Entwiclungen des Volks— 
lebens, das, fo lange von ihm überhaupt die Rede fein konnte, feinen 
Wiederhall, feinen natürlichen Ausdrud in der Blüthe oder dem Berfalle 
der Univerfitäten fand. In feinem Lande haben fie denn auch eine jo 
hohe Bedeutung erlangt als in Deutſchland. Sie blühten jo lange die 
Mannigfaltigkeit des deutschen Volks- und Staatslebens bejtand. Sie 
verfnöcherten fichtbar in der Zeit des Cäfaropapismus, der das Volksleben 
tödtete und der Nation zur Entjchädigung für den Verluſt an geiftigen 
Gütern prunfende Höfe und Kafernen gab. Aber in allen Zeiten, ob fie 
Träger des Staatstirchenthums wurden oder nicht, waren und blieben fie 
die Pulsadern des deutjchen Volkes, ob der Puls ſelbſt ſchwach jchlug 
oder ſtark. Sie zeigten in Leid und Freud, in Erhebung und Verfall, in 
kleinlichen Intereſſen, in großartigem Auffchwunge die wechjelnde Volks— 
fraft an. Und während das Weich felbjt getheilt, in einander feindliche 
Stücke aufgelöft war, die Gegenwart fich verjchlimmerte, ruhte in ihnen 
die spes melioris aevi, die Hoffuung, ich zulegt doch wieder zurecht zu 
finden, das Geheimniß wahrer Vitalkraft, daS erescere posse malis. 

Um jo mehr gebührt den deutschen Firjten Lob und Anerkennung, 
welche an dem Gedanken fejthaltend, daß Leben nicht in der ftarren Mo— 
notonie des Befehlens und Gehorchens, jondern in der Wechjehvirfung des 
Gebens und Empfangens, in der Freizügigkeit des Geiftes, im dev ununter— 
brochenen Zufuhr frischer empfänglicher Naturen einerjeits, im ununter— 


— — 


brochenen Schaffen und Wirken andererſeits ſich zeige, das Gedeihen ihrer 
Univerſitäten auch unter ungünſtigen Zeitverhältniſſen förderten, von liebender 
Sorgfalt erfüllt, den Werth des geiſtigen Lebens nicht minder als die 
Bedingungen ſeines Gedeihens erkannten und ihre fürſtlichen Namen mit 
der Blüthe derſelben identificirten, ſtatt ſie zu maßregeln, in dem Weſen 
ihres Organismus die Kraft fanden ſie zu allſeitiger Entwicklung zu bringen. 

Und wenn der Name des römiſchen Königs Ruprecht von der 
Pfalz, der einſt vor den Mauern von Prag ſtand, um die Einheit des 
deutſchen Königthums wieder herzuſtellen, mindeſtens denſelben Ruhm er— 
langte, als der des Begründers der Heidelberger Univerſität, ſo gebürt 
den Fürſten nicht minderes Lob, welche, zwar nicht aus ihrem Stamme, 
doc) es verſtanden, Vergangenheit und Gegenwart, Volk und Fürſt geiſtig 
zu einen und, was in trüben Zeiten ein Wittelsbacher begründet, zur 
reichen Eutfaltung zu bringen, als wäre es nur Ein Stamm, der geſchaffen 
und derſelbe der erhalten und das Gedeihen gefördert hat. 


Prag, Juni 1886. 


J. 


Bildet das Kaiſerthum Karls IV. das Ende eines großen Abſchnittes 
in der Geſchichte des deutſchen Kaifertyums oder bildet es den Aus- 
gangspunkt einer nenen Periode? 


Der Herzog von Sachen, Otto, König Heinrichs I. Sohn, welcher 
durch die Zuftimmung der Fünf deutjchen Stämme König der Deutjchen 
geworden war, war der erjte feines Stammes, der den Ffarolingijchen Tra- 
ditionen folgend, das italienische Königthum und dam, berufen von Papſt 
Johaunn XI. in Rom die Kaiferfrone erlangte, die feit Kaifer Arnulfs 
Tode zwar nicht Abkömmlingen der Karolinger, aber doch den Deutjchen 
entzogen war, jeit 924, dem Tode Kaiſer Berengars, feinen Träger mehr 
befaß. Die Vereinigung zweier Königreiche, eines auf dem Nord- 
abhange der Alpen, eines auf dem Südabhange derjelben und die Krönung 
zu Nom duch das Oberhaupt der Chrijtenheit bildeten das Weſen des 
römischen Kaiſerthums deutjcher Nation, das jomit nicht ſowohl 
eine nationale als eine internationale Aufgabe beſaß, die es anch den 
Slaven gegenüber im Norden, den nach der Herrichaft über Italien ſtre— 
benden Arabern im Süden gleihmäßig bethätigte. National war es nur, 

1* 


— — 


in wie ferne es von den letzten deutſchen Stämmen, die auf dem Conti— 
nente ſeßhaft, ihre Nationalität erhalten hatten, ausgegangen war, die 
Langobarden umfaßte, ohne jedoch ihre Romaniſirung hindern zu können, 
und endlich, ehe ein Jahrhundert ſeit der Begründung des Kaiſerthums zu 
Ende ging, auch die beiden burgundifchen Königreiche (Hochburgund und 
Arelat) einſchloß. ES war bezeichnend, daß gerade die alten Gegner der 
Franken, die Sachen, die Vereinigung Deutfchlands und Italiens vollzogen, 
aber auch bereit der dritte don ihnen zu der Erkenntniß gefommen war, 
daß der Befig des Stammlandes vömischer Herrichaft ſich nur behaupten 
fafjfe, wenn der Sitz des Kaiſerthums nach Rom verlegt werde. 

Nah dem frühen Ausjterben der jächjischen Kaifer folgten für 101 
Jahre die Franken bis 1125 ihnen nach, die auf fränfischem Boden ge- 
wählt, im Dome zu Speier ſich ihre Grabesftätte bauten, auf die mittel- 
rheiniſchen Städte fich ftüßten, aber von Goslar und dem Sachjenlande 
aus das Neich zu regieren ſuchten, welches bereits ein mitteleuropätjches 
geworden war. Sieben deutſche Könige, 6 Kaifer, 4 ſächſiſche und 2 
fränfifche brachten das deutjche Neich zu feiner univerjalhiftorischen Höhe 
und als es namentlich durch die Streitigkeiten des vierten Heinrichs mit 
den Sachſen, jeit 1056, dem Tode Heinrichs IIL., zu finfen begann, die 
großen Principienkämpfe mit den Päpften einen geradezu zerjtörenden 
Charakter annahmen, in welchen ſelbſt der chrijtliche Orient fid) gegen 
Heinrich V. ausſprach, 309 fi) der Schwerpunkt bereit im XII. Yahr- 
hunderte von Deutjchland nach Ftalien, dejjen Kommunen die Freiheit der 
Welt gegen den größten Kaiſer der dritten Dynaſtie, der ſchwäbiſchen oder 
jtaufischen, fiegreich vertraten und Kaiſer Friedrich Rothbart zum vene- 
ttanischen Frieden mit dem Papſte 1177, zum Conftanzer mit ihnen jelbt 
zwangen 1184, 

Da erfolgte die eigentliche Krife des Neiches, die Erwerbung der 
päpjtlichen Lehenkrone von Sicilien durch Kaifer Heinrich VI., den zweiten 
jtauftjchen Kaifer, und ihre Vererbung an feinen Sohn Friedrich, die Ver: 
einigung der Königskronen des deutjchen Neiches und des deutjchen Kaifer- 
thums mit der Erbfrone von Sieilien. Wo befand fich jeitvem der 
Schwerpunkt des Reiches und wie ließ fich die erjte Krone der Welt mit 
allen ihren Traditionen und Vorrechten vereinigen mit einer päpftlichen 
Lehenkrone? 

Die Antwort war der größte und nachhaltigſte Conflict der älteren 
deutjchen Geſchichte. Dev gewaltige Kampf, den man mit dem Namen 
des Kampfes zwijchen dem Prieſterthum und dem Kaiſerthum bezeichnete, 
endete mit dem Untergange der dritten deutjchen Kaiferdynaftie, der 


— — 


ſtaufiſchen, die eine ſicilianiſche geworden war, mit dem vollſten Siege 
der Päpſte, mit dem Erlöſchen des Kaiſerthums, ſo daß es von dem Tode 
Kaiſer Friedrichs IL. 1250 bis zum Jahre 1312, volle 62 Jahre feinen 
Kaifer mehr gab und der Glaube allgemein wurde, es wiirde niemehr zu 
einem Kaijerthum kommen. Er endigte mit einer Umfehr der Dinge im 
deutſchen Reiche, die einer Auflöfung alles deſſen gleich fam, was feit dem 
zehnten Jahrhunderte gejchaffen worden war, gleichzeitig mit dem Aus: 
fterben alter. Fürftengefchlechter, der Zähringer, der Thüringer, der Baben- 
berger, der Merane und dem Emporfommen von Grafenhäufern an ihrer 
Stelle. Bei diefem Umfturze der Dinge wurde nur mit äußerjter Mühe in 
der zweiten Hälfte des XIII. Jahrhunderts der Ausrenfung des Neiches 
geftenert und wenigjtens die Einheit des Königthums durch Rudolf von 
Habsburg gerettet. 

In diefer Zeit begegnen wir einer Thatjache, die auch für unfere 
Tage unendlich Iehrreich geworden tft. 

Es war der von Böhmen, welches deutfche Könige und Kaiſer zu 
einem Königreiche erhoben hatten, ausgehende Verſuch, Oſtdeutſchland, 
Böhmen, Mähren, Dejterreih, Steyer, Kärnthen vom Neiche zu trennen, 
im Neichslande eine böhmifche Großmacht zu begründen und dadurch 
das Reich ſelbſt aufzurolfen, den Conflict, der bisher in Italien gewithet 
hatte, nad) dem Stammlande des deutschen Kaiſerthums, nad) Deutjchland 
jelbjt zu verpflanzen. 

Es war König Nudolfs größte That, daß er der Ausrenkung DO ft- 
deutſchlands ſteuerte, mit Gefahr feines Lebens Dttofar II. bekämpfte, 
ihn befiegte, den Often dem Neiche erhielt und das habsburgische Dejter- 
reich als Warte gegen Böhmen feinem Haufe zuwandte. Es ift unjagbar, 
welches Geſchick Deutſchland betroffen hätte, wäre der Ausgang der 
Schlacht von Dürnfrut ein entgegengejegter geweſen. 


Das Unglück Deutfchlands beftand aber nicht blos darin, daß gleich: 
zeitig mit dem Untergauge des ftaufischen Haujes die Macht des fran- 
zöfifchen Königthums fich zur erften im Abendlande erhob, eine franzöfiiche 
Secundogeniturlinie das Königreich Sicilien gewann und Anjtalten traf, 
auf Italien und die Päpſte einen dominivenden Einfluß auszuüben, das 
franzöfiihe Künigshaus von Sicilien auch die unter dem Königreiche 
Ungarn begriffenen Künigreiche und im XIV. Jahrhunderte jelbjt das 
Königreih Polen mit Ungarn vereinigte, jomit Deutſchland — das 
deutjche Reich — im Weften, Süden und Often von franzöſiſchem Befisthum 
umjchloffen war, jondern, daß gleichzeitig mit diefer halb Europa um— 


—— 


ſpannenden Veräuderung, dem Uebergewichte eines weitverzweigten roma— 
niſchen Königshauſes, in Deutſchland nach dem Ausſterben ſo vieler alter 
Fürſtenhäuſer und des Kaiſerhanſes ſelbſt, die neuen Häuſer und Grafeu— 
geſchlechter ſich zur Aufgabe ſtellten, einander gegenſeitig von dem König— 
thum auszuſchließen, und dieſes zur dynaſtiſchen Ausbeutung für ſich zu 
behaupten ſuchten. Das von Rudolf von Habsburg begonnene Werk der 
Wiederaufrichtuug des Reiches war nur halb gethan, ſo lange nicht 
auch das Kaiſerthum wieder hergeſtellt war und das Reich eine neue 
(vierte) Kaiſerdynaſtie erlangte. Das letztere verhinderte der Böhmenkönig 
Wenzel II., der einerſeits ſeine Stellung als erſter weltlicher Churfürſt 
dazu benützte, das Reich zu ſchwächen, andererſeits durch die Erwerbung 
Polens und Ungarns eine außerdeutſche Macht neben der im deutſchen 
Reiche wurzelnden zu erlangen ſtrebte. Hiedurch entſtand ein neuer Ab— 
ſchnitt in der deutſchen Reichsgeſchichte, eine Periode der inneren Kämpfe 
zwiſchen den bereits zu Herzogen von Oeſterreich erhobenen Grafen von 
Habsburg, den Grafen von Naſſau und von Luxemburg und den früheren 
Grafen von Wittelsbach, von welchen der eine Zweig Pfalzgrafen bei 
Rhein, der andere Herzoge von Ober- und Niederbaiern geworden war. 
Die Periode des blutigen Königſchisma, der Könige der Wahlſtatt, ſeit 1198 
ſchon eingebürgert, ja ſelbſt des Königsmordes, ſchien ſtändig zu werden, 
als Herzog Albrecht von Oeſterreich gegen K. Adolf von Naſſau auftrat, 
letzterer erſchlagen und der Sieger wohl als König anerfamıt, dann aber 
einhundert Jahre, nachdem Pfalzgraf Otto von Wittelsbach den jtanftschen 
König Philipp erjchlagen, meuchlings ermordet wurde, 1308. Beinahe 
gleichzeitig war der letzte premyslidische König von Böhmen ermordet 
worden und begannen nım die Streitigkeiten um diefes churfürftliche König: 
veich, defjen weitausgreifende Tendenzen die Nothwendigkeit erzeugt hatten, 
e3 auf das Innigſte mit dem deutjchen Neiche zu verfniipfen. Es war 
K. Albrechts Verdienft, nicht blos Böhmen für feinen Sohn 8. Rudolf; den 
erjten deutſchen König VBöhmens zu gewinnen, fondern auch von dem 
böhmischen Adel feſte Zuficherungen für feine Dynaftie zu erlangen, die 
ſich dadurch den Weg zur deutschen Krone bahnte. Aber diefe Zukunft ver: 
zog ſich, als K. Nudolf 1307 ftarb, der dechiſche Adel, der 1306 den König 
Wenzel hatte meucheln laſſen, feine großen Stipulationen brach, 8. Ru— 
dolfs Bater, 8. Albrecht J., ein Jahr nach ihm ftarb und nun Heinrich 
Herzog von Kärnthen, König von Böhmen wurde, Noch mehr, als durd) 
den Einfluß der Churfürjten von Mainz und Trier ein weitdeuticher Graf, 
Heinrich von Luremburg, vömijcher König wurde, dieſer feinem Sohne 
Johann die böhmifche Krone verlieh, König Heinrich der Kärnthner aus 


a 


Böhmen vertrieben, Johann eingefegt wurde und dann, was der erjte Ru— 
dolf nicht erreicht, K. Heinrich der Luxemburger die Wiederherjtellung des 
Kaiſerthums nach einer jo langen Vacanz durchjegte. Man konnte damals 
(1312) nach menjchlicher Vorausſicht mit mehr als Wahrfcheinlichkeit an- 
nehmen, daß das Neich jet eine vierte Dynastie erlange und wenn diefe 
auch nicht die alemanniſche dev Habsburger war, Teßtere vielmehr der beiden 
Kronen des Neiches und Böhmens zugleich verlujtig gingen, doch num eine 
wejtdeutjche, die im exjten Anlauf die beiden den Habsburgern entriffenen 
Kronen und die Kaiſerkrone dazu erlangte, berufen fei, emdlich die lang— 
vermißte Stetigfeit in die Neichsangelegenheiten zu bringen und namentlich 
das dentjche Königthum einer Barteiung zu entreißen, die Nationalinftitution 
geworden zu fein fchien. In diefem verhängnißvollen Momente ſtarb 
Kaiſer Heinrich, den wir den Siebenten nennen, 1313, und begamı der 
neue Königskampf zwijchen den wittelsbachijchen und habsburgifchen Better, 
Friedrich III. dem Schönen und Ludwig Herzog von Oberbaiern, der zu 
den ſchlimmſten Ereigniffen der deutjchen Gefchichte gehört, da er auf dem 
firchlichen Gebiete eine nicht geringere Verwirrung erzeugte al3 auf dem 
weltlihen. Ya er führte zulegt zu einer völligen Ohnmacht des deutjchen 
Kaiferthums, nachdem Ludwig der Baier durch die Tragifomödie feiner 
illuſoriſchen Kaiferkrönung sin Rom einen Principienfampf eröffnet hatte, 
deſſen Tragweite er jelbjt faum bemaß. Bald übermüthig und hochfahrend, 
bald kleinmüthig und verzagt, immer aber bemüht, jein Hausgut zu ver: 
größern und dadurch feinem improvijirten Kaiſerthum eine Stüße zu 
gewähren, die diefem feit den Tagen der Hohenjtaufen fehlte, nach Tivol 
und nacı Brandenburg wie nach Holland und Seeland ausgreifend, ſank 
unter ihm das Karferthum tiefer als je, jo daß P. Elemens VI. förmlich 
über dasjelbe hinweg wie zur Tagesordnung jchreiten Fonnte. Ward er im 
ungemefjenen Streben, das wittelsbachiſche Hausgut in das Unendliche zu 
vermehren, ein wilrdiger Vorgänger feines gewandten Gegners Karl von 
Mähren, Sohn K. Johanns von Böhmen, fo fuchte und fand diefer die 
Haupjtüge feiner Macht im Neiche, in welchem K. Ludwig ſich dauernde 
Feindfchaft bereitete, und als diefer bereits zu unmwürdiger Erniedrigung feine 
Zuflucht genommen, lief ihm exjt noch der böhmiſche Luxemburger in Avignon 
den Rang ab. Das Neich war des Baiern müde geworden, der avignoneſiſche 
Papſt drohte jelbjt auf dem Wege der Provijion iiber das erledigte König: 
thum zu verfügen, als ſich der Enfel des Wiederherjtellers des Kaiſer— 
thums, Karl, entjchloß, in Uebereinftimmung mit jeinem Vater die fchweren 
Bedingungen anzunehmen und jener apitulation ſich zu unterwerfen, 
unter welcher ihm fein früher Erzieher, B. Clemens VI., vorläufig das 


=, Be 


römische Königthun 1346 zuerkannte. Ein plöglicher Tod 11. Oct, 1347 
befreite Ludwig den Baiern von dem Schicjale Ottos IV., der vor feinem 
Gegner Friedrich II., „von Gottes und des apojtolischen Stuhles Gnaden 
König der Römer” entfliehend, im Dunkel geendet hatte, und das Reich vor 
langem Birgerfriege. E3 erhält an dem Enkel Kaiſer Heinrichs VII. einen 
König und 1355 einen Kaifer, der fi) mit vollem Nechte von des apo- 
ftolifchen Stuhles Gnaden jchreiben konnte. Tiefer war bisher das Neid) 
nicht gefunfen, tiefer konnte es nicht finfen, als in den letzten Fahren 
K. Ludwigs, in den erjten K. Karls IV. So waren die Anfänge jenes 
Karl, der der Wohlthäter Böhmens, der Begründer der nad) ihm genannten 
Univerfität geworden iſt, der Schöpfer eines Regierungsſyſtemes, welches, 
noch eine Generation mit Confequenz fortgeführt, es zwar nicht zur Ent: 
gliederung des deutjchen Reiches wie Ottokar II. gewollt, aber zur all- 
mähligen Vereinigung in einen böhmifchen Großftaat, zu einem Aufgehen 
Deutſchlands in Böhmen, zu einer ftaatlichen Einheit gebracht hätte. 
Der Zögling des Parifer Hofes, der Neffe eines Sohnes des gewalt- 
thätigen Königs Philipp IV. von Frankreich, der vor feinem Mittel 
zurücigebebt hatte, die Macht des Königthums zu vermehren und den 
ZTerritorialbeftand der franzöftichen Monarchie zu erweitern, hatte in Paris 
die Quelle der Macht, die Einheit der Gewalten, fennen gelernt, er war 
in allen Beziehungen ein gelehriger Schüler, der zu fchweigen und zu 
handeln, zu ertragen und feine Gefinnung zu verbergen wußte, und ftets 
feinen Vortheil erjah und wahrte. 

Der Grund feines Weſens war VBorficht, die ihn, nachdem er die 
oberjte Macht erlangt, lehrte, allen Conflicten aus dem Wege zu gehen, 
Geduld zu üben und von der Zufunft zu erwarten, was die Gegenwart 
nicht gewährte. Aber niemals verſchmähte er anzunehmen, was die leßtere 
ihm bot, und jelbjt ein entlegener Bejig war ihm genehm, da er in ihm 
den Ausgangspunft anderer Erwerbungen erblidte. Er hatte in feiner 
Jugend mit feinem Vater in Italien Territorien zu gewinnen gejucht; 
K. Johann, nicht ein fahrender Ritter, wenn auch ziemlich unftet, bejaß ein 
bedeutendes diplomatisches Talent. Er erlangte Schlejien, das er gleich 
Mähren zur böhmijchen Krone fügte, für feinen jüngeren Sohn gewann 
er Zirol, verwandtjchaftliche Beziehungen ficherten ihm die Freundjchaft der 
niederbaierifchen Herzoge, jo daß von den Grenzen von Polen an bis in 
die Lombardei ihm der Zuzug offen ftand. Sein Sohn fchritt auf diefem 
Pfade weiter. Während Cola di Nienzi feinen Kopf zum Pfande jegen 
wollte, daß die Päpſte feine Wiederheritellung des Kaiſerthums wollten, 
erlangte er die Kaiſerkrone doch. Er benüßte fie, feine Macht zu befejtigen 


— — 


und ein Reichsgrundgeſetz zu erlaſſen, das ganz ſeinen Stempel trägt. Es 
gibt wenig oder gar nichts Neues, wohl aber Normen, wo bisher ſchwan— 
fende Rechtsverhältniſſe waren, ordnet vor Allem die Königswahlen, um 
die Hauptpunfte der deutjchen Uebeljtände, die Streitigkeiten um die Krone 
zu befeitigen, die feit 150 Jahren unaufhörlich ftattgefunden; bejtimmte die 
Berechtigung der Wahlfürften, läßt diefen die erworbenen Nechte und fügt 
für die Zukunft hinzu, daß die Söhne der Churfürften tſchechiſch lernen 
jollten. Er ftellt nicht Prag als NReichshauptitadt auf, aber factijch wird 
fie, wie der Diejjenhofer jagt, was Rom war und Konftantinopel ift. Er 
erwirbt die Churmark Brandenburg und incorporirt fie der Krone Böhmen. 
Er gewinnt Territorien, um auf eigenem Gebiete zur Neichs- und Neichs- 
tagjtadt Nürnberg zu fommen. Es wäre vielleicht nicht zu ſchwer zu 
beweijen, daß er auc den Weg nach Frankfurt in ähnlicher Weije zu 
gewinnen trachtete; eine genaue Karte aller erworbenen Lehen wiirde 
Staunen erregen, wie weit in das Herz von Deutjchland fein Bejigthum 
reichte. Man hat darüber geftritten, ob er ein Deutjcher oder ein Slave 
war; bejjer wäre es vielleicht, um zur Wahrheit zu gelangen, die Frage 
zu formuliven, ob er mehr Tſcheche oder mehr Deutjcher war, und die Ant- 
wort dürfte lauten, er war ſtets was ihm zur Erreichung feiner Zwecke 
dienlich fchien, aber fein Herz hing an Böhmen. Hatte er den römifchen 
Stuhl widerwillig dahin gebracht, daß er dern doch zum Kaifer gekrönt 
wurde, jo brachte er ihn auch dazu, fich der Wahl feines Sohnes Wenzel 
zum römischen Künige nicht zu widerjegen. Der Kaifer rechnete auf eine 
Generation, in welcher das zur Neife komme, was er ſelbſt begründet, und 
die Ehurfürften, welche noch nicht zum Haufe Luxemburg gehörten, deren 
Länder noch nicht Böhmen incorporirt waren, tjchechifch jprächen, eine Kunſt 
oder gar eine Tugend, zu deren Uebung er ihnen wahrjcheinlich auf bisher 
deutjchem Boden Gelegenheit zu geben hoffte. Es lag nicht in der Eigen: 
thümlichfeit Karls, dem Zufälligen, Unberechenbaren, mehr zu überlaſſen, 
als unumgänglich) nothwendig war; er liebte es nicht, durch Ereignifie, 
welche er nicht vorhergejehen, überraſcht zu werden, und hatte deshalb alle 
Anftalten getroffen, daß das begonnene Werk auch nach feinem Tode nicht 
in Stoden gerathe. Er hatte jich nicht blos des römischen Stuhles ver: 
fichert, er hatte einen wefentlichen Antheil an der Rückkehr desjelben aus 
Avignon genommen. So befreundet er aud mit den Valois war, fo betrieb 
er doch die Befreiung der Päpfte von überwiegend franzöfiichem Einflube. 
Ihre Rückkehr nach) Rom verlich die Bürgjchaft einer jo nothwendig ge: 
wordenen umfaſſenden Neformation. Die erjtere erfolgte umd das große 
Bapftichisma begann. Gerade jegt erfolgte der Tod K. Karls 1378 und 


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hielt 8. Wenzel es nicht für nothwendig, nach Italien zu ziehen, die 
Kaiſerkrone zu erlangen, dem Beifpiele eines Deinvichs III. zu folgen, der 
dem Streite dreier Päpſte durch Erhebung eines Deutjchen ein Ende 
gemacht hatte (1047). 

Wir fehren zu der früher aufgeworfenen Frage zurüd. Bilder die 
Negierung Kaiſer Karls IV. das Ende eines großen Abjchnittes der deutjchen 
Staijergefchichte oder eröffnet jie eine nene Periode derjelben ? Die Antwort 
kann eigentlid) erjt dann volljtändig gegeben werden, wenn nachgewiefen worden 
ift, daß fein Kaiſerthum feine Fortfeßung fand; daß, was er unternahm, in 
Stoden gerieth, eher das Gegentheil von dem geſchah, was er beabjichtigte, 
als daß ſich eine nach Vollendung des umjichtig Begonnenen ringende 
Fortſetzung ergeben hätte. Sie wird nocd einfacher lauten, wenn fich zeigt, 
daß gerade die Auflöfung deſſen eintrat, was ex gejchaffen, er ſomit felbjt 
zum Denfzeichen einer mit ihm abgejchlofjenen Periode wurde, 

Es gehört zu den Geheimniſſen einer fittlichen Weltorduung, daß fich 
die ſchlimmen Eigenjchaften cher auf die Söhne vererben als die guten, und 
jelbjt der erworbene Belig nur dann ein jicheres Erbe ijt, wenn er mit 
gleicher Energie behauptet wird; die in der BVerjchievenheit des Beſitzes 
ltegende Ungerechtigkeit verlangt eine Ausgleichung. Sie liegt darin, daß 
der Sohn die Saat des Vaters frevelnd zertritt, wie daß er ernte, was 
unter den Händen der Uibermüthigen fich für Andere zur Giftjaat verfehrte. 

Auch K. Karl konnte feinem Sohne und Nachfolger die Beweglichkeit 
und Thatkraft nicht verleihen, die des jüngeren Sohnes Markgrafen Sigmunds 
Antheil wurde, und cbenfo wenig hindern, daß, wenn eine Andentung uns 
zu einem Schluße berechtigt, K. Wenzel einen leiſen Hang feines Vaters 
zur verderblichen Trunkſucht befaß und dann felbftändig ausbildet. Man 
bezeichnet K. Karl als rechten Durchechter der Chrijtenheit, ein jchwer 
zu erffärender Ausdrud, der vielleicht bezeichnet, daß man ihm auf allen 
Gebieten ſeine eigene Zwede verfolgend begegnete, ex niemals in der Verfolgung 
jeiner Pläne jtille ftand. Er ähnelte in diefer Beziehung dem zweiten habs: 
burgiichen Kaifer, Marimilian I. Während aber Legterer zu häufig und zu 
raſch von einem einmal gefaßten Plane abjpraug, verfolgte K. Karl das 
einmal ins Auge gefaßte Ziel mit aller Conſequenz und Beharrlichkeit. 
Es bleibt die fir ihn zeugende Thatfache, daß, wenn er das römiſche 
Königthum in nicht zu vechtfertigender Weije erlangte und das Kaiſerthum 
unter höchjt demilthigenden Bedingungen, die im Anfange feiner Regierung 
nod überwältigende Macht der Päpfte am Ende derjelben, freilich durch ſich 
jelbjt gebrodyen, da lag und die Gefahr einer allgemeinen Auflöfung der 
Dinge, des Zuſammenbruches der geſammten mittelalterlichen Ordnung wur 


u ER 


durch das Kaiſerthum, welches die Bäpfte jo oft gefchmälert, abgeweudet 
werden konnte. Die Nothwendigkeit eines fraftvollen, jeiner Aufgabe jelbit- 
bewußten Kaiſerthums trat am Ende feiner Tage entichiedener als je hervor; 
auch ein Triumph für ihn. Er konnte im Innern des Neiches die großen 
Gegenſätze zwijchen geiſtlichen und weltlichen Fürſten, zwijchen repu— 
blikaniſcher und erbfürſtlicher Ordnung, zwiſchen Reichsſtädten und 
Reichsfürſten nicht beſeitigen, wohl aber hindern, daß ſie nicht zum 
Untergange des Reiches aufeinander platzten und in heftigen unverſöhnlichen 
Barteifämpfen Fein gemeinſames Intereſſe mehr aufkommen Liegen. Er 
konnte mit kluger Hand den Kampf verjchiebeu; es war die Frage, ob ſich 
dadurch die Gegenfäge abjchliffen oder jchärften. Bor der Hand war das 
Mögliche erreicht. Dazu gejellte ſich aber noch eine andere Thatjache. 
Die Zeiten waren längjt vorbei, in welchen der zum Könige gewählte 
Herzog auf fein Herzogthum verzichtete und die dem Neiche anheingefallenen 
Lehen diejem wieder verlieh. K. Karl hatte Böhmen jo groß gemacht, und 
das Kaiſerthum war fortwährend jo arm geworden, daß man fich das 
Kaiſerthum ohne die materielle Grundlage des reichen Königreiches 
Böhmen nicht mehr denken konnte, wie e8 denn and) noch in viel jpäteren 
Zeiten als Sprichwort galt, die römiſche Krone gehört auf die böh- 
miſche. Kaiſer Karl hatte aber auch mit Enger Umficht dafür gejorgt, 
daß es fein deutjches Fürſtenhaus gab, welches dem nach dem Oſten ver: 
pflanzten luxemburgiſchen Katferhanje gefährlich werden Fonnte. Es gab 
überhaupt nur mehr ein Kaiſerhaus in Deutichland, das feine. Da 
das Kaiſerthum Ludwig des Baiern nicht blos vom römischen Stuhle nie 
anerkannt, jelbjt verworfen worden war, die eigenen Söhne Ludwigs 
aber ich von ihm als Kaiſer Iosjagten, konnte man von einem wittels- 
bachiſchen Kaijerhaufe nicht veden. Den älteren pfälzijchen Zweig hatte 
Karl IV. glei anfänglih auf feine Seite gezogen; ihm beftätigte er 
auch die Churwürde und damit das Neichsvicariat. Von einer Chur: 
wiirde Baierns, d. h. der Erben Ludwigs des Baiern, war Feine Rede 
und die nicht baierische, aber wittelsbachiiche der Mark Brandenburg wußte 
Karl durch geſchickte Unterhandlungen mit den unbedeutenden Chur: 
fürjten Otto von Wittelsbach für fein Haus zu gewimen Das habs— 
burgische Haus war wohl ein fünigliches, aber fein Faiferliches und hatte 
vor nicht langer Zeit erſt in jeiner Bewerbung um das Königtum Schiff: 
bruch gelitten. Es war das Klügjte, was die Habsburger, damals anf den 
Nang einer zweiten oder dritten Macht herabgedrückt, thun konnten, ſich 
zu jammeln, von unfruchtbaren Bewerbungen abzujtehen, den Zerritorial- 
befig durdy Kärnthen und Tirol zu vermehren, und wein es ſich Herzog 


Rudolf IV. beifommen ließ, ſich neue Ehren und Titel beizulegen, jo jorgte 
K. Karl dafür, daß diefe Ehren feines Schwiegerjohnes feinen Beſtand, 
feine praftiichen Folgen hatten. So lange das Haus Habsburg der dur: 
fürſtlichen Würde entbehrte — und woher follte es dieje erlangen ? — Böhmen 
aber die doppelte Chur Böhmen-Brandenburg und den großen Einfluß auf 
die Bejegung der geiftlichen Churfürjtenthümer bejaß, war das Haus König 
Rudolfs nicht blos überflügelt, e8 war auch für die Luremburger unges 
jährlich. In ähnlicher Weife verhielt es fich mit den übrigen Fürftenhäufern. 
Der Unterfchied zwilchen ihnen und dem Kaiſerhauſe war jo groß, wie er 
etwa nach dem Sturze der Welfen zwijchen dem ftaufischen Kaijerhauje 
und den übrigen deutſchen Fürftenhäufern war. 

Dazu gejellte ſich erſt noch die Stellung, die Karl in religiöjer Be— 
ziehung behauptete. Nicht blos durch prachtvolle Kirchenbauten, durch Be: 
gründung von Klöftern, wobei er auch böhmische Mönche nach Deutjchland 
vorſchob, fondern vor Allem durch Begründung des Prager Erzbisthums, 
wodurch er Böhmen auch in Eirchlicher Beziehung von Deutjchland ſelbſt— 
jtändig machte. Das Recht, den König von Böhmen zu Frönen, wurde dem 
Nachfolger des Hl. Bonifacius entzogen und dem Erzbifchofe von Prag 
zugewendet. Dasſelbe gefhah mit dem bisher geiibten Metropolitenverbande, 
jo daß die böhmifche Kirche von der deutfchen unabhängig wurde, was für 
jpätere Vorgänge gar nicht ohne Wichtigkeit war. Während die Univerjität 
mit ihren 4 Nationen, zwei deutjchen und zwei flavifchen, einen Vereini— 
gungspunkft zwiſchen der deutjchen und der flavischen Welt bilden jollte, 
wie Bologna und Paris Weltuniverfitäten geworden waren, follte jich in 
irchlicher Beziehung Böhmen von der übrigen Welt, von der deutjchen, 
mit der fie bisher ihren Fundamentalinftitutionen nach zufammenhing, aus: 
jcheiden und nur der Zufammenhang mit dem allgemeinen Mittelpunkt der 
hriftlichen Welt bleiben. Ob ihm Har geworden ift, welche Folgen bei feinem 
ohnehin der nationalen Ausſchließlichkeit und der Ueberjpanntheit geneigten 
Volke leicht entjtehen konnten, entjtehen mußten, wenn es auch noch eine 
böhmifche Kirche gab, die er aber denn doch nicht in Ähnlicher Weiſe ſchützte, 
wie die deutſche gejchügt war, durch Verfaſſung und Recht, jo daß ein 
Angriff auf ihren Befigjtand als ein Angriff auf die gefammte Neichsver- 
fafjung angefehen wurde?! Ihr war das Wahlrecht gefichert, während 
die böhmifche Kirche weder das Recht der Standihaft für ihre Oberhäupter 
erlangte, noch fiir ihren Bejigftand ein anderes Necht als das fünigliche, das 
je nach dem rechtlichen oder minder rechtlichen Sinne der Könige auch einer 
mehrfachen Deutung fähig war. Der Churfürjt von Mainz war als Reichs: 
fürft unabhängig von dem Katfer, der nur indirect einen Einfluß auf feine 


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Wahl erlangen konnte. Der Erzbichof von Prag wurde vom Könige ernannt 
und fein Befisthum galt als königliches. Es lag in dem kirchlichen Ver— 
halten Karls etwas ſtark Byzantinijches. Er liebte auch durchaus nicht eine 
Theilung der Gewalten mehr, als unbedingt nothwendig war, und während 
er in Nürnberg und der weftlichen Reichsſtadt Met die goldene Bulle 
verkünden Tieß, fand er wohl Luft und Zeit, für das Königreich Böhmen 
eine ähnliche Urkunde auszuftellen, die den König jelbft vor Gewaltjam- 
feiten, fein Reich vor inneren Unruhen, vor wilden Ausbrüchen der Selbit- 
hilfe, vor Leidenschaft, Willkür und Brutalität jchüßen follte, aber feine 
Macht fand hier ſehr bedenkliche Grenzen. Mit aller Energie und dem 
ganzen Aufgebote verfügbarer Mittel drang er in einem der mwejentlichjten 
Punkte doch nicht durch. Es beruhte zulegt denn doch Alles darauf, daß in 
dem Geifte fortregiert wurde, den Karl IV. bethätigte, wir würden jagen, 
auf dem perjünlichen Negime, das jehr leicht in das Entgegengejegte von 
dem, was der Vater wollte, umfchlug, wenn der Sohn jene vortrefflichen 
Eigenjchaften nicht beſaß, die der Vater bei Gelegenheit der Wahl Wenzels 
zum römiſchen Könige in ihm erblidte und zum Behufe derjelben rühmend 
hervorhob. Was aber dann, wenn das ftille ftand, was Karl begonnen, aber 
jelbjt nicht zu Ende führen fonnte? So ftand denn bei Karla IV, Tode die 
Thatſache feit, daß er das Kaifertfum wieder aufgerichtet hatte, ob das 
deutjche war die Frage, das Inremburgifche ohne Zweifel. Stärker als 
je jeit den Tagen Ottofars IL. trat das flavifche Element im Reiche hervor; 
e8 hatte weniger eine gefegliche, als eine dominirende Stellung erlangt und 
rief dadurch iiber kurz oder lang auch den deutſchen Antagonismus hervor. 
Es kam Alles auf feinen Nachfolger au, ob man Karl als den das alte 
Kaiſerthum abjchliegenden Fürften zu betrachten hatte und jein Grab nicht 
der Ausgangspunkt eines neuen Conflictes, eines Nationalitätenhaders in 
deutjchen Weiche werde, den man bis dahin gar nicht kannte und der eine 
Gewalt, einen Umfang zu erlangen vermochte, welcher den durch Karls IV. 
Nachgiebigkeit zu Ende gebrachten Streit zwifchen dem sacerdotium und 
dem regnum, wenn nicht an Dauer doch an Gehäfligkeit, überragen konnte. 
Und daß er diejen legten Streit, den Ludwig der Baier auf's Neue ent- 
zündet, zu Ende getragen, bleibt für Karl fein geringes Verdienſt, wenn 
wir auch die Art, wie er es that, nicht der Ehre und Würde eines römischen 
Königs für angemeffen erachten, noch fie billigen können. Das Verdienſt 
bleibt jelbjt ungefchmälert, wenn an Karls Schöpfungen ſich ein neuer und 
für das Reich wie die Kirche nicht minder gefährlicher Streit anknüpfen 
jollte. Wir haben aber, um das Nachfolgende in das richtige Licht zu 
jtellen, der geiftigen Bewegungen in den Tagen Karls und feines Verhält- 


niſſes zu ihnen noch etwas genauer zu gedenken, wobei ich aufmerkſam 
machen muß, daß Geiſtig und Geiſtlich in jenen Tagen meiſt zufam- 
menfielen und nur langſam fi) eine Scheidung beider Gebiete vollzog. 
Die gewaltigen Stürme, welche unter Ludwig dent Baiern nicht ohne fein 
Zuthun entfefjelt worden waren, verhalten in Deutſchland zum großen 
Theile, che der Gegier Karls im Walde von Fürſtenfeldbruck 11. October 
1347 das Biel feines iwwdiichen Lebens gefunden. Die Männer, welche 
nicht gezögert hatten, um der Armuth Chrijti willen, als wäre dieje der 
Inbegriff der chriftlichen Lehre, im dritten Jahrzehente des XIV. Jahr— 
hundertes die geistige Welt in Bewegung zu fegen und einen Streit zu 
erregen, der Papſtthum und Kaiſerthum aus ihren Yundamenten zu 
heben drohte, hatten zum großen Theile ftill und unſcheinbar geendet. 
Ihr Führer, der frühere Generalminifter des Minoriten » Ordens, Bruder 
Michael von Eejena, der das Beijpiel des Abfalles gegeben, hatte auch 
das der Unterwerfung gegeben, als ex feinen Frieden mit der Kirche 
machend, die bedentendite That jeines Lebens als den größten Irrthum 
bezeichnete, und dadurch den Triumph des avignoniſchen Papſtthums nicht 
wenig erhöht. Die Unterwerfung der Führer und -Häupter Tieß vollends 
die jtarre Oppofition der andern, die fort und fort am Sabe feithielten, 
P. Johann XXII., welcher ihren Anſchauungen entgegen getreten, jei ein 
Häretifer, als nicht zu duldenden Trog als eine Unbotmäßigfeit erjcheinen, 
die gebrochen werden müſſe. Nicht blos Bruder Franz von Archita (Archata), der 
auf Erden nichts beſaß, nicht einmal den Rod den er trug — ſein nannte, 
und anf dem Dolzjtoge noch behauptete, jowenig als Johann XXII. ſeien 
auch dejjen Nachfolger Benedikt XII, Clemens VI., Innocenz VI. vechtmäßige 
Päpſte, endigte in den Flammen ſein Leben, jondern auc gar manche 
andere, die auf ihre perjünliche Meinung gejtüßt die Berechtiguug der 
übrigen chriftlichen Welt leugneten. Mit dem ſummariſchen Brocejje, welcher 
jrgt namentlich in der Provence auffam und nach einem dem romäiſchen 
Reiche entlehnten Verfahren das abendländiiche Europa mit einem eigen: 
thümlichen Facdeljcheine beleuchtete, bis endlich die nachfolgenden veligiöjen 
. Bürgerfriege 08 in eine große Lohe einzuhüllen drohten, war im Ganzen 
wenig geholfen. Das Zeitalter ward dadurch weder gebejjert noch auf: 
geklärt, wohl aber blicb wie im Allgemeinen der Hang nad) Nomantijchem 
md Anßerordentlichen, nach einem unmittelbaren Eontacte mit dem Ueber: 
jünglichen überwiegend, wie eine Neigung zur Unklarheit, zur willkürlichen Con— 
ſtrnirung der Profan- und Heiligengefchichte, zu Prophezeihungen und Ver— 
fündigung eines nahebevorſtehenden Wehes, wobei jelbjt 8. Karl nicht von 
der Nolle des Antichrijts verjchont blieb, mit der ihn der Schwärmer Milte, 


> Mer 


der charafteriftiiche Feind allgemeiner Studien, beehrte. Steht nun K. Karls 
32jährige Negierung als die Periode da, im welcher die großen Erjchüt- 
terungen der unmittelbar vorausgegangenen ji) verzogen und eine viel- 
leicht aus der Erſchöpfung hervorgegangene Beruhigung fich bemerkbar 
machte, ein Bedürfniß nach Ruhe und Ordnung, jo kommt ihr doch nicht 
blos der Charakter einer Reſtaurations-Periode zu. Gerade in diejer Zeit 
ijt eine allgemeine Erhebung der ſlaviſchen Nationalität bemerkbar. 
Bon Kleinpolen und Krakau ausgehend erwarb Caſimir der Große, Groß: 
und Kleinpolen vereinigend, die Piaftenerbichaft Nothrußland und Wla- 
dimir und legte dadurch felbft ven Grund zu einer ganz neuen politischen 
Combination, der Bildung eines großen lateinischen Dftreiches durch 
Vereinigung Polens und Ungarns. Auf anderer Grundlage, der des orien- 
taliſchen Schismas begrimndete Stefan Dufchan, mit welchen fich Karl 
durch jlavisches Blut verbinden erklärt, 1354, das ſerbiſche jchismatifche 
Kaiferthum, dem das gleichfalls ſchismatiſche Kaiſerthum der Bulgaren 
nicht ohne Anlehnung an die, an der Nordküſte des Schwarzen Meeres 
begründete Zatarenherrichaft zur Seite fteht, beide ihre Spige vor Allem 
dem romäiſchen Neiche der Paläologen zufehrend. Mochten die deutjchen 
Fürften in ihrer Indolenz und immer unter ſich hadernd, die Gefahr, welche 
aus diefem Uebergewichte der Slaven der germanischen Welt drohte, fo 
wenig oder noch weniger erkennen als e8 heutigen Tages der Fall ift, 
K. Karl hatte ein jehr Tebendiges Gefühl fir das Slaventhun, dem er 
jeiner Mutter nach, einer Enkelin Ottokars Il, angehörte und zögerte auch 
wicht, wie er durch die Lanfig, Schleften und Mähren ein Großböhmen 
gewonnen, das jlavische Intereſſe vor Allem auf dem ficchlichen Gebiete in 
den Vordergrund zu jehieben, mit vichtigem Gefühle bemejjend, daß, wenn es 
nur einmal hier Ducchgedrungen, das Uebrige jich von jelbjt ergeben werde. 

K. Friedrich Barbarofja hatte einft aus dem Bilchofe von Prag einen 
deutſchen Keichsbifchof gemacht ud dem Herzoge von Böhmen einen Reichs: 
fürjten gegenüber geftellt, jeine Macht zu fchmälern, die des deutſchen 
NeichSoberhauptes zu erweitern. Davon war jegt nicht mehr im Entfernteften die 
Nede. Als Karl entjchloffen war, die böhmijche Kirche von ihrem bisherigen 
Berbande mit der Metropolie des heiligen Bonifacius zu trennen, wurde 
das Firchliche Intereſſe mit dem flavischen verbrämt in den Vordergrund 
gejchoben. ES wurde von den Bisthimern Prag und Olmütz zugleich be- 
merkt, fie lägen 12 Tagereifen von Mainz entfernt, die Einwohner ſprächen 
Havisch, was den andern Bewohnern der Mainzer Kirchenprovinz unver- 
jtändlih jei. Der Weg nach Mainz ſei durch Straßenräuber, Wälder 
und Berge zu gefährlich, daß die kirchliche Vifitation dur den Mainzer 


— | 


Erzbifchof nur einmal zu gejchehen pflege. Die beiden Didcefen Prag und 
Olmütz feien zu ausgedehnt, weshalb nichts anderes übrig bleibe, als fie von 
Mainz zu trennen und Brag zur Metropole zu erheben. Es ift bier nicht 
nothwendig auszuführen, wie vortrefflich der Zeitpunkt gewählt war, da 
Erzbifchof Heinrih von Mainz als Anhänger Ludwig des Baiern gebannt 
und abgejegt war. Der Churerzfanzler des deutjchen Neiches, der 
Churfürft von Mainz verlor das ihm bisher zuerfannte und ausgeübte 
Necht, den König von Böhmen zu frönen an den Primas dieſes Königreiches, 
der nicht blos Olmütz und Leitomifchl zu Sufraganen erhielt, fondern auch 
2 deutjche, zur Befehrung der Slaven von deutjchen Kaifern gegründete 
Bisthümer Bamberg und Meißen wurden gewifjermaßen dem neuen Primas 
untergejtellt und jomit in die deutjche Kirchenordnung ein gar nicht unwe— 
jentlicher Rif gebracht. Da Karl ermittelte, daß der Lateinische Kirchenvater 
Hieronymus bereits im fünften Jahrhunderte das Evangelium aus dem 
Hebräifchen in das Lateinische und in das Slavifche überjegte, wurde den 
Mönchen zu Emaus in Prag geftattet, den Gottesdienft in ſlaviſcher Sprache 
zu halten, aus welcher das tichechifche hervorgegangen fei. Die neue Metropole 
erhielt allmälig ein Jerufalem, ein Emaus, ein Bethlehem, die Corpus- 
Christi-Kivche, in welcher jährlich dem Volke der reiche Neliquienjchag 
aus aller Herren Ländern und wie Karl glaubte, bis auf Mojis Zeiten 
hinaufveichend, ſomit höchſt zweifelhafter Echtheit, gezeigt wurden, Nur 
langjam erwachte aber das Andenken an die fogenannten Slavenapoftel 
Eyrill und Methud, von deren Wirkfamkeit in Böhmen das biſchöfliche 
Officium der Prager Kirche nihts wußte und nur die jpäteren 
Legenden in den Sammlungen der Leben der Heiligen berichteten, daß 
Methud am Hofe des Mährenfürften den tſchechiſchen Herzog Botimoj ge- 
tauft und bei diefer Gelegenheit die jegt eingetvetene Größe Böhmens vor: 
hergeſagt habe! Die Erinnerung an die deutjchen Biſchöfe von Regensburg, 
die das Chriſtenthum in Böhmen begründet, an den bl. Wolfgang, der zur 
Begründung des Prager Bisthum die Hand gereicht, Icbte no im Dome 
fort, die erzbiſchöfliche Würde aber fam bis auf den unmirdigen Weit: 
falen Konrad, eine Creatur 8. Wenzels, nur Tichehen zu. Die Einrichtung 
jelbft aber verging jchon im der nächjtfolgenden Generation, als die Hu- 
jiten die Aufgabe fich zuerfannten, Böhmen vom ausjchließlich ſlaviſchen 
Standpunkte aus neu zugeftalten, man könnte jagen, Karl in ihrer Weije 
ablöften. 

Das war mun Karls Abficht gewiß nicht. Aber bald fürdernd, bald 
hemmend, mit den Wogen fämpfend und wieder von ihnen getragen, ſchuf er 
bewußt oder unbewußt aus den Elementen feiner Regierung eine neue Zeit und 


PER, \, RES 


arbeitete er jelbft den Männern der Zerjtörung in die Hände. Wenn er gleich 
anfänglich jene Anftalten traf, die das deutſche Reich auf Koften des ſlaviſchen 
Momentes jchädigten, jo fallen ſie in die Periode feines Antagonismus 
gegen K. Ludwig, dem er nie vergaß, daß durch feine Bemühungen das Haus 
Luxemburg den Schlüfjel zu Ftalien, Tirol, verloren hatte. Ihm konnte 
der unfelige Hang der Tſchechen, jich gegen Alles, was Ausland ift, abzu- 
ſchließen und in erträumter Selbjtgenügjamfeit zu verharren, nicht unbe- 
kannt fein. Er fuchte ihn zu brechen, ihren Gefichtsfreis zu erweitern; er 
trug nicht blos aus Deutjchland, Frankreich, Italien, was er fonnte, zu— 
fammen, um Böhmen zu ſchmücken, fondern auch um dieſe bejchränfte 
Ausjchlieglichkeit zu brechen, die jchon aus Unkenntniß anderer Zujtände 
eine ungemejjene Selbjtüberihäßung hervorzubringen geeignet war. Der 
Kaiſer konnte ſich gar nicht der Thatjache verfchließen, daß, wie die Dinge 
damals Tagen, die flavifche Welt im Aufgange, die deutfche im Niedergange 
begriffen war. Er pflegte Enthujiaften wie Francesco Petrarca die ganze 
Nüchternheit eines Verſtandsmenſchen entgegenzuftellen und beantwortete 
die Hinweifung auf die antike Herrlichkeit des Kaiſerthums mit der auf 
die Gegenwart, ald es eine Art von Ungeheuer (bellua) geworden war. 
So ſehr er eine Reform betrieb, jo jehr war er aud mit den Schwierig- 
feiten derjelben vertraut. Wenn in der Periode unferer großen Umwälzung 
es jchlimme Sitte geworden war, mehrere Bisthümer in Eine Hand zu 
vereinigen ‚und mehr an die Vermehrung der Macht und des Genußes 
als an die Pflicht zu denken, jo war es jegt Sitte geworden, fich von 
einem Bisthume zum anderen verfegen zu laſſen, und das weniger einträg- 
lihe mit dem einträglicheren vertaufchend, eine neue Art von Wander: 
biſchöfen zu bilden. Die große Frage über das Verhältniß des Kaiſer— 
thums zum Bapjtthume, die von Heinrich IV. au bis zum Tode Kaijer 
Friedrich II. die abendländische Welt bewegt hatte und jehr zur Unzeit von 
Ludwig dem Baiern wieder aufgefriicht worden war, hatte fich nicht blos 
in die Frage umgewandelt, ob der Elerus zum weltlichen und damit 
zum jtandesrechtlichen Bejigthum berechtigt jei, jondern ob überhaupt es 
mit den Anfchauungen chrijtlicher Vollkommenheit ibereinftimme, einen 
Beſitz zu haben. Die Päpſte hatten jich gegen die Eiferer, zu welchen 
bejonders die aus dem Franziskanerorden hervorgegangenen Fratricellen 
gehörten, erklärt und dadurch verhindert, daß nicht Erwerb und Befigjtand, 
Handel und Wandel außerhalb der chriftlichen Entwicklung gejtellt wurden, 
wenn auch die böhmischen Provinztaleoncilien noch immer ein Gelddarlehen 
auf Zinſen als unrechtmäßigen Wucher bezeichneten. Die von den Fratri: 


cellen ausgehende Bewegung. in Betreff der Armuth Chrifti concentrirte 
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 1. Heft. 2 


a. I 


fi) damals in England, das als päpftlicher Lehenftaat den Lehenszins 
leiften follte, und fand an den genialen Zeitgenoſſen Karls IV., John 
of Wichif, einen neuen Vertreter, der unermüdet zu einem Kampfe auf 
allen Gebieten daraus Waffen ſchmiedete. Bald erhoben ſich von allen 
Seiten die Hände gegen den geiftlichen Bejiß, der den weltlihen an Aus: 
dehnung vielfach überragte, und der große Kampf, welcher jo lange zwiſchen 
Kaiſer und Päpſten, Königen und Biſchöfen über gegenfeitige Rechte 
hin und her gewogt hatte, bildete fich, nad) den niederen Regionen hinab: 
fifernd, allmälig zur jocialen Frage aus, die das XIV. Jahrh. mehr 
und mehr erfüllte, und wenn fie nicht mit der gehörigen Klugheit und 
Umficht behandelt und gelöft wurde, leicht zu einer Nevolution führen. 
founte, an die ſich dann alle anderen Mipftände lavinenartig anfchlofjen. 
Man wollte in Ktalien nichts mehr von einer geiftlichen Herrſchaft wiſſen, 
und obwohl erſt kurz vorher ein Visconti Erzbifchof von Mailand einen 
norditaliichen Kirchenſtaat begründen zu wollen jchien, machte ſich nachher 
gerade in Mailand durch die Viscontt das Princip ausjchlieplicher welt- 
licher Herrſchaft und des vollen Uibergewichtes derjelben über das geijtliche 
Element mit der brutalften Nücfichtslofigkeit geltend. Das deutjche Neich aber 
wahrte nicht blos feinen Charakter eines halb geiftlihen und Halb 
weltlichen Reiches, jondern die Grabmäler der Ehurfürften und Erzbiſchöfe 
von Mainz zeigen noch der Gegenwart ſymboliſch, wie der große Streit 
zwifchen Kaifer und Papſt eigentlich zu Gunſten des deutſchen Epis- 
copates geendet und der eine Erzbijchof von Mainz zweimal die deutjche 
Königskrone (an Heinrich von Thüringen und Wilhelm von Holland) vergab, 
der andere felbft über drei Kronen verfügte zu Gunften 8. Heinrichs VIL, 

Johauns von Böhmen, Karls Vater, und Ludwigs des Baiern, während 
das Grabmal B. Clemens VI. hätte zeigen können, wie diefer, die Krone 
des Reiches Ludwig entziehend, fie mit „nenen und ungewöhnlichen 
Eiden” Karl von Mähren verlichen! Die Dinge mußten ſehr behutfam 
angegriffen werden; wurde aber die brennende Frage des Jahrhundertes 
nicht bei Zeiten und mit umfichtiger Hand gelöft, jo lauerte in ihrem 
Hintergennde in Form einer gewaltfamen Säcularifation die dann Alles 
umfaſſende joriale Nevolution. Die bitteren Klagen der Eapitel von 
Mainz, Köln, Magdeburg über das gewaltthätige Benehmen des Adels 
und der Städte gegen geiftlichen Befig 1359; die Klagen der Weltlichen 
gegen die Uebergriffe der Getjtlichen in das vein weltliche Gebiet des Be— 
fies, über ihre großen Eremtionen und Anfprüche in Betreff der weltlichen 
Güter; Karls Beftrebungen gegen offene Frievensbrecher mit Acht und 
Aberacht einzutreten, beweijen Hinlänglich, welche Veränderung ſich im 


— — 


Stillen vorbereitete. Der Kaiſer, ein perſönlich frommer Mann, und wie 
fi) an der Erhebung des ausgezeichneten Ernft von Pardubig zum erjten 
Erzbifchofe von Prag und feines nächſten Nachfolgers Johann Difo von 
Wlaſchim (1364—1330) zeigte, vor Allem der Begründung einer fejten 
jittlichen Ordnung der Dinge zugethan, erfaunte jehr wohl den Grund der 
Uebelftände und befrug, als der Papjt den Erzbiichof Gerlach von Mainz 
mit ihrer Hebung beauftragt hatte, diefer die Laieneinmiſchung in die fird)- 
liche Reformfrage eher zu befeitigen als zu fürdern Luſt zeigte, welche 
Sagung der Kirche den Geijtlichen gejtatte, ſich wie Nitter zu Heiden, zu 
tragen, zu leben? Er forderte den Erzbiſchof und Churerzkanzler auf, mit 
aller Strenge, mit Kicchenbann uud Pfründenentzichung gegen die unrecht 
lebenden einzufchreiten und fie zur Erfüllung ihrer Pflicht zu nöthigen. 
Er jandte aus gleichen oder ähnlichen Gründen den Dechanten Wilhelm 
von Wißehrad nach Avignon zu P. Innocenz VI. und duldete rubig, 
daß Erzbischof Gerlach allmälig feine frühere Freundichaft in das Eut- 
gegengejegte verkehrte. Der große Beichüger des Clerus — protector 
cleri, wie man Karl nannte, widerjegte fi) der Einſammlung des deut- 
ſchen Zehenten für die päpftliche Kammer. Als der Herzog von Schweidnig 
in Avignon verklagt, dahin citirt wurde, ließ Karl erſt durch den Erzbiſchof 
von Magdeburg dagegen Borjtellungen machen, jchrieb dann felbjt an das 
Eardinalscollegium, es handle ſich bier um eine weltliche Sache, das Ver— 
fahren der Eurie jchmälere die Gerechtjane und die Freiheit des Reiches. 
Der Herzog jet ein ausgezeichnetes Glied des Neihes — was er jtet3 
aud) für Böhmen anerkannte — und alle deutjchen Firften würden in dem, 
was dem Herzoge begegue, ihr eigenes Schicjal erbliden; er verjichert in 
gleicher Angelegenheit auch dea Bischof von Breslau, er werde mit Unterjtügung 
der Fürjten des Reiches und des Königreichs Böhmen der Schmälerung 
faiferlicher Ehre und der Neichsfreiheiten entgegentreten. Er dulde nicht, 
daß Bischöfe Laien in weltlichen Dingen vor ihr Eonjiftorium citirten. Es war 
für die Zeit bezeichnend, dal P. Junocenz den Neformationseifer 8. Karls 
belobte, aber nicht die Mittel, die diefer zu ergreifen gedachte, die Nefor- 
mation der Kirche als jeine eigene Aufgabe bezeichnete und diefe — als 
fie der Papſt dem deutjchen Erzbiſchofe von Mainz übertragen, der als 
Kanzler des Reiches in taufend weltliche Händel verwidelt war, gerade 
durch das Mittel in Stoden Fam, durch welches der Papit fie ins Werf 
zu jeßen hofite. 

Es ijt nicht erlaubt, wenn das Streben nad) einer Reformation das 
Gemeingut der Beiten einer Zeit geworden ift, dasjelbe nur einzelnen Per- 
Jönlichkeiten zuzuerfennen, die jchlechte Sitten rügten. Kaiſerthum und Papit- 

* 


— 22 — 


thum, Kicche und deutjches Reich, die Verfaffung der einen und die des andern 
hingen eben jo innig zufammen, daß die Herftellung eines Rechtszuftandes 
im Reiche auf dem Wege blos weltlicher Gejeggebung unerreichbar und eine 
Reform der deutichen Kirche ohne eine wefentliche Veränderung der Reichs: 
verfafjung undenkbar war und das galt nicht blog von dem XIV. Fahrhnuderte, 
fondern von dem XV. und XVL, jo gut wie von jenem. Mean erwartete 
von der Rückkehr dev Päpſte nach Rom eine umfajjende Reformation. Es 
war das Unglück jener Tage, daß fie ausblieb. Man hoffte auf eine 
Neform der deutjchen Kirche. Immer mehr jchloß fich das deutſche Epis- 
copat gegen den Unadeligen ab, wurde e8 nur einem abgejchlojfenen Kreije 
von Fürften- oder Adelsfamilien zugänglich, bewirkte der Streit der Bijchöfe 
mit der Reichsſtadt, die ihre bifchöfliche Nefidenz war, daß ſelbſt die Au— 
gehörigen der feßteren vom Episcopate ausgefchlojfen wurden. Der Kaijer 
fonnte über die goldene Bulle hinaus die deutſche Kirche nicht veformiren, 
der Papſt die Neform der Kirche nicht unternehmen, ehe nicht er ſelbſt am 
Site feiner bifchöflichen Kirche feine Wohnung wieder anfgejchlagen und 
dann begann jtatt der Neformbewegung von Dben das Schisma der 
Päpite, das den niederen Ordnungen den Freibrief gewährte, auf eigene 
Fauſt firchliche Reformen zu inprovijiren, gegen die Höheren zu donnern 
und jich jelbjt jede Umbotmäßigfeit zu geftatten. 

E3 kam zu den vielen eigenthümlichen Bewegungen der Zeit durch 
die Gründung der Prager Univerjität eine neue höchjt folgenreiche hinzu. 
Die geniale That glich jelbjt dem Ei des Columbus; als fie gejchehen war, 
fehlte es nicht an Fürſten, die ſich beeiferten den 12 Tagereiſen von Mainz 
gegebenen Impuls jelbjtändig fortzuführen. Aber nicht blos darin lag 
die tiefe Bedeutung der That des Jahres 1348, daß fie, nachdem die 
Romanen mit Paris und Bologna und jo vielen anderen Univerjitäten 
vorangegangen, den beiden Hauptnationen Mitteleuropas, Deutſchen und 
Slaven, freien Spielraum zu ihrer geiftigen Entwicklung bot, zugleich eine 
Brücde vom flavifchen Königreiche nach Deutjchland bildete und das König: 
reich, wie Karl hoffen mochte, für immer mit legterem verband. Gewiß 
hoffte auch Karl auf jene großen und bleibenden Vortheile, weld) die Haupt: 
Itadt durch den Zufammenfluß einer neuen, vorzugsweife aus Deutſchen 
bejtehenden literarischen Bevölkerung ziehen mochte, vor Allem auf Förderung 
eines großen geijtigen Lebens, das einer tüchtigen Schule bedurfte, um auf 
die von fo vielen Tendenzen durchzogenen Zeit einen ginjtigen Einfluß zu 
erlangen, Nicht umfonjt gab er fid) bei der Berufung der Univerfitätsichrer 
jo große Mühe, tüchtige Perfonen zu gewinnen; nicht ohne Grund ftiftete 
er 4 Facultäten, Denn wenn auch felbjtverjtändlic) die theologische das 


3: se 


Uebergewicht haben jollte, diefe aber jelbft des Durchganges durch die 
Artiftenfacultät bedurfte, jo jollten doch Yurisprudenz und Medicin nicht 
minder vertreten und die Univerjität fomit der Mittelpunft aller zum 
Lehren und Lernen berufenen Facultäten fein. Dadurch ergab fich auch 
von jelbft als weitere Entwidlung, daß, wenn”bis dahin Wiſſenſchaft und 
Gelehrſamkeit faft das ausſchließliche Monopol des Clerus gemejen 
und darin das Geheimniß feiner Allmacht zu juchen war, mit der Zeit 
dasjelbe jchwinde, die Wiljenjchaft ohne Unterfchied des Standes denen 
gehöre, die ihr dienten und jo eine Veränderung fich vollziehe, die unab— 
jehbar, an und für fich, das ganze bisherige Verhältniß zu verrüden im 
Stande war. Ob er aud von der Nothwendigfeit der Wirkung nach einer 
anderen Seite überzeugt war? Man wird der bisher herrjchenden Methode, 
der Scholaftif, zu ihrem Ruhme nachjagen dirfen, daß fie den Geift logiſch 
ichulte und das Denken zwang, fich an beftimmte für alle Nationen 
gleiche Gejege zu halten. Für Niemanden war diejes nothwendiger als 
für die ſlaviſche Nation, bei welder die Phantajie überwiegt und die - 
Neigung zum ruhigen Karen Denken von der auszujchweifen, ſich in Ueber- 
treibungen zu gefallen, das Ertravagante zu begehren und mit Ungejtiim 
zu erjtreben, dann aber das mühjam Errungene für Nichts zu achten 
jo lange etwas noc zu erjtreben jcheint, beherrjcht wird. Die deutjche 
Literatur hatte ihren Höhepunft bereitS erreicht, die tichechijche, deren 
hochgepriefene Denfmale jegt erſt kritiſch feftgeftellt werden müſſen, erſt 
begonnen. Die Scholaftit ſelbſt war von Seite der Deutjchen durch 
Albertus magnus ruhmvoll vertreten worden, der bedeutendfte deutjche 
Myſtiker Eckhart hatte auch in Böhmen, wie natürlich in deutschen Klöjtern 
gewirkt, und das Magdeburger, das deutſche Recht in Böhmen wie in 
Polen Eingang gefunden. Wo es in flavifchen Städten ein freies autonomes 
Bürgerthum gab, war es ein deutjches, wo es freie Bauern gab, waren es 
deutſche. Das Zufammenleben mit den Deutjchen mußte allmälig bemerkbar 
machen, daß der jprachliche Unterjchied, der beide Völker von Natur aus 
jchied, fo groß er an und für ſich war, doch der geringere war, aber alle 
Rechtsauſchauungen, die bei den Deutjchen aus dem Brivatrechte hervor- 
gegangen waren und das Eigenthum des Einzelnen mit jtrengen Strafen 
ſchützten, waren anders, anders die Lebeusgewohnheiten, die Sitten, die ganze 
Bergangenheit. Es gab mit Ausnahme der kirchlichen Gemeinschaft nur wenig 
vereinigende, dejto mehr aber trennende Elemente, und es muß auch als ein 
großes Meiſterſtück der Politik K. Karls angejehen werden, wenn er den 
fühnen Verſuch machte, durch eine wiljenjchaftliche Inſtitution, durch gleiche 
literarische Anforderungen an die Angehörigen zweier jo verjchiedener Völker 


u —— 


fie zur Erlangung eines höheren Zieles geistig zu vereinen. Bereits Fonnte 
man zwei jehr verjchievene Richtungen bemerken. Will man durchaus den 
Deutſchen Conrad Waldhaufer, den Auguftinermönd) und Geguer der Vettel: 
mönche, weil er unbarmberzig den Geiz und Hochmuth der höheren Stände 
rügte, al$ Vertreter der reformatorischen Richtung annehmen, jo darf man 
aber weder Milie von Kremfter noch Mathias von Janov ihm beigefellen, 
die den Stempel flavifcher Myſtik und Ueberichwenglichkeit-nur zu ſehr an 
fich tragen; wohl aber muß in den Vordergrund der evangeliiche Prediger 
Johann, ein Deutjcher und Prediger der Deutjchen zu Set. Gallus — 
den Carolin in Prag gegenüber — Verfaſſer der summa colleetionum (1373) 
gejtellt werden. Er wandte ſich ebenjo den Geiftlichen als den Laien, den 
Mönchen wie den wiſſenſchaftlich gebildeten Elafjen, den Handwerkern und 
Arbeitern, den Armen zu, die durch das Evangelium gewonnen werden 
müßten, um den drückenden Unterſchied nicht blos des Standes, jondern 
auch der Befiglojigfeit den Reichen gegenüber zu ertragen. An ſeine eindring: 
lihe und wirffame Lehren reiht fich dann auch die verftändige Nichtung 
des jpäteren Bilchofs von Worms Mathias von Krakau an, der eine der 
populärjten Schriften der Zeit, vom Kampffrieg der Vernunft und des 
Gewiſſens, verfaßte, von welcher fich eine vom J. 1390 datirte Abjchrift 
in der kaiſerlichen Bibliothet zu Set. Petersburg vorfindet. Er jelbit 
war eifriger und umerbittliher Synodalprediger bei den Prager Synoden, 
welche nach einer ungemein lobenswerthen Einrichtung der erſte Erzbijchof 
von Prag zwei Male jedes Jahr zu halten pflegte; er drang unabläjlig 
auf die Neform des Clerus. Endlich muß auch eines der größten Werfe 
‚der deutjchen Literatur gedacht werden, das freilich ſchon wegen feiner Aus: 
Dehnung der nachfolgenden Zeit angehört, jeiner Anlage nach aber wohl 
der früheren. Es ijt das die prachtvolle deutſche Bibelüberjegung in 
6 Bänden, die Herr Martin von NRotlebin in unmittelbarer Beziehung zu 
R. Wenzel und dejjen zweiten baieriſcher Gemalin, Sophia, verfaßte und deren 
Koſten dieſe beftritten. Es ift das eines der großartigften und ſchönſten 
Denkmäler der deutſchen Literatur, deutfchen Fleißes und der durch 
Karl IV. hervorgerufenen Kunftrichtung. Sie hat glüdlicher Weife, während 
jo viele herrliche Baumwerfe feiner Zeit unter der Aufitiichen Wuth in Aſche 
janfen, mit Mühe der Brager Dom gerettet wurde, das Karolin der Plünderung 
verfiel, fich bis auf unfere Tage erhalten; ein doppeltes Denkmal einerjeits 
des geijtigen Verlangens nad) den Quellen des Heiles, andererfeits deutſchen 
Geiſtesleben auf jlavischem Boden, in einer Zeit, wo die tichechischen Frauen 
bereits das Necht zu predigen für fich in Anſpruch nahmen und diejenigen 
ſchon Tebten, die ſich berufen fühlten, ihre Hände in das Blut derer zu 


—— 


tauchen, die nicht an ein mit Feuer und Schwert verkündigtes Evangelium 
glaubten. Sie iſt endlich ein ganz ungemein reichhaltiger Sprachſchatz, der 
den Reichthum der deutjchen Sprache und ihre frühe Ausbildung beurfundet, 
da fie den höchiten Empfindungen der Pjalmen und Prophezeihungen jo 
gut einen richtigen Ausdruck verlieh al3 den tieffinnigften Myſterien der 
Offenbarung. Ein Werk, das zur Ehre der deutichen Nation längjt verdient 
hätte, genau unterſucht und feinem fprachlichen Werthe nach gewürdigt 
zu werden! Nichts vermag den Unterfchied des deutjchen Geijteslebens 
auf ſlaviſchem Boden jtärfer darzulegen als diejes großartige Bibelwerf 
und die Hufitiiche Auffaffung des Evangeliums. K. Karl hatte feinem 
Bolfe die Hand geboten es geiftig zu heben; es antwortete mit Zer— 
jtörung deſſen was er Großes und Gutes gejchaffen. Es ift Zeit, daß wir 
von ihm jcheiden. 

E3 wäre jehr thöricht, von ihm ein Auftreten zu verlangen, wie es 
die Staufer gethan, von welchen ihn ein Jahrhundert trennte, das an 
den Folgen ihrer Politik jiechte. Der legte Kaiſer dieſes Hauſes hatte die 
gefammte Layenmacht zum Sturme gegen den Elerus aufgeboten und war 
jammt jeinem Haufe vollftändig gejchlagen worden. Ludwig der Baier 
hatte zur Ungzeit den Kampf erneut und ſich Bundesgenofjen aus dem 
thätigften und verbreitetjten Orden gewonnen, und war doch erlegen und 
fein eigenes Haus jagte fi) von ihm los. Karl vermied fjorgjältig den 
PBrineipienfampf, brachte aber mit feiner großen Vorſicht und nachhaltigen 
Schlauheit die deutsche Kirche in eine größere Abhängigkeit von dem Kai— 
jerthume, als fie jeit Jahrhunderten geftanden war. Er hatte im Anfange 
jeiner Regierung Gelegenheit genug zu bemerken, welche Macht im Innern 
des Reiches dem Papſte fein Tirchliches Anfehen verlieh, und fein Bedenken 
getragen es für ſich auszubeuten, dadurch aber das eigene nicht vermindert 
ſondern vermehrt. Dieje Macht war gegen das Ende jeiner Tage ge 
brochen, durch die des Kaiſers erjegt, der die geijtliche Macht im Reiche, 
der weltlichen nud fürftlichen gegenüber, in einen gewaltigen Hebel der 
KRaiferlihen umzuwandeln gewußt hatte. Er hatte die Bisthümer 
Freifing, Paſſau, Salzburg, Aquileja gegen den Einfluß der Herzoge von 
Defterreich gejchüßt, den Schwerpunkt des Reiches, Mainz, in Abhängigkeit 
von jich verjegt, am Rhone, der Elbe, der Weler, der Oder, der Donau 
ſich eine bifchöfliche Partei gejchaffen. Marquard, Biſchof von Augsburg, 
wurde jein Kanzler und wie Dietrich von Minden, Baul von Freifing, Ernit 
von Prag, Johann von Olmütz, Lambert von Speier, zu den wichtigjten 
Kaifergeichäften gebraucht. Wie jein Bruder, der Markgraf von Mähren, 
jpäter die Prämonftratenfer, den einzigen von einem Deutjchen begrün- 


— — 


deten Orden begünſtigte, finden ſich Schreiben Karls zu Guuſten des 
Predigerordensmeijters, der Augujtiner und Anderer. Karl verlangte aber 
von denen, die er begünftigte, Gunſt und Unterftügung und wußte 
auch den Einfluß des Cardinalscollegiums in Avignon ſehr wohl zu 
Ihägen und fir fich zu würdigen, und das günstige Verhältnig zu den 
Päpften feiner Zeit ftammte ja vielfah aus einer Zeit, wo dieſe noch 
Cardinäle waren. Da er nicht daran denfen konnte, ohne die heftigften 
Kämpfe die durch) das Wormſer Eoncordat garantirte Wahlfreiheit zu 
befchränfen, gebrauchte er das Recht der erjten Bitte, um dadurd) 
Einfluß auf die Bejegung der Cathedral-, Collegial- und Eonventualficchen, 
dann auf Männer und Frauenklöſter zu gewinnen und überall jeinen 
Anhängern Stellen zu verjchaffen. Da er endlich diefes Syitem auch auf 
alfe firchlichen Beneficien, mit und ohne Seelforge, ausdehute, wie dieſes 
die Kanzlei 8. Karls zeigt, jo mar unter ihm die deutſche Kirche auf 
einem Punkte angelangt, daß jie beinahe nur als eine Verſorgungs— 
anftalt für faiferlich Gefinnte angefehen werden fonnte, Da nahm freilich 
die Berweltlihung zu. Karl aber eroberte jo Schritt für Schritt zurück, 
was die Staufer durch ihre Gewalt und Heftigfeit verloren und gejchah 
diejes nicht auf dem Wege des Rechtes, jo gejchah es auf dem des per- 
jünlichen Einflußes. Er brach den Widerftand der Päpſte, der Bischöfe, 
der Eapitel, er jegte feine Zwede durch und zwar jo, daß dieje zugleich 
auch die des Papſtihums und der Kirche zu fein fchienen. Das Intereſſe 
vereinigte beide und die chriftliche Welt ſah jo das lange entbehrte Schau: 
jpiel des Friedens der beiden oberjten Gewalten und was nur 
auf diefem Wege zu erzielen war, die Rückkehr der Päpfte von Avignon 
nah Rom. So ſchloß er eine große, mit den heftigjten Kämpfen 
erfüllte Periode friedlich ab, es feinen Nachfolger überlafjend, auf 
gleiche Weije wie er voranzugehen und das Uebergewicht, das er erlangt, 
in noch fehwierigerer Beit, da das Schisma ausgebrochen war, durch erhöhte 
Thätigfeit zu behaupten und zu wahren. 

Eine mannigfaltige reiche und große geiftige Thätigfeit knüpfte ſich 
an die Perſon 8. Karls an. Er fchien der Schöpfer einer neuen Aera 
zu jein, welche mit dem Glanze einer Weltuniverjität, herrlichen Bauten 
und allen dem geſchmückt war, was tüchtige Meijter der Kunft, Architekten, 
Maler, Bildner jeder Art nach franzöſiſchen und italienischen Meiftern er- 
dachten und vollführten. Während aber auf italienischem und franzöjischem 
Boden die in früheren Jahrhunderten begonnene geijtige Arbeit ohne Unter» 
brechung fortgefegt, zur Entfaltung der fogenannten Nenaifjanceperiode 
führte, trennt eintiefer Abgrund die Zeit Karls IV. von diejer legteren, 


u — 


an welcher fih Deutfche und Romanen gleich ſehr betheiligten, ein 
Rückfall in Wildheit und Barbarei, welcher wie mit Flammenmwogen die 
Aera Karls IV. von der nacjfolgenden trennt. Eine Generation nad) ihm 
und bereit waren die Blutmenfchen thätig, auf welche jekt in unglaub- 
licher Berblendung die Maſſen als auf die Herven des tichechischen Volkes 
hingewiefen werden, deren Heroismus aber aus der wildejten Zerjtörung 
dejjen beftand, was Karl fir ein Bolt Großes geſchaffen, das viel zu roh 
war, um ihn verftehen zu fünnen. „Wir aber, jagte unter großer Zus 
jtimmung der Seinigen, Bruder Simon Kovarc, einer der Gejchworenen 
von Zabor, der neuen Burg des Heiles, 1434, wir werden uns raſch 
erheben, mit aller Gewalt die uns widerftrebenden Barone niederwerfen, 
ihrer Ländereien uns bemächtigen und alle unfere Gegner vertreiben oder 
todtichlagen. Dann wollen wir einen Landtag halten, wo alle dabei 
jein müſſen, und ein Landrecht aufrichten, alle, die bisher zu ung 
hielten, denen wir aber nicht trauen fünnen, erſchlagen und ebenjo 
die, welche nicht zum Laudtage gefommen find. Dann aber jtürzen wir ung 
über die Nachbarländer und unterjochen fie, wie es die alten Römer 
gethan. Ihr aber ſchaudert nicht davor, feindlihes Blut zu ver- 
gießen, deun auch Judith hat es gethan, als fie unter fchönen Redensarten das 
Blut des Holofernes vergoß, das Volf Gottes von feinen Feinden befreite 
und dafür von den Menjchen großes Lob erntete.“ Karls IV. Culturmiſſion 
hatte im Böhmen jo wenig Wurzeln gejchlagen, als im Neiche die Wieder- 
heritellung des Kaiſerthums. Er jchließt das mittelalterliche Kaiſerthum ab, 
da unmittelbar an ihn jid) Schritt fiir Schritt die tfchechifche Erhebung an- 
Ichließt und damit eine Periode des Umfturzes, deſſen Ausdehnung zu einer 
allgemeinen Revolutionsperiode nur mit äußerjter Mühe durch 
ein Zuſammenwirken geiftlicher und weltlicher Gewalten verhindert wurde. 


Seinen tichechifchen Landsleuten gegenüber ſchien Karl IV. jehr bald 
umſonſt gelebt zu haben. 


2: 
Die allmälige Tſchechiſirtiung des römiſchen Rönigthums. 


Es war in der Natut der Dinge begründet, daß Böhmen, welches 
von dem jtaufischen Kaifer Friedrich I. wegen feiner großen Verdienſte um 
Kaiſer und Reich für feinen Herzog die Krone erhalten hatte und deſſen 
ausgezeichnete Dienjte auch Barbarofjas Enkel mit königlichen Diplom 
anerkannte, jeinen königlichen Churfürften auch einmal als römischen König 
begrüßte, der König der Römer und Böhmens auch Kaifer wurde. Es 


u 


Ihien um fo weniger damit eine Gefahr für das Ganze vorhanden zu fein, 
al8 ja die Inremburgische Dynaftie eine deutjche war, ihre Begründer K. 
Johann den größten Antheil an den deutjchen Ereignifjen nahm und der 
böhmische (tſchechiſche) Adel in feinen Tagen große Neigung zu haben jchien, 
jich zu germanifiren. Allein thatjächlih war durch den Umftand, daß Prag 
die Hauptjtadt des Reiches geworden war und der Deurfche 12 Tagereifen 
von Mainz ducch ſlaviſche Territorien wandern mußte, um zur Reſidenz 
des Katjers zu gelangen, dftlih von Prag das Slavifche dominirte, das 
utraqutjtiiche Element im deutjchen Reiche jtärfer als je zum Vorſcheine 
gekommen und die Einrichtungen Karls IV. hatten dafür Sorge getragen, 
daß dasjelbe auch für die Zukunft Wurzeln jchlage. Die Theilung des 
reichen Erbes, das K. Karl hinterließ, jchwächte etwas die Gefahr, daß Oſt— 
deutſchland wo nicht mehr, doch die Einheit der deutjchen Sprache verliere ; 
jo lange aber das Reich von Prag aus regiert wurde, hing die Entjcheidung, 
ob dasjelbe utraquiftiich werde oder nicht, davon ab, ob deutjches Wefen 
und deutjche Sprache in Prag das Uebergewicht erlangten und behaupteten 
oder beides einem tſchechiſchen Anſtürmen erliege ; vor Allem aber, ob der Sohn 
und Nachfolger Karls die ti hehifch nationale Strömung eindämme 
und beherrjche oder jelbjt von ihr ergriffen, am Ende gar ihr willenlofes 
_ Spielzeug werde. Es war ein großer Triumph der Politif Karls, feinen, 
wie er glaubte, jo gut gearteten Sohn als feinen Nachfolger im böh— 
miſchen Königreiche wie im römischen Königthum begrüßen zu Fünnen, und 
wer konnte eine Ahnung haben, als nach feinem am 29. November 1378 
zu Prag erfolgten Tode vom 11—16. December die überaus Pracht: 
volle Beifegung des König-Kaiſers ftatt fand, an der ja auch die 7000 
Studierenden der Carolina fich betheiligten, Karls Beerdigung im pracht- 
vollen Dom endlich erfolgt war — daß nad 41 Jahren 8. Wenzel, 
machtlos als König von Böhmen, als römischer König nur mehr den Titel 
tragend, nachdem er mit plöglicdem durchdringenden Aufſchrei — dem 
Brülfen eines Löwen jagt der Zeitgenofje Laurenzius von Brezina, am 
16. Auguft 1419 im Neufchloffe bei Prag geftorben war, erjt ohne 
fünigliches Gepränge in den Prager Dom gebracht, dann aber bei 
Naht und Nebel die Königsleiche in aller Stille zur Begräbnißftätte in 
das Kloster Königjaal überführt und dort voh den Klofterleuten . heimlic) 
beerdigt werde. Einige Zeit jpäter famen die durch feine Schwäche heran- 
gezogenen Zerſtörer des Glanzes und der Blüthe Böhmens, die Natio- 
nalen, die fich mit dem Beinamen der heiligen Gemeinde, der facrojancten 
tichechiichen Nation ſchmückten, und zerftörten das Klofter und die Grabjtätte 
der böhmischen Könige. 


Ze 


Kein Gegenfag tft geeigneter die Veränderung, welche unter dem 
Sohne Karls IV, ftattfand, jchärfer darzulegen, als was 1378 und 1419 
geſchah. Welcher Umfturz der Dinge ift nun vorgefallen, daß in 41 Fahren 
das tichechische Volk feinem Könige nicht einmal die Ruhe des Grabes 
gönute und jein eigenes Heil in der wildeſten Zerjtörung der zu dei 
Ichönften Hoffnungen berechtigten Culturperiode fuchte; daß fie die Hand 
des einheimifchen Königs, die ihr in der wohlmwollendften und verjtän- 
digften Weiſe gereicht worden war, jchnöde zurücjtieß und den jähen 
Sturz in eine Tiefe wagte, die fie 300 Jahre lang von einer Revolution der 
anderen überantwortete! Mögen beſchränkte Köpfe ſich und andere belügen, 
die Nationen find für einander geſchaffen, nicht zum gegenfeitigen Abſchluß, 
und wenn die in Böhmen eingewanderten Tſchechen fich eines deutſchen 
Landes bemäcdhtigten, mußten fie auch des Tages der Auseinanderjegung 
nicht bloß mit den Deutjchen gewärtig fein, jondern auch mit dem deutjchen 
Reiche, aus dejjen Mitte fie das Chriſtenthum, die zur ftaatlichen Einigung 
führenden Einrichtungen des Lehensweſens ſtatt der jlavifchen Seniorats- 
Erbfolgeordnung, die einen fteten Streit gebar, die hierarchiſche Ord— 
nung und das Königthum, die ‚Rechtsordnung, freie Bauern und freie 
Bürger, die Elemente derjenigen Eultur empfingen, die der Lateinischen Welt 
den Vorzug vor der jchismatifch-orientalifchen gewährte. Anftatt aber daß 
hieraus aus dem Zuſammenleben und der inneren Nothwendigfeit des Zu: 
ſammenwirkens ein fröhlicher Wetteifer entjtanden wäre, jahen die Tſchechen 
nad Karl IV. darin nur eine läftige Störung (perturbatio) und machten 
jich in kürzeſter Friſt jene Anfchauungen wieder geltend, die jchon in 
den Tagen Ottofars II. zum PVerderben Böhmens hevvorgetreten waren 
und in dent "bejchränfteften Abſchluſſe der Nationalität die richtige Auf: 
gabe des Königreiches in dem Augenblicke erblicdten, in welchem die gegen: 
theilige Richtung Böhmen zu Macht, Glanz und Einfluß ohne 
Gleichen erhoben hatte. 

Man konnte nicht verblendeter vorangehen. Diejenigen, welche in den 
verhängnißvolfjten Jahren der böhmischen Gejchichte jich zu Wortführern 
erhoben, bejaßen ein unglückliches Übermaß nationalen Stolzes und natio- 
naler Eitelfeit, eine zu geringe Einficht in die unausbleiblichen Folgen ihrer 
Beitrebungen, nur zu viel von dem unwiderſtehlichen ſlaviſchen Hange, 
in unmittelbarer Folge des Contactes mit einem vorangefchrittenen Volke, 
jeine Gefchichte von Neuem zu beginnen und auch das Edeljte und Beite, 
wenn es nicht national war, von ſich abzujchütteln. 

Der Uebergang zu diefem Zuſtande nicht vermeintlicher Balingenefie, 
jondern der Selbjtentmannung war jchon im Jahre 1346 erfolgt, als 


— MM — 


K. Karl ſeinem Lande an der majestas Carolina eine Verfaſſung zu 
geben gedachte, die alle Bürgſchaften des Beſſerwerdens in ſich trug, 
freilich auch die bisherige Macht des Adels, ihren Unterthauen die Augen 
ausjtechen, die Naje abſchneiden, Hände oder Füße abhauen zu lafjen, 
befeitigte, daS Heimfallrecht bürgerlicher oder adeliger Güter, deren Eigen: 
thiimer ohne Leibeserben ftürben, der Krone ficherte, überhaupt Ordnung 
zu jchaffen geeignet war. Karl, damals nody König, konnte feinen Plan 
wicht durchjegen. Unter dem Vorwande, an den alterthümlichen Gewohn- 
heiten jefthalten zu wollen, wurde die gefegliche Ordnung der Dinge zurück— 
gewiejen und der alte Zuftand als national mit al jeinen Mißbränchen 
jejtgehalten. Solche Dinge pflegen im Völkerleben nicht ohne den nach- 
theiligjten Einfluß vor fid) zu gehen. Der Adel hatte Partei genommen 
und ſtand den Neformen des Königs, der beabjichtigten Verfaſſung feindlich 
gegenüber. Sp berührten ſich jchon in Karls Zeiten zwei einander aus- 
jchliegende Gegenjäge, avite Nationalität, deren heidnifchen Gebräuchen 
auf den Coneilien noch entgegengearbeitet werden mußte, wie denn der 
Aberglaube noc jet eine hervorragende Rolle ſpielt; ſlaviſche Rechtsver— 
hältnifje, die neben den Herren nur Knechte kannten, ein einheimiſcher. 
Clerus, deſſen Sittenlojigfeit Karl IV. mit Gefegen, die Erzbifchöfe durch 
Eoneilien, Wenzel durch perjünliches Eingreifen und ſummariſche Juſtiz, 
jelbjt immer mehr verrohend, zu ftenern ſuchte — und die abendländifche 
Cultur, die die verjchiedenen Nationen mit einem geijtigen Bande zu 
umſchlingen, das dreifache Erz einer Nationalität zu durchbrechen fuchte, 
die jelbjt das Chriſtenthum nur im nationalen Gewande begehrlich erachtete 
und von ihm vor Allen Förderung deilen verlangte, was dem nationalen 
Stolze zufagte, der endlich in dem Gedanken gipfelte, die berühmte böh— 
mifche Nation ſei das auserwählte Volk Gottes, ein zweites Iſrael. Mochte 
der jugendliche König, fo lange die Räthe feines Vaters lebten, noch jo jehr 
Luft bezeigen, in die Pfade einzulenfen, die zum Kaiſerthume führten, ſich 
anfänglich als König der Deutjchen fühlen, er konnte ſehen, ob fih in 
ieinem Heimatlande nicht Dinge vorbereiteten, welche ihn in eine ganz 
andere Nichtung drängten und zulegt zum willenlojen Werkzeuge einer 
Partei machten, die ihre Macht im Deutſchenhaſſe fand und ihre Stärke 
en der blinden Dienjtfertigfeit derer, die zu jeder Thorheit woillige Werf- 
jeuge waren, wenn nur für den Augenblid ein nationaler Vortheil ſich 
jrgab, unbekümmert um die jpäter unausbleiblicen Folgen  vechtslojer 
Thaten. Je mehr der Verfaſſer diefer Zeilen die Vergangenheit des 
tichechischen Volkes am Borabende jeiner großen Ummälzung einer ruhigen 
Prüfung unterwarf und damit den gegenwärtigen Andrang auf Anerfen- 


— 29 — 


aung eines tſchechiſchen Staatsrechtes verglich, welches Böhmen zur politiſchen 
Inſel in Oeſterreich umwandeln müßte, deſto klarer geſtaltete ſich in ihm 
die Ueberzeugung, daß die Kriſe der tſchechiſchen Nation in der thörichten 
Verwerfung der majestas Carolina lag. Sie hatte damals die Wahl 
zwiſchen ruhiger vechtliher Entwidlung auf Grundlage eines öffent— 
lihen das Land, die Privaten, den Einzelnen, umfaſſenden Nectes, 
einer die allgemeine Ordnung der Dinge fichernden Verfaſſung — oder 
einer fich allmälig bildenden Revolution, die langjam aber gewiß — ja 
unabweisbar heranfchritt, wenn die Verfaſſung verworfen wurde, die allein 
eine Ummwälzung zu verhindern im Stande war: Reform oder Auarchie. 

Polen und Tſchechen bewegten ſich in analogen Berhältnijjen. Beide 
glaubten in aviten Zuftänden ihr Heil zu finden und gingen immer mehr 
einer turbulenten Zufunft entgegen, nur mit dem Unterjchiede, daß die 
tſchechiſche Revolution ji von dem XV. in das XVL, in das XVII. fort- 
jegend, ihren urjprünglich joctalen Charakter wahrte, unter veränderten 
Formen immer eine neue Gütervertheilung mit fich führte, und als der 
tichechiiche Adel den Kampf mit dem niederen Volke in den ſyſtematiſchen 
Kampf mit dem Königthume unmandelte, endlich Böhmen 150 Jahre vor 
Polen feine Selbjtändigfeit verlor, der meuterifche Adel aber der Proſecrip— 
tion verfiel, al3 das auf das Aeußerſte gebrachte Königthum im Jahre 1620 
mit fremder Hilfe die Rebellen niederwarf und die Reihe der Föniglichen 
Wenzel — der VBerjchwender der monarchiſchen Ordnung — endlich er: 
lojchen war. 

Nun war die deutjche Bevölkerung in Böhmen nicht eingedrungen. 
Sie hatte fich nicht mit Gewalt des Landes bemächtigt, fie hatte, wenn fie als 
deutſche Mönche von den Königen berufen worden, Religion, Disciplin und 
rationelle Landwirthſchaft verbreitet. Die deutjchen Kaufleute in Prag, die 
ven Handel mit Bolen vermittelten, beſaßen ihre landesfürjtlichen Privilegien, 
die dentfchen Urkunden der Prager Stadtgemeinde oder anderer Städte 
waren nicht erſchlichen — tichechische Urkunden finden fich ja überhaupt erjt 
}pät vor. Bor Allem war es die Univerfität, die Böhmen im Kfeinen reprä— 
jentirte und in der jich, wie in der Prager Stadtgemeinde das deutjche 
Birgerthum, jo das geijtige Zeben in feinen verjchiedenen Barteiungen und 
Schattirungen vereinigte, das dann wieder fchon durch den Erzbijchof als 
Kanzler und die theologische Facıltät auf das Innigſte mit dem Firchlichen 
Leben zujfammenhing. Je größer die Stellung und Bedeutung der Uni- 
verjität geworden war, die noch immer auf wejtdeutichem Boden Feine 
Gejährtin gefunden hatte, je mehr ſich die geiftigen Kräfte hier concentrirten, 
dejto verderblicher konuten und mußten Streitigfeiten wirfen, die dajelbjt 


— Se 


ausbrachen. Wie jeder Organismus nothwendig dev Zerjegung verfällt, 
wenn ein fremdartiges Element hineingetragen und ihm Spielraum gelafjen 
wird, mußte aber hier, jobald der Nativnalitätenftreit im Schoße der 
Univerfität Pla griff, nicht blos die Zerjegung und Berjtörung der groß: 
artigen Schöpfung K. Karls unabwendbar erfolgen, fondern auch des 
gejammten geiftigen Lebens, jobald diejenigen, die an der Förderung 
eines gemeinfamen Zieles miteinander zu arbeiten berufen waren, ſich wider 
einander fehrten. Und das war das traurige Gejchid Böhmens und 
K. Wenzels zumal, daß die vereinigenden Kräfte ſich jchwächer erwieſen 
als die auflöfenden und die im tichechijchen Volke liegende, ihm vielleicht 
unbewußte Unruhe, raftlos, vom nationalen Inſtinet und nationaler 
Erelufivität getragen, an der Zerſtörung deſſen arbeitete, was dem 
doc) vor Allem zur Förderung der höchſten geiftigen und jittlichen 
Zwede Böhmens und nicht blos Böhmens, fondern der Nationen begründet 
worden war, die die Univerfität conftituirten. Man kann aber den Streit- 
punkt, der den anfangs unfcheinbaren Ausgang der größten nationalen 
und politifchen Zerwürfnifje, ja der Ummälzung Böhmens bildete, nicht 
klarer formuliren, als diefes bei dem Streite über die Bejegung der 
Stellen in den Eollegien K. Karls und 8. Wenzels der Fall war. Wäh- 
rend nämlich die böhmiſche (tſchechiſche) Nation der Univerfität diefe für ſich 
ausfchließlich in Anspruch nahm und damit ſich als die einzige und wahre 
Repräfentantin der Univerfität darzuftellen bemühte, erklärten die 3 übrigen 
Nationen nicht blos, daß fie fajt von der Zeit der Begründung der Col- 
legien das Recht genoſſen, tangliche Magifter aus jeder Nation auszu— 
wählen, daß fie diefes Recht ohne Einfprache oder Widerfpruch geübt, ſon— 
dern auch, daß fie an dem Grundfage fethielten, daß nicht der Adel der 
Abftammung noch das Tihehenthum, fondern Tugend und 
Ehrbarfeit Jemanden vor Gott angenehm machen, in jedem 
Volke der Gott genehm fei, welher Gerechtigkeit übe. Sie bezeichneten 
das Benehmen der tſchechiſchen Nation als im Widerfpruche mit ihren Eiden 
jtehend. Der Streit, welcher jomit von den anderen Nationen als ein all- 
gemeiner und ethijcher aufgefaßt wurde, von der tichechiichen als ein 
nationaler, jo daß fich das ethijche Princip dem nationalen gegenüber 
befand, endigte mit einer Niederlage der 3 Nationen und dem Siege der 
ZTichechen. Der Streit follte jedoch für alle Zeiten ausgetragen, der Bertrag 
(eoneordia) befchworen werden. Da ein neuer Eid!) deshalb aufgejtellt 





1) Wir laffen ihn bier aus einem Münchener Mannfcripte folgen: Ego N. juro 
vobis rectori et vestris successoribus obedientiam in lieitis et honestis et 
servare statuta statuenda pro posse meo et ordinationes formas (formatas) 


—— 


wurde, konnte man hoffen, daß für alle Zeiten dem Streite ein Ende 
gemacht ſei und er in keiner Geſtalt wiederkehre. 

Selbſt der grimmigſte Gegner der Deutſchen in Böhmen, Johann 
von Huſinetz, welcher in ihrer bloßen Anweſenheit in Böhmen eine ſtete 
Friedensſtörung der Tſchechen erblickte und den alten Zuſtand der Dinge, 
als es in Böhmen keine Deutſche gab — aber wann war dieſer? — als 
den normalen wiederherſtellen wollte, und das iſt das wahre Biel des 
Huſitismus — muß in feiner Apologie zugejtehen, daß jede der 4 Nationen, 
als jie den Vertrag in das Univerfitätsbuch eintrug, den Eid leijtete, daß 
weder eine noch mehrere der 4 Nationen fünftig einen Streit gegen die 
andere über irgend eine Prärogative oder Materie anfangen 
jolfe, die nicht ausdrücklich in den päpftlichen oder königlichen Privilegien 
enthalten war, 1384. 

Damit fchien ein Streit beendet, der den Beitand der Univerſität 
bedroht hatte, und wenn die fiegende Partei wirklich Frieden wollte und 
nicht zu herrſchen dachte, nicht von dem blinden Haſſe gegen das deutjche 
Weſen ſich inftinetmäßig treiben ließ, fonnte man auf die Möglichkeit 
eines gedeihlichen Zuſammenwirkens hoffen! Der Streit zog fi) bis in 
das Jahr 1390. 

Der tſchechiſche Erzbijchof- Kanzler hatte für feine Nation offen Bartei 
genommen. Der deutjche Nector war von den Tſchechen, die früh ſich ge- 
wöhnten, jeden Streit auf die Gajje zu tragen, geprügelt worden, und der 
tſchechiſche Chronijt der Univerfität jcheint es noch als geringfügig anzufehen, 
daß er nicht blutig heimgeſchickt ward, der tichechifche Nector aber, unter 
welchem die Zjchechen endlich den Sieg errangen, wurde von diefen in den 
Himmel erhoben. Von diefer Zeit an bemächtigte fich der Deutjchen das 
Gefühl, es jei ein friedliches Zufammenleben mit den Tſchechen auf die 
Daner unmöglich. Die Frequenz der Univerfität nahm ab. 

E3 war der erjte Act des Eonflictes, der von Heinen Anfängen aus- 
gehend, zum Umſturze dev Univerjität, der Stirche, des Königthums und des 
Königreiches führte. 


inter nationem bohemorum et alias nationes (aus welchem Hus eine natio 
teutonica machte, um alle Deutichen in Böhmen in das gleiche Geidhid bin- 
einzuziehen —) et collegia et quod bonum universitatis velim procurare ad 
quemeunque statum devenero et quod injuriam propriam non velim per 
me ipsum nec per alium vindicare, sed super hoc rectoris oflieium im- 
plorare et quod non utor conseryatorio sine (sive) signato dummodo como- 
dose illud habere potero sine dolo et fraude. Sie me deus adjuvet et sancta 
dei evangelia. 


ui BI 


Der jugendliche König hatte nicht gezögert, ſich dem deutjchen Neiche 
als Oberhaupt zu zeigen, an der Bejeitigung der inneren Hebeljtände thätigen 
Antheil zu nehmen und insbejondere, jo weit er Eonnte, der Anerkennung 
P. Urbans VI. als des rechtmäßig gewählten Papſtes Vorſchub zu Teiften. 
Man kann nicht jagen, daß ſelbſt damals fein perjönliches Auftreten ge: 
eignet war, ihm viele Freunde zu verjchaffen; ebenjo wenig, daß die zur 
Befeitigung des Schismas ergriffenen Maßregeln hinreichten, die Ehrijten- 
heit vor einem bisher unbekannten Schaufpiele zu wahren, in verjchiedene 
päpftfiche Obedienzen zu verfallen, und dadurch die jchlimmjte Wendung 
der Dinge aufzuhalten, daß ftatt der gehofften und jo nothwendigen Refor- 
mation num auch noch die Zerreißung der Firchlichen Einheit, die allein 
noch bisher die verfchiedenen Völker und Staaten zujammenhielt, erfolgte. 
Wohl ift es denkbar, daß ein Römerzug und die Erlangung der Kaijer- 
frone dem wachjenden Unheil vielfach gejtenert hätten. Allein die Gegenpartei 
Urbaus unter dem Pſeudo Clemens VII. 309 ſich bereits nad) Avignon zu: 
rüd, erlangte den Schuß des franzöfischen Königthums, und damit änderte 
ſich wie mit einem Schlage die Lage der Dinge völlig. Nicht blos der 
Römerzug unterblieb; nicht blos daß der römische Stuhl, Reichsitalien und 
das arelatiſche Königreich, deſſen Tegter gefrönter König Kaifer 
Karl IV. geweſen, ihrem Schidjale überlajjen wurden, jehr bald wurde es auch 
das deutjche Reich, zwiſchen welchem und feinem Könige ſich eine dunfelgrüne 
Wand aufthürmte; die wunderbar ſchöne Waldregion, die ſich im Südweſten 
von Brag nad) Beraun, Bürglig, Betlen (Zebraf) ausdehnt, hielt den König, 
defjen Jagdluſt mit den Jahren zunahm, gefangen. Der Genuß edler 
Weinforten in jteigendem Uebermaße drängte die befjeren Eigenjchaften 
K. Wenzels in den Hintergrund, und feine Regierung nahm allmälig den 
Charakter an, den ihr ein Trunkener geben konnte, der nüchterne, ruhige, 
geordnete Thätigfeit verſchmäht, wohl aber ein gewaltfames Aufraffen zeigt, 
in welchem er bald den Firchlichen Neformator auf eigene Fauſt jpielt und 
jeinen Zorn an unwürdigen Geiftlichen ausläßt, bald um jeine Autorität 
zu ſtärken gegen den Model einjchritt, ohne zu bemerken, daß diefe Art zu 
regieren, eine allgemeine gelinde Anarchie erzeugen mußte. Dabei ſenkt 
ſich plöglich ein unheimlicher Schleier über fein Privatleben nieder und tritt 
über Vorgänge entjeglicher Art ein Schweigen ein, das offenbar Furcht 
und Grauen zum Grunde hat, aber auch jener Stille glich, die einem vul- 
fanischen Ausbruche vorherzugehen pflegt. Befäßen wir nicht die Aufzeich- 
nungen des Burgunders Edmund Dinter über die Vorgänge am königlichen 
Hofe, jeit Wenzel nur mehr in feinen tichechischen Waldſchlöſſern ſich auf- 
hielt, wir fünnten ung aus dem angftvollen Schweigen der Einheimijchen 


N — 


kaum Mar machen, warum offener Aufruhr und fteigende Unbotmäßigkeit 
immermehr zunahmen, bis endlich geradezu an Abſetzung und Beſeiti— 
gung des Königs durch) die Tſchechen jelbft gearbeitet wurde. Die Folgen der 
Berwerfung der majestas Carolina hatten ſich troß des umfichtigen und 
Fugen Verfahrens K. Karls bereits unter diejem gezeigt, gejchweige unter 
Wenzel, der ih an Hinrichtungen von Bürgern und Adeligen gefiel, fein 
Anjehen zu wahren, und zulegt felbjt dem Henker in das Handwerk griff, 
wenn es ji) darum handelte, jein Miütchen an angejehenen und tugend: 
haften Geiftlichen zu fühlen. Kein Wunder, wenn endlich er allen Ständen, 
den verjchiedenften Ordnungen verhaßt war, und die Brutalität, die er übte, 
den ohnehin rohen und gewaltthätigen Sinn des Volkes zu jenen entſetz— 
lichen Unthaten trieb, von welchen die große Judenjchlächterei in Prag 1389 
ein jchredlicher Beweis war. Entjtand diefe, weil ein Jude einen Geiftlichen 
verhöhnte, der die legte Wegzehrung — das Sacrament, zu einem Kranken getra- 
gen, jo hatte der König, welcher die des Concubinates bejchuldigten Geijtlichen 
an den Pranger stellte oder jelbjt mißhandelte, dem Volke — ob Juden oder 
Ehriften — die Ehrerbietung vor dem geiftlichen Stande, die bisher jtattgefunden 
hatte, durch eigenes Beifpiel in die ärgite Mißachtung verfehrt und den wilden 
Thaten des Hufitismus in höchſt eigener Perfon vorgearbeitet. Ein jchred- 
liches Ende fchrieb die, wie es jcheint, beglaubigte Sage feiner erjten Ge— 
mahlin Johanna von Wittelsbach, Enkelin Ludwig des Baiern und Tochter 
Herzog Abrehts von Straubing - Holland von feiner erften Gemahlin 
Margarethe Herzogin von Brieg, zu. Die Mutter jtarb im Februar 1386 
im Haag, wo auch (13. December 1404) der Vater ftarb, die Tochter bei 
nächtlicher Weile von 8. Wenzels großen Hunden zerriffen nach 16jähriger 
Ehe mit dein um 5 Jahre jüngeren Gemahle. Das traurige Schidjal der 
deutschen Königin auf tichechiicher Erde am 31. December 1386 hinderte aber 
den Herzog Johann II. von Baiern-Miünchen, gleichfalls einen Enfel Ludwig 
des Baiern von deſſen zweitälteftem Sohne Herzog Stefan II. — nidt, 
jeine Zochter Sophie mit dem um 15 Jahre älteren königlichen Witwer 
am 2. Mai 1389 zu vermählen. Geboren im Jahre 1376, in dem 
Fahre, als Wenzel römischer König wurde, war die neue Königin, 
als jie Gemahlin eines notorischen Trunkenboldes wurde, erſt 13 Jahre 
alt. Es genügen diefe chronologischen Daten, um ein eigenthümliches Licht 
auf die ehelichen Verhältniſſe zu werfen, vielleicht auch Har zu machen, warum 
das Kind, welches dem 28jährigen Könige als Gattin zugeführt wurde, 
ihrem Gemahle feine Kinder fchenkte. Es hat der Umstand, daß Wenzel 
bon zwei wittelsbachifchen Frauen feine Nachkommenſchaft erhielt, nicht zur 
Feſtigkeit feines Königthums beigetragen. Blieb man doch noc immer bei 
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 1. Heft. 3 


a — 


dem luxemburgiſchen Hauſe, wenn man Böhmen der mähriſchen Linie des— 
ſelben in die Hände ſpielte! Die Königin Sophie ſtarb nach 30jährigen 
trauriger Ehe, beinahe 50 Jahre alt, fern von Böhmen, ſechs Jahre nach 
dem Tode K. Wenzels, am 26. Sept. 1425 zu Preßburg unter dem 
Schutze ihres Schwagers, des aus Böhmen vertriebenen Königs Sigmund. 

Man mußte, als ſich K. Wenzel, außer Stande den Zerwürfniſſen 
im deutſchen Reiche zu ftenern und durch jein Fchändliches Verfahren gegen 
Johann von Pomuk, der „den Tjchechen wie den Deutjchen gleich theuer 
war" (1393), mit fich felbjt in Zwiejpalt verjegt, in Böhmen ebeuſo gehaßt 
als verachtet, von den deutjchen Angelegenheiten mehr und mehr zuridzog, 
nicht mehr nach dem Reiche ging, in Befriedigung der Waidmannsluſt 
und der Stillung feines Durjtes feine Lebensaufgabe erkannte, auf eine 
Rataftrophe in Böhmen wie im deutschen Neiche - gefaßt machen. Die 
Symptome einer herannahenden Doppelfataftrophe mehrten fich, und ſelbſt 
die Frage, ob fie zuerjt in Böhmen oder im deutjchen Neiche zum Aus— 
bruche kommen werde, entjchied fich, als 1393 K. Wenzel von dem böh- 
mifchen SHerrenbunde gefangen genommen, aus Böhmen weggejchleppt 
wurde, und nachdem er 1394 feine Freiheit wieder erlangt, dulden mußte, 
daß feine Günftlinge und Nathgeber am 4. Juni 1397 in Karlftein, den 
fein Vater als Hort des Landes, zum Schuge des Königthums erbaut und 
mit allen Zierden feiner eigenthiümlichen Pietät geſchmückt hatte, meuchlings 
überfallen und ermordet wurden. Während im Stilfen der Wichfismus 
aus England in Böhmen eindrang und wenn auch nur langjam einen 
geiftigen Zerfegungsproceß unter dem gelehrteren Theile des tſchechiſchen 
Elerus organifirte, trat die Oppofition des böhmifchen Adels unverholen 
im Gewande der Nebellion gegen den König hervor. Sie nübte die jpätere 
dufitifche Bewegung zu ihren Zwecken aus, bereicherte ſich dann mit den 
Gütern der Kicche und der Krone, aber fie war ſchon vor dem Hufitismus 
da, dejjen Urheber auf den Adelsichlöffern, wie er felbjt in Conftanz jagte, 
jichere Unterkunft fand, und bereitete ſomit die große böhmiſche Revolution 
vor, deren Nejultat zulegt in der ſyſtematiſchen Schwächung der Krone, 
in dem -Uebermaße der Macht des Adels beftand, der jelbjt einen ber 
Seinen, den „vifgerudten" Georg von Podiebrad und Kunjtatt auf den 
Throne jeßte und der dann wieder den jchwachen Jagellonen den Weg 
zum Throne bahnte. Das jlavifche Element, das feinen geordneten Staat, 
in Polen jo wenig als in Böhmen, auffommen ließ, wohl aber die Will: 
fürherrichaft des Adels, die in Polen zur Republik mit einem Schatten: 
fönig führte und in Böhmen im beften Zuge war, ein gleiches Monſtrum 
herbeizuführen, gewann immer mehr die Oberhand, wenn auch noch 1397 


er SA 


als Borwand zur Ermordung der Gitnftlinge und Räthe in Karlſtein der 
Satz galt, fie hätten Tag und Nacht dem Könige gerathen, nicht in die 
deutfchen Lande zu gehen und ihn jo vom römischen Weiche zu bringen 
geftrebt. Der König in den Händen Derer, die den Mord der Gegenpartei 
als Reichsinftitution anfahen, und feit der erjten Gefangenschaft immer eine 
Wiederholung diefes Schidjales fürchtend, fanctionirte das Gejchehene und 
fand jetzt jelbjt heraus, daß die Ermordeten, die jich nicht mehr vertheidigen 
fonnten, ihn an jeinen Ehren und feinem Leibe verrathen wollten. 

Der Aufenthalt in Prag, in Böhmen ward immer unheimlicher. Wie 
vor großen atmojphärifchen Entladungen eine drüdende Schwüle fic) 
bemerkbar macht, pflegt auch großen moralischen und politischen Katajtrophen 
ein banges Gefühl, ein lange unerkflärbares Etwas voranzugehen, das 
freilich feinen Grund in den nachfolgenden jchweren Thatfachen zuletzt auch 
dem Blödeften offenbart. Se mehr aber in Böhmen das Königthum ein 
Spielball der Barteien wurde, die Freiheit, wo nicht gar das Leben 
K. Wenzels bald von der einen, bald von der anderen Seite bedroht waren, 
mußte man auch gewärtigen, daß das deutjche eich, trog feiner tiefen 
Spaltung zwijchen den Neichjtädten und den Fürjten, der republifanischen 
und der erblichen Ordnung der Stände, der Tichechifirung und, was jeht 
identiſch war, der Demoralifirung des römischen Königthums nicht mehr 
ruhig zujehen fünne, noc) zufehen werde. Der Stein fam von mehr als 
einer Seite zum Nollen. Von wo man es am wenigſten erwarten mochte, 
vom Niederrhein, aus Köln, ertönten Klagen von Vorgängen an der Prager 
Univerfität, von Auswanderungen der Beften, vor Allem aber von der 
Untauglichfeit des Königs — wye he eyn vndachjame man were — ud 
daß fein Mittel helfe, als das der Abjegung. Er laſſe das Töbliche und 
hochberühnte Studium und hohe Schule zu Prag ganz unter die Füße 
fommen und eingehen; er achte weder Edelmann noch Gelehrten und bleibe 
gemeiniglich liegen in Böhmen als ein ſwjin (Schwein) in ſynem jtalle. 

Es nahte, je länger das Schisma der Päpſte dauerte, — und feine 
Berlängerung ſtand mit dem trojtlojen geiftigen Verfalle K. Wenzels und 
jeinem Aufenthalte im mittelböhmijchen Jagdrevier in unmittelbaren Zu: 
ſammenhange — deſto früher die Zeit, in welcher auf den großen Reichs: 
tagen der Ehrijtenheit, die man Concilien nannte und die ſich auf das 
Eifrigjte um Herftellung einer allgemeinen Ordnung der Dinge verdient 
machten, die Univerfitäten durch ihre bedeutenden Vertreter eine maßgebende 
Rolle jpielten; nur nicht die Ältefte und lange Zeit einzige auf der Nord- 
jeite unjerer Alpen, die Schöpfung K. Karls. Sie fchien gerade jegt nur 
die Aufgabe zu feinen, durch den Streit und die Auflagen der Fhrigen 

3* 


— | pe 


die offenen Wunden zur zeigen, aus denen fie blutete, feit die Tſchechen ſich 
berufen glaubten, Kirche, Königthum und Wiſſenſchaft in ihre Hände zu 
nehmen, um Alles und Jedes zu verderben. 


3. 


Die Webertragung des dentſchen Königthums von der Moldan au den 
Rhein. — Der deutſche König Rupredt. 


Nicht ohne die heftigſten Principienfämpfe jchied das XIV. Jahr: 
hundert von dannen. Der große Streit der Schweizer Bauern mit dem 
öfterreichifchen Adel und dem mannhaften Herzog Leopold endigte am 
9. Juli 1386 mit dem Tode des Lebteren, der großen Niederlage der 
Seinen bei Sempadh. Die Erhebung der flandriichen Communen vor 
Allem Gent’s, welche, wenn fiegreich, das franzöſiſche Neich mit einer all- 
gemeinen Umfehr der Dinge bedrohte, endete 27. Nov. 1332 mit der großen 
Niederlage Philipps von Artevelde durch den franzöfifchen Adel uud die 
franzöfifche Krone. Im Oſten beriefen die Bolen den heidniichen Beherrjcher 
Lithauens Jagello (Wladislaus) anf den polnischen Thron. Sie trennten 
fich faſt zugleich von Ungarn und befeitigten dem deutjchen Verlobten ihrer 
Königin Hedwig und deutſche Herrſchaft 1386. Zehn Jahre jpäter 
erlitten 8. Sigmund und das Kreuzheer die große Niederlage bei Nikopolis 
durch die Türken 28. Sept. 1396, und als der Bruder 8. Wenzel den 
gewaltigen Gefahren der Heerfahrt, der Niederlage und der Flucht ent: 
ronnen, verfiel ev erjt der Gefangenjchaft der ungarischen Stände. Wie 
jo häufig ſchien erjt gegen das Ende des Jahrhundertes die ſtürmiſche 
Ausjaat desjelben zur Reife zu kommen! 

Im deutſchen Reiche war es der Anfang des neuen Fahrhundertes, 1400, 
das die nachhaltigfte Veränderung zu bringen jchien. Ich habe an einem 
anderen Orte und ausführlich nachgewiefen, wie die italienischen Parteiungen, 
die Macht der von Wenzel zu Herzogen erhobenen Viscontis von Mai- 
land und die Beſorgniß der Florentiner vor Aufrichtung einer norditaliſchen 
Großmacht die deutjchen Churfürjten beeinflußten, die Sorge um das Neid) 
dem Könige, der immer mehr zu verrohen jchien, abzunehmen und den 
Sig desjelben von der Moldau wieder nad dem Rhein, des Reiches wid): 
tigjter Straße, zu verlegen. Bafel, Straßburg, Heidelberg, Speier, Worms, 
Mainz, Eoblenz, Bonn, Cöln, Neichs- und zum Theile bijchöfliche Städte, 
die an der Conſtituirung des Neiches in den verjchiedenften Zeiten Antheil 
genommen, da die Grabjtätte dentjcher Kaifer, dort jener Churerzfanzler 
und Erzbiichöfe, die in den ſchlimmſten Tagen an der Wiederanftichtung 


Ze a 


des Königthums gearbeitet und deren Grabjtätten im Dome zu Mainz zu 
den lehrreichſten Monumenten der deutschen Gejchichte gehören; zwei Städte, 
Heidelberg und Cöln, in jüngjter Zeit mit Univerjitäten geſchmückt, die eine 
1386 durch Churfürſten Nuprecht, die andere jeit 1388, ein deutliches 
Zeichen, daß, jeit die Hauptquelle der Wiſſenſchaft getrübt worden, fie 
fich nach einem anderen Borne umſah; ein herrliches gejeguetes Land vom 
lebhafteſten deutſchen Stamme, den Franken im mittleren und unteren Laufe 
des Nheins, am oberen von Memannen bewohnt, war es fein geringer 
Vorzug, daß hier jih 4 Churfürftenthüner Mainz, Trier, Cöln und 
Pfalz, 3 geiftliche, ein weltliches berührten, während die Donan Feines, der 
Norden 2, die Moldan das erjte weltliche und das doppelte Königthum 
hatten. Allein die Machtverhältniſſe hatten ſich verfchoben, Churfürſtenthum 
und Macht deckten fich wicht mehr wie in früheren Zeiten; die 4 rheinischen 
Churfürften waren in Betreff des Umfanges ihrer Territorien die ſchwächſten, 
namentlich für einen auswärtigen Krieg wenig geeignet. Den churfürft- 
lichen Territorien gegenüber ftanden fürjtliche Häufer, das habsburgiſche, 
das wittelsbach-baierifche, die ihre eigene Politif hatten, und wenn fie 
fich nicht durch Therlungen zu jehr Schwächten, eine jehr anjehnliche Macht 
befaßen. Damm wieder andere, die im Gegenfage zu den kriegeriſch ge- 
jinnten Habsburgen, durd Erlangung von Reichsbisthümern und geiftlichen 
Churfürſtenthümern fir ihre Secundogeniturlinie, was jie an Ausdehnung 
ihrer Territorien nicht gewinnen konnten, durch vermehrtes Anjehen im 
Neiche zu erlangen trachteten, wie in jenen Tagen ganz bejonders das 
Hans der Grafen von Naſſau. Ihr Streben war vorzugsweile der Beſitz 
des Churfürſtenthums Mainz, das Johann Graf von Naſſau 1397—1419 
und jpäter unter harten Kämpfen Adolf 1463 —1475 erlangten. Ein 
Diether von Naſſau ward 1300 Erzbiſchof von Trier. Dann aber 
wandten fich die aufjtrebenden Markgrafen von Baden dieſem geiftlichen 
Churfürſtenthum zu, das 1456 Johann IL, 1505 Markgraf Jakob er: 
langten. Die Zeit war längjt vorbei, in welcher Grafen und Markgrafen 
den Fühnen Sprung zum Königthum wagen konnten; es ſorgten jchon die 
Herzoge und weltlichen Churfürften dafür, daß es nicht gejchehe. Aber die 
geijtliche Laufbahn ftand ihren Brüdern oder nachgeborenen Söhnen offen, 
die ja auch zum Churfürjtentfume führte, wenn ihnen nicht der Neichsadel 
den Weg dazu verlegte. 

Noch im Fahre 1397, als K. Wenzel ſich zur Reife nad) Paris 
entjchloß, Tagen die Dinge nicht fo, daß man eine Abjegung des Königs 
als jo nahe bevorjtcehend erachten mochte. Allein dringend Hatte Churfürft 
Nuprecht von der Pfalz davon abgerathen, und als nun die Nachricht 


ſich verbreitete, der römische König habe fich im Paris jo betrunken, daß 
er nicht einmal zur Füniglichen Tafel kommen konnte, traten das Gefühl 
der Schande, welche er dem Weiche ‚im Auslande bereitet, und die Be- 
jorgniß, ev möchte durch feine mit dem franzöfischen Könige geplanten 
kirchlichen Brojecte die Verwirrung der Dinge noch weiter treiben, lebhaft 
in den Bordergrund Man mußte jich fragen, ob noch mit gewöhnlichen 
Mitteln Abhilfe gejchaffen werden fünne oder der Zeitpunkt zu draftischen 
gefommen jei. Zwei Jahre, nachdem K. Wenzel von feiner Barijer Reife, 
die wohl den Römerzug erjegen jollte, nach Haufe gekehrt war, erfolgte am 
2. Februar 1400 die Losjagung der 4 rheinischen Churfürjten in Verbindung 
mit Churf. Rudolf von Sachſen von 8. Wenzel, feine Citation nach Lahu— 
jtein, dann feine Abjegung durch die vier Ehurfürften 20. Augujt, endlich 
auf dem Churfürjtenjtuhle zu Lahnjtein am 21. Auguft 1400 die Wahl 
des Churfürjten Ruprecht genannt Clem, zum römijchen Könige. ") 

Es iſt hier nicht der Ort, die Nechtsfrage zu unterfuchen, noch über: 
haupt die Motive, welche die große Veränderung begründeten, die im 
deutfchen Neiche vor ſich ging, als zu der allgemeinen Calamität des 
päpftlihen Schisma’s auch das königliche Scisma in dem Reiche 
fich gejellte, das mehr als ein anderes berufen und nach dem Vorgange 
der älteren Kaifer, verpflichtet war, den ungehenren Schaden des kirch— 
lichen Schisma's zu befeitigen; kaum aber dazu, ihn durch ein zweites, poli— 
tifches zu vermehren, jo daß endlich es gar zu 3 Päpften und 3 römischen 
Königen kam. Dieje Frage und der Einfluß von Außen, der ſich dazu 
gefellte, den Entjchluß der rheinischen Churfürften zur That zu machen, 
wurden in der Monographie über K. Ruprecht, den Ahnherren des jegigen 
füniglichen Haufes von Baiern, jattfam erörtert. Die Wahl war und blieb 
em Wagniß, zu welchem nur die äußerſte Noth drängen konnte. Wenn 
aber auch diefe für den Augenblick fich weniger nachweifen ließ, fo forgte 
doch die nächjte Zukunft dafür, als der König von feinem eigenen Bruder 
Sigmund gefangen und aus Böhmen hinweg nad) Wien gebracht wurde, 
1402, daß der Schritt zu Lahnftein im Intereſſe des Neiches geboten zu 


1) Es ift ein Schwerer Mifbraud, fortwährend von einem Kaifer Ruprecht, einem 
Kaiſer Nudolf von Habsburg, einem Kaifer Mdolf, einem Kaifer Albrecht zu 
Iprechen. Sie waren e3 nicht und jchrieben ſich auch nicht fo. In Betreff der 
Bedeutung Clem finde ich bei Menfen Monumenta landgrafiorum Thüringiae, 
(Seript. II. ©. 842) den Marchio Friderieus Clem sive rigorosus. Es hatte 
jomit die Bedeutung des Strengen, wo nicht desjenigen, der ſich, wie es 
leider mit Nuprecht in pecuntärer Beziehung der Fall war, in fortwährender 
Klemme befand, 


An 


jein ſchien. Blidte man aber auf die Perjönlichkeiten, jo konnte der Ver— 
glei) nur zu Gunften K. Ruprechts ausfallen, vorn welchem Suchenwirt, 
jein geſangkundiger Zeitgenoſſe, dichtete: 

Wolauf wir ſullen fürbaz 

Zu Herzog Ruprecht an den Rein; 

Wenn ich (zu) dem khum, der lat mich ein, 

Deß Hof ſieht man gar wirdiglich 

In ſchönen Züchten freudenreich, 

Mit Herſchaft und mit Vrauen 

Mag man in choſtlich ſchauen. 


Der verdiente Ruhm, Beſchützer der Univerſität Heidelberg und ſomit einer 
Stätte des geiſtigen Lebens für ſpäte Jahrhunderte geweſen zu ſein, wäh— 
rend Wenzel bald ſich zu einer That aufraffend, bald taumelnd und nieder— 
ſinkend, nur berufen zu ſein ſchien, Alles zu verderben, was er in die 
Hände nahm, hat K. Ruprecht einen bleibenden Schimmer der Begünſti— 
gung der edelſten Richtungen verliehen und ſeinen Namen den Männern 
angereiht, denen ein dankbares Andenken geſichert iſt. Es iſt nicht 
meine Aufgabe, mich darüber weitläufig zu ergehen, da dieſes Verdienſt 
gerecht und umſichtig nur von denen gewürdigt werden kann, die aus der 
Rupertina ihr eigenes geiſtiges Leben holten und mit ihrer Entwicklung 
ſich durch Beruf vertraut gemacht haben. Wenn aber die verbiindeten vier 
Ehurfürften zu Lahnjtein erklärten, ev — R. Wenzel, hait auch, daz er- 
jchreflich und unmenfchlich Tudet, mit feiner jelbst haut vnd auch vbermeß 
vnd ander vbelteder dy er bey ym hait, eriwirdigt vnd bidderbe prelaten 
pfaffen vnd geiftliche Iude ermordet, erdrenkt, verbrannt mit fafeln und fie 
jemerlichen vnd unmenfchlichen widder vecht getodtet daz eiynem Noemijche 
funighe vntzemlich jteh und Iudet — jo war das fittlihe Moment her- 
vorgehoben, daS zur Erhebung K. Ruprechts Anlaß gab, deſſen Hofhaltung 
die Dichter befangen, während die K. Wenzels gemieden und verabjcheut 
wurde. Wenn aber ferner die Entwicklung des böhmischen Staatsrechtes 
darin jich äußerte, daß eimerfeitS der König zu fo ſchnöden und unmenſch— 
(ihen Thaten jich berechtigt fühlte, andererjeits er troß Krönung und Hul— 
digung hinweggejchleppt, feine Günftlinge aber ermordet wurden, jo war 
der Schritt gerechtfertigt, den Sitz des römischen Königthums von der 
Moldau nad) dem Rheine zu verlegen und den böhmischen Gepflogenheiten 
deutſches Necht und deutsche Sitte entgegenzuſtellen. Nur genügte es nicht, 
den Berjuch zu machen, der zunächjt das deutiche Neich theilte, ſondern 
mußte Macht gegen Macht entjcheiden, und da zeigte ſich, daß das Fleine 
Churfürſtenthum von der Pfalz und die dem eigentlichen Kampfplage eut— 


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legenen drei geiftlichen Churfürftenthiimer nicht ausveichten, das Königreich 
Böhmen zu bewältigen und durch Beftegung K. Wenzels die Einheit des 
Neiches herzuftellen. Aber auch der Verſuch mißlang, durd) einen Römer— 
zug die Staijerfrone zu gewinnen, die Wenzel um des edlen Waidmanns— 
werfes verabjäumt hatte, und noch weniger, die Einheit des Papſtthums 
herzuftellen, das trotz Ruperts Bemühungen zu Pija ſich gerade zum drei— 
fachen gejtaltete! 

Zu all diefen Kämpfen und dem BZwiejpalt im Inunern, den der 
König gleichfalls nicht zu befeitigen vermochte, fam jet aber erſt noch 
der fjlavische Antagonismus, der zu einem wuchtigen Schlage gegen die 
Deutjchen ausholte, als dieje ein nationales Königthum dem in tjchechtiche 
Abhängigkeit gerathenen entgegen, am Rhein und in Heidelberg gegen 
Prag aufzurichten dachten. — Die drei nicht tihechischen Nationen der Unis 
verfität hatten jidy in den Traun gewiegt, durch den früher abgejchlojfenen 
Vertrag und den darauf begründeten Univerfitätseid in ihrem wenn auch 
gejchmälerten Beſitzſtande unangegriffen zu bleiben. Das war aber gar 
nicht die Meinung der tſchechiſchen Magifter, vor Allem des Johann von 
Hufineß, der jelbjt durch feine Vorliebe für die Doctrinen des Engländers 
Kohn of Wichf mit dem Erzbifchofe in einen Conflict gefommen war 
und von K. Wenzel beveit3 die Drohung erhalten hatte, ev werde ihn 
dem Flammentode übergeben. Da gelang es ihm, nicht blos das Intereſſe 
der tjchechifchen Nation in den Vordergrund zu ftellen, fondern auc den 
Augenblid zu benügen, in welchen König Wenzel feine ganze bisherige 
Kirchenpolitif veränderte und zugleic) einen Vertrag mit den Cardinälen 
zur Vernichtung K. Ruprechts abjchloß, um den König zu beſtimmen, 
unter einer nichtSfagenden Berufung auf die Gründungsurfunde der Prager 
Univerfität, im vollen Gegenjage zu feiner eigenen, königlichen Erklärung 
vom 31. Januar 1399, den drei Nationen das bisher behauptete Necht bei 
den Prüfungen, den Wahlen und allen Univerfitätshbandlungen 
abzusprechen, der böhmiſchen Nation 3, den drei Nationen aber nur Eine 
Stimme zuzuerkennen. „Nichts vermöge feine Ehre mehr zu erhöhen, hatte 
der König noch am 31. Januar 1399 ausgefproden, und feinen Namen 
weiter bei Fremden zu verherrlichen, als wenn durch feine Sorgfalt der 
Ausländer den jüßen Boden der Heimath aufgebe, jid 
nah Böhmen wende und, um Wiſſenſchaft zu erlangen, Eltern 
und Freunde zurücdlafle” Jetzt wurde derjenige, welcher die Jutrigue 
eingefädelt hatte, dur die der Rechtsbruch erfolgte und die bejchränfte 
nationale Auffaffung in noch höherem Grad als 1384 fiegte, als Befreier 
der tjchechifchen Nation begrüßt und erlangte Johann von Hufineg auf ein- 


— MT 


mal die dominivende Stellung, die er zur Einleitung der tichechiichen Re— 
volution benüßte, von der freilich K. Wenzel jich nicht früher eine Vor— 
stellung machte, al8 bis ihre Wogen über jeinem Haupte zufammenjchlugen. 
Die Feindfeligkeit vecht deutlich zu machen, conſtruirten Hus und feine 
Partei aus den 3 Nationen Eine, eine natio teutonica, und richteten nun 
gegen diefe „als Ausländer, Verſchwörer und Lügner“ ihr Geſchütz. Der 
tſchechiſche Clerus, an jeiner Spige Johann Hus, entfejjelte zu feinem Stege 
die ganze Fülle des ſlaviſchen Haſſes gegen die Deutjchen und iſt jich auch 
nad) diefem Vorbilde und Borgange in den jpäteren Jahrhunderlen nur 
zu oft gleich geblieben. Wie Magiſter Andreas von Böhmisch Brod auf 
dem Eoncil von Conftanz auf jeinen Eid befragt, erklärte, enthielt die 
fönigliche Entjcheivung, al8 deren Autor Hus ſich rühmte, eine grelle Ver: 
letzung der Statuten der .Univerfität und der bejchworenen Vereinigung 
und es war eine moraliche Spiegelfechterei, die Sache jo darzuftellen wie 
es Hus that, daß die von ihm erwirkte Entjchetvung, die den ganzen 
Charakter der Univerfität umjtürzte, mit der Grimdungsurfunde K. Karls 
im Einflange ftehe. Wohl aber führte fie zur Auflöjung und Zerftörung 
der Univerfität. Die königliche Erklärung vom 18. Januar 1409 erklärte 
jich gegen alle Nechte der deutjchen Nation, die fich nach einer wahrhaften 
Relation, welche Wenzel vorgelegt worden, 3 Stimmen zueignete, während 
fie jelbjt des Nechtes der Einwohnerjchaft, des Incolates, gänzlich untheil— 
haftig jei; ſie wendet dieſe für ewige Zeiten der tſchechiſchen zu, die jie 
friedlich genießen jolle. Schade, daß dieſes deutſchſeindliche Actenſtück, die 
tichechische Kriegserflärung gegen die natio teutonica (die relatio), nur info- 
ferne auf unſere Zage Fam, als fie Aufnahme im die königliche Erklärung 
von Kutteuberg gefunden hat. Es ijt aber fir die Männer, welche die Sache 
in ihre Hand nahmen, charakterijtijch, wie für K. Wenzel felbjt, daß die 
Abgejandten der 3 Nationen den König bereits für ihre wohl begründeten 
Rechte gewonnen hatten, als e8 Hus und Hieronymus von Prag gelang, 
den unjelbjtändigen Monarchen wieder fir ihre Anſicht umzuſtimmen. 

Es kann nicht die Aufgabe diejer Schrift fein, den offenen Act der 
Feindfchaft gegen die deutjche Nation im Einzelnen zu verfolgen. Diefes it 
mit Benügung vieler bisher unbekauuter Acten jchon vor 22 Jahren 
gefchehen, was aber die Deutjchen nicht Hinderte, ihrem ZTodfeinde auf 
dentjchem Boden Statuen zu errichten und eine gegen die deutjche Nation 
und ihren König unmittelbar gerichteten Schlag zu ignoriven. 

Damals war e8, daß in der Appellation der 3 Nationen dem Könige 
der Vorjchlag gemacht wurde die Univerfität zu theilen und diefer, 
als einziges und richtiges Mittel eines dauernden nationalen 


a 


Friedens dem Könige unterbreitet, von den Tjchechen abjchlägig be- 
ſchieden wurde, Die tichechiiche Partei wollte die Alleinherrjchaft, Feine 
Theilung. Wie heutigen Tages unter ähnlichen Verhältnijjen, ward da- 
mals von den 3 Nationen bingewiefen, daß aus der Füniglichen Ent- 
Scheidung von Kuttenberg nothiwendig die Verwirrung des Königreiches, 
dadurc der Untergang des Königs erfolgen müßte. Die nur zu gegriindete 
Prophezeihung wurde bei dem Uebermuthe der fiegenden Partei und der 
heillofen Schwäche des Küniges, der mehr als je darauf bejtand, König 
der Deutjchen zu fein, während der Luxemburger, der Sohn eines Kaijers, 
die deutſche Nation im eigenen Lande ihren geichworenen Feinden preisgab, 
verlacht und verachtet. Sie hat ihre Wahrheit nur zu jehr bethätiget und 
zwar au der Univerfität, die ohne die Deutjchen geiftig zu Grunde ging, 
an dem Königreiche, das der Revolution verfiel, an dem Könige, der 
jehr bald froh fein mußte, den Zitel eines Königs der Römer zu bewahren, 
und, nachdem ev erlebt, daß fich die Tſchechen um ihren gefrönten König 
nicht im Mindejten kümmerten, am 30. Juli 1419 den Fenfterjturz in 
der Neuftadt unternahmen, elend und verachtet fein Leben bejchloß. 

Als nun die Deutjchen in der Erfenntniß, daß bejchworene Rechte 
bei den Anhängern des Hus feine Geltung fänden, die Tſchechen das Recht 
der Herrichaft für ſich behaupteten, von einem friedlichen Auskommen und 
geiftigem Zuſammenwirken feine Rede jein könne, in Maßen auszogen und - 
Prag den Rücken fehrten, erfolgte die Vertheidigungsjchrift des Hus und 
feiner Genojjeu, die vor Jahren in der Behaufung eines Bauern gefunden 
wurde md glüdlich in die Hände dejjen gelangte, der ihren Werth zu be- 
meſſen verjtand. Sie ift in dem beharrlichen Kampfe der Tichechen gegen die 
Deutjchen eines der merkwürdigſten, zugleich nach Form uud Inhalt eines der 
widrigjten Actenſtücke, ſchon deshalb von Wichtigkeit, weil die fiegende Partei 
nunmehr die Maske ablegte. Sie betonte den Unterjchied zwifchen den echten 
und unechten Söhnen des Hausvaters und wies darauf hin, daß man das Brod 
nicht den Hunden geben dürfe, d. h. den Deutjchen. Jetzt war K. Wenzel 
als abjoluter Herrjcher, dem man zu gehorchen habe, vecht und genehm 
und wurde in dem Maße unbedingter Gehorfan verlangt, in welchem feine 
Entscheidung gegen die deutſche Nation war, natürlich fich vorbehaltend, ihm 
den Gehorjam wieder aufzufünden, wenn ev etwas befahl, was der tichechi- 
jchen Nation nicht genehm war. Jetzt ward der die hufitiiche Bewegung 
feitende Grundſatz uuumwunden ausgefprochen, die böhmische Nation müſſe 
die ausgezeichnete Negiererin der anderen Nationen fein. Weil 
Gott das gelobte Land unter 12 Stämme (zum ausschließlichen Beſitz— 
thume) getheilt, müßte es auch mit Böhmen der Fall fein. Früher wären 


— — 


hier nur Tſchechen geweſen, jo müſſe es auch künftig fein und die Böhmen 
ohne Störung durd die Deutjchen bleiben. 

Die deutjche Nation erhielt aus dem Munde des neuen evangelijchen 
Predigers die Werfung: nimm das Deine und gehe. Wenige Jahre 
fpäter, als das bisher unbekannte Verzeichniß der den flüchtigen Bürgern 
Prags und anderer Orte widerrechtlich abgenommenen Häufer, Weinberge, 
Gärten, zufammengejtellt wurde, hieß es, fei froh, wenn Du gehen Fannft, 
Dein Eigenthum gehört aber dem neuen auserwählten Volke Gottes, dent 
Bolfe Iſrael, dejjen Rector Johaunes Hus ward. Die heutigen Verſchwörer 
— die deutjche Nation — waren ja nad) der neuen Doctrin jchlimmer 
als die Juden und Phariſäer gewefen, indem fie nicht blos gegen Chriftus, 
jondern aud) gegen das Königreich Böhmen und die Prager Univerjität 
fich verjchiworen hätten. Mit Necht habe K. Wenzel die Deutſchen aus 
jeinen Reihen gebannt und erilirt. 

Dahin war es mit dem deutjchen Königthum des Königs von Böhmen 
gekommen. Seit der Adel das Necht zu tummltuiven der Unterwerfung unter 
die majestas Carolina vorgezogen und beharrlich bethätiget, ſteuerte die 
Nation, welche ficy als zweites Iſrael bezeichnete, der Periode der Fenſter— 
jtürze zu, die, als jie im Anfange des XVI. Jahrh. ſich zum drittenmal 
wiederholt, als mos boheimicus, als tſchechiſche Sitte bezeichnet und vor den 
Augen der civilifirten Welt dadurch entjchuldigt wurden. Keinem Bolfe war 
e3 nöthiger, mit einem anderen zuſammenzuleben, und durch den Gegenjaß 
vor Ertravaganzen jeder Art behütet zu werden, als dem, welches jetzt über 
den böhmischen König Wenzel nad) Belieben verfügte. 

Wenn auch die deutjchen Profejjoren und Studenten, die vor Hus 
und jeinen Genofjen aus Prag auszogen, jich vorzüglid) nach Leipzig 
wandten, jo hatte man doch jchon 1386 dafür gejorgt, daß nicht blos 
Sachſen und Oeſterreich, wo Herzog Rudolf IV. die deutſche Univerjität 
Bien gegründet, fondern auch das Nheinlaud feinen geijtigen Mittelpunkt 
befige. Es handelte fid) aber nicht blos darum, der Wijjenfchaft und vor 
Allen dev Yurisprudenz eine neue Stätte zu bereiten, durch alle Völker 
der lateinischen Kirche ging damals ein gleichartiger Zug, der mit dem 
Ueberdruß in Verbindung fteht, den das Schisina der Bäpfte — der berufenen 
Berrreter einer geiftigen Einheit — hervorgerufen. Nicht blos die theologische 
Gelehrſamkeit, überhaupt Geſchäftskenntniß und Behandlung politischer An- 
gelegenheit ruhten noch immer in den Händen der Geiſtlichkeit. Karl IV. 
hatte dieſen Einfluß eher vermehrt als vermindert, aber nicht hindern 
können, daß das Episcopat durch die weltlichen Würden und Geſchäfte 
eher verweltlichte, als ſeiner kirchlichen Aufgabe treu blieb. Was nützte es 


= 


aber, Weltlichen weltliche Gefchäfte übergeben zu wollen, jo lange Gelehr- 
jamfeit und Bildung nicht auf diefer Seite zu finden waren? Die Bedeutung 
der Univerjitäten Deutjchlands jteht daher mit dem Zuge nuh Säcula- 
riſation, nach der Heranbildung weltlicher Kanzler, gejchulter Beamten und 
Nichter in unmittelbarem Zuſammenhange, und es ift auch hier der Unter: 
jchied zwiſchen dem jlaviichen und dem dentjchen Theile des MNeiches, dem 
Beſitzthum K. Wenzels und dem K. Nuprechts, bemerkbar. In dem einen 
ſanken in nächjter Zeit Kirchen und Klöfter im Ache und bemächtigte 
fi) der Adel des Kirchengutes, Er jäcnlarifirte nach der Weife der auf 
gewühlten rohen Maſſen, er griff wie fie in fremdes Eigenthum ein, das 
zu ganz anderen Zwecken gejtiftet worden war, als da von den Zaboriten 
zerjtört, dort vom tichechifchen Adel geplündert zu werden, dem es dann nad) der 
Schlaht am Weizen Berge erging, wie er es zwei Jahrhunderte lang gegen 
Andere getrieben hatte. In dem Bereiche 8. Ruprechts nahm die Säculari- 
fation einen anderen Charakter au. Es handelte ſich darum, die weltlichen 
Angelegenheiten den Weltlichen zu übergeben, diefe zum Dienjte des Staates 
heranzuziehen, unbejchadet der Reichsverfaffung, die ein halb geijtliches, halb 
weltliches Neid) begründete, aber den geiftlichen Fürjten nicht verwehrte, ſich zu 
weltlichen Zweden um Weltliche umzuſehen und die Geijtlichen auf ihr Gebiet 
zu bejchränfen. Dieje jehr wichtige und maßgebende Richtung der Zeit fteht 
aber jelbjt mit den Verlaufe des großen Streites des Prieſterthums und 
des Königthums, der die früheren Jahrhunderte unjerer Kaifergefchichte mit 
feiner großen Wandlungen erfüllte, in einer gewijjen Folge, tft eigentlich ihr 
natürlicher Ausläufer und enthält die friedliche und nad) zwei Seiten hin 
berechtigte Berftändigung zweier Mächte, die in langjährigem Kampfe mit 
einander ebenfo ihre gegenfeitige Kraft gemeſſen, als auch ihren wahren 
Beruf, nicht gegen einander, fondern für und mit einander zu wirken, feinen 
gelernt hatten, Niemand wird aber leugnen können, daß die Stellung, 
welche jegt die Laienwelt errang, das harakteriftiiche Moment der 
neueren Zeit, im Gegenſatze zum Mittelalter ift. Diejer früheren 
Zeit gehört aber auch ein anderer nicht minder merkwürdiger Zug an. Wie 
oft iſt nicht bei den Auseinanderjegungen zwifchen Kaifer und Papſt von der 
translatio imperü die Nede! Es galt in gewiſſen Zeiten als ausgemacht, 
daß der Papſt das Kaijerthum von den Griechen an die Deutjchen, an die 
Franken (Kavolinger), dann an die deutjchen Katfer im engeren Sinne des 
Wortes übertragen. Und felbft die Spige ift der Theorie nicht ferne, daß 
der Papit jtreitfüchtigen Gejchlechtern gegenüber das Kaiſerthum den Deuts 
hen wieder entziehen und einer anderen Nation übergeben könne und mie 
jehr wünſchte z. B. 8. Manuel der Kommene im Streite B. Alerander’s IH. 


u AR 


mit K. Friedrich dem Staufer, daß der Papft das Kaiſerthum ihm über: 
trage, das doppelte Kaiſerthum in dem von Konftantinopel vereinige! 
Auch jet war es zu einer translatio gekommen uud follte das 
Kaifertfum von der Moldau an den Nefar, reſpective au den Rhein ver: 
pflanzt werden. Ob dazu Heidelberg ausreichte, möchten wir bezweifeln. Die 
Hilfloſigkeit K. Ruprechts nahm befammtlich in den legten Jahren feiner 
Negierung in einer Weife zu, die den König in den Bereich dev Hilfe 
flehenden herabzog. Allein an der Moldau ließ jich das deutſche Königthum 
auch nicht mehr erhalten. Dafür hatten Hus und feine fanatischen Tichechen 
gejorgt, deren zerjtörende Hand auch hiebei ſichtbar iſt. Selbit als K. Sig- 
mund die Hufitiichen Wirren beendete und das böhmische Königthum, wenn 
auch als Ruine wiederherjtellte, war feine Nede mehr davon, daß Prag 
wie in den Zeiten Karls IV. das fei, „was Nom und Konftantinopel ge: 
weſen.“ In den großen Hufitiichen Kriegen trat dann jo recht die Bedeutung 
der großen Fürjtenhänfer im Gegenfage zur veichsftändiichen Macht der 
Fürften und Churfürjten hervor. Als Sit des Königthums, gejchweige des 
Kaiſerthums Tieß ſich Heidelberg nicht halten; aber auc Prag nicht mehr. 
Die Bedeutung des Nheines Titt, feit die Niederlande einem Fürſten aus 
dem Haufe VBalois zugefommen; die Bedeutung der Donanlinie nahm zu, 
jeit der Erbfeind aller chrijtlichen Eultur, der Osmane, die Donanländer 
in Augriffspojitionen gegen das deutiche Reich umgewandelt hatte. Wie 
einst Konftantinopel den Slaven, Avaren, Bulgaren gegenüber Hauptfeftung 
des Neiches geworden war, deſſen Hauptjtadt es aud war, ward Wien 
der Sig des Königthums und Kaiſerthums, zog ſich der Schwerpunft des 
Reiches an die Donan und endigte die translatio imperii, welhe 8. Ru— 
predt eingeleitet, zwar nicht zum Bortheile feines tſchechiſchen Gegners, 
auch nicht zu feinem eigenen, aber zu dem eines nicht churfürſt— 
lihen Haujes, das ſich nad) dem Tode des legten Luremburgers der Mühe 
unterzog, Vorkämpe des Neiches im jahrhundertlangen Kampfe mit den 
Erbjeinden desjelbin nach Oſt, nach Weit, nach Nord, nach Süd zu fein. 
Böhmen aber blieb feit 8. Wenzels fturmbewegter Regierung der Wetter: 
winfel Mitteleuropas, von welchem, jo lange es als Staat bejtand, 
die Gewitter ausgingen, die in den Nachbarftaaten ziindend nieder- 
fuhren, und die erjt fich verzogen, als eine deutsche Bevölkerung wieder: 
fehrte und nicht mehr ein Hus ſich vorfand, der fie des Nechtes des Inco— 
lates zu berauben Macht hatte, wenn auch der Wille dazu vorhanden war! 
Während K. Nuprecht unter den Mühen und Sorgen, die ihm das 
deutjhe Königthum und nicht in geringem Grade feine früheren Freunde 
bereiteten, zujammenbrac und früh feinem Ende entgegenging, hatte ſich 


Be 


in der jlavifchen Welt die große Veränderung zugetragen, mit der das 
XV. Jahrhundert begann. Am 15. Juli 1410 errangen die Polen bei 
Zannenberg den großen Sieg über den Deutfchherren-Drden, der die Macht 
desjelben brach. In Prag hatte es ſchon 1409 nicht an Verdächtigungen 
der Dentjchen, die einer Hinneigung zu K. Nuprecht bejchuldigt wurden, 
gefehlt, wie denn überhaupt die Luft zu verdächtigen in den böhmischen 
Wirren ftets eine große Rolle ſpielte. Ganz offen wurden die Deutjchen 
als Verſchwörer gegen die allerheiligite Stadt Prag, die heilige 
böhmische Nation ud die heilige böhmijche Communität be: 
zeichnet. Man jcheute auch den legten Schritt nicht und bezeichnete Prag und 
die Prager Erde al3 den Boden, auf welchem „die Halbgötter“ wuchjen. 
Längst hatten in ihren eigenen Augen die tſchechiſchen Magifter die deutjchen 
bei weiten an Kenntniffen und Gelehrfamfeit überragt, auch nach diefer 
Seite den Sieg davon getragen. Das wiljenfchaftlihe Turnier, welches 
zu dem Endzwede von der tichechifchen Artiftenfacultät gehalten wurde, ſollte 
den Beweis dafiir liefern. Der Befreier der tichechiichen Nation vom Joche 
der Dentfchen, Mag. Johann Hus, betheiligte ſich hiebei mit dev quaestio, 
ob von dem Bolfe Bharaos, das im rothen Meere ertrunfen, 
und von den Sodomiten, die in Schwefel und Beh unter: 
gegangen, Einige gerettet worden feien? Damit glaubte man 
den Sieg der Tichechen über die Deutfchen und das moralifche Uebergewicht 
der Tichechen itber jie hinlänglic) dargethan zu haben. Es dharakterijirt aber 
den Geift und die Tendenz der ganzen Bewegung, ſowie ihres Leiters 
und Urhebers, daß unter dem neuen tichechifchen Nector der Beichluß gefaßt 
wurde, alle Acte der Univerfität, die fi) auf den jüngjten Streit bezogen 
und dem Kuttenberger Decrete 8. Wenzel3 widerſprachen, zu vernichten. 
Man wollte der Nachwelt jede Kunde der eigentlichen Vorgänge entziehen 
und nur dasjenige follte ihr überliefert werden, was den von Hus und 
jeinen Gefährten erjchlichenen Föniglichen Decret entſprach. In ähnlicher 
Weiſe verfuhr man mit der dentſchen Sprache. Sie war in den Kirchen 
wie in der Hauptjtadt des tichechifchen Königs der Römer geächtet. Der 
Krieg, der jeßt begonnen und in welchem offen darauf gedrungen wurde, 
die Deutfchen aus Böhmen zu vertreiben, wurde jomit eröffnet mit Ber: 
nichtung der Hiftorischen Documente. Glüclicher Weiſe gelang es deutſchem 
Fleiße doch, die Abficht, die Welt zu täufchen und was Hus zujagte als 
hiftorische Wahrheit darzuftellen, zu vereiteln. Jetzt aber hieß es in Prag, 
der Reetor der tichechifch gewordenen Univerſitit — Hus — regiere 
Iſrael, das nenerwählte Volt Gottes; er fer „ver Mittler zwijchen 
Gott und feinem Volke.“ 


— — 


Sp hoch gingen bereits die Wogen der ſlaviſchen Bewegung, als 
K. Ruprecht am 18. Mai 1410, von den Mühſeligkeiten ſeines hohen 
Amtes gebrochen und bereits um ſein eigenes königliches Daſein kämpfend, 
in Oppenheim 58 Jahre alt ſein Leben beſchloß. 

Da es ihm nicht gelungen war, die große nationale Spaltung im 
Reiche zu heben, dieſe vielmehr ſehr bald die Aufmerkſamkeit des allge— 
meinen Reichstages der Chriſtenheit in Conſtanz in Anſpruch nahm, blieb 
ſeine größte und nachhaltigſte That der Verſuch, den Sitz des Königsthums 
auf wahrhaft deutſches Gebiet, nach Heidelberg zu verlegen, wo, als deutſche 
Sprache, deutſches Recht, Wiſſenſchaft und Sitte in Prag geächtet wurden, 
ſie eine bleibende Stätte fanden. 


4. 
Die Gegenfäße, 


Wenige Jahre nach dem Tode K. Ruprecht, als P. Johann XXI. 
im Schloffe zu Heidelberg unfreiwilliges Quartier bezog, Johann von Hu— 
fineg aber, durch das Zeugniß feiner tichechifchen Freunde und nunmehrigen 
Gegner überwieſen, verurtheilt wurde, ftanden ſich die Gegenfäge in größter 
Scroffheit gegenüber, 

Die deutjche Nation, wie fie fich jelbft bezeichnete, devota, patiens et 
humilis, wandte ſich dem allgemeinen Bedürfniffe der nad) einer Reformation 
lechzenden Zeit zu und Half die Konceilienperiode begriinden, die Tich die 
Tilgung des Schismas, die Wiederherftellung der Eirchlichen Einheit, die Aus— 
ſöhnung der den chriftlichen Orient und Decident jpaltenden Gegenfäge zum 
Ziele jegte. Das Product dieſer unabläffigen mühevollen Arbeit war die Renaij- 
jance, die auf dem geijtigen Gebiete nach neuen Quellen und neuer Erfenntniß 
forschte, auf dem Fünftlerifchen an die Antike anknüpfte, auf dem rveligiöfen 
aber den ganzen Gedaufenvorrath griechiſch- und römiſch-chriſtlicher Jahr— 
hunderte demjenigen zuführte, das fich durch eine beifpiellofe Fülle ſchöpfe— 
ticher, genialer Naturen auszeichnete. Die deutſche Nation ficherte ſich 
dadurd ein Kapital, an das fie, wenn fie wollte, nach trüben Zeiten 
immer wieder anknüpfen konnte und im XVIL Sahrhunderte auch 
anfrüpfte. 

In der Heimat des Johann von Hufineg gab es nur Eine Richtung, 
einen Gögen, dem alles Uebrige geopfert wurde, die Nationalität. Der Bruch 
mit der Vergangenheit, mit Allem, was durch die Einwirfung der von 
Deutſchland herübergefommenen Culture entftanden war, war volltändig 


— 48 — 


wie der Triumph des einheimifchen Arels und die Knechtung der Mafjen, 
der Umjturz des Königthums, der Kirche, der gefammten Eultur, alles 
dejjen, was K. Karl gewollt, erjtrebt, gejchaffen. Die Univerfität jtand 
jtill, das Volk verwilderte unter blutdürftigen Führern, unter dem Bürger: 
friege, der mit der Zerftörung aller Stätten der Cultur begonnen hatte, 
Um djefen Preis triumphirten die Männer der jacrofancten Gemeinde. Die 
große Bewegung der Geifter im fünfzehnten Jahrhunderte ging au ihnen fo 
viel als jpurlos vorüber. Es handelte fich darum, daß ein Einheimifcher oder 
doc) ein Slave, aber fein Deutſcher König werde, und jtatt der Renaiſſance— 
periode hatte man den Utraguismus als nationales Siegeszeihen. Ganz 
Böhmen Tpaltete ich aufs Neue, in Städte, die den Kelch) zu ihrem Symbole 
nahmen, und in die, die diefes Symbol verwarfen. Damit war der 
Nationaljtolz befriedigt, und mehr bedurfte es nicht, wenn auch, wie Peter 
Cheltieky jagt, das Wolf vichifch geworden war. Wer erjegte ihm den 
verlorenen Wohlitand, wer den abhanden gekommenen Frieden, das einjt 
jo mächtige Bedürfniß nach geiftiger Belebung? Wer die individuelle 
Freiheit? Man brauchte das Alles nicht mehr! Man hatte den Fühnen 
Schritt zur allgemeinen Revolution gewagt, ſelbſt auf die Gefahr hin, 
daß ſie drei Jahrhunderte lang in immer neuer Geftalt wieder ericheite, 
die Auflöjung unaufhaltſam weiter jchreite! 

Man bedurfte der anderen Nationen, vor Allem der deutschen, nicht 
mehr, und was dadurch an reellen Gütern unmiederbringlich verloren ging, 
erſetzte — die Einbildungskraft, die den Abgrund nicht jehen ließ, dem 
man zujtenerte, als es eigentlich Kein Volt mehr, fondern nur — Herren, 
Ritter, einige Städte und verarmte Knechte gab. 

War der Hufitismus, wie feine Anhänger behaupten, ein Cultur— 
element, fo iſt ficher, daß die übrigen Nationen desfelben nicht bedurften, 
auch feinen Grund hatten, diejenigen zu beneiden, die die Periode des 
„Humanismus“ Fiir überflüſſig erachteten. 


Beilage. (Anfang der K. Wenzel Bibel.) 


Nach einer Mittheilung des verjtorbenen Academifers, Herrn Dr. Haupt. 


f. 1.2: Hie hebt fich an die vorrede vnd. | der prologus vber das buch daz do | 
heiffet vnd genant ift Biblia ete. | 0) Got got du hertzen liebes gute | 
Czu dir hebit fich mein mut. Und | rufet dich gutlichen an. wenne | 
nyemant wol gefchaffen kan. | An dich wil yeman icht begin | nen. Von 


1) Zwiſchen der rothen Ueberichrift und dem Terte in einem blauen großen O 
das Bild des Weltheilandes die Bibel oder ein Bud in der linken Hand, 


su He 


herezen vnd von finn@ | hebit keiner hand geticht | Und hat er deiner 
hulffe nicht | Vnd ob er die vorkeuset. : Sein ar | beit er vorleufet. Wenne 
alfo fp | fpricht dein werder fon.. An mich | mügt ir nicht getvn. Dor 
vmbe | rufe ich herre ezu dir. Und bite | dich das du fendest mir. Deiner | 
gnaden ftewer. Des heilig® gei | ftes fewer. Das mein finne durch | feuchte. 
Und mein fele erleuchte. | Und mir entflieffe mein@ mvnt | Das ich mvze 


« czu aller ftvnt. In | trewen ymmer meren. Das lop dei | ner eren. Das | 


ich die pfvnt die du | mir. Hast vorlihen brenge dir. M | Mit reichem 
wucher vrolich. Das | dein mvnt fo fruntlich. Mir denne | gütlich fpreche 
ezu. vrewe dich lie | ber diener nv. Sint du bist czu di | sen ftunden. 
Getrewe vber wenig | funden, Ich wil dich deiner not er- | getzen. Und 
vber vil gutes feczen. 


) — ouch herre deine ftew | er. Ozu diſer lieben abent tewer. Dem 


vromen herren der | den rat. Uon dir felbe enpfang® | hat. Dem werden 
getrewen diener | dein. Dem Rotlebin herren mer |tein. Der in rechter 
tugende kern | Brinnet als ein liechter morgen | ftern. Und fich vnder 
deinen dienst | beuget. Und manch gut teftamöt | czeuget. vnd meret deine 
heilige | schrift. Der ouch ftiftet dife geftift | Czu lobe deiner heilicheit. 
Gib | im herre fteticheit. Und dorezu | vrolichen mut. Das er dicz wer | 
ke gut. Muze vol furen in fein@ | tagen. Das er do mite müze be- | iagen. 
Der ewigen felden hort. | vreude beide hie vnd dort. Gib | ouch feiner 
werden vrowen. die | fich lest in trewen fehowen. zu | allen eziten loze. 
Recht als ein | werde rose, Sterck vnd volleku- | menheit. Das fie an 
deiner ar | beit. Mit deinen fchriften erwer- | be. Das fie nymmer eriterbe. | 


- Bis das ir leben alfo gevalle. den | touben an alle galle. Der Konigin | 


der trewen vnd der cren. Marien | der werden heren. Das fie fi müze | 
ezuchtielich. Füren in ires kindes | reich. Und gebe in do der trewen. | 
erone. Nu vnd ewiclich zu lone. | 


2) (a des ewigen vaters f | fon. Nu hilffe vns das | wir alfo ton. Das 


f. 1.0. 


vos nymmer | mifselinge. Dein helfe vns dar | ezu bringe. In aller vnfer 
arbeit | Gib vns felbir dein geleit. w&nn | wir vns han gefeczet vor. Ouf | 
fliefsen deiner fchrifte tor. Die | manchem noch vorfperret fein. | So das 
wir aus der latein. Sie | czu deutfche richten. vnd durch | deinen namen 
tichten. Dor vmbe | das dein Kindel. Die difer werlde | fwindel. Hat be- 
toubet vnd vor | irret. Und von dir verre gevirret. | Dar aus helfe enpfahen. 
Und | wider ezu dir gahen. vnd durch | deiner diener felden. Die vf der | 
fehriften velden. Der fele narüge | fuchen. Das fie in keinen Bu | chen. 
uinden keiner minne fü | ken. Und werden in liebe trvne | ken. Als vns 
fchrebit herre fa | lomon. In der liebe buch do von | Efset vnd trincket 
mein lieben | frünt. Und werdet truncken nv | ezu ftunt. Ewer lieb mir 
flafen | machet. Jdoch mein hereze wa | chet. Nu herre in dein®@ namen. | 
Durch deiner heiligen minne (tu | men. Hilfie das wir in vnfern | tagen. 
Dein ioch alfo müzzen tu | ‘gen. Das wir in deines vaters lant. | Mit den 


1) Blaues R. 
2) Großes goldenes C. 
Mittheilungen. 25. Jahrg. 1. Heft. 4 


» 


f. 2. 


ezu der rechten hant | Enpfahen deines fegens gewin | So du fpricheft 
gütlichen ezu | in. Kvmet ir gefegenten Kindel | rein. In das reich des 
vaters | mein. Das euch von anegenge | ich. Han bereitet ewielich. Das | 
vns das allen wider var. Des | helfe vns die muter celar. Die | in iren 
iungen tagen. Criftum | meitlich hat getragen. In des | heiligen namens 
volleist. Va | ter fon heiliger geist. Allen go | tes Kinder. Die sich in 
trewen la | fent vinden. Und in gleicher fa |. fe. Bawen des himels ftrafe. 
Die | got von herezen vnd von finnen | Und die heilige fehrift minnen | 
Vnd do mit bekvmmert wefen. | Das fie gerne hvrent lefen. O | der felber 
lefen den wil ich. Hie | vor legen früntlich. Der beften a | bentewer kort 
Die mein oren | ye gehort. Ein buch das heiffet | biblia. Die wil ich aus 
richten | fa. Und mit gleichen flechten | dingen. In deutiche ezunge v | 
vod fprache bringen. Nicht zu | reime sam ich aldo. Gee in dife | prologo. 
wenne wer es alfo | wolde fagen. Der müfte czu | vnd abe tragen. Und 


- die fcehrift | gar vorkeren. Alfo wil ich nichte le | ren. Sunder gleich als 


vos fchrei | bet da. Der heiligen fehrift hyftori- | a. Alfo wil ich euch 
fehencken. U | Und mit vreuden trencken. | 


7) 


f. 2.b. 


1) 


Jses buches ausganck. Ist vö der | werlde ane vanck. Uon (dem erften | 
tage. Von wreuden vnd von celage | was wunders in allen eziten. In | difer 
werlde weiten. Gefchach | vnd noch gefchehen fol. wie got | die werlde 
fünden vol. Bei noe | gar ertrenekte. Und den fodomi | ten fehenckte. 
Swebil vnd fewer | Und machte in vreude tewer wie | er den Kynig pha- 
rao. Im roten | mere czu egipto. Ertrenkte vnd | alle fein ritterfchaft. 
wie chore | vnd fein gefellefchaft. Dathan | vnd abiron. In irem vbir- 
mut | vod hon. Die erde lebending vor | flant. In aller difer not enpfät | 
Seiner diener ny kein leit. Svn | der alle ire arbeit. Hat er fiüntl | chen 
geendet. Vnd in vreude ge | wendet. Und aus allen forgen | erlost. Mit 
feiner gegenwurtic- | heit getroft. Gefpracht mit in | ezu manchen {tun- 
den. Als mit | feinen lieben frynden. Sulcher | grofer wunder ezil. Steen 
in di | fem buche vil. Der ich euch all | hie nicht künde. Bis ezu 
der | selben ftunde: Do ir die fchrifte | gegebin hat. Ir gleichen awen | 
tewer ftat. wer nv difer fchrifte | hort. wil lefen vnd ir füzen wort | 
Der fchol nv dancken dem vru | men. Von «dem diez geftift ift ko | 
men. Dem hochgeborne Konig | wenczlab vein. Und der durch | luch- 
tigiften Konigiun fein. | Der diez durch gotis wirdikeit | frumet aller 
criftenheit. Got | gebe in dor ümbe czu lone. Des | edeln himelriches 
crone, Amen, | Hie hat die vorrede ein ende got | vns feinen heiligen 
geifte fende | Darnach hebit fich an das er | fte buch. das do heifset das 
bu | che der fchepfunge mit fulche worten. 

Großes grünes und viofettes D, im deſſen innerem Raum der König Wenzel 
und die Königin Sophie, außerhalb der Eolumme dem Beichaner links dem 
Könige rechts der einkopfige ungefrönte deutfche Adler ſchwarz in Gold, Dem 
Beichauer rechts der Königin links der böhmiſche recte Inremburgiihe Löwe 
golden in rothem Schild, 


ur 


Die Berka von Duba und ihre Befikungen 
in Böhmen. | 
Bon Wenzel Hiele. 


IL, 


Heinrich Berka von Duba anf Hanska und feine Söhne, 

Im Laufe des vorigen Jahres ijt eine weitere Arbeit Knothes über 
die Berka von Duba erjchienen, die fich genau mit demſelben Stoffe be: 
Ihäftigt, den dieſes Capitel behandeln joll, wenn aud der Titel: „Zur 
Genealogie der Berka von der Duba aus dem Haufe Mühlſtein“ zunächſt 
auf einen geringern Umfang jchliegen Liege.) Auch er geht von Heinrich) 
anf Hauska aus und läßt dann die Gejchichte feiner Söhne der Neihe 
nach folgen, ohne jich auf die Beliger der Burg Mühlftein zu bejchränfen. 
— Meine Ausführungen werden nun zeigen, daß ich in einer Neihe von 
Punkten zu andern Mefultaten gelangt bin als Knothe, abgejehen von 
manchen nicht unbedentenden Ergänzungen. Dabei find diefe Abweichungen 
derartige, daß ich mich nad) einigem Schwanfen entjchlojs, einfach nochmals 
den ganzen Stoff ſyſtematiſch zu behandeln. Diejer Weg jchien mir der 
fürzefte, und auch die nöthige Klarheit läßt ic) jo am beiten erreichen. 

Im erſten Theile (Meitth. 24, 125) ergab ſich Folgendes: Der ejte 
Berfa von Duba, der 1348 gejtorbene Oberjtburggraf Hinko, hinterließ 
feine Giter feinen zwei Söhnen Hinko und Heinrich; jeiner Witwe Agnes 
verblieb der Tebenslängliche Nutzgenuß gewiljer Theile davon, die dann 
nad) ihren Tode aucd an Heinrich fielen. Knothe iſt anderer Anſicht. Er 
jagt (S. 81}: „Zu feiner Herrſchaft Mühlftein gewann bald darauf Heinrich 
Berfa durch feine (zweite) Verheiratung mit Agnes, der Witwe Herrn 
Hinkos, gen. von Duba, das veihe Daubaer Erbe als Mitgift hinzu.” — 
Dazu vermuthet er, diejer „Hinko, gen. von Duba“ wäre jener Sohn des 


1) Mittheilungen des nordböhm. Excurſions-Clubs VII, 81 ff. — Noch ſpäter 
erihien von demjelben der Aufſatz „Die Berka von der Duba auf Mühlberg“ 
im NR, Archiv für Sächſ. Geld), Band VI, ©. 190 ff. — Daraus ergibt fid) 
als Verbefferung und Ergänzung zu S. 144 meines 1. Abjchnittes, daß Hiuko, 
der leßte Herr von Hohenstein, zwiſchen 1452 und 54 ftarb. Ihm folgten im 
Befis von Mühlberg 3 Söhne: Dans (geft. vor 1457), Hinko (gejt. ce. 1464) 
und Albrecht (geft. ec. 1479). Nur der erfte hinterließ einen Sohn Haus, der 
am 31. December 1519 kinderlos ftarb. Diefe wären alfo in der Stammtafel 


nachzutragen. 
4* 


— 


Oberſtburggrafen Hinko, den derſelbe in der früher beſprochenen Gründungs— 
urkunde von Weißwaſſer als Zeugen anführt. Nun haben wir aber im 
erſten Theil gejehen, daß dies derjelbe Sohn Hinko ift, der jpäter Hohenitein 
als Lehen erhielt. Diefer ftarb aber höchſt wahrjcheinlich erſt im J. 1361, 
während die bewußte Witwe Agnes bereits 1356 den Pfarrer für Töfchen 
präfentirt.?) Auch war diefer Hinfo von Hohenftein bekanntlich nicht 
finderlos ; das Leibgedinge der Witwe hätte aljo jedenfall an die Kinder 
fallen müſſen. Da aber dasjelbe jpäter (nach 1361) in den Beſitz Heinrichs, 
des Bruders von Hinko auf Hohenjtein, itberging,?) jo kann jene Agnes 
nur die Mutter beider, die Witwe des Oberjtburggrafen gewejen jein. 

Es wurde jeinerzeit auch bereit3 ausgefprochen, daß Heinrich in 
einer jedenfalls jchon vor dem Tode feines Bruders (1361) vorgenommenen 
Sütertheilung die Herrichaften Hühnerwafjer, Hausfa, Dauba und Habſtein 
erhalten hatte. *) Der Beweis für diefe Behauptung ergibt fich ganz zwei: 
fellos, wenn man die Konfirmationsbücher durchgeht bezüglich des Patronats 
bei den zu obengenannten Herrichaften gehörigen Pfarrkirchen; man erſieht 
zugleich daraus, daß Heinrich auch fpäter ununterbrochen im Beſitz derjelben 
verblieb. Nach dem Zeugnis jener Bücher, das freilich hier nicht über das 
%. 1358 zurück veicht, übte derfelbe das Patronatsrecht aus: zunächſt in 
Hühnerwafjer jelbft am 10. Oct. 1363, dann in Nieder-Krupay auf der 
gleichen Herrſchaft bereits am 14. Juni 1358,°) und jeitdem öfters. 
Ebenso ijt er Batron in Kadlin am 6. Juli 1380, in Widim am 
23. Nov. 1385, und in Borzim (Hft. Hausfa) am 20. Juni 1377,°) 
In der Stadt Dauba präfentirt Heinrich den Pfarrer 1374 (Juli 1.) 
und in Töſchen feit 1364, wie erwähnt.) Nicht minder in Klum ſeit 
1363 (7. Juni) mehrfach, ®) in Pablowig am 16. Jän. 1374, in Hohlen 
bereits am 1. April 1359, endlih in Habſtein (Kruſſina) jelbit am 
7. Jän. 1391.%) — Diejer kurzen Ueberficht muß noch hinzugefügt werden, 





1) Bergl. im 1. Theil ©. 124, Anm. 1. 

2) Ebenda ©. 125 und Anm. 1. 

3) Bereit3 im J. 1363, am 7. Juni präfentirt Heinrih den Pfarrer in Klum 
(Cl. conf. I, 2, 12.); desgleihen in Töfchen am 10. Juli 1364 (a. a. O. 50,) 

4) Im 1. Theil. ©. 125. 

5) Cl. conf. I, 2, 23, und I, 1, 19. 

6) L. confirm. III-—IV, 128, 173, 75. 

7) Ibidem IH—IV., 15. 

8) Ibidem I, 2, 12. Sonſt noch 1364, Jän. 13, 6bid. 37.) und 1368, Jän. 13. 
(ibid. 97.) Wenn 1363 Nov. 13. der Patron „Hinfo Berka von Leipa” heißt, 
fo kann das nur eine fälfchlihe Bezeichnung fir Heinrich fein (ibid. 27.). 

9) Ibidem II—IV 4. (Bablowiß); I, 1, 90 (Hohlen); V, 79 (Babftein). 


— 83— 


daß während der ganzen Zeit auf keiner der zu den genannten Gütern 
gehörenden Pfarreien ein anderer Patrou genannt wird. 


Zu dieſem freivererblichen Beſitz iſt dann noch Mſcheno als Pfand— 
beſitz hinzuzurechnen. — Es geſchah wahrſcheinlich im Anschluß an die 
ſeinerzeit erwähnte Einlöſung der Herrſchaft Böſig-Weißwaſſer durch Kaiſer 
Karl IV., daß es zwiſchen dieſem und Hinko Berka von Duba (dem Bruder 
Heinrichs) zu einem Streite fam wegen Micheno. Derjelbe endete dann 
am 13. Jäner 1352 mit einem Bergleiche. Die hiezu beftimmten Schieds— 
vichter ftellten feſt: Städtchen Micheno gehört vechtmäßig dem Könige, 
aber diejer muß dem Hinko Berfa 300 Sch. Prag. Gr. auszahlen oder 
anderweitig verfchreiben. ) — Die Pfandichaft wurde aber nicht ausgezahlt, 
und Heinrich befaß Mejcheno, bis ev die Verfchreibung abtrat an Johann 
von Smirzitz (das Jahr ift unbekannt). 2) 

Auf der anderen Seite vergrößerte jedocd Heinrich die Zahl feiner 
Güter durch anfehnliche nene Erwerbungen. Hieher gehört zunächſt Dürchel, 
wo vom 11. März 1363 bis zum 28. März 1373 ſechsmal Sobehrd, Ritter 
von Sebitſch (weitl. von Dürchel) als Patron genannt wird. ?) 

An 28. Nov. 1388 präfentivt aber bereits Heinrich Berka von 
Duba den Bfarrer. *) 

Unentfchieden muß es vorläufig bleiben, ob Burg und Herrichaft 
Mühlſtein erſt von Heinrich erworben wurden, oder ob fie bereit dem 
Vater gehörten. Die Burg wird als Schub der belebten Handelsjtraße 
von Zittau nach Prag zuerft 1343 erwähnt; ) doch erfahren wir nichts 
über den Befiger. Der Herr auf dem Mühlftein war auch Patron in 
Zwidan und Mergenthal. Heinrich präfentirt am erjteren Orte jeit dem 
23. Mat 1362 jtets den Pfarrer, %) in Mergenthal feit dem 23. Aug. 1372. °) 
Aus früherer Zeit find bezügliche Präfentationen nicht erhalten. 

Zu diefem Grundbeſitz an der Nordgrenze Böhmens fügte Heinrich 
noch zwei anftoßende Güter, ohne daß wir den Zeitpunkt genau angeben 


1) Ms. Raudn, Abfchr. im böhm, Muſeum. — Vergl. Pamätky VII, 611. 

2) Archiv tesky II, 466. Johaun von Smirzis trat fie wieder ab an Heinrich 
von Michelsberg. 

3) L. confirm. I, 2, 7, 30, 64. II, 24, 50, 89. (Soböhrd miles de Drewicie. Als 
Zeuge fungirt derjelbe noch am 29, April 1381. (L. erect. II, 176. Borovy.) 

4) L. confirm. II—IV, 204. 

5) N. Seript. r. Lusat. T, 7. Wahrjcheinlic” war die Burg damals königlich. 

6) L. confirm. I, 1, 176. (Es find au diefer Stelle die Namen Zwickau und 
Langenau vertaufcht, was auch jonft öfters vorkommt.) — Bergl. I, 2, 58, 87. 

7) Ibidem II, 80. — ®ergl. II--IV, 111, 


Zr SB 


fünnten. Dazu gehört erjtens Kunnersdorf, das Dis dahin den Nittern 
Panzer von Smoyn gehörte, Noch am 7. Auguft 1369 ſchenkte Johann 
Panzer, der in Kunnersdorf feinen Sitz hatte, gemeinjchaftlicd mit feinem 
Bruder Nikolaus der unter feinem Patronat ftehenden Kunnersdorfer 
Kirche 2 Schod Zins auf- Gökdorf. ) Am 22. Mai 1388 wird daun 
entschieden, daß Johann, der jetzt bereits auf Neichjtadt ſaß, zur Zahlung 
diejes Zinjes verpflichtet jei.?) Danach muß alſo der Befigwechjel wohl 
nicht gar lange vor 1388 jtattgefunden haben. 

Als die zweite Vergrößerung war nm diefelbe Zeit die Herrichaft 
Gabel Hinzugefommen. — Gabel gehörte feit jehr langer Zeit den Herren 
von Lemberg, und es präjentiven nody am 28. Feber 1375 und am 
20. Apr. 1379 den Pfarrer für Kriesdorf (Suchä) Gallus von Lemberg, 
genannt von Zwirzetitz, und Hafchek von Lemberg. *) Das Patronat diejer 
Kirche übten auch noch fpäterhin die Befiger von Lemberg und von Gabel 
gemeinschaftlich.) Nimmt man dazu, daß fiir die Pfarrei in Seifersdorf, 
weldyes ganz zur Herrjchaft Lemberg gehörte, obiger Haſchek von Lemberg 
jowohl am 8. März 1370 als auch am 13. Jän. 1384 allein Patron 
ijt, >) jo geht daraus hervor, daß die einſt vereinigten Herrichaften Gabel 
und Lemberg zu dieſer Zeit getrennt waren, und daß 1378 und 1379 ge- 
nannter Gallus von Lemberg alleiniger Herr von Gabel war. Bon ihm 
muß dieſes alfo danı übergegangen fein an Heinrich) von Duba, u. 3. 
muß das vor den %. 1336 gefchehen fein; denn Knothe (S. 95) Führt 
eine Urkunde von diejem Jahre aus dem Dresdner Archive an, worin ein 
Henricus dietus Berka de Duba alias de Jablony als Zeuge auftritt. 
Wie Gabel an die Berka Fam, ift nicht mehr feitzuftellen, jedenfalls nicht 
als Meitgift mit dev Frau eines Sohnes von Heintich, wie man aus 
genommen hat. ©) 

Am 1. März 1391 traf nun Heinrich eine vorläufige Verfügung 
über jeine Güter, indem er zunächſt die drei ältejten Söhne Hinko Dubsky, 


1) L. erect. I, 73. GBorovij.) 

2) L. erect. XII. Balbin p. 231. 

3) L. confirm. III-—IV, 86, 108. — Für Gabel felbit verfagt das Zeuguiß diefer 
Bücher, da bier der Abt von Münchengrätz Patron war. 

4) L. confirm. V, 228. (Hafchef von Lemberg und Heinrich Berfa von Duba.) 

5) Ibidem II, 26 und IIMIV, 165. 

6) Knothe (S. 82.) meint, die halbe Herrichaft Gabel hätte der 3. Sohn, 
Heinrich Berka, um 1386 als Mitgift feiner Fran Katharina erhalten. Dem 
widerjpricht Folgendes: Nicht der 3. Sohn, jondern der ältefte, Hinko Dubsky, 
heiratete diefe Katharina, u. zw. wohl erit um 1396. (Arch. tesky III, 471.) 
Wäre Gabel Mitgift derjelben geweſen, fo wäre e3 nicht in die Theilung auf— 


a DI 


Heinrich d. ä. und Heinrich Berka abtheilte. *) Und zwar wies er ihnen 
grade das zuleßt bejprochene Gabel-Mühljteiner Gebiet zu. Wir erfahren 
in der betreffenden Urkunde, was zu dieſen Beligungen gehörte. Es 
werden da aufgezählt: Stadt Gabel, Böhmifchdorf, Markersdorf, Krieg: 
dorf (Suchä), Pojtrum (Postrelnd) mit Meierhof, Herrndorf (Knezice), 
Petersdorf und Hermsdorf (Heimanice); — Burg Mühlſtein, Städtchen 
Zwickau und ein Dorf gleichen Namens, Kınmersdorf mit Ritterfig und 
Meierhof, Ober: und Nieder-Lindenan, Klein-Grin (Agrina), Glafert 
(Krazhart), Mergenthal und das wüfte Dorf diejes Namens, Ober: und 
Unter-Lichtenwalde und Krombad). 


Nur ganz im allgemeinen verfügt dann der Vater noch in derjelben 
Urkunde, daß nach jeinem Zode auch Hühnerwaſſer an die genannten 
Söhne fallen follte. Herrſchaft Dauba, worauf die Mitgift feiner Frau 
verjichert war, wie auch alle andern Güter hätten an die vier jüngern 
Söhne zu fallen, nämlich Wenzel, Johann, Heinrih Hlawacz und Hein: 
vich d. j. (genannt Wanek).- Wir werden jedoch finden, daß dieje letteren 
Beſtimmungen jpäterhin bedeutend geändert wurden. 


Zunächſt muß aber noch die Frage beantwortet werden: Wie lange 
lebte noch Heinrich, der Vater? — Unterfucht man zu dem Zwecke die 
Angaben der Eonfirmattonsbücher darüber, wer auf den Beligungen, die 
der Bater jih und den jüngern Söhnen refervirt hatte, das Patronats: 
recht ausübt, jo ergibt fi, daß dies bis 1404 (beziehungsweiſe 1402) ein 
Heinrich Berka von Duba auf Hausfa it. Derſelbe wird an mehreren 
Stellen gradezu Heinrich d. -ältere genannt; jo 1393 und 1396 als 
Patron in Zöjchen;*) weiter als Patron von Dürchel 1398, ?) von Dauba 
1401 ®) und endlich von Kroh 1403.°) Auch treffen wir diefen Heinrich 
d. ä. am 18. Feber 1402 als Gerichtsbeifiger in Prag. ®) 

Dagegen am 22. Sept. 1404 übt in Hühnerwaſſer (das ſich be- 
fanntlich der Vater ſelbſt vorbehalten) das Patronatsrecht aus „Woel- 


genommen worden; and wäre ihr Gemahl der Beſitzer geblieben, während er 
doch gerade von Gabel nichts erhielt. Uebrigens war auch Katharina eine 
Tochter Hafhels von Lemberg, nicht des Beſitzers von Gabel. 

1) Reliq. I, 536. 

2) L. confirm. V, 160 und 251. 

3) Ibidem V, 307. 

4) Ibidem VI, 46. 

5) Ibidem VI, 95. 

6) Archiv Gesky II, 359 f. 


— 56 — 


heid, die Witwe des (Heinrich d. ä.) Berka von Duba anf Habſtein.!) 
Fügen wir dem noch hinzu, daß in dem ſpäter zu beſprechenden 
Theiluugsvergleiche der jüngern Söhne von 1402 der Vater ohne 
Zweifel noch als lebend vorausgeſetzt wird, ſo folgt aus allem als ſicherer 
Schluſs, daſs dieſer Heinrich d. ä. auf Hauska (oder Habſtein) der Vater 
ſelbſt und Adelheid ſeine Witwe iſt. Er muß daher erſt im Jahre 1404 
geſtorben ſein.?) 


Falls man nach dem Angeführten noch nicht geneigt ſein ſollte, dies 
zuzugeben, und vielmehr in jenem Heinrich d. ä. einen der Söhne er— 
blicken wollte, jo könnte man jedenfalls ur an den zweitälteſten, Heinrich, 
denfen.?) Diefem war 1391 ein Theil von Gabel zugefallen; er hatte 
fich desjelben aber entäußert (wir werden darauf zurückkommen), nnd heißt 
1402 (21. Feb.) „Heinrich von Duba, gej. auf Milezan".*) Bon ihm jagt 
1456 der fiebzigjährige Rzimek von Dürchel bei Gericht aus: „Ich erinnere 
mid) von vor 60 Jahren ber, daß der alte, „einäugige" Berka feinem 
Sohne Heinrich die Güter Milezan, Hohlen, Habjtein und Hühnerwaſſer 
abtrat. Diefer hatte 2 Kinder; eine Tochter Berigua (Bonuse) und einen 
Sohn Heinrih. Und als er jtarb, da nahm Hynek (Heinrich) Berka von 
Hausfa beide Kinder zu ſich“ u. ſ. f.“) Nun findet fich in einer Handfchrift 
des Prager Domcapitels ®) die Notiz, daß am 22. October 1406 Heinrich 
Berfa von Duba, gejeffen auf Habftein, dem Tode nahe, im Tejtamente 
feiner Tochter Bonuſcha gewiſſe Zinfe für Lebenszeit beſtimmte. 


Berücjichtigen wir dies alles, jo wird es klar, daß es eben dieſer 
Heinrich ift, dem die bereits oben genammte Witwe Adelheid am 
30. April 1405 ihre Anrechte auf Habjtein, Hühnerwaſſer, Hohlen u. a. 


1) L. confirm. VI, 128. Hier fteht nur „Berka von Duba“; aber 1405 April 30, 
(Relig. II, 15.) heißt diefelbe: Adla relieta olim Henrici sen. de. Berka de 
Duba et de Jestrebie. Nach Habitein nennt ſich Heinrich felbft auch 1403, 
Dct. 4. (d. in Huska et in Jestr.) ]. confirm. VI, 102. 

2) Er präfentirt noch am 22, Sept. 1404 für Kroh. Daß am gleichen Tage feine 
Witwe Batronin von Hühnerwaffer ift, kann nicht auffallen, nachdem die 
Bücher nicht das Datum der Präfentation, fondern der Gonfirmation geben. 
L. confirm. VI, 128. 

3) So eben Knothe ©. 83. Diefer Sohn wird auch wirklich jpäter einmal Hein- 
rich d. ä. genannt. 

4) Reliq. I, 597. — ®ergf. L. confirm. VI, 92: Pablowitz, Pal 1403: Heinrich 
Berka v. Duba u. v. Milgan. 

5) Archiv &esky I, 168. 

6) Palackh's Notizen im böhm. Muſeum. 


— — 


worauf fie ihre Mitgift verſchrieben hatte, um 250 Schock verkaufte.) Und 
gleih darauf verficherte derjelbe auf zwei Dörfern der Herrſchaft 
Hühnerwaffer, Sciedl und Jeſowai, jeiner Gemahlin Katharina 500 
Schock Mitgift.”) — Das genügt jedenfalls zur Widerlegung obiger An: 
nahme. — Faſſen wir nun nochmals die Reſultate zujammen: Nachdem 
Heinrich von Hauska 1391 die drei älteın Söhne abgetheilt, verwaltete 
er die übrigen Güter weiter, bis am 18. Feb. 1402 auch die noch lebenden 
drei jiingern ihre Antheile erhielten. Auch diesmal kamen nicht zur 
Bertheilung die Herrichaften Hanska, Hühnerwaifer, Habjtein und Milczan. 
Lebteres war aber vor 1402 dem zweitälteften Sohne überlajjen worden. 
AS dann 1404. der Vater jtarb, erhielt Hausfa der dritte Sohn, Heinrid) 
Berfa auf Gabel, Hühnerwaſſer und Habftein der zweite, Heinrich auf 
Milezan. 

Ueber diejen legtgenannten bleibt wenig mehr zu jagen; es foll aljo 
hier eine Ausnahme gemacht werden von der durch das Alter vorgefchrie- 
benen Reihenfolge. 

Aus der bereits theilweije angeführten Zeugenausjage des Rzimek 
von Dürchel erfahren wir. noch dies: Heinrich Berka von Hausfa, der 
des verjtorbenen Bruders zwei Kinder zu fich genommen hatte, gab dann 
die Zochter nach Leipa, wo fie ftarb; der Sohn Heinrich blieb auf 
Hauska und ftarb dajelbit. Darauf nahmen in Beſitz: Milczan und Hohlen 
Heinrich Berfa von Hauska; Hühnerwaſſer der ältefte Bruder, Hinko von 
Mühlſtein, Habjtein dagegen Heinrich) Hlawacz. — Aus anderweitige 
Ausjagen desjelben und weiterer Zeugen vom 25. October 1455 fünnen 
wir noch hinzufügen, daß Bablowig an den jüngjten Bruder, Heinrich 
(Wanẽek) auf Chudy-Hradek fiel. *) 

Es wurde oben eine Notiz aus dem Teſtamente des Vaters jener 
zwei Kinder angeführt. Aus dem Datum desfelben, am 22. October 1406, 
geht hervor, daß man feinen Tod Ende October 1406 auzufegen haben 
wird. Damit ftimmen die Angaben der Confirmationsbücher, nach denen 
diefer Heinrich von Habjtein das legtemal am 22. Juli 1406 als Patron 
von Hühnerwaſſer erjcheint.*) Daß fchon am 15. Sept. 1407 Heinrich 
Berka von Duba auf Hausfa den Pfarrer von Hohlen präfentivt hat, ?) 
ließe fich aus feiner Stellung als Vormund erflären. Daraus jedoch, daß 

1) Relig. II, 15. 

2) Ibidem II, 16. 

3) Archiv Cesky I, 162. 
4) L. confirm. VI, 187. 
5) Ibidem VI, 225. 


Heinrich Hlawacz am 9. Jäner 1408 Batron in Habſtein ijt, !) ijt zu Schließen, 
daß derjelbe bereits vor dem Eude des J. 1407 dieſen Beſitz angetreten 
hatte. Daher müſſen die genannten zwei Kinder Heinrichs von Habſtein 
im Teßtgenanuten Jahre gejtorben jein. 

Nachdem fo die Gejchichte des zweiten Sohnes bereits im voraus 
abgehandelt worden, ſoll bei der Beiprechung der übrigen die durch das 
Alter gegebene Reihenfolge eingehalten werden. 


Die drei älteren Söhne hatten wohl bald nachher, nachdem fie 
von dem Bater ihr Erbtheil erhalten, dasjelbe ter fich getheilt und dem 
älteften, Hinko Dubsky, war der Mühljtein mit Zwidan und den zu: 
gehörigen Dörfern, desgleichen auch Kunnersdorf zugefallen. Bereits am 
12. Nov. 1394 iſt Hinfo als Patron von Zwidau genamıt, und am 
14. Mai 1395 in Mergenthal.?) Am 4 Oectober 1396 verjchrieb er 
jeiner Gemahlin, der jchon beiprochenen Katharina, Tochter des Haſchek 
von Lemberg, 500 Schod Mitgift auf den Dörfern Kınmersdorf und 
Hermsdorf. ?) Am 14. März 1405 vergrößerte er jein Gut, indem er den 
Antheil feines nächſten Bruders hinzukaufte;) außer der Hälfte von Gabel 
gehörten dazu auch die Dörfer Böhmiſchdorf und Markersdorf (theilweije). 
Auf dieſe zwei Dörfer übertrug danı Hinko 1409, am 3. Juni, die vorher 
erwähnte Meitgift feiner Fran. >) Inzwiſchen war aber Hinkos Befig noch 
erweitert worden. Denn, wie kurz vorher ausgeführt wurde, fiel im 
J. 1407, als auch die Kinder des zweiten Sohnes Heinrich von Habjtein 
geftorben waren, von ihren Gittern Herrjchaft Hühnerwaſſer an den Mühl: 
jteiner, und jchon am 17. Juni 1408 iſt er als Patron von Nieder: 
Krupay genannt.) Hinko iſt wahrjcheinlih um 1413 gejtorben. Denn 
wir finden, daß am 28. Jän. 1414 als Batron den Pfarrer von Zwidan 
präjentivt hat fein Bruder Wenzel, in jeiner Eigenjchaft al Vormund;?) 
und am 10. October desjelben Jahres nennen die Confirmationgbücher als 
Patronin in Kunnersdorf Hinfos Witwe Katharina.) Dieſe hatte alfo 


1) Ibidem VI, 235. — Am 17. Juni 1408 präfentirt auch ſchon Hinfo von 
Mühlſtein für Nieder-Krupai. Ibidem VI, 246. 

2) L. eonfirm. V, 201 und 218. 

3) Archiv Cesky III, 471. 

4) Relig. II, 14. 

5) Ibidem II, 58— Archiv tesky III, 478. 

6) L. confirm. VI, 246. 

7) Ibidem VII, C. 22. Ms. 

8) Ibidem VII, D. 7. 


= Bi 


hier ihren Witwenfig aufgefchlagen. — Borgenannter Wenzel Berla mag 
für die Zeit der vormundichaftlihen Güterverwaltung feinen Sig in Hühner: 
waſſer gehabt Haben, denn er heißt in zwei Präfentationsurfunden vom 
J. 1415 (fir Widim) „gejellen auf Hühnerwaſſer“.) Mean wird dies 
ſchwerlich jo auslegen dürfen, als ob er um diefe Zeit genannte Herr: 
haft ctwa erworben hätte. Anderfeits freilich muß bier hervorgehoben 
werden, daß Hühnerwaljer im Laufe der nächjten Jahre (vor 1430) dei 
Defiger gewechjelt hat, indem wir es ſpäter als Eigenthum des Chwal 
Berka, eines Sohnes von Heinrich Berka, wiederfinden werden. 


Wir lernen zwei Söhne Hinfos von Deühljtein kennen. Zuerſt den 
älteren, Jaroslaw, in dem Verzeichnifje jener Herren und Nitter, die am 
6. Nov. 1419 den Pragern die Fehde ankündigten.?) — Am 13. Oct. 1423 
präjentirt er den Pfarrer von Zwickau.“) — Er und fein jüngerer Bruder 
Heinrich müſſen um diefe Zeit in den Pfandbefig der erzbiſchöflichen 
Güter um Auſcha, mit der Helfenburg, gelangt fein. Eine divecte Nachricht 
darüber iſt noch nicht bekaunt geworden, und wir wiſſen diefe Thatjache 
nur daher, daß die Brüder die Pfandjchaft am 25. November 1429 wieder 
abtraten an Johann von Smirzig. *) In der diesbezüglichen Urkunde nennen 
ji) die beiden „Jaroslaw und Heinrich, Brüder Berka von Duba, ge: 
jeifen auf Ronow und Mühljtein". Dies ift die erſte Notiz darüber, daß 
ihnen auch die Ronburg bei Drum zeitweilig gehört hat. Hinſichtlich der 
Art und Weije, wie fie zu diefem Bejige gelangten, könnte man zu fol- 
gender Vermuthung geneigt jein, Es ift vom erjten Theile des Aufſatzes 
her erinnerlich, daß nad) dem Tode des Wilhelm von Ronow der Mühl: 
jteiner Heinrich die Herrſchaft Leipa erlangte u. z. wird noch angeführt 
werden, daß dies vorübergehend bereits 1425 geſchah. Es wirde nun nahe 
liegen anzunehmen, daß das Gleiche auch mit der Ronburg der Fall ge: 
wejen. Indes muß dagegen angeführt werden: wir haben fein einziges 
Zeugniß, daß jene Herren von Ronow wirklich Bejiger der Ronburg waren. 
— Es iſt uns auch unbekannt, wie lange die Berfa von Duba diefelbe 
behielten; eine einzige erhaltene Nachricht gibt noch etwas weitern Auf: 
ſchluß. Ein Schreiben Heinrichs vom 26. December 1437 an die Zittauer 
ift von diefer Burg datirt.?) 1444 aber war fie in der Gewalt des 


1) L. eonfirm. VII, F. 2 und 6, 
2) Archiv tesky IV, 375. 

3) L. confirm. VIII, C. 10. 

4) Arch. tesky VI, 485. 

5) N. Script. rer. Lusat. I, 244. 


=. 00: 


Wilhelm von Ilburg, dem fie in diefem Jahre von den Lauſitzer Sechs— 
ftädten als Naubburg zerjtört wurde. ') 

Beide Brüder blieben natürlich, wie alle andern Glieder des Ge— 
jchlechtes, in den damaligen Wirren der Fatholiichen Bartei treu und kamen 
jchon deshalb, wicht minder aber auch als nächſte Nachbarn in enge 
Beziehungen zur Oberlaujig. Seit dem J. 1422 jind die Nachrichten zahl: 
reich über Boten, die hin md hergingen; über Warnungen vor der 
nabenden Hufitengefahr, die vom Mühljtein nach Zittau gejendet wurden, 
oder wieder über Züge dev Laufiger, um dem „Herrn Dubsfy" Hilfe zu 
bringen. Sehr dankbar müſſen wir Knothe fein, der in feinem bezeichneten 
Aufjage eine ganze Neihe Kleiner Notizen zur Geſchichte diefer Beziehungen 
aus den Görliger Rathsrechnungen beigebracht hat. 2) Nur einmal hören wir 
von einem Zwijt der Brüder mit den Bausnern, u. 3. durch einen Fehdebrief 
jener,?) ohne Jahreszahl zwar, aber wohl, wie Knothe vermuthet, von 1431. 

Nach den J. 1432 gejchieht des ältern Bınders Jaroslaw Feine 
Erwähnung mehr; ev muß um diefes Jahr kinderlos Be jein, da 
jpäter Heinrich alleiniger Herr aller ihrer Güter it. 

Auch Heinrich war im der Folgezeit beftrebt, die Zahl feiner Herr— 
Ichaften noch zu vermehren, und in diefem Streben knüpfte ev Verbindungen 
an mit einer Familie, die dev feinigen ja verwandt war, nit den Herrn 
von Duba auf Liebejchig. — Dieje ftammten von jenem Albrecht von 
Duba, der am Anfange des eriten Auffages erwähnt wurde. Bon zwei 
Enfeln desjelben wurde der jüngere, Heinrich, Herr von Aujcha, während 
der ältere, Benejch, Liebefchis behielt. Dazu erwarb diejer am 18. Mai 1382 
vom K. Wenzel die Laufiger Herrfchaft Hoyerswerda als Mannslehen, *) 
und am Anfang des 15. Jahrhunderts kam noch Kojtenblatt bei Teplitz 
hinzu.“) Nach feinem Tode (um 1405) finden wir feinen Sohn Heinrid) 
als Herrn auf Hoyerswerda, während Liebejchig und Kojtenblatt der 
andere Bruder, Albrecht, und die Kinder des dritten, Beueſch, der auch 
bereits um 1407 verjtorben war, im Bejige hatten. Aın 31. Augujt 1420 
verlieh 8. Sigmund beiden Brüdern und ihrem Neffen Johann neuerdings 
Koftenblatt und Hoyerswerda als gemeinfames Lehen. ®) 


1) Ebenda 221 ff. 

2) ©. 86 ff. 

3) Mitth. des nordböhm. Excurſionsclubs T, 108. 

4) Siehe Kinothe in Webers Arch. für die ſächſ. Geſch. 10, 249, wo er über die 
Geſchichte der Herrichaft handelt, 

5) Am 9, April 1402: Benessius de Costomlat et de Dube. Reliq. I, 599. 

6) Archiv Cesky II, 196, 


— — 


Heinrich von Mühlſtein ſchloß nun am 28. Feb. 1437 mit Albrecht 
von Liebeſchitz eine Erbeinigung, in die auch Heinrich von Hoyerswerda 
mit einbezogen ward. *) Der Erfolg dieſes Actes trat auch bald ein. Um 
1441 ſtarb letzterer Heinrich, und der Mühlfteiner war feit diefem Jahre 
Herr von Hoyerswerda. Allein er behielt diefes Gut nur kurze Zeit; jchon 
1446 verkaufte ev es an Wilhelm von Schönburg. ?) 

Geſtützt auf jene Erbeinigung machte Heinrich im ‘%. 1454 vor dem 
Lehengerichte auch Ansprüche auf Koftenblatt. Es wurde jedoch nachgewiesen, 
daß Albrecht von Duba dasjelbe an Jakoubek von Wiekowig verkauft - 
habe, ohne daß fein Bruder Heinrich Einfprüche erhoben hätte; auch wäre 
der Verkauf vor der Erbeinigung gefchehen. So behielt aljo Jakoubek 
diefes Lehen. ?) — Drei Jahre darauf wurde aber nochmals iiber dasjelbe 
und iiber die halbe Herrichaft Liebeichis verhandelt. *) Herbord von Roczow 
(von Kolovrat) als Bormund nach dem oben angeführten Benejch von 
Liebejchig (geft. nm 1407) hatte nämlich diefe Bejigungen 1418 gewifjen 
Berwandten um 2000 Schod verschrieben.) Jetzt wurde diefe Verjchreibung 
als heimgefallen vom Könige dem Benejch von Kolovrat auf Majchau 
verliehen (1457). Da erhob Heinrich von Mühlftein bezüglich Liebeſchitz 
(und Jakoubek als Herr von Kojtenblatt) Einſpruch, Beneſch von Kolovrat 
trat endlich nach 7 Fahren zurüd, und Heinrich wie Jakoubek behaupteten 
ihre Ansprüche (1465). 

Im übrigen aber ijt mir nicht befannt, wie es fid) mit dem Beſitze 
von Liebeſchitz damals verhielt. 

Ueber die wichtigfte Exwerbung Heinrichs, die der Herrſchaft Leipa, 
wurde bereits im erſten Theile des weiteren gejprochen, als es ſich um die 
Erbſchaft nad) Hinfo Hlawacz von Leipa handelte. Ich muß jedod) mit 
wenigen Worten darauf zurückkommen, einerjeit3 um nach den Ausführungen 
Knothes®) das früher Gefagte zu ergänzen und gewiſſe Vermuthungen 
richtig zu ftellen, andrerjeits bejonders, weil Heinrichs Verhältniß zu den 
Nachbar ſich daraus ergibt. 

Wir erfahren zunächſt durch eine Notiz aus den Görlitzer Naths- 
rechnungen, daß bereits 1425 Wilhelm von Ronow gejtorben war, und 


1) Reliq. II, 154. 

2) Knothe in dem kurz vorher citirten Auffſatze. 

3) Rehentafel 21, 118. — Vergl. Archiv cesky Il, 475. 
4) Rehentafel 16, 321. — Archiv tesky III, 566. 

5) Kehentafel 21, 151. 

6) In dem anfangs citirten Aufſatze ©. 86 ff. 


Be — 


daß die beiden Meühljteiner Brüder ſich in Befig von Leipa gefegt hatten. ') 
Wie lange jie aber dasjelbe zu behanpten wußten, bleibt noch immer 
unkfar. Nur foviel ift wohl jicher, daß Heinrich im %. 1435, wo er von 
K. Sigmund die Verleihungsurfunde erwirkte,”) factifch nicht Herr von 
Leipa war. Vielmehr gehörte es wahrjcheinlich ſchon 1433 den Tetſchner 
Heren von Wartenberg. *) Sicher ift uns dies bezeugt fir 1436 und die 
nächitfolgenden Fahre. *) Diefe waren ausgefüllt von den Fehden des letzt— 
genannten Geſchlechtes gegen die Laufig, welche mit geringen Unter: 
brechungen bis 1445 währten. Heinrich von Mühlſtein meldete nicht bloß 
Ende 1437 nad) Zittau den bevorjtehenden Beginn der Feindfeligfeiten, ) 
fondern er ftand immer auf der Seite der Laujiger und jeine Leite 
fämpften in ihren Reihen. ®)- Dafür veriprachen fie ihm Hilfe, als er 
1440 Leipa den Wartenbergern abnehmen wollte; ”) allein e8 Fam damals 
nicht zur Ausführung diefes Planes, und die Tetjchner geboten daſelbſt 
auch fernerhin,®) bis 1444 durch den Zug des Kreishauptmanns Jakoubel 
von Wreßowitz gegen Tetſchen jelbjt und die nachfolgende Action der 
Laufiger gegen Bürgſtein, Niübenau, die Ronburg, Sandau und Kamnitz 
ihre Macht gebrochen wurde. Seit 1444 war auch Heinvich von Duba 
wieder Herr in Leipa. — Alles Spätere iſt befannt. 

Kurz fei hier erwähnt, daß Heinrich 1454 einige Befigungen tn 
Dobern zugewann.“) Ebenfo ſoll aud) nur vorläufig auf die Erwerbung 
des Reſtes der Herrichaft Gabel Hingewiefen werden Die eine Hälfte 
hatte ja bereits fein Vater 1405 an ſich gebracht; Heinrich Faufte jegt 
die andere (1447, am 17. Juli), jo daß damit der 1391 getheilte Güter: 
complex wieder in einer Hand vereinigt war. Auf den Kauf werden wir 
zurückkommen. 


1) Als man H. Dubsky und ſeinen Brüdern zu Hilfe ſandte, als ſie die Leipe 
nach H. Wilhelms Tode innehatten“ (1425). 

2) Siehe im J. Theile S. 131. 

3) N. Script. rer. Lusat. J, 230. 

4) Am 8. Juni 1436 präſentirt für eine Kapelle iu Leipa Sigmund von War: 
tenberg. (Palacky's Notizen.) 

5) In dem bereit3 erwähnten, von der Ronburg datirten Briefe, N. Seript. rer. 
Lusat. I, 244. 

6) a. a. O. 246. Im Solde der Görliter waren „Jan u. Janke v. Molftein“, 

7) a.a. O. 253. 

8) Beim Raudniger Landfriedensbund (1440 Juli 25.) iſt Jan v. Wartenberg auf Leipa, 

9) Xehentafel 16, 303: In villa Dobranowe& (Johannes de.) Kerusse et in Za- 
luzi Georgius de, Roman decesserunt. Bonn data Henrico de Duba et de 
Lipeho. Proel. in Litomer. (1454, Mai 1.). 


— 63— 


Heinrich von Mühlſtein war mit Eliſabeth, der Schweſter Georgs 
von Podẽebrad verheiratet; ) es war alſo nur natürlich, daß ev. auf der 
Seite desjelben ftand. Wie er das in dem Streite gegen Albrecht von 
Duba auf Zollenjtein bethätigte, wurde jeinerzeit dargelegt.*) Bei dieſer 
Parteiftellung kam er in freundfchaftliche und, wie e8 jcheint, ziemlich enge 
Beziehungen zu feinem frühern Feinde, Johann d. j. von Wartenberg auf 
Tetſchen.“) — Waren bier langjährige Gegner zu Freunden geworden, 
jo brachten es die politischen Verwicklungen endlich ebenfo mit fich, daß 
Heinrich noch am Abende jeines Lebens gegen jeine einjtigen treueſten Bundes- 
genofjen, die Sechsjtädte, ins Feld ziehen mußte. Diefe hatten fich nämlich 
1467 (Juni) von dem gebaunten K. Georg ab» und der ihm feindlichen 
Adelspartei zugewendet, und gegen Ende Auguſt waren fie in Böhmen 
eingebrochen und Hatten um Auſcha gejengt und geplündert. An dem Rache: 
zuge des Herrn von Aufcha, Wenzel Ezarda von Petrowig, der am meijten 
Letroffen worden, nahmen auch Heinrich und fein Sohn Yaroslam theil. 
Das hatte freilich fir diefe nur den Erfolg, daß Ende 1467 und Anfang 
1463 ihre Herrichaft Gabel von den Feinden heimgeſucht und jo gründlich 
geplündert und vderwiljtet wurde, daß Heinrich am 28. Mai um Frieden 
bat.*) Diefer kamm dann auch am 29. November 1468 zujtande,?) Erſt 
jest wurde Gabel von den Zittanern wieder geräumt. 


Die legten Nachrichten von Heinrich von Leipa ſtammen aus dem 
Ende des J. 1469. Er hatte fich bei dem damaligen Wominijtrator 
Johann von Kolovrat die Befreiung von dem über das Land verhängten 
Interdiet erwirkt“) und noch am 16. December d. %. ertheilte ihm diefer 
neuerdings die Erlaubniß zur Abhaltung des Gottesdienjtes für die Zeit 
bis Lichtmeß.”) — Im nächſten Fahre (1470) ift dann Heinrich jeden- 
falls gejtorben, denn bereits anfangs Januar 1471 jchalten feine 4 Söhne 
als Herrn feiner Güter, wie ein fpäteres apitel zeigen ſoll. 


Welche Güter aber Heinrich diefen Söhnen hinterließ, haben die 
frühern Ausführungen gezeigt. Nur darauf muß hier der Volljtändigfeit 


1) Paprochy, St. pan. 156. 

2) Im I. Theile ©. 148. 

3) Ich erinnere an den gemeinfamen Zug gegen den Tollenftein und dein nach— 
berigen Verzicht Heinrichs auf feine Anſprüche auf Tollenftein, a. a. D. 

4) Balady, Urkundl. Beiträge, S. 532. 

5) Ebenda ©. 562. Vergl, Knothe a. a. O. 92. und Tomek Dej. Prahy VII, 
178, 189,233. 

6) ©. den Brief Heinrichs vom 4. Sept. 1469; Abſchr. im böhm. Muſeum. 

7) Abſchrift ebendaſelbſt. Der Adminiſtrator nennt dort Heinrich feinen Schwager. 


— 64 — 


wegen noch verwieſen werden, daß er ſeit den Huſitenkriegen auch im 
Beſitze gewiſſer geiſtlicher Güter bei Leipa geweſen ſein muß. Ich meine 
zunächſt Neuſtadtel, Beſitz des Kloſters Münchengrätz, deſſen Abt noch am 
24. November 1422 daſelbſt als Patron genannt iſt.) — Ausgedehnter 
noch waren die Güter, die das Klofter Doran bier bejaß. Diejelben be- 
gannen bei Graber und reichten über Johnsdorf, Hermsdorf, Jober bis 
ins Polzenthal, wo noch beide Politz, Staupen u. ſ. w. dazu gehörten. 
Noch 1418 (30. April) präfentiit der Propſt von Doran für die Kirche 
in Graber.*; — Wir müſſen nun annehmen, daß alle die genannten Be— 
figungen, vielleicht von K. Sigmund, an die Berfa von Duba verpfändet 
wurden; eine diesbezügliche Nachricht iſt aber nicht erhalten, und wir 
fünnen uns nur darauf ftügen, daß im nächjten Jahrhunderte (1544), 
diefe Pfandfchaften als langjähriges („an zweihundertjähriges"!) Beſitzthum 
der Berfa von Duba bezeichnet wurde. ?) Wir werden feinerzeit darauf 
zurückkommen. 

Wir kehren in der Erzählung wieder auf die Theilung des J. 1391 
zurück. Als die drei älteſten Brüder die ihnen vom Vater zugewichenen 
Güter theilten, fiel dem zweiten und dritten, ſoviel wir aus jpätern 
Urkunden jchliegen können, Gabel zu und die Dörfer Böhmiſchdorf, Mar: 
fersdorf und Sucha (Kriesdorf); und dies in der Weile, daß auf jeden 
die Hälfte der Stadt Gabel und ein gewiſſer Theil von Markersdorf Fan, 
während Böhmifchdorf ganz dem zweiten zufiiel, der zu Gabel gehörige 
Theil von Kriesdorf aber dem dritten Sohne. *) 

Heinrih d. ä, der zweite Sohn, hat jeinen Gabler Antheil 
nicht gar lange behalten. Es ijt eine Urkunde vom 13. December 1399 
vorhanden, womit den Bürgern von Gabel das Erbrecht auf Güter von 
Berwandten bis ins fünfte Glied, das ihnen bereits 1364 Gallus von 
Lemberg gewährt hatte, neuerdings bejtätigt wird.“) Dies gejchieht bereits 
duch Heinrich Berka, den dritten Sohn, allein. — Wir wiſſen 
aus dem früheren, daß Heinrich d. A. vom Vater andere Güter 


1) Zugleich mit Hinko Berfa von Duba (und Leipa). I. contirm. VIII, B. 6. — 
Am 15. März 1423 präfentirt diefer allein. ibid. B. 10, 

2) Ibidem VI, J. 14. 

3) Im J. 1544. Rammergerichtöreg. 11, J. 67. Es ift auch möglich, daß man die 
gen. Güter ohne Pfand-Urkunde einfach in Befig genommen; wenigſtens konnte 
ipäter feine ſolche Urk. vorgelegt werden, 

4) 1395 präjentirt in Kriesdorf zweimal Heinrich von Duba und Gabel zugleich 
mit Hafchef von Lemberg. L. confirm. V, 228 und 231; im Jahre 1399 aber 
„Hinko de. Berousek de Duba alias de Gablona“, allein. (Ebenda VI, 14.) 

5) Beide Urk. in Nbichrift im böhm. Muſeum. 


see U 


(Milezan) erhielt; daher müſſen wir jchließen, daß er auf feinen Gabler 
Antheil zugunften der beiden andern Brüder verzichtete. Und fo bezieht 
ji) gewiß auf diefes auch die Urkunde vom 19. März 1400, womit der 
ältefte Bruder, Hinfo von Mühlſtein, fein Necht auf die halbe Herrſchaft 
Gabel an Heinrich Berka, den dritten, abtritt, ") 


Diefer aber behielt den jo erworbenen Theil nicht lange in eigenem 
Beſitze; vielmehr verfaufte er ihn fchon am 21. Feber 1402 um 1000 Schod 
an feinen jüngern Bruder Wenzel auf Lebenszeit.) Es vergingen jedoch 
knapp zwei Jahre, da erhielt Heinrich Berfa (1404, Feber 23.) durch Ver— 
zichtleiftung Wenzels diefe Gitter wieder zuriid,?) bis fie ihm dann ein 
Jahr jpäter, am 14. März 1405, fein ältefter Bruder, Hinfo von Mühl: 
jtein, abfaufte. *) 


Wenn Heinrich Berka am 29. November 1403 gewiffe Befigungen 
in Gersdorf und Straußnig an Hinfo von Erkeritz (Mlgersdorf) verkauft, ?) 
jo mag er diefelben nicht lange vorher erworben haben, Nachricht ift ung 
darüber feine erhalten. 


Nachdem im %. 1404 der Bater geftorben war, fiel ihm noch die 
Herrſchaft Hauska zu, und feitden nennt er fic) auch jtetS nach derjelben. ©) 
Eine weitere Vermehrung feiner Güter fand jtatt, als 1406 fein älterer 
Bruder Heinrich und bald auch deſſen zwei Kinder gejtorben waren, iiber 
die er wohl die Vormundſchaft geführt hatte. Er erhielt damals Milezan 
und Kohlen, und es wurde feinerzeit bereits angeführt, daß er ſchon am 
15. Sept. 1407 als Batron in Hohlen genannt wird. ?) 


As Herr von Hausfa war er auch Patron in Kroh, und im J. 1408 
(Jun. 13.) ſchenkte er diejer Kirche 2, Schock Zins, )) und neuerdings 
1417 (Nov.?) wies er derjelben ein Stück Aders zu.?) Außer in Kroh 
gehörte ihm auch das Patronat in Kadlin. 10) 


1) Reliq. I, 586. 

2) Ibidem T, 597. 

3) Ibidem II, 5. 

4) Ibidem II, 14. BZugebör ift danach: halb Gabel, Böhmiſchdorf, Markersdorf 
(theilweife), der halbe Zins in Kriesdorf, der Meierhof Krotumful. 

5) Reliq. I, 605. 

6) So ſchon in der gemannten Urk. vom 14. März 1405. Ibid. II, 14. 

7) L. confirm. VI, 225. 

8) L. erect. VII, 13. 

9) Ibidem XI, 150. 

10) So präfentirt er den Pfarrer in beiden zugleich 1418, 2. Juni. L. confirm. 
VII, J. 20. 

Miittheilungen, 25. Jahrg. 1. Heft. 5 


Bee: — 


Auch das Dominicaner-Klojter in Gabel erhielt Zeichen feiner Gunft. 
Wir hören, daß er am 12. April 1415 demfelben 13 Schod Zins anwies 
auf feinem Antheile des Dorfes Sucha (Kriesdorf).') Doch ſchon um dieje 
Beit fcheint er daran gedacht zu haben, auch diejen, vom Vater ererbten 
Theil von Gabel zu verkaufen. Wenigjtens kann man es dahin deuten, 
wenn er im J. 1414 (Auguft 8.) die Mitgift feiner Gemahlin Anna 
von Gabel und Marfersdorf (worauf er ihr diejelbe 1398 verjchrieben 
hatte) ?) übertrug auf die Herrichaft Hausfa.?) — Sicher tft, daß der 
Berfauf 1418 wirklich geſchah. Er überließ damals (am 26. Mai) ge- 
nannten Antheil um 1150 Schod an Beneſch von Wartenberg. *) 


Wie alle Berka, jo blieb auch Heinrich von Hausfa Katholif und 
Anhänger des Faifers; dabei fcheint er bemüht gewejen zu fein, eine Ver: 
ſöhnung der Parteien herbeizuführen. Auf der Lifte jener, die am 
6. Nov. 1419 den Bragern Fehde anfagten, fteht fein Name nicht. Dagegen 
war er der einzige Berka, der 1421 auf dem Czaslauer Landtage erjchien; °) 
hier wurde er auch mit unter die 20 Negenten und Verweſer der Krone 
gewählt, was freilich kaum praftifche Folgen hatte. In gleicher Weiſe 
fand er fich audy wieder auf dem Gallilandtage 1423 in Prag ein. ©) Sonft 
ijt wohl von feiner politiichen Thätigkeit kaum etwas zu vermelden. 


Um wieder auf feine Befigungen zurücdzufommen, müfjen wir nun 
anführen, daß er auch der Herrichaft Hausfa noch im Alter ſich entäußerte; 
er verfaufte diefelbe am 30. Nov. 1432 an Johann von Smirzig. ?) Nach 
diefer Urkunde umfaßte diefelbe Schloß Hausfa, mehrere Meierhöfe und 
die Dörfer Libowis, Wolleſchno, Jeſtrzebitz, Dobrzin, Klein- und Groß: 
Dubus, Rabenei (Roven), Klein- und Groß-Blagen, Thein, Sirtjc (Klein: 
und Groß-©., Zderec), Borzim mit Patronat, Nechutnow (?), Kortjchen, 
Wlkow, Kroh mit Batronat, Wosnalig, 1 Bauernhof in Nedweska (Nedv&z). 

Eine Urfunte vom 14. October 1440, die Heinrich Berka von Hausfa 
für zwei Brüder von Tayn ausjtellt, ®) bietet die letzte Erwähnung von 
ihm, die ich kenne. 


1) L. erect. X, 43. Vergl. Paprocky, st. pansk. 155. 

2) Archiv tesky III, 472. Reliq. I, 578. 

3) Relig. II, 108. 

4) Ibidem II, 141. 

5) Archiv Gesky III, 227. 

6) Ibidem IH, 240 ff. 

7) Obiged Datıım trägt die Orig.-Urfunde in Wittingau, Arch. Gesky III, 505. 
Die landtäfl. Einlage ift datirt vom 7. März 1437, Reliq. II, 158. 

8) Lehentafel 4, 55. (Ausgeftellt in Raudnitz.) 


ER ., 


Es find uns zwei Urkunden erhalten, wodurch Heinrich die Vormund- 
ihaft über feine Kinder ordnete. Einmal übertrug er diefelbe feinem 
Bruder Wenzel (am 21. Feber 1402); ') das anderemal, am 
21. December 1415, jeiner Gemahlin Anna zugleicdy mit Alefh von Duba 
auf Drazig und feinem Bruder Heinrich) Hlawacz. *) In keinem diefer Fälle 
find die Namen der Kinder genannt. — Nur eine Urkunde vom 12. No- 
vember 14233) hat uns die Namen zweier Söhne erhalten. Dajelbit 
werden nämlich als Zeugen angeführt: „Heinrich Berfa von Duba, Herr 
auf Hausfa; Hinfo von Duba und Chwalo von Duba, Herren auf Hausfa, 
Söhne des vorgenannten Herrn." 


. Von dem einen, Hinko, erfahren wir fpäter nichts mehr. Chwal 
dagegen wird, zugleich) mit dem Vater, zum zweitenmal erwähnt am 
5. December 1430; als fein Sig wird da Hühnerwaſſer genannt. *) Wir 
wifjen, daß diefe Herrichaft um 1407 an Hinfo von Miühlftein gefommen 
war, und hörten auch, daß Wenzel von Duba auf Sakſchen als Vormund 
der Kinder Hinkos 1415 feinen Sig dort hatte. Wie der Uebergang an 
Heinrid auf Hauska oder direct an den Sohn Chwal erfolgte, dariiber 
ift mir nichts befannt geworden. 


Bon dem Vater hatte diefer jedenfalls geerbt Milczan und Hohlen. 
Diejen Belig zugleih mit dem wohl nicht gar lange vorher zu er: 
worbenen Hofpig®) verfaufte er am 5. Juni 1437 an Sigmund von 
Wartenberg auf Zetjchen. ) — Auch Kadlin gehörte ihm dur Erb: 
haft. Hier überließ ev am 10. Juni 1445 das PBatronat dem Klofter in 
Weißwaſſer.) 

Vor dem J. 1447 ſtarb Chwal und hinterließ ſeinem Sohne Paul 
und den anderen noch unmündigen Kindern außer Hühnerwaſſer auch jenen 
Theil von der Herrſchaft Gabel, den ſein Vater 1418 an Beneſch von 
Wartenberg verkauft hatte. Daß Chwal denſelben wieder erworben hatte, 
erfahren wir freilich nur aus der Urkunde vom 17. Juli 1447, in welcher 


1) Reliq. I, 597 = Archiv tesky III, 474. 

2) Reliq. II, 124 = Archiv tesky II, 497. 

3) Lehentafel 61, 333. 

4) Relig. II, 240 = Archiv lesky II, 61. 

5) Noh am 22. Juli 1423 präfentirten den Pfarrer von Hoſpitz: Hinco de 
Öslavic et Wanco de Hostikovie. L. confirm. VIII, C, 6: 

6) Reliqg. II, 170 = Archiv tesky III, 517. 

7) Archiv desky III, 531. Wir werben auf Kadlin zurückkommen bei Gelegenheit 
eines Procefjes, der faft 100 Jahre fpäter deshalb angeftrengt wurde. 

5* 


— 683— 


Paul dieſen Beſitz neuerdings verkauft an Heinrich Berka auf Leipa, wie 
ſchon oben erwähnt worden.) 

Als man im J. 1453 an die Neuordnung der Beſitzverhältniſſe ging 
und von jedem die Vorlage der darauf bezüglichen Urkunden verlangt 
wurde, war auch Paul bereits todt; denn im Namen der andern, noch 
unmündigen Kinder Chwals legte damals Johann von Wartenberg auf 
Blankenſtein die Verſchreibungen über Herrſchaft Hühnerwaſſer vor. 2) — 
Bon jenen Kindern lebte aber Schon 1454 nur noch eine Tochter, Barbara. 
In diefem Fahre wurden aljo, „nachdem Heinrich Berfa d.j. von Duba und 
Gabel und jeine Kinder gejtorben", die Gitter derjelben als heimgefallen erklärt 
und vom Könige an Alejch von Duba auf Sakjchen verliehen. 3) Und infolge 
deſſen wurden als ſolche Güter proclamirt: Milezan und Hoblen, Habjtein 
und Hühnerwafler, jpäter (1457) auch noch Gabel.) Habjtein wurde 
eigentlich Fäljchlich einbezogen, wie fich noch zeigen wird. Hinfichtlich der 
erjtgenannten, Milezan und Hohlen (mit dem dort inzwifchen erbauten 
Nübenau) bewies Johann von Wartenberg auf Tetfchen aus der Landtafel 
feine Befisrechte, und diefelben wurden ihm zuerkannt (1. April 1462). 
Ebenſo zeigte Heinrich von Duba auf Leipa, daß er Gabel (1447) ge 
fauft, und diefes wurde ihm ebenjo zugefprochen (1463, März 26.) — 
So blieb alfo nur Hühnerwaſſer übrig. Zwar vertheidigte genannte Bar- 
bava, als einzige Erbin, ihre Rechte darauf, doch verzichtete fie bereits am 
17. April 1460 zugunften des Aleſch, und diefer wurde alfo hier am 
nächſten 1. Mai eingeführt; u. z. in Ritterfig und Städtchen Hühnerwaſſer 
und die Dörfer Schiedl, Plaufchnig (Plücznice), Jeſowai, Krupai und 
Rokitai. >) 


Bon den 4 jüngern Söhnen, welche die Theilungsurfunde von 
% 1391 nennt, wird Johann fpäter nicht mehr erwähnt. Die drei, die 
noch am Leben waren, nämlich Wenzel, Heinrich Hlawacz und Heinrich, 
genannt Wanẽk, fchritten am 21. Februar 1402 zur Theilung der ihnen 
vom Bater zugewiejenen Güter, ©) 


1) Relig. I, 210. Daß die Wiedererwerbung durch Chwal früheftend 1433 er- 
folgte, ergibt Paprocky, St. pansk. 272 (Benes z Wartenberka na Jablonn&m). 

2) Archiv &esky 1I, 204. 

3) Leheutafel 26, 53. (Urf. von 11. April 1454.) 

4) Ebenda 16, 63 und 58, 

5) Ebenda 23, 215. 

6) Relig. I, 596. 


— 69 — 


Wenzel, der älteſte von ihnen, erhielt: Burg Czap und die Dörfer 
Tuhanzl mit Meierhof; Welhütta (Lhota), Töſchen, Sakſchen, Dobrzin und 
Widim; die emphyteutiſchen Aecker in Ratſch (Hradistka, ſüdl. von Töſchen) 
und Zawory (?); die Mühle „Woldanow“ u. a.; Wald am Eichberge. — 
Die Stelle, wo die Burg Czap ftand, bezeichnet noch heute der Volksmund 
mit dem Namen Tſchapkeule (öftlih von Tuhanzl); ſonſt erinnert daſelbſt 
faft nicht3 mehr daran. Schon Wenzel muß diejelbe bald verlafjen und 
feinen Siß aufgefchlagen haben in einer Burg, die im Süden des Dorfes 
Sakſchen (Zaksin) lag und auch diefen Namen führte. ?) Bereits 1404 
nennt ſich Wenzel nad) diefer Burg „von Sackſchen“ und fo jeitdem regel: 
mäßig. ?) Faft alles was von Wenzel zu erzählen wäre, wurde bereits 
früher angeführt; jo daß er 1402—1404 Beſitzer einer Hälfte von Gabel 
war; ebenjo daß er 1414 und 1415 die Vormundjchaft nach feinen ältejten 
Bruder Hinko führte, und daher um diefe Zeit als Patron jeines Kirch— 
dorfes Widim (am 29. Juli und 6. September 1415) genannt wird 
„Wenzel Berfa von Duba, gejejfen auf Hühnerwafjer".*) 

Wie lange Wenzel lebte, kann ich nicht einmal annähernd bejtimmen.*) 
Wie über ihn, fo ſchweigen unfere Quellen auch über jeine Söhne durd) 
mehr als zwanzig Jahre vollftändig. Auch können wir diefe nur feſtſtellen 
duch Rückſchlüſſe nach den Beligungen. — Am 10. März 1440 wird unter 
den Herren, die auf dem Kreistage in Nimburg zujammenkamen, ?) ein 
Hynek Berka von Duba und Töſchen aufgeführt, den wir aljo als Sohn 
Wenzels anjehen müſſen. Wir haben nur diefe einzige Nachricht von ihn. — 
Ein zweiter Sohn, Weich von Sakſchen, tritt jogar erjt jeit dem J. 1452 
in unfern Quellen auf. *) Es ift derjelbe, von dem wir bereits erzählten, 
daß er die Herrichaft Hühnerwaſſer vom Könige erhielt (1454.) In 
Urkunden der folgenden Jahre wird er nicht felten genannt; ?) jpäter nahm 
er nacheinander mehrere einflußreiche Stellungen am Hofe der Königin 
ein. Zuerft war er 1461—1465 Oberjtlämmerer derjelben, dann 1469 bis 
1475 Unterfämmerer der königlichen Leibgedingjtädte, endlich im legtgenannten 


1) Man vergleiche über die Burgen Czap und Sakſchen Bernau im Sbornik 
hist. II, 20—22. 

2) Relig. II, 5. 

3) L. confirm, VII, F, 2 und 6. 

4) Ich finde feinen Namen zum leßtennal 1420, am 21. März genannt, Archiv 
Gesky I, 405. 

5) Ibidem I, 249. 

6) Am 11, Juli tritt er eine VBerfchreibung anf Konojed. ab an Etibor von 
Tloskow. Relig. II, 225, 

7) Bergl. Archiv tesky I, 187 und III, 327. 


— AM; u 


Jahre Oberjthofmeiiter. der Königin. ) Wann er jtarb, kann ich nicht an- 
geben; ich kenne nur noch eine Notiz vom J. 1483, die auf ihn zu beziehen 
jein wird. Sie betrifft eine königliche Schenkung, ift aber jo kurz und 
allgemein gehalten, daß fie nur den Werth einer einfachen Nennung des 
Namens beanjpruchen Tan. ?) — Bon feinen Nachkommen bis auf den 
dreißigjährigen Krieg joll der 4. Theil diefer meiner Arbeit handeln, 
Dem nächften von den jüngern Söhnen, Heinrih Hlawacz, fiel 
bei der Theilung nachjtehender Beſitz zu: Klum, Dürchel, Sfal, (oder 
Skalka, jedenfalls bei Dürchel), Wrehhaben mit dem Berge dabei, Horka, 
Groß: und Klein-Bieznis, dev Meierhof in Low ?), Nezlowig (?), Zdeſſow (?) 
Drajchen (Drazejov) Schevoweig (Stfizovojice), die zinsbaren Weder in 
Schwihof (neben der Roßpreſſe füdl. von Dauba), die wüften Aecker 
in „Kuku“ (Kluk?) und Strkaw (?) — Heinrich) Hlawacz hatte mit feinem 
zweitältejten Bruder Heinrich) von Habjtein eine Erbeinigung gejchlofjen ; *) 
indejjen als diefer umd bald nachher feine Kinder jtarben (1407), erbte 
Heinrich Hlawacz nur Habjtein. Daher nennt er fich jpäter meift „von 
Habftein”, bisweilen auch „von Low”. Bereit in der Confirmationg- 
urkunde des Habjteiner Pfarrers vom 9. Jäner 1408 wird er als Patron 
genannt. Später ift das noch mehrmals der Fall. 5) — Auch in Dürchel 
übte er das Patronatsrecht aus‘) Grade Dürchel aber und Skalka ver- 
faufte Heinrich am 9. März 1417 an Elifabeth von SKlingenftein, die 
Witwe des Heinrich von Duba auf Auſcha um 180 Schock Gr. ?) — Be 
reits vorher, am 18. März 1415, hatte er 21 Schod Zins in feinen 
Dörfern Klum und Nezlowig (?) veräußert an die Schweitern Katharina 
und Anna, Töchter des Rzimek von Medonos (um 210 Schod Gr.) ?) 
In Klum hatte Heinrich Hlawacz, wie die Theilungsurfunde bemeijt, auch 
das Batronat erhalten; dies muß er aber furz nachher an den Bruder 
Heiarih auf Milczan (und Habftein) abgetreten haben, nachdem diejer 
1404 und 1405 dafelbjt präfentirt.?) Nach dem Tode diejes Heinrich 
mag es an Heinrich Berka auf Hausfa gekommen fein; denn diefer jchenft 


1) Balady, Soucasny prehled. 

2) Zehentafel 6, 21. : 

3) Die beiden Bieznig find wohl um Nedam zu fuchen, wo noch jeßt der Meier: 
hof Brezinka liegt, In diefe Gegend möchte ich auch Low verfegen. 

4) Relig. II, 16 (1405, Mai 8.) 

5) L. conf. VI, 235. Ebenda aud) noch am 22. Aug. 1418. (ihid. VII, K, 7.) 

6) Ibidem VII, B, 12. (1412, Mai 30.) 

7) Reliq. II, 134. 

8) Ibidem II, 116. 

9) L. confirm. VI, 128. 


— — 


der dortigen Kirche am 22. October 1407 Zins von 32 Groſchen, eine 
Wieſe und ein Stüd Ader. ') 

In Fürforge für feine Kinder ernannte Heinrich Hlawacz zuerjt am 
14. April 1410 feinen jüngjten Bruder Wanek von Chudy-Hradet zum 
Bormund. ?) ALS diefer aber bereits wenige Jahre nachher ſtarb, übertrug 
er die VBormundjchaft auf Anna, die Gemahlin feines Bruders Heinrich 
Berka auf Hausfa, und Aleſch von Duba auf Drazig (1415, Dec. 21.).°) 

Im % 1419, am 6. November, Fündigte auc er, wie die meijten 
feines Gefchlechtes, den Pragern Fehde an.) Sonjt tritt er jedoch in den 
nächſten Jahren nicht mehr hervor, und nur noch eine einfache Nennung 
feines Namens im %. 1425 (Hlawacz von Duba) muß auf ihn bezogen 
werden. ®) 

Bon feinen Rindern kennen wir einen einzigen Sohn, Namens Ezenef, 
und auch diejer wird erjt 1446 erwähnt, bei der Gelegenheit, wo er bie 
vom Vater ererbte Herrichaft Habftein an Johann von Smirzig verkauft 
(28. März).e) Lebterer war indeß jchon vorher im factischen Befige der 
Burg Habftein, nachdem er diefelbe 1445 jich hatte abtreten laſſen von 
dem (unbekannten) Raubritter, der von dort aus die reijenden Kaufleute 
beläftigt hatte.) — In welcher Art die übrigen Bejigungen, die der Vater 
Czeneks geerbt hatte, früher oder jpäter in fremde Hände kamen, kann ich 
nicht entjcheiden. Es läßt fich eben nicht conftativen, was jener Heinrich, 
genannt Ezendf, den wir höchjt wahrfcheinlich als Sohn jenes Czenek anzu- 
jehen haben, an Gütern noch fein nannte, — Wir lerıtten diefen Heinrich, 
gen. Czenek im erjten Theil kennen, als von dem Schiejale der Befigungen 
Albrechts von Duba auf Tollenftein die Rede war. 1463 nämlich verlieh 
K. Georg das, was gen. Albrecht in Klum und Malſchen bejejjen, an 
Jaroslaw Berka von Duba auf Leipa und Heinrich, gen. Ezenef, von 
Duba.?) Wir fahen feinerzeit wie diefe Verleihung von den factijchen 
Beſitzern angefochten wurde, und wie fich der Proceß hinzog bis 1487, 


1) L. erect. V, 148 Ms. — Später gehörte Klum den HH. von Smirzig und 
fam mit Habftein 1478 an die Wartenberger. Vergl. im 1. Aufſatz ©. 150 f. 

2) Relig. I, 60. 

3) Ibidem II, 124. Hier fteht fäljhlih der Name Katharina für die Gemahlin 
bes Heinrich Berka. 

4) Archiv tesky IV, 375. 

5) Ibidem II, 253. Auch Palackij, Urk, Beiträge II, 534 bezieht fi wohl auf 
ihn (1426?). 

6) Reliq. II, 204 — Archiv tesky LI, 534. 

7) Archiv tesky II, 32. 

8) Lehentafel 16, 328, 


er 


wo Jaroslaw und Heinrich auf ihre Nechte verzichteten.) Im letztern 
Falle nennt ſich Heinrich Schon nach feiner neuen Befigung „von Dra- 
hobus” ; ich vermag indeß nicht anzugeben, wie und wann er diejelbe erwarb. 

Um dieje Zeit wird fein Name noch einigemal genannt, zujammen 
mit dem feiner zweiten Gemahlin Dorothea von Wellefchig, die damals 
(1485) durch Fönigliche Verleihung einigen Befig in Scelowig an der 
Eger erhalten hatte; u. 3. zugleich mit ihrer Tochter Dorothea und ihrem 
Stiefjohne Heinrich (dem Sohne des Heinrich Czenẽk aus erfter Ehe). ?) 
Sn den fi an diefe Verleihung anfnüpfenden Berhandlungen wird 
Heinrich Czenek bis 1488 genannt. — Sein erwähnter Sohn bejaß Dra- 
hobus bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts, wo er es verkaufte an 
Karl von Duban (vor 1504).?) Nach dem Brande der Landtafel erneuerte 
Heinrich dem Sohne Karls, Ulrich von Duban auf Liebeſchitz, die bücher: 
liche Einlage (1545). Das tjt die legte Nachricht von ihm; auch von Nach— 
fommen weiß ich nichts. Nur einen Bruder Heinrichs habe ich feit 1502 
erwähnt gefunden, nämlich Johann (Drahobuszky) von Duba, der dann 
1521—24 in Streitigkeiten mit Anna von Kowan, der Witwe des Albrecht 
Libſteinsky von Kolowrat auf Loboſitz, Graupen u. f. f. verwidelt war. *) 

Wir find angelangt beim jüngften Sohne, Heinrich d. j. genannt 
Wanek, Sein väterliches Erbtheil umfaßte nach der Urkunde von 1402: 
Schloß Chudy:Hradef?) mit dem Meeierhof, Stadt Dauba, die Dörfer 
Sebitjch, Zdislaw (?), Oſchitz (Sussice), Nedwiez (?) und 2 Mühlen („in 
Strieziem" und „sub obstaculo"). 

Seinen Sig ſchlug Wanek auf Chudy-Hradef auf und nannte ſich 
darnach „von Hradef".%) Ws Patron von Dauba bejtimmte er am 
10. März 1408 für einen Kaplan dafelbjt (bei der Katharinenficche) 
7 Schod Zins”) Ein anderesmal (am 26. September 1411) gab er als 
Gutsherr feinen Conjens zu der Scenfung eines Aders für die Pfarr: 
kirche ebendajelbft.®) 





1) ©. im 1. Theil ©. 151. 

2) Zebentafel 17, 360. 

3) Zandtafel 7, D, 27 (eingelegt 1545). Daß der Verkauf vor 1504 erfolgte, zeigt 
eine Schuldverfchreibung von diefem Jahre (Landt. 84, D, 16), worin Karl 
von Duban bereit? „von Drahobus” heißt. 

4) Rammtergerichtöregifter 13, F. vielfach. 

5) Die Stelle diefer Burg bezeichnet nody die Ruine oberhalb der Gründenmühle 
fübw. von Pablowitz. 

6) Bereitö 1403, Nov. 29. Reliq. I, 605. 

7) L. erect. XIII, Balbin 293. 

8) L. erect. VIII, 151. Ms. 


— — 


Auch Wandk erhielt von den Gütern des zweitälteſten Bruders 
Heinrich von Habjtein, einen Theil. Das erfahren wir zwar nicht aus jener 
früher eitirten Zeugenausſage des Mzintef von Dürchel vom 19. Mai 1456; 
aber bereits früher, am 25. October 1455, war es bei einem ähnlichen 
Anlafje von mehreren Zeugen verbürgt worden (unter welchen übrigens 
ebenfalls genannter Rzimek war).) Aus ihren Ausfagen geht hervor, 
daß Wanek nad) dem genannten Bruder Pablowig befam; weiter, daß 
dies 5 (nad) andern 3 Jahre) vor feinem Tode gejchehen; endlich daß feit 
jeinem Tode bis 1455 an 43 Jahre verfloffen feien.?) Danach wäre 
Wanels Tod 1412 (oder 1415) anzufegen, womit ſehr gut jtimmt, daß 
er noch am 26. September 1411 genannt wird.?) Jene Gütertheilung 
nah dem Bruder muß, wie wir feinerzeit jahen, 1407 vorgenommen 
worden jein; dem entjpricht die Angabe, dab Wanek Pablowitz 5 Yahre 
vor jeinem Tode erhalten habe. 

Wanẽks Gemahlin war Barbara, die Tochter Herbords von Roczow 
aus dem Gejchlechte der Kolowrat. Diejer war VBormund der Kinder des 
Beneſch von Duba auf Koftenblatt, und als jolcher verficherte er 1418 
verjchiedenen Verwandten, darunter auc genannter Tochter Barbara („der 
Witwe des Wanẽek von Duba“) 2000 Schod auf den Gütern Liebejchig, 
und Koftenblatt. *) 


Die vorgenannten Zeugenausjagen bieten uns auch noch die Namen 
zweier Söhne Wankeks, Heinrich) und Johann, mit der Angabe, daß noch 
andere vorhanden waren. Erjteren finden wir dann erwähnt 1429 (No— 
vernber 25.) als Zeugen beim Berfaufe der Helfenburg (ſ. S. 59) u. 3. 
als Heinrich Berka von Duba, gej. auf Hradef.?) Neben ihm wird 
genannt Wanẽk d. j. Berfa von Duba, offenbar fein Bruder. — Als am 
25. Juli 1440 der Naudniger Landfriedensbund gejchlojjen wurde, waren 
unter den Anweſenden auch Hinfo Berka von der Dauba, geſeſſen daſelbſt 
und Johann Berka zu Pablowitz.“) Wir kennen auf diefe Werfe 4 Söhne 
Waneks: Heinrich, Johann, Wanek d. j. und Hinko, und müſſen ſchließen, 
daß diejelben eine Gütertheilung vorgenommen hatten. 


1) Archiv tesky I, 162. Auf den Anlaß werden wir zurüdfommen. 

2) Es wird auch gejagt, daß er in Weißwaſſer begraben wurde. 

3) ©. vorher S. 72, Anm. 8. 

4) Zehentafel 21, 151. Auf diefe Verfchreibung wurde bereits oben (S. 61) hin— 
gewiejen bei der Gejchichte Heinrich von Leipa. 

5) Archiv Cesky VI, 485. Nochmals 1432, November 30. (Verlauf von Hauska) 

» Ibidem ll, 505. 

6) N. Script. rer. Lus. I, 249. (Aus Scultetus,) 


—— 


Als im erſten Theile (S. 140) von der Fehde des Nikolaus Berka 
von Duba auf Lemberg gegen den Kurfürſten von Sachſen die Rede war, 
wurde kurz darauf hingewieſen, daß ein mitbetheiligter Johann Berka 
nicht ein Bruder des Nikolaus ſein könne. Ich füge jetzt hinzu, daß damit 
kein anderer gemeint ſein kann, als obiger Johann auf Pablowitz. Dazu 
paßt ganz gut der Ausdruck in einem Briefe vom Juli (?) 1449 „mit dem 
Birken zum Lemberge und dem von der Daube*.') Wahrjcheinlid) hatte 
er nach feinem Bruder Hinfo, der nad) 1440 nicht mehr vorkommt, Dauba 
geerbt. Iſt das Gejagte richtig, dann war Johann 1453 am Leben, *) doc) 
muß er bald gejtorben fein, da er in dem gleich el ine Proceſſe 
nicht erwähnt wird. 

An längſten lebte der erſtgenannte der Brüder, — auf Chudy— 
Hradek. Letzteren Beſitz muß er aber, unbefannt warn, an feine Mutter 
Barbara von Kolowrat abgetreten haben. Dafür finden wir ihn an der Elbe 
bei KRojteleg begütert. Zuerjt erwarb er dort Jiris, dann Elbekoſteletz jelbit. 
Wir erfahren das alles nur aus den Pfandſchafts-Regiſtern (Registra z&- 
pisün) vom J. 1453.) Dafelbjt jteht, daß eine Reihe von Urkunden vor: 
gelegt wurden über Elbefojteleg, darunter als legte die, womit Wilhelm 
von Schönburg diefe Pfandjchaft abtrat an „Heinrich von Duba und von 
Sitig (z Jezie) und feine Gemahlin Elifabeth von Boskowitz. 

Ein Sohn Heinrichs von Duba auf Kojteleß, wie er fich feitdem 
nennt,?) Namens Wenzel, hatte um dieſe Zeit gegenüber von Elbefojteleg 
Dorf Rudecz bejefjen. Vor 1454 war er gejtorben, fein Bejig galt als 
heimgefallen und wurde vom Könige den Eltern verliehen.) — Durch eine 
gleiche königliche Verleihung fam Heinrich auch wieder in den Beſitz feines 
Erbtheiles Chudy-Hradet. Barbara von Kolowrat, feine Mutter, und ihr 
zweiter Gemahl Johann von Eimburg waren geftorben. Ihr Beſitz: Chudy- 
Hradef und die Dörfer Sebitſch, Zdislawitz (?), Oſchitz und Bablowig fiel an 
den König, der ihn genanntem Heinrich übertrug. ©) (1454.) Was Pablowitz 


1) Bahınann, Urlunden etc. F. R. A. II, 42, ©, 55. — Den Wortlaut der 
andern einfchlägigen Urkunden fenne ich nicht. 

2) Knothe, Mitth. des nordböhn. Ereurf.-Elub3. ©. 91. 

3) Archiv Cesky I, 524. — Jiritz kann Heinrich früheftend 1439 erworben haben, 
da e3 vorher dem Prager Bürger Nikolaus v. Herrndorf gehörte u. im gen. 
Fahre von den Pragern an Hanuſch von Kolowrat überlaffen ward. Tomek, 
Döj. Prahy VI, 66 u. 75. 

4) Auf dem Prager Landtag vom 27, April 1452 ift auch Heinrich Berka von 
Duba und von Kofteleg. Ibidem II, 309. 

5) Lehentafel 16, 59; vergl. 20, 18, 

6) Ebenda 16, 299. 


ee: 


betraf, jo erhob Aleſch von Duba auf Sakſchen Einfprache gegen dieje 
Verleihung. AS aber Heinrich durch Zeugen ') nachgewiejen hatte, daß 
diejes Dorf wirklich jeinerzeit an feinen Vater Wanef gelangt wäre, ver: 
zichtete Alejch auf feine Anfprüche und Heinrich) wurde eingeführt. (1455, 
November 17.)?) 

Weiter ijt von Heinrich nur noch zu berichten, daß er 1458 bis 1462 
Oberjthofmeifter der Königin war.?) Sein Tod iſt wahrjcheinlich ins Jahr 
1465 zu jeßen; wenigjtens berichtet Schaller, %) daß in diejen Jahre ein 
Heinvih von Duba in der Prager ZTeinficche begraben wurde. — Bon 
Nachkommen haben wir feine Nachricht, ebenjo wie wir auch ganz im Un- 
Haren find, welche Schidjale feine Güter in den nächſten Jahren Hatte. 
Bon Eibe-Kofteleg wijjen wir mwenigftens, daß es bis auf das J. 1499 
mehrfach den Befiger wechjelte.) Bon Chudy-Hradek jedoch erfahren wir 
erjt wieder im 16. Jahrhundert. Zwilchen 1521 und 1530 verkaufte das: 
felbe nämlich Georg Woftersfy Kaplit von Sulewig an Wenzel von War- 
tenberg auf Rübenau.“) So fam es zur fpätern Herrichaft Neuſchloß. 

(Fortjegung folgt.) 


—⸗ 


Dr. Julius Glaſer. 


Am 26. December des vergangenen Jahres wurde in Julius Glaſer 
der deutſchen Rechtswiſſenſchaft einer ihrer hervorragendſten Vertreter, 
unſerem Staate einer ſeiner treueſten Bürger und einſichtsvollſten Staats— 
männer durch den Tod entriſſen. Da Glaſer feiner Geburt nad) Deutſch— 
böhmen angehörte und ſich an unjerem Vereine feit feinem Bejtande als 
Mitglied betheiligte, fo gebührt ihm auch in diefen Blättern ein ehrendes 
Andenken. 

Julius Glafer wurde am 19. März 1831 als Sohn unbemittelter 
ifraelitifcher Eltern in dein an der Sprachgrenze gelegenen deutjchen Städtchen 
Poftelberg in Böhmen geboren. Frühzeitig entwideltes Talent drängte ihn 


1) Es find dies die oben erwähnten Zeugenangfagen vom 25. October 1455. 
Archiv tesky I, 162. 

2) Lehentafel 23, 144. 

3) Palacky, Sousasny prehled. 

4) Schaller, Prag IH, 98. 

5) Vergl. Archiv tesky VI, 576. 

6) Landtafel 5, B, 22. (Neneinlage von 1543.) 


208 


auf die Bahn gelehrten Berufes und fo begann er feine Gymnaſialſtudien 
in Leitmeritz und beendete fie mit Unterftügung eines in Wien anfäfjigen 
Oheims in leßterer Stadt. Er widmete fi) jodann im Studienjahre 
1848—49 an der Univerfität Zürich philofophiichen Studien und wurde 
dafelbjt am 13. October 1849 zum Doctor der Philofophie promovirt. 
Neben diefen philofophiichen Studien war es aber bereits in Zürich die 
Nechtswiljenjchaft, vor Allem die auf philofophifcher Grundlage beruhende 
Wifjenjchaft des Strafrechtes, die ihn immer mächtiger anzog und der er 
nach feiner Rückkehr nad) Wien feine geiftige Kraft ausjchließlich widmete. 
AS erjte Frucht jeiner Studien, zugleich als Zeugniß feiner glänzenden Be: 
gabung erjchien im J. 1850 fein „engliſch-ſchottiſches Strafverfahren", 
das don der Kritik jehr beifällig aufgenommen, namentlich auch von Seite 
des zur Zeit erjten Kenners des engliichen Strafverfahrens, Mittermaier, 
vollfte Anerkennung fand. Auf Grundlage diefer Schrift habilitivte ſich 
Glaſer, nachdem er mittlerweile zum katholiſchen Glauben übertreten war 
und am 27. März 1854 die juriftifche Doctorswürde erlangt hatte, in dem— 
jelben Jahre an dev Wiener Univerfität als Privatdocent für djterr. Straf: 
recht und eröffnete am 9. October 1854 feine Vorlefungen mit einer ge- 
haltvollen, das Programm ccht wiſſenſchaftlicher Behandlung des dfterr. 
Strafrechtes Har zeichnenden Rede „über Aufgabe und Behandlungsweije 
der Wifjenjchaft des öſterr. Strafrechts“. In Ausführung diefes Programms 
veröffentlichte Glafer, der im %. 1856 zum aufßerordentlichen Profeſſor des 
Strafrechtes ernannt worden war, außer zahlreichen kleineren Aufjägen 
im J. 1858 den erſten und leider einzigen Band von „Abhandlungen aus 
dem djterr. Straftechte", welche die jo wichtigen und jchwierigen Lehren 
über jtrafbare Drohungen und ftrafbare Unterlajfungen in fo vorzüglicher, 
die gejammte auch außerdeutfche Literatur und Gejeggebung umfaljenden 
Weiſe behandelten, daß Glaſer fortan unbeftritten unter den Strafrechts- 
lehrern Deutjchlands einen hervorragenden Pla einnahm. Aber nicht auf 
die rein wiljenjchaftliche Thätigkeit follte die Wirkſamkeit Glafer’s, der im 
%. 1860 zum o. Brofejjor ernannt worden war, bejchränft bleiben; es follte 
ihm vielmehr vergönnt fein, feine durch wiſſenſchaftliche Studien gewonnenen 
Ueberzeugungen im Wege der Gejeggebung auch in das praftiihe Leben 
einzuführen. Denn als e8 ſich in Folge der durch die Februarverfaſſung 
vom J. 1861 herbeigeführten Aenderung im öffentlichen Leben Dejterreichs 
um eine Reform mehrerer Zweige der Fuflizgefeggebung, vor Allem des 
Strafrechtes und Strafprocejjes handelte, da war es Glafer, dem vom 
Juſtizminiſter Pratobevera die Aufforderung zuging, Vorſchläge bezüglic) 
der Reform des Strafverfahrens der Regierung zu erftatten. Diejer Aufforde- 


rung entfprach Slafer durch Ueberreichung einer Denkfchrift, in welcher ev im 
Allgemeinen auf dem Boden der unter Schmerling’3 Juſtizminiſterium er: 
laſſenen Strafproceßordnung von %. 1850 fußend doc) bereits in Bezug auf 
die Berfeßung des Beichuldigten in den Anklageftand und die fubfidiäre Straf: 
verfolgung von Seite des Verlegten jene Principien entwickelte, welche in 
der gegenwärtigen Strafprocegordnung vom %. 1873 ihre Verwirklichung 
fanden. Auf Grundlage diefer Denkſchrift arbeitete nun Glaſer den erſten 
allerdings noch unvollftändigen Entwurf einer Strafprocekordnung aus und 
nahm von nun an duch volle zwölf Jahre an den Vorarbeiten zum Zu— 
ftandefommen der gegenwärtig in Kraft ftehenden Strafprocegordnung den 
entfcheidenditen Antheil. Die Gefchichte diefer Vorarbeiten, wie fie in Mayer's 
„Handbuc, des öſterr. Strafprocees" dargeftellt ift, zeigt auf jedem ihrer 
Blätter nicht nur von der tiefen wiſſenſchaftlichen Einficht Glafer’s, fondern 
auc von feinem bei Theoretifern felten in gleicher Schärfe vorhandenen 
praktischen Blide, der ihn eben zu Tegislatorischen Arbeiten in jo hohem 
Grade befähigte. Die das Maß des Gewöhnlichen weit überragende Arbeits: 
fraft ermöglichte es aber auch Glaſer neben der Zeit und Geift in gleicher 
Weiſe in Anſpruch nehmenden Tegislatorischen Thätigfeit noch wiſſenſchaft— 
lihe Arbeiten von hervorragender Bedeutung der Deffentlichfeit zu über: 
geben. Wir erwähnen aus diefer Zeit nur die trefflichen für das Schwur: 
gericht mit allem Feuer tiefinnerfter Ueberzeugung eintretenden, wiederholt 
aufgelegten Schriften: „Ueber die Frageftellung an die Geſchwornen“ (1863) 
und „Zur Juryfrage“ (1865), jowie das Werk „Anklage, Wahrfpruc und 
Rechtsmittel im engliichen Schwurgerichtsverfahren” (1866), durch das ſich 
Glaſer al3 einer der gründlichſten Kenner des englifchen Strafverfahren 
erwies. — Im J. 1868 trat ein Wendepunkt im Leben Glaſer's dadurch 
ein, daß er von dem unvergeßlichen Neformator des öſterreichiſchen Volfs- 
jchulwefens Hafner in das Minifterium für Cultus und Unterricht als 
Sectionschef berufen und fo dem Lehramte und feiner juriftiichen Thätig- 
feit zunächſt allerdings nur fir kürzere Zeit entzogen wurde. Denn als 
das Miniſterium Hafner im %. 1870 von der Leitung der Negierungs: 
gejchäfte zurücktvat, fehrte auch Glafer, von feinem Monarchen in Aner: 
kennung feiner hervorragenden Verdienſte um Staat und Wiffenfchaft mit 
dem Comthurfreuze des Franz Joſef-Ordens mit dem Sterne geziert, wieder 
zu feinem Lehramte zurück. Aber auch diesmal nur für kurze Zeit, denn 
jein Name hatte in Folge feiner hervorragenden öffentlichen Thätigkeit die 
Aufmerkfamkeit auch weiterer Kreiſe auf fich gelenkt, und jo wurde er denn 
bereitS im J. 1870 in der inneren Stadt Wien in den niederöfterreichifchen 
Landtag und von diefem in den Neichsrath gewählt, dem er fortan bis 


zu den Neumahlen des J. 1879 als einer der hervorragendften Redner 
angehörte. Es waren nicht blos Fragen auf dem Gebiete der Rechtspflege, 
fondern auch Fragen auf dem Gebiete des öffentlichen Unterrichtes, die in 
Glaſer einen von echt ſtaatsmänniſchem Geifte befeelten, nicht nur durch 
inneren Gehalt, fondern auch durch den Adel der Form ausgezeichneten 
Vertreter fanden. Wir erinnern in diefer Beziehung nur an die treffliche, 
am 13. uni 1871 gehaltene Rede iiber die Sprachenfrage in Dejterreid), 
in welcher er nicht nur der flovenischen Forderung nad) Errichtung einer 
philoſophiſchen und juriftischen Fakultät in Laibach mit aller Entjchieden- 
heit entgegentrat, fondern aud im Allgemeinen die Sprachenfrage in ihrer 
Anwendung auf Ayuftiz und Unterricht von einem höheren, das wichtige 
und Leider in Defterreich jo jehr verkannte Verhältniß zwijchen Zwed und 
Mittel betonenden Standpunkte beleuchtete. — In das Minifterium Auers— 
perg am 25. November 1871 als Minifter der Juſtiz berufen, übernahm 
Glaſer die Aufgabe, drei hochwichtige Tegislative Werfe endlich zum Tang 
erjehnten Abjchluffe zu bringen. Leider gelang ihm dies nur rückſichtlich 
eines derjelben, der Strafprocefordnung vom 23. Mai 1873, welche ganz 
eigentlich als fein Werk bezeichnet werden Tann und ihm einen Ehrenplag 
in der Gefchichte der öſterreichiſchen Gefeggebung für immer fichert. Nicht 
nur in den Kreiſen der Wiſſenſchaft fand fie die ungetheiltefte Anerkennung ; 
jie bewährte fi) auch während ihrer bereits zwölfjährigen Wirkſamkeit als 
ein im Ganzen und Großen treffliches Geſetz. Was aber Strafredht und 
Civilproceß betrifft, jo wurden zwar unter Glaſer's Minifterium neue, der 
bezüglichen deutjchen Legislation ſich eng anjchließende Entwürfe verfaßt 
und dem NReichsrathe vorgelegt, ohne daß aber die in demfelben gepflogenen 
Berhandlungen zu einem Abſchluße geführt hätten. Für ihren Werth 
jpricht abgejehen von der Anerkennung desjelben von Seite der wiljen- 
Ichaftlichen Kritif auch der Umstand, daß fie von dem gegenwärtigen Mi- 
nifterium abermals mit nur geringen Modificationen dem Neichsrathe zur 
Beſchlußfaſſung vorgelegt wurden. — Als das Minifterium Auersperg im 
J. 1879 feine Entlaffung nahm, verließ auch Glaſer, deifen hervorragende 
Verdienste neuerdings von feinem Monarchen durch Ernennung zum Ge: 
heimrath und durch Verleihung der Großkreuze des Leopold» und des 
Ordens der eifernen Krone anerfannt worden waren, dag Minifterium der 
Yuftiz und übernahm das Amt des Generalprocurators am k.k. oberjten 
Gerichts: und Caſſationshofe. Von welcher Bedeutung Glaſer's Wirkſam— 
feit in diefer Beziehung gewefen, hat der Präfident dieſes oberjten Gerichts: 
hofes, Ritter von Schmerling, bei der nach Glaſer's Hinfcheiden veranſtal— 
teten Trauerfeier unummunden anerkannt und zugleich hervorgehoben, daß 


N —— 


die Mitglieder diefes Gerichtshofes Glaſer in feiner Thätigfeit als General: 
procurator achten und Lieben gelernt, daß er ihnen ein wahrer und treuer 
Freund geworden, und daß fie Gelegenheit hatten zu ſehen, welch' edler 
Menſch und Menfchenfreund Glafer geweſen. — Die Zeit, welche die 
amtliche Thätigkeit ihm freiließ, widmete Glaſer wieder der Pflege der 
Wiſſenſchaft und betheiligte fi) neben Fleineren Arbeiten an dem groß 
angelegten Handbuche der deutſchen Nechtswifjenjchaft von Binding durd) 
meifterhafte Bearbeitung des Strafprocejjes. Leider war es ihm nicht be- 
jchieden, das Werf, defjen zweiter Band furz vor feinem Tode erfchien, zu 
vollenden; nachdem er noch am 18. December an jehs Verhandlungen 
vor dem Caſſationshofe fich betheiligt hatte, verjchied er, von einer Lungen: 
entzitndung ergriffen, nach furzem Kranfenlager anı 26. December 1885. — 
Allgemein in und außer Dejterreich war die Trauer über das Hinjcheiden 
des ausgezeichneten Mannes; allgemein das Bewußtjein von dem jchweren, 
nicht leicht zu erſetzenden Berlufte, den die Wiſſenſchaft und die üfterrei- 
chiſche Rechtspflege durch feinen Tod erlitten. Es würde den Nahmen 
diefer Mittheilungen überfchreiten, wenn wir Glaſer's wiljenfchaftliche Be— 
deutung, die Univerfalität feines Wiſſens, wenn wir das Edle feines Char: 
afters in feinem Verhältniſſe als Freund, Gatte und Vater des Weiteren 
jchildern wollten; es ijt dies bereits in warmen, aus tiefjter Ueberzeugung 
jftammenden Worten von feinem treuen Freunde Unger, von Wahlberg, 
Steinbach, Janka, Ullmann u. A. gejchehen; wir fchließen daher dieſen 
furzen Lebensabriß mit dem alten einfachen Spruche: Ehre fei feinem 
unvergänglichen Andenken ! Dr. Rulf, 


Dr. Auguft Geyer. 


Am Tage nach dem unerſetzlichen Verlufte, den die Strafrechtswifjen- 
Schaft durch den Hingang Glafers erlitten, wurde derfjelben abermals 
einer ihrer eifrigften und fcharffinnigften Vertreter durch den Tod entrifjen. 
Dr. Auguft Geyer, o. Profefjor des Strafrechtes an der Univerfität 
München, ftarb nach Furzem SKranfenlager am 27. December des ver: 
gangenen Jahres. Auch Geyer gehörte unferer deutſchböhmiſchen Heimat 
an und blieb unferem Vereine auch in der Ferne ftets ein treuer Genoſſe. 

August Geyer wurde zu Ajch in Böhmen am 31. Mai 1831 als 
ältefter Sohn des Gerichtsdivectors der gräflih Zedtwitziſchen Herrihaft 


— 


Aſch geboren. Nachdem er die Gymaſialſtudien theils privat theils öffent— 
lich am prager Kleinſeitner Gymnaſium zurückgelegt und ſich der Matu— 
ritätsprüfung mit beſtem Erfolge unterzogen hatte, widmete er ſich an der 
prager und wiener Univerſität den Rechtsſtudien und erlangte an der 
letzteren Univerſität im J. 1856 die juriſtiſche Doctorswürde. Im akade— 
miſchen Lehramte den Lebensberuf ſuchend, habilitirte er ſich im J. 1857 
auf Grund ſeiner erſten im Druck erſchienenen Schrift: Die Lehre von 
der Nothwehr (Jena, 1857) an der prager Univerſität als Privatdoceut 
für Strafrecht und wurde im J. 1860 zum ordentlichen Profeſſor der 
Rechtsphiloſophie und des Strafrechtes an der Univerſität zu Innsbruck 
ernannt. ALS ſolcher bekleidete er während "der eilfjährigen Wirkſamkeit 
an dieſer Univerſität das Amt eines Decans der Juriſtenfacultät ſowie 
auch das Amt des Rectors der Hochſchule und war als letzterer Mitglied 
des tiroliſchen Landtages. Im J. 1871 folgte er einem Rufe als Pro— 
feſſor des Strafrechtes an die Univerſität zu München und wirkte an 
derſelben bis zu ſeinem am 27. December 1883 erfolgten Tode. — Dies 
der kurze Abriß des äußeren Lebens Geyers. Was nun ſeine wiſſen— 
ſchaftliche Bedentung anbetrifft, ſo ſind es zwei Gebiete, auf denen er ſich 
durch hervorragende wiſſenſchaftliche Arbeiten einen ehrenvollen Namen 
erwarb: Die Rechtsphiloſophie und das Strafrecht mit dem Strafproceß. 
Im Gebiete der Rechtsphiloſophie war es die realiſtiſche Lehre Herbart's, 
welche in Oeſterreich durch den unvergeßlichen Erner weite Verbreitung 
gefunden hatte und in welche Geyer während feiner Studien an der prager 
Univerfität durch den namentlich auf pfychologischem Gebiete hervorragenden 
Bertreter diefer Lehre, Volkmann eingeführt worden war, welcher er 
als Grundlage feiner vechtsphilofophifchen Forſchungen bei Wahrung voller 
Selbjtändigfeit in der Anwendung und Durchführung unerjchütterlid) treu 
blieb. Schon in feiner erjten Schrift von der Nothwehr waren e8 die 
Herbart’schen praftifchen Ideen des Nechtes und der Vergeltung, durch die 
er die Straflofigfeit der in Ausübung der Nothwehr begangenen Hand» 
lung nachzuweifen juchte und jo gewichtige Einwendungen aud dagegen 
von Glafer, Yhering u. U. erhoben wurden, feine Schrift bleibt immerhin 
ein beachtenswerther, mit Scharffinn durchgeführter Verſuch einer Neu- 
begrümdung diefer mannigfache Schwierigkeiten darbietenden Lehre. Das 
ganze Gebiet der Nechtsphilofophie auf Herbart’scher Grundlage umfaßt 
dann die 1863 erjchienene „Geſchichte und Syſtem der Rechtsphilofophie 
in Grundzügen“ fo wie die in der vierten Auflage von Holtzendorff's 
Enchelopädie der Rechtswiſſenſchaften erfchienene „Philofophifche Einleitung 
in die Rechtswiſſenſchaften,“ welche beide Arbeiten, da fie auch auf voller 


PERAE. \ een 


Beherrichung des pofitiven Nechtsjtoffes beruhen, auch für Jene, die nicht 
unbedingt Herbart's Fahne folgen, doch jehr viel des Beachtenswerthen und 
Anregenden enthalten. — Bedeutender aber noch als auf dem Gebiete der 
Rechtsphilojophie war Geyers Wirken auf dem Gebiete des Strafrechtes 
und Strafprocejjes; unter den Vertretern dieſer Wiſſenſchaft jtand er in 
vorderjter Reihe. Auch hiev war es, wie bereits erwähnt, Herbarts Lehre, 
die fir ihn die gemeinjame alle allgemeinen Lehren des Strafrechtes ver- 
bindende Grundlage bildete. Auf diefer Grundlage erhob ſich dann der 
Bau des pofitiven Rechtes, das Geyer in allen Einzelnheiten vollfommen 
beherrjchte. Während jeiner fterreichifchen Lehrerlaufbahn war «8 das 
öfterreichifche Necht, dem Geyer berufsgemäß feine wiſſenſchaftliche Thä- 
tigfeit widmete und deſſen Literatur neben zahlveichen Eleineren in den 
juriftifchen Zeitjchriften (Gerichtszeitung, Haimerl's Vierteljahresfchrift) ent 
haltenen Aufjfägen die im J. 1362 erjchienenen „Erbrterungen über den 
allgemeinen Thatbejtand der Verbrechen" noch immer zu ihren tüchtigjten 
Monographien zählt. Seit feiner Berufung nah München bildete aber 
fortan das deutjche Neichsitrafrecht den Mittelpunkt feiner wiſſenſchaftlichen 
Thätigfeit und er bereicherte die Literatur desfelben durch zahlreiche ge- 
diegene Arbeiten. Wir heben in diefer Beziehung jeine erjchöpfenden Mo— 
nographien über Theilnahme am Verbrechen und Begünftigung, dann über 
die Verbrechen gegen die leibliche Unverjehrtheit und gegen die perjönliche 
Sreiheit in Holtzendorff's „Handbuch des deutjchen Strafrechts" (4 Bände, 
1871—77), jowie den kurz vor feinem Tode beendeten, an eingehenden 
Ausführungen reichen „Grundriß über gemeines deutſches Strafrecht" 
(1884—85) hervor, Arbeiten, welche einer allgemeinen Anerfennung ſich 
erfreuten. Mit gleichem Eifer und gleichem Erfolge betheiligte er ſich 
nach dem Erjcheinen der deutschen Reichsſtrafproceßordnung an der wiljen: 
Ihaftlihen Erfaſſung und Bearbeitung dieſes Geſetzes, wofür ſeine Ab— 
handlung über den Beweis in Holtzendorff's Handbuch des deutſchen 
Strafproceſſes (2 Bände 1879), ſowie fein „Lehrbuch des gemeinen deutſchen 
Strafprocejjes (1880) glänzendes Zeugniß bieten. Neben diejen größeren 
Arbeiten waren es aber auch noch die wichtigjten Erſcheinungen der Lite 
ratur und Gejeßgebung des In- und Auslandes, ferner die mannigfaltigſten 
gerade auf der wiljenichaftlichen Tagesordnung jtehenden Fragen des 
Strafrechtes und Strafprocejjes, welche Geyer in ungezählten kleineren Auf- 
ſätzen im juriftifchen und nicht juriſtiſchen Zeitſchriften beſprach. 

Die freiheitlichen Ideen der Neuzeit fanden an Geyer ſowohl auf dem 
Boden der Wiſſenſchaft als auch bei ſeinem ſonſtigen Auftreten im öffent— 


lichen Leben einen entſchiedenen und warmen Vertreter; rückhaltlos bekundete 
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 1. Heft. 6 


— — 


er aber auch ſtets ſein deutſches Nationalbewußtſein und ſchloß ſich, ſchon 
in Oeſterreich Feind jeder particulariſtiſchen Strebung, nach ſeinem Ueber— 
tritte nach Baiern unbedingt den Anhängern der deutſchen Reichseinheit 
an. In dieſer freiheitlichen und reichsdeutſchen Geſinnung mochte wohl 
auch der Grund liegen, daß ihm ſowohl in Oeſterreich als auch in Baiern 
jene Ehren verſagt blieben, die nicht ſelten Männern von weit geringerer 
wiſſenſchaftlicher Bedeutung, aber, wie man zu ſagen pflegt, von correcterer 
Geſinnung zu Theil zu werden pflegen. Nur der italieniſche Kronenorden 
ſchmückte ſeine Bruſt als Anerkennung für eine von ihm verfaßte gründliche 
Beurtheilung des italieniſchen Strafgeſetzentwurfes. 

Im Privatleben war Geyer trotz ſeines etwas ſchroffen Auftretens 
im vertrauten Befanntenkreife von der größten Liebenswirdigfeit; Freund 
heiterer Gejpräche zeichnete er fich durch feltene Präcifion des Ausdrudes 
und durch überrafchende Schlagfertigfeit bei Bekämpfung ihm entgegen— 
tretender Anfichten aus. Der ideale Sinn, der ihn bejeelte, erfüllte ihn 
mit Shwärmerifcher Verehrung für die Natur und namentlich war es die 
Gebirgsmwelt, die ihn ſtets mächtig anzog. Jedes Jahr unternahm er in 
den Ferien eine längere Reife in die Alpen; unterzog fich dabei aber aud) 
nicht jelten übermäßigen jeine Gejundheit jchädigenden Anjtrengungen. 

Seit 1860 Iebte Geyer in glüclichjter Ehe mit einer Tochter des 
Fürjt Neußijchen geheimen AJuftizrathes Eduard Friedrich) Alberti. Diefer 
Ehe eutjprojjen vier Kinder, von denen aber nur zwei den Vater überlebten. 

Mitten im beiten Schaffen, in voller Frijche des Geijtes wurde Geyer 
der Wiſſenſchaft entriſſen; jeine Werke fichern ihm aber in den Annalen 
derjelben ein bleibendes Andenken. Dr. Rulf. 


Das Rittergut Ruben bei Hörih. 
Bon Franz Schmidt. 


Zwischen Hörig und Gojau liegt das Dorf Ruben, einjt Mittelpunkt 
eines wenn auch Fleinen Nittergutes und Sit mehrerer ritterlichen Ge: 
ihlechter, die fi „von Auben“, „de Rownich“, „z Rowneho“ uud 
ähnlich benannten. Eine nicht unbedeutende Fefte erhob fich in der nächſten 


1) Rowne (= Ebene), im Urbar vom Jahre 1524 „Rumb“ (Proſchko „Hohen: 
furt” 80). 


=. BE. 


Nähe des Dorfes; — wann und von wem fie gebaut wurde, wie und 
wann fie in Trümmer janf, können wir nicht angeben. So viel ift ficher, 
daß noch um das Jahr 1790 der Thurm der Feſte bejtand und zu 
Wohnungen für 4 Barteien eingerichtet wurde. ') Jetzt erhebt fich an feiner 
Stelle das Hohenfurter Forjthaus. 


Es jcheinen aber außer der Fejte noch ein oder zwei Höfe in Ruben 
eriftivt zu haben, wenigjtens läßt das Auftreten dreier Nitter in der 
zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts darauf jchließen. Jedenfalls dürfen 
wir nicht an Rum (Rovne) in der Ottauer Pfarre denken, denn das 
befand ſich im Beſitze der Nojenberger.?) 

Wir bemerken einen fortwährenden Wechfel der Beſitzer Nubens; 
ein erbangejejjenes Gejchlecht finden wir hier nicht. Der erjte urkundlich 
nachweisbare Bejiger tjt 

Busco von Ruben aus dem Gefchlechte der Harracher,“) den 
wir am 1. Juli 1300 in einem Schenfungsbriefe Dominits von Paſſern 
an die Kirche zu Kicchjchlag als Zeugen treffen.) Als jolcher erjcheint er 
auch 1305, 29. Mai in Krumman?) und am 28. Juni 1308 ®) in rofen- 


1) J. Schaller: Topographie des Königreiches Böhmen XI, 170. 

2) Truhlat: Registrum bonorum Rosenbergieorum 30; ic) folge bier der Auficht 
Auguft Sedlatef3 in „Hrady a zamky éeské“ III, 119; einer diefer Meierhöfe 
dürfte identijch fein mit dem Hofe Mocerady (Mufcherad) bei Ruben; die 
Lage diejes Hofes deutet der Name des „Mufchereibaches“ bei Ruben an. 

3) Es dürfte hier am Plate fein, die Stammtafel der älteren böhm. Harradıer 
anzuführen, fomweit wir fie eben aus Fontes rer. Anst. XXIII und XXXYII, 
jowie aus L. Pröll „Seh. d. Brämonftratenferftiftes Schlägl“ kennen lernen, 


? 


Beneih, Burggraf v. Nofenberg Johann Johan Behuflan 
(125961) erw, 1259—91. 1261—74 12601— 


| 
Busco von Lagau ; Albero Yacob 
1291—1331. Marſchall d. Rojenberger 1306—1326 
1317. 1291--1325 >, 


mm m mn — — —— — — — — 
Wernher von Stieks Johann von Cekau Beneſch v. Quaſſow 
1317—39 1317 —49, (F vor 1377) 
v Wyßlamwa 
Was Busco von Ruben anbelangt, jo vermag ich ihn nicht einzureihen, ebeuſo 
auch nicht Busco v. Heben (Burggraf in Welefhin 1360-69) u. a, m. 
4) Pröll, „Schlägl“ 34. Aum. 
5) l. c. 40, 
6) Annal. Praemonst. Naney 1736, II. ©, 376, R 
6 


Ei BU 


berger Schenfungsbriefen für das Prämonftratenferjtift Schlägl in Ober: 
öfterreih. Am 1. Mai 1346 endlich beurkunden Peter v. Rojenberg — 
als Lehensherr —, Johann von Eefau und Beneſch von Komatig — als 
Freunde — in Krummaun, daß Busco zu einem Amiverfarium für fein 
Seelenheil der Pfarrliche in Gojau eine Mühle unterhalb Nejpoting 
(Mezipoto&i) gejchenft habe.') 

Während diefer Zeit finden wir einen 

Ulrih von Ruben am 21. December 1325 unter vielen andern 
Harrachern als Zeugen — ein Beweis, daß er demjelben Gejchlechte.an- 
gehörte. Am erwähnten Tage nämlich verjegte Peter von Nojenberg dent 
Bohunf von Harrad) ?) für 83 Mark löthiges Silber die Dörfer Zettwing 
(Zetbune) und Migolz (Nicolts).?) Dagegen gehörte, wie aus dem Wappen 
(ein Helm mit Ochjenhörnern als Bierde) hervorgeht, 

Smil von Ruben dem Gefchlechte der Harradher nit an. Er 
wird 1360 *) bis 13875) erwähnt. Ungefähr gleichzeitig mit Smil evjcheint 

Litwin genannt Ufel von Ruben zuerjt in einer Urfunde 
jeines Freundes, des Pfarrers Bohunco von Budweis, am Montage vor 
Maria Geburt 1363.%) 1367 verkaufte er feinen Antheil an Neudorf 
(bei Gragen) dem Herrn von Roſenberg.“) Im Kampfe der Paſſauer 
Bürger mit ihrem Bifchof und mit Eberhard von Walfee bemächtigte fich 
Litwin Ufel 1369 der Burg Falkenjtein (an der Ranna im ob. Mühlviertel) 
durch Überrumpelung und übergab fie dem Grafen Leopold von Hals. °) 
1380 hatte er die Dörfer Sattling und Laimpac (Mühlviertel) zu Lehen.) 
Aus jeiner Verwandtſchaft mit Bohunfo müſſen wir auf feine harrachiſche 
Abkunft ſchließen. Am 24 Mai 1372 tritt uns noch ein | 

Johann von Bor (Johann Boroveg) als Beſitzer einer 
„euria® entgegen und zwar in einer und derfelben Urkunde mit Smil- 


1) F.r. A. XXXVII, 100. 

2) F. r. A. XXI, 71; Bohunk verpflanzte mit Busco v. Harrach und Dietrich) 
jein Gejhleht nah und nad, durch allmäligen Giütererwerb nad) Ober: 
öfterreich; eine plößliche Ueberfiedelung eines Pribits v. 9. ift unhiſtoriſch. 

3) An der oberöfterreichifchen Grenze, 

4) 1. c. 121. 

5) XXXVII, 186. 

6) BorovY, lib. erect. I, 46. 

7) Sebdlätef, Hrady III. 119. 

8) Annales Matseeuses (Pertz Mon. Germ. XT. 834). 

9) Truhlät, Regist. bon. Rosenberg. 28. 


Beide nennen fich „von Ruben”, was die obenerwähnte Annahme Sedläceks 
plaufibel macht. Möglich ift es auch, daß fid) Smil oder Litwin fo be- 
nannten, trogdem fie fich ihres Beſitzes längſt entäußert haben Fonnten. 
Ueber 30 Yahre blieb Johann Borovetz im Befige feines Gutes. Seine 
Gattin Margaretha gebar ihm einen Sohn Lambert, der in 
das Prämonftratenferklofter zu Mühlhaufen eintrat und bei der Profeß 
den Namen Leopold ') erhielt, und zwei Töchter Agnes und Offa, die 
fi mit Pesik von Teindles?) und Nicolaus von Michnig ?) verehelichten. 
Gewillt fein Befigthum zu veräußern, erbat er fid) von König Wenzel IV. 
die Bewilligung, jeine Güter wann und wem immer tejtiven zu dürfen, 
welchem Anfuchen denn auch der König am 11. Jänner 1406 in Zebra 
(Mendici) willfahrte.) Schon nad) 3 Wochen, am 2. Feber 1406, trat 
er mit Bewilligung feiner Gattin, feines Sohnes, feiner Züchter und 
Scwiegerföhne fein Gut in Nuben und den Hof Mufcherad (Mocerady 
bei Ruben, jegt nicht mehr beftehend) gegen eine Kaufſumme von 200 Sc. 
Prager Grofchen, fowie gegen Vorbehalt des lebenslänglichen Nuggenuffes- 
an Goldenkron ab.°) Zu diefem Verkaufe gibt fein Sohn Leopold mit 
Genehmigung feines Abtes Spatomir feine befondere Zujtimmung am 
25. Mai desjelben Jahres.“) Einen Theil des Kaufſchillings — 80 Sc). 
Srofchen — erhielt Johann Boroveg am 11. Yuni;?) die übrigen 120 
Schock nahm Hrocho dv. Marfchowig auf Porefching?) 4 Jahre darnad), 
am 30. März 1410 in Empfang;?) er mochte fie von Johann Boroveg 
zu fordern gehabt haben. Diefer blieb noch bis zum Fahre 1408 im 
Beige feiner beiden Güter; am 25. Mat 1408 trat er fie mit Zuſtim— 
mung feiner Gattin an das Eiftercienferftift Goldenfron jofort ab und 
bedang ſich eine jährliche Leibrente aus, die ihm auch zugefichert wurde.'®) 
Uebrigens fcheint er bald darauf verjchieden zu fein. Eine Zeit lang 





1) So alaube ich den Widerfpruch in der Namensangabe (F. r. A. XXIII, 241 
und XXXVL, 351) erffärt zu haben. 

2) Bei Budweis; die meiften Rittergefchlechter Südböhmens find mit denen bon 
Teindles ftammverwandt. 

3) Bei Rojenthal. 

4) F. r. A. XXIII, 240. 

5) F. r. A. XXIII 24043. 

6) XXXVII, 351. 

7) Fr. A. XXXVII, 332. 

8) Er war zu diefer Zeit Vormund der minderjährigen Kinder Pribifs von 
Poreſching (Emler, Lib. eonfirm. VI. 282). 

9) XXXVIL, 359. 

10) F. r. A. XXIII, 24649. 


— 86 — 


blieb alſo Goldeukron im Beſitze beider Güter. Vom Jahre 1422) an 
erſcheint ein 


Buzko von Harrach auf Ruben; ſei es auf einem feinem 
Geſchlechte erblichen Hofe (Muscherad?), was das wahrjcheinlichfte ift, 
oder als Lehensmann des Goldenfroner Stiftes. Er ift 1422 bis 1427 2%) 
Burggraf in Krummau; als jolcher erjcheint er oft an der Seite Ulrichs 
bon Rojenberg in den Hufitiichen Kämpfen?) Rotten von Hufitischen Plün— 
derern ſteckten ſeinen Hof in Ruben in Brand, nachdem fie fid) bei Neu— 
ſiedl gefammelt hatten, und bramdjchagten alles, was fie fanden.) Am 
14. April 1436 erfauft er vom Stifte Goldenfron das Gut Ruben, 
welches das Klofter von Johann Boroveg gefauft hatte, um 160 Schod 
Srojhen?) und am darauffolgenden Tage hängte Ulrich von Nojenberg 
jein Siegel auf die Kaufurfunde.*) Dagegen verkaufte Busco am 1. März 
1438 dem Wanfo v. Pernlesdorf (Moffifow) ”) feinen Hof in Malotiu ®) 
mit Vorbehalt eines jährlichen Zinfes von 2 Sch. um 65 Schod Prager 
Sildergrofchen.?) Er Tebte noch 1443.19) Nach Hohened hatte er 3 Söhne, 
Ulrich, Jans und Stephan.) Ulrih Harracker verehelichte ſich 1435 
mit Juliana Grueber,'?) der Sprojjin eines alten oberöfterreichifchen 
Nittergejchlechtes; 1437, 11. December erjcheint er als Befiger von Ol— 
bramovig ??) und wird noch im Jahre 1459 erwähnt.) Später finden 
wir im Befige Rubens Andreas, Johann und Zaharias von 
Nemyſchl, die 1475 der Gemeinde Krummau einen Zins im Dorfe 
Mehlhüttel verfauften. ) Dann war Andreas allein Herr von Ruben 
(Wappenfigur: ftehender Balken, Helmzierde: ein Paar Hörner). Nach 
feinem Tode verkaufte Peter v. Nofenberg als Bormund der Waifen des 


1) Palackh, Archiv deskf, II, 6. 
2) 1. c., Notizenblatt d. k. Akad. d. Wiffenfchaften IT, 11 u, a. m. 
3) A. 6. III, 246 und öfters, 

4) Poprav£i kniha panüv z Roämberka ed. Mares, 27, 31 fig. 
5) F. r. A. XXIII 266, 67. 

6) XXXVI 426. 

7) Bei Kaplitz. 

8) Molerbauer bei Krumman. 

9) F. r. A. XXII, 267; A. &. II, 520, 

10) Rotizenblatt III, 442. 

11) „Senealog. Beichreibg.“ ꝛc. I. 315. 

12) l. c. III, 212. 

13) A. 6. I, 42. 

14) F. r. A. XXIII, 294. 

15) Geblatef, III, 119. 


— , 


Verjtorbenen 1487 am 17. November das Gut Ruben an feinen Kanzler 
Wenzel um 600 ungarische Gulden.) Den Hof Mufcherad erjtand am 
23. Jänner 1492 Welfl von Kicchichlag von Dorothea, der Witwe des 
Andreas. Welfl überläßt ihn am 26. Jänner käuflich an Peter v. Nofen- 
berg, der am 3. Februar zu Gunſten feines Kanzlers feinen Ansprüchen 
auf bejagten Hof entſagt.“) So finden wir denn feitdem 


Wenzelvon Ruben (Wappenfigur: Oberkörper eines Negers, 
Helmzierde: Federbujch). Wenzel befleivete in der Wende des 15. Jahrh. 
die Würde eines rofenbergifchen Kanzler. Sparſam wie er war, konnte 
er einige Gilter in der Umgegend erfaufen. So erwarb er außer Ruben 
und Mufcherad 1438 das Dorf Litfehau, ?) ſpäter von Siegfried v. Pern— 
lesdorf das Dorf Pflanzen und einen Banerhof in Umlowig 9 u. ſ. w. 
Seine Gattin Elijabeth gebar ihm nur eine Tochter Apollonia, die 
in das Klariffinenklofter zu Krumman eintrat. Der fromme Sinn, den 
jeine Tochter damit Fundthat, offenbarte fid) auch am Vater durch zahl- 
reiche Schenkungen, die er theils der Pfarrfirhe St. Beit in Krummau, 
theils den Klariſſinen daſelbſt, theils dem Eiftercienjerklojter in Hohenfurt 
zufommen ließ. So ftiftete er an der Pfarrkirche St. Veit im 
Jahre 1489 mit Konrad, Nitter dv. Petrovitz, Mathias v. Vevert und 
Georg Podlipskh aus Krumman eine Altariftenjtelle beim Altare der heil. 
Marin Magdalena?) am 20. Juni 1508 eine jolche beim Altare des heil. 
Hieronymus mit Gütern zu Litſchau, Radiſchen und Loteniß;‘) 1509 
beim Altare der heil. Märtyrer; ?) 1521 beim Altare aller Heiligen. ®) 


Für die Altariften erwirbt er zwei Käufer; eines jchenft er den 
Kaplänen an der Krummaner Pfarrkirche zur Wohnung 1499,°) das 
andere weiſt er 1518 den von ihm gejtifteten Altarijten S. Hieronymi 
SS. Martyr. et OO. SS. an und beftinmt, daß in der dajelbit befindlichen 
Kapelle Conversionis S. Pauli jährlich bei 3 Meſſen für fein Seelenheil 


1) XXIII, 294. 

2) 1. c. 361,'62. 

3) Seblacet, II, 119. 

4) Rotizenblatt II, 356. 

5) Trajer, Diöcefe Budweis, 61, 

6) 1. c. und Notizenblatt II, 445; Litſchau bei Benefhan, Radiſchen bei Pflan- 
zen, Zocenit bei Fohannisberg. 

7) Trajer 61. 

8) 1. eit. 

9) Trajer 62. 


— — 
abgehalten werden ſollen.) Den Klariſſinen, in deren Kloſter, wie 
erwähnt wurde, jeine Tochter eintrat, jchenfte er 1506 am 12. März das 
Dorf Pflanzen und einen Bauernhof in Umlowitz; diefe Güter follten, 
falls fie auf was immer für eine Art vom Klariſſinenkloſter veräußert 
würden, au das Dominifanerflofter in Budweis fallen.?) Außerdem be- 
ſtimmte er, daß zu Lebzeiten jeiner Tochter den Klariſſinen, jo oft der 
große Teich in Litſchau geftscht werde, immer eine Tonne Fiſche gegeben 
werden jolle.?) Dem Eiftercienjerjtifte Hohenfurt endlid trat 
er am 12, März 1506 fein Gut Nuben und den Meierhof Mujcherad 
ab; doch behielt ex fich den lebenslänglichen Nuggenuß für ſich und feine 
Gattin vor. Zugleich beftimmte ev wie oben den Anfall beider Güter an 
das Budweiſer Dominifanerklofter im Falle etwaiger Beräußerung von 
Seite des Hohenfurter Stiftes *) — eine Beftimmung, zu deren Erfüllung 
fi) der Budweifer Magijtrat am Freitag nah Maria Hinmelfahrt 1515 
urkundlich verpflichtete.) 


Später verfaufte Wenzel auch feine Güter in Litſchau an die Roſen— 
berger.“) Wenzel von Nuben follte aber fein Alter nicht ungeftört genießen. 
In feinem Nechtlichfeitsgefühle mag er den Peter von Nofenberg dazu 
bewogen haben, daß er jeine Anfprüche auf die Golvenfroner Güter anfgab. 
Wir könnten es ung ſonſt nicht erklären, wie der Greis, der jeinem Herrn 
jo treu gedient hatte, von Heinrich) von Nojenberg, als diefer das Erbe 
jeiner Bäter übernahm, volle dreiviertel Jahre gefangen gehalten wurde, 
Während diejer Zeit bemächtigte fich Heinrich Nubens, nöthigte die Leute 
Wenzels zur Unterthänigkeit und entlocte zulegt vom Gefangenen das 
Siegel, das er dann zu jeinen Sweden mißbrauchte. Wenzel wurde erjt 
nach den Tode Heinrichs in Freiheit gejeßt und erklärte 1527 alle Briefe, 
die von Heinrich auf diefe Weiſe mit jeinem Siegel verjehen waren, für 
gefälſcht.) Wenzel jcheint ſich jpäter in Budweis aufgehalten zu haben. 


1) L. © 

2) Notizenblatt II, 366. 

3) Diele Schenfung wurde 1508, 20. Juni auf dem Prager Scloffe von Ma— 
gifter Ambrosius de Plzna, Dechanten der Prager Kirche und Adminiſtrator 
des Erzbisthums, beftätigt. (Notizenblatt II, 356.) 

4) Siegfried Küheweeg: Diplomatarium Altovadense IT und Iſidor Proſchko: 
Sohenfurt, 21, 

5). ec. 2. 

6) Sedlacef, II, 119. 

7) Lib. confirm, und II, 34. Bekanutlich hat Peter von Nofenberg die königl. 
Pandbriefe bezüglich Goldenkron zerriffen — „aus Unbedachtſamkeit“ hieß es 
jpäter (F. r. A. XXXVII, 596); daß diefe That aber gar wohl bedacht war, 


Hier ertheilte er am St. Veitstage 1530 dem Krätfchmer aus Ruben das 
Bürgerrecht und andere Privilegien. Er ftarb in Krummau am 29. Jänner 
1531, hochbejahrt. *) Ein Grabjtein aus rothem Marmor am Krummaner 
Kirchhofe (am Portale der St. Veitskirche) zeigt heute noch feine letzte 
Ruheſtätte. 

Wenzel von Ruben zählte zu den gelehrteſten Männern ſeiner Zeit; 
rühmend erwähnt feiner Bohuſlav v. Lobkowitz in feinen Briefen. Daß 
er auch Schriftjtellferiich aufgetreten ift, bezeugt Balbin.?) Die Hohenfurter 
Stiftsbibliothef bejigt einige Handjchriften (Klafjifer, Geſchichte u. a.), die 
von ihm dem Stifte gejchenft wurden. Sie tragen ſämmtlich an der 
Dedelinnenfeite das Diftihen: „Autor consructae domus en me legat 
amicis; Grates nunc habeo Vencesilae pias.“ 


Was die Gejchide feiner ehemaligen, Güter Nuben und Mufcherad 
anbelangt, jo ijt nicht mehr viel zu erwähnen. Beide verblieben feit 
Wenzeld Tode beim Eijtercienferftifte Hohenfurt. Diejes verkaufte 1570 
eine Wiefe, die zum Rubner Gute gehört hatte, an die Klariſſinen in 
Krummau.*) m dreißigjährigen Kriege wurde Ruben öfters von Fremd 
und Feind geplündert, zulegt im September 1648 auch von den Schweden, 
die den Einwohnern alles Vieh vaubten.*) Der Meierhof Mufcherad wird 
ihon im Hohenfurter Urbar von 1524 nicht mehr erwähnt. Zum Schluſſe 
wollen wir hier ein Urbar des Gutes Ruben vom Jahre 1479, aljo aus 
der Zeit Andreas dv. Nemyſchl mittheilen. 


Ein Binsreaifter des Gutes Ruben vom Jahre 1479. 


Nah einer gleichzeitigen Handichrift der Hohenfurter Stiftsregeftratur, 4 Blätter 
in Quart. 


An der legten Seite jtehen, wohl von Wenzels v. Rowna Hand die 
Worte: „Registrum Proventuum ex rure Rownensi, bona 
fide excerptum. Pro Coenobio Altovadensi, transmit- 
titur; weiter unten ‚die Jahreszahl 1479, wohl den Urſprung des. 
Urbars bedeutend. 


zeigt fein Teftament vom 10,/VI. 1521, in dem er auf Zuriidgabe der Golden: 
froner, Oftrover und Strahöver Güter an ihre rechtmäßigen Befiger drang, 
Ein herber Schlag für die Herren von Nojenberg, wäre fein Wille gefchehen ! 

1) Millauer, Necrolog. Altov. 1819. 

2) „Bohemia’ docta* ed. Raphael Ungar II, 292. 

3) Proſchko „Hohenfurt“ 25. 

4) 1. c. 48; um diefe Zeit dürfte auch die Feſte zerftört worden fein, 


— — — 


Das Regiſter ſelbſt iſt tſchechiſch mit gegenüberſtehender lateiniſcher 
Ueberſetzung und lautet: 


Woytiech Census XXVI gr. 


Zenezuow VIII messores 8 

Senosiekuow III fenisecos 3 

Z chalup zenezuow Illl ex gaza messores 4 

Brany II rastra 2 

Slepieze IIII Gallinas 4 

Prziwezti owsa wozy III advehere Avenam currus 3 

Zita wozy IlI advehere Siliginem currus 3 

Poezty wanoczny XlI % honorantia pro festo nativitatis Christi 12 % 
Desatek s gedne diediny Decimas ex uno agro. 


Feyrer Census XXVI gr. II» 
Zenezuow XVI Messores 16 
Senosiekuow IIII fenisecos 4 
Slepiez IIII Gallinas 4 
Brany IIII Rastra 4 
Prziwezti owsa wozuow VI Advcehere de Avena curr. 6 
Zita VI Siligines eurrus 6 
Poczty wanoeznie XXTIIl % honorantias pro festo nativitatis 
Christi 24% 


Jakesch Census XXIII gr. 


Z, diediny od Moczeradu II gr. Ab agro ex moczerad 2 gr. 
Zenezuow VIII Messores 8 

Senosiekuow II fenisecos 2 

Slepiez II gallinas 2 

Brany II Rastra 2 

Owsa prziwesti wozy III Avenam advehere currus 3 

Zita III Siliginis currus 3 

Poczty wanoeznie XII % honorantias XII » 

Desatek z gedne diediny Decimas ex uno agello. 


Pintar Census XIII gr. 
Census z diediny od moczeradu IIII gr. Ez agro in moczerad 4 gr. 
Zenezuow VIII Messores 8 
Senosiekuow Il fenisecos 2 
Slepieze II gallinas 2 
Owsa prziwesti III wozy Avenam advehere 3 currus 


ud 


Zita III Siliginem 3 currus 
Poezty wanoeznie XII % honorantia Nativitat. Dni XII 


Bira Census XIII gr. 


Zenezuow VIII Messores 8 

Senosiekuow II fenisecos 2 

Slepieze II gallinas 2 

Brany II Rastra 2 

Owsa prziwezti wozy III de Avena advehere currus 3 
Zita wozy III de Siligine currus 3 

Poczty wanocznie XII  honorantias 12 5 


Zechtan XVII gr. 


Zenezuow VIII Messores 8 

Senosiekuow II fenisecos 2 

Slepiez II gallinas 2 

Brany Il Rastra 2 

Owsa prziwezti wozy III Avenam adducere currus 3 

Zita wozy III Siliginis currus 3 

Poezty wanocznie XII »» honorantiam pro festo Nativitatis Christi 12 


Marzijk XII gr. Census 


Zenezuow VIII Messores 8 

Senosiekuow II fenisecos 2 

Slepicze II Gallinas 2 

Brany II Rastra 2 

Owsa prziwesti III wozy Avenam advehere 3 currus 

Zita wozy III Siliginis 3 currus 

Poczty wanocznie XII % honorantia pro festo nativitatis Christi 12 # 


Richtarz Census X gr. 
Po krezemneho X gr. A taberna 10 gr. 
Zenezuow IIII Messores 4 
Slepiezy I Gallinam 1 

Turnar Census VI gr. V % 
Zenezuow IIII Messores 4 
Slepiezy I Gallinam 1 

Waczlaw Census VIII gr. 


Z luky od moczeradu III gr. Ex prato in moczerad 3 gr. 
Zenezuow IIII Messores 4 


Senosieka I fenisecum 1 
Slepiezy I gallinam 1 

Meleznar Census VIII gr. 1% 
teez z luky ll gr. Idem de prato 2 gr. 
Zencezuow VIII Messores 8 
Slepieze Il Gallinas 2 


Schmid Census XVII »% 
Z, diediny od moczeradu I gr. Ab agro in moezerad 1 gr. 
Zenezuow IIII Messores 4 
Slepiezy I gallinam 1 
Waniek Census VIII gr. III 
Z, diediny od moczeradu I gr. De Agello in moezerad 1 gr. 
Zenezuow VI Messores 6 
Slepiez II Gallinas 2 
Schneyder Census VI gr. III » 
Zenczuow IIII Messores 4 
Siepiezy I gallinam 1 
Wintrschuster Census Illl gr. VI % 
Zenezuow IIlI messores 4 
Slepiezy I gallinam 1 
Rzehorz Census Ill gr. VI» 
Item a silva super agrum s. gr. pro festo Georgi 7 et pro festo Galli 7 
Zenezuow IIII Messores 4 
Slepiezi I Gallinam 1 
Homines ex Prowold dant a pascuis 1 gr. 
Molendinator Census XXI gr. 
Item de Agello censum 1 gr. 
Et ad hoc obligatur molare aut molere (sie) Brasea quidquid 
necesse est, Sin minus tunc obligatur dare XXX gr. 


PN nn 


Shnanhübel,. 
Bon Alois Hruſchka. 


Der Güte des Herrn Pfarrers Anton Tſcherney in Schnanhübel 
verbanfe ich die Kenntniß einiger älterer Formen des gewiß interejjanten 


— — 


Namens, die er den Pfarrmatriken von Nixdorf, beziehungsweiſe Zeidler 
entnommen hat. In einem Kauſvertrage von 1699 findet ſich die Form 
Schnaubehübel; ſie fehrt 1704 wieder, während ſonſt, und zwar fchon in 
einem Contracte vom Jahre 1668, auffm Schnauhübe', 1667 an Schnaw- 
hübel (— hiebel, — hibel), aber 1696 Schnaue Hübel zu leſen ijt. 
Die weiterhin oft begegnende Form Schnaw-Hübel mit vorhergehenden 
von, vom, auf den, auffm, aufen u. ſ. w. bietet nichtS neues, und jo 
müjjen wir uns denm mit der uns erreichbar ältejten Form Schnaubehübel 
begnügen, aus der wohl zunächſt Schnaue — dann unfere jegige Form 
des Ortsnamens entjtanden tft. 

Der zweite Theil des Namens bietet der Deutung Feinerlei Schwierig- 
feiten; das Förſtemannſche Ortsnamenbuch, 2. Aufl. pag. 855 führt ſchon 
aus dem 9. Jahrhundert Belege für Ortsnamen vor, deren zweiter Theil 
hubil, huuil, d. i. Hügel iſt. 

Wie aber ift der erite Theil des Namens zu erfläven? In dem 
bayerischen Wörterbuch von Schmeller- Frommann, II. pag. 577 finden wir 
„vie Schnauppen” in der Bedeutung 1. Schnabel, Schnauze; verächtlid) 
Mund 2. Der fchnabelfürnige Theil einer Kanne. 3. Das unten jpig 
zulanfende Ende eines Schnürleibchens. 4. Anzüglihe Rede. Sehen wir 
von der übertragenen Bedeutung des Wortes ab, jo ergibt fich, daß bair. 
Schnauppen etwas ſchnabelförmig, jpig Zulaufendes bedeutet. Dem wider: 
jpricht nicht, wenn ein erfroren oder ſonſt jchlecht Ausjehender im bayrischen 
„g’schnaupet“ (Schmeller-Frommann a. a. DO.) heißt, dem wir würden von 
einem jolchen jagen, er jehe „ſpitzig“ aus. — Das ſchwäbiſche Wörterbuch 
von Joh. Chr. Schmid kennt „Schnaupe‘‘ f. in der Bedeutung Gofche 
(pag. 475), und Stalder, Schweiz. Idiotikon II, 340, führt außer Schnau m., 
Wort im Tone des Unwillens, „geschnauwig“ neben „schnauig“, mit 
Worten anfahrend, beißig, an. Die beiden Adjectiva zeigen uns, daß an, 
Stelle des obigen p (pp) auch w ich findet, und daß der Labialfaut über: 
haupt ausfallen kann. — Das bremijch:niederfächl. Wb. IV, 884 liefert 
ung snau in folgender Bedeutung: 1. „Schnauze, das hervorjtehende 
Maul mit der Naje bei einigen Thieren, alfo Maul, Naſe, Schnabel. Im 
uneigentlichen Sim wird es von einigen leblofen Dingen, deren vorderjtes 
Ende hervorragt, oder ſchmal oder jcharf zugeht, gebraucht 3. B. Schiffe 
jind up de snau gebaut, welche vorn fpigig zulaufen.” Ein ſolches Schiff 
heißt dann auch Snau- schip, holländiſch snauuw (daf. pag. 885 und vgl. 
Kluge, Etym. Wb. 302), — Im holſtein. Idiotikon von J. F. Schüße 
4, 139 jteht snau 1. in der Bedeutung von „Schnabel, was vorn eng 
und jcharf zugeht. Schiffe, die Leichter ‚jegeln und durchſchneiden jollen, 


— — 


werden up de Snau gebaut, laufen gegen den Vorderſtäven nicht rund 
und bäuchtig, jondern jchmal und fcharf zu. 2. „Ein lojes Maul” und 
„snauen, afsnauen grob anfahren; ansnauen aunfahren; umsnauen um 
fich beißen” u. j. w. „snauisch zänkiſch, beißig." Diefelbe Bedeutung wie 
das zulegt genannte Wort hat das holländifche snaauwachtig (Brem. 
Wb. IV. 886). Auch das brem. Wörterbuch liefert ung ein Verb snauen 
(IV. 885) in der Bedeutung „beißen, jemand ein beifendes Maul zuwenden : 
Der Hund snauet na mi; dann wird snauen aud) von leblojen Dingen 
gebraucht, deren Schnabel oder Spike nad) der Seite gewandt ift 3. B. 
de Balke snauet een beten to’r Rechten: der Balfen wendet ſich mit 
dem vborderjten Ende ein wenig zur Rechten“. 

Diefe Bedeutung des Wendens, Drehens bezeugt ung bereits das 
Altnordiſche: snüa wenden, fehren, drehen; snüdhr stm. Windung, Wirbel ; 
snüdhigr ich herumdrehend, wirbelnd, leicht beweglich, ſchnell; vgl. dän. 
snoe drehen, wideln, winden. (Schade, Altd. Wb. 839 und Doornfaat, 
Dftfrief. Wb .III. pag. 241 f.) Das goth. snivan (ftatt snivan) wie auch 
das agſ. sneövan find mur in der Bedeutung gehen, fortgehen, kommen, 
eilen belegt; agf. sneöme raſch; snüd agilitas, celeritas, snüd agilis 
celer (Leo, agj. Gloſſ. 400; Schade a. a. D.; Kluge, Nom. Stamm 
bildungst. $ 185 und 221). Beide Bedeutungen, die des Wendens und 
die des Eilens, Sehens, berühren ſich nahe; beiden liegt der Begriff der 
Fortbewegung zu Grunde. — Alle die oben angeführten Ausdrüde führen 
auf die gemeinjame Wurzel snu zurid. 

Nach diefer langen Abjchweifung ehren wir wieder zu unſerem 
Schnauhübel zurüd. Betrachten wir den Hügel, auf welchem es liegt und 
dein es den Namen verdankt, fo ift feine Geftalt eine eigenthümliche, auf- 
fallende: er ift jchnabelförmig gekrümmt — und diefe feine Form dürfte 
ihren jprachlichen Ausdrud im Namen Schnauhiübel erhalten haben. Stün- 
den ung ältere Formen des Namens zu Gebote als das oben angeführte 
Schnaubehübel, jo würden wir au Stelle des b ein w finden müfjen; 
b tritt gern fir w ein, und vielleicht ſoll diejes, wenn auch verfannt, in 
dem f der Form Schnaufhübel zum Ausdrude kommen, welche noch 
Yaroslaus Schaller in feiner Topographie des Künigreihs Böhmen 
v.%. 1787 im IV. Bd. S. 221 neben Schnauhübel anführt. Im Dialecte 
heißt der Ort Schno"hübel; das w oder b ijt ebenfo verjchwunden wie 
in Krote, Pfow, gro“, blo", Pro“; und dieſer dialectiichen Form ent- 
jpräche dann wohl ein mhd. snouwe? 

Ich kann übrigens unjerem Ortsnamen einen jehr ähnlichen Namen 
an die Seite ftellen, der allerdings als Berfonenname zu nehmen ijt, von 


dem e3 aber außer allen Zweifel jteht, daß er urfprünglich ein Ortsname 
und zwar der Name eines Berges ijt. In dem Urkundenbuch des in der 
Grafſchaft Wernigerode gelegenen Klofters Ilſenburg, herausgegeben von 
Ed. Jacobs, Halle 1877, Band II, pag. 450 erfcheint ein zum Jahre 
1482—1483 Hermannus Snauwenberch, ımd in einer Quittung vom 
27. Mat 1525 (Il, pag. 514) heißt es: van dem ersamen Hermenn 
Snawenberge dem jungen. 


nn 


Sagen aus dem füdlihen Böhmen. 
Von Franz Kübler, 


42. Der Schaf im Dobizer Schloß. 


Nicht weit von Neſpitz erhebt fich ein Eleiner Berg mit einer Ruine, 
am Fuße desjelben liegt ein Dörfchen, Namens Dobiz. Das Schloß, dejjen 
Ruinen noch da find, ſoll von Zizka zerftört worden fein. Beſucht man 
die Auine, jo fümmt man im Innern derjelben auf eine Thüre, die in 
den ehemaligen Weinfeller führt. Diefer it jehr groß. Geht man recht 
tief hinein, jo gelangt man zu einer zweiten Thür und Hinter diefer ijt 
ein finjterer Schlund, den Niemand zu betreten wagt. 

Im Dorfe lebte vor langen Jahren ein frommes Weib, das immer 
den Rojenkranz mit fich trug. Ihm träumte einmal, e8 möge um Mitter: 
nacht in jenen dunklen Schlund gehen, dort wirde es Schäße finden. 
Denjelben Traum hatte es in der folgenden und dritten Nacht, außerdem 
ward ihm im der legten noch befohlen, einen Geijtlichen und einen andäch- 
tigen weltlihen Mann mitzunehmen; fie würde nacheinander auf zwei 
Thüren ftoßen, welche von gräulichen Hunden bewacht würden, jie möge 
ji) vor ihnen aber nicht fürchten, fondern nur beherzt weiter gehen, dann 
würde fie in einen großen Saal gelangen, in welchem um einen Zijch 
Ritter figen, obenan der Herr des Schloffes, über dejjen Haupte ein Drache 
fliege. Diefen müſſe fie anfprechen und um das Gold bitten, er würde es 
ihr auch geben. Die Frau erzählte dies dem Geiftlihen. Er willigte ein, 
in Begleitung eines anderen frommen Mannes des Ortes mitzugehen. 
Nachdem fie ſich mit einem Kruzifire und mit Weihwaſſer verfehen hatten, 
gingen jie um Mitternacht in das Schloß. Sie fanden auch die erjte Thüre 
bon einem Hunde bewacht, der jich jedoch nicht rührte. Bei der zweiten 
Thüre löjchte aber das Licht aus und fie mußten wieder umkehren. In 


a U. 


der folgenden Nacht träumte jedoch dem Weibe wieder, fie möge noch 
einmal hingehen, diesmal aber allein. Sie that es auch und gelangte, mit 
Roſenkranz und geweihten Waller verjehen, glücklich bis in den Saal, wo 
um den mit Schägen bededten Tiſch die Ritter jaßen. Als fie nun vom 
Schloßherrn das Geld verlangte, weigerte er ich, e8 zu geben. Da 
bejprengte fie ihn mit Weihwafler, und jofort war er mit den Anderen 
verſchwunden. Am Tiſche waren aber mehrere Schüſſeln mit Gold zurüd- 
geblieben, da fie von dem Weihwaſſer berührt worden. Sie nahm eine 
davon mit ji) fort und ließ von der Hälfte des Geldes zwei Kirchen 
bauen, eine in Dobtz und eine in Wapan. 


Mittheilungen der Geſchäftsleitung. 





Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 1. Juli 1886. 


Stiftende Mitglieder: 
Herr Dr. Haßerowsky W., ka k. Gymnaſial-Profeſſor in Leitmeritz. 
„CTiebig Theodor, Freiherr von, Fabriksbeſitzer in Reichenberg. 
„ Oswald Graf von Chun- ‚Soßenflein, £. £. Kämmerer, — 
Beſitzer ze. in Prag. | 


Ordentlide Mitglieder: 


Herr Ehinger Adalbert, Fabrifsbejiger in Oberlangenau bei Hohenelbe. 
„ Federer Bhilipp, Kaufmann in Prag. 
„  P. Mannl Oswald, k. f. Gymnaſial-Profeſſor in Bilfen. 
„Schmieger Joſeph, Privatier in Zwodan. 
„Sauer Auguſt, Dr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag. 


8. t. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbftverlag. 


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Kekse les Vereines 


Gesthichle der Deulschen in Böhmen. 


Redigirt von 


Dr. Kudwig Schlesinger. 


Fünfundzwanzigiter Jahrgang. Zweites Heft. 1886/7. 








Gindely’s „Waldſtein“.) 
Bon Dr. Hermann Hallwich. 


I. 


Es war am 2. Januar 1862, fomit vor nahezu fünfundzwanzig 
Jahren, als Dr. Anton Gindely, nachdem er ich, eigener Ausfage gemäß, 
„Durch drei Jahre mit dem Studium in- und ausländischer Archive für die 
Zeit von 1600—1648 bejchäftigt" hatte, der Faiferl. Akadamie der Wiljen- 
haften in Wien den Antrag vorlegte, „das fänmtliche von ihm aufge: 
fundene hiftorifche Material veröffentlichen zu wollen." Zur Begründung 
diejes Antrages wurde betont: „die ganze Quellenfammlung joll einen 
Kanon für die Gejchichte von 1600— 1648 bilden und die Einwirkung jedes 
Staates auf die allgemeinen Ereigniffe ſoll erfchöpfend aus den verjchie- 
denen Archiven dargeftellt werden.” Der Umfang der Publication war auf 
zwölf Bände berechnet. Dem Schluffe der Arbeit gedachte der Herausgeber 
ein Berzeichniß aller Quellenpublicationen über die Zeit von 1600—1648, 
„mögen fie welcher Nation immer angehören," beizufügen, „damit es“ — 
jo meinte der Antragjteller — „auf diefe Weife für die erwähnte Zeit 
nicht jo jehr Gejchichtsforjcher als nur noch Gejchichtsichreiber zu geben 


1) Anton Gindely, „Waldftein während feines erften Generalat3 im Xichte der 
gleichzeitigen Quellen 1625—30.” Obwohl diefes Buch in diefen Blättern 
bereit3 ausführlich beiprochen worden ift, jo glaubt die Redaction unfern Lejern 
die Beurtheilung desfelben von Seite einer in der Wallenfteinfrage anerkannten 
Autorität nicht vorenthalten zu follen, zumal der Herr Verf. für feine Ausführungen 
in Sache und Form die vollfte Verantwortung übernimmt. Anm, d. Ned, 

7 


en — 


brauche." — Die Akademie bejchloß, „die Herausgabe diefer Sammlung 
auf ihre Koften zu übernehmen." 

Die Herausgabe unterblieb; es wurde meines Wiſſens niemals be- 
fannt gegeben, warum fie wieder fallen gelafjen werden mußte. Wer jemals 
auch nur eines unjerer großen Archive, wie das Reichsarchiv oder das 
Haus: und Staatsarhiv in München, das Haupt: Staatsarhiv in 
Dresden, näher kennen gelernt mit ihren taujend und aber taujend Ur: 
kunden-Fascikeln, jpeciell zur Gefchichte der Fahre 1600—1648, der wird 
das begreiflich finden. Der Gedanke eines jungen Gelehrten, nach drei: 
jährigem Studium in- und ausländischer Archive eine Quellenfammlung 
zu Stande zu bringen, die fich als einen „Kanon fiir die Gejchichte von 
1600— 1648" bezeichnen Tieße, war eine Naivetät jo haarfjträubender Art, 
daß fie nur noch von der Ungeheuerlichfeit überboten werden konnte, auf 
joldye Art dafür forgen zu wollen, daß es „für die erwähnte Zeit nicht jo 
jehr Gejchichtsforjcher als nur noch Gejchichtsfchreiber zu geben brauche.“ 

Immerhin jchien e3 beflagenswerth, daß die Abficht Gindely’s, ſoweit 
fie ernft zu nehmen war, nicht vealifiet wurde, Und gewiß wäre es heute 
um die Frage, auf die es hier augenblidlic) ankommt, bejjer beftellt, als 
dies thatjächlich der Fall ift: die immer wiederkehrende, weil unerjchöpfliche, 
anfänglid) au von Gindely ſogenaunte Wallenjteinfrage, zu deren 
„Löſung“ er Schon am jenem 2. Januar 1862 einige Andeutungen gab. 
„Wallenftein hatte nach feiner Abjegung zu Negensburg entjchieden die 
Abſicht, ſich am Kaifer zu rächen,“ jo behauptete Gindely damals. est 
greift ev über den Tag von Regensburg weit zurück und bietet — nicht 
mehr der Wiener Afademie fondern der Lejewelt überhaupt — ein zwei— 
bändiges Quellenwerk unter dem Zitel: „Waldjtein während feines 
erjten Öeneralats im Lichte der gleichzeitigen Quellen 
1625— 1630" (Prag und Leipzig, F. Tempsky und ©. Freytag, 1886). 

Ich wiederhole: Schade, daß Gindely’s „Kanon fir die Gefchichte von 
1600— 1648" nicht bereits vor einem Vierteljahrhundert in Drud gelegt 
wurde, Sein „Waldjtein” wäre entweder nie geboren worden oder er hätte 
ſchon längjt wieder das Zeitliche gejegnet. Nun bleibt nichts übrig, als mit 
ihm zu vechnen, das heit ihm näher zu treten und mit Gewiljenhaftigfeit zu 
unterſuchen, wer oder was ung denn hier al3 „Waldſtein .. im Lichte der 
gleichzeitigen Quellen” vorgeführt werden will. Sch denke diefe Unterfuchung 
anderwärts umjtändlich und quellenmäßig anzujtellen. Man bejcheide jich vor- 
läufig, hat man des offenbarten neuen Geiſtes — „einen Hauch verjpürt.‘ 

Gindely, der Gejchichtjchreiber des dreißigjährigen Krieges, befennt 
ohneweiters Schon im „Vorwort“ feines neueſten Buches, ev gehöre „zu 


—— 


den Anklägern Waldſtein's.“ Indem er dieſen Standpunkt in den künf— 
tigen Bänden ſeines umfangreichen kriegsgeſchichtlichen Werkes einzunehmen 
denkt, erkennt er die Nothwendigkeit, „die noch unbekannten Beweiſe der 
Oeffentlichkeit zu übergeben.“ Dabei befaßt er ſich „noch nicht mit der 
eigentlihen Schuldfrage." Doc) jollen jeine Actenſtücke klarlegen, wie Ballen: 
jtein „zu feinem viejigen Vermögen und zu dem Posten als Obergeneral 
gelangte, auf welche Weiſe er fein Heer verpflegte, wie er nicht blos das 
Reich ausbeutete, jondern auch dem Kaiſer große Zahlungen 
abnöthigte, wie unter der von ihm geduldeten Zuchtlofigfeit 
der Truppen die Verwüſtung um ſich griff, wie er abſichtlich den 
Ruin der Ligiften herbeizuführen juchte und auf welche Weife er in 
den Bejig von Sagan und Medlenburg gelangte; endlich foll aud) 
erörtert werden, ob die Anklagen, daß er jogar nad) der Kaiſerwürde 
gejtrebt habe, auf bloßer Verleumdung oder auf Wahrheit beruhen.” . . . 
Gewiß ein vielverheißendes „Vorwort.“ 

Dem Vorwort folgt als Einleitung ein Capitel „Neuere Literatur über 
Waldſtein.“ Dasjelbe bietet abjolut nichts Neues bis auf die originelle Zu: 
jammenftellung von Namen wie „Aretin, Hurter, Ranfe und Gädeke“ 
einerjeit8 und „Förſter, Schebef, Hallwich und Bilek“ audererfeits. 
Wahrlich, der Altmeijter deutſcher Gefchichtichreibung, als welcher Ranke denn 
doch auch von einem Gindely anerkannt werden muß, hat fich fein ganzes, 
reiches Leben lang in beſſerer Gejellfchaft bewegt, als die ihm nun im Tode 
zugewiejen werden will. Um nicht perjönlich zu werden, was mir volljtändig 
jerne liegt, lafje ich alle Bemerkungen Gindely's betreffs meiner eigenen 
Stellung in der Wallenjtein-Literatur grundjäglich außer Spiel. 

Obgleich ſich Gindely, wie gejagt, „noch nicht mit der eigentlichen 
Schuldfrage“ Wallenjtein’s befaßt, jo glaubt ex doch, „daß wohl die Zeit 
gekommen fein dürfte, welche ein Endurtheil ermöglicht." Die ganze 
Frage erjcheint ihm als Siſyphusarbeit. „Wenn ich es trogdem wage,“ 
fügt er Hinzu, „und mic) der voreiligen Hoffnung hingebe, die Wagſchale 
endgiltig nah einer Seite finfen zu machen, jo liegt dies in 
dem Gange und dem Refultate meiner Studien." 

Er fährt in jeinem Bekenntniß fort: „Ich wollte mich urjprünglic) 
nicht mit einer Biographie Waldjtein’s bejchäftigen, jondern (Habe?) nur die 
Geſchichte des dreißigjährigen Krieges nad) allen feinen Beziehungen zum 
Gegenjtande meiner Studien gemacht und im Rahmen derjelben meine 
Aufmerkffamfeit auf den berühmten General gerichtet. Bei diefen weiter 
ausholenden Unterfuchungen find mir eine bedeutende Anzahl wichtiger 
Actenſtücke in die Hände gekommen, die der Aufmerkſamkeit dev ſich nur 

7* 


— 100 — 


mit Waldſtein beſchäftigenden Forſcher entgangen ſind und die im Vereine 
mit den bereits bekannten Schriftſtücken in mir die Ueberzeugung von der 
Schuld Waldſtein's begründet haben.“ Ob nicht Wallenſtein trotzdem 
„ſeine Panegyriker finden und ihm kein freiwilliger ſondern höchſtens 
ein aufgezwungener Verrath zur Laſt gelegt werden wird,“ dieſe 
Nebenſache läßt Gindely — „dahingeſtellt.“ Auf alle Fälle will er 
ſich jelbft au von Aretin, Hurter, Ranke und Gädeke „unterjchieden 
wiſſen,“ und zwar infofern er die von MWallenftein „beabjichtigte Preis- 
gebung der Faiferlichen Intereſſen und die angeftrebte eigene Erhöhung” 
nicht erjt von einer Entjchliegung des „Verräthers“ im Jahre 1633 datirt, 
jondern „als das Reſultat feiner vieljährigen Laufbahn” betrachtet — um 
Alles in einem einzigen lapidaren Sage zu fagen, Gindely will in vor: 
liegenden Büchern dem Beweis für die Behauptung erbringen: „In den 
fünf Jahren feines erjten Generalates bildete ſich Wald: 
jftein zum Berräther heran.“ 

Das klingt auf den erjten Ton, wie offenbar beabjichtigt, frappant 
genug, frappirt aber nicht, da es wiederum nicht nen, denn ungefähr jagt 
das Herr Hurter auch — „nur mit ein bischen anderen Worten." Nach 
Friedrich Hurter war Wallenjtein zwar fein Verräther, doc ein „Rebell“, 
und zwar jozujagen vom Mutterleibe an. Man vergleiche defjen Vorwort 
in dem Buche „Zur Gejchichte Wallenftein’s" (1855); das genügt. Die 
diefem Vorwort angehängten zweihundert Blätter oder wohl gar die Lectüre 
von „Wallenjtein’S vier Iegte Lebensjahre” mag fich füglich Jeder jparen.) 

Auch Hurter wollte „von dem bisher Angenonmenen, auch wohl 
bloß Behaupteten, weit abweichende Beiträge” liefern: ebenfalls lediglich 
„das Reſultat deſſen, was der Verfaſſer in den verjchiedenen Archiven ge- 
junden hat." Und da er vornehmlich aus derjelben Quelle jchöpfte wie 
Gindely, jo liegt es nahe, daß fi) die Nefultate Beider ziemlich deden. 

Ein wejentlicher Unterjchied waltet zwifchen Beiden ob: Gindely 
bietet nicht uur das Refultat jeiner Quellenforſchungen ſondern auch zum 
großen Theile dieſe Quellen jelbft und erleichtert dadurch die Controle. 
Und die Quellen ? | u 

Sie find nach feiner Eintheilung dreifacher Art: officielle Actenftüce, 
Gejandtichaftsberichte und Privatbriefe. Zu Jenen zählt er die Protofolle 
de3 Wiener Geheimen Rathes, der jeweiligen Ligatage und der Kurfürjten- 
verjammmlungen, ſowie die Correfpoudenzen der dabei betheiligten Perjonen. 
Sie bilden den mäßigen Grundſtock der ganzen Publication. Den weitaus 
meisten Umfang nehmen die Gejandtichaftsberichte in Anſpruch: Depejchen 
der Spanischen und Brüffeler Gefandten, der päpftlichen Nuntien, der fran- 


— 101 — 


zöfischen und venetianifchen, vor Allem aber der Gefandten der deutjchen 
Kleinftaaten, insbejondere jener von Baiern, Sachſen und Brandenburg. 
Einen verjchwindend geringen Raum - ‚beanfpruchen die. Hin und Wieder 
eingeftreuten „Privatbriefe." 

Eines muß bei der erjten Ueberſicht diefer . Quellen wahl jedem Laien 
auffällig erſcheinen. Der Biograph Wallenſtein's baſirt ſein biographiſches 
Werk zunächſt auf amtliche Protokolle, zumeiſt auf Geſandtſchaftsberichte, 
‚zulegt auf Privatbriefe — Briefe ſogar der obſeurſten Privatperfonen: nur 
nicht auf Wallenftein's eigene Eorrejpondenz. Diejer Schaf bleibt 
beinahe gänzlich unberührt. Aus der Zeit von fünf Jahren hat Gindely 
faum fünf bisher nicht befannte Schreiben Walleuſtein's mitzutheilen. Das 
macht fast den Eindrud, als wäre der Biograph bei feinen Studien folchen 
Schriftſtücken abfichtlic) aus dem Wege gegangen. 

In diefer Annahme wird man bejtärft, wenn erwogen wird, wie ſich 
Gindely dem bisher bereits gedruckten Briefwechjel Wallenftein’3 gegenüber 
verhält, der fiir ihm gleichfalls joviel wie gar nicht vorhanden. Ich ſpreche 
nicht von Londorp, Khevenhiller, Theatrum europaeum xc., die allerdings 
nur „officielle" Schreiben Wallenjtein’s enthalten. Wer aber wüßte nichts 
von den vielen, meiſt eigenhändigen und durchaus vertraulichen Briefen 
desjelben Mannes, die jeit den Dreißiger Jahren durch Zober, v. der Deden, 
Förſter, Aretin, Chlumecky, Lorenz, Tadra u. A. m. publicirt worden ? 
Bon ihnen allen findet bei Gindely wenig mehr als ein Dußend auch nur 
beiläufige Erwähnung — angeblich), doch irrig, weil die wichtigeren von 
ihnen, insbejondere bei Förfter, den Jahren 1631—1634 angehören, „aljo 
außerhalb des Rahmens des gegenwärtigen Werkes fallen." .... Die 
Zahl der Wallenftein’schen Briefe fpeciell aus der Zeit von 1625—1630 
beläuft jich bei Förfter und Chlumecky allein auf mehr als jehshundert 
(bei Tadra auf 224). 

Dazu kommt ein Zweites. Gindely weiß jehr genau, daß gevade 
Privatbriefe „mitunter den höchſten Werth" bejigen, „weil fie uns das 
Innere des Schreibers ohne jede Verhüllung zeigen." Iſt das im Allge— 
meinen richtig, jo ganz unjtreitig bei einer Perfönlichkeit wie Wallenſtein. 
In feiner äußeren Erjcheinung, feinem Thun und Laſſen Allen ein Näthjel, 
it er in feinen vertraulichen Briefen die Offenheit felber. Rückhaltlos, ja 
mit Ungeftüm gibt ev den tiefften Gedanfen und Empfindungen vafchen 
und bündigen Ausdrud. Man merkt ſofort au jeder Zeile, daß, der fie 
aufs Papier geworfen, zuvor nicht lange an der Feder gefaut hat. Hier 
gibt er fich jelbit, feine Seele, fein allen Negungen der Neigung und des 
Haſſes nur allzuleicht gugängliches, großes Herz. Wer ſolche Blätter ver: 


— OR 


ſchmäht, der geftcht damit unumwunden zu, ev hat an ihrem Schreiber, 
jeinem Helden, Lei pind.ale; ati ches Intereſſe; ihm handelt ſich's 
nicht um das Werfen, ſondern' une bloße Henßerlichkeiten. Es iſt 
nicht nöthig, „daB: : weite: » zu degriinden. ° 

Und noch dt Drittes: Die übergroße Mehrzahl der von Gindely 
mitgetheilten Materialien bejteht, wie gejagt, aus Gejandtichaftsberichten. 
Niemand wird jolchen Berichten eine gewiffe Bedeutung jtreitig machen ; 
man kann jogar zugejteben, „bezüglich der darin angedeuteten Abſichten der 
betreffenden Fürften und Regierungen find fie meiſtens unanfechtbare Zeugen, 
weil fie als Befenntnifje von Freunden und Angehörigen anzufehen ſind.“ 
— Was würde man aber beijpielsweife dazu meinen, wenn heute irgend 
ein fogenannter Hiftorifer es unternähme, ein Stück Biographie etwa 
Friedrich des Großen oder jagen wir Bismard’s auf Grund der 
jeweiligen Berichte öſterreichiſcher, franzöfifcher und fonftiger Gejandten am 
Berliner Hofe zu ſchreiben! Und fteht hier die Sache um vieles beſſer? — 
Können die Herren Oſoña, Aytona und de Caſtro, die Cardinäle Caraffa 
und Ballotto, Graf Wahlenberg und Mr. Manchot auch in Bezug auf die 
Abjichten Wallenftein’S als „unanfechtbare Zeugen” gelten? Wei denn 
nicht jeder Gebildete, und wüßte er's erſt aus dem trefflichen Buche Gre— 
gorovins’ „Urban VIII. im Widerspruch zu Spanien und dem Kaiſer,“ daß 
der damalige Bapjt eine dem Kaiſer feindjelige Politik befolgte? Konnte, ja 
durfte jein Nuntins in Wien über den Taiferlichen Feldherrn, je wirkſamer 
Diefer für die Machtjtellung jeines Monarchen eintrat, mit einer befonderen 
Befriedigung hierüber nad) Nom berichten? Kennt Gindely nicht die von 
gar kräftigen Belegen gejtügte Klage der Spanier, „daß Urban das Haus 
Dejterreich erniedrigen, ihm die Krone des Neiches entreißen wolle, um die- 
jelbe an das ehrgeizige Baiern zu bringen ?" Wie darf er angefichts deſſen 
glauben machen wollen, „wenn die Nuntien nicht offen mit dem Hofe" — 
dem öjterreichtichen Hofe — „jympathifirten, bewahrten jie mindeftens- eine 
wohlwollende Neutralität?” — Brauche ich auszuführen, welche 
notoriſch antikaiſerliche Politif die Nepublif Venedig in den Jahren 1625 
bis 1630 befolgte? Dann müßte allerdings dergleichen auch erſt von Frank: 
reich nachgewiejen werden. 

Und die Gejandten der deutſchen Fürjten! Den bairifchen voran, 
waren jie alle darüber im Klaren und konnten fie vom erjten Schritt an, 
den Wallenjiein als jelbjtändiger Faiferlicher Heerführer in's Reich that, 
feinen Augenblid zweifeln, daß fie gefchworenen Feinden, Todfeinden 
dieſes Heerführers dienten. Wir wiſſen, nur Gindely will es nicht wiſſen, 
denn er fennt auch nicht unferen waderen Ottofar Lorenz: „die fatholifche 


— 13 — 


Liga hatte zwar vom Kaiſer Hilfe und Unterftügung erbeten; daß es aber 
möglich wäre, daß ein felbjtändiges Fatjerliches Heer von folcher Kraft und 
Größe (wie es Wallenftein aufjtellte) unter einem jelbjtändigen Kriegshaupt 
im Felde erjcheinen könne, dies hatte man nicht erwartet." Und wohl 
Niemand war von vornherein beifer davon unterrichtet als Wallenftein, 
was er von jener Liga der deutjchen Firjten als treuer Diener feines 
Herrn zu gemärtigen habe. Konnte doch felbjt das Haupt der Liga in 
jeinem „Congratulationsjchreiben" an den nenernannten Herzog-Öeneralis: 
jimus den Groll über dejjen Ernennung mir Schlecht verbergen, daß Diejer 
wieder jich nicht enthalten konnte, dariiber fchriftlich zu äußern: „sch ver: 
mer? draus, daß ihm nicht wohl beim Handel iſt. . . .“ 

So viel oder wenig an diefer Stelle iiber Gindely’s „Quellen“, mit 
deren Hilfe er fich der eingejtandenermaßen „voreiligen” Hoffnung Hingibt, 
in der Wallenfteinfrage „die Wagſchale endgiltig nach einer Seite finfen zu 
machen.” Bon vornherein kann Niemand im Zweifel fein, hier Wallen: 
jtein nicht „im Lichte der gleichzeitigen Quellen“ überhaupt jondern 
lediglich im Lichte ganz beftimmter, zum größten Theil unjtreitig par- 
tetifcher, tendenciöfer „Enthüllungen” gejchildert zu jehen und darum jelbft- 
verjtändlich auch gar nicht „im Lichte" ſondern durchwegs im tiefjten 
Schatten: nur grau in grau oder vielmehr jchwarz in jchwarz. Unwill— 
fürlich dürfte fi) Meancher der Worte erinnern, die jchon vor Jahren von 
berufenjter Seite ausgejprochen worden: „Gindely bejchreibt die Vorgänge 
nicht nac) dem Maße ihrer Wichtigkeit ſondern lediglich nach den Ergebniſſe 
jeiner Funde in den Acten. Die innere Verbindung der Ereiguijfe geht 
ihm, da er gedrudte Rejultate jelten oder gar nicht benützt, verloren ; was 
er bietet, find ausfchließlich verarbeitete Actenexcerpte.“ . . . 


I. 

Hiermit können und jollen nur wenige loſe Proben zur Erhärtung 
des Gejagten geboten werden. ch beginne mit dem Capitel „Ernennung 
Waldſtein's zum Oberanführer des Faijerlichen Heeres." Schon bier liefert 
Gindely ein draftisches Beifpiel der Voreingenommenbeit, ja Verbijienheit 
zu Gunsten feiner allein glaubwiürdigen Gejandtjchaftsberichte. Ihnen zu 
Liebe müſſen fejtjtehende, anerkannte Facta geradezu geopfert werden. 

Ein Anderer als Gindely hat vor zwei Jahren das Document ver: 
öffentlicht, wornach Wallenftein am 7. April 1625 offictell in aller Form ver: 
jtändigt wird, daß ihn der Kaiſer zu feinem General oder, wie für's Erjte 
der technische Ausdruck gewählt wurde, „zum Capo über alles Ihro 
Volk, jo diefer Zeit im heiligen römischen Reich ınıd Niederland vorhanden 


— 114 — 


oder noch dahinwärts gejchiet und abgeorduet werden möchte, gnädigſt be- 
nannt und fürgenommen habe.” Datum und Inhalt können von Gindely 
nicht geleugnet werden. Allein die Ausſagen der päpftlichen, venetianifchen 
und bairiſchen Gejandten jtimmen damit nicht überein; bejagte Herren 
haben noch am 16. April von diefer Ernennung feine Kenntniß; man hat 
ihnen vielmehr um diejelbe Zeit gejagt, daß Wallenftein in die Dienfte 
Spanien’3 treten fol. Das reicht für Gindely vollfommen aus, troß jenes 
Diploms fchlanfweg zu erklären (I, 46), „daß man fich bis zum 16. April 
in Wien noch nicht entjchlofjen hatte, die Dienfte Waldftein’s für ſich felbft 
in Anſpruch zu nehmen." Er bedenft nicht den Haren, unzmweidentigen 
Wortlaut des entjcheidenden Documentes; er erwägt nicht, welches Intereſſe 
man am Wiener Hofe hatte und haben mußte, das Geheimniß jener voll- 
zogenen Thatfache vom 7. April vorläufig, namentlid) Baiern gegenüber, 
zu wahren; er überjieht alle Berufungen jpäterer Acte auf jenes erjte 
Document, ohne welches dieſe Berufungen ſämmtlich in der Luft hängen 
bleiben —: Dr. Leufer, der bairiſche Gejandte, in Gindely's Augen ein 
„laffifcher Zeuge” (I, 46), konnte nicht irren; er war im Gegentheil un— 
fehlbar; und wußte er nichts von einem Factum, jo gilt diefes Factum 
eben nichts — auch wenn er im Augenblick des Ereignifjes, wie im vor: 
liegenden Fall, gar nidht zur Stelle war. Dr. Leufer fam nämlich 
erjt nach Wien, als Wallenftein jeine Ernennung zum fatferlichen Truppen: 
capo jchon in der Taſche hatte, | 
Und nun ein zweites Erempel, am bejten gleich) aus demjelben Ca- 
pitel, um Gindely's Verhältniß zu den jchon „gedrudten Reſultaten“ zu 
beleuchten. Am 27. Juni 1625 erhält Wallenftein als „Capo“ der ſchon 
vorhandenen und noch zu werbenden Fatjerlichen Soldatesca eine ausführ- 
liche Inſtruction. Vier Wochen fpäter, am 25. Juli, erläßt der Kaiſer ein 
offenes Patent, mit welchem er Wallenftein feinem Heere als „General” 
vorſtellt, und am felben Tage wird Diefer durch den Hoffriegsrath ver: 
ftändigt, daß ihm der Kaiſer als feinem „General“ ein bejtimmtes Gehalt, 
u. 310. „zur monatlichen Unterhaltung . .. per Bausch für fich und zu 
Berjehung der hohen Aemter zweitaufend Gulden rheinifch zu reichen 
rejolvirt und im Kriegszahlamt unter Einem bereits auch Anordnung ge: 
than." Und Gindely? Er jagt (I, 56): „Ob in dem uns (d. h. ihm) 
nicht bekannten Ernennungsdeeret Waldſtein's zum General von einem 
Gehalt die Rede war, wiſſen wir felbjtverjtändlich nicht anzugeben. Wir 
möchten vermuthen, daß ihm nur Berfprechungen bezüglich feiner 
Ihlieglichen Entlohnung gemacht wurden und daß diefer Gegenftand jegt 
(1625) unerledigt blieb." Dieſe „Vermuthung“ wird ihm fpäter zur Gewiß- 


— 15 — 


heit; der pofitiven Gewißheit aber wird ſofort wieder eine nee Vermuthung 
angehängt, indem er meint (I, 369): „Bei Gelegenheit der Uebernahme 
des Obercommandos im Jahre 1625 war von feinem Gehalt die 
Rede, vielleicht darum nicht, weil es ich von felbft verftand, daß ihm 
derjelbe Gehalt wie anderen Oberanführern der Faiferlichen Truppen, 
nämlich 3000 Gulden monatlid) angewiejen werden ſolle.“ — Auch die 
zweite Vermuthung muß Gindely noch etwas jpäter, im zweiten Bande 
feines Werkes, wieder über Bord werfen, nachdem er endlich belehrt worden, 
daß das fragliche Decret mit feiner ziffermäßigen Angabe allerdings bereits 
gedrudt vorliege, in einem Buche, „das wir" — wie Gindely im gewohnten 
pluralis majestaticus ſich entſchuldigt (II, 330) — „exit bei der Abſaſſung 
diefes zweiten Bandes zur Hand genommen haben." — it das Entſchul— 
digung genug? 

Nicht immer hat Gindely die eigene Unkenntniß des jedem Anderen 
längft Bekannten hinterdrein auch bemerkt und in feiner Weiſe gutzumachen 
gejucht. Sein Lieblingsthema iſt die ſonſt in biographiichen Werfen, die 
außerhalb der Finanzwelt liegen, eben nicht maßgebende Geld frage. Und, 
fonderbar genug, in diefer Stärke zeigt er auch feine ganze Schwäche, wie 
wieder nur an einem einzigen Fall beilänfig gezeigt werden joll. Immer 
und immer wieder kommt Gindely, oft an ganz unpajjender Stelle, als 
auf das hauptjächlichjte Moment, auf die Contributionen zurüd, die 
Wallenftein zur Erhaltung feines Heeres eintrieb. Daß der Kaifer Fein 
Geld dazu hergab, daß vielmehr. eben Wallenftein nach den Worten des 
Kaijers „die darauf gehende Spefa, Uns zu gehorfamften Ehren, über ſich 
genommen” hatte, jelbjtverjtändlich gegen Wiedererjtattung, die aber offenbar 
nicht von Wien her zu erhoffen war: das iſt für Gindely nicht der Rede 
werth. Er jtellt ſich vielmehr felbjt die Frage (I, 57), ob durch die (im 
Jahre 1625) von Wallenjtein erhobenen Contributionen „nicht eigentlich 
alle Anfprüche der Soldaten getilgt wurden?" Er gibt auch gleich ſelbſt 
die Antwort auf diefe Frage, indem er jagt: „Wir erwidern, daß die 
Contributionen nirgends gebucht wurden, nirgends eine 
Berrehnung zwilchen den berechtigten Forderungen der Soldaten und 
Dfficiere und dem, was ihnen zu Theil geworden war, ftattfand."... 

Wie ein rother Faden geht durch Gindely’s Erzählung, wenn bei ihm 
überhaupt von einer „Erzählung” die Rede fein kann, diefer Vorwurf, So 
heißt es (I, 154): „Als Tilly den Sieg bei Lutter am Barenberge über 
Ehriftian IV. erfocht, wurde Waldftein von der Angſt erfaßt, daß der 
Dänenfönig einen Frieden jchliegen Fünnte, bevor er jelbft feinen Lohn von 
Kaiſer empfangen haben würde... Aus diefem Grunde rief er nad) 


— 106 — 


der Schlacht bei Lutter feine Truppen von Tilly ab." Am jchärfften aber 
bringt Gindely denjelben Vorwurf zum Ausdrucke gelegentlich der Frage 
der Ueberlaffung eines Theils der Friedländiichen Truppen an Maximilian 
von Baiern im Frühjahr 1627. Sie hatte angeblich feinen anderen unmittel- 
baren Zwed als „die baldige Beendigung des Krieges." Wallenftein war 
gegen die Willfahrung der Bitte Marimiltan’s. Und warum? „Die Auf: 
flärung lautet nach Gindely (I, 189): „Wenn der König von Dänemarf, 
duch Tilly gedrängt, Frieden Schloß, jo war die Bezahlung der Truppen 
dem Reiche und dem Kaiſer anheimgeftellt, dann würde man die er 
hobenen Eontributionen berechnet und gefunden haben, 
daß man dem Heere oder wenigftens dem Führer desfelben 
nichts ſchuldig fei, und Waldjtein würde mit feinem Wunfch nach einer 
glänzenden Erhöhung feines Anjehens durchgefallen ſein.“ (S. auch II, 339.) 

Wohl jelten wurde gegen einen großen Todten eine empürende Ber: 
dächtigung nad) zwei verschiedenen Seiten hin mit größeren Leichtjinn aus: 
gejprochen. Die Eontributionen Wallenſtein's wurden „nirgends gebucht" ; 
mit Soldaten und Offtcieren fand „nirgends eine Verrechnung” ftatt, und 
diefelbe Rechnung, die nirgends angeftellt wurde, ergab, daß man dem 
Heere oder wenigitens dem Führer — „nichts ſchuldig ſei.“ — Woher 
weiß Gindely, daß jene Eontributionen „nirgends gebucht," daß mit Sol: 
daten und Dfficteren „nirgends“ Abrechnungen gehalten wurden? Iſt ihm 
unbefannt, daß es, wie im jedem anderen Heere, auch bei der Friedländijchen 
Armee gewiffe Rechnungsbeamten gab? Hat er nie etwas von 
Zahlungs: und Qnartier-Commifjarien gehört? Weiß er nichts von 
Muſterſchreibern u. dergl.? Nichts von der Beitallung eines „Oberjten 
Mufter-, Zahlungs: und Quartierungs-Commiſſarius“ Johann Aldringen, 
der eben 1625 feines Amtes gewaltet? Hat er jemals einen Bli in die 
Beftallungen diefer Officiere gethan? Hat er in ihre Papiere irgend einmal 
genaue Einficht genommen? Oder auch nur in ihre Rechnungen, joweit fie 
das Kriegs-Archiv in Wien und insbefondere die Negiftratur unferes 
Neihsfriegsminifteriums aufbewahrt hat? Wie lautet die Summe, 
die er fir 1625 oder 1627 herausgebracht? — 

Kennt er das Alles aber nicht — es iſt nicht Jedermann's Sadıe, 
das zu kennen — wie fommt er dazu, fich ein Urtheil über ſolche Dinge 
anzumaßen? Und hat ex nicht jelber einen im dieſem Fall wirklich „elafit- 
hen Zeugen" gegen jeine Verdächtigungen angeführt? Niemand wird 
leugnen, daß Pater Lämmermanı, der kaiſerliche Beichtvater, als Ent— 
laſtungszeuge Wallenſtein's von Gewicht erjcheint. „Mit dem Beichtvater 
tractiv ich gewiß Feine negocia,“ bethenert einmal Wallenjten, und er 


— 107 — 


meint feinen Anderen als P. Lämmermanm. Am 19. Juni 1627 evftattet 
der Figiftiiche Gefandte feinem Herrn und Meifter Maximilian von Batern 
einen Bericht, in welchem die folgende — um wieder mit Gindely zu 
iprehen — „bedeutjame Mittheilung“ enthalten iſt aus Anlaß einer 
Zahlung der Stadt Nürnberg. Sie lautet (I, 257): „Dieje und andere 
dergleihen dem Herzog von Friedland erfolgte contribu- 
tiones werden nah Ausjage desP.Lämmermanns von ihm 
(dem Herzog) Ihrer Kaiferlihen Majeftät ordentlich ver: 
rechnet." — Es verjteht ſich von jelbjt, daß Gindely von diefem authen- 
tiichen Zeugniß nirgends die Nuganwendung zieht. Im Gegentheil noch) 
in jeinem Schlußmwort fonımt er auf die unzählige Male wiederholte Ber: 
dächtigung zurück (I, 314): „Das Wiener Staatsarchiv enthält nicht ein 
“einziges Actenftücd, das darauf Hindeutet, Waldftein habe ... . je über die 
erhobenen Contributionen Rechnung gelegt. Es folgt daraus, daß der Katfer 
das Gebaren Waldftein’s feiner weiteren Controle unterziehen wollte, vor: 
ausgefegt, daß er ji) um die Erhaltung des Heeres nicht zu kümmern 
brauche.” — Der Lejer weiß, was er von Gindely’s Prämiffen und dem: 
gemäß von feinen Folgerungen in diefem Punkte zu halten hat. 

Wo möglich noch erbärmlicher iſt e8 um die andere Anklage beitellt, 
die in obigen Worten Gindely's gelegen: es hätte Wallenftein im Früh: 
jahr 1627 oder überhaupt jemals den Frieden zu verhindern 
geſucht. Sie wird duch Wallenjtein jelbjt griindlich und glänzend wider: 
legt. Es gibt in dem ganzen Zeitraum von 1625 —1630 feinen zur An: 
bahnung von Friedensverhandlungen oder zum Abjchluffe des endlichen 
Friedens wie immer geeigneten Moment, der von ihm nicht mit aller Be: 
gierde aufgegriffen und möglichjt ausgenügt worden wäre. Nie war ein 
Kriegsfürſt mehr als er von ehrlicher, aufrichtiger Friedensliebe erfüllt. Er 
wußte, daß er hierin mit feinem Kaiſer fich in völliger Uebereinftimmung 
befand. Schon die erjten Unterhandlungsverjuche des Feindes im October 
1625 nahm er wohlwollend auf; er jchrieb nach Wien und bat, „wenn's 
zu der Tractation kommen joll wegen des Anftands (d. h. des Warfenftill: 
jtandes), daß mir Ihre Majeftät befehlen, wie weit ich gehen foll — denn 
der politifchen (Angelegenheiten) maße ich mih nicht an.“ 
Es. kam zum Waffenftillfftand; zu Wallenftein’s Bedauern für allzu furze 
Zeit, um während derjelben zum Ziele, das heißt zum Frieden gelangen 
zu können. „Von der Friedenstractation halte ich wenig," ſchreibt er am 
19. November; „denn bei jo wichtiger Sach läßt fich fein Accomodirung 
in vierzehn Tagen tractiven, und der Stillftand foll nicht länger als vier: 
zehn Tage währen; ich vermeine, man hätte den Anftand wohl bis auf 


— 18 — 


Dftern machen können.“ Er wollte den Frieden und fo auch die nöthige 
Zeit, darüber zu verhandeln. 

Ein Kreis: oder Deputationstag trat in Braunschweig zuſammen. 
MWiewohl von der Ausjichtslojigfeit jeiner Bemühungen aus dem bezeid)- 
neten Grunde überzeugt, erwartet Wallenftein ungeduldig für feine Voll: 
machtträger die erforderlichen Geleitsbriefe. Nach Verlauf eines Monats 
klagt er: „Aus dem Frieden wird ganz und gar nichts." Als aber bald 
nachher in gewiljen Wiener Kreijen nicht übel Luft geäußert wurde, das 
von der Friedländer Armee bejegte Braunfchweiger Land etwa zu confis- 
civen, erklärt er: „Damit erhalten wir den Credit im Neich, daß Ihrer 
Meajeftät Intention auf nichts anderes gerichtet iſt, als Frieden und 
Einigfeit im Reich anzurichten; und wenn Etliche wären, jo Ihrer 
Dit. rathen wollten, jolches Land für fich zu behalten, jo vathen fie zu 
Ihrer Mt. Bräcipitation, zum ewigen Srieg..... Ich mißte 
meine Entlaffung begehren.” — Bis zum März des nächiten Jahres wurde 
in Braunfchweig verhandelt. ES jtellte fich heraus, der Gegner hatte nur 
Zeit zu gewinnen gejucht, nm beſſer zu rüſten. Der Kriegstanz begann 
aufs Neue. Bei Wolmirſtedt und Tangermünde ſchlug Walfenftein die 
Dänen unter General Fuchs (10. und 11. April); beim Brückenkopf zu 
Deſſau jchlug er den Mansfelder (25. April). Zumal der Iegtere Sieg 
war ein volljtändiger (Gindely thut ihn [I, 90] mit faum zwei Zeilen Text 
ab). Und der Sieger? Sein dringender Nath ijt zum Frieden. „Itzt 
wäre Zeit, mit dem Deputationstag fortzufahren,“ jchreibt er zehn Tage 
nach der Niederlage Mansjeld’3; „denn der Kaifer hat nicht Mittel 
zu friegen, und dies Weſen ohne Geld kann feinen Beſtand nicht haben.” ... 
Alsbald wird mit neuen Verhandlungen Ernſt gemacht. Die Fürften Chriftian 
von Anhalt und Wilhelm von Weimar benützt Wallenftein als Vermittler. 
„Geſtern,“ fchreibt er am 3. Juni, „habe ich mich wiederum mit dem Fürſten 
Ehrijtian aboceirt, und wird der ZTractation ein Anfang gemadt." Und 
wenige Tage fpäter: „Der Herzog Wilhelm von Weimar ijt heut bei mir 
zu Mittag beim Ejjen gewejen; . . ich habe fo viel von ihm vernommen, 
wenn der Deputationstag wird angehen, daß der König (von Dänemark) 
wird wohl Frieden mahen. Drum ift von Nöthen, je eher, je 
bejjer, vaß man dazuthut."”... Er findet den Gegner nicht abge- 
neigt, weshalb er auch für den Kaifer günstigere Bedingungen jtellen zu 
dürfen glaubt, um fo mehr, als er die Lücken, welche die legten Kämpfe 
in den Reihen feines Heeres geriffen, wieder gänzlich ausgefüllt. „Ich habe 
erprejfe dem Fürſten von Anhalt gejtern gejagt,” theilt er jeinem Vertrauten 
in Wien am 26. Juli mit, „daß Ihre Mt. nichts anderes begehren als 


a Ne 


Fried und Einigkeit im römischen Reich, doch müßte man, ihr die 
Kriegsunfoften erjtatten. . . Ich verhoffe mit Gottes Hilfe, daß wir durch 
Waffen die Sache bejjer werden decidiven als durch Tractation." — Im Guten 
oder Böjen: er will nichts Anderes als Frieden. Allein, feinen Siegen 
zum Troß, jcheint die Zahl der Feinde nur zu wachjen; der flüchtige Mans— 
feld, denn-doch noch ſtärker, als man vermuthet hatte, verbindet jich mit 
den Türken und dem Siebenbürger, in Oberöfterreich aber erhebt ſich der 
proteftantiiche Bauer zur Revolte. Da durfte Wallenftein jchreiben: „Die, 
jo Ihrer Mt. zum Krieg rathen, jehen igunder, in wag fir 
Labyrinth fie diefelbige und ung Alle gebradt haben.“ 
Wieder nad) Ungarn trägt er in Eilmärfchen die Faiferlichen Fahnen und 
zwingt die verbündeten Geguer, um Waffenruhe zu bitten. Sie wird, des 
heftigen Widerftrebens feiner Umgebung ungeachtet, von ihm gewährt, um 
des Friedens willen, der Bethlen Gabor und die Türken und damit 
auch Mansfeld unjchädlich machen fol. Der Wiener Hof ift ihm zu langſam 
mit dem Friedensjchluß; es drängt ihn, auf den deutjchen Kriegsichauplag 
zurüdzufehren, nach Sclefien, wo während feiner Entfernung der Feind 
bedeutende Fortjchritte gemacht. Der Winter ijt vor der Thür. „ch bitt,“ 
ihreibt Wallenjtein am 30, November an Harrad), „mein Herr helfe, daß 
der Fried bald gejchlojjen wird, denn wäre der Fried vor einem Monat 
gejchlojjen worden, jo hätte man die meijten Derter in Schlefien wieder 
recuperiren können.“. 

Darnach war Wallenſtein ein Feind des Friedens? — Nach den 
unſäglichen Kämpfen und Strapazen eines Zeitraumes von anderthalb 
Jahren zu Eurzer Erholung heimgefehrt in fein Herzogthum, in den Schooß 
jeiner Familie; auc dahin verfolgt von den endlofen Sorgen für das Heer, 
von den Machinationen feiner fcheeljüchtigen Neider bei Hofe, ruft er aus: 
„Ich für meine Perfon verlange nichts anderes, ald daheim zu bleiben, 
. .. denn ich begehre dem Kaijer wohl und nicht übel zu dienen; wird 
man die Mittel impediren, daß ich nicht könnte wohl dienen, fo will 
ich lieber wohl feiern. Es mag die Manejtra vertheilen, wer will," — 
Auch jet bei feinen Rüſtungen in Allem und Jedem vom Hofe verlajjen, 
droht er mit ernjten Worten: „Ich mache feine Präparation und will 
auch feine machen. Das kann mein Herr dem Kaifer und allen Miniftern 
jagen, denn man gibt mir feine Mittel. Bis dato hab id von dem 
Meinigen zugejegt, hinfüro will ich's nicht thun; denn ich rui— 
nive mich und die Meinigen damit, habe feinen Dank darum und in Zeit 
der Noth habe ich feinen Heller, daß ich mein Weib Fünnte aus dem Lande 
ſchicken.“ ... 


— 10 — 


Wieder im Frühjahr 1627 erhebt er ſich von feiner Refidenz Gitſchin 
zu einem neuen Feldzug, vielleicht dem glänzendften und für die Sache 
des Katjers glorreichjten feines ganzen Lebens. Sein Marjch von Schleften 
bis an das äußerſte Ende von Jütland ijt ein einziger großer Siegeszug. 
Doc, noch in Holftein ftehend, räth er zum Frieden . . . „Dahier aber 
jollten Ihre Mt. jehen, den Frieden zu machen, . . . denn ſolche Gelegen- 
heit, im Reich Fried zu machen, wird ſich nicht bald präfentiven wie 
igunder." So am 20. September. Und fünf Tage darauf: „Sch habe 
Medlenburg und das meijte Theil von Holftein inne; verhoffe noch dies 
Jahr Schleswig und Jütland auch zu befommen, und alsdann vathe ich 
zum Frieden; denn dies hab ich eingenommen, nicht daß ich vermeine, daß 
wir's werden halten können, aber daß der Gegentheil dejto beſſere condi- 
tiones pacis für ung eingeht... Man ſchmiede das Eifen, weil’s 
warm ijt, und mache igt Fried.“ .. 

Warum doch hält es Gindely nicht der Mühe werth, von diefen 
Kundgebungen des Mannes, deſſen Biographie er jchreibt, auch nur bei- 
läufig Notiz zu nehmen? Welcher andere Biograph würde fich dergleichen 
jo leicht entgehen laffen? Es geht nicht an, ſolche Dicta einfach todtzu- 
jchweigen. Ob noch jo „jubjectiv", charakterijiren fie die handelude Perſon, 
und um jo mehr, je jubjectiver fie find. Auf alle Fälle jagen fie aber 
tauſendmal mehr als die Vermuthungen, die fich hinter Wallenſtein's Rücken 
allerhand dritte Perjonen in die Ohren raunen. Wenn jene Ausjprüche 
nicht wahr find, warum widerlegt jie Gindely nicht? Sie find eben 
wahr, ſie tragen das Gepräge der Lauterkeit an ihrer Stirn, und fie ftehen 
in voller Hebereinjtimmung mit den Handlungen dejjen, der fie gethan 
hat. Man müßte entweder ves Schreibers Worten oder aber feinen Werfen 
Gewalt anthun, wollte man dieſe Uebereinftimmung nicht finden. Darum 
werden Jene von Gindely lieber unterdrücdt. Es nügt ihm das aber nichts. 
Er widerlegt ſich abermals felbft. 

Er bringt (I, 69 fg.) ein Schreiben Wallenftein’$ an den Kaiſer 
(ohne Angabe einer Quelle oder irgend eines Datums; es kommt vom 
28. Januar 1626), worin derjelbe den Monarchen zu bewegen ſucht, in 
den Friedensverhandlungen zu Braunfchweig, um aud den Schein zu 
vermeiden, als ob „man jchlechten (sic) Luſt zu dem Frieden tragen thäte,“ 
auf „Erjtattung der Unkoſten“ zu verzichten, „weil ich befunden,” fo 
verjichert der Feldherr, „daß es hierin nicht möglich wäre, etwas zu er- 
halten, auch die Fürjten und Stände des nieverfächliichen Kreijes feinen 
Frieden nicht eingehen würden, wenn mit Begehrung der refundirten Uns 
fojten fortgefahren werden wollte.” Steht das mit Gindely’s Verdächtigung 


— 11 — 


(I, 189) im diametralen Widerſpruch oder nicht? Konnte und durfte Wal- 
lenftein weiter gehen, um ſchon zu Anfang des Jahres 1626 den Frieden 
zu ermöglichen ? 

Er ging noch weiter und jchrieb am jelben Tage feinem einflußreichen 
Freunde in Wien, ihn bittend, jeinem Rathſchlag an allerhöchiter Stelle den 
rechten Nachdrud geben zu wollen. Er mußte, jagt er, „von den Kriegs: 
erpenjen ablafjen," hätte er nicht gewollt, „daß fich der Ueberreft vom Neich 
auch wider Ihre Majejtät movirt hätte.” Darum die Bitte, „dal Ihre Ma— 
jeftät ratificiren.“ „Wo nicht,” fährt er fort, „jo mache man ein paar 
Millionen alle Jahre fertig, diefen langwierigen Krieg zu führen; vatificirt 
man’3 aber, jo verhoffe ich im Reich wohl Mittel zu finden, Ihrer Mit. 
Bolt Satisfaction zu geben." ... 

Auch dies wird von Gindely verjchwiegen, wie die jchon mitgetheilten, 
energifchen Mahnungen Wallenjtein’S zum Frieden aus dem Jahre 1627. 
Sie waren aber feineswegs die legten. Im Gegentheil können alle Triumphe 
und alle Enttäufchungen deu Friedensfürften nur bejtärfen, feiner Miſſion 
getreu zu bleiben. In diefem Sinne jchreibt er wieder zu Anfang Juni's 1628 
an den Kaifer und wiederholt er dem Freunde: „Ich bin der Meinung, 
man folle die Tractation nicht ausjchlagen, noch thun, was gegen ijt." Er 
wünjcht und fördert aus diefem Grunde die Sendung Collalto's nad) München ; 
„denn Ihrer Majejtät Dienjt und unjer aller Wohlfahrt erfordert’s." Und 
als jich im folgenden Winter die Widerjacher endlich beugten und fürmlich 
um Frieden baten, war er jofort bei der Hand, das Friedensinjtrument 
zuvechtzulegen. Er gibt dem Wunjche der Compaciscenten nad), daß nicht 
Hamburg jondern Lübeck als Sig der Verhandlungen gewählt werde. Schon 
zu Anfang Februar’s 1629 verlangt er in Wien die Genehmigung feiner 
Propofitionen, „wiewohl ich,“ fchreibt ev aus Güſtrow, „alle extrema ten— 
tiven werde, auf daß cr (dev Friede) feinen Fortgang gewinnt; man 
hide mir nur die Natification bald hierher.” . . In feinen Conceſſionen 
geht er nach und nad) weit über jene des Kaifers hinaus und nöthigt 
Diefen fchließlic, auf jede Kriegsentjchädigung definitiv zu verzichten. Am 
22, Mai kam der Friede zu Stande. Gindely jelber kann nicht leugnen 
(II, 105), daß Wallenftein „das Friedeuswerk ſehr erleichterte“ — 
angeblih „durch feine plötzliche Nachgiebigkeit." Ein halbes Jahr 
lang, wie gezeigt — vielmehr feit einer Reihe von Jahren hatte 
Wallenjtein den Friedensunterhändlern gegenüber nichts anderes als ſolche 
„plögliche” Nachgiebigfeit bethätigt. 

Wo bleibt nun Gindely mit feiner Verdächtigung? Wie ward es, als 
der Friede perfect war, mit der bewußten VBerrehnung der Wallen- 


— 12 — 


ftein’schen Contributionen gehalten? — Was wohl die Welt dazu 
gejagt hätte, wenn etwa am 7. Juni 1629, an welchem Tage befanntlich 
der Friede zu Lübeck feierlich publicirt wurde, ein kaiſerlicher Hofhiftorio- 
graph in Wien oder ſonſtwo in einem Zractätlein die Behauptung aufge 
jtellt hätte, „vaß man dem Heere oder wenigftens dem Führer 
desjelben nihts ſchuldig jei"! Sie wäre damals jo lächerlich 
gewejen, wie im Frühjahr 1627 und wie fie heute erjcheint, ganz abge: 
jehen von aller hämifchen Ehrabjchneidung, die ihr Gindely beimijcht. 


II. 


Ich greife auf's Gerathewohl aus Gindely’s Opus eine andere „Ent: 
hüllung“ heraus. Es war bei allen Hof und Leibhiftoriographen, bis 
auf Friedrih Hurter und Onno Klopp herab, ein beliebtes Thema, den 
Sieger an der Dejjauer Brüde darob zu tadeln, daß er es nicht verjtanden, 
jeinen Sieg gehörig auszunügen. Natürlich fteht auch Gindely auf diefem 
Standpunkt. Er weiß (I, 111) von einem Schreiben Wallenftein’s an den 
Palatin von Ungarn, ddto. 27. Auguft 1626; der Schreiber gibt ſich in 
Verfolgung Mausfeld's „voll Muthes und Zuverficht." „Seine Handlungen 
entjprechen jedocd nicht diefen Verſicherungen,“ bemerkt Gindely; „weil er 
nichts that, um den Einmarſch Mansfeld’s in Ungarn zu hindern, fondern 
ih in Neißevierzehn Tagelang aufhielt und ruhig 
zuſah, wie der Feind Mähren brandjhagte Der Kaijer 
war über diefe Säumtigfeit empört” u. ſ. w. (Vgl. auch II, 338.) 

Aehnliches, wie gejagt, kann man bei Hurter und Klopp nachlejen. 
AS aber diefe beiden Federn Aehnliches ſchrieben, ftand ihnen an „ge 
drucken Reſultaten“ nicht zu Gebote, was Gindely, auf fernen beliebten 
Sejandtichaftsberichten fußend, mit gewohnter Meifterfchaft — überſieht. 
Er jieht und hört nur, was die jchreibjeligen Horcher und Schleicher am 
Hofe bei ihrem ewigen Antichambriren in den faiferlichen Gemächern an 
Geheimniſſen erlaufcht „zu haben behaupten, die fie, fofern nur etwas 
Schlimmes fir den Kaiſer und den Faiferlichen Feldherrn dabei heraus- 
haut, mit der unverhohlenjten Schadenfreude zum Beften geben. Am 
3. September 1626 jchreibt Badavin der Signoria: „Graf Montecuculi 
wurde im der vergangenen Woche zu Waldſtein gefchiett, um ihn zum 
eiligen Borrüden zu mahnen. Er fand ihn in Neiße, einer der Hauptftädte 
Schlefien’s, wo er am 21. des vergangenen Monats angelangt war und zu 
allgemeinem Staunen nicht blos Halt machte, jondern auch dem Pechmann 
und Schlid verbot, ſich in irgend einen Kampf mit dem Feinde einzulajjen.” 
Was thut Wallenftein? „Statt den Eaiferlihen Befehlen, deren Ueber— 


— 13 — 


bringer Montecuculi war, zu folgen, ſchickte ev alsbald den genannten 
Grafen mit einer fchriftlichen Erklärung ab" — einer Reihe von Forde— 
rungen an den Kaiſer, die ihm nach Padavin's Meinung „bei jedem 
anderen Fürften den Kopf Eojten würden." . . „Inzwiſchen jchläft Mans- 
feld nicht, nimmt einen Ort nach) dem andern ein, erhebt jtarfe Contribu- 
tionen” u. j. w. Und was jagt man bei Hofe zu diefem Treiben Wallen- 
jtein’8? „Entweder unterhält er ein Einverjtändni; mit dem Feinde oder 
hat er kühne Abfihten gegen den Kaiſer (jchon 1626!) oder 
will er den Mansfeld nicht vernichten — und dies hält man hier für 
fiher — damit nicht etwa der Krieg zu Ende ei, während feine Intereſſen 
noch nicht befriedigt find." (Immer diejelbe LXeier!) — Nicht viel anders 
ihreibt Lenker nah Münden: „Es können Eure furfürjtl. Durchlaucht 
nicht glauben, wie übel und jpöttlich man von dem Herzog von Friedland 
insgemein vedt, daß er den Mansfelder hat ausreißen laſſen.“ . Sogar 
der Feigheit muß fich ein Friedland von den Hoffchranzen bejchuldigen 
lajjen — freilich nur insgeheim. Gindely läßt begreiflich auch diefen Vor— 
wur, wie alles Andere folcher Art, geruhig auf feinem Helden jigen. 
Hören wir anderweitige, gleichfalls contemporäre Quellen, vor Allen 
wieder Wallenjtein jelbjt. Er gab ſich feiner Täufchung dariiber hin, daß 
jein Verhalten nad) dem Tage von Deſſau in Wien nicht werde verſtanden 
werden wollen. „isch zweifle nicht," jchreibt er bereit8 am 7. Mat 1626, 
„daß es allerlei Discourfe bei Hofevon Weibern, 
Pfaffen oder jonften etlihen welfhen Coujonen wird 
abgeben, daß man die erlangte Victori gegen den Mansfelder nicht 
projequirt.” Dem zu begegnen, jest ev auseinander: „Wenn ich nicht mehr 
Sende hätte als den Mansfelder, jo wäre diefe ihre Meinung ausbindig. 
Aber ich habe den Oberften Fuchs zu Tangermünde, der fid) allda jortt- 
fteirt und vier Negimenter zu Fuß nebjt zweitaujend Pferden bei fich hat. 
Der König läßt all fein Volk bei Wolfenbüttel zufammenziehen und ver: 
meint, im Kurzem fein Heil zu verjuchen. Der Herzog Chriftian (von 
Braunſchweig) Liegt in Göttingen und Nordheim mit 3500 Pferden nebjt 
etlichen und zwanzig Fähnlein zu Fuß. Der Graf von Tilly it zu Hörxter 
an der Weſer mit feiner ganzen Armee, von welchem ich Feine einzige 
Aſſiſtenz nicht habe, und Hat fi) von mix auf etwa dreißig Meilen Wegs 
jeparirt, Hat feinen Feind dort, in summa geht mit miv um, wie der 
Bairiſchen Brauch it." Was aber die Hauptjache: „derzeit fich zu Feld 
zu begeben, bevor Fourage vorhanden ift — wer ein Narr fein will 
und eine Armee in vierzehn Tagen ruiniren, jo kann er's thun. Zudem mit 
unbezahlter Armee läßt fich nicht thun, was eine bezahlte thut.“ . . 
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 2. Heft. 8 


— 14 — 


Und endlich noch Eines. Wallenftein ijt für eine Cooperation 
mit Tilly. Er bittet, wie er jchon wiederholt gebeten hatte, man jchreibe 
an Diefen wie nad) München, „daß Herr General Tilly ſammt mir Wolfen- 
büttel belagere.” Tilly's Manöver find ihm unerflärlih. „Die Urfachen 
weiß Gott am beften,“ fchließt er; „ih willnihtgerntemera- 
riamente von Jemandem judiciren." 

Da waren in der That die Herren Padavin und Leuker nicht jo 
zurücdhaltend mit ihrem Judiecium. Doch wird man — Gindely ausge: 
nommen — nicht leugnen wollen, daß Wallenftein an Motiven für feine 
Handlungsweife nicht gerade arm war. Er betreibt aus allen Kräften ein 
gemeinfames Vorgehen der Faiferlichen und der ligijtiichen Armeen. Das 
Gerücht, er hätte fic mit Tilly überworfen, weist er mit Entrüftung zurüd. 
„Daß zwilchen dem Herrn Tilly und mir disgusti jollten paſſirt fein, ich 
bezeug’8 mit Gott, daß ich Feine Wiſſenſchaft darum hab, und glaube 
gänzlich dafür, er auch; es müſſen etliche böje Leut jolches ſpargirt haben.“ 
Wir kennen diefe „böfen Leut.“ „Der Herr Tilly," fährt Wallenftein fort, 
„it alfo mit feiner Armee herabkommen, daß ich mich beforgen thue, daß 
es einmal wird dürfen jeltfam abgehen, denn er ijt der bairijchen Com— 
mifjjarien Sclavo und muß wider raggion travagliven und die Armee con- 
ſumiren. Es iſt gewiß nicht ohne, daß er wegen feiner tapferen Thaten bei 
der Welt glorioso iſt; wegen der Pacienz aber, jo er mit diefen Hunds— 
füttern muß haben, wird er bei Gott coronam martyrii erlangen. . 
Der gute Alte, er befindet jich in ziemlich travagliojfem Status, ijt aber 
nicht ſelbſt jchuldig dran; . . er hat gethan, was fein Herr gefchafft hat, 
welcher nicht gern Geld umfonjt ausgibt." .. „Er fir feine Perſon iſt 
gewiß gut und willig, es fommen ihm aber jeltjame DOrdinanzen von 
München zu.” — Man fteht, auch Wallenftein Fonnte unter Umftänden 
ſcharf judieiren, er fonnte aber auch gerecht fein. Tilly, dem „guten Alten“, 
it nie eim jchöneres, weil verdientes Lob gefpendet worden, als in diejen 
Worten feines größeren Rivalen. 

Bon Woche zu Woche harrte Wallenftein der Entjcheidung von Wien 
und München über feinen Borjchlag, jich mit Tilly zu verbinden. „Ich 
vermeine bald mit dem Heren Tilly zufammenzujtoßen und der Sache auf's 
Beſte als möglih ein Ende zu machen," jchreibt er am 27. Juni; und 
Tags darauf, nachden eine Beſprechung beider Feldherren zu Duderjtadt 
verabredet worden: „Ich verhoffe mit Gottes Hilfe, daß etwas fruchtbar- 
liches wird können gerichtet werden;" und abermals einen Tag fpäter: 
„Auf die Woche werde ich mich mit dem Grafen von Tilly zu Duderjtadt 
aboceiren, was wir Hauptſächliches gegen den Feind vornehmen follen, 


— 15 — 


dennesijt Zeit" Am 2. Juli findet die gewünfchte Zufammenkunft 
jtatt. Sie führte, zu Wallenftein’s Leidweſen, nicht zur Vereinigung fondern 
zur Trennung Die jehr auch Tilly und fein Feldmarſchall Anholt 
einer Cooperation geneigt waren, die Weifungen von München lauteten 
dagegen, und zwar, wie Wallenjtein fpäter erfuhr, vorwiegend weil von 
Wien aus, durch den nach München entjendeten Grafen Fürftenberg, da- 
gegen gearbeitet worden war. „Wäre der budelte Graf von Fitrftenberg 
nicht geweſt,“ jchreibt er voll Unmuths, „der Feind hätte eine anfehnliche 
botta befommen, denn der Graf von Tilly und der von Anholt haben’s 
gar vor gut angejehen, ſich mit mir an der Elbe zu comjungiven, er aber, 
wie ich vernehme, contraminirt fie zu München, und dieweil er ein Plo— 
derer ift, jo glaubt ihm der Kurfürjt. In summa: man muß fich hüten 
vor denen, jo die Natur gezeichnet hat. Wären wir zuſammengerückt, fo 
wäre gewiß der Mansfeld nicht nad) Schlejien gezogen und ebenfowenig 
hätte der Bethlehem (Bethlen) fi movirt.” .. 

Sind das nicht intereffante Aufichlüffe? — Gindely will nichts mit 
ihnen zu fchaffen Haben, wie mit tauſend anderen Dingen, die ihm wicht in 
den Kram paſſen. Er müßte bei ihrer bloßen Erwähnung zugeſtehen, daß 
vor den Monat Juli im Wallenftein’schen Lager gar nicht davon die 
Nede fein konnte, fich noch einmal direct gegen Mansfeld zu wenden. Seit 
der Abmachung von Duderftadt hat Wallenftein den Gegner allerdings im 
Auge, der ihm nicht mehr entgeht. Er zweifelt faum, daß es Mansfeld auf 
Schleſien abgejehen, nur meint er, „daß des Mansfelder’ 8 Sachen derzeit 
ſich nicht in folchen terminis befinden, daß er fich follte allein hin 
wagen. Wird aber der König wollen eine Narvetei begehen und mit feiner 
ganzen Armee, wie mich der Kurfürft von Brandenburg hat berichtet, dahin 
feinen Zug nehmen, fo ift er verloren wie Judas Seel, dan 
ich werde ihm alsbald auf dem Fuß nachziehen und, wo ich ihn antreffen 
werde, draufſchmeißen.“.. Er ſah aber nicht das Nächitliegende 
allein, nicht blos das Einzelne fondern auch das Entferntefte, immer zus 
gleich das Ganze, die Gegenwart und die Zukunft. So wußte er von den 
Eonfpirationen Mansfeld’3 nicht blos mit Bethlen Gabor und den Türken, 
auch mit dem Kurfürjten von Brandenburg und dem König von Schweden. 
„Gleich itzt,“ fchreibt er am 6. Juli, „kommt der Oberft von Arnim, welcher 
betätigt, daß das jchwedische Volk innerhalb drei Wochen heraußen fein 
wird, 15.000 Mann ſtark. Der Kurfürſt von Brandenburg, was er mit 
ung tractivt, ift Alles auf einen Betrug abgefehen; man merfe ihm wohl 
auf, auf daß er feinen Herm Schwager in Siebenbürgen (Bethlen) nicht 
movirt.“ Darum beſchwört er Tilly noch jegt, ohmeweiters zu ihm zu 

g* 


— 116 — 


ftoßen, „auf daß mir auf beiden Seiten der Elbe auf den von Weimar 
und Fuchs ziehen und fie zuvor abjchmieren, ehe die ſchwediſche Hilfe 
kommt.“ — Wie mußte es ihn berühren, in feinen Entwürfen den täglich 
wechjelnden Ereignijfen gegenüber vom Wiener Neichshofrath mit Be- 
lehrungen und gar durch Abjendung veichshofräthlicher Nathgeber behelligt 
zu werden. Man- ftaunt über die Ruhe und Gelajjenheit, mit der er er- 
widert, wenn er jagt: „Die Herren Gelehrten find wohl gefaßt, Ordinanzen 
zu geben, aber wiljen nicht, daß feine Mittel vorhanden jind, Kaijers Armee, 
jo unbezahlt ift, auf folche Weife zu führen; dahero wäre gut, daß der von 
Strahlendorf nicht in Acht nähme, was fein ſohl, jondern was fein fann 
und was jein muß. Ich erwarte des Grafen von Trautmannsdorf mit 
Freuden, auf daß er jie mit Fingern greift, alle Incomoditäten, denn ich 
thue gewiß mehr bei der Sache als Mancher, der die Armee bezahlter 
hätte. Weiß niht, was ich aufdie Legt für einen Dank 
dafür befommen werde" — Welche beveutungsvolle Ahnung ! 

Es war am 10. Juli, als Mansfeld und feine Verbündeten aus der 
Gegend von Tangermünde und Havelberg aufbrachen, um durch das 
Brandenburgische gegen Schlefien zu marjchiren; zehn Tage fpäter hatten 
fie Frankfurt a. D. paſſirt. Am 15. Juli ging die Vorhut der Fried- 
ländifchen Armee unter Oberjt Bechmann über die Deffauer Brüde; ſechs 
Tage darnad) war Diejer mit fieben Regimentern zu Roß und Fuß bei 
Sagan angelangt, um von num au, dem Feinde fortwährend „hart an 
den Eiſen,“ innerhalb vierzehn Tage ſich des ganzen Oderſtromes bis 
Ratibor zu bemächtigen. Bedarf es mehr als einer Gegenüberjtellung diefer 
Daten, um Wallenjtein von allem und jedem Verdacht einer abjichtlichen 
oder unabjichtlichen VBerfäumniß zu reinigen? Er ſelbſt konnte und durfte 
freilich nicht über Nacht mit dem Gros der Armee feine bisherige Poſition 
verlajjen und einen voraussichtlich weiten, bejchwerlichen Kriegszug antreten, 
ohne zuvor fir zweierlei umfaſſende Vorfehrung getroffen zu haben: für 
eben feinen bisherigen und, fo lange der deutſche Krieg nicht zu Ende 
war, auch fünftigen ftrategifch wichtigften Stüßpunft, die Elbe, und für 
PBroviant. 

Bejonders die erjte Sorge heijchte eine zweite Unterredung mit Tilly; 
fie fam am 19. Juli zu Stande. Friedland verpflichtete ich, 3000 Manu 
jeines Heeres dem Befehle Tilly's zu unterjtellen und demselben eine gleiche 
Anzahl Truppen, die aus den Niederlanden im Anzuge war, zu über: 
lafjen; dagegen jollte Tilly verhalten fein, fir die Sicherheit der Garni- 
jonen an der Elbe Sorge zu tragen und ſich demgemäß der Elbe zu nähern. 
Wieder und wieder bittet Wallenftein, „daß Ihre Majeftät dem Tilly ein 


— 17 — 


Schreiben thun und ihn erfuchen, er wolle unterdejjen an dem Elbeſtrome 
fleißig Achtung geben, auf daß fich der Feind der occupirten Derter nicht 
wiederum bemächtigt und dadurch dem Kurfüriten von Sachjen zufegt, denn 
es entjpringeten daraus viel Ungelegenheiten." Alle Vorkehrungen zum Auf: 
bruch nach Schlejien find getroffen, als ihn ein Schreiben Tilly's belehrt, 
daß Diefer feineswegs gewillt,. der Vereinbarung gemäß, fich zur Dedung 
der Elbe weiter oftwärts zu wenden, jondern vielmehr entjchloffen, ſich in 
die Belagerung des fejten Göttingen einzulafjen. Das macht Wallenftein 
neuerdings bedenklich. „Aus Beilag wird mein Herr ſehen,“ jchreibt er 
am 30. Juli jeinem väterlichen Freunde, „daß der Herr Tilly wenig Zuft 
hat, nach der Elbe fich zu begeben, daher ich denn in großem Zweifel jtehe, 
was ich thun foll. Ziehe ich won binnen, fo jind nicht allein die occupirten 
Derter verloren, das Volf, jo in praesidiis gelaffen, niedergemacht, der 
Kurfürft von Sachen mit dem Gegentheil ſich zu uniren fforzirt, die übel 
Intentionirten im Neid) werden fich gegen uns erklären, unfer Bolt in 
große Furcht und Confuſion gerathen. Ziehe ich aber nicht, jo bejorge ich 
mich, daß der Kaifer mit allen feinen Ländern perichtirt, denn, wie ich 
avifirt bin, jo zieht der Mansfelder gar jtarf fort jenfeitS der Oder, auf 
daß er fi) mit dem Bethlehem conjungirt; jo fommt der Schwed auch 
durch Pommern heraus und nimmt feinen Weg an der Oder heraufwärts. 
Ich muß mich necessariamente nodh eine Weile dahier 
aufhalten, zu ſehen, wo es hinaus will, denn jollte ich jo plöglich 
ohne Conſideration hineinplumpen, jo möchte etwas draus erfolgen, das 
nacher übel zu vemediren wäre." ... 

Daß Tilly feinen Verſprechungen gegen Wallenjtein nicht nachkam, 
erflärt fich einzig und allein dadurch, daß Marimilian von Baiern 
ganz entfchieden gegen den Aufbruch der Faiferlichen Armee nach Schlejien 
war und diefen bis zum Testen Augenblid mit allen Mitteln zu verhindern 
ſuchte. Noch am 23. Juli jtellte er Wallenftein brieflich vor, daß fein 
Abzug von der Elbe nur die Folge haben könne, feine Armee „in äußerjten 
Nuin zu ftellen,” andererjeits aber „Ihro königl. Majeftät zu Dänemark 
alfe Gelegenheit zu eröffnen, fich der Oberhand zu bemächtigen und mehr 
zu bejtärfen, auch diefer Orten größere Progrefjen zu thun, dadurch Ihrer 
faiferl. Majeftät Erbfönigreiche und Lande, wie auch die ihm untergebene 
Armada in gleiche Gefahr gejegt werden müſſen.“ — Wie fonnte jich 
Maximilian's Gefandter in Wien erfrechen, mit hämifchen Worten über 
Wallenſtein's angebliches Zögern zu berichten. Wäre ein Gindely nicht 
verpflichtet gewejen, dem fraglichen Berichte Leuker's die eben erwähnte 
Thatſache beizufügen? Zum mindeſten das angeführte Schreiben Mari« 


— 18 — 


milian’3 Konnte ihm nicht unbekannt fein; die Antwort Wallenftein’s darauf, 
vom 6. Auguft, Liegt gedrudt vor. Sie fonnte bei aller ſchuldigen Ehr— 
erbietung nicht Fategorifcher lauten. Er jendet Brief und Antwort Tags 
darauf nach Wien. „Wenn nur der Herr Tilly mit dem böjen Göttingen 
fertig wäre, jo wären meine Quartiere afjecurirt und ich fünnte dem von 
Weimar und Mansfeld nachziehen,“ jo hatte er noch furz zuvor geäußert. 
Die Nachricht, daß Mansfeld „feinen Zug zwiſchen Polen und der Oder 
genommen" und nach Ungarn zu entkommen fuche, macht alle weiteren Be- 
denken verfchwinden. „Mir wäre viel lieber, dahier zu bleiben,“ jchreibt 
er; „aber will ich nicht, daß Ihre Majeftät Ihre Länder verlieren, muß 
ich diefelben entjegen.” Und fchon am nächſten Tage meldet er: „Jetzt 
breche ih gleich auf und marjchire auf Schlefien zu; ich werde ftarfe 
Zagreifen thun und wenig rajten." An eben demſelben Tage erfolgte 
der Ausmarih. Und wie wurde marjchirt? Alle vorhandenen urkund— 
lihen Quellen zufammengenommen geben hierüber die unbejtreitbare Aus: 
funft: Friedland erreichte mit feiner Armee am 9. Auguft Koswig, am 
10. Züterbof und Dahme, am 13. Kottbus, am 15. Forft uud 
Kojel, am 16. Sorau, am 17. Sagan, wo einen Tag geraftet wurde. 
Am 20. in Bunzlau, am 21. in Goldberg (nicht in Neiße), eilte 
Wallenjtein mit dem Heere über Jauer, Striegau, Schweidniß 
und Langendls nah Strehlen, wo er am 26. eintraf, um ſodann 
über Grottfau am 28. in Neiße einzurücen und dort abermals Halt 
zu machen — doch nicht länger als höchſtens anderthalb Tage, 
denn Schon am 30. fteht er in Neuftadt, an der äufßerjten Grenze von 
Schleſien; am 2. September marjchirt er bereits in Olmüß ein, am 3. 
in Kremjier, am 5. in Ungarifh-Brod an der ungarifchen Grenze, 
die ev Tags darauf überjchreitet, um fofort an der Waag, bei Neujtadl, 
eine feſte Stellung zu nehmen. 

Wer, der nur eine blafje Idee vom Heerweſen des dreißigjährigen 
Krieges zu haben glaubt, wird, mit der Karte in der Hand, nicht zugeben 
wollen, daß Wallenftein mit diefem feinen Gewaltmarfh vom 9. Auguft 
bi8 6. September eine für feine Zeit ganz unerhörte Leiftung in 
Bezug auf Beweglichkeit und Ausdauer eines großen Truppenförpers an 
ven Tag gelegt; fie war ein Meiſterſtück allererſten Ranges. Wer wollte 
widersprechen, wenn er an Harrach aus Kofel fchreibt: „Ich verfichere ihn, 
daß ich mir meiner Seele Seligkeit nicht alfo laſſe angelegen fein als 
Ihrer Majeſtät Dienft und ziehe ſtark fort und verfichere meinen Herrn, 
daß Feine Armee jo jtarf marſchirt hat als dieſe.“ Oder aus 
Sagan: „Ich verfichere, daß ich mir feine Sache in der Welt mehr ange- 


— 119 — 


legen fein laſſe als den Fortzug zu befördern, denn ich fehe, daß ja 
an der Eile Alles gelegen.” — Dabei unterläßt er nicht, gelegentlich 
beizufügen: „Eher hab ich von Zerbſt nicht aufbrechen fünnen, denn der 
Fuchs wäre mir in die Stifter gewifcht und hätte den Paß an der Elbe 
genommen." Auch den nochmaligen Stoßjeufzer kann er nicht unterdräden : 
„Hätte der Herr Tilly das böfe Göttingen gehen laffen, wie ich ihn fo 
unterfchiedliche Male gebeten hab, und ſich mit mir conjugirt, jo wäre der 
Sad) Schon Feierabend gemadt." . . 

Nochmals: das mitgetheilte Itinerar ift nach Wallenſtein's Corre- 
jpondenz und anderen gleichzeitigen Angaben, zumeift unmittelbar aus den 
genannten Orten herrührend, als ganz unmwiderfprechlich anzufehen. Ya, 
was das Schönfte an der Sache: Gindely ſelbſt liefert drei Seiten 
jpäter, nachdem er darüber raifonnirt, daß Wallenftein „ſich in Neiße vier- 
zehn Tage lang aufhielt und ruhig zuſah“ u. ſ. w, aus dem Neuhaufer 
Archiv ein „Particularverzeihniß” (I, 115), das vollfommen geeignet ift, 
die Nichtigkeit jenes Itinerars in allen wejentlichen Details zu erhärten. 
Sindely jagt: „Als er (Wallenftein) feinen Fuß auf den Boden Schlefien’s 
jegte, wurde ihm Tag für Tag der nöthige Proviant verabfolgt. .. Eine 
genaue Rechnung hat ſich über diefen Gegenjtand erhalten und weist nach, 
daß er für die mit ihm marfchirenden Truppen folgenden Pro— 
viant erhalten habe: am 17. Auguft in Sorau...; am 18. Auguſt in 
Sagan...yz am 19. Auguft in Sprottau...; am 20. Auguft in 
Bunzlau...; am 21. Auguft in Goldberg...; am 22. — 
in Jauer...; am 23. Auguft in „Striepe“ (recte Striegau). 
am 25. Auguft in Langendls...; am 26. Auguft in Strehla 
(Strehblen) . . .; am 27. Auguft in „Grotta“ (Grottkau) .. .; am 
30. Auguſt in Neuſtadt.“ .. 

Wie war es möglich, daß Gindely mit eigener Hand dieſe Daten 
niederſchrieb und doch auf ſeiner ſonderbaren Behauptung von dem vierzehn— 
tägigen Aufenthalte Wallenſtein's in Neiße hartnäckig beſtehen blieb? Wie 
kam er überhaupt zu dieſer grund- und bodenloſen Behauptung? Ich hatte, 
wie ich gejtehen muß, einige Mühe, big ich den allerdings ſchier unglaub- 
lichen Erflärungsgrund gefunden hatte. Wie oben bemerkt, ift Gindely’s 
Gewährsmann der venetianifche Geſandte Padavin, deijen Bericht vom 
3. September 1626 er abdrudt. In diefem Bericht jteht aber fein Wort 
davon, wie lange Wallenjtein in Neiße geblieben, wohl aber, wie gleid)- 
fall8 beveit3 hervorgehoben worden, die irrige Mittheilung, daß Montecu- 
culi „in der vergangenen Woche zu Waldtein geſchickt,“ denfelben 
in Neiße fand, „wo er am 21. des vergangenen Monats ange 


—— 


langt war.“ . . . Die Vermuthung iſt nicht ausgeſchloſſen, daß Padavin's 
Worte, ſo wie ſie Gindely in der Ueberſetzung wiedergibt, dahin verſtanden 
werden wollten, daß Montecuenli am 21. Auguſt in Neiße eintraf und 
dort den Feldherrn erwartete, was mit den beglaubigten Thatfachen recht 
gut in Einklang zu bringen wäre. Auf eine derartige Auslegung verfällt 
aber Gindely nicht; fie wäre viel zu natürlich und — ohne alle giftige 
Spige gegen Wallenftein. Ex deducirt vielmehr, in nahezu beifpiellojer 
Mißachtung der Nefultate aller neueren gründlichen Forſchung über den- 
jelben Gegenjtand, folgendermaßen — man höre und ſtaune —: Am 
3. September berichtet Padavin ans Wien, daß Wallenjtein am 
21. des vergangenen Monats in Neiße angelangt; vom 21. Au- 
guft bis 3. September, jagt Adam Niefe, macht vierzehn Tage 
— ergo bedarf es gar keines anderen Beweifes, daß Wallenjtein ſich 
in Neiße vierzehn Tage lang aufhielt.“ — 


Es dürfte ſchwer halten, in der modernen Literatur ein — 
zu dieſem Nonſens aufzutreiben. Man muß in ſeine eigenen „Funde“ bis 
über die Ohren vernarrt ſein, um Anderen ſolche Kraftproben höherer 
— Sachkenntnis, Unparteilichkeit und Logik () vorzuführen. 


IV. 


Dan mag mit Gindely nicht rechten, wenn er fiir ſeine Heldengeſtalt 
„im Lichte der gleichzeitigen Quellen" vom Aubeginne ihrer Laufbahn 
nirgends ein Wort der Anerkennung findet und, wo er Gefahr läuft, eine 
jolche aussprechen zu müſſen, wie etwa angejichts der „beiwunderungswir: 
digen Thätigkeit" des Landesfürſten Wallenftein „in der Aominiftration 
feiner Güter," dieſer Gefahr fich ſchleunigſt entzieht. 

Begreiflich, daß er über die VBorgefchichte des Generaliſſimus — ein 
Bierteljahrhundert jchwerer, aufveibender Kämpfe in Ungarn, Böhmen, den 
Niederlanden, Friaul und wieder in Böhmen, Mähren, Defterreih und 
Ungarn, im welchen der werdende Friedland „ver Ehre höchjte Staffel“ 
eben nicht allzu „raſch“ erſtieg — mit wenigen gleichgiltigen Federjtrichen 
hinweggeht, um Höchjtens über. die „finanzielle Thätigkeit“ feines Opfers 
mit Selbjtbewußtjein einige „bedeutfame Mittheilungen,“ das heißt Anwücrfe 
wegen Betruges nnd ähnlicher Sorte gegen den Privatcharafter 
Wallenſtein's vorzubringen. Darauf, wie auf das Schlußcapitel des erjten 
Bandes — er jchließt, wie er beginnt, mit der Erdrterung einer Geldfrage, 
natürlich wieder nur Schmug in Schmutz gemalt — behalte ich mir eine 
bejonders eingehende, urkundlich belegte Erwiderung ausdrüdlid) vor. 


— 121 — 


Schon einmal, im Jahre 1875, wurde der Gegenftand der eben er— 
wähnten Capitel von Gindely im einer Artifelveihe der jegt Münchener 
„Allgemeinen Zeitung“ behandelt. In zwei vortrefflichen, überaus dankens— 
werthen Schriften des Brager Gelchrten Thomas Bilef, „Gejchichte der 
Eonfiscationen in Böhmen nad) dem Jahre 1618“ (2 Bände, 1882—83) 
und „Beiträge zur Gefchichte Waldjtein’s“ (1886), erfuhren die dortigen 
Behauptungen Gindely’s durch Publicirung alles einfchlägigen, unglaublid) 
maffenhaften und, Dank dem ftaustenerregenden Fleiße Bilek's, auch beinahe 
volljtändigen Actenmaterials eine totale Widerlegung. Nichts wäre erflär- 
licher gewefen, als Gindely hätte nunmehr feine vormaligen, ohne alle und 
jede Begründung aufgeftellten Beichuldigungen des Privatmannes Wallen: 
ftein einfach fallen gelaffen und damit die eigene Sündenſchuld mit dem 
Mantel Hunger — VBerfchwiegenheit zugededt. Statt deſſen erneuert Gin- 
dely zwar nicht alfe feine Auflagen vom Jahre 1875, hält aber gleichwohl 
den Kern derjelben durch allerhand Künfteleien aufrecht, indem er die in 
Bilek's Schriften enthaltenen Thatfachen zum Theil willfürlih verdreht, 
zum Theil aber ohmeweiters unterdrüdt. Doch, wie gejagt, davon an 
anderem Orte im Zufammenhange. . 

Um Bilef, noch ehe er auf denjelben ausführlicher zu fprechen kommt, 
von vornherein beim Leſer möglichft zu discreditiren, verſucht es Gindely 
gelegentlich, dem Gegner verjchiedene Ungenauigkeiten oder Unrichtigfeiten 
auf minder jchlüpfrigen Gebieten nachzumeifen. Ich will hier jogleich 
zeigen, mit welchem Erfolg. Dabei foll zugleich dargethan werden, wie 
Gindely die früher ausgejprochene kühne Beichuldigung Wallenftein’s wegen 
„der von ihn geduldeten Zuchtlofigfeit der Truppen” zu begründen 
in der Rage iſt. 

Indem Gindely (I, 179) der Klagen erwähnt, welche von Seite des 
Kurfürjten von Batern gegen einen der Wallenjtein’schen Oberſte, einen 
Herzog von Sachſen-Lauenburg, erhoben wurden, gedenft er auch cines 
Schreibens Wallenjtein’3 an den Kaifer, des Inhalts, ev habe den ge- 
nannten Herzog „zur perjönlichen Erſcheinung vorgeladen und ihn beweglic) 
ermahnt, der kurfürſtlichen und fürſtlichen Lande zu verjchonen." Hiezu be: 
merkt Gindely: „Auf die bloße Mahnung bejchränfte fich alfo die Be- 
ftrafung des Lauenburgers, dejjen Schandthaten damals alle Welt empörten.“ 
Er fährt fort: „Mau darf überhaupt die jtrengen Weifungen, die Waldftein 
in anderen Fällen auf Unterſuchung und Bejtrafung einzelner Oberjten er- 
theilte, nicht wörtlich nehmen, man muß auch unterjuchen, ob fie ausgeführt 
wurden. Waldjtein’s Strenge war feine ſyſtematiſche und gerechte, ſondern 
eine launiſch aufbraufende und tyranniſch fich gegen unbequeme Diener 


— 12 — 


äußernde." .. Seine erfchöpfende Gründlichkeit in diefer Frage vor Augen 
zu führen, fügt Gindely nod eine Anmerkung bei, welche lautet: 

„Bilet führte in den Beilagen L IV a—d (Beiträge, S. 307 fg.) vier derartige 
Beiehle aus dem Jahre 1627 an, die wider den Rauenburger, die Oberſte Hußmann, 
Boyſi und Fahrensbeck und den Oberftlieutenant de3 lettern lauten, und glaubt na= 
türlich in diefen Befehlen einen vollgiltigen Beweis dafür zu finden, daß Walditein 
an den Erceffen feiner Truppen unfhuldig war und fie beftraft wiffen wollte. Nun 
iſt dem Lauenburger, wie aus unferen Mittheilungen erfichtlih, nichts geſchehen, 
ebenfowenig wurde dem Oberften Hußmann, den Waldjtein zu verarreftiren und 
nach Kriegsrecht zu behandeln gebietet, ein Haar gefrümmt, denn im Jahre 1630 
begegnen wir ihm an der Spiße feiner Reiter in Italien (Chlumecky, Regeften, 236,. 
Fahrensbed, den der General ftreng zu überwachen befahl, wurde nicht ange 
taftet, fondern trieb fein Unmwejen noch weiter fort. Ob dem Oberften Boyſi und 
dem Oberftlieutenant etwas geichehen ift, kann man nad) diefen Mittheilungen 
billig bezweifeln, und jo zerplagt die von Bilek aufgebaufchte Strenge Waldſtein's 
wie eine Geifenblafe.“ 


Wieder (I, 251) fommt Gindely auf eine Mahnung des Kaifers zu 
jprechen, „ven Herzog von Lauenburg, über den die größten Klagen er— 
hoben wurden, zur Verantwortung zu ziehen” 2c., mit dem Beiſatz: „Dem 
Lauenburger wurde fein Haar gekrümmt." Und noch einmal (], 256) 
heißt e8: „Der General überfloß von Verficherungen, wie er die ligiftifchen 
Fürjten entlaften und den Lanenburger trafen wolle; feine Rede war 
ebenjo jaljch, wie fein Thun vücjichtslos und hart." (Vgl. auch II, 328.) 

Prüfen wir diefe Rede. Dazu iſt erjtlich von Nöthen, zu wiljen, daß 
in der Zeit, von welcher gehandelt wird, drei Herzoge von Sachſen— 
Lauenburg als Ffaiferliche Oberfte im Friedländifchen Heere dienten: 
die Herren Rudolph Mar, Franz Albrecht und Julius Heinrich. Schon 
damit, daß Gindely meift nur vom „Lauenburger" fpricht, fcheint er zu 
verrathen, daß ihm diefer Umſtand unbefanut. Die von ihm felbjt (I, 172, 
241 fg.) mitgetheilten und viele andere Actenſtücke fagen aus, daß es ſich 
hier um die Berfon des Herzogs Rudolph Mar von Sachſen-Lauenburg 
handelte. Derjelbe hatte mit Wallenftein’s Zuftimmung im Jahre 1626 
ein Regiment zu Fuß und erſt ein Jahr jpäter ein Eiraffierregiment er- 
richtet. Er wurde nad Bilek's Mittheilung vom Generaliſſimus bereits 
am 11. Juni 1627 beauftragt, fich wegen feiner Exceſſe perfönlich bei ihm 
zu verantworten. Schon am 19. Juli darauf verjtändigte Wallenftein den 
Hoffriegsrath von diefer Verfügung, mit dem Bemerfen, daß er den Herzog 
Rudolph Mar bis zur Austragung feines Procefjes in dem feften Neifje 
internirt habe. Die Procefacten liegen nicht vor — doch auch Rudolph 
Mar erfheint feit diefer Zeit niemals wieder bei der Fried— 
ländifhen Armee; fein Musfetierregiment wurde noch im felben 


— 13 — 


Jahre 1627 gänzlich aufgelöst; feine Reiter aber, zu Begimm des 
Jahres 1628 noch 1220 Pferde jtark, wurden — wie Gindely eigen: 
bändig (II, 66) conftatirt — im September diejes Jahres auf 500 
reducirt. Rudolph Mar aber war und blieb aus dem faiferlichen 
Heeresverbande für immer ausgejchloffen oder ausgeftoßen. Gin: 
dely habe die Güte, ihn nach dem September 1628 bei — einer Action 
dieſes Heeres namhaft zu machen. Und da wurde ihm, d em „Lauenburger“ 
— „fein Haar gekrümmt“? 

Johann Philipp Hußmann de Namedy war mit Beftallung vom 
10. Mai 1627 als Faiferlicher Oberft zur Werbung eines Cüraffierregiments 
ermächtigt. Die Beitallung des Marquis von Boiſſy (nicht Boyfi) it 
nicht vorhanden, datirte aber bejtimmt auch erſt vom Jahre 1627 und 
lautete auf ſechs Compagnien (600 Mann) Arkebufierreiter. Der von Bilef 
abgedructe Befehl des Oberfeldherrn gegen Hußmanı und Boifjy gebot 
am 27. December 1627 Arnim, damals Befehlshaber in Pommern, beide 
Dberjte als folche zu juspendiren, zu verhaften und gegen jie „ohne ein: 
zigen Reſpect dem Kriegsbrauch nach zu verfahren,” ihre Negimenter aber 
zu veduciren. Ich Habe dem beizufügen: Schon eine Woche zuvor hatte 
Wallenſtein eine ähnliche Verfügung getroffen und dieſelben Officiere auch 
direct hievon verftändigt; und fchon Tags darauf wurde Arnim beauftragt, 
die Eompagnien Hußmann's und Boiſſy's entweder zu reduciren oder „unter 
andere Regimenter zu ſtoßen“ und mit ihnen abzurechnen, was gleichfalls 
beiden Oberjten in bejonderen Schreiben notificirt wurde, „denn wir wollen 
nicht, daß durch eines Officiers unbilliges Wahrnehmen unter der Fatjer: 
lihen Armada Unordnungen verurſacht werden." Daß diefe Worte nicht 
in den Wind gejprochen waren, bemeist ein vierter Befehl Wallenjtein’s an 
Arnim, nachdem „des Obrijten Hußmann Obriftlientenant aus dem Arreft 
ausgeriſſen,“ denjelben „dreimal citiven und, da er zum dritten Male nicht 
erjcheinen würde, jeinen Namen an den Galgen anjhlagen zu 
laſſen.“ 

Am 29. December ging eine fünfte Weiſung an Arnim, den Proceß 
gegen Hußmann und Boiſſy durchzuführen, mit dem Beiſatz: „Der Herr 
gehe aber fürſichtig um, denn ſie werden gewiß ein trama (?) mit ihren 
Dfficteren haben, auf daß nachher feine Mutination (Meuterei) daraus er: 
folgt." .. Und was weiter? Abermals geht die Antwort ohne Gindely’s 
Wiffen aus jeiner eigenen Bublication (II, 66) hervor. Collalto 
meldet am 20. September 1628, dag er Hußmann’s Reiter von 1220 
auf 500 Mann reducirt habe; ein Regiment „Voſſy“, wie Gindely 
ſchreibt, war bei Collalto’s Ankunft 734 Pferde ſtark und ift an bejagtem 


— 14 — 


20. September aus der Armeeliſte der Raiferlihen geſtrichen — «8 
it das Negiment Boiſſy. Thatjächlich hat denn auch der Marquis von 
Boiſſy feit diefer Zeit aufgehört, Faijerlicher Oberſt zu fein: er war, wie 
jener „Lauenburger”, davongejagt Wie kann nun Gindely „billig 
bezweifeln,” daß dem Oberſten Boiſſy „etwas gejchehen ijt" ? 

Freilich behauptet Gindely (II, 61), Eollalto hätte jene Reductionen 
im September 1628 aus eigener Machtvollfommenheit vollzogen, d. h. vom 
Kaiſer den Auftrag gehabt, ohne Wallenſtein's Vorwiſſen „jelbjtändig die 
theilweife Entlafjung der Neiterei vorzunehmen.” Das ift einfach nicht 
wahr. Abgefehen davon, daß dies ein Eingriff in die unbeſtreitbaren 
Rechte des Generalijjimus gewefen wäre, den Diefer nimmermehr hätte 
zugeben fünnen, ohne fofort feine Entlaffung zu nehmen, ergibt jchon die 
vorhandene Eorrefpondenz Wallenftein’s mit Collalto die gänzliche Unrich— 
tigfeit diefer neuen Behauptung Gindely’s. Bereits zu Anfang Juni's 1628 
war bei einer Zufammenfunft der Generale zu Reichenberg die Reducirung 
der Reiterei um 4000 Mann verabredet worden. Im Juli bedankte fich 
Wallenftein beim Kaiſer dafür, daß er dieje Reducirung gutgeheißen, die 
er „für fehr nöthig erachte,“ und gab er am 10. diejes Monats 
jeinem Feldmarſchall den Auftrag, „er veformire was mehrals 
die 4000, wie wir zu Neihhenberg abgeredet haben" Am 
15. Auguft jchrieb Wallenftein aus Triebjees: „Meine Meinung ift, der 
Herr Bruder eile nicht gar zu jehr mit der Abdanfung... Den Boiſſy, 
dieweil er fo viel Unordnungen thut, danfe er nur ab" u.j.w. 
— Wer kann da nocd meinen, Colfalto habe in diefer Angelegenheit gegen- 
über Wallenftein „jelbftändig” handeln dürfen ! 

Wahr ift, daß Hußmann's Reiter im Fahre 1630 den mantuanischen 
Krieg mitfochten, doch eben nur in der Stärke eines halben Regiments. 
Das mußte Jener als jchwere Strafe betrachten. „Der Hußmann zieht in 
Italien zu feinen Reitern,“ fchrieb damals Wallenftein an. Collalto ; „it 
mehr ein Partitenmacherle als ein Soldat." Er kannte feine Leute. Huß— 
mann fehrte im März 1631, mit wenig Ruhm bededt, nach Haufe zurück, 
um dem Kriegsdienjt für immer Adien zu jagen. 

Bleiben jonach in Gindely's Anfechtung der fraglichen Meittheilungen 
Bilek's nur noch der Oberft Fahrensbed, recte Georg Wolmar . 
Fahrensbac Graf zu Karkus, und deſſen Oberjtlientenant, den Gindely 
dem Namen nach nicht kennt. Fahreusbach, jagt Gindely, „wurde nicht 
angetaſtet.“ 

Es gibt in dem ganzen, großen Wallenſtein'ſchen Lager mit ſeinem 
bunten Gewimmel mehr oder minder berühmter oder berüchtigter Geſtalten 


— 


— 15 — 


nur wenige, die ihrerzeit ob ihres eigenthimlichen Schickſals eines fo aus: 
gebreiteten Rufes genofjen, wie Fahrensbach. Wer davon nichts zu melden 
weiß, bekennt damit, daß er in Erforfchung diefer Zeit und der in ihr 
handelnden Perſonen eben nicht tiefer eingedrungen als — Gindely. Ich 
kann hier natürlich Feine erjchöpfende Lebensgefchichte ſchreiben. 

Auch Fahrensbach hatte erjt im Jahre 1627 ein Oberftenpatent er- 
halten, und zwar ein jolches über ein Infanterieregiment. Er fiel gleid) zu 
Anfang Februar's diefes Jahres in feindliche Gefangenjchaft; „mehr aus 
Unachtfamfeit" als aus irgend einem andern Grunde, urtheilte der Ober: 
feldherr, der auch erfuhr, „die vom Feind lamentiren fich jehr über fein 
Maul, daß er ihnen Fein gutes Wort gibt." Als Fahrensbach im Mat 
die Freiheit wieder erlangt hatte, gedachte ihn Wallenftein, der eben Jeden 
nach feiner Qualification zu verwenden wußte, zu gewiſſen waghaljigen 
Unternehmungen zu gebrauchen: „Der Fahrensbach ift gut zu einer dejpe: 
rirten Diverfion oder Impreſa.“ Doch ſchon zwei Monate jpäter war 
Fahrensbach des kaiſerlichen Dienjtes überdrüſſig und erklärte jich bereit, 
für 20.000 Gulden fein Regiment zu refigniven, um fich bald darauf eines 
Anderen zu beſinnen. Im Durchmarſch durch Brandenburg beging fein 
Oberjtlieutenant Namens Ech zel (auch O ch fe l) viele Unzufömmlichkeiten, 
. Auf dieerfteNahridht hievon gab Wallenjtein Befehl, ihn in 
Eifen zu fchlagen und vor ein Kriegsgericht zu flellen: „er muß es mit 
dem Kopf bezahlen, er hat gar zu viel Erorbitanzen gemacht.” (Bilef a. a. D.) 
— Gindely glaubt nicht an den Ernſt diefer Worte. Und doch ſchon am 
nächſten Tage ſchrieb Wallenftein an Eollalto: „Ich befomme fo viel Klagen 
über den Fahrensbach, daß er's nicht viel bejjer, wo nicht ärger, gemacht 
hat als der Görzenich“ (wir werden ſogleich hören, was das zu fagen 
hatte); „nun bin ich refolvirt, eine Demonftration gegen ihn vorzunehmen.“ 
Dabei beforgt der General nur, daß die Sache „etwas langſam wird fort- 
gehen," denn „ehe man alle die Klagen wird zufammengebracht und certi- 
fieirt haben, jo gehen au drei Monate hin; auch, jobald ev gefangen wird, 
jo wird fein Regiment voneinanderlaufen, denn allbereit jein Oberjt 
lieutenant entlaufen tft." .. 

Damit gibt jich Gindely offenbar nicht zufrieden. Blutdürftig, wie er 
nun einmal ift, verlangt er die Hinrichtung Fahrensbach's ohne viel Feder: 
lefen, ohne langwierige Klage und Zeugeneinvernahme, und will er den 
Oberſtlieutenant gehenft jehen — man hätte ihn denn zuvor gefangen oder 
nit. Zum Glüd Hatte Wallenjtein Nachricht, wohin ſich Echzel ge: 
wendet, und befahl darum dem Generalwachtmeijter Lorenzo del Maejtro, 
„er folle ihn Taffen beim Kopf nehmen — alsdann will ich ihm aud) 


— 16 — 


feinen Proceß machen. In summa ich hoffe, Etliche dermaßen zu über: 
rumpeln, daß fi) Andere daran fpiegeln werden." — Damit ijt diefer 
Echzel (nicht zu verwechjeln mit einem andern Ochſel oder Echzel, aud) 
„Eichzell", der gleichzeitig al8 Oberftlientenant im Regiment Torquato Conti 
diente; ſ. auch IL 117) für uns verfhmwunden Sch muß es Herrn 
Gindely überlafjen, darüber zu denken und zu fchreiben, was ihm beliebt. 

Die Unterfuchung gegen Fahrensbad) ging ihren Friegsgerihtsmäßigen 
Lauf. Der Oberft blieb „auf freiem Fuß”; doch unterließ es Wallenftein 
nicht, Arnim fortwährend zu ermahnen: „Auf den Fahrensbach gebe der 
Herr gute Achtung, denn ich will ihm das Regiment nicht laſſen“ — „er 
fennt ihn wohl” u. ſ. w. Der ſchlaue Oberst verftand es, den Proceß bis 
in den Sommer 1628 hinauszuziehen und dabei noch andere Pläne zu 
verfolgen, die uns Wallenftein mit den Worten verräth: „der, jo das 
Bolfdem Schweden zuführen will, ift der Fahrensbach; er 
thut ſonſten noch mehr loſe Stüd." Fahrensbad) aber merkte, daß er ver- 
rathen war; er Fam feiner Verhaftung durch jchleunige Flucht zuvor. Er 
verjuchte zu den Dänen nad) Glücjtadt zu entfommen, fand aber dort als 
„verdächtige Perjon" feine Aufnahme und ging nad Amſterdam. Sein 
Regiment wurde aufgelöst. — Nicht mit Wallenſtein's Zuthun, jondern 
während deijen Entfernung vom Obercommando fand Fahrensbach troß 
alledem im April des Jahres 1631 auf feine Bitte wieder Aufnahme in 
das Faiferlihe Heer. Als jedoch Friedland abermals die Heeresleitung 
übernahm, faßte er Fahrensbach ganz befonders in das Auge. Derfelbe 
wurde auf Wallenjtein’s Befehl im Frühjahr 1632 verhaftet, der „heim- 
lichen Intelligenz“ mit den Schweden überführt, vom Kriegsgericht zum 
Zode durch das Beil verurtheilt und zu Kegensburg am 29. Mai 1633, 
da er der Hinrichtung gewaltfamen Widerjtand entgegenfegte, von den 
Henkern jJämmerlidh zerhbauen und niedergemepgelt." — 
Sit Gindely damit endlidy befriedigt ? — Wohin doch blinder Eifer und 
Parteilichfeit einen ſonſt friedlichen, harmlofen Actenmenſchen verführen 
fünnen! — 

Gindely ift nicht berechtigt, einen fleißigen, gewifjenhaften Forfcher 
wie Bilek hofmeiftern zu wollen. Niemand verjteht das wohlfeile Spiel, 
eine Seifenblafe fteigen zu laſſen, beſſer als Gindely. Zugleich aber 
könnte es ganz entschieden Niemand geflifjentliher darauf abgefehen haben, 
ſich felbft zu widersprechen, als Gindely. Es kann nicht anders als widerlich 
wirken, wern Gindely einmal (I, 74) als die Urfache „einer allgemeinen 
Unzufriedenheit" im Faiferlichen Heere „vie barbarifhe Strenge 
Wallenjtein’s" bezeichnet, um fpäter mit derſelben Miene defjen unver- 


— 17 — 


zeihlihe Nach ſicht gegen die Zuchtlofigfeit feiner Truppen, das 
„Hlemmerifhe Zuderleben der Officiere” (I, 349) zu beweifen 
— wie eben bewiefen worden — und wieder jpäter dennoch beftimmte 
Fälle energiichen Auftretens gegen die Ercedenten hervorheben zu müfjen, 
wie beijpielsweife (II, 81) den Fall, daß Wallenftein am 16. Juli 1628 
einen Verhaftsbefehl gegen den Oberften Hebron erließ, „der feine 
Stellung zu maßlofer Bereicherung ausbeutete,“ 


Leider auch hier muß Gindely fein Halbwiſſen eingeftehen, indem er 
Dinzufegt: „Welches Nefultat dies zumegebradhte, iſt nicht weiter befanıt, 
ſchwerlich aber dürfte der Oberft die frühere Machtvollfommenheit erlangt 
haben.” Gindely weiß wieder nicht, was er aus den von ihm fogar zu: 
weilen citirten Schriften Förſter's und Chlumecky’s Leicht hätte wiſſen fünnen, 
daß Oberſt Hebron wenige Monate nad) feiner Verhaftung ein todter 
Mann war und jein Regiment dem Fürjten Ernſt von Anhalt gegeben 
wurde. Iſt ihm ja auch nicht befannt oder thut er doch fo, als wüßte er 
nicht3 davon, daß furz vor Erlaffung der von ihm verhöhnten Decrete 
Wallentein’3 gegen Rudolph Dar von Sachjen-Lauenburg, Hußmann u. f. w. 
ein jolches Decret in aller „ſyſtematiſchen“, nicht „launiſch aufbraufenden“ 
Strenge an dem Oberjten Adam Wilhelm Schellhardt Freiheren von 
Görzenich die Execution wirklich erfahren hatte. „Auf daß man ſich 
über mic im Weich nicht zu bejchweren hat," ſchrieb Wallenftein am 
12. October 1627 an Collalto, „daß ich die Transgrejforen nicht ftraf, jo 
hab ich heut dem von Öörzenich den Kopfweghauen lafjen; 
er iſt wohl aufs Rad fentencirt worden, aber ich vermeine, daß man ſich 
mit diefem contentiven Fan. Er foll gar wohl und andächtig gejtorben 
fein." — Noch nad zwei Jahren konnte Graf Pappenheim nach münd— 
licher Verſicherung eines deutfchen Kirchenfürften berichten: „es ſei durd) 
die Görzenich'ſche Demonjtration männiglich genugjame Satisfaction ge: 
Ichehen und aller Kur- und Firjten Gemüther dadurch acquietivt und con- 
tentirt worden." 

Wallenjtein war fein Tyrann, Fein Wütherich. Er ftrafte; jedoch mit 
der äußerjten Strenge nur jelten und dann nur nach einem förmlichen 
Gerihtsverfahren. Wer wollte ihm das zum Vorwurf machen? Es 
ſchloß nicht aus, daß beijpielsweife auf feinem Marſch durch Schlefien im 
Sommer 1626 bisweilen bemerft werden konnte, „wie ſechs Webelthäter 
auf einmal aufgeknüpft wurden.” Der Gang der Kriegsjuftiz war auch 
bei ihm fein jchleppender. 


-—- 1383 — 


Man findet fein Ende in Aufzählung der greulichen Widerjprüche 
Gindely’s, feiner miggünftigen falfchen Behauptungen, feiner abfichtlichen oder 
unabjichtlichen Entjtellungen, jowie der jchlagenden Beweiſe feiner bejchä- 
meiden Unfenntniß des großen Ganzen dev Deaterie, die er behandelt. Zu 
Wirklichkeit gibt es in feinem Buche Feine Seite Text, auf der ihm 
nicht eine Anzahl grober und allergröbjter Verſtöße nach einer und der 
anderen Richtung nachgewiejen werden könnte. 


Wo fteht 3. DB. der Beleg fiir das fonderbare Dietum, mit welchem 
Wallenjtein in jeinem VBerhältnifje zu Tilly von vornherein in die für 
Gindely erforderliche jchiefe Stellung gebracht werden foll (I, 82): „Der 
Kaiſer hätte nicht den leifeften Widerfpruch erhoben, wenn ſich Waldſtein 
der Auctorität Tilly’s gefügt hätte" —? Steht jo etwas der: 
gleichen in der ihm vom Kaiſer ertheilten Juftenetion oder ſonſt in einer 
faijerlihen Zufchrift? Hätte denn nicht mit einer ſolchen Gefügigkeit der 
Kaifer als oberſter Kriegsherr in Deutjchland einfach zu Gunften des Kur— 
fürjten von Batern abdicirt? Und hatte Wallenjtein Recht oder nicht, wenn 
er behauptete: „Der aus Baiern bat die anderen Kurfürjten an fich 
gehenft — er wollte allein gern dominus dominantium im Reich ſein“ —? 
Und weiß Gindely, indem er an derjelben Stelle die Klage erhebt, daß 
„der kaiſerl. General ein gutes Einvernehmen mit Tilly gleich im Beginn 
der Braunfchweiger Friedensverhandlungen durch den verlangten Vortritt 
hinderte” — weiß er ſchon nicht mehr, daß er jelber kurz vorher (I, 67 fg.) 
dem fraglichen Widerfpruche Wallenjtein’s gegen die Anmaßung Tilly's in 
Angelegenheit des ftrittigen Vorranges der Subdelegirten auf dem Tage 
zu Braunjchweig ausdrücklich zugejtimmt mit den Worten: „die Rich— 
tigfeit diejer Einwendung ließ jich nicht beſtreiten“ —? 

Hat er denn Feine Ahnung, wie überaus komiſch es wirken muß, 
wenn er (I, 282 fg.) fo ernjthaft und jo umftändlich wie nur möglich von 
der großen und lebhaften Debatte berichtet, die auf dem Ligatag zu Würz— 
burg über die — Titulatur geführt wurde, „deren man ſich gegen den 
verhaßten Mann (Wallenftein) bedienen follte" —? Wahrhaftig ein köftliches 
Bid: Kur-Mainz, Trier und Cöln und Baiern, Sachſen und Branden- 
burg im Heftigem Wortfampf gegeneinander, ob Friedland, der Herzog, 
nicht nur als „Freund“, ja in Gottes Namen, wozu man dem ZTodfeind 
gegenüber herzlich gerne bereit war, als „befonders lieber Freund," 
fondern auch als Herr und Freund” u. dgl. begrüßt werden dürfe. Da 


= I 


wird es Einem in der That ſchwer gemacht, nicht eine Satyre zu jchreiben, 
jo etwa nach berühmten Muſter die Barodie: 

„Schmähend mit viel böjen Reden 

Ihres Kaiſers General 

Saßen viele deutſche Fürſten 

Einſt zu Würzburg in dem Saal.“ .. n. ſ. w. 

Wie gigantiſch hebt ſich gegen dieſe Pygmäen die Perſönlichkeit 
Wallenſtein's ab. Er kannte die Fürſten und ihre Stellung ihm gegen— 
über. Es ſind packende Worte, die wir nach Jahren über dieſes Verhältniß 
aus ſeinem Munde vernehmen: „Daß ich im Reich verhaßt bin, das 
geſchieht aus der Urſach, daß ich dem Kaiſer gar zu wohl gedient hab 
wider ihr vieler Willen. Daß ich mit großer Macht Frieden machen will, 
das iſt Raiſon, denn si vis pacem, para bellum." .. „Wollen ſie Krieg 
führen und menagiven, dem Neich aber Gufto und nicht Disgufto durch 
die Einquartierungen geben, jo fuchen fie ſich unſern Herrgott zum General 
und nicht mich!" . . . „Die Kerls bedenken nicht die futura jondern die 
praesentia und wijjen doch, wenn der Kaiſer perielitirt, daß jie verloren 
jind." — Ganze, lange Capitel in dem Buche Gindely's werden mit diejen 
einen Worte wie eitel Spreu hinweggeblajen. 

Es kommt nicht oft vor, daß man in diefem Buche poetijchen An— 
wandlungen ausgejegt wäre. Das macht vor Allem Gindely’s Manie, bei 
jeder Gelegenheit fein Zalent als Rechnenkünſtler leuchten zu laſſen. 
As jolcher zählt er nicht nur, wie wir gejehen, das heivenmäßig viele 
Geld, das Wallenjtein verdiente oder eigentlich nicht verdiente und doch in 
jeine Taſche fteckte; er zählt auch die Truppen, die unter Wallenjtein und 
Tilly jtanden. Nur ift er aud) hier wie überall bis zum Exceß parteitich. 
Um zu erhärten, wie jehr Wallenftein im Unrecht war, im Sommer 1626 
der Liga nicht den größten Theil feines Heeres zu überlaſſen, wird ohne 
weitere Zählung jchlanfweg erklärt, daß Tilly dem Feinde gegenüber „zu 
ſchwach,“ Wallenftein aber „allzu ſtark“ war (I, 97). Als ob ein 
Kriegsheer im Angefichte des Feindes überhaupt jemals „allzu ſtark“ jein 
könnte. Gindely hindert das nicht, gleich darauf zu erhärten, daß Tilly 
mit Rückſicht auf jene Truppenzahl das Necht gehabt hätte, viel größere 
Quartiere zu beanfpruchen als Wallenjtein. Zwar heißt es (I, 307): „wie 
groß die effective Stärke der Ligijten war, ijt unbekannt“ (beiläufig gejagt 
gibt es recht gute Quellen, denen das wohlbefannt ijt); . . . . jo viel ijt 
aber erjichtlih, daß die Zahl der kaiſerlichen Negimenter dreimal jo groß 
war, wie die der Ligiſten.“ Man jollte glauben, daß das gegen das legt: 
erwähnte Begehren Tilly’s jpräche. Gindely weiß fich zu helfen und jegt 

Mittheilungen. 25. Jahrgang, 2. Heft, 9 


— 130 — 


nachträglich (II, 344) auseinander: da die kaiſerl. Regimenter „nie complet 
waren" (mer jagt ihm, daß die Figiftifchen es jemals waren ?), „oft 
ichwindelhafte Betrügereien getrieben wurden, jo kann man mit Grund 
vermuthen, daß der Effectivftand der Ligiften verhältnißmäßig 
ftärfer war al3 der der Kaiferlihen" — „verhältnißmäßig", was im 
gegebenen Fall allerdings gar nichts beweist, in den Augen Gindely's aber 
vollauf genügt, das in der Begründung zwar nur „vermuthete" Mißver- 
hältniß in der Konchufion dennoch als etwas Thatſächliches hinzuſtellen. 
Wie käme man fonft zu einem Verſchulden Wallenftein’s ? 

Und trogdem entgeht ihm, wo eine Schuld — im Sinne Gindely’s 
— ſich vielleicht finden ließe, der jchon auf feiner Hand liegende Nachweis 
diefer Schuld. Er rechnet es Wallenftein zum Verbrechen an, daß er 
figiftifche Officiere von bejonderer QTüchtigfeit, wie Bappenheim und den 
Grafen von Anholt, für fein eigenes Heer zu gewinnen fuchte, freut ſich 
aber darüber, daß hier der Liebe Mühe umſonſt gewejen, denn nach feiner 
Meinung (I, 153) „gelang es ihm mit feinem von Beiden." Zum Be: 
weife deifen werden Chlumecky’s Negeften, Seite 149, angeführt. Hätte 
Gindely in demfelben Werke nur ein bischen weiter geblättert, jo hätte er 
dafelbit (SS. 154, 157, 191, 211 fg.) erfahren, daß Johann Jacob 
Brondhorft Graf von Anholt in der That im Jahre 1629 in kaiſerlichen 
Dienften ftand, zwei Cavallerieregimenter auf einmal für Wallenftein warb 
und auf feinen Befehl im April 1630 dreitaufend Mann nad alien 
ſchickte. Anderwärts hätte er auch das Beftallungsdecret dieſes 
Grafen Anholt zum Faiferlihen Feldmarjchall ddto. 20, October 
1629 finden können und wieder anderwärts das Factum, daß Anholt ein 
Jahr fpäter gejtorben. Doch das find Lappalien. 

Woher nimmt Gindely die Beweife für die unzählige Male wieder: 
holte Verdächtigung (I, 197, 208 ꝛe.; II, 24, 375 x), daß alle, die 
Wallenftein bei Hofe einmal das Wort zu veden fuchten oder auch nur zu 
reden Schienen: ein Queftenberg, ein Graf Werda, Fürft Eggenberg, ja 
jelbft ein Pater Lämmermann und der Abt von Kremsmünjter, der 
nahmalige Bifhof von Wien, ohne Ausnahme von ihm, dem Fried: 
länder, durch ſchnödes Geld bejtochen waren? Woher dafür (I, 225), 
daß Wallenftein im Februar 1627 den Boften eines Statthalters von 
Böhmen und (I, 98 2c.) fast gleichzeitig au) die Kur Brandenburg 
haben wollte? Woher endlich weiß er, daß Wallenjtein, wie gleich eingangs 
mit Befriedigung hervorgehoben worden, den Wahnwitz jo weit getrieben 
(II, 24 fg., 375), bereits im Jahre 1628 daran zu denken, jich über furz 
oder lang jogar zum deutſchen Kaijer aufzuwerfen? Er hat für das 


— 121 — 


Alles Fein anderes Zeugniß, als daß nicht blos Diejer und Jener 
jondern „auch zahlreiche andere Berjonen diejelbe Beichuldigung 
ausgejprochen." — Heißt das beweijen? — Ich kann nur mit Gindely’s 
perjönlichem Freunde fprechen: nicht blos nach eines Einzelnen Erachten 
jondern vielmehr nach allgemeinsmenjchlichem Moralgejeg „geben Hundert 
Berleumdungen nicht ein Quentchen Wahrheit und hundert Muthmaßungen 
nicht ein einziges Zeugniß.“ 

Das jo denkwürdige Gutachten der Faiferlichen Geheimen Rathe über 
die Frage der Entlaſſung des oberſten Feldhauptmannes, erjtattet zu Regens— 
burg am 5. Augujt 1630, eine als Ganzes wie in allen ihren Theilen 
prächtige Apologie der Geſammtthätigkeit Wallenjtein’s während feines 
erjten Generalates, weiland von Friedrich Hurter bis zur Unkenntlichkeit 
und Unkedentenheit verftiimmelt, von Ottokar Lorenz wieder zu Ehren ge: 
bracht, wird unter Gindely’s Händen (I, 287) durch Fünftliches Drehen 
und Deuteln in eine fulminante Anklagejchrift verwandelt. Um aber 
diefe Methode bis an die äußerſte Grenze feitzuhalten, wird zum Schluß 
der gefallenen Größe nach altem Brauch ein ganzer Hagel von Steinen 
nachgeworfen: „In feine nunmehrige Zurückgezogenheit,“ jagt Gindely 
u. A. (I, 305) von dem „geweiten" Feldhauptmann, „folgte ihm nicht die 
Achtung und Bewunderung zahlreicher Anhänger, denn er hatte Raubge— 
noſſen, aber feine Freunde und Verehrer gefunden." .. 

Wer wüßte nicht nach einigem Studium des Yahres 1630, welchen 
gewaltigen, . betäubenden Eindruck das Regensburger Ereigniß im ganzen’ 
faijerlichen Heerkörper und weit darüber hinaus hervorrief. Bedarf es da 
erjt noch eines Citates? „Obwohl alle diejenigen, jo vielfältige Gnaden 
von Eurer Fürſtl. Gn. empfangen, aber daß E. F. Gn. fich der ſchweren 
Laſt abgethan, fich hart betrüben, jo Halte ich doch dafür, daß es feinen 
mehr an’s Herz geht, als meiner wenigen PBerjon, denn ich gewiß Urjachen 
unzählig, die mich zu trauern bewegen, . . denn feinem Potentaten in der 
Welt werde ich lieber dienen al8 Eurer Fürftl. Gnaden.“ So jchreibt der 
ehrliche Oberjt Yohann von Götz am 6. October 1630. — „Es ift zu: 
fürderjt Gott und .. E. Fürftl. Gn. felbjt, wie männiglich bekannt, daß 
aus feinen anderen Urjachen ich mich bei der römiſch kaiſerl. Armee bis 
dato aufgehalten, als nur aus unterthäniger Affection und zu gehorjamjten 
Dienften zu E. Fürjtl. Gn. Nun ich aber vernommen, daß E. Fürftl. 
Gn. bei der Armee nicht länger fein wollen, als iſt mir's auch nicht 
rathjam gewejen, dabei zu verbleiben.” So jchrieb wenige Tage ſpäter 
Haus Friedrich von Sparr, der General-Quartiermeifter, und nahm die 
Entlafjung. — Seinem Beifpiel folgte mit vielen Anderen Oberjt Heinrid) 

9* 


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von St. Julien. — Und ganz gleichzeitig berichtet ein Vierter: .. „Die 
Herren gebrauchen das Interregnum und jegnen fich mit dem Kreuze, weil 
fie e8 haben. Ich bejorge, daß ich jonder Unglück jchwerlich aus diejer 
Gejellfchaft gerathe; die Leute find jo plump eigennützig. . . Daß Jeder 
mich ſoll commandiren und doch daneben nichts verjtehen, iſt mir unge— 
legen. Weil ich das Leben habe, verbleibe ich Eurer Fürftl. Gn. unter: 
thäniger, gehorfamer Diener — Heinrich Hol." Nur Wallenſtein's Tebhafte 
Vorſtellung vermochte den waderen Holt bei der Armee zu bleiben, was 
er mit Widerftreben verjprach, „der ganzen Hoffnung, daß E. %. Gn. nod) 
einmal fich unfer armen Berlafjenen entweder annimmt oder auch uns zu fich 
an andere Derter abfordert." . . Diejelben dringenden Wünjche äußert der 
Seneralwachtmeifter Johann Virmont v. der Neerjen, ein ebenfo braver 
Soldat: „Ich verhoffe, E. F. Gn. werden ſich Ihrer verlaffenen Lands: 
fnecht bald gnädigjt wiederum annehmen, oder ich werde des Krieges müde." 
— Nicht anders laſſen jich Eajpar von Gramb, Commandant in Wismar, 
und Feldzeugmeifter Hannibal von Schauenburg vernehmen — „In 
summa,* jchreibt Burggraf Hannibal von Dohna kurze Zeit darauf, „es 
ift bei Ihrer Majeftät Armee anjego fein Reſpect jondern die höchſte Con- 
fufion, da E. Fürſtl. Gn. uns verlaffen. Will deromegen vom Herzen 
wünfchen” u. ſ. w. — „Jetzo befiehlt Jedermann,” feufzt Oberjt Wolf Rudolph 
von Oſſa. Und ſchon in der erjten Hälfte Januar's 1631 weiß Marimi- 
lian, des Herzogs Vetter, aus Wien zu melden: „Der Fürſt von Eggen- 
berg ſchreibt mir, daß Ihre faijerl. Majeſtät und alle Ihre Räthe 
bereits erkennen, was fie an Eurer Hoheit verloren haben." — Hans Georg 
von Arnim, vor Kurzem noch Faiferlicher Feldmarfchall, nun im Begriffe, 
in ſächſiſche Dienſte zu treten, Schreibt (6. October 1650) an Oberſt Wen: 
giersfy auf die erfte Nachricht von Wallenftein’s Abdankung, es werde die: 
jelbe „in ganz Kurzem ſowohl bei der Armee als auch fonften große Alte 
ration bringen... Gewiß, Ihrer kaiſerl. Majeſtät Dienft hätte ein Anderes 
erfordert. Doc) ijt Gott der Allmächtige wunderlich in feinem Rathe.“ . . 

Haben die aufgezählten Namen, die-ich beliebig vermehren könnte, 
für Gindely fein Gewicht, jo wird er dies Anderen doc) wohl nicht ab- 
jprechen Fünnen: Männern wie Gottfried Heinrih v. Bappenheim und 
Dctavio Piccolomini. „Ich verfichere Eure Herrlichkeit,“ jchreibt Diejer 
aus Chierasco an Et. Julien, „daß id) feinen größeren Troſt auf der Welt 
empfände, als wenn ich jehen jollte, daß der Herr Herzog von Mecklenburg 
jein früheres Commando wieder übernähme. . . Ich weiß, wie viel id) der 
Leutjeligfeit (gentilezza) jenes Herrn jchulde, und bin begierig, dies durd) 
Thaten wahrer Erfenntlichkeit zu bezeugen.” — Kein Anderer aber als der 


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ligiſtiſche Feldmarſchall ift es, der fich zu jeinem väterlichen Freunde und 
Lehrer im Friedländer Haufe zu Prag in dankbarem Bertrauen äußert: 
„Eurer Fürftl. On. hätte ich dieſe Zeit hero von unferem guten Zuftand 
gern berichtet, jo jcheint aber, e8 jeien mit Eurer Fürftl. On. Perſon alle 
gute Succeß zugleich von uns gewichen. Und ob ich zwar derojelben 
methodum fleißig obfervirt, den Feind mit Macht bei Zeit zu überjegen, 
ihn nit zu verachten noch in consiliis jo vermeſſen zu fein, aufs Treulichſte 
gewarnt und demonftrirt, auf was Weiſe Eure Fürftl. Gn. durch. Ueber: 
jegung des Feindes das ganze römische Neich bezwungen und im Zaume 
gehalten haben: jo bin ich doc) dariiber mehr verlacht als geglaubt worden. 
Jetzt aber, da es zu ſpät und die Kuh aus dem Stall, befennt man, daß 
fein beijer, ja fein ander Remedium ift." . . 

Sp zeigt ſich denn Schritt fir Schritt in Gindely’s „Forſchung“ die 
baare Unhaltbarkeit, der abjolute Mangel an jenem reinen Wahrheits- 
jinn, ohne welchen eine objective Gejchichtjchretbung nicht gedacht werden 
fann. Nur feine Unzulänglichfeit vermag ihn gegen ein nod) ganz anderes 
Brandmal zu ſchützen; fie allen — die Unzulänglichfeit — kann ihn ent- 
Ihuldigen, obwohl fie durhaus verſchuldet ift, denn Gindely hatte die 
Acten und Drucdjchriften, aus denen er ſich eines Befjeren belehren konnte, 
zum großen Theil vor ſich, er brauchte nur zuzugreifen. Und damit 
qualifieirt ji) ganz von felbjt feine Methode, deren Abſichtlichkeit ſich 
nie und nirgends zu verbergen fucht, als ungeheuerlihe — —. Sapienti 
sat. Der Vorwurf, den er gegen einen der veblichiten Menſchen und 
Forſcher zu jchleudern wagt (I, 207), fällt auf ihn ſelbſt zurück. 

Wohl wäre es Pflicht, aud) über die Form des Gindely’schen Buches 
ein Wort zu verlieren. Sch will fie nur ftreifen, um eine allgemeine that- 
jächlihe Bemerkung daran zu knüpfen. Wie ein aufmerkſamer Beobachter 
unferes (dfterreichifchen) Parlamentarismus ji der Wahrnehmung nicht 
wird verichliegen können, daß die Gewandtheit in der Beherrichung der 
deutschen Sprade, die wir vor zwanzig und noch vor zehn fahren an 
tichechifchen Rednern im Neichsrathsiaale oder in der Landtagsftube auf: 
richtig anerkannt, allmälig verloren zu gehen fcheint, indem fich in deren 
deutjchen Neden wider Willen, doch immer auffälliger und ftörender das 
Idiom ihres täglichen Umganges geltend macht: jo muß ein ähnlicher Uebel- 
jtand feit Jahren auch auf literariſchem Gebiete conjtatirt werden. Unfere 
böhmischen Gelehrten tichechischer Herkunft verlernen allmälig die Fertigkeit, 
ein richtiges, gutes Deutjch zu jchreiben. Ein Beweis hiefür Gindely, defjen 
erjte Bücher in Bezug auf Stil mit Recht als beinahe tadellos angefehen 
wurden; jein Stil aber hat ſich fortwährend verjchlechtert. In feinem legten 


* 


— 134 — 


Werfe wimmelt es von Tichehismen. Wie fiir die hiftorische Wahrheit hat er 
feinen Sinn mehr für den Geijt der deutjchen Sprache. „Die Darlehen 
von Perſonen, die fih an dem Aufjtande nicht betheiligt hatten und 
zurüdbezahlt werden mußten," heißt es Band I, 25. „Von dem 
Abbruch der Braunſchweiger Friedensverhandlungen bis auf den Ab- 
marſch Waldftein’s nach Schlefien” J, 82) Klingt ebenfo gut „böhmiſch“ 
wie die Erzählung (an derjelben Stelle), daß „Tilly und Waldftein auf 
einander Anfprüche wegen der Cooperation im Kriege ftellten." 
Dffenbar weiß Gindely nicht, was das altveutiche „in die Harre“ (d. h. 
auf die Dauer) zu bedeuten Hat; er macht (I, 155) „in die Haare” und 
„im den Härrn“ daraus. Da kann es freilich nicht wundern, (II, 169) 
zu hören: „Dem Magdeburger Rath wurde je länger je ängftlicher 
zu Muthe.” Wie lange dem Nathe überhaupt „zu Muthe war,” wird nicht 
gefagt. — Und fo fommen wir nicht aus dem Staunen bis zur legten 
Capitelüberfchrift (II, 307 fg): „Die Ergebniffe der Waldfteinforfchung 
während der Jahre 1625—30.” 

Genug des Details. Wohl Niemand wird Berlangen tragen, dejjen 
mehr zu erfahren — nicht einmal Gindely. Wie aber nach alledem die 
Geſammtauffaſſung des Gegenjtandes bejchaffen, der in Gindely's 
Buche zur Darjtellung gelangen foll, ist unjchwer zu errathen. Da ijt fein 
Aufblid zur Höhe und zur Größe: nur Fleinlicher Haß und Neid, Sceel- 
juht und widrige Nergelei fommen zur Geltung! Und doch war Gin: 
dely vorjichtig genug, feine „Funde” aus den Vorzimmern der faiferlichen 
Hofburg von vornherein gegen Eines in Schuß zu nehmen (I, 11): „Une 
begründete VBermuthungen und Klatjchereien fanden bei ihnen 
feinen Raum.” Und doch kann ſogar er nicht immer leugnen, daß der 
ſpaniſche Gejandte „nur geflunfert” (I, 59); daß ein Bericht des 
päpftlichen Nuntius „an innerer Unwahrfcheinlichfeit Teidet“ 
(I, 85) oder daß Leufer und Padavin und Wahlenberg -— feine beiten 
Fundgruben — „Diesmal nicht genau genug unterrichtet find“ 
(I, 161) u. f. w,, u. . w. 

Und jo kann er auch nicht vertufchen, daß, fo oft dev von den Hof. 
Ihmarogern und Federhelden fortwährend aufs Aeußerjte befchimpfte und 
verdächtigte Feldherr und Staatsmann bei Hofe in eigener Perfon erjcheint 
oder ſich nur in deſſen Nähe zeigt, alle Verdächtiger und Schimpfer, gleich— 
wie die Fröjche im Sumpfe, plötzlich verjtummen und Wallenftein nach) 
oben wie nad) unten nicht blos ſich volljtändig klaglos zu ftellen weiß, 
jondern auch in der Faijerlichen Gunft immer nur Höher fteigt. Kaum 
hatte er, der Vielgefhmähte und Geläfterte, in der merkwürdigen Entrevue 


— 15 — 


zu Brud an der Leitha am 25. November 1626 des Kaifers Abgefandten 
fich offenbart und ihnen fein militärifches und politisches Programm ent- 
widelt, und Gindely muß gejtehen (I, 168): „Gewiß ift, daß in Wien die 
Unzufriedenheit über die Kriegführung Waldſtein's jegt ein Ende nahm.” 
— Noch widerhallte der Hof im Frühjahr 1627 von dem Gezeter, mit 
dem „alle Welt, die Freunde und Feinde des Kaifers, . . das autofratische 
Benehmen Waldftein’s, jeine Nichtbeachtung der Faijerlichen Intereſſen und 
Wünſche verurtheilte, über ihn jpottete oder klagte“ (I, 208) — fogar die 
ſchwere Krankheit, in die er verfallen war, wurde als „nur fingirt” bezeichnet 
(I, 207) und „zu jonderbaren Vermuthungen“ ausgebeutet (I, 217 fg.) — 
und Schon muß jein ärgſter Verdächtiger und Berleumder, Padavin, ſich 
gründlich jelbft desavoniren und nah Haufe berichten (I, 226 fg.): 
„Bevor Waldftein bei Hof anlangte, hat Jedermann über ihn geichimpft. 
Heute läßt Niemand mehr feine Stimme ertönen, er felbjt aber rechtfertigt 
jein bisheriges Vorgehen und beruft fid) auf die dringenden Umſtände, die 
e3 unmöglich gemacht, den Befehlen des Kaifers zu folgen, weil dies 
nur zu feinem größten Nachtheil hätte geſchehen können.“ 
— Und abermals (I, 362): „AlS Triumphator fehrte der General im 
December 1627 nad) Böhmen zurüd, angeftaunt von feinen Landslenten 
und beneidet von feinen früheren Standesgenoffen, die ihm auf Schritt 
und Tritt übel nachredeten” — richtiger: übel nachgeredet Hatten. Der 
Kaifer aber lohnte den kurz vorher als Feigling Gefcholtenen mit dem 
Herzogthun Medlenburg und dem Titel eines „Seneral-:Oberjten-Feld: 
hauptmanns, wie auch des Oceaniſchen und Baltiſchen Meeres Generalen.“ 

Sindely hat Fein Auge fir das Ganze, noch weiß er für fi) und 
jeine Zejer die Hauptmomente von dem Unmejentlichen und Bedeutungs- 
lofen zu fcheiden und klar zu machen; ev ift und bleibt vom Anfang bis 
zum Ende in der Fluth feiner famoſen Gejandtichaftsberichte gänzlich 
verfunfen. Kein Wunder, daß die mehr als achthundert Großoctav- 
Seiten feiner Publication nicht einmal ein nur ungefähres Bild der äußeren 
Kriegsbegebenheiten des beiprochenen Zeitraumes liefern, denn ebenfo wie 
über Wallenſtein's geheimfte Gedanken weiß er in der Regel auch iiber die 
jeweiligen Borgänge auf dem Kriegsichauplage lediglich aus den Wiener 
Berichten diplomatijcher Agenten gefärbte und getrübte Nachricht zu geben. 
Ich wiederhole: auch ſolche Berichte haben ihren bejonderen Werth. Wie 
irgend Einer weiß ich die unnachahmliche hiftorifche Kunſt Leopold von 
Ranke's in der Berwerthung jolcher Quellen zu jchägen, ja zu bewundern. 
Was aber Gindely hier geliefert, ift beileibe Feine Kunft, ift höchjtens ein 
Kunſtſtück, das wunderliche Kunſtſtück, ein- für allemal überzeugend dargethan 


zu haben, wie man Geſandtſchaftsberichte nicht verwerthen foll und darf, 
will man den Auf eines Hiftorifers nicht für alle Zeit verwirfen. — „Ein 
Unglüd für den Lebenden, daß er eine fiegreiche Partei ficy zum Feinde 
gemacht; ein Unglück Fir den Todten, daß ihn diefer Feind überlebt und 
feine Geſchichte jchrieb!* Nie it mir die ganze Kraft und Tiefe 
diefer Worte Schiller’s, des Hiftorifers, jo vor die Seele getreten als bei 
der Lectüre des jüngften Werkes Gindely’s, feiner zweibändigen Schmäh: 
ſchrift „Waldjtein .. im Lichte der gleichzeitigen Quellen.” Er darf ftolz 
darauf fein: er hat die gejchichtichreibenden Feinde Wallenſtein's alle über: 
trumpft; in folcher Erbärmlichkeit und Niedertracht erjchien diefer Wallen: 
jtein noch bei Keinem — Keinen. 

Ich verkenne nicht die gute Seite der Leiftung Gindely's; am Ende iſt 
auch ihr eine folche nicht abzujprechen. Es iſt ein eigenthümlicher Gejchmad, 
ſich nur mit unfauberen Dingen zu befajjen; und doch muß es wohl aller: 
wärts auch ſolche Käuze geben, denen die Arbeit zufällt, dem Schmuß und 
Roth, an dem es ja nirgends fehlt, ihre ganze Aufmerkſamkeit zuzumwenden. 
Die Sadje wird um fo [öblicher, wenn fic Einer findet, der dies Gejchäft 
aus freien Stüden und noch dazu mit ungeheucheltem Behagen verrichtet. 
Sp ijt e8 denn Gindely’3 Verdienſt um die Wallenftein-Literatur, allen und 
jeden Kehricht ilbler Nachrede, Verdächtigung und Berleumdung, der fich 
im Laufe der Fahre in den verjchiedenen zugänglichen Staatsarchiven über 
Wallenjtein’S erjtes Generalat angehäuft, in einem zweibändigen Druckwerk 
ziemlich chronologijch zufammengefchrt und der Nachwelt aufbewahrt zu 
haben, um dadurch — jo recht „ein Theil von jener Kraft, die jtets das 
Böſe will und ftets das Gute Schafft" — endlich einmal Gelegenheit zu 
bieten, die Anjchuldigungen alle der Neihe nach definitiv zu widerlegen und 
jo, wie er gewollt, mw in verkehrter Richtung, „die Wagjchale 
endgiltig nach einer Seite finfen zu machen.” Seine, richtiger feiner Agenten 
Unwahrheit — das ift das Facit — vermag zulegt ja doch, Alles in Allen, 
nur Eines zu bewahrheiten, den Ausspruch feines Helden: „Ich habe mehr 
Kriegs mit etlichen ministris als mit allen den Feinden.“ 

Wallenſtein's Sturz im Jahre 1630 war der volljtändige Sieg der 
Feinde deutjcher Größe und Neichseinheit; das geht aus Gindely’3 Publi— 
cation für Jedermann, nur nicht für Gindely, fonnenflar hervor. Ein 
Jahr genügte, den Kaifer jelbjt, der das entjcheidende Wort gejprochen 
hatte, davon zu überzeugen. Er fitgte der Stelle in dem erwähnten 
Protofoll des Eonfidenzrathes über die Entlafjung Wallenjtein’s, die auch 
der möglichen Folgen diejes Schrittes in militärischer Hinficht dachte, nad) 
Jahr und Tag mit eigener Hand die bedeutungsjchwere Gloſſe bei: 


— 137 — 


„D Jammer, das haben wir an dem unglücjeligen 17. September 1631 
vor Leipzig erfahren und erfahren's noc heute mit unverwindlichen 
Schäden!" — Undeutſch in feinem ganzen Wefen, fonnte ein Gindely nach 
mehr als dritthalbhundert Jahren die Tragweite jenes größten Yehlers 
Ferdinande'iſcher Politif nicht ermeſſen. Sein Buch iſt ein Pamphlet 
und feine Biographie; die Earicatur, die er gemalt, ijt alles Mögliche, 
nur nicht der „Wallenstein“ der Geſchichte, ift eben weiter nichts 
als — Gindely’s „Waldftein.“ 


Zu dem Gedidte Ludise und Lubor in der 
Königinhofer Handſchrift. 
Bon Dr. Joh. Knieſchek. 

Su dem um die Echtheit der Königinhofer Handichrift (Kh. HT.) 
neu entbrannten Kampfe hört und lieft man oft genug den Vorwurf, wir 
Dentfchen Tiefen uns in unferem Urtheile über jenes Werft nur von ein: 
feitig nationaler Voreingenommenheit und nicht von dem Gewichte der 
Gründe beftimmen und ftehen darum unbedingt in den Reihen der Gegner. 
Die zwei Erfordernijje, die ein befannter Slawiſt von jedem verlangt 
der die Kh. Hſ. in ihrem vollen Werthe erfaſſen will, können wir freilid) 
nicht aufweifen: nämlidy daß man tfchechiich fühlen und womöglich aud) ein 
bischen Deutjchenhaß befigen müſſe. Aber jo blindlings laſſen wir uns in 
unferem Urtheile nicht von den erjten beſten Gründen leiten, vielmehr ver- 
langen wir ihrer recht viele, je mehr deſto beſſer. Daß wir unfere Kräfte 
nicht einfegen zur Mettung eines Werkes, das von wilden Deutjchenhafje 
durchfättigt ift, das im Vereine mit andern Fälſchungen in erfter Reihe 
mit dazu beigetragen hat, den Gegenjag zwifchen Deutjchen und Tjchechen zu 
verschärfen, ijt jehr natürlich. Die Kh. Hf. hat fi als das bejte Lehr— 
buch des nationalen Chanvinismus bewährt, und eben darum will man 
unbedingt an die Echtheit der Hf. glauben und nichts hören von al den 
Gründen, die Schon im Uebermaße gegen diejelbe vorgebracht worden find.) 

Ich werde diefelben durch meine nun folgenden Darlegungen nicht 
vermehren, vielmehr will ich nur eine Behauptung Feifalifs, die derjelbe 


1) Es ift ein erfreuliche3 Zeichen, daß neueſtens jüngere tichechifche Gelehrte die 
Echtheit der Rh. Hi. mit wiſſenſchaftlicher Objectivität unterſuchen. Nur ift es 
nicht zu billigen und der Sache gewiß einträglidh, wenn zufällige belangloje 
Privatgefpräche in die Polemik gezogen werden. In wilfenfchaftlihen Fragen 
jollen nur wiſſenſchaftliche Gründe enticheiden. Anm, d. Red. 


— 18 — 


in feiner Schrift „über die Kh. Hſ.“ mehr angedeutet als ausgeführt 
hat, in ein jchärferes Licht jegen. Ich merke überhaupt, daß diefer Gelehrte 
ſchon im J. 1860 ziemlich alles vorgebracht hat, was an gemichtigen 
Argumenten gegen die Echtheit diefes Denfmales jich finden ließ, wenn auch 
vielfach nur die Nefultate feiner Forſchung hingeſtellt find ohne die Details 
der Ausführung. Die Zeit mit ihren Fortjchritten auf allen Wifjensgebieten 
beweijt immer deutlicher, daß Feifalit3 Ausführungen in den Hauptpunkten 
richtig find und daß die Brüder Jirekek in ihrer Vertheidigungsjchrift „die 
Echtheit der Kh. Hſ. Fritiich nachgewieſen“ feinen derjelben zu entkräftigen 
im Stande waren. 

Meine Erörterungen betreffen das Gedicht Ludise und Lubor oder 
„von einem berühmten Turniere“.) Wie der Titel anzeigt, will das 
Gedicht ein Kampffpiel am Hofe eines namenlofen flawifchen Fürſten 
hinter der Elbe (kndz zälabsky) behandeln. Das erjte Näthfel, das 
unlösbar dajteht, ift, daß das Gedicht in die Gejellihaft der Volkslieder 
gelangen konnte. Es ijt uns ſonſt fein Beifpiel bekannt, daß ein Ge— 
dicht jo rittermäßigen Inhaltes wie das vorliegende in ähnlicher Weife 
unter dem Volke gefungen worden und verbreitet geweſen wäre, wie etwa 
Dichtungen mythiſch- und hiftorisch-fagenhaften Gehaltes. Der jchroffe 
Gegenſatz zwijchen der Bauernjchaft und dem Ritterthume, der gerade in 
Böhmen im 13. 35. befonders jcharf in die Augen fpringt, läßt von 
vornherein den Gedanken nicht auffonmen, daß die Verherrlihung eines 
Ritters, der ſich in einem Nitterjpiele hervorgethan, auch nur von einem 
einzigen Bauern ohne Widerwillen wäre angehört worden. Aber auch in 
ritterlichen Kreiſen konnte das Gedicht nicht vorgetragen worden fein, ohne 
das jchallende Gelächter der Zuhörer zu erregen, wie Feifalif treffend jagt. 
Das Gedicht bekundet eine Unkenntuiß vitterlichen Weſens und vitterlicher 
Sitte, wie jie unmöglich bei irgend einem Zeitgenoffen der Nitter voraus: 
gejegt werden darf, Ein folcher hätte in den Fahren 1260—80 reichlic) 
Gelegenheit gehabt, die gerühmte Kunjtfertigfeit der böhmischen Ritter im 
Zurniere kennen zu lernen. Allerdings jucht der Berfafjer feine Unkenntniß 
durch vorfichtiges Schweigen und Fuge Wortfargheit zu verjchleiern, troß- 
dem aber verräth er noch in jeder Zeile feine Unwiſſenheit. 

Sp verjchweigt er den Namen des Elbefürjten (V. 3 biese druhdy 
knez zälabskf, es war einjt ein Fürſt jenjeits der Elbe) und deſſen 
Wohnfig (V. 16 f. by se päni vöici sneli na hrad na hody velike, 

1) So überfett Feifalik „o slavnem södänie“; J. Firecek (in feiner Ausgabe der 

Grüneberger und Kgh. Hfch. vom Jahre 1879) „das feitlihe Rampfipiel“. Ich 

werbe unten nachweiſen, daß beide Ueberjegungen falich find. 


— 139 — 


daß fich all die Herren verfammeln auf der Burg zu großem TFeftgelage); 
es ijt ihm unbekannt, daß für Zurniere der Montag der geeignetjte Tag 
ift. Von den Rittern, die zu dem Feſte erjcheinen, weiß er gar nichts 
zu fagen,') während fonjt die ritterlichen Dichter gerade bei jolchen 
Gelegenheiten ihre ganze Kunſt aufboten, um die Pracht der Ritter zu 
jchildern. Bei dem Gelage werden „jonderbare Speiſen“ (V. 28 je- 
denie diva) und „Honiggetränke“ (pitie mednä) aufgetragen. Sollten 
diefe Speijen und Getränfe feine näher bezeichnende Namen geführt 
haben? Bon den einzelnen Kämpfen erfahren wir nur das Aller: 
nothdürftigfte. Unter welchen Bedingungen diefelben jtattfinden, weiß der 
Verfaſſer jedenfalls jelbjt nicht, Wenn das Feſt wirklich dichterifcher 
Berherrlihung jo würdig war, wie der Berfaffer in den Anfangszeilen 
mit vollem Munde verfündet,?) jo werden doch wohl auch die Fahrenden 
nicht gefehlt haben; denn bei jolchen Gelegenheiten fielen ihnen immer 
reihe Gaben zu. Aber auch hievon nichts. Das ganze Turnier war in 
der That zu erbärmlich, ein fahrender Sänger hätte dem beiten Helden in 
der ganzen Verſammlung, dem Lubor, nicht ein Wort des Lobes zu jagen 
vermocht. Vergebens fuchen wir in dem Gedichte auch nach all’ den Luft: 
barfeiten und Unterhaltungen, die mit einen feierlichen Turniere verbunden 
zu jein pflegen.?) Kein Sänger, fein Mufifant — ausgenommen die 
officiellen Zrompetenbläfer und Paukenſchläger — Fein Jongleure, Fein 
Seiltänzer oder anderer derartiger Künftler ift an dem ſlawiſchen Fürſten— 
hofe zu treffen. Doch dem ift nun nicht abzuhelfen: der Dichter hat uns 
dies alles verfchwiegen, wir müſſen ung damit befcheiden. 


Das Gedicht beginnt nach zwei einleitenden Verſen mit einer Scil- 
derung der Schönheit der Ludise, der Tochter des ungenannten Sfawen: 


1) J kda2 be den ustaveny Und als der beftimmte Tag da war, 
enöchu s& söm väiei päni fammelten ſich hier alle Herren 
z daloych zemi, z dalnych aus fernen Landen, aus fernen Heimats— 
vlasti gauen 
na hrad knözu na sie hody. auf der Burg beim Fürften zum Gelage. 


2) V. 1 f. Znamenajte stari mladi PVernehmet Alte und Junge 
o potkäch i o södäni von Ringen und vom Zweifampfe. 
Ich bemerke, daß Firecef in der Schon angeführten Ausgabe der Königinhofer 
Handſchrift o södäni mit „von Kämpfen“ überſetzt. Dies ift falſch. sedani 
ift singul. loc. nicht plur., ferner bedeutet sedani nicht „Kampf“ fondern 
„gweilampf”. 


3) A. Schuls, das höfifche Leben zur Zeit der Minnefinger. Lpzg. 1880, Bd. II. 
Seite 124, Aum. 3, 


— 10 — 


fürften jenfeit3 der Elbe’) Man follte meinen, es gelte die Hand diefer 
ihönen Jungfrau als Preis zu erringen, wie im Bartonopier dv. Kour. vd. 
Wirzburg (V. 16394— 17362). Dem ift aber nicht jo. Das Merkwürdigſte 
in unferem Gedichte ift, daß die Ritter nicht einmal erfahren, daß es zu 
einem Turniere gehe. Sie werden blos zu einem Feſtgelage eingeladen. 
Erit während des Schmaufens eröffnet ihnen der Fürſt den eigentlichen 
Grund der Einladung.?) Der Dichter diefer Zeilen hatte offenbar feine 
Ahnung, welche Vorbereitungen nöthig waren, um würdig auf dem Kampf— 
plaße zu erjcheinen. 

Mindeftens drei Wochen vorher pflegte man landeskundige Knappen 
auszufchiden, die die fürmlichen Einladungen an bejtimmte Berjonen bringen 
jollten. Zeit, Ort, Bedingungen, Urheber und Preis (wenn ein ſolcher 
ausgefegt war) des Turnieres mußten genau genannt werden. Das hieß 
man „den turnei schrien“.?) Der Geladene ſammelte fein Gefolge und 


1) V. 5 fl. ten (knöz) imiese deer Der Fürft hatte eine einzige 


jedinü 
sob& i väem milü vele. 
Ta dei na div sliöna biese, 
tela urostleho kräsne, 
lice jmiese ovsem biel£, 
na licech rumönci ktviechu, 
oti jako nebe jasne 
i po jejiej bielej Siji 
vlasi zlatostvüci veju, 
u prstencech skaderöni. 


Tochter, 
ihm und Allen ſehr lieb. 
Dieſe Tochter war wunderſchön, 
ſchön gewachſenen Leibes, 
Wangen hatte fie gar weiß, 
auf den Wangen blühten Roſen, 
die Augen wie der Himmel hell 
und über ihren weißen Naden 
wallten goldgläuzende Haare 
in Ringlein gelodt. 


Diefe Schilderung Hingt fehr modern! 
2) V. 15. f. Aj druhdy knöz käze 
poslu, » 
by se päni vsici sneli 
na hrad na hody velike 
V. 32. f. Rozstüpi se sila v üdech, 
rozstüpi sö bodrost v myslech. 
V ta doby kn@z vece pänöm: 
„Muiie, nebudi väs tajno, 
z kakjch priöin ste se 
sneli. 
Statni muZie! jaz cheu zviesti, 
kaci z vas mi najplzngji. 
V mir& valku müdro 


Sieh, einft gebot der Fürft dem 
Boten, 
daß fi) alle Herren verſammeln 
auf der Burg zn großem Gelage. 
Kraft ſtrömte durch die Glieder, 
Frobfinn ftrömte dur die Gemüther. 
Da ſprach der Fürft au den Herren: 
„Männer, es ſei euch nicht verborgen, 
aus welchen Urfachen ihr euch verſam— 
melt habt. 
Wackere Männer! ich will erfunden, 
wer unter euch mir am nützlichſten. 
Klng ift, im Frieden für den Krieg 
2däti, bejorgt zu fein 
vezdy näm süsöde Nömei.“ immer find uns Nachbarn die Deutſchen.“ 
3) Moriz von Craon V. 623; Partonopier 19190; Ulrich von Lichtenstein 
frd. 106, 26. 


ARE 7 5 


rüftete fih. Seine Rüftung, feine Wappen, fein Helmſchmuck (diu zimierde), 
jeine Waffen, fein Streitroß, alles mußte dem vorgeichriebenen Qurnier- 
aufzuge entfprechen. Das hatte aber der Ritter nicht immer bereit. So 
plöglic) überrajcht von der Aufforderung, ſich zum Turniere zu begeben, 
wie dies in der Kh. Hſ. geſchieht, wären die deutjchen Nitter nicht in 
der Zage gewejen, in die Schranfen zu treten und dies umfoweniger, als 
fie eben ahnungslos beim jchwelgerischen Gaſtmahle ſitzen. 

Soweit uns die mhd. Quellen Aufſchluß geben, war es Sitte, nur einen 
Heinen Imbiß zu nehmen, ja es galt geradezu als ſchädlich, mit überfülltem 
Magen das Turnier zu beginnen.) In unjerem Gedichte jedoch erheben jich 
die Kämpfer nad) den Worten des Fürſten ohne Zögern und das Kampf: 
jpiel beginnt. Wiederum vermiffen wir nun die Mufterung der zum Turniere 
Erſchienenen.“) Sonft wurde immer evt fejtgeftellt, ob jeder Theilnehmer 
turnierfähig, ob feiner zur Zeit in einem unfreien Sicherheitsverhältniffe 
jtehe, ob jeder in dem vorgefchriebenen Turnieraufzuge erſchienen fei, ob 
jein Roß fräftig genug, fein Helmjchmud, feine Rüftung blank gepußt, be- 
jonders aber ob bei allen die Turnierwaffen gleich ſeien. Das alles ift in 
unjerem Gedichte übergangen. 

Nah der großen Zahl der Anweſenden zu fchließen, hätte man ein 
fejtliches Maffenturnier erwartet; denn nur hierin konnte der Ritter feinen 
perjöulichen Muth, feine Gemwandtheit und Kraft in dem günſtigſten Lichte 
zeigen, hier entfaltete er Reichthum und Pracht: es galt als der wilrdigjte 
Ausdrud vollfommener Nitterlichfeit. Auch die hiftorischen Zeugniſſe be- 
weijen, daß es ehrenvoller war, im Zurniere als in bloßen Tjoſten zu 
fümpfen.?) Zroßdem bleibt es in dem Gedichte nur beim „juftieren”. Bei- 
fpiele diefer Art find zwar nicht unerhört. So veranftaltete König Karl v. 
Anjon ein folches Turnier, das nur aus einer Reihe von Tjoſten beftand. *) 
Freilich wird da von einem emzigen Nitter bedeutend mehr geleiftet als 
von allen „Herren“ zufammen in unferen Gedichte. Im ganzen jedoch 
galt die Tjofte als dem eigentlichen Turniere untergeordnet, weniger interefjant 
und bildete zumeift die Einleitung (vesperie) oder das Nachipiel zum 
eigentlichen Turniere. 

1) 2eral, Turnei von Nantheiz 287 f.: Die ritter algemeine äzen ouch ein 
eleine, als in das was gebaere. — Meleranz 9652: Nu was bereit dem 
werden man ein kleiner imbiz zehant. Den tisch er gerihtet vant; der 
degen vil vermezzen wolt ein wênie ezzen an denselben ziten. Vergleiche 
Schulz a. a. O. I. 116. 

2) Vergleiche Felix Niedner das deutihe Turnier, Berlin 1881. ©, 74. 
3) Niedner a. a. D. ©. 58. 
4) Schul a. a. O. II 110. 


— 142 — 


Im Frauendienfte Ulrich v. Tichtenftein (77, 25) wird das „tioftieren“ 
den geiftlichen Herren jchon langweilig und man bejchließt nun ein feier- 
liches Turnier zu veranftalten. Eben deshalb nun, weil die Tjoſt als 
minderwerthig galt, weil jte jo jelten bei ritterlichen Feitlichkeiten allein für 
ji, ohne nachfolgendes Turnier geübt wurde, ift es unerklärlich, daß ein 
Dichter diejelbe als die höchite Leiftung der Waffentüchtigfeit verherrlichen 
konnte. Der Slawenfürft will übrigens erfunden, wer ihm im Falle eines 
Krieges die beſten Dienfte leiſten könnte; da wäre hoch gerade das Maſſen— 
turnier, das dem wirklichen Kampfe am meiften ähnlich war, am geeignetjten 
gewefen, die Zrefflichfeit der Kämpfer zu zeigen.) Wir werden übrigens 
noch jehen, daß der ung vorgeführte Kampf weder ein Turnier im engeren 
Sinne, no eine Tjoſt war: im gelommien Turnierwefen läßt jich nichts 
Analoges aufweisen. 

Der Kampfplag befindet ji in unſerem Gedichte außerhalb * 
Burg auf einer Wieſe. Der Fürſt ſammt ſeinem Gefolge, die Fürſtin mit 
den Edelfrauen und Ludise mit den Jungfrauen ſehen von einem Balkone 
(pavlac) zu. Unklar ift, wie die Zeile 48 zu verjtehen ift: „Vz vySina 
pavlali kräsne* (oben in der Höhe auf einem ſchönen Balkone). Es drängt 
ſich der Verdacht auf, daß der Verfaſſer feine rechte Vorjtellung von der 
Einrichtung einer Burg hatte. War der Balkon etwa an der Außenwand 
der Burgmauer und nod dazu jo groß, daß der Fürft, die Fürftin 
und Ludise und das Gefolge alfer drei Perſonen?) darauf Platz gehabt 
hätten? Das wäre wieder etwas ganz neues. Sonft ijt derjelbe, wenn er 
ja vorhanden war — was jelten genug vorfam — im Hofraume der 
Burg angebracht.“) Dder ijt etwa unter „pavlac“ eine tribinenartige Er- 
höhung in der Nähe des QTurnierplages zu verftehen? Danı wäre aber 
der Zweck derjelben nicht einzufehen; denn viel bequemer ließ fich ja das 


1) Bergl. Schulg a. a. ©. II, 94: „Ein Turnier ift immer in erfter Linie eine 
Waffenübung. ... . Es kommt den Rittern darauf an, fi) in dem Lanzen— 
fampfe, im Schwertgefecht, vor allen in der Behandlung des Streitroffes zu 
üben, fi) zu gewöhnen, auch im Kampfe die Laft der Rüftung und der Waffen 
zu ertragen, ſich für die ernfte Feldſchlacht vorzubereiten.“ 


2) V. 48 f. Vz vysi na pavlali oben in der Höhe auf einem jchönen 
kräsne Balcone 
sede knöz se starostami aß der Fürft mit den Aelteſten 
sed& knieni s zemankami ſaß die Fürftin mit den Edelfrauen 
i Ludise s d&vicemi und Rudise mit den Mädchen. 


3) Un der Außenwand waren zur Vertheidigung bejonderd gefährdeter Stellen 
der Mauer höchſtens Keine Erker (moucharabi) ausgebaut. Vergleihe Schulz 
a. a. O. 12%. 


— 13 — 


Kampfſpiel verfolgen von der Plattform der Mauer, von den Binnen, den 
Tenftern des Palajtes und den Thürmen der Burg, da ja das Turnier, 
wie ausdrüdlich hervorgehoben wird, „vor der Burg auf weiter Wieſe“ 
jtattfand. 

Der Kampf beginnt. Ganz gegen jeglichen rittermäßigen Gebraud, 
begeben jich die Streiter zu Fuß auf den Kampfplag und führen ihre 
Rofje. Jedesmal wenn einer zum Kampfe vorgerufen wird, bejteigt er erjt 
jein Pferd.) Wie wir jedoch aus deutjchen Dichtern wiljen, war gerade 
der Aufzug zum Turniere befonders interejjant: „Die Knappen riefen vor 
ihnen her „Platz da”, die Herolde (kreiirer) begrüßten mit lautem Zurufe 
erprobte Kämpfer". ?) 

Dren erſten Kämpfer bejtimmt der Fürſt, den zweiten die Fürſtin, 

den dritten die Tochter. ?) Diefer Vorgang ift wieder unerhört. Sonſt 
pflegte der Muthigfte vorzutreten und feinen Gegner herauszufordern. Aud) 
fünnte man fragen, warum gerade nur diefe drei „Herren“ aufgerufen 
werden. Der Fürſt will doc nach V. 37 f. erfunden, wer ihm im Kriege 
am nüglichften fein wide. Stkebor und Srpos haben je einen, Lubor 
drei Gegner, im ganzen treten aljo nur 8 Mann in Thätigfeit. Die große 
Menge der Hebrigen mußte ſich mit dem bloßen Zufchauen begnügen. Ein 
jo ärmliches Stechen verdient nur im ironischen Sinne das Attribut 
„slavny“. Ebenſo auffallend wie diefe Nöthigung zum Kampfe von Seite 
der fürftlichen Familie ijt die Herausforderung des Partners. 

In V. 55 fordert Stiebor den Ludiſlav umd diefer muß in die 
Schranken treten. Ebenfo gejchieht es V. 69, wo Srpos den Spytibor, 
V. 87, wo Lubor den Bolemir, dann V. 97, wo er den Rubos aufruft. 


Die einzig gebräuchliche Form der Forderung finden wir in V.105—7: 


Lubor na zemany zyva: Lubor fordert die Edlinge: 
„Kto s& chtéjü se mnü biti, „Ber mit mir fich Schlagen will, 
töm v ohradu sömo jeti.“ der mag her in die Schranken reiten.“ 
1) Qal. V. 55—57 J käze knöz na Und der Fürft weift auf St. 
Strebora, 
Strebor Ludislava zyva St. fordert den 2. 
Vsedasta oba na kon& beide beftiegen die Roſſe. 


In derfelben Form ehrt die legte Zeile wieder V. 70, 88; ganz ähnlich 
V. 98 und 112, 

2) Schul; a. a. O. I. 117. 

3) V. 53 wie auch V. 66 und 84 enthalten einen logischen Unfinn. Was foll das 
heißen: „Welche (als die erften!) zum Turniere wollen, die werde ich be— 
ſtimmen.“ Jirecek hat der Stelle in feiner Ueberfegung dadurch aufgeholfen, 
daß er „chtie* mit „jollen“ wiedergab, 


—— 


Nach Ritterſitte ſtand es jedem frei, eine Forderung anzunehmen 
oder auch abzulehnen. 
V. 57 f. heißt es: 


Vsedasta oba na kong, Beide beftiegen die Roſſe 
vzesta drévce ostrü hrotuü.') nahmen Schäfte mit zwei ſcharfen Spiten. 


Ueber den erjten der beiden Verſe wurde jchon oben gejprochen, der 
zweite enthält wieder einen argen Verftoß gegen die ritterlihe Sitte. Nach 
den Worten des Fürften (V. 35 £.) joll doch nur ein Kampfipiel abgehalten 
werden, um jo auffallender ijt e8 nun, daß mit ſcharfen Waffen gekämpft 
wird.?) Gerade die ftumpfen Waffen find Haupterforderniß bei jedem 
Turnierfpiele. „Der Turnierfpeer muß unjchädlich, d. h. ohne Spike jein; 
er heißt dann auch „Schaft" “ar 2Soyn» im Gegenjaß zu „Speer" und 
läuft nach vorne in mehrere Zaden, das Krünlein, aus." ?) Nur in einem 
Turniere „ze ernste“, d. h. gegen Feinde wurden fcharfe Waffen ver: 
wendet, fonjt war auf eine gefährlichere Verlegung des Gegners durch 
Speer oder Schwert Buße geſetzt.“) In unferem Gedichte tragen übrigens 
die Kämpfer auch fcharfe Schwerter. Es läßt ſich dies aus den Verſen 
100 und 125 f. fchliegen. An erfter Stelle haut Lubor den Speerjchaft 
mit dem Schwerte entzwei, an zweiter jpaltet Zubor den Helm Zdeſlaws. 
Auch dies ift turnierwidrig; die Schwerter mußten ſtumpf jein, geeignet 
höchſtens Beulen zu fchlagen aber nicht Wunden. ?) 


Auf das Unfinnige in V. 59 und 60 hat bereits Feifalik (a. a. O. 
©. 52) hingewiefen: 


„prudko protiv sob& hnasta, „Hurtig rannten fie gegen einander, 
dlüho spolu zäpasista, lange rangen fie mitfammen, 
ez dirövce oba zlämasta.“ bis beide die Schäfte zerbrachen.“ 





1) ostrü hrotü ift dual. Wie foll man fich die Form des Speered denken? Hatte 
etwa der Schaft vorne und rückwärts ein Speereifen? Firecel überjegt „mit 
iharfen Doppeljpigen“; das ift eben jo unflar. Gewöhnlich war die Spiße 
dreifantig an zwei Seiten Scharf geichliffen. Der Dichter verräth auch hier 
feinen Dilettantismus, cr fannte weder die Geftalt eines Kampf: noch eines 
Turnierſpeeres. 


2) Dreimal, immer zu Beginne eines neuen Waffenganges, werden die ſcharfen 
Lanzenſpitzen erwähnt; ſo V. 58, 71, 89. 
3) Niedner a. a. O. 79. 


4) In dem Turniere, das König Karl von Anjou zu Neapel abhalten läßt, 
wurde als Geſetz beobachtet, daß wer des Andern Pferd mit der Lanze ver— 
letzt, den abgeſchätzten Werth des Roſſes bezahlen muß. Schultz a. a. O. II. 111. 

5) Vergl. Schultz a. a. O. U. 113 und Aum. 2. 


— 15 — 


Wie ift es möglich, ſolange mit den Speeren zu ringen, bis fie zer: 
brechen? Die Gegner fprengen doch im Galopp am und ftürmen mit 
verhängten Zügeln auf einander los. Nun find doc) nur folgende Fälle 
möglich: entweder treffen fie ſich und die Lanzen zerjplittern ſofort; dann 
wird mit anderen Speeren ein neuer Gang begonnen. Oder einer der 
Gegner hält nicht ftand und wird abgeftochen; dann it der Kampf zu Ende, 
Ein langes Ringen mit den Speeren iſt ſinnlos. In dem Gedichte aber 
ift auch durch das „lange Ringen” feine Entjcheivung herbeigeführt; denn 
nachdem die Lanzen gebrochen, fchleichen beide ermidet vom Plage, Waren 
die Speere beider Kämpfer gebrochen, ohne daß einer auf den Sand ge- 
worfen war, jo brachten die Kappen neue und die Kampfestouren mußten 
jo oft wiederholt werden, bis einer befiegt war. Einen einzigen Speer zu 
verjtechen und ermüdet vom Plage zu weichen, wäre eine vecht erbärmliche 
Leiftung in den Augen der Ritter geweſen. 

Im Kampfe zwifchen Srpos und Spytibor hebt erjterer diefen gleich 
beim erjten Gange aus dem Sattel. Man jollte nun meinen, daß hiemit 
der Kampf zu Ende wäre; denn wenn blos einer der Kämpfer abgejtochen 
war, jo war die Tjoſt mit dem Speere allein entjchieden.”) Schwert und 
Ringkampf find nach Nitterfitte nur dann zuläffig, wenn alle Speere ver- 
jtochen find oder wenn einer durch Zerjtoßung des Sattelriemens auf den 
Sand geworfen ift, oder wenn fich beide gegenjeitig vom Roſſe geftochen 
haben. Trotzdem jedody fchwingt fi) Srpos rajch aus dem Sattel, beide 
ziehen die Schwerter und jchließlich bleibt jogar noch der jchon bejiegte 
Spytibor Sieger, indem er Srpos mit dem Schwerte zu Boden jchlägt. 

Als drittes Baar treten Lubor und Bolemir in die Schranfen. Bole- 
mir wird gleich) im erjten Anvennen geworfen, die Knechte müſſen ihn aus 
den Schranfen tragen. Der Sieger läßt es ruhig gefchehen, ohne von dem 
Beſiegten „Sicherheit" zu verlangen. Sein nächſter Gegner ift Rubos. 
Diefer rennt ihn fofort an, ohne überhaupt zu warten, bis er kampf 
bereit ift. Lubor muß fi mit dem Schwerte vertheidigen.*) Freilich 
bleiben wir im Ungewifjen darüber, warum er nicht die Lanze gebraucht. 


1) Nieder a. a, O. ©. 39 und Schulg a, a. ©. II. 107, f. 


2) V. 98—103 Rubos rütd na kön 
vskoti, 


R. ſprang raſch auf das Roß, 


prudko na Lubora Zene. rannte hurtig gegen X. . 
Lubor kopie melöm prete, 8, hieb mit dem Schwert die Lanze 
entzwei, 
kröpce v helm mu vrazi ſchlug ihm kräftig auf den Helm 
räanu, eine Wunde, 
Rubos vazem s konö spade. R. fiel rüdlings vom Pferde. 
Mittheilungen. 25. Yahrg. 2. Heft. 10 


— 16 — 


Da er den vorigen Gegner aus dem Sattel gehoben hat, jo dürfte 
wohl fein Speer ganz geblieben fein. Wenn dies wirklich der Fall war, 
jo läßt fih nur annehmen, daß Lubor den Speer fortwarf und das 
Schwert zog. War jedoch der Speer zerjplittert, fo war es nad) den 
Turniergefegen für Rubos unbedingt Pflicht, zu warten, bis der Gegner 
neu gerüftet war. Diefe Kampfesweife, wie fie in unferem Gebichte 
geiibt wird, kann im ernjten, blutigen Streite am Plage fein, niemals 
jedody im Turnierſpiele. Mag ji) der Dichter die Sache wie immer vor- 
gejtellt haben: jo viel ift gewiß, daß er feinen Begriff von einem ritter- 
mäßigen Turniere hatte, da er die beiden Gegner mit ungleichen Waffen 
kämpfen läßt. Ein Schwertfampf zu Roſſe war überdies etwas ganz 
ungewöhnliches und Wolfram v. Ejchenbach conftatirt im Parcival 263, 13 
einen folchen Fall ausdrücklich als Ausnahme von der ritterlichen Aegel.') 


Als dritter und letzter Gegner erjcheint Zdejlav auf dem Plage. 
Feifalik hat bereits auf den lächerlichen Aufzug diejes Ritters hingewiefen. °) 
An jeiner Lanze weht ein Fähnlein mit einem Ochſenkopfe geziert (vielleicht 
war es gar fein Wappen); er brüftet fich erſt kindiſcher Weije mit 
der Heldenthat feines Großvaters (l), der einen wilden Ur erjchlagen, dann 
mit dem allerdings größeren Verdienfte feines Vaters, der die Deutjchen 
vertrieben hat. Hierauf rennen die beiden Gegner mit den Köpfen zufammten (!) 
und jtürzen in Folge dejjen von den Nofjen.?) Daß die Roſſe mit deu 
Brüften aneinanderprallten, wenn die Speere zerjpellten und der Stoß 
noch nicht gebrochen war, mag oft genug vorgefonmen fein; *) ganz un: 


1) Bergl. Nieder a, a, O. 39, 
2) a. a. O. 6.58. | 
3) V. 110--19 Vytte Zdeslav dlühe 3. redte feinen langen Schaft empor, 


drevce, 
ina drövei turi hlava. und auf dem Schafte war eines Urs 
Kopf. 
Vskodi na ors jarobujny, Er jprang auf fein muthiges Roß, 
hrdivfmi slovy vece: ſprach mit üppigen Worten: 
„Prad&d möj zbi diva türa, „Mein Großvater erlegte den wilden 
Ur, 
ot&ik zahna Nömcev sbory, mein Vater verjagte der Deutichen 
Schaaren, 
zkusi Lubor erabrost moju !* erproben wird L. meine Tapferkeit.” 
J tu protiv sob& hnasta, Und da jagten fie gegen einander, 
hlavama v sebe vrazista, rannten mit den Köpfen zuſammen, 
aj oba s koniü spadesta. und beide ftürzten von den Pferden, 


4) Schultz a. a. O. I, 111. 


— 147 — 


begreiflich aber ift’s, wie die Neiter mit den Köpfen zujammenvennen 
fünnen. 

In dem Kampfe, der nun zu Fuß fortgefegt wird, jpaltet Lubor und 
Zdeſlav den Helm und jchlägt ihm das Schwert aus der Hand, daß es 
über die Schranfen fliegt. Zdejlav wirft fich bejiegt zur Erde, Lubor 
läßt fich aber wieder feine Sicherheit geben. 

Hiemit ijt der Kampf zu Ende und Lubor empfängt aus der Hand 
der Fürftentochter al Siegespreis einen Kranz aus Eichenlaub. | 

Ueberbliden wir das ganze Gedicht, jo müſſen wir geftehen, daß 
der Verfaſſer nicht den allernothdürftigjten Begriff von dem mittelalterlichen 
Zurnierwejen bejaß. Wir haben gejehen, daß nahezu jede Zeile einen Ver: 
jtoß gegen die Ritterjitte aufweiit. J. Jirecek!) freilich will ganz etwas 
anderes als ein vitterliches Kampfjpiel in dem Gedichte finden. Nach 
jeiner Anficht handle es fi um ein „heimatliches Kampfjpiel”, das aus 
den ottesurtheilen hervorgegangen wäre, und jo ließen ſich danı die 
Widerjprüche mit der Ritterfitte genügend erklären. Es ift nöthig auf diefe 
Ausführungen näher einzugehen. 

©. 141 der unten angegebenen Schrift jagt Jirecek: „Wir ftehen 
nicht an, Herrn Feifalit Necht zu geben, wenn er jeden Zug, ja fajt jedes 
Wort als einen Verſtoß gegen die Turniergebräuche bezeichnet, derart daß 
der Nachweis davon allein eine umfangreiche Brochüre ausmachen würde, 
Nur dem Schluſſe, welchen er daraus zieht, können wir nicht beiftimmen. 
Wenn das in dem Gedichte gejchilderte Kampfjpiel vom Turniere in allen 
Stücden fo wefentlich abweicht, jo folgt daraus nichts mehr und nichts 
weniger, al8 daß es eben fein Turnier, fondern etwas vom Turniere 
durchaus verjchiedenes iſt.“ Diefer Schluß wäre allerdings ganz richtig — 
wenn die Echtheit der KH. Hſ. erwiejen if. Da dies jedoch nicht der 
Fall ift, jo ift eine joldhe Folgerung ganz ſinnlos. 

Jirecek behauptet,*) das mhd. Wort turnei heiße im Tſchechiſchen 
entweder klänie oder kolba oder turnej; sedäni aber bedeute ſowohl den 
ernjten gerichtlichen Zweikampf wie auch die Vorübung zu demjelben, fo 
daß es alfo etwa mit „Zweifanpfjpiel” zu überjegen wäre. Die Beweis 
führung ift ſehr Schwach und die Sache wird nicht gerettet: das Mert- 
würdigte in umferem Gedichte, daß in einem Spiele mit ſcharfen 
Waffen gefämpft wird, bleibt unerflärt. 

„Bor allem ſteht feſt,“ jagt Jiretek a. a. DO. ©. 131, „daß man 
im 13. und 14. Ih. das Turnier nie södänie, fondern entweder turne) 

1) Die Echtheit der Kh. Hi. ©. 122 f. 
2) A. a. O. S. 181. 
10* 


— 18 — 


oder mit einem flavifchen Worte klänie (kolba, kol) benannte”. Die erjte 
Hälfte des Eages iſt richtig, die zweite falfch. Sedänie bedeutete weder 
im 13. noch 14. noch zu irgend einer Zeit „Turnier“ — ausgenommen 
bei dem Verfaſſer der Rh. Hſ. Ebenfowenig aber ijt kolba oder kol 
dasjelbe wie kläani oder turnej. Ich führe ein paar Stellen au, die un— 
zweideutig darthun, daß zwifchen kolba (kol) und turnej ein Unterjchied 
beitand. In Welejlavins Historicky kalendär !) heißt es: „honby, kolby, 
turnagowe a gine kratochwile rytjrsk&“, ein andermal „honby, kolby, 
turnagowe prowozowäny“; ebenjo in Karions Kronika sweta herans- 
gegeben von Welejlavin „strogil turnage, kolby a rytjiske kratochwjle* ; 
in der tichechifchen Ueberjegung der Kyropädie von Abrah. v. Gilnterode 
werden ebenfall3 „kolby, turnage a gine hry rytjiske“ erwähnt. Ueberall 
finden wir kolby neben turnagowe bejonders genannt, was doch über- 
flüſſig wäre, wenn beide Begriffe identisch wären. 

Was bedeutet alfo kolba? Eine Stelle bei TH. v. Stitne in den 
knihy uteni krestanskeho (Vybor I, 738) gibt uns Aufihluß. Sie 
lautet in woörtlicher Ueberjegung: „Yon der Kurzweile der Ritter nun 
würde ich gerne etwas jchreiben, aber der Menjchen Groll ijt jo groß ge- 
worden und hat unter ihnen alle Liebe erjtickt, daß ich fürwahr dazu 
nichts jagen kaun. Denn wenn fie auch die Kurzweil in guter Gefinnung 
beginnen, jo wandelt die Leute ihre Gefinnung eher zum Schlechten als 
zum ©uten.?) Und ich jage nichts von der Ueppigkeit, die fie eutwideln. 
Aber fie zeigen diejelbe jo, daß alles wahrer Hochmuth oder Unzucht 
wird, wie wir das in den Tänzen oder in der „kolba“ jehen. Darum 
richte fich jeder ſelbſt! ch kann nicht gut veden von dieſer weltlichen 
Kurzweil. Bon den Turnieren (o turnejich) fürwahr jage ich, daß dieje 
Kurzweil gar nicht Kurzweil heißen joll. Darum hat die Kirche die Tur— 
niere verboten und wenn einer im Turniere kämpft und da Schaden 
nimmt, jo joll er, wenn ihm auch die Beichte oder der Leib Gottes zur 
Buße gegeben ift, doch nicht bei den Heiligen begraben werden, weil ex 
das Kirchengefeß nicht gehalten Hat. Und wenn irgend SPriefter oder 
Mönche einem folchen ein Begräbniß geben, jo thun fie das entweder aus 
Geiz oder aus Furcht, indem fie jchmeicheln. Und das hat die Kirche 
deshalb verboten, weil die Leute einen folchen Uebermuth bezeigen und 


1) Ich citire nad) Jungmanns Lericon. 

2) Auch im deutſchen Turnierweſen fam es oft vor, daß ein friedlid; begonnenes 
Turnier durch den Zorn der unterliegenden Parteien eruften Charakter an: 
nahm. Man focht dann mit ſcharfen Waffen. 


— 19 — 


zwar mit jo großem Aufwande, weshalb mancher da alles verliert, was 
er hat, und mancher da den Tod findet. Und daß die „kolba“ eine 
ebenfo jchlimme Sache tft oder gar eine jchlimmere als das Turnier, 
das kann ein jeder jehen, der es merken will. Denn die Ueppigfeit 
ijt hier noch größer und doch nicht jo nothwendig wie jie im Turniere 
wäre, wenn dies nicht verboten wäre. Denn im Qurniere lernt der 
Menſch, wie einer fi in ernſter Schlacht an feinem Plage benehmen 
jol. Aber in der „kol* ijt nicht ein Rüftungsftüd, das zum 
Kampfe nüglich wäre Darum wäre e8 gut für die Fatholifche 
Ritterichaft, fi an den kirchlichen Gehorfam zu halten und fo zu furz- 
weilen, daß die Kurzweil nicht fchädlich wäre. . . .. # 


Aus diejer Stelle ift mit Sicherheit zu erjehen: 
1. Daß „turnej“ ganz gleichbedeutend ift mit dem mhd. „turnei“ und 
das Kampfjpiel und die gefammte damit verbundene Feſtlichkeit bezeichnet.*) 


2. Daß „turnej“ verjchieden ift von „kolba* oder „kol“. Diefe 
Ausdrücde bezeichnen, wie es oben heißt, ein Kampfipiel, in dem „gar 
fein Rüftungsftüd, das zum Kampfe nütze wäre" angelegt wird. Das ijt 
aber nur im „bühurt“ der Fall. „Es ift dies ein Neiterfchaufpiel; wenn 
auch mit Speeren geftoßen, mit Schilden der Stoß parirt wird, die 
Waffen mußten gänzlich ungefährlich fein, da die Nitter ohne Rüftung an 
diefer Mebung theilnahmen."*) Hauptfache hiebei war, daß man möglichft 
gejchloffen aufeinander Tosritt. 

Unrichtig iſt ferner die Anficht Jireteks, daß kläni (verb. kläti 
1. pers. koli) nur der tjchechifche Terminus für das dentjche Wort „turnei“ 


1) So wird aud das Eilhartifche „tornei“ (ed. Richtenftein V. 1335) im tſche— 
chiſchen Zriftram (star. skläd. IV. ©, 44, 15) durch „turnag“ wiedergegeben. 
Auch Dalimil jagt „na turnege gezditi* (auf Turniere fahren). 

2) Schultz a. a. O. II, 96. Als Belegftelle ift hier angeführt Wigalois p. 230, 

27 (ed. F. Pfeiffer) „ez were worden ein turnei, hieten sie ir harnasch 
gehabet*. Wichtig ift auch der Bericht Giflebertug (Chron. Hanon. 1184) über 
das große Hoffeft, das Kaifer Friedrich zu Mainz veranftaltete. „Am Montage 
und Dienftage nach dem Frühmahle fingen die Söhne des Kaiſers an, im 
Kreife zu reiten, und in dem Kreiſe waren nach einer Schätzung 20,000 Ritter 
oder mehr. Der Kreid war aber ohne Waffen; die Ritter ergößten ſich 
daran, die Schilder, Speere und Banner zu tragen und ihre Roffe zu tum— 
meln.“ (Schul a. a. D.) Wenn e8 bier heißt, die Ritter feien „ohne Waffen“ 
erichienen, jo find matürlih die fampfesmäßigen Waffen gemeint, wie Die 
gleich folgenden Worte darthun. So find auch die oben citirten Worte aus 
Stitne aufzufaffen. 


— 150 — 


jei. Auch diefe beiden Begriffe (turnag und klänie) werden deutlich von 
einander unterſchieden. Ich ziehe zuerjt die wichtige Stelle aus Smil 
Flasfas Nova rada bei.!) Das Pferd (kuon) ertheilt dem nenen Könige 
den Rath: 


k tomu se möj wzdy wesele: Daran halte dich immer fröhlich: 
tanec, turnej, &ast& klänie Tanz, Turnier, häufiges „kläni“ 
szowa kräsne panny i panie ergött Schöne Jungfrauen und Frauen. 


Daran erfrene ſich dein Herz. In feiner weiteren Rede fchildert es 
die ritterlichen Kampfipiele genauer, u. 3. zuerſt des ritterlichen Turnieres 
(rytiefsky turnej). „Bier kann man in herrlicher Rüftung, von Gold und 
Kleinodien jtrahlend erjcheinen. Und wenn danı die Rotten aneinander: 
pralfen, da gibt es ein Schaufpiel! der wird vom Pferde gejtoßen, der 
andere gequetfcht, dem wird die Wange zerjchunden, jenem die Zähne ein- 
geftoßen, dazwiſchen ertünen die Rufe „reta, reta!“ In ſolch einem ritter- 
lichen Turniere da vollenden manche ihren Willen. Darnach joll dein 
Herz, o König, fich ſehnen.“ „Dann ſei auch," fährt das Pferd weiter 
fort, „auf dem Plane, wo deine Ritterfchaft „koli“. Ueberall ertönen 
Hörner, mancher jchreit nach neuen Lanzen. Furchterwedend ijt das 
Donnergefrache jplitternder Speere. Das fei dein Vergnügen und dazıı 
rüſte dich immer fröhlich." 

Daß kläni etwas anderes bezeichnet als turnej, beweift in diefer 
Stelle einmal die ausdrüdliche Erwähnung desjelben neben „turnej*, dann 
die gejonderte Schilderung beider Kampfipiele. In dem Gedichte Kral 
Premysl Otokar a Zävi$ (Vyb. II, 442) treffen wir gleichfalls die Unter: 
ſcheidung beider Wörter. Es heißt hier: „i u@ini hody velike, turnej, 
kläanie velike*. Auch in der Stelle starob skläd. III, 204 „genz tur- 
nagew nebo klänie hledagj*, bezeichnet die Conjunction „nebo“ nicht die 
Berjchiedenheit des Ausdrudes für denjelben Gegenftand, jondern die Ber: 
Schiedenheit der Sache. Unbegreiflich ift, wie Sirelet (a. a. O. ©. 131) 
ichreiben fan „Dalimil, fiir den ritterlichen Sprachgebraud) am Ende des 
13. und am Anfange des 14. Yahrhundertes unftreitig der bejte Gewährs— 
mann, gebraucht nur „klänie“ als gleichbedeutend mit „turnej“. Dem 
Hoger von Friedberg fchreibt er die Einführung der Turniere mit folgenden 
Worten zu: on klänie do Cech pfinese, tiem chudobu v zemiu vnese; 
jechu s& v turnej jezditi." Gerade diefe Stelle beweift, daß ein Unter: 
ſchied beftehen müſſe zwiſchen turnej und klänie, fonft hätte er nicht beide 


1) Vybor J S. 873. Die neue Ausgabe von Gebauer habe ih momentan nicht 
bei der Hand, 


— 11 — 


Ausdrüde neben einander angeführt. klänie (kläti, koli, urfpr. ich fteche) 
bedeutet eben nichts anderes al8 das Stehen zu zweien, aljo das 
mhd. tjost (juste oder tjostiure), ein Kampfſpiel zu Roſſe zwischen 
zwei Gegnern. So läßt jih auch die aus Dalimil angeführte Stelle gut 
erflären. Als einzelne Perſon kann Hoger v. Friedberg nur iu einem 
klänie, einer tjost, auftreten. Er erweckte hiedurch die Vorliebe der böh- 
mischen Nitterjchaft für diefes Kampfſpiel und die Folge davon war, daf 
jie auf Turniere zogen. Noch deutlicher läßt eine Stelle aus der Legende 
von den 10.000 Rittern (Vyb. IL, 14) die Verjchiedenheit beider Kampfes— 
arten erkennen. Sie lautet: „budüli (na$e sluhy) v bojich kdy ve zlych 
prihodäch nebo v turnejich neb v kterem ve zlem potkäni nebo v 
dobrovolnem kläni* (wenn unfere Diener in Kämpfen je in jchlimmen 
Lagen oder in Turnieren oder in einem böfen Zuſammentreffen oder in 
friedlicher Tjoſt jich befinden). Es ſind auch hier die vier Begriffe boj, 
turnej, zl& potkäni und dobrovolne klänie ausdrücklich nebeneinander 
gejtelft. Im Triſtram (starob. sklad IV, 240) wird erzählt, daß an dem 
Hofe des Königs Artus die Gewohnheit herrichte, daß die Nitter auf 
aventiure anszogen, und wer ihnen begegnete, der mußte, ob er wollte 
oder nicht, mit ihnen fechten (u&initi hnänie) und eine vitterliche Tjojt mit 
dem Speere beftehen (a rytierske s kopjm klänie); alſo immer zu zweien. 

In Martimians historia Yjmska jteht ausdrücklich „kläwali 
spolu, jie tjojtierten mit einander“. Ebenſo deutlich ſpricht eine andere 
Stelle aus Dalimil. Da wird der Nante des Neklan erklärt, „Ze ho 
s kon& nikdy nekläli bechu, daß ſie ihn nie vom Pferde geftochen (in 
der Tjoſt)“. Ebenda heißt es ferner von Koh. v. Micjelsberg: „tehdy 
pan Jan z Michalovic kole po Rynu az do Parize jede; tu ctn& klav 
se ctiü domöv pfijede, der Herr Joh. v. Michelsberg zog am heine 
hin tjoftierend und fuhr bis nach Paris; nachdem er hier mit Ehren tjojtiert 
hatte, fam er mit Ehren nach Haufe." In gleichem Sinne it das Wort 
zu verjtehen, wenn derjelbe Ehronift von Smil fagt: „Smil kläniem doby 
kapra £rneho, ©. erwarb fich durch Zjoftieren einen jchwarzen Karpfen“. 
Wir haben uns dieſe Ritter auf ähnlichen abenteuerlihen Turnierfahrten 
zu denfen wie Ulrich v. Liechtenjtein. 

Wie im eigentlichen Turniere „ze schimpfe* oder „ze ernste* 
gefämpft wurde, jo war natürlich auch in der Tjoſt ein freundliches oder 
feindliches Zufammentreffen möglich und auch üblih. In der oben ange 
führten Stelle aus der Legende von den 10.000 Rittern ift ausdrüdlich die 
Rede von einem „dobrovolnem klänie, freundlichen oder friehlichen Zu- 
jammentreffen”. Der Gegenſatz hievon ift „klani s ostrfm*, wie es 


in dem Volksbuche von Stilfrid (Vyb. IL, 40) heißt. „J jel jest po 
rozliönych zemiech na krälovske a na knieZecie dvory a nikdeZ sob6 
rovni nenalezl v udatenstvi a v kläni s ostrym (er fuhr durch ver- 
jchiedene Länder an die Könige: und Fürftenhöfe und fand nirgend 
Leute, die ihm gleich an Tapferkeit und Zjojtieren mit jcharfen Waffen). 
Ebendaſelbſt S. 43 fehrt der Ausdrud wieder. Symforian vuft dem 
Stilfried zu „smieli se s nim ostrym potkati, ob er mit ihm im Exnfte 
(eigentl. mit jcharfer Lanze) kämpfen wolle.” In demfelben Sinne heißt 
es am Schluſſe des Gedichtes, das uns den Gerichtsfampf zwijchen Rudolt 
von Kosic und Venek erzählt „nepfietelsky sd skläly, es war eine feind- 
liche Tjoſt“. 

Die drei Arten des ritterlichen KRampffpieles, die in den mhd. Ge— 
dichten jo genau unterjchteden werden, tragen alfo auch im Zichechifchen 
ihre eigenen unterjcheidenden Namen: tumej das Turnier ar 2Eoxım, 
kolba (kol) der. bühurt und kläni die tjost. Auch in der Königfaaler 
Chronif werden bei der Erzählung der Krönung Wenzel II. alle drei Arten 
erwähnt: hie se barones clipeis per brachia trudunt (der buhürt), 
illice tirones tirocinia ludunt (da3 wäre der „turnei durch lernen* nılt. 
„tiroeinium*. Vgl. Niedner a. a. O. ©. 18), vibratas hastas fran- 
gunt (die tjost). 

Durhaus verjchteden hievon iſt der ganz allgemeine Ausdrud „se- 
dani”. Es bedeutet einen Zweikampf auf Leben und Tod zwijchen ritter- 
lichen Berfonen ) in vitterlicher Nüftung und zwar zu Noffe Wenn 
Jirecek glaubt, diefer Ausdruck (sedani oder sedati) ftamme aus uralter 
Zeit und wäre der terminus technicus gewejen für den gerichtlichen 
Zweikampf, jo ift er im Irrthume.“) Er jagt a. a. DO. ©. 133 „Sowie 


1) Wenn im Zriftran der Kampf zwifchen Triftran und dem Drachen ebenfalls 
sedani genannt wird, jo ändert dies nichts. Der eine Theil gehörte doch dem 
Nitterftande an. 

2) Sch muß bier auf den Widerfprud; in der Beweisführung SFireceld hinweifen. 
Seite 131 der genannten Schrift fteht „vor allem fteht feit, daß man im 13. 
und 14. Jahrhunderte das Turnier nie sedänie, fondern entweder turnej oder 
mit einem flavifchen Worte klänie (kolba, kol) benannt;" ©. 133 aber Icjen 
wir „jowie klänie, fo war auch sedänie ein Gerichtäfampf, wofür die zahl- 
reichiten Beweife vorliegen;” endlih ©. 135 „es erhellt daß insbejondere das 
södanie (Zweifampf zu Pferde) unter dem zu jener Zeit in Böhmen neuen 
Turniere nicht einbegriffen war, indem Dalimil, dem die ritterichaftliche 
Sprache feiner Zeit wahrlicdy nicht fremd war, weder an der fraglichen noch 
au anderen Stellen vom Turniere dad Wort sedänie, fondern confequent 
immer nur klänie anwendet.” Was ift hier das Richtige? 


— 193 — 


klänie, fo war auch sedänie ein Gerichtsfampf, wofür die zahlreichjten 
Beweije vorliegen." Fir klänie tft fein einziger erbradt. Für sedänie 
werden Belege aus Rechtsbüchern beigezogen. Das alte Rojenberger Rechtsbuch 
gehört jedoch nach Brandl in die 2. Hälfte des 13. oder in die erfte Hälfte 
des 14. Yahrhundertes d. h. im die Zeit nach der Einführung des Tur- 
nierweſens in Böhmen. Uebrigens wird hier wie in dem jüngeren Räd 
präwa zemsk&öho ausdritdlich erwähnt, daß nur Leute adeligen Standes 
(päni, barones), die damals doch ficherlich auch Ritter waren und nad) 
ritterlichen Sitten lebten, durch derartige Zweifämpfe (sedäni) ihre Sadıe 
beifegen durften. Die aus Wippo (10. Yahrh.) citirte Stelle (S. 134) 
fommt bier nicht in Betracht; denn einmal gilt die Aeußerung nur von 
den Serben, dann erhalten wir nur die Nachricht, daß in den Schlachten 
zwijchen den Sachſen und Serben hervorragende Kämpfer vortraten und 
durch Zweikämpfe die Sache zu entjcheiden verfuchten. Solche Gefchichten 
erzählt ſchon Livius von den alten Römern. Nach dem Sachjenfpiegel freilich 
„Jo der Kämpfer erjcheinen mit Leder und Leinzeng nach Belieben ge: 
rüftet, das Haupt und die Füße vorne bloß, an den Händen dünne 
Handjchuhe, in der Hand ein gezogenes Schwert, eins oder zwei nad) 
Willkür noch umgürtet, einen hölzernen, mit Leder bezogenen Schild 
tragen, deſſen Buckel allein von Eijen fei. Ueber die Nüftung darf er 
einen Rock ohne Aermel "anlegen" ; ) und ebenfo beftimmt auch] der Räd 
präwa zemskeho im Xrtifel 22 (Vybor I, 618) den gerichtlichen Zwei— 
fampf: °) doc damit ftimmen die Beichreibungen bei den Dichtern nicht 
und wir treffen da die Nitter immer in voller Nüftung. 3) Diefer ritter- 
liche Zweifampf nun heißt sedänie, und es ijt durchaus unnöthig, an 
eine UWebertragung des angeblich alten Ausdrudes auf die neu eingeführte 


1) Schul& a. a. ©, I, 146. 

2) „Sie follen gleich kämpfen, ohne Rüftung, nur in Röden und Hofen, mit 
Scwertern und hinter Schilden, in den vorgerichteten Schranfen, wie es Ge— 
wohnbeit ift. 

3) Schul a. a. O. U, 146. So heißt es auch in dem Gerichtäfampfe zwiſchen 
Nudolt und Venẽk, daß fie wohl gerüftet waren (dobre odenych). Wenn 
übrigens Jirecek glaubt, daß ſolche Gerichtsfämpfe gar fo häufig vorgekommen 
fein mögen, daß man fid) jogar dazu übte, jo belehrt ihn Dalimil eines 
Beileren. Von dem eben erwähnten Gerichtäfampfe jagt er: 

Leta od narozenie syna bo2ieho 

po tisiüciu po trech stech po desieti pat&ho 
pro muZobojstvo sta Se süd neslychany, 
niv Geskej zemi vidany. 


„ein unerhörtes, im tihechiichen Lande nicht gefehenes Gericht”, 


— 14 — 


ritterliche Kampfesart zu denfen. Ueberall, wo wir dies Wort finden, hat 
es die Bedeutung eines ernften Zweikampfes auf Leben oder Tod, nie die 
eines Rampffpieles zu zweien, wie Jirecek will. 

Daraus ergibt jih aber, daß die Ueberſchrift des Ge- 
dichtes der Kh. Hi. mit dem Inhalte in doppeltem Wider: 
ſpruche steht: 1. iſt ums im dem Gedichte nicht ein Zweikampf 
geichilvert, fondern fünf jolcher Kämpfe. Der singular des subst. (o slavném 
sedanie) kann jomit nicht vichtig fein. 2. Handelt es fich in dem Ge— 
dichte nicht um einen ernjten Kampf, jondern bloß um eine Vorübung zu 
demjelben, es ſoll alfo nur ein Kampffpiel fein, In diejem Sinne aber 
iſt sedänie nirgends zu belegen. O slavnem s&dänie jollte aljo überjegt 
werden „von dem berühmten Zweifampfe (auf Tod und Leben)” und nicht 
wie Sirecef „will das feftliche Kampfſpiel“ auch nicht mit Feifalik „von 
einem berühmten Turniere“. Ein Dichter des 13. oder 14. Jahrhundertes 
hätte eine fo finnloje Ueberfchrift nicht erfinden fünnen. Sehr wohl aber 
läßt fi) denken, daß der Fälfcher zu Anfang des 19. Jahrhundertes, wo 
die BVorftellungen vom Nitterwejen und Mittelalter jo vomantisch-dunfel 
und verworren waren, einen jolchen Fehler begehen konnte. Daß ihm 
sedäni gleichbedeutend war mit turnei, wird um jo wahrjcheinlicher, als dies 
Wort jo oft es vorkommt, immer im singular fteht. Won der Weberichrift 
wurde bereits gefprochen. Darm begegnet es uns in der zweiten Zeile: 

Znamenajte stafi — mladi 

o potkäch i o sedäni! 
„Vernehmet alt und jung von Kämpfen und sedani,” der Verfaſſer meinte 
offenbar „von einem Turniere". Das wirde gewiß zum Inhalte pajjen 
— wenn eben alles nach den ritterlichen Turniergeſetzen abliefe. Doch die 
fennt er nicht, wie oben erwiejen worden. 

Wie irecef die zweite Zeile durch „vom Ringen (sing.! im Texte 
plur.) und von Kämpfen (plur.! im Texte sing.)" iüberjegen fan, ift merf- 
würdig. Allerdings ift das nicht der einzige Fall, wo er dem tichechifchen 
Wortlaute durch eine fchiefe, willfürliche Ueberſetzung aufhelfen will. Die 
gleiche Bedeutung „Turnier“ liegt offenbar dem Worte södäniu in V. 46 
zu Grunde. Sinnlos aber iſt eg, wenn es in den VV. 53, 64 und 84 
heißt: „kto chtie prvi (vtexi, tr&tf) na södänie wer als 1. (2. 3.) zum 
Turniere will.” Oder foll hier sedänie den Einzelfampf im Turniere alfo 
„Turnierkampf“ bezeichnen? Dann befigt es eine jehr bedenkliche Dehnbarkeit. 

Wenn Jirecek fich weiterhin (S. 134) anftrengt, nachzumeifen, daR 
jhon vor der Einführung des Turnieres (1245) in Böhmen Kampfipiele 
befannt waren, jo ift feine Mühe ganz umfonft. Bei Vergil Aen. 6, 585 


— 15 — 


werden diefelben auch erwähnt, die Gothen führen um den Scheiterhaufen 
des Hunenköniges Attila, um das Grab Alarichs Reiterfpiele auf, bei feinem 
Bolfe werden fie gefehlt haben. Aber das alles hat mit unferem Gedichte 
nicht8 zu thun. Um die hier gefchilverte Kampfesweiſe als die damals 
wirklich übliche zu beglaubigen, find Belege aus anderen Werfen nöthig. 
Dieje kann jedoch Yirecet nicht beibringen. 

Lächerlich ferner ift e8, wenn er die Thatſache (S. 136 f.), daß ein- 
zelne böhmiſche Adelige jchon im Jahre 1253 in Mainz als tüchtige Tur- 
nierer hervorthaten, als Beweis für die Exiſtenz alteinheimifcher Kampf: 
jpiele anführt. Er denkt offenbar, die böhmifchen Adeligen hätten es nicht 
jo bald zu folcher Fertigkeit bringen fünnen, wenn fie nicht ſchon von 
früher her eine gewifje Hebung in Neitfünften beſeſſen hätten. Als ob jie 
nicht jeit 1245 ') Zeit genug dazu gehabt hätten! 

Unwahr endlich ift e8, wenn Jirecek (S. 138) behauptet, in den 
tſchechiſchen Schriften des 13. und 14. Yahrhundertes feien die Kunftaus- 
drüde fir Dinge, die das Nitterwefen betreffen, nicht deutſch, fondern 
tihechiich und daraus folgert, daß diefelben jchon früher für die alten ein: 
heimifchen Spiele im Gebrauche gewefen wären. ?) 

Jedermann merkt wohl, wie unlogijch diefer Schluß ift. Dieſe jeine 
Behauptung aber muß Firecef gleih auf der nächiten Seite durch eine 
ganze Reihe von Ausnahmen wefentlich einfchränten. Zum Ueberfluſſe 
jegte ich nocdy eine Anzahl das Nitterweien betreffender Ausdriücde, die 
Jirecek nicht entdeckt hat, hieher. Aus der Alerandreis: ?) rytier V. 1025 
u. ö., rytiefstvo V. 323, Sturm V. 460, Sturmovati V. 2054, or 
V. 1399, rota V. 1468, purgrabie JH. 246. 

Sämmtliche hier angeführten Wörter finden ſich auch im Triſtram, 
außerdem: w kryzu gjti, 18, 20; man 40, 18; manstwie 28, 13; turnag 
44, 14; Saffar 51, 11; marsalk 54, 4; paläc 62, 22; rek 238, 19 
und noch viele andere. Feifalit behält doch Recht! 

In feiner Entgegnung ift es alſo Herrn Jirecek nicht gelungen, die 
Erijtenz alter Kampfpiele, die den Namen „sedani* geführt hätten, zu 
erweilen und feine Freude (S. 142), daß das Gedicht „o slavnem se- 


1) Vor 1245 kamen die Turniere nicht nad Böhmen. Vergl. Scherer literar. 
Gentralbl. 29. Aug. 1868. Das jchließt aber nicht aus, daß einzelne böhmifche 
Adelige die ritterlihen Kampfipiele lange vorher in Deutſchland kennen lernten. 

2) Er polemifirt hiemit gegen Feifalik, der a. a. O. die oben beftrittene Aeußerung 
gethan hat. 

3) Ed. M. Hattala und Patera. Prag 1881. - 


— 156 — 


dänie“ das Verdienſt habe, „uns mit den Details. desfelben, welche wir 
aus Feiner anderen Quelle fernen, befannt gemacht zu haben”, ift ganz 
eitel. Die oben erwähnten Verſtöße gegen die ritterlichen Gebräuche kenn— 
zeichnen dieſes Gedicht deutlich genug als Faliificat. Ueber die Quelle, aus 
der der Fälfcher gejchöpft hat, beiteht fein Zweifel. Feifalit hat erwiefen, !) 
daß das Gedicht nahezu lauter Neminiscenzen aus dem Volksbuche Stilfrid 
enthält; die Entlehnungen find ſo auffallend getreu, daß an eine andere 
Möglichkeit als an gegeufeitige Abhängigkeit nicht zu denken iſt. Nicht 
um die Aehnlichkeit der Darjtellung eines Kampfes in beiden Gedichten 
handelt es jich, wie SYirecet meint (S. 122), fondern um wortgetreue 
Heriübernahme ganzer Wendungen und Redensarten. 


—— — 


Periodicität der Ueberſchwemmungen. 


Bon Dr. W. Ratzerowsky. 


Im Jahre 1883 veröffentlichte Profejfor Paul Reis in Mainz unter 
dem Titel: „Waſſersnoth und Waſſermangel“ die Ergebnijje jeiner Unter: 
fuchungen über die Wafjer- und Wettererjcheinungen im Nheingebiete uud 
fam zu dem Reſultate, daß diejelben in Perioden von 110 bis 112 Jahren 
fi widerholen und daß die Marima der Waflerfluthen mit den Marimis 
der Sonnenfleden und Nordlichter zujammenfallen. Die von ihm an— 
geführte Periode ift der zehnfachen Sonnenfledenperiode von 11,1 Jahren 
gleich. 

Die Frage, ob Veränderungen auf der Sonne ſolche auch auf der 
Erde zur Folge haben und namentlich die, ob vermehrter Fleckenthätigkeit 
derjelben reichlichere atmoſphäriſche Niederichläge entjprechen, iſt nach ver- 
jchiedenen Geſichtspunkten von vielen Forjchern bereits behandelt worden. 
Hermann Fritz, welcher in jeiner von der Haarlemer Gefellfchaft der 
Wiſſenſchaften gefrönten Preisichrift: „die Beziehungen der Sonnenfleden 
zu den magnetischen und meteorologijchen Erſcheinungen“ die Ergebniffe 
diefer Unterfuchungen publicirte, bemerkt hierüber: die Niederfchläge find 
entfchieden zur Zeit der Fledenmarima bedeutender, als zur Zeit der 
TFledenminima und aus den Pegeljtänden der verjchiedenen Flüſſe ergibt‘ 


1) A. a. O. ©. 56 f. Vgl. aud) Athenaeum, April 1886, ©. 265. 


— 157 — 


fich ebenfalls zur Zeit der Fleckenmaxima ein Ueberfchuß der aus den 
Flüſſen abfliegenden Wafjermaffen über das Mittel. Da aber aus älterer 
Zeit Feine Mejjungen der Regen- und Scneeniederjchläge vorhanden find 
“und die Begeljtände der Flüffe auch nicht weit zurückreichen und von 
vielerlei Umftänden abhängig find, jo iſt hier der Verſuch gemacht worden, 
auf hiftoriichem Wege diefe Frage zu löſen. 

Die beiliegende Chronif der Ueberſchwemmungen liefert das, wenn 
auch nur lüdenhafte Material, aus welchem die tabellarifche Ueberficht der 
Hochwäſſer zufammtengeftellt wurde. 

In diefer Tabelle find die größeren Elbeüberſchwemmungen, die 
zumeijt den in den Archiven der Stadt Leitmerig noch vorhandenen Quellen 
entnommen find, zufammengeftellt. Aus diejer tabellariſchen Ueberficht joll 
die Erijtenz der Fleinen Periode der Hochwäſſer und ihre Ueber— 
einjtimmung mit der Sonnenfleden- und Nordlidtsperiode 
nachgewiejen werden. 


Tabelle der Üeberfhwemmungen 
vom Fahre 782 bis 1886. 





} 


| | — 
Ueberſchwemmungsjahr Mittel Periodenlänge SB große Periode 
——— —— — 


ffereuz 


Di 
Pe 












182 
— 180 = 16, 11,3 220 = 28110 
962 
1 
nr 5. 11,0 
1015, 20 
= — Jus = 1.116 
1118 = 5.118 
n 8. 10,6 
1203 
* 112 = 10, 11,2 24 — 2. 112 
1315 
nn 117 = 10. 117 | 
1432 
1454 2 = 2 110 lie = 1..112 











Ueberſchwemmungsjahr | Mittel große Periode 


1481 1481 
1495 1495 
1501, 4 1502 
1515 1515 
os — 113 =1. 113 
1549, 51 1550 
1557, 59 1558 
1565, 66, 69 1667 | 9 6 = 6.110 | 110 
1578, 79, 62,83, 85,87 | 1582 | 15 
1593, 95, 98, 99, 1601 | 1597 | 15 
1607 1607 | 1 
1618 1618| 11 
1629 16239 | 11 | nm ee L.10R 108 = 1. 108 
1640 1640 | 11 
1654, 55 1654 | 14 
— a Mes | 43 4.108 | 108 
1675 1675 | 10 Le ern } 
1682, 84 1683| 8 
1698 1698 | 15 
1712 1712 | 14 | 6= 6.110 | 110 
1747, 48, 50, 51 1749 | 3 109 = 1. 109 
1760, 61 1760| 11 
1767, 68, 69, 71 1769 | 9 | 30 3116 | 116 
1783, 84, 85, 1784 | 15 
1799 179 | 15 
1809 1809 | 10 | 
1814, 15, 16 1815) 61 5= 4.118 | 118 | 99,__ 
1820, 21, 4 82| 7 g> 1117 
1827, 28, 29, 30, 31 1189| 7 
1837, 38, 39 1838 | 9 
1843,44, 45,46,47,48,50| 1846 | 8 en 
1855, 58 1856 | 10 | le ||19 
1862 1862| 6 
1872, 76 1874| 12 ,_ 
1881. 06 a. © N 21= 2.105 | 105 


— 


Schon eine oberflächliche Betrachtung der Tabelle, namentlich aber 
der Differenzen und der durch Summation erhaltenen Periodenlängen zeigt 
uns ein auffällig häufiges Vorkommen der Zahl 11 und der Vielfachen 
dieſer Zahl. Nimmt man aber eine kleine Durchſchnittsrechnung vor, ſo 
ergeben ſich folgende Reſultate: 

Das Geſammtmittel von 782 bis 1883 gibt 1101 Jahre; durch 
99 Perioden dividirt, erhält man den Werth 11,12 Jahre als kleine 
Hocmafferperiode, welcher Zahlwerth mit der von Rudolf Wolf beftimmten 
Länge der Sonnenfledenperiode von 11,11 Jahren vollfommen über: 
einftimmt. 

Legt man die aus 17 Berechnungen gefundene Feine Periode zu 
Grunde, jo erhält man den Durchſchnitt 11,07 Fahre. 

Als Endrefultat der Vergleichung der Tabellenzahlen ergibt ſich ſonach 
fir die feine Hochwaſſerperiode der Mittelwert von I,l Jahren, 
der mit der Sonnenfledenperiode von 11,1 genau übereinftimmt. Außer 
diefer Eleinen Periode ift noch eine größere von MM,33 oder nahezu 
111 Fahren deutlich bemerkbar, die mit der von Reis angegebenen von 
110 bis 112 Jahren identisch ift. An der letzten Periode fehlen noch 
12 Fahre zur runden Zahl von 111, jo daß diejelbe durch eine oder 
mehrere Ueberſchwemmuugen ſich auf das Jahr 1895 ergänzen dürfte. 

In den Rahmen der von Frig aus fat 2000 Fahren gewonnenen 
großen Nordlichtsperiode von 220 Fahren pafjen ziemlich genau 
die großen und weitverbreiteten Hochwäſſer von 1784, 1565, 1342, 1118, 

Eine eingehendere Durchführung diefer Gejegmäßigfeit nach den 
3 Perioden von 11, 111 und 222 Jahren, bezüglich der Elbe überhaupt, 
der Hochwäfjer Böhmens und der europäiichen Wafjererfcheinungen erfolgt 
nad Durcharbeitung des geſammelten Quellenmaterials. 

782. Kurz nach dem Einfalle dev Wenden und Hunnen, bei welchen 
die Stadt Magdeburg und die von Kaifer Karl dem Großen erbaute 
St. Stephanskirche zerjtört wurde, hat jich die Elbe ergoffen und was 
vom Feuer an Mauerwerf übrig geblieben, vollends eingewafchen und 
niedergemworfen (Pötzſch, Ueberſchwemmungen der Elbe). 

821. Auf den naſſen Sommer von 820 folgte ein jo heftiger Winter, 
als er nur jemals gewefen, wodurch nicht bloß die Elbe fondern aud) 
alle Flüſſe Deutjchlands zugefroren, daß man darüber reiten und fahren 
fonnte. Als das Eis aufgebrochen, hat dasjelbe an Städten, Fleden und 
Dörfern ungeheueren Schaden gethan (Pötzſch u. Spangenberg). 

962, November 11. Ein plöglid) eingefallenes Thaumetter brachte 
durch raſches Aufgehen des mafjenhaften Schnees eine allgemeine Ueber: 


— 160 — 


ſchwemmung in Böhmen hervor. Auch die Elbe bewirkte durch ihr Aus— 
treten großen Schaden (Pötzſch, Weleflawina). 

1002, Sommer. In Folge eines allgemeinen Negenwetters gingen 
alle Feldfrüchte durch die Näffe zu Grunde Die Elbe und Moldau 
ergofjen fi gewaltig (Pötzſch). 

1015. September. Ein anhaltendes Negenwetter brachte in Böhmen 
große Ueberfchwenmungen, namentlih der Elbe und Moldau, hervor 
(Strnadt Naturbegebenheiten). 

1020. Alle Quellen erzählen, daß nach einem langen und harten 
Winter, als der Schnee und das Eis aufthaute, die Flüſſe aller Orten, 
namentlich die Elbe gewaltig ausgetreten wären und die Wäſſer ſich alſo 
ergofjen, daß eine wahre Sündfluth entjtanden, wodurch ganze Städte, 
Flecken und Dörfer wmweggerijjen und eine unglaubliche Menge Menjchen 
und Bieh umgekommen (Pötzſchen. Annal. Saron. u. Reis „Waſſersnoth“). 


1059, Herbit. Durch ein allgemeines Regenwetter traten alle Flüſſe 
Böhmens weit über ihre Ufer und überflutheten das Land; auch die 
Elbe mit ihren Nebenflüffen erreichte eine außerordentliche Höhe (Pötzſch). 

1118, September. In Folge anhaltender Regengüſſe entjtand in 
Böhmen eine fo gewaltige Ueberſchwemmung, wie folche feit der Sündfluth 
nicht vorgefommen. In Prag ftieg die Moldau 6 Ellen über das Tafel- 
werk der Brüde, während fie fonjt kaum dasjelbe erreichte (20 Schuh über 
Normale); in Zetjchen foll die Elbe 18 Ellen 16 Zoll Höhe gehabt 
haben“ (Pötzſch n. Fabritius, Wed, Cont. Cojm). 

1141, März. Plöglich eingetretene Regengüſſe brachten im Frühlinge 
eine große Ueberſchwemmung in Böhmen hervor. In Prag verurjachte die 
Moldau am 15. März duch ihr Austreten ungeheueren Schaden. Auch 
von der Elbe werden in Meißen Hochwaller gemeldet (Pötzſch, Strnad). 

1203. Nach langem Negen traten große Ueberfluthungen der Elbe 
ein, namentlich um Leitmeritz und Auffig herum amd verurfachten großen 
Schaden (Strnad). 

1275, Auguft 24. Um den Tag Bartholomäi haben ji) die Flüffe, 
darunter auch die Elbe, jo heftig und fchredlich ergofjen, daß eine große 
Menge Dörfer weggefpült und unglaublich viel Menjchen und Vieh erjäuft 
wurden (Pötzſch, Strnad). 

1315, Juli. Nach anhaltender Diürre folgten häufige Negengüfje, 
wodurch alle Flüſſe Böhmens, in fonderheit die Elbe weit aus ihren 
Ufern traten und großen Schaden anrichteten (Pötzſchen. Fabritius, Chron. 
Frane. Prag). . 


— 161 — 


1342, Februar 2. Ein plötzliches Thauwetter verurſachte ein raſches 
Aufgehen des maſſenhaft gefallenen Schnees und hatte eine koloſſale 
Ueberſchwemmung der Moldau und Elbe zur Folge Die Brüden zu 
Prag und Dresden gingen zu Grunde, nur die von Raudnig widerftand 
dem Anpralle der Wogen (Pötzſch, Strnad). 

1432, März 12. und Juli 22, Zwei große Ueberſchwemmungen; die 
2. jedoch bedeutender. Das Hochwaſſer durchbrach an zwei Stellen die 
Prager Brücke, zerftörte die Raudniger Elbebrücke und verurfachte um 
Raudnig, Melnik und Zeitmerig ungeheueren Schaden. Zu Leitmerig 
war die Wafjerhöhe 22 Schuh 1 Zoll; zu Auffig 11 Zoll niedriger als 
1845 und zu Tetſchen 15 Elfen 19%, Zoll (Pötzſch, patr. ök. Gefellichaft, 
Sonnewend). 

1454. Die im Jahre 1452 erbaute Elbebrüde bei Leitmerig 
duch ein Hochwaſſer zerjtört (Notiz im Stadtarchiv). 

1481, Mai. Im Frühjahre fiel jehr najjes Wetter ein, worauf am 
25. Mai zu Prag ein Hochwaſſer der Moldau eintrat. Dieje Fluth wird 
auch von Fabritius bei der Elbe in Meißen angeführt (Pötzſch, Hagek, 
Sonflar). 

1495, Auguft. War in Böhmen eine gewaltige Ergießung der Moldau, 
durch welche die maſſive Prager Brüde ſtark befchädigt wurde. Auch in 
Sachſen wird auf diefen Monat eine Elbeüberſchwemmung ver: 
zeichnet (Pötzſch, Hammerſchmid). 

1501, Auguſt 15. In Folge anhaltenden Regens entſtand bei Leit— 
meritz ein Hochwaſſer der Elbe, bei welchem die Walke, Schleifmühle und 
3 Felder der Brücke weggerijjen wurden. Das Waſſer umgab Melikojed, 
deſſen Bewohner in die Kirche flüchteten und ihr Vieh auf einem hoch— 
gelegenen Felde in Sicherheit brachten. Auch das Eijendörfel und beide 
Kopift ftanden unter Waſſer. 

In Leitmerig war die Filcherei, die Dubina und alles oberhalb der 
Mühlen überichwenmt. Das Hochwaſſer erreichte faft das Pflafter der Brücke 
und verurfachte ungeheueren Schaden (Memorabilien der Stadtjchreiber). 

1504, März 8. Unverhoffte, große Eisfahrt auf der Elbe bei Leit— 
merig, wodurch die neue Elbebrüde fammt 3 Pfeilern von Grund aus 
weggerifjen wurde und ein dreimal jo großer Schaden gefchah, als anno 
1501 (Notiz im Stadtardhive). 

1515, Juli 22. War bei Leitmerig ein Hochwafjer der Elbe, welches 
duch Wegihwenmen von Heu und Getreide viel Schaden verurjachte: 


Diefer Ueberſchwemmung, welche bereits am 21. Juli in Prag eintrat, 
Mittheilungen. 25. Jahrgang, 2. Heft. 


— 162 — 


wird auch bei der Elbe in Sachſen gedacht (Leitmeriger Archiv, Hammer- 
ſchmid, Monach Pirn). 

1531, Mai. Wird ein Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz angeführt, 
welches fo groß war, daß man, wie Johann z Hradu bemerkt, das Wafjer 
von der Brücke aus erreichen konnte (Strnad). 

1549. Eine Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig (Strnad n. 
e. Leitm. Manujpt). 

1551. Wegen des fortdauernden Hochwaſſers der Elbe und Eger 
haben die Leitmeriger Fiſcher feine Lachje fangen können; auch konnte dag 
Malz allhier nicht gemahlen, fondern mußte nach Pokratitz verführt werden 
(Schmid Memor.). 

1557. Nach einem ftrengen Winter, der vom 23. Nov. bis 28. März 
dauerte, brachte ein raſches Thaumetter ein großes Hochwaſſer der Elbe 
hervor, welches an 4 Wochen dauerte und um Leitmerig und Aufjig viel 
Schaden anrichtete (Schmid, Sonnewend). 

1559, December 13. Entjtand bei Leitmerig ein großes Hochwaſſer 
der Elbe, welches 8 Tage andauerte und wieder ſo hoch war, daß man 
es von der Brücke mit den Händen erreichen konnte (Schmid). 

1565, März 3. Kam ein ftarfes Eis mit großem Waſſer und riß 
die Elbebrücde bei Leitmerig von Grund aus weg. Der Schaden an 
weggeſchwemmten Holze betrug viele Taufende (Schmid). 

1566, Februar. Großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz. Mli— 
fojed und Kopift ganz vom Wafjer umgeben, die Fiicherei uuter Waffer. 
Die Elbehöhe jo groß, daß man fich von der Brücke aus wachen Fonnte 
(Mem. d. Stadtichr.). 

1569, Juni. Am 21. und 22. Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig, 
welches ſich bis zu der Ziegelhütte jenſeits der Brücke erftredte und alle 
Wiefen um Kopijt unter Wafjer ſetzte (Mem. d. Stadtid).). 

1578, Januar. Am 13. begann der Eisgang der Elbe bei Leit— 
merig; am 25. nahm eine riefige Scholle 5 Paar Briidenböcde weg uud 
ein neuer Stoß führte die übrigen jammt der Fahrbahn der Brücke weg 
(Men. d. Stadtſch.). 

1578, Aug. 28. Ein Hochwaſſer der EIbe, welches Hinter dem Zie— 
gelſchlage und gegen Kopijt alle Wiefen überſchwemmte und über eine Woche 
dauerte, während welcher Zeit feine Mühle in Leitmerig mahlen konnte. 

1579, Juni 28. War ein jo großes Hochwaſſer der Elbe, wie es feit 
langen Jahren nicht gewejen; das. Waffer ging bei der neuen Mühle, von 
welcher der Müller behauptete, daß fie felbjt beim höchjten Hochwafjer 


— 18 — 


wird mahlen Fönnen, über den Pawlatſch weg. Da die Eger wenig Waller 
hatte und der geweſene Regen in keinem Verhältniffe zu der großen Waſſer— 
maſſe ftand, jo vermuthete man, daß irgendwo ein Wolfenbruch gewejen 
und Teichdurchbrüche jtattgefunden hätten (Mem. d. Stadtjd).). 

1582, Juni. Vom 2. bis 7. bedeutendes Hochwaſſer der Elbe bei 
Leitmerig. Es ging um das vordere Gebäude der Mühle, wo der Müller 
wohnt, herum, überſchwemmte die Fifcherei und drang ziemlich weit in die 
Dubina vor (Men. d. Stadtſch.). 

1583, März 18. Hat das Eis beim Hochwafler der Elbe alle 
Brüdenböde vom jteinernen Pfeiler bis zum Vogel weggefchwenmt, jo daß 
nicht ein Balken übrig blieb. Einen Theil der Brücke haben die Bauern 
bei Zobofig aufgefangen, welchen die Gemeinde ihnen wieder abfaufen 
mußte (Mem. d. Stabtid).). 

1585, Juli 4. Bedeutendes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeriß; 
in Folge andauernden Regens. Kopift unter Wafjer geſetzt, der Swiniaf 
überjchwenmt und auf Feldern und Wiefen großer Schaden gejchehen 
(Mem. d. Stadtſch.). 

1587, Juni 6. Sing bei Zeitmerig ein großes Hochwaffer an, welches 
duch 2 Wochen anhielt und in der Umgebung der Stadt, namentlih am 
Swiniaf viel Schaden an Wiefen, Feldern und Weingärten verurfachte 
(Mem. d. Stadtſch.). 

1593, Januar 24, Riß das Eis beim Hochwaſſer der Elbe die 
Brüdenböde mit Ausnahme dreier Paare gegen die VBogelftange weg, bald 
darauf wieder ein Paar und am 26. die Lebten (Mem. d. Stabtid).). 

1593, Juli 8. Fing die Elbe bei Leitmerig in Folge täglicher Re— 
gengüffe gewaltig zu fteigen an und überjchwemmte am Tage St. Mar- 
gareth alle Wiejen und Felder und richtete durch Wegſchwemmen des 
Heues und Verſchlämmen des Graſes und der Felder großen Schaden an 
(Dem. d. Stadtſch.). 

1595, März 7. Brach das Eis der Elbe bei Leitmeriß, welches in 
diefem Fahre ungemein ftarf war. Dabei ftieg das Wafjer jo hoch, daß 
man fich von der vordern Brücke aus in der Elbe waſchen konnte. Kopift 
und Mlifojed ftanden unter Wafjer, die Fiſcherei und der Judengarten 
waren überſchwemmt. Der Schaden an Wiejen, Feldern und Häufern war 
ungeheuer (Mem. d. Stadtid).). 

1598, März. Durch das Einbredyen eines Südftromes trat ein raſches 
Aufthauen des Schnees ein, fo daß die Elbe am 11. März eine Höhe 
erreichte, mie fie feit Menjchengedenfen nicht gewejen. Das Waſſer jtand 
/, Ellen höher als 1595 und reichte bis zum Hute des Bradacz am 

11* 


— IE 


fteinernen Pfeiler der Elbebrüde. Es verurfachte in der Filcherei, Du- 
bina,?bei den Mühlen und im Jüdengarten vielen Schaden; auch ein Theil 
der Brüde wurde weggejhwenmt Das gewaltige Wafjer reichte faft bis 
auf die Brüde, jo daß Kinder von derjelben, zur Erinnerung, ſich mit dem 
Elbewaſſer wuſchen (Mem. d. Stadtſch.). 

1598, Auguſt 18. Heftige Regengüſſe, Wolkenbrüche und Teichdurch— 
riſſe veranlaßten ein Hochwaſſer der Elbe, welches nur um Elle nie— 
driger als im Frühjahre war und gleichfalls großen Schaden anrichtete 
(Mem. d. Stadtſch.). 

1599, März 12. Entſtand beim Eisgange der Elbe ein großes 
Hochwaſſer, welches mehrere Tage andauerte und vielen Schaden an 
Mühlen, Häuſern und Feldern in der Nähe des Fluſſes verurſachte (Mem. 
d. Stadtſch.). 

1601, Juni 27. Hochwaſſer der Elbe, welches etliche Tage anhielt 
und alle Felder und Wieſen um Mlikojed, Prosmik, am Pernai und in 
der Polabe überſchwemmte. Der Schaden war ungeheuer (Memorabilien 
der Stadtſchreiber). 

1607, März 11. War ein ſolches Hochwaſſer der Elbe bei Leit— 
meritz, daß die Mühlen nicht mahlen konnten; am 22. d. M. ſtand die 
Elbe im Mühlgraben unterhalb der Brettfäge bis zur Mauerhöhe (Mem. 
d. Stadtſch.). 

1618, Februar 5. War ein ſtarkes Gewitter, worauf allgemeines 
Thauwetter eintrat und alle Gewäſſer Böhmens, namentlich die Moldan 
und Elbe ſich mächtig ergoſſen und wegen des ſtarken Eiſes großen 
Schaden anrichteten; beſonders in Meißen waren die Verheerungen furcht— 
bar (Pötzſch, Krieſche Ehr.). 

1629, October 2. Trat in Dresden eine Ueberſchwemmung der Elbe 
ein, welche gegen 8 Ellen über dem Normale erreichte und faſt 14 Tage 
dauerte, worauf erjt die Moldau aus Böhmen fam, die am 10. October 
in Prag eine Höhe erlangte, wie fie ſeit Menſchengedenken nicht geweſen 
Pötzſch, Hammerjchmid). 

1640. Anfangs Februar. Iſt duch das Hochwaſſer beim Eisgange 
die Elbebrücde bei Leitmerig zerftört worden; das Brüdenmateriale als: 
Schiffe, Gehölze, Bretter ift bis Pirna und Dresden fortgeſchwommen. 
General Banner verfuchte zwar die Brüde wieder aufzurichten, doch gelang 
ihm dies nicht (Theatrum europaeum). 

1654, Hochwaſſer bei Leitmerig; die Elbe nahm alle Mühlen und 
40 Häufer mit; die Zahl der ertrunfenen Menfchen war eine nicht ges 
ringe (Strnad). 


— 165 — 


1655, Februar 15. Plöglicher Eisgang und erſchreckliches Hochwaſſer 
der Elbe bei Leitmerit, wodurch das Dach von der kleinen Mühle und 
die Brettmühle weggejhwenmt wurden und der Gemeinde ein großer 
Schaden geſchah. In Mlikojed mußten die Bervohner auf den Thurm fich 
flüchten, haben geftürmt und um Hilfe gebeten (Schmid). 

1665, Februar 16. Großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeriß; die 
Wafjerhöhe war nur einen Schuh niedriger als 1845. m Dresden war 
die Fluth jo hoch, daß man das Wafjer von der Brüde aus mit der Hand 
erlangen konnte (Pötzſch, Prof. Hadel). 

1675, Juni 21. Iſt ein großes Hochwaſſer der Elbe bei Leitmeritz 
eingetreten, welches 4 Wochen dauerte und einen Schaden von etlichen 
Millionen vernrſachte (Schmid). 

1682, Januar. Hatte die Elbe wieder eine gewaltige Fluth. Am 
18. und 19, begann fie in Meiſſen, wo fie eine Höhe von 10 Ellen 2 Zoll 
erreichte ; in Prag erlangte die Moldau ihr Marimum am 26. Yänner; 
am 28. Jänner ftieg die Eger in Kaaden bis zu der ungeheueren Höhe 
von 19 Schuh über Normale (Pögjch, (Theatrum europaeum). 

1684, März 2. Eisgang der Elbe bei Leitmerig; durch das jtarfe 
Eis wurde die Brüde zerriffen und ruinirt (Schmid). 

1698, Juli 22. War in Böhmen eine große Ueberſchwemmung, be’ 
welcher viele Dienjchen zu Grunde gingen und ein Schaden von mehreren 
Millionen verurfacht wurde. Nach Vulpius war auch in Meißen, in Folge 
andanernder Negen eine ſolche Elbefluth entjtanden, wie fie jeit 113 
Fahren kaum gejchehen war (Pötzſch, Hammerſchmid). 

1712, April. Andauerndes Regenwetter verurſachte ein plögliches 
Hochwaſſer der Elbe, welches großen Schaden an Häufern, Mauern und 
Vieh in den am Fluſſe liegenden Dörfern veranlaßte und auch die Leit— 
meriger Elbebrücke jehr beſchädigte (Schmid). 

1747, December 15. War ein fo großes und hohes Waſſer bei 
Leitmerig, daß man hinter der Brücke nicht mehr jahren, fondern überſetzen 
mußte; alle Stadtmühlen erjoffen, jo daß man 14 Tage nicht mahlen 
fonnte (Schmid). 

1748. In Folge der beftändigen Negen in den Monaten October, 
November und December entjtand bei Leitmerig ein Hochwaſſer der Elbe, 
durch welches viel Floßholz weggeſchwemmt wurde und die Gemeindemühle 
mehrere Wochen das Mahlen einftellen mußte (Schmid). 

1750, Juli. Mehrtägige Negen und Teichdurchbrüche brachten eine 
große Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig hervor, welche vom 11. 


— 16 — 


bis 14. Juli andanerte und großen Schaden au Feldfrüchten und Floß— 
hölzern anrichtete (Schmid). 

1751, März 3. Eisgang der Elbe bei Leitmerig. Das Eis blieb 
oberhalb des Wehres ftehen und reichte bis Krzeſchitz. Dadurch entjtand 
ein bedeutendes Hochwaſſer, welches feinen Lauf bei Böhmisch Kopift durch 
die jogenammte Uhrze nahm und beim Wehre wieder in die Elbe einfiel. 
Am 5. ging das Eis glüdlic) ab, ohne großen Schaden verurjaht zu 
haben (Schmid). 

1760, Januar 27. Hob ſich das Eis der Elbe und Eger gleid)- 
zeitig. Ein Theil desjelben jegte fi in der Egermündung feſt und hatte 
zur Folge, daß die Eger ihren Lauf durch die Uhrze nahm; ein zweiter 
Theil blieb zwijchen der Inſel und dem Syefuitengarten jtehen und jperrte 
durch 2 Wochen die Elbe derart, daß fein Waſſer zu den Mühlen gelangen 
fonnte, was eine große Mahlnoth hervorbradyte (Schmid). 

1761, Februar 11. Iſt das Eis der Elbe bei Leitmeriß gebrochen 
und gegangen; den 20. bis 28. darauf trat ein Hochwafjer ein, welches 
in dem zu Lobofig nahe an der Elbe gelegenen Magazin großen Schaden 
an Hafer und Heu verurfachte. In Meißen dauerte diefe Ueberſchwemmung 
vom 12. bis 27. und erreichte eine Höhe von 8", Ellen (Pötzſch, Leitm. 
Dem. IL). 

1767, November. Gegen Ende des Monate trat in Folge an: 
haltenden Regens Hochwaſſer der Elbe und Eger ein, welches alle Felder 
jenjeit8 der Brüde überſchwemmte, jo daß die ganze Gegend einem See 
glih. Bei den Mühlen in Leitmerig mußten die Bewohner auf Kähnen 
aus ihren Häufern fahren (Zeitm. Mem. IL). 

1768, Februar 24. Eisgang der Elbe, Eger und Moldau bei Leit: 
meriß, wobei ein Hochwaſſer entjtand, wie es feit 40 Jahren nicht vor: 
gekommen tft. Dasfelbe verurfachte durch Einreißen der Häufer in den 
Dorfichaften und Abſchwemmen des Bodens von den Feldern einen un- 
beichreiblichen Schaden (Leitm. Mem. IL). 

1769, Juli. Durch die feit dem 8. Juni faſt täglich eintretenden 
Regengüfje find die Elbe und Eger bei Leitmerig jo geftiegen, daß alles 
Heu von den Wiefen weggeſchwemmt und das Getreide auf den Feldern 
vielen Schaden erlitten und nebſtdem auch eine Menge Leute ertrunfen 
jind (Leitm. Mem. IL). 

1769, December. In Folge des fteten Regenwetters wurden nicht 
blos alle Wege und Straßen ungangbar, fondern auch alle Wäffer über- 
Ichritten ihre Ufer; insbefondere in der Leitmeriger Gegend verurſachte die 
Elbe in allen Ortichaften in der Nähe des Fluffes großen Schaden. Alle 


— 167 — 


Mühlen bei der Stadt find ganz erfoffen, jo daß durch lange Zeit kein 
Körnlein gemahlen werden konnte (Zeitm. Mem. II). 

1771, März. Nach ſtarkem Regen trat ein allgemeines Thauwetter 
ein und brachte eine große Elbeüberfhwemmung hervor. In Sachen 
fing fie am 16. März an, in Auffig drang am 18. das Waller in die 
Stadt und in Prag erreichte die Moldau am 17. ihre Marimalhöhe von 
6'/, Ellen ü. N. (Pötzſch, Sonnewend, Schaller). 

1783, Juni. In Folge heftiger Gewitter mit ftarfen Gußregen und 
Wolkenbrüchen in Böhmen trat in Sachen großes Hochwaſſer der Elbe 
ein, welhes am 3. Juni in Dresden 4 Ellen 12 Zoll ü. N. betrug 
Pötzſch). 

1784, Februar 28. Durch die rieſige Ueberſchwemmung der Elbe 
in dieſem Jahre wurde bei Leitmeritz ein unſäglicher Schaden angerichtet. 
Außer den 3 Mühlen wurden 57 Häufer ruiniret, viele Menfchen ertranken 
und nur der aufopfernden Thätigfeit der Behörden war es zu danken, daß 
gegen 500 Perſonen aus den inundirten Gegenden auf Schiffen und 
Kähnen gerettet wurden. Die Wafjerhöhe der Elbe betrug bei Leitmerig 
im Marimum 20 Schuh 4 Zoll ü. N. (Pötzſch, Berthold, patr. ök. 
Geſellſch.). 

1785, Mitte April. Ging das Eis der Elbe bei Leitmeritz; in 
Prag fing der Eisſtoß am 16. an, doch war die Ueberſchwemmung der 
Moldau nicht bedeutend; dagegen erreichte die Eger ihre vorjährige Höhe 
und führte der Elbe große Wafjermaffen zu. Am 23. hatte die Elbe bei 
Magdeburg ihren höchſten Stand von 5,64 Meter, den fie ie m der geit 
von 1731 bis 1830 je erreichte (Pötzſch, Sonklar). 2 

1799, Februar 23. Bei Leitmerik, Therefienftadt und in der. ganzen 
Gegend verurjachte das Hochwaſſer diefes Jahres bejonders darum große 
Noth, weil diesmal die Eger ungeheure Waffer- und Eismaffen der Elbe 
zuführte. Das große Waffer riß 4 Eisbbcke weg, beſchädigte 4 Brüden: 
pfeiler und brachte ſelbſt die Brucke im große Gefahr. Am 24. hätte dieſe 
Eisfluth ihre Maximalhöhe won 21 Schuh 8Holl erreicht und über— 
ſchwemmte zu "Beiden Seiten’ der Elbe und Eger 14Ortſchaften, ſetzte den 
ganzen Thereſienſtädter Keſſel amter Waſſer und bildete einen ungeheuren 
See. In Leitmeritz ſtanden die unter dem Dom gelegene Vorſtadt und die 
Fiſcherei2 bis83 Klaftern hoch nuter Waller. Der Schaden, den dieſes 
Hochwaſſer an Häuſern, Mauern, Güärlen und Feldern, namentlich in 
Krzeſchitz, Trzebautitz, Mlikojed und Paint er RE Sur. 
Pögich). Dr: 


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1809, Januar 28. Brad) bei Leitmeritz das Eis der Elbe bei fehr 
hohem Wafferftande, weil e8 zu Prag 3 Tage nach einander geregnet 
hatte, Die Moldauhöhe betrug bei der Thaufluth 10 Wiener Schuh, beim 
Eisgange aber nur 6 Fuß (Mem. d. Dechantei, Fritich). 

1814, März 24. Plöglicher Eisgang der Elbe bei jehr hohem 
Wafferftande, wodurch die Eisböce zertrümmert und die 3 mittleren Pfeiler 
fammt der Brüde zum Einfturze gebracht wurden und 4 Perjonen mit 
in’s Waller ftürzten und ertranfen. An 100 Berfonen, die auf der Brücke 
ftanden, hatten ihre Rettung nur dem Umftande zu danken, daß fie furz 
vor der Kataftrophe, durch die Nachricht von dem Ertrinfen eines Haupt: 
mannes auf der Therejienftädter Straße, auf das jenfeitige Ufer hingelodt 
wurden (Berthold). 

1815, Jannar 1. Wurde die 1814 erbaute Jochbrücke beim Eisgange 
der Elbe vom Hochwaljer fortgerifien (Mem. d. Dechantet). 

1816, December 15. Iſt die fliegende Brüde bei Leitmerig durch 
den Eisftoß der Elbe fortgeſchwemmt worden; ein Theil derjelben wurde 
erft bei Dresden aufgefangen (Berthold). 

1820, Januar 20. Eisgang der Elbe bei fehr hohem Wajlerftande. 
Noch am 24. war das Waſſer um 1 Elle niedriger als 1814 (Berthold). 


1821, März 12. Erfolgte der Eisftoß der Elbe bei jehr hohen 
Stande des Waflers und verurſachte in Trzebantig, Krzejchig, Podezapel u. a. 
großen Schaden. Wafjerhöhe bedeutender al$ auno 1814 (David, met. 
Beob.). 

1824, Juni 28. In Folge häufiger Negengüffe trat eine große 
Ueberſchwemmung der Elbe bei Leitmerig ein; der Waſſerſtand betrug 
12 Wiener Fuß ü. N.; 1 Boll höher als 1821. Der Schaden an Feld— 
früchten war ungeheuer (Men. d. Ded).). 

1827, März 2. Eisgang auf der Elbe bei Leitmerig; Marimalhöhe 
am 3. März 12 Grade am Gradmeijer des Brüdenpfeilers, 4 Schuh 
3 Boll niedriger als 1784 (Mem. d. Ded).). 

1827, Juni 12. In Folge täglicher Gewitter und ftarfer Regengüſſe 
entjtand ein bedeutendes. Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig. Waſſerhöhe 
8 Grad am Brücdenpegel (Mem. d. Dechantei). 

1827, December 6. Durch rajches Aufthauen der Schneemafjen trat 
bei Leitmerig ein Hochwaffer der Elbe ein, welches 7 Grad nad) dem 
Brüdenmefjer betrug (Mem. d. Ded).) 

1828, Januar 13. Eisgang der Elbe bei Leitmerit. Waflerhöhe 
6 Grad am Brüdenpegel (Mem. d. Ded).). 


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1829. Waren 2 Hochwäſſer der Elbe; das erſte am 19. April in 
Folge eines wolfenbruchartigen Regens; das andere in der Zeit vom 
10. big 12. uni, welches 15 Zoll höher als erjteres war. Die Urjache 
des 2. Hochwaſſers fcheinen die beifpiellojen Niederfchläge im Riefengebirge 
gewefen zu fein, welche da ein rapides Schmelzen des Schnees und Ueber- 
ſchwemmungen hervorbrachten (Mem. d. Dech., Petrak, Rieſengeb.). 


1830, Februar 28. Bei dem Eisgange dieſes Jahres wurden die 
3 mittleren Eisbocke raſirt und der mittlere Pfeiler der Elbebrücke bei 
Leitmeritz ſtark beſchädigt. Der Maximalſtand des Waſſers war am 2. März 
und betrug 17 Schuh 8 Zoll, alfo ' Elfe niedriger als 1799, anderthalb 
Ellen niedriger als 1784 (Mem. d. Ded.). 


1831, Februar 13. Eisgang der Elbe bei Leitmeritz; bei Czernoſet 
thürmte ſich das Eis berghoch auf und verurſachte durch Rückſtauung eine 
Ueberſchwemmung. Erfolglos erwies ſich die Beſchießung der Eismaſſen mit 
Kanonen; am 4. März ging das Eis von ſelbſt weg (Berthold). 

1837, Mai 16. In Folge anhaltenden Negens traten die Elbe und 
Eger bei Leitmerig über die Ufern und überjchwenmten die Felder und 
Wiefen in der Umgebung der Stadt. Wafjerhöhe 11’, Schuh ü. N. 
(Dadel). 

1838, März 3. Hob fich das Eis der Elbe bei Leitmerig und ging 
bei einem Wafjerftande von 13", Schuh ü. N. ab, fank dann auf 7 Fuß 
und erreichte am 8. wieder eine Höhe von 14 Schuh (Hadel). 

1839, Februar 23. In Folge von Öfteren Regen und Schnee erreichte 
die Elbe bei Leitmerig eine Höhe von 10", Schuh ii. N. (Hadel). 

1843, Januar 30. Brad) das Eis der Elbe bei Leitmerig und fam 
in Gang; am 1. Februar bejchädigte die Eger die Ufern bei Doran und 
Brnian. Wafjerhöhe in Leitmerig 8 Schuh ü. N. (Hadel). 

1844, Mai 20, Hochwaſſer der Elbe bei Leitmerig; Wafjerhöhe 
7’ Schuh, am 31. Mai Marimum 10 Fuß (Hadel). 

1845, März 27. Erfolgte der Eisjtoß bei mittlerem Waſſerſtande; 
am 28. und 29. ftieg das Waſſer rapid, am 30. März erreichte die Elbe 
die unerhörte Höhe von 3 Klaftern 5 Fuß über dem gewöhnlichen Stande, 
beinahe einen Fuß über dem Stande von 1784. Das Wafjer bildete einen 
fürmlihen See und überſchwemmte die ganze Gegend zwiſchen den Xeit- 
meriger Vorjtädten und der Berglehne des Dorfes Göblig. Die Bewohner 
von Mlikojed und PBrojmit wurden, Dank der Aufopferung mehrerer 
Menschenfreunde, nur mit großer Noth dem ficheren Tode des Ertrinkens 
entriffen (Berthold, pat. ök. Gefell.). 


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1846, Januar 23, Fing das Eis der Eger an zu gehen, am 24. 
fam das Elbeeis in Gang; der Waſſerſtand war ziemlich hoch, am 26. 
6 Schuh, am 27. 13 Schuh 2 Zoll und am 28. hatte es feine größte 
Höhe von 14 Schuh 2 Zoll (Hadel). 

1847, Februar 19. Trat der Eisgang der Elbe bei Leitmerig ein, 
doch bald erfolgte eine Stodung des Eifes, welche ein Steigen des Waſſers 
bis auf 13%, Schuh hervorbrachte (Hadel). 

1847, Mai 1. Hochwaſſer der Elbe bei Zeitmerig, welches am 4. 
jeine größte Höhe von 10 Schuh ü. N. erreichte (Hadel). 

1848, Februar 9. Erfolgte der Eisgang der Elbe bei einem Waſſer— 
ftande von 2 Schub, der volljtändige Abgang des Eifes trat aber erſt bei 
einer Wafjerhöhe von 11Y, Fuß ein (Hadel). 

1850, Februar 4. Früh um 4 Uhr brady das Eis der Elbe bei 
Leitmerig; doch blieb es bis 10 Uhr. ſtehen; darauf ftieg das Wafjer bis 
12’, Schuh und brachte das Eis in Gang (Hadel). 

1855, März 4. Begann das Eis der Elbe bei Leitmeritz zu gehen, 
blieb aber bald ftehen, worauf das Wafler bis 16", Schuh ſtieg. Am 5. 
erjt ging das Eis vollends ab und zertrimmerte den erjten Eisbod. Das 
ablaufende Waffer lieg am linken Elbeufer eine Unmaſſe von Eisjchollen 
von 3 bis 4 Schuh Höhe liegen (Hadel). 

1858, August 3. In Folge eines heftigen Negens ftieg die Elbe bei 
Leitmerig und erreichte am 2. die Höhe von 5 Schuh, am 3. überjchritt 
fie die Ufer und erreichte endlih den Marimalftand von 10 Fuß ü. N. 
(Hadel). 

1862, Februar 2. Große Ueberfchwenmung der Elbe bei Zeitmerig. 
Am 29. Januar trat fie über die Ufer, am 1. Februar überfluthete fie 
die Inſel, ven folgenden Tag erreichte fie ihre Marimalhöhe von 20 Schub; 
3 Schuh weniger als 1845; aber ſchon am 3. fanf das Wafjer um 5 Sub 
(Hackel). 

1872, Mai. Am 25. brach in mehreren Gegenden Böhmens ein 
furchtbarer Wolkenbruch mit Hagelſchlag aus, wodurch ein Schaden von 
über 10 Millionen Gulden verurſacht wurde. In Folge dieſer großen 
Niederſchläge brachten die Moldau und Eger gewaltige Waſſermaſſen, welche 
bei Leitmeritz ein Hochwaſſer veranlaßten; am 27. erreichte die Elbe eine 
Höhe von 12", Schuh ü. N. und überfluthete die Faſaneninſel und einen 
Theil der Schüpeninfel, jegte den Thereſienſtädter Keſſel unter ae und 
ichloß das Dorf Miikojed ganz ein (Leitm;: Zeitung). 

1876, Februar. Am 18.bei einem Waſſerſtande won 3:6; Mieten t teat 
der Eisftoß der Elbe bei Leitmerig ein, am 19. zeigte: der Brüdenpegel 


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526 Meter und beim Eisgange der Eger jtieg das Waffer bis auf 
56 Meter. Diefes Hochwafler überſchwemmte die Schüten-, Miühl- und 
Herzinfel, drang in die Mühlgaſſe ein und ſtand da über 30 Centimeter 
hoc), bei der. Elbereftanration war die Wafjerhöhe faſt 2 Meter. Mlikojed 
ftand ganz unter Wafjer und die Therefienftädter Straße war nur auf 
Kähnen paſſirbar (Leitm. Zeitung). 

1881, März. Am 8., bei niedrigem Waſſerſtande, begann das Eis 
der Elbe und Eger zu gehen, am 9. ftieg das Wafler auf 45 Meter 
und überſchwemmte die Schüßeninfel, trat in der Fiſcherei aus, umgab 
die Elbereftauration, überfluthete den Therefienftädter Keſſel und ſchloß das 
Dorf Mlikojed ein (Leitm. Zeitung). 

1886, März 23. Nachmittags um 2 Uhr erreichte die Elbe bei 
dichtem Eisgange die Höhe von 28 Meter, das Waffer ftieg fortwährend, 
am 24. fam das Egereis, worauf die Elbe bis auf 4.8 Meter anwuchs. 
Bom Damme der Eifenbahu bis zu den Wällen der Feltung war cin See, 
Deutſch-Mlikojed glich einer AYnfel, jo daß man nur auf Kähnen dahin 
gelangen konnte. Die tiefer gelegenen Häufer der Vorftadt, wie Elbe- 
reftauration, Dampfmühle u. a. ftanden ganz im Waffer. Die Schüßeninfel 
war ebenfalls überfluthet und bei der Mühlgafje erreichte die Elbe gerade 
die Straßenhöhe (Leitin. Zeitung). 





EV WW zw WE we 


Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Indn- 
ftrie Nordböhmens. 
Bon Profeffor Franz Kübler. 


2. Ignaz Ginzfey, ') 


Fährt man auf der Gebirgsftraße von Reichenberg nad dem ge: 
werbfleißigen Gablonz und Tannwald, fo ift das legte große Gebäude 
Reichenbergs die rühmlichjt befannte, großartige Fabrifsanlage von Johann 
Liebieg und Co. Der nächſte Ort, welchen man nach kaum vierteljtündiger 


1) Fortfegung des erften Artikels in der erften Nummer des 24. Yahrganges ber 
„Mittheilungen“. Außer mündlichen und jchriftlihen Mittheilungen von Seite 
der Firma Ginzkey wurde benugt: „Ignaz Ginzkey.“ Ein Eulturbild von 
Dr. 5. Mamroth. (Als Manufeript gedrudt.) Zweite Aufl. Reichenberg 1877. 
„Dorfchronik“. Geſchichte der Ortichaften Maffersdorf, Proihwig und 


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Fahrt berührt, ift Maffersdorf, und hier ift wieder eines der erſten 
in die Augen fallenden Gebäude die großartige Fabrit von Ginzfey, 
zwiſchen Park- und Gartenanlagen verjtedt, aus welchen die Dächer und 
ſchlanken Schlote emporragen. Der Ort, welcher ſich längs der Neiſſe 
und der Gebirgsjtraße dahinzieht, gewährt mit feinen malerifch im Thale 
und an den grünen Bergabhängen zerjtreut Tiegenden hibjchen, weißge— 
tünchten und fauber gehaltenen Hänfern und Häuschen, eingerahmt von 
Heinen Objt- und Blumengärtchen, einen jchönen Anblid und macht auf 
den Fremden den günftigjten Eindrud. Man fteht, daß deutſcher Fleiß 
und deutjche Neinlichfeit hier haufen, daß unausgejegte lange Arbeit und 
Sparjamtfeit das auge und herzerfreuende Bild jchufen. 


Maffersdorf und das damit zufanmenhängende Proſchwitz, 
liegt zu beiden Seiten der Neiffe und wird von zwei Kämmen: dem 
Profhmiger Kamme im Norden und dem Maffersdorfer Kamme im Süden 
eingeſchloſſen. Dadurch eingeengt Fonnte ſich der Ort nicht in die Breite 
jondern nur in die Länge, den Neiffeftrom auf und abwärts, ausdehnen 
und wenn man auf der Gebirgsitraße von Reichenberg nad) Gablonz 
fährt, hat man Muße, den Ort in feiner ganzen Ausdehnung kennen zu 
lernen. Der Proſchwitzer Kamm iſt ein fchöner, iſolirt daſtehender Berg- 
rücken, welcher von Südoſt nach Nordweit ftreicht und deſſen höchſter 
Punkt 592 Meter mißt. Sein äußerjter nordweitlicher Ausläufer ift der 
jogenannte Wachberg vor Maffersporf. Diejer Bergrüden fchügt einen 
Theil von Maffersdorf, namentlich das ſüdlich gelegene Proſchwitz vor den 
rauhen Nordwinden, jo daß der Objtbau, wenn auch nur in mäßigem 
Umfange, noch mit Erfolg betrieben werden fanı. Parallel mit dem 
Projhwiger Kamme und in derjelben Richtung ftreicht der Maffersporfer 
Kamm, welcher ſich von dem eine halbe Stunde von der Neijje entfernten, 
634 Meter hohen Kaijerjtein oder Kohljtatter Spigberge in 


Neuwald von U. Fäger, Neichenberg 1865. Bon demfelben Berf.: „Meine 
Bildungsgefhichte”, Separat-Abdruck der in den erften 4 Heften bes 12. 
Jahrganges der „Mittheilungen“ erjchienenen Artikel, herausgegeben von 
Dr. Ludw. Schlefinger, Prag 1874. Ferner: „Böhmische Dorfinduftrie“, 
Mittheilungen IV. Jahrgang, 2. Heft. „Chronik der preußifhen In— 
vafion des nördlihen Böhmens im Jahre 1866“ von A. Jahnel. 
Reichenberg 1867. „Beitrag zur älteften Ortskunde der Herr: 
ihaften Reihenberg, Grafenftein und Lämberg“ von P. U. Hoff: 
mann im 11. Jahrgange der „Mittheilungen des Vereines der Naturfreunde 
in NReichenberg“. Nekrologe in der Neichenberger Zeitung Jahrgang 1876, 
Nummern vom 4.—28. Juni, der deutſchen Zeitung vom 28. Juli 1876. 


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nördlicher Nichtung abzweigt. Zwijchen den beiden Kämmen eingebettet, 
liegen theils auf dem Bergabhange, theils in der Thaljohle die beiden 
genannten Ortjchaften Maffersdorf und Proſchwitz. Während im Sitdoften 
das Thal durch die nahe hevantretenden fteilen Bergwände eingeengt ift, 
erweitert es ſich im Nordweiten; die Bergabhänge treten etwas mehr vom 
Ufer der Neiffe zurüc, find auch weniger fteil nnd das Thal gewinnt hier 
eine Sohle bis zur Breite von hundert Schritten. Die Thalwände bejtehen, 
wie beinahe das ganze Fergebirge, aus Granit. Die Thaljohle war vor 
Fahrtaufenden ganz vom Waſſer der Neiffe eingenommen, denn man ftößt 
alfenthalben beim Graben in der Tiefe auf mächtige Bänke angeſchwemmten 
Saudes, vermifcht mit Mufchelfchalen und abgerundeten Kiefeljteinen. Be— 
jteigt man irgend einen erhöhten Punkt der beiden genannten Kämme, fo 
genießt man eine weithin fich erſtreckende prächtige Rundſchau, zunächit 
auf das zu unferen Füßen ausgebreitete, dicht bebaute Neiffethal mit feinen 
zahlreichen Häuschen und ftattlihen Fabriken, auf die in fanften Wellen: 
Iinien verlaufenden beiden Kämme, auf das gegen Nordojten und Oſten 
dahinter fi aufbauende Iſer- und Riefengebirge und auf das gegen Nord» 
weiten jtreichende Lanfiger Gebirge mit dem Jeſchken, welches fern am 
Horizonte ji) mit den Ausläufern des Iſergebirges verbindet und die 
breite Thalerweiterung bei Reichenberg, das Niederland genannt, abjchlieft. 

Maffersdorf wurde von Slaven und Deutfchen gegründet, indem 
hier, am Endpunkte des Neichenberger Thalfejfels, die vom Norden den 
Neifjeftrom aufwärts ziehenden Deutjchen und die vom Süden vorrücdenden 
jlaviichen Anfiedler aufeinanderjtießen. Die Neiſſe trennte die beiden An- 
fiedlungen. Die ältere Anfiedlung war die flavifche, und hieß Wrati- 
ſlawitz (Wratijlamicz). Sie befand ſich am linken Neifjeufer, jedoch nicht 
in der Thalfohle, jondern auf den Höhen und den Abhängen des Maffers- 
dorfer Kammes. Als Ort mit einer Pfarrfiche wird Wratiflawig zuerſt 
im Jahre 1359 genannt. Fu den Hufittenfriegen wurde der Ort ſammt 
der Pfarrkirche völlig zerjtört. Noch jegt zeigt man den Platz, wo die 
erjte Kirche gejtanden fein foll und zwar auf einer Anhöhe des Maffers- 
dorfer Kammes bei den jogenannten Zobelbirfen (vormals ein fchöner 
Hain) unweit dem ehemaligen Richterhaus Nro. 116. Ein Feldplan un- 
weit davon heißt noch jegt „der Kicchhof”. Die deutſche Anfiedlung erfolgte 
jpäter und zwar, wie beveitS erwähnt, vom Norden und Nordweften ber, 
indem, wie e8 auch naturgemäß war, aus dem Niederlande der Laufig 
die deutschen Anfiedler jtromanfwärts dem Laufe der Neifje folgten und 
theil8 über Zittau, theils iiber Seidenberg und Friedland in den Reichen: 
berger Thalkeſſel vordrangen, wie man dies namentlich aus der Ver— 


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gleichung der biefigen Ortsnamen mit denen der benachbarten Lauſitz nach- 
weijen kann. Wie heutzutage noch die deutfchen Auswanderer in Amerifa 
den Neugründungen die Namen ihrer Heimat geben, fo war es aud) da- 
mals; die Colonijten der Laufig gaben den Neugründungen im Neifjethale 
theilweife die Namen ihrer verlafjenen Heimatsorte. Daher finden mir 
bier und in der preußiſchen Lauſitz gleichnamige Dörfer, wie: Kunnersdorf, 
Heinersborf, Berzdorf und Maffersdorf. Das legtere entfpricht dem Meffers- 
dorf in der preußifchen Laufig zwiſchen Neuftadtl und Friedeberg, wurde 
früher Maeffersdorf und Meffersdorf gejchrieben und ift jedenfalls eine 


Colonie des erfteren. Das Vorrücden der deutſchen Anfiedlungen, das 


Neiſſethal aufwärts, erreichte in dem engen Thalkefjel zwifchen dem Maffers- 
dorfer und Profchwiger Kamme feinen natürlichen Endpunkt, da das jeu— 
jeit8 der Neifje auf den Höhen liegende Wratijlawig, ferner Projchwig, 
Radl und Gablonz bereits von Tſchechen und zwar vom Iſerthale aus, 
angelegt waren. AS im Hufittenkriege, wie jchon erwähnt, die beiden 
DOrtichaften eingeäfchert wurden, trat allmählig nach dem, Wiederaufbau 
derjelben der ältere Name Wratijlawig zurüd, während die deutfche Dorf- 
anfiedlung am rechten Neiffeufer die Oberhand behielt, fo daß der Name 
Maffersdorf auch auf die urfprünglich ſlaviſche Anfiedlung am Linken Ufer 
ausgedehnt wurde, was im Laufe des 16. Jahrhunderts erfolgte. Die ur- 
Iprünglihe Trennung Maffersdorfs in zwei Gemeinden dauert übrigens 
bis auf den heutigen Tag fort, obwohl alle Gründe für eine Vereinigung 
der beiden Gemeinden jprechen würden, indem man gegenwärtig Maffers- 
dorf rechts und links der Neiſſe unterjcheidvet. Dies hat darin feinen 
Grund, daß urſprünglich die beiden Thalfeiten der Neiffe zwei verſchiedenen 
Herrſchaften: Neichenberg und Böhmiſch-Aicha, gehörten. Als nad) Auf- 
hebung des herrichaftlichen Unterthänigfeitsverhältnifjes im Jahre 1850 
beide Gemeinden in den Neichenberger Bezirk famen, hätten fich diefelben 
leicht zu einer Gemeinde vereinigen können, wenn man die Vortheile einer 
ſolchen Vereinigung befjer eingejehen hätte. Die im Hufittenfriege ver- 
brannte alte Kirche wurde nicht mehr an derjelben Stelle aufgebaut. Die 
gegenwärtige Pfarrkirche zur heiligen Dreifaltigkeit befindet ſich auf der 
rechten Thalſeite der Neiffe innerhalb der deutſchen Anfiedlung und ftammt 
vom Jahre 1701, indem fie an Stelle der früheren hölzernen, wahrfcheinlich 
im Sabre 1563 erbauten Kirche von dem italienischen Baumeister Marco 
Antonio Chianivalle aus Prag errichtet wurde. Das ältefte und merk: 
wilrdigjte Geräth der Kirche ift ein vom Jahre 1563 ftammender Tauf- 
brunnen aus Zinn, welcher auf einem fteinernen Fuß fich erhebt und mit 
einem hölzernen Dedel verjehen ift. 


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Die Bewohner Maffersdorfs Iebten feit den älteften Zeiten neben 
dem Landbau von der Zeinweberei und Spinnerei. Das ziemlich 
rauhe Gebirgstlima, der unebene Kiesboden, aus welchem hie und da die 
Granitmaſſen zu Tage treten, find der Landwirthichaft nicht günftig, fo 
daß jchon zur Zeit der erften Anfiedlung, als die Bevölferung noch dünn 
war, die Feldfrüchte zur Ernährung der Bewohner nicht hinreichten und 
das Fehlende aus dem fruchtbaren Flachlande bezogen werden mußte. Die 
Mittel zum Ankaufe mußten duch gewerbliche Thätigfeit gewonnen 
werden. Der erste und urjprünglichjte Induſtriezweig des Ortes und der 
ganzen Gegend um Neichenberg war die Leinweberei, welche die An- 
jiedler aus ihrer Heimat mitbradıten. ) Man baute Flachs, ſpann den— 
jelben und wob aus dem Garne Leinwand, welche zum Xheile an die 
reicheren Bauern des Flachlandes verfauft oder vertaufcht wurde. Die 
Wiefen an der Neilje boten auch günftige Gelegenheit zum Bleichen. Syn 
der früheren Zeit traf man faft in einem jeden Haufe, mit Ausnahme - 
der Banernhäufer, einen oder mehrere Webjtühle. Die Weber haufirten 
auch als „Garnmänner“ im Flahland das Garn zufammen, woraus 
für die Landleute um Lohn Hausleinwand gewoben wurde. Der Lein- 
- weberei der hiefigen Gegend wird auch in alter Zeit jchon gedacht. Bereits 
im 14. Jahrhundert unter König Johann von Luxemburg giengen böhmifche 
Linnen bis nad Hamburg. Im Fahre 1630 gab es in Maffersporf 
24 Weber. Die Linnenhändler diefer Gegend hatten im fogenannten 
Kopengebäude zu Prag ihren Sig. Einzelne Weber brachten es im 
Spinnen und Weben zu bejonderer Kunftfertigfeit, jo daß von den feinften 
Strähnen vier durch einen Fingerring gezogen werden fonnten und die 
daraus gefertigte Waare überall gejucht war. Manche verjtanden es auch, 
das Garn für gemufterte Zeuge zu färben. Es ijt eine Thatjache, welcher 
hier gedacht werden joll, die freilich beinahe ſchon vergeffen ift, daß die 
Kunftweberei in Berlin durch einen Maffersdorfer Weber begründet 
wurde. Bor 100 Jahren, jo erzählt A. Jäger in feiner Dorfchronif, 
hatte ein Maffersporfer Weber in der Fremde die. Damaftweberei erlernt. 
In feinen Geburtsort zurückgekehrt, errichtete er einen Fünftlichen Webftuhl 
mit vielen ZTrittlingen, worauf er gezogene Tücher mit allerhand Figuren 
und Muftern wirkte. Da er jedoch damit im feiner Heimat nicht den 
rechten Wirkungsfreis finden fonnte, jehnte er fich wieder fort. Da hörte 


1) In Ritter's geographifch-ftatiftiihem Lericon 7. Auflage 1883 wirb bei 
Meffersdorf im preußiſchen Regierungsbezirk Liegnig die Leinweberei als 
Hauptbeihäftigung ber Bewohner angeführt. 


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er, daß der preußifche König Friedrich II. gejchidte Gewerbsleute ſchätze 
und gut entlohne. Raſch entjchloffen verfertigte er ein kunſtreiches Tafel— 
tuch mit einer großen Zahl von Figuren und Zeichnungen und wanderte 
damit, begleitet von feinem Weibe, nach Potsdam, wo er ſich dem Könige 
vorftellen Tieß und ihn das Tafeltuch als Geſchenk überreichte. Er hatte 
fi auch in feinen Erwartungen nicht getäufcht. Der König nahm ihn 
huldvoll auf, belohnte ihn reichlich und bewog ihn, in Berlin fich nieder- 
zulaffen und die Damaftweberei zu errichten. Damit war fein Glück be- 
gründet und fo wurde von Maffersporf aus die Damaftweberei in Berlin 
eingeführt. 

Heutzutage ift die Leinweberei in Maffersporf wie in Neichenberg 
beinahe gänzlich erlojchen und durch andere Induſtriezweige verdrängt, 
Eigentliche Weberdörfer find gegenwärtig nur noh Langenbrud und 
Jerſchmanitz und andere Ortjchaften, in welchen wegen Mangel an 
fließenden Gewäſſer Feine Fabrik errichtet werden Fonnte. Außer der Lein— 
weberei birgerte fich auch frühzeitig in Maffersdorf und den benachbarten 
Ortichaften (Reichenberg gleichfalls) die Strumpfwirferei ein, welde 
namentlich zu Anfang unjeres Yahrhundertes, während der franzöfiichen 
Kriege, einen bejonderen Aufſchwung nahm, da fie beträchtlichen Gewinn 
abwarf. Später jedoch begann jie rajch wieder zu finfen und von dem 
ehemals blühenden Strumpfiwirfereigewerbe hat jih nur im nahen Pro: 
Ihwig und den nördlich davon gelegenen Ortſchaften ein jpärlicher Reit 
erhalten. Einen weiteren erheblichen Erwerbszweig für Maffersdorf bil- 
deten jeit langem die Hilfsarbeiten für die Neichenberger Tud- 
indujtrie, indem auf Handrädern das Garn fir die Neichenberger 
Tuchmacher gefponnen wurde. Wenn auch mit der Einführung der Ma- 
ſchinen diefer Erwerbszweig aufhörte, jo blieb doch dem Maffersdorfer 
Thale eine andere Hilfsarbeit der Neichenberger Tuchinduſtrie fait aus- 
ichlieglich erhalten, nämlich die Tuchleiften- oder Zwijtenerzen- 
gung. Das Garn, wozu man überaus ftarfhaarige Wolle, wohl aud) 
Ziegen- und Kälberhaare nimmt, wird jegt hauptſächlich auf Mafchinen, 
jeltener. wohl auf Handrädern gejponnen und den Neichenberger Tuch- 
machern für die Salbäuder der Tücher geliefert, ja es wurde bis Görlig, 
Sorau und Cottbus jowie nad) Brünn ausgeführt. Hiebei ift eine Theilung 
der Arbeit jeit Alters eingeführt, indem die Männer den Einfauf der 
Wolle, das Färben und die Zwijtenerzeugung vornehmen, während die 
Frauen die fertige Waare auf den Märkten der Umgebung, ſelbſt in Prag, 
meift aber im nahen Reichenberg abjegten. Doch fam es auch vor, daß 
die Frauen das Färben und die Zwiftenerzeugung gleichfalls beforgten. 


= A 


Endlich ſei noch eines Erwerbszmeiges gedacht, welcher in neuerer Zeit 
manchen Bewohner Maffersdorfs dem Webjtuhle entzog und gegenwärtig 
viele Familien ernährt, nämlich) dag Steinmetzgeſchäft. Das Gebirge 
und die Thalabhänge weijen in dem zu Zage tretenden Geſtein einen 
feinförnigen Granit auf, welcher zu Thürjchwellen, Stufen, Fenſterbänken 
und Platten verwendet wird. Außerdem find, namentlich im oberen Neiffe- 
thale, die Thalgehänge und Wieſen mit einer Unzahl von Granitblöden 
bededt, welche von den betreffenden vegjamen Steinmeßfamilien verarbeitet 
und in Geld umgewandelt werden. 

Der Name von Maffersdorf ift jedoch erjt in der neueſten Zeit über 
die engeren Grenzen der Heimat hinausgetreten, er wurde erſt weltbefannt 
durch die von Ignaz Ginzfey gegriindete großartige Deden- und Teppich— 
fabrif, *) die größte diefer Art in ganz Dejfterreich, wodurch nicht nur ein 
neuer bedeutender Syuduftriezweig für Maffersdorf und deſſen Umgebung 
geichaffen wurde, die Hundert rührige Hände ernährt, ſondern wodurd) 
auch die rajchere Entwidlung des Ortes ſelbſt, der gegenwärtig zu den 
bevölfertjten des ganzen Bezirkes gehört (er zählt in 458 Häufern 4910 Ein- 
wohner und zwar 2503 rechts und 2407 links der Neifje), bedingt wurde. 

Ignaz Ginzkey, der Begründer der genannten großartigen 
Yabrifsanlage, und ein würdiges Gegenftüd zu Johann und Franz Liebieg, 
wurde in Maffersdorf links der Neijje am 25. Juni 1819 im fchlichten 
Weberhäuschen Nro. 212 geboren und in der Pfarrfirche dajelbit getauft. 
Ignaz Ginzfey gieng, wie Johann Liebieg, aus bejcheidenen Verhältniſſen 
hervor; jein Vater Ignaz betrieb neben der Gärtnerei die Weberei 
und Tuchleiſtenſpinnerei, während die Mutter Helena, cine geborene 
Kretihmer aus Maffersporf, das Verfaufsgefchäft der erzeugten Waaren 
bejorgte. Ignaz war von 6 Gejchwijtern, 3 Brüdern und 3 Schwejtern, 
das vierte Kind. Anfangs etwas fchwächlich, entwidelte er jich mit Beginn 
des Schulbefuches zu einem frischen, kräftigen Jungen. Den erjten Unter- 
richt genoß er in der zweiclaſſigen Pfarrjchule feines Heimatsortes, die er 
fleißig durch 6 Jahre beſuchte. Unterrichtsgegenjtände zu jener Zeit waren 
Religionslehre, Lejen, Rechnen, Recht: und Schönjchreiben, als Schulbücher 
waren die Fibel, der Katechismus, die bibliiche Gefchichte und das Evan: 
gelium in Verwendung. Obwohl nun zu jener Zeit das Schulwejen, 


1) In Ritter’3 geographifcheftatiftiichem Lericon iſt Maffersporf zunächſt jelbftändig 
angeführt mit der Bemerkung: „Biel Weberei, Streichgarnipinnerei und Tep— 
pichfabrifen”, ohne daß der Name Ginzfey erwähnt wurde, ferner unter Rei— 
henberg nohmals aber unrichtig „Meffersdorf mit Shawlsfabriken.“ Shawls 
werden in Mafferödorf nicht erzeugt. 

Mittheilungen, 25. Iahrgang, 2, Heft. 12 


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verglichen mit unferen gegenwärtigen Verhältniffen, auf einer jehr niedrigen 
Stufe jtand, jo waren dennoc unter einem bedeutenden Bruchtheil der 
Devölferung Maffersdorfs gediegene Kenntniſſe und namentlich, wie od) 
heutzutage jowohl hier wie in der ganzen Gebirgsgegend, viel Sinu 
für Weiterbildung vorhanden. Dies hatte vornehmlich darin feinen 
Grund, daß Maffersdorf eine der erjten DOrtsgemeinden diefer Gegend 
war, welche im Schulunterrichte die Reformen der bekannten Schulmänner: 
Felbiger und des Bilchofs Kindermann, Edlen von Schuljtein (gejtorben 
in Zeitmerig im Jahre 1801), einführte, wodurd) das frühere nußloje 
Formelwerk und Auswendiglernen befeitigt, die Denkthätigkeit des Kindes 
geübt, die Schüler nad) Alter und Fähigkeit in Claſſen eingetheilt und 
der vegelmäßige Schulbefuch verbindlich gemacht wurde. Auch Reichenberg 
nahm damals an den fortichrittlichen Neuerungen einen lebhaften Antheil. 
Graf Ehrijtian Bhilipp Clam-Gallas hatte im Fahre 1776 den um die Ber: 
bejjerungen des Schulwejens verdienten und auch als pädagogischen Schrift: 
jtellev befannten P. Franz Scholz zum Divector des gefammten Schul: 
wejens auf feinen Herrichaften: Friedland, Grafenjtein, Laemberg und 
Reichenberg eingefegt. Jede Schule auf der gefammten Herrichaft beſaß 
Lehrer, welche in der Prager Normaljchule ihre Prüfung abgelegt hatten. 
Die von 1810—12 gebaute Altftädter Volksſchule in Neichenberg war das 
größte und ſchönſte Schulgebäude in ganz Böhmen. In Maffersdorf brad) 
dem neuen Unterrihte Gottfried Pijchelt Bahn. Er war 1781 im 
Kunnersdorf bei Friedland geboren (gejtorben zu Maffersporf 1857, 
76 Jahre alt), hatte in Brag feine Prüfung als Hauptſchullehrer ab: 
gelegt und Fam im Jahre 1824 von Grafenjtein nach Maffersdorf, wo 
er das alte Lehrſyſtem der Buchſtabirmethode bejeitigte und die 
neue Lautirmethode einführt. Er jah bei jeinen Schülern befonders 
auf eine jchöne, gleihmäßige Handjchrift und er erzielte auch im Uuter- 
richte die ſchönſten Erfolge, jo daß jich jeine Schüler rühmten, bei ihm 
mehr als in anderen Schulen gelerut zu haben. Sp erzählt A. Jäger, ') 
daß, als nach einer Taufhandlung in der Meaffersdorfer Pfarrkirche der 
Zaujpathe vom Pfarrer gefragt wurde, ob ex jeinen Namen jelber in die 
Zaufmatrif einschreiben fünne, der Gefragte antwortete: „Freilich kann ich 
das, ich bin ja bei Pilchelt in die Schule gegangen!" Gleichzeitig mit 
Piielt wirkte an der Maffersporfer Schule von 1824—31 der Caplan 
Stephan Sommer aus Oberberzdorf bei Neichenberg, ein Prieſter in 
de3 Wortes edeljter Bedeutung und ein großer Kinderfreumd, der auf Weg 


1) Dorſchronik, pag. 202. 


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und Steg jtetS von einem Schwarm Kinder umgeben war. Diefer Mann 
pflanzte in der ihm anvertrauten Jugend, ja ſelbſt in weitere Kreife, jenen 
Sinn für eigene Weiterbildung, der bis auf den heutigen Tag vorhanden 
it und welcher unter anderem die trefflichen und eigenartigen Schilve- 
rungen des Maffersdorfer Mühlenbefigers Anton Jäger als edle Frucht 
zeitigte, Schilderungen, die zu den beiten Leijtungen ihrer Art gerechnet 
werden müſſen.!) Aus eigenen bejcheidenen Mitteln jchaffte ev eine Samm- 
lung von Volks- und Yugend-Schriften, 3. B. von Ehriftoph Schmidt und 
Anderen an, welche er an Kinder und Erwachjene zum Leſen auslieh. 
Bon der kleinen Bibliothef Sommers wurde in der Gemeinde fleißig 
Gebrauch gemacht, und allmählig begann man auc in einzelnen Familien 
ven Wert eigener Bücherfammlungen zu jchägen und nad) Maßgabe der 
Vermögensverhältniſſe ſelbſt Bücher anzufchaffen, eine Gepflogenheit, die 
leider und fjehr zum Schaden unferer dentichen Literatur heutzutage felbjt 
in ſehr reihen Familien noch nicht geiibt wird, indem man lieber die 
ſchmierigen Bücher der Leihbibliothefen zu leſen vorzieht, jtatt eigene Bü— 
chereien, wie zum Beijpiel in England, zu bejigen. 

Sp waren die Schulverhältnifje bejchaffen, als der junge Ginzfey 
den erſten Unterricht genoß und das Zuſammentreffen diefer günſtigen 
Verhältniſſe mag es auch erflärlih machen, daß Ginzfey in der Maffers- 
dorfer Schule eine jo fihere und ausgiebige Grundlage für 
jein ganzes Leben erwarb, wodurd auch ein guter Theil 
jeiner fpäteren großen Erfolge bedingt wurde, In der Schule 
entwicelte Ginzkey eine beſondere Vorliebe für das Nechuen, worin er 
auch feine Mitſchüler überragte. Auch in den vorgenommenen ejell- 
ichaftsjpielen that ev fich hervor, indem er häufig im Spiele einen jchlau 
angelegten Spaß einzuflechten verjtand, wodurch demfelben mehr Leben 
verliehen wurde. Als er die vorgejchriebene Schulzeit hinter ſich hatte, 
wurde er, wie es damals üblich war und felbjt heute noch vorkommt, auf 
ein Jahr „ins Böhmische" geſchickt, um die zweite Landesiprache zu 
erlernen. In das Elternhaus zurückgekehrt, erlernte er beim Vater die 
Weberei und half auch der Mutter bei dec Verfertigung und beim Färben 
des Zwijtengarnes und trug mit ihr das am väterlichen Webjtuhl Erzeugte 
in die nahe Stadt. 

Bald traf die Familie Ginzfey, welche in befcheidenen, aber doc) 
erträglichen Verhältniſſen lebte, ein fchwerer Unglüdsichlag. Der großartige 

1) So 3. B. feine bereits angeführte Dorfhronit von Maffersdorf, fowie 

„Meine Bildungsgefhichte” (Mittheilungen, 12. Jahrg.). Er ftarb zu Maffers- 


dorf am 19. Nov, 1872, 
12* 


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Aufſchwung in der Schaf- und Baummwoll-Fnduftrie des Auslandes in Folge 
der allgemeinen Einführung der Mafchinen hatte fir die djterreichifche 
Induſtrie, die zu Ende der dreißiger Jahre unferes Yahrhundertes durchaus 
noch Hausinduftrie war, eine Reihe von fchlechten Gejchäftsjahren 
zur Folge, welche ſich zwijchen 1837—39 auf die gefammte Schafwoll- 
induftrie erjtredten und in vielen Hütten des gewerbfleißigen deutſchen 
Nordböhmen Noth und Elend brachten. Auch Maffersdporf wurde dadurch 
hart getroffen und der Vater des Ignaz Ginzkey jah jich in Folge der 
allgemeinen Arbeitsjtokung und eingetretener Zahlungsverlegenheiten im 
Jahre 1839 genöthigt, fein Beſitzthum mit der Gartenwirtbichaft feinem 
ältejten Sohne Joſef, welcher die Strumpfwirferei betrieb, zu verkaufen. 
Da fich die fchlechten Gefchäftsgänge auch auf die Strumpfwirkerei er: 
jtredten und diefe immer weniger erträglich wurde, war auch er nicht 
im Stande, das Verhängnis abzuwenden. Nad) zweijährigem, vergeblichem 
Ningen mußte das väterliche Grundſtück gerichtlich verfauft werden. Der 
Bruder überlebte diefen Schidjalsichlag nicht Tange, er ftarb bereits am 
25. April 1841. Wiewohl in der VBertragsbeftimmung des Verfaufes der 
Familie Ginzfey das Wohnrecht im Haufe zugefichert worden war, jchien 
doch der Feine Hausjtand den bitterjten Entbehrungen entgegenzugehen, 
weil die Gläubiger unaufhörlich drängten und die Großeltern durd) das 
Unglück gebeugt, kaum im Stande waren, das Nöthige für den täglichen 
Bedarf aufzubringen. Dies war für den jungen Ignaz eine kummerreiche 
Zeit, eine rauhe Schule, welche jedoch bei ihm, wie bei alfen geſund an- 
gelegten Naturen, die Thatkraft anfachte und verdoppelte, den widrigen 
Berhältniffen Trog zu bieten. Da traf kurze Zeit darauf die Familie ein 
zweiter Schlag: jchon am 2. März 1843 folgte der Vater dem voraus: 
gegangenen Bruder ins Grab. 

Nun war Ignaz im Alter von 24 Fahren das Haupt der Familie, 
ihr Heimmejen war im Verein mit der Mutter feinem Fleiße und feiner 
Umficht anvertraut. Das Unglüd und die ſchwere Zeit hatten feine That- 
fraft geftählt, ev jah es als jeine Hauptaufgabe an, die von den Eltern 
übernommenen Berpflichtungen und Verbindlichkeiten pünktlich zu erfüllen 
und das verloren gegangene väterliche Bejigthum durch raftlofe Arbeit 
wiederzuerlangen. Mit durchdringendem Verſtand begabt, erkannte er bald, 
daß das vorgeſteckte Ziel nicht mit den gewöhnlichen Mitteln zu erreichen 
und daß mit einem einzigen Webjtuhle, an welchem bloß Wollzeug ver- 
fertigt wurde, nicht vorwärts zu fommen fei, daß daher neue Erwerbs: 
wege eingejchlagen werden müßten. Infolge dejjen verfiel der junge 
Ginzkey auf die Idee „Teppiche“ zu erzeugen, da er ſah, daß in den 


— 11 — 


mittleren und felbjt niederen Gejellfchaftsclaffen bereits das Streben vor- 
handen war, die Wohnräume bequemer einzurichten und fie durch Teppiche 
zu zieren, welche infolge der mafjenhaften Erzeugung duch die Mafchinen 
bedeutend billiger geworden waren. Die Betten, wo beinahe °',, der Be: 
völferung zur Lagerftätte eine hölzerne Britiche und als Kopfpoljter einen 
hölzernen Block hatten, wo die wenigjten Wohnungen einen Herd befaßen, 
jtatt der Glasfenfter hölzerne Läden oder in Del getränftes Papier oder 
Tuchlappen und Flechtwerk verwendet wurden, wo jelbft das Schlafgemad) 
der Könige jtatt mit einem Teppich mit frifchen Binjen oder Reiſig belegt 
wurde, wo der Beſitz eines Hemdes oder eines Schnupftuches oder eines 
Paares Strümpfe als Luxus galt, waren eben vorüber. Wie wenige 
denken aber heutzutage daran, daß fie föniglicher wohnen, als früher felbft 
die Könige, daß anftändige Arbeiterfamilien ‚heutzutage ſich bejjer Eleiden, 
wohnen, ſchlafen und efjen als die höchjten Adelsfamilien in Deutjchland 
im 11. Kahrhundert! Gab es ja doch noch zu Anfang unferes Jahrhun— 
derts in diefer Gegend viele Arbeiter: und Hänsler-Wohnungen ohne 
Fenfter und irgend welches Hausgeräth, Wohnungen, in welchen der 
Rauch vom Herdfeuer durch die Thür und die Riten der Wand ſich Aus: 
gang verfchaffen mußte und das Licht durch diefelben Deffnungen Eingang 
fand. Wie anders ift es heutzutage! Wie viele Arbeiterfamilien wohnen 
nicht in hübſchen aus Stein gebauten mit Schiefer gebeten Häuschen, 
hinter den Fenjtern Vorhänge, hie und da auch Gypsfiguren, vor denjelben 
Blumen, auch ein Gärtchen, das Innere nett und. gut eingerichtet, mit, 
wenn auch einfachen, Fußteppichen und Zifchdeden verjehen. Freilich 
hat diefen Zuftand verhältnismäßigen Wohlftandes in unferer von Natur 
aus unfruchtbaren Gegend nur angeftrengte, gewerbliche Arbeit her- 
beigeführt, vermochte nur diefe der bereits fehr dicht gewordenen Be— 
völferung ihr Fortbejtehen und ihre ungefährdete Entwiclung zu fichern, 
fie zu einen menjchenwirdigen Dafein emporzuführen. 

Sp gieng nun der junge Ginzkey in der richtigen Erkenntnis der 
Berhältniffe feiner Zeit daran, Teppiche zu erzeugen und jchon am 
12. März 1843, demnach wenige Tage nad) dem Tode jeines Vaters, 
jehen wir ihn im väterlichen Haufe den erjten Zeppichftuhl mit der 
äußerſt finnreich gebauten Jacquardmaſchine aufftellen, dem noch im Herbfte 
desjelben Jahres ein zweiter folgte. Neben feinen beiden Teppichjtühlen 
jtellie Ignaz Ginzkey zwei Jahre jpäter den erjten Stuhl zur Erzeugung 
ihafwollener Deden auf. Das waren, wie bei Johann Liebieg, die 
Eleinen und unbedeutenden Anfänge eines Fabricationszweiges, welcher jpäter 
einen jo glänzenden und bedeutenden Aufſchwung nehmen follte und welcher 


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zu der jegt ausgedehnten großartigen Fabriksanlage führte, deren Erzeug: 
niffe fich den Weltmarkt eroberten und die den Namen „Maffersdorf” über 
den Ozean in ferne Länder getragen haben. Wenn aud) hier, wie in allen 
Dingen der Anfang jchwierig war, jo war doch bald ein Aufichwung des 
kleinen Gejchäftes zu bemerken, und zu Allerheiligen des Jahres 1845 
bezog Ignaz Ginzkey zum erſtenmale mit feinen jelbjterzeugten Teppichen 
und Deden den Wiener Markt. Für den Anfang war es feine geringe 
Lajt, welche Ginzkey mit diefer Betriebserweiterung auf feine Schultern 
nahm, doch verlor er nie feinen frohen Lebensmuth und jene Hoffnungs— 
freudigfeit. Stets heiteren Gemüthes uud liebenswürdig war er, wo es 
mit gutem Anftande gefchehen Konnte, namentlih an Sonntagen, heiter und 
febensluftig, und auf dem Zanzjaale beim „Maffersdorfer Scholzen”, damals 
der Mittelpunkt ver befjeren Gejelffchaft aus Neichenberg und Umgebung, 
war er als „flotter Tänzer“ gern gejehen. Trotz feiner heiteren, zum 
Frohfinn geneigten Gemüthsart war Ginzkey in der Wahl feines Umganges 
wählerifh und er war nicht jedermanns Freund, Er war bemitht, fich 
immer den bejjeren Gejelljchaftsfreifen feines Heimatsortes anzujchliegen, 
und er itberragte auch frühzeitig darin viele feiner Jugendgenoſſen, daß 
er im gejchäftlichen Verkehre eine freiere Lebensanfhauung und feinere 
Umgangsformen jich angeeignet hatte, als bei der Mehrzahl der damaligen 
Dorfjugend anzutreffen war. Neben den Sorgen, welche das neue Gejchäft 
und deſſen Erweiterung mit fich brachte, hatte der junge Ginzfey noch 
andere Sorgen zu tragen, die das Herz betrafen umd die ihn nicht minder 
jchwer drückten. Er hatte fein Herz au Julie Bergmann, der blühenden 
Tochter eines angejchenen und vermöglichen Kaufmannes und Gaftwirthes 
feines Heimatsortes verloren, welche ihrerjeitS die Bewerbung des tüchtigen 
und weit und breit beliebten <fünglinges mit freundlichen Augen anſah, 
während der Vater von diefer Verbindung nichts wiſſen wollte, da er einen 
auf Geld und Gut fejtgegründeten Hausſtand als erjte Bedingung einer 
richtigen Ehe anjah, und da Ginzkey, wenn auch von Seite des jtrengen 
Baters jeinem Charakter und feinen Fähigkeiten volle Gerechtigkeit zu Theil 
wurde, als Anfänger doch nicht diefe Bedingung zu erfüllen vermochte. 
Indem nun Joſeph Bergmann in diefer Verbindung nad) jeinen Anjprüchen 
feine Verforgung jeiner Tochter zu erblicen vermochte, verweigerte er feine 
Einwilligung zur Schließung des Ehebundes und Tieß es auch in diefer 
Beziehung an deutlichen Winken für den Brautwerber und an jtrengen 
Nügen gegen feine Tochter nicht fehlen. Allein die muthigen Herzen der 
Liebenden Tiefen fich dadurch nicht abſchrecken, fie harrten aus, und der 
Standhaftigkeit des jungen Paares gelang es endlich, allevdings erſt nad) 


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Fahren, den jtarren Sinn des Vaters zu erweichen und feine Einwilligung 
zur Verbindung zu geben. Doch auch jetzt jchien er noch nicht völlig aus- 
gejöhnt zu jein, denn obwohl im Bejige eines nicht unbeträchtlichen Ver— 
mögens, gab er jeiner einzigen Tochter (er hatte noch drei Söhne) nicht 
die geringjte Mitgift mit, indem er vor der Hochzeit zu ihnen jagte: 
„Ich gebeeuch nichts, ihr müßt euch fimmern!” Die Vermählung 
des jungen Paares, das endlicy am Ziele feiner Wiünfche angelangt war, 
erfolgte am 27. April 1847 in der Maffersporfer Pfarrkicche, und damit 
war einer der wichtigften Lebensabſchnitte erreicht, von wo aus bei innigem 
harmonischen Zujammenwirfen der beiden Theile Glück und Zufriedenheit 
für die Zukunft zu erwarten war. Die junge Fran wurde auch im edeljten 
und beiten Sinne des Wortes feine treuefte Genoſſin in Leid und Freud 
für das ganze Leben, mit ihr zog neues, frisches Leben in das Ginzkey'ſche 
Haus ein, deijen guter Genius fie von der erjten Stunde an war. Sie 
fand fich bald in die neue, ungewohnte Arbeit des Gejchäftes, und nachdem 
jie ihre hauswirthichaftlichen Obliegenheiten bejorgt hatte, jchaffte fie emfig 
am Spulrade, während der junge Ehegatte von jetzt ab mit verdoppeltem 
Eifer an der Hebung und Erweiterung feines Geichäftsunternehmens arbeitete. 
Freilich das Jahr, in welchen der junge Herd gegründet wurde, war 
biefür fein günftiges, e8 war ein Noth» und Hungerjahr, welches durch die 
Kartoffelkrankheit eingeleitet und durch eine Mißernte vervolljtändigt wurde, 
und welches durch jein allgemeines Elend in Nordböhmen, feine Schred- 
nijje und Krankheiten allen jenen unvergeßlich blieb, welche es miterlebten. 
Infolge der ungeheueren Getreidepreije jtieg allenthalben die Noth in’s 
furchtbare. Eine Familie nach der andern jegte den legten Sparpfennig zu 
oder erichöpfte ihren Credit; man ftillte den Hunger mit Nahrungsmitteln, 
die font nur dem Vieh gereicht wurden, wie Kleienbrod, unreifem Obft 
und Fleiſch von gefallenen Pferden, der Hungertyphus und die Ruhr jtellten 
ſich infolge deijen ein und wütheten vom Herbſt bis gegen Oſtern des 
folgenden Jahres mit furchtbarer Gewalt. Bon einzelnen Familien in 
Maffersporf und Umgebung blieb auch nicht ein Glied verfchont, in 
mandhem Haufe lagen 8—10 Perſonen an der ficchterlichen Krankheit 
darnieder. Todesfälle gab es überall. In Neichenberg allein wurden an 
einem Tage 22 Menjchen beerdigt. Werztliche Hilfe war jelten. Scharen: 
weije durchzogen die Bettler die Dorfichaften der hiefigen Gegend. Als 
jpäter der Staat durch Herbeifchaffung von Nahrungsmitteln, wie Mehl 
und Reis, helfend eintrat, war das Schwierigfte bereits überjtanden. Freilic) 
gar manche Familie war gänzlid) aus dem Kreiſe der Lebenden ver: 
ſchwunden, viele waren an den Betteljtab gebracht. Wenn auch das junge 


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Ehepaar von den Wirkungen dieſer jchlimmen Zeit nicht unmittelbar 
betroffen wurde, jo machte es ſich doch im Gejchäftsgange fühlbar, da 
infolge der allgemeinen Noth wenig Bejtellungen eingiengen. Alle Wider: 
wärtigfeiten der Zeit und alles Ungemach wurde jedoch von den beiden 
durch gemeinſame Thätigkeit und pflichttvene Arbeit bejiegt und überwunden, 
Allein das Gejchie brachte dem jungen Paare bald neue Prüfungen. Da 
Ignaz Ginzkey nach dem Tode feines Vaters vor allem bejtrebt war, die 
Ansprüche der Gläubiger zu befriedigen und den väterlichen Beſitz zurüd- 
zuerlangen, jo wurden jegt nach der Hochzeit die Gläubiger mit ihren 
Forderungen immer dringender und ungeftüier, weil fie glaubten, daß der 
vermögliche Schwiegervater feinem Eidam zu Hilfe fommen und die Geld— 
verbindlichkeiten übernehmen werde. Allein hierin jahen fie jich bei dem 
unbengjamen Charakter Fofeph Bergmanns völlig getäufcht. Diejer hielt 
fein Wort: „ich gebe euch nichts," jo unnachfichtlich jtrenge, daß er, obwohl 
ihm der Schwiegerjohn Woche für Woche bedeutende Mengen von Farb— 
waaren gegen ſtets baare Bezahlung abnahın, demſelben nicht einmal einen 
diesfälligen geringen Credit gewährte, wodurch jih Ginzkey einigermaßen 
hätte Luft jchaffen können. Bon diefer Seite war demnach Feine Hilfe 
zu erwarten. Dazu fan, da ja jelten ein Unglüd allein fommt, noch ein 
ZTranerfall in der Familie. Die greife Mutter, an welcher Ginzfey mit 
findlicher Liebe gehangen, jtarb nach kurzer Krankheit am 1. Mat 1847. 
Kurze Zeit darauf, am 10. Auguſt desjelben Jahres, verfauften die Gläu- 
biger, ohne Ginzkey's Wiffen, das väterliche Haus an Franz Skolande aus 
Dörfel und zwangen ihn, dasjelbe zu verlaſſen. Infolge deſſen ſah fich 
Ginzkey genöthigt, das Haus Nr. I11 zu miethen und er überjiedelte dahin 
in October 1847. Wen es aud für ihn jchmerzlich gewejen war, das 
Vaterhaus, die Stätte feiner Jugend, in diefer Weiſe verlaſſen zu müſſen, 
und wenn auch fein Plan, dasjelbe zu erhalten, gefcheitert war, jo Tag 
doch wieder in den nunmehrigen Verhältniſſen der Vortheil, daß die väter- 
lichen. Gläubiger größtenteils befriedigt waren und daß dieje Laft von 
jeinen Schultern genommen war. Er konnte fich nun mit ungetheilter Kraft 
der Vergrößerung feines Gejchäftsbetriebes widmen. Im erjten Stodwerfe 
des gemietheten Hauſes Nr. 111 ftellte er ftatt der früheren zwei, jechs 
Teppichſtühle mit Jacquardmaſchinen, fowie einen Dedenftuhl 
auf, errichtete im anftogenden Nebengebäude, welches früher der Schafwoll- 
jpinnerei mit Göppelbetrieb gedient hatte, eine eigene Färberei, welche er 
jeinem jüngeren Bruder Wilhelm übertrug. Diejer hatte fich einige Zeit in 
Reichenau in Sachſen aufgehalten und in den dortigen Fabriken die Färberei 
gründlich erlernt, An ihm fand Ginzfey den bereitwilligſten nud tüchtigften 


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Mitarbeiter, unter deſſen unmittelbarer Leitung das nicht unwichtige Färberei— 
gejchäft bis zu feinem am 20. September 1885 erfolgten Tode verblieb. 
Es währte jedoch nicht Tange, jo trat der Eigenthimer des für die Färberei 
eingerichteten Gebäudes mit der Befürchtung an Ginzkey heran, daß durd) 
den Qualm und die Ausdünftungen der Färberei das Gebäude Schaden 
leiden werde, weshalb er auf den Anfauf der Baulichkeiten drang. Um 
rascher zu feinem Ziele zu gelangen, jchente er jelbjt Feine Kniffe nicht, 
indem er einzelne Bejtandtheile des für Ginzkey unentbehrlichen Neben- 
gebändes verfaufen wollte, fo daß ſich ſchließlich Ginzkey gemöthigt jah, 
das Gebäude Fäuflich an fich zu bringen. 

Nun kam das Jahr 1848, die Sturm- und Drangperiode der öfter: 
reichiſchen Völker, der VBölferfrühling, wie es von der einen, das 
„tolle Fahr”, wie es von der anderen Seite genannt wurde, mit der Ent- 
fefflung der gebundenen Geifter, mit feinen überfchwänglichen Hoffnungen 
und bitteren Enttäufchungen. Wenn auch Maffersdorf den Ereignijjen des 
Jahres 1848 nicht ohne eine gewiſſe Vorfchulung entgegentrat, indem frilher 
bereits, freilich auf Ummegen, verbotene politische Schriften des Auslandes, 
wie die gleichfalls verpönten deutjchen Claſſiker, ihren Weg über die öſter— 
reichiiche Grenze gefunden hatten und im Orte verbreitet worden waren, 
und wenn auch die damaligen Schlagworte „Breßfreiheit" und „Eon: 
ſtitution“ hier richtiger verjtanden wurden als in anderen Gegenden, 
jo führte doch auch hier der ideale Drang in's Gebiet des Unerreichbaren, 
glaubten ja viele junge Männer jener Zeit, daß nun das Heil der Welt 
angebrodhen ſei und das Glüd und die Wohlfahrt der Völker für immer 
begründet wären. Im großen und ganzen verlief die Bewegung des 
Jahres 1848 in Maffersdorf in geordneten Bahnen, da gleich zu Anfang 
ruhige Elemente in diefelbe eingriffen und die Bevölkerung vor überſtürzten 
Handlungen bewahrten. Für den friedlichen und ordnungsliebenden Siun 
der Bevölferung fpricht vor allem die Thatjache, daß während der ganzen 
Beit, da in anderen Landestheilen Geſetze und hergebradhte Gewohnheits- 
rechte aufgehoben zu jein fchienen, in der Gegend Feine Exceſſe und 
jelten Eigenthumsverletzungen vorfamen. Mit Wärme hatte aud) 
Ginzfey die neue Zeit begrüßt, allein er war ein viel zu klarer md 
ruhiger Kopf, um ſich von dem allgemeinen Feuer hinreißen zu lafjen. 
Er verfolgte mit ruhigem Blut die Bewegung diejes Jahres und hielt fich 
von den mitunter hochfliegenden und unausführbaren Anfchauungen nd 
Weltverbejjerungsplänen feiner Heimatsgenofjen fern, unterjtiigte jedoch das, 
was ausführbar war und für die Zukunft einen Wert zu haben jchien. 
Daher trat er aus voller Ueberzeugung dem am 9. Juni 1848 in Maffers: 


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dorf gegründeten „politiihen Zejeverein zur Verbreitung der 
Volksbildung durd volfsthümlihe Schriften” bei, weil damit 
wirklich etwas Erfprießliches fir die Zukunft gefchaffen werden konnte. 
Jeden Donnerstag verfammelten fich die freifinnigen und bildungseifrigen 
jungen Männer des Thales beim Richter Anton Schäfer und beiprachen 
den Stand und Berlauf der politischen Ereigniffe. 

„Es war, wie U. Yäger treffend bemerkt, ein Club eifrigfter, aber 
gutartiger Demokraten, die alle eine ſchwärmeriſche Begeifterung für Freiheit 
und Menjchenwohl hegten und von denen jeder gern das Seinige zur 
Weltverbefjerung beigetragen hätte.” Der Nationalgarde gehörte Ginzfey 
wohl eine Zeit lang als Mitglied an, vermochte aber, wie Johann Liebieg, 
in den Leiftungen derjelben nichts Erjprießliches und Dauerhaftes zu jehen, 
und trat aus derjelben wieder aus, da er feine Zeit und Kraft nicht damit 
vergeuden wollte. 


AL der Maffersdorfer politifche Verein am 2. November im deutjch- 
nationalen Vereine in Neichenberg, dem er als Mitglied angehörte, bean: 
tragte: „es möge durch ein allgemeines Aufgebot der Landſturm organifirt 
und mit diefem den Wienern zur Aufrechthaltung der Berfaffung und der 
errungenen Rechte zu Hilfe geeilt werden,” wurde von Seite Ginzkey's 
diefer Antrag als zu weitgehend und unausführbar befämpft und er ſtimmte 
auch bei der Beichlußfafjung dagegen. Zugleich war Ginzfey bemüht, den 
politijchen Verein in eine praktische Richtung zu drängen, um näher liegende 
Ziele zu erreichen. So beantragte er, „der Verein möge dahin wirken, 
daß die zu jener Zeit in Maffersdorf leidenſchaftlich betriebene „Winfel- 
lotterie",?) welche gerade den ärmjten Leuten den legten Kreuzer aus der 
Taſche Tode, eingeſchräukt oder ganz abgejchafft werde". Da jedoch von 
Seiten des Vereines dieſem Antrage feine Beachtung gejchenft wurde, jo 
trat Ginzkey aus demfelben aus. A. Jäger erwähnt freilich, daß bei 
längerem Beftehen des Bereines auch in diefer Richtung Erfprießliches 
hätte geleiftet werden können.“ Daß Ginzfey in der Zeit idealer 


1) Noch heutzutage wird in Neichenberg und Umgebung von Seite der Arbeiter: 
bevölferung leidenschaftlich in die Lotterie gefest. An den Ziehungstagen kann 
man mitunter ganze Gruppen von Frauen, Kindern und Männern vor den 
Rotto-Collecturen Reichenbergs ſehen, weldye mit Eifer die gezogenen Nummern 
anfichreiben, um fie ihren Angehörigen zu Haufe mitzutheilen. 

2) Nach BVerlautbarung de3 provisorischen VBereinsgefebes vom 15. März 1849 
föfte fih der politiihe Berein in Maffersporf am 29. März freiwillig auf und 
der Erlös aus der Vereinsbibliothef wurde als Grundcapital für die Anjchaf- 
fung einer Gemeinde-Feuerſpritze angelegt, 


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Schwärmerei einen folchen Antrag ftellte, einen Antrag, der ja noch gegen: 
wärtig Fahr für Fahr in unſerem Parlamente vergeblid) gejtellt wird 
und der ein rein praftifches, aber in volfswirthichaftlicher Beziehung heil- 
james Ziel verfolgt, ift gewiß für die Denkweiſe Ginzkey's charakteriſtiſch. 
Während daher viele heigblütige und vertrauensjelige Naturen nad) dem 
Ende des NRevolntionsjahres granjam in ihren Hoffnungen ſich getäufcht 
ſahen und mit Schmerz die zertrümmerten Phantafiegebilde betrachteten, 
blieb Ginzkey bei feiner nur auf das Vernünftige und Erreichbare ge 
richteten Denfweife vor diefen Enttäufchungen verichont. Zudem hatte ev 
auch den größten Theil jeiner Zeit angeftrengter Arbeit und Thätigfeit 
gewidmet. In gejchäftlicher Beziehung waren nämlich die Jahre 1848 und, 
49 Für das gewerbliche Nordböhmen ſehr günftig. Da die politischen und 
Kriegsitürme die hieſige Gegend nicht berührten, jo hatte ſie auch unter 
den Folgen verjelben nicht zu leiden. Es liefen im Gegentheil fir die 
Dedürfniffe der in Ungarn und Italien ftehenden Armeen zahlreiche 
Beitellungen ein, jo daß namentlich die Weberdörfer der hiefigen Gegend 
vollauf mit Armeelieferungen bejchäftigt waren. Infolge dejjen zog auch 
wieder in viele Hütten unjerer Gebirgsgegend ein gewiſſer Wohlſtand ein, 
„und wer im Herbite 1849," bemerft A. Jäger in jeiner Chronik, „von 
einem Berg die Gegend überjchaute, der erblicte in den Ortjchaften feines 
Geſichtskreiſes wenigftens die Hälfte der Häufer veparirt und mit neuen 
Dachungen verſehen.“ Auch Ginzfey’s Gejchäftsfreis hatte ſich im diejer 
Zeit zujchends erweitert, und um den gefammten Betrieb noch zu erhöhen, 
trat ev 1849 mit einem Neichenberger Fabrifanten „Franz Kofranek“ in ein 
Gefchäftsverhältnis, welches bei übereinjtimmenden Anfchauungen bezüglicd) 
der Fabricationsweie für beide vom größten Nugen hätte jein Können. 
Allein Kofranek und Ginzkey zeigten in dieſer Hinficht die ſchärfſten Gegen- 
jäge. Der erjtere gieng von dem Grundjage aus, jofort die vermehrte, 
gefammte Capitalskraft einzujegen, das Unternehmen auf großen Fuß zu 
jtelfen und einen vollftändigen Fabriksbetrieb einzurichten; der leßtere war 
dagegen der Ueberzeugung, es dürfe nur nach Maßgabe der vorhandenen 
Mittel und des Bedarfes und mit Vermeidung aller unnöthigen Regie— 
Koſten gearbeitet werden, und es mühe jtetS darauf gejehen werden, den 
größtmöglichjten Nugen zu erzielen. Dieſer Gegenſatz bezüglich der Gejchäfts- 
gebarung trat zwifchen den beiden noch jchärfer hervor, als Ginzfey eine 
Idee durchführen wollte, wodurch die nachmalige Größe des Haufes Ginzkey 
begriindet wurde. Er verfiel nämlich damals zuerjt auf den Gedanken, die 
rieſigen Mafjen von Wollabfällen, welche in den Höfen der Tuchjabrifanten 
Reichenbergs als unbenugter Ballaft herumlagen, in der Fabrication zu ver: 


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werten. Sein Scharfblid hatte erkannt, daß durch die Verarbeitung diefer Wolf- 
abfälle ein bedeutender Nuten erzielt werden müſſe. Allein jein Geſchäftsfreund 
wollte davon nichts wiſſen, er wollte feinerjeits durch vortheilhaften Wolleinfauf 
fi) den Nuten fichern, welcher jedoch nad) den Erfahrungen Ginzkey's meiſt 
zweifelhaft blieb, in feittern Falle aber fo ausgiebig fein konnte, um die 
Fabrication concurrenzfähig zu machen und fie in großen Stile einzurichten. 
Infolge diefer entgegengejegten Anfichten löſte fich im Jahre 1851 die 
Gejchäftsverbindung jehr zum Vortheile Ginzkey's auf, weil diefer immer 
flaver einfah, vaß er nur auf der vorgeftedten Bahn etwas 
Großes erreihen fünne. Nach der Trennung arbeitete jeder in feiner 
Weiſe fort, Kofranef mit dem entsprechenden Capitale, Ginzfey mit feinen 
immer noch ſehr beſcheidenen Mitteln. Während aber Kofranek in Furzer 
Zeit mit der nad) feiner Art betriebenen Fabrication zu Grunde gieng, nad) 
mehreren verfehlten Speculationen, an Geift und Körper gebrochen, Reichen: 
berg verließ, um nad) Amerifa auszuwandern, in Hamburg aber des frucht— 
lofen Ringens milde, gewaltfam feinem Leben ein Ende machte, hob ſich 
Ginzkey in derjelben Zeit ans bejcheidenen Anfängen zu inmer größerer 
Bedeutung empor. Er hatte vollfommen richtig geurtheilt, daß bei dem 
großen, Schon beftehenden nud von Jahr zu Jahr zunehmenden Wollverbraud) 
in Reichenberg und Umgebung die Verarbeitung der Wollabfälle zu einem 
wertvollen Erzeugniſſe fich nicht nur Tebensfähig, jondern auch jehr gewinn- 
bringend geftalten müſſe, und fo richtete er feine Fabrication auf die Ver— 
wertung der bis dahin, wenigjtens in dieſer Weije, noch nicht benugten 
Wollabfälle ein, und was Em. Tſchinkel in Schönfeld bei Kreibig mit der 
Cichorie, einem damals als wertlos angefehenen Gewächs unternahm, das 
führte Ginzkey mit den Abfällen der Wolle duch. Beide brachten den in 
volfswirthichaftlicher Beziehung fo unendlich wichtigen Grundfag, „daß 
auch die Scheinbar wertlojeften Stoffe immer noch mit 
Nutzen zu verwerten feten”, zur glänzendjten Geltung. Daß jeit 
jener Zeit die Verarbeitung von Abfällen jeder Art einen außerordentlichen 
Aufſchwung genommen hat, indem die früher jo verächtlich behandelten 
Abfaltjtoffe und Rückſtände durch phyſiſche Kraftanwendung oder chemifche 
Zerfegung der Theile und Formen, in eine andere Geftalt oder jelbit in 
andere Stoffe umgewandelt werden, ijt eine befannte Thatfache, welche am 
deutlichjten den aufßerordentlichen Fortſchritt der Induſtrie darlegt. Gegen: 
wärtig bildet die Verwertung der riefigen Mengen von Abfalljtoffen jeder 
Art bereit3 wichtige mduftriezweige, an die man früher gar nicht dachte, 
und jo find diefe fcheinbar jo wertlofen, ja läftigen Stoffe bereits für die 
Volkswirthſchaft von hoher Bedeutung geworden. 


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Sm der Tertilinduftrie wird aus den ſchon erwähnten Woll- 
abfällen und Wollumpen Kunſtwolle erzeugt, indem durch bejondere 
Majchinen, die jogenannten Wölfe, die Lumpen zerriſſen, auf chemifchem 
Wege entfärbt und neu verjponnen werden. Die Kunftwolle wird nad) 
ihrer Qualität Mungo genannt, wenn fie aus Tuch und Streidhgarn- 
waaren, und Shoddy, wenn fie aus Kammgarn und langfafrigem Ma: 
teriale erzeugt ift. In England gibt es befondere Abfallfräner, welde 
Wollumpen jammeln, um fie au die großen Shoddyfabrifanten in Leeds, 
Dewsbury und Batley zu verkaufen. 

Die Fabriken bringen alsdann die durch Mifchung mit Kunftwolle 
und einem Theile friiher Wolle gewebten Stoffe unter verjchiedenen 
Namen und Formen in den Handel, jo daß die Lumpen als Garn das 
zweitemal den Weg in die Färberei finden. So kann es demnach der 
Zufall bringen, daß dieſelbe Perſon die dem Kehrichthaufen entrifjeren 
Wollabfälle eines vor einiger Zeit abgetragenen und bei Seite geworfenen 
Kleidungsſtückes als „gutes Kleid" wenigjtens theilweije wieder trägt. 
Die Erzeugung der Kunftwolle, im Jahre 1848 in England aufgefommen, 
1850 in Deutschland eingeführt und 1854 von einem Salzburger Yabri- 
fanten Matthias Gſchnitzer zuerft in Defterreich erzeugt, bildet heut: 
zutage bereit3 eine neue Snduftrie von hoher Bedeutung. Es ſei auch in 
Erinnerung gebracht, daß die von Franz Liebieg im Jahre 1863 in 
Dörfel errichtete Kunftwollfabrif eine der erjten in Oeſterreich war und 
gegenwärtig eine Fabrik erjten Ranges it. 

Ginzkey trat frühzeitig mit Johann Liebieg, der bereits um dieje Zeit 
in Neichenberg eine große Bedeutung erlangt hatte, in gejchäftlichen Verkehr, 
indem ev von diefem gegen einen mäßigen Preis die großen Maſſen der 
Abfallftoffe der Weberei und Spinnerei bezog, die fir Tiebieg ſelbſt wertlos 
waren, welche aber von Ginzfey mit bedeutendem Vortheile auf den Hand- 
majchinen raſch verfponnen wurden. Da Liebieg in Ginzkey nicht mur 
einen tüchtigen Fabrikanten, jondern aud) einen durchaus mafellojen Char: 
after fchägen lernte, gewährte er ihm ſpäter einen unbejchränften Credit. 
Aus diefer Gefchäftsverbindung entwidelte fich nach und nach zwijchen den 
beiden, in vielen Stüden gleichartigen, Männern ein reger perfönlicher 
Berkehr, wobei fie vielfach ihre gemeinfchaftlichen Anfichten austaufchten, 
und Schließlich eine aufrichtige Freundſchaft, weldhe bis zum Tode 
Liebiegs währte. Ginzkey beganı fi) um diefe Zeit immer mehr auf 
die Erzeugung von „Decken“ zu werfen, eines Artikels, den damals nur 
wenige fannten. Es gab zu jener Zeit nur „weiße Deden“, welde in 
Spanien erzeugt wurden. Einige öſterreichiſche Fabrifanten hatten wohl 


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ſchon den Verſuch gemacht, fie herzuftellen, aber es war ihnen nicht 
gelungen. Nun verjuchte Ginzkey diejen Artikel nachzuahmen und jein 
Verſuch war vom Erfolg gefrönt, in verhältnismäßig furzer Zeit ſchuf er 
daraus einen Weltartifel. Da mit der Erweiterung der Fabrication 
auch eine dem entiprechende Bergrößerung der Räumlichkeiten nöthig wurde, 
miethete Ginzfey im Herbſt 1852 ein dem Maffersdorfer Scholzen Ignaz 
Haufer gehörige Schafwolljpinnerei mit 3 Sag Krempeln, in welcher 49 
ZTeppichjtühle aufgejtellt wurden, Außerdem begann Ginzfey auc auswärts 
. Spinner und Weber zu befhäftigen, er verlegte ferner um diejelbe Zeit 
einen Theil jeiner Weberei nad) Reichenau in Sachjen, wobei die dafelbjt 
gewebten Teppiche zurüd nach Maffersdorf zur Appretur gefchidt wurden. 
Doch wurde bei der bald darauf erfolgten Fabrikserweiterung in Maffers: 
dorf diefer Gefchäftsbetrieb wieder eingejtellt. Dasjelbe Jahr 1852 brachte 
eine vorübergehende Krife in der Dedenerzeugung. Es begannen nämlic) 
plöglich die Beftellungen für Deden immer jpärlicher einzulanfen, um endlich 
ganz in's Stoden zu gerathen. Schon erwog Ginzfey den Gedanken, diejen. 
Fabricationszweig wieder aufzulafjen, als unerwartet aus Hamburg ein 
großer Auftrag für Amerika einlief, dem bald andere und bedentendere 
nachjolgten. Die Deden- und Teppicherzeugung nahm infolge dejien wieder 
einen neuen und anhaltenden Auffhwung und diejer hatte wiederum die 
Vergrößerung der Zabrifsräumlichkeiten zur Folge. Zu diefem Behufe 
brachte Ginzfey im November 1854 das erwähnte, gemiethete Schafwoll- 
jpinnereigebäude käuflich an jich, erbaute dazır ein Gebäude für die Weberei 
und ein größeres Magazin und miethete außerdem kurze Zeit nachher die 
dem Ignaz Möller gehörige Fabrik im nahen Projchwig, in welcher er 
40 Stühle aufitellte. Für das jtufenweife und vorfichtige Vorgehen Ginzkey's 
im Gefchäftsbetriebe ift es bezeichnend und mag hier angeführt werben, 
daß er bis zum Jahre 1854 nicht einmal einen Buchhalter Fiir fein Ge: 
ſchäft bejtellt hatte, fondern alle Arbeiten bezüglich der Evidenzhaltung und 
Eorrefpondenz jelbft beforgte. Exit in diefem Jahre wurde ein Buchhalter 
aufgenommen und die Führung der Bücher jyftematifc eingerichtet, kurze 
Zeit nachher folgte ein zweiter Buchhalter nach. Da bei dem raſch zuneh- 
menden Gejchäftsbetriebe die Abfälle der Liebieg’schen Fabrik nicht mehr 
auszureichen begannen, fnüpfte Ginzkey mit franzöfischen Kammgarnjpinnes 
reien Verbindungen an und bezog, als erjter in ganz Dejfterreid, 
bedeutende Mengen von Wollabfällen aus Frankreich zu jo günftigen Preijen, 
daß er bejchloß, die bisherige Deden- und Teppicherzeugung jabrifsmäßig 
umzugeftalten und zum Betriebe im großen Maßſtabe überzugehen. Hiezu 
luden nicht nur die günftigen Bezugsverhältnifje des Rohmateriales, jondern 


— 1 — 


auch die augenbliclichen Verhältniſſe bezüglih der Räumlichkeiten ein. 
Der Eigenthimer der gemietheten Profhwiger Fabrit ſah ſich nämlich 
wegen verjchiedenen Reparaturen und Waſſerrechts-Proceſſen mit dein Au— 
rainern veranlaßt, ſein Befigthum zu verkaufen. Infolge dejjen brachte 
Ignaz Ginzfey, in feinem Vorhaben durch den Rath Johann Liebieg's 
befräftigt, den ganzen Beſitz ſammt Mafchinen und Zugehör am 15. Jänuer 
1856 um den Kauffchilling von 16.000 Gulden EM. au jich und führte 
die erwähnten Streitigkeiten mit den Anvainern iu kurzer Zeit zu einem 
befriedigenden Abjchluffe. Im Jahre 1858 erweiterte er die Fabrik durch 
einen Anbau, fügte 1861 einen zweiten Hinzu, in welchem er die Färberei 
unterbrachte und eine Dampfmaſchine von 20 Pferdefräften aufjtellte. 
Dieſe Mafchine hatte Ginzfey, ftatt wie Johann Liebieg vieth, aus Eugland 
zu beziehen, bei Friedrich Völfelt in Harzdorf bei Neichenberg herjtellen 
laſſen. Sie erwies ſich in der Folge als ebenfo vorzüglid) in Vezug auf 
die Leijtungsfähigfeit und Dauerhaftigkeit, wie die aus England bezogenen 
Mafchinen. Ginzfey gieng von dem Grundjage aus, zunächſt immer die 
heimijche Induſtrie zu bedenken, wenn fie leiftungsfähig war und 
nur in unabweislihen Fällen dem Auslande den Arbeitsuugen zukommen 
zu lafjen. Ein von B. Strafberger gezeichnetes Bild der Teppich- und 
Dedenfabrit von Ignaz Ginzfey im Jahre 1858") zeigt ung, verglichen 
mit der großartigen Fabriksanlage der Jetztzeit, noch ſehr bejcheidene 
Räumlichkeiten zunächit ein zweijtödiges, hohes Fabrifsgebäude (die frühere 
Schafwolljpinnerei) mit einem ebenerdigen, Eleinen Anbau, von einem 
niedrigen Zaun umſchloſſen, worin jid) ebenerdig die Dampfmafchine, eine 
Färberei mit 6 Bottichen und 2 Kejjeln, eine Neinigungs- und eine Kunſt— 
wollmajchine, 2 Wölfe, 8 Sat Krempeln mit 5 Vorſpinn- und 8 ein: 
jpinnmafchinen befanden; der erjte Stod enthielt 100 Handwebjtihle mit 
Facquard:Borrichtung, der zweite Stod die Spulerei, Treiberei, Zwirnerei, 
Rauherei und Schererei nebjt dem Mujterzeihnungslocale, Unter dem 
Dache wurden die Garnvorräthe aufbewahrt. Das Nebengebäude enthielt 
ein Kejjeljaus mit den Dampffejjel von 20 Pferdefräften, ferner Räume 
für Webftühle und die Schwefelei nebjt einer Werkführerwohnung. Als 
Motoren diente die bereits erwähnte liegende Dampfmaſchine von Friedrich 
Bölfelt, und ein unterfchlächtiges Wafjerrad von 12 Pferdefräften, welches 
in der Filtal-Majchinenfabrit der Schweizer Firma Eicher Wyß und Co. 
zu Leesdorf bei Wien erbaut worden war. Neben dem Hauptgebäude zeigt 


1) In dem von Dr. F. Mamroth verfaßten, als Manufcript bei Stiepel in 
Reichenberg gedrudten Buche „Ignaz Ginzkey“ Seite 64. 


— 192 — 


ſich ein ſchupfenartiges Woll- und Waaren-Magazin mit Remiſen und 
Stallungen und hinter dieſem das einſtöckige Wohnhaus des Beſitzers, in 
welchem ebenerdig das Comptoir und ein Waarenmagazin, im erſten Stock 
aber die Wohnung des Fabriksbeſitzers ſich befand. Im ganzen arbeiteten 
in der damaligen Fabriksanlage Ginzkey's 230 Perſonen, außer dem Haufe 
wurden nod etwa 80 Familien bei der Spinnerei beichäftigt. Zwei Bud): 
halter und ein Zeichner ſtanden der Fabrifgleitung zur Seite. Dies war 
der Zuftand der Ginzkey’schen Fabrik in dem genannten Jahre, wie ihn 
auch Ginzkey felbjt für den Londoner Ausftellungsbericht vom Jahre 1862 
angab. 

Die nächjten großen Handels- und politifchen Ereigniffe, welche die 
Induſtrieplätze Europa's mehr oder weniger beeinflußten, berührten Ginzfey 
in feinem Gejchäftszweige wenig oder gar nicht. So gieug die große 
Handelskriſis des Jahres 1857, welche die Induſtrie und Handels: 
pläge Europas und Nordamerifas jo jchwer trafen, an ihm fpurlos vorüber. 
Der Krieg Defterreihs gegen Italien im Jahre 1859 legte wohl fir einige 
Zeit die Teppichweberei brach, dafür aber nahm die Dedenerzeugung einen 
gewaltigen Aufihwung, da Ginzfey für das Heer bedeutende Lieferungen 
übernommen hatte. Tag und Nacht mußten jämmtliche Arbeiter der Fabrik 
ſchaffen, um die Bejtellungen fertig zu machen. Der unerwartete Friedens: 
ſchluß hatte freilich den Nachtheil für Ginzfey, daß mehrere taufend fiir 
die Armee beflimmte Deden feine Uebernahme mehr fanden und Yahre 
lang in den Magazinen lagerten. Es war dies wohl für das Geſchäft 
fein Bortheil, aber Ginzfey hatte doch während der jchlimmen Zeit der 
allgemeinen Geſchäftsſtockung feinen Arbeitern Beichäftigung gewähren fünnen, 
während jehr viele Induſtrielle Defterreichs zu derfelben Zeit entweder 
feiern oder nur mit halben Kräften arbeiten fonnten, Zu Beginn der 
fünfziger Jahre machte Ginzfey die erjten Verſuche, feine Erzeugnijje 
jenfeitS der heimifchen Grenze zu verwerthen. Diefer Verfuch war vom 
günftigjten Erfolge begleitet und bald wurde nicht nur in die verjchiedenen 
europätjchen Länder wie: Dejterreich, Deutjchland, Rußland, Spanien, die 
Zürfei und England, jondern auch in andere Welttheile, nach dem Orient, 
nach Wejtindien, Brafilien und Peru „Maffersporfer Deden” ausgeführt. Die 
Zeppiche fanden den größten Abjag in den üfterreichifchen Kronländern, 
während die Deden hauptjächlih in die überfeeifchen Länder ausgeführt 
wurden. Kurze Zeit darauf wurden auch die Teppiche, welche in den ver: 
jhiedenjten Arten und Qualitäten, ſowohl als einfache und doppelte, 
wie auch als fammetartige Gewebe erzeugt wurden, mit gleichem 
Erfolge in fremde Länder ausgeführt. Das Hauptabjaggebiet hiefür war 


— 13 — 


der Orient und Konftantinopel, wo fie häufig als „echt orientalische" Er- 
zeugniſſe, als „perjische” oder „Smyrna-Teppiche“ an Nichtfenner verkauft 
wurden. Einen heiteren Beleg biefür liefert folgende verbürgte Thatſache: 
Ein öſterreichiſcher Magnat, welcher den Orient bereijt hatte,” machte auf 
jeiner Rückkehr in Konjtantinopel einige Einkäufe, um feinen Freunden in 
der Heimat damit Gejchenfe zu machen. Unter den Einfäufen befand jich 
auch ein nach jeiner Meinung echter „Smyrna-Teppich“, welchen er nad) 
jeiner Rückkehr einem jeiner Freunde ſchenkte. Wie groß war jedoch fein 
Erjtaunen und auch feine Beichämung, als der mit dem echten „Smyrna 
Teppich" bejchenfte ihn eines Tages auf das von ihm überjehene Firma— 
zeichen in der Ede des Teppiches aufmerkffam machte, welches lautete: 
„Ignaz Ginzkey, Maffersdorf“. Für die Ausdehnung der Deden: und 
Teppihausfuhr war die Betheiligung an der Londoner Weltausftellung im 
Jahre 1862 vom größten Werthe. Sie brachte ihm nicht nur für feine dafelbit 
ausgejtellten Teppiche und Deden die erjte wohlverdiente Auszeichnung: 
die bronzene Medaille, jeine Erzeugniſſe erregten auch in England 
eine jolche Aufmerkſamkeit, daß jich ihm in den Mufterlande der Wollinduftrie 
ein ganz bedeutendes Abjaggebiet erſchloß. Ginzkey hatte gleichfalls perſönlich 
die Ausftellung befucht und fein Hauptaugenmert war darauf gerichtet, ſich 
in die englische Teppicherzeugung au Ort und Stelle einen Einblid zu 
verschaffen, was bei der befannten vorjichtigen Abgeſchloſſenheit der englischen 
Fabriken nicht leicht möglich iſt; jelbjt gewichtige Empfehlungsjchreiben öffnen 
nicht immer die Säle berühmter Fabriken. Es kann als ein Zeichen bejon- 
derer Achtung, welche ſich Ginzfey bereits als Fabrifant nah außen 
erworben hatte, gelten, daß er bloß durch Nennung jeines Namens bei 
Croßley, dent erjten Teppichfabrifanten und Concurrenten in London, Zus 
tritt zu deſſen Fabriksräumen erhielt, eine Zuvorkommenheit, welche 
Ginzkey als Bertranensbeweis ganz bejouders erfreute. 

Ju London erwarb Ginzfey einen neuen mechanischen Webftuhl zur 
Erzeugung von „Brüfjeler Teppichen“ und nach Haufe zurückgekehrt, 
lieg ex jofort mehrere jolder Stühle in feiner Yabrit aufftellen, um aud) 
dieſe Teppichgattung in feine Fabrication einzubeziehen. Um jene Zeit er 
richtete auch Ginzkey im nahen Zittan in Sachjen eine Filiale, welche er 
bald darauf in einem eigens angefauften Haufe unterbrachte. Auch in 
NReichenberg wurde im Jahre 1863 ein Haus in der böhmiſchen Gaſſe 
angefauft und dajelbjt die noch jeßt vorhandene Niederlage errichtet, 
während die Niederlagen im In- und Auslande, in Wien, Berlin und 
Hamburg bedeutende Erweiterungen erfuhren. Außerdem hatte Ginzfey 


kurz vorher in Maffersdorf mehrere Grundſtücke und Rue angefauft, 
Mitteilungen. 25. Iahrgang. 2, Heft, 13 


— 14 — 


worauf er unter gleichzeitiger Erweiterung der Spinnerei im Jahre 1863 
das erjte große Webereigebäude aufführte. Diefe Zeit ftiller Ent: 
wiclung wurde weder durch die verheerenden Wirkungen dev amerikanischen 
Baummollfrifis von 1861 —64, noch durch den Schleswig-Holjtein’schen 
Krieg des Jahres 1864 gejtört, Nur der Krieg Defterreihs mit Preußen 
im fahre 1866 verurjachte durch die Bejegung Neichenbergs und der be- 
nachbarten Ortjchaften am 24. Juli feitens der preußifchen Truppen wuter 
dem Prinzen Friedrich Karl die erjte und einzige Störung in dem regel: 
mäßigen Betriebe der Fabrik. Doch erjtredte jich die Störung nur auf 
die Dauer eines einzigen Tages. In Maffersdorf waren damals gegen 
4000 Mann einquartiert, 2 Anfanterie-Negimenter nebjt einer Abtheilung 
Artillerie, welche der Magdeburger und Berliner Gegend angehörten und deren 
Benehmen im allgemeinen zufriedenftellend war. Ignaz Ginzfey und Ignaz 
Hauſer hatten in Maffersdorf die jtärkte Eingnartierung. Während in kleinen 
Hänjern wenigjtens 10 Mann, in größeren 30—100 eingquartiert wurden, 
mußten die Fabrifen ganze Compagnien aufnehmen. In diefer jchweren Zeit 
bethätigte Ginzkey zu wiederholten malen feine Einficht und Thatkraft, in dem 
ev überall, wo es zwilchen der Bevölferung und den Friegerifchen Gäjten 
zu Verdrieplichfeiten zu kommen drohte, mildernd und vermittelnd eintrat. 

Da der Krieg mit Preußen nicht lange währte, jo begann bald 
nach dem Friedensihluß eine neue Periode großer Geſchäftsthätigkeit. 
Denn wenn auc vor oder während eines Krieges der einzelne ſich in 
jeinen Bedürfniffen auf's äußerſte einfchränft und wenn auch durch die 
Unterbrechung des Gejchäftsverfehres die Induſtrie im allgemeinen Embuße 
erleidet, fo zerjtört andererfeits der Krieg eine jo ungeheuere Menge von 
Induſtrieartikeln, daß dieſe nach Schluß des Krieges wiederhergeftellt werden 
müſſen, wodurd die verjchiedenen Induſtriezweige, namentlich die Tertil- 
industrie, vollauf bejchäftigt werden. Ginzkey that kurze Zeit darauf einen 
Schritt, welcher ihn auf fremde Pfade zu leiten ſchien. Ex kaufte nämlich 
am 28. Mai 1868 in Meaffersporf eine Mahlmühle und richtete hier ein 
ganz neues Mühlwert nach amerikanischen Syſtem ein und jtellte gleich— 
zeitig eine Dampfmaschine auf. Die Milllerei wurde jedoch nur Furze Zeit 
betrieben, weil das in derjelben angelegte Capital ſich nicht verzinſte. Als 
Ginzkey dieſe Ueberzeugung gewonnen hatte, ließ ev, ohme ſich Tange zu 
bejinnen, die ganze koftjpielige Mithleinrichtung aus dem Gebäude entfernen 
und richtete dasfelbe zur Erzeugung von Kunftwolle ein, wodurch ev 
dem Kranze feiner induftriellen Erfolge ein neues Blatt hinzufügte. 

Die Gefahr, daß Ginzkey fein Capital und feine geiftige Kraft auf 
andere ihm fern liegende Induſtriezweige verwenden und vielleicht zer: 


lo 


jplittern Fönnte, war bei der Klarheit, mit welcher er feine Unternehmungen 
beurtheilte, wohl nicht zu befürchten gewefen, doch war er mit diefem Ver— 
juche für immer von ähnlichen Verſuchen geheilt, und er verlegte fich von 
da an mit dem Anfgebote ſämmtlicher nun ſchon bedeutender Mittel nur 
anf die bisher mit Erfolg betriebenen Induſtriezweige und juchte fie nad) 
allen Richtungen hin zu erweitern und zu verbeſſern. 

Eine ſolche Erweiterung war nun die eigene Erzeugung det 
Runftwolle Ginzkey war unter den Dfterreichiichen Fabrifanten der 
erjte gewefen, — und dies muß hier anerfennend hervorgehoben werden — 
welcher die Vortheile klar erfaßte, die aus der Verarbeitung der 
Kunftwolle für die Teppich: und Dedenerzeugung fich ergeben mußten. 
Dbwohl es jest unmahrjcheinlich klingt, jo ift es doch Thatſache, daß 
damals nicht bloß in den industriellen Kreifen Böhmens und der übrigen 
öſterreichiſchen Kronländer, jondern ſelbſt in Deutjchland eine heftige Ab- 
neigung gegen diefen nenen Artikel vorwaltete, jo daß Ginzkey auch in 
Deutjchland wenig Concurrenten hatte, die gleich ihm die Bedeutung der 
Kunſtwolle für die Fabrication jo frühzeitig erfannt hätten. Daher war es 
auch nicht zu verwundern, daß Gſchnitzer aus Salzburg, der erſte Erzeuger 
von Kunſtwolle in Dejterreich, als er mit feiner neuen Waare die Rund— 
reiſe durch die Öjterreichischen Induſtrieorte machte, überall mit dem ſeltſamen 
Erzeugniſſe verlacht und abgewiejen wurde und nur in Ginzfey einen 
Mann fand, der demjelben die gebührende Beachtung ſchenkte, dasjelbe 
verarbeitete und durch lange Zeit feine einzige Kundfchaft in Defterreich 
blieb. Als dann jpäter der Werth der Kunftwolle in der Fabrication fid) 
dennoch Bahn brach und namentlich "die Verarbeitung der befjeren Sorten 
allgemeiner wurde, war e8 wiederum Ginzkey, der zuerft die Verarbeitung 
der minder beahteten Qualitäten der Kunftwolle begamı und 
damit gleichfalls entjchiedene Erfolge erzielte. 

Da num um diefe Zeit, nach Beendigung des Preußifch-Defterreichifchen 
Krieges, bedeutende Aufträge eingiengen und beim vajchen Wachjen eines 
Geſchäftes der Bedarf an Kunſtwolle ein immer größerer wurde, jo gieng 
endlich Ginzkey, wie jchon erwähnt, daran, ſelbſt dieſen Artifel zu 
erzeugen, fo daß er thatjächlih auch mit Matthias Gihniger und 
Franz Liebieg zu den erjten in Defterreich gehört, welde 
die Erzeugung der Kunjtwolle hier begonnen haben. 

Die Fabritsanlage Ginzkey's nahm nun in raſcher Folge nach innen 
und außen zu, Bau reihte jih an Bau. Zunächft ließ Ginzfey durch den 
Neichenberger Baumeifter G. Mitjh von Fahre 1866—68 eine von 
freundlichen Gartenanlagen umgebene Billa errichten, da das frühere ein- 

13* 


— 1% — 


fache Wohnhaus doc nicht mehr allen Bedürfniſſen entſprach, und bezog 
jie am 31. Juli 1868. Durch die mit ebenjoviel Geſchmack wie bedeutenden 
Koſten gejchaffene Parkanlage hat Maffersdorf nicht wur ein ungemein 
freundliches Anfehen, jondern auch ſtädtiſchen Charakter gewonnen. Außer: 
dem errichtete Ginzkey in den nächjten zwei Agahren eine zweite große 
Weberei und ein Magazinsgebände, welchem im Jahre 1872 ein neues 
Magazinsgebäude mit einem Comptoir, und im folgenden Jahre abermals 
ein großer Neuban folgte, in welchem die mechanijche Weberei für Brüfjeler 
Teppiche im großen Maßſtabe eingerichtet und eine Dampfmaschine von 
40 Pferdekräften aufgejtellt wurde. Die jo bedeutend erweiterte Fabriks— 
anlage umfaßte demnach im Jahre 1874: 15 Satz Krempeln mit ent: 
jprechender Spinnerei und Zwirnerei, 30 mechanische und 400 Handweb- 
jtühle, eine Färberei, Walfe, Rauherei und Schererei, ferner die Kunſt— 
wollfabrif mit 3 Reid: und den font dazu gehörigen Majchinen, uebſt drei 
Dampfmotoren und zwei Wafjerrädern von zufammen 230 Pferdefräften. 
Dazu kam in dem genannten Jahre jelbjt in einem Erweiterungsbau die 
Kammgarnjpinnerei mit einer Wollwajch- und ZTrodenmajchine und im 
nächjten Jahre 1875 wurde die Elſtner'ſche Fabrik Nr. 78 rechts ver 
Reife erworben. Um den gefammten Beſitz abzurumden und zugleich 
Wohnungen für die Beamten und das Aufjichtsperfonal der Fabrik zu 
gewinnen, wurden an 13 Grundſtücke und Bauernwirthſchaften angefauft, 
daranf Neubauten aufgeführt und die öden Waldjtellen mit geſchmackvollen 
Baum- und Gebüjchanlagen bepflanzt. Diefen Zuſtand der Ginzkey'ſchen 
Fabrifsanlage zeigt uns ein zweites von Straßberger gezeichnetes Geſammt— 
bild des Jahres 1877, welches von der Gebirgsjtraße aus aufgenommen, 
im ganzen acht große, meiſt zweijtöcige Gebäude mit drei hohen Ejjen 
aufweift, und zwar zwei Gebäude fir Streichgarnjpinnerei, die Kunſt— 
wollfabrif, die Kammgarnfpinnerei, die Kraft- und ZTeppichiveberei, die 
Deckenweberei jammt Lager, die Färberei, das Komptoir mit den Maga: 
zinen, die Beamtenwohnungen und die von freundlichen Gartenanlagen 
eingejchlofjene Billa. 

Diefe in einem Furzen Zeitraume nacheinander aufgeführten Neubauten 
bewetjen zur Genüge, in welch” gewaltiger Weije fich der Gejchäftsbetrieb 
erweitert hatte, insbejondere kaun mau diejen gewaltigen Aufſchwung durd) 
den Vergleich der oben angeführten von Straßberger entworfenen Ab- 
bildungen der Fabrifsanlage vom Jahre 1858 und 1877 Har erkennen. 
Während das erjte Bild noch eine Fabrifsanlage von bejcheidenem Umfange 
zeigt, ijt diefe auf dem zweiten Bilde nach einem Zeitraume von 19 Jahren 
zu einer Fabriksanlage im großen Maßſtabe angewachjen, welche nach Art 


I 


einer Colonie ſich mächtig vor unferen Augen ausbreitet. Naturgemäß 
hatte während der legten Jahre auch die überſeeiſche Ausfuhr der Ginzfey- 
ſchen Erzeugnifje an Umfang zugenommen. Namentlich mit einer gewiſſen 
Gattung von Deden war es Ginzkey gelungen, ſich während diejer Zeit 
den Weltmarkt zu erobern, ja jogar, wie ſchon früher auch angedeutet 
wurde, auf englischen Plägen in erfolgreiher Weife mit den 
gleihen Erzeugnijjen Englands zu concurriren. Lobend 
muß auch hier darauf hingewieſen werden, daß, Ginzkey feine Erzeugnije 
unter jeinem Namen im die Welt jchidte, jo dab feine Deden als 
„Austrian blankets* als „öjterreichifche Deden" nicht nur in Eng: 
land, jondern auch in allen anderen Welttheilen als Erzeugniſſe öfter: 
veichifcher Arbeit bekannt und gejchägt waren und find; er wilrdigte fich 
nicht herab, wie es jo manche vaterländische Fabrifanten thun, die ſelbſt 
verfertigten Erzeugniſſe beim Weberjchreiten der Grenze unter fremder, 
englifcher oder franzdfifcher Flagge jegeln, oder fie auch im Auslande mit 
Marken verjehen, und als „ausländiiche Waare“ wieder zu uns 
zurückkehren zu laffen — ein Verfahren, das gewiß der öſterreichiſchen 
Induſtrie nicht zur Ehre gereicht. (Schluß folgt.) 


Miscellen. 


Deukſchrift über die böhmischen Landesfinanzen vom Jahre 1618.') 


Mitgetheilt von Dr. Pine, Goehlert. 


Die böhmische Kammer hat vom gewöhnlichen Einfommen nichts als 
die Zölle, den Ertrag der Herrichaften und das Biergeld, was alles im 
Sahre kaum 200.000 Thaler beträgt, welche zum Unterhalte des königl. 
Hofes nothwendig in die Fünigliche Hofkammer abgeliefert werden müſſen. 
Nun haften daranf über drei Millionen Schulden; dieſe zu bezahlen, find 
1) Abicyrift eines Documentes aus dem Archive der böhmischen Hofkanzlei (jetzt 
Deinifterium des Innern). Diefes Document hat auf der Außenſeite die 
Aufſchrift, „Wie dem böhmiſchen bochbeichuldigten Kammerftaat zu belfen 
jet.“ In Gindely’s Geichichte der böhmischen Finanzen (18. B. d. Deuf: 
ſchriften d. hiſt. El. d. k. Akademie d. W.) geichieht diefer Denkſchrift nicht 
Erwähnung. 


— 18 — 


nur zwei Mittel. Das erſte und gewiſſe, daß die Stände entweder die 
ganze Bürde über jich nehmen und, wie es Pfalz und Brandenburg gethan, 
in gewiſſen Jahren durd) dazu bewilligte Contributionen gezahlt werden, 
oder daß die Contributionen dergejtalt, daß fie unfehlbar 500.000 Thaler 
betragen, auf jechs Jahre bewilligt würden. Wenn jolches gejchieht, kann 
die Kammer den Credit erhalten, die Jutereſſen richtig zahlen und im 
Rothfalle Zr. k. M. mit Geld zu Hilfe kommen. Diefer Modus wäre dent 
Hofftaat zuträglicher, als wenn die Stände die Schuld iiber ſich nehmen; 
denn follen fie ſolches thun, jo würden fie zu Sr. k. M. Hofftaat. nichts 
contribuiren. 

Wenn aber Gott, wie zu hoffen, einen Erben gäbe, wäre in aller- 
wegen dahin zu trachten, daß die Länder die Schulden ganz auf fich 
nehmen, was nicht fchwer zu erhandeln; man mache nur 100.000 Thaler 
Schuld und theile diefe unter die Länder. 

Das andere und äußerſte Mittel ift, daß man die wenigen übrigen 
Herrichaften verfaufe und wird die Herrichaft Kruman auf 800.000 Th. 
gejegt, der jegige Hauptmann alldort iſt erbötig, bei jeßt verderbter Wirih: 
ſchaft 30.000 Thaler jährlich herauszugeben, innerhalb zwei Fahren aber 
36.000 Thaler. 

Dem Herrn von Nojenberg hat fie 40.000 Thaler getragen. Weil 
aber Niemand int Lande folhen Kauf vermag, könnte man die Herrichaft 
in drei oder vier Theile abjondern; was in gleichem mit den übrigen 
Herrichaften gejchehen könnte. Möchte man blos außer den Tafelgüteru 
die Herrichaften behalten, welhe man Ir. EM. auf Lebenszeit zum 
Genuffe läßt. Daß aber die Kammer-Einnahmen jo gefallen, find die 
Stände jelbft Urfache, ‚welche alle Eontributionen an ſich gezogen, eigene 
Einnehmer darüber gejegt und blos eine Lifte von der Kammer begehrt 
haben, wenn man Intereſſen zahlen folle, fie haben aber Niemanden gezahlt. 

Wie fie mit den Contributionen umgegangen, jollten ihre Einnehmer 
bilfig Rechnung thun; fobald man aber von ihnen Rechnung fordert, aut— 
worten jie darauf, warum man feit 15 Jahren feine Rechnung gefordert 
hätte; eine Hand wäjcht die andere. 

Derhalben wäre ein jehr heilfames Werf, wenn man mit Gewalt 
durchdringe und von den Steuereinnehmern die jchuldigen Rechnungen 
abfordere und fie wohl überprüfe. 

Damit aber der König zu Böhmen fein eigenes Einkommen habe, 
jind folgende Mittel. Weil Böhmen außer weniges ') fein eigenes Salz 


| ) Bei Schlan. 


— 19 — 


bat, wäre gar zuträglich, daß die Kammer alles Salz, jo eingeführt wird, 
auffaufte und in allen Städten Salzfäjten hielte;') da könnte man über 
100.000 Thaler jährlid) Gewinn haben. Dies wäre auch leicht, weil zu 
Budweis bereits ein Salzfaften aufgerichtet ift. Ob man wohl zum Verlag 
baares Geld bedarf, jo kann man doch von den Städten die Nothdurft 
anticipiren. Es ginge auch den djterreichiichen Salzjtätten und Salzfuhr- 
leuten nichts ab und es wäre allen um das zu thun, daß das Salz 
Niemand als die Kammer verkaufen würde. Diejen Anjchlag practieiren 
jelbft der Bapft, Venedig, Mailand, Litauen und Moskau; allein man muß 
es auf den Landtag vorbringen und gleich anfangen, das Salzamt richtig 
zu bejtellen; die Hoffammer könute e8 dirigiven. 

Zum andern liegen die Bergwerfe ganz und gar till und Bde; dieſe 
wären leicht wieder zu heben, wenn ein verjtändiger Münzmeiſter vorhanden 
wäre. Zum Dritten fünnte die Kammer an dem Münzjchlagen unvermerft 
jährlich ein paar Tonnen Goldes zum Bejten haben. Man jchlage nämlich 
zweierlei Münze, die Kleine, fo nur im Lande gilt, und die grobe, jo auch 
anfer Landes angenommen wird; bei der kleinen aber iſt der Gewinn. 
Der König in Polen fchlägt aus einem Thaler 18 Dutfen, auch gar 
20 Dutken. Jede Dutke gilt jechs Kreuzer, das bringt, wenn man 100 
Thaler münzet, 50 Procent. Diefe Dutfen werden hier für das bejte 
Geld gehalten, warum wollte man fie denn nicht auch hier fchlagen? Es 
werden viele dawider fein, von denen wollte ich gern willen, wenn einer 
den Böhmen wollte an Dutken 200.000 Thaler darleihen, ob fie es nicht 
annehmen würden. Warım jollte man dann den Gewinn nicht im Lande 
behalten? Wollte man die geringere Münze hier nicht Schlagen, fo thue 
man es in Schlejien oder in der Lauſitz. Es ijt ein Mittel, welches alle 
Könige practieiven. Das vechte Gewicht des Geldes jchadet dem Lande, 
denn es wird von der Münze ausgewechjelt, in leichtes Geld vermünzt, 
welches man nachher hereinbringt und den Wechjel dadurch treibt. Diefer 
Punkt muß auch anf den Landtag fommen. Derowegen ift der Kammer 
zu befehlen und durch den Ober-Münzmeiſter das Werk zu treiben. 

Zum vierten wäre bejjere Wirthichaft auf den Kammergütern zu 
treiben. Dean deputire gewilje gute Wirthe zu Commiſſären, die auf alle 
Herrichaften ziehen, tariven und Regiſter aufrichten, die Meierhöfe und Teiche 
bejtandieije überlaſſen, um Ir. k. M. ein gewifjes Einfommen zu fichern. 

Zum fünften könnte man von etlichen Herrichaften großen Nugen 
durch Holzflößen anrichten, welches jonjt verfault und um 12.000 Thaler 


1) Einführung des Salz-Monopols. 





200 — 


jährlich für den Hofſtaat erkauft werden muß. Die Herrſchaft Presnitz 
hat 80.000 an Sailholz, der Sternberg hat dieſelbe eingenommen mit 
60.000 Thaler; weil jie an Churfachjen grenzt, wiirde der Churfürſt gern 
fir 20.000 Sailholz 4.000 Thaler geben, wenn man noc) drei abgelegene 
Dürfer dazu verkaufte. Es ift aber zu wiſſen, daß etliche eigennüßige 
Lente unter dem Scheine, fie wären treue PBatrioten, auf den Landtage 
vathen, man jolle nicht fremden Fürſten Holz verkaufen, ſie jegten dann 
den Fuß weiter ins Land; dadurd haben fie verurfacht, daß fie die ſchöne 
Herrihaft Komotau unter einander getheilt, die Wälder nicht vecht be— 
fichtiget und überdies das Holz faſt umſonſt angeichlagen. Einmal it 
bewiejen, daß fo viel Holz, als der Herzan und Guſtav von Sternberg 
von der Kammer um einen halben Gulden gekauft, ex keinen Kreuzer 
anders als nm drei Thaler gibt. Darum wird der Sternberg, welcher die 
Herrichaft gern am ſich brächte, wiverrathen, daß man die 20.000 Sailholz 
dem Kurfürjten nicht verkaufen foll. 

Zum jechjten it Ir. EM. im Kenntniß zu jeßen, daß über 40 
Schlöfjer und Städte von Eger aus bis Nürnberg in die zehn Meilen 
Länge der Krone Böhmen gehörig und um ein geringes Geld ablösliche 
Pfandichaften oder verjchwiegene heimgefalfene Lehen find. Die halten 
theils Churpfalz, Pfalz Neuburg, Chur Brandenburg, Landgraf v. Leuchten: 
berg, der alfe feine Lehen verjchwiegen, Stadt Nürnberg, die um geringes 
Geld Ichöne Prandichaften innehält; dieſe alle find über zwei Millionen 
werth. Es wird aber alles verftedt, theils aus Unverftand, theils aus 
Eigennug und theils aus Faulbeit. 


Des Prager evangelifchen Pfarrers M. D. Hänichen’s (+ 1618) 
Uekrolog. 
Bon Lie. Dr. Georg Buchwald in Zwickau. 


Die Zwidauer Rathsjchulbibliothet birgt in einigen hundert voluminöſen 
Bänden, weldye Gelegenheitsgedichte und Predigten aller Art enthalten, einen 
noch wenig beachteten, längjt noch nicht gehobenen werthvollen Schaß. Be- 
jonders ergiebig für biographiiche Studien find die in großer Zahl vor: 
handenen Leichenpredigten, denen nach der Sitte der Zeit regelmäßig ein 
curriculum vitae beigefügt iſt. Ohne Zweifel wiirde es cine lohnende 
Arbeit jein, zumächit einmal nur die Perſonen (nach den Städten geordnet) 
zujammenzuftellen, deren Lebensläufe uns auf diefe Weiſe erhalten find. 


— 201 — 


Wir theilen im Folgenden die Biographie eines Prager Geiftlichen 
mit, welche wir der für denjelben gehaltenen Leichenpredigt entnehmen. 
Dieſe ijt betitelt: „Chriftliche Leichen-‘Predigt über den jchönen Schwanen 
Geſang S. Pauli auß der 2. an Timoth. am 4. Verß 6. 8. Bey dem 
Ehrn:Begrebniß des Weiland Ehrnwürdigen, Hochachtbarn und wolgelehrten 
Herrn M. Daniel Hänichens Senioris geweiten Schwanbergifchen 
Hoffpredigers und der Löblichen Evangelifchen Herren Ständen in Böhmen 
Theologi. Gehalten in der Deutschen Evangelifchen Kirchen zur H. Drey: 
faltigfeit der Eeineren Stadt Prag, duch M. Caſparum Wagneru, 
Augustanum, Pfarrern und Lutheriſchen Predicanten dajelbjt. Philipp. 1. 23. 
Ich habe luſt abzuſcheiden und bey Chriſto zu fein. Gedruckt in der Alt 
Stadt Prag bey Paul Seljen, im Jahr 1619." !) 

Auf Wagner’s an die Kirchenpatronen gerichteten Vorrede folgt 
die Einladung des Nectors und Kanzlers der Prager Univerjität, Dr. 
Johannes Jeſſenius a Jeſſen, zur Theilnahme an den Begräbnif: 
feterlichfeiten. Der biographiiche Theil derjelben hat folgenden Anhalt: 
„Vir Reverendus M. Daniel Haenichius prodiit in hanc lucem 
ZJobelicii Missnae Oppido Anno 1566 Martü 13. Patre Casparo 
ibidem Theologo, acris ingenii homo, et in linguis, artibus, primaque 
Philosophia solide in tribus Academiis eruditus. Post plures func- 
tiones obitas in Electoris Saxoniae aulam accitus, per octennium 
ibi fuit a sacris Concionibus. Inde ante annum quasi ab Illustri Ba- 
rone D. Petro de Ssvambergk Regni Boemiae supremo Curiae 
Judice, vocatus, ipsius rebus Ecelesiasticis fuit praefeetus; ab omni 
Ordine ob mores commodos amatus. Non videbatur altum sapere, 
sed satis modeste de intelleetis sententiam dicere. Unionem hinc 
institutam Concione publica collaudavit et in privato Colloquio quo- 
dam de rei totius summa fundamentaliter disserens, Mauritium 
Electorem Saxoniae magno religionem beneficio affecisse fatebatur, 
similiterque libertati Germaniae cavisse Christianum I. impe- 
diendo suo loco, ne qui inhiabat regno Galliae eo potiretur. Cae- 
tera pro contione funebri narrabuntur.* 

Den Schluß der Leichenpredigt bildet dann num die folgende, ziemlid) 
ausführliche Biographie, die es allerdings an überjchwänglichem Lobe nicht 
fehlen läßt. 

„Belangend nun unſern geliebten und in Gott jelig chenden Herrn 
Miitbruder, den weyland Ehrnwiürdigen, Achtbarn und wolgelehrten Herrn 





1 Der Umstand, daſs dergleichen Drudichriftchen gegenwärtig felten geworden 
find, dürfte den theilweilen Abdrud rechtfertigen. Aum. d. Ned. 


— 202 — 


M. Daniel Hänichen, jo heyjts mit Ihm auch in der that, das wie 
jein Nam ift, alfo ift auch fein Rhum. Dann erjtlich war Er ein rechter 
Daniel, al3 durch wellchen Got der Herr fein Kicchen-Gericht allhier auff 
Erden geübet und verrichtet hat. Denn Daniel wird gedolmegjcht judicium 
Dei, Gottes Gericht und urtheil. 

Und ob wol fein Zumam etwas ſchwach und das diminutivum it 
vom Hanen, jo hat doh diß Hänichen jo ftark und hell gekreet, das es 


“mit feinem löblihen Hanengejchrey weit und breit gehöret worden, das 


man allenthalben von Ihme mit Ehren zu jagen weiß, und wird aud) fein 
Lob ewiglich bleiben. Denn wie die Hanen mit ihrem Geſchrey den Tag 
verfündigen, und die VBerenderung deß Gewitter anzeigen: aljo war auch 
unſer Hänichen, nuncius lucis, dei Licchtes prediger, der da Ehrijtun, 
das warhafftige Liecht verfündigte, wellches alle Menſchen erleuchtet, die 
in dieje welt fommen. So war Er aud) fein Wetterhan, der fich nur nad) 
dem Wind gerichtet, und einem jeden gejagt hätte, was er gern hörte: 
nein traum: ſondern Ex lernte den Weg Gottes recht und fcherpifet mit 
gewalt neben der Gnaden Lehr dep H. Evangelii die Lehr deß Geſetzes 
vom Fluch und zorn Gottes wider die Sünde: als der leicht und bald 
vermerdt, was für triebe Wetter umb der Welt undand und Bößheit willen, 
an dem Himel umbgiengen, und it jonderlich denckwürdig, dan ob ſich wo: 
der Löwe, als ein behergt und unverzagtes Thier ſonſt vor Niemand 
furcht noch entjegt, er dannoch ob dem Hanen und feinen Geſchreh erſchrickt, 
und die Flucht gibet. Gleichergeftalt hat unſer ſelige Herr M. Hänichen 
mit jeiner Stimm auß Gottes wort, unſern Widerfacher den Teufel als 
einen Brüllenden Löwen, der umbher läufft und jucht, welchen er verichlinge, 
davon abgeſchröckt und abgehalten, wie grimmig er fich auch durch feine 
Werdzeug erzeigt und gejtellet hat. Das dann allen rechtichaffnen Lehren 
im allweg zu thun eignen und gebühren will. — — ') 

Sein Herr Vater war der weiland auch Ehrwürdig und mwolgelerte 
Herr Caspar Hänichen, geweiter Pfarrer zn Zöblitz, in einem alten 
Bergkjtädtlein in der Herſchafft Lauterſtein, nicht weit von Marien: 
berg, im Land zu Meijen gelegen. Die Fraw Muter aber hieß Urjula, 
ein geborne Bfeifferin, von Hänichen. 

Als unſer liebe geivene Gott benanuten perfonen unfern Herrn M. 
Danielem in ihrem Eheftand den 13. Martii A. C. 1566 bejchert und 
geben, haben jie zu pflichtichuldiger danckbarkeit denjelben ihren Sohn Got 
dem Allmächtigen nicht nur in der H. Tauffe wider gegeben, ſondern ihn 


1) Hier folgt ein längeres Eitat aus Apoſtelgeſch. 20. 


nachmalen auch in der zucht und vermahnung an den Herrn jederzeit ge 
trenlichit aufferzogen und fleiſſig zur Kirchen und Schulen gehalten, wie 
Ehriftlichen Elteren zuthun gebüret und obliget. 

Und al3 Er in Schola patria zu Zöblitz jene Fundamenta gelegt, 
hat ihn fein Lieber Herr Bater ſeliger nah Marienbergf und Frey: 
berg verjchiet, von dannen gehn Braunfhweig und Hannover, in 
Sachſen, in welder Schul Er drey Jahr lang fruchtbarlich ſtudiret hat; 
biß Ihn fein Herr Vater auff die Univerfitet Yeipzig verſchickt hat, da 
er in die vier Jahr ein Ehurfl. Sächſi. Stipendiarius geweit. Zu Witten— 
berg ift Er Magister Philosophiae worden: nach erlangtem Grade aber, 
gehn Helmftadt gezogen, von wellcher Academi Er in fein Vaterland 
zu einem Pfarrer, au feines verjtorbuen Herrn Vaters jtadt, ordentlich 
beruffen worden, Anno domini 1591 hat ihn aber ein Jahr hernach, ein 
Erbar Rath gen Marienberg vociret, da Er am Wort Gottes in die 
neun Jahr gedienet und zuvor auch, noch zu Zöblitz gefreyet und zur 
Ehe genommen hatt die Ehrn:Neiche und Tugendtjame Jungkfraw Eli- 
ſabeth, deß Chrenvejten und Fürnehmen Herrn Hans Fliehers, 
Bürgers und Rathsverwandten zur Mitweyde, Eheleibliche Tochter, mit 
welcher Er hernach in Sechs und Zwantzig halbe Jahr friedlich gehanfet 
und durch Gottes Segen zehen lebendige Kinder erzeuget hatt, Bier Söhne 
und Sechs Töchter: Davon noch zweene Söhne!) und zwey Züchter jo lang 
Gott will, am Leben find, die andern aber find gejtorben, und mit der 
Fraw Mutter im Herrn feelig entjchlaffen, welche erjt vor zwey Jahren 
zu Dreßden abgeleibet. 

Im Fahr nad) Ehrifti Geburt 1600 iſt unfer jeelige M. Hänichen 
von der Churf. Sächſi. Fraw Wittib zu Cholnitz, in ihrer Churfürſt: 
Gna: Wittumb nad der Mitweyda beruffen, da Er zwey Jahr weniger 
14 Wochen Pfarrer gewejen. 

Darauff ift Er zu einem Superintendentem nad Annae-Bergk 
verorduet worden, welchem hohen Ambt Er mit fonder grojjem fleiß vor- 
gejtanden, biß auff das Jahr Ehrifti 1610 in welchem Ihn ihre Ehur- 
fürft: Gna: von Sachſen, Chur Fürſt EC hriftian der Andere, Ehrijt 
Secligfter Gedächtniß, nicht zur mit fich hieher (neben andern Herren 





1) Einer feiner Söhne, Namend Georg, wurde während des breißigiährigen 
Krieges vertrieben. In Altwaffers Tagebuch (auf welches wir mohl 
jpäter an diefer Stelle ausführlicher zu ſprechen fommen werden) it die 
Notiz: Mocham, in inspectione Oschacensi bey Döbeln an ber ftraffe 
nah Lomnitſch Georgius Hänichen, exul Bohemus, Pastoris filinj. 


u. 


Theologen) nah) Prage genommen, allda Er in allen Bier Städten Cum 
Laude geprediget, jondern gar zu einem Hoffprediger angenommen hatt, 
da Er dann in die acht Jahr in der SchloßsKicchen zu Dreßden am 
Evangelio und Wort Gottes gedienet. 

Und weil unſer lieber Herre Gott feine Heyligen wunderlich führet, 
jonderlich feine getrewe Knechte jelten an einem Ort gar zu lang lajfet, 
mufte unjer Herr M. Hänichen feelig vor einem Jahr wieder nach 
Praga kommen, da Er von Ihren Gnaden den Hoc und Woll-Gebornen 
Heren, Herrn Betervom Schwammbergkauff Rannspergk, Heydt, 
Gefterihan, Worlig md Klingenberg, Herr zu Wittingen, 
Grögen, Roſenbergk ımd Libiowiſſ: König: Maye: zu Böhmen 
Rath, Cammerer und des Königreichs Böhmen Ober-Hoff- und Lehen: 
Nichter, zu einem Hoff- Prediger bejtellet worden. 

Mas für grojfe Müh und Arbeit Er bey wehrenden feinem Ministerio 
in die 29 Jahr lang gehabt, bevorn, weil Er Officii ratione vielmals ver- 
reifen müſſen und auff unterichiedlichen Chur: und Fürftlichen Zuſammen— 
fünften, zu FJütterbergf, Nürnbergk, Frankfurdt etc. geweſt, it 
leichtlichen zu erachten und abzunehmen. 

Biel herrlich ſchöner Predigten, die ſehr anmutig und wol zu leſen, 
jonderlich weil Er drinnen beym Text geblieben, und den ordentlich erpliciret 
hat, daß das Vornembſt und Beit an einer jeden Predigt ift, hat Er jelber 
publicivet und in offentlichen Drud aufgehen laſſen. Wer Ihn gehört, hatt 
Ihn lieb gewunnen; und müſſen Ihm die Adversarii jelber das Lob und 
Gezeugnuß geben, daß Er ein Vortreffliher Herrlicher Prediger gemeit, 
ungeacht, daß Er ihrer nicht gejchonet, jondern fich ihnen als ein behertzt 
Hänichen, jederzeit im Lehren und Schreiben, getrojt widerjegt und ihre 
falfche Lehr und Menſchen Tand solide, auf Gottes Wort rvefutivet und 
widerleget hat. Denn Er war ein recht Eyferiger und Bitandhaffter Lutheraner, 
in dem fein Falſch geweſt (wie der Herr von dem Nathanaele zeuget und 
ſpricht: Siehe ein rechter Iſraeliter, in dem fein Falſch tjt;) drumb hat Er 
Niemand geheuchelt, jondern die Warheit frey offentlich befannt und nicht 
auff Menjchen, jondern auff jeinen lieben Gott gejehen, der Ihm das zu 
thun befohlen hat. 

Und ob Er wol feinen allaugjunden Leib gehabt (welches faſt ein 
proprium tjt aller Glerten, die fleißig Studieren und ihnen ihr Ambt einen 
Ernſt und angelegen fein lajjen) jo hat Er doch ein gſunde Seel in feinem 
franden Leib gehabt und behalten. Es jteht zwar beydes wol beyſammen, 
Si Mens sana in Corpore sano, wann ein gjunde Seel in einem gſunden 
Leibe ift; aber wann man je eines entrathen und entperen muß, jo its 


— 205 — 


viel taujentmal bejjer einen jiechen Leib, als eine Krande Seele haben, wie 
das Erenpel Lazari und des Neichen Mannes aupweifet. 

Hat demnach die Eufjerliche Leibs-befhwärung unſerem Seeligen 
Herrn M. Hänichen jo gar an feiner Seele Heyl und Seeligfeit nicht 
ſchaden müſſen, daß fe ihm vielmehr darzu nüglich und beförderlich geweſt 
ist, danı fie ihn zu ſeinem Eid und Sterbjtiindelein einen jtarden Fortſchub 
gethan hat, darzu Er jich auch recht wol und Chriftlich bereitet hat, mit 
Empfahung des Wahren Leibs und Blutts Chriſti, nach gethaner feiner 
Beicht und darauff Empfangner H: Absolution und ift fonderlich zu gedenden, 
daß Er jein Glaubens-Befentnuß feinem Teſtament und Legten Willen mit 
folgenden Worten einverleibet: Ich befenn mich von Hergen zu den 
Prophetiſchen und Apoſtoliſchen Schrifften, Haubt-Sym:- 
bolen, Ungeenderte Reiner Augſpurgiſchen Confeffion, 
Lehr: und Streit-Schrifften Herrn Lutheri, wie diefes in 
dem Ehrijtlihen Concordien-Buch, dem Ich ſubſeribieret, 
verfafjet, darauff Jh auch mein Auditorium in meinen 
mündtlich gethbanen und publicirten Predigten gewiesen. 
Hierbey iſt Er auch biß in fein Lebtes Ende hinein bejtendiglich, durch 
Gottes Gnädige Hülff verblieben, hat aud) jederman von Hergen vergeben und 
darauff fein Zeben in warer Furcht und Anruffung Gottes die 2. Novembris !) 
An. Chr. 1619 ſanfft und jeelig bejchlofjen, feines Alters im 54. Jahr." ®) 


Sagen aus dem füdlihen Böhmen. 
Von Franz Hübler, 


43. Der Baubergarten auf dem Libin. 


In der Nähe von Brachatig erhebt ſich der Berg Libin. Auf dejjen 
Gipfel ijt der Zaubergarten, umgeben von den Ruinen der Burg darinnen 
noch eine Wendeltveppe ſich befindet, die zu einer ſchönen Ausjicht führt. Die 
Burg gehörte vor mehreren hundert Jahren einem Ritter, welcher bei 
einem nächtlichen Ueberfalle jammt feiner Familie ermordet wurde, worauf 


1) Im Orig. Octobris ift Drudfehler. 
2) Bon Werken H.'s birgt die Zwickauer Bibliothek folgendes: 
Scala Jacobi, ausgelegt und erklärt. Leipzig 1615. 
Theses de peccato in Synod. Annamont. propos. Frib. 1608. 
Capita ex secundo Act. Form. Conc. de Libero Arbitrio Frib. 1608, 


— re 


die Burg zerjtört ward. Hierauf erſchien zuweilen im der Nacht eine 
weiße Gejtalt, die Gemahlin des Nitters, welche durch die werddeten 
Räume des verfallenen Schlojies irrte. Sie that aber Niemandem etwas 
zu Leide. Einmal verirrte ji) auf die Höhe des Berges ein Kind. Das 
traf die weiße Frau, und Huldvolf fpielte fie mit demfelben in dem ehe- 
maligen Schloßgarten, indem fie Blumen pflüdte und Sträußchen daraus 
band. Endlich verlangte das Kind nad) Vater und Mutter, und die weiße 
Frau nahm es an der Hand und führte es den Berg hinab bis am den 
Rand des Waldes, von wo es den alten befannten Weg jah und froh 
nach Haufe eilte. Aber welche Veränderung fand es zu Haufe! Die Eltern, 
die Gejchwifter und Fugendgefpielen waren jchon alle längjt geſtorben, 
überall ſah es fremde Leute, und die Häufer waren auch nicht mehr jo 
wie früher und Niemand erinnerte jid) feiner. Endlich erſah man aus 
den Taufbüchern, daß jchon Humdert Jahre verflojjen, fett das Kind von 
Haufe ich entfernt hatte. Es war als verjchollen eingetragen worden. 





44. Das Kreuz am Wege von Pradatit nad HYufinct,. 


Wenn man von Prachatig über die fogenannte Sfalfa, einen Quarz: 
jelfen, der jih im Norden über die Stadt erhebt, wandert, jo gelangt 
man auf dem bejchwerlichen Wege, der bergauf, bergab geht, bei dem 
Dorje Altprachatig vorbei nad) Hufjineg. Nechts von dem Wege oder 
Fußſteige, beiläufig die Mitte desjelben ausmachend, jteht ein altes, ſchon 
verwittertes Kreuz. Wenn man von dem Hügel, der fich in der Nähe 
befindet, zurückſieht, jo erblict man linfer Hand den Friedhof der Stadt 
Prachatig, dejjen alte Kirche, wie die Sage erzählt, der HI. Adalbert ein- 
geweiht haben joll, während im Thale von Altprachatig nur einige Häufer 
jihtbar find. Vor mehreren hundert „Jahren bededte die ganze Gegend 
undurchdringlicher Urwald, durch den von Baiern nach Prachatig der 
befannte „goldene Steg" führte, die einzige Verbindungsftraße zwischen 
Baiern und Böhmen; an mehreren Stellen kann man noch jeßt die 
Spuren diefes alten Handelsweges jehen. Obwohl zum Schuße der Han- 
delszüge viele Burgen angelegt waren, jo konnten ſich dennoch in den 
dichten Wäldern Räuber und Wegelagerer aufhalten, da ihnen verborgene 
Schlupfwinkel Sicherheit boten. So trieb auch einmal eine Ränberbaude 
in der Nähe von Prachatig lange ungeſtraft ihe Unweſen; die Prachatiger 
konnten derjelben trog aller Mühe nicht habhaft werden. Sie verbanden 


— 207 — 


jich deshalb mit den Piſekern und Winterbergern ſowie mit der Land- 
bevölferung der Umgegend und unternahmen einen gemeinfamen Streifzug 
gegen die Näuber. Der Aufenthalt wurde erforscht und die ganze Bande 
gefangen genommen nnd hierauf gebunden nach Prag geführt. Dort wurden 
alle von peinlichen Gerichte zum Strange verurtheilt. Als der Näuber- 
Hauptmann jchon auf dem Schaffote jtand, fagte ev zu den Umſtehenden, 
daß er mitten im Walde unter einer jehr hohen Eiche, deren Plag er 
genan bejchrieb, eine Menge Gold und Kojtbarfeiten verborgen hätte. 
Unter denen, die dies hörten, war auch ein Prachatiger und dieſer eilte 
nach der Hinrichtung fogleich nach Haufe, Forjchte den bejchriebenen Platz 
auf und fand wirklich die eingegrabenen Schäge. Er wurde dadırd zu 
einem reichen Manne, und jeine Nachfommen leben noch jegt und find 
begütert. Seitdem iſt der Urwald gelichtet worden, fruchtbare Felder 
dehnen ſich jegt hier aus, und an der Stelle, wo früher der Schag ge- 
junden wurde, fteht jeßt das jchon oben erwähnte einfache hölzerne Krenz. 
Vorher befand fich dafelbjt ein in Zebensgröße aus Papiermaché gefertigter 
Ehrijtus, umgeben von Maria und Johannes, ebenfalls in Lebensgröße. 
Da aber die Figuren durch die Witterung zu viel litten, jo wurden jie 
in die Prachatiger Friedhoffirche gebracht, wo fie auf einem Seitenaltare 
links vom Hochaltare noch heute zu jehen find. Statt diejes Kunſtwerkes 
wurde an jener Stelle das hölzerne Kreuz aufgeftellt. 


Mittheilungen der Geſchäftsleitung. 


Die General-Verſammlung für das 24. Vereinsjahr 1885 —86 
wurde den 20. November l. J. um 7 Uhr Abends im „Deutſchen Hauſe“ 
(Graben Nr. 859211.) abgehalten. Die bisherigen Ausſchußmitglieder 
wurden wiedergewählt und Herr Dr. Franz Schmeyfal zum Ehren- 
mitgliede ernannt. 

Der Löbliche Stadtrath Eger hat unjerem Bereine anläßlich der 
Herausgabe der „Chronifen der Stadt Eger", bearbeitet von 
Heinrich Gradl, als II. Bandes der „Deutjche Chroniken aus Böhmen“, 
eine Subvention von dreihundert Gulden gewidmet. 

Neugegründet wurde die Vertretung in. Tannwald, geleitet von 
Herrn Ferdinand Thomas, Bürgerſchul-Director; neubejegt wurde die 


— 208 — 


Vertretung in Reichenberg mit Herrn Anton Fiiher, Magiſtrats-Rath. 
In Karlsbad wınde Herr Alois Janetſchek, Muſikvereins-Director und 
Obmann des Richard Wagner-BVereins, zum alleinigen Bertreter ernannt. 





Nachtrag zum VBerzeichniß der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 30. October 1886. 


Stiftendes Mitglied: 


Sr. Durchlaucht Herr Max Egon Fürft zu Fürftenberg, Großgrund— 
bejiger ze. in Prag. . 


Ordentlide Mitglieder: 


Herr Böhm Heinrich, Bürgermeifter in Tannwald. 
» Sajek Johann, k. k. Grundbuchsführer in Tannwald. 
„GHamburger Wilhelm, Fabrifs-Director in Deutſch-Schumburg. 
„Jentſch Julius, JUDr., Advocaturs-Concipient in Prag. 
„ Klandber S., Kaufmann in Prag. 
„  Koßn Leopold, JUDr., Advocat in Unter-Tannwald. 
» Pahl Dtto, Fabrifs-Director in Unter-Tanımald. 
» 2Pik Arnold, MUDr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag. 
„Driebſch Robert, Fabrifant in Unter-Morchentern. 
„ itfhel Robert, Kaufmann in Hohenelbe. 
„Schwalb Alfred, Banquier in Karlsbad. 
« Doyka Iſidor, MUDr., k. k. Univerſitäts-Profeſſor in Prag. 

Stumpe Auguft, Fabrilsbeſitzer in Deutſch-Schumburg. 

Kühl. Stadtgemeinde Tannwald. 

Herr Wagner Adolph, E. k. Bez.-Ger.-Adjunet in Unter-Tannwald. 
» Zahn Franz, JUDr., Advocat in Luditz. 


IE” jene Herren Mitglieder, denen das letzte Heft der Mit 
th: ilungen durch einen Zufall nicht zugeftellt worden fein follte, werden 
böflichft erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsteitung (Annaplak 188—I) 
gütigft reclamiren zu wollen. WG 


Rt, Hofbuchdruderei U. Hanfe, Prag. — Selbftverlag. 


| Mittheilungen es Vereines 


Össchichle der Deutschen in Bühnen. 
Nedigirt von 
dr. Kudwig Schlesingen, 








Fünfundzwanzigfter Jahrgang. Drittes Heft. 1886/7. 
Bonifatius, 


der Apoftel der Deutfden, 
und die Slavenapoftel 


ROUSRUNER (Eyrillus) und Methodios. 
Eine hiſtoriſche Parallele 


bon 


Sonflantin R. von Höfer. 


Vorwort. 


Bei Gelegenheit der taufendjährigen Gedächtnißfeier des am 6. April 885 
verjtorbenen Erzbiichofs von Mähren und Pannonien, Methodios von The]: 
jalonife (Salonidji), wurde von Seiten des römischen Stuhles mit Fug 
und Recht auf die großen Verdienfte hingewiefen, die ſich ſowohl Kon: 
ftantinos der Philofoph (Eyrillus), des hl. Methodios früh verjtorbener 
jüngerer Bruder, als diefer jelbft um die Bekehrung der Slaven erworben 
und Beiden der ehrende Beiname der Slavenapoftel zuerkannt. Damit war 
die Anficht derer, welche jich in den Brüdern von Salonidi Träger des 
Schisma's anzufehen das eigenthimliche Vergnügen gemacht hatten, fie einer 
Kirche zumiefen, die jelbft die Rechtmäßigkeit der Taufe der lateinijchen 
Kirche bejtreitet, den „Mifolatinismus” zur Seele ihres Bejtandes macht, 
als völlig unhaltbar gekennzeichnet, und es wird, ohne ſich nicht lächerlich 
zu machen, faum mehr vernünftigen Männern gejtattet fein, dieſe abge- 
thane Doctrin wieder aufzufriichen. 

Wenn aber nachher in uns näher liegenden Kreifen die Thätigfeit 
der beiden Slavenapojtel infofern limitirt wurde, daß Method als ver 
eigentliche Begründer des Chriſtenthums in Böhmen aufgefaßt und jomit 

14 


— 210 — 


zum Apoftel der Tſchechen umgewandelt wurde, wobei wieder das fagen- 
hafte Welehrad in Mähren in den Vordergrund gefchoben ward, fo war 
begreiflich, daß diefe Anſchauung ſtarke wijjenfchaftliche Bedenken erregte, 
einen Widerſpruch hervorrief und als eine Conceſſion in nationafer Be- 
zichung aufgefaßt wurde, die auf der anderen Seite mehr Verwunderung 
als Bewunderung erzeugen mußte. 

Dieje Auffaſſung eines jo wichtigen Ereigniſſes der früheren Gefchichte 
Böhmens und die daraus hervorgehende Zurückweiſung deſſen, was von 
deutjcher Seite im Karolingerzeitalter zur Belehrung Böhmens gejchah, 
ward Anlaß, die Frage noch einmal in Erörterung zu ziehen. Aber aud) 
nur Anlaß, und da ich abjichtlid) der vorliegenden Schrift den Charaf- 
ter einer hiftorischen Parallele verlieh, ift damit von ſelbſt ausgejprochen, 
daß ihr jedwede polemijche Tendenz gebricht. 

Ich lege das Reſultat von Forjchungen, die eine Seite aufdedten, 
welche bisher nicht beachtet worden war, vor. Mag man es annehmen, 
jo wird man der Wahrheit einen Dienjt erweifen; wird man es verwerfen, 
jo habe wenigftens ich meine Pflicht als Hiftorifer erfüllt. Das Weitere 
wird mich wenig kümmern. Sollte man ſich aufs neue Verdächtigungen 
erlauben, wie e8 ſchon einmal der Fall war, jo werde ich ihnen wie früher 
das Stillfchweigen entgegenftellen, das fie verdienen. Ich begreife, daß 
namentlich der Paragraph: der methodische Betrug, mannigfaltige Ueber- 
rajchung bereiten wird. Wir bewegen uns jedocd, auf einem Boden, auf 
welchem man ſich mehr al8 einmal ftarfe hijtorische Fälſchungen gejtattete. 
Sie ungeſcheut aufzudeden ift die nicht immer erfreuliche Aufgabe der 
Wiſſenſchaft, aber auch in manchen Fällen eine unabweisbare Aufgabe. 


$. 1. Die Kataftrophe im Anfange des VIII. Jahrhundertes. 

Seit dem Untergange des weftlihen Neiches der Römer und der 
Erfegung desjelben durch die germanische Vieljtaaterei fchien fein Jahr: 
hundert eine verhängnißvollere Kataftrophe gleich in feinen Anfängen zu 
bringen als das achte der hriftlichen Zeitrechnung. Nicht als wenn es 
bisher an Völkerverſchiebungen und Ummälzung der Staaten gefehlt hätte! 
Mittel- und Weſteuropa waren wiederholt dem Schidjale verfallen, Völker 
auf Völfer heranziehen zu jehen, die ihre Neiche nur deshalb begründet 
zu haben jchienen, um jo raſch als möglich wieder zu verſchwinden, und 
bald war von den Nugiern jo wenig mehr eine Spur vorhanden als von 
K. Geiſerichs Vandalen, von den Gepiden jo wenig al3 von den Oftgothen. 
Man konnte ſich fragen, ob die Langobarden ſich beſſer erhalten würden 
als Odoakers Heruler, Scyren und Zureelinger; ob ihre nördlichen Nach— 


| a il: wi 


baren, die Bajuarier ihre Selbftändigfeit beſſer vertheidigen würden als die 
Thüringer den Franken und Sachſen gegenüber, die Burgunder und Ale- 
manen den Franken, die in Spanien eingewanderten Sueven den Weit: 
gothen gegenüber; daß aber ein großer Theil des erft feit C. Julius Cäſar 
und Octavianus Augujtus dem römischen Reiche einverleibten Nordgebietes 
den Germanen dauernd zugefallen fei, konnte man ebenjo wenig bezweifeln, 
als daß unter diefen die in Gallien eingewauderten Franken die Hegemonie 
erlangten, fich nicht nur die Kelto Römer unterwarjen, fondern auch be: 
reits begonnen hatten, ein deutjches Volf nad) dem anderen jich eigen zu 
‚machen und jo ein deutjches Gejammtreich zu begründen, das damals 
nur im römijchen (romätschen) Reihe von Konftantinopel einen eben- 
bürtigen Gegenfag fand. 

Anders aber wurde es mit dem Anfange des VII. Sahrhundertes, 
als der Aufmarſch des arabiſchen Weltreihes in Afien-Afrifa vollendet 
war, deſſen beide langgeitredten Flügel Europa berührten, unter Walid 1. 
das neue Weltreich feine größte Ausdehnung erlangte, mit Mühe das 
römische Reich durch feine größte Feſtung, die Hauptitadt, erhalten wurde, 
das große Wejtgothenreich aber, diejer entbehrend, den Folgen einer einzigen 
Niederlage 711 erlag. Zwei Jahrzehnte fpäter ftanden die Sieger jchon 
an der Loire und, obwohl dort zurücgejchlagen, im nächften Jahre 733 
an dem Ahone. Bon diefer Zeit au bis zum erſten Kreuzzuge blieb das 
hriftlihe Europa fortwährend von den Arabern blodirt; die europätjche 
Inſelwelt fiel in ihre Hände und die gefammte Südküſte war ununterbrochen 
ihren Räubereien und Einfällen ausgejegt, jo dal deutfche Kaijer mit ihnen 
nicht minder zu kämpfen hatten als Normanenkönige und vomätjche Kaifer. 
Der Kampf mit dem Islam war ein bleibende Uebel geworden, mit 
-welhem man Jahrhunderte hindurch zu vechnen hatte, und nur darin lag 
ein Unterjchied, daß anfänglich die Araber auf allen Punkten offenjiv 
vorangingen und erſt langjam und allmälig die chrijtlichen. Völker ſich 
entjchlojjen, von der Defenjive jelbjt zur Offenfive überzugehen und dieje 
endlich 1096 nach der Brüde zu tragen, die Aſien mit Afrika verbindet. 

Im gegenwärtigen Augenblide zeigte ſich aber, was ein einheitliches 
Neic vermag, das eine lang gejparte und lang gehütete, ebenjo Eriegerijche 
als intelligente Nation wie im erſten Anlaufe gegründet hatte, als ihm 
ein wohl ausgedehnter, aber durch religiöfe und politische Barteien innerlich 
gejpaltener, zerrijjener, von Avaren, Slaven, Perſern beinahe bis zur 
Vernichtung befämpfter, alternder Staat gegenüber ftand. Aber auch mit 
dem neuen deutjchen Neiche, das Anjtalten traf vom alten Gallien aus 
einen DBereinigungs- Punkt germanischer Völker zu bilden, ftand es jchr bald 

14* 


— 212 — 


um nicht viel, befjer, da rohe Kraft, Lift und Gewalt zur Erhaltung der 
Staaten, zur Begründung eines ftaatlichen Lebens nicht hinreihen. Schien 
doch das fränkische Reich unter den merovingischen Nachfolgern K. Chlodwigs 
feine andere Aufgabe zu kennen, als ſich in Theile aufzulöjen, und, wenn 
Glück oder Gewalt wieder Bereinigung der getrennten Bejtandtheile herbei: 
geführt, den unfeligen Proceß der Theilung und Schwächung, der Bruder- 
fehde und des Bürgerfrieges von nenem zu beginnen ! 

Es gehörte nun zu den jchlimmften Dingen, daß gerade im Anfange 
des VII. Jahrhundertes, kaum daß der lang andauernde Bürgerkrieg 
unter den Hausmaiern der drei Hauptbejtandtheile des fränkischen Reiches 
durch die Erhebung Bippins IE zum Herzoge aller Franken bejeitigt war, 
die inneren Zwiſtigkeiten unter jeinem eigenen Geſchlechte jo rajch eintraten, 
als hätten ich die Pippiniden die unjelige Politif der Merovinger zum 
Borbilde genommen. Die Maßregeln zur Abwehr der Araber, der Verfall 
des Königthums der Merovinger, das für die nicht fränkischen Völker der 
fränfischen Monarchie den natürlichen Einheitspunft gebildet hatte, drohten 
auch in der fo jchwierigen Uebergangsepocye von den Mierovingern zu den 
Karolingern eine innere Zerrüttung, eine moralische Auflöfung des fränkischen 
Gejammtreiches herbeizuführen, der die politische auf dem Fuße nachfolgen 
mußte. Was aber dann das Schidjal der germanifhen Welt 
werden würde, von welcher Sachſen und Friefen noch im wildejten 
Heidenthum verharrten, während die Sfandinavier fich berufen fühlten, noch 
lange nachher Mord und Brand nad) den germanischen Ländern zu tragen, 
war unschwer zu errathen. Drohten doc nod) im X. Jahrhunderte die ſpa— 
niichen Araber durch einen Querritt von Weften nah dem Oſten Europa 
dem Islam zu unterwerfen! Mag man die Thatkraft Karl Martells, die 
ih in der Schlaht von Tours und Poitiers 732 bewiefen, noch fo hoch 
anjdylagen; es handelte fid) nicht blos um den Bejtand gegen einen aus: 
wärtigen Feind, Ter jeden Tag wiederfehren konnte, ſondern um ein gan; 
ungemeines Culturintereſſe, um die geiftige und fittliche Hebung des 
Frankenreiches, dem die fittlihe Führung der germanijchen Welt, 
damit ihre ganze Zukunft, anvertraut war. 

Allein die Deutichen waren damals noch weit entfernt, auch nur an- 
nähernd ein Ganzes zu bilden. Zerjtreunt im Süden wie im Weften gab 
es eine compacte Maſſe nur in der Mitte des aus Halbinjeln beftehenden 
Erdtheiles. Aber auch dieſe Mafje war gejpalten, da der nördliche und nord- 
wejtliche Theil, riefen und Sachjen die erflärtejten Gegner der chrijtlichen 
Religion waren, die die ſüdlichen Stämme bereits angenommen hatten, 
ohne jedoch jene Schulung erlangt zu haben, die in der jo nothwendigen 


— 213 — 


Umwandlung von Sitte, Gebräuchen, Lebensanfchauung und Lebensge- 
jtaltung bejtand. Diefer jchwanfende und unfertige Zuftand war aber um 
jo mißlicher, weil, ehe die Germanen ſich al8 Träger einer neuen Aera 
conjtituirten, hinter ihnen in zahllofen Stämmen und Schwärmen ein neuer 
Feind ſich zeigte, welcher bis dahin feinen weltgejchichtlichen Beruf nur in 
der wildeften Betonung des aviten Heidenthums bethätigt hatte. Einerfeits 
bemächtigten jich die Slaven der durch den Abzug der Germanen leer- 
gewordenen Sige diefer Völker, deren Nachtrab fie zu bilden fchienen. 
Sie machten ſich in den früheren Sigen der Marfomannen in Böhmen 
breit, als hätten fie dort von Anbeginn gewohnt und feit Jahrhunderten 
Bürgerredht erlangt. Wo Rugier und Quaden, wo Gothen, Gepiven und 
Langobarden gewohnt, alles gehörte ihmen, den ganzen deutſchen 
Befig nahmen fie für jih in Anſpruch. Während aber die Bor- 
läufer der germanifchen Völkerwanderung, die Gothen ſich mit den Römern 
zu ftellen verfuchten, römiſch-gothiſche Reiche zu errichten, das in feinen 
Grundfejten wankende römische Weich durch gothiihe Kraft zu ftügen 
ftrebten, Wejtgothen vereint mit den Römern unter Aetins die Geißel des 
Abend: und Deorgenlandes, den Hunuenkönig Ebel bejtiegten, verbanden 
fi die Slaven mit allen der römischen Eivilifation feindlichen Stämmen. 
Selbjt Knechte oder wie die Avaren ſich ausprüdten, Jagdhunde ihres 
Chagans, reichten fie den Perjeru die Hand zur Eroberung und Zerjtörung 
der Baſiliſſa, 8. Conſtantins großartiger Schöpfung, und ihr Verdienst 
war es nicht, wenn jich Eonjtantinopel gegen den dreifachen Ring der Avaren, 
Perſer und Slaven doch erhielt, al3 es vom aſiatiſchen Ufer, auf europä- 
iſchem Boden, zu Waſſer und zu Lande belagert und befämpft worden 
war.) Ob chriſtlich oder clafjiich, die Slaven hatten Sinn nur für jic) 
und wohin fie famen, brachten fie eben nur jich, aber Feine Keime der all: 
gemeinen Cultur mit. Siegte diejes Heidenthum jo war die Welt verloren. 
Nur die Vollendung der Bekehrung germanifcher Völker bildete eine Brücke, 
um auch die ungezählte ſlaviſche Welt, wenn auch langſam und EIER in 
den Kreis der chrijtlichen Eivilifation hineinzuziehen. 

So gab e3 denn im Aufange des VII. Jahrhundertes der — 
Aufgaben in Fülle und war die ſo nothwendige Umwandlung der merowingi— 
ſchen Monarchie des Frankenreiches und feiner deutſchen Dependenzen, fo 
ſchwierig fie an und für ſich war und jo jehr fie bedeutender Perſönlichkeiten 
bedurfte, wenn nicht ebenſo nothwendig, doch nicht minder jchwierig als die 
Reform, weldhe auf dem geijtigen Gebiete des Völkerlebens ſich als 


1) Höfler, die Epochen ber ſlaviſchen Geſchichte Wien 1881. ©. 35. 


— 214 — 


unabweisbar darjtellte. Es mußte, follte eine gründliche Befferung der Dinge 
möglich werden, der immere Zwieſpalt der dentſchen Nation getilgt und die 
Bereinigung der deutichen Stämme Eontraleuropa’s auf dem firdhlichen Gebiete 
durchgeführt werden. Es war bei dem Verfalle der Dlerowingerherrichaft 
ebenjo nothwendig dem Verfalle der Eirchlichen Zucht und des Firchlichen 
Lebens im Franfenreiche wirffam zu begegnen, damit die neue Ordnung 
der Dinge nicht nur auf Gewalt, jondern auch anf bleibendem ethifchen 
Grunde beruhe. Es war endlich nothwenvdig, dem Heiventhume, das vom 
Norden nad dem Süden, vom Oſten nad dem Weſten jich gewaltiam 
vorwärts ſchob, Grenzen zu ziehen, wo ſich dasjelbe zeigte, und nicht minder 
der großen Offenivftellung des Islams gegenüber, im Wejten und Süden 
Europa’s eine große hrijtlihe Defenſivmacht zu begründen, wie 
im Oſten das romäiſche Neich, welches wir uns thörichter Weiſe als byzan— 
tiniſches zu bezeichnen gewöhnt Haben, gerade im achten Yahrhunderte 
durch die Noth der Zeit getrieben, unter den wilden Iſaurern, den bilder: 
ftürmenden Katjern, ſich zu emer ſolchen Nolle aufraffte, während ande: 
rerſeits ihr militärischer Despotismus zur Ausſcheidung Italiens aus dem 
Neiche führte, das feinen lateinischen Charakter ſeitdem mit dem griechijchen 
(romäiſchen) vertaufchte, 

Beſäßen wir ene Gejchichte der deutjchen Geſammtnation, che fich 
diefe nicht blos in verschiedene Staaten, jondern auch in Dentiche und 
Nomanen jchied, jo wäre längjt eine der größten Entwiclungsjtadten zum 
Gemeingute unſeres Volkes geworden. Ich meine die Thatfache, daß 
e3 eine große und ziemlich langdauernde Periode unſerer Geſchichte gab, 
in welcher jich die verjchiedenjten deutjchen und ſelbſt nicht deutjchen Stämme 
als Glieder eines großen Ganzen fühlten, gemeinſame Inſtitutionen, 
Kirche, Schule, Dynaftie und Monarchie befaßen, damit eine gemeinjame 
Bergangenheit und Gejhichte, jo daß die Heroen jener Tage 
ebenjo den Deutjchen als den nachherigen Franzojen angehören nnd jelbjt 
die Slaven, wenn fie einen Gefammtfürjten, nicht einen ihrer National: 
herzoge bezeichnen wollten, ihn nach dem erften deutjchen Kaifer, dem 
großen Träger einer univerfalgefchichtlichen Beriode — Kaifer Karl = Kral 
nannten. 

Damit aber diefe gemeinfame Periode ermöglicht werde, mußte jpä- 
tejtens im VII. Jahrhunderte und Mitten unter den großen Veränderungen 
und Umwälzungen dejjelben der ethiiche Grund gelegt werden, ohne welchen 
es wohl wie in Conjtantinopel auch auf germanifchem Boden zu einer rohen 
und gewaltſamen Militärdespotie gekommen wäre, nicht aber zu dem völfer- 
vereinigenden Kaiſerthum des Jahres 800. 


— 215 — 


8. 2. Der Angelſachſe Wynfrith (Bonifatius). ?) 


Weder die Perjünlichfeit noch die Wirkſamkeit des Wohlthäters und 
Apoftels der Deutjchen ift ein Gegenftand der Eontroverje. Es fann fein 
Streit darüber entjtehen, welchen Völkern er das Licht des Heiles angezündet, 
welcher Schrift er jich bedient, welche Sprache er gefprochen, welche Länder 
er bejucht, welche Fürjten jeine Bemühungen unterjtügt, mit welcher Voll- 
macht er ausgerüftet jeine Mifjion antrat, welche Einrichtungen er getroffen. 
Sein Andenken jchwand fo wenig mit jeinem Tode, als feine Wirkjamfeit, 
da, was er begründet, durch die Art und Weiſe, wie es gejchah, nicht etwa 
ephemerer Natur war, jonderu in feinen Schülern, in feinen Einrichtungen, 
in jeinem Geiſte fortlebte. Seine Einrichtungen umfaßten nicht einzelne 
Stämme und jchloßen nicht andere aus, jondern alle Stämme ein und der: 
jelben großen Nation, die er durch gleihmäßige Inſtitutionen geiftig einigte 
und denen er auch einen bleibenden Mittelpunkt zu ihrer politischen Einigung, 
wie mit prophetischem Blicke die Zukunft beherrjchend, tn Mainz gab. Judem 
er aber jeine ganze Thätigfeit an den gemeinjamen Mittelpunkt aller chrijt- 
lichen Völker anfnüpfte, vermied er nicht nur jede nationale Spaltung, jondern 
eröffnete ev auch der deutfchen Nation den mniverſellen Ueberblid, den jie 
in ihrer Gefchichte bethätigte und der ſich im deutjchen Neiche, das aus 
jo vielen Nationen ſich zufammenjegte, abjpiegelte. Seine uns erhaltenen 
Briefe führen in das Geheimniß jeines Lebens ein und machen dasjelbe 
jpäteren Gejchlechtern offenbar; jeine Schüler bemühten ſich in feinem 
Geijte zu leben und zu wirken. Sein Grab, feine leere Tumba, die die 
Phantaſie des Bejchauers nad) Belieben ausfüllen mag, ift bis zum heutigen 
Tage Gegenstand der größten Verehrung und die Gejchichte, jeden Mythus 
ferne haltend, der bei Audern die Stelle beglaubigter Thatſachen erjegen 
fol, aber nicht erjeßt, weijt ihn unbedingt den bedeutendjten Berfünlichkeiten, 
den opfermuthigiten Charakteren zu, den wahren Gründern einer meuen 
Epoche. Worin beftand aber num die Wirkjamfeit des heiligen Bonifatius 
und wie unterjchied fie fich von der, welche die Slavenapojtel im Bezug 
auf die flavische Nation ausibten ? 


Lange vor dem Jahre 682, in welchem, der Tradition zufolge, 
im heutigen Sirton in Devoujhire Wyufrith, der Sohn angejehener 
Eltern geboren wurde,?) hatte die große Verſchiebung der deutjchen 
Völker vom Oſten nad dem Weften ihr Ende erreicht, hatten zulegt auch 


1) Ueber die Schreibart fiehe Dr. Cornelius Will, Bonifacius, eine etymologiſch— 
diplomatische Unterfuhung. Hiſtor. Jahrb. 1881. Heft 2. 
2) Corn. Will, Regeften zur Geſchichte der Mainzer Erzbiſchöfe. J. S. I. 


— 216 — 


die Langobarden fich Italiens bemächtigt, ohne jedoch wie die Oſtgothen 
die ganze Halbinjel fich unterwerfen zu fünnen, und hatten im ehe: 
maligen Britannien die Angeljachfen jene eigenthümliche Stellung unter 
den Deutjchen erlangt, die ihnen ein geijtiges Uebergewicht ficherte. Bon 
den Stammesgenofjen auf dem Kontinente, den Altfachjen, durch das 
ftürmifhe deut ſche Meer — mare germanicum — getrennt, gaben 
die Sachſen in Saxonia maritima das Gefühl ihrer nationalen Zu— 
jammengehörigfeit nie auf, wenn auch der große Unterjchied, daß die 
Altjachjen wüthende Vorkämpfer des blutdiirjtigen germaniſchen Heiden— 
thums blieben, die Meerſachſen aber ihrem Herzen nach Rom zugewandt 
waren, von wo ihnen Abt Auguſtin die Lehre des Heiles gebracht, die 
urſprüngliche nationale Gemeinſchaft ſtark in den Hintergrund drängte. 
Der geniale Wurf PB. Gregor des Großen, während er jelbjt in Rom von 
den Langobarden bedräugt ward, gleichjam über ihre Köpfe und die anderen 
germanischen Stämme hinweg, die Eroberer Britanniens für das Ehriften- 
thum zu gewinnen, hatte das germanifche Heidenthum zwiichen zwei Feier 
gebracht, und da num, ſeit Theodor von Tarſos, ein Grieche, Erzbischof 
von Canterbury geworden war, unter den Neubefehrten auch der Sinn fir 
allgemeine Bildung rege wurde, das Beſtreben, einen edlen clafjischen Aus: 
drud für feine Empfindungen zu gewinnen, Hand in Hand mit jener 
ftvengen Lebensweije ging, die der Orden des h. Benedict übte, fo 
bildete ji in Mitten der Kämpfe der angelſächſiſchen Könige des Südens, 
der Mitte und des Nordens um die Herrjchaft, eine geijtige Richtung aus, 
die fich mit umwiderjtehlicher Kraft der Beſſeren bemächtigte. Die tief: 
chriftliche Ueberzeugung, daß die Völker für einander geſchaffen find, 
nicht in gegenjeitiger Ausſchließung, fondern in der Wechfel- 
wirfung ihre gejchichtlihe Aufgabe beruhe, fam früh bei ihnen zum 
Durchbruche. 

In unſeren Tagen, in welchen an jeden Denkenden die Aufgabe 
herantritt, ſich mit den chriſtlichen Ideen auseinanderzuſetzen und gleich— 
ſam Stellung zu ihnen, für oder gegen ſie, auf Zeit und Ewigkeit zu 
nehmen, kaun man ſich nur ſchwer eine Vorſtellung von der Kraft der 
damals die Welt beherrinenden Gegenſätze zwijchen dem Heidenthum und 
dem Ehriftenthum machen. Sie ftanden einander im VII. und VIII. Jahr— 
hunderte in volljter Schärfe als zwei Mächte gegenüber, die mit einander 
rangen und von denen die eine ebenjo entjchlojfen war, es zum blu— 
tigjten Kampfe fonımen zu lajjen, als die andere, alle Kraft der Entſagung, 
der perjönlichen Aufopferung, die Entfaltung aller chrijtlihen Tugenden 
aufzubieten, um den gewaltigen Feind durch Belehrung der Einzelnen zu 


u ET a 


vernichten. Mehr als 30 Kirchen, Hagt Bonifatius in einem feiner legten 
Briefe Papjt Stephan III, hätten die Heiden verwüftet und verbrannt. 
Jeder Theil fümpfte mit den ihm zugänglichen Waffen. Da fühlte fich jede 
bedeutende Perfönlichkeit innerlic) gedrungen, an diefem Weltenfampfe fich 
zu betheiligen, ſich von diefer Frage nicht auszuſchließen. Wie wir ung nun 
von der Schärfe der großen Gegenfäge der Zeit faum eine Vorſtellung 
machen, jo fönnen wir ung auch nur jchwer in jene muthige Zuverjicht, 
in jene Begierde, welche die Beften befeelte, einen Kampf auf ſich zu nehmen, 
in welchem täglich das Leben gewagt wurde, und in jene Mifchung von 
Bejonnenheit und Verwegenheit verjegen, die jchon früher britifche Geijtliche 
zum Miffionszuge nad) den deutjchen Niederungen, nad dem Rhein und 
den Alpen bewogen hatte, im „Meeresjachjen” aber unter den Schülern 
Abt Auguftins um jo jtärfer hervortrat, als es jih um verwandte 
Stämme handelte. Nichts war natürlicher, als daß, nachdem England eine 
Burg des Fatholifchen Glaubens geworden war, von hier aus, wie vom 
archimedischen Punkte eine gefteigerte Thätigfeit nad) dem germanischen 
Süden erfolgte und zwar vorerjt in der Art, daß verjucht wurde, an ver- 
jchiedenen Seiten anzuftopfen, bis fich der rechte Mann fand, der mit 
genialem Blicke die ſchwächſte Seite der Gegner bemerfend, den Keil in 
das Centrum feiner Schladhtordnung trieb und dann wie ein erfahrener 
Feldherr zum allgemeinen Kampfe überging. Das war Wynfrith. 
Nachdem Wynfrith früh im der Benedictiner Abtei zu Exeter Auf— 
nahme verlangt und gefunden, verflofjen die erjten 30 Jahre feines Lebens 
in ftilfer Zurücdgezogenheit, im Studium der Kirchenväter und in jener 
ftrengen Ajcefe, welche er auch noch fpäter den Seinigen zur Pflicht machte, 
Zum Priejter geweiht, wollte er fich der Belehrung der Friejen zuwenden, 
als er zum Abte feines Kloſters gewählt wurde. Bereits hatte er jich aber 
für die Verfündigung des Evangeliums unter den Heiden entichieden und 
wandte er ſich deshalb, dem Beijpiele Wilbrods, des Apojtels der Friejen 
folgend, an P. Gregor IL, von diejem perjönlich die Ermächtigung zur 
Bekehrung der deutjchen Völker zu erlangen.) Am 15. Mai 719 begann er, 
mit jener Autorität ausgerüftet, die allein ihn dazu befähigen konnte, das 
gewaltige Werk, welches er unter Gregor III., Zacharias und Stephan III. 
fortſetzend, 74jährig -- 130 Jahre vor dem Tode des Slavenapoitels 
Method — als Märtyrer unter den Streichen der Frieſen beendete. 


1) ad inspiciendos immanissimos Germaniae populos directus est. Willibaldi 
vita S. Bonifatii c. V. Ad inluminationem gentis Germaniae circum quaque 
in umbra mortis morantibus populis. Gregorius III. Bonifatio coepiscopo. 


— 218 — 


Zuerft wurde und zwar nad) Anordnung P. Gregors II. der große Berg- 
wald Thüringens, um welches Sachſen und Franken gefämpft, zum Aus— 
gangspunfte der Million gewählt, um von da aus zu den Helfen und 
Altſachſen überzugehen und diejenigen Völfer zu gewinnen, die die Nord: 
grenze der germanischen Welt, theilweife die Nachbarn der Wenden bil- 
deten, in deren Barbarei fi) der Nordoften endlos verlor.") Er konnte 
bereit8 im %. 739 berichten, daß es feinen Bemühungen gelungen war, 
100.000 Deutſche zu befehren.?) Die „entjeglichen" Germanen hatten ſich 
ihm gefügig erwiejen. Er hatte das Mittel gefunden, auf jie einzumirfen. 
Die eigentlich fruchtbare und großartige Thätigfeit begann jedoch erſt 

jeit dem 30. November 722, al8 er von PB. Gregor II. zum Bijchofe 
geweiht worden war; fie wurde aber noch erweitert und gejteigert, als er 
zchn Fahre jpäter vom P. Gregor III. nicht bloß die erzbiichöfliche Würde 
über ganz Germanien erlangte, fondern auch als apoftoliicher Legat deu 
Papſt jelbjt in Germanien und im fränkischen Reihe der Karolinger 
36 fahre lang vertrat.?) Nur dadurd) allein war es möglich, einerjeits 
in den dem Chrijtenthum gewonnenen, dunkeln Winfeln germantjcher 
Völker *) bleibende Einrichtungen zu fchaffen, audererfeits in dem Herzog: 
thume Bajuarien und unter Galliern und Franken, im eigentlichen Karo: 
lingerreihe die jo norhwendige Neformation mit Unterjtügung des neuen 
Königsgefchlechtes durchzuführen. Zur Krönung des Ganzen erfolgte ſo— 
dann, aber erjt in den Ichten Fahren feines Lebens die Erhebung von 
Mainz zur Metropole Deutjchlands als Mittelpunkt des Firchlichen Lebens, 
als Sit feines Erzbiſchofs. So hat fi langjam und allmälig in Laufe 
weniger Decennien durch unermüdliche aufreibende Thätigfeit von kleinen 
Anfängen mühjamer Bekehrung Einzelner, dem fiegreichen Beweije hoher 
geiftiger Kraft, der die ungeſchlachten Germanen lehrte, zwijchen dem Ge: 
Ihöpfe und dem Schöpfer zu unterjcheiden und die Nichtigkeit ihrer eigenen 
Götter, ihre volljtändige. Machtlofigfeit zu erkennen, ein perjönliches An— 
jehen herausgejtellt, wie e8 weder vor nod) nach ihm Jemand bejejfen. Aus- 
gezeichnet durch feine Lehrgabe, feine Hingebung und Geduld, feinen Ernſt 
und jeine Würde gewann er Viele, weil er jeden Einzelnen gewann. Selbjt 
von dem gewiljenhaftejten Pflichtgefühle erfüllt, nur feinem Berufe und zwar 
mit einer Dingebung lebend, die ihm den Beinamen des sanctissimus ver: 

1) Wenedi quod est foetissimum et deterrimwm genus hominum. Epist. ad 

Aethilbaldum, regem Mercionum. Jaffe p. 172. 

2) Epist. 38. Jaffe p. 104. 

3) Bonifatius Stefano III. ep. 106. Jaffe p. 259. 

4) tenebrosos angulos Germanorum gentium. 


er — 


haffte, womit die Päpfte ihn in ihren Briefen zu benennen pflegt em 
breitete er Schritt für Schritt feine Thätigfeit über die nördlichen wie über 
die öſtlichen deutschen Völker aus und während er die heidnijchen Ger: 
manen befehrte, reformirte er diejenigen, die das Chriſtenthum bereits an- 
genommen die Bewohner Franciens und Bajuariens. Dieſe doppelte 
ZThätigfeit jchuf einen geiftigen Ring, der die Deutichen umjchloß, und damit 
die dauernde Grundlage des Karolingerreiches. Ya fie erwies ſich ſelbſt 
jo mächtig, daß, was er begründete, nicht. bloß das Karolingerreich über- 
danerte, fondern aud) das Fundament des nachfolgenden deutfchen Reiches 
bildete. Selbftverjtändlih wird aucd Niemand die Wirkſamkeit Wynfriths 
nad) jenen Heinen und bejcheidenen Kirchlein bemeijen, die mit. der Axt 
gezimmert, im Thüringerwalde entjtanden, den Nenbefehrten zum erſten 
Male einen regelmäßig abgehaltenen Gottesdienst zeigten und in denen 
fie ſelbſt den Unterricht erhielten, welcher ihnen die Nichtigkeit ihrer 
„Idole“ wies. Weld ein elendes Klöjterchen war nicht anfänglich aud) 
diefes Fulda (744), aber mit richtiger Erfafjung der Zukunft an der 
Grenze von 4 Nationen gebaut, in weiter Oede, jo arm, daß Bonifatius 
den Mönchen ') wohl Brod als- Nahrung verschaffen konnte, zum Zrinfen 
Waffer, aber in Betreff der Kleidungsſtücke fremde Mildthätigkeit in An— 
ſpruch nehmen mußte. Und doc ijt aus dieſer beſcheidenen Gründung 
jene Schule Deutjchlandgs hervorgegangen, die Gelehrſamkeit und Bildung, 
Licht und Leben weithin verbreitete. Wo finden wir in jlavischen Ländern 
etwas Aehnliches, wo eine Einrichtung von fo nachhaltiger Bedentung ? 
Auc bei der Wahl der Biichofiige zeigt fich die vorfichtige Klugheit, mit 
welcher die Zweckmäßigkeit jedes Schrittes berechnet wurde. Die Bilchof- 
fige wurden abjihtlih an namhafteren Orten eines ſchon bejtehenden 
Verfehres gegründet, wie es mit den agilolfingischen Abteien im heutigen 
Defterreich aud) der Fall war: Thüringen, von 3 Bisthümern eingejchloffen, 
von welchen Erfurt die nördliche, Würzburg die jüdliche Grenze bildete, 
Mas aber zunächſt deutſchen Stämmen zu Gute fommen follte, fam in 
den nächjten Generationen jchon den ſlaviſchen zu Gute, die raſtlos ſich 
durch die endlojen Wälder nach dem Weiten verjchoben. und den Main und 
defjen Nebenflüße bereits erreichten. In dem Herzogthume Bajuarien gab 
es bereits vier Bisthümer, von denen dann aud Salzburg jpäter jelbjt zum 
Erzbisthume erhoben wurde. Sie theilten jich nicht bloß in die Belehrung 
und Schulung der zur Gewaltthat geneigten Bajuarier, fondern eröffneten 


1) viros strietae abstinentiae, absque carne et vino, absque sicera et — 
proprio manuum suarum labore contentos. Ep. 79. 


— 20 — 


fi) auch einen weiteren Wirfungskreis nach dem jlavifchen Oſten, der ein 
halbes Jahrhundert nach Wynfrith feine trogigen Reihen durchbrochen jah, jo 
daß die bajuarijchen Bisthümer und Würzburg ’) nicht minder, das flavijche 
Apoftolat fich früh zur Lebensaufgabe machten. Wer aber iſt im Stande, 
dem geiftigen Impulſe, der wunderbaren Anziehungskraft geijtig überwäl— 
tigender Naturen Grenzen zu ziehen und die Gebiete zu bezeichnen, auf 
welche ein hervorragendes Beifpiel nachhaltig einzuwirfen vermag? Liegt 
nicht in raftlofer zielbewußter Arbeit eines Mannes, der dem Höchjten 
zugewandt, nimmermüde vorwärts jchreitet, etwas Anſteckendes und Bewälti— 
gendes, jo daß, wer einer höheren Empfindung theilhaftig ift, ich fort- 
geriljen von dem unmmiderjtehlichen Impulſe, gerne anjchliegt, und die 
Perjönlichkeit, die das Centrum bildet, bald ficy von einem Kranze um: 
geben ſieht, der jelbjtäudiges Leben gewinnt und basjelbe wieder in 
Sphären hinüber trägt, die dem Urheber der ganzen Bewegung auch nur 
zu erreichen, gejchweige zu durchdringen nicht vergönnt war. Und welcher 
Arbeit und welcher Mühen bedurfte es nicht in jenen Jahrhunderten, die 
der Hilfsmittel jpäterer Zeiten jo jehr entbehrten, wo die perjünliche Kraft 
hundertfache Steigerung erforderte, ımd welche Diejenigen nicht als finftere 
bezeichnen follten, die jelbjt jehr an perfünlicher Erleuchtung gewännen, went 
fie jich die Mühe gäben, den Unterjchied der Jahrhunderte und dadurch den 
Fortichritt der Zeiten fennen zu lernen?! Doch das ift die Domäne den— 
fender Köpfe und die Anzahl derfelben ift in allen Zeiten nie eine zu 
große gewejen. 

Zwei Momente traten nun bei Wynfrith ganz bejonders hervor. 
Anfänglih nur Miffionär, nimmt er auch die ganze Bürde diefes mühe- 
vollen und gefährlichen Amtes auf fih. Er unterhandelt mit den Fürften 
der Thüringer, er unterweiit Andere, er bildet id) Gefährten und baut mit 
ihnen die erjten Firchlichen Niederlaffungen, er fällt perjönlich die heilige 
Eiche bei Geismar, er jegt ich überall den größten Gefahren bei Heilen 
und Thüringern aus. Er handelt unter dem Bemwußtjein, daß jegt für 
die deutjche Nation der Zeitpunkt gefommen tft, in die Neihe der chrijt- 
lichen Völker einzutreten, ihm ſelbſt aber die Miffion zu Theil wurde, 
aus zerjtrenten Stämmen kirchliche Gruppen zu jchaffen, die allmälig die 
verjchiedenen deutſchen Stämme unter einander verknüpfen. Der Legat iſt 
es aber jodann, der ihnen durch die kirchliche Salbung Pippins zu Soiſſons 

751 oder Anfang 752 ein gemeinfames Oberhaupt gibt, das faro- 





1) Wirtzaburg in confiniis Francorum atque Saxonum atque SIRTOFATE 
Siehe Seiterd, Bonifatius S. 301. 


— 21 — 


Ingiihe Königthum begründet; wenige Jahrzehnte fpäter vereinigt fie 
das wiederhergeftellte römische Kaiferthum. Jetzt handelte es ſich zunächſt um 
die Reformation der Disciplin, um die geijtige Vereinigung der Zerjtrenten, 
um Gewinmung einer gemeinfamen Grundlage, durch welche eine bleibeude 
Verſtändigung angebahnt, dem Ueberwuchern nationaler Gegenfäge gejteuert, 
jedem Einzelnen und Wllen zujammen ein gemeinjames Lebensziel vor- 
gezeichnet und dadurch geräufchlos ein Bau begriindet werde, mächtig genug 
troß aller zerjegenden Beitrebungen der ſpäteren Jahrhunderte inımer wieder, 
wenn das deutsche Volk zur Befinnung zurüdfehrte, zum gemeinfamen 
Sammelpunfte zu dienen. Wenn in den Tagen Wynfriths noch genau 
unterjchieden wurde zwijchen Langobarden und ‚Römern und bald uachher 
die römische Bevölferung Mittelitaliens durch K. Pippins Schenkung ſich 
unter den Päpften national und politiich comftituirte; wenn die Weſtgothen 
Spaniens mit einem Male von den Arabern überritten, fir Jahrhunderte 
verurtheilt waren, zur gerechten Strafe für das Verfäumte den Kampf um 
das Dafein zu führen und noch vier Male in größeren oder kleineren 
Pauſen das Scidjal abwehren mußten, das im Jahre 711 über fie ge: 
fommen war; wenn man im fränfijchen Reiche in den Tagen Wynfriths 
noch Franken und Gallier unterjchied, ein Jahrhundert jpäter aber aus 
beiden Bejtandtheilen ein romanijches Volk geworden war, bei einem Theile 
der Burgunder diefelbe nationale Veränderung ftattfand, und die Lango— 
barden ſich noch im XI. Jahrhunderte romanifirten; wenn ferner noch 
1066 der Ruin der Angelfachjen durch die romanijirten Normanen erfolgte: 
jo tritt die großartige Bedeutung Wynfriths, der die deutjchen Stämme 
auf der Nordjeite der Alpen in verhängnißvoller Zeit kirchlich einigend, 
national erhielt aud in diefer Beziehung maßgebend hervor. Gerade 
dasjenige, was uns fonderbar erjcheint, daß er fich nicht beguügte, Apojtel 
der Thüringer oder der Heſſen zu fein, jondern feine Thätigfeit den Bajuaren 
und Franken ebenjo gewidmet war, wie anderen deutjchen Stämmen, bildet 
das Charafterijtifche und Segensreiche feiner Wirffamfeit und macht ihn zum 
Üpoftel der Deutjchen, ihrem allgemeinen Wohlthäter — Bonifatius, 
wie er mit ahuungsvollem Nechte in dom genannt wurde. Wir werden 
noch jpäter auf den wejentlichen Unterfchied zwiichen ihm und den ſogenaunten 
Slavenapofteln, zu ſprechen kommen, die in das bereits befehrte Mähren 
berufen, unter Bölfern wirkten, die ſich andern gegenüber durch ihren ge- 
genfeitigen Haß kenntlich und bemerkbar gemacht hatten ') und die zu ver— 
einigen es ihnen jelbjt bei dem redlichjten Streben an Mitteln gebrady. Weit 


1) Edvn moakknia wie die Byzantiner fie deshalb hießen. 


— 112 — 


eutfernt aber, fi in fremde Ernte hineinzufeßen und, wo Andere gejäet, 
den Schnitter. zu machen, ging Bonifatius an denjenigen Pflanzftätten 
germanifch-chriftlicher Bildung, welche ihr Entjtehen der Miſſionsthätigkeit 
irländifcher Glaubensboten verdanften, entweder vorüber, jo daß die 
alemannischen und rheinijchen Bisthümer von ihm nicht berührt wurden, 
Mainz und Köln nur inwiefern die Deutſchen oftwärts vom Rheine 
dazu gehörten, oder er ſetzte ſich mit ihnen friedlich auseinander. Anders 
war es jedoch mit den bajuarischen '), wo Emmeran, Biſchof von Regens— 
burg, ermordet 652, Rupert, Bijchof von Salzburg, gejtorben 718, Con— 
binian, Biſchof von Freiſing, geſtorben 730, durch ihren Tod jchwere Ver: 
wirrungen widerwillig hervorgerufen. Da war ein unmittelbares Eingreifen, 
um dem Verfalle zu ſteuern, nothwendig. Bon den thiringifchen Bisthümern 
Erfurt, Buraburg bei Friglar und Würzburg erhielt ſich nur das letere, 
welches bei dem Vordringen der Slaven an Bamberg ſpäter ein Vorwerk 
erhielt, während die beiden erjteren, als das Sachjenland befehrt, gleichſam 
die bifchöfliche Nordgrenze mehr hinausgeſchoben wurde, fie der veränderten 
Lage der Dinge nicht mehr entfprachen, eine Kette neuer bijchöflicher Vor— 
lande ‚erhielten. Hingegen vermittelte die Gründung von Eichjtädt den geift- 
lichen Zufammenhang zwifchen den Donaubisthümern Paſſau, Regensburg 
und denen des Maines. Der eigentliche Knotenpunkt aber war und blieb 
hier Regensburg. 
‚Damit ftreifen wir aber jchon die laviſchen Verhältniſſe. 

Der Aufenthalt in Baiern als päpſtlicher Legat ſteht der Wirkſamkeit 
in Thüringen nicht nach, übertrifft ihn vielleicht noch an Bedeutung. Boni— 
fatius war ſchon nach dem Tode Korbinians von Freiſing nach Baiern 
gekommen. Seine Hauptthätigkeit fällt aber in die Regierungszeit H. Oa— 
tilo's 735—748. Sein Sohu und Nachfolger, der unglückliche Taſſilo IL, 
war bei dem Tode des Vaters unmündig. Handelte es fi auch nicht 
zunächſt um die Neubegründung von Bisthiimern, jo war es doc) nothiwendig, 
falſche und eingedrungene Bilchöfe und Prieſter, Verkündiger ihrer, aber 
nicht der apoftolifchen Lehre, zu entfernen, geeignete Priefter heranzuziehen, 
die Didcejen abzugrenzen, die Eirchliche Verfaffung ebenſo zu ordnen als 
die. chrijtlichen Familien, und der trägen Maſſe einen neuen Geift einzu: 
hauchen, fie um ihr Seelenheil bejorgt zu machen und den engen Kreis 


1) Ueber die Thätigfeit de3 hl. Bonifatius in Baiern gibt Eberl, Studien zur 
Geſchichte der zwei letzten Agilolfinger (Neuburg a. d. D. 1881) vortrefflidye 
Aufichlüffe. Ich folge vor Allem den Forſchungen Will's (Regeſten zur Geſchichte 
der Mainzer Erzbiſchöfe. Bd. 1.) Vergl. auch Seiters. 


— 223 — 


beidnifcher Anfchauungen durch die Auffchlüffe zu erweitern, die die chrift- 
liche Religion für Zeit und Ewigkeit eröffnet. E3 ijt aufgezeichnet worden, 
daß in etwas mehr als einem Jahrzehent in Baiern mehr Klöfter gegründet 
wurden als in Ojftfranfen während eines vollen Jahrhundertes y. Eine 
ungeheuere Veränderung ward dadurch an der Schwelle der ſlaviſchen Welt 
angebahnt, die größte, welche überhaupt die Geſchichte der ein- 
zelnen Völker fennt. Zu der kriegeriſchen Beſchäftigung des Adels 
und der Freien gejellte ſich jest eine andere, an der alle Theile des Volkes 
Antheil zu nehmen berufen waren, die Erfenutuiß einer Lehre, die dem 
Leben, eine höhere Weihe geben follte. Die Heilighaltung der Ehe und das 
Verbot, Blutsverwandte zu heiraten, wodurch die natürliche Stärke erhalten 
wurde; die Weihe des Eintrittes in das Leben wie des Austrittes aus 
demfelben durch den Gebrauch der Sacramente; das Verbot des Berfaufes 
von Sklaven außer Land, die Sicherung der Stellung der Freigelafjenen. 
Die Urkunden zeugen, wie die Einzelnen es offen ausfprachen, daß jie an 
das Heil der Seele dachten, an die Gewinnung des ewigen Lebens, an die 
Verbreitung des Glaubens, an die Begründung von Schulen. Es war das 
ſchönſte Zeugniß feiner Wirkfamfeit, als P. Gregor I. feinem Legaten 
jchrieb, mit zum Himmel erhobenen Händen danfe er Gott für feine unter 
den Bajuariern erzielten Erfolge. Wie wir dir befohlen haben, jo haft du 
es vollführt.*) Der gegebene Impuls zeigte ſich, als 769 Herzog Taſſilo U. 
Innichen und näher bezeichnete Gebiete dem Abte von der Scharnig ſchenkte, 
um das ungläubige Slavenvolf auf den Pfad der Wahrheit zu führen. 
Sieg des ChrijtentHums und Sieg der chrijtlihen Eultur, das waren die 
zwei großen Aufgaben, welche H. Datilo, der Zeitgenoſſe und Förderer 
aller Bemühungen des HI. Bonifatius und fein ihm gleichender Sohn Taſſilo 
auf ihre Fahnen gefchrieben. „Neben dem Domftifte erhob fich in den biſchöf— 
lihen Sigen die Domſchule; um das Klofter wurde die Wüſte zum Saat: 
felde, zum Garten die Wildniß umgewandelt. Eher als im Franfenveiche 
hat eine vege literariiche Thätigfeit im Baiernland am Saume der Slaven- 
länder begonnen. Bevor noch Karl d. ©. die Barbarei feiner Gelehrten 
durh Alcuin befümpfen ließ, fchrieb ein Aribo in Freiſing in einer 
Weife, daß man fieht, Baiern hat das Franfenreich weit überholt.) Der 
gelehrte Abt Sturm von Fulda, der Schüler des hl. Bonifatius und der 
Erzbiſchof Arn von Salzburg, der große Förderer der ſlaviſchen Miffion 


1) Dr. Eberl ©. 13, 
2) Ep. 38. 
8) Eberl ©. 86. 


— 24 — 


waren Baiern." Zehrte fpäter im Reiche der geiftliche Reichsfürſt den 
Biſchof auf, jegt trat der Biſchof und zwar in jener vollen Thätigkeit 
hervor, die ihr Ziel jo lange nicht erreicht zu haben glaubte, als es noch 
ein germanifches oder ſlaviſches Heidenthum gab, Diejes Episcopat ijt 
die jegensvollfte Frucht der Bemühungen des heiligen Bonifatius. 


Nun darf der Deutjche nicht vergeifen, daß es jih um die Zukunft 
der legten Stämme feines Volkes handelte, die fich in Gentraleuropa ange: 
ſammelt hatten und hinter denen, nicht angeführt von Herzogen oder Königen, 
auf Zaufenden von Waldwegen über Sumpf, und Moor, Fluß und See, 
fih die Slaven nachdrängten, die die Nomäer wegen ihrer vafchen 
Bermehrung als die unzählbaren bezeichneten. Die Stodung in der Völ— 
ferwanderung war eingetreten und die Germanen, die nun in bejtimmten 
Wohnfigen erfcheinen, behaupten diefe auch im ganzen Laufe der 
deutſchen Gefhichte. Aber wie viele von den deutschen Stämmen waren, 
jeit Tacitus Heerfchau über fie gehalten, fpurlos untergegangen? Wenn 
nicht jeßt die Ueberlebenden, aus dem allgemeinen Schiffbruche der Ihrigen 
Öeretteten fich conftituirten, nicht mehr, wie es Gepiden und Langobarden 
und fo viele andere gethan, an ihrer gegemfeitigen Vernichtung arbeiteten, 
jondern das Princip der modernen Gefchichte, das im gegenjeitigen Wett- 
eifer begriffene Nebeneinanderbeftehen der Völker als ihre Lebens— 
aufgabe lernten und erfannten, jo war es rettungslos um die Zukunft ber 
Deutſchen gejchehen. 

Und in diefem entjcheidenden Augenblide der deutichen Gefchichte in 
die ganze Entwiclung des germanischen Volkes conftitwivend eingegriffen 
zu haben, unterjcheidet ja Bonifatius von feinen Vorgängern auf deutjchen 
Boden, wie von den gottbegeifterten Männern, die den Slaven das Chri- 
jtenthum mundgerecht zu machen fuchten. 


Es gehört nun nicht zum Plane diefer Schrift, weitläufiger zu erörtern, 
welhe Verdienſte ſich Boufatius um das fränfische Reich erwarb, in 
welchem bei dem Webergange von den Merowingern zu den Rarolingern 
Sitte und Religion in nicht geringere Verwirrung gerathen waren als das 
königliche Anfchen. Er verfügte als päpitlicher Zegat mit einem Anfehen 
ohne Gleichen auf dem vom Herzog Karlmann, dem Fürjten der Franken, 
berufenen Conecil des Jahres 742. Er gab dem Franfenreihe an der 
Stelle verfommener Metropoliten bejjere Hirten der Völker und traf An— 
jtalten, die feit 70 Fahren eingerijjene Zerrüttung unter dem fränkiſchen 
Clerus durch geordnete Zuſtände zu erjegen. In ähnlicher Weije wurde 
743 und 744 zu Liftinä und Soiſſons an der Ausrottung der Weberrejte 


— 225 — 


des Heidenthums bei dem Volke und des uncanoniſchen Lebens in dem 
neuſtriſchen Theile von Fraucien gearbeitet. 

War zu allen Zeiten die Ehrfurcht vor Recht und Sitte, vor 
göttlichem und menſchlichem Gebote die Bedingung gedeihlichen Völker- und 
Staatenlebens, ſo war dieſes vor Allem in der ſchweren Uebergangszeit des 
VIII. Jahrhunderts der Fall. Das nachfolgende Karolingiſche Zeitalter mit 
ſeiner für jene Tage beträchtlichen Höhe geiſtiger Entwicklung wurzelte 
auf der Baſis, die unermündlich Wynfrith gelegt, und die ſich im Norden, 
Oſten und Weſten gleich ſehr bewährte. Er hat nachfolgenden Heiden— 
bekehrern den Weg gewieſen, der auch für andere Völker als die ger— 
maniſchen nicht blos in Betreff ihrer Bekehrung, ſondern auch in Bezug auf 
ihre nationale und politiſche Conſtituirung die meiſten Erfolge aufwies. 

Wenn in Betreff der Heiden fein leitender Gedanke war, fie aus 
Feinden Chrijti jo weit er fonnte in getreue Anhänger des Heilandes 
umzumanbdeln, ihnen den Weg des Heiles zu zeigen, jo mußte er jich doch 
jagen, daß ohne den Schuß des Fürften der Franken er weder 
das Volk zu leiten noch Clerus oder Mönche zu ſchirmen vermöge, er ohne 
jeine Unteritügung außer Stande fei, den Gößendienft und heidniſche Sitte 
in Deutjchland zu unterdritden. Er felbjt floh den Hof „wie Gift" und ges 
brachte das Anfehen, welches ihm als päpftlicher Zegat und Erzbiſchof 
zufam, in Bajuarien wie im Franfenreihe nur dazu, Biſchöfe und Geiſt— 
liche auf das Firchliche Gebiet zurüdzuführen, fie daraufzu befhränfen 
und Priejtern und Mönchen die freie Ausübung ihrer apoftoliichen Pflichten 
zu fihern. Schon Gfrörer hat jeiner Zeit aufmerffam gemadt, welchen 
Einfluß auf die fpätere Begründung des deutjchen Reiches die Erhebung 
von Mainz zur Deetropole der Franken 747 und Bonifatius zum Erzbi— 
ſchofe derſelben hatte. Als der neue Erzbiichof dann Pippin zum Könige 
falbte, knüpfte jih an Mainz die Tradition des deutjchen Königthums an, 
wenn es ſich auch vorderhand vor Allem um Berfündigung des Evangeliums 
handelte. Jetzt war der rechte Mittelpunkt gefunden, dem zunächſt unter 
dem Stellvertreter deS Papſtes Zacharias die Bisthümer Tengern, Cöln, 
Worms, Speier und Utrecht untergejtellt wurden.) War damit der ent 
jcheidende Wurf erfolgt, daß die deutſchen Völker?) an Dlainz einen gemein: 


1) Bei der Begründung de3 Mainzer Etuhles find Eichftädt und Etraßburg 
die ſüdlichſten deutſchen Bisthümer, deren Inhaber genannt werden. Ladewig 
Regesta episcop. Constant p. 24. P. Zacharias jchreibt au 13 deutiche Biſchöfe, 
daß er ihnen Bonifatius zum apoftoliihen Legaten gebe. Will. 71. 

2) omnes Germaniae gentes quas tua fraternitas per suam praedicationem 
Christi lumen eognoscere fecit. Zacharias papa Bonifatio. 

DlittHeilungen. 25. Jahrg. 3. Heft. 15 





— 226 — 


ſamen Mittelpunkt für ihr kirchliches Leben erhalten ſollten, ſo war damit 
auch die Möglichkeit gegeben, daß dieſe Vereinigung in der ganzen kirch— 
lichen und politiſchen Entwicklung der deutſchen Nation eine bleibende 
Geſtaltung ſchaffe. Ihn ſelbſt aber, der noch in ſeinem letzten Schreiben an 
P. Stefan III. ſich auf das unter 3 vorhergehende Päpſte bekleidete Amt 
eines apoſtoliſchen Legaten beruft,) hinderte die neue Würde nicht, hochbe— 
tagt ſeinen Lieblingswunjch zu erfüllen und ſeine Miſſionsthätigkeit da zu 
bejchliegen,?) wo er jie begonnen, in Friesland. In Demuth hatte er fie 
begonnen, glorreich endete er ste, den Seinen die Gegenmwehr wehrend, 
bei Tohkum, nachdem er erreicht, Allen Alles zu jein, eim treuer Diener 
des Erlöjers der Welt, nach deſſen Worten er fein Leben gejtaltet, 
fejthaltend an den Traditionen der Väter und das Evangelium verfün- 
digend, treu bis zum Tode, unter den Streichen der riefen 5. Juni 754, 
den Glaubensboten aller Zeiten ein berrliches Vorbild, der deutfchen 
Völker geiftiger Vater und Wohlthäter. 

So reichhaltig auch verhältnigmäßig die Quellen über fein ereigniß- 
volles Leben fliegen, jo fehlt uns doch jede Nachricht, die und in Stand 
jegte, den Apojtel der Deutjchen uns vorzuftellen, wie er leibte und Tebte, 
in welcher Gejtalt wir uns ihn zu denken haben; nur von körperlichen 
Beichwerden, die ihn verhältnißmäßig früh trafen, befigen wir einige 
Kunde, Beinahe noch mehr ift zu bedauern, daß die ihm mit vollfter Hin- 
gebung zugerhanen Schiller und Gefährten feine Zeit fanden, ein Itinerar 
aufzuzeichnen und dadurd der jpäteren Zeit ein getreues Bild der Wan- 
derungen zu geben, die über Berg und Thal, durch Wälder und Sümpfe, 
über reißende Flüſſe und durch trojtlofe Wildnifje drei Jahrzehnte ftatt 
fanden. Wie dankbar wäre die Nachwelt, für eine derartige Aufzeichnung; 
aber wie fennte fie unternommen werden, da die Wildniße Feinen Namen 
hatten, erjt die von Bonifacius gebauten Kirchen und Elöjterlichen Colonien 
topographiidhe Anhaltspunkte gewährten, und, wie wir aus dem Leben 
des Abtes Sturm wiſſen, Tage laug der Wanderer einherzog ohne eine 
menschliche Behaufung zu treffen, die wilden Thiere allein die Dede be— 


1) Er war berielben nicht beraubt worden, fondern fie erlofch von jelbft mit dem 
Zode des Papftes, der fie ihm ertheilt und bedurfte fomit einer Erneuerung. 

2) Jam enim instat resolutionis meae dies, et tempus obitus mei adpropin- 
quat. Jam enim dep»sito corporis corpusculo aeternae retributionis revertar 
ad bravium. Bonif, ad Lullum. Oelsner Jahrbücher des deutſchen Reiches 
unter König Pipin, Exeurs VI Das Todesjahr des Bonifaz. Richter Annalen 
der deutſchen Gejchichte I. Ich folge Witt, u. 133, 


— 27 — 


(ebten, wohl aber es Grauen erwecte, wenn man dann zufällig den noch 
heidniſchen Slaven begegnete ? 

Nur jein geijtiges Bild Fünnen wir entwerfen. Gott ergeben aus dem 
innerjten Grunde des Herzens, des göttlichen Wortes eifrigjter Vollitreder 
und Berfünder und nur feinem hohen Berufe lebend, würdig ſich an die 
erjten Verkündiger des Heiles anveihend, fand er Troſt und Hilfe in 
der unverjiegbaren Quelle, im Studium der heiligen Schrift, die der innere 
Antrieb feiner Mifjion wurde. Geduldig, demüthig und anjpruchlos, aber 
auch ebenjo unerjchroden, wo es galt, die Wahrheit zu befennen, und fie 
auch den Päpſten nicht vorenthaltend, unnachfichtlich gegen fich, aber auch 
diejenigen meidend, die, wenn gleich in hoher Stellung er als Berleger 
göttlicher Sagungen erkannte, ein Prüfer und Kenner menjchlicher Seelen, 
befaß er eine bewunderungswürdige Fähigkeit auf jie bleibend einzumirken, 
die Gabe, mit klarem Blide zu erfennen, worauf e8 anfam. Zu dem 
Mittel ſtets feine Zuflucht nehmend, das allein helfen Fonnte, unverwandt 
das höchite Ziel im Auge faſſend und diefem Alles und vor Allem fich auf- 
opfernd, nie jic) Nuhe gönnend und nie der Ruhe bediirfend, war er nicht 
blos eine hervorragende Erjcheinung, jondern gemacht, Allen, die ihm 
näher traten, einen unvergeglichen Eindrud zu hinterlaßen, fig, mächtig, ie 
unwiderſtehlich anzuziehen. Ihm aber erjchien, was er war, nur al3 Neben: 
jache; daß das bleibe, was er gejchaffen, daß das dauere, was er zum 
Heile der Anderen gegründet; daß der Sieg des Kreuzes über das Hriden- 
tum volljtäandig werde; dap eine neue Nera, die chrüjtliche, in Germanien 
beginne, war das Biel feines Lebens und diefem opferte er auch das 
eigene Leben. Nur nad) einer jo großartigen Thätigfeit pflegt das irdiiche 
Dafein ſich jo harmonisch abzufchliegen. Was er ſchuf, verging nicht wieder. 


$. 3. Bon dem Tode des Heiligen Bonifatius bis zum Auftreten der 
Slavenapoſtel. 


Man war allmälig im Weſten vor einer großen Thatſache angelangt. 
Nicht blos in politiſcher Beziehung ſchied ſich im VIII. Jahrhunderte der 
Weiten von dem Oſten; er bildete auf die Grundlage der lateiniſchen 
Sprache troß aller VBerjchiedenheit der Nationen ein Firchliches Ganzes und 
überwand hiedurcd die große Gefahr nativnalreligiöfer Spaltung, die den 
rijtlichen Orient ſchwach gemacht, Secten hervorgerufen, eine armentjche, 
ſyriſche, koptiſche Kirche veranlaßt und zulegt das Uebergewicht der Araber 
über dieſe nationalfirdjlichen Bruchtheite entichieden hatte. Erhob ſich aus 
der politiihen Scheidung des romäiſchen Reiches und des Abendlandes, als 

15? 


— 228 — 


dieſes unter den Karolingern politiſch geeinigt daſtand, auch die ſo lange 
widerſtrebenden Altſachſen bezwungen und zur Annahme des Chriſtenthums 
genöthigt waren, mit einer Art von Naturnothwendigkeit das abeudländiſche 
Kaiſerthum, jo war diefer Einheit eine andere, der lateinifchen 
Kirche vorangegangen, Hier gab es weder Franfen noch Alemannen, 
weder Alt» noch Neuſachſen — nicht Burgunder oder Wejtgothen, nicht 
Bajnarier oder Langobarvden; überall herrichte derjelbe Nitus, diejelbe 
Kirchensprache, diejelbe Einheit des Gottestienjtes, die Allen dasjelbe Ge- 
präge verlieh uud jede Spaltung ausjchloß. 

Man erfieht aus den Briefen, die Bonifatius aus feiner Heimat 
(Meerjachjen) erhielt, wie jehr man jich daſelbſt einer ſchönen Latinität 
befliß und in abgerundeter Stilwendung erging. Mögen diefe Ausdrücke 
vor unſeren Philologen vielleicht Feine Gnade finden, fie machten doch 
Anſpruch auf Eleganz und zeigten das Bemühen darnad). Indem aber der 
Priejter fich einerjeits der Volksſprache, andererjeit der lateiniſchen Sprache 
bediente, wurde er jelbjt ein Glied der großen Kette derjenigen, welchen ſich 
mit dem lateinischen Idiom die Kenntniß einer doppelten Literatur 
und eines doppelten Ideenkreiſes aufſchloß. Hinter der flavijchen 
Sprache gabges weder die eine noch die andere, und wenn noch jo viele 
Bücher in das Altjlavifche überjegt worden wären, der antike Ideenkreis 
war den Slaven dadurch jo wenig aufgejchloßen als der chrijtliche, den ſich 
der deutjche Priejter durch feine Kenntnig des römischen Idioms aus den 
Werfen Auguftins, Hieronymus, Gregor des Großen u. U. erjchloß. Der 
deutsche Priejter wurde nicht dadurch gelehrt, daß er deutſch verjtand. Er 
mußte auch noch mehr lernen und dadurdy, daß er eine Weltiprache Iernte, 
wurde und blieb er auch der natürliche Lehrer des Volkes, das in feinem 
Elerus nicht blos die PVriejter, jondern auch den verehrte, welcher durch 
jeine Standesbildung den Layen Jahrhunderte hindurch überragte und an 
welchen der Laye nicht blos in religiöfen Dingen untrennbar augewieſen 
war. Bonifatius war aud) in diejev Beziehung feiner Zeit vorangegangen. 
Er war Dichter und Grammatifer, behandelte die Negeln der Merrif uud 
verjtand die Runen!) und wenn jpäter der Erfinder einer ſlaviſchen Schrift, 
Konjtantinos von Thefjalonife, den Beinamen des Philojophen erlangte, jo 
verdiente dieſen Bonifatius vielleicht in gleichem Grade. Nun gab es aber 
nichts Schwierigeres als die zum Unterrichte, zum Selbſtſtudium und eigener 
Förderung nothwendigen Bücher und Geräthichaften zu erhalten uud die 
Briefe des Bonifatius beweiſen hinläuglich, mit welchen Schwierigkeiten er 


1) Will, Regeften J. ©. II. 


— — 


in dieſer Beziehung zu kämpfen hatte und wie unermüdlich er ſie zu be— 
wältigen ſuchte. Als Hrabanus Maurus Kloſter Fulda zum Sitze einer 
großen literariſchen Thätigkeit umwandelte, erſehen wir aus einem Briefe 
des Biſchofs Freculf von Liſieux an ihn,!) daß der Biſchof in feinem Bis— 
thume weder die Bücher des alten noch des neuen Teftamentes vorfand, 
gejchweige Erklärungen derfelben. Kaum war der Mönch Hrabanus Erz- 
bifchof von Mainz geworden 847 jo wurde auch fchon auf Grund einer 
Synode von Mainz und von Tours vom Jahre 813 bejtimmt, daß jeder 
Biſchof Homilien haben jolle, mit den fir Layen nöthigen Ermahmmgen.?) 
Feder Biſchof folle auch Sorge tragen, daß diefelben deutlic) (aperte) in 
die Volksſprache — in rusticam Romanam linguam aut Teotiscam — 
überfegt würden, damit Alle das Gefagte um fo leichter verftehen Fünnten.?) 

E3 war zum Gedeihen des in Deutjchland begommenen und mit fieg- 
reicher Anjtrengung durchgeführten, kein geringes Moment, daß ſich die früher 
aus Irland nach dem Continente gefommenen Mijfionäre vollkommen mit 
denen des hl. Benedict verjtanden, die, wie feiner Zeit Ozanam fo Schön nach— 
gewiefen, mit ihrer chriftlichen Colonien flußaufwärts zogen und dafür forgten, 
daß aucd in die entferntejten Thäler das Licht des Evangeliums drang. 
Die Gemeinjamkeit der Mittel war bei der Gemeinjamfeit des Zweckes 
und desjelben Glaubens unjchwer herzuitellen, wie diejes Friedrich in feiner 
deutschen Kirchengejchichte ummiderleglich darthat. Man wird auch nicht 
irre gehen, wenn man in den Tagen des hl. Bonifatius den Abt Pirmin, 
Begründer von 12 in den verichiedenften Theilen Deutjchlands liegenden 
Klöftern, als den bedeutendſten Nepräjentauten der erften Richtung annimmt. 
Aber auch Pirmin hatte felbjtverjtändlich die Vollmacht für feine Miſſion 
fih) am Grabe des hl. Petrus erholt wie der angeljächlische Apojtel der 
Deutichen. Beide Männer verjtändigten fi im J. 747 im Pirmin'ſchen 
Klojter Hornbach über die feite Begründung der Kirche und des chrüjtlichen 
Bolfes in Deutſchland.“) Die Pirmin'ſchen Klöster gaben fich eine fejtere 
DOrganifation als die des hl. Benedict nach Augen bejagen; ihre Möuche 
nannten ſich peregriui, deren Heim in der auswärtigen Begründung des 
Chriſtenthums lag. Es iſt aufgezeichnet, daß die Bibliothek von Neichenan, 
der großartigen Stiftung Abt Pirmins, vorzugsmweije grammaticaliiche Hand- 
ſchriften beſaß. Zu den Klöjtern der peregrini gehörte auch Nicderaltaic), 


1) Runftmann, Hrabanus Magnentins Maurus. ©. 160. 

2) Von den wichtigen der Prager bifchöflichen Kirche (Saec. XL) wird weiter 
unten bie Rede fein. 

3) Dümmler, Geſch. des rftfränf. Reiches. I. p. 305. 

4) De stabilitate ecclesiae populique christiani. Friedrih IL. 1. ©. 141. 


el 


dem Ludwig des Deutjchen getreuer Herzog Pribina fein Eigen zu Sala- 
pinga an der Szala in Pannonien vermachte (360), ') nachdem fchon 
30 Fahre früher Altaich auf ehemals avarijchem Boden ein Beſitzthum 
erlangt. Am 16. Juni 863 erhielt es von K. Ludwig aud die Billa 
Nabarvinida und die Bejtätigung des Eigentums von pannoniſchen Orten, 
die 8. Karl dem Klofter gegeben. Da im %. 860 Tacholf (Thaculf oder 
Trachulf), Graf vom Böhmerlaude, *) feine Landſchaft beit Böhmen, Sarömwe, 
dem Klojter Fulda ſchenkte, leßteres wie die hochverehrte Abtei Set. Emmeran 
in Regensburg flavishe Grundholden hatte,?) der HI. Gotthard Abt von 
Niederaltaicy in den frühejten Zeiten in Böhmen verehrt wurde, kann man 
mit Zug annehmen, daß unabhängig von dem, was zur Befchrung der 
Slaven von Würzburg, *) Fulda und Set. Emmeran (Regensburg) geſchah 
und gejcheben war, die peregrini von Altaih auch eine ganz bejondere 
ZThätigfeit zur Belehrung der Slaven entwidelt haben. Man würde jich 
ſehr täufchen, wenn man in diefer Beziehung nur auf die verhältnigmäßig 
wenigen Daten Rechnung tragen würde, die von der Thätigkeit der Biſchöfe 
von Negensburg, Paſſau,“) Salzburg berichten. Wie wenig pflegt noch 
heutigen Tages bei ganz anderen Communicationsmitteln über die geräujch- 
loje und doch jo nachhaltige Thätigkeit jegenbringender Miſſionäre in die 
Deffentlichkeit zu dringen! ®) 

Die große karolingiſche Monarchie war auf dem Wege der Ber: 
einigung ſämmtlicher deutjcher Völker — der legten von jo vielen der früheren 
Zeit, muthig vorangefchritten. Ehe die Sachſen volljtändig bezwungen 
worden und die Gleichberechtigung mit den Franfen erhalten, hatte e8 die 
Langobarden, dann die Bajoaren getroffen, mit Befeitigung ihrer Könige 
oder Herzoge lebensvolle Glieder des einen großen germanischen Neiches 


1) Dümmler, I. ©. 618. 

2) Erben Reg. n. 30. 

3) Kunftmann, S. 27. 

4) Erben n. 26. 

5) Lachuer, Memoriale Altahae inferioris. Passav. 1775 f. 63 a. Constat, quod 
Altacha episcopa'ui Laureaco. Pataviensi in sun prima fundatione subiecta 
furrit. 

6) Wir werden an dieſe vereinzelten Thatlachen fpäter nod anknüpfen. Karl v. 
Raumer bat in feiner lehrreihen Schrift über die Einwirkung des Chriften- 
thums auf die althochdeutiche Sprache wiederholt hingemwiefen, wie jehr Rüdjicht 
genenmen murde, dem Bolfe in feiner Eprace zu predigen und wenn im 
VI. Jahrh. hiebei der deutichen und romanischen Sprache (lingua barbara) be— 
ſonders gedadyt wurde, jo geihah dies im IX. Jahrh. Telbftverjtändlich auch mit 
der jlavifchen, wenn man auf Slaven einwirken wollte, 


u — 


zu werden, das aber die Scheidung von Deutjchen und Nomanen fchon 
in feinem Schoße barg. Es erlangte im Oſten ſlaviſche Beſtandtheile; an 
den überwundenen Avaren jelbjt avarifch:chriftliche, die gegen ihre früheren 
Unterthanen, nunmehr ihre Zodfeinde, gejchüigt wurden, Slaven auf dem- 
Neichsboden galten als tributär. Wer aber zu dem Reiche gehörte, war 
dem Ehrijtenthum verfallen, wenn auch Alcuin, 8. Karls Bertrauter, weife 
rieth, bei den Slaven nicht mit dem Verlangen des Zehenten zu beginnen 
und dabei in die Fehler zu verfallen, die bei Bekehrung der Sachſen gemacht 
worden waren. Nicht blos, daß jett, als Salzburg zum Erzbisthum er- 
hoben, und die bajuariichen Bisthümer zu Euffraganen erhielt, die Befehrung 
der angrenzenden Slaven mit befonderem Nachdrude von Seite der Biſchöfe 
unternommen wurde, der Kaiſer jelbjt ordnete teftamentarisch den Bau von 
14 Kirchen an, um auf die Befehrung der Main: und Regnigwenden ein: 
zuwirfen und dadurch die Pojition des Chriſtenthums nach dieſer Seite 
zu jtärfen. Da ſchon 817, wo nicht früher, das Land der Boemanen als 
Beitandtheil des Reiches angejeben wurde, ') wie Carentanien und Ava- 
rien, die bajoariſchen Klöjter Innichen, Kremsmiünjter, Mondjee, Schlchdorf, 
um von anderen nicht zu reden, ihre Miffionsthätigfeit „um das ungläu- 
bige Gejchlecht der Slaven auf den Weg der Wahrheit zu leiten” *) weithin 
eröffnet hatten, jo ſprach Alcuin offenbar nur die Meinung feines Faiferlichen 
Herrn aus, wenn er den Erzbijchof von Salzburg zur Bekehrung der Slaven 
ermunterte, Unwiderleglich aber iſt die Thatjache, daß es das fränkiſche Reich 
als Vorfämpfer des Chrijtenthums, für feine Hauptaufgabe anjah, auf die 
Bekehrung der öſtlichen Nachbarn einzuwirfen, die noch im Schatten des 
Todes ſaßen, und zu diefem Zwede namentlih auch an der Gewinnung 
der einzelnen Fürjten und Oberhäupter gearbeitet wurde. Man konnte die 
Biſchöfe der Salzburgerprovinz als geijtliche Markgrafen bezeichnen, die, 
wie die weltlichen die Grenzen zu jchügen, die große Handelsftraße zu 
wahren und den Handel mit den Slaven zu beauflichtigen hatten, jo von 
Negensburg nah Böhmen, von Paſſau nah Mähren, von Salzburg nad) 
Garentanien die chrijtlichen Pfade zu bereiten hatten. Eben deshalb it 
auch die befannte Thatſache, daß fich 14 böhmische Großen (ex ducibus) 
mit ihren Leuten, aljo eine erhebliche Anzahl, nach Negensburg wandten 
und dort am 13. Januar 845 nad dem Wunſche K. Yudwigs von dem 
Biihof von Regensburg die Taufe empfingen, nicht als vereinzelt 


1) Bajoariam et Carentanos et Beheimos et Avaros atque Sclavos qui ab orien- 
tali parte Bajoariae sunt. Charta divisionis. 


2) Monum. Schled. ad. 769. 


— 232 — 


aufzufaffen, wenn fie auch von dem Annaliften als das wichtigste Ereigniß 
unter jo vielen andern minder wichtigen mit Recht hervorgehoben wurde. 


Sie enthält aber nichts Geringeres, als daß die vornehmen Tſchechen, 
"welche nad) Regensburg famen, um dort in der Octave des hohen Feittages 
Epiphanie die Taufe zu erhalten, jelbjtverjtändlich auch den Biſchof als 
ihren Didcejan anerkaunten und diefem ſich unterwarfen. 


Umgekehrt, nachdem 14 Vornehme, die doch in ihrer Heimath ſchon 
den Unterricht empfangen haben mußten, nun in Negensburg jich taufen 
ließen, war auch der Biſchof von Negensburg berechtigt, ihre Heimath 
als jeine Didcefe anzufehen, wie denn auch Fein einziges Zeugniß 
vorhanden it, daß ji) irgend Jemand anders als Bijhof von 
Böhmen benahın, geichweige ſich als jolchen bezeichnete. Wir wiljen, was 
aud auf anderen Gebieten damals geſchah. Der Biſchof von Paſſau hielt 
in Mähren Synoden, der Erzbiichof von Salzburg gründete zwijchen 821 
und 836 das Bisthum Neitra, das eine Burg des lateinijchen Nitus war 
und blieb. Als der aus Mähren vertriebene Fürſt Privina Chrijt wurde, 
übergab ihm LK. Ludwig fein bisheriges Zehen zum freien Eigenthun. 
Sein Sohn Fürjt Kocel, der Erbauer der Moosburg (Szalavar) galt als 
bejonderer Förderer des Chriſtenthums. Als er daſelbſt die prächtige 
Bajilica baute, die als Hauptfirche angejehen wurde, ſandte Erzbijchof 
Liupram von Salzburg Maurer, Tiſchler und Maler dahin, fie zu bauen 
und auszufchmüden, und weihte fie dann, als jie vollendet war, ſelbſt. Hatte 
nad) dem Ausſpruche des Mainzer Concils im %. 853 das Wolf der Ma: 
rhanen noch feine großen Fortichritte im Chrijtenthum gemacht, ") jo lautet 
es wenige ‘Jahre jpäter doc) jchon anders, es habe bereits dem Götzendienſte 
entjagt und wünſche das chrijtliche Gejeh zu bewahren und fchien es nur 
nocd einiger Nachhilfe zu bedürfen. Es iſt undenkbar, daß jegt mit einem 
Male alle Anstalten zur Bekehrung der Tjchechen stille jtanden, und nur hier 
ih ein Rückſchritt gezeigt hätte, wenn auch kriegeriſche Ereigniſſe eine 
vorübergehende Störung herbeiführen konnten. Was mit jo großer Energie 
begonnen war, ließ ſich nicht mehr aufhalten. 


Gerade jeßt (9. Juli 846) bejtätigte Ludwig der Würzburger Kirche 
die 14 zur Befchrung der Slaven erbauten Bajilikun.) 


1) Rudis adhuc christianitas gentis Marahensium. Ginzel ©. 31. n. 3. 
2) Erben Reg. n. 26. 


— 233 — 


8. 4. Die SIavenapoftel bi zum Tode Konftantins (Cyrillus) 
14. Februar 869 (868). 


Es ift eine befannte Thatfache, daß der mährische Herzog Raſtislav, 
ein beharrlicher Gegner der Karolingerberrichaft, fi) von dem romäijchen 
Kaiſer Michael (862. März) einen Lehrer. erbat, der das mähriiche 
Volk zu unterrichten und im Glauben zu befejtigen vermöge.!) Welche 
Nebengedanken hiebei Raftislav vom pofitiihen Standpunkte aus hegen 
mochte, von einem Scisma und deſſen Begünftigung konnte hiebet nicht 
im Entfernteften die Nede fein, wenn auch die Thatſache fejtiteht, daß 
durch die Berufung der Slavenapoftel der Ausbreitung des Lateinischen 
Nitus Schranken gezogen wurden und diefer jelbjt unter den Mährern in 
Abnahme gerieth.?) Allein ehe ſich Naftislav au den romäiſchen Kaijer 
wandte, hatte er fich, wie aus dem Briefe Adrians IL, an die Mähren: 
fürften Raſtislav, Evatopluf und Kozel hervorgeht, deshalb an den rö— 
mischen Stuhl gewendet, und die Abjendung des Philoſophen Konftan: 
tinos und feines älteren Bruders Methodios, geborene Thejlalonicenfer, 
deren Vaterſtadt gleih Mähren einft zum römischen Sprengel gehörte, be- 
wies nicht minder, daß hiebei an eine Begünſtigung des Schismas nicht 
im Entfernteften gedacht werden konnte. Konftantinos, ?) ein frühreifer 
Geiſt von feltenen, bewunderungswürdigen Anlagen, hatte ſich raſch durch 
jeine Gelehrſamkeit nicht minder als durch feine chriftlihen Tugenden 
ungewöhnliches Anfehen erworben. Es war ein Act großer Unerfchrodendeit, 
als er den Patriarchen Photios, den Begründer des orientalijchen Schisma’s, 
bisher jeinen Freund, laut tadelte, daß er durch feine Irrthümer, die er 
gleich, Pfeilen unter das Volk geworfen, die aufgeregte Menge verwundet 
habe. Die traurige Gejchichte des Schisma's uud des daraus hervorge- 
gangenen Miſolatinismus — des blinden Lateinerhaſſes der griechiichen 
Welt, — hat jeinen Ausipruch nur zu jehr gerechtfertigt. Grieche durch 
Geburt, Erziehung und Familienverbindung glaubte er ſeinem Baterlande 
den größten Dienjt zu erweijen, jelbjt aber die höchjte Zebensaufgabe zu . 
erfüllen, wenn er jich der Befchrung der heidniſchen Völker zuende, die 
das romätjche Neid), diefe Stüge des Chriftenthums im Ojten, befehdeten. 
Es ijt augezweifelt worden, ob er an der Befehrung der Bulyaren ge- 
arbeitet, jenes huuniſchen Volkes, das bei jeiner Einwanderung in das 


1) Binzel, Geſchichte der Elavenapoftel ©. 33, 
2) Vilescere coepit. 
3) Geb. 827. 


— 13 — 


romäifhe Neich ſelbſt auf zahlreiche Slavenniederlaffungen ftieß und 
zulegt von dieſen national bewältigt wurde; jicher iſt, daß Konjtantinos 
und Methodios ſich der Befehrung der Chazaren zuwandten und bei diejer 
Gelegenheit die irdischen Nejte des nad) Cherjon verbannten und dafelbft 
verjtorbenen Papſtes Clemens auffanden. Sie nahmen fie, als jie ihre 
Million vollendet, mit, und ihre Abjicht war zweifellos, fie zum Grabe 
des hl. Petrus zu bringen, als Konftautinos und fein Bruder vermodht 
wurden, die Befehrung der Mährer auf ſich zu nehmen. 863. 


Hier beginnt nun die Controverje, die fich ebenjo jehr auf die Be— 
rechtigung der beiden Brüder zu ihrer Mifjion als auf dasjenige bezieht, 
was fie wirflih unternahmen. Bon legterem wird nachher die Rede fein. 


Man wird gut thun, vor Allem das Auftreten des Konſtantinos 
von dem jeines Bruders zu trennen. Was wir über fein früheres Leben 
erfahren, trägt den ausgefprochenen Charakter eines ungewöhnlichen Mannes, 
einer jeltenen Perjönlichkeit, die gleich Bonifatius nur ein Ziel vor Augen 
hatte, Gott zu dienen. Daß er eine einflußreiche Stellung, eine vortheil- 
hafte Heirat ausjchlug, um Priejter zu werden und dann diefem Amte 
ſich mit vollfter Seele widmete, beweift, mit welcher Energie er dasjelbe 
verfolgte; wie die Ernennung zum Bibliothefar der Hagia Sophia in Eon- 
ftantinopel und die Verwendung zu Mifjionen, die große Gelehrjamfeit, 
Sprachenkenntniß, Scharfjinn und Gewandtheit verlangten, darthun, welches 
Bertrauen jeiner ungewöhnlichen Begabung und ſeiner Geſchicklichkeit na- 
mentlich in der veligiöjen Controverje ihm gejchenft wurde. 

Ob dem Auftrage Michaels IIL, aus der phrygiſchen Dynaftie der 
Amorrhäer (320— 867), eine große Bedeutung zuerkannt werden muß, mag 
dahin geftellt werden. Jedenfalls ungleich weniger al8 dem Auftreten des 
Patriarchen Photios, gegen den ſich zu erklären Gonjtantinos fein Be— 
denken trug. Ich fände es volljtändig begründet, wenn dem Bürger von 
Thejfalonife, dejjen Traditionen mit Rom auf das Engjte zuſammenhingen, 
der von Photios aufgewühlte Boden zu heiß wurde und er ihn gerne mit 
dem römischen vertaujchte. Sein und jeines Bruders Gedanfe war es 
gewiß nicht, die theuren Ueberrejte des hl. Papſtes Clemens in Conſtanti— 
nopel zu belajjen, jondern jie nad) Rom zu bringen, und die Romfahrt, 
mit der er fein Leben bejchloß, war ficher lange, ehe er fie antrat, das Ziel 
feiner Wünſche und nicht die Reife nacı Mähren, wohin er von Rom aus 
nidht wieder zurüdfehren wollte. 

Nun war die Bekehrung Mährens und Pannoniens, wie wir wohl 
willen, von deutjchen, felbjt von italienischen und griechijchen Geijtlichen 


— 25 — 


unternommen, ) von deutjchen Biichöfen und dem Erzbifchofe von Salz 
burg, ebenjo als ihre Kirchliche Aufgabe wie als Neichsfache angefehen 
und behandelt worden.?) Fortwährend, wie wir diefes aus der Denkjchrift 
der deutjchen Bijchöfe vom J. 900 wiljen, hielten aber auch die bajuarifch- 
fränfiichen Biſchöfe an dem Sage feit, daß die dem Chriſtenthum von 
ihnen gewonnenen Länder und Völfer auch dem deutjchen Reiche ge 
wonnen jeien und daraus ging dann eine jehr weitreichende Controverſe hervor. 

Eine zweite entjtand in Bezug auf die Berechtigung der jlavischen 
Sprache nicht blos zur Predigt, das war jelbjtverjtändlich, fondern auch 
zum Gottesdienste. Wenn in diefer Beziehung auf die Controverfe gewieſen 
wird, welche Konftantinos iu Rom mit dem Papſte und den Cardinälen 
gehabt haben und in welcher er Sieger geblieben fein joll, jo vergigt man, 
‚daß diefe Sache im fränkiſchen Reiche durch das berühmte Capitular des 
J. 794 zu Frankfurt prineipiel entjchieden war, das da jagte: „daß Nie- 
mand glaube, man dürfe Gott nurin3 Sprachen (hebräiich, griechisch, 
lateinisch) anbeten. Denn Gott wird in jeder Sprache angebetet und der 
Menſch wird erhört, wenn er nur das Nechte betet”.?) Kam diejes Capi— 
tular auch zunächft der deutjchen und romanischen Sprache zu Gute: jo 
galt es doc) überhaupt fir die lingua rustica oder barbara, aljo auch 
für das Slavische jo gut als für das Deutjche oder Romanische. 

Mit welhem Eifer nun in Deutjchland gearbeitet wurde, eine deutſche 
Kicchenliteratur zu Stande zu bringen und wie jehr ſich hiebei einzelne 
Klöfter wie z. B. Set. Gallen auszeichneten, und was in diefer Beziehung 
jchon vor Dtfrieds Evangelienharmonie gejchah, ift rine befaunte Thatfache, 
welche eine umermüdliche, ununterbrochen fortgefegte Wirkjamfeit eröffnet. 
Und es war unjtreitig der richtige Weg, wenn zur Befehrung der Slaven 
diefelben Meittel in Anwendung gebracht wurden, die bei der Bekehrung 
der Deutjchen fich jo wirkſam erwiejen. Nur waren vielleicht die Schwierig: 
feiten noch größer, da, was in Fruncien an vielen Orten und von vielen 
Perſonen in Angriff genommen wurde, die Abfaffung deutjcher Bücher zum 
Gebrauche des Gotresdienjtes und der Bekehrung, die Ueberjegung der 
Pjalmen und der nothwendigen Homilien, in Betreff der Staven von 
einem einzigen Manne ausging, der Alles aus dem Stegreife jchaffen 
und denen, die er jich zu jeinen Werkzeugen auswählte, nicht blos die geeig: 
neten Schrifter, namentlich die Homilien und Predigten verfaſſen, jondern 
auch in einer erſt zu erfindenden Schrift niederfchreiben mußte; ev hatte 

1) Ginzel, Bannonifche Leaende, 
2) Büdinger, Geſch. Defterreihs I. ©. 191. 
3) Naumer ©. 248, 


— 236 — 


geradezu Alles neu zu Schaffen. Eine andere Frage aber war, ob 
die Meſſe oder einzelne Theile derfelben ſlaviſch zu halten ſeien) und diefe 
muß genau von dem unterjchieden werden, was Konjtantinos unter: 
nahm, um den Lehrern uud Belehrten Schriften in die Hand zu geben, 
die die einen umd die anderen bedurfte. Das allein war ſchon eine 
Niefenaufgabe. Dazu kam noch vieles Andere. 

Die genauen Abgrenzungen der modernen Diöcefen machen es 
unmöglich, daß fremde Priejter, Unbekannte, die aus der Ferne fommen, 
Jahre lang ohne Ermächtigung des Biſchofes kirchliche Functionen aus: 
üben. Aber auc die Einrichtungen früherer Jahrhunderte und Synodal- 
beichlüffe regelten bereit3 dieſe Verhältniſſe und jchieden jehr genau 
den unberechtigten Eindringling von demjenigen, der vorjchriftsmäßig die 
Vollmachten bei dem Didcefan ſich erholt. Das Auftreten eines unbekannten 
Griechen in Mähren zu einer Zeit, als große Diſſidien die Tateinifche 
Kirche von der grichiichen zu trennen begannen, die Erfindung einer 
unverftändlicheu neuen Schrift, in welcher die in das Altſlaviſche überjegten 
Kicchenbücher gejchrieben wurden, mehrten den Verdacht, und wenn, was 
ih troß der Behauptung der Legenden für undenfbar eradhte, Conſtantinos 
fih nah eigenem Ermeſſen herausnahm, ohne Wiſſen des Papites 
die lateinische Mejje in eine jlaviiche umzugejtalten, jo gab es Gründe 
genug, das Verfahren „des Griechen" nicht blos als eine Neuerung, 
jondern auch als eine gänzlich unberechtigte Anmaßung anzufehen. 

Es ijt jedoch mehr als wahrjcheinlich, daß Konjtantinog mit jenem 
Zacte und jener Vorſicht auf fremdem Boden einherjchritt, durch welche 
jtörende Conflicte vermieden, aber nicht geiördert werden follten; daß er 
die Zeit, welche er bis zu feiner Romfahrt in Mähren zubrachte, dazu 
verwandte, die Glagoliza zu erfinden, jene Schrift, die Safatit als eine 
jehr veratorijche bezeichnete und die ſich auch nicht zum Range einer 
Voltsichrift erſchwang, noch behaupten fonnte. Es iſt zweifellos, daß es 
vieler Zeit und großer Mühe bedurfte, ſich in die neue Schrift einzuüben 
und fie Anderen zu Ichren; daß Konftantinos mit einer Sprache zu kämpfen 
hatte, der es an Ausdrüden gebrach, um namentlic) den jo fchwierigen 
Inhalt des neuen Teſtamentes richtig wiederzugeben; daß es vieler 
Zeit bedurfte, um die nothwendigjten Kicchenjchriften zu überjegen; vieler 


1) Mit Redt hat Raumer aufmerffam gemacht, daß während dad Mögliche auf: 
geboten wurde die Deutichen im Glauben zu unterrichten, fih in den Capi— 
tularien Karls d. G. und in den Concilien jeiner Zeit feine Spur des Ver— 
ſuches ſich vorfindet, die Meſſe deutih zu halten, ©. 242. E3 ift auch gar nicht 
denkbar, daß Konjtantinos auf eigene Autorität fo weit gegangen wäre! 


— 237 — 


Zeit und großer Mühe, um wenigjtens einige verläffige Schüler heranzu- 
ziehen. Es ift dem Charakter eines ftrengen und ascetifchen Mannes viel 
angemejjener, nachdem er beides jo weit als möglich gefördert, fich die 
Autorität zu einer durchgreifenden Veränderung der Liturgie da zu erholen, 
wo fie allein erholt werden Tann, als, wie die Legende will, fie im Kampfe 
mit Anderen durchzujegen und zulegt auch den Papft zur Nachgiebigfeit zu 
zwingen. Man darf dabei nie vergejien, daß das Ziel des Thefjalonicenfers 
Rom war, und als er die Neliquien des hl. Clemens daſelbſt in Sicher- 
heit gebracht, er fein Tagewerf auch für beendigt anfah. Statt ala Biſchof 
zurüdzufehren und nun das Werk der flavifchen Miffion recht in Augriff 
zu nehmen, leiftet er auf Würde und Amt eines Biſchofs, ohne welche die 
Neuerungen nicht durchgeführt werden fonnten, Verzicht. Seine Kraft war 
früh gebrochen. Glücklich fein irdiſches Tagewerk vollendend, wich er aud) 
den unausbleiblichen Conflicten aus, unter welchen 15 oder 16 Jahre nad) 
ihm fein Bruder (885) zufammenbradh. Die Rechtfertigung feines Ver— 
fahrens den Biſchöfen der Salzburger Erzdiöceje gegenüber beruhte einfach 
darin, daß er, wie die Mährenfürjten überhaupt, an dem Satze fefthielt, 
Pannonien und Mähren wie alles, was einft zur ſyrmiſchen Diöceſe ge: 
hörte, unterjtünde von Nechtswegen direct dem HI. Petrus, gehöre unver: 
äußerlich (hereditarie) dem römiſchen Stuhle. Dadurch war ihm der 
Borwurf eines Eindringlings benommen; da es aber ausdrüdlich hieß, er 
habe nichts gegen die Kanonen unternommen, !) darf man auch überzeugt 
jein, daß er fein weiteres Verfahren erjt der Approbation des römiſchen 
Stuhles unterjtellte und in feiner Weife eigenmächtig vorging, wie die 
Legenden ihn handeln lafjen. 

Der Bibliothefar des römischen Stuhles, Anaftafius, wußte fehr wohl, 
was er fagte, wenn er SKonftantinos als einen wahrhaft großen Mann, 
als einen Lehrer des apoftoliichen Lebens bezeichnete, jomit als einen Deann 
der größten perjönlichen Selbftaufopferung. Daß aber ein Mann von 
jo jeltenen Tugenden, ein Briejter, der die Möuchsgelübde dem biichöflichen 
Amte vorzog, es wagte, zur lateinischen und griechijchen Kirchenſprache 
unberechtigt die Meſſe in einer dritten zu halten, was in Deutſchland Fein 
Biſchof zu unternehmen den Muth gehabt hätte, ift pſychologiſch undenkbar. 
Dem Thejjalonicenjer mußte aber jehr wohl befannt fein, daß erjt die 
bilderjtürmenden Kaifer dem römijchen Stuhle feinen Sprengel, zu dem auch 
Salonichi gehörte, gejchmälert hatten, und alte Traditionen ihn Pannonten 


1) Hi autem cognoscentes apostolicae sedi hereditarie obvenire vestras 
partes, extra canones nihil fecerant. 


— 2383 — 


und Mähren zumwiefen. Danı war es ein großer Unterjchied, ſich zur 
Befehrung der Slaven flaviiher Schriften, die zu diefem Zwecke von ihm 
aus den allgemein üblichen Kirchenjchriften ausgewählt und überjegt wurden, 
zum Unterrichte zu bedienen und die Meſſe ſlaviſch zu halten, wozu fie jelbft, 
wie zu ihrem ganzen Auftreten der Autorität des römiſchen Stuhles be: 
durften. Konftantinosg war nach Allem, was wir wiſſen, gar nicht der 
Priefter, der fich eine Vollmacht anmaßte, zu der ihm die Berechtigung 
fehlte, und fein Ende in Rom, ferne von den fchismatischen Bewegungen 
in Conſtantinopel beweist unwiverleglich, wie wenig er an das dachte, was 
die Legende ihn thun läßt, fich in einen Gegenfag zum römischen Stuhle 
zu jegen. Wenn man aber glauben jollte, daß dem Kaifer Michael III. ein 
befonderer Einfluß hiebei zuzuſchreiben fei, jo befände man jich im größten 
Irrthume. Michael, über dejjen Leiche im J. 867 fein früherer Stallfnecht, 
Stallmeifter, Oberftallmeifter, Cäſar und Gemal der Fatjerlichen Geliebten 
Eudoria, der angebliche Slave Bajilios, !) zulegt Michaels Mitkaiſer, den 
Thron des romäiſchen Neiches bejtieg, war ein Fürſt ohne alle Würde 
und Pflichtgefühl, der nur für Theater, Pferde und Wettrennen Sinn 
hatte, ein Trunkenbold, der mit jeinen Geſellen die heiligjten Miyjterien 
des Glaubens verjpottete und verhühnte und den Zonaras mit Recht den 
ſchlechteſten Kaiſern des Neiches beigefellte, das in die Wette von jeinen 
Autofraten bedrücdt und mißhandelt wurde. Da feine Unthaten mit den 
Jahren zumahmen, es in Conjtantinopel immer unbeimlicher wurde, alle 
Wiſſenſchaft (Philojophie), wie Zonaras jagt, beinahe volljtändig erlojchen 
war, ijt es fehr begreiflid, wenn der Bhilojoph Konſtantinos 4 Fahre, vor 
dem Tode des erbärmlichen Imperators nad) dem Weiten zog. Der Impuls, 
den Meichael gab und geben konnte, bejtand nur in der Nichtswürdigfeit feiner 
Perfon und der allgemeinen Verlotterung der Zujtände, die daraus hervor: 
ging, in dem gerechten Wunjche ji dem Schisma und der allgemeinen 
Erbärmlichkeit zu entziehen. 


Durchgehen wir mım den Inhalt der Legenden, deren Alter zu er- 
forschen nicht zum Endzwecke diefer Schrift gehört. Uns genügt es, innere 
Widerjprüche hervorzufehren. 

Nach der italifchen Legende feien die Einwohner jener Stadt, die dieje 
nicht zu benennen weiß, als fie hörten, die Brüder bräcten die Reliquien 
des hl. Clemens mit und Konjtantin Habe das Evangelium auch im 


1) Man hielt den Nachfolger des Mafedoniers, Leo, für den Sohn Michaeld und 
ber Eudoria und nur infoferne für den Sohn des Baſilios, als der Grund: 
fat galt: pater est quem nuptiae demonstrant. 


— 239 — 


ihre Sprache überſetzt — alfo ehe fie nach Mähren gefommen — den Brüdern 
freudig entgegengezogen, diefe aber hätten die Fleinen Kinder unterrichtet, 
chriſtliche Aemter (als wären fie Bijchöfe) eingerichtet, vier und ein halb 
Kahre in Mähren zugebracht und dort alte Schriften, die zum Kirchen- 
dienste nothwendig geweſen, zuricgelaffen, dann aber auf Einladung des 
Papftes Nicolaus fi) nad) Nom verfügt. Die mährifche Legende aber läßt 
erſt Konftantin, dejjen Gelehrjamfeit und Anfehen feinen Bruder in den 
Hintergrund drängt, ehe er nach Mähren kommt, die Bulgaren befehren, 
den mährischen König, der aljo noch ein Heide geweſen fein mußte, 
taufen, fein Volk befehren, Vieles aus Latein und Griechifch in das Sla- 
vifche überjegen und die canonifchen Stunden und die Meſſe in ſlaviſcher 
Sprache halten. So fehr fih aber P. Nicolaus itber die Befehrung der 
Bulgaren und Mährer und über die Auffindung der Reliquien des hl. Clemens 
freute, jo war ihm doch die Einführung jlavischer Horen und Meſſen zu 
viel. Er citirte deshalb Konſtantin nach Rom, und da der Bapft vor feiner 
Ankunft, 13. Nov. 867, ftarb, ftellten fein Nachfolger P. Adrian und die 
übrigen Regierer der Kirche Konftantin deshalb zur Rede; vieler 
aber habe Bapjt und Negierer zu feiner Meinung befehrt, jo daß fie den 
ſlaviſchen Ritys geftatteten, ex jelbjt aber habe die bijchöfliche Würde aus» 
gefchlagen, jei Mönch geworden, was er wohl jchon früher war, und habe 
jeine Würde jeinem Bruder übertragen. DBiele Unrichtigfeiten 
auf einmal. Auch die böhmische Legende erwähnt, daß Eyrillus erſt die 
Bulgaren befehrte, gebraucht jelbjt im Uebrigen die Worte der italijchen, 
erwähnt jedoch, daß ſlaviſche Meſſen und Horen noch jetzt in Bulgarien 
und mehreren anderen flavischen Ländern im Gebrauche feien. Ein Ausdrud?) 
der auf die jpätere Abfaſſung der übrigens jehr unbedeutenden Legende hinweift. 

Die pannonifche Legende vom hl. Methodios hat es nur vorilber: 
gehend mit dem Philoſophen Konitantin und dem ihm von Raifer Michael 
ertheilten Auftrage zu thun, den Bitten Naftijlavg mit Svatopluf dem 
Fürjten der Slovenen entfprechend, mit feinem Bruder, dem Abte Me— 
thodios, da beide als Theſſalonienſer jlavisch verjtanden, nach Mähren zu 
reijen. Gott habe Konjtantin die ſlaviſchen Buchjtaben gelehrt. Beide 
jeien aber nad) 3 Jahren wieder zurüdgefehrt, nad) vielen Tagen aber 
babe Konjtantin fterbend feinen Bruder aufgefordert, das Werf der Bekeh— 
rung wieder aufzunchmen! 


1) Usque hodie in Bulgaria et in pluribus Slavorum regionibus observatur. 
Merkfwürdig, daß diefe böhmiſche Legende nicht jagt: usque hodie in Bohemia. 
Sie wußte eben nicht3 davon, daß Wiethod der eigentlicdye Begründer de3 Chri— 
ſtenthums in Böhmen war, 


— 240 — 


Die bulgariſche Legende legt den Nachdruck auf die Bekehrung Bul— 
gariens durch die beiden Brüder. Sie überſetzen, nachdem ſie die bulga— 
riſchen Schriftzeichen erfunden, Schriften aus dem Griechiſchen in das 
Bulgariſche, wobei die Bulgaren auch als Slaven bezeichnet werden, ſie 
ziehen den Gorasdus, Clemens, Naum, Angelarius und Sabbas heran. Die 
Brüder aber begeben ſich nach Rom, um dem Papſte ihre Interpre— 
tation der Schriften vorzulegen; werden dort ungemein freundlich 
empfangen, Method Biſchof des Pannoniſchen Morabos, Cyrill aber Mönch 
und wird in der Kirche des hl. Clemens begraben.) Später kommt der 
Berfaffer noch einmal auf die Befehrung der Bulgaren durch Eyrill 
und Methodius zurück, für diefe fei die Schrift erfunden worden, in ihrer 
Sprache die Ueberſetzung gejchehen, durch fie habe das bulgarische Volt 
den Weg des Heiles gefunden. Von Böhmen ijt nirgends die Rede. 

Fragt man fih nun um die Quintejjenz des Ganzen, jo wird die 
Berufung der beiden Brüder ebenſo allgemein behauptet, als daß Kon- 
ſtantinos der Erfinder der jogenannten flaviichen oder Bulgarifchen oder 
jlovenifshen Schrift, der Ueberjeger der nothwendigjten religiöfen Schriften 
war, daß er mit feinem Bruder einige wenige Jahre als ſlaviſcher Miſſionär 
thätig war, dann mit diefem nach Rom ging, dort Mönch wurde und (in 
San Clemente) beerdigt wurde.?) Somit handelt es ſich von der Ankunft 
im %. 863 an bis zu Eyrills Tode 14. Febr. 869, nad) Anderen 868, um 
nicht ganz fünf Jahre. 

Controverje ijt, wohin fich die beiden Brüder zunächſt begaben, ob 
nad) dem jegigen Mähren, ob nad) Bannonien, ob fie erjt die Bulgaren 
befehrten, was auch nicht im Fluge gejchab, ob ihre Hauptthätigfeit den 
Bulgaren oder den Mährern gegolten, oder ob fie nicht die fünfthalb 
Jahre bei dem Fürften Kozel in der Moosburg zugebradjt,?) um dort in 
Ruhe die nöthigen Vorarbeiten zu treffen. 

Controverſe ijt, welche Schrift Konjtantinos erfunden, ob die Kyrilliza, 
ob die Glagoliza; Controverje, ob die Erhebung Konjtantins zum Bijchofe 


1) Quasi enim ad enm finem manere in carne ei concessum esset, ut inventio- 
nem literarum et translationem scripturarum efliceret. Postquam hoc prae- 
stiterat divinae voluntati ab eo, qui ipsi Dei cognitionen: tradiderat, ad- 
sumitur. Ginzel. codıx p. 35. 

2) Card. Hergenröther, Photius II. pag. 35. Cyrills Reliquien wurden übrigen? 
vom Batican nah ©. Llemente gebradit. 

3) Wie Safari, Prof. Firecet und der griechifch-Fatholifhe Domcuftos Anton 
Petruszewic in Lemberg (in Slovno) behaupten. Diele Anfiht hat dadurd, 
dab auch Gardinal Hergenröther fi dafür ausſprach (Photius 1. p. 617), 
nit wenig an Bedeutung gewonnen. 


— 2141 — 


der Fortführung der ſlaviſchen Miſſion gegolten; Controverfe, ob er ſlaviſche 
Mejje und Horas auf eigene Fauſt und ohne Ermächtigung eingeführt; 
Controverfe, welche Ermächtigung er überhaupt vor feiner Romreiſe zu 
jeinem Apoftolate bejefjen; Controverfe, mit welchem Nechte er fich in ein 
fremdes Feld eingedrängt, über welches K. Michael ganz und gar nicht 
verfügen konnte; Controverſe, welche Schriften er in das Altjlavifche über- 
jeßte; Controverje, wie er fi) zum Erzbifchof von Salzburg, dem Bifchof 
von Paſſau gejtellt; Controverſe, wie er, wenn er die Bulgaren nicht be- 
fehrt, fondern nur vier und ein halbes Jahr an einem uns nicht näher 
befannten Orte in Bannonien oder Mähren ſaß, Apoftel der Slaven ge- 
nannt werden fonnte; Controverje, ob er in Nom auf die bifchöfliche 
Würde refignivend Mönch wurde und nicht ſchon früher Mönch war; 
Controverje ob er 868 oder 869 ſtarb. Controverje, ob er überhaupt Bijchof 
wurde.') Keine Controverje endlich, daß, wenn die beiden Brüder ihre 
urſprüngliche Mißion erfüllend, die Neliquien PB. Clemens nah Nom 
brachten, der feierliche Empfang nicht ihnen, fondern vor Allem den 
Ueberreften eines Papſtes galt, der fein Leben ruhmvoll im Exile beendet 
hatte. Keine Kontroverfe ift, daß Eyrillus im Batican am Grabe des 
Apoitelfürjten ftarb, ein treuer Sohn der römischen Kirche?) 

Somit ift die Frage, welche ſlaviſche Völker Konftantinos 
(Eyrilfus) befehrte, gar nicht jo leicht zu beantworten. Wir überlajjen 
fie auch Anderen und bleiben ‚nur dabei ftehen, daß die Unterftigung, 
welche der elende Kaiſer Michael dem Patriarchen Photios verlieh und 
die erjt mit dem Tode des Kaiſers aufhörte, die eigentliche Urſache gewejen 
jein dürfte, warum er und fein Bruder ſich veranlaßt fahen, den Weg nad) 
Nom über Mähren anzutreten. Sicher ift, daß Cyrillus die Tſchechen 
nicht befehrte, und wenn fein Bruder Methodius in feinen Pfaden 
wandelte, diefe auch ihn nicht nad dem Lande der Beheimen führte. 
Das iſt doch wohl unbejtreitbar. 


Wenn aber dadurch feine Wirkfamfeit als Apoftel der Slaven ein: 
geſchräukt zu werden jcheint, jo iſt dieſes doch nur jcheinbar. Tie Welt 
ftaunte als fein Wunderwerf die Erfindung der neuen Buchjtaben an. 
Erjand er aber diefelben, jo mußten denn doch feine Schüler erſt leſen 
leiten, während er die Bücher überjegte, die uns nur im Allgemeinen 
angegeben werden, Theile des alten und des neuen Teſtamentes, Palmen 
oder Homilien. Es war eine geradezu aufreibende Arbeit, in einer 


1) Ginzel, Die Slavenapoftel S. 48, n. 
2) Hergenröther 1. c. n. 39. 
Mittheilungen. 25. Jahrgang. 3. Heft. 16 


— -- 


Sprache ohne Literatur, in einer Schrift, die erft erfunden werden mußte, 
deren Richtigkeit und Gebrauch noch nicht erprobt war, die feine Ver— 
gangenheit bejaß, treu und richtig den Ausdrud für die großen inhalt- 
ſchweren Gedanken der heiligen Bücher zu finden. Nur derjenige, welcher 
ſich mit dergleichen Arbeiten vertraut gemacht hat, vermag hierüber ein 
richtiges Urtheil zu fällen. 

Immer war e8 aber von Eyrill ein großartiger Gedanke, einer 
Nation, die aus jo vielen einander feindlichen Stämmen bejtand, an den 
fichlihen Zehrbüchern einen gemeinjamen Sprahichag, ein gemeinjames 
Fundament chrijtliher Zuſammengehörigkeit und Bereinigung zu geben 
und von diefem Standpunkte aus verdient er vollfommen den 
ehrenden Namen eines Apoſtels der Slaven. War c3, wie e8 
jcheint, die Abſicht P. Adrians IL. das wejtliche Illyrieum wieder enge an 
das römische Batriarchat anzufchliegen, die alte Metropole Sivmium, den 
Stuhl des Hl. Andronicus, als paunoniſches Erzbisthum wieder auf- 
zurichten, für die Chriftianifirung der ſlaviſchen Lande einen 
fejten Mittelpunkt, ein kirchliches Bollwerk gegen die beiden römischen 
Kaiſerthümer zu Schaffen, das au den Stuhl Betri feſt gefettet bleiben 
folfte ) — fo fonnte man zu diefem Zwecke ſich Feine tüchtigere, veinere, 
aufopferndere Perjönlichkeit vorftellen als die Konftantins. Nur bedurfte 
es dazu auch des Entgegenfommens jlavifcher Fürſten und Völker; und 
das eben blieb aus. Der Sturz Raftislavs brachte einen Mann empor, 
den zwar die Legende ſehr als Beichüger des beabjichtigten Neubaues 
verehrt aber nicht die Geſchichte. Dffen bleibt dabei immer die Frage, 
ob die Sache, wenn ſich Cyrill nicht freiwillig diefer Bürde entzogen hätte, 
nicht zu früh geftorben wäre, nicht unter ihm zu einem bejjeren Gedeihen 
gelangt wäre? Nicht minder auc) eine zweite, ob der Abzug der Brüder 
von Theljalonife aus Conjtantinopel nad) Rom nicht in directem 
Saufalzujammenhange mit dem römischen Concil (April 863) 
jtand, das Photius und alle feine Genoſſen jeder geiftlichen Würde verluftig 
erklärte?) und den durch Eaiferlichen Terrorismus gejtürzten Patriarchen 
von Eonjtantinopel, Ignatius, als rechtmäßigen Patriarchen anerfannte? 

Mir jcheint es, daß beide Fragen jeher wohl erwogen werden 
dürften. Ihre Beantwortung mag das ohnehin zweifelhafte Anjehen 
mancher Legenden mindern, nicht aber die hiftorische Bedeutung des „Phi— 
lojophen Konſtantinos“. 


1) Wie Card. Hergenröther I, ©. 36 die Sadıe jo richtig auffaßte. 
2) Dergenröther I. ©. 52. 


— — 


F. 5. Methodios, Erzbiſchof von Mähren und Pannonien. 


Man konnte ſich kaum eine ſchwierigere Lage vorſtellen, als die 
Methods, den P. Adrian II. zum Erzbiſchofe von Mähren und Pannonien 
conſecrirt hatte. Nicht blos deshalb, weil er bei ſeiner Rückkehr Herzog 
Raſtislaw im offenen Kampfe mit K. Ludwig dem Deutſchen fand, der 
zuletzt ſich des Mährenfürſten bemächtigte und an ſeiner Stelle Swatopluk 
einſetzte. Seines Bruders beraubt, deſſen moraliſches Anſehen ihn ſelbſt 
bisher gedeckt hatte, erſchien Method als natürlicher Feind der beſtehenden 
kirchlichen Ordnung. Er griff als Erzbiſchof von Mähren, das ſich ſelbſt 
nach Pannonien an die March, Donau und Gran erſtreckte, in die 
Gerechtſame von Paſſau, als Erzbiſchof von Pannonien in die von 
Salzburg ein und erſchien als Störer deſſen, was ſeit mehr als 70 Jahren 
auf dieſer Seite aufgebaut war. Der leitende Gedanke des Papſtes war 
unzweifelhaft kein anderer als ihn zum Erzbiſchof der Slaven zu machen, 
ohne ihm vorderhand ſei es Laureacum, fei es Sirmium zum Wohnſitze 
zu beſtimmen, die ja beide zerjtört waren; daher auch die Empfehlungen 
an verjchiedene ſlaviſche Fürſten, die er erhielt. Er befand ſich als Erzbiichof 
auf altem Grund und Boden des bl. Petrus, die deutichen Biſchöfe auf 
Grund und Boden des ojtfränfischen Reiches, den Slaven abgerungenen oder 
ihnen nur zugejtandenen Bejißes, und ihrer nad) dem Oſten in's Unbe: 
jtimmte veichenden Diöcefen. Ob Methodius, der nun die zu Diaconen 
geweihten Schüler mitbrachte, die ihn nach Nom gefolgt waren, jeßt 
jlavischen Gottesdienst einführte oder nicht; der Conflict beftand bereits 
in jeiner Berjon als Erzbifchof und war fomit unvermeidlich, ob er den 
flavifchen Gottesdienjt hielt oder nicht. Die jlavifchen Fürften, an die er 
empfohlen war, konnten ihn nicht ſchützen, wenn er fich auf dem deutjchen 
Neichsboden befand — der Sturz des Raſtislaw 870 führte auch den 
Seinen herbei. Den Bilchöfen der Salzburger Erzdiöceje wollte es nicht 
eingehen, daß ihre ganze Thätigfeit auf jlaviichem Boden ungiltig jei. Der 
Gedanke mußte um jo ferner liegen, als der lateinische Gottesdienft wohl 
factifch dem neuen flavifchen weichen konnte, aber nirgends gefeglich auf- 
gehoben ward. Aber diefe Frage trat in den Hintergrund vor der Nechts- 
frage, bei welcher 8. Ludwig ſelbſt betheiligt war. Sp entftand num jenes 
gerichtliche Verfahren, bei welchem Method jei es als Gefangener, fei es 
freiwillig zur Nechtfertigung vor dem Könige und dem Salzburger Epis- 
copate !) gezogen wurde und wobei er weder perjönlicher Mißhandlung 


— — 


1) Martinovie S. J. St. Methode apötre du Slaves et les lettres des souverains 
pontifes conserv&es au british Museum. (Revue des questions hist. 1880. 1 Bd.) 
16* 


— UM — 


noch zuletzt harter Gefangenſchaft) entging. Die Biſchöfe behandelten ihn 
als Eindringling, wandten ſich mit einer Klageſchrift an den Papſt, ihre 
Rechte zu vertheidigen und ihre fruchtbaren Bemühungen un die Befehrung 
der Slaven darzulegen, Aber auch Method fand Gelegenheit eine Recht: 
fertigung feines Benehmens nach Rom gelangen zu laſſen und nun erfolgte, 
was vielleicht beſſer gleih anfänglich am Plage gewejen wäre, die Sen: 
dung des Biſchofs Paul von Ancona, den Streit als päpftlicher Legat zu 
ſchlichten. Method wurde nach 3 Jahren?) in Freiheit gejegt, die über 
ihn verhängte Abjegung aufgehoben, die Bijchöfe von Freifing und Paſſau, 
welche am jtärfjten gegen ihn aufgetreten, wurden für jo lange Zeit ſus— 
pendirt, als Method im Gefängniß zugebradht, die neue Erzdidceje wurde 
als dem römischen Stuhle unmittelbar unterjtehend bezeichnet, Method zu 
Smatopluf geleitet. 


Die erjten 3 Jahre der erzbiichöflichen Wirkſamkeit Methuds, in 
welche Zeit Balacky unbegreiflicher Weiſe die Taufe des Böhmenherzogs 
Borivoj verjegte (871), veritrichen aljo theils in den unerquidlichiten Con- 
flieten, theils im Gefängnijfe. Unterdejjen ftarb P. Adrian IL, Nov. oder 
Dee, 872, und fein am 14. December geweihter Nachfolger, B. Johann VIIL, 
beitand zwar auf dem Anrecht des römischen Stuhles an Pannonien- 
Mähren, ließ aber die Frage über die Nejivenz des neuen Erzbijchofes 
unentjchieden — weshalb wieder von Welehrad gar feine Nede jein kann, ?) 
jondern verbot ihm auch geradezu, durch einen ihm durch Biſchof Paul 
zugefommenen Erlaß, die Mejje in lingua barbara das heißt, in flavifcher 
Sprache zu celebriren. Da jid) der Papft in jeinem jpätern Schreiben vom 
14. Juni 879 hierauf ganz bejtimmt bezieht, ) kann darüber fein Zweifel 
obwalten, wenn auch, wie Ginzel in feiner jehr fleißigen Monographie 
auseinanderjegt, Methud fortfuhr, die Meſſe jlaviich zu halten?! Der neue 
Papjt nahm die Ordnung der jlaviichen Verhältniſſe ſelbſt in feine Hände, 
hielt im 5%. 874 eine Synode in Ravenna, wobei er der flavifchen Unfitte, 
nad) Belieben die eingegangene Ehe zu trennen und andere Frauen zu 


1) colaphis caedentes heißt es von den Biſchöfen. Selbft noch ärgered gejchah. 

2) Siehe die Inftruction an den Legaten Baul, Höfler, die Epochen der ſlaviſchen 
Geſchichte. Wien 1881. ©. 44. 

3) Ausdrüdlich jagt auch Cardinal Hergenröther IL. ©. 616 der Sprengel Methuds 
habe noch feinen beftimmten Metropolitanfig gehabt, weshalb er 
fi) hauptſächlich in dem Gebiete des Kozel aufbielt. 

4) prohibuimus te in barbara h. c. sclavina lingua, sacra missarum s0- 
lemnia celebrares. 


— 245 — 


nehmen,") auf das Schärfſte tadelt, an den „Grafen Kocel“ ſchrieb und die— 
jenigen, welche davon nicht abließen, mit dem Banne belegte. Es gelang 
ihm den Ausgleich mit K. Karlmann zu treffen und das neue Erzbisthum 
dem römischen Stuhle zu vindieiren. Damit war die eine Controverfe 
befeitigt und handelte e8 fid) nur mehr um das Maß des Gebrauches 
der jlaviichen Sprache bei dem Gottesdienft in Mähren-Bannonien. Die 
Thätigfeit Papſt Johanns VII. war vorzugsweife den orientaliichen An— 
gelegenheiten, den Conflieten mit Photius, und der Bekehrung der Bul- 
garen und Kroaten, der Serben und Dalmatiner zugewandt?) Aber in 
Detreff Methuds war ein neuer Conflict ausgebrochen, nachdem ihm be- 
reits gejtattet worden war, in dem, dem Papſt zuriücdgegebenen Erzbisthum 
Pannonien nad altem Brauche alle bifchöflichen Amtsverrichtungen unge: 
hindert auszuüben. Seitdem erfolgten erjt weitere Klagen über feine 
Rechtgläubigkeit und machte fih der Mährenfürft Swatopluf, 
der feinen Oheim Raſtislav entthront hatte, jelbjt zum Organe der 
deshalb erhobenen Klage, jo daß Papſt Johann den Erzbifchof auf- 
forderte, ungefäumt zu feiner Nechtfertigung nach Nom zu fommen. Ihn 
begleitete einer der Getrenen Swatoplufs, der dem Papſte feine und feines 
Bolfes Begierde ausdrüden ließ, wie feine Vorfahren dem HI. Petrus — 
und nicht der deutjchen Kirche — unterworfen zu fein. Der Schwabe 
Wiching, gleichfalls nach Rom gejandt, ſollte bei diefer Gelegenheit zum 
Biihofe von Neitra confeerirt werden. Er mar jelbjtverjtändlich Ver— 
treter des lateinischen Ritus. 


So murde denn in Rom unmittelbar die Frage über die Recht— 
gläubigfeit Methods auf einer Synode unterfucht, der Erzbifchof 
ſchließlich als vollfommen rechtgläubig in feiner Würde bejtätigt und der 
Entjcheid dem Mährenfürjten fundgegeben, Methud aber in vollſter Aner— 
fennung, daß die wider ihn erhobenen Auflagen ungegründet ſeien, zur 
weiteren Amtsführung zurückgeſandt. 

Hatte PB. Johann erſt dem Erzbifchofe fein Mißfallen ausgedrüdt, 
daß er die Meſſe in ſlaviſcher Sprache ſtatt in lateinischer oder griechischer 
jinge, da ihm nur Predigt und Bolfsunterricht ſlaviſch zu halten gejtattet 
jei, e8 aber bei dem Erjtaunen dariiber bewenden gelajjen, daß er höre, er 
predige dem Volke Irrlehren, und gleichzeitig (14. Juni 879) Swatopluf 


1) Sie war noch im XI. Jahrhunderte nicht ausgerottet, weshalb Biſchof Severus 
den Böhmen fagte: vestra conuubia quae hactenus habuistis ut lupanaria 
brutis animalibus communia, a modo sint privata. Cosmas. 

2) Hergenröther I. ©. 604 ff. 


a 


die Mittheilung von der an Methud erfolgten Citation nach Rom gemacht, 
jo enthält das päpitliche Schreiben ein Jahr fpäter (Juni 880) die 
vollite Rechtfertigung des, ſei es von deutjcher, jei es von ſlaviſcher Seite 
unrehtmäßig Angeklagten. ’) 


Die oberjtrichterliche Entjcheidung, die Swatopluf von P. Johann 
ſelbſt mitgetheilt wurde, beruhte in Folgenden: ?) 

Erjtens wurde den Mährern aufgetragen den Erzbijchof, der ſich in 
Allem rechtgläubig erwiejen, als ihren vechtmäßigen Oberhirten zu ehren, 
der die Sorge fir alle geiftlichen Dinge habe. 

Zweitens weihte der Papft nicht blos Wiching zum Bijchofe, ſondern 
jolle auch noch der Erzbiichof einen zweiten (Prieſter oder Diacon) nach 
Nom jenden, den der Papſt zum Bifchofe conjecriren würde. Mit diefen 
zweien vom Papſte conjecrirten Bijchöfen jollte nachher für geeignete Orte 
der Erzbiichof andere Biſchöfe ordiniven. Alle Briefter, Diaconen, Cleriker, 
Slaven oder Nichtjlaven innerhalb der neuen Kirchenprovinz jollten ſämmtlich 
dem Erzbifchofe gehorchen, diejenigen, die ein Schisma herbeiführen wollten, 
jeien gemäß der dem Erzbiſchof mitgegebenen Beftimmungen (capitulis) 
geradezu auszumeijen. ®) 


Der Sinn diefes zweiten Punktes war Har. Der Erzbifchof und 
feine 2 Suffragane wurden in Nom und nicht in Deutjchland ordinirt. 
Sie ordiniren dann für neue Bisthümer neue Bilchöfe. Die ganze Kirchen: 
provinz unterjteht dem Papſte, Deutjche oder Slaven, Lateiner oder Nicht: 
lateiner, die neue, von Salzburg und dem deutschen Neiche völlig getrennte 
Erzdidceje ift aufgerichtet und ihre Einrichtungen trennen fie davon „für 
ewige Zeiten“. 

3. Die jlaviniftiiche Schrift und Bücher Konftanting — und das 
wird als das Miſſionswerk des einjtigen Philoſophen von dem Bapfte be— 
zeichnet — litterae slaviniscae a Constantino quondam philosopho 


1) Mir will es bedünken, daß die Anklagefchrift der dentichen Biſchöfe den früheren 
Eonflicte angehöre und es jest fih nur um die Swatopluks handelte, beide 
nicht verwechfelt werden dürfen. 3 

2) Ginzel codex S. 59. Ueber den dogmatiichen Theil der Controverfe möge man 
die gründliche Erörterung des Card. Hergenröther II. ©. 623 ff. nachſehen. 

3) Dieſer legte Spruch wiederholt fich, aber offenbar nicht zu Gunften Methods 
in dem B. Stephan VL zugejchriebenen (apocrypſchen) Erlaffe. Von einem erz— 
biſchöflichen Site ift auch jett Feine Rede, noch viel weniger von Böhmen, das 
ja nie zum römiſchen Patriarchate gehört hatte. 


— 247 — 


repertae — in welchen Gottes Lob ertöne, werden gut geheißen, da es nicht 
blos in 3 Sprachen, fondern in allen Zungen gepriefen werden jolle. *) 


4. Weder im Glauben noch in der chriftlichen Lehre ift etwas da: 
gegen, in der jlavischen Sprache Meſſen zu fingen, das heilige Evangelium 
oder die Lectionen des alten oder neuen ZTeftamentes, wenn fie nur gut 
überjegt und erklärt würden, zu leſen (psallere) oder die Horen zu halten. 


5. Die Abhaltung des ſlaviſchen Gottesdienjtes war jedoch nicht etwa 
geboten, fondern nur gejtattet, Swatopluf aber und feinen Richtern (ju- 
dicibus tuis) turchaus freigegeben, wenn ihnen die lateinischen Meſſen 
beijer gefielen, fie fich in lateinischer Sprache halten zu Lajjen. 

6. War durch legteres Elar geworden, daß der ſlaviſche Gottesdienft 
unmöglich ein Bedürfnig des mähriichen Volkes fein Fonnte, wenn der 
Herzog, deijen weites Gebiet euphemiftiich als ein Großreich (imperium) 
und der ſelbſt als König bezeichnet wurde, und feine Vornehmen, die 
Richter des Volkes, Feine Begierde darnach hatten, jo gejellte ich zur Er- 
laubniß der jlavischen Meſſen noch eine befondere Bedingung. Es jollte 
in allen Kicchen, wo dieje geiungen würden, das Evangelium zuerjt in 
lateinischer Spradye und dann für diejenigen, die es nicht verjtanden, 
jlavifcy gelejen werden. Der Zwed war Kar. Niemand folle glauben, 
daß er, wenn er dem ſlaviſchen Gottesdienjte beimohne, deshalb aufhöre, 
der lateiniſchen Kirche anzugehören. 

P. Johann VII. ertheilte im Juni 880 jeine Zuftimmung zu einem 
Experimente, das glücken, aber auch mißglüden fonnte. Vorderhand war 
Eines erreicht. Die neue Erzdidcefe mit ihren nach Bedürfniß zu verviel- 
jältigenden Bisthümern war firchlich vom fränkischen Reiche getrennt und wenn 
Swatopluf der rechte Mann war, jo konnte fich auf diefer Balls auch ein 
vom deutjchen Neiche ganz unabhängiges jelbjtändiges Neich erheben. 
Wenn fpäter der römische Stuhl dem Kroatenfürjten eine Königskrone 
fandte, der Magyare Stephan durch PB. Sylvejter eine Königsfrone er- 
langte, von dem Polenfönige nicht zu reden, warum ſollte nicht auch in 
dem vom dentfchen Reiche firchlich getrennten Mähren, jobald auf dieſen 
Grund aud; die politische Trennung jiegreich erfolgt war, eine päpftliche 
Königskrone das Gebäude frönen? Sit doch bereits von König Swatopluf 
die Nede. Nun hatte aber die neue Organijation der flavifchen Kirche 
von Anfang den Nachtheil, daß fie im Gegenfage zu dem fürjtlichen Cultus 


1) Damit war das obenerwähnte carolingische Capitular von dem Papft fanctionirt. 
Was die Legende Cyrill in den Mund gelegt, erweilt fid) umgekehrt ald päpſt— 
liher Ausſpruch. 


— 2483 — 


der Rarolinger war, den auch unter den Slaven herrfchenden Traditionen 
des großen Karl und jeinen Nachfolgern nicht entfpradh. Der lateinische 
Nitus war der Ritus des königlichen und Faiferlihen Hofes und wer es 
diefem gleich thun wollte, durfte nicht zu dem Volksritus herabſteigen, 
den Method einführte. Diejes Moment, das jo ganz überjehen wird, war 
von großer Bedeutung und diefe nahm noch durch den Umjtand zu, daß 
ja im Schoße des neuen Episcopates Feine Einheit war. Der Bifchof von 
Neitra blieb bei dem lateinischen Ritus, Swatopluf und feine Richter wie 
es jcheint, nicht minder und der ſlaviſche Gottesdienjt litt durch die latei- 
niſche Berfündigung des Evangeliums, welche anf einen höher ‚berechtigten 
Ritus hinwies, vor dem jich der ſlaviſche beugen mußte. 

Die Biſchöfe des Salzburger Sprengels jchienen aber die dem oſt— 
fränfifchen Reiche aus diefen Verfügungen drohende Gefahr wohl erfannt 
zu haben und hielten um jo feiter daran, daß „die Slaven im Oſten“ 
Theile des deutschen Reiches ſeien. Die Tſchechen aber arbeiteten ihnen in 
diefer Beziehung im %. 895 ſelbſt in die Hände. 

Wenn nun von allen Forjchern darauf hingeiwiefen wird, daß erit 
der Streit mit dem deutjchen Episcopate, der die erjte Zeit der Wirkſam— 
feit Methods nach feiner erjten Nückkehr aus Nom 869 —873 erfüllte, dann 
der erneute Streit und zwar um jeine Nechtgläubigfeit und die, Bedin- 
gungen und Cautelen des ſlaviſchen Gottesdienftes, die eine zweite Reife nach 
Rom 879-880 zur Folge hatten; endlich die großen Kriege Raſtislavs 
und Smwatoplufs mit dem ojtfränfiichen Reiche eine unumnterbrochene und ge— 
jeguete Thätigfeit Methods in Mähren nicht auffommen ließen, jo jteht doch 
die Thatſache feſt, daß jene Wirkſamkeit unter den Kroaten und den Slaven 
am Küjtenlande ungleich größer geweſen jein muß, da ihre Spuren nod) 
heutigen Tages jihtbar find. Wir können bei dem Mangel an Quellen 
auch hier die Fahre nicht angeben, wohl aber mit Bejtimmtheit jagen, daß 
für eine Wirkjamfeit nad) dem Norden über Möhren hinaus in dem Rahmen 
der Chronologie fein Raum vorhanden ift, jondern im Gegentheile Pflicht 
und Beruf ihn ſtets nach dem Süden drängten, wo feine Conflicte ftatt- 
fanden. Und wenn nichts dejto weniger auf angeblihe Gründungen 
Methods in Mähren in den Kahren nach 873 hingewiejen wird, jo muß 
ich ſchon hier mich auf das Zeugniß des gelehrten Abtes Dudif berufen, der 
geradezu jagt, daß, aus den eilf Fahren von 874—885, in welche ſeine größte 
Wirkjamkeit als Erzbijchof fallen mußte und fiel, ') nicht ein einziges 


1) Allg. Geſchichte Mähren! I. p. 227 Ginzels Darftellung ©. 89 n. 14. 15 läßt 
fih dagegen nidyt behaupten, 


2.949 


bewährtes Zeugniß feiner kirchlichen Thätigfeitaufunfere 
Seit fam. 

Wir wiſſen nicht, was er im diefer Zeit in Mähren, nicht was er in 
Pannonien that, ") gefchmweige, daß er, wie eine Legende fagt, nach Conſtan— 
tinopel ging.?) Da ift dann freilich ein weites Feld eröffnet für Hypo— 
thejen aller Art und wenn ihn nichtsdejtoweniger Hijtorifer nach Belieben 
dahin oder dorthin reifen laſſen, ſo mögen fie ihm auch die Fahrgelegen- 
heiten zahlen! Es ijt eine Nachricht vorhanden, daß er zulegt aus Karen— 
tauien vertrieben, fi) nah Mähren wandte?) Wir kennen aber fo 
wenig al3 den Namen feines bifchöflichen Siges fo den des Ortes, wo er jtarb, 
wohl aber, daß der Haß der deutjchen Bijchöfe, welche in ihm die Urfache 
erblidten, warum der mährijche und pannonifche Theil ihrer Sprengel ihnen 
entzogen wurde, mit den Jahren eher zu als abnahm. Es war ihm nicht 
gelungen, in feiner Erzdiöceje den jlavifchen Ritus zum herrſchenden, 
zum einzigen zu erheben; er hatte weder Bannonien nod) viel weniger 
Mähren Firchlicy geeinigt, im Gegentheile e8 war ein Dualismus ge 
ihaffen, der das von Konftantin wie von ihm begonnene Werk jchon bei 
jeinen Xebzeiten untergrub. Wieder ift es ein Brief B. Johauns VILL, 
der uns hierüber belehrt (23. März 881).9) Es it ein Zroftichreiben 
über die Widerwärtigfeiten, die den Erzbijchof betroffen und von welchen 
diejer dem Papjte Deittheilung gemacht hatte. Es enthält zugleich die Er: 
färung, daß der Papſt an den Fürſten Swatopluf feine anderen Briefe 
gejchrieben habe als jene, in welchen er ihn der Nechtgläubigfeit des 
Erzbiichofs verficherte und ebenſo wenig habe er dem Biſchofe (Wiching ?), 
von dem Method gejchrieben, offen oder in geheim einen Auftrag gegeben, 
gejchweige ihm den Schwur (des Stilljchweigens) abgenommen. Der Erz 
biſchof möge daher jedes Bevenfen aufgeben. Was aber die großen Ber: 
gehen betreffe, welhe gegen ihn jtattgefunden umd die der ungenannte 
Biſchof fich gegen fein Amt erlaubt, ſo werde der Bapit, jobald Method 
(nad) Rom) zuriücdgefehrt fei, beide Theile vernehmen und die Sade jo 
gut zu Ende führen, daß fremde Verwegenheit dem Gerichte nicht entgehe. 
Der Brief, der jchlieglich den Erzbiſchof tröjtet, wirft ein Licht auf Ber: 


D Wann foll er aber in Pannonien geweſen fein, wenn nicht in diefer Zeit?! 

2) Auch die Vollendung der Bibelüberjegung wird ihm zugefchrieben. Je weniger 
man Sichere? von ihm weiß, deſto mehr bemühte fi die griechiiche Legende 
de3 bi. Clemens ihm Thaten anzudichten. 

3) Tandem fugatus a Karentanis partibus intravit Moraviam ibique quievit. 
De conversione Carentanorum. 

4) Codex p. 62. 


— 50 — 


wirfnifje, die er mehr andeutet als erörtert, die aber eine neue Romreife 
benöthigten. Es ift das legte echte Document, das wir über die Wirkſamkeit 
Methods bejigen. P. Johann jtarb 832, zwei Jahre jpäter jein Nachfolger 
Marinus und nun ward wohl von Stefan VI, der auf Marinus folgte, 
ein Schreiben an den König Zwentopolf befannt gemacht, in welchem 
Method des Aberglaubens und der Streitjucht, ja jelbit des Meineides 
beichuldigt wird, da er über dem Körper des heil. Petrus gejchworen, 
Meſſe und Gottesdienst nicht in flavifcher Sprache zu halten und doch es 
thue. Wiching habe fi), obwohl von Method mit dem Anathem belegt, 
in Nom gerechtfertigt. Der Papit befiehlt endlich dem König Swatopluk 
die ungehorjamen und Aergerniß gebenden aus jeinem Reiche zu vertreiben. 

Gerade das letztere dürfte abgejehen von den vielen Gründen, die 
der gelehrte Berfajjer des Lebens des Patriarchen Photius als Beweiſe der 
Unechtheit diefes Schreibens P. Stephans anführte, jpäter zur Rechtferti- 
gung des gewaltjamen VBorgehens gegen die Schüler Methods dienen, 
die 200 an der Zahl Swatopluf nad) dem Tode des Erzbijchofes aus 
Mähren vertrieb. Die unverholen feindjelige Haltung Swatoplufs, der, 
weit entfernt dem großartigen Plane Adrians II. gemäß, dem jlavischen Inter— 
ejje, Vorſchub zu leijten, dem lateinischen Ritus der oftfränfifchen Künige 
huldigte, war nicht geeignet, Method den Aufenthalt in einer Herzogsburg 
genehm zu machen, in welcher die jlavische Sprache nur zur Erbauung 
einfältiger Leute gebraucht werden jollte. ') Es iſt mehr als wahrjcheinlic), 
daß die Hauptficche, in welcher er jtarb, die einjt von Salzburger Hand: 
werfern in der Sumpfjtadt erbaute war, er hier am 6. Juli 885 jein Leben 
beſchloß. Sein Werk endigte in Mähren mit ihm. Seine Schüler zerjtreuten 
fich ;?) die nach Bulgarien flüchteten, verfielen dem Schisma. Mähren jelbit, 
anjtatt der Mittelpunkt einer großen chrijtlichen Slavenmacht, ein ſlaviſcher 
Zwiſchenſtaat zwijchen dem ojtfränfischen und romätjchen Reiche zu werden, 
ging im Magyarenjturme wie in einer Verſenkung unter. Die Bejtrebungen 
des römischen Stuhles, das Erzbistum aufrecht zu erhalten — aber nicht 
Gorazd8, dem von Methud zum Nachfolger bezeichneten, die erzbijchöfliche 
Würde zufommen zu laſſen, fanden, als Bolt und Reich verjchwanden, 
feine Bafis mehr; im Anfange des X. Jahrhundertes gab es auch in ganz 


-— 





1) Ad simplieis populi et non intelligentis aedifieationem. Angebliches Schreiben 
P. Stephans VI. 

2) Daß Einzelne auch nah Böhmen famen, wird Niemand beftreiten wollen. 
Gerade jest wäre der richtige Moment geweſen, wenn Method der eigentliche 
Begründer de3 Chrijtenthbums in Böhmen gewejen wäre, einen feiner Schüler 
zum Biſchofe zu erhalten. Aber auch hievon feine Spur. 


— 31 — 


Pannonien niht eine chrijtliche Kirche mehr. Das Andenken Methods 
ward nur noch in Bulgarien gefeiert, wohin ſich jeine Schüler gewendet. 
Es dauerte nicht lange und es hieß in Dalmatien, er habe die gothijchen 
Buchſtaben erfunden. Er habe viel Ligenhaftes in ſlaviſcher Sprache ge- 
jchrieben, er fei ein Häretifer. Jahrhunderte verftrichen, ohne daß man 
jeiner gedacdhte. Er verdiente ein bejjeres Scidjal. 


$. 6. Methodios oder Emmeran von Regensburg. 


Die Traditionen der mährischen Fürften knüpften an eine Zeit an, 
in welcher ihr Land, das ja nach Pannonien reichte, dem römischen Stuhle 
oder wie jie fich ausdrüften, dem hl. Petrus unterworfen war. Dieſe 
Traditionen, an welchen die Päpſte fejthielten, führten, wie wir gejehen 
haben, zu der Begründung eines eigenen Erzbisthums Mähren-PBannonien 
und zur Trennung diefer Länder von dem Erzbisthume Salzburg; wie 
wir gleichjall8 gejehen haben, zu einem Gonflicte mit dem lateinijchen 
Ritus des oftfränfiichen Neiches, bei welchem ſich der mächtigjte Fürſt der 
Mähren auf die Seite der Gegner jeines Erzbijchofes jtellte. 

Die Traditionen der Mähren waren aber nicht die Traditionen der 
Boemannen d. h. der verjchiedenen Stämme derjelben, deren Namen und 
Wohnfige noch 1086 urkundlich unterjchieden werden. Unter ihnen findet 
fi) feine Spur von ähnlichen Traditionen vor. Wohl aber heißt es, als 
es ji) um die Begründung eines eigenen Bisthums Handelt, und das 
Klojter S. Georg für Benedictinerinen begrindet wurde, das jolle nicht 
gejchehen nad dem Ritus oder der Secte des bulgarijchen oder 
ruſſiſchen Volkes oder der jlavifchen Sprace.!) Nicht blos, daß 
fi) der Name des Abtes Emmeran in Böhmen vorfindet, Boleslav I. läßt 
jogar feinen Sohn Strachfwas in der Abtei des hl. Emmeran in Regens— 
burg erziehen und wenn der im Jahre 1125 verjtorbene Ehrontit Cosmas 
von Prag von der Taufe der 14 böhmischen Herzoge in Regensburg nichts 
berichtet, jo ift dies nur ein nener Beweis der vielfachen Unzuverläfligfeit » 
jenes Schriftjtellers des XII. Jahrhundertes, dem von Franz Palady, in 
dejfen erjter und bejter Schrift, der Würdigung der alten böhmischen 
Gejchichtjchreiber, eine jo herbe Zurechtweifung jowohl in Betreff defjen 
was er verjchwieg, als was er fagte, zu Theil geworden ift. 

Nichtsdejtoweniger foll eine Angabe eben diejes jo unzuverläjiigen 
Chroniſten des XII. Jahrhundertes, der 240 Jahre nach Method jtarb, 
nicht blos allgemeine Geltung verdienen, ſondern auch die Anficht bes 





1) Cosmas ad a. 967. 


— 252 — 


ftätigen, daß Method der eigentliche Begründer des Chriftentfums in 
Böhmen geweſen jet. 

Sie iſt uns in zweifacher Form, jedesmal zum Jahre 894 über: 
liefert. Einmal verfichert Cosmas, es fei in diefem Jahre H. Boriwoy 
getauft worden (anno dominicae incarnationis 894 Boriwoy baptizatus 
est primus dux (Boemorum) sanctae fidei eatholicae, was ein Cosmas 
ganz gut jagen Fonnte, da ev von den Vorgängen des %. 845 abjolut 
nicht3 weiß oder nichts jagen wollte. Dabei ijt ihm aber die Unannehm- 
lichkeit widerfahren, das Fahr 894 anzugeben, in welchem Botiwoy nicht 
mehr lebte, wodurch von felbjt die Nachricht ſich als irrig und unzuver: 
läſſig darjtellt. Das hindert aber Cosmas nicht, nochmal auf die Sache 
zurüdzufommen und wieder zum Jahre 894 anzugeben, Botiwoy ſei in 
diefem “fahre von dem ehrwilrdigen Biſchof Method in Mähren getauft 
worden. (Hostivit genuit Boriwoy qui primus dux baptizatus est a vene- 
rabili Metodio episcopo in Moravia 894.) Nicht genug aljo, daß Botiwoy 
damals nicht mehr lebte, auch Method, nicht Bischof, jondern Erzbiichof, 
war damals und zwar feit 9 Fahren todt; ein Beweis der Leichtfertigfeit 
oder Unwiſſenheit des Cosmas, die alles Maß überjteigt. Ein Todter 
hätte jomit einen Todten getauft. Aber das bringt Cosmas in feine 
Berlegenheit. Er köunte Näheres berichten, will es aber nicht, weil es ſchon von 
Andern berichtet worden wie das Chrijtentyum in Böhmen zugenommen. 
Ausdrüdlich aber jagt er, die Taufe jet gejchehen in der Zeit Kaifer Arnulfs') 
und des Meährenfönigs Zwatopolf 894. Es war nun bisher das erjte 
Erfordernig hiſtoriſcher Kritif, namentlich bei Angaben, die fi) nur bei 
einem einzigen und fpäteren Schriftjteller vorfinden, ſich in Betreff der 
Zuverläjjigfeit des Gewährsmannes, ob er Zeitgenojje war, welchen 
Glauben er verdiene, ins Meine zu jegen; nicht minder die Angabe 
der Zeit, des Ortes und der Perſonen zu erörtern. Nun wird Cosmas 
gerade von denjenigen, welche ihm in Betreff der widerjpruchvollen Angabe 
folgen zu müſſen glauben, als höchſt unzuverläffig bezeichnet und während 
er jelbjt die Zeit Katjer Arnulfs und des Königs Swatopluf angab, ver- 
einigen fic) die Commentatoren beinahe ſämmtlich darin, daß diejes zum J. 894 
erzählte angebliche Factum, wenn überhaupt, in einem anderen Fahre 
jtatt gefunden haben müſſe; Wir haben aber mindejtens 10 verjchiedene 
Hypotheſen in Betreff des Jahres, wobei die Commentatoren nicht bemerkt 
zu haben jchienen, wie jehr fie die Glaubwürdigfeit der Angabe felbjt unter: 
graben, wenn fie die zum J. 894 und unter Kaijer Arnulf und König Swa- 


1) Arnulf wurde aber erft am 27. Febr. 896 Kaifer. 


— 253 — 


topluk angeführte Thatſache als jo abſolut unmöglich, in ein anderes Jahr 
verjegen, ſelbſt aber ſich dabei in zehn, wo nicht in mehrere Widerfprüche 
verwideln. Die einfachjte Kritik würde unter diefen VBerhältniffen gar nichts 
Anderes verlangen, als die drei- und vierfach irrige Angabe eines fpäten 
und nachgewiefener Maßen unzuverläjfigen Schriftftellerg, 
welche für ſich allein dafteht und in Betreff der Zeit und der angeführten 
Perfonen von allen Forihern zugegebene handgreiflide 
Irrthümer enthält, von feinem Zeitgenoſſen bejtätiget wird, einfach 
als eine Fabel, als eine der vielen Unzuverläfjigfeiten des Cosmas anzu: 
jehen und mit Stillfhweigen zu begraben. 

Leider haben ganz unwiffenjchaftliche Motive, auf welche näher ein- 
zugehen ich mich nicht berufen fühle, es gerathener erjcheinen laſſen, den 
Weg der Logif und der Kritik zu verlaffen und einen anderen, höchſt 
gewagten einzufchlagen, der von Hypothefe zu Hypotheje führend, mit jeder 
zu neuen Phantafiegebilden anmachjend, zulegt aus dem Erzbifchofe von 
Mähren und Pannonien geradezu einen Apojtel Böhmens entjtchen lie, 
als ob die Doppeldiöcefe, welche der römische Stuhl ihm genau angewiefen 
und die Zerwiürfniffe, die daraus entitanden, ihm nicht hinreichende Be— 
Ihäftigung gegeben und feinen Wirkungskreis niht canoniſch bejchränft 
hätten! 

Der eigentliche Urheber dieſer hiftorischen Extravaganz, die jegt zu 
einer Art von nationalem Evangelium geworden ift, ijt aber derſelbe 
Gelehrte, welcher am ſchärfſten die Unzuverläfjigfeit des Cosmas hervochob. 
Diejes jein eigenes wiſſenſchaftliches Verdienſt in Frage jtellend, behauptet 
er nicht blos die Taufe Bokiwoys als jihere Thatjache, jondern 
führt aud) aus, daß „trog dem Schweigen der ältejten Quellen 
e8 nicht zu bezweifeln fer, (?) daß Methud felbit nah Böhmen 
fam — um das jo glüdlich begonnene Werk der Heidenbefehrung 
mit Wort und That zu fürdern. Oder follte der apojtoliihe Mann, der 
den größten Theil feines Lebens in Neijen zur Verbreitung des Chrijten- 
thums zubrachte, nur die furze und gefahrloje Fahrt aus Mähren nach 
Böhmen gejcheut haben, um ſich des Gedeihens der von ihm jelbjt ge: 
pflanzten erſten Keime des Heiles bei einem zahlreichen Bolfe zu verjichern ?! ') 
Kurz vorher führte derjelbe Gelehrte an, daß jeit 845 ein großer Theil 
der Zichechen und darunter einige der mächtigften Fürften des Landes das 
Chrijtenthum angenommen hatten. Dieje Bekehrung fand jedoch unabhängig 
von Method und jedenfalls lange vor einer feiner imaginären Fahrten nach 


1) Geſch. Böhmens I, ©. 186. Bergl. Ginzel. ©. 36 n. 


— 254 — 


Böhmen ſtatt. Dann wird das Jahr 871 als die Epoche der Taufe 
Boriwoys bezeichnet, was ganz unmöglich iſt, und hinzugefügt: Ob ver 
Taufact in Böhmen oder in Mähren jtattgefunden habe — Cosmas jagt aber 
ausdrüdlich in Moravia — muß unentjchieden bleiben! Offenbar war e8 die 
nur anfänglich nicht klar geuug ausgedrücdte Meinung Palackys, dag Method 
damals zum eriten Male und fpäter um fich zu überzeugen, ob der von 
ihm in Böhmen (!) ausgeftreute Samen aufgegangen fei, zum zweiten 
Male nach Böhmen kam. Da aber die Quellen für das erjte Mal fo 
wenig vorhanden find als für das zweite Mal, müſſen wir eigentlich froh 
jein, daß der böhmiſche Hiftoriograph nicht auch von einer dritten oder 
vierten Fahrt oder gar vom bleibenden Aufenthalte Methods in Böhmen 
berichtete! Das iſt jelbjt noch etwas ftärfer als die Entdedung von dem 
böhmischen Gegenpapjte in den Tagen P. Innocenz IV., der aud) jo lange 
gläubig zugeftimmt wurde, — in Prag, London und St. Petersburg, — 
bis ich in den Mittheilungen des deutjch-hiftorischen Vereines") bewieſen, 
daß der fraglihe Gegenpapft in Bosnien aufgeftellt worden war. 
Wundern wir uns, wenn, nachdem der Hijtoriograph aus eigener Voll- 
macht, wo die Quellen ſchweigen, angibt, was fie hätten berichten jollen, 
und weil er es fo für gut hält, annimmt und berichtet, die Epigonen — 
jedenfalls mit gleichem Rechte — Method zum eigentlichen Begründer des 
Chriſtenthums in Böhmen erhoben ?! 

Man kann, wenn alle Negeln der Kritik befeitigt werden, jehr Eigen- 
thiimliches und jelbft Widerfinniges behaupten; aber man kann zulegt der 
Kritif, für welche der Satz: er hat es gejagt, alfo muß es jo fein, nicht 
gilt, doch nicht entgehen. 

Viel vorjichtiger als der Hiftortograph Böhmens behandelte der von 
Mähren die heifele Controverje, obwohl man gerade bei diefem (Abt Dudik) 
eher eine Vorliebe für die unbedingte Anerkennung der von Cosmas fo 
ſeltſam zujanmengeftellten Angabe erwarten ſollte. Er bezeichnet fie als 
ein zwar bejtrittenes, aber noch nicht entkräftetes Factum,?) das er aber 
jelbjt in jene Zeit verjegt, aus welcher, wie er früher geftand, wir über 
Methods Firchlicher Thätigkeit audy nicht ein einziges bewährtes 
Zeugniß befigen, ?) zwijchen 878 und 880. 

„Obwohl er Kirchen und Altäre geweiht und fiir jelbe Confecrationg- 
„briefe verfaßt haben mußte, dieſe Kirchen und Altäre beftiftet und beſchenkt 


1) VII Heft 5. 6. Höfler, Kritiſche Wanderungen durch die böhmische Gejchichte I. 
Palacky's böhmischer Gegenpapft vom Jahre 1244, 

2) ©. 271. 

3) ©. 227, 


— 55 — 


„worden fein mußten, was Donationsurfunden verjchiedeier Art zur Folge 
„batte, jo bejigen wir nichts von Alle dem; jelbjt das populär 
„gewordene Factum, daß Böhmens Herzog Boriwoy an Swatopluks Hofe 
„(Cosmas jagt: m Moravia) durch Method getauft wurde, ſelbſt 
„dieſes Factum (?) unterliegt einigen, nicht ganz zu Löfenden 
„Schwierigfeiten, ja jogar das Andenken an unferen heiligen 
„Apojtel war bis zum XIV. Jahrh. in Mähren und Böhmen fo 
„gut wie verſchwunden.“ Er fommt dann in der Note I. ©. 230 zum 
dritten Male auf diefen Gegenjtand zurück und jagt: Daß überhaupt 
Botiwoy durch den HI. Method getauft wurde, ſteht wohl mit Hinficht auf 
Cosmas feſt (d. h. behauptet Cosmas). „Die Hauptichwierigkeit beruht 
„aber in der Feitfegung der Zeit, wann die Taufe ftattfand. Cosmas, die 
„älteſte Duelle über dieſes Factum (?), nimmt das Jahr 894 an, welches 
„jedoch, da damals weder Method noch Bokiwoy mehr am Leben waren, 
„gewiß unrichtig iſt.“ Ich entjcheide mich, fügt der gelehrte Hiftoriograph 
Mährens Hinzu — wenn überhaupt das ganze Factum zu: 
gegeben werden fann, fir das Jahr 878—880. — Aber gerade in 
diefen Fahren befand fi) Method theils in Rom theils in den größten 
Zerwürfniſſen mit Swatopluk, an deijen Hofe angeblich — wie eine Legende 
meint — gleich nach dem Eſſen, ohne Unterricht und Vorbereitung, Method 
den Boriwoy — natürlich erſt 894, getauft haben fol! 

Es iſt unnöthig, ein Wort mehr darüber zu verlieren. Wer noch auf 
das Zeugniß des Cosmas die Taufe Bokiwoys annimmt, wird faum dem 
Berdicte entgehen können, daß er dadurch auf die Berechtigung verzichte, in 
jtrittigen hiftorischen Dingen, wo Kritif und Logik allein entjcheiden, gehört _ 
zu werden. Es ſei mir gejtattet, ehe ich fortfahre, hier einige Momente 
aus der Gejchichte Negensburgs im IX. Yahrhunderte hervorzuheben. 

Wenn auch das ojtfränfiiche Erzbisthum in Salzburg jeinen Sig 
hatte, jo war der Mittelpunkt der politiichen Bewegung der alte agilolfin: 
giſche Herrjcherfig Negensburg, nicht mehr eine herzogliche Reſidenz, ſoudern 
eine königliche, „ein Mittelpunkt, wie ihn die anderen Stämme enbehrten. ") 
Hier baute 8. Karls Enfel Ludwig der Deutjche eine Marienfapelle nad) 
dem Muſter der Aachener; hier hielt er 861 eine Reichsverjammlung, nahm er 
865 eine Reichstheilung vor. Hier erhielt jchon früher dev Slavenfürjt Pribina 
jeinen farentanijchen Beſitz (BZalavar) zum freien Eigenthyum. Hier wurde 
jelbjt Erzbijchof Theotmar von Salzburg 874 confecrirt. Barfuß zog 8. Ludwig 
der Deutjhe mit der Proceſſion durch die Stadt zum Grabe des heiligen 


1) Dümmler L ©. 21. 


— 256 — 


Emmeran. Frömmigkeit und Macht, antife Herrlichkeit und das Fünigliche 
Anjehen der Karolinger vereinigten ſich, Regensburg zur Metropole Oft: 
deutjchlands zu machen, zum Mittelpunkte aller Eriegeriichen und friedlichen 
Beitrebungen, um auf die Slaven einzuwirfen. Hieher famen die zahlreichen 
Geſandtſchaften ſlaviſcher Volksſtämme, die den Karolingern Contingente zu 
ihren Römerzügen stellten. ?) Feierte K. Arnulf dafelbft Weihnachten, jo kamen 
mit Oftfranfen, Sachen, Thüringen und Alemannen auch in großer Zahl 
Slaven hin.*) Hieher wurden die Siegeszeihen aus der großen Normanen- 
ichlacht an der Dyle?) 891 gebracht. Namentlich aber wuchs unter K. Arnulf 
die Verehrung des hl. Emmeran, dem der König 893 feine Mettung gegen 
Swatopluf zufchrieb.*) Hier erfuhr er, ſiegreich aus Italien zurücgefehrt, 
den Tod diejes feines mächtigen Feindes, den Biſchof Wiching bereits ver- 
lafjen hatte, um in K. Arnulfs Dienfte zu treten. Wie in den Tagen 
Karls des Großen das fränkische Reich auf feinen Kaifer als den Hort 
des Glaubens blickte, jchaute jegt das Neich auf den „weiſeſten Fürſten“, 
den frommen PVertheidiger der Kirche, K. Arnulf, wie er auf der Synode 
von Tribur 895 hieß. As Aspert Biſchof von Regensburg und Kanzler 
K. Arnulfs ftarb, erlangte feinen Einfluß und feine Stellung der vertriebene 
Biſchof Wiching von Neitra.d) ES ijt dadurch ein weites Yeld fir Hifto- 
tische Kombinationen eröffnet. Wir befchränfen uns auf die Thatſache hin- 
zuweilen, daß, als 8. Arnulf Mitte Juli 895 die Neichsverfammlung zu 
Regensburg hielt, „aus Sclavania alle Herzoge der Boemannen, 
welche einjt Swatopluf aus der Verbindung und der Macht des Bajoarischen 
Bolfes mit Gewalt herausgeriffen, zu dem Könige famen und jich dieſem 
unterwarfen."*) War, jolange die Uebermacht Swatoplufs über die tſchechiſchen 
Herzoge dauerte, auch eine politische Trennung erfolgt, die kirchliche 
Eintracht mit Bajuarien bejtand ficher feit 345 durch die Bekehrten 
ſelbſt. Zegt, ein Jahr nach der angeblichen Taufe Botiwyos, 895 war 
fie vom ganzen Volke angenommen. Das Jahr 845 hatte über die 
hrijtlihde Zukunft Böhmens für immer entjdhieden. 


1) 3. 2. 877 8. Rarlmann. 

2) Magna parte Slavanorum. Ann. Fuld. 888. 

3) 1. Nov. 891. In diefem Jahre erfolgte auch die große Feuersbrunft, die bie 
Stadt in Aſche legte. 

4) Speciali tu» patrono Emmerammo pro gratiarum actione contulit totum 
palatii ornatum. Arnoldus de Emmeranno. Script. IV 551. 

5) Dümmiler, Geh. U. S. 401. 


6) Dümmler Il. ©. 411 macht biebei aufmerkſam, daß Palacky willkürlich den 
Namen des zweiten böhmischen Herzogs Wityla in Wraftijlav änderte (m. 58.) 


u — 


Die Stellung des Biſchofs von Regensburg war unter den wech— 
ſelnden Verhältniſſen immer die gleiche. Sie war eine gegebene, ob nun 
ein oder alle böhmischen Herzoge nad) Regensburg zogen. Er war oſtfrän— 
kiſcher Reichsbiſchof und jchloß fich als ſolcher an die Protefte des Salz: 
burger Erzbisthums an, in wie ferne das Neichsrecht durch päpjtliche Ver- 
fügung gekränft, die firchliche Ordnung durch eine eingedrungene verlegt fchien. 
Allein nirgends findet fi ein Proteſt gegen Eingriffe Methods in feine 
eigenen Didcejanrechte, während der Biſchof von Paſſau wiederholt Klage 
auf Klage jtellt wegen Verlegung feiner Didcefanrechte und daß feine 
Didcefe zulegt fünffach getheilt werden follte. 

- Mean vergißt gänzlich, daß diefes Schweigen jehr beredt iſt. Method 
hat fich in die böhmischen Didcefanverhältniffe nicht eingemifcht, er ift nicht 
nah Böhmen gefommen, er hat dem Bijchofe von Regensburg in Betreff 
Böhmens feinen Grund zur Klage gegeben. Nur in Betreff der Recht: 
gläubigfeit des unbekannten Griechen und feines Eimdringens in Mähren- 
Karentanien, in den Paſſauer und Salzburger Sprengel, jchließt er jich 
an die Klagen feiner Mitbiichöfe an. 


Nun haben wir aber noch eine andere und ſehr wichtige Frage zu 
beantworten. Wijjen wir denn gar nichts von dem Unterrichte, den die Be- 
heimer erhielten, ehe jie zur Taufe, ſei es in Negensburg, ſei es in ihrer 
Heimat zugelafjen wurden? Welches war ihre Glaubens-, welches ihre 
Sittenlehre? Können wir darüber Aufjchlüffe geben und weiſen dieje auf 
Method Hin? Die Antwort ijt entjcheidend. Sie lautet: „alle unfere 
Traditionen, ob kirchliche, ob herzogliche und jomit premyslidiſche, 
weiſen auf deutſche Glaubensboten, nicht eine auf Method hin.” 
Wir befigen aber im diefer Beziehung die unverwerflidhiten Zeug: 
niſſe, die man freilich, wenn man es über jich bringen kann, ignoriven 
mag, die aber für wahrheitliebende Leute überzeugend ſprechen. — Das 
erjte ijt dem Homiliar des Brager Biichofs aus dem eilften Jahrhundert 
entnommen, das ich dor einem Vierteljahrhunderte auffand und in den 
Situngsberichten der kaiſ. Afadentie 1861 beſprach und das dann Dr. Hecht 
in Prag mit einem Iehrreichen Commentar herausgab.‘) Die Quelle iſt 
authentiih. Spricht fich der Bischof, welcher die Traditionen der 
Prager Kirche und des Chriftenthums in Böhmen ſammelte und 
niederjchrieb, für Method aus, jo ift jede Discufjion unnöthig 


und abgethau. Spricht er fich nicht für ihn aus, übergeht er ihn mit 


1) Saec. XII. ift hiebei ein lapsus calami. 
Mittheilungen. 25. Sahrgang, 8. Heft. 17 


— 258 — 


Stillſchweigen, ſo iſt die Wucht dieſes Argumentes auch unwiderſtehlich. 
Folgen wir ihm. 

Das Homiliar enthält nun zwei für unſere Erörterung höchſt merk— 
würdige Momente. Zuerſt die Anleitung, wie bei der Bekehrung der Tſchechen 
verfahren werden ſollte; was bei der Taufe abzuſchwören, was zu glauben, 
was zu üben iſt, die Glaubens- und die Sittenlehre für die Neu— 
bekehrten. Es iſt das ſomit die Grundlage der Bekehrung, das Symbolum, 
das im chriſilichen Bbhmen angewendet wurde und zwar nicht etwa das 
der Apojtel der Slaven, ſonderu des hl. Bonifatius, des Apojtels der 
Deutjchen, wie Jedermann fih aus der Homilie mit der Ueberjchrift: 
ammonitio sive praedicatio S. Bonifacii episcopi de abrenuntiatione 
baptismatis — der Abjagung bei der Taufe — überzeugen fanı.?) 


Nicht ein Fornmlar Methods, nicht die Glaubens: oder Sitten- 
lehre der Thejjalonicenfer wurde in Böhmen zu Grunde gelegt, fondern 
die im oftfränfiichen Reiche angenommene Anweijung des heiligen Bo— 
nifatius, darnad) wurden die Tſchechen getauft. Das zweite ijt folgendes: 

Wir haben wiederholt auf die Bedeutung der Abtei St. Emmeran in 
Negensburg hingewiefen. Hier it der Ort, um anzuführen, daß ftatt 
Method's der im J. 652 als Märtyrer verjtorbene Biſchof Emmeran in der 
Prager biſchöflichen Kicche als Batron Böhmens, als heiligfter Vater?) 
und Fürſprecher, als unjer Emmeran bezeichnet und verehrt wurde. 
Er war ein Zeitgenojje des Wendenfönigs Samo (des Franken) und befand 
fid) eben auf der Fahrt zu den Avaren, um dieſen das Chriftenthum zu 
predigen, al3 Herzog Theodo I. von Bajuarien — der Agilolfinger — 
zur Befehrung der Heiden ihn in Negensburg zurüdhielt. Man Tann 
freilid) verjuchen, auch die in der Prager Kirche gebrauchten Ausdrüde: 
Sanctissimus pater et protector noster, praeclarus et pius praedica- 
tor ete., der herrliche und Fromme VBerfündiger des Wortes Gottes, der ung 
von den Irrthümern des Heidenthums wegzuführen jich gewilrdigt hat — 
auch jo lange zu deuteln und zu düpfeln, bis das Entgegengejegte heraus: 
fommt. — Sp lange aber nocd eine Wahrheitsliebe vorhanden ift, man 
der wiljenichaftlichen Kritik nicht ganz entjagt, bleibt die Thatjache unan- 
fechtbar, daß die Prager Kirche und die Prager Bischöfe den hl. 
Emmeran als den Berfündiger des Chriftenthbums, als den Batron 
und Protector Böhmens verehrten und nicht Method. 


1) Haec est fides quae paucis verbis tenenda in symbolo novellis christianis 
datur. 8. 66. » 
2) ©. 50. 


— 259 — 


Dazu gejellt fich aber noch ein jchwermwiegendes Moment. 

Das herzoglicy premyslidiſche Klofter St. Georg auf dem Hradſchin, 
welches nach jeinen ältejten Aufzeichnungen den Vater des hi. Wenzel als 
fundator primus canonicorum et matronarum hujus ecclesiae und Boleslam 
den Frommen als zweiten Zundator anführt '), gewährt ganz überrafchende 
Aufjchlüffe über diejenigen Heiligen, die von Seiten der herzoglihen Ya: 
milie verehrt wurden. Da möchte man doc vor Allem vermuthen, daß in 
den Calendarien, welche handichriftlich auf ung famen, in den Codices, die ſich 
auf die Aebtiſſin Kunigundis, 7 1321, die Tochter Ottafars II. beziehen, 
irgend eine Andeutung in Betreff Methods und Eyrills, namentlich in Betreff 
der Taufe Bokivoys durch Method vorfomme. Die Hl. Ludmilla nnd ihre 
translatio ift erwähnt, der hl. Wenzel, Adalbert und Profop. Erjt ganz 
jpät hat eine Hand des XVI. Jahrhundertes mit unverfennbaren Zügen 
diefer Zeit und einer ganz anderen Tinte Cyrill und Method hineingekickft. 
Mit den unverfennbaren alten und gleichmäßigen Zigen der früheren Jahr- 
hunderte finden fich aber im Calendar, ſowie in den älteren Litanien fait 
alle Heiligen aufgezeichnet, die fich an dem großen Mifjionswerfe des 
VII. und IX. Jahrhunderts, ja auch noch der früheren Zeit betheiligt, au 
ihrer Spite S. Emeranus episcopus et martyr, Sanctus Bonifacius 
und zwar Zepter einmal für fich und ein zweitesmal mit feinen won den 
Frieſen erjchlagenen Gefährten. Noch mehr. Er folgt in den Litaneien, 
welche durch ihre große Einfachheit ihr hohes Alter beurfunden, unmittelbar 
nad den erſten Päpjten Linus, Cletus und Clemens; der hl. Emeranus 
gleih nah Sixtus, Cornelius, Eyprianus und Blafius, und das ihm ge: 
widmete Gebet war dasjelbe wie das zum hi. Clemens, deſſen Cultus un— 
abhängig von Eyrill oder Method dajteht, und auch der fpätefte 
unter den Codices S. Georgii enthält noch die ganze Oratio an ihn und die 
Worte, die er fterbend geäußert.?) Es ijt merkwürdig, daß noch Niemand auf: 
merfjam machte, welch eigenthümlicher Eindrud hervorgerufen wird, wenn am 
Grabe der hl. Ludmilla, die auf Befehl ihrer Schwiegertochter Drahomira 
ihr Leben verlor, Jahr fir Jahr und Tag für Tag der ganze Verein 
deutjcher Heiliger angerufen wurde, Martin von Tours und Got- 
hart von Altaich, Willibald von Eidhjjtätt, Kilian von Würzburg, 
Magnus von Füßen, Corbinian von Freifing, der Biſchof und Märty- 
rer Emmeran von Negensburg, Bonifatius ohnehin, Wolfgang 
von Regensburg und Birmin (episcopus et confessor), der Freund und 


1) Cod. Univ Prag. XII. D. und XII G. 2%0. 


2) De. 5. Emerano oratio et de S. Clemente. 
17° 


— 260 — 


Meifter Wynfriths, Willibrot der Apoftel der Frieſen, die Aebte 
Othmar und Eolumban, Gangolf, deſſen Andenken in der Twr, 
der ſlaviſchen Vorſtadt Bambergs (der Turſtadt), noch heutigen Tags ver— 
ehrt wird, und St. Valentin, Ulrich der Biſchof von Augsburg und 
St. Goar von Cöln, Rupert von Salzburg, St. Gallus und die 
hl. Afra von Augsburg wie die alemanniſche Odilia und Walpur— 
gis von Eichſtätt. In dem einen Codex, deſſen Anfang in das XII. Jahr— 
hundert reicht, fanden ſich zu den erjten 9 Pjalmen altdeutſche Gloſſen 
von zierlicher, ich möchte glauben, weiblicher Hand!) 

Es find bier zwei chrijtliche Weltalter miteinander verfnüpft, das 
urchriftliche apoftoliiche mit Kirchenvätern und den ältejten Ordensjtiftern 
der gemeinjamen Kirche, und die germaniſch chriſtliche Welt, 
die fih auf flavischem Grund und Boden wiedergefunden hat und ſich 
ebenbürtig an die erjte anreiht. Da ift fein Platz für die beiden Griechen 
aus Theſſalonike und wenn fie nichtsdejtoweniger hineingefchrieben wurden, 
jo ift das ein aufdringlicyer Verjuch, eine ungeeignete Störung durch eine 
Hand, die ſich nicht einmal die Mühe gab, die Schrift der früheren Jahr— 
hunderte nachzuahmen und durch ihre dreijte Plumpheit auffällt. Alles trägt 
den vollen Stempel des Steges deutjcher Bemühungen, die Tichechen dem 


1) Cod. Univ. Prag. XIII. E. 14. d. siner märter öve von sinen 
membr. mit Miniaturen. Saec. XIV. svnden bechöre. 
Psalterium 8. Domine Deus noster 

1. Beatus vir. daz dir niht gevverre an 
Disen salm David tihte dinen wertlichen eren 
damit er daz goth dienst rihte- noh dhein vnlivot so 

2. Quare fremuerunt gentes. sprich die dri salm 
Den sali sprich vber röbaere taegelichen 
und vber diebe, daz si got domine deus noster in 
vervvandele. te speravi. 

3. Beati sunt. Confitebor tih domine 
Diesen salim sprich ob dir In domino confide 
iemen mit gewalte dingvt nöme, So dy dih niderlegest 

4. Cum invocarem. so sprich domine quot 
Disen salm sprich so diu multiplicati, 
den nıvven mänen sehest. Confitebor (p. 14) 

5. Verba tua Einem geweltigen manne 
disen salm sprich dn selen. din wäsch heiles iü 

6. Domine ne in furore eren mit disem salme. 
den sprich den siechen. In domino confido (p. 20) 

7. Domine Deus meus Den sprich umbe die 
den sprich dinem wertlichen sele daz si got des 


friont daz in got dvrh helle — wizzes vberhöre. 


— 3% — 


erblichen Irrthum der Abgdtterei zu entreißen. Es ift der Sieg des Kreuzes, 
wie er ſich im neunten und zehnten Jahrhunderte durch die geiftigen Er- 
oberungen der kurz vorher nocd als ungezähmt bezeichneten Germanen 
herausjtellte, ein glorreiches Denkmal der älteren deutichen Gejchichte und 
die freudigite Anerkennung EISSRUNIR, von Gejchlecht zu Geſchlecht fort: 
gefegter Wirkſamkeit. 

Wir müſſen, ehe wir zum Schluffe gelangen, noch einer Thatjache 
gedenken. 

Die Handſchriften, welche man bisher nicht zu befragen pflegte, 
liefern noch einen indirecten Beweis. P. Alexander II. (1061—1073), 
der Vorgänger P. Gregors VIL, unterftellte die herzogliche Collegialkirche 
des Wiljehrads, auf dem Hügel an der rechten Moldaufeite, ehe fie nad) 
Prag einlenft, dem Schuge des hl. Petrus, Sie wird bei diejer Gele- 
genheit bezeichnet als sacrosancta ecelesia, als totius provinciae caput, 
als metropolis Bohemiae, al$ omnium terrae illius civitatum quasi 
mater et domina. Bon einer mit jo großen Prädicaten ausgerifteten 
Kirche jollte man doch vermuthen, daß ſie Traditionen zu bewahren wußte 
und welchen Nachdruck verlieh nicht ein von ihr ftammendes Zeugniß für 
Methodius! Nun befigen wir unter den Eymelien der Prager Univerjitäts- 
bibliothef den berühmten Wyſchehrader Coder, ein Perikopenbuch, das 
von Herzog Sobiejlav um 1131 der jacrojancten Kirche, der Metropole, 
gejchenft wurde und fich durch eigenthümliche Miniaturen auszeichnet, von 
welchen ich aber auch eine ganz ähnliche in einem oder von St. Georg 
fand. Zu den Eon: und jejttäglichen Evangelien gejellte ſich dajelbjt 
auch das in nativitate S. Wenceslai zu gebrauchende und daneben von 
allen Heiligen nur Einer, der Hl. Martin von Zours, Wpoftel 
der Gallofranken und hochverehrt von den Karolingern. Es findet ſich auch 
hier, wie in den Calendarien von St. Georg von Method feine Spur! Wohl 
aber bejigt der Wiſſehrad von alten Zeiten her eine nody im Gebrauche 
jtehende St. Martinsfirche. Der Weiten, wie der Oſten Deutfchlands 
und nicht der Orient wiejen Böhmen feine firchlide Stellung an. „Wir 
finden in den ältejten Zeiten und jo hoc, hinauf unfere Quellen veichen, 
in Böhmen, in der böhmischen Kirche nur die m Deutſchland üblichen 
rituellen Formen reprodueirt," wie Dr. Hecht in der Einleitung zum 
Prager Homiliar unmwiverlegt nachgewiefen hat. Wie wäre diefes denkbar, 
wenn Method wirklich der eigentliche Begründer des Chrijtenthums in 
Böhmen gewejen wäre? Wie hätte dann fein Andenken für ein halbes 
Jahrtauſend abhanden kommen können? 


— 262 — 


S 7. Der methodifhe Betrug. 


Dem „Durchechter der Ehrijtenheit”, wie man 8. Karl IV. nannte, 
da er Alles veränderte, überallhin jeine Neuerungen trug, dem großen 
Sammler von Reliquien, unter denen ſich auc die Ruthe Aarons und der 
Stein befanden, von dem der Verſucher verlangte, daß er in Brod umge: 
wandelt werde, dem königlichen Verfaſſer von Homilien war es vorbehalten, 
der Welt mitzutheilen, „daß der hl. Hieronymus die hl. Schrift aus dem 
Hebräiichen in das Latein und in das Slavonijche überjeßt habe, 
woraus dann das Idiom des Künigreihs Böhmen vorzugsweiſe jeinen 
Urjprung genommen.” Und als er nun das Klojter Emaus für den Eultus 
in der jlavischen Sprache aus Ehrerbietung für den hl. Hieronymus neu 
begründete, bezeichnete er am 21. Nov. 1347 die jungfräuliche Mutter des 
Herrn, Hieronymus, Cirullus, Methudius, Adalbert und Procopius 
als Patrone von Böemen.) Am 15. Nov. 1350 aber gibt er noch eine 
Erläuterung, da er jagt, daß das Bencdictinerffojter Emaus oder, wie er 
fih ausdrückt, wonasterium sancti Jeronymi Slavorum ordinis S. Bene- 
dieti nove fun ationis nostre mit dem Namen des heiligen Hieronymus 
und der anderen Patrone, nämlidy Procopius, Adalbertus, Eirullus und 
Methudius geziert war. ?) 

Es war diejes in der vorherrjchend flavischen Periode Karls, in 
welcher er nody „von der Süßigfeit und Anmuth der flaviichen Sprache?) 
wie beranjcht erſcheint.“ Man möchte glauben, er habe jelbjt Eirullus 
und Methudius für Slaven gehalten. 

Es war wirklich ein etwas jeltfames Unternehmen, nachdem Böhmen 
ein halbes Jahrtauſend nichts davon gewußt, daß Eyrill und Methud das 
Ehrijtenihum dafelbjt begründet hätten und ſie die Apojtel Böhmens geweſen 
jeien, mit einem Male mit diejer Kunde hervorzutreten, ein eigenes Officium 
für die Feier ihres Gedächtniſſes zu veranjtalten und damit mit einem 
Schlage das Andenfen an jene verdienjtvollen Männer zu befeitigen, deren 
bisher unbejtrittenes VBerdienft es war, Böhmen der Nacht des Heidenthums 
entrijfen zu haben. Man mußte jich daher um hiſtoriſche Beweife umfehen, 
um der Zeit Har zu machen, warum man jo lange jich um die neuentdedten 
Apoſtel nicht gefümmert habe, und dann blieb noch immer übrig, den 
fühnen Sprung zu wagen und aus ihnen, deren Wirkfamkeit doch notoriſch 


1) Belzel, Urkb. n. 83, 

2) Quorum vocabulo exstitit insignitum. Pelzel, Urfb. 94. 

3) Natalis linguae dulci et suavi mansuetudine heißt es im Schreiben aus 
Eiſenach. 18. Fan, 1349. 1. c. n. 90. 


_ 203 — 


jenem Mähren zugewandt war, das fie 500 Jahre vergeffen hatte, 
Apoftel der Böhmen und dann Patrone von Böhmen zu machen. War 
das Erfte gelungen, jo ergab jich das Zweite von ſelbſt. Das Officium 
jorgte für beives. 

Durchgehen wir die hiftoriiche Auseinanderfegung, wie fie in den 
8 Lectionen des Officiums vor ung liegt. Ich lege die für Sct. Georg 
bejtimmte Neinjchrift zu Grunde. ?) 


Man kann den Grad der Glaubwürdigkeit des Officiums, mit 
welchem für weitere 500 Jahre Cyrill und Methud als Apoſtel von 
Böhmen eingeführt wurden, gleich aus dem Eingange erkennen, der die 
beiden Brüder, die in Salonichi wurzelten, aus dem griechiſchen Alexan— 
dria abjtanımen läßt. Dies wird bereits bei der Vesper (dem Tag vor 
dem Fejte) mit großem Jubel verfündet und mit diefer Unmwahrheit die 
nachfolgende noch größere eingeführt. Dann wird im erjten Nocturn im 
einem Athemzuge erzählt, PB. Nicolaus habe beide mit dem Körper des 
hl. Clemens empfangen — es war aber Adrian II. — und habe Eyrill (der 
Name Konjtantinos kommt nicht vor) auf fein Erzbisthum Verzicht gelcijtet, 
was wieder nicht wahr ift, dann fer ihm fein Bruder im Erzbisthum 
Welegrad, das gar nicht erijtirte, nachgefolgt und genau genommen, ſei er 
ihm ſubſtituirt worden, und beeilt fich die Antiphone zu erwähnen, Method 
jei vom Könige Swatopluf freundlichjt aufgenommen, Habe bei ciner 
Mahlzeit den Herzog Bortiwoy mit 30 der Seinen getauft, dann gelehrt 
und ihm Prieſter zur Bekehrung feines Volfes gegeben. 

Daß die Taufe nicht nach einem FFejtgelage, fordern nur zu be— 
jtimmten fejtlichen Zeiten ertheilt wurde, auch die Täuflinge nicht erjt 
getauft und dann unterrichtet wurden, auch Methud erjt Geiitliche haben 
mußte, ehe er fie abjenden konnte, und zwar doch wohl zuerjt nad) Pan— 
nonien und Mähren, Böhmen auch gar nicht feinen Sprengel bildete, weiß 
heutigen Tages wohl Jedermann. Der Berfafler des Officiums jegt fich 
über jolche Kleinigkeiten hivweg. Böhmen muß eben die beiden Brüder 
aus Alerandria zu feinen Apojteln gehabt haben. In der erjten Lection 
wird nun „aus den Gejchichten jehr vieler Heiligen und verjchiedenen 
Chroniken“ dargethan, daß die Brüder aus dem griechiichen Alerandrien 
und aus Sclavonien nad Mähren famen als Pilger und einfache Geift- 
liche, worauf fie den hHeidnifchen König Smwatopluf und das ganze 
Volk tauften. Swatopluf aber jorgte nicht blos, daß in feiner Haupt: 


1) Cod. membr. S. Georgii XIII. E. 4. a. Wie ich höre, enthält auch ein Wittin- 
gauer Coder Saec. XIV. diefes Officium. 


— 264 — 


ftadt ein Erzbisthum gegründet wurde, ſondern auch ſieben Suffragane 
in „Ungarn und Polen,“ Cyrill aber wurde erjter Erzbiichof und hielt 
nun Meilen und Gottesdienft in felavontscher Sprache. Ob die jieben 
fabelhaften Biſchöfe ihn comfecrirten oder er fie, ijt leider nicht angegeben. 
Er handelt gleich einem Bapjte, wie er es für gut findet, ohne Rückſicht 
auf das Kirchenrecht, bis ihn endlich, als er nach Rom gewallfahrt, der 
Papſt heftig tadelt. Allein Eyrill zieht einen Pjalter heraus und recht: 
fertigt ji vollfommen, bei welcher Gelegenheit man aud) erfährt, daß er 
zum Unterricht des hartnädigen Volkes Ueberjegungen aus dem Griechiſchen 
oder Lateinischen in das Slavoniiche veranftaltet habe. Natürlich haben 
Papſt und Eardinäle nichts anderes zu thun als jeiner wetjen Auseinander— 
jegung Bewunderung zu zollen (lectio II III). Man follte meinen daß 
es ſich wohl von felbjt verjtand, daß er zur Bekehrung ſich der dazu noth— 
wendigen Schriften bediente und zur Abhaltung ſlaviſcher Meſſen ſeine eigene 
Autorität nicht hinreichte. 

Die Lection V jchildert nun den frendigen Empfang des Körpers 
des hl. Clemens in Rom. Eyrill reſignirt auf das Erzbisthum zu Gunſten 
jeines Bruders, ftirbt in S. Elemente und wird dort begraben. Nun aber 
erfolgt die Hauptjache, ein „jtaunenswürdiges Wunder.” Methud erhebt mit 
Zuftimmung des Bapjtes, jedoch heimlich, den Körper feines Bruders, um 
ihn nah Mähren zu bringen; aber nad) einigen Tagereifen kann er ihn 
nicht mehr fortichaffen und nachdem Methud gefaftet und gebetet, um den 
Willen feines Bruders zu erfahren, jo erhebt der Todte feine Rechte, zeigt 
nah Rom und verlangt wieder dort begraben zu werden, worauf wieder 
Papſt und Clerus entgegengehen und die Leiche in der früheren Begräbniß— 
jtätte beijegen. Methud aber wird von Swatopluf feierlih empfangen 
und in feine Kirche geführt, verkündet bei dem Gajtmahle den unter 
dem Tiſche ſitzenden Boriwoj die nachfolgende Größe Böhmens, das alle 
Havischen Könige übertreffen werde, wie es auch bis zum heutigen 
Tage fi erfüllte, — ein Beweis der jpäten Abfaffung diefer Legende 
— worauf der Herzog mit 30 der Seinen ſich taufen läßt und nad) Hauje 
gekehrt dafür jorgt, daß jeine Gemahlin, die hl. Ludmilla, und das ganze 
Volk der Böhmen getauft werden. Nicht blos daß Eyrill und Methud 
die Befehrer fait des ganzen ſlaviſchen Volfes wurden, waren jie 
vorzugsweije die Apostel des böhmischen und mährijchen Volkes. 

Es gehört nun zum Ganzen, daß, nachdem in Nom Eyrill die Aus- 
übung feiner Neuerungen zugejtanden worden, er auf feine Bitten zurück— 
fehrte (lectio IV.), ji dann nad) der Meeresinjel Terjon (Eherjon) und 
in die dafelbjt von Engeln erbaute Kirche begab. Dort fand er den 


— 5 — 


Körper des hl. Clemens und den Anker, mit welchem der Heilige in 
das Meer verjenft worden war. Er nahm den Körper mit fich nad) 
feiner Kirche Welegrad und blieb dort lange Zeit. Erjt da ihm 
geoffenbart worden, daß Mähren zerjtört werden wide, bringt er den 
Körper zu Papft Nicolaus nad) Rom, wo er dann in St. Elemente feine 
Ruheſtätte fand. 

Diefer Zug ift dem Offtetum ganz eigen und beweift mehr als alles 
übrige die volljtändige Unglaubwirdigfeit, da er ſich an ein Factum 
anlehnt, das wir auf das Genauejte kennen. Man jollte meinen, daß dieſe 
folofjale Lüge einer Rückkehr von Nom nad) VBelehrad, der Neife von hier 
nach der Inſel Terfon und von da wieder nach Velehrad, von Belehrad 
zum zweiten Male nach Nom auch diejenigen längſt von der allgemeinen 
Berlogenheit des Officiums hätte überzeugen müſſen, die das zu Hilfe 
gerufene stupendum miraculum noch nicht überzeugen konnte, zu welchen 
Mitteln man damals griff, um die neuen Patrone von Alerandrien md 
Slavonien an die Stelle der Deutjchen, der wahren Befehrer 
der Tſchechen, zu feßen. Und dennoch fand die Sache heutigen Tages 
Slauben und ſah man in der erften Hälfte des XIV. Yahrhundertes 
über die jo wichtige Frage der Befehrung Böhmens flarer ala — im XIX, 
das zu der abenteuerlichen Darjtellung eines Unbekannten, vielleicht Kaiſer 
Karls IV. ſelbſt, wahrjcheinlicher eines Welehraders, zurückkehrte. Mag 
damals das Gaude Velegrad et tota gens Bohemorum de adventu istorum 
praesulum Beatorum Cyrilli et Methodii, a Deo tibi concessis de Ale- 
xandria progenitis aus voller Kehle ertönt haben; nur fehre jegt die Fabel 
vom Erzbisthum Welehrad nicht wieder, da die Thatfache, daß Method feinen 
beftimmten Sit hatte, er Erzbifhof von Mähren und PBannonien, aber 
nicht von „Velegrad“ war, unwiderleglich iſt, auf dem Zeugniſſe der 
Päpfte beruht. Laſſen wir damals in wunderbarjter Weife die ſlaviſchen 
Völker befehrt werden, ja troß ihrer ausgejprocdyenen Hartnädigfeit im 
Fluge, mit dem Handumdrehen, nad der Mahlzeit — nicht nur inter 
poeula! Man hatte Eile. Weniger Eyrill und Methud, als der Verfafjer 
des Officiums, der die Seinigen zur witrdigen Feier des Feſtes der Apojtel 
der Böhmen auffordert, nachdem diefelbe, wie es heißt, jo lange Zeit 
vernahläfjigt worden war. „Verehren wir diefe glorreichen Fürjten 
(prineipes, mit der Nebenbedentung der Urheber, Anfänger, Begründer) 
und unfere Patrone, Eyrill und Methud, die ſieben Suffragane 
unter fich hatten, ihren Sig in Welehrad zum Heile ſchmückten und die 
Upojtel und Bekehrer jenes Volkes (dev Mährer) und unjere (Apojtel 
und Befehrer) waren." Dazu die oratio: piissime Deus, 


— 266 — 


Alſo nicht genug, daß Methud, der nachweisbar nie ſeinen Fuß nach 
Böhmen ſetzte, Urheber des Chriſtenthums und Bekehrer Böhmens war, 
auch Cyrill muß es geweſen ſein! Beide hatten nicht weniger als ſieben 
Suffragane unter ſich — der einzige, den Methud hatte, Wiching, machte 
ihm bekanntlich ſchon mehr als genug zu ſchaffen. Nicht blos Methud, 
auch Cyrill hatte ſeinen Sitz in Welehrad, wie man jetzt 500 Jahre nach 
ihnen herausbrachte, und ſie waren die Apoſtel von Mähren und Böh— 
men; ein Gewebe von trivialen Unwährheiten, mit denen der Autor ſich 
und leider auch Andere belog. | 

Die Angabe von den jieben Suffraganbisthümern hat jedoch eine 
komiſche Seite. Cie jcheint auf einer Verwechslung aus jener Bulle 
P. Eugens 824—7 an die Suffragane des Erzbischofs Urolf von Laureacum') 
zu beruhen, im welcher gejagt tt, daß es in der Zeit der Römer und 
Gepiden jieben Bisthümer (septem episceporum parochiae) gegeben 
habe! Unter den angeführten Suffraganen gab es aber auch einen Me— 
thodius, Bilchof von Speeulum Julium. Da lag es für eine ſo kritiſch 
angelegte Natur, wie der Verfaſſer des Officiums war, fehr nahe, nicht blos 
aus den ſieben Kirdyen der Gepidenzeit fieben ſlaviſche Suffragane 
Eyrills und Merhods zu machen, jondern auch jenen Methodius mit 
dem von Thejfalonife zu verwechſeln. 

Die Rolle, welche 8. Karl dem Hl. Hieronymus zuerfannte, gibt 
auch einen Anhaltspunkt in Bezug auf einen anderen blühenden Unſinn, 
die beiden Elavenapoftel zu Wlerandriner zu machen. Bekanntlich über: 
feste Biichor Johaun von Olmüg, bis 1374 Karls Kanzler, das Leben 
des Hieronymus in das Deutiche, eine Schrift, die große Verbreitung 
fand,?) und in der Eyrill, Biſchof von Alerandrien, eine hervorragende 
Rolle spielt. Die Briefe Auguftiis au Cyrill, Eyrills an Augujtin wurden 
gleichfalls von Bischof Johann in das Deutjche überjegt. Was war na— 
türlicher, als wenn von Cyrill die Rede war, an Mlerandrien zu denken! 
Wenn man für das IX. Jahrhundert ein Ungarn und Polen conftruirte, 
jieben gepidiſch römische Bisthümer zu Suffragane Eyrills machte, darf 
man ji) nicht wundern, wenn der Anonymus Cyrill und Methud zu 
Ulerandrinern jtempelte, da e8 dort einen Eyrill gegeben! 

An der ganzen hiftorischen Behauptung ijt nur das Eine wahr, daß 
die Feier diefer Slavenapoftel in Böhmen fo lange Zeit vernachläfjigt 


1) Erben, Reg. n. 21. 

2) Dr. A. Benedict hat ſich durch Herausgabe und Gommentirung des Lebens 
de3 bl. Hieronymus ein großes Werdienft erworben. Bilhof Johann widmete 
es der Schwägerin R. Karls, der Markgräfin Johanna von Mähren. 


— 267 — 


war, d. h. nicht ſtattgefunden hatte, bis der Mythus fertig geworden 
war. Sie war nicht das einzige Märchen, mit welchem das erfindungs— 
reiche XIV. Jahrhundert, das Novellenzeitalter, feine Zeitgenofjen beglüctte.") 


Dean fieht deutlich den Grund des Irrthums; man ſchob das näher- 
gelegene Böhmen ftatt Pannoniens ein und die Legende von der Taufe 
Botivoys vermittelte dabei den Mebergang. Mähren erhielt zu feinem 
Antheil das Erzbisthum Welehrad, Böhmen Eyrill und Method als Heiden- 
befehrer, Pannonien fiel bei dem Ausgleiche durch und Regensburg nicht 
minder. Die Zabel war fertig und an dankbarem Publicum fehlte es nicht. 


1) Ich theile bier das Wichtigfte aus dem Offictum mit: 

Officium. Ss. Cyrillo et Methudio. Ad Vesperas. 

Adest dies gloriosa Pontificum beatorum Cyrilli et Methudii germanorum 
de Alexandria Graeciae genitorum. 

Resp. Gaude Welegrad et tota gens Bohemorum de adventu istorum 
praesulum BB. C. et. M. a Deo Tibi concessis de Alexandria Graeciae 
progenitis laudaque Deum in excelsis. Hymnus. 

Festa celebria pandit ecclesia in vocis juhilo duleis simphoniae ve- 
hitque ad regnum Christus sempiternum Cyrillum cum Methudio. 

Digne fert homini duleis memoria in Christum dominum quem tune 
Moravia credidit laetanter cum fide constanter haec probant luminaria. 

Adsint coelicolis inclita gaudia et nostris incolis festa celebria quorum 
simphoniis se pia tota societ plebs in Bohemia. 

Clemens obsegiis talibus affore dignetur dominus clementi amore 
in fide strenuos nos suos servulos servans per cuncta saecula. 

Ad Magnificat antiphone. Quibus Papa Nicolaus cum clero et populo 
Romano occurrit et corpus.St. Clementis Romam cum ipsis adduxit in- 
dulgentiasque magnas omnibus adsistentibus dunavit et Deum cum omni- 
bus ob adventum tanti thesauri laudavit. 

Invitator. Sonora voce et mentis jubilo iubilemus altissimo in sanc- 
torum C. et. M. nostrorum patronorum natalitio. 


In primo nocturno antiph. 

Papa Nicolaus corpus allatum S. Clementis Romam in ecclesiam intulit 
dudum in honorem ipsius constructam et honorifice sepelivit. — Ibique 
B. Cyrillus Archipraesulatui cedens monachum se fieri obtinuit etineodem 
loco datis miraculis vitam finivit. — Cui frater suus 8. Methudius in sede 
Welegrad substituitur remuneratusque a Papa multis gratiis ad sedem 
praedictam remittitur. — Beatus vir Methudius de Roma remeans a Rege 
Suatopluck et sua gente gratulanter suscipitur et eis laetitia magna ex 
adventu suo cumulatur. — Iste Beatus ducem Bohemorum Borzovium in 
quodam convivio Regis Suatopluck convertit et cum triginta suis bapti- 
zavit. et de fide catholica edocuit. — Sacerdotesque eis adjunxit qui gen- 
tem suam in Bohemia regnantem (degentem) ad fidem Christi eonverterent 
et ad baptismi gratiam perducerent. 


— 268 — 


Mir ijt eine dreiftere Fälfhung der Gejchichte nicht vorgefommen. 
Aber es ijt eine merfwürdige pſychologiſche Erjcheinung, daß fich nichts 
rajcher verbreitet, als — eine tüchtige Unwahrheit; nichts wird leichter 
geglaubt, an nichts beharrlicher feſtgehalten. Nichts bricht ſich ſchwerer Bahn, 
als die Wahrheit im Kampfe mit einem inveterirten, landläufigen und lieb: 
gewordenen Irrthume. 


Lectio (I) Quemadmodum ex historiis plurimorum Sanctorum et ex 
chronieis diversis colligitur, B. Cyrillus et Methudius fratres germani de 
Alexandria Graeciae et Sclavonia venerunt ad terram Moraviae Domino 
Deo concedente ad salutem gentis illius in forma peregrinorum ac sacer- 
dotali gradu sine titulo insigniti. Quibus Rex Suatopluck terrae Moraviae 
paganico ritui deditus cum gente sua occurrit et revereuter eos suscepit 
qui tandem gratia Dei largiente ipsum cum tota gente sua ad fidem 
Christi converterunt et ad baptismi gratiam perduxerunt. 

Resp. Cum B. Cyrillus Papae et Cardinalibus esset delatus quod in 
Sclavica lingua missas et divina officia decantaret, multum de hoe est 
per eos reprehensus, Versus. Sed ille Davidicis et Apostolicis autorita- 
tibus se digne excusarit. 

Lectio (IL) Qui Suatopluck Rex procuravit pro augmento fidei chris- 
tianum sedem Archiepiscopatus in Welegrad Ecclesia quam idem fieri 
ordinaverat et ubi sedes regni sui erat, et septem episcopi suff- 
raganei sub ipsa sede ordinati in Polonia et in Ungaria fuere. 
Sm. quoque Cyrillam in Archipraesulem obtinuit ordinari, cui mag- 
nifice B. Cyrillus praesidens multos in fide Christi roboravit et per ejus 
sanctam doctrinam multorum animae ad coelum transierunt. Resp. Cujus 
rationibus Papa cum collegio Cardinalium sibi assistente acquievit. Et 
ut slavice in partibus suis missa et divina cantarentur approbavit. Vers. 
Quodque in partibus Scelavonieis ad haec tempora observatur. 

Lectio (III.) Et cum B. Cyrillus missas et divina officia sclavonice de- 
cantaret et Romam causa orationis venisset, delatus fuit summo Pontifiei 
et dominis Cardinalibus quod in lingua prohibita hoc faceret contra 
St. patrum instituta. Propter quod vocatus fuit ad D. Papam, qui veniens 
suo se conspectui praesentavit causam suae vocationis requirens. Quem 
D. Papa cum indignatione magna reprehendit cur in lingua vetita missas 
et divina offieia praesumeret celebrare illo humiliter satisfaciente et eos 
volens mitigare arrepto psalterio versum Psalmigraphi in medio recitavit 
videlicet: omnis spiritus laudet dominum et ait cur patres electi prohi- 
betis missarum solemnia derantare in lingua sua sclavonica et verba 
graeca seu latina transferre in Selavoniea: nam nisi hoc facerem nullo 
modo pos:sem genti per me conversae subvenire quia gens durae cer- 
vicis est et idiota et ignara viarum Dei. Solum hoc salutare eis reperi 
Deo inspirante per quod multos illie acquisivi. Qua propter ignoscite mihi 
patıes et domini mei. Resp. Omnes qui aderant sunt admirati S. Spiritus 
dona tanta ei donata qui tot et tantis autoritatibus eis superesset! 
Vers. Quibus per eum vieti acquievere. 


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Wir haben zum Schluffe noch einen wichtigen Punkt zu berühren. 
Es wird ausdrücklich erwähnt, daß ſich Methode Schüler nach feinem 
Tode überall hin (rzavraxgov) zerjtreuten — daß fie auch nad Böhmen 
famen, ift unzweifelhaft — nicht minder, daß die Glagoliza — die von 
Cyrill erfundene Schrift — hier geübt und zweifelsohne auch gelehrt 


Lectio IV. Siquidem et B. Paulus Apostolus inquit, loqui diversis lin- 
guis nolite prohibere. At illi hoc audientes admirantes tantam viri Dei 
fiduciam et meritum, autoritate sua statuunt et confirmant sclavicam 
linguam in precibus illis missarum solemnia ceterasque horas canonicas 
decantari. — Demum 8. Cyrillus ad preces suas rediens Spiritu Sancto 
edoctus ad Terssonam insulam marinam properat et mari siecato divinitus 
ecclesiam dudum per angelos ibi constructam ingreditur et corpus $. Cle- 
mentis Papae et martyris cum anchora invenit quod multa tempora fuerat 
ibi projectum. Quod reverenter recipit et illud ad ecclesiam suam We- 
legrad deportat et ibidem multo tempore retinuit. Sed in spiritu 
praevidens terrae Moraviae destructionem futuram suscepto corpore 8. Cle- 
mentis Romam illud de£ulit et Papae Nicolao nunciat quod tantum the- 
saurum Romam deferat. 

In secundo nocturno. Antiph. S. Methudius praedixit ore prophetico 
duci Borzivoi, quod si fidem Christi assumeret maior ipse et sui posteri 
linguae Slavicae fierent, Antiph. Quod ab illo tempore est verificatum 
et usque hodie impletum quia principes et reges Bohemiae majores sunt 
totius linguae Slavicae. Ant. Hoc testantur sacrae historiae et cum mul- 
torum sapientia dietatae chronicae. Antiph. Qui totius quasi Slavicae 
linguae ad fidem Christi conversores fuerunt Apostolique eorum mirifici 
extiterunt. Ant. Praecipue tamen gentis Bohemicae et Moraviae Apostoli 
fuerunt isti et ad fidem conversores Christi. Aut. Hi beatum namque Cle- 
mentem Apostolicum de Crisone insula marina sustulerunt mirificum. 

Lectio (V.) D. Papa cum clero et toto populo Romano cum ingenti 
gaudio oceurrit et illud corpus in ecclesia S. Clementis quae ante multa 
tempora fuit fabricata honorifice sepelivit. Ubi Sus. Cyrillus episcopatui 
renuncians monachum se fieri obtinuit et ibi miraculis (cor) uscans in 
Domino quievit et per D. Papam in eadem ecclesia tumulatur, cui fratrem 
suum S. Methudium substituit in locum archipraesulatus auem multis 
gratiis remunerans ad ecclesiam suam Welegrad remittit qui benedietione 
Papali recepta rogat ut fraternum corpus secum posset deferre pro aug- 
mento devotionis gentis Moraviae et fidei christianae per eos susceptae 
confirmatione. Resp. Laetare felix Cyrille qui meruisti convertere 
Regem Moraviae Suatopluck cum gente sua incredula et ad fidem Christi 
perducere. 

Lectio (VI) Cujus petitioni Papa voluit annuere Sanctus tamen Methu- 
dius clam pro tempore stetit Romae et tandem nocturno tempore ingre- 
diens ecclesiam S. Clementis corpus 8. Cyrilli oceulte recepit et secum 
illud versus Moraviam deportat et cum aliquot dietas cum eo fuisset 
tandem in loco amoeno cum eo requievit et cum ab illo loco illud vellet 


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wurde, wie die glagolitiichen Fragmente bezeugen, die ich auffand und 
Safatif commentirte und herausgab. Wir haben im Leben des hl. Wenzel, 
des Abtes Profop, um von anderen Dingen nicht zu reden, unumftößliche 


deferre, nulla ope seu oratione hoc facere potuit et abinde relevare. Resp. 
Gloriosos principes nostros Cyrillum cum Methudio digno honore vene- 
ramur qui sub se septem praesulatus habuerunt. Et Welegra- 
densis ecelesise regni Moraviae Archipraesules fuerunt. Vers. 
Nam et apostoli gentis illius extiterunt. 

Lectio (VIL.) Et cum orationibus vigiliis ac jejuniis S. Methudius in- 
sisteret petens sibi divinitus revelari utrum vellet Moraviam vel demum 
Romam deferri qui manu dextera elevata ostendit multis videntibus quod 
Romam deberet reportari. Papae hoc nunciatur qui cum clero et populo 
Romano ei occurrit et illo recepto ad ecclesiam S. Clementis illud defert 
et honorifice in eadem in tumulo in quo prius jacuerat recondit. Resp. 
Magnificemus salvatorem omnium qui meritis praesulum BB. Cyrilli et 
Methudii convertit gentem Bohemorum. 

Lectio (VIIL) Post haec veniente S. Methudio ad suam ecclesiam in 
Welegrad Rex Suatopluck cum gente sua ei occurrit et usque ad suam 
ecelesiam condueit. Qui in Christi fide subditos suos informans tandem 
in quodam convivio facto per Regem Suatopluck principibus plurimis ducem 
Borzivoi Bohemorum qui sub mensa Regis in detestationem suae per- 
fidiae locatus in convivio fuerat convertit, praedicans ei ore prophetico, 
quod si baptizaretur ipse et sui successores principes et reges majores 
omnibus principibus et regibus linguae sclavicae fierent. Quod verifice est 
impletum usque in hodiernum diem, cujus verbis dux Borzivoi consentiens 
post refectionem petiit baptizari cum suis omnibus numero triginta qui 
tune ibi secum aderant et eis baptizatis de fide Christi edoctis et sacer- 
dotibus secum receptis liberis et aliis ad propria revertitur et uxorem 
suam S. Ludmillam cum tota gente Bohemorum procurat baptizari, qui 
in fide Christi viventes post multa tempora animas Christo reddiderunt 
sancta exempla post se relinquentes suis posteris usque in hodiernum 
diem ad laudem et gloriam Deo omnipotenti cui est laus et gloria per 
infinita saecula saeculorum. Amen. 

Resp. Studio hie consumato in sanctis virtutibus et agone terminato 
coelorum agminibus fine jungit beato Sus. Praesul. 

Ad: Benedictus — antiphone. Festa veneranda ad haec tempora per 
nos neglecta digne solemnissimo oflicio Cyrilli et Methudii beatorumque 
nostrorum Apostolorum, qui gentem Bohemorum de statu damnatorum suis 
dignis operibus angelorum agminibus sociare meruerunt, quemque consor- 
tenı adjungamus et nos eorum patrocinio. 

Ad Maguificat. Gloriosos principes et patronos nostros digeno honore 
prosequimur BB. Cyrillum et Methudium qui sub se septem suffra- 
ganeos episcopos habuerunt sedemque suam salubriter ornaverunt Apo- 
stolique et conversores gentis illius et nostri fuerunt. Oratio: piis- 

. sime Deus. Somit nicht Method allein, jondern auch Eprill! 


— 271 — 


Beweiſe, daß die von Cyrill ausgegangene Bewegung an Böhmen 
nicht jpurlos vorüberging. In Betreff des Maßes und des 
Umfanges kann eine Controverje fein; feine, in Betreff des Glaubens, 
deftomehr in Betreff der Zeit, der Perſonen und ihrer Berechtigung. 
Geſetzt aber, es jei Alles irrig und unhaltbar, was wir vom Standpunfte 
objectiver Kritif gegen die Taufe Botivoys durch Method und die daraus 
gezogenen Folgerungen einwenden mußten; gejegt — und zwar, „troß des 
Schweigens aller Quellen” — Method habe Böhmen als jeine Kirchen: 
provinz wiederholt beſuchtz; gejeßt jelbit, er ſei Erzbifchof von 
Mähren: Böhmen und nicht von Mähren: Pannonien gewejen, wofür 
wir den Beweis dem Verfaſſer des Officiums überlaffen wollen — was 
wäre das Ergebniß, das Ende von Allem diefen? Daß ſich fpätejtens 
10 Jahre nach feinem Tode jämmtliche Herzoge der Böhmen dem Bifchofe 
von Regensburg als ihrem Didcefan unterwarfen und dasjenige thaten, 
was 845 bereit3 14 gethan hatten. Wir befigen feine Nachrichten, ob an 
dem herzoglichen Hofe, wenn überhaupt diefer Ausdrud jtatthaft ift, der 
ſlaviſche und nicht der lateinische Gottesdienst ftattfand. Kaum wird aber 
Jemand behaupten, daß er nad) dem Jahre 895 noch fortbeitand! Iſt es 
nun denkbar, doß eine jo große Ummandlung, ein jo allgemeiner Abfall 
von Method jtattgefunden hätte, wenn es ihm gelungen wäre, das 
tſchechiſche VoLlf zu befehren?! Ganz genau wiſſen wir aber, daß im 
Scoofe der herzoglihen Familie der Streit auf Leben und Tod 
nicht fowohl um den Ritus entbrannte, als vielmehr um die Frage, foll 
Böhmen hriftlich werden oder heidniſch bleiben?! Deutjch und 
chriſtlich waren aber damals jo viel als identiſch. 


$.8. Schluß. 


Wir fonnten bei dem Apojtel der Deutjchen hinweiſen, wie der geijtige 
Bau, den Bonifatins aufgeführt, fich allmälig zur feften Grundlage des karo— 
lingiſchen Königthums gejtaltete, wie aus dieſem jelbjt das karolingiſche Kaiſer— 
thum hervorging. Im Gegenjage hiezu gehen die Beftrebungen Eyrills 
und noch mehr Methods in dag excidium Moraviae über, in den Unter: 
gang der mährijchen Herricher, die es nicht verjtanden, die zur Aufrichtung 
eines großen ſlaviſchen Staates ihnen von Rom aus gereichte Hand zu 
ergreifen. Die Traditionen des Apoſtels der Deutjchen ermiejen fich auch 
in Betreff Böhmens in eigenthümlicher Weiſe wirkſam. Kirchlich an Deutjch- 
land gefnüpft, blieb Böhmen in enger Verbindung mit dem Kaijerreiche, als 
diefes jich unter den Sachjen erneute. Vom tributären Herzoge erhob fich 


a 


— 272 — 


unter dem Schuge des deutjchen Königs und Kaifers der Herzog zum 
Neichsvafallen, zum Könige, zum Churfürjten, zum Kaiſer, jo daß es 
noh im XVII. Jahrhunderte hieß, die römische Kaijerfrone gehöre auf 
die böhmijche! 

Man mag auch diefe Thatſache verfennen, ignoriren, ableugnen. 
Die Wahrheit iſt jedoch glücklicher Weije unabhängig von denen, die fie nicht 
erfennen wollen. Die größte Strafe diejer bejteht aber darin, einem 
wirfjamen Irrthume überlafjen zu bleiben und, im der eigenen Verblendung 
herumtappend, die ſelbſt gejchaffene Finfterniß für Licht zu erachten. 


Chrifiansthal. 
Bon Dr. 8, Schlefinger. 


Die wilden und rauhen Kämme des Iſergebirges bieten für menfch- 
lihe Anfievlungen wenig Verlockendes. Dichte Waldungen, jumpfiger 
toorboden, unwirthliches Klima hielten das an fich jchwer zugängliche 
Gebirge lange menfchenleer, und durch Jahrhunderte haujten vereinjamt 
im woildreichen Forjte die Jäger des großen Grundbefiges. Die durch 
die Granititformation bedingte wilde Zerriſſenheit und feljige Zerflüftung 
der zur Plateaubildung fich wenig neigenden Oberfläche erjchweren nod) 
heute die Anlage von Verkehrswegen, denen überdies der ‚gleichjalls durd) 
den geologischen Aufbau des Gebirges erklärte Wafjerreihthum hinderlic) 
entgegenfteht. In Folge defjen gejtaltet ich die Abfuhr des Holzes zu 
einem mühjamen Gejchäft, und finden die üppigen weiten Waldftreden in 
ihrer Unzugänglichkeit natürlichen Schug gegen übermäßige Ausbeutung. 
Neuejtens erſt, gefördert dur das rührige Streben des Iſer-Jeſchken— 
gebirgsvereing dringen Fußwanderer in größerer Zahl auf die in der 
That lohnenden Ausfichtsgipfel des Taubenhauſes, Sichhübels u. a. vor. 
An die Erzählungen von den Reiſen edelfteinjuchender Venetianer von 
ehedem vermag ich nicht zu glauben, in folange nicht ftichhältige Be: 
weiſe dafür erbracht werden. Die jogenannten Opferjteine, von denen 
einer der interefjantejten auf dem Schwarzenberge — unter dem Namen 
Zeufelsjig befannt — unmeit Chriftiansthal gelegen ift, ergeben ſich als 
nichts Anderes, denn als Gebilde der ewig fchaffenden und wieder zer- 
jtörenden Natur, 


— 273 — 


Bereinzelte ältere Anfiedelungen ſlaviſchen Urfprungs laſſen fi an 
den Paßübergängen des Iſergebirges nachweiſen. Die zahlreichen In— 
duftrieorte am Fuße und in den Thälern desjelben aber find Zeugniſſe 
deutfchen Unternehmungsgeijtes und deutscher Kraft. Glas und Tuch 
waren die Loſungsworte der hieher dringenden Vorkämpfer einer höheren 
Eultur, Die Triebfräfte der zahlreichen mit rrißendem Gefälle von? Ge- 
birge herabftürzenden Wajlerläufe, und der Holzreihthum der mächtigen 
gefchlojjenen Waldungen bildeten die natürlichen Vorbedingungen für die 
mit jugendlicher Friihe emporblühenden Induſtriezweige. Der Reichen- 
berger Tuchmacher und der Gablonzer Glashändler eroberten ſich all». 
mälig den Weltmarft. Die Xertilinduftrie breitete fih naturgemäß im 
Thalgelände aus, die Gloserzeugung aber erflomm dem billigen Holze 
nachgehend an den Rinnſalen aufwärts die höchiten Kämme des Gebirges. 
Erjt ald man begann, in den Glashütten aud) die Kohlenfeuerung in An: 
wendung zu bringen, und die Holzpreije id) vertheuerten, zogen die Glas— 
meifter allmälig wieder thalabwärts. Die alten Hütten von Friedrichs: 
walde, Neumieje, die Karlshiltte am Plattneiflügchen u. a. find in Folge 
defjen eingegangen; nur wenige, wie die von Neumelt, Wilhelmshöhe und 
Chriftiansthal ftehen noch heute im Betrieb. 

Gelegentlich eines Sommeraufenthaltes in dem freundlichen Chriftians: 
thal nahm ih Einblid in handſchriftliches Materiale über die Gejchichte 
der Tieblichen Anfiedelung. Auch die Unterfuchung Kleiner hiftorijcher Stoffe 
vermag einen gewijjen Anreiz zu bieten bejonders durch die Beziehungen 
zur lebendigen Gegenwart. Das Eleinjte Lebeweſen gewinnt an Bedeutung 
in der Erforfchung feines bejtimmten Verhältnifjes zur großen organisch 
gegliederten Natur. „Willft Du Dich am Ganzen erquiden — jo mußt 
Du das Ganze im Kleinften erbliden." Wer die Menjchengefchichte recht 
verftehen will, deſſen Auge darf nicht haften bleiben am Glanze dev Throne 
oder dem Gefunfel der meteorenhaft auftauchenden Helden der Staatskunft 
und des Schlachtfeldes, dejjen Blick darf ſich nicht ausjchließlih bannen 
lafjen in den Meachtkreis der Herricher im Reiche des Schönen und ver 
Wifjenjchaft. Auch der Hiftorifer nehme das Mikroffop zur Hand und 
forſche dem Nleinjten nad); erſt dann wird er ein echtes Bild erlangen 
von der Entwicdlung des jo unendlich fein und mannigfaltig gegliederten 
Lebens und Webens unjeres Gejchlcchtes. 

Am Fuße des Schwarzenberges (1084 Meter) im oberen Winfel 
des Zujammenfluffes der großen und Kleinen Ranınig blinkt dem von Neu- 
wieje fommenden Wanderer mitten aus dunklen Waldungen ein friſchgrüner 
Wiejenabhang entgegen, eine Eleine, weltabgejchlojjene I die Oaſe 

Mittheilungen. 25, Jahrgang. 8. Heft. 
vr 


—_ 274 — 


von Chriftiansthal (798 Meter).") Blaue NRauchjänlen Eräufeln dem 
Himmel entgegen aus dem emporragenden Schornftein der Glashütte, einer 
mächtigen Baulichfeit verwidelter Art, mit An und Zubauten mannigfacher 
Geftaltung — des allmälig angewachjenen Werkes eines Yahrhunderts, 
geichaffen von mehreren Generationen einer und derjelben Familie. In 
der geräumigen bis unter das Dad) reichenden Halle des Hauptgebäudes 
flammen drei Feueröfen, aus deren „Hafen“ die leichtgefleideten Arbeiter 
das flüſſige Glas entnehmen, um es in lange Stangen zu formen — das 
Nohglas, das alsdann an die Schleifereien und Drudereien zur Bearbeitung 
der taujenderlei Fleinen Artikel zum Verkaufe gelangt. Die ſchönſten Farben 
jpiegeln fi) im dem Stangenglas, deſſen Compofition ein alter Arbeiter 
— ein Empiriker im wahrften Sinne des Wortes — in feinem „Zabora> 
torium“ geheimnißvoll beforgt. Nach Oſt und Weit von der Dfenhalle 
greifen gleich den Armen eines Polypen lang hin fich erſtreckende hölzerne 
überdachte Gänge aus, beftimmt zum Ausziehen der hohlen Stangen, aus 
denen die Glasperlen im Wege der Hausinduftrie „geblajen” werden. In 
einem jüdlichen Anbau poltert geräufchvoll das Pochwerf, in einem nörd— 
lichen zerfleinert mit durchdringendem Gekreiſch eine Kreisſäge die auf 
einem weiten Plate aufgejpeicherten maſſigen Holzvorräthe. Wieder in 
anderen Vorbauten befinden fih Magazine und Borrathsfammern und 
endlih die Schreibjtube, von welcher aus der erfahrene Verwalter den 
Gang der Fabrication mit Umfiht und Erfolg überwacht und Soll und 
Haben verbudt. 


Die Hütte ift der Mittelpunkt aller Intereſſen des Heinen nur acht 
Nummern zählenden zur Orts: und politijchen Gemeinde Friedrichswalde, 
das über eine Stunde entfernt liegt, gehörigen Niederlaſſung. Drei Holz 
häufer an der Heinen Kamnig, von denen das tiefjt gelegene ehemals 
Mahl: und Sägemühle war, beherbergen die Hüttenarbeiter. Nordwärts 
von der Hiitte erhebt fich das aus zwei Nummern bejtehende „Derrenhaus“, 
die Schule und das gräflich Clam'ſche Förjterhaus. Freilid) eine einfache 


1) Nach der Vermeffung von 1843 ergab fi daß Flähenmaß von Chriſtians— 
thal mit 24 Joch 205" u. zw. 


SEE 1. 0 ee ae era 18 Jod 1272 RI. 
Deber Ormttb - «a see 052% 1 „ 1898. 
Male. 2 2 we ea Y:.5.. 1200 
Wege - «en een ne. — „ 12%4 „ 
Banaxreeeeeee — „ 78, 
Hutweiden. — „66, 


Be ee — „ 87 „ 


— 275 — 


Topographie. Wenn der Lehrer des Ortes den Inſtructionen für Die 
Methode der Heimatsfunde entjprechend von der Betrachtung des Stand- 
ortes feiner Schule ausgehend gewiſſe geographijche Grundbegriffe erklären 
joll, jo dürfte er manchmal in gelinde Verzweiflung gerathen — gerade 
aus dem entgegengejegten Grunde wie der Lehrer der Großjtadt, von 
defjen Kleinen Schülern ein vorgefegter Pädagog die Aufzeichnung des 
Stadtplanes verlangte. Abgejehen von den rein topographiichen Begriffen 
aber ift der Lehrer des Dörfchens noch weitaus im Vortheile gegenüber 
jeinen Fachgenoſſen in der Hauptjtadt, da er vom Schulfenfter aus Berg 
und Thal, Quelle und Bad, Wald und Wiefe, Moor und Haide, Regen 
und Nebel, Sturm und Gewitter, Felfenfturz und Lawinen u. ſ. w. feinen 
wißbegierigen Zöglingen in Natura vorführen kann. 

Das „Herrenhaus," der alte Wohnfig der „Glasmeiſter“ von Ehri- 
jtiansthal, ijt ein eigenthümliches Gebäude. Mit feinen vielen Eden und 
Vorjprüngen und dem in der Mitte der Dachung aufligenden Thürmchen 
jammt Uhr macht das im Blockwerk ausgeführte anjehnliche Holzgebäude 
auf den erjten Blid den Eindrud eines Jagdſchloſſes, wie man dergleichen 
öfter im Gebirge fieht. Bei näherer Betrachtung tritt allerdings der 
Charakter des behäbigen bürgerlichen Kamtlienwohnhaufes hervor. Und wie 
bei der Hütte macht man auch hier wieder die Wahrnehmung, daß das 
Ganze nicht aus einem Guß, nicht nach einem einheitlichen Plane errichtet 
worden ijt, fondern daß der jeweilige Nachfolger im Bejige vergrößerte 
und erweiterte, an-, zu- und umbaute je nach Bedürfniß und Geſchmack. 
Geſchmack mühjen übrigens die Bauherrn alle bejejjen haben; denn die 
verjchiedenen Bejtandtheile fügen fich gut zufammen, und man merft allent- 
halben das Bejtreben, das Spätere mit dem Früheren in paffender Weife 
zu verbinden. Der ältere Theil ijt offenbar der nad) Südoſten gewendete 
Bau. Zwiſchen diefen und der nac Weit gerichteten fpäteren Anlage liegt 
im erjten Stodwerfe das Heiligthum des Haujes, eine niedliche Kapelle 
mit volljtändiger Ausrüftung bis zur Orgel und dem Glodenthurm. Das 
Innere des Haufes aber heimelt uns durch jeine eigene Art von Wohn- 
lichfeit uud durch eine feltene Ausnügung des Naumes an. Wir fommen 
ung wie in einem fehr großen Schiffe vor. Große, Feine und kleinſte 
Kajüten mit jihtbarem Gebälfe an den niedrigen Deden und zahlreichen 
winzigen Fenftern, Schmale Gänge, enge Treppen verknüpfen fich in ſinn— 
reicher Weije vom Erdgefchoße bis unter das Dad) hinauf. Und all die 
Näume und Räumchen findet man wohl eingerichtet mit älteren Möbeln 
und alterthümlichem Hausgeräthe, wie ſie die Vorfahren brnügen. Ver: 
blichene_Bilvder an den Wänden, darunter Familienporträts Funitvoller Art 

18* 
FF 


— 2776 — 


erinnern an ein verflojjenes Jahrhundert, und in der nicht fehlenden Heinen 
Bibliothek erfreuen Dich neben uufern Claffifern die Albums, Zeitfchriften 
und Lejeromane vergangener Zeiten. Der gegenwärtige Eigenthümer, der 
jeit einigen Jahren thalabwärts feinen Wohnjig anfgejchlagen hat, bewahrt 
in pietätsvollem Sinne das Stammhaus jeiner Vorfahren mit dem über- 
fommenen Geräth und Schmud in netter Ordnung und ftäter Wohnlichkeit. 
Gegenüber vom Herreuhauje und, wiewehl mit befonderer Eonfceriptiong- 
nummer verjehen, eigentlich zu diefem gehörig befindet fich die fogenannte 
„Pfarrei“, ein für den feiner Zeit bier ftiftungsgemäß waltenden fatho- 
lichen Geijtlichen errichtetes Eleines Wohnhaus. An dasjelbe jchliegen fich 
Stallungen und Schupfen an. 

Die Glaserzeugung im Iſergebirge knüpft ſich jeit einem Jahrhundert 
an den Unternehmungsgeijt des Geſchlechtes der Riedel, und die gegen: 
wärtig in zwei Hauptlinien verzweigte Familie diejes Namens beherrjcht 
mit ihren Hütten noch heute diefen Induſtriezweig. Chriftiansthal 
ift die ureigenjte Schöpfung der Riedel’ichen Arbeitskraft, und die Gefchichte 
diejer Heinen Anſiedelung von feiner Entjtehung bis auf den heutigen Tag 
ift lediglich) ein Stüd aus der Familienchronik der Niedel felbft. ') 


In das Iſergebirge famen die Riedel aus der Gegend von Böhmifch- 
Zeipa, wo befanutlich feit älterer Zeit die Glasinduftrie in befonderer Blüthe 
ſich entwidelt hatte. In Pablowig auf der Herrjchaft Neufchloß Tebte 
um das Jahr 1700 der Glashändler Johann Chriftoph Riedel. Er 
gehörte zu jener Art von Händlern, welche mit ihren ſchwer beladenen 
Karren aller Herren Länder aufjuchten, um die aus der Heimat mitge- 
brachten Waaren in einfacher Weife zu verjchleißen und Bejtellungen ent- 
gegenzunehmen. Diefe wandernden Kaufleute führten ein bejchwerliches 


1) Die nachfolgenden Daten find zum großen Theil entlehnt der Chriftiansthaler 
Hauschronik: „Ehriftianstbal und feine merkwürdigen Tage nebft beigefüster 
Abftammung der Familie Riedel, infoweit felbe befannt aus den Edhriften 
ber Vorfahren zufanmengetragen durdy Herin Carl Fo). Niedel, Befiger der 
Ölashütte in Chriftiansthal; hronologiicd geordnet von Mathias Hofjman, 
erſten Schullehrer in Chriftiausthal, im Jahre 1849." — Hofman führte die 
Chronif bis zum Fahre 1858 fort. Sein zweiter Nachfolger im Echulamte 
Joſeph Melzer trug im dasjelbe Bud die bemerfenswertben Ereiguiſſe bis 
zum Jahre 1869 ein. — Anderes handichriftliches Materiale ftellte mir in 
freundlicher Weiſe Herr Leopold Riedel, der gegenwärtige Befiger von Ehri- 
ftianstbal, zur Verfügung. — Denjelben Quellen entjtammen die Nachrichten 
über Chriftiansthal in dem trefflihen Bude P. Joſeph Reſſels „Geſchichte 
ber Kirche und Schule in Gablonz und einiger Kirchen und Schulen der Um— 
gebung mit einem Auhange über das Gablonzer Armenweſen“ (Gablonz 1879). 


— 77 — 


abenteuervolles und mitunter vecht gefährliches Leben. Die intereffante 
Autobiographie eines jolchen Slasreifenden, des Georg Franz Kreybich aus 
Steinſchönau (1662—1736) habe id) feinerzeit in diefen Blättern zur Ver- 
öffentlichung gebracht. Kreybich war es vergönnt, nad) vielen und weiten 
Fahrten in ganz Europa feinen Lebensabend in feiner Heimat bejcdhließen 
zu fönnen. ’) 

Nicht jo glücklich war fein Zeit: und engerer Fachgenoffe Johann 
Chriftoph Riedel. Von einer feiner Gejchäftsreifen Fehrte er nicht mehr 
heim. In Polen, jo verlautete es, joll er meuchlings ermordet worden 
fein. Er hinterließ drei Söhne, Johann Chriftoph, Jeremias und 
Johann Karl, Erjterer ließ ich in Vlottendorf nieder, wo er am 
10. Mai 1769 jtarb. Bon Yeremias haben jich Feine weiteren Nachrichten 
erhalten. Der dritte am 13. Auguſt 1701, wahrjcheinlich noch in Pablo: 
wig geborene Sohn Johann Karl, welcher die Glasmalerei und Ber: 
goldung erlernt, und ſich im Dorfe Falfenau auf der Herrichaft Kamnig 
angejiedelt hatte, wurde in feinem Dorfe als rechtichaffener, kluger und 
menjchenfreundlicher Mann hoch geachtet, und die Gutsherrichaft berief ihn 
am 21. Juli des Jahres 1739 zum Vertrauenspojten des Gemeinderichterg. 
Seit 1723 war er mit Anna Eltfabeth (geborne Grohmann) vermählt, 
und ein reicher Kinderjegen entjproß diefer Ehe. Nicht weniger als 19 
Nachkommen jchenfte Fran Anna Elifabeth ihrem geliebten Ehegemahl. 
Freilih war es den Eltern bejchieden, nur zwei ihrer Kinder groß zu 
ziehen, die Söhne Johann Leopold, den Gründer von Ehrijtians- 
thal, und den weit jüngeren Franz Anton. Der Bater Johann Karl 
erreichte ein hohes Alter. Im Jahre 1753 309 er mit feiner Frau und 
dem erjt 10 Jahre alten Franz Anton von Yalfenau auf die Hütte nad) 
Antoniewald, die fein Sohn Yohann Leopold in Pacht genommen hatte. 
Der Bater unterjtügte feinen Sohn im Gejchäfte, die Mutter ſtand bis 
zum Jahre 1759, in welchem fie jtarb, dem Haushalte vor. Johann Karl 
aber erlebte nocd; die Freude der Gründung von Chrijtiansthal und ver: 
brachte in demjelben feine legten Lebensjahre, bis ihn der Tod am 10, No- 
vember 1781 ereilte. ?) 

Genannter Johann Leopold iſt die hervorragendite Gejtalt un: 
jeres Heinen Gemäldes. Geboren am 22. April 1726 zu Yalfenau wurde 
er frühzeitig in der Kunft des Glasmalens und Vergoldens der gelchrige 


1) Mittheilungen VIII 220 flo. 
2) Bon Johann Karl Riedel hat fih ein eigenhändig gefchriebenes Büchelchen 
mit Recepten für Glasfarben und mit Familiennotizen erhalten. 


E 


— 273 — 


Schüler feines Vaters. Im zwanzigften Lebensjahre nahm ihn fein Vetter, 
der Glasmeijter Johann Joſef Kittel, in die altehrwürdige und berühmte 
Glashütte von Falkenau als Hittenjchreiber auf. ') Als ſolcher erwarb er 
ſich durch unermüdeten Fleiß und Eifer das vollite Vertrauen feines Meijters, 
und als diefer im Fahre 1752 die jogenannte Zenfnerhütte in Antoniewald ?) 
pacdhtete, nahm er feinen Anjtand, dem jungen Johann Leopold die Ver- 
waltung und nachher den felbjtändigen Betrieb diejer Hütte zu übertragen. 
Boll frendiger Hoffnungen begab ſich der junge Slasmeifter in Geſellſchaft 
des erfahrenen Glasmachers Johaun Joſef Dreßler auf den Schauplag 
feines neuen Wirkungskreiſes im fernen Iſergebirge. Indeß die Prüfung 
des Unglüds jollte dem Anfänger nicht erjpart bleiben, und es war be: 
deuſſam, daß er gleich im Beginne feiner Selbjtändigkeit den fchweren 
Kampf ums Dafein feunen lernte. Höchit ungünftige Zeitverhältnijfe für 
das Glasgeſchäft waren eingetreten, die Preije janfen jeden Tag, und ver 
Abſatz geftaltete fich immer ſchwieriger. Ueber eine nachhaltige Capitals: 
fraft verfügte Riedel nicht, und Vetter Kittel, der jelbjt bei der allgemeinen 
Geſchäftsſtockung fchwer litt, vermochte nicht helfend einzugreifen, jo gerne 
er es gethan hätte. Mußte doch Kittel den Betrieb in feiner eigenen Hütte 
einjtellen und diefelbe gänzlich auflaſſen.“) Raſch im Hoffen und Verzweifeln, 
faßt die Jugend ihre Entſchlüſſe. Niedel kämpfte. Aber an der Stätte 
jeiner Hoffnungen gähnte der Abgrund des gejchäftlichen Unterganges. Da 
beichloß er, um mit den Chronijten zu reden, „die Glashütte, deren Ueber: 
nahme ihm jo unendlich viel Vergnügen gewährt, und ruhige, heitere, 
jorgenfreie Tage verjprochen, die Hütte, in der er fo gerne verweilte, zu 
verlajjen und — im Stillen davon zu gehen." Hundert Schritte von der 
Hütte auf der Brüde über die Kamnig begegnete den Neijefertigen der 
erwähnte Glasmacher Dreßler. Riedel vermochte nicht dem getrenen Leidens— 
genojjen gegenüber feinen verzweifelten Entichluß zu verheimlichen. Da 
ſprach Dreßler: „Zu voreilig haben Sie nad) meiner Meinung diejen 
Ihren Entſchluß gefaßt. Wo wir feine Hilfe jehen, kann Gott noch 
helfen; auf ihn vertrauen Sie, und er wird Ihnen Mittel und Wege 
zeigen, durch welche es Ihnen möglich werden kann, ſich aus diejer trau— 
rigen Lage zu helfen.” 


1) Die ums Jahr 1530 von Paul Schürer gegründete Hütte überging 1732 in 
den Bejit des Johann Kittel aus Blottendorf, des Vaters des Johann Joſeph 
Kittel. (Bergl. Schebef Böhmens Glasinduftrie und Glashandel ©. 4 flg.) 

2) Dieje ums Jahr 17:0 von Eliad Zenkner erbaute Hütte war durd Kauf in 
den Befig des Grafen Defours gelangt. 

3) Schebek, Bohmens Gtlasinduftrie und Glashandel ©. 6, 


— 279 — 


Des braven Glasmachers Nede verfagte ihre Wirfung nicht. Riedel 
ſchöpfte wieder Hoffnung. Noch hatte er nicht an den Morchenjterner 
Amtsverwalter Namens Czerny, der ihm zugethan war, gedacht. Zu 
diefem eilte ev nun und fchilderte ihm aufrichtig und wahrheitsgetreu feine 
troftloje Lage, „Wohlan,“ erwiderte diefer, „wenn Sie in Ihrer Ver— 
wandtichaft feinen Freund haben, jo will ich Ihr Freund fein und Sie 
mit dem, was ich habe, unterftügen. Ich habe hier 500 fl. müßig Liegen. 
Dieje nehmen Sie von mir als ein Kleines Darlehen ohne Zinfen fo lange 
an, bis Sie bei geregelter Wirthichaft im Stande fein werden, e8 mir 
wieder zurücgeben zu können.” — Belebt von neuem Muthe ergriff 
Riedel wiederum das Steuer feines ſchon verloren gegebenen Sciffleins, 
und diesmal gelang es ihm, dasjelbe in den ficheren Hafen zu führen. Die 
allgemeine Gejchäjtslage hatte ſich wejentlich gebejjert. Der Glasmeiſter 
fonnte feine Schuld bei Czerny abtragen, und Schon im nächjten Jahre 1753 
berief er in der Freude jeines Herzens feine Eltern und feinen Bruder 
Franz Anton zu ſich in ein geordnetes und aufblühendes Geſchäft. Zu 
einer nicht unbedeutenden Erweiterung jeines Unternehmens wurde der 
jtrebfame Glasmeiſter veranlaßt duch die Stürme des jiebenjährigen 
Krieges. Die Stadt Zittau hatte 1756 ftark gelitten, und der dortige 
Slajermeifter Chrijtoph Lehnert batie Hals über Kopf zu thun, alle die 
zertrümmerten ?Fenjterjcheiben in den Häufern feiner Mitbürger wieder 
zu erfegen. Ex ſchloß mit der Antoniewalder Hütte bedeutende Lieferungs- 
verträge ab, und Riedel erzeugte nun zum erjtenmal in der Gegend, in 
welcher bis jegt nur kleine runde Scheiben fabrizirt worden waren, Fenſter— 
icheiben größeren Umfanges, wie jie Lehnert bedurfte. Durch 17 Jahre 
lang bis 1774 wurde der Glasbedarf Zittaus durch Niedel gededt.") 

Im Jahre 1759 am 1. Juli hatte Johann Leopold den Tod feiner 
Mutter zu beklagen, die feit 1753 feinem Haushalte eine treue Vorfteherin 
geweien. Der verwaijte Hausjtand drängte den nunmehr dreiunddreißig- 
jährigen Mann zur Berehelihung. In Anna Franziska geb. Erben fand 
ex eim treu liebendes Weib und eine vortrefflihe Hauswirthin. Indeſſen 
nahm das Glasgejchäft einen immer größeren Aufſchwung, und die Antonie- 
walder Hütte konnte den andrängenden Aufträgen nicht mehr genügen. 
Niedel pachtete daher 1761 die jogenannte Karlshütte?) und 1766 von 


1) Lehnert jandte an Riedel eine aus der Beichießung Zittaus ftammende Ka: 
nonenfugel, welche als Gewicht an einer feit dem Jahre 1729 in der Familie 
befindlichen Uhr verwendet wird. 

2) Die Karlshütte war im Jahre 1758 am Tinten Ufer des Plattneibadhes von 
Anton Weber aus Kreibig erbaut worden, ſchon nad drei Jahren aber an 


— 230 — 


feinem Better Johann Joſef Kittel die Hütte in Neuwieſe. In drei 
Hütten entfaltete nun der unternehmende Glasmeijter einen großartigen 
Geſchäftsbetrieb. Er jelbjt blieb in Antoniewald, jein noch rüftiger Vater 
übernahm die Verwaltung der Hütte von Neuwiefe, während dem Bruder 
Franz Anton die Leitung der Karlshütte übertragen worden war. Letzterer 
hatte fih mit einer Tochter des mehrgenannten Johann Joſef Kittel 
(Maria Anna) vermählt, und um nun diefem feinen Bruder zur Selbit- 
ftändigfeit zu verhelfen, fam Johann Leopold im Jahre 1769 für den 
Kaufſchilling von 6500 fl. auf, für welchen Johann Joſef Kittel feinem 
Scwiegerjohne das Gut FFriedrichswalde, zu welchem die Neumiefner 
Glashütte gehörte, abtrat.?) Da nun Franz Anton nad Neuwieje über- 
ftedelte, erklärte fich Vater Riedel bereit, die Zeitung der Karlshütte zu 
führen. Der jo geregelte Gejchäftsbetrieb hielt bis zum Jahre 1774 an. 

In eben dem genannten Jahre wurde Johann Leopold Riedel zu 
bedeutungsvollen Entjchliegungen gedrängt. In einer mit der Morchen— 
jterner Herrſchaft ausgebrochenen Holzitreitigkeit fonnte feine Einigung 
erzielt werden. Riedel mochte und konnte aus gejchäftlichen Rückſichten nicht 
auf entfernt liegende Holzichläge, die ihm das Forjtamt anwies, eingehen, 
zumal jchlagbare Bejtände noch in der Nähe der Hütten vorhanden waren. 
Da jowohl der Glasmeijter al8 auch der Forjtbeamte (Oberjäger Mefchayda) 
ihren Standpunkt hartnädig vertraten, Fam e8 zum Bruche, und die Herr: 
Ichaft Fündigte dem Induſtriellen ſowohl die Karlshütte, al8 auch die in 
Antoniewald. Und mit jolhem Ungeftüm vertrat die Forjtverwaltung ihre 
feindliche Haltung gegenüber der „mwäldervernichtenden" Glasinduftrie, daß 
fie die Herrſchaft zur volljtändigen Auflafjung und fofortigen Niederreißung 
der Karlshütte veranlaßte, von der heute nur noc geringe Ruinen 
fihtbar find. Riedel, noch vor Kurzem der gebietende Fabrikant in drei 
mächtig fürdernden Hütten, hatte fein Heim, feine induftriellen Werkftätten 
mit einem Sclage verloren. Doc wie jchwer er auch unter der herein- 
gebrochenen Kataftrophe litt, in jene hoffnungsloſe Ergebung, in welche 
er 152 verfallen war, gerieth er heute nicht. Er war ein gereifter Dann 
geworden, ein erfahrener Induſtrieller, er verfügte über gute Verbin: 
dungen und reichlihe Mittel, den Lohn feiner raſtloſen Thätigfeit. Der 
verhängnißvolle Holzitreit mit der Morchenfterner Herrichaft wies ihn auf 


die Herrihaft Morchenſtern (Defours) gelangt, von welder fie Riedel in 
Pacht nahnı. 

1) Die Glashütte in Neumiefe wurde 1756 von Johann Fofef Kittel erbaut. 

2) Als Franz Anton Riedel i. J. 1780 verftarb, gelangte die Hütte wieder an 
Johann Leopold (um den Kaufpreis von 1560 fl.) zurüd. 


— 3 — 


den richtigen Weg. Höher hinauf ins Gebirge, wo noch Holz in Hülle 
und Fülle, war die Loſung des ſcharfſichtigen und raſch handelnden Glas- 
meifters. An der fteinigen Kamnig aufwärts begannen die dichten Wal- 
dungen des Clam'ſchen Iſergebirges, in mitten welcher ja bereits die 
Neuwieſner Hütte fröhlich dampfte. Auch für die Karlshütte hatte Riedel 
ihon von der Clam'ſchen Herrihaft Holz bezogen und wohl hiedurch 
die Bekanntſchaft mit dem gräflichen Wirthichaftsinfpector Wenzel Johann 
Paul in NReichenberg gemacht. Dieſer bot ihm gerne die Hand zur Er- 
richtung einer jelbjtändigen Hütte auf gräflich Clam’fchen Grund — denn 
an Holz, meinte er, „haben wir feinen Mangel”. Demgemäß jchritt man 
denn, um mit dem Chroniften zu fprechen, „im Spätherbite des Jahres 
1774 unter Anrufung des Himmels um feinen Beistand zur Abhauung 
des Holzes, um einen hinreichend freien Raum für den bejtimmten Ort 
zu gewinnen, welcher von zwei Seiten von den beiden Kamnizen begrenzt 
wird und 50° 48° 30" n. Br. und 32° 53’ 45" ö. L., 3%, Stunden 
nordöftlih von Neichenberg entfernt und um 1397 parifer Fuß höher als 
diejes Liegt, nämlich 2483 parijer Fuß über der Meeresfläche mit der 
mittleren Barometerhöhe von 25" 3" parifer Maß, mweitliche Abweichung 
16°6°, Und im Frühjahre 1775 begann Johann Leopold Riedel unter der 
Regierung Ihrer Majejtät der römischen Kaiferin Maria Thereſia, unter 
dem Schuge des Chrijtian Philipp, des heil. röm. Neiches Grafen von 
Clam und Gallas zu Schloß Campo und Freinthurn, Heren der Herr: 
Ihaften Friedland, Reichenberg, Orafenftein, Lämberg 2e., unter dem 
Inſpectorat des Herrn Wenzel Paul, unter der Amtsverwaltung des Anton 
Nüdert und dem Oberforjtmeifter Friedrich Kranfe auf feine Unkoſten den 
Bau des Ortes, welcher nad) dem Grafen den Namen Chrijtians- 
thal erhielt." 

Die Bedingungen, unter welchen die Neugründung vor ſich gehen 
follte, waren mit der Herrjchaft vereinbart worden, und am 1. uni 1775 
ſetzten Graf Chriftian und feine Beamten einerjeits Niedel und jein 
Bruder Franz Anton (als Zeuge) andererjeitS ihre Unterfchriften unter 
den abgejchloffenen Vertrag — die Rocationsurfunde von Chrijtiansthal. 
Der Graf verleiht dem Johann Leopold Riedel ein Stück Dominicalwald 
auf der Neichenberger Herrichaft im Hinterfriedrihswalder Forjte „zwijchen 
den zweien Flöſſeln Kaminz“ von ungefähr 30 Stridy oder 45 niederöft. 
Metzen Ausjaat zum Noden — zur Erbauung und Einrichtung einer voll: 
fommenen Glashütte ſammt den dazır gehörigen Wohnungen, Stallungen, 
Schuppen und Holzplag und die erforderlie Graferei zur Erhaltung des 
nothwendigen Melfviehs. Er genehmigt den vorgelegten Plan der neuen 


— 232 — 


Anlage, welche nach ihm den Namen Chriſtiansthal führen ſolle. Nebſt der 
Hütte und dem Wohnhauſe Riedels können noch zwei Arbeiterhäuſer und 
eine eingängige Mahl- und Brettmühle errichtet werden. Außer dem Mahl: 
rechte werde dem Gründer auch das freie Schlachten und Baden verliehen. 
Niedel verpflichtet fi) alle Baulichfeiten auf eigene Kojten berzuftellen und 
zu erhalten; nur das nothwendige Bauholz (das für die Mühle ausge: 
nommen) wird ihm aus den berrjchaftlichen Waldungen unentgeltlich an— 
gewiefen. Ebenjo habe der Gründer die Brücke über die Kamnitz und die 
der Glashütte wegen anzulegenden Holzzufuhrwege herzurichten und in 
Stand zu halten, wozu ihm gleichfalls herrichaftliches Holz zur Verfügung 
gejtellt wird. 

Riedel erhielt feinen Beſitzſtand als Zinsgrund, über welchen die 
grundobrigkeitlichen Rechte der Herrichaft vorbehalten wurden. So wurde 
insbejondere beftimmt, daß der Verbrauch von Bier, Brauntwein und Salz 
in Chriftiansthal nur durch das Neichenberger Wirthichaftsantt zu bededen 
jei, wobei gegenüber den fiir Neuwieſe fejtgejegten Preifen noch eine Herab— 
minderung eintreten jollte. *) Bezüglich der Gebäude bedang fich die Herr: 
Ihaft das Vorfaufsrecht aus. An jährlichen in zwei Raten zu zahlenden 
Zinſungen, für deren pünftliche Entrichtung Riedel mit jeinem Vermögen 
und Baulichkeiten haftete, wurden vereinbart: 


Grund» und Hüttenzins . 2. 2 nenne. 7 fl. 30 kr. 
Mahle und Brettmühlzins . » .» . 2.2... x 4.0; 
REHRNANB: Re | DREH 
Bon zwei abjeitigen Wohnhäufeln à 22, fr. .— „4 „ 


Kühe im Walde auf den vom Forftamte angewiejenen Plägen zu 
weiden, wurde jowohl dem Hüttenmeijter, wie dem Müller gejtattet und 
zwar gegen einen jährlichen „Hütungszins“ von 30 fr. von einem Rind. 

Bon Wichtigkeit waren die Beſtimmungen über den Bezug des Holzes, 
des Lebenselementes der damaligen Glaserzeugung. Die günjtig gelegenen 
Waldbeſtände zwijchen den beiden Kamnigen einerjeits und jene am Schwar— 
zeuberg bis an die Vogelberge andererjeits, follten für je die Hälfte des 
Bedarfes als Bezugsquelle dienen. Und zwar jollte der Hüttenmeijter fiir 








1) Das Faß Bier für Chriftiansthal wurde um 1 fl. billiger al3 für Neumiefe 
und um 2 fl. billiger als für die Landichenker vom Bräuhaus geliefert: Den 
Brauntwein hatte der Brenner per Seidl um 1 fr. billiger, als er ihn jelbit 
ausſchenkte, abzulaffen. Für das Faſſel Salz wurde der patentmäßige Preis 
von 7 fl. 40 Er. feftgeftellt. 


— 23 — 


jeden „zu 3 Schoden mäßigen Scheitern gerechneten Kaften” nebſt der 
Amtsaccidenz 7 Kreuzer. für das Holz aus den Kamnigbeftänden, 4 Kreuzer 
aber für das vom Schwarzenberge entrichten, und für den Spalter- und 
Zufuhrlohn auffonımen. Das Forftamt wurde angewiejen, einen gewiſſen 
Turnus in den Holzſchlägen einzuhalten, jo daß gleich in den erſten Fahren 
nicht bloß naheliegendes, ſondern auch entfernteres Gehölze zur Verwen— 
dung gelange. 

Ausdrüdlich aber behielt ſich die Herrſchaft vor, in allen des Hütten: 
holzes wegen anzulegenden Schlägen Holzmärfte abzuhalten und das 
Klöger:, Schindel-, Faß-, Siebläuft: und Zunderholz an den Meiftbietenden 
zu vergeben. Dem Hittenmeijter ſoll es unbenommen bleiben, an der Ber- 
ſteigerung ſich zu betheiligen. Strengen Bedingungen unterwarf ſich der 
Hüttenmeifter zur” Vorbeugung jeglicher Unvegelmäßigfeit oder Unterjchleifes _ 
beim Holzbezug. Er mußte jich verpflichten, die doppelten Preife zu ent: 
richten, wenn er vor der ämtlichen „Auszählung“ Holz abrüde, und eine 
Strafe von 10 Reichsthalern erlegen, wenn er aus nicht angewiefenem und 
erfauften Holz oder Abraum Zunder oder Waldajche brenne. Gar bedenf- 
ih war endlich die Klauſel, vermöge welcher der Hüttenmeifter „für alle 
in dortiger Gegend, jonderlich in feinem Holzichlag für das etwa entwen- 
dete Gehölz gut zu ftehen und dasjelbe im doppelten Werthe den Amts- 
renten ohnweigerlich zu vergüten habe”. 


Noch eine Formalität hatte unſer Riedel zu vollziehen. Er mußte 
fih aus der Unterthänigkeit der Böhmiſch-Kamnitzer Herrichaft Toszählen 
lajjen, da Graf Ehriftian den Vertrag nur mit einem „freien ehrbaren“ 
Manne abjchließen mochte. ) 

Noch im Jahre 1775 waren die VBaulichfeiten in Chrijtiansthal fo 
weit gefördert, daß Riedel, der bis dahin mit feiner Familie bei jeinem 
Bruder in Neumiefe Unterkunft gefunden hatte, im Spätherbite in fen 
neues Heim einzichen konnte. Gehobenen Gefühles mochte er die Schwelle 
des Herrenhaufes überjchreiten, der ſelbſtgeſchaffenen wirklichen Heimat, aus 
der ihn Niemand mehr verdrängen konnte. Tage unermüdlicher Arbeit 
begannen. Am Tage der heiligen drei Könige wurde unter Aurufung des 
himmlischen Beiftandes die erjte Glasſchmelze in der jungfräulichen Hütte 
eröffnet, und am 17. Jänner 1776 konnte fich der Hüttenmetjter an dem 
fertig gewordenen Erjtlingsglas von Chrijtiansthal jtolzen Herzens erfreuen. 
Bald erlangte das Ehrijtiansthaler Erzeugniß einen ausgezeichneten Ruf, 


1) Der diesbezügliche Losbrief wurde vom Fürften Franz Ulrich Kinsky am 
28. Februar 1776 gezeichnet. 


— 284 — 


und Riedel ſchaltete wieder mit Rüſtigkeit im immer weiter ſich aus— 
dehnenden Geſchäfte. Tage großer Aufregung und Beſorgniß überſtand die 
junge Anſiedlung im Sommer des Jahres 1778. Friedrich II. von Preußen 
war in Folge des baieriſchen Erbfolgeſtreites in Böhmen eingebrochen, und 
ein ſtarkes preußiſches Corps beſetzte am 11. Auguſt Reichenberg. Von hier 
drangen einzelne Abtheilungen der feindlichen Truppen bis auf die Höhen 
des Iſergebirges vor. In Neuwieſe fand am 8. September eine ſolche 
Abtheilung bewaffneten Widerſtand an öſterreichiſchen Scharfſchützen. Die 
Preußen, welche die Glasmeiſter des Gebirges in Verdacht hatten, aus 
eigenem Antrieb die Scharfſchützen herangezogen zu haben, erklärten, ſämmt— 
liche Hütten des Gebirges in Brand jteden zu wollen. In Chriftiansthal 
hatte man alle Urfache zu zittern. Riedel beherbergte überdies anfehnliche 
Gäſte aus Neichenberg, die fich zu ihm vor den Preußen geflüchtet hatten, 
unter ihnen die Familie des befreundeten Inſpectors Wenzel Paul. Der 
Himmel hatte ein Erbarmen. Ein echtes Fergebirgsregenwetter trat ein 
und verhinderte den weiteren Bormarjch der Feinde, die übrigens bald 
darauf aus Böhmen abzogen. 


Zu feiner Unterftügung hatte Riedel von allem Anfang an feinen 
weitgereiften Vetter Johann Chriftoph Riedel, der ſchon in Antoniewald in 
jeinen Dienjten ftand, nach Ehrijtiansthal als Hüttenjchreiber aufgenommen. 
Diejer bewährte fi) als waderer Arbeitsgenoffe, bejonders als Johann 
Leopold von jchwerer Krankheit ergriffen wurde, ') Im Jahre 1794 erlitt 


1) Diefer Johann Chriftof Niedel war ein Enkel jenes Johann Chriftof aus 
Pablowig, der in Polen umgelommen fein foll. Sein Pater, gleichfalls 
Fohann Chriftof, war in PBlottendorf am 10. Mai 1769 verftorben. Bon 
unferm Chriftiansthaler Hüttenichreiber hat ſich ein Tagebuchblatt, von eigener 
Hand gefchrieben, erhalten, das wir als einen Heinen Beitrag zur Geichichte 
des Lebens und der Reifen der böhmiichen Glashändler mittheilen wollen: 

„Soli Dei Gloria. 1739 den 16. Juni bin ich Johannes Ehriftof Riedel 
in PBlottendorf geboren und getaufet worden. 1751 den 2. December bin ich 
bon Haus nad) Mayland in Italien verreiiet. 1752 den 17. Januari bin ich 
in Mayland anfommen. Diejes Jahr deu 25. May bin ich in der Mayländer 
Domkirchen gefirmet worden, 1756 zum Anfang des Jahres find von Ihro 
päpft. Heiligkeit etwelche Feiertäge digpenfieret worden. 1756 den 24. Juni 
bin ih in Genova geweſt. 1758 den 4. u. 16. May bin ich in Reggio bi 
Modena gemweien. 1763 den 10. u. 24. Juni und 8. December bin ich in 
Torino gemwejen. 1764 den 2. October bin ih von Mayland abgereijet. 
Diefes Fahr den 17. November bin ich in Plottendorf anfommen. Diefes 
Fahr den 3, December bin ich in die Antoniewalder Glashütten anfommen, 
1769 den 10. May ift mein Vater geftorben und den 12, begraben worden in 
Plottendorf. 1771 den 17. Mai bin ih Johann Ehriftof beichrieben (?) worden. 


— 235 — 


diefer nimlic einen Schlaganfall, von dem er fich nicht mehr recht erholen 
fonnte. Er verjchied am 18. März 1800. Ihm im Tode vorangegangen 
waren längſt jchon fein Bruder Franz Anton, der Glasmeifter von Neu: 
wieje (F 1780, November 26.) und der hochbetagte Vater Johann Karl 
(r 1781, November 10.). 


„Es hieße die edeljte Seite im Charakter der böhmischen Glasleute 
in Schatten jtellen, würde nicht ganz bejonders ihres fittlich-veligiöfen 
Geiſtes gedacht werden. Was ihr frommer Sinn in den Gemeinden Srei- 
big, Falkenau, Langenau, Blottendorf, Steinſchönau, Bürgjtein, Haida 
u. j. w. zu kirchlichen und Wohlthätigfeitszweden gejpendet, findet fich zum 
Theil jchon in verschiedenen Schriften verzeichnet.” Für die Wahrheit 
diefer Worte Schebed3 ') fpricht denn auc die Chronif von Chriftiansthal. 
Der wahrhaft fromme Sinn des Gründers, der ſich auch auf feine Mad): 
fommen vererbte, verewigte fich in der Gründung der Chriftiansthaler 
Kapelle. In der Stiftungsurfunde fagt er: „ch Leopold Riedel ... habe 
in Erwägung gezogen, daß dem Menfchen nichts anderes als feine guten 
Werke in jene Welt nachfolgen, und daß unter denjelben wohl feine nütz— 
licheren fünnen geftiftet werden, als an welchen mehrere gottesfiirchtige 
fromme Chrijten Theil haben, und zu deren Seelenheil alle Erleichterung 
geichaffet werden kann." In feinem weltabgejchiedenen Heim, das befon- 
ders in der langen Winterszeit faſt unzugänglich war, mochte Riedel um 
jo ftärfer das Bedürfniß empfinden, zur Befriedigung des Firchlich-reli- 
giöſen Sinnes feiner felbjt, feiner Familie und feiner Arbeiter an Ort 


Diefes Jahr von Juni bis Juli war in Böhmen ein Strid Korn böhm. 
Maß vor 16 fl., dann vor 1 fr. 4 Roth Hausbrod. 1772 im Anfang ſeind 
etwelche SFeiertäg von Ihrer päpftl. Heiligkeit aufgehoben worden. 1775 den 
11. Januari bin ich auf die Neuwieſer Glashütten fommen. Dieſes Jahr den 
20. bi3 27. Martii haben die Bauern die Schlöſſer ansgeraubt. 1776 den 
15. Januar bin ich in die Ehriftiansthaler Glashütten kommen. Diefes Jahr 
den 31. Mai ift mein Bruder Anton in Plottendorf geftorben und darauf 
begraben worden den 3. Juni 1776. 1779 den 23, Martit ift meine Mutter 
Veronika geftorben und den 27. Martii begraben worden. 1793 den 24. De- 
cember ift meine Schweiter Maria Thersfia geftorben in Friedrihswald und 
den 26. December in Fohannesberg begraben worden. 1801 den 7. September 
ftarb Fobann Joſef Riedel in Zübel und den 11. September in St. Peter 
begraben worden. 1804 den 20. Juli ift mein fel Bruder Fofef geftorben in 
DOberarnsdorf und den 22. Juli in Plottendorf begraben worden. 1804 den 
13. November ift mein Bruder Franz geftorben um 11 Uhr vormittag in 
Plottendorf u. den 16. November begraben worden.” Johann Chriſtof jelbft 
ftarb am 17. Juli 1812, 
1) Böhmens Glasinduftrie und Glashandel S. LXIII. 


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und Stelle die geeigneten Einrichtungen zu Schaffen. Schon im Sommer des 
Jahres 1778 zur Zeit der Preußennoth hatte Philipp Paul, der Pfarrer 
von Einfiedel (fpäter Dechant in Reichenberg und Canonifus in Leitinerig), 
am 8., 9. und 10. Auguſt in Chrijtiansthal heilige Meſſen celebrirt und 
hierauf vom 12. Auguft bis 20. September P. Franz Schneider Gottes- 
dienst abgehalten. Nach dem Stiftsbrief vom 1. April 1780 follte auf 
Riedels Wunſch ein eigener Geijtliher unterhalten und ein Kirchlein mit 
einem Friedhof errichtet werden. Der Localcaplan erhielt jeine bejondere 
Wohnung in der gegenüber vom Herrenhauje erbauten Pfarrei und jollte 
entweder die Verköftigung beim Glasmeijter oder einen jährlichen Koſten— 
beitrag von 65 fl. genießen. Ein weiterer Geldbetrag von jährlichen 78 fl. 
wurde für drei in der Woche zu leſende Meſſen gefichert. Riedel erlegte 
zu diefem Zwecke 2500 fl. als baares Stiftungsvermögen bei der Reichen» 
berger Herrjchaft. Da aber deſſen vierpercentige Intereſſen von 100 fl. 
obige Beträge nicht dedten, fo ftellte er die fehlenden jährlichen 43 fl. auf 
feine Realitäten in Chrijtiansthal fiher. Durch diejelben Hypothefen do- 
tirte er für die Erhaltung des Kichleins ein Capital von 50 fl. und zur 
Inſtandhaltung der Kircheneinrichtung für Wein, Kerzen und dergleichen 
ein Capital von 200 fl. Graf Ehriftian beftätigte als Patron die Fromme 
Fundation am 24. Juni 1780, ergänzte diefelbe durd 4 Faß Bier und 
8 Klafter Holz im Jahre, bejtimmte die Stolataren und verpflichtete den 
Caplan auch zur Eriheilung des Schulunterrichtes gegen Entſchädigung 
jeiteng der Eltern, jo lange nicht ein eigener Schulmetiter angejtellt werde. 
Die Stiftung wurde von der firhlichen Behörde bejtätigt und in die 
Landtafel eingetragen. ') 

Zum Baue eines Kirchleins fam es nicht, wiewohl der Patron Graf 
Chrijtian Clam-Gallas am 18. Auguft 1781 den Grundjtein bereits dazu 
gelegt hatte. Dagegen wurde die heute noch bejtehende im Mitteltraft be- 
findliche Hauscapelle eingerichtet und in derjelben bereits am 3. April 1780 
von P. Anton Kreybich die Meſſe gelejen. %) Der idyllisch gelegene Fried— 
hof wurde am 24. October 1780 vom Friedländer Vicär P. Joſeph 
Schöpfer eingeweiht. Der Bruder (F 1780, Nov. 26.) und der Vater 
(f 1781, Nov. 10.) des Stifters waren die erjten, welche auf demfelben 


1) 5. leibfarbener Raufquatern der Einlagen und Fundationen A. ddo. 26, Sep— 
tember 1780 sub. lit. A. 12, 

2) Die würdige Ausftattung der Kapelle läßt fih die Familie Riedel bis heute 
angelegen fein. Das Flügelaltar (in der Mitte die 14 Notbhelfer, auf den 
Flügeln St. Wenzel und St. Veit) fam von Witlowig auf Verwenden der 
Gemalin Yeopolds R., die von Witlowig ftammte, Es diente früher als 


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ihre ewige Ruheftätte fanden. Obengenannter Kreybich, der erfte Local: 
caplan von Chriftiansthal, verblieb bis zum Jahre 1784 dafelbit. Sein 
Nachfolger der originelle „Hiüttenpater” P. Franz Starrey, ein Anver- 
wandter der Familie Riedel, ') verjah die LZocalie von 1785 bis 1795, 
war dann eine Zeit lang Pfarrer in Lufchtineß, kehrte aber 1799 auf 
jeinen geliebten. Pojten nach Chriftiansthal zuriick und harrte hier bis zu 
feinem Tode aus. (31. Jänner 1822.) 

Johann Leopold Riedel, der Gründer von Chriftiansthal, erlebte 
noch den Anbrudy des neuen Jahrhunderts. In feinem 74. Lebensjahre 
aber am 18. März 1800 jegnete er das Zeitliche und bezog die freund- 
liche Heimftätte des ewigen Friedens, die er fich felbit auf Iuftiger Höhe, 
umjäumt von dunklen Waldesgrün, gejchaffen. Er hat in jeiner Art 
Großes vollbracht und wird im der Induſtriegeſchichte unjeres Vaterlandes 
immer eine ehrenvolle Erwähnung finden müſſen. Gründliche Gejchäfts- 
fenntniß, wohl erwägender Unternehmungsgeift und raftlofe Thätigfeit 
beförderten den einfachen Hüttenjchreiber zum vornehmften Induſtriellen 
des Gebirges, auf deſſen umwirthlichen Kamme er eine blühende Oaſe 
gewerblichen Fleißes ſchuf. Ein Fräftiger Familienſinn, echt religibſe 
Gläubigkeit und ein warmes Herz für feine Arbeiter, wie für alle Be: 
dürftigen, zierten den Menſchen. In feinem Teſtamente finden wir bie 
nicht unbeträchtlichen Summen verzeichnet, die er jeinen Glasmachern vor: 
geftredt hatte. Mit diejen lebte er in einer Art patriarchaliichen Ver: 
hältnifjes, und ſeit feiner Zeit ftammt wohl die noch heute in Chriſtians— 
thal von den Arbeitern beobachtete Sitte, den Bejiger der Glashütte mit 
der vielfagenven Anfprache „Vater“ zu ehren. Nicht immer ungetrübt 
war der Himmel feines Glückes geblieben. Im erjten Beginne feiner 
jelbftändigen Laufbahn im Jahre 1752 jchmetterte den jugendlichen An- 
fänger der völlige Zuſammenbruch des eröffneten Unternehmens in der 
Zenknerhütte nieder. Er raffte ji auf, und als er mit dem Aufgebote 
der vollen Kraft feines beiten Mannesalters ein ausgedehntes blühendes 
Geſchäft gegründet hatte, entzog ihm plötzlich im Jahre 1774 ein tückiſches 


Feldaltar offenbar einem böhmischen Regimente und war während des fieben- 
jährigen Krieges in Witkowig zurüdgeblieben. Die Orgel — gebaut 1713 
von Leopold Spiegel in Prag — wurde von der Bolauner Kirche übernommen, 
Früher foll fie den Benedictinern am Böfig gehört haben. Das Gloden- 
thürmchen mit Uhr wurde am 13, Juni 1801 errichtet, 

1) Er war der Sohn des Launer Bürgers Franz Starrey. Seine Schweitern 
Eliſabeth und Magdalena waren die Frauen Antons und Karl Joſefs 
Riedel, der Söhne de3 Stifterd von Chriftiansthal, 


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Geſchick Werkſtätten und Heimat. Unverzagt ſchritt er an den Aufbau 
ſeines eigenen Heims. Er ſollte in dieſem nicht ohne letzte und ſchwerſte 
Prüfung ſeinen Lebensabend beſchließen. Im Mai des Jahres 1794 
wurde er vom Schlage gerührt, blieb gelähmt und konnte ſich nicht mehr 
erholen. Sechs lange ſchmerzensreiche Jahre ſah ſich der an unermüdliche 
Thätigkeit gewohnte Kranke zur unfreiwilligen Ruhe verurtheilt, bis ihn 
der Tod erlöſte. Seine geliebte Frau und treue Pflegerin lebte noch bis 
zum Jahre 1812, in welchem fie am 10. Auguſt in ihrem 74. Lebensjahre, 
wie ihr Gemahl, jtarb. | 

Schon im Jahre 1795 hatte der Gründer von Chriftiansthal, als 
er in Folge feiner Gebrechlichkeit ſich von den Geſchäften zurüdziehen 
mußte, die Glashütte ſammt den Wohngebäuden mittelft Kaufvertrages 
vom 19. Juli an feinen Sohn Karl Joſef übertragen. In feinem be- 
reits im fahre 1794 ausgefertigten Teſtamente war diejes Verhältniß 
vorgejehen und Chriftiansthal mit dem mäßigen Werthe von 1500 fl. be 
mejjen. Seinem zweiten Sohne Anton vererbte Johann Leopold die 
Neuwieſner Glashütte, welche gleichfalls mit nur 1500 fl. bewerthet 
wurde, Für feine Gemahlin und die noch ledvige Tochter Johanna wurde 
in reichlicher Weile geſorgt und der andern Verwandten, wie auch der 
Armen, nicht vergefjen. 

Durch feine Söhne Anton und Karl Joſef wurde der Gründer von 
Chriftiansthal der Stifter der beiden heute noch beftehenden Linien der 
Familie Ricdel, welche die Rohglaserzeugung im Iſergebirge faft aus: 
ſchließlich beherrſchen. Anton (F 1821 Feber 7.) arbeitete bis 1817 in 
Neuwieſe, Schloß aber ſchon 1814 einen günftigen Pachtvertrag mit Antonie— 
wald ab. Einer feiner Söhne Joſef (F 1845 Nov. 3.) ift der Vater 
jenes Joſef Niedel in Polaun, der ſich durch hohe Begabung und 
eijernen Fleiß zum Großinduftriellen allererjten Ranges emporarbeitete 
und allgemein dir „Slasfünig" des Gebirges genannt wird, Dieje Po— 
launer Linie verdiente wohl im Intereſſe unferer heimifchen Induſtrie— 
geihichte in einer befonderen Abhandlung eingehend beiprochen zu werden. 

Der ung gejtellten Aufgabe gemäß verweilen wir bei Chriftiansthal 
und der an diefen Ort fich Fnüpfenden Linie des intereffanten Gejchlechtes. 
Karl Joſef Riedel d. A. hatte, wie wir erwähnten, noch bei Zebzeiten 
jeines Vaters im Fahre 1795 den Befig von Chrijtiansthal angetreten 
und betrieb das ererbte Geſchäft mit wechjelvollem Geſchicke nahezu ein 
halbes Jahrhundert. Der allgemeine Gejchäftsuiedergang während der 
Napoleonifchen Kriege übte feine unvermeidliche verderbliche Rückwirkung 
auch auf das Chrijtiansthaler Unternehmen aus. Vergeblich Tämpfte 


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Riedel gegen die hHereingebrochene jchwere Kriſis an. Ein mit Joſef 
Pfeiffer in Gablonz gejchlojjener Compagnievertrag mußte bald wieder 
aufgelöft werden, und betrübten Herzens jah jich der Hüttenbefiger ge: 
nöthigt „falten Ofen“ zu halten. Noth und Elend zogen in Chriftiansthal 
ein. Zum Arbeitsmangel gejellte fich die befannte außerordentliche Theuerung 
der Lebensmittel.) Noch wie ein Glück mußte man es anfehen, daß im 
Jahre 1813 zwilchen dem 20. und 28. Auguſt die plündernden „Polaken“, 
welche bis Neumiefe und bis zur Plattneimihle vorgedrungen waren, den 
Weg nah Chriftiansthal nicht fanden. MS auch nach den jchweren 
Kriegsjahren die Geſchäftsſtockung andauerte, ſah ſich Niedel ſchon vor die 
Frage der gänzlichen Auflaſſung jeiner Hütte gejtellt. Sein Neffe Franz 
Riedel, der Hüttenmeifter von Neumieje, legte ich ins Meittel, und durch 
jeine Verwendung gelang es, die Chriftiansthaler Hütte wieder in Betrieb 
zu jegen. Förderlich hiefür zeigte jich insbejondere der von Franz Riedel 
mit der Neichenberger Herrichaft am 26. September 1824 auf 12 Jahre 
abgejchlofjene Holzlieferungsvertrag, dejjen günftige Bedingungen auch Karl 
Joſef zu Gute famen.?) Diejer erholte ſich denn wieder zum regelmäßigen 
Sejchäftsbetrieb, und mit der wiedergewonnenen Arbeit zog auch Freude 
und Zufriedenheit in Chriftiansthal ein. 1826 wurde am Serrenhaufe 
eine Sonnenuhr angebracht, 1828 ein Doppelbarometer erworben und 
Wetterfahnen auf den Wohngebäuden aufgejegt.?) Im Fahre 1829 ließ 
Carl Joſef das jchadhaft gewordene Glockenthürmchen ausbejjern und einen 
neuen Knopf aufjegen, 1835 baute er die fteinerne Brücke über die Kleine 
Kamnig und 1836 die Waſſerleitung in die Küche, 

Die von jeinem Vater mit vielen Mühen begründete jelbjtändige 
Seeljorgeftation vermochte Karl Joſef Riedel nur bis zum Jahre 1822 
aufreht zu erhalten. In demſelben am 31. Jänner jtarb nämlid) 
P. Franz Starrey, der Anverwandte und treue Berather der Yamilie, der 
in weiten reifen geehrte und beliebte Hüttenpater von Chriftiansthal im 
Alter von 66 Jahren. Diejer hatte vermöge feiner nahen Beziehungen 
zur Familie Riedel und in Folge einer Verjonalzulage aus dem Religions: 








1) Der Chronift merkt an, daß im %. 1805 ein Strid Korn 52 fl., ein Strid) 
Weizen 44 fl. Eoftete und für einen Kreuzer 1'/, Loth Brod verkauft wurde. 
Vergl. Jäger, Dorfchronif S. 308. 

2) Für das weiche Holz wurde ald Preis per Klafter 1 fl. 45 kr. C. M., für 
da harte 2 fl. vereinbart. Im Fahre 1836 ſchloß Karl Joſef im eigenen 
Namen einen Vertrag auf 12 Fahre ab, nad welchem das weiche Holz mit 
2f. 12 ir. C. M., das harte mit 2 fl. 45 fr. bewerthet wurde. 

3) Diefe Arbeiten bejorgte Meifter C. G. Scheppig aus Baugen. 

Mittheilungen. 85. Jahrgang, 3. Heft. 19 


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fonde trotz der durch das Finanzpatent vom Jahre 1811 geſchmälerten 
Dotation der Lokalie ſein Auskommen gefunden. Für die Unterhaltung 
eines Nachfolgers reichten aber die vorhandenen Mittel nicht aus, und es 
wurde daher nach längeren Verhandlungen Chriſtiansthal nach Johannes— 
berg eingepfarrt. Gemäß der Weiſung des bijchöflichen Confijtoriums von 
Leitmerig vom 7. Augujt 1827 und der Berordnung des Guberniums 
vom 17. October 1827 hatte der Pfarrer von Yohannesberg jeden Monat 
einmal in Chriftiansthal den Gottesdienft jammt Predigt abzuhalten und 
wochentlich einmal den Kindern Religionsunterricht zu ertheilen. Hiefür 
wurde ihm der Ertrag der Stiftung Johann Leopold Niedels im Betrage 
von 100 fl. W. W. und der Bezug der von der Herrichaft bewilligten 
Naturalgabe von 4 Faß Bier und 6 Klafter Holz zugeſprochen. 

Wegen vorgerüdten Alters übergab Karl Joſef Riedel mit Beginn 
des Jahres 1838 Ehriftiansthal jeinem älteften Sohne gleichen Namens. 
Er lebte noch fünf Jahre und verjchted im jeinem 76. Lebensjahre am 
23. April 1843 allgemein betvauert und beweint. Sein am 8. Jänner 1838 
verfaßtes und am 10. Juli 1843 publicirtes Teſtament enthält ganz ähn- 
liche Beftimmnungen, wie das feines Vaters. Demgemäß hatte fein Sohn 
Karl Joſef den Beligitand von Chrijtiansthal mit 3500 fl. C. M. zu 
übernehmen. Im Übrigen wurde diefer mit der Witwe Magdalena und 
den überlebenden Kindern als Univerjalerben eingefegt. Die hinterlajjenen 
Holzvorräthe und Glasmaterialien wurden mit 11.170 fl. C. M., die aus— 
jtehenden Forderungen — Glasjchulden — mit 16.000 fl. geſchätzt. 

Karl Joſef Riedel d. j. (geb. 16. Juli 1803, F 22. Jänner 1375) 
hatte in feiner Jugend in den Zeiten des jchlechten Gejchäftsganges der 
Ehrijtiansthaler Glashütte das Uhrmacherhandwerf in Krakau erlernt 
(1819-1822), war danı auf die Wanderjchaft gegangen und ftand von 
1822 bis 1826 in Wien in Arbeit. Da fich inzwijchen die Verhältnijie 
der Slasindujtrie günftiger gejtaltet hatten, Fehrte er im Jahre 1826 in 
jene Heimat zurüd, bejchäftigte ji vom 12. Juni bis 8. September 
diejes Jahres in der Glashütte feines Vetters Franz in Antoniewald, wor: 
auf er in das Gejchäft jeines Vaters in Chrijtiansthal eintrat. Mit dem 
Jahre 1838 übernahm er dasjelbe in eigene Verwaltung und führte es 
bis an fein Lebensende mit vorzüglichen Erfolge. Voll Eifer und mit 
unermüdlicher Thätigfeit leitete er den Betrieb und die Vervollkommnung 
jener Hütte. Günſtige Verhältnifje unterjtügten die Bemühungen des auf: 
jtrebenden Snduftriellen. Noch im Jahre 1839 vollendete er den Bau 
einer Pottafchenfammer und einer Hafenjtube. 1841 wurde eine Brofen- 
und Strohfammer erbaut, 1842 eine Afchenfammer errichtet und die Sand: 


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fammer hergejtellt, und 1848 ein völlig neues Pochwerk zur Ausführung 
gebracht. Bom Fahre 1853 bis 1855 führte Riedel, deſſen gejchäftliche 
Unternehmungen fi immer lohnender gejtalteten, eine weſentliche Ver- 
größerung der Glashütte durch. Diefelbe wurde um 10 Klafter verlängert, 
um Platz für die Aufjtellung eines zweiten Ofens zu gewinnen, auf welchen 
am 24. Yuli 1854 das erjte Glas gearbeitet wurde. Ferner wurden zwei 
17'/, Klafter lange Ziehgänge (Ausläufer), ein anjtoßendes Gebäude mit 
zwei Zurichtkammern, eine Schreibftube, dann ein Neubau für 2 Thon- 
fammern, einen Thongewölbe und 2 Glasvorrathsfammern errichtet. In 
derjelben Zeit entjtand eine zu erwärmende Glasauslejejtube, eine Hafen- 
jtube und Hafenfammer und 3 Tamperöfen, und wurden noch andere Ver- 
bejjerungen in der Hütte vorgenommen. Da das 1848 erbaute Pochwerk 
den Anforderungen nicht mehr entſprach, gejtaltete es 1858 Riedel voll- 
jtändig um, verjah es mit 24 Eifenhämmern und ftellte zum Betriebe eine 
Turbine auf. Das in der Nähe des Friedhofs gelegene Wafjerfammel- 
been wurde vergrößert und mit Cement vermauert. Die mit einem Koften- 
aufwand von 400 fl. bewerfitelligte Reconjtruction bewährte fich ausge: 
zeichnet, jo daß von nun an ſelbſt beim kleinſten Wafjerjtande ſämmtliche 
24 Hämmer in Thätigfeit verjeßt, während früher oft nur 3 oder 4 Stampfen 
zur Arbeit benügt werden fonnten. 

Schon zwei Jahre darauf erweiterte Riedel feinen Wirkungsfreis 
durch den Pacht der Zenfnerhütte in Antoniewald, in welcher er mannig- 
jaltige Baulichfeiten vornehmen mußte, che er am 27. März 1860 die 
Slasbereitung beginnen Fonnte. In Ehriftiansthal ſelbſt aber jteigerte ſich 
der Betrieb immer mehr, jo daß Riedel ſchon 1865 einen neuen dritten 
Dfen zwijchen den beiden bereit3 bejtehenden aufftellte, auf welchem am 
29. Auguft 1865 zum erftenmale gearbeitet wurde. In Folge dejjen jah 
er ſich genöthigt, das Pochwerf nenerdings zu vergrößern. Da die aus 
der einen Kamnig bis jegt bezogene Waflerkraft nicht ausreichte, holte 
ſich Riedel von der Neichenberger Herrichaft die Bewilligung ein, aus der 
großen Kamnig mitteljt eines Kunftgrabens das Waſſer zu heben, und ſchloß 
bei dieſer Gelegenheit einen Vertrag über das Waflerbezugsrecht von dei 
herrſchaftlichen Gründen überhaupt, auch die kleine Kamnig betreffend, ab. 
(21. Dai 1865.) Im felben Jahre 1865 ließ Riedel zwijchen den zwei 
weitlichen Ziehgängen einen hölzernen Sandbehälter von bedeutendem Um- 
fange erbauen. 

Die wichtigen Holzlieferungsverträge wurden mit der Reichenberger 
Herrichaft von Zeit zu Zeit unter verhältnigmäßig günftigen Bedingungen 
erneuert. 1848 wurden auf drei Jahre 1400 Klafter weiches Scheitholz, 

19* 


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100 Klafter weiches und 30 Klafter hartes Abraumholz abgeſchloſſen. Als 
Preiſe wurden feſtgeſetzt für die Klafter Scheitholz 3 fl., für das harte 
2 fl. 30 fr. und ein Stammgeld pr. Gulden 2 fr. ausbedungen. Im Jahre 
1851 wurde der Vertrag für faſt diejelbe Quantität auf 6 Jahre erneuert; 
die Preife aber follten von Jahr zu Jahr feitgejtellt werden. Für das erjte 
Eontractsjahr bewegten fich diefelben fir das Scheitholz zwijchen 3 fl. und 
3 fl. 15 fr. je nad) der Lage des Schlages; für das Abraumholz wurden 
diefelben Preife wie 1848 beibehalten und dasjelbe Stammgeld bejtimmt. Der 
wieder für 6 Fahre abgejchlojfene Holzverfaufsvertrag vom Jahre 1858 
jicherte Riedel den jährlichen Bezug von 1800 Klaftern weiches Scheitholz 
(zwijchen 5-6 fl. pr. RL), 30 8. hartes Abraumholz (4 fl.), 420 Kl. 
weiches Prügelholz (3 fl. bis 3 fl. 20 fr.) und das Stodholz von obigen 
1800 Kl. (zwifchen 2 fl. 45 fr. und 3 fl. 30 fr.). Die Preife wurden 
wieder nur fir das erjte Vertragsjahr bejtimmt, das Stammgeld entfiel. 
Nach Ablauf diefes Vertrags erhielt Niedel auf jein Anfuchen mitteljt Be- 
jcheides vom 8. December 1863 auf weitere Jahre die Zuficherung bes 
Bezuges von jährlichen 3000 Kl. Holz in der Gattung, wie es die Schläge 
nach Ausjcheidung des Nugholzes und die durchzuforjtenden Waldjtreden 
geben zu den beftchenden Eurrentpreifen des Jahres. 

Durch den Anfauf der von Jantſch erbauten Glashütte in Joſeſsthal 
(1871) hatte Riedel jein Arbeitsfeld wieder auf drei Hütten ausgedehnt, und 
wenn auch jchon Fränklich, juchte er in raſtloſer Arbeitsfreudigfeit zweck— 
mäßige Verbejferungen im Betriebe feiner Fabrication durchzuführen. Be: 
deutungsvoll zeigte fich die im Fahre 1874 vollzogene Einrichtung der 
Ehriftiansthaler Hütte nad) dem Syfteme der Gasfenerung. Den im Fahre 
1875/6 vollendeten Umbau der Antoniewalder und Joſefsthaler Hütten 
nad) demfelben Syiteme follte ex nicht mehr erleben. In feinen 3 Hütten 
erzeugte Niedel als gangbarjte Artikel Stangen» und Stängelglas aller 
Farben, Prismen, Drudglas und Flagons, letztere Waaren ſeit 1871 vor: 
nehmlicy in Antoniewald und Gofefsthal. 

Der in erfreulicher Weije ſich mehrende Wohljtand ſetzte Riedel in 
die Lage fein „Herrenhaus nad) Bedarf zu vergrößern und immer wohn— 
licher einzurichten. Ein bejonderer Stall wurde an der Seite der „Pfarrei 
neugebaut und daneben ein Wohnhaus für das Gefinde errichtet. Auf 
allen Baulichfeiten wurden Bligableiter aufgejtellt. Ein am 7. Mat 1869 
in das Herrenhaus niederfahrender Blitz blieb in Folge deſſen unſchädlich. 
Bejondere Sorgfalt widmete er der Inſtandhaltung der Hauscapelle, deren 
Inventar vielfache Bereicherung fand. Hübſche Gärtchen beim Herrenhaufe 
wie bei der Pfarrei wurden angelegt, die nächjten Wege hergerichtet und 


— 23 — 


die Kamnigbrüden in beiten Stand geſetzt. Gaſtlich öffnete Riedel fein 
Haus allen, die bei ihm voriprachen. In den jchönen Sommermonaten 
vergingen denn auch wenige Tage, in welchen nicht im Chriſtiansthaler 
Herrenhaufe Freunde und Bekannte herzliche Aufnahme und gute Herberge 
fanden. Defter trafen recht vornehme Befuche ein. Die Mitglieder der 
gräflich Elam’fchen Familie unterliegen es jelten, fo oft fie im Herbſte zu 
Zeiten der Hochjagden nach Neuwieje kamen, einen Abftecher nach dem 
freundlichen Chrijtiansthal zu unternehmen, und war e8 gerade an einem 
Sonn: oder Feiertage, dem Gottesdienfte in der Hauscapelle beizumohnen. 
Fürſt Camill Rohan, duch viele Jahre ein regelmäßiger Yagdgaft des 
Grafen Clam, jchlug wiederholt während der Auerhahnbalz fein Nacht: 
quartier in Chrijtiansthal auf. Yon den vielen geiftlichen Herren, die als 
Säfte der Familie Riedel in Chriftiansthal weilten, fei der Leitmeriger 
Biſchof Auguftinus Bartholomäus Hille hervorgehoben. Er traf 
in Begleitung des Ranonifus Pfeiffer am 24. Juni 1851 Abend um 
7 Uhr ein umd reijte am andern Tage Nachmittag wieder ab. Er wurde 
auf das Feierlichjte empfangen und mit dem Aufgebot aller Kräfte be- 
wirthet. Noch am 24. uni celebrirte der Bijchof in der Hauscapelle das 
Veni sancte und bejuchte den Friedhof, um fiir alle VBerjtorbenen zu beten. 
Am andern Morgen weihte ev ein neues Meßgewand und Pluviale, fowie 
zwei neue Fahnen — Spenden der Familie Riedel — und celebrirte die 
feierliche Biihofsmefje im eben geweihten Ornate. Hierauf hielt er im 
Freien von einer eigens aufgeftellten Tribüne vor der verfammelten Be: 
wohnerjchaft des Ortes und vielen Gäjten eine längere Erbauungsrede und 
Ipendete alsdanı das Sacrament der Firmung. In unermüdlicher Thätig: 
feit wohnte der wilrdige Seelenhirt noch der in der Schule vorgenommenen 
öffentlichen Prüfung bei, che er fich zur Fefttafel begab. Als fich der 
Biſchof verabfchiedete, fprach er: „Sch habe mich in Chriftiansthal fo recht 
heimisch gefühlt." 

Ein jchönes Denkmal ihres edlen menjchenfreundlichen Sinnes jegte 
jih die Familie Riedel durch die Begründung der Chriftiansthaler 
Schule. Friedrichswalde, wohin Chrijtiansthal gehört, war feit jeher zu 
Gränzendorf eingejchult. Die Schule in diefem zwei Stunden von Ehri- 
jtiansthal entfernten Drte zu befuchen, konnte der Jugend wohl faum 
zugemuthet werden. Deßwegen hatten die Beſitzer von Chrijtiansthal mit 
dem Johannesberger Lehrer eine Vereinbarung getroffen, nach welcher 
wöchentlich zwei bis dreimal ein Schulgehilfe den Unterricht in Chriftians- 
thal ertheilte. Bis zum Jahre 1833 verfah diefen mühſeligen Dienft als 
„ereurrierendes Schulindividuum," um im damaligen Sprachgebrauch zu 


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veden, Anton Appelt. Seine Nachfolger werden nicht genannt. Welch’ 
andern als einen nur höchſt mangelhaften Erfolg konnte eine derartige 
Einrichtung des Unterrichtes erzielen? Eine fromme wadre Frau, die 
Witwe nah Karl Hofes Riedel d. ä Magdalena, welde bei 
ihrem Sohne in Chriftiansthal bis zu ihrem Tode (29. März 1861) lebte, 
faßte den hochherzigen Entjchluß, dem unhaltbaren Zujtande ein Ende zu 
bereiten und eine jelbjtändige Schule zu ftiften. Sie widmete zu diejem 
Behufe im Fahre 1844 ein Capital von 3000 fl. C. M., von deſſen In— 
tereffen die Befoldung des Lehrers gededt werden follte. In felten klarer 
Weife äußerte jih Frau Magdalena über ihre humane Abficht in dem 
mit der Herrichaft aufgenommenen Protocolle betreffend die Begründung 
der Schule. So fagt fie: „Die Verpflichtungen des jeweiligen Lehrers 
jolfen darin beftehen, daß er durch das ganze Jahr täglich zweimal und 
zwar 2 Stunden Bormittags und 2 Stunden Nachmittags Schule halte und 
dabei mit Ausnahme des NReligionsunterrichtes, der ohnehin jtiftungsmäßig 
wöchentlich einmal von dem Drtsjeelforger von Johannesberg, ‚wohin 
Chrijtiansthal eingepfarrt it, ertheilt werden muß, alle Gegenſtände vor- 
trage, welche die politische Schulverfaffung für Trivialſchulen vorfchreibt. 
Jedoch wird es dem Lehrer zur bejonderen Pflicht gemacht, nicht nur mit 
dem größten und gewiljenhaftejten ?Fleife vorzugehen, damit meine gute 
Abjicht, das Wohl der Kinder unferer Arbeiter fräftig zu 
jürdern, erreicht werde, ſondern es wird ihm auch obliegen, die vom 
Johannesberger Seeljorger ertheilten Religionslehren fleißig zu wieder: 
holen. Eine weitere Berpflichtung des Lehrers joll darin beftehen, einigen 
Kindern, die hiezu die Fähigkeiten haben, unentgeltlihen Gejangunterricht 
zu eetheilen, damit jelbe bei dem alle 4 Wochen hier in Ehriftiansthal in 
unjerer geftifteten Hauscapelle abzuhaltenden Gottesdienfte ein erhebendes 
Lied fingen Können, damit auf diefe Art auch zur Berherrlichung des 
Gottesdienjtes das Möglichjte beigetragen werde. Uebrigens joll dem 
jeweiligen Lehrer obliegen, beim Abhalten der Gottesdienjte die Orgel zu 
jpielen und alles zu verrichten, was zur Bedienung des Priejters gehört, 
ebenjo wird ihm obliegen, aus den Schulfnaben jtets zwei zum Minijtrieven 
abzurichten." Die edle Stifterin |pricht in dem genannten Protocolle die 
Hoffnung aus, daß der zufünftige Patron der Schule Graf Clam ein 
Eleines Scherflein zur bejjeren Eriftenz des Lehrers durch Gewährung 
eines Deputates von Holz und etwas Bier gnädig beitragen werde. 
„Sollte aber”, fährt Frau Magdalena fort, „mein kindliches Vertrauen, 
welches ich zu meiner gnädigen Herrichaft hege, ſich nicht vechtfertigen, fo 
bleibt, da ich von meinem hriftliden Vorſatze, eine Schule für 


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Chriftiansthal zu ftiften, nicht ablafje und auf die Aus: 
führung eines wahrhaft guten Werfes nicht verzichten und 
das Bewußtjein, daß ih es gethan, in die Ewigfeit mit- 
zunehmen gedenfe, nichts anders übrig, als noch einige Jahre mit 
der wirklichen Snslebentretung diefer Schule und zwar jo lange zu warten, 
bis die Zinfen obigen Stiftungscapitals jo hoch angewachjen find, daß 
ein Capital erzielt werde, aus deſſen Zinſen 6 Klafter Schulbeheizungs- 
holz und 2 Faß Bier jährlich für den Lehrer in Chriftiansthal gededt 
werden." Ferner jpricht die Stifterin den Wunſch aus, daß in der Ehri- 
jttansthaler Schule jährlich „Öffentliche Prüfungen“ der „Control“ wegen 
abgehalten werden, und die Schule als unabhängige Erpofitur von Gränzen— 
dorf betrachtet werden joll. „Für die Wohlthat," führt ſie fort, „welche 
ich durch dieje Stiftung den Chrijtiansthaler Kindern angedeihen Lajje, 
jollen jie mit ihrem jeweiligen Lehrer am 19. Juli als an meinem 
Geburtstage, am 22. Juli al8 an meinem Namenstage und endlid) 
an meinem Sterbetage ein jrommes Gebet fir meine Seele in der 
Schule zum Himmel richten.” Die edle Frau schließt: „Sch füge 
diefer meiner Erklärung nur noch die Bitte bei, diefen für mich jo 
wichtigen Gegenstand foviel als möglich zu bejchleunigen, damit ich, 
die ich in Jahren ſchon vorgerückt bin, vielleicht noch das Glück genießen 
fünnte, dieje Anstalt in Wirkjamfeit zu jehen." 

Der wadere Sohn der hochherzigen Mutter, Karl Joſ. Riedel d. j., 
blieb in Opferwilligfeit für das menjchenfreundliche Unternehmen nicht 
zurück. Er ließ auf eigene Koften ein befonders zwedmäßiges Schulhaus 
aufbauen, in welchem auch für die Lehrerfamilie eine geräumige Wohnung 
unterbracht wurde (1846). Graf Clam übernahm das Patronat und be- 
willigte den erbetenen Holzdeputat (25. uni 1847). Mit Decret vom 
30. December 1847 3. 72151 genehmigte das f. böhm. Landesgubernium 
die Errichtung der Schulanftalt und fprach der Stifterin „für ihre gemein: 
nüßige Widmung und Förderung des Volksſchulweſens“ das Wohlgefallen 
aus. Nach längeren Verhandlungen wurde im Einvernehmen mit dem 
Patrone mitteljt Eonfiftorialdecretes vom 27. Juni 1848 der Althabendorfer 
Hilfslehrer Mathias Hofmann zum proviſoriſchen Lehrer in Chri— 
itiansthal bejtellt und am 3. Juli unter Anrufung des heiligen Geijtes 
der Schulunterricht begonnen. Im Sommer darauf am 22. Mai 1849 
wurde in Anweſenheit vieler Ehrengäfte und Schulfreunde durch den 
Semiler Sculdiftrietsaufjeher Vicär Joachim Schauref die Schule in 
jeierlicher Weiſe Firchlid) geweiht und die erjte öffentliche Prüfung mit 
31 Schülern vorgenommen. Die Erfolge waren jehr befriedigend, und 


— 2% — 


Frau Magdalena Riedel erblicte mit innerer Rührung und Befriedigung 
die erjten Früchte ihrer großmüthigen Stiftung. Der vom PBatronat und 
dem Kreisamte delegirte anweſende Commiſſär Oberamtmann Uchatzky aus 
Reichenberg hielt eine vortreffliche Rede, welche in die Schulchronik mit 
Recht dem vollen Wortlaute nach aufgenommen wurde. Er erzählte die 
Gründungsgeſchichte des kleinen Ortes, pries den Edelmuth und Wohl- 
thätigkeitsſinn der Familie Riedel überhaupt und der Schulſtifterin ins— 
beſondere, kennzeichnete in wahrhaft goldenen Worten die Ziele einer guten 
Volksſchule und ſprach Frau Magdalena Riedel im Namen des Patronates 
und Kreisamtes Dank und Anerkennung aus. Das biſchöfliche Conſiſtorium 
jandte gelegentlich der Schulmweihe ein warmes Anerfennungsjchreiben an 
Frau Magdalena, der „edlen Wohlthäterin”, „die fich in den Herzen der 
Eltern und Kindern das ſchönſte Denkmal errichtet habe". 

Die Sorge für die gejchaffene Schule blieb der Familie Riedel bis 
auf den heutigen Tag ein wahres Herzensbedürfnig. Zweckmäßige Lehr- 
mittel und Einrichtungsgegenjtände wurden erworben und nad Erforder- 
niß erneuert, die Schon bon der Stifterin durch Anfchaffung guter Jugend— 
Ichriften gegründete Bibliothef allmälig bereichert, die Schulfinder bei den 
jährlich abgehaltenen Prüfungen bejchenft und das Wohlergehen des Lehrers 
nad) Möglichkeit gefördert, unter andern 1863 die Dotation für den 
letzteren durch Karl Joſeph Riedel d. j. erhöht. Obwohl 1865 auf Grund 
der vermehrten Bezüge des Lehrers Chriftiansthal als jelbjtändige Schul: 
jtation angejehen und als jolche auch vom Bezirksſchulrathe 1870 beftätigt 
wurde, reihte fie der Landesſchulrath 1871 in die Kategorie der Privat: 
jchulen ein. Im Jahre 1872 hatte die Zahl der Schulkinder fich jo ver: 
vingert, daß man den Unterricht aufließ. Als aber im Jahre 1878 die 
Zahl der Kinder wieder auf 23 angewachjen war, eröffnete der gegenwär— 
tige Befiger von Chriftiansthal, Leopold Niedel, ein Enfel der Stifterin, 
die Unterrichtsanftalt vom Neuen und bringt derjelben bis auf den heutigen 
Tag die größte Opferwilligfeit entgegen. ") 


1) Der erfte Lehrer von Chriftianstbal M. Hofmann (1848—1858) waltete 
feines Amtes in treffliher Weile und erhielt wiederholt die lobende Anerfen- 
nung der vorgejegten Schulbehörden. Er führte in Chriftiansthal die Lautier- 
methode ein, die im Kamnitzer Vicariate nur noch in Schönlinde im Gebraud) 
ftand. Der Kamnitzer Schuldiftrict3auffeher empfahl die Methode Hofmann's 
allenthalben. Wer aber Gelegenheit hatte, den Schulprüfungen beizumohnen, 
ſprach fid) nur lobend aus. Wir führen den Wortlaut einiger in die Schul— 
chronif eingetragener Aeußerungen an. So ſchreibt Fran; Schwarz, Dom- 
capitular und Gonfiftorialrath aus Leitmerig: „Mit vielem innigen Vergnügen 
babe ich heute am 23. Auguft 1850 in Gelellichaft mehrerer Schulfreunde einer 


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Karl Joſeph Riedel d. j. hatte am 24. November 1840 mit Therefia, 
der Tochter des Kaufmanns Joſeph Handſchke aus Steinschönau, einen 
Ehebund gejchlojjen, der mit Zufriedenheit und Glüd gejegnet war. Vier 
Kinder entiprofjen demjelben: Karl Joſeph (geb. 15. Auguft 1843), Emanuel 
(geb. 16. Dct. 1844), Xeopold (geb. 15. März 1846) und Anna Therefia 
(geb. 6. Juli 1878, + 24. Juli). Im Sommer des Jahres 1873 feierte 
Riedel feinen jiebenzigften Geburtstag. Die Mahnungen des Alters und 
eine bedenkliche Krankheit, in die er verfiel, hießen ihn an die Ordnung 
jeiner irdischen Angelegenheit gehen. Auf feinen Wunſch traten feine drei 
Söhne als öffentliche Gefellfchafter in das Geſchäft ein, und mit innerer 
Beruhigung und in frommer Gottergebenheit erwartete der irdiſche Pilger 
den Ruf zum friedlichen Jenſeits nad) jo langem heißen Tagwerk. Er 
jtarb am 22. Jäner 1875 tief betrauert von den Seinen und von Allen, 
die ihn kannten. Nach anderthalb Jahren am 22. Juli 1876 folgte ihm 
jeine treue Lebensgefährtin Therefia ins Grab. 


wohlgelungenen Prüfung der Schulfinder hier beigemwohnt und jchreibe in 
Folge deffen aus vollem Herzen: Diejenigen find die größten Wohlthäter der 
Menichheit, die für mwohleingerichtete, auf echte Religiofität gegründete Schulen 
forgen — und die Namen Derjenigen, welche in ſolchen Schulen Viele in der 
Gerechtigkeit unterweifen, werben glänzen wie Sterne immer und ewig.“ 
Joſef Horn aus Steinſchönau ſchrieb mit eigener Hand am 21. Funi 1852 
in die Schulchronik: „Während meines Aufenthaltes bei Herrn Karl Riedel 
bier war mir diefen Vormittag au das Vergnügen zu Theil, dem Unterrichte 
in der hiefigen Schule beizuwohnen, und ich muß befennen, daß ich von dem 
ihönen, guten und äußerft zwedmäßigen Vortrage, rejp. Lehrmaxim des Herrn 
Lehrers, ſowie von der Aufmerkſamkeit, Lernbegierde und. wirklich bedeutend 
vorgefchrittenen Kenntniß der Schüler fehr überrafcht war, ſowie mir auch die 
gut einftudirten Findlichen Lieder die innigfte Freude gewährten. Mit einem 
Worte, ich fand, daß dieſe Schule einer der beften moralijchen Bildungsanftalten 
ift, die ich Ferne. Ehre dem Gründer, Ehre dem Lehrer.” — Sculrath J. 
Mareſch, jeinerzeit einer der beften Kenner unferes heimischen Schulmejens, 
infpicirte am 12. Juli 1854 die Chriftiansthaler Schule und jchrieb alsdann 
ind Gedenkbuch: „Bei der am 12, Juli abgehaltenen Prüfung fand ſich ber 
Gefertigte volllommen befriedigt. Die Schule ift eine gute.” — Die Nachfolger 
Hofmanns find: Franz Thum (1858— 1864), Joſef Melzer (1864—1872), 
Anton Preißler (jeit 1878). Auffällig bleibt, daß nur Hofmann und 
Melzer die Schulchronif, die zugleich eine Chronik des Heinen Ortes ift, führten 
und zwar in jehr jorgfältiger Weife. Möge doch der gegenwärtige Lehrer gleid): 
fall3 zur Feder greifen. Es gibt jelbft in der Meinften Anfiedlung täglich 
etwas relativ Bemerkenswerthes zu notiren; gut geführte Nachrichten über 
Witterungsverhältniffe und Naturerfheinungen auf der Höhe des Iſergebirges 
böten überdies ein allgemeineres JIntereſſe. 


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Die Söhne Karl Joſephs Riedel trennten nach dem Ableben ihres 
Vaters die Gefellfchaftsfirma in der Weiſe, daß Karl und Emanuel zus 
fammen das Geihäft von Antoniewald und Joſephsthal fortführten, 
während Leopold die Hütte von Chriftiansthal übernahm. Der unver: 
heiratet gebliebene Bruder Emanuel jtarb jchon am 20. December 1879. 
Karl hatte jih im Fahre 1869 mit Marie Horn und Leopold im felben 
Jahre mit Augufte Herzig vermählt. Diefe beiden Familien vepräfentiven 
nunmehr die Chriftiansthaler Linie der Riedel. Leopold ift Inhaber des 
Stammfiges. Wenn er aud im Jahre 1882 von Chriftiansthal nad) 
Reinowig überfiedelte, wo er. die angefaufte Bleiche in eine Glashütte 
ummwandelte, jo ließ er das Chrijtiansthaler Gejchäft doch nicht eingehen. 
Diejes blüht unter feiner Zeitung noch immer, und body in Ehren hält 
Leopold Riedel das von feinen Altvordern übernommene Erbe von Ehri- 
ftiansthal. Das im wohnlichen Zuftand erhaltene Herrenhaus öffnet noch 
immer allen Berwandten, Freunden und Bekannten der Familie die gajt- 
lichen Pforten. Die jest häufiger als früher zum Taubenhaus, Teufelsſitz 
oder Sichhübel auffteigenden Wanderer halten beim gefälligen Verwalter 
Nuhe und Raft. Originelle Gäſte aber rücen feit zwei Jahren regelmäßig 
auf einen Sommermonat ins Herrenhaus ein, deutſche Feriencoloniften aus 
Prag, die fich in der frifchen Berges- und Waldluft fichtlich erholen und 
der Tiebevollen, opferwilligen Fürjorge Riedels immer dankbar gedenken 
werden. Die Capelle im Herrenhaufe wurde 1880 umgebaut und voll- 
jtändig neu ausgeftattet, und alle vier Wochen wird, wie ehedem, der Gottes- 
dienst in derjelben abgehalten. Auch der Schule wendet Riedel feine un— 
ausgejegte Sorgfalt zu, er hält die Urbeiterhäufer in Stand, ſowie er 
denn jeden Baum auf feinem Befigftand als ein theueres Vermächtniß der 
Vorfahren zu bewahren jucht. 

Möge es wachfen, blühen und gedeihen für alle Zukunft das liebliche 
Ehriftiansthal. 


— — — — 


Das Anſinglied in Deutſchböhmen. 
Bon Dr. Michael Urban. 


Das ganze Jahr hindurch freute fich ehedem ſchon Jung und Alt 
auf das Chriſt- und Dreikönigs-Singen und, reich bejchenkt, zogen die 
Darftelfer von Haus zu Haus, begleitet von einem Schwarm Kinder, die 
an der Herrlichkeit ſich nicht fatt jehen konnten. Seit einigen Jahren iſt 


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nun diefer Theil der Volfspoefie im Niedergang begriffen u. zw. haupt: 
jächlich durch das Verbot von Seite der Behörden. Es it daher Pflicht 
eines Jeden, der Gelegenheit hat in den Beſitz jolcher Anfingliever zu 
fommen, dieſe zu jammeln und dort niederzulegen, wo fie für die Nad)- 
fommen treu bewahrt bleiben. 

Ich bin im Beſitze zweier Anfinglieder, die in Falkendorf bei 
Tetſchen jährlich zur coftümirten Darftellung gelangten und zwar nicht 
auf einer dazu eingerichteten Bühne, fondern die Darjteller gingen von 
Haus zu Haus, und das Vorhaus wurde zum Scauplag der Handlung 
oder, wenn dies nicht geräumig genug war, die Stube ſelbſt. Die Dar: 
ftelfer waren Männer, nur die Rolle des Heinen Engel wurde von einem 
Rnaben gejpielt. Er war im langen weißen Sleide, hatte vergoldete 
Pappeflügel an den Schultern, ein Krönlein auf dem Haupte, ein Schwert 
und ein Körbchen in der Hand. Eine bejondere charafteriftiiche Perjon 
ift in dem Chriftfpiele der „Rumperus“, der nichts anderes als eine 
Geſtalt des Knechtes „Rupprecht” ift. Er erjchien mit weißem flachjernen 
Barte, weiten, langem Rode und einen Sad über der Schulter. Auf 
merkſam zu machen ift noch auf die Anrufung der römischen Gottheiten 
im Chrijtjpiele durch den HI. Nikolaus und, was freilich zum Ganzen 
bejjer paßt, im Dreifönigsfpiele durch Herodes. Ich theile num die zwei 
Anfinglieder, wie fie mir durch Herrn Kohn aus Falkendorf zugemittelt 
wurden, hier mit: 


I. Das heilige Chrik-Spiel.') 
Berjonen: 


Der große Engel (ein Schwert in ber Hand). 

Der Heine Engel (ein Schwert und ein Körbchen in der Hand). 

Der heilige Chrift (trägt Weltkugel und Scepter). 

Der heilige Martinus (trägt einen dreifachen Kreuzftab). 

Der heilige Nikolaus (trägt eine Lanze). 

Großer Rumperus (trägt einen Sad über der Schulter und Ruthen in der Hand). 

Kleiner Rumperus (ebenfo, nur Meiner und mit einem Höcker). 

Der heilige Petrus (trägt einen Schlüffel). 

Der heilige Paulus (trägt einen Krummſtab). 

Moſes (mit zwei Gejegestafeln und ftotternder Stimme). 

Der heilige Joſef (krummen Stab in der Hand und eine Zimmermanndtafhe an 
der Geite). 

Der heilige Thomas (trägt einen einfachen Stab). 

Mehrere Sängermäbden. 








1) Öelangte zum letten Male im Jahre 1864 zur Aufführung, 


Der große Engel tritt ein: 


Biel Glück, viel Glüd wünfh ich in 
diefed Haus 
Und Allen, die da gehen ein und aus, 
Ah! wenn ich gedenk an den jüngften 
Tag, 
Wie ed dann ergehen mag; 
Mein Herz im Leib zittert mir ganz 
und gar, 
Gegen den Berg ftehen mir Haar. 
Ich eh, ich trink, ich fchreib, ich leſ', 
ich ſchlaf', ich wach', 
Oder was ich mad), 
Es fommt mir nicht mehr and 
meinem Sinn, 
Meine Gedanken ftehen mir ftet3 dahin. 
Wann der jüngfte Tag wird werden, 
Da fallen die Sternlein auf die Erben, 
Die Bäumlein werden ſich neigen, 
Die Waldvöglein werden ftille ſchweigen; 
Da wird Zeus Chriftus fommen 
gezogen, 
Auf einem ſchönen Regenbogen. 
Er wird die Poſaunen blafen laffen, 
Dies wird gar fchallen über die Maffen; 
Da wird es heißen, ihr Todte fteht 
auf, 
Ihr Jung und Alt fommt vors Gericht 
Fein Schnell und bald, da wird zum 
Gericht 
Geführt werben, das ganze menfchliche 
Geſchlecht auf Erden! 
Ich bin ein Engel von Gott geſandt, 
Um Menſchen anzutreiben, ich führe 
Das Schwert in meiner rechten Hand, 
O Menſch, thu dich zum Tod bereiten! 
Höret an, höret an, wer hat viel 
Gut's gethan, 
Der wird wohl kommen an; 
Die Böſen werden kommen zur linken 
Seit, 
Die Guten werden genießen die ew'ge 
Freud; 
Da werden fie kommen ſo dicht daher, 
Als wie die Sandkörnlein in dem Meer. 
O, Sünder! thu dich zu Gott bekehren. 


Ich ſehe den Geift euerer Finder, 
Es find fürwahr noh große Sünder; 
Ich weiß auch nicht, wie’3 heut wird 
werben, 
Es find noch Etlich' mit mix anf 
Erden, 
Die Alle werden fommen und werden 
jagen, 
Und euere Kinder der Bosheit ans 
Hagen, — 
Nun komm du herein, du Engelein 
Hein, 
Hilf mir bedienen die Heinen Kindelein! 


Der Heine Engel tritt ein: 


Jetzt komm ich herein des Abends jpät, 

Schön’ guten Abend geb euch Gott! 

Warn Sich die Mbendröth thut zieren, 

Und fi die Sonn’ verlieren, . 

Kommt der Teufel, Wald und Tod! — 

Sch will mich allein zu Jeſum menden, 

eins ift mein Schaß, ich bin in feinen 
Händen, 

Wo Felus zu finden ift, 

Wenn man mit Jelu it. 

Jeſus Chriftus gibt Heil und Seligkeit, 

Wenn man ihm dienet allezeit. 

Ungewiß der Tod, ungewiß der Tag, 

Die Stund auch Niemand willen mag; 

Gedenk, o Menſch! doch auch dabei, 

Daß dieſe Stund die letzte ſei. 

Vom hohen Himmel komme ich daher, 

Bring euch viel Gut' und Neues mehr; 

Vom Neuen bring' ich ſoviel, 

Davon ich ſing' und ſagen will: 

Der heil'ge Chriſt iſt auch bei mir, 

Er ſteht ſchon draußen an der Thür, 

Er will auch kommen herein, 

Zu eueren lieben Kindelein. 

Herein, herein du heil'ger Chriſt! 


Der große Engel: 
Der Stuhl dir ſchon bereitet iſt. 


Der kleine Engel: 
Wo du dich darauf ſetzen ſollft. 


— 301 — 


Großer Engel: 
Und dein Gericht recht halten wollt, 


Kleiner Engel: 
Auf, auf, er kommet ſchon! 


Großer Engel: 
Er ıft bereit zu feinem Thron. 


Der heilige Ehrift mit den 
Sängermäbden tritt ein. 


Chriftus: 
Selobet jei Jeſus Ehriftus! Herein 
Alle, die mit mir verJammelt fein! 
Den Eltern wünſch' ich eine große Freud, 
Den Kindern eine Gottesfürdhtigkeit. 
Weil wir find kommen abermal 
Bon dem hohen Himmelsfaal, 
Wollen wir befuchen die Kleinen, 
Die Großen, die Böfen, die Reinen! 


Großer Engel: 
Sei du willkommen, du edler Gaft, 


Kleiner Engel: 
Daß du und Sünder nicht verichmähet haft; 


Großer Engel: 
Weil du bift kommen zu uns babier, 


Kleiner Engel: 
Wir danken dir! 


Großer Engel, Heiner Engel, 
beiliger Chriſt und 
Sängermädchen fingen: 

„Seid getröft' ihr lieben Kinder, 

Ihr verftodten, harten Sünber, 

Seid getröft, ihr Jung und Alt‘, 

Der heil’ge Chriſt kommt zu Euch bald. 
Dabei find auch die zwölf Apoftel, 








Die zu euch werden kommen H’rein, 
Gott wird euer Lehrer fein. 
Shit den heil’gen Martinus ’rein!“ 


Martinud tritt ein. 


Chriftus: 
Martinus, Martinus fage an, 
Was haben die Heinen Kinder Gut's 
gethan ? 


Martinus: 
Ach, du mein lieber, Heiliger Ehrift, 
Wenn du dies Alles wißt, 
Wie fi die Kinder auf die Bosheit 
befleißen, 
Du würdeſt oft mit deiner Straf’ drein 
ſchmeißen! 
Wenn fie ſollen zur Schule gehen, 
Bleiben fie auf Wegen und Straßen ftehen, 
Wenn fie follen jchreiben, leſen, beten 
oder fingen, 
Müffen fie die Eltern mit Schlägen 
dazu zwingen; 
Da fängt das Kind zu weinen an, 
O Herr, da muß das Beten bleiben. 
Hätt' ich die Gewalt wie du, 
Ich ſchlüg' mit Fäuften und Ruthen zu. 


Chriſtus: 
Martinus, Martinus, deine Reden ge— 


fallen mir nicht. 
Nikolaus, Nikolaus gib weiter Bericht! 


Nikolaus tritt ein und ſingt: 


Blitz, Donner, Hagel, Feuer, Flammen, 
Nebel, Rauch und Finſternuß; 

Ach! ihr Wolken lauft zuſammen, 

Daß Sonn' und Mond erbleichen muß. 
Ihr Götter laßt die Strahlen blitzen! 
Karphonus ') laß die Waffen ſpitzen. 
Jupiter, bift du noch oben auf, 

Laß den Pfeilen feinen Lauf! 


1) Karphonus gilt im Volke als einer, den man gewöhnlih auch „Strohmann“ 
zu nennen pflegt, und wird in diefem Sinne ald Schimpfwort gebraucht. 


— 302 — 


Macht euch alle auf die Bahn' 

Mit ausgeſtreckter Siegesfahn'. 

Es wird viel Blut vom Himmel regnen, 

Unſeren Feinden zu entgegnen. 

Die Beftürzung unferes Land'skönig, 

Die Beitürzung ift zu wenig! ') 

Was foll ich hier viele Güte zeigen, 

Viel lieber will ich ftille jchweigen; 

Denn ed wär’ hier feine beffere Geftalt, 

Als der Rumperus mit feiner Gewalt. 

Er nehme den ganzen Rinderpad 

Allzufamm’ in einen Sad, 

Werfe fie in einen tiefen Brunn’ hinein, 

Damit fie weder Sonn’ noch Mond 
bejchein” ! 


Chriſtus: 


Nikolaus, Nikolaus, deine Reden gehen 
nicht an, 
Rumperus, Rumperus komm auch herein 
auf dieſen Kinderplan. 


Rumperus, ſich vor Kälte 
ſchüttelnd, tritt ein und beginnt: 


Guten Abend Fladerwiſch! 

Draußen iſt mir's gar zu friſch. 

Ich muß mich in die warme Stube 'rein 
machen, 

Muß ſehen, was die kleinen Kinder 
machen; 

Wenn ſie nicht fleißig beten und ſingen, 

So ſoll meine Ruthe euch auf dem 

Buckel 'rumſpringen. 


Rumperus gegen Nikolaus 
gewendet: 


Nikolaus, Nikolaus! — Ich ſage dir 
großen Dank, 
Daß du mir dieſen Kinderplan haft 
zugemiejen! 
Anftatt Rofinen und Feigen, 
Will ich ihnen meine Ruthe zeigen. 


Großer Engel tritt gegen den 
Rumperus: 


Rumperus, Rumperus, was foll ih mit 
dir thun und laſſen? 


Rumperns: 
Stroh ſchneiden! 


Großer Engel: 
Rumperus, Rumperus, was joll id) dir 
werfen in deinen Rachen ? 


Rumperns: 
Eine gebratene Gans! 


Großer Engel: 
Rumperus, Rumperus, du wirſt mich 
nicht lang fexiren, 
Denn du wirſt heute noch weiter 
marſchiren. 


Rumperus: 
Du wirſt mir auch nicht die Schuhe 
ſchmieren? 


Großer Engel: 
Rumperus, Rumperus, pad dich hinaus, 
Du feinen Theil haft in diefem Haus. 


Rumperus: 
Du wirft auch nicht da bleiben! 


Großer Engel: 
Rumperns, ich erreich dich mit meinem 
Schwert, 
Daß du wirſt ſinken ſogleich zur Erd'. 


Rumperus: 
Eh' du mich wirſt mit deinen Schwert 
erreichen, 
Werd' ich wohl Zeit haben davonzufleuchen. 
Kleiner Bruder komm' auch herein, 
Hilf mir die kleinen Kinder ſchieben in 
den Sack hinein. 


1) Diefe Stelle iſt jedenfalls aus dem Dreikönigsſpiele ſehr unpaſſend entlehnt 
oder hat ſich in Folge der Zeit aus demſelben in dasſelbe eingeſchlichen. 


— 308 — 


Kleiner Rumperns mit 
auswattirtem Höder tritt ein 
und fingt: 

Fa, ja, das thu' ich gern, 

Wenn ihrer nur drei Mandl wär'n. 

Schnitzlbank und Taubenneft! 

Wär’ ich nur eher dagemeft, 

Ich hätt euch wollen den Kitzl vertreiben, 

Vierundzwanzig Stunden hinter den 
Ohren 'rum reiben. 

(Die beiden Rumperuffe ſetzen fich auf 
die Erbe und würfeln.) 


Chriſtus: 
Rumperus, Rumperus, euere Reben ge— 
fallen mir nicht, 
Petrus gib weiteren Bericht! 


Petrus tritt gravitätiſch ein 
und ſingt: 
Petrus, Petrus, bin ich genannt, 
Ich führe den Schlüſſel in meiner rechten 
Hand; 

Ich ſchließe den Himmel auf und zu, 
Wer hinein will, zuerſt Buße thu'. 
Ach, Herr! was ich von dir begehr'n, 
Ich glaube, du wirſt's nicht verwehr'n. 


Chriſtus: 
Sag an, mein lieber Petrus, was iſt 
dein Begehr'n? 


Petrus: 
Ich will ſchauen auf die Erd' hinunter, 
Will mir beſchau'n das menſchliche 
Wunder, 
Ob es noch iſt, als wie vor etlich' Jahren, 
Als ich und du darunten waren. 


Chriſtus: 

Geh' hin, mein lieber Petrus, du ge— 

treuer Knecht, 
Schau dir an das menſchliche Geſchlecht; 
Immerhin in etlichen Tagen, 
Wirſt du viel wiſſen von der Welt zu 

ſagen. 

Geh' hin im Namen des Herrn! 


Petrus: 

Alſo will ich gehen hin, 

Weil ich zur Reiſe fertig bin. 

(Geht hinaus, kommt aber gleich wieder 
berein). 


Chriftus: 
Petrus, jo bei Zeit‘, 
Ich glaubte, du bift von hier noch meit, 
Wie ich aber ſeh' von dir, 
So bift du ſchon wieder bier, 


Petrus: 

Ah Herr! Ich bin jchon längſt gewan— 
dert; 

Auf Erden hat ſich? viel verandert; 

Es ift nicht mehr ald wie zuvor, 

Wo ih und du noch drunten wor", 

Die Hoffart nimmt jehr überhand, 

Alles lebt in Laſter, Schmad) und Schand. 


Chriſtus: 
Weiter, weiter, mein Petrus. 


Petrus: 


Da kam ich in eine Rockenſtuben, 

Da waren nichts als Madeln und Buben, 

Die thaten nichts, als Plaudern und 
Singen, 

Aber an ihren Rockeen nichts ſpinnen, 

Sie machten nichts, als Schlagen und 
Raufen, 

Ach Herr! davor mußt' ich entlaufen. 

Da begegnet mir ein altes Weib mit 

ihrem Rucken, 

Ach Herr! Vor der mußt ich mich bucken, 

In einer Scheuer mußt ich mich verſtecken, 

War ſehr kalt, hat nichts überzudecken. 

Ach Herr! erlaub mir einen Tag, 

Daß ich die Welt abſtrafen mag. 

Das Firmament des Himmels will ich 
bewegen, 

Will laſſen Feuer und Schwefel 'nein 
regnen. 

Meinen Geift will ich d'ran wagen, 

Donner und Hagel ſoll d'rein jchlagen! 


ar a nn 


Chriſtus: 
Nein, nein, mein Petrus, mein Sinn iſt 
nicht dahin gericht’! 
Wenn ich wollt’ ftrafen nad der That, 
So wär fein Menſch, der feine Sünden 
hat, 
Paulus, Paulus, gib du mir Beicheid, 
Wie verhalten ſich die Nachbarsleut! 


Baulus tritt würdevoll ein 
und fingt: 
DO, Herr! Wie Hunde und Rasen, 
Wie fie einander betrügen, befragen, — 
Fe weiter der Nachbar, je beffer der 
Freund! 
Wenn fie aber nahe beifammen ſeind 
Haben fie ftet3 was zu hadern zu zanken, 
Wenn einer grüßt, thut der and're nicht 
danfen. 
Sie heißen einander Schelm und Dieb, 
Ach, Herr! Das ift fein’ Nachbarslieb. 
Will ich euch fagen von Mann und 
Weib, 
Was die jest für Hoffart treib’; 
Da haben fie ein’ Buben von fünf, ſechs 
Jahren, 
Muß der die Kleidung haben von aller— 
lei Farben. 
Will der Vater Ruhe haben, muß er die 
Tochter auch begaben. 
Auf den Gaſſen prahlen ſie ſich ſchön 
und roth, 
Zu Haufe haben fir nicht das trockeue 
Brot. 
Haben fie das trod’'ne Brot zu eflen und 
Waſſer zu trinken, 
Dann thun fie fich erft gar jehr viel dünfen. 


Chriſtus: 
Paulus, Paulus, die Lieb' iſt ſchlecht 
beſtellt, 
Wie bald wird ihr das Urtheil gefällt; 
Paulus, Paulus, deine Reden gefallen 
mir nicht, 
Moſes, Moſes gib weiter Bericht. 


Moſes tritt ein und recitirt mit 
ftotternder Stimme: 


Moſes bin ih genannt, krumm und elend 
bin ich geboren, 
Bon Gott, den Allerhöchſten auserkoren: 
Ich führte das ifraelitiiche Volk durch 
das rothe Meer 
Mit trodenen Füßen daher; 
Da jchrie ich zu Gott, 
Da empfing ich die heil’gen zehn Gebot. 
Gott jchrieb fie mir ſelbſt auf zwei 
fteinerne Tafeln, 
Ich ſollt' fie jelbft dem jüdischen Bolt 
vortragen, 


Chriſtus: 
Moſes, wie verhalten ſich die Menſchen 
nach den zehn Geboten? 


Mojes: 
Nur ein Hein wenig Gebuld mit mir; 
Ah Gott! Sollt' ich alles jagen dir, 
Käm' ich hundert Fahre nicht fort von hier. 
Did und deinen heiligen Namen thun 
fie eitel nennen, 
Dich als feinen Gott erfennen; 
Ad die Bosheit ift groß, d’rum ftraf' 
fie, o Gott! 
Laß’ durh Ach und Weh fie verzehren, 
Thu’ fie nicht ernähren; 
Stelle mir diejes frei, 
Ich ſchlüge die Tafeln den Kindern am 
Kopf entzwei. 


Ehriftus: 
Moſes, deine Reden gefallen mir nicht, 
Fofef, du getreuer Pflegevater mein, gib 
aud einen Rath, 
Bu der feinen Kinder Miffethat. 


Joſef tritt ein und recitirt: 
Zu der Heinen Kinder Miffethat, 
Geb ich ganz kurz diefen Rath: 
Sch wollte, daß der Tod käm' über das 
Gebirge, 
Und die feinen Kiuder all’ erwürge. 


— 305 — 


Gib fie dem Rumperus in feine Hände, 
Der macht mit ihnen bald ein Ende. 


Ehriftus: 
Joſef, deine Reden gefallen mir nicht, 
Thomas, du getreuer Jünger mein, 
Sag an, wie verhalten ſich die Heinen 
Kindelein ? 


Thomas: 
Ad, du mein lieber, heiliger Chrift, 
Fahr’ nicht fo jcharf in deinem Zorne 

in's Gericht. 

Denke doch einmal im Herzen dein, 
Daß wir auch Hein geweſen fein. 
Ad, Herr! thu' fie nicht ganz verdammen, 
Bielleiht preifen fie nody deinen Namen; 
Denn dazu find fie ja verpflicht't, 
Daß fie erfennen das Glaubenslicht. 
Herr, laß fie ehrbar leben, 
Und gib ihnen einjt das ew'ge Reben! 


Ehriftus: 
Thomas, bring’ die Kinder her und laß 
fie beten. 


Chorgeſang zum Schluſſe: 
Dreifaltigkeit, wir fallen dir zu Füßen, 
Unſere Sünden abzubüßen, 

Führ' uns all' in Himmel ein, 

Daß wir ewig ſelig ſein! — 

Nun Adien! — Behüt' euch Gott bis wir 
werden wieder kommen 

Aus dem Thal der Frommen. 

Hier in dieſes Jammerthal. ') 


Danfjagung: 
Für euer Geſchenk und Theil, 
Wünſchen wir euch das Heil! 
Für euer Gefchenf und Gaben, 
Sollt ihr Gotted Sohn zum Lohn im 
Himmel haben! 


II. Das heilige Dreikönig-Spiel. 


Das heilige Dreifönig-Spiel wurde zum Tegtenmale im Jahre 1842 
in Falkendorf aufgeführt, und die Koftüme, wie die Darftellung wurden 
mir don einem Herrn, der Augenzeuge war, als befondırs gut gefchildert, 
jo daß auf Verlangen das Dreifönigs-Spiel auch in Tetſchen und den 
umliegenden Orten zur Aufführung kam. Der Gefang war im Volfstone 
gehalten, nur wenn das Alleluja oder Gloria angejtimmt wurde, jo 


erflang der Geſang kirchlich. 


Perſonen: 


Großer Engel, 
Kleiner Engel, 
Heilige Maria, 
Heiliger Joſef, 
Alter König, 


1) Eine andere Angabe lautet: 


Kleiner König, 
Mohrenkönig, 
Herodes, 
Trabant. 


„Run Adieu, behüt euch Gott, 


Bis wir werden wieder kommen, 
Hier aus dieſem Jammerthal, 
In das ſchöne Freudenthal. 


Mittheilungen. 25. Jahrgang, 3. Heft. 


20 


— 306 — 


Großer Engel tritt herein, gebt 
hin und her und jingt: 
Selobet fei Jeſus Ehriftus, herein, 
Was ung erlaubt mag fein. 
Ein Gedächtniß von den heiligen Drei— 
könig', 
Es iſt zwar etwas wenig; 
Wir werden es machen nicht gar lang, 
Mit einem ſchönen Lobgeſang! 
(In) Credo! — (In) Credo! 

‘Gr rufet dann Maria und Joſef herein, 
zugleich fommt aber aud) der Feine Engel 
und dieſe drei fingen): 

Gloria Gloria in Excelsis 

Deo! Alle-alleluja ! ’) 


Derodes fommt herein, gebt auf 
und ab, dann jingt er: 

Blitz, Donn r, Hagel, Feuerflammen, 

Nebel, Rauch und Finiternuß, 

Lauft ihr Wolken al zuſammen, 

Daß die Sonne weichen muß; 

Laſſet Fenerftrahlen bligen, 

Werft, ihr Götter, Pfeil herab, 

Venus, thu die Waffen ſpitzeü 

Und jchlag’ unfern Feind in's Grab. 

G'ſchwind Saturnus mad) dich auf, 

Jupiter, wenn du bift noch droben, 

Laß den Keulen feinen Lauf. 

Macht euch mit mir auf die Bahn, 

Zu fteden aus die Stegesfahn”. 

Es wird viel Blut herunter regneu, 

Mit allen Unglück Heil entgegen, 

Zu befchügen unler Yand und König, 

Die Beſtürzung ift nicht wenig, 

Herodes tjt ein ftarfer Held, 

Er marichirt gegen den Feind ins Feld. 

Sch weiß nicht, was ich denken ſoll, 

Bon einem neuen König it alles voll; 

Ein großer Schreden nimmt mich ein, 

Doch er wird mir ſchon willfommen fein 

Er erbittert meine Bruft fo jehr, 

Een, Trinken Fanın ich nicht mehr. 


So ſchwör' ich auch bei Scepter und Kron, 
Das Land verbleibt mein Eigenthum, 
Fc will meine Kron fein andern geben, 
Soll es koſten gleich mein Leben. 

(Er ſetzt jih auf einen Stuhl.) 


Die Dreifönige fingen draußen: 
Ein Kind geboren zu Bethlehem, Alle- 
luja, Alleluja ; 
Es freue ih Jeruſalem, Alleluja, Alle: 
luja! 
Herodes: 
Trabant, du getreuer Diener! 


Trabant: 
Was befehlen eu're Majeſtät? 


Herodes: 
Geh' eilends hin nach Bethlehem, frag' 
die Leut', 
Was das Geſchrei bedeut'. 


Trabant: 
Was euer Majeſtät wird ſchaffen 
Und anbefehlen, wird alles in Eil voll— 
zogen werden. 
(Er ſpricht zur Thüre hinaus) 
Wohl edle Herrn in der Geſtalt 
Wünſcht mein König euch zu ſehen bald. 
(Er geht zurück und ſtellt ſich hinter 
Herodes). 


Die Dreikönige kommen herein 
und ſingen: 
Drei Könige von Sabath kommen daber, 
; alleluja, alleluja! 
Gold, Weihrauh und Mirrhen bringen 
wir ber, 
alleluja, alleluja! 


Herodes: 
Seid alle willkommen, ihr Freunde mein, 


1) Im Urtexte heißt es: Im Gloria, in Gloria, in Excellsis 
in deo alle-alleluja. 


— 307 — 


Wo kommt ihr her, wo zieht ihr hin, 
Wiß't ihr nicht, daß ich König Herodes bin. 


Alter König: 
Eure Majeftät verzeihen ung, 
Wir kommen daher wohl nicht umfunft; 
Den neugebornen König fuchen wir heim, 
Wir willen nicht, wo er wird zu finden 
fein. 


Mohren-König: 
Diejes hab’ ih mir vorgenommen, 
Nicht früher nah) Haus’ zu kommen, 
Bis das ich find’ der Juden König, 
Mein Verlangen ift nicht wenig. 


Kleiner König: 
Seinen Stern haben wir geſehen, 
Und fleißig Achtung drauf gegeben, 
Euer Majeftät jagen fie jitt, 
Wo der nengeborne König ſitzt. 


Herodes: 
Ihr bei mir ſucht einen neuen König, 
Davon weiß ich wahrhaftig wenig; 
Hier bin ih König, jonft fein anderer, 
Da ziehet hin, ſeid weiter Wanderer. 
Wenn ihr aber den neuen König findt, 
Sogleih mir and) die Nachricht bringt, 
Auf daß ih auch hin Fommen kaun, 
Und das heilige Kindlein bete an. 


Alter König: 
Das werden wir thun ohne Scheu, 


Mohren- König: 
Wir werden wieder einfehren alle drei. 


Kleiner König: 
Euer Majeftät! Leben fie aller Sorgen 
frei. 


Herodes: 


So reiſet hin nach linker Hand, 

Die Straße iſt jedem Maun bekannt, 
Und kehret wiederum bei mir ein, 

Ihr ſollt meine liebwertheſte Freunde ſein. 


(Die drei Könige gehen hinter Herodes 
vorbei zu Maria und Joſef, die mittler— 
weilen mit dem Jeſukindlein eingetreten 
find, Die drei Könige ſprechen im Gehen): 
Der Stern ftehet ftill und zeigt ung au, 
Daß wir in diefem Haus das Rind 
jollen beten an. — 
Vor Maria fnien fie nieder, opfern ihre 
Geſchenke und jprechen: 


Alter König: 
Grüß’ dich Gott König, hochgeboren, 
Ueber alle Könige auserforen, 
Nimm’ an von mir das Heine Geſchenk, 
In der Sterbftund’ auch meiner gedent, 


Mohren- König: 
Du bit von mir gar hoch geehrt, 
Haft mir auf Erden viel Gutes beichert. 
Nimm an von mir das Heine Geſchenk, 
In der Sterbftund’ auch meiner gedenf, 


Kleiner König: 
O, liebes Kind, ich bet’ dich, verlaſſ' mic 
nicht im meiner Noth, 
D, gib auch mir das tägliche Brot! — 


Maria: 
Großen Dank jollt ihr Könige alle haben 
Für Enere G'ſchenk und Liebesgaben. 
Das Kindlein wird nad) diefem Leben 
Euch allefanımt den Himmel geben. 


Drei- König: 
Ach, wenn wir body fünnten das Kindlein 
verehren alle Stunden, 
Doch laffen wir es regieren und bringen 
Herodes hievon die Kunden. 


Kleiner Engel (zum Heinen König): 

Hör’ du König vom Orient, 

Gott hat mich zu dir gejendt: 

Ber Herodus jollt ihr nicht fehren ein, 

Er meint! nur gut auf den Schein. 

Drum reifet hin nad rechter Hand, 

Gott wird euch ſchützen zu Waller und Land, 
20* 


— 508 — 


Alter König: 


So wollen wir und wieder machen auf, 
Und nad) Jeruſalem richten unſern Lauf. 


Kleiner König: 
Nein, ach nein, mir erſchien im Schlaf 
ein Engel, ganz hell und Har; 
Herodus trägt einen faljhen Muth, 
(Sr will fi) waſchen in unjerem Blut, 
Sp folgen wir doch diefer Engelöftimme. 


Alter und Mohren- König: 
Ja, ch ja, jo reifen wir hin nad) rechter 
Hand, 
Er wird uns ſchützen zu Waller und zu 
Land. 
(Gehen ab.) 


Großer Engel zu Joſef: 
Erſchreck' nicht, Joſef, du getreuer Vater 
mein, 
Du auserwählter Bräutigam der zarten 
Jungfrau rein; 
Höre an den Unterricht, 
Weil Herodes der Böfewidht, 
Ausſchickt feine Soldaten, 
Das Rindlein Jeſu will er tödten; 
Drum gehe eilends und gejchwind, 
Nimm Maria und das Kind, 
Und fliehe in das fremde Egypterland, 
Auf daß ihr werdet nicht erfannt. 


Joſef zu Maria: 
Komm Maria, du edle Brant, 
Welcher Gott fein Sohn vertraut, 
Diefen will Herodus laſſen tüdten; 
Komm, laß’ ihm jein Leben retten. 
DO, Maria, du edle Jungfrau rein, 
Jetzt mußt du noch eine Tugend fein. 


Maria zu Joſef: 
Deine Rede ift mir im mein Herz ge— 
gangen, 
Ich habe danoı einen Stich empfangen, 
Da man jucht, das liebe Kind 
Zu tödten wieder geſchwind; 


Drum woll'n wir uns nicht lang ver: 
weilen, 
Ueber Berg und Thal hin eilen, 
Fliehen in's fremde Egypterland, 
Auf daß wir werden nicht erkannt. 
(Gehen ab.) 


Herodes: 

Ich ſinn' wohl ſchon und hör, 
Das ſind mir doch gar neue Mähr; 
Wo find' man zwei König' in einem Land, 
Bei meinem Eid, das wär' eine große 

Schand. 
Ich will ferner König ſein, 
Und wer begehrt die Krone mein, 
Den laſſe ich ſogleich tödten, 
Er ſoll nimmer lange reden. — 
Ich warte jetzt ſchon mit Verlangen, 
Dieſen neugebornen König zu empfangen, 
Ich werde e3 nicht länger mehr treiben, 
Laß alle Kinder tödten und aufreiben. 
Trabant, du getreuer Diener mein! 


Trabant: 
Was befehlen, eure Majeftät? 


Herodes: 
Geh' eilends hin nach Bethlehem und 
tödte alle Knäbelein, 
Die zwei: und dreijährig ſein. 
Han’, ſchueid' uud ftidh, 
Wenn dic) au die Mutter herzlich bitt, 
So wirft du mir Feind verſchonen. 
MWirft du mir eins verichonen 
Und ihm das Leben jchenfen, 
So laſſ' ich dich ohne Gnad' aufhenken. 


Trabant: 


Was euer Maieftät wird fchaffen und 
anbefeblen, 

Soll alles in Eil vollzogen werden. 

Ich werde meinen Fleiß auch fparen nicht 

Bei großen Schaden und Ungelück; 

Ich laſſe mich finden alle Zeit, 

Bin ftet$ fertig und bereit. 

Ich mill es gar nicht denken, 


— 3009 — 


Daß ich einem will das Leben ſchenken; 
Alle, die ſich zwei- und dreijährig nennen, 
Müflen fterben unter meinen Händen. 


Herodes (zieht den Säbel): 
Ich werde fehen aljobald, 
Wie du gebrauchſt die Gewalt; 
Unterdeflen gehe ich zur Liebften mein, 
Sie wird wohl auch traurig fein. 


Trabant zieht den Säbel, geht hinaus 
und ſpricht: 

Alſo Hurtig und geſchwind, 

Funges Weib, gib ber dein Kind; 

Heut’ ift bei mir feine Gnad’, 

Sch ſchneid dir aud) die Gurgel ab. 
(Stedt das Kind im Hereingehen an den 
Säbel.) 

Alfo friihen Muth und friſches Blut, 
Heut’ hab ich viel helfen ſchlachten, 
Da gab's viel zu betradhten. 


Herodes: 

So haft du alles ausgericht, 

Wozu did; mein Befehl verpflicht. 
Trabant: 

Sa, mein König, mein Beweis fich fehen 


laßt, 
Dies ift auch ein folder Gaft; 


Die Weilen haben uns betrogen, 
Sie find eine andere Straße gezogen. 


Herodes: 
Du haſt gethan recht und gut, 
Nunmehr iſt geſtillt meine Wuth. 


Kleiner Engel: 
Hör', du Wütherich und Tyrann, 
Was dir Gott läßt zeigen an: 
Das unſchuldige Blut 
Er von dir fordern thut; 
Gott ſtreckt aus über dich ſeine Hand, 
Du mußt werden ein Höllenbrand; 
Pack' dich fort aus dieſer Stadt, 
Weil Gott vor dir ein Abſcheu hat. 
Herodes ſpricht und erſticht ſich: 
O, Mordie, o, bitterer Tod, 
Ich ſterb' an der beſtimmten Noth! — 
Trabant: | 
O, mein König, was thuft du? — du 
haft dich erftohen! — 
Du bleibft nicht ungerochen! — 
Alle zugleid: 
Gelobet fei die heilige Dreifaltigkeit 
alleluja, alleluja, 
Von nun an bis in Emigfeit, alleluja, 
allelujal ') 


Beiträge zur Geſchichte der deutſchen Indu- 
ftrie Uordböhmens. 


Bon Brofeffor Franz Hübler, 
(Schluß). 
Die vieljeitige Thätigfeit, welche mit dem Betriebe und der Erwei— 
terung des großartigen Gejchäftes verbunden war, filllte trogdem den 


vaftlofen Geiſt Ginzkey's nicht völlig aus, er gewann noch entjprechende 
Beit, der engeren Heimat und dem allgemeinen Wohl feine Dienfte zu 


1) Bergl. über Weihnachtsſpiele im Erzgebirge Jahrgang IH. 115,:Reichenberg 


Jahrg. V. 66, Teplig Jahrg. VII. 49, fowie Naaff über das Volkslied Yahr- 


gang XX—XKXIU. 


Anm. d. Reb. 


— 310 — 


weibhen, er nahm jtets an allem Antheil, was die heimische Induſtrie zu 
fördern und der engeren Heimat zu migen geeignet jchien. Als Ginzkey 
am 20. März 1869 in Folge jeiner bedeutenden Erfahrungen als Induſtrieller 
in die Neichenberger Handels: und Gemerbefanmer gewählt wurde, ent- 
widelte er dafelbjt eine unauffällige aber eifrige Thätigfeit, und er bethei- 
ligte fi) in hervorragender Weiſe an einer ganzen Weihe von Arbeiten 
bezüglich des hiefigen Handelsfanmerbezirkes. Seine Beitrebungen in diejer 
Richtung giengen insgefammt dahin, die heimiſche Arbeit und Ge- 
werbthätigfeit gegen die übermächtige ausländijche, namentlich 
englifche Eoncurrenz, durch Aufrihtung von Schugzöllen 
zu jhügen Wiewohl Ginzkey jelbjt in der Erzeugung feiner Artikel 
verhältnismäßig weniger durch den gewaltigen Strom engliſcher Erzeugniſſe 
zu leiden hatte, da er einer der wenigen öÖfterreichischen Fabrikanten war, 
welche den gemeinjamen Feind auf jenem eigenen Boden zu befämpfen 
vermochten, jo erkannte er doch, daß England durch feine vortheilhafte 
injulare Lage, fein Uebergewicht als erjte Seemacht, durch feine Colonien 
und feinen Welthandel, durch die lange industrielle Schulung feiner Be: 
wohner, durch feinen Reichthum und den Ueberfluß an Gapitalien und 
durch feine ſelbſtſüchtige Dandelspolitit der größte Feind aller aufitrebenden 
Induſtrien des Feitlandes ſei und daher nur durch ein zielbewußtes, 
kräftiges Schutzzollſyſtem erfolgreich befümpft werden könne. Daher ver: 
mochten auch die blendenden Abhandlungen und ſchönen Redensarten der 
Eobdenmänner über die großen Vortheile des Freihandels jeine Meberzeugung 
nicht zu erjchüttern. Er verfocht jeinerfeitS die Anficht, welche auch von 
der geſammten öſterreichiſchen Induſtrie als maßgebend und richtig ange- 
jehen wird, daß in Dejterreich die Bedingungen noch lange nicht vorhanden 
jind, welche den Uebergang von der Schugzollpolitit zum Freihandel als 
räthlich erjcheinen lafjen könnten; er hielt jener an dem Grundfage feit, 
den Gewerbfleiß im eigenen Lande vom kleinſten an zu pflegen, die hei: 
mijchen Arbeitskräfte, wo es nur immer thunlich fei, gegen die fremden zu 
bevorzugen, die inländische Induſtrie mit dem durch das Exportgeſchäft 
erzielten Gewinn zu unterſtützen und ſo dauernd zu kräftigen. Von gleichen 
Geſichtspunkten wurde er geleitet, als er zu Anfang 1875 an den Be— 
rathungen der Handelskammer über den Entwurf eines allgemeinen Zoll— 
tarifs theilnahm. In dem ftreng jachlichen und lichtvollen Gutachten, welches 
er über die Berhältuijje feines eigenen Yabricationszweiges jowie der hei- 
mischen Webeinduftrie erjtattete, und worin fich feine ſcharfe Denkweiſe 
offenbarte, weift ev unter Anführung des Mißverhältniſſes der Zolljäge 
bezüglich des Nohmateriales und der fertigen Waare darauf hin, wie 


— 311 — 


außerordentlich jchwer es dem dfterreichiichen Induſtriellen gemacht werde, 
ji) aus eigenen Kräften zur Concurrenzfähigfeit mit dem Auslande enıpor- 
zufchwingen, „wie 3. B. durch die maſſenhafte Einfuhr der Juteleinwand 
als Packleinwand die heimische Webeinduftrie außerordentlich gejchädigt 
wiirde, indem 30.000—40.000 Weber der Gebirgsdörfer des Kammer: 
bezirkes, welche bisher mit dev Erzeugung der ordinären Leingarn- und 
Packleinwand bejchäftigt waren, dadurch brodlog geworden waren, weshalb, 
nm diefe Tauſende von Händen wieder zu bejchäftigen und Noth und 
Elend von ihnen abzuwehren, ein erhöhter Zollfag für rohe Juteleinwand 
nöthig wäre." Es find dies Grundjäße, welche fir die Gegenwart noc) 
diejelbe Bedeutung und Berechtigung haben wie damals. Nicht minder war 
Ginzkey für das Wohl feiner Ortsgemeinde Maffersporf thätig. Diefe verdaufte 
ihm außerordentlich viel, ja man kann jagen, dag Maffersporf durch Ginzkey's 
gemeinnütziges Wirken binnen wenig Jahren ein raicheres Wachsthum zeigte, 
als e8 jonft in eimem Zeitraum von 100 Fahren der Fall gewejen wäre. 
So zeigte ex jeinen gemeinnügigen Sinn und jeine Thatkraft, daß, als im 
Sommer 1863 über den Ban einer Straße von Mafferstorf nach dem 
gewerbfleigigen Röchlig und zum Neichenberger Bahnhofe lange Ber: 
handlungen und Berathungen jtattfanden, er jich raſch entjchloß, den Bau 
jelbjt auszuführen und diefen auch in feiner gewohnten Energie in dem 
furzen Beitraume von drei Monaten vollendete, während man jonjt bei 
der Langjamfeit und Unentfchloffenheit der dabei Betheiligten ebenſoviel 
Fahre dazu gebraucht hätte. Im Jahre 1864 erwirkte Ginzkey für 
Maffersdorf die Errichtung einer Poſtſtation und im Jahre 1873 die 
eines Zelegraphenamtes, wobei er die nöthigen Banlichkeiten auf eigene 
Koſten herjtellte und den Beamten ſelbſt bejoldete. Als in demfelben Jahre 
in Maffersdorf dev Bau einer neuen Volksſchule nöthig wurde und die 
Gemeinde dadurch bedeutende, drüdende Lajten auf fich nehmen mußte, 
jtreckte er derjelben ein unverzinsliches Capital von 3000 Gulden vor und 
lieferte außerdem das geſammte Ziegelmaterial auf feine eigenen Kojten. 
Ueberhaupt war Ginzfey der Maffersdorfer Schule ſtets zugethan, und fie 
fonnte zu allen Zeiten auf jeine Opferwilligfeit bezüglich der Lehrmittel: 
ſammlung, jowie ihrer Erweiterung und Hebung zählen. Gar manche 
Buchhändlerredhnung wurde für die Schule von ihm beglichen, und zum 
Ehrijtabend lieg er Fein armes Schulkind unbeſchenkt heimkehren. Nicht 
minder wurde von Ginzkey das Bereinswejen in Maffersdorf gefürdert. 
So unterjtügte er, nachdem er jelbjt mit der Errichtung einer eigenen 
Fabrifsfenerwehr mit gutem Beijpiele vorangegangen war, auf das bereit: 
willigfte das AJuslebentreten einer Gemeindefenerwehr As ſich im 


— 312 — 


Jahre 1856 und nochmals im Jahre 1869 in Maffersdorf Theater: 
dilettantenvereine bildeten, um für menjchenfreundliche Zwede zu wirken, 
überließ er denjelben ein mit bedeutenden Koften von ihm hergeftelltes 
Theater, fo daß die Gejellfchaften die gefammten Einnahmen dem guten 
Zwede zuwenden fonnten. Er ließ die öden und fahlen Gehänge des 
„Wachberges" von Meaffersdorf mit Laub: und Nadelholz bepflanzen, und 
heutzutage bildet diefe Anpflanzung bereits einen dichten, durch ihr frisches 
Grün das Auge erjreuenden Wald. Es war ferner Ginzkey's lebhafter 
Wunſch, daß die Gemeinden rechts und links der Neifje fich vereinigten 
und eine einzige Gemeinde ausmachen follten. Um die Sonderftrömungen, 
welche fich in beiden Gemeinden immer noch bemerkbar machten, einzudämmen 
und das angeftrebte Ziel dejto eher zu erreichen, bejtimmte er in hochherziger 
. Weije ein Legat von 10.000 fl. zur Erbauung eines Armenhaufes in 
Maffersdorf, jedoch unter der Bedingung, daß diefer Betrag, welcher von 
dem Tage feines Todes an mit 6°), verzinjt werden follte, nur dann ausge: 
zahlt werden dürfe, wenn jich beide Gemeinden innerhalb 6 Fahren zu 
einer einzigen verbinden würden. Käme die Vereinigung binnen der 
bezeichneten Frift nicht zuftande, jo hätte das Legat an die Ginzkey’fchen 
Erben zurüdzufallen. Ginzfey ließ fich hier neben dem lauterjten Wohl: 
wollen zugleid von dem Gefühl leiten, den Ort, wo feine Wiege ftand, 
und wo er aus Kleinen Anfängen eine große, Achtung gebietende Induſtrie 
in's Leben gerufen, auch in politifcher Beziehung auf eine höhere Stufe 
zu heben und fein rafcheres Aufblühen zu ermöglichen. Durch dieſe Neben- 
bejtimmung des Legates wollte er den Gegenftrömungen in den Gemeinden 
die Spige abbrechen, eine Abficht, die zum Nachteil der beiden Gemeinden 
nicht erreicht wurde.) Es ift daher leicht erflärlich, daß Maffersporf 
nicht nur in Folge diefer ausgebreiteten induftriellen Thätigkeit Ginzfey’s, der 
in dem früher ziemlich unbedeutenden Orte aus Heinen Anfängen und mit 
geringen Mitteln eine fo bedeutende Induſtrie gefchaffen und mit feinen 
Erzeugnifjen den Namen Maffersdorfs weit über die Grenzen der Heimat 
hinaus befannt gemacht hatte, jondern auch in Folge feiner menſchen— 
freundlichen und gemeinnüßigen Thätigfeit einen bedeutenden Auffchwung 
nehmen mußte. Diefer Aufſchwung zeigt ſich am Harften in dem Wachſen 


1) Die beiden Gemeinden wollten fich nicht vereinigen, da ihre Intereſſen ſich 
nicht deckten. Insbeſondere war es die Gemeinde rechts der Neiffe, welche, 
im Befige der Ginzkey'ſchen Fabrif und der Brauerei, fih mit der fteuer- 
ſchwachen Gemeinde links der Neiffe, wo nur fehr wenig Induſtrie betrieben 
wird, nicht verbinden wollte, 


— 8313 — 


der Bevölkerung. Die Bevölkerung Maffersdorfs vermehrte fi) vom 
Jahre 1848—76 aljo in einem Beitraume von 28 Jahren, um 100°, 
indem diejelbe im erjt genannten Jahre 3496, im Tegteren 6991 Ein- 
wohner zählte. ?) 

Ginzkey betheiligte ſich ferner mit mehreren heimiſchen hervor: 
ragenden Firmen, wie Johann Liebieg und anderen, an drei großen Un- 
ternehmungen, welche feiner engeren Heimat zum Wohle gereichen follten, 
nämlich zunächſt an der Errichtung der „Reichenberger Bank" im %. 1871. 
Dieſelbe wurde in der Abficht gegründet, den von der heimifchen Indu— 
jtrie und vom gejchäftlichen Verfehre oft beklagten in allzu enge Grenzen 
gebannten Verhältniſſen des Geldverfehres auf dem Neichenberger Plage 
eine größere Freiheit nnd raſchere Entwicklung zu. gewähren, als es die 
Nationalbank vermochte, da diefe in ihrer Wirkſamkeit zu jehr ein- 
geſchränkt war. Ginzkey gehörte der Neichenberger Bank, welche feit ihrer 
Gründung eine danfenswerthe nnd für die heimische Induſtrie wichtige 
Thätigfeit entfaltet hat, bis zu feinem Tode an. Auch der im J. 1859 
gegründeten Neichenberger Sparcafja trat Ginzkey mit einem Beitrags: 
capitale von 100 fl. bei und bewahrte diejer namentlich fir die Entwicklung 
Reichenbergs wichtigen Inſtitution ftets feine aufrichtige Unterftügung. 
Endlich betheiligte er fich in hervorragender Weife an der Errichtung der 
großen Brauerei in Maffersporf. Ginzkey hatte fi) mit dem 
Gedanken des Baues einer Brauerei in feinem Heimatsorte fchon lange 
getragen, und nur die damals augenblicklich günftigen Verhältuiſſe, nicht 
aber die Nahahmungsjucht der Gründerzeit brachten es mit fich, daß 
die Ausführung diejes Planes in die Zeit des jogenannten volks— 
wirthichaftlichen Auffchwunges fiel. Man hoffte von der Errichtung der 
Brauerei günftige wirthichaftliche Folgen für den ganzen Bezirk, da 
beim großen Verbrauche an Bier in dem gewerblichen, dicht bevül- 
ferten Nordböhmen große Mengen fremder Biere eingeführt werden 
mußten und dafür jährlich bedeutende Summen in die Ferne wanderten. 
Daher follte diefe Einfuhr fremder Biere durch die Erzeugung heimijchen 
Bieres aufhören, und die Hunderttaufende, der Heimat erhalten, ande- 
verjeitS aber auch die heimische Landwirthſchaft dadurch gefördert, und 
duch die Erzeugung eines gefunden, nahrhaften Bieres dem Branntwein— 
genuß, welcher in den Arbeiterfreifen damals noch ziemlich jtarf einge: 

1) Nach der fetten Volkszählung hat aber die Bevölkerung Maffersborfs wieder 
abgenommen, denn fie beträgt nur 4910 Einwohner. Die Urſachen find miy 
unbelannt, 


— 314 — 


bürgert war, entgegengetreten werden. Dieje Erwägungen und die augen- 
blicklich günſtigen Verhältniffe führten zum Bau des Bräuhanfes, welches 
im J. 1872 mit einem Aectiencapitale von 600.000 fl. zu baum begonnen 
md im Jänner 1874 dem Betriebe übergeben wurde, wobei man freilid) 
den Roftenvoranfchlag um 800.000 Fl. überjchritt. Das Maffersdorjer 
Bräuhaus erhebt fi) unweit de8 „Wachberges" vor Maffersporf auf 
einer mäßigen Anhöhe als impojanter, palajtartiger Bau, enthält unter 
der Erde ungeheuere Kellerräume uud wird an Ausdehmumg nur von 
wenigen, an Zwecdmäßigfeit der inneren Einrichtung kaum von einer 
einzigen öfterreichtichen Brauerei übertroffen. Gegenwärtig ijt die Brauerei 
die zweitgrößte in Böhmen, ſie jteht bloß dem bürgerlichen Bräuhaus in 
Pilſen nah. Sie bejchäftigt 76 Perſonen und erzeugt jährlich 54.240 HI. 
Bier im Werthe von 433.920 fl., von weldem der größte Theil von 
Neichenberg und Umgebung (beiläuftg 30.000 HI.) aufgebraucht wird, das 
übrige entfällt auf die benachbarten Städte und Drtjchaften des Gebirges, 
wie Gablonz, Tannwald, Kragau, Friedland u. ſ. w., ein geringerer Theil 
wird jelbjt ins benachbarte Sachſen, auch nach Wien ausgeführt. Freilich 
hatte das Unternehmen anfangs gegen mancherlei Ungemach zu kämpfen. 
Einmal gegen die Folgen des wirthichaftlichen Zuſammenbruches, und 
dann gegen die VBoruriheile, welche damals ſelbſt in Neichenberg dem neuen 
Erzeugniffe entgegengebracht wurden. Auch hier war Ginzfey ohne Un— 
terlaß thätig, er hielt die Zuverficht und den Muth der Actiengejellichaft 
aufrecht ") und errichtete, um dem Biere in der engeren Heimat Bahn zu 
brechen, unweit von der Brauerei und unmittelbar am Fuße des Wad): 
berges neben der Gebirgsitraße eine im Scweizerjtgl gehaltene Rejtau- 
ration, die wegen ihrer jchönen Lage bald von den Reichenbergern fleißig 
bejucht wurde und jich mit der Zeit zu einem beliebten Ausflugsorte 
gejtaltete. So brach ſich hier allmälig das Maffersporfer Bier Bahn und 
verdrängte die fremden. Meaffersdorf aber verdankt mit dem neuen Bräu— 
hauſe noch Heutzutage und fir die Zukunft Ginzkey ein bedeutendes 
Steuerobject. 

Es konnte nicht ausbleiben, daß die bedeutende Wirkſamkeit Ginzfeys 
jowohl in induftrieller wie menfchenfreundlicher und gemeinnügiger Hin: 


— -—_. 


1) Mit dem bald darauf erfolgenden Tode Ginzfeys, welcher der Actiengefellfchaft 
immer noch einen feften Halt gewährt hatte, ſchwand die Zuverficht und auch 
das Glück; im Fahre 1882 mußte die Brauerei an ein Conjortium verkauft 
werden, wobei die Actionäre das geſammte Actiencapital von 600.000 fl. ver: 
loren. Gegenwärtig jteht die „Neichenberger Bierbrauerei und Malzfabrif in 
Maffersdorf“ unter der Leitung des Conſortiums: Th. Franf u. Co. 


— 35 — 


jicht öffentlich gewürdigt und anerkannt wurde. Fir feine gewerblichen 
Erzengniſſe erhielt Ginzfey auf den verjchiedenen Welt- und Gewerbe— 
Ausjtellungen zahlreihe Auszeichnungen. So erhielt er außer der be- 
veits erwähnten bronzenen Medaille von der Londoner Ausjtellung des 
Jahres 1862, auf der Barijer Welt-Ausjtellung im Jahre 1867 vie 
jilberne Medaille, in demjelben Jahre auf der Induſtrieausſtellung 
zu Chemnig die ſilberne Medaille und die gleiche Auszeichnung auf der 
Ausjtellung zu Trieft im Jahre 1871. Die Wiener Weltausitellung des 
Jahres 1373 brachte ihm für feine ausgejtellten Teppiche und Decken die 
Fortjhrittsmedaille, und auf der Induſtrieausſtellung zu Santiago 
in Chile wurde ihm die zweite Preismedaille zuerkannt. Bon Seite der 
öſterreichiſchen Regierung wurde Ginzkey gleichfalls für die bedentenden 
Erfolge auf gewerblichem Gebiete ausgezeichnet. So erhielt er durch Aller: 
höchſte Entichliegung zunächjt am 31. October 1867 das goldene Ber: 
dienjtfreuz mit der Krone, welcher Auszeichnung am 27. October 1873 
das Nitterfreuz des Franz Joſeph-Ordens folgte. Die Stadt Zittau 
in Sachſen verlieh ihm am 21. Juli 1865 das Bürgerrecht, ce 
Auszeichnung, mit welcher in Sachſen weit weniger freigebig umgegangen 
wird als bei ung. Für ſein menjchenfreumdliches und gemeinnütziges 
Wirken erhielt Ginzkey gleichfall3 eine Neihe von Anerfennungsjchreiben 
von Seite der öſterreichiſchen Miniſterien und verſchiedener Vereine, ſo 
namentlich von Seite des öſterreichiſchen Unterrichts: Minifteriums am 
29. Mat 1874 „wegen jeiner vielen Verdienſte um die Maffersporfer 
Schule und für fein ftets an den Tag gelegtes jchulfreundliches Wirken", 
und ein ſolches von der Zuchmachergenofjenjchaft in Reichenberg vom 
23. December 1868, „da er als Borftand der Webjchule dieſe Anjtalt 
durch eine Neihe von Jahren unterjtügt hatte”. 

Die Errihtung der Maffersdorfer Brauerei war Ginzfeys letztes 
Werf. Mitten in diejes thatenreiche Leben, in die glücklichjten Lebensver— 
hältniſſe griff der Tod mit ungeſtümer, nerbittliher Haft ein. Ginzfey 
war niemals anhaltend leidend gewefen; er erfreute fich eines rüjtigen 
Körperbaues und eines gefunden Ausjehens und jcheint darüber die Aus: 
bildung eines tückiſchen Herzleidens nicht beachtet zu haben. In den erſten 
Maitagen des Jahres 1876 fühlte ſich Ginzkey unwohl, ohne daß er 
jedody darauf bejonders geachtet hätte, um ſo weniger, da auch der Arzt 
feine Bejorgnis hegte. Da trat unerwartet eine Berfchlimmerung und ein 
raſch zunehmendes Sinfen der Kräfte ein, und in der Nacht von 2. auf 
den 3. Mai um die 4. Morgenjtunde machte ein Herzichlag feinem ſchaffens— 
frendigen Leben ein plögliches Eude. 


— 816 — 


Das ganze Thal trauerte, als die erfchüütternde Kunde fich verbreitet 
hatte. Aus allen Theilen der Heimat und des Auslandes, aus fernen 
Ländern kamen Kundgebungen der innigjten Theilnahme Am 6. Mai 
fand die wiürdige Beerdigung des Verſtorbenen jtatt, zu welcher große 
Menjchenmengen von nah und fern herbeigejtrömt waren. Der mit Blumen 
iiberdedte Sarg wurde durch ſämmtliche Fabrikshöfe der Ginzkey'ſchen 
Anlage geführt als legte Huldigung der Ueberlebenden an den Schöpfer 
diefer Werfe und ſodann in der Pfarrkirche von Maffersdorf beigejegt. 

So wurde Ginzfey, kaum auf der Höhe feines Wirkens angelangt, 
noch in voller Rüſtigkeit und Kraft, allzufrüh den Seinigen und dem 
engeren VBaterlande entrifjen. 

Ignaz Ginzkey war von Berjon eine mittelgroße, marfige Gejtalt 
von guten, ruhigen Manieren. Gefichtsbildung, Ausdrud und fein ganzes 
Weſen erinnerten vielfach an den englischen Induſtriellen. 

Ein von U. Weger in Leipzig vorzüglich ausgeführter Stich ') jtellt 
ung Ginzkey im Bruftbild dar. Das von einem jchmalen Badenbarte 
umrahmte Antlig verräth in den Augen Milde und Herzensgüte, die hohe. 
fräftig gebaute Stirn mit zwei jcharfen Denkerfalten zwijchen den Brauen 
verräth häufiges Denken und Geiftesfraft, die bujchigen Augenbrauen 
und der energiiche Zug um die Mundwinfel weijen auf bedeutende That- 
fraft und zähe Ausdauer hin. Ginzkey war mit jolchen Eigenjchaften und 
Charaftereigenthümlichfeiten geziert, die in jedem Berufszweige, namentlich) 
aber im gejchäftlichen Leben, zu beveutendem Erfolge führen müfjen: er 
bejaß eine unermiübdliche Arbeitskraft, einen Haren ficheren Blick, ein reges 
Verftändnis für große und weit tragende “been, ein mannhaftes Selbft- 
vertrauen, ftrenge Pflichterfüllung, Chrenhaftigfeit, Verläßlichkeit und ein 
erftaunliches Gedächtnis. Von Anfang an und felbjt jpäter, als die ver- 
größerte Fabrifsanlage bereits in Blüte jtand, leitete er diefelbe in jeder 
Hinficht ganz allein, ohne fremde Beihilfe. Nur in der Färberei jtand 
ihm, wie bereit3 erwähnt, fein Bruder Wilhelm, ein ausgezeichneter Mit: 
arbeiter, zur Seite. Als ſpäter Ginzkey bei dem größeren Wachsthume 
des Gejchäftsbetriebes jüngere Kräfte für Buchführung, Correfpondenz u. ſ. w- 
aunzuftellen genöthigt war, blieb er doch bis zum Eleinften herab von allem 
unterrichtet, was fein Gejchäft betraf, die Ziffern feiner Bücher, die Be— 
jtände feines Lagers kannte er fürmlich auswendig, und feine große Ge— 
dächtnisfraft erjtredte fi) bis auf das Conto des geringjten Kunden, wie 
auf das legte Sädchen Garn. Er beſaß von Natur aus einen Fünjtlerischen 


— — 


]) Dem jhon erwähnten Werke von Dr. F. Mamroth als Titelbild beigegeben. 


- 87 — 


Geſchmack, welcher ihm namentlich "bei der Erfindung der Teppichmufter 
ſehr zujtatten Fam; obwohl er nicht regelrecht zu zeichnen gelernt hatte — 
ein Mangel, den er jehr beflagte — erfand er doch ganz allein alfe Mufter 
für jeine Zeppiche und Deden, jtellte fie zufammen und verbefjerte fie, 
Wenn ihm zufällig ein hübjches Meufter, ein gelungener Arabesfenzug auf 
irgend einer Zuchleifte oder fonjt an einem Gegenftande zu Geficht kam, 
jchrieb er Bemerfungen darüber in fein Notizbuch ein oder fügte auch mit 
einigen Strichen die Zeichnung bei. 

Bejonders hervorragende Charaktereigenjchaften Ginzkey's waren: 
Anjpruhslofigfeit, Bejcheidenheit und Herzensgüte Die 
ftattliche Reihe von Ehrenbezeichnungen und Auszeichnungen, welche Ginztey 
namentlich in den legten Lebensjahren zutheil wurden, gereichten ihm wohl 
zur Befriedigung, aber fie erwecken feinerlei Stolz in ihm, reizten ihn nicht 
zu neuen Ehren, er blieb als veifer, von Erfolg und Glück begünftigter 
Mann ebenjo anfpruchslos und liebenswürdig, wie er es zu Beginn feiner 
Laufbahn gewejen war. Diejes bejcheidene, dem öffentlichen Hervortreten 
abgeneigte Weſen war mit Urfache, daß er die Wahl als Gemeindevorjteher 
in Maffersdorf ablehnte, und daß er in der Politik ſich wenig bemerkbar 
machte, abgejehen davon, daß jein eigentliche8 Arbeitsfeld ganz wo anders 
lag. Bezüglich feiner politiihen Gefinnung gehörte er der deutjch-liberalen 
Berfaffungspartei an, und er bethätigte dieſe ſtets offen bei allen Abjtim: 
mungen, bei den Wahlen der Handelsfammer in den Neichsrath und Land— 
tag, jowie im Landbezirke. 

Bon feiner schlichten, anſpruchsloſen Denkweiſe gibt folgende verbürgte 
Erzählung eine Probe: Als einft ein hochgeftellter öfterreichifcher Mini— 
jtertalbeamter, der auf handelspolitifchem Gebiete einen maßgebenden Einfluf 
ausübte, die Fabriksräume Ginzfey’s befuchte und eben in einem Magazine 
jich befand, wo große Ballen der nach England bejtimmten „Austrian 
blankets“ aufgeftapelt waren, machte er den Gaft nicht darauf aufmerkſam, 
obwohl fein ihn begleitender Sohn es anregte, indem er nachher bemerkte: 
„Der Minijterialbeamte hätte vielleicht glauben fünnen, daß die öſterreichiſche 
Induſtrie jchon exportfähig jei, weil ich die Baar Deden nah England 
ihide." An den Grundjägen der Ehrenhaftigfeit hielt Ginzkey unter allen 
Berhältnifjen unmwandelbar feſt. Als man in der Zeit des jogenannten 
volfswirthichaftlihen Aufſchwunges, da der Börfentaumel und das Gold- 
fieber manchen nüchternen Kopf berücte und manchen bis dahin mafellofen 
Namen befledte, mit außerordentlich lodenden Anerbietungen an ihn heran: 
trat, ihm jeden Preis für feine Fabrik verſprach, wies er alle diefe Aner— 
bietungen lächelnd aber feſt zurüd. 


* 


— 318 — 


Was Ginzkey als Menfchen namentlich) auszeichnete, war feine 
Herzensgüte Er war ein Menjchenfreund in des Wortes edeljter 
Bedeutung, bei welchem Noth und Kummer niemals vergeblich anflopften, 
ein eifriger Förderer alles Guten und Gemeinnügigen. Von jeiner 
‚Herzensgüte zeugen viele ungezählte Thaten der Barmherzigkeit und Groß: 
muth, welche er in jeiner engeren Heimat befundete, ebenjo das Anhäng- 
lihfeits- und Danfbarfeitsgefühl, welches er jeinem Geburtsorte 
Maffersporf gegenüber bewies Hievon zeugt nicht nur das Legat von 
10.000 Fl. zur Erbauung eines Armenhaujes in Maffersdorf, jondern auch 
der Umstand, daß er noch in den legten Tagen vor feinem Tode der 
DOrtsarmen in Maffersdorf gedachte und ihnen die Summe von 1000 fl. 
ausjegte, welche an jeinem Begräbnistage unter diefelben ausgetheilt werden 
jollte. ) Infolge feiner reichen Erfahrung verjtand ex es vortrefflich, mit 
Menſchen der verjchiedenften Zebensftellung zu verkehren, und feine milde 
Würde im Verkehr und die fchonende Form, in der er jeine Anjichten 
ausſprach, erwecten jchnell Vertrauen und gewannen ihm namentlich die 
Herzen feiner Untergebenen. Gegen die Schwächen anderer war er jtets 
nachfichtig, Kräntungen und Beleidigungen, die ihm nicht erjpart blieben, 
reizten ihn niemals zur Wiedervergeltung. In der Ausübung der Mild- 
thätigfeit jtand ihm auch feine Gemahlin getreulich zur Seite, So übte 
jie namentlich) im Jahre 1866 an öſterreichiſchen Verwundeten zahlreiche 
Werke der Wohlthätigfeit, jpendete für diejelben außer Geld Verbandſtücke 
und Wäfche, und lieferte für die Berwundeten im Neichenberger Stephans- 
Hofpitale 62 Ellen Teppih. Einem öfterreichifchen Jäger, welcher bei 
Skalitz ſchwur verwundet, in preußiiche Gefangenschaft gerathen, dann aber 
aus dem Spitale entflohen war, um nad) Sohannesberg bei Gablonz zu 
den Seinigen zu gelangen, legte Frau Ginzfey auf dem Wege durch 
Maffersdorf einen friſchen Verband an und bejchenfte ihn mit Geld. (Leider 
geriet) der Verwundete in Liebenau zum zweiten male in preußische Ge— 
Tangenjchaft.) 

Hier mag auc das Verhältnis Ginzkey's zu jeinen Arbeitern eine 
kurze Bejprechung finden. Ginzkey verjtand es, Ähnlich wie Johann Liebieg, 
ji) jeine Wrbeitsfräfte heranzuziehen, die tüchtigften auszuwählen, ſie 
fortzubilden und an Sich zu feſſeln. Das Verhältnis zwijchen ihm und 
jeinen Arbeitern war ein ſchönes und würdiges, ev war jtetS wohlwollend 
und gerecht gegen fie und ein wahrer Freund derjelben. Härte in der 


1) Was auch von Seite der Erben gejchab, indem am 6. Mat jeder Gemeinde 
liuks und rechts der Neiffe 500 fl. verabfolgt wurden, 


— 319 — 


Behandlung derfelben Tag ihm gänzlich fern; mit Güte und Milde fuchte 
er alle Mißhelligfeiten, die jich ergeben mochten, auszugleichen und zu 
ichitchten, jo daß bei ihm nie Störungen im Yabrifsbetriebe wie ander- 
wärts eintraten. Dieſe richtige Pflege feiner Arbeitskräfte Fam auch natur: 
gemäß jeinen Unternehmungen zujtatten. Noch jet gibt es Arbeiter in der 
Ginzkey'ſchen Fabrik, welche Ginzkey in den erjten Jahren feiner Thätigfeit 
zur Seite jtanden. Ginzkey nahm ftets freundlichen Antheil an den Leiden 
und Sorgen feiner Arbeiter, er Half bereitwillig, wenn jie in mißlichen 
Lebenslagen jich vertranensvoll an ihn wandten, aber er verjtand es and), 
die Arbeiter, die häufig nur fir den Augenblid leben und felten der Zukunft 
gedenken, an Sparſamkeit und Niüchternheit zu gewöhnen. Zu Beginn 
jeiner gejchäftlichen ZThätigfeit war das Verhältnis Ginzkey's zu feinen 
Arbeitern, da ihre Zahl noch nicht in die Hunderte ging, ein wirklich 
patriarchaliſches, indem er die Werfführer und tüchtigjten derjelben 
Sonntags an feinen Tiſch zu ziehen pflegte. Andererſeits verichmähte er 
e8 auch nicht, au den verjchiedenen Familienfeften feiner Untergebenen 
perjönlich Theil zu nehmen. So fam e8 auch, daß die Arbeiterunruben, 
welche zu Ende der jechziger Jahre in Reichenberg und den benachbarten 
Fabrifsorten vorfamen, ihn ſehr wenig berührten. Den Wrbeiter- und 
Strifebewegungen juchte ev überhaupt bei Zeiten vorzubeugen, indem er 
dann, wenn die Arbeiter unter dem Drude einer Theuerung litten, frei- 
willig zu wiederholten malen Lohnerhöhungen vornahm. Für Krankheits— 
und Unglüdsfälle bei feinen Arbeitern jtiftete er eine Krankencaſſe, 
die bei einer Einzahlung von 1%, des Lohnes jedem Arbeiter für die 
Dauer der Krankheit den halben Lohn, jowie freie ärztliche Behandlung 
und Medicamente ficherte, außerdem ſah er darauf, daß die Kinder feiner 
Arbeiter die Schule des Ortes eifrig bejuchten. 

Ginzkey iſt auch der Segen eines glüdlihen Familienlebens 
zu Theil geworden, jo daß jein Lebenslauf auch nad) diefer Richtung Hin 
heitere Farbentöne darbietet. In der zufriedenen Häuslichfeit fand der 
Ichaffende Mann das Afyl, wohin er fih nach de8 Tages Lajt und Mühen 
zurückzog und da neue Kraft und Luſt jchöpfte im Ringen mit den Wider: 
wärtigfeiten und Wechjelfällen des gejchäftlichen Lebens. Hier vergaß er 
die trüben Sorgen und Enttäufchungen, welche ihn namentlich zu Beginn 
feiner Laufbahn heimfuchten. Und es iſt ein jchöner Zug feiner gemüth- 
vollen Natur, daß er den Seinen immer erjt dann von diefen Mißhellig- 
feiten und Sorgen Mittheilung machte, wenn alles glüdlich geordnet und 
ausgeglichen war. Fir das gejelige Leben bildete überhaupt das Ginz— 
fey’ihe Haus einen reizvollen Anziehungspunft; von hier ift manches Gute 


— 2398 — 


und Schöne der Idee nach, nach Außen gegangen und in der Ausführung 
gefördert worden. Daher mochten auch die Berje, welche die Kinder 
Ginzkey's bei der Feier der jilbernen Hochzeit des Elternpaares am 
27. April 1872 vortrugen, ihre volle Berechtigung haben: 

„Bo Mann und Frau fih jo dem Fleiße weihen, 

Wo Lieb' und Trew’ ſich reichen fo die Haud, 

Da muß des Haufes fchönftes Glüd gedeihen, 

Da blüht und wächſt ein traut Familienband. 

Bald ftrömt in’3 Hans des Himmels reichiter Segen, 

Die Räume wachſen, die Geſchäfte blüh'n . . .“ 


Werfen wir zum Schluſſe einen Rüdblid auf die indujtrielle Thä— 
tigfeit und den Entwidlungsgang Ginzkey's, jo jcheint eine unüberjteigliche 
Kluft zwifchen dem Spulrade und dem Großinduftriebetriebe zu liegen, 
und doc Hat diefe Kluft Ginzkey durd Fleiß, Geiftesfraft, Ausdauer und 
itrenge Rechtlichkeit allmälig, aber ficher überbrüdt. Als die deutlichjten 
Markſteine in der erfolgreichen Laufbahn Ginzkey's erfcheinen uns zunächſt: 
der glüdlich von ihm erfaßte Gedanke, jich auf einen nenen Erwerbszweig, 
die Teppich: und Dedenerzeugung zu verlegen, jodanı die Aus— 
nilgung der als werthlos angejehenen Wollabfälle der inländiſchen 
Fabriken, und dann die Einführung der Abfälle aus den franzöfichen 
KXammgarnjpinnereien, endlih die Benützung uw Selbit- 
erzeugung der Kunſtwolle, durc deren Verwerthung er rajch zur 
Bedeutung aufftieg, und wodurd er in Defterreich eine neue, wichtige 
Quelle des Erwerbes erjchloß, und der heimijchen Induſtrie neue Wege 
bahnte. Der Reichthum lag auf der Straße, aber niemand verjtand es 
ihn aufzuheben, und daß e8 Ginzkey zuerjt verjtand, darauf beruht eben, 
wie beim Aufjtellen des Eies des Columbus — fein Verdienſt. 

Es liegt jeher nahe, den Lebenslauf Ginzkey’s mit dem Johann 
Liebiegs, des Begründers der großartigen Yabrifsanlage in Neichenberg, 
zu vergleichen. Unbemittelt und beinahe ohne jede Unterjtügung von Seite 
des Baterhaufes, betraten beide die Laufbahn, ausgezeichnet durch Erfoig 
und Ehre, faum auf der Höhe ihrer Wirkſamkeit angelangt, ſchließen beide 
diejelte allzufrüh. Und troß des bedeutenden Wechjels in Bezug auf 
äußere Lebensverhältnifje bewahren beide ihre Einfachheit ud Schlicht— 
heit des Charafters. Beide waren Männer der Arbeit, die jeit 
ihrer erjten Jugend auf die Erprobung der eigenen Kraft und auf ihre 
eigene Erfahrung angewiefen waren. Beide bilden in ihrem Charakter 
ein woblthuendes, abgejchloffenes Ganze und fie find vollgiltige Ber 
treter des tühtigen, rührigen umd intelligenten deutſchen 


—— 


Volkes in Nordböhmen. Ignaz Ginzkey hat wie Johann und Franz 
Liebieg unſerer deutſchen Heimat, ſowie dem geſammten Vaterlande neue 
Induſtriezweige erſchloſſen und damit die induſtrielle Bedeutung 
Nordböhmens uud Oeſterreichs erhöht. Ignaz Ginzkey war ein 
ganzer Mann, ſein Andenken wird in den gewerbfleißigen 
Thälern feiner Heimat folange fortleben als rührige 
Hände im Dienjte der Induſtrie thätig find. 


Ignaz Ginzkey hinterließ außer feiner treuen Lebensgefährtin, mit 
welcher er, wie bereits erwähnt, am 27. April 1872 die filberne Hochzeit 
gefeiert hatte, drei Söhne und fünf Töchter: Ignaz, Willy, Alfred, Anna, 
Marie, da, Rofa und Hermine Ginzfey. Die beiden älteften Söhne, 
Ignaz und Willy, der erjtere damals 27, der letztere 22 Jahre alt, hatten 
theils in Deutjchland, theils in Belgien den Gejchäftsbetrich praktiſch 
erlernt, und waren dem Vater bereits durch einige Zeit vor feinem Tode 
als tüchtige Mitarbeiter zur Seite gejtanden. Sie führen gegenwärtig im 
Geijte des Vaters mit den langjährig bewährten Kräften und ungejchmälerten 
Fonds (der jährliche Geſchäftsumſatz betrug beim Tode Ginzfey’s 2,000.000 fl.) 
. das umfangreiche Gejchäft weiter. Der erjtgeborene, Ignaz Ginzfey, gegen: 
wärtig im beften Mannesalter ftehend, ift mit Helene Sueß, der Tochter 
des Fabrifanten und Neichsrathsabgeordneten Friedrih Sueß, ver: 
mählt, der zweitgeborene, Willy, iſt noch unverheiratet und der dritte Sohn, 
Alfred, vollendete in dieſem Jahre feine Gymnaſialſtudien in Leitmerig, 
indem er fich mit günftigem Erfolge der Maturitätsprüfung unterzog und 
gedenft auf der Univerfität in Graz ſich dem-juridischen Studium zuzuwenden. 
Er ijt jedoch gleichfalls Mitinhaber der Fabrik und kann zu jeder Zeit in 
diefelbe eintreten. Bon den Töchtern Ginzkey's heiratete die ältefte, noch 
2 Jahre vor dem Tode des Vaters, den Wollwaarenfabrifanten Oskar 
Klinger in Neuftadtl. Nach dem Tode des Vaters vermählte fih Ida 
Ginzkey mit Philipp Schmidt jun, Fabrifsdivector in Jungbunzlau, 
Roſa Ginzkey mit Karl Mallmann, dem Director der Neichenberger 
Bank. Sie ftarb jedoch noch in der Blüthe ihrer Jahre bereit am 
14, Juli 1885. Marie und Anna Ginzkey find noch unverheiratet. 
Die erjtere traf vor einigen Jahren ein Unglüdsfall, welcher leicht hätte 
tragisch enden fünnen. Bon einem Balle nach Haufe zurückgekehrt, ftreifte 
ihr leichtes Ballfleid an ein auf der Erde ftehendes Licht, es fing Feuer 
und nur durch die Geiftesgegenwart und das energische Eingreifen ihres 
älteren Bruders, der das brennende Kleid raſch herabriß und die Flammen 
mit den Armen erjtidte, wurde fie vor dem Tode errettet. Doch trug fie 

Deittheilungen. 25. Yahrg. 3. Heft. 21 


— 32 — 


von dem Unglücsfall mehrere Brandwunden davon, an welchen fie lange 
zu leiden hatte, 

Die Yabrifsanlage wurde feit dem Tode Ginzkey's abermals be: 
trächtlich erweitert und zwar zunächſt durch zwei neue Yärbereien, 
jerner durch ein Wollmagazin und einen Zubau zum Comptoir-Gebäude. 
Daran reihte fich im Jahre 1883 der Bau einer neuen, äußert gejchmad- 
vollen Billa in italienischer Renaiſſanee, welche vom Neichenberger Bau- 
meijter Eduard Troſſin gebaut wurde, Sie erhebt ſich unweit der 
Gebirgsſtraße mit der Hauptfagade gegen den Park gerichtet, hat äußerſt 
geihmadvoll und veich ausgeftattete Innenräume und ijt gegenwärtig der 
jtilvolljte und ſchönſte Bau von Mafferspdorf. Infolge diejes 
Neubanes erhielt auch die frühere Parkanlage eine Erweiterung, indem fie 
Dis zur Gebirgsftraße ausgedehnt wurde. Zu der räumlichen Erweiterung 
der gefammten Fabritsanlage, welche gegenwärtig gegen 20 Joh Fläde 
umfaßt, fommt auch die technische, inden namentlich ſämmtliche alte 
Mafchinen durch neue nach den nenejten Syjtemen erjegt, und alle ein- 
ſchlägigen Berbefjerungen und Erfindungen der Neuzeit eingeführt wurden. 
In den Spinnereien jind gegenwärtig 12 Sag Krempeln neueſten Syitems 
nebjt den dazu gehörigen Spinnmajchinen u. ſ. w., und in den Webereien 
120 mechanische und 250 Handwebjtühle im Betriebe. In der Knüpf- 
teppichweberei, welche in jüngjter Zeit eine ganz bejondere Ausdehnung 
erlangt hat und worin Smyrna-Teppiche erzeugt werden, arbeiten gegen 
250 Mädchen. Der mechanische Betrieb der verfchiedenen Mafchinen wird 
von drei Dampfmotoren, welche von 6 Kejjeln gefpeift werden, nebjt drei 
Zurbinen von zufammen 500 Pferdefräften beſorgt. Sämmtliche Fabrifs- 
räume und Höfe ſammt den zwei Villen find gegenwärtig eleftrijch be: 
leuchtet, indem (nad) dem Syfteme der Firma B. Egger u. Co. in Wien) 
100 Bogenlampen und 1200 Glühlampen von 4 Dynamomajchinen nebjt 
einer ausjchließlih fir den Zwed bejtimmten Dampfmaschine geſpeiſt 
werden. Nach älterer Methode war bereits feit dem Jahre 1873 die 
Färberei eleftrijch beleuchtet, jo daß in diefer auch während der Nachtzeit 
gearbeitet werden konnte, was bekanntlich bei einer anderen Beleuchtung, 3.B.durch 
Gas, nicht möglich iſt. Außerdem find die verjchiedenen Fabrifsräume mit 
dem Haupteomptoive und diefes mit Neichenberg durch eine Telephonanlage 
verbunden.) Die gefammte Zahl der gegenwärtig in der Fabrik bejchäftigten 


1) Die in Neichenberg in jüngiter Zeit errichtete Telephonanftalt wird von 
der heimischen Induſtrie bereit? ausgiebig benugt. Mit Ende Auguft d. J. 
zählte die Anftalt 126 Centrallinien mit 3 Mittelftationen, dann vier divecten 
Yinien mit 8 Stationen, jo daß im ganzen 137 Stationen im Betriebe jind. 


— 323 — 


Arbeiter beträgt gegen 1000, wobei die eine Hälfte auf Männer und 
Knaben, die andere auf Frauen und Mädchen entfällt. Ein Weber verdient 
auf einem Handwebjtuhl wochentlih 5—8, auf einem mechanischen Web- 
jtuhle 8—9 Gulden. In der Knüpfteppichweberei verdienen die Franen 
und Mädchen wochentlih 4—7 Gulden. An Beamten find in der Maffers- 
dorfer Fabriksanlage gegen 30 und ebenjoviel in der Hauptniederlage in 
Wien angeftellt. An Wohlthätigkeitsanftalten für die Fabriksarbeiter Fam 
zu der bereits von Ignaz Ginzfey gegründeten Kranfencafja im J. 1876 
eine „Arbeiterpenfionscafja"”, indem das von Ignaz Ginzkey zur 
Erbauung eines Armenhaujes in Maffersdorf bejtimmte Legat von 10.000 fi. 
von jeinen Erben als Grundcapital für eine Arbeiterpenfionscajja 
verwendet wurde. Dasfelbe wird von Zeit zu Zeit von der gegenwärtigen 
Firma vergrößert und von drei Beamten der Fabrik und 5 aus der Mitte 
der Arbeiter gewählten Vertrauensmännern verwaltet. Alle Arbeiter der 
Ginzkey'ſchen Yabrif, welche durch längere Beit in derjelben bejchäftigt 
waren und arbeitsunfähig geworden jind, erhalten daraus entjprechende 
Penſionen. Ferner find jämmtlihe Beamten und Arbeiter der Fabrik 
gegen Unglücsfälle beim „Vereine von Induſtriellen zur Berficherung 
gegen Fürperliche Unfälle in Wien" auf Koften der Firma verfichert. Die 
ſchon von Ignaz Ginzkey gegründete Fabriksfeuerwehr beſteht gegen: 
wärtig aus 100 Mann und beſitzt außer allen nöthigen Feuerlöſch-Erforder— 
nijjen auch eine Dampfiprige. 

Bon den in der Fabrik erzeugten Artikeln: Teppichen, Deden und 
Kogen werden gegenwärtig die Deden hauptjählih nad) Südamerika, 
Teppiche, insbejondere „Smyrna=-Teppiche” nad) Frankreich, Eng- 
fand und Nordamerika ausgeführt. Für Defterreich ift in Wien die Haupt- 
niederlage. Die Firma ſteht mit jänmtlichen bedeutenden Handelsplägen 
der Erde theils durch Vertreter, theils durch eigene Reiſende in Verbindung. 
Zu den Auszeichnungen, welche die Ginzkey'ſchen Erzeugnifje auf den 
verschiedenen Induſtrie- und Weltausftellungen errangen, famen nad) dem 
Tode Ginzkey's Hinzu: Die goldene Medaille auf der „South 
African Exhibition“ vom Jahre 1877 und diefelbe Auszeichnung 
auf der im mächjten Jahre erfolgten Barifer Welt-Ausftellung. 
Auf der Gewerbe: Austellung zu Wien im Jahre 1880 war Ignaz 
Ginzkey jun. Preisrichter, daher blieben die Ginzkey'ſchen Erzeugniffe 
außer Bewerbung, und dasjelbe war auf der im Jahre 1885 erfolgten Aus- 
jtellung zu Antwerpen der Fall, auf welcher Willy Ginzfey der Jury als 
Mitglied angehörte, 


21* 


— 324 — 


Diefe angeführten Daten bemweifen zur Genüge, daß die Fabrifs- 
anlage ') jeit dem Tode des Schöpfers im rüftigen Vorwärtsfchreiten begriffen 
it und daß von Seite der jegigen Bejiger insbefondere für den Fabriks— 
betrieb im großen, alle Erfindungen und Verbeſſerungen der 
Neuzeit in ausgiebigfter Weife verwerthet wurden. Möge 
die Schöpfung Ginzkey's zur Ehre feiner Nahfommen, zur 
Ehre des deutjhen Namens in Defterreich weiter blühen 
und der engeren Heimat eine Stätte der Arbeit und des 
Fortſchrittes bleiben! 


Sagen aus dem weltlichen Böhmen. 
Bon Franz Wilhelm, 


1. Die Sage von der weißen Fran am Schloßberge bei Buchau. 


Bor nicht gar vielen Fahren bewohnte die „alte Hütte” im Eckert— 
walde zwiſchen Buchau und Taſchwitz ein Jüngling allein mit feiner 
Mutter. Der Jüngling trieb täglich die Herde auf die Weide, während 
die Mutter den Hausftand bejorgte. ALS eines Tages der Yüngling im 
Thale unterhalb des Schloßberges weidete, gejellte ſich zu ihm eine wunder: 
jhöne Frau im weißen Gewande und gab fich ihm als verwunfchenes 
Burgfräulein zu erkennen, dag er erlöjen fünne: „ie werde Tags darauf 
wieder aber im häßlichen Aufzuge erjcheinen und bedürfte zur Erlöfung 
blos Betupfen mit dem Finger, jelbjt Berühren mit feinem SHirtenftabe 
würde jchon hinreichen; fie würde dann ihm ganz gehören, verſprach fie, 
und feiner Mutter bei der Arbeit helfen.“ 

Der Morgen erjchien und ver Jüngling »trieb feine Herde wieder 
zur jelben Stelle. Wirklich erjchten die Geftalt in Begleitung eines um 


1) Bon hochgeſtellten Perlönlichfeiten, melde die Fabrik im Laufe der letzten 
Decennien bejuchten, ferien folgende angeführt: Seine E. k. Hoheit Rronprinz 
Rudolf am 9. Juli 1871 während feines Aufenthaltes in Nordböhmen, der 
öſterreichiſche Reichskanzler Freiherr v. Beuft im September 1867, die Statt: 
halter von Böhmen: Alerander Freiherr von Koller und Freiherr Philipp 
Weber von Ebenhof im December 1874, die Handeläminifter Dr. Anton 
Banhand und Ritter von Chlumesfy im Auguft 1875, die Gräfin Clotilde 
Slam Gallas u. a. m. 


— 325 — 


ſie ftetS emporspringenden ſchwarzen Hündchens; doch waren ihre Formen 
von gejtern nicht mehr zu erkennen. Der Körper über und über mit 
Geſchwüren und Ungeziefer, bejonders Eidechfen und Blinpjchleichen be- 
deckt, das Gejicht häßlich und verzerrt, die Sangen Haare graus über den 
Rüden und das Gejicht herabflatternd. Langjam im gemefjenen Tempo 
näherte fie ji) dem Jünglinge bis auf drei Schritte. Sie jprad) fein 
Wort, jondern gab dem Jünglinge durch einladende Bewegungen zu ver- 
jtchen, er möge das Erlöjungswerf an ihr beginnen; doc) feſt gebannt 
auf den led, wo er ftand, wagte der Jüugling vor Schreden nicht die 
geringfte Bewegung und nur ein Laut der verzweifelten Furcht entjchlüpfte 
jeinen Lippen. Die Geftalt aber entfloh mit den Eäglichen Worten: 
„Wehe, nun ift es wieder für hundert Jahre gejcheh’n!" Mühſam ſchleppte 
ih) der YFüngling nad) Haufe und ward zwei Tage darauf eine Leiche, 
Die weiße Frau aber wurde feitdem nicht wieder gefehen. 


Mittheilungen der Gefdäftsleitung. 





Su der am 29. November 1886 abgehaltenen Generalverjammlung 
wurde der Jahresbericht für das Vereinsjahr 1885 —86 vollinhaltlic) 
genehmigt, aus welchem ein kurzer Inhaltsauszug folgt: 

Der Berein zählte am Schluſſe feines 24. Jahres 54 ftiftende und 
1596 ordentliche, zufammen 1650 Mitglieder, ſomit gegen den zulegt aus: 
gewiefenen Stand von 1614 Mitgliedern um 2 Stifter und 34 ordentliche 
Mitglieder mehr. 


Rechnungslegung für das 24. Vereinsiahr. 


Einnahmen. 


Sahresbeiträge der Mitglieder . . . . 5.646 fl. 43 fr. 
Intereſſen vom Xetivcapitale. .... 475 „ 79 „ 
Erlös für veräußerte Vereinsjchriften . 136 „13 „ 
Sonftige Gejchenfe und Einnahmen . . 525 „9 „ 
Hiezu der mit Schluß des DVereinsjahres 

1884,5 verbliebene Caſſareſt . » . 150 „9 „ 


Zufammen. 2... 6.935 fl. 28 kr. 


— 326 — 


Ausgaben. 
Herausgabe der „Mittheilungen” . . . 3.003 fl. 51 Er. 
Für die Bibliothet . . » » 2.2... 255 „ 67 „ 
„ das Antiuarium 22 222... 14 272 > ; 
Honorar des Gejchäftsleiters fammt Woh- 
nungs-Beittag > 2 22 nn. 800. 1: ; 
Gehalt des Eanzelliften - . »» 2... 500 un 4, 
DEEBANB 2 1.184 „ — 
Einrihtungsftüde » » 2 2 2.2... 34:44: „ 
Für Beheizung, Beleuchtung und Reini: 
BIN ee a ne 310 „4 „ 
Sonjtige Kanzlei- und Verwaltungs-Aus— 
J ar tr RD 
Bufammen. . ... 6.789 fl. 74 fr. 
Demnach ftellt fich ein Ueberfchuß von. . . . . ne. 145 fl. 54 fe. 
heraus. 
Dazu fommt das Stammvermögen, welches mit Schluß 
ves 24. Vereinsjahres. . . . . ERW 17.531 fl. 96 Er. 
beträgt. 


Es beziffert jich daher nach den von den NRechnungs- 
revijoren geprüften Ausweiſen und Rechnungen das 
gejammte Bereinsvermögen in Geld, Werthpapieren und 
anstehenden Forderungen am Schluffe des 24. Vereins: 
jahres d. i. mit 15. Mai 1886 zuſammen auf. . . 17.677 fl. 50 fr. 

Hiezu kommt noch der Werth des Vereins-Inventars nebjt den 
Borräthen an verjchtedenen Verlagsartifeln des Vereines. 

Mit den Bertretern, den Hauptjtügen unferes Vereines, unterhielt 
die Gejchäftsleitung teten Verkehr, und ihrer opferwilligen Mühewaltung 
iſt es zumächjt zuzufchreiben, wenn die Zahl der Bereinsmitglieder im 
Laufe des Jahres zugenommen hat. Darum zollt ihnen der Ausschuß jeinen 
wärmjten Danf, — Neugegründet wurden 7, neubejegt 2 Vertretungen. 

Der Schriftenaustaufch wurde auf 3 neue Vereine ausgedehnt, fo 
daß unſer Verein mit 116 wiljenjchaftlichen Inſtituten in Beziehung steht. 

In der am 29. November jtattgefundenen General - Berfammlung 
wurden Zeinjtimmig gewählt: 

Zum Ehrenmitgliede: 

Herr JUDr. Franz Schmeyfal, Advocat, Landtagsabgeordneter. 


Herr 


ae 


Ferner in den Ausſchuß nachitehende Herren: 

Phil. Dr. &. Biermann, k.k. Schulrath, Director des k. k. deutfchen 
Gymnafiuns auf der Kleinfeite. 

JUDr. Johann Kiemann, Aovocat, Landtagsabgeordneter. 

Phil. Dr. Hans Lambel, Profeſſor an der k. k. Univerfität. 

Phil. Dr. &. €. Laube, Profeffor an der k. k. Univerfität. 

P. Maurus Pfannerer, Ph. Dr., k. k. Landesjchulinfpector. 

M. Pfeiffer, General-Inſpector der Bujchtiehrader Eiſenbahn. 

Guſt. Rulf, pen. f. k. Staatsbuchhaltungs-Rechnungs-Rath. 


Se Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifferſcheid, £. k. Kämmerer, 


Herr 


Großgrundbeſitzer, Landtagsabgeordneter ꝛc. ꝛc. 

JUDr. Edmund Schebek, kaiſ. Rath, Handelskammer-Secretär i. P. 
Dr. Ludwig Schleſinger, Director des deutſchen Mädchen-Lyceums, 
Landesausſchuß-Beiſitzer, Landtagsabgeordneter. 

Phil. Dr. Alwin Schultz, Profeſſor an der k. k. Univerſität. 

Fr. Theumer, k. k. Ober-Landesgerichtsrath. 

Phil. Dr. Theodor Tupetz, k. k. Profeſſor, Docent an der E £, 
Univerjität. 

JUDr. Albert Werunsfi, Advocat, Landtagsabgeordneter. 

JUDr. Friedrich Niter von Wiener, Advocat, Vice-Präſident der 
Advocatenfammer. 


In der conftituirenden Sigung am 29. November v. J. wurden 


gewählt: 


Zum Präjidenten : 

Str. Erlaucht Herr Franz Altgraf zu Salm-Reifjerjdeid, 
f. £. Kämmerer, Großgrundbeſitzer. 

Zum Bice-Präfidenten : 

Herr Dr. Ludwig Schlefinger, Director des deutjchen Mädchen: 
Lyceums, 

Die Übrigen Functionäre wurden in ihrer Amäsſtellung beitätigt. 

Nachdem der bisherige Gejchäftsleiter Herr Otto Lohr auf feine 


Stelle refignirte, hat Herr Univerfttäts-Profejjor ©. C. Laube die Leitung 
der Vereins-Geſchäfte gütigit übernommen. 


Der Bibliothek wurden werthvolle Geſchenke übermacht: 
Bon Sr. Durchlaucht Mar Egon Fürft zu Fürjtenberg. Aus dem 





Nachlaſſe des Herrn kaiſerl. Nathes Franz Klutjchat und von dem Herrn 
Bruno Bischoff, Cuſtos des Vereines. 


— 328 — 


Neu beſetzt wurden die Vertretungen in B.Leipa mit Herrn Karl 
Laug, k. k. Bezirks-Schul-Inſpector, und in Graz mit Herrn Frauz 
Kutſchera, Ritter von Aichbergen, fürſtl. Schwarzenberg'ſcher Hofrath. 


— 


Nachtrag zum VBerzeichnii der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 10. März 1887. 


Stiftendes Mitglied: 
Herr P. Siegl Meinrad, Abt des Eiftercienjer-Stiftes Ofjegg und Landes- 
Prälat von Böhmen mit dem Jahresbeitrage von 10 fl. d. W. 


Ordentlide Mitglieder: 


Herr Böhm Wendelin, Kaufmann in Hohenelbe. 
„ Karteffieri Friedrich, JUDr., k. k. Notariats-Subftitut in Wildſtein. 
„Dollinger Fr., Erzieher in Dobtan. 
„ Sleifhmann, JUDr., ka k. Notar in Landskron. 
„ Ka Ernſt, Fabrikant in Reichenberg. 
„ Kühn Conrad, Stadtbaumeifter in Trautenan. 
„ »Pfail Sojef, MUDr., Stadtarzt in Tepl. 
Löbl. Stadtgemeinde Dobran. 
Herr Stauka Adolf, Bürgermeiſter in Eger. 
„Walzel Mar, Ritter von Wieſentreu, Fabriks- und Realitäten. 
Bejiger in Trautenau. 
„  Datfhek Johann, JUDr., Canzelift der Handels- und Gewerbe: 
kammer in Neichenberg. 


Herr Profeffor Th. G. Mafaryk erfucht uns, mit Rüdfiht auf die Redactions— 
bemerkfung zu dem Aufjase Dr. Knieſcheks im Hefte U. Jahrg. XXV. ©, 137 dieler 
Blätter zur Mittheilung zu bringen, daß. von Denjenigen, die fid) gegen die Königin- 
hofer Handjchrift ausgeiprochen haben, feine Privatgefprähe in die Polemik ‚gezogen 
worden jeien. — Indem die Nedaction hiemit dem Wunſche de3 Herrn Profeſſors 
entipricht, erübrigt ihr nur ihrerjeitS zu erflären, daß fie in der Behauptung des 
Herrn Profeffors eine Berichtigung der betreffenden Redactionsbemerfung nicht zu 
erkennen vermag, zumal diefelbe ganz allgemein gehalten ift, aber auch in einem 
andern Sinne aufzufaffen ift, ald ihn Herr Prof. Mafaryk zu deuten fcheint. 

Die Redaction. 


8.8. Hofbuchbruderei U. Haafe, Prag, — Gelbftverlag. 


Üittheitungen les Vereines 


M 
Öeschichte der Deutschen in Böhmen. 
Dr. — 


— nme nn ⸗ ⸗ öôöü nn an nn nn nn — ————— — —— 
Fünfundzwanzigſter Jahrgang. Viertes Heft. 1886/7. 





Urkunden und Traktate betreffend die Ver- 
breitung des Wicliſismus in Böhmen. 


Mitgetheilt von 
Prof. Dr. 3. Loſerth. 


Der Coder 4941 der Wiener Hofbibliothef enthält eine ziemlich 
reichhaltige Sammlung von Acten und fonftigen Schriftftüden: Briefen, 
Abhandlungen und dergl., welche für die Gefchichte der Ausbreitung des 
Wichfismus im Böhmen von bejonderer Bedeutung find und von denen 
die hervorragenditen im Laufe der nächjten Zeit veröffentlicht werden 
dürften. Un diefer Stelle laſſen wir drei Schriftjtücde folgen, von denen 
zwei bisher ganz unbefantıt, das dritte in einer anderen Faffung und nur 
unvolfftändig befannt gewejen iſt. 

1. Sn Bezug auf das legtgenannte, das unten zuerſt mitgetheilt 
wird, mögen einige Bemerkungen angefügt werden: 

Der Papſt Johann XXI. erließ Anfang Februar 1413 von Rom 
aus mehrere Bullen, in denen die Verbreitung der Schriften Wiclif's, 
namentlich) des Dialogs (Speculum militantis ecclesiae) und Trialogs, 
die man (wie e3 in den Bullen Heißt) nicht bloß in den Schulen den 
Studierenden, fondern auch dem Bolfe in Predigten mundgerecht zu machen 
jucht, auf's jtrengjte geahndet wird. Fürderhin folle Niemandem gejtattet 
fein, diefe Schriften zu leſen, zu lehren, zu verbreiten oder fich ihren 
Inhalt anzueignen: man möge fie vielmehr, wo man ihrer habhaft werde 

22 


— 330 — 


aufgreifen uud nöthigenfall® verbrennen. Zu der erjten Bulle hat Hus 
eine ziemlich jcharfe Gloſſe gejchrieben, die Palacky ſammt der Bulle nach 
einer Wittingauer Handjchrift in den Documenta magistri Joannis 
Hus mitgetheilt dat. Wir laffen unten den Wortlaut der zweiten Bulle 
folgen, in welche die erjtgenannte eingejchaltet ijt; die Gloſſe des Hus 
findet jich gleichfalls bei derjelben; fie ift etwas volljtändiger, als die in 
der Wittingauer Handichrift. 

2. Einer der higigjten Wichfiften in Böhmen war befanntlid) Simon 
von Tisnow (fiehe meinen Hus und Wichf S. 271 ff), der in der ent- 
jcheidenden Krife, die der Wichfismus in Böhmen durchzumachen hatte, 
eine hervorragende Nolle gejpielt hat. In dem großen Nedefampfe, der 
in der Zeit vom 27. Juli bis 6. Auguſt 1410 in Prag zu Gunften des 
MWichfismus abgehalten wurde, hat er durch die Schärfe feiner Dialectif, 
jeinen gejunden Humor und jeine beißende Ironie die Palme davon— 
getragen. Die Art und Weiſe wie die englifchen Theorien in Böhmen in’s 
praftiiche übertragen wurden, hat ihn zweifellos in’3 andere Lager 
getrieben; denn in dem unten folgenden Tractate, den wir nur auszugs— 
weije mittheilen, wendet ex fich gegen die 4 Prager Artikel. Im Hinblide 
namentlich auf feine frühere Stellung find jeine Ausführungen von bejon- 
derem Intereſſe. Freilich dem muthigen und geiftwollen Vertheidiger der 
Freiheit der Lehre wird man in diefem Tractate vergebens juchen; von 
jeinem Humor oder jeinem äßenden Sarkasmus ijt nicht mehr eine Spur 
zu finden. 

3. Ein mäßigeres Talent war Andreas von Brod, troß feiner 
Anhänglichkeit an die nationalen Momente vom Anfange an ein heftiger 
Gegner der Fortjchritte des Wichfismus. Der unten folgende Traftat 
führt uns wieder einige Jahre zurüd in die Zeit, wo man den Verſuch 
machte, die ftrittigen Fragen auf religidfem Gebiete in friedlicher Weile 
zu regeln. Aber ſchon aus dem genannten Tractate jieht man, wie jcharf 
zugejpigt die Dinge waren. Einen Erfolg konnten die Vermittlungsverfuche 
nicht mehr haben. Für die Gefchichte der Entwicklung und Verbreitung 
Wichificher Lehren und Schriften in Böhmen enthält auch diefer Tractat 
wichtige Belagitellen. 


I. 


Der Papſt erläßt ein abermaliges Verbot, die Schriften Wiclif’3 
in lateinischer oder in der Volfsfprache zu verbreiten. Rom. Sct. Peter. 
1413 Febr. 8. 


— 331 — 


Bulla contra Hussitas. 
(E. cod. pal. Vindob. 4941. fol 69b). 


Johannes episcopus, servorum Dei, 
venerabilibus fratribus ac universis archie- 
piscopis, episcopis ac dilectis filiis, electis 
abbatibus, prioribus, prepositis, decanis, archi- 
diaconis et aliis ecclesiarum et monasteriorum 
prelatis ac inquisitoribus heretice pravitatis, 
ad quos presentes litere pervenerint, salutem 
et apostolicam benediccionem. Nuper in ge- 
nerali concilio, quod adhue in basilica prin- 
cipis apostolorum de urbe pro reformacione 
et confirmacione prosperi status universalis 
ecclesie celebra(ba)tur, eodem approbante 
concilio quosdam libellos vel tractatus quon- 
dam Johannis Wykleff seu per ipsum editos 
et intitulatos dampnavimus et reprobavimus 
et alia fecimus, prout plenius continetur in 
nostris inde confectis literis, quorum tenor 
sequitur in hec verba :*) 

Johannes episcopus servus servorum 
Dei in generali concilio !) ect. Inter omnes 
apostolice sedis instancias quas ad regimen 
christiani populi iugiter (Cod. vigil) impendit, 
illa videtur esse precipua, ut cum aliquam 
doetrinam suboriri senserit, que oculos divine 
maiestatis offendere et grave in se periculum 
animarum continere possit, eam ne propagetur 
ulterius et per eam mentes fidelium dampna- 
biliter capiantur mox studeat extirpare.?) Cum 
ergo in nonnullis mundi partibus quidam 
criminosi ea discere atque docere, non que 
ad animarum salutem atque augmentum fidei, 
sed ad suum fastum ampliandum et catholice 
fidei subversionem tendant?) quosdann libel- 
los seu volumina vel traetatus videlicet 








*, In dem Doc. mag. Joh. Hus 467—469 gedrudt. 


) Glossa: Verius angu- 
lari, ubi non catholiei pre- 
lati de regnis orbis, sed 
pauci monachi symoniaci 
fuerunt presentes, legis Dei 
et veritatis emuli manifesti. 


?) Glossa: Sieut est si- 
monia, regule cancellarie 
pro mediis fructibus et 
bullis cum taxis earundem 
et omnium beneficiorum 
recepciones usurarum, le- 
nocinia et omnium sacra- 
mentorum vendicio. 


) Glossa: Sicut deereta- 
les epistole pro fastu pape 
et cardinalium compilate, 
ille glossantur et tenentur 
et lex Dei iacet in angulis, 
ymmo dicit papa, quod non 
sit theologus. 


22* 


— 332 — 


Dialogum, Trialogum et alios plures *) 
nomine dieti Johannis Wikleff inscrip- 
tos et intitulatos non solum in scolis frequen- 
tare sed eciam ad populum in sermonibus 
exponere nitantur; in quibus libellis, volu- 
minibus seu tractatibus multi heretica dog- 
mata®) multique continentur errores in fide 
minus recte sonantes ©) et per quos simplices 
a veritatis tramite deviare, experti vero atque 
docti nimium scandalizari perhibentur, que 
ad nostram et huius sacri concilii deducta 
sunt publicam notieiam: nos ut ex iniuncto 
nobis pastoralis oflicii debito tenemur, vo- 
lumus (in hiis) quantum cum Deo possumus 
occurrere periculis animarum, ne quod ait 
apostolus, variis et peregrinis doctrinis ”) 
Christi fideles in devium abducantur, quos 
eciam summa cura Salvator ammonuit, ut 
caverent a fermento phariseorum.°) Cuius rei 
perniciosissimam pestiferamque maliciam op- 
timo fermenti manifestavit (Cod. manifestat) 
exemplo. Nam veluti fermentum (modicum) 
testimonio Apostoli totam massam corrumpit, 
sic hereticorum falsa doctrina omnem katho- 
licam erudicionem, cui admiscetur, veluti ra- 
bidum venenum, nisi occurreretur, inficeret. °) 
Quam eciam doctrinam abhominacionem de- 
solacicnis idem Salvator appellavit dicens: 
Cum videritis abhominacionem desolacionis 
etc, quem locum doctor sacer Jeronymus 
exponens abhominacionem dieit posse intel- 
ligi omne dogma perversum. Volentes autem 
in premissis, licet notoria sint, matura deli- 
beracione procedere et omne scrupulositatis 
dubium amputare, certis ex venerabilibus 
fratribus nostris sancte Romane ecclesie car- 
dinalibus atque nonnullis episcopis sacre 
theologie !°) (et) utriusque iuris professoribus 
et aliis commisimus de premissis plenissime 


*) Glossa: libros presen- 
tibus haberi. 


5) Glossa: usque modo 
ın omnibus libris Wyklef 
emuli unam conclusionem 
contra scripturam (non) po- 
tuerunt ostendere et quam- 
vis fuissent sepius vocati. 


9) Qui sunt illi? Exprime 
etnomina illos, alias quid 
condempnas? 


) Glossa: Vere varie sunt 
epistole et peregrine doc- 
trine paparum, que omni 
die ut luna eclipsantur, 
mutantur et revocantur, 
quibus totus mundus in de- 
vium abductus est. 


9) Glossa: scilicet symo- 
niacorum et paparum hy- 
pocritarum. 


?, Glossa : Audacter men- 
tiris ex eo, quod catholica 
erudieio sit celarissima (in 
eis verbis) et veritas invin- 
eibilis, quam impossibile 
est aliqua falsitate aut he- 
resi infici vel maculari, 
sieut inficiuntur bulle pape 
cum suis tradicionibus, que 
proprie sunt abhominacio 
tocius orbis et dogmata 
perversissima in multis. 


'%, Glossa: scil. mona- 
chis, 


— 33 — 


inquirere et negocium huiusmodi diligenti 
examinacione discutere 1?) ; ex quorum pro- 
cessu et relacione nobis et eidem sacro con- 
eilio constitit atque constat premissa tam per 
facti evideneiam quam per plures diffinitivas 
sentencias tam auctoritate apostolica quam 
nonnullorum archiepiscoporum '?) fuisse et 
esse notaria atque vera. 


Nos igitur eodem approbante concilio 
declaramus et decernimus illa esse notoria, 
que nulla possunt defensione tueri et super 
illis fore tamquam super notoriis proceden- 
dum et exsurgentes in Dei virtute !?) contra 
hane falsam et perversam pestiferamque 
doctrinam eodem sacro approbante coneilio 
dietos libellos, tractatus et opuscula videlicet 
Dialogum Trialogum etc. et omnes 
alios*) huiusmodi libellos, cuiuscunque artis 
et facultatis existant '*), attento maxime quod 
in eis licet aliqua vera scripta sint, falsa 
tamen in illis leceione periculosa tamquam 
inter scorpiones et colubres Christi fideles 
versa(re)ntur, dampnamus et reprobamus ®®) 
atque Salvatoris sentenciam exequentes di- 
centis: Si quis in me non manserit, mittetur 
foras et tamquam palmes arescet et ni ignem 
mittetur et ardet, igne iubemus publice con- 
cremari !°): Eiusdem eciam auctoritate coneilii 
districcius inhibentes, ne quis Christi nomine 
insignitus audeat aliquem vel aliquos seu 
aliqua ex dictis libellis, tractatibus et opus- 
eulis diei Johannis Wykleff nomine 
inscriptis**) vel intitulatis’7)legere, exponere, 
docere vel tenere aut illis ac nomine et 
auctore illo Wikleffuti, vel illum ut auctorem, 


'!, Glossa: Manifestum 
mendaceium et impossibile. 
Forte Latinum loqui vel 
syllabicare libros Wyklef 
nescientibus, ut est expe- 
riencia ex nepotibus pape 
in cardinales promotis. 


12) Glossa: scil. Sbinco- 
nis in suis conciliis et locis 
diversis, puta in serata sua 
curia, | 


'5, Glossa: Verius in dia- 
boli mendacio et superbia. 


14) Glossa: Eciam quos 
nunquam vidistis, o ceci et 
ydola muta! 


1°, Glossa: Antichristus 
triticum cum zizania de- 
struitetevellit, quod Chri- 
stus facere suis apostolis 
prohibuit. 


16) Glossa: O symoniaci, 
ista sentencia (Salvatoris) 
essetis omnes cum papa 
conburendi, cum non ma- 
neatis in vite Christo neo 
per ostium ascenditis, sed 
per fastum et superbiam 
ac pecunias et sic fures et 
latrones secundum senten- 
ciam Salvatoris mactandi. 


17, Glossa: Et sie nec 
evangelica dieta et man- 
data Dei ibidem posita. Et 
quid celarius isto mandato 
nisi ut Antichristi. 


*) Cod. A. 16 in Wittingan ſetzt hinzu: et alia que eiusdem Johannis Wyklef 


nomine insceribuntur et intitulantur. 
**) Im Cod.: beidemal der Accusativ. 


—— 


nisi forte in illorum reprobacionem allegare 
publice vel oceulte. '®) Et ut de medio ecc- 
lesie illa periculosa spurcissimaque doctrina 
eliminetur, omnino iubemus per locorum 
ordinarios, libros, tractatus et opuscula hui- 
usmodi eciam auctoritate apostolica per cen- 
suram ecclesiasticam, eciamsi sit opus cum 
adieccione quod contra non parentes proce- 
deret tamquam contra fautores heresis, dili- 
genter requiri et repertos ignibus publice 
concremari. Si quis autem huiusmodi senten- 
cie inhibicionis decreti aut iussionis violator 
ac contemptor extiterit, statuimus eodem 
approbante concilio contra ipsum veluti 
suspectum de fide procedi. 1?) 


Monemus insuper auctoritate premissa 
omnes et singulos, qui voluerint tueri me- 
moriam dieti Johannis Wykleff, ut in- 
fra novem menses proxime futuros, quos pro 
primo, secundo et tercio atque peremptorio 
termino assignamus, compareant apud sedem 
apostolicam atque coram nobis vel nostro 
successore canonice intrante vel in hoc sacro 
concilio vel alibi, 2°) ubi contigerit nos vel 
successorem predietum residere, dieturi et 
allegaturi quidquid voluerint, neidem Johannes 
Wykleff licet ab humanis ereptus de heresi 
condempnetur. *!) 


Supplementum bulle. 


is) Glossa: Hic expresse 
contradicit sentenciis sanc- 
torum et canonibus ab ec- 
clesia approbatis 37 dist. 
cum suis concordanciis, et 
velint nolint iuriste, opor- 
tet quod legant hereses in 
decreto multipliciter de- 
scriptas,. 


19 Glossa: Laudetur 
Deus, quod habentes libros 
Wykleff sunt de fide sus- 
pecti et ipsi eosdem re- 
probantes et comburentes 
sunt suspecti de heresi ar- 
gumento a contrario sensu 
quod est in iure validissi- 
mum. 


2°, Glossa: Et compa- 
rentes audirentur ac ad 
defensionem admitterentur 
in carceribus et ferris, ut 
docuit experieneia. 


2) Glossa: Nota men- 
dacium puta Sbinconis ar- 
chiepiscopi cum suis com- 
plieibus canonieis et aliis 
iuristis, qui in suis sen- 
tenciis pronunciaverunt 
Johannem Wyklef heresi- 


‚archam condempnatum, et 
° hie primo papa citat ad con- 


dempnandum eum, Ecce 
ex ista sulta et blasphema 
commissione, diffinieione 
seu bulla apparet intuenti 
diligenter, quod isti car- 
dinales, episcopi, monachi 
et juris professores in qua- 
tuor diebus omnes libros 
magistri Johannis Wyklef 
perlegerunt et examina- 
verunt et processum, ut 


— 335. — 


dieitur supra, fecerunt et 
retulerunt concilio et con- 
dempnaverunt etc., quod 
centum diaboli subtilissimi 
et experti in omni malicia 
non possent facere.. Ex 
quo manifeste convinecitur 
stultieia, presumpeio teme- 
raria et mendacia apparent 
pape cum toto concilio in 
librorum combustione, cum 
impossibilia et omni iuri 
contraria scribunt et pu- 
blicant sine rubore, 


Cum ‚autem ad nostrum non sine displicencia grandi fide digna 
relacione pervenerit auditum, quod in nonnullis regnis et provinciis 
plerique clerici eosdem libellos et tractatus seu eorum copias aut 
transscripta tam in latino quam vulgari ydiomatibus compositos 
penes se retinent et errores hereticales dieti Johannis in eis de- 
scriptos dampnabiliter teneant, approbent et defendant, ipsorum cleri- 
corum aliqui in derogacionem catholice fidei et eorum periculum 
animarum in sermonibus publicis in ecclesiis, quidam vero ipsorum 
eciam in scolis eos legere atque dogmatizare nee non asserere eciam 
publice non formidant, non attendentes quod secundum canonicas 
sancciones pertinaciter tenentes hereses et errores devios a fide 
prefata et a determinacione sacrdrum generalium conciliorum et doc- 
torum per ecclesiam approbatorum et eciam tenentes cum ipsis in 
prefatis errorihus faventes aut quomodolibet consencientes seu ipsis 
quomodolibet publice vel occulte participantes, cuiuscunque status, 
gradus, ordinis vel condicionis fuerint, eciamsi regali vel pontificali 
aut alia quavis prefulgeant dignitate, ipso facto sunt excommunicati 
et maiori anathemate laqueati, a qua nisi per summum pontificem 
preterquam in mortis articulo et suos recognoscendo errores ac €08 
publice abiurando possunt absolvi, nos ne per huiusmodi clericorum 
et laicorum ac eorum hereses labem ac gestus et actus detestabiles 
ovile contingat dominicum in eisdem regnis et provinciis infirmari, 
infiei vel dispergi, sed tocius populi christiani illarum parcium ani- 
marum salyti pocius providere, super premissis pastorali sollieitudine 
cupientes discrecioni vestre per apostolica scripta committimus et 
mandamus, quatenus in eisdem regnis et provinciis illis videlicet, 
in quibus eccelesie et vestre dignitates existunt ac in vicinis locis 


— 56 — 


insignibus, ubi commode et tute fieri poterit, vos et quilibet vestrum in 
solidum per vos vel alium seu alios presentes literas auctoritate nostra 
solempniter publicetis et publicari faciatis ac omnes et singulos huius- 
modi errores pertinaciter tenentes et defendentes seu ipsis quo- 
modolibet publice vel occulte participantes excommunicates maiori 
anathemate publice nuncietis et nunciari faciatis et contra eosdem 
omnes etsingulos clericos et laicos utriusque sexus huiusmodi errores 
tenentes, approbantes et defendentes, dogmatizantes seu astruentes ac 
fautores, receptatores et defensores corundem seu ipsis quomodolibet 
publice vel oceulte in divinis vel alias loco quocumque participantes, 
exemptos et non exemptos ac quemlibet ipsorum, de quibus vobis 
constiterit, eciam cuiuscunque gradus, ordinis status seu dignitatis 
vel condicionis existant, super erroribus ipsis auctoritate nostra di- 
ligenter inquirere studeatis et eos, quos per inquisicionem huiusmodi 
aut per confessionem corum seu per facti evidenciam vel alias 
huiusmodi heresis vel erroris labe respersos repereritis, auetoritate 
predieta eciam per excommunicacionis, suspensionis et interdieti 
nec non privacionis dignitatum, personatuum et offieiorum et .alio- 
rum benefieiorum ecclesiasticorum ac feudorum, que a quibusvis 
ecelesiis seu monasteriis aut aliis locis eeclesiastieis obtinent, nee non 
honorum et dignitatum seeularium et graduum scienciarum quarum- 
cunque faeultatum ac per alias, penas, sentencias, censuras ac vias 
et modos quoscunque, quos adhuc quomodolibet expedire seu opor- 
tunos esse videritis, eciam per capciones et incarceraeiones persona- 
rum et alias penas corporales, quibus heretici puniuntur vel puniri 
solent iuxta canonicas sancciones, eciam clericos ipsos et ecclesiasti- 
cas personas usque ad degradacionem inclusive, si eorum pertinacia 
sive rebellio id exigat aut requirat, corrigatis et corrigi faciatis et 
debite ac diligenter puniatis et puniri faciatis, ipsosque ad tradendun: 
et exhibendum vobis codices sive libellos eorum eciam in vulgari 
compositos, ut prefertur, in quibus dictos libellos seu tractatus forsan 
habent inscriptos et abiurandum perpetuo eciam solempniter et pu- 
blice ipsus errores per predietas censuras compellatis et eosdem libellos, 
quos vobis forsan tradi contigerit, in detestacionem tanti eriminis in 
conspectu populi, clero loei illius, in quo illud fieri contigerit, per vos 
ad illud primitus convocato, eciam comburi publice faciatis et nichilo- 
minus universis et singulis utriusge sexus hominibus, eciamsi ut pre- 
mittitur regali vel pontificali aut alia quacunque spirituali vel tem- 
porali prefulgeant dignitate, ubilibet constitutis inhibendo, ne ipsi aut 


— 337 — 


aliquis ipsorum dictos errores seu libellos aut tractatus per vos, ut 
premittur, dampnatos et eciam reprobatos vel contenta in eis seu 
aliquo ipsorum utpote a catholicis mentibus respuenda tenere dein- 
ceps audeant vel audeat seu defensare quomodolibet vel docere et 
alias contra predietos tam clericos quam laicos et ipsorum laicorum 
filios, de quibus potest haberi verisimilis suspieio contra eos super 
predietis omnibus iuxta formam canonum procedere cum omni dili- 
gencia studeatis, contradietores per censuram ecclesiasticam appella- 
eione postposita compescendo, invocato ad hoc si opus fuerit auxilio 
brachii secularis, non obstantibus tam felieis recordaeionis Bonifaeii 
pape VIII predecessoris nostri, qua cavetur, ne quis extra suam ci- 
vitatem et diocesim nisi in certis exceptis casibus et in illis ultra 
unam dietam ac fine sue diocesis ad iudieium evocetur, seu ne iu- 
dices a sede apostolica deputati extra civitatem diocesis, in quibus 
deputati fuerint, contra quoscunque procedere sive alii vel aliis vices 
suas committere aut aliquos ultra unam dietam a fine diocesis eorun- 
dem trahere presumant et de duabus dietis in coneilio generali, 
quam aliis quibuscungue constitucionibus a predecessoribus nostris 
Romanis pontifieibus tam de iudicibus delegatis quam personis ultra 
certum numerum ad iudicium non evocandis aut aliis editis, que pos- 
sent in hac parte vestre iurisdiccioni aut potestati eiusque libero 
exercicio quomodolibet obviare, seu si aliquibus communiter vel di- 
visim ab eadem sit sede indultum, quod interdiei, suspendi vel ex- 
communicari aut ultra vel extra certa loca ad iudicium evocari non 
possint per literas apostolicas, non facientes plenam et expressam ac 
de verbo ad verbum de indulto huiusmodi et eorum personis, locis 
ordinibus et nominibus propriis menceionem et qualibet alia dicte sedis 
indulgencia generali vel speciali cuiuscunque tenoris existat, per quam 
presentibus non expressam vel totaliter non insertam vestre iuris- 
dieeionis explicacio in hac parte valeat quomodolibet impediri et de 
qua cuiusque toto tenore de verbo ad verbum in nostris literis haben- 
da sit mencio specialis. Nulli ergo omnino hominum liceat hane pa- 
ginam nostre declaracionis deereti dampnacionis, reprobacionis, iussi- 
onis, inhibicionis, statuti, monieionis et ässignaeionis infringere vel ei 
ausu temerario contraire. Si quis autem hoc attemptare presumpserit 
indignacionen omnipotentis Dei et beatorum Petri Pauli apostolorum 
eius se noverit incursionem. 

Datum Rome aput sanctum Petrum sexto Idus Februarii 
pontificatus nostri anno tercio. 


— 338 — 


u. 
Simon von Tiönow erflärt fich gegen die 4 Artifel. 1421 uni. 


Tracotatus sive epistola magistri Symonis de 
Tyssnow contra quatuor articulos oonolus(08). 


Magnificentissimis ac nobilissimis dominis, baronibus aliisque 
famosis clientibus et prudentibus eivibus ceivitatum in concilio electis 
in congregacione Üzaslaviensi per predictum generale concilium 
capitaneis et dispensatoribus regni Boemie quidam vilissimus et 
abiectissimus sacerdotum. Salus et pax Christi et sue ecclesie sit 
omnibus cum vobis. 

Ad honorem Dei omnipotentis pro incremento et conservacione 
fidei orthodoxe et pro labe predietam fidem in regno Boemie et 
marchionatu Moravie inficiente expurganda, motus consciencia ac 
naturali compassione intendo vestras dominaciones cum timore et ea 
que decet reverencia paucis verbis scriptis adhortari et presertim 
contra quatuor articulos in quorum fide vestras defixistis voluntates 
aliosque christicolas in regno Boemie nitimini compellere, ut per eos 
teneantur. 

Sane quamvis tocius creator orbis et gubernator prepositis regni 
sui ad hoc ut legitime presideant, regant et dirigant populos sibi 
subiectos, dedisset usum racionis, leges et potestates, non tamen ex 
hoc voluit, ut talia sine limitacionis dominio confusa et indistincta 
servarentur, sicut ergo potestatem spiritualem sic et secularem tam- 
quam partes sibi invicem inpermixtas auctoritatum terminis voluit 
contentari, hinc est quod quamvis statui vel potestati seculari 
data sit a Deo auctoritas in terris, ut iudicet populos in equitate et 
gentes in terra dirigat. Quare illi datum est, ut non sine causa por- 
tet gladium sed tamquam Dei minister, cum debet esse vindex ma- 
lorum et iustorum relevator, ut in diebus eius oriatur iustieia et 
habundancia pacis. Cui quidem potestati debent de necessitate subici 
populi non solum propter iram sed eciam propter conscienciam, 
ut hoc totum testatur magnus sanctus Paulus Rom. XIII, dum inquit: 
Omnis anima potestatibus sublimioribus sit subiecta, non enim po- 
testas est nisi a Deo, qne autem sunt, a Deo ordinata sunt. Ita 
quoque qui resistit potestati, Dei ordinacioni resistit. Qui. autem 
resistunt ipsi, dampnacionem sibi acquirunt, nam prineipes non sunt 
timori boni operis sed mali. Vis autem non timere potestatem, 


— 339 — 


bonum fac et laudem habebis ex illo. Si male feceris time. Non 
enim sine causa gladium portat, Dei enim minister est vindex: in ira 
ei, qui male agit. Ideoque necessitati subditi estote non solum propter 
iram, sed et propter conscienciam, Ideo etenim tributa prestatis; mi- 
nistri enim Dei sunt, in hoc ipsi servientes. Reddite ergo debita eui 
tributum, tributum, ceui vectigal, vectigal, cui timorem, timorem, 
cui honorem, honorem. Ecce officium et auctoritas secularis 
potestatis. Nullibi autem ei concessum est aut limitatum ut auctoritate 
quidquam sua in materia fidei vel ecclesiastica diffiniat, statuat aut 
determinet. Sed hec auctoritas notanter limitata et concessa est 
ex officio hominibus status spiritualis, quorum in lege Domini est vo- 
luntas et in lege eius meditetur die ac nocte. Quorum insuper subdit 
alia ingenia per frequens exercieium acuuntur tam in materia fidei, 
quam ecclesiastica a teneris annis. Ne autem omnis homo huius 
status spiritualis de se presumendo pro se hanc auctoritatem audeat 
temerarie usurpare, ideo Spiritus Sanctus, cuius providencia regitur 
viatrix ecclesia catholica, in eadem ecclesia ad hoc ipsum officiales 
legitimos ordinavit testante hoc beato Paulo Eph. IV. in hec verba: 
Ipse dedit quosdam quidem apostolos ....'")... Qui... . superbierit 
nolens obedire imperio sacerdotis, qui eo tempore ministrat, domino 
Deo tuo et deereto iudieis, morietur ... Ecce hanc legem ... 
tenet fidelis sancta Dei ecelesia a tempore sue constitucionis ... 
Die hodierna communicatores sacramenti sub utraque specie aufu- 
gientes hanc Domini legem et sibi pertinaciter contradicentes sine 
timore Dei populo pronunciant talem communionem sub utraque 
specie omnibus hominibus esse necessariam, quod sine ipsa non sit 
salus cuiquam viator: et adhoc plurcs congesserunt scripturas menda- 
cibus eas inpinguiantes sentenciis. | 


Et tales hanc preciosam legem Domini aput seculares vilificant 
et jpsam pertinaci animo spernunt et obieiunt et sic populum indu- 
cunt in heresim manifestam. Sed det Dominus hoc preceptive legis 
seculari populo hanc intelligeneiam, ut ad animum reducant sui er- 
rantis cleri plurimos errores et moveantur exinde ad non credendum 
ita de facili in hac materia communicacionis (sie) sub dupliei specie 
contemptoribus legis Domini proximo antedicte sed pocius iuxta 
legem Domini predietam ascendant ad locum, Et sacerdotes Levitici 
generis, qui presunt loco, scilicet tali officio et dignitate (sie) et seru- 


1) Folgt eine ziemliche Zahl ähnlicher Bibelftellen. \ 


2 
— 


— 340° — 


tentur iudicii vertitatem. Rogo accedant domini seculares concor- 
dantes cum hac lege Domini katholicam doctrinam sancti Gregorii 
ut habetur distincecione duodecima, qui sie inquit: Preceptis aposto- 
licis non dura superbia resistatis, sed per obedienciam. que a sancta 
Romana ecclesia et apostolica auctoritate iussa sunt salutifere imple- 
antur, si eiusdem sancte Dei ecclesie que est caput nostrum commu- 
nionem habere desideratis, non novum aliquid presenti iussione 
precipimus, sed illa, que olim videntur indulta firmari. Et sequitur: 
Cum nulli dubium sit, quod non solum pontificalis causacio, sed 
omnis sancte religionis relacio, ad sedem apostolicam quasi ad capııd 
ecclesiarum debeat referri et inde notivam sumere, unde sumpsit 
exhordium ex hac precedenti lege Domini. Et ex hoc canone sancti 
Gregorii patet luce elarius, quod ad nullum alium in terris pertinet, 
quam ad summum Romanum pontificem, quidquid diffinire vel sta- 
tuere et ad collegium eius sanctum et ad sacrosancta generalia 
coneilia in materia fidei et ecclesiastica. Et ad idem est sanctus 
Ambrosius supra capitulo: Hec est fides papa beatissime ..... 
Ideo nec vos ipsos nec quoscunque alios hec vestra constitueio 
potuit obligare. Eciam ex predicta patet lege Domini, ex doctrina 
sancti Pauli et decretis sanctorum patrum, eidem archiepiscopus Pra- 
gensis cum omnibus magistris universitatis studii Pragensis ac uni- 
verso suo dyocesis clero est insufficiens et inhabilis ad diffiniendum 
quidquam aut statuendum in materia fidei vel ecclesiastica, quod 
totam tangit ecelesiam et per consequens hec constitueio tam quoad 
clerum, quam quoad laycalem populum nullius debet esse roboris 
vel munimenti. 

Cum autem iuxta moralissimi Senece dietum sufficienter in veri- 
tate comprobatum, perit omne consilium conseiencie iudicium, dum res 
transit in affectum, sed quia clerus partis vestre nimis profunde 
suam opinionem circa materiam, pro qua lis est, in effectum permisit 
subintrare, ideo periit omne conscieneie iudicium cleri huius, line est, 
quod postposito timore Dei per suas deordinatas predicaciones in 
crudelissimas hominum oceisiones per eos est populus concitatus et 
dimissa fraterna caritate magistros et doetores aliosque honorabiles 
sacerdotes cum ecclesia Dei stantes extra regnum Boemie, ut suas 
opiniones falsas quamvis toti ecelesie contrarias in finem quem nesei- 
unt, deducere valeant, expellere procurarunt, hine eciam horribilia 
mala, quorum non est nnmerus contra sanum consciencie iudicium 
per sua occulta et dolosa consilia et publicas predicaciones per se et 


— 341 — 


suos socios ac discipulos erroneos in regno Boemie et marchionatu 
Moravie ordinarunt. Preterea hec mala per clerum introducta sint 
vobis monimentum, ne in peiora inducamini. O utinam saperetis 
et intelligeretis, quia tamquam in foribus est per inobedienciam 
per quam ducimini ad dampnosissimum scisma, ut incidatis in 
dampnacionem animarum ad perpetuam infamiam exterminium vero, 
quod acies ordinatis non audeo nominare, sed per se patent illa mala. 

Ne autem videar per terrores, per confictos homines a suo velle 
proposito abducere, ecce terrorem intendo premissum paucis deducere 
scriptis. Pro quo primo suppono, quod viatrix sancta ecclesia ka- 
tholica sit universitas fidelium orthodoxam integram fidem habencium 
et in sacramentis ecclesiasticis societatem habencium ..... Et quero 
ab adversario, an ante annos viginti tunc, quando tenebatur in Boe- 
mia fides cum Romana ecclesia, scilicet quod communio tantum sub 
una specie suffieit laicali populo ad salutem non obstante alio impe- 
dimento et sic de aliis punctis in quibus nune certi in Boemia a Ro- 
mana ecclesia discordant, an tune Boemia fuit pars viatricis sancte 
ecclesie katholice vel non. Et spero quod nullus Boemus sane 
mentis dicet, quod tune Boemia non fuisset pars viatricis sancte 
ecclesie catholice, quia sie nullus in Boemia fuisset salvatus, quia 
extra talem ecclesiam nulli est salus viatori. Si autem dieitur, quod 
tune fuit pars sancte viatricis ecelesie katholice, tunc queritur, quomo- 
do ergo adhuc manet pars predicte ecclesie; ex quo priorem fidem 
permutavit et tenet aliam fidem a fide communis esclesie, cuius se 
dicit esse partem. 

Sapientes pertinenter hoc iudicare sciunt, quod ex quo Boemi 
non audent suam fidem dare ad cuiuscungue iudicium catholiei iudieis 
extra regnum Boemie tenentis fidem cum ecommunitate Christifidelium, 
quod tales Boemi sint suspecti de heresi et scismate. Secundo quia 
exercent gladium materialem et pro fide pugnare nituntur contra 
alios, qui tenent cum communi ac generali fide ecclesie christianos, 
tercio quod quia magistri et sacerdotes Boemi tenentes, quod com- 
munio sub utraque specie sit omnibus hominibus de necessitate sa- 
lutis, dieunt quod omnes extere gentes sunt fidei inimiei, et ideo non 
audent consentire in magistrorum, doctorum et aliorum seientificorum 
virorum de exteris gentibus publicam audienciam et informacionem, 
dicentes astute more hereticorum, quod non est tantum dare causam 
Dei et fidem catholicam ad iudieium hominum et presertim inimicorum. 


N Folgen weitläufige Beweisftellen zu dieſem Sate. 


— 32 — 


De tribus autem aliis articulis pauca dicam: 

Primo de libertate verbi Dei, quam conclusistis, quia libere 
verbum Dei sine impedimento predicetur. Non dubito, quin verbum 
Dei in regno Boemie habuit ordinatam libertatem super omnia alia 
regna mundi. Sed sacerdotes, qui heu per eorum deordinatas pre- 
dicaciones presens malum, quod in regno Boemie heu nimis diu con- 
tinuatur, scisma suscitavit, merito timent, ne ab actu predicacionis 
eorum demeritis hoc exigentibus suspendantur et puniantur. Ideo 
astute per hanc constitutioneın per eos subordinatam provident, ne quod 
instum est, paciantur. Sed in cautelam debet esse Prov. XXII. 
Eece derisorem .......... 

Secundo de manifestorum peccatorum exterminio det Deus 
omnipotens, ut hec fiant in effectu ... sed tamen sane scire debetis, 
quod ecclesia ..... nonnunquam tolerat minora mala propter infirmi- 
tatem hominum, ut per hoc maiora mala sint sopita .. . 

Tereio de ablacione temporalium a clero videte, ne regnum a 
clero spolietur ... Contra vestram tamen hanc intencionem sunt 
decreta sanctorum patrum in canone tamquam per totum XII. q. 1. 

O igitur amantissimi Boemi redite ad cor . .. Sermo ınihi est 
ad te popule sublimis regni Boemie.et presertim tibi amantissima 
civitas Pragensis, cum sum vilis, exigua persona ac nullius pene 
momenti hominis ..... Nonne dolor et clamor est hodie per 
universum regnum? Nonne doctores, magistros, prelatos, sacerdotes, 
diversos religiosos . . . eieeisti, ipsos denique domibus et rebus tuis 
manibus spoliasti... Nonne deinde civitatum cives morte turpis- 
sima prostravisti?..... .*) 


IH. 

Andreas von Brod vertheidigt fic gegen die Vorwürfe der Hufiten. 
(Andreas de) Broda contra obiectus Hussonitarum, 
qui sio incipiunt:**) 

(E codice pal. Vind. 4941 folio 68). 
De clero pestifero. Ibi obiciatur, quod per hoc infamant 
rcgem. Faciunt hie Hussonite more phariseorum, qui iunxerant se 


Herodianis ad opprimendum veritatem et iusticiam Salvatoris. Dicant 
queso in quo rex diffamatur et per quid? Quale queso argumentum 


*) . . Allgemeine Klagen. 
**) In rother Schrift darunter: Contra Hussitas. 


— 393 — 


est istud: Hie sunt iudei, hie sunt christiani non viventes christiane? 
ergo qui dicit tales esse, hie infamat regem. Sie enim omnes reges 
mundi essent infames, quod non est dicendum,. cum scriptum sit: 
Diis non detrahes, id est, principibus. *) 


Item quia doctores dieunt de clero, cum rex non sit elericus, 
quomodo per hoc infamatur? Item si per hoc infamatur dominus rex 
et cum doctores nullum ex nomine expresserunt, sed loquebantur 
prout decet in genere, ipsi vero Hussonite descendunt ad individuum 
venerabilis viri magistri Stanislai, ergo dicentes eum et 
concubinarios ac avaros esse pestiferos, maxime regnum et regem 
infamant. Sed maledietus Cham, qui verenda patris sui detexit. Nes- 
eiunt Kathonem dicentem: | 

Quantumcunque potes celato crimen amici. 

Et Aristotelem dicentem: Diis, parentibus et magistris non est 
reddere equivalens. Siigitur sie est, quod ille venerandus homo ad tempus 
opinabatur, non sicut debuit, circa venerabile corporis Domini sacramen- 
tum correxit se, quod est patulum: igitur non est sibi peramplius 
imputandum: 

Cum culpas alios iudex tuus esse memento. 

Et iterum: nemo sine crimine vivit. Non est enim homo, qui 
vivat super terram et non peccet. 3. Reg. 8. Humanum est errare 
sed diabolicum in erimine perseverare. Si seit eum adhuc errare, 
cur eum occulte non corrigit iuxta doctrinam Domini Salvatoris ? 
Cur testes si corrigi renuit, non adhibet? postremo cur si pertinax 
ecclesie non dieit, sed ad infamiam omnibus hiis postpositis subito 
prorupit? 

Quod tibi non vis alteri fecisse caveto. 

O Hus si quis tua peccata publice sine necessitate detegeret 
o quantum turbaveris, nullus esset sermo ad populum, quin inibi 
contra talem communem populum exeitares. O si tibi displicet disco- 
opercio tui facinoris, cur patri tuo non pareis, eius verecundiam de- 
tegis? Cur magistro tuo, aquo plurimam hausisti sapi- 
enciam, irrogas tantum malum? Sequaris pocius eius vestigia, 
ut sicut ipse correxit, prout ipse asseris, sie et tu errores tuos corri 
gere non verearis. Arguis eum de contradiceione circa venerabile 
sacramentum, argue similiter omnes apostolos, qui a Christo fuge- 
runt. Sed si illos non arguis, ideo quia penituerunt, cur hune infa- 


*) Daneben: Detraceio. 


sa, 


mas, postquam. penituit? Non alia causa »ubest, nisi quia tu perver- 
sus doles eum ad fidem Christi veraciter iam conversum. *) 


Item, cum Romane ecclesie papa est caput, corpus vero colle- 
gium cardinalium etc. ibi obiciunt Hussonite, quod grave est illud 
doctoribus probare, non solum quod sit fides credibilis, sed eciam 
quod verum sit ete. Ex isto secundo obiectu patet responsio ad pri- 
mum. Cum enim dieunt: Östendant doctores clerum pestiferum illum, 
dico pro doctoribus: Non est necesse ostendere, cum ipsi sese patulo 
manifestant, dicentes papam non esse caput vicarium ecclesie, negan- 
tesque collegium cardinalium esse vicarium corpus. Tales ergo qui 
hoc negant, quotquot sunt, pestiferi et pestilentes sunt. Et sic ex 
obieetu secundo patuit responsio quoad primi. Eciam non sequitur: 
Istud caput est infirmum, ergo non est caput. Similiter istut est ca- 
num vel eciam scabidum, ergo non est caput. Et eodem modo de 
corpore argui potest. Sic non sequitur: Papa non est bonus, non est 
virtuosus etc. ergo non esi caput, cum eciam Petrus sub dato tem- 
pore mortaliter peccavisset, scilicet negando Christum, et tamen non 
desiit esse papa; similiter Judas traditor fuit de corpore mistico ecele- 
sie Christi, et tamen fuit preseitus, eciam antequam electus fuisset 
ad apostolatum ; qui apostolus et episcopus fuit usque ad mortem. 
Utique seimus, quod in omnibus rebus mundi estordo et cum non 
sit processus in infinitum in capitibus vicariis, veniemus ad illud 
primum vicarium caput et ad unum vicarium corpus. Dicat ergo 
Hus cum suis complicibus et profiteatur suam fidem, quod sit illud 
vicarium caput et ex hoc intelligemus eum si saltem ore confitebitur 
quod corde credit nisi vellet mentiri, quod heu sui discipuli consue- 
verunt. 

Item, ibi ubi addueit scripturam Augustini allegatam: Si quis 
etc. dieit ulterius: Qnia nulla sceriptura quam recipit universalis 
ecelesia docet, quod papa est caput univesalis acclesie et cardinales 
corpus, falsum et mendacium dieit. Quia scriptura evangelica dicit 
et est verbum Christi ad Petrum: Tu vocaberis Cephas id est caput. 
Et iterum: Pasce oves meas. Quod ecclesia universalis dietum sumit 
pro quolibet papa et sic convenit ewangelio et tradicioni ecclesie 
universalis, que sic tenuit et tenet a principio fidei christiane. 


Item, de hoc: Si diffieile ete. allegat Lyram, probet Hus, quod 
papa vel sui delegati mandant aliquid erroneum et contra fidem. Si- 


*) Als Titel in rother Schrift: de papa, qui est caput Romane ecelesie. 


— 35 — 


militer ad hoc: Non sequaris turbam Rabin, ostendat Hus coram 
iudice debito, quod magistri suadent seu consulunt aliquid irraciona- 
bile vel iniustum. Item allegando Augustinum: Super kathedram 
Moysi, male allegat, truncat nequiter scripturam. Notat Augustinus ut 
ex sequentibus colligitur: Si prelati precipinut quid mali, non debent 
sic facere subditi et hie nichil mali precipit papa, immo preeipit bo- 
num et necessarium, ut videlicet suspectus et accusatus de heresi non 
debeat predicare. 

Item, ad degradaciones vel ingradaciones regum respondeant illi, 
qui degradantur et quare vel qui ingradantur et quare. Non est doc- 
torum disceutere iudieia domini pape. 


Item, de*) magistro Mauricio etc. Scimus quia papa multis multas 
gracias facit secundum tenorem supplicacionum, que gracie intelli- 
gende sunt secundum ius canonicum, si ita est. Et ius commune est, 
quod papa concedens graciam, aliis per illam non vult iniuriam fa- 
cere vel non vult eorum iuri quomodolibet derogare. Si ergo magi- 
ster Mauricius vellet honoris meilocum recipere, quem non deberet, 
credo quod dominus papa ius meum mihi non tolleret et alteri vellet 
dare. Eciam magister Mauricius nunquam voluit pro illo loco instare 
contra prius factum facultati theologice iuramentum. 

Item, de illis artieulis Wykleff 45 condempnatis habuerunt et 
habent scripturas doctorum eciam multipliciter dilatatas. 


Item, de censuum**) recepcione per regen: etc. iam infamant regem 
dicentes, quod rex approbat illum articalum de recepeione seu ab- 
lacione temporalium, quia non sequitur:. Iste fornicatur, ergo appro- 
bat fornicacionem licitam esse, iste bibit superflue, ergo approbat 
ebrietatem, et si dominus rex pro sua voluntate seu necessitate 
nunc abstulit, non oportet, quod per hoc errorem Wykleficum prac- 
ticaret, verius approbaret. 


Item, de ultima consequeneia redarguit doctores et ponit simi- 
litudinem nimis claudicantem: Nam recipere uxorem alterius est 
purum malum, cum sit contra preceptum Domini: Non adulteraberis. 
Sed consequencia doctorum bona fuit, quia sequitur bene: Isti sunt 
obedientes in licitis et honestis prelatis et superioribus suis et paru- 
erunt mandatis, ergo debent, si volunt esse obedientes, adhuc parere. 
Alias si non debent parere, quomodo erunt obedientes cum sit hoc 


*) Als Titel: De magistro Mauricio 
**) Als Titel: De censu. 
Mittheilungen, 85. Yahrgang, 4. Heft. 23 


— 346 — 


oppositum in adiecto: Est obediens et tamen non paret iussionibus 
prelatorum. Discant melius eonsequencias et tunc valebunt ad doc- 
torum consequencias respondere. 


— — — — 


Künſtler der Neuzeit Böhmens. 


Biographiſche Studien von Prof. Rudolf Müller. 
XII. 
Julius Melzer. 


Bildhauer Julius Melzer der getreueſte und auch liebenswürdigſte 
Schüler von Joſeph Max, ſeinem ganzen Weſen nach „Senſitive“ und als 
ſolcher auch weniger ſpinnend wie ſinnend, hinterließ ein Tagebuch, das ähnlich 
der Selbſtbiographie Führich's Einblicke in das Seelenleben des Künſt— 
lers und Aufſchluß gibt über eine Periode der Neuzeit, welche einen unſerer 
begabteſten Kunſtjünger faſt unbemerkt verkümmern ließ. J. Melzer war 
zu Bürgſtein am 21. Februar 1823 als Sohn des dortigen Kaufmanns 
Georg Ant. M. geboren. Der Vater betrieb vornehmlich Exporthandel nach 
Rußland, und der Sohn war beſtimmt, deſſen Nachfolger in dieſem Geſchäfte 
zu werden, für welches, wie ſich bald zeigte, der phantaſiereiche Julius 
jedoch nicht im Geringſten beanlagt war. Denn kaum wurde er nach dem 
Austritte aus der Ortsſchule als Lehrling im Laden, ſowie in der Schreib— 
ſtube verwendet, gab es ſofort auch da wie dort Confuſionen der bedenklichſten 
Art, angerichtet durch „Eulenſpiegelſtreiche“ des Julius. Die an die Par— 
teien auszuſendenden Rechnungen wurden der Waare gemäß illuſtrirt; die 
Verkaufsgegenſtände des Ladens, ſo weit zuläſſig, zu humoriſtiſchen Tableaux 
gruppirt. Kurzum es ging nicht auf dieſem Wege, und mußte Raths 
erholt werden beim „Vater Max“, dem gewöhnlichen Schiedsrichter in 
verwickelten Familienangelegenheiten. Für ihn lag diesfalls die Entſcheidung 
nahe, ausgeſprochen in den Worten: „Der Junge hat entſchiedenes Talent 
fürn Maler oder Bildhauer, keineswegs aber fürn Kaufmann. Er ſoll 
ji, was er werden will, jelber wählen, dann gibts feine Vorwürfe”, — 
Und „der Junge” wählte — den Vater Mar zu feinem Lehrmeijter. Von 
da ab ging es anders. Melzer, wie umgewandelt, oblag beharrlicen Fleißes 
dem Zeichnen, jchnigte und modellirte nebenbei mit wahrer Herzensluft 
nad den Anweisungen feines liebevollen Lehrers, und hatte bis zu dejjen 
— 1838 — erfolgtem Ableben ſich ſchon jo weit entwidelt, daß ihu Joſeph 


— 347 — 


Marx bei der Uebernahme und Einreihung unter feine Schüler eine bevor: 
zugte Stellung einräumen konnte. — Bis dahin und mwährend- des Zeit: 
raumes bis 1848 führte M. fein Tagebuch, notirte dafiir blattweife alles, 
was Joſ. Mar im traulichen Beifammenfein über fein Jugendleben erzählte, 
was aucd von mir benügt wurde für die im XV. Bande der „Mitthei- 
lungen” enthaltene Mar-Biographie. 

Sicher zu jtellen vermag ich jedoch für diefe Periode, daß M. jogleic) 
nad feiner Ankunft in Prag an der Akademie unter Leitung Director 
Kadlik's dem Zeichnen nach der Antife und der Natur oblag, im Mar: 
Atelier wieder für das Boſſiren eigener Entwürfe verhalten, nebenbei in 
der Steinbearbeitung unterwiejen, in Kürze jchon mit dem Behauen einfacher 
Figuren betraut werden konnte. 

So ſtand es bis zum Jahre 1845, in welchem befanntlih Mar vom 
jtänd. Landesausſchuſſe ven Auftrag für das „Franzensmonument am Prager 
Quai“ erhielt, auf den das vom 29. Mai 1849 an geführte Tagebuc) 
Melzers mit mehreren Notizen zurücgreift, als: „Die Figuren zum Franzens- 
monumente, an welchen ich jo glüdlic war, mitarbeiten zu können, famen 
zumeift unter fröhlihem Sang und Hammerflang zu Stande”. — „ZTroß- 
dem aus dem Arbeitsgedränge Figur um Figur entjchwand, vierund— 
zwanzig allein für das Franzensmonument, gab es feine eigentliche Lücken, 
fondern bloß erweiterte Räume für weitere Ausführungen, und mit Stolz 
blicke ich zurück auf den mir dabei zugemefjenen Antheil.“ 

Die YFuniereignifje des Yahres 1848 hemmten aber dieje freudige 
Mitbethätigung gleicherweife, wie die zumal errichteten Barricaden den Verkehr. 
Das Mar-Atelier in der Linie des von Pfingftmontag bis Freitag fortge- 
ſetzten Schußwechjels zwifchen Altjtadt und Kleinfeite gelegen, mußte gefperrt 
werden, und juchten gleich dem Meijter die Schüler eine Zufluchtftätte 
außerhalb Prag. Mar z0g fih mit Familie auf Bürgjtein zurüd, M. 
folgte nach Vollzug der ihm zur Sicherung des Atelier aufgetragenen 
Maßnahmen. Erfterer nahm freilich Anfang Auguſt die unterbrochene 
Arbeit wieder auf — nicht jo M.; denn noch hielt ihn Allerlei gebannt, 
ja nahezu verbannt, um nicht der Aſſentirung zu verfallen, die ihm 
eben bevorjtand. In diefem Zuftande jich gänzlich felbft überlaſſen, blieb 
ihm denn auch fein anderer Troſt als jener, den Bapier und Feder gewähren 
fünnen. Solchen Weges kam er zu den Herzensergießungen im „Tagebuche“. 

Diejem vertraute er gleich auf der erjten Seite: „Wie ereignißvoll 
und von nachhaltiger Einwirkung auf mich war die jeit meiner Entfer- 
nung aus Prag abgelaufene Zeit”. . . . „Weniger beruhigt wie beun- 
ruhigt bin ich jegt auch durch die mittlerweile vom Herrn Kreiscommiljär 

23* 


— 348 — 


Klar erhaltene Zuſage des Genufjes der Künftlerftiftung, auf die ich nicht 
mehr rechnete. Die Sachlage wurde eben dadurch anders, daß mein 
vordem bevorzugter Rivale, Maler Weidlich, Anforderungen ftelte, die 
nit dem Stiftsbriefe unvereinbar waren. Er wollte nämlich den auf zwei 
Jahre zu vertheilenden Stipendienbetrag auf einmal erheben und fich nur 
auf unbejtimmt in Rom aufhalten”. . ... . „Die Jahresſumme von 
300 fl. Conv. Me. iſt freilich Feine große mit Rückſicht auf die jegige un- 
ruhige Zeit, in der fich kaum durch eigene Arbeiten etwas verdienen läßt. 
Schwerlich wird es daher ohne ein Zufegen von meinen Erbtheil abgehen. 
Froh war ich dennoch als mir die Nachricht zufam. Innigſten Antheil 
nahm auch mein lieber Meifter an diefer — wie er meinte — glüdlichen 
Wendung.” An jpäterer Stelle heißt es wieder: „Quälte mich nur nicht 
fort und fort die Frage: wirft Du unter den in Italien obwaltenden 
Umftänden nicht am Ende doch no, wie es die Verwandten wünjchen, 
dein Heil in Rußland ſuchen müſſen?!“ ... 

In der nachfolgenden Rückſchau auf die 48er Ereignifie, findet ſich 
u. A. auch die Notiz eingejchaltet: „Jüngſt begegnete mir Ferd. Miko— 
we, zurücgefehrt aus Serbien, wohin er aus Furcht vor der k. f. Militär- 
unterfuchungs-Commifjion geflohen war, in einem Anzuge, der mid) auflachen 
machte. Er nannte den bunten Trödel „echt ferbijches Epftüm‘, ich, wie 
die Meisten die ihn jahen, nannten e8 „Hanswurfterei, in einem jolchen 
bei uns herumzugehen. Er iſt jeither verichwunden, und hat, wie bejtimmt 

verlautet, fümmerliche Unterkunft in Leipzig gefunden, dazu aud) — alte 
Röckel wieder angezogen.“ 

Unter dem 18. Juli 1849 wieder auf ſich ſelbſt — 
notirte M. „Mehr und mehr beunruhigt mich nun die Gefährdung meiner 
perſönlichen Freiheit durch die nächſt bevorſtehende umfangreiche Recrutiruug. 
Wohl gutem Rathe folgend mußte ich zeitlang für Bürgſtein unſichtbar 
werden.“ 

Dem erſten Verſuche nach ſolcher Unſichtbarkeit reſultirte die überaus 
intereſſante, künſtleriſche Schilderung eines Ausflugs auf den Kleis: — 
„Im Kreiſe der Freunde bis nach drei Uhr Morgens, als die goldum— 
ſäumten Wolfen im Oſten bereits den Sonnenaufgang verkündeten, über- 
fam mich plöglic) die Bejorgniß vor dem Eitiren auf den Aſſentplatz, und 
ich beſchloß das Weite zu ſuchen. Einer aus der Gejellichaft, Herr B.... 
dem ich mein Vorhaben verrieth, erbot ſich als „Schugmann“ zur Be- 
gleitung. Im Orte lag noch Alles im Schlafe, die herrfchende feierliche 
Stille wurde blos hin und wieder unterbrochen durch das Wedrufen und 
Antworten der Haushähne. Ueber dem Fortichreiten unferer vier Füße 


— 349 — 


erwachten freilich auch die Wachthunde der Gehöjte; darum galt e8 fo eilig 
wie möglich von der Straße ab, auf die Feldwege zu kommen. Lautlos 
zogen mir denn eine gute Strede zwifchen Kornfeldern und Wiejen dahin, 
miterjchredt durch die hie und da von uns aufgefcheuchten Lerchen, die 
jäh aufjchoßen, aber, nicht gelaunt noch zum Singen, fogleich wieder ein 
Verſteck fuchten. Vom Murren meines Begleiters, über allzu haſtiges 
Ausschreiten endlich zu kurzem Stillftande gebracht, gewahrte ich erjt den 
ſchon gewonnenen Vorſprung. Der „Bretteich“, der auf feiner dunfelblauen 
Fläche den „Urtelsberg”, und gleich einem Nimbus die im Often aufleud)- 
tende Feuerglut jpiegelte, lag ſchon hinter ung, vor uns die eriten Häufer 
von Rodowig. Da plöglid famen meinem Schugmann Bedenken ob der 
Weiterbegleitung. Reſolut erklärte ich ihn dagegen für frei feiner Zuſage 
und Schritt weiter.» » 2... - Der Berg fam mir immer näher, ſchon 
deutlich konnte ich die Bäume, mit denen er bis zum Gipfel bewachjen ift, 
von einander unterfcheiden; das Zwielicht, das bisher den Ausblick hemmte, 
der Landjchaft die Plaftit benahm, ſchwand mehr und mehr; lauter und 
lauter jchlug an das Ohr der Chorus der gefiederten Sänger — freier 
und froher jchlug auch mein Herz. Wie bejchreibe ich aber meine Ueber- 
rajhung beim Zurücdichauen und Wahrnehmen, daß es der Schugmann 
doch nicht über ſich brachte mich zu verlaffen, daß er, wenn auch langfam, 
doch nachfomme!.. . . . Ich harrte feiner, und fortan ging es gemein- 
jchaftlich weiter, allerdings jet erjt unter allerlei Schwierigkeiten. Durch» 
jchreiten hieß es thanfeuchte Grasflächen, überjpriugen die Abjiderungen 
der Bergquellen, ſich ducchdrängen durch dichtes Geftrüpp, und während 
dem vom rechten Wege abgefommen, nad) Orientirung ſuchen. Mühſelig 
gelangten wir endlich auf die Straße, die unterhalb des Kegels vorbeifihrt, 
hatten ſomit den Fuß des eigentlichen Berges erreicht, der in jehr 
rejpectvolfer Höhe num vor uns jtand. Kein Wunder, daß dem Begleiter 
von Neuem die Neue beifam, und cr fie auch mir beibringen wollte, durd) 
flehentliche Aufforderung: „solchen Weges nicht weiter zu wandeln!” Er 
hatte fich verrechnet. Es liegt in meiner Art, von einem fejten Vorhaben 
troß aller Hinderniffe nicht abzulajjen. Ich ſchritt ruhig weiter, begegnete 
zu meinem Ergögen einem leichtfüßig den Weg überjegenden Neh erblidte 
bald darauf einen balzenden Birkhahn, und nad) kurzem Stilfftehen — 
meinen nachfeuchenden Begleiter! Unter Lachen und Scherzen legten wir 
den Net des Meges zurück und frochen mehr als wir gingen iiber Stein- 
geröll und Felsjtüde, über Niedgras nd Heidefraut, bis wir jchweißtriefend 
und ermattet den Gipfel eroberten. 


— 350 — 


Obwohl die Sonne die fie vordem dedende Bergwand bereits er- 
jtiegen hatte, überbot das von ihren Strahlen verherrlichte vor ung Tie- 
gende Panorama jegliche Erwartung. Weggezaubert war die Ermüdung, 
friijh und klar wie die Luft war der Sinn, empfänglich für den Genuß, 
der Sich darbot. Des Riefengebirges mafjenhafte Formen, rofig über- 
ſchimmert, bildeten linf3 im Often den Grenzpunkt, während im Süden, 
lange, gering gewellte Linien, nur von vereinzelten Bergfegeln und Wald- 
rüden unterbrochen, ſich als das Mittelland kenntlich machten, dem weiter- 
hin das Mittelgebirge mit dem hochthronenden Milleſchauer, den weit- 
wärts gelegenen Gebirgszügen vom Kofeler Berge, der Parchener Hoc: 
ebene, die Breitfelder und Falkenauer Buchberge jcheinbar an den Kleiß an— 
ſchließen. Dieſe prächtige Fernficht gewinnt wejentlich, ergänzt jich eigentlich, 
im Rüdzuge des Auges auf die unmittelbare Nähe „in der fich Berg an 
Berg, Kegel an Kegel, abwechjelnd mit Burgruinen gekrönt ins Flachland 
hinaus erjtreden, wo der impojante Böſig, weiterhin die beiden Trosky 
den Abichluß bilden. Einen weiteren interefjanten Ausblid hatten wir auf 
Neichenbergs Wejtmauer, den Jeſchken, der ſich gegen das Panfrater Ge- 
birge allmälig abdacht, bi8 zum ſächſiſchen Han wieder auſchwillt, und auf 
Georgenthal zu Hinter der Lauſche ins Verſchwinden kömmt. Nachden 
ich noch die jchönen Niederungen, vor allem mein liebes Bürgftein, das 
jih im Thale unter dem TFeljengebirge des Slawitef, des Wachfteins und 
der ‚Burg‘ dahin jchlängelt, liebe- und wehmuthsvoll betrachtet, blieb nichts 
anderes übrig, als bergab, und mohin zu gehen, wo ficher zu weilen wäre, 
bis zu einer Benachrichtigung, daß die befürchtete Gefahr vorüber. Unter- 
halb des Berges mich von meinem treuen Begleiter verabjchiedend, hieß 
es zunächſt eine Erholungsjtätte aufjuchen, um dann gegen die Grenze hin 
meine Wanderung fortjegen zu Können." 

Gleich lebensfriſch erfaßt und malerisch geſchildert ift die Fortjegung 
des unjteten Umbherirrens, das M. zu den jonderbarjten Kreuz- und Quer: 
zügen im nordweitlichen Grenzbezirfe brachte. Ich hebe zuvörderſt nod) 
aus der Schilderung des Weiterweges hervor: „Nach vielem Umherirren 
im Walde war endlich die Straße meine Führerin geworden. Der dunkle 
Föhrenwald, der von beiden Seiten ſich weit hinzog, nur zeitweilig von 
den lichtgrünen Streifen ftämmiger Buchen durchbrochen, lichtete fich blos 
an einer Stelle, um mid das von üppigen Wiefen und Getreidefeldern 
eingejchlofjene Röhrsdorf erbliden zu laſſen. Bergan weniger dicht, ver- 
mochte ich rechts, durch die Stämme hindurch die in der Tiefe Tiegenden 
Hütten des Dorfes Morgenthan zu erfennen. Weiterhin jtand auf derjelben 
Seite jinnig angebracht auf einem durch Kunst hergezauberten Bafalthigel 


— 351 — 


ein von zwei rohen Baumjtämmen gefügtes Kreuz, im fleinen Viereck um: 
geben von Nuß- und Eberefchbäumen. — Das hierauf erreichte große 
Wirthshaus zur Antonihöhe, vor dem viele Holzfuhren jtanden mit Liefe— 
rungen für die Fabriken der unteren Gegend, ja auch für Sachjen, wurde 
nun ebenfalls für mich Rajtjtätte... Die Neuhütte, die in geringer Ent- 
fernung jchwarzen Rauch verbreitend dafteht und den zerjtreut liegenden 
Arbeiterhäufern den Namen Teiht, hat ihren rechten Pla in diefer Wald» 
einfamfeit. Bald zog die Straße, bisher bergan führend, janften Buges 
in den Thalgrund dem wahrhaft im „Buſche“ verjtedten Bufchdörfel zu, 
wo ich auf den nahe gelegenen Tollenjtein aufmerkſam gemacht wurde. 
Raſch entſchloſſen für den Aufitieg, hielt ich auch nicht eher jtill, bis ich 
auf den düjteren Ruinen, umſchwärmt von Naben und Geiern, ein Ruhe— 
plägchen fand. Das ausgebrannte Gemäuer diefer alten Raubvejte ver- 
fällt immer mehr; erjt vor Kurzem war wieder ein großer Ecktheil derjelben 
eingeftürzt und hatte mehrere bis dahin unentdedte Gewölbe durchbrochen .. 
Unter Lebensgefahr wagte ich den Durchgang unter einem frei über- 
hängenden Bogen nach dem vermutheten zugänglichen Raume — einer 
ziemlich gut erhaltenen Halle gothifcher Conjtruction, die auch am füdlichen 
Burgthor, wie an zwei nad) Oſten gerichteten Fenſtern in bejter Form 
erfennbar wird. In Betrachtung verfunfen zogen gar jeltfame Bilder vor 
mir auf, Phantasmagorien will ich's nennen, die mir au Stelle von 
Schutt und wucherndem Unkraut den ehemals getäfelten Fußboden, auf 
welchem ver ſtolze Burgherr einherfchritt, die hoheitsvolle Burgfrau mit 
dem Sclüffelbunde am Gürtel die Gafttafel anordnend, vorjpiegelt. Dort 
im Erfer, wo jegt die Dijtel waltet, jehe ich das frijchwangige, goldhaarige 
Burgfräulein am Stidrahmen, der fie aber nicht abhält, durch das fchmale 
Spigbogenfenfter ihren Blick in’s freundliche Thal gleiten zu laſſen — 
einem Gegenftande ihrer Sehnſucht entgegen... . Im Burghofe wieder iſt's, 
als ſähe ich das Haften und forgliche Hin- und Herrennen der Knappen, 
als hörte ich die Fallbrücke vajjelnd aufziehen, zwifchen den roſtigen 
Thorriegeln die geharnischten Männer entlang des Treppenganges jchreiten, 
während der Burgwart — wie mir vorfommen will — Weile um Weile, 
dumpfen Yautes die nahende Gefahr anzeigt. Dabei ertappte ich mich 
hinterher freilich auch als der Gilde der Romantiker angehörig, die in 
die nüchterne, geldhajchende Gegenwart nicht paſſen. Faſt reumüthig zog 
ich von dannen.“ 

Der Weiterweg, im ſeltſamſten Zick-Zackzuge fortgeſetzt, führte über 
Georgenthal nad) Rumburg, ſeitab wieder nach Warnsdorf, wo M. Ver— 
ſtändigung erhielt, daß es noch nicht an der Zeit ſei heimzukehren, und 


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ihm gerathen wurde, vorläufig noch bei einer Tante in Teplitz Zuflucht zu 
ſuchen. Bei dieſer denn auch Standquartier haltend, von dem aus Touren 
in allen Richtungen der Gegend unternommen wurden, die im Tagebuche 
auf das Anziehendſte beſchrieben ſind nehme ich mit Rückſicht auf den 
eigentlichen Lebensfaden Umgang von der Einſchaltung, berichte blos, daß 
ihn die Sehnſucht doch vorzeitig nach Hauſe trieb, wo er indeß Verſteck 
ſpielen mußte, bis daß ihm der Erlöſungsruf des „Meiſter's“ zukam — 
der im Tagebuche unter dem 25. Juli 1849 folgenderweiſe verzeichnet iſt: 
„Ein Brief, den ich geſtern vom Bruder Ferdinand erhielt, beſtimmt mich 
übermorgen nach Prag zu reiſen. Meiſter Max hat dieſem nach eine 
größere Beſtellung erhalten und bedürfe meiner dabei. Um zugleich aus 
der leidigen Unſicherheit zu kommen, beſchloß ich mich in Prag aſſentiren 
zu laſſen — allerdings in der Hoffnung auf Untauglichkeit ...“ 

In Prag, am 26. Aug. notirte er Schon: „Glücklich bei der Affentirung 
davon gelommen!... Meister Mar begleitete mich... Der humane Ober- 
lieutenant jo wie die beiden Doctoren nahmen die Unterfuchung meines 
gänjehäutigen Körpers nicht allzuftrenge, nachdem ihnen der gute Mar in 
feiner herzgewinnenden Weije allerlei zu meinem Gunſten gejagt hatte; feine 
Freude über den Erfolg war wohl eben jo groß wie die meine... jetzt 
bejorgte ich mir auch frohen Sinnes den Paß nach Italien . . .“ 

Spätere Notiz: „Im Atelier Max, wo ich mich nun wie früher 
beſchäftige, und an einer großen Chriſtus-Statue (für Reichenberg) meißle, 
geht es ziemlich ſtille her. Allerdings fehlt der muntere Paris — den in 
der zweiten Juniwoche der Tod beim Baden ereilte — ich merke auch bei 
jeder Gelegenheit wie leid es dem edlen Meiſter iſt, dieſen hoffnungsvollen 
Schüler verloren zu haben.” ... „Der herrliche „Student“, der bereits 
in Nehwisder Stein auspunftirt ift, wartet mit der Vollendung auf mid). 
In Angriff genommen wurde noch die für das Klattauer Rathhans beitellte, 
7 Fuß hohe Juſticia . . . Jene vom Bruder angezeigte „größere Beſtellung“ 
bei Mar ift die für ein Radetzky-Monument auf dem Prager Kleinfeitner 
Ringe... Meine Reife nach Italien gedenk ic Fünftiges Frühjahr anzu— 
treielt ...4” 

Ein bis dahin ſorglich bewahrtes Herzensgeheimniß verräth eine 
am 15. Novenber eingetragene Notiz: „Mein ſchönſter Traum, mein von 
der Zukunft erwartetes höchjtes Glück ift dahin! — (Pint Mikowetz) — 
das Mädchen, das ich ſchon als Knabe liebte, das dem Jünglinge deal 
war, dem Manne Bürgſchaft dauernden Erdenglüdes werden jollte, 
ließ ſich, wie ich heute erfuhr, einem Anderen verloben! Schmerzer: 


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griffen wie über den Tod meiner teuren Eltern, fühle ich mich heute nur 
noch verlajjener, als nad) ihrem Verluſte . . .“ 

Daß diefe Enttäufchung nachhaltige Wirkung übte, wird ſchon er- 
fennbar dadurch, daß die bisher für das Tagebuch jchreibfertige Feder 
plöglid verjagte und erft wieder nad) fieben Monaten, am 17. Juni 
1850, actio wurde, um einzutragen: „Bier bin ich endlih am erjchnten 
Biele, in der Welt:Metropole Rom. 

Im anschließenden Rückblicke bejtätigt M. im erfter Reihe, daß es 
ihm jehr ſchwer geworden die Herzenswunde ins Vernarben zu bringen. 
„Ihre Empfindlichkeit jchwächte die Wehmuth der Verabſchiedung von 
meinen Gejchwijtern und Freunden...” „Im Gefühle, als wäre die Seele 
von einem Trauerflor umzogen, trat ich Freitag Abends den 24. Mai die 
große Reife an." — Nach mehrtägigem Aufenthalte in Wien und einem be 
geijtert bejchriebenen Bejuche bei Führich reifte er über Graz, Laibadı, 
Triejt weiter und langte am 1. Juni in Venedig an, wo er einige 
Zage hindurch als ein von den Herrlichkeiten dieſer „Meereskönigin“ 
begeijterter Touriſt umberzog; dann fam er über Novigo, Yerrara, 
Bologna nah Florenz — einer für ihn höchſt fatalen Station; denn 
durch Aufenthalte da und dort, über die Berechnung hinausgerathen, jchließlich 
durch Vetturinos ausgebeutet, kam er hier mit leerem Sädel an. Nebſt 
den Reifeerlebniffen und der eingehenditen Schilderung des im Bereiche 
der Kunſt, wie der Natur feit Wien Gefehenen, ift in der Rückſchau vom 
17. Juni auch diefer Florentiner Epifode Raum gegeben. So im den 
Worten: „Mißmuthig jtand ic) da. Was fonnte auch das vielgerühmte 
Florenz für einen Reiz auf mich üben: in der peinlichen Schwebe zwiſchen 
Hierfein und doch Ausgefchloffenfein, zwischen der Frage joll ich meinen 


Zwar erinnerte ich mich an zwei Namen, auf die hin miv Mar und Guft. 
Kraymann Grüße mitgaben, und glaubte mit ihrer Bejtellung zum erwünſchten 
Auswege kommen zu können. Frug alfo freuz und quer nad) dem „Kupfer 
jtecher Daverio," und dem, Graveur Niedereft", befam aber immer die Antwort 
„sconoscinto* (unbekannt). In der höchſten Verlegenheit kam mir der 
Gedanke, den öſterreichiſchen Gejandten aufzujuchen. Zur Stelle, hieß 8: 
„kömmt erjt in einer Stunde”. Nach Ablauf diefer wieder vorfprechend, 
fam mir alsbald ein äußert freumdlicher Herr entgegen, fragend, was 
mein Anliegen. Nicht ohne VBerlegenheit gejtand ich ein, daß ich ſchlecht 
vechnete, mir zu viel nah Nom anmeijen ließ und zu wenig zur Hand 
behielt, deshalb nun an einer Wegjchranfe jtehe. Ohne mein Decret, das 
ich zur Legitimirung vorwies, zu lefen, bedeutete er mir im wohlmwollenditen 


* 


— 34 — 


Tone, beim „Secretär” in Form eines Schuldjcheines niederzujchreiben, wie viel 
ich benöthige, welche Rüdzahlungsfrift mir erwünſcht fei. Geſagt, gethan, 
händigte mir der Secretär nicht blos die verjchriebene Summe, fondern 
auch einen Empfchlungsbrief an den dfterr. Conſul in Livorno ein . 
Froh wie ein aus Gefangenschaft Befreiter ging ich iiber die Arnobrüce 
in mein Quartier zurüd und ſah erſt jegt, daß ich im ſchönen Florenz 
wohne, wo ſich Schritt auf Schritt dem KRunftpilger das Walten der großen 
Meifter des 14. und 15. Jahrhunderts offenbart.” (Folgt eine mit wahrer 
Begeijterung niedergejchriebene feinfühlige Schilderung der Runftherrlichfeiten 
von Florenz.) 

Am 8. Juni fuhr M. nach Livorno, brachte dort das Gejandtichafts- 
ichreiben an den Adreſſaten, wurde dafür bejtens aufgenommen und mit 
einem neuen Geleitsbriefe an den Vertreter Dejterreihs in Civitavecchia 
verjehen. Im Tagebuche folgt der von allerlei Epifoden untermijchten 
Beichreibung von Livorno die äußerſt humoriſtiſch aufgefaßte, von Sturm 
und Seefranfheit begleitete Schiffahrt nach Livitavechia. Die Schluß: 
tour von bier aus wurde über Einrathen des erwähnten Vertreters, im 
behäbigen Poſtwagen abgethan. Sein, von einer ungewöhnlich reichen 
Phantaſie getragenes Beichreibungstalent wußte namentlich diefe Tour zu 
einer Anjchaulichkeit zu bringen, wie es ein Farbenbild kaum bejjer ver: 
möchte... . „Die Straße führte längere Zeit am Ufer des Meeres 
dahin, und weilte mein Auge auf der vor dem nahen Sonnenuntergange 
im interejjantejten Farbenwechſel jich leicht bewegenden Wafjerfläche, bis 
die allmälig zunehmende Dämmerung auch auf mich jelber überging und 
andauerte, bis unter dem in Italien üblichen Gejchrei ein Pferdewechſel 
vor ich ging, dazu hajtvoll der Pojtiglione jein mancia forderte. Indes 
bald wieder vom Schlaf umfangen, entriß mich diefem erjt ein durch das 
Wagenfenjter hereinleuchtender, greller Feuerſchein — näher bejehen das 
Wachtfeuer der Hirten, die um eine wohlgenährte Gluth herum, mit Ziegen- 
oder Schafsfellen bekleidet, lagerten. Ihre Schüglinge hodten theils wieder- 
fäuend, theils am gelben Graje nagend in der von großen zottigen Hunden 
bewadhten Bannlinie. Ein Bild, das fejtzuhalten ich mir das Zeug eines 
Malers wünſchte! Darüber vollfommen munter geworden, mit der zu: 
nehmenden Tageshelle auch mehr und mehr überzeugt von der Näherung 
an die weltgejchichtliche Centrale, überfam mich faſt wie Fieberſchauer 
eine innere Bewegung, die Aeußerung fand in den Worten: du haft 
dein erfehntes Ziel glüdlih erreiht!.... . Am 11. Yuni 
4 Uhr Früh, fuhr ich ein in die Thore von Rom.“ 


— 355 — 


Wie es bei Melzer nun ſchon üblich war, hinterlegte er in ſeinem 
243 Quartſeiten zählenden, meiſt ſehr klein und gedrängt geſchriebenen 
Tagebuche den ausführlichſten Rechenſchaftsbericht über alle weiteren Er— 
lebniſſe, über alles Geſehene, Geplante und Ausgeführte. Es geſchieht 
dies oft mit überraſchend poetiſchem Schwunge, interne Angelegenheiten 
betreffend meiſt wieder mit wahrhaft kindlicher Offenherzigkeit. Und will 
der Biograph diefem feinen Wefen nach originellen im vielverjprechendften 
Aufitreben begriffenen Künjtlev gereicht werden, danı muß er nothwendiger: 
weiſe die Tagebuchnotizen gleih Mojaikftiften fir deſſen in Abficht ge- 
nommenes Lebensbild benügen. 

Im Gafthofe zur „Minerva“ abgejtiegen, begab fih M. nach dem 
Umkleiden fogleih in den venezianischen Palaft zur Aufwartung beim 
öjterreichiichen Gejandten. Zur Unzeit gefommen, war nicht dieſer, wohl 
aber der Legationsrath Herr dv. Schniger zugänglich, der ſich herbeilich, 
ihm & conto der noch aus ftehenden Stipendienamweijung einen Vorſchuß 
auszuzahlen. Dadurch momentan jorglos gejtellt, wurden zunächſt die an 
die mitgebradhten Empfehlungsichreiben gefnüpften Bejuche abgethan. In 
eriter Reihe der bei Overbed, beim Bildhauer Steinhäufer und bei 
dem aus Breslau ftammenden, vielbefannten Pater Auguftin Theiner 
an welchen er ein Schreiben vom Leitmeriger Biſchofe abzugeben hatte — 
der ihm gleicherweife durch originelles Wejen, wie „durch erjtaunliches 
Willen, Intereſſe abgewann“. Ueber einen zweiten Bejuch bei Overbed 
ift unter dem 30. Juni eingetragen: Heute Mittag wurde mir ein hoher 
Genuß zu Theil. Ich befuchte das Atelier Overbed’3. Der große Künſtler 
fam mic freundlich entgegen, veichte mir die Hand und hieß mich will: 
fommen. Ich durfte nun alles an Zeichnungen und Skizzen umher befindliche 
nad) Belieben betrachten. Eine figurenreiche, in Delfarbe colorirte Com: 
pojition, den Triumph der Künſte darjtellend, für Frankfurt beſtimmt, fefjelte 
mid) ganz bejonders. Bon den in zwei Näume vertheilten übrigen, theils 
mit Kohle, theils farbig ausgeführten, überaus jchönen Carton’s hebe 
ic) namentlic noch „Chrijtus am Delberge", „Madonna mit dem jchlafenden 
Jeſuskinde“, „der ungläubige Thomas" hervor... .. Der allverehrte 
Meijter fam mir nad) und erklärte jchlichtejter Weije, durch welchen 
Gedanken diefes und jenes Bild entjtanden, welche Bejtimmung damit 
getroffen wurde. Er theilte mir auch mit: „Meine größeren Gemälde 
laſſe ich, bevor fie nicht vollendet find, Niemanden jehen, dann aber 
jtelle ich fie Öffentlich aus.” — „Dem entiprechend iſt auch Sonn= und 
Feiertag von 12 bis 2 Uhr jedermann der Zutritt in deſſen Ausjtellungs- 
räume gejtatiet". . . . . 


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Eingejchaltet iſt nachfolgend im Tagebuche eine treffliche, künſtleriſcher 
Auffaſſung entfprungene Schilderung der mit dem Feſte der Apoſtelfürſten 
— Beter, Paul — in Rom verbundenen Feierlichkeiten: der Peterskuppel- 
beleuchtung am Vorabende, des pompöfen firchlichen Aufzuges am Feittage, 
der Abends wiederholten Kuppelbeleuchtung nebſt Feuerwerf. 

Am 2. Juli, nad) dem Befuche der vaticanischen Antitenfammlung, 
notirte M.: „Die Grichen find wohl die größten Künftler gewejen, denn 
jo weit ich bisher Umſchau hielt, fand ich fie von Anderen nicht erreicht, 
jo wenig in Würde, Kraft, wie in zarter Formbildung. Sie find jedenfalls 
der Probierjtein, au welchem zum Bewußtjein gebracht wird: wie viel man 
Ihon erlernte — wie vieles noch zu lernen übrig it.“ 

3. Juli. „Geſtern bejuchte ich den Wiener Penfionär, Maler Karl 
Wurzinger,?') der hier in Begleitung feiner Frau der ihm zu— 
gewendeten akademiſchen Stiftung Genüge zu thun jucht. Dieje beträgt 
800 Fl. eine Summe, mit der jich allerdings zweijpännig fahren 
läßt, im Gegenfage zu meinen 300 Gulden! Die, wie ich mehr und 
mehr einjehe, dem gewiljen Schulmeifter-Gehalte gleichfommen, charakterifirt 
durch das geflügelte Wort: „zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel". 
Uebrigens beneide ich den gemüthlich phlegmatisch, in häuslicher Stille fein 
Penſum abthuenden Wurzinger nicht, weil fich wahrnehmen Täßt, feine 
„Römerfahrt“ gleiche jehr ftarf dem ſpottweiſen Fluge über den Ahein"... 

Selben Datums: „Gejtern Abend gab es merkwirdig genug Illumi— 
nation zu Ehren der Franzejen, eigentlich zur Feier des Jahrestages 
ihres Einmarjches in Rom. Die Stadt war ziemlich jtarf beleuchtet, 
und paradirten in den Fenſtern offenbar die bemalten PBapierlaternen, die 
vor zwei Jahren in ganz anderen Sinne functionirten, nämlich zu Ehren 
der Republik! — Das Volf von Nom, wie es Shafefpeare durch feinen 
„Coriolanus“ charakterifiven läßt, jcheint noch immer dasjelbe geblieben 
zu jein“. ... 

Am 8. Juli unternahm M. in Begleitung eines Pojener Bildhauers 
den erjten Ausflug in die Umgegend von Rom, über den er wieder mit 
der ganzen Begabung für Naturfchilderungen in Tagebuche berichtet: 

. Nadjmittags 4 Uhr, als die größte Hige vorüber, verließen wir durch 
die Porta San Giovanni das Weihhild der Stadt. Zu beiden Seiten 
des Weges wucherte das hohe Rohr, welches zu Stügen für die Weinjtöde 
verwendet wird; ſtreckenweis wanderten wir wieder zwifchen Einfriedungen 
aus Mauerwerk oder lebenden Zäunen, abgeſchloſſen von aller Fernficht. Erit 


1) Später Profeffor der Hiftorienmalerei an der Wiener Akademie. 


— 357 — 


nach und nad) kamen die großartigen Wajfjerleitungen zu Geficht, 
deren Hunderte von Bögen fich in die weitgedehnte Campagna hinzogen. 
Die Ruinen der alten, bald in Heineren Gruppen, dann wieder in langen 
Linien fortlaufend der neueren Leitung zur Seite, waren der einzige 
decorative Theil der an fich trojtlojen, ſumpfigen Fläche. Weiterfchreitend 
fam rechts die Via Appia zu Vorjchein, hierauf an der Straße hin un— 
zählige alte Grabmäler, unter denen bejonders das guterhaltene der Käcilia 
Mietella meine Aufmerkjamfeit erregte: weit und breit alfo nichts als 
Trümmer des einftigen Roms, todte Einöde, meilenweit feine menjch- 
liche Wohnung! — Hohe vieredige Thürme ftiegen wohl bald da und 
dort aus der unbebauten, mit gelblihem Graſe überwucdjerten Ebene auf, 
aber auch dieje find Ruinen jpäterer nachehriftlicher Zeit. Unter einigen 
von ihnen kann ſich zwar der von Hitze und Durſt gequälte Wanderer in 
finfteren Gemwölben Erfrifchung holen, freilich nur an fchlechtem Weine 
und noch fchlechterem Waller, das bei den in diefen Eulenneftern haufenden, 
mehr Wegelagerer als Wirthen ähnlichen Krausföpfen fir theueres Geld 
zu haben iſt .. .. Endlich nachdem noch der erjtiddende Dunft der 
Salfaterra unfere Zungen bejchwert, die fcheidende Sonne den Bergen ihre 
farbigen Strahlen entzogen hatte, ging die Straße aufwärts. Vom Sabiner- 
gebirge winfte das freundliche Frascati, in weiterer Reihe links fam Tivoli 
nebſt anderen wie Nefter an den Berggipfeln hängenden Städtchen zum 
Vorſchein; diefen gegenüber zeigte ſich der mit einem Kloſter gefrünte 
Monte Cavo und das am Fuße liegende Rocca di Papa, tiefer noch) 
San Marino und Eaftell Gandolfo, bis die üppigen, der anderjeitigen Berg: 
linie folgenden Oelgärten den Gefichtsfreis abjchlojien . . . . Es war halb 
10 Uhr als wir die Thore von Albano durchfchritten und kurz darauf 
uns bei einer Flajche Wein von den Mühfeligfeiten und Entbehrungen 
während des Marjches erholten. Wir hatten binnen 5 Stunden 15 Miglien 
zurückgelegt . . . . Die Morgenfonne des nächften Tages hatte leider ver- 
geffen uns zu mweden, e8 hieß darum Genſano unberührt lajjen und direct 
auf Frascati losſteuern für den Beſuch von Tusculum, der für diejen Tag 
noh am Programme ftand . . . . Hinter Albano Hatte ich wieder den 
Ausblid auf das Meer, das in einem langen blauen Streifen über die 
niedrigen Ufer der Campagna jichtlic wurde. Ich jtand zugleich unter 
dem Laubdache nordifcher Eichen, den Abhang zu Füßen ſchmückten Lorbeer 
und Oelbäume. Oberhalb hatte ich die Mauern von Ariccia vor mir mit 
der umgebauten hohen Brücke, die über das tiefe Thal hinwegführt; zur 
Seite befand ſich das halbverfallene Monument der Horatier und Curatier 
mit feinen vier Thürmen. — Der gedanfenvollen Betrachtung entrijjen 


— 3558 — 


mich erſt die in ihrer maleriſchen Tracht gruppenweiſe an mir vorüber 
der nahen Kirche zujchreitenden Landleute, denen ich dann nachging, um 
baldig wieder vor einem neuen, eigenartigen Bilde zu ftehen: dem eines 
vor feiner pittoresfen Klauſe figenden Eremiten, welcher, wie ich jehen 
fonnte, bereitwillig die Almofen der Vorübergehenden in Empfang nahm .. .. 
Dann mehr und mehr bergan jteigend Tag plöglich der dunfelgrüne Albaner 
See zu Füßen. Die Seitenwände diejes eingejtürzten Kraters find ringsum 
und bis an den tiefgelegenen Spiegel mit frischem Grün überzogen, und 
jpiegelt jih auf der ruhigen Fläche äußerjt effectvoll das nächitangelegene 
Caſtell Gandolfo. Nach rechts überragt diefes Tiefenbild der hohe, jchein- 
bar nahegerückte Monte Cavo. Den Genuß der prachtvollen Ausjicht erhöhte 
nicht gering der aus dem den Standort umgebenden Gebüſch ertünende 
Nachtigallgejang, die merfwürdig bier auch am hellen Tage fingen. 

Durch eine Allee jener Hundertjährigen perennivenden Eichen, die 
blos in der Form des Stammes und der Aeſte unjeren Eichen ähnlich find, 
dagegen ein ganz verjchievdenes Laub tragen, famen wir nach Eajtell Gan- 
dolfo. Raſt haltend in einem arten, unter eier gegen den Sonnenbrand 
ſchützenden Weinlaube, erjrischt duch einen krugvoll Rebenſaft, genofjen 
wir von da aus zugleich die Ausjicht auf die Campagna und die in der 
Gluthige gewiſſermaſſen brodelnde Siebenhügelſtadt . . Noch einmal gingen 
wir dann entlang dem Albanerjce, gelangten in einen fehattigen Hain, 
über welchem die finfteren Mauern von San Marino erfchienen.... Nach 
etwa zwei Stunden erreichten wir das erjehnte Frascati. Gejchmadvolle 
Villen umgaben rings die heiter ausjehende Stadt, in der zudem auch des 
Feſttages wegen heiteres, buntbewegtes Leben herrfchte, an dem wir jedoch) 
nur während dem Genufje eines Glafes fchäumenden Bieres unter dem 
Vordache einer Zaverna Theil nahmen, um baldigs weiter zu kommen. 
Steil aufwärts ging es dann in der drückendſten Mittagshige eine volle 
Stunde lang, bevor ‘wir über das altrömiſche Pflajter hinweg in die Ruinen 
von Zuseulum eintraten. Dieje einjtige fefte Stadt iſt heute ein Trümmer: 
haufen, nur die Südweitjeite mit Fragmenten von mafjigen Wölbungen, 
hie und da von Schutt befreiten Architefturtheilen läßt ihre ehmalige Größe 
und Herrlichkeit ahnen. Es war ein ziemlidy mühfelig Unternehmen, fid) 
zwifchen dem eingejtirzten, iiber und über mit dunklem Epheu bevedten 
Gemäuer durchzumwinden . . . . Ein ergreifendes Bild bietet das fait 
gänzlih zu Tage gelegte Amphitheater mit den ausgezahnten Stufen, 
den Marmortrümmern der Bühne, auf der aus üppig emporwuchernden 
Unkraut vereinzelte Säulenjtumpfe aufragen. Merkwürdig, dicht an, unter 
Eichen: und Lorbeer-Gejtrüpp weidete eine Schafherde, mittinnen jaß der 


-- 359 — 


Hirt, ſchweigſam den Blid auf Rom gerichtet. Tiefe Stille, Todesruhe zu 
nennen, herrjchte allum! . . . Ueber Lavafchutt führte der Weg aufwärts 
zum Bergesgipfel — eigentlidy iiber das verjchüttete Gemäuer der vormals 
bejtandenen Gebäude. Bon oben aus überjieht man das Trimmerfeld 
nad) feiner ganzen Ausdehrung . . . . Am Rückwege nad) Yrascati, nahe 
der Stadt, trafen wir noch auf ein Stück rundes Gemäuer — das Grab- 
mal des Zuccullus. Nach zweiftündigem Raften und vierjtündigem Marjche 
waren die Thore von Rom erreicht. 


16. Juli. Nachmittags befuchte ich mehrere Bildhauer— Atelier's; als 
die bedeutendſten hebe ich das von Emil Wolf, einem gebornen Berliner, 
und von Pietro Tenerani aus Torano hervor, obſchon ſich in dieſen, wie 
den meiſten anderen nicht das darbot, was meinem Geſchmacke zugeſagt 
hätte. Die vorgefundenen Werke, meiſt auf mythologiſchen Stoffen baſirt, 
ſtanden mir als Romantiker fremd gegenüber. Ich vermag mich zu 
erwärmen im Anblicke recht antiker Werke, weil ich ſie einer volksthüm— 
lichen Kunſt entſprungen weiß und in ihr den höchſten Ausdruck des 
Lebens der alten Welt erblicke; was aber ſoll einer bei ſchon vollſtändig 
chriſtianiſirtem Ideenkreiſe und ganz anderer Welt- und Menſchenanſchauung, 
mit den aus jener alten Welt herausgeriſſenen, dem Macher gefühlsentfremdet, 
dem Beſchauer unſympathiſch gewordenen Geſtaltungen anfangen?! — 
Beſten Fall kann alſo wie es den Ausführungen Tenerani's gegenüber von 
mir geſchah die treffliche Technik und ſchöne Form anerkannt werden. 
Daß übrigens Tenerani das Zeug hat für Gebilde „unſerer Zeit“, erſah 
ich aus einer eben jo geijtvoll wie lebensfriſch aufgefaßten Marmorftatue, 
die Herzogin von Leuchtenberg darjtellend. Aller Wahrjcheinlichkeit find 
es nur die für fälſchliche Antifen paffionirten Engländer, welche die hier 
lebenden Bildhauer außer ihrem richtigen Fahrwaſſer halten.“ 

24. Juli. „Endlich nach achtmalig vergeblihem Vorſprechen hatte ich 
heute die Ehre vom f. k. öſterr. Gejandten (Eszterhazy) empfangen zu 
werden. Aeußerſt wohlwollend aufgenommen, erklärte er dennoch die 
Gewährung der Bitte um ein Freiquartier im Palazzo Venezia für 
jegt als unmöglih. Beruhigend fügte er bei, Rath für mich fchaffen zu 
wollen. Ueber dem Verabſchieden bedeutete er mir noch, ihr ja jofort zu 
verjtändigen, wenn ich eine Arbeit fertig hätte” . 

Die nächſte Notirung vom 31. Juli iſt eine jubelvolle über die 
erjten aus der Heimat von Bruder und Schweiter erhaltenen Briefe. 


Bon da ab beurfundet das Tagebuch einen dem Ebben und Fluthen 
vergleihbaren Stimmungswechjel. Bald gehoben und freudvoll fich nahe 


— 3560 ° — 


fühlend jeinem Ideal, verfällt M. momentan wieder der vernichtenden 
Selbjtkritif, und zerftört in jolcher Stimmung das kurz vorher zuverjichts- 
voll Begonnene. Während er alfo am 25. Juli noch in Nachwirkung der 
guten Nachrichten von Haufe und im Hinblide auf den geliebten Meifter 
notirte: „Bereits im Neinen über meine nächjte Arbeit, hinreichend mit 
Entwürfen verjehen für weitere Ausführungen fteht auch ſchon das aus 
römiſchem Thon geformte erjte Gebilde — ich möchte jagen 
— erwartungsvoll vor mir” lautet der Eingang der Notivungen vom 
3. Auguft: „Daß es bei mir doch gar fo ſchwer geht, einen ernften Ent: 
Ihluß durchzuführen.” ..... „Hier jchreibe ich mir vor" — heißt es 
weiter - „wie ich die Zeit zu meinem Vortheile bemeſſen und benützen 
joll, und doc gewährt es mir bisher noch Fein Vergnügen, mich ernjtlich 
zu bejchäftigen, zu zeichnen oder zu boſſiren, denn al’ die mächtigen 
Eindrüde des hier bereitS Gejehenen laſſen mein Thun nichtsjagend 
erſcheinen“. .... „Und doch ſoll und will ich ein Künſtler werden, der 
bei der Wiederkehr in die Heimat, Aug in Aug dem lieben Meiſter, 
nicht erröthen ſoll!“ .. .. „Nächſt ſchon modellire ich wieder; aus den 
vielen mir vorſchwebenden Ideen halte ich endlich die eine feſt.“ ..... 
„Hätte ich nur fchon alles in Ordnung für den Beginn einer größeren 
Arbeit. Leider läßt fi nun mehr und mehr erfennen, daß der Sti- 
pendienbetrag fein ausreichender fei für eine ſolche .. 
Auch noch immer ohne Freiquartier, muß ich in verhältnigmäßig vecht 
theurer Miethe hinbringen und jehe mich zu einer Anleihe bei meinen 
Verwandten gezwungen." 

Momentan wieder getragen von den hochgehenden Wellen künſtle— 
riſcher Begeifterung, treffen wir ihn unter dem 5. Auguft über dem 
Ausrufe: „Rom ift groß, Rom iſt herrlich! So ruft mirs auf jeden Schritt, 
den ich auf diefem clafjischen Boden weiter thue, entgegen. Wer Rom 
nach jeiner Gejchichte, wie nach feiner Bedeutung für Gegenwart und 
Zufunft erkennen und wirdigen fol, muß bier gelebt, und offenen Auges 
umbergegangen fein... . . Geſtern hatte ich wieder einen Tag reih an 
Genüſſen und an nachhaltiger Anregung für thatkräftiges Vollbringen.“ 
(Folgt ein trefflich gefchilderter Beſuch der „Zitusthermen“.) 

22. Auguft. „Heute Vormittag befuchte ich den liebenswürdigen 
Ziroler Gebhard Flag, einen Maler, dem es gegönnt ift mit Overbed 
zu rivalifiven, ohne daß einer dem anderen gram fein müßte; im Gegen— 
theil find fie innige Freunde, heben und tragen fie fich gegenfeitig. Ich 
fand ihn über der Vollendung einer orgeljpielenden Cäcilia, umgeben von 
fingenden Engeln — von einer Sinnigfeit in der Erfindung, und einer 


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jtimmungsvollen Malweije, wie fie eben wieder nur Dverbed eigen ift. — 
Er fnitpfte ein langes Geſpräch mit mir an und offenbarte dabei feine 
Anſchauung — id) möchte jagen — über beide Welten, die reale und die 
ideale. Zum Ausgange auf erjtere dienten ihm allerdings die trüben 
Ereigniſſe in Rom ſeit 1848, die er mit einer Lebendigkeit jchilderte, die 
mir fie faſt fichtlich machte. Den wohlthuendften Gegenjat gab dazu das 
Aufrollen der herrlichen Bilder, die feiner Anfchauung vom göttlichen 
Walten, vom Berufe des Künjtlers „dem Vermittler zwijchen Geift und 
Natur" entjprangen. Ich fühlte mich gleicherweife tief ergriffen, wie mächtig 
gehoben von diefem Geſpräche“ . . . „Beim Berabjchieden händigte mir 
Flag die von ihm gefchriebene Biographie feines talentvollen Schülers, 
Jakob Finf aus Vorarlberg ein. Die Werke diejes jungen Künftlers, 
welcher den Hirtenjtab mit dem Pinſel vertaufchte und die Alm verließ, 
um dem ſich erforenen Meifter nah Rom zu folgen, find nad) dem 
Urtheile aller hiefigen Künftler von hohem Werte. Kaum 25 Jahre alt 
am 6. September 1346 gejtorben, trauert Flat jet noch wie um den 
Berluft eines geliebten Sohnes.” 


Aus den Notirungen vom 2. September hebe ich hauptjächlich nur 
die Begegnung Melzers mit Nadorp,') dem der alten Kunft-Garde Prags 
in bejter Erinneruug gebliebenen Berglerſchüler hervor, der befanntlich aud) 
mit Führich und Frieje das „SKleeblatt dev Unabhängigen” bildete. Sie 
begegneten jich bei dem allen romfahrenden Künftlern jener Periode Stell: 
dichein bietenden Buchhändler Spithöfer — gegenfeitig fremd — in einent 
von legteren angeregten religiöfen Stritte, in welchem, wie M. jchreibt, 
„dieſer graugelodte, das Gepräge der Intelligenz in Kopf und Gejtalt 
tragende Mann durch feine klare Argumentation meine Sympathie gewann. 
Der Stritt endete überdies durch ihn zu meinen Gunjten, und zwang mich 
diejes, dem noch immer „Unbetannten“ beim Auseinandergehen zu folgen. 
Was ich wollte, ſchien auch er zu wollen, denn er fam mir zuvor mit der 
Frage: für wen er mich halten folle, hinzufegend, ich bin der Nadorp 
und überrafchend für ihn vermochte ich zu erwidern: alfo der mir von 
Meifter Mar jo oft genannte College von Führich und Friefe! Augen— 
blieklich wurden wir nun trog des großen Unterfchieds der Jahre traute 
Freunde.” ... 


1) Geboren 1804 zu Anhalt in Rheinpreußen, ging von Prag nad Wien, hierauf 
nah Rom, wo er ald wahres Univerfalgenie ſich gleicherweife als Maler, 
Lithograph, Radirer, Modelleur und Bildhauer zu Ehren bradte. 

MittHeilungen. 25. Jahrgang, 4. Heft. 24 


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16, Sep. ..... „Noch immer in der Schwebe und voll Unruhe ; 
gequält genug ſchon durch die Unficherheit wo, wann ich endlich zu 
feftem Site fomme, quäle idy mich unausgejegt jelber mit Vorwürfen 
darüber, dem in mich gejegten Vertrauen nicht bereits auch entſprochen 
zu haben.“ ..... 


26. Sept... .... In größter Bedrängniß ging ich heute zum 
k. k. Legationsrathe von Schniger, um einen Vorſchuß zu bitten, der mir 
denn auch freundlichjt im Betrage von 20 Scudi gewährt wurde. . . .. 


Denjelben Nacymittag miethete ich ein anderes Quartier — in der Via di 
St. Andrea della Fratte — aud) der Modellirftuhl, der mir noch immer 
fehlte, wurde beſtellt.“ . . . 

Gleich erhöhter Stimmung tjt die unter dem 3. Detober niederge: 
jchriebene Notiz: „Endlich Fam die von einem böjen Zufalle hintangehaltene 
Hilfe durch meine Geſchwiſter. . . . Im Laufe der nächjten Tage kam 
auch der erjehnte Boſſirſtuhl . . . freudig auf- und angeregt von diefer 
glücklichen Wendung der Dinge griff ıch nun fejt ins Zeug, griff, um raſch 
etwas fertig zu bringen, aus den vorhandenen, embryoniſchen Modellen 
eines der Tiebjten, die Shafejpeare vorjtellende Statuette heraus, um fie 
friſchweg zu vollenden." 

Nachgetragen ift diefer Notirung ein mit gewohnter Birtuofität 
bejchriebener „Ausflug nad) Zivoli" und aud ein Ausführliches über 
den abjonderlichen Zwijchenfall, durch welchen ihm die aus der Heimat 
angerufene Eriftenzbeihilfe von italienischen Briganten fraglich gemacht 
worden war. 

2: u 3 BEN Das abjcheuliche römiſche Fieber überfchlich die 
faum wieder entjalteten Flügel und legte mich zugleich mit ihnen 
wochenlang lahnt. 

... Bin leider nicht vorwurfsfrei zur Anlodung beigetragen zu 
haben; durch die fich mir immer und immer aufdrängende Ueberzeugung, 
daß ich, um das Ausfommen zu finden, mich auch auf die Aseeje verlegen müſſe, 
fuchte ich denn auch, wenn jchon nicht mit Kräutern und Wurzeln, jo 
dod) mit Trauben und fonftigem Obfte das Ernährungsbedürfniß zu be- 
friedigen. Offenbar hat fi) mein Körper nicht darauf verjtanden und jich 
rächend mich feinem Anwalt — dem Doctor — überliefert. Glücklicher— 
weije ift’8 ein ganz gemüthlicher Norweger, Namens Arnger, mit blonden 
Badendbart und blondem Haupthaar, rothwangig und voll, ein Bild 
echter Lebensfrische, deſſen Anblick jchon der Gejundung beihilft, die er 
überdies, wie ich erfahren fonnte, durch eben jo einfache als zweckdienliche 
Mittel zu fördern verſteht. . . . . Bin zwar jeher berabgefommen, bin zum 


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Erſchrecken hager und hohläugig geworden, auch treten die Knochen alleut— 
halben höchſt zudringlich über die Muskel vor, aber ich fühle mich wieder 
gejund, fait gefiinder wie in der erjten Zeit meines Hierſeins. . . . 

Mein halbvollendeter Shafejpeare joll nun zur Vollendung kommen; 
zum Frühjahr gedenk ich mir ein eigentliche Atelier zu miethen für 
größere Ausführungen. Muß freilich bis dahin auch einige Hundert 
Guben aus Bürgftein mit heranziehen — wenn’s wahr 


5. Novemb. .. . So hätte ich denn auch der ärztlichen Anordnung, 
ein ausgiebiges „Luftbad“ als Nachcur zu gebrauchen, Genüge gethan 
und zwar durch einen zweitägigen Ausflug. Länger als erwünfcht hielt 
mich das in den legten Tagen des Octobers eingetretene, mit empfindlicher 
Kälte verbundene Regenwetter davon ab. Der Allerheiligtag verlieh endlich 
wieder dem „italifchen Himmel" das altberühmte Gepräge. Vorerft 
den Grad meiner wiedergewonnenen phyfiichen Kräfte zu erproben, ging 
ih Nachmittags durh die Stadt hinüber zum Vatican und hinaus 
vor die Porta Fabrica — durch welche ih am 11. Juni nah Rom 
einzog. Längs der Straße unter den Stadtmauern, dann über den auch 
außerhalb fich Hinziehenden Monte Baticano fortfchreitend Fam ich nad) 
einem mehrjtündigen Gange wieder dur) die Porta Angelica herein. 
Was aber hatte fich während der jimplen Tour dem Auge dargeboten! 
Bor allem der geringe Vorzug der römischen vor der böhmijchen Land» 
Ichaft im Punkte der Vegetation, denn nahezu gänzlich entlaubt waren die 
Bäume; allen Schmudes baar zeigten fich die gegen den Monte Mario 
hinziehenden Weinberge, nur die Niederungen hatten durch den Regen etwas 
an Frische gewonnen, beſonders die Eyprefien und Pinien. Die Sonne 
ging unter, ehe ich das Thor erreichte. Was fie bis dahin noch vollbradhte, 
hielt freilich nicht mehr den Bergleih aus mit vaterländifchen Natur: 
bildern, gehörte dem Weltſtücke an, auf dem ich jest lebte jedenfalls 
auch dem Farbenjpectrum der fildlihen Zone. Denn ganz eigenartiger 
Weiſe wechjelte da von Moment zu Moment das Eolorit, die vorher von 
rojigem Duft überfloffenen Gebirge verfärbten ſich ins hochrothe, glühende, 
wogegen die erjt in blendendem Schneeglanze erichtenenen Apenninen eine 
prächtige Laſur vom feinsten Violett erhielten. Und faum vom Auge erfaßt 
änderte fich ſchon wieder die Nuance, bis jchließlich die näheren Gebirge 
tiefblau, die ferneren blaßroth, die Schneeberge glanzlos gran geworden, 
wie durch einen plöglichen Ruck unter dem Schleier der Nacht verjanfen. 
Dem durch fein Farbenſpiel gleichwie beweglichen Landſchaftsbilde jtand 
das über die jieben Hügel erftredte Conglomerat jtarren düſteren Gemäuers 

24* 


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in Form von Thürmen, Ruppeln und Paläften merkwürdig contraftirend 
entgegen.” .... | 

„Wieder innerhalb dieſes Gemäuers einherjchreitend, doch befangen 
noch von der Nachwirkung der fich draußen fiir mich vollzugenen Bhantas- 
magorie empfand ich eine wahre Scheu vor dem den Straßenzug filllenden 
Menjchengewühl. Ich mußte noch eine Zeit lang für mich fein. Unmerklich 
war ih jo am Batican vorbei über den grandiojen Petersplag zur 
Dompforte gefommen; jie jtand offen, und als müßte es fein, betrat ic) 
das tieffintere Innere. Allmälig erjt bei weiterem VBorjchreiten machte 
fich ein Lichtſchimmer bemerkbar, jener von den hundert Lampen üiber-dem 
Grabe der Apoftelfürjten. Weiter und weiter wurden noch matt fladerude, 
auf einzelnen Altären angebrachte Kerzen fichtlich, mit deren Lichtjchwin- 
gungen, wie ich glauben mußte, ſich Töne verbunden hatten, die ähnlich jenen 
bei der Aeolsharfe, zu Gehör famen. Bei weiterem Vorgehen ich fteigernd 
bis zum vollen Chor ward es nun auch leicht, ven Herd des Tonſpieles zu finden. 
Diefer erſchloß ſich zu größter Ueberraſchung in einer der großen Seiten- 
fapellen des Domes, in welcher rechts und links vom Altare auf jtaffel- 
fürmig erhöhten Sigreihen wohl an fünfzig Priefter und vor diefen in den 
unteren Bänken priejterlich gefleivete Knaben und Jünglinge (Zöglinge 
des Puerorums von St. Peter) ſaßen, die im Wechjelgejange pfalmodirten. 
Schließlich erhoben ſich aus der dem Altar gegeniiber figenden Gruppe 
zwei Cardinalpriejter, um vortretend zu dem auf einem Pulte liegenden 
Santionale einige Verſe abzufingen, worauf der den Vorſitz führende Car— 
dinal auch feine Stimme erhob, mit welcher fich der volle Chor zum Finale 
vereinigte. Unter Vortritt von zwei Leuchtenden, welchen der Cardinal 
folgte, 309 die ganze Priefterjchaar von dannen. Daß der Vorgang 
die Allerjeelen-Bigilie gewefen, konnte ich aus dem Nachipiele entnehmen. 
Denn war die Kapelle geleert, erjchienen wie aus dem Boden gewachjen 
Kirchendiener, und fchoben, ridten und hämmerten, bis fie den 
üblichen Allerſeelen-Katafalk zurecht gezimmert hatten. Ich hatte mittler- 
weile den Rückweg angetreten, allerdings in wahrhaft jchauerlicher Fin: 
jterniß, noch jchauerlicher durch die des Weges an mir vorbeihufchenden, 
unfichtbaren Gejtalten offenbar Dombejucher wie ih. — Momentan 
jtand ich unter der Rieſenkuppel, erkennbar durch die ihre Fenfter illu— 
jtrivenden Sterne des nächtigen Himmels; ich dachte unwillkürlich an 
den num mit ihnen am Kunſthimmel vereinten Michelangelo; hatte über- 
haupt derartig transcendente Anwandlungen, daß es gut war ins Welt- 
getümmel zurückzukehren.“ . . 


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„Früh 9 Uhr des anderen Tages ging ich über den Plab des 
Laterans vorbei an der myſtiſchen Pyramide und fchaute durch das offene 
Gitterthor die heilige Stiege hinan. Ein ſeltſames Schaufpiel bot ſich dar 
in einer Anzahl von Leuten, die mühſam auf den Knien vorrutichend 
Staffel um Staffel erflommen, während fie Gebete murmelten. .... 
Bald darauf hatte ich die Porta Sau Giovanni hinter mir und fchritt 
wohlgemuth die lange Straße dahin in den Fühlen Morgen hinein. Piff, 
Puff, knallten plöglic der Straße entlang, wie tiefer in der Ebene der 
Campagna die Büchſen. Jäger, einzeln oder zu zweien, durchſtreiften mit 
ihren Hunden das hohe Gras der braunen Fläche und fnallten immer 
wieder in die aufgejcheuchten Lerchen, die zu Tauſenden umberflogen, 
ſich niederließen, bald aber wieder von Neuem aufgefcheucht den Nim- 
roden ungezählt zum Opfer fielen. Mich empörte diefes Morden der 
edeljten gefiederten Sänger, aber fir mich hies es Avanti (vorbei)...... 
Dem Albanergebirge fefter und fefter zufchreitend erhoben ſich jcheinbar 
auc mehr und mehr über das Sabinergebirg die zadigen Linien der jchnee- 
weißen Apenninen — ein Linien wie Farbenwechjel der interejjantejten Art. 
Die Staffage des Bildes gaben zahlreiche der Stadt zurollende Victualien- 
farren, mit Säden und Körben belaftete Ejel und Pferde, Hinter welchen 
die lederbeſchienten Gebirgsbauern einhertrotteten. 

Um 2 Uhr fam ich in Albano an und jtieg nach Hinveichender 
Stärfung wieder hinan zum jchönen See. Der Herbit hatte feit dem 
früheren Hierſein den bufchreichen Ufern gänzlich verändertes, buntes 
Eolorit verliehen. Unterhalb des Klofters, das inmitten eines großen Gartens 
Yiegt, der fich bis nahe an das hohe Ufer des See’s und an der rechten Seite 
des Berges hinzieht, vorbei fam ich wieder zum Monumente der Horatier und 
Euratier, des Weiteren in das Städtchen Uriccia, dejjen Schöne Lage und freund- 
liches Aeußere jehr im Widerfpruche jteht mit feinem Inneren. Denn enge un- 
reinliche Gaſſen mit alten finftern Häufern, deren ebenerdige Wohnungen 
Biehjtällen ähnlicher find wie Menfchenwohnungen — zu welchen übrigens 
das ſchmutzige Ausjehen ihrer Inſaſſen ganz wohl paßt — bieten ji) nad) 
allen Richtungen dar. Unerflärlich, daß ſich in diejen herrlichen Gegenden 
das wiederfindet, was im VBaterlande zumeift nur in den gewijjen „böh— 
mischen Dörfern“ jo abjchredend gedeiht!. . . . Auf der Sude nad 
dem Nemifee, ſchon außerhalb des Städtchens eine Allee durchjchreitend 
fam ich zum jchönen Palafte des Duca Cefarini des Beherrichers von 
Ariccia von deſſen Rückſeite aus fich mir nun tief unten im Kraterkeſſel 
der überrafchend prächtige Ausblid auf den leicht bewegten, dunklen See 
darbot. Gegenüber am hohen Ufer desjelben lag das Städtchen Nemi, von 


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der fheidenden Abendfonne rofig überjchimmert, indeß obenhin ſanft ge- 
ſchwungene, violet gefärbte Gebirgslinien fichtlich wurden und nach links, 
hinter dem höher aufjtrebenden Monte Cavo mit feinem maleriſch gejtal- 
teten Klofter verſchwanden. . . . .. Mein Weiterweg führte nach Genzano, 
wo ich zu übernachten gedachte. Zu nicht geringer Verwunderung ſtellte 
fi) aber heraus, daß es in ganz Genzano fein Gafthaus mit Nacht: 
herberge gab. In verjchiedenen Locanden oder Kneipen wird wohl 
Nahrung verabreicht, für Zimmer mit Betten ift jedoch nirgend vorgejorgt. 
Da ſaß ich nun in einer diefer Kneipen bei Käfebrod und einer Foglietta 
Wein, das Schidjal fragend, wo fich eine Stelle fände für mein müdes 
Haupt. Daß es in nicht allzu melancholifcher Tonart gefchehe, dafür jorgte 
meine Umgebung. Wars dody eine urwüchſige, echte Volkskneipe in der ich 
laß, und allerlei neue Seiten italienischen Lebens beobachten Fonnte. Da 
lagen z. B. vor der Eingangsthür decorativ auf ein Gejtell hingelegt 
zierlich zugefchnittene Stüde Fleiſch von Rind und Lamm die auch 
anreizten zum Begehren nach einem Braten. Schlauer Miene, achjelzudend, 
erwiderte aber der Wirth „domani“! (Morgen). Wie er mir Hinter: 
ber traulich miitheilte, dürfe er heute (Samſtag) Fleiſch weder kochen 
noch braten, das draußen liege nur zur Anlodung für Morgen. (!) 
Der Lockvogel für heute hing an einem zweiten Geſtell in Gejtalt eines 
über Kohlengluth brodelnden Kejjels, aus welchem, wie ich bald erfuhr, eine 
Fiſolenſuppe hervorging zur Befriedigung der mehr und mehr herbeige- 
fommenen Gäfte. Um irrige Vorftellungen hintanzuhalten, ſei bemerkt, 
daß diefe Gajterei nicht in einem bei uns gewöhnlichen Locale, ſondern 
in einer richtigen italienischen Bottega vor ji) ging, in der e8 Raum 
gibt für Möglichjtes und kaum Glaubliches. An die improvifirte Küche 
mit dem Fiſolenſuppenkeſſel jchloß nämlich, nur durch eine niedere Bretter- 
wand getrennt, ein oblonger Raum an mit zwei Seitennijchen, in welchen 
die Weinprejje und diverjes Geräthe unterbracht waren. An der Rückwand 
mit einer Art von Eredenz, auf welcher Foglietten und Gläſer jtanden, 
machte ſich ganz räthjelhaft eine finjtere Höhlung bemerkbar, aus welder 
zeitweiliges Schnaufen und Stampfen hörbar wurde. Die Suppengäjte, 
entlang der Seitenwände figend, im behaglichen Vertilgen der gelblichen, 
mit einer Menge von Bohnen untermijchten Flüffigfeit, folgten nun 
plöglic wie auf ein gegebenes Zeichen meinem Blide nach jener finfteren 
Höhle — aus welcher zwar nicht der leibhafte „Gottſeibeiuns“, wohl aber 
der Kopf eines Gauls zum Vorjchein kam, Zuwachs an Füßen, Rumpf ꝛc. 
erhielt, und im voller Lebensgröße ſich ganz ungenirt ins Publicum mifchte! 
Aus feinem Hinzuge auf die Brotichnitten, die neben den Suppenden 


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lagen, ließ jich unjchwer auch auf das treibende Motiv des aus der futterlofen 
Höhle hervorfommenden Pierdes ſchließen. Der Wirth war deſſen inne ge- 
worden, denn er griff raſch nad) einer Schwinge mit Kleie und brachte ohne 
weiteres Zuthun den „Cavallo* in fein Verließ. Mit der Wiederkehr der aljo 
geftörten häuslichen Ordnung Fehrte auch der von mir ausgefendete Nacht: 
quartierfucher zurück, fröhlich berichtend, e8 werde im unfern gelegenen 
Haufe bereits für mich aufgebettet. Er hatte wahr gejprochen. Ihm folgend, 
fand ich bei einer gutmüthigen alten Frau für 20 Bajocco ein feparirtes 
Nachtlager, dahin zu verjtehen, daß in der „dreiſtöckigen“ Bettjtatt, fein 
Zweiter oder Dritter fich eingemiethet hatte.” . . . . „In aller Frühe 
aufgejcheucht durch lautes Treiben auf der Gafje, konnte ich wahrnehmen, 
wie jchon gegen 6 Uhr ein Strom von Männern und Weibern fi) aus 
der gegenüber liegenden Kirche ergoß, dafür andere dahin zogen, denen ich 
dann unwillkürlich folgte. Ein gleiches Bild von Frömmigkeit, wie in diejer 
schlichten Kirche, die alleum Knienden und theils in tiefjter Demuth zum 
Theil im Ausdrude innigften Vertrauens Betenden darboten, hatte ich noch 
nirgend gefunden. . . . . Es war inzwilchen Tag geworden, und hatte 
damit auch das Treiben auf den Gafjen andere Phyſiognomie gewonnen. 
Die Via Livia, in der ich die Nacht verbrachte, hinanjteigend zur Dia 
Storza fam ich auf einen größeren Pla mit einem öffentlichen Brunnen, 
um welchen e8 gar Iujtig zuging. Mädchen und Weiber in ihrem male: 
riſchen Coſtüm füllten unter lebhaftejtem Geplauder und Kichern ihre 
fupfernen Gefäße, ſchwangen fie auf den Kopf, und zogen rudelweiſe oder 
von jchädernden Burjchen begleitet ihrer Wege. Zwiſchen duch wurden Maul: 
thiere, Pferde, Ejel, beladen oder ohne Laſt, mit dem Morgentrunfe verjehen. 
Fortjchreitend gelangte ich abermals zur Ausficht auf den Nemi-See; nicht 
- gewillt nach Nemi jelbjt aufzufteigen, fuchte ich num auf's Gerathewohl einen 
Rückweg nad) Rom hatte aber fehlgezielt! Im Gebüfch, das es zu durchdringen 
galt, mehr und mehr thalwärt3 gefommen, in allen Richtungen von Höhen 
umgeben, hieß es neuerdings aufwärts jteigen, bis endlich ein Klojter vor 
mir jtand, in welchem ich als ermüdeter Wanderer vorſprach, und gajt- 
freundlich ins NRefectorium geführt, mit Brod, Käfe und Wein bewirthet 
wurde. Wollte fi) in das „Vergeltsgott” dafür auch die Frage mengen, 
ob da oben fein bejjerer Wein, wie der mir credenzte, wachje, jo merfte 
ich doch hinterher, daß es gut war, ſolch inwendiges Raifonniven zu unter: 
drüden. Denn in Fortfegung der Tour unterhalb des Berges Fam ich 
ja gerade am 3. November zur Weinlefje, und fonnte mich jofort 
überzeugen, daß hier in ziemlich ungünftiger Lage auch ziemlich ſaure 
Trauben wuchfen. Unter Verzichtleiftung auf längeres Betrachten der ſich 


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weiter noch darbietenden jchönen Landjchaftsbilder vorwärts eilend gelangte 
ich in der fiebenten Abendjtunde nad) Rom zurüd.“. . . . 

6. Nov... . Heute wurde ich mit dem berühmten deutjchen Bildhauer 
oh. Martin Wagner befannt und gewann mächtige Anregung durch 
ihn fir meine in Abficht genommenen Arbeiten. 

Den weiteren Aufzeichnungen ift als Wejentlichjtes und zwar vom 
17. Decemb. datirt zu entnehmen: „Mit befonderer Vorliebe griff ich aus 
meinen Entwürfen den „Oſſian“ heraus und begann das Modell.” — 
Bei der Gemiüthsbejchaffenheit unjeres Künjtlers läßt fich errathen, daß 
ihn das erjte außerhalb des Baterlandes verbradhte Weihnachtsfeſt 
zu bejonderen Betrachtungen und Bergleichungen anregen mußte. Auf 
Seite 116 des Tagebuch, datirt vom 27. Decemb., hebt er denn auch an: 
„Was waren das für Weihnachten — wie verjchieden von den früher 
verlebten! Vereinſamt, ohne Anschluß an einen Familienfreis verbrachte 
ih fie. .. . Am hl. Abend modellivte ich bis 2 Uhr, ordnete dann 
meine Zelle und ging hierauf zum Lepre, meine Filchmahlzeit einzunehmen. 
Der Meinung, daß Außerordentlihes draußen vorbereitet würde, begab 
ih much darnach hinüber nach Traftevere um zu ſehen, welche Veran— 
jtaltungen auf der Strada papale, dem mit Sand beftreuten Wege, 
welchen der Papſt befährt wenn er fich zu Functionen nach anderen 
Kirchen begibt. Es war indeß nichts anderes wahrnehmbar als die ganze 
Strede entlang von St. Maria Maggiore bis zum VBatican in zwei Reihen 
angebrachte hohe Pfähle mit breit fladernden Flambeaus. Bald kam 
auch die buntfarbige - Schweizergarde mit ihren Herolden und DOfficteren 
an der Spite daher; diejen folgten Abtheilungen berittener Nobelgardiften 
und Dragoner, reitende Yadelträger, der Wagen mit dem Ceremoniär, 
endlich unter Bedeckung von Nobelgarde der mit jechs Rappen bejpannte - 
prächtige Goldwagen mit Sr. Heiligkeit und zwei Vierfpännern mit Car: 
dinälen. Der ganze Zug begab fih nah Maria Maggiore. Bon der 
dortigen Ceremonie fonnte ich des Menfchenandranges wegen nichts ſehen, 
hörte blos den fie begleitenden, allerdings wunderjchönen Gefang des päpitlichen 
Sängerhores. . . Um Mitternacht zur Peterskirche eilend mit der Erwartung, 
hier zum üblichen Gottesdienfte zurecht zu kommen, fand ich fie zur größten 
Berwunderung finfter und verjchloffen. In anderen Kirchen, an denen. ic) 
am Heimwege vorbei fan, ging es zwar feierlich zu, doch wie fi) da und 
dort zeigte, mit weit weniger Andacht, als mit Pomp und wethelojer Muſik. 
Den bl. Tag jelbit verbrachte ic dem Gemüthsbedürfniffe nach zumeift 
auf längeren Spaziergängen außer der Stadt... . . Der St. Stephanstag 
wird in Rom nicht durch Arbeitslofigkeit gefeiert, wohl aber der folgende 


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von St. Johannes Ev., an welchem ich ausging, um im Thale der Nymphe 
Egeria Beilhen zu juchen und zu finden. . . Wieder in die Stadt 
gekommen, gemwahrte ich troß jchon herrjchender Dunkelheit in einer der 
Gaſſen ein Gebränge von Leuten, vernahm auch Geſang. Näher gehend 
zeigte fi im Umfreije der Menge ein erhöht ftehender, an die Wand eines 
Hauſes gelehnter Priefter, zunächft vor ihm ein Kirchendiener mit hochge- 
haltenem Kreuze, zwei andere mit Fadeln. Der Gejang verftummte, dafür 
erhob ji) uun weitvernehmbar die Stimme des priefterlichen Predigers, 
der auffällig contrajtirend mit den gewöhnlichen italienischen Mifjionären, 
in ruhiger Haltung und gemüthvoll ſprach, doc) aber feine Zuhörer, die 
fih von Moment zu Moment mehrten und Succurs erhielten durch die 
‚an den Fenſtern und Thüren erjcheinenden Bewohner der umliegenden 
Häufer, faft dreiviertel Stunden lang feſſelte. Abjonderlich Hang ſchließlich 
die Einladung zur Nachfolge in die Kirche St. Maria in Traftevere wo 
es eine lehrreiche und zugleich erheiternde Belehrung geben. werde. In 
ganz regelrechter Procefjion ging e8 denn auch dahin. Neugierig auf den 
Verlauf folgte ih. In der nur von wenigen Lampen erhellten Kirche 
zeigte jich zubörderft auf der Kanzel ein Mann in bürgerlicher Kleidung, 
der bei einer brennenden Kerze aus einem Buche etwas vorlas, nach einem 
gegebenen Glodenzeichen jedoch abbrach und herabftieg, Vom Hochaltar 
her wurde dann Chorgejang vernehmbar, während dem zwei Prieſter vor: 
traten und eine neben der Kanzel errichtete Tribiine bejtiegen. Damit 
begann die „Unterhaltung“, und zwar indem der Ältere den Beichtvater, 
der jüngere den Beichtenden vorftellte. Lebterer hatte die Nolle des Komikers, 
und wußte durch allerlei drollige Fragen und verkehrte Antworten das 
rings auf Bänfen und Stühlen figende Publicum zu erluftigen, ja zu 
öfterem, lauten Auflachen zu bringen. Es hatte das Ganze wohl die Ten- 
denz die Leute zu belehren, wie fie die Beichte nehmen und auch wieder 
nicht nehmen ſollen: Mir wollte indeß doch eine folche im „Gotteshauſe“ 
aufgeführte Comödie als bedenklich, als eine zweifchneidige Waffe erjcheinen, 
gleich gefährlich für den einen wie den anderen Theil. Denn im Allgemeinen 
figt, wie ich ſchon vielfach bemerken konnte, beim gewöhnlichen Italiener die 
Chriftgläubigfeit blos im Temperament, und ift nicht wie bei dem Deut: 
ihen Eharafterfarbe. . . .. 

3. Januar 1851. „Nach allerlei peinlichen Zwiſchenfällen wurde 
ſchließlich durch freundliche Vermittelung des k. k. Legationsrathes von 
Schniger die Miethung eines Studio ermöglicht und gejtern von mir 
bezogen. Mit erneuter Luft arbeite ih jest am „Oſſian“ 
weiter." — Unter dem 14. Yan. wurde in's Tagebuch ein Weitläufiges 


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über das „Sprachenfejt der Propaganda tide”, welhem Melzer an diejem 
Tage beimohnte, eingetragen. Unter anderem bemerkt er hierüber: „Bei 
allem Intereſſe für das Charakteriftiiche der zu Gehör gebrachten acht— 
undvierzig Sprachen übte ihre Verfchiedenheit einen geradezu ver— 
wirrenden Eindrud auf mich. Im Befige von drei bis vierthalb Idiomen 
fühlte ich mich recht armfelig diefer Vielzüngigkeit gegenüber... Merk: 
würdig, daß ſich für mih „Chineſiſch“ womit wir gewöhnlich un— 
faßbaren Galimatias abfertigen hier als äußerſt wohllautend bemerkbar 
machte. Am Unvortheilhafteften und ärgerlichjten wurde das „Deutſch“ 
durch einen breitmaulig dialectredenden Schweizer vertreten.” ... 

Bom 19. Yan. findet ſich notirt: „Heute Nachmittag (Sonntag) 
gab es wieder etwas Neues für mic zu jehen. Nämlich die zu Ehren von 
San Antonio Abbate alljährlich vor der auf feinen Namen geweihten Kirche 
bei Maria Maggiore vorgenommene Thierjegnung. Als ich um 2 Uhr 
dahin fam, waren jchon viele Leute und Kutjchen auf dem Plage vor der 
benannten Kirche verfammelt. Aus allen Richtungen kamen nod) Reiter zu 
Pferd und Ejel, legtere mit Blumen und Bändern an Kopf und Schwanz 
gejchmückt, herzu. Doch nicht nur die Thiere der Neitenden, jondern auch 
jene vor Kutſchen und Karren herbeigefommenen waren gleicherweije an- 
gethban. Ich konnte wahrnehmen, daß mit der Function noch hingehalten 
werde, begab mich deshalb in's Innere der Kirche. Aufgepugt wie das an 
Kirchenfeften üblich, den Fußboden mit Lorbeer- und Buchsbaumblättern be- 
ftreut fand ich fie; unter den vielen meift der Legende des Kirchenpatrones 
entnommenen Wandgemälden gibt e8 mehrere ganz beachtenswerthe. Die Statue 
von St. Antonio befindet fich in der erften Kapelle rechts in einem verglaften 
Gehäuſe, und fchien, wie die anderweitigen Statuen, von bedeutendem 
Alter. Augenblicklich intereflirten mich freilich zumeift die „lebenden Bilder“ 
der Kirche, wie 3. DB. der in Mitte derfelben vor einem Tiſche ſitzende 
Pater, umgeben von Leuten verjchiedenfter Claffen, die ſämmtlich ihren 
draußen harrenden Thieren die Segnung zu erwerben fuchten. Es gejchah 
dies durch Bezahlung einer wahrscheinlich beitimmten Taxe, die, wie ich 
wahrnehmen Fonnte, für einen Ejel 20 Bajocco betrug, für Pferde, wie 
mir vorfam, um 5 höher war. Auf gejonderten Zetteln erhielten fie die 
Bahlungsbeitätigung. War der erjte Anlauf vorüber, dann begab jich 
der Bater angethan mit dem Pluvial vor das obere Kirchenthor, um über 
die während dem herangerücten Kutichen, Karren, Reiter und ledig vor: 
geführten Thiere eine lateinische Segensformel herzufagen und ſchließlich 
mit einem gefüllten Sprengwedel zu überriefeln. Damit war's abgethan. 
Die erfte Serie zog von dannen, eine zweite, wohl auch dritte, vierte ac. 


— 371 — 


erhielt nad) gleicher Schablone die feſtliche Segnung. Wie nirgend bei 
derartigen Ertravaganzen fehlten auch Hier nicht die — Engländer. 
Schon in der erjten Serie durch zwei bejtberittene Exemplare vertreten 
mögen fie wohl auch für die folgenden ihren Antheil gejtellt haben. Das 
ſchon gewöhnliche Eontraftiren ihrer Haltung den Kindern anderer Völker 
gegenüber machte fich hier anblids des bigotten Gethues der italienijchen 
Biehbefiger um fo auffälliger. Steif und blafirt dreinjchauend ſaßen fie 
da, bei der Segnung leicht nur ihre Kopfbedeckung lüftend, während die 
Italiener barhaupt zuſammenknickten“ ... 

Einblic auf das Innenleben Melzers im kürzlich gemietheten „Studio“, 
vermittelt die Aufzeichnung vom 2. Febr. „Das Fleisch kocht, ift aber noch 
nicht weich. Habe indeß die Suppe abgegofjen und frisches Waſſer dafür 
zugethan. Sch koche mir jest ſelbſt, aber nicht immer Fleisch, das iſt 
heute das erjtemal,. Bisher bejtand meine Kiiche für den Mittag aus 
Kartoffeln, die ich gejtern und vorgeftern mit Stodfijch verbrämte. Erleide 
dadurch weniger Zeitverluft, als wenn. ich in's Gafthaus ginge, und komme 
zugleich um ein Drittheil billiger weg, was um jo nothwendiger, als ich 
zur äußerten Einfchränfung gezwungen bin. Mein Studio adaptirte ich 
deshalb auch zum Wohn: und Schlafgemahe. Zur Bedienung übernahm 
ih vom Bildhauer Engel, welcher mit einer vollendeten großen Arbeit 
nad) London abreifte, einen originellen alten Burjchen, der in jeinem Weſen 
wohl etwas dufelig ift, übrigens aber wie ein gut gedrilltes Saumthier 
feines Weges geht und feinen Anftoß nimmt an meiner primitiven Ein: 
richtung, bejtehend aus einem alten Rohrcanapee, das zugleich als Bettjtatt 
dient, und einem Holzkoffer, den ich als Sit beim wadlichen Schreib- und 
Zeichentifche benüge. Alfo gedrillt von Engel leiftete er mir jegt auch 
gute Dienfte beim Formen und Ausgießen meines Offian, auf dejjen 
Weiterausführung nun mein ganzes Sinnen und Trachten gerichtet iſt“ ... 

Die angejchloffene Notirung bejagt: „Vor acht Tagen war ich wieder 
beim Hrn. Legationsrathe, wo e8 zur Abrechnung kam über die bereits 
von ihm genommenen Vorſchüſſe auf meine Penſion. Da fand jich denn 
zu meiner größten Beftürzung, daß von dem fälligen balbjährigen Betrage 
anftatt 20 Scudi, wie ich meinte, blos noch jo viele Bajocchi übrig 
blieben. In Erfenntniß der armfeligen Lage wahrhaft niedergebeugt kam 
mir Herr dv. Schniger, der meinen Zuftand wohl begriffen hatte, freund: 
lichft entgegen, denn im wohlmwollenften Tone bot er mir einen Vorſchuß 
aus eigenen Mitteln an, den ich dankbarft annahm: Fam ich damit 
doch momentan wieder über das Unzulängliche der Klarjtiftung 
hinaus. Der edle Stifter konnte freilich die vajch folgende Veränderung 


— 372 — 


der Verhältniſſe nicht vorausfehen, vechnete wahrjcheinlich auch darauf, daß 
den Stiftlingen Aufträge zukommen würden, Wenn diejes aber, wie 
zeither bei mir, nicht erfolgte, dann liegt es Har zu Tage, daß die zu- 
gemeſſenen 300 Fl. nur zu einer Fläglichen Eriftenz wie ich jie that- 
fächlich frifte führen müffen. Im Sinne des Stifters hätte es feither 
fhon zu eimer Erhöhung der Genußjumme fir die Stiftlinge kommen 
jollen.” ®) 

... Meinem gepreßten Herzen Luft zu machen, ging ich jelben Tages 
noch mit dem mir Freund gewordenen Bildhauer Knüpel vor die Porta 
Fabrico den Monte VBaticana hinauf, wo wir mit P. Theiner zuſammen— 
trafen, der uns in fein am Monte Mario gelegenes Ordenshaus zu Filippo 
Neri führte. Nach allen Seiten, anf die Stadt, die Campagna mit den 
fernen Gebirgen, wie auf das Meer bietet fich hier eine herrliche Ausficht. 
Theiner lebt troß feiner Stellung als päpftlicher Archivar den größeren 
Theil des Jahres in feiner Ordenszelle, wo er ungeftörter wie in der 
Stadt, wo ihn fortwährend Bejucher beläjtigen, arbeiten fan. Auf meine 
Trage, ob es ihn nicht doc manchmal noch in die Heimat — Schleſien — 
ziehe, antwortete ev mit entjchiedenem „Nein"! nachjegend: „Die heimat- 
lihen Anwandlungen ftreiften die 1848er Vorgänge vollftändig ab”... 

— Höchſt frendiger Stimmung eingetragen erjcheint des Weiteren 
die Notiz vom 11. Febr. Tautend: „Mein Geld, nämlich die von zu: 
hauſe verlangten 300 fl., jtellt miv der Bruder für Fünftigen Monat 
in fichere Ausficht. Das gibt endlich Beruhigung, gibt Muth zur Voll- 
führung meiner Pläne!"... 

— m Tagebuche, dem Plauderftübchen Melzers, wo das Treu: 
dige bejchwingenden Nachhall, das Leidige beruhigenden Ausklang findet, 
gibt er fich auch immer wieder als der finnreiche Erzähler des äußerlich 
Erſchauten. 

Dem Kalendergange folgend kömmt er ſo unter Anderem zur An— 
ſchauung des römiſchen Carnevals, dem M. in ſeiner Art auch ganz neue 
Seiten abzugewinnen weiß. Unter dem 22. Feb. findet ſich denn notirt: 
„Heute begann der Carnevale. Längſt ſchon in Erwartung auf diefen Tag, 
doc weniger nach den Volksbeluftigungen, als vielmehr wegen der Klänge 
jener Glode, die regelmäßig blos für zwei Ereignifje ertönen: zur Er- 
öffnung des Carnevale und zum Lebensabſchluſſe eines 
Papſtes, ging ich vor zwölf aufs Capitol, um bier den vollen Eindrud 
1) Erjt 1863 erfolgte die Erhöhung auf 500 fl. 1876, auf 800 fl. WVergl. „die 

Prof. Dr. Aois „Klar'ſche Künftlerftiftung“ von Rud. Müller Prag 1883.) 


— 3753 — 


der mir „wunderſam“ gejchilderten Capitolsglode zu erhalten. Und wahrlic), 
es ijt etwas wunderſam ergreifendes, trauervolles in ihren Klängen. Punkt 
19 Uhr nach italienischer — 1 Uhr unferer Zeitrechnung — begann das 
Geläute und mwährte eine halbe Stunde. Doc nicht blos „eine“, wie gejagt 
wird, jondern beide, die untere, wie die obere wurden in Bewegung gejeßt, 
das heißt, wurden die Zungen oder Klöppel mittels daran befejtigter Stride 
an dem Glodenmund geworfen, jo daß die Schläge unregelmäßig fielen, 
das Geläute tadtlos blieb, was den Eindruck noch erjchütternder machte, 
Lange nachdem jchon die Klöppel ruhten, ſummten die Gloden unheimlich 
nah. Ein alter Italiener wußte mir bei diefer Gelegenheit viel von dem 
Schreden der Römer zu erzählen, als in der Nacht nad) der Schladt 
bei Novara (23. März 1849) duch einige Heißjporne die Capitols- 
glode in Bewegung gejeßt wurde angeblich zwar zur Verfündigung eines 
großen Sieges der Italiener iiber die Defterreicher, der Schreden fei 
aber richtig gewejen, wie nächjten Tags jchon die Nachrichten von der 
Niederlage der Italiener bewiefen habe. 

AS ich eine Stunde jpäter wieder auf mein Quartier zulenfte, war 
der Corſo bereits belebt, bejonders von Fremden. Fenſter und Balkone 
wurden gedfinet, bunte Teppiche herausgehangen, je nad) Qualification 
der Quartierinſaſſen: aus Wolle, Seide, Damaſt mit Goldbrocat umjäumt 2c. 
Auch an dem venetianischen (Öfterreichifchen Gefandtichafts-) Balafte wurden 
einige Fenſter auf diefe Weiſe geſchmückt, es waren das jene, welche am 
Ende des Eorjo der Piazza del Popolo gegenüber liegen. Auf legterem 
Plate jtellte ji das mit Elingendem Spiel heranmarjchirte franzöſiſche 
Militär auf. Gleiches gefchah auf allen am Corſo liegenden Plägen; zu 
diefen Infanterietruppen rüdten noch römische Dragoner an und bejegten 
die Gafjenzugänge. Uebrigens war noch allerlei im Fertigmachen, jo die 
Tribünen auf der Piazza, wie auch die Barrieren, welche das Trottoir 
von dem tieferliegenden Pflafter trennen follten. Die erjten Carnevals- 
ftunden fcheinen überhaupt mehr zur Vorbereitung beftimmt, jelbft für das 
Volk, das nur wie zu Orientirungen umberging, ohne noch die Ausgelafjenheit 
aufzufnöpfen. Inzwiſchen weiter gegangen vernahm ich von Weitem Gewehr: 
jalven, Pöller- und Kanonenſchüſſe, die Signale für den Beginn der 
Pferdewettrennen, überhaupt für den Losbruch der Carnevalstollheiten. 
Als ih um 6 Uhr auf die Piazza zurückkehrte, war für heute ſchon alles 
vorüber, das Militär zog ab, nur die zahlreich noch umherliegenden Confetti 
bezeugten, was mittlerweile vorging. . 

Spätere Notirung: „Während der "eilftägigen Dauer des Carnevals 
war ich dreimal Beobachter der Vorgänge. Die des erften Tages bejchrieb 


= U 


ich bereits; das nächſte Mal, am Donnerftige (Giovedi grafjo), auf das 
gegebene Signal durch die Capitolsglode dem Corſo zufjchreitend, wo bereits 
das Militär wieder feine Stellungen innehatte, entwidelte jich unter großem 
Zudrange bald auch die ungebundenjte Heiterkeit, ja Ausgelafjenheit. Die 
geſchmückten Balkone und Fenfter füllten ſich mit Zufchauern, ebenfo die 
ebenerdig aufgeftellten Zribinen, Bänfe und Stühle Im Nu begann 
das Blumen- und Confettiwerfen von geradezu niederjchmetternder Wir- 
fung, weil begleitet von den verfänglichen Gypskügelchen, welche die Ge— 
wandung mit Weiß überziehen, die Augen mit unleidlihen Staub erfüllen 
und außerdem begleitet von finnbeftäubendem Gejohle its einmal zu 
diefem Zollheitsausbruche gekommen, bei welchem fich die jtarf unter: 
mischten Engländer befonders vorthun, dann wirds äußerjt unbehaglid). 
Denn indejien die Italiener, namentlich die Frauen und Mädchen, noch 
nit Sträußchen, Teig- oder Zuder-Confettis umherwerfen, haben fich dieſe 
Albionsſöhne mit Blechditten, Schüſſeln und Schaufeln verjehen, die fie aus 
einem ungehangenen Sade mit Gipsfugeln immer von neuem füllen, und 
Shonungslos, am liebjten in Richtung auf das Geficht ausjchleudern. Am 
Schlimmjten famen dabei die im Gedränge auf beftimmten Linien in Wagen 
Auf und Abfahrenden weg. Wenn aud) jelbjt mit einem Vorrathe diverfer 
Confetti's verjehen, hatten fie doch den Anprall jener auf der ganzen Linie 
auszuhalten, Mitten drinn in der Tollheitswette war ich zugerichtet wie 
ein Milllergejell, Hatte noch obendrein den Verdruß, daß mir das von 
einer allerliebften Italienerin zugeworfene Sträußchen von fo einem englijchen 
Gypskügler rohejter Weife entrijfen wurde. Die font üblichen Geſichts— 
masken waren diesmal wieder „aus politischen Rücfichten" verboten. Wer 
jich dennoch „unfenntlich” machen wollte, fand den Ausweg dafür in irgend 
einer Coftumirung, die ihm bejtmöglichjt über das Verbot hinmweghalf. 

Den römischen Faſchingsrummel bis auf die „Hefe“, nicht ſowohl 
genießen, jondern fennen zu lernen, begab ich mich am legten Tage, am 
Faſchingsdienſtage, auf den Corjo, um abfonderlich jenen Theil näher ins 
Auge zu faſſen, welchen das jchon erwähnte Schießen anfündigte nämlich 
das Pferderennen Diejes begann gegen halb ſechs unterhalb des 
Obelisken und erſtreckte jich entlang des Corſo bis zum venetianijchen 
Palajte. Die meift noc jungen Renner, aus dem Hofraume linfs der 
Porta del Popolo vorgeführt, waren mit unterfchiedlichen Zeichen in roth, 
weiß, gelb zc. bemalt, ihre Hintertheile überdies mit allerlei ſonderbaren 
Inſtrumenten behangen, die bei der Bewegung Lärm jchlugen, oder die 
Hautfläche ſtachen und zwidten, alfo das Thier aufregten und zu wilder 
Flucht autrieben. So raften dann auf der faum 12 Fuß breiten, von 


— 35 — 


Zuſchauern dicht bejegten Bahn, acht Pferde dahin. Unter Aufjauchzen 
hatte das. erfte fein Ziel erreicht und wurde nun mit Pomp durch die 
Stadt geführt. Voran ſah ich eine ſchöne und Foftbare Fahne tragen 
die zum Gewinnfte von 70 Scudi gehörte ihr folgte ein bunt coſtü— 
mirter Bereiter, ein Trommeljchläger, diefem nad) das preisgefrönte Rößlein, 
von einem buntjchedig befleidveten Stallburfchen geführt. Unendliches Bravo ı 
Braviffimo! begleitete den Siegeszug... . . Als eigentliher Schluß des 
Carnevals gilt das Lichteln — Maccoli — einer überaus beluftigenden 
Hebe, bei welcher e8 dem einen Theile darauf ankömmt, die fait wie durch 
Bauber ins Millionenfache auftauchenden Lichtchen auszublajen, dem anderen, 
fie aufs Neue anzuzünden. — Diesmal wurde wegen des Masfirungs- 
verbots abjonderlich demonftrirt, denn nur verjchwindend wenige Maccoli's 
zeigten jich auf dem Eorjo, deſto mehr dafür in den Fenſtern, wie auf den 
Balkons. Es war das ein Effect, als ob unzählbare Johannis- oder Leucht— 
käfer umherhuſchten. In Vorausſicht diefer Demonjtrationsweife hatten jich 
die Löſcher mit entiprechenden Apparaten verjehen, u. z. mit langen Wedeln, 
an Stangen befejtigten Tüchern u. dgl. m. Damit attaquirten fie nun 
unter betäubendem Gejohl die Maccoli bis Punkt Sieben. Mit dem Schlage 
diefer Stunde verichwanden allum die Lichtchen, verjtummte das Kreifchen 
und Kichern, fuhren die zahlreichen Equipagen ihrer Wege, und blieben 
nur hörbar noch die Einzelrufe: Bona notte! Bona quaresimal“. . .. 

Nachtrag. Mit diefem Bona quaresima — gute Fastenzeit wünfchen — 
hat es feine guten Gründe. Schon am nädjten Tage Fam ich dahinter. 
Denn als ich wie gewöhnlich im Kaffeehaufe „Cafe a latte* (mit Milch) 
begehrte, erfuchte mich der Wirth mit leifer Stimme ins andere Zimmer zu 
gehen, da es ihm verboten fei, während der Faſte in diefem vorderen Kaffee 
mit Milch zu verabreichen. (!) Thatſächlich mußten ſich die „Schwarzen“ 
und die „Weißen" durch eine Scheidewand auseinander halten laffen. Die 
erjteren find diesfalls die gut Römifchfatholifchen, die anderen die „Reber“. 
Die Confequenz davon, wenn der Wirth nicht zwei Zimmer hat, ift ein 
Borhang, mittels deſſen er das eine in zwei Hälften theilen 
muß. Fir uns Defterreicher, die wir doch nicht ohneweiters unter die 
Keger geworfen werden wollen, hat dieje Fajtenformel etwas geradezu 


16. März. Heute fam im DBegegnen Prof. Wagner auf mich zu 
mit der Einladung zur Befichtigung der Preisarbeiten an der Akademie 
San Luca. Ich folgte ihm Am Concurje für den Bildhauerpreig 
hatten ſich blos zwei Künjtler betheiligt, beide aber preiswürdig. Dar- 
zuftellen galt e8 eine Gruppe aus dem bethlehemitischen Kindermorde. Wohl 


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im Einzelnen gut modellirt, entging doch dem einen wie dem anderen 
das Zufammenfafjen der Figuren zur lebenswahren Action. .... 

Die Preisaufgabe für Maler beftand in Darftellung der Berfpottung 
Hiob’s. Zwölf Gemälde concurrirten. Faft alle, mit Ausnahme des einen 
von Obry, einem Deutjchen, ließen auf die fehlgegriffene, ja mitunter 
efelerregende Hauptfigur Hinweifen. Ein anderer Deutjcher, Namens 
Tirſch, brachte zwar ein recht effectvoll gemaltes Bild bei, fteht jedoch in 
der Auffaffung des Gegenjtandes zurüd hinter jenem von Obry dem 


21. März „Mein Urtheil war auch das der Preisrichter: Obry 
hat den Preis erhalten.“ 

„Auf den Anruf nah Haufe erfolgte endlich wieder ein Brief vom 
Bruder Ferdinand mit eimer Note von 50 fl., die jich aber beim Um- 
wechjeln in römiſches Geld durch die Eursdifferenz um 5 Scudi vermindert 


Eine bisher „unberührt gelajjene Stimmungsfaite macht jich ver- 
nehmbar mittels einer jpäteren Notiz, lautend: „Ich gehe jebt gern an 
Sonn-⸗ und Feiertagen in die gewilfermaßen „Defterreihifche Kirche" San 
Maria dell’ Anima und höre, was ich noch felten gethan, die Predigt. 
Es ift das weder eine Gefinnungsänderung, weder Speculation noch 
Scheinheiligfeit die mir ſtets verhaßt war und verhaßt bleibt, jon- 
dern einfach Folge des Bewußtſeins: ich fei Katholik. In der Fatholiichen 
Religion erzogen, durch fie geeint mit der größten Gemeinde der Welt, 
bleibt e8 denn auch Pflicht, ſich als Gemeindeangehöriger zu beuehmen. 
Nicht blind fiir die in fie eingefchlichenen Mißbräuche, vermag ich anderfeits 
ebenjowenig das Schöne, Erhabene, das Culturleben Fördernde zu über— 
ſehen. Diejer jeßige Kirchenbeſuch muthet mich, den DVereinjamten, an, 
wie der Verkehr mit guter Gefellichaft, in welcher der ganz vorzügliche 
Prediger der Wortführer ift, dem alle gern zuhören, und jeder fich vom 
Gehörten etwas mit nad) Haufe nimmt. Zugegeben, daß das von ihm 
vorgetragene mit dev heutigen Lebensprax vielfach im Widerfpruche jtehe, 
jpinnt ji) damit doch unleugbar der rothe Faden fittlicher Gefinnung, 
wie moralijcher Kraft weiter, und bringt zu erfrischtem Anlaufe nad) dem 
Idealen, deſſen fein Menfch, am wenigjten der Künftler entrathen darf, 
will er anders nicht der Trivialität verfallen.“. . . 

Unter freubvoller Einleitung findet ſich dann im Tagebuche notirt: 
„sch begann eine Heine Statue in Thon, den böhmischen Dichter Lom- 
nicky von Budecz vorftellend, und will fie in Gyps abformen, fpäter in 


— 37 — 


Marmor für Prag ausführen. MS Gegenftüd dazu entwarf ic) das 
Standbild der böhmischen Dichterin Eva Lobkowitz. Eutworfen ift auch 
eine Variante der Shafefpeare-Figur, figend, und ich glaubte damit einen 
glüclicheren Griff gethan zu haben, wie mit der zertrümmerten ftehenden. 
Beitimmte fie deshalb auch zur Ausführung in Marmor“... . Diejem 
neuen Aufjchwunge entjpricht der Anſchluß: „Der Frühling mit feinem 
ganzen Zauber ift in Rom eingezogen: die Laubbäume grünen, die Blumen 
erichließen fich, und allum entſtrömt den Gärten köſtlicher Duft.“. . . 

Auffällig contraftirend lautet dafiir wieder die Epiftel vom 20. April: 
„Dfterfonntag! der erjte in Rom... . Ich habe foeben geweint wie ein 
Kind. Warum Fan ich jelbft nicht jagen. Offenbar hängt diefer gereizte 
Zuftand mit der Krankheit zufammen, die mich jeit einer Woche wieder 
verfolgt, und, wie der Arzt jagt, 's Quartier wechjelt zwijchen Magen und 
Leber.“. . .. Die ärztlichen Heilmittel vermögen freilch den Zuftand nicht 
ohnemeiters zu beheben. Was mir gründlich helfen Könnte, ift leider in Feiner 
Apothefe zu haben. Der Arzt meint es wohl gut, wenn er jagt: „Sie 
dürfen fich nicht in ihrem Studio vergraben, dürfen ſich nicht trübe Gedanken 
beifommen lajjen, müſſen heitere Gefellfchaft und Zerjtreuung ſuchen.“ Räth 
mir außerdem einige Zeit in Neapel zu verbringen, mindejteng einige Tage 
am Lande dem Nichtsthun obliegen zu ſollen .... 

3. Mai. „Mittwoch Abends kehrte ich von der Sonntag unter: 
nommenen Genejungsreife — von Frascati her — zurüd, und fühle mid) 
jo ziemlich wieder hergeitellt. Den beabfichtigten längeren Aufenthalt ver- 
feidete mir nebjt dem vegnerischen Wetter die koſtſpielige, dabei. jchlechte 
Zehrung . . . . Wenige Tage darnach unternahm ich mit Freund Knüpel 
einen Ausflug zum Ausgrabungsfelde an der Via Appia. . . Da wir 
jelben Weges nicht wieder zurückkehren wollten, gingen wir quer über die 
Campagna in der Richtung auf St. Paul, einer Strede, die weit größer 
war, al3 es den Anfchein hatte. Bald gings über Fahle Hügel, bald wieder 
durch hohes, zur Bruft heranreichendes Wiejengras. Endlich) vor einer 
weiteren Anhöhe, von der wir uns St. Paul nahe glaubten, war die 
Enttäufchung eine ganz fatale; denn oben angelangt hatten wir ein weithin 
zerflüftetes Terrain mit zu Theil tief eingefunfenen Stellen und gähnenden 
Schlünden vor ung. Ah, das ift über den Katafomben! war der ge: 
meinfame Ausruf, und jo war es auch. Begreiflicher Weife vom Schauer 
ergriffen auf einer Scholle zu wandeln, die bei jedweder Erjchütterung in 
neuerliches Sinfen gerathen könne, fuchten wir behutfam einen Rückweg, 
famen dabei auch richtig zu dem an der linken Seite des Hügels gelegenen, 


bequemen Eingang in die Katakomben. Diejer bejtand aus einem großen 
Viuttheilungen. 2%. Yahrgang. 4. Heft. 25 


Felſenthore, das, wie ich glaube, erjt jpäterer ‚Zeit die jegige Geftaltung 
erhielt. E3 war offen, ich war auch gewillt auf eine Strede weit hineinzugehen, 
nur jchredte mich für diesmal die herausmwehende eiſige Kühle mit Rückſicht 
auf meine Gejundheit davon ab. . . Vor uns lag, blos durch eine Wieſe 
getrennt, die Abtei alle tre Fontane; dahin richteten wir unſere Schritte. 
Durch ein Thor, unter dejjen Kreuzbogen noch anjehnliche Reſte altchriſt— 
licher Malereien vorhanden find, traten wir in den geräumigen Hof. Die 
erste der drei hier vorfindlichen Kirchen, in die wir eintraten, war ©. Maria 
Scala Eoeli benannt nad) der Sage, daß St. Bernhard an der Stelle 
eine Dimmelsleiter erblicte, auf welcher Engel, mit erlöften „armen Seelen", 
aufitiegen. Die Kirche, außer einem einzigen Altare in der linfen Seiten: 
halle Teer und. weißgetüncht, hat blos ein jehenswerthes Moſaik über 
jenem-Altare, nach der Zeichnung von Giovanni de Vecchi, gemalt von 
Franc. Zucco. Die zweite Kirche im Hintergrunde. ©. Paolo alle tre 
Fontane, iſt auf der Stelle erbaut, wo St. Baulus enthauptet wurde, die 
drei Altäre aber bezeichnen die drei nach jeiner Enthauptung wunderbar 
entjprungenen Quellen. — Der dritte größte und ältefte Votivbau iſt 
im Aeußern wie im Innern der bejterhaltene, und datirt aus der Zeit 
Papſt Honorius I. (f 1638), indeß die beiden anderen Kirchen die ftil- 
widrigjten „Nenovationen“ erfuhren. Das feit 1146 mit ihnen verbundene 
Eifterzienferklofter ift der höchſt ungeſunden Lage wegen verlafjen, und 
üben blos noch in den Herbſt- und Wintermonaten zwei Franziskaner: 
mönche geijtliche Function für die Landleute der Umgegend.. . . ." 

12, Mai. „So eben fomme id) wieder von der Poſt aber fein 
Brief, fein Geld harrte meiner, dafür fortgejegte Entbehrung! Vor Scham 
außer Stande, das Bild meines Inneren vor Jemand zu enthüllen, muß 
ih nun dulden und tragen komme was da wolle... . . Seit acht 
Tagen bejteht in Folge der Cajja-Ehbe meine Nahrung aus jchwarzem 
Kaffee und Brod. . . . Habe endlich die Uhr verjegen müfjen. . 
Woher bei folhem Zuſtande Arbeitsluft, Arbeitskraft nehmen?!. . . . 
Schon ein Jahr in Rom! Wie viel in diefem gelitten, wie wenig 
vollbracht! . . . . Dennoch rufe ich mir zu: Nur Muth gefaßt, in der 
ne bebarzen. s 

. Mai. „Noch immer feine Aenderung. Tag um Tag ſetze ich 
neues es auf die Pojt, jehe mich aber auch Tag für Tag in 
meiner Hoffnung getäuſcht!“ . . . 

23. Mai. Geftern bat id) Sen. Legationsrath v. Schniger um die 
Gefälligfeit, mir den rücjtändigen Stiftungsbetrag für das erjte halbe Jahr 
auszahlen zu wollen. Wohl erwiderte er, die bezügliche Anweifung dafür 


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jet ihm noch nicht zugefonmen, lieh mir aber doch aus Eigenem 20 Scudi. 
Nach Tilgung der inzwiſchen aufgelaufenen Schulden glaube ih nun 
wieder auf drei Wochen gefichert zu fein. . . .* 

„König Ludwig von Baiern verließ nach einem - jchon ge: 
wöhnlicd längerem Aufenthalte am 20. Rom. Wie üblich, wenn er bier 
meilt, wurden auch diesmal die älteren Künftler, abwechjelnd je zwei, täglich 
zu Tiſche geladen. Am Vorabende vor feiner Abreife wurde ihm zu 
Ehren durch deutjchfreumndlihe Römer das Coloſſeum bengalijch beleuchtet. 
Des anderen Morgens früh 4 Uhr famı er die Bafjegiato iiber den Monte 
Pincio von feiner Billa herab, blos vom Bildhauer Profefjor Wagner, 
jeinem Intimus, und dem Tiroler Maler Schöpf nebft geringem Gefolge 
begleitet, zu den für feine Abfahrt bereitftehenden Wägen. Nach ſchlicht 
herzlichen Worten an uns alle zur Verabſchiedung herbeigefonmen, Alle 
zu baldigem Beſuche Münchens einladend fuhr diefer mit Grund jo 
benannte „deutjche Perikles“ nach feiner Heimat. . . ." 

„Am ſelben Nachmittage erhielt ich die längſt erwartete Nachricht von 
Haufe. Tragikomiſch genug vermochte ich den Brief nicht jogleich in 
Empfang zu nehmen, denn es belaftete ihn ein Porto von 47 Bajocchi — 
die ich nicht befaß! — mußte aljo vorerjt noch von Freund Knüpel einen 
Scudo pumpen, zur Sfnempfangnahme. Kläglicherweije vertröftete das 
Schreiben auf eine „nächjtfolgende Geldjendung” und ftellte mich vor 
die Frage: wie bis dahin das Auskommen finden?! — Glüclicherweife 
hatte id) noch einige gangbare Münzen. aus einer beabfichtigten Sammlung 
herausgefunden. Dieje mußten nun, wie leid es mir auch that, Flöten 
gehen. . - . Am Erjprießlichjten wirkte dabei ein mit dem Bildniſſe 
Napoleons, als König von Italien verjehenes 10 Centimeſtück. . - . 
Darüber war ein neuer Tag vergangen, und auch die Hälfte des folgenden, . 
bevor ich wieder Luxus treiben, mir ein Brod Faufen fonnte, zu welchem 
fih beim verjchämten Ausgange zur Aqua accettofa ungenirt Wajjer 
trinfen ließ. Diefer troftlojen Situation etwas Ideales anzuthun, jegte 
ich mich auf die zur Stelle von König Ludwig 1821 angeordneten, mit 
Ichattengebenden Bäumen umgebenen Steinbanf . . . Da faß ich num in 
mich gekehrt, zu meinen Füßen zogen die gelben Wellen der Tiber mur- 
melnd dahin; von Rom her wurde abwecjelnd Uhrenjchlag und Glocken— 
geläute vernehmbar; vor mir lag der feljige Soracte, der Norden — 
meine Heimat, in welcher ich noch nicht Kümmerniſſe kannte, wie te 
hier in der Stadt meiner Ideale über mich famen.. . . Innerlich 
erregt flatterte die Phantaſie wohl dem eingefangenen Vogel gleich wie 
von Sprofje zu Sproffe, von Plan zu Plan, doch ohne Halt — am 


25* 


— 30° — 


längjten nur bei dem: mich einem Bildhauer zu verdingen, falls 
nicht bald eine Wendung zum Beljern anf anderem Wege erfolge. . . .“ 
Erneuten Auffhmwung fpiegelt dagegen wieder die Notiz vom 
24. Juni. „Gott Dank, gejtern Fam endlich die lang erjehnte Beihilfe 
von meinen Geſchwiſtern. Nun hat alle Noth, haben alle Sorgen ein 
Ende. . . ." Dieſe Prüfungszeit hat mich fefter, männlicher gemacht; 
ich lernte mich felbft befämpfen und an mir halten, nicht weichlich jedem 
Begegnenden vorjammern und bejchämendes Mitleid in Anfpruch nehmen ... 
Nun will ich auch fleißig, doppelt fleißig fein, um mir einen ehrenvollen 
Platz in der Runftwelt erobern, meinem geliebten Meifter Marx, im Hoch— 
gefühle fein bejter Schüler zu fein, vor Augen treten zu können. . . ." 
(Schluß folgt.) 


mn 


Das Jahr im Volksliede und Volksbrande in 
Deutfchhöhmen. 
Bon Anton Auguft Naaff. 


III. Oſtern. 
A. Die voröfterlihe (Faften-) Zeit. 


Wie bei der Weihnachtszeit, dem altdeutfchen „Jul“ und 
jpäteren „Chriſt“-Feſte, jo haben wir auch bei der Dfterfeier die 
urfprünglichen altheidnifchen neben den fpäteren chriftlichen Vorftellungen, 
Einrichtungen und Gebräuchen zu unterjcheiden. Weihnachten und 
Oſtern waren von altersher die zwei Hauptzeiten des ganzen 
Bolfsjahres, was ihr Urjprung, der Zeitpunkt ihrer Feier, die ver- 
Ichiedenen damit verfnüpften Sinnbilder und Gebräuche u. ſ. w. Har erweijen. 

Wie das altdeutfche Jul-, (jpätere Chriſt-) Feſt, das eigentlich die 
Winterfonnenwende feierte und von jeher den Falendarifchen äußeren 
wie inneren (geijtigen) Mittelpunft des ganzen Winterhalbjahres 
bildete, der Kern geworden ift, um welden ſich alle anderen Bor- und 
Nachweihnachts:-Feittage, Gebräuche u. ſ. w. gruppiren, fo beherricht und 
verdunfelt auch die Dfterfeier als das eigentlihe Sommer-Hauptfeit 
alle anderen ſommerlichen Feittage und iſt und bleibt heute in der vor: 
hriftlihen Form ebenſo wie einft in altheionifcher das Leitende 


1) Bergl. Jahrgang XXI. Seite 182. 


— 3531 — 


Frühlings und Sommerfeft in dem der Natur angeglieverten 
Bolfsjahre, dem alle anderen Feſte und Feftbräuche des Sommerhalbjahres 
in ähnlihem Sinne wie oben nur als Einbegleitung, Vorbereitung oder 
als Ausläufer und Nachfeier dienen. ') 


gm chriftlichen Volksjahr der germanifchen Welt leitet nun, ähnlic) 
wie Weihnachten durch den „Advent“ vorbereitet wird, die „Faſte“ zur 
Diterfejtzeit hin, und wir haben uns aljo zuerft mit diefer VBorberei- 
tungszeit zu bejchäftigen. 

Ich habe im Testen Abjchnitt bei der Betrachtung der Fajchingszeit 
dargelegt, wie es komme, daß diefelbe feit altersher und jo allgemein im 
deutjchen Volks-, bejonders im Bauernjahre als die „Iuftige Zeit“ mit 
Sang und Klang, mit Tanz und Mummenjchanz und in Saus und Braus 
gefeiert werde. Daß ſich durch die einjt vielfach jehr ausgiebigen und 
andauernden TFaftnachtsluftbarkeiten und Fafchingsgelage naturgemäß im 
gewohnten Verlauf aller Dinge einestheils die Genußfraft des Volkes jelbft 
zeitweije bis zu einem gewiſſen Grade erjchöpfte, anderentheilg auch der 
Borrath an Geld und Gut fich minderte und jomit auch ſchon durch 
wirthſchaftliche Rückſichten dem allzulangen Fajchingstreiben ein 
Damm und Ziel gejegt werden mußte, ift leicht abzujehen und ferner 
ebenjo naheliegend, weil noch heute durch das lebendige Beiſpiel ähnlicher 
Art im Bollshaushalte bekräftigt, daß nach dem Faſching, nach der tollen, 
lujtigen Zeit, für Leib und Seele ebenfo wie für Sädel und Vorraths- 
fammer wiederum eine Zeit ver Sammlung, der Zurüdhaltung, 
des Sparens, der Genügjamkeit und Selbſtbeſchränkung eintreten müſſe. 
Dies Gebot der Selbjtbeichränfung und einer gewiſſen Enthaltjamfeit in 
den Wochen gegen Ausgang des Winters nad) der vollgenofjenen Luſt— 
barkeit und den Freuden des Fajchings machte ſich im Volfshaushalte und 
Volksbrauche von ſelbſt um jo dringender und ganz natürlich geltend, 
wenn das zunächit bevorftehende zweite Hauptfejt des Jahres, das nun bald 
fommende Oſterfeſt ins Auge gefaßt wurde, das abermals jeine bejonderen 


1) Diefe Unterfcheidung von blos zwei Hauptfeften für Sommer und Winte 
ift durchaus volfsgemäß und der allgemeinen Vollsanficht noch heute ent— 
Iprechend, die das Jahr nicht Falendarifh im Viertel und nach vier Jahres— 
zeiten (Frühling, Sommer, Herbft und Winter) fondern einfach, und bei den 
oft jo großen Berfchiebungen natürlicher Wandelbarfeit der fogenannten vier 
Jahreszeiten, die den Frühling und Herbft nur zu oft zum Winter oder auch 
Vor-, bezw, Nachſommer maht — audy am richtigften — blos in Sommer 
und Winter theilt. Diefe Grundanſchauung kommt auch im Volfsbraude 
und Volksliede finnig zum Ausdrud, wie jpäterhin dargelegt werden wird. 


— 3532 — 


Anſprüche ſtellte und ebenfalls aus dem vollen gefeiert und genoſſen ſein 
wollte, d. h. mit genußfriſchem Herzen und neugefüllten Kammern und 
Kaſten. Ueberdies mahnte die um Oſtern gewöhnlich auch wieder begin- 
nende neue Feldarbeit, der Neubau der Sommerfrüchte und die damit 
ftetS verbundenen größeren wirtbhichaftlichen Vorausgaben den Hanswirth 
‚ auf dem flachen Lande ebenfalls daran, bereits vorzeitig mit Kraft wie 
But Haus zu halten, und nach der Faftnacht womöglich das durch 
Sparjamfeit und geringeren „Aufgang” wieder herein zu bringen, was 
etwa im Faſching zu viel und zu leicht dahingegeben wurde. Sollte dem- 
nad) die „Faſte“, wie fie noch heute bejteht, erjt und nur Firchlichen und 
nicht viel älteren allgemeinen Urjprungs bloß aus einer Kirchenvorjchrift 
und nicht etwa aus dem ganzen inneren Bedürfniffe des Volkslebens heraus 
von felbjt entjtanden, jodann aber von der chrijtlichen Kirche, die Eluger 
und finniger Weife und mit Recht den alten Volfsbräuchen, wo fie — 
fonnte oder auch mußte — ſich anjchmiegte, einfach aufgenommen und 
ihren eigenen Zweden angepaßt worden fein? 

Das mindeſtens iſt gefchichtlich gewiß, die Selbftbejchränfung durch 
eine gewilje Enthaltjamfeit von Speije und Zranf it uralt, älter als das 
Chriſtenthum jelbjt. Schon die „Vedas“, die heiligen Bücher der indiſchen 
Brahminen, welche jelbjt die Bücher Mofis, aljo auch die jüdische Glau— 
bensfagung, an Alter weit überragen, bezeichnen das Faſten bereits als 
einen uralten Religionsgebraud). 

Die Selbſtbeſchränkung und Selbftabtödtung durch Faften findet ſich 
auch unter den Vorfchriften der alten Egypter, der buddhiſtiſchen Völker, 
der Hindus, Perſer, Aſſyrer u. ſ. f., ſtammt alfo beftimmt aus dem Mor— 
genlande und fchon von den älteſten Religionen und Culturnationen, und 
ift im Grunde eine jo allgemein menfchliche Uebung, die allzeit 
und allenthalben gern mit religisfen Bräuchen verbunden wurde, daß 
man annehmen muß, es war dies jelbjtändig, ohne Nahahmung 
fremden Beifpiels auch feit uralter Zeit bei den Germanen u. zw. aud) 
zur Vorbereitung auf das Oſterfeſt der Fall, und die fpätere chrijtliche 
Lehre und Uebung betreffs des Oſter-Faſtens habe diesfalld wenig oder 
nichts Neues eingeführt, jondern nur mehr jchon Bejtehendes umgejtaltet, 
weiter entwicelt, geijtig erhoben und veredelt. 

Anfangs beſchränkte fich die chriftliche Fafte auf eine 36—40ft ün— 
dige Enthaltfamfeit zur Oftervorfeier ſelbſt u. z. vom Charfreitag Nach— 
mittags bis DOfterfonntag; erjt Telesphorus (Biſchof zu Nom) führte im 
2. Jahrhundert durch ein eigenes Kicchengefeg ein 36—40tägiges Fajten 
ein, das natürlich nicht jo jtreng in jeinen Borjchriften fein konnte wie 


— 383 — 


das obige und den Urſprung der bis heute noch üblichen ſogenannten 
Faſtenzeit und Oſtervorbereitung bildet, die zuletzt von Papſt Gregor (der 
Große genannt) auf 40 Tage (mit dem Aſchermittwoch als Ausgangstag) 
feſtgeſetzt wurde. 

Die kirchlichen Bräuche und Lieder während der voröſterlichen (Faſten-) 
Zeit ſind bekannt, weil noch durch allgemeine regelmäßige Uebung lebendig. 
Unter den kirchlichen Faſtenliedern gibt es ebenfalls einzelne gute Volks— 
lieder, deren Aufzeichuung und Zuſammenſtellung ſehr wünſchenswerth 
wäre; doch konnte der Verf. bisher nichts Mittheilenswerthes hievon er— 
langen. Bon den noch mit den altgermanifchen (heidnijchen) Volksüber- 
lieferungen und Anjchauungen zufammenhängenden Gebräuchen und Liedern 
aus der Vor-Ofter-Zeit (TFaftenzeit) ift vor Allem das Todaustragen 
zu nennen — ein fehr alter und allgemeiner deutjcher Volksbrauch. 

Er findet jich bis in die neuefte Zeit auch in Deutſchböhmen in der 
Form in Hebung, daß eine mit Stroh, Heu, Häckſel u. dgl. ausgejtopfte 
Puppe in Menjchengeftalt und Menjchengröße mit ausgejpreigten Armen 
auf eine hohe Stange gejtedt, fejtgebunden und im allgemeinen Umzuge 
durch das Dorf oder auch um die Felder getragen wird. Hiezu wird im 
Nordweiten, im Egergebiete folgender Text gefungen: 


Fied der Todausträger. 


Heut trog mern Tod aus 

Zu Duppe (Duppau) überd Rothhaus, 
Zu Kood'n (Raaden) übern Koſt'n 
Mittn in da Foſt'n! 





(Zufag:) Hätt' m'rn Tod net ausgetrog'n 
Hätt'r d' olt'n Woima olle drichlog’n! 

Diefer „Tod“ wurde zulegt nach längerem Umzuge, wobei ftets 
helle Freude herrfchte und viel Muthwille jein Spiel trieb, jo daß das 
„Zodaustragen" ſtets als ein Freudentag galt, in einen Teich, Fluß oder 
Bad geworfen, auch auf freiem Felde verbrannt oder ſonſt durch den 
Uebermuth der Jugend zerjtört. Zumeilen pflegte man den „ausgetragenen 
Tod“ auch auf der Feldmarke einer Nahbargemeinde aufzupflanzen, 
was als Spott und Nederet galt und zwijchen den Burfchen der ver- 
ſchiedenen Dörfer mitunter auch zu tüchtigen Raufhändeln führte. 

Im Falkenauer Gebiete wird der Tod am vierten Faſten— 
jonntage Mittags von 12—1 Uhr ausgetragen und dabei folgendes Lied 
gefungen : 


— 334 — 


Trog' mern, trog mern Tod aus, 
Schloggenwoller Rothhaug, 
Heut in der Foften 
Stell'n mern Tod am Koft'n. 
Stell’n mer'n Tod auf's Butterfoß 
Word er troppe-trafche noß! 

Leiſom, leifom! 

Kos frig Fleifh zſomm! 

Eier raus! 

(Falfenauer Gegend.) 


Um Sinn und Urfprung diejes alten Volksbrauches fejtzuftellen und 
zu erklären, brauchen wir wohl Feine weit zurüdjchweifenden und aud) Feine 
allzu gelehrt tiefgründigen Forſchungen und Betrachtungen anzuftellen. Es 
iſt jo naheliegend, jo jelbftverjtändlich, daß derjelbe finnige deutſche Volks— 
geift, der fo jehr auf die Natur angewiefen war und ganz in derſelben 
und mit derjelben lebte, nachdem er im Julfeſte fchon (zu Weihnachten) 
die Wiedergeburt des neuen Lichtes und Sonnenjahres feierte, auch durch 
einen finnbildlichen Volksbrauch in diefer Zeit feine Freude über den Tod 
des Winters und die Ankunft des Sommers öffentlih und allgemein Fund: 
gab. Es ift durchaus nicht nöthig, mehr als das hineinzudeuten oder 
mit Hilfe gefchichtlicher Ableitungen u. f. w. noch mehr daraus heraus: 
tifteln zu wollen. Die Sitte des Todaustragens bedeutet nicht mehr und 
nicht minder al3 die Freudenfundgebung der Volksſeele über 
das Ende des Winters und die bevorftehende Wiederfehr des 
Sommers.') 


1) Ganz deutlich ergibt fich dies insbejondere aus dem Volfäliede „Das Tod— 
austreiben“, das dem Verf. nachträglich noch in der bekannten deutſchen Volks— 
liederfammlung „Des Knaben Wunderhorn” S. 109 unterfam, Es lautet: 


Das Todaustreiben. 


So treiben wir den Winter aus, 
Durch unjre Stadt zum Thor hinaus, 
Mit fein’ Betrug und Riften, 

Den rechten Antichriften, 





Wir ftürzen ihn von Berg und Thal, 
Damit er fih zu Tode fall’ 

Und uns nicht mehr betrüge 

Durch feine fpäten Züge. 





Und num der Tod das Feld geräumt, 
So weit und breit der Sommer träumt, 


— 3355 — 


Ganz im obigen Sinne äußert ſich auch, wie ih zum Schluße noch 
finde, Dr. 9. Dunger in jeinen „Rundum: und Reimſprüchen aus dem 
Boigtlande”, worin er auf Seite 189 unter dem Titel „Frühlingsfeſt“ 
folgende, hier zur Ergänzung und Vergleichung bejonders werthvolle Mit: 
theilung macht: Bis vor Kurzem jand am 1. März oder zu Laetare 
namentlich im xuffischen Voigtland das auch anderwärts befannte To d- 
austreiben ftatt, ein Nachflang des uralten germanischen Mythus 
vom Kampfe des Sommers mit dem Winter. Das junge Volk 
trug eine angepußte Strohpuppe auf einer Stange (der Tod-Winter) 
im Dorfe herum und ftürzte fie dann ins Waſſer unter dem Gejange: 


Heute treib'n wir'n Tod aus 
Ueber Gür'ſche Roͤthhaus, 
Ueber Stock und Stene, 
Brech' ne Hals und Bône. 


Darauf wurden in den Käufern Gejchenfe, namentlid Eier, gefam- 
melt, indem man dabei jang: 


Wir hab'n den Tod wol ausgetrieben, 

Die faulen Mädel find zu Haufe geblieben, 

Sie fißen in der Höllen 

Und lauern auf die Funggejellen. 

Wir bringen Euch an warmen Sommer mit, 
Theilt und nur a paar Eier mit. 


Durch das Erſäufen der Puppe ift der Winter getödtet und 
der Sommer wieder in fein Recht eingefegt. (Man vergl. nody, um 
den pangermaniftischen, altveutfchen Grundzug dieſes alten Vollsbraudyes 
ſich vollends Harzulegen: Brüdner, Reuffifche Landestunde S. 189, 
Panzer, Bayrifche Sagen und Gebräuche II. 73, Aheinsberg-Dürings- 
feld, das feftl. Jahr S. 79, Hilffas, Curieufe Gedanken von dem Gebrauche 
am Sonutag Ladtare, welchen man insgemein nennt „den Todaustreiber“ 
aus dem Latein. iiberjeßt, Dresden und Leipzig 1701; ©. Klamm, Hand» 


Er träumet in dem Maien 
Bon Blümlein manderleien. 





Die Blume iproßt aus göttlih Wort 
Und deutet auf viel fhönern Ort; 
Wer iſt's, der das gelehret? 
Gott iſt's, der das befcheeret. 

(Mittel: und Norbdeutichland.) 


— 36 — 


buch der germanischen Alterthumskunde S. 376; Grimm, deutjche Miytho- 
logie I. Ausgabe ©. 442. 


Eine andere Lesart des Liedes lautet im Thüring'ſchen (nach Dun- 
ger) noch: 
Heute treib'n wir den Tod aus, 
Ueberd Waid’ihe Rathhaus, 
Ueber Stod uud Stein, 
Brit Hals und Bein. 
Wir Alle, wir Alle fommen raus 





Und tragen heute den Tod naus; 
Komm Frühling wieder mit uns in das Dorf, 
Willlommen lieber Frühling! 


Daß in manchen Gegenden hiemit im Zaufe der Zeit auch uod eine 
ortsgejhichtliche Erinnerung od. Bedeutung verfnüpft wurde, mag 
allerdings öfter vorfommen, darf jedoch für das Allgemeine das Wejen 
der Sache felbft nicht verwifchen. Niemals darf vergefjen werden, 
daß es fih bei all diefen Volksbräuchen wefentlih und 
vor Allem ſtets um die Feier der beiden Hauptfejte des 
Sommers und Winters handelt. Um diefe zwei Hauptfeite des 
Boltsjahres, um Weihnachten und DOftern, als die Feftfinnbilder des 
Winters und Sommers, dreht fih das Denken und Handeln, 
aljo au die Dichtung des Volkes in Feftbraud, Sprud 
und Lied. Ganz offen fpricht ſich diefe Thatfache in einem ebenfalls ur- 
alten deutjchen Bauern-Spiele aus, das noch bis in die neue Zeit im Erz 
gebirge, an der Mitteleger, im Komotauer Bezirke und auch in der Planer 
Gegend — fowie gewiß auch in mancher anderen — in Uebung war und 
gerade heraus den Kampf des Sommers mit dem Winter behan- 
delte und verjinnbildete. 


Diefes für die Auffaffung der Volksfeſte und Bräuche im Jehre be⸗ 
ſonders bedeutſame „Sommer- und Winterſpiel“ wurde nach den 
mündlichen Mittheilungen verſchiedener älterer Gewährsleute an den Verf. 
zu verſchiedenen Zeiten aufgeführt, bald im Advent (alſo in die 
Weihnachtsfeſtgruppe eingereiht), bald in die Faſte, und in dieſem Falle 
den Oſterfeſt-Gebräuchen zugehörend. Dieſer Wechſel der Zeit iſt hier ganz 
natürlich und leicht zu erklären. Das Spiel paßte nöthigenfalls für Winter 
und Sommer oder ließ ſich wenigſtens dazu einrichten, iſt aber ſeinem 


— 3897 — 


Ursprung und Wefen nad, wie auch aus dem nhalte erfichtlich fein 
wird — doch eigentlich ein Oſterſpiel und für die voröfterlidhe 
(Faſten-) Zeit gedacht und bejtimmt, weshalb es auch hier unter dieſem 
Abjchnitt zur Mittheilung fommt. Meift in der Fafte, andernfalls wenn 
der Trieb nach einigem Erwerb jchon ftärfer drängte, auch früher noch, 
famen vom Erzgebirge die Sommer: und Winter-Sänger ins Flachland 
herab und wanderten von Dorf zu Dorf, von Haus zu Haus. Auch aus 
den Eger-Dörfern felbit fanden fich folche Darfteller. — Sie waren ihren 
Rollen entjprechend gekleidet, beziehungsweife ansgerüftet. So trug der 
Sommer in Nord» Deutjhböhmen 3. B. an der Eger, im Planer und 
Zepler Gebiete ein Eleines Bäumchen mit Früchten, in Süd-Deutſch— 
böhmen (Hofterfchlag, Königsed, Böhmerwald) eine Senje (meijt 
im verfleinerten Maßftabe) in der Hand, der Winter aber ging im Schaf- 
pelz mit einem Drifchel einher. | 

Kamen Sommer und Winter nun in ein Haus, jo führten fie im 
Wettjtreit und Wettgefang das folgende Sommer: und Winterfpiel auf: 


Da Summa tritt vor nnd fingt: 


Ei Winta, du bift mir a jchledhta Gſell, 
Gechſt d’ olt'n Weima olla in d’ Holl. 
D je Herr mein, 
Da Summa iS fein! 
Da Winta 

Ei Summa du bift a ſchlechta Bana, 
Machſt den Weiwan die Millich gern ſaua! 
D je Herr mein, 
Da Winta is fein! 

Da Summa: 
Wenns kimmt zu Bartlmäitag, 
Da ſchüttl' ich meine Verla und Üppel ab 

(Birnen und pfel) 

O je Herr mein, 
Da Summa is fein! 

Da Winta: 
Wenns fimmt bi3 Weihnochten, 
Do thu ic) dem Bauer d’ Sau oſchlochten. 
D je Herr mein, 
Do Winta is fein! 

Da Summa: 
Wenn zu G'hannes (zu Johanni) kimmt 

da Schnit, 


Gehts Korn und da Waza mit, 
O je Herr mein, 
Da Summa i3 fein! 
Da Winta: 
Hauft bus oh, fo driſch ichs aus, 
Und 's koch'n d' Weiwa Knödla draus, 
O je Herr mein, 
Da Winta is fein! 
Da Summa: 
Hörſt Winta, du darfſt ma nimma vill 
ſog'n, 
Sinſt thu i dich von donna jog'n! 
O je Herr mein, 
Da Summa is fein! 
Da Winta: 
Hörft Summa, du därfſt mi net vill 
dutz'n, 
Ich ſteck dich unta mein Lämmel-Pelz- 
Mutz'n. 
O je Herr mein, 
Da Winta is fein! 
Da Summa: 
Merk auf, dös ſog ich zu allerletzt: 


— 338 — 


Ich mochs, daß heuer gar nig mehr wächſt; 


D je Herr mein, 


Da Summa i8 fein! 


Da Binta: 
Hörft Summa, jeß gib i bir Recht, 
Du bift da Herr und i dba Knecht. 


O je Herr mein, 


Da Summa i8 fein!) 
(Komotauer und Saazer Gebiet.) 


Mit folgendem Text, der zur Vergleichung mit dem le a 


heranzuziehen geboten erfcheint: 


Der Sommer und der Winter. 


Sommer: 


Herein: Wir wollen und machen befannt, 

Sommer und Winter allezeit genannt, 

Wir wollen fingen eine kurze Weil eine 
Gſchicht, 

Liebe Herren laßt es Euch verdrießen nicht. 

Kommt der Winter an, 

Er iſt ein grauſomiger Mann! 


Winter: 
Ei Sommer, was hab' ich dir zu Leide 
gethan, 
Daß du mich heiß't einen grauſomigen 
Mann? 


Ich habe ſchon längſt hinter dir geſtanden, 
Und habe gehört deine Spottreden an. 
Jetzt wag' ich daran meine beſte Kuh, 
Ich muß wiſſen, wer Herr iſt, ich oder du? 


Sommer: 


Ich bin der Sommer ſchön; 
Ich thu' mich zwar nicht rühmen, 
Die Herren werden es verſteh'n. 


Winter: 


Sch bin der Winter hart, 
Mit warmen Kleidern angelegt, 
Ich trag’ nen rauchen Bart, 


Ein gutes Baar Schub; 
Wenn ich mich gleich jo rühmen thu, 
Es ift nichts daran! 


Sommer: 


Jetzt tritt der Frühling ein (ber 
Frühling begimnt:) 
Da fang ich an zu pflanzen im meine 
Bärtelein, 
Da blühen die Blümlein groß und Hein, 
Da fingen die Vögelein. 
Jung und Alt und Alles will Fröhlich fein! 


Winter: 


Und wenn e3 kommt zur Weihnachtäzeit 
Schlacht ih mir ein fettes Schwein, 
Dazu ein fettes Kalb. 

Ei, Sommer, das geb’ ich dir halb, 
Was mwillft du mehr bon? 


Sommer: 


Ei Winter du gefräßiger Dann, 
Red'ſt allezeit von guter Speife und baujt 
jelbft nir an! 
Ich Habe dird geführt in die Scheuer 
hinein, 
Du haſts gefreffen in Hals hinein! 
Kein Dank foll bei dir jein! 


1) Eine andere Lesart diefes Liedes gibt A. Paudler (Mittheilungen bed nord- 


böhmischen Excurſionsclub 1884). 


— 389 — 


Winter: 


Ei Sommer, ſcherr mich nicht, 
Ich bin ein guter Arbeiter, fein Freſſer 
bin ich nicht. 
Mit meiner Schwing, mit meiner Dreſch' 
Thu’ (ch') mein Korn und Weizen aus- 
dreichen. 


Sommer: 


Und warn es fommt um Johann, 

Da hau ich mir die Wiefe ab, viel Futter 
ih machen fann! 

Und wenn e3 kommt um Barthelmin, 

Schüttle ich meine Äpfel und Birnen hin 

Ei Winter, das kannſt du nicht! 


Winter: 

Ei Sommer, ſcheer mich nicht! 
Und wenn ed kommt zur Fafchingszeit, 
Da bod ih mir eine Pfannebudht’ in 

meiner füppernen Pfanne, 
Dazu ein fetted Schwein. 
Da ſchmier' ich mir den Bart recht fett 
Und lege mich zum Weib ins Bett, 
Ei Sommer, das kannſt du nicht! 


Sommer: 
Ei Winter, ſcheer mich nicht! 
Ich will dir etwas beweifen mit meinem 
Ernft daber. (?) 


Ich raufe dir den Bart recht aus, 


Und werf’ ihn in einen Dornenftraud, 
Daß ihn die Sonne verzehrt! 


Winter: 


Ei Sommer, thu’ das nicht! 

Ich will mich untergeben, will leben nad) 
deiner Pflicht, 

BiftbuderHerrundihderfnedt, 

So haben wir alle Beide recht! 

Ich bitte um Berzeihung. 


Sommer: 


Verzeihen will ich fchon, 

Du follft tragen feinen Zorn! 

Du ſollſt mir helfen fingen 

Ein Liedlein, dem höchſten Gott zu Ehren, 

Den Sommer und den Winter zu einer 

Nahrung an. (7) 

Da bitten wir den lieben Gott, 

Daß er uns helf' aus aller Noth 

Zu Waſſer und zu Lande, 

Soldat, zu Pferd, zu Fuß geitellt, 

Da kommt der Fürft mit feiner ron’, 

Er gibt und den verdienten Kohn, 

Am End’, da geht es ſchon, 

Am End’, da geht es ſchon! 

(Ans der Gegend von Gablonz; und 
Hühnermwaljer). 


Wie man an dem Ausgang- und Grundgedanken diefer Som- 


mer: und Winterlieder Har erkennt, joll hieduch der Sieg des Som- 
mers über den Winter gefeiert werden und ijt diefer Brauch jomit 
offenbar und ganz bejtimmt vom Anfang her fiir die vordfterliche (Fa— 
jten:) Zeit in Geltung gewejen, welcher er auch zugehört, obſchon man 
diefes Spiel, wie bemerkt, vielfacdy auch bereits im Advent und im Faſching 
aufführte. 

Zu den Vollsgebräuchen diefer Gruppe gehört auh das kaum 
noch aufgezeichnete Spiel der Todtengänger, das wohl jchon jeit 
Jahrzehnten bereits vergefjen und nicht mehr in Übung ift. Um diefelbe 
Zeit (in der Fafte) wanderten felboritt die Todtengänger durd) das Land. 
Der erjte fpielte den „Tod“ und trug einen kleinen hölzernen Sarg 
unterm Arm, der zweite ftellte den „Bauer" dar und ein „Klagemweib" 
folgte ihnen nad). 


ZB 


| Zu Beginn des Spieles tritt „der Tod" an den „Bauer” heran und 
fordert ihm das Leben ab, denn „feine Zeit“ fei jchon abgelaufen. Das 
ist dem „Bauer“ natürlich nicht vecht, er bittet um ein längeres Leben, 
um 50, 30, 20, 10 Jahre oder doch nur noch um menigjtens 1 Jahr 
und beginnt mit vem Tod um „Leib und Leben" zu handeln und zu feiljchen. 
Er verfpricht ihm dies und das und bietet immer Höheres. Unter Anderm 
läßt ji der „Bauer“ auch, wie folgt, vernehmen: 

Lieber Tod, loß mid nuch a wing leb'n 

Ich will dir mein ſchworz'n Ropp'n geb’n! 

Allein „der Tod" läßt fich nicht erbitten, öffnet den feinen Sarg 
und jählings jpringt aus demjelben dem „Bauer“ eine ziſchende Schlange 
entgegen. Das „Klageweib“ jammert und bittet nun auch. Zuletzt endlich 
jollfen der „Zod" und der Bauer” doch immer wieder „handelseinig" ge 
worden, mit einigen Gaben bejchenft und in Friede und Freude weiter 
gewandert jein. Einen volljtändigen Text des betreffenden Wechjelge- 
jangs und des ganzen Spieles, deſſen vielleicht hier zum erjtenmal literarifch 
Erwähnung gejchieht, Fonnte ich bisher leider nicht erlangen. Bielleicht 
erinnert ſich nad) diefen Zeilen doch noch ein gedächtnißſtarker Großvater 
oder ein erimmerungstreues Altmütterchen diejes Spieles und der einzelnen 
Geſätzel oder Strophen desfelben! Es wäre dies zur vollends ficheren Be- 
urtheilung diejes gewiß jeltfamen und bemerfenswerthen Gebrauches jehr 
wünſchenswerth, um hiernach möglicherweife ganz jicherjtellen zu können, 
ob man es hier wie e3 den Anjchein gewinnt, mit einem legten Ueberbleibjel 
altheidnifch-germanifcher Todtenopfer-Gebräuche oder mit einem Reſte 
des mittelalterlich-hrijtlichen Meyftieismus und Symbolismus zu thun hat. 
Das Gegenftäd und Ergänzungsbild zu den verjchiedenen Tod-Austrägern, 
Zodtengängern und deren Gebräuchen, Liedern u. ſ. w., die alle mehr we— 
uiger zugleich den fterbenden Winter verjinnbilden, iſt charakteriftiicher 
Weiſe ein anderes, in diejelbe Zeit fallendes Spiel, das Sommer- 
doden-Spiel und Lied, welches gedanfenverwandt und ergänzend hin— 
jichtlich der vorhin genannten den wiederkehrenden, neubeginnenden Som: 
mer feiert, aljo abermals beweift, daß, wie bemerkt, Volksanſchauung, 
Volksjahr und Volksbrauch ſich ausschließlich fait zwiſchen dem Unterſchiede 
und Gegenſatz von Winter und Sommer bewegt und hauptſächlich ſonach 
auch nur um die genannten zwei Hauptfeftzeiten fir Sommer und Winter 
ih dreht. Das Sommerdodenlied, im ganzen Nordweſten des Landes 
ziemlich allgemein verbreitet, wird meist von Schulmädchen gefungen und 
bat dem weiblichen Urſprung und Charakter gemäß eine zartere, poetijchere 
und oft recht anmuthende Form. Sch jelbjt ſah und hörte in den Sechziger: 


— 31 — 


Jahren oft in den Egerdörfern liebliche Kinder mit wirflih ſchön und 
finnig ausgefhmüdten „Sommerboden" und wohlflingender erquidender 
Stimme das genannte Lied fingen, das mir heute noch nach Jahrzehnten 
als ein liebfrenndlicher Jugend: und Frühlingsgruß nachklingt. Ueber Brauch 
und Lied ift Folgendes mitzutheilen: 

Ein mittelgroßer, breit auslaufender, recht dicht bewachjener Fichten-, 
Kiefern- oder Föhrenzweig wird auf der inneren (hohlen) Seite mit Gold: 
und Silberjternen, Blumen, bunten Seidenbändern, Schleiern u. ſ. w. 
möglichit ausgeſchmückt und inmitten desjelben die nach Kräften reich gezierte 
„Sommerdode" angebracht. Mit diefer wandern die Mädchen in der Fafte, 
oft auch bis gegen Pfingſten, meift jelbander, oder im Geleite der Mütter 
oder Brüder von Haus zu Haus und fingen das folgende: 


Sommerdofen-Lied. I. 


Wir kommen herein ind Zimmer getreten Dort wären wir Rinderlein alle jo gern. 
Und wollen den Herrn um Verlaubniß Das Schlüffelein hören wir Klingen, 


beten Ein paar Thaler wird die Hausfrau und 
Und auch feine (ſchöne, gute) Hausfrauen, bringen. 
Das Himmelreid; wollen wir bauen; Und wenns auch nur ein paar Kreuzerlein 
Wir baueng, wir bauens bis an die Spigen, fein, 
Wo alle lieb'n Engel im Himmelreich fis'n. Wir find junge MädIn und theilen uns 
Im Himmelreich ift ein goldener Tisch, drein. 
Dort fit der Gottvater und Jeſus Chrift. (Bon der Mittel-Eger.) 


Am Himmelreich ift ein goldener Stern, 

Bemerkenswerth ift eine Abart diefes Brauches und Liedes, wie fie 
der Berf. in einer einen gedrudten Sammlung ') von Volksſagen und 
Gebräuchen auf Seite 73 mit folgendem Texte fand: 

„Wie die Knaben (an der Eger) eine männliche, jo trugen die Mädchen 
eine weibliche Figur, die „Tödin“, aus! Nachdem diefe ins Wafjer ge- 
worfen war, trugen diefelben Mädchen die Sommerdode, d. i. eine an grünes 
bujchiges Tannenreis befeftigte, mit Blumen und bunten Bändern auf das 
prächtigfte gezierte Puppe herum. Bei jedem Haufe, in dem ein lediger 
Burſche war, fangen jie: 


Sommerdofen-£ied. II. 
Die Tödin haben wir getrogen aus 
Und dieSommerdode bringen wir Euch 
ins Haus. 
Wir tragen hinüber das grauslichte Kraut, 





1) Volksfagen, Märhen und Gebräuhe aus Nordböhmen von %. 3. Schaffer, 
Linz 1874. 


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Und wünjchen dem Herrn eine junge Braut, 
Der Herr foll ſich wohl bedenken (über- 
denfen) 
Und uns ein paar Gröfchelein ſchenken. 
Schenkt er und ein paar Gröfchelein weiß 
(Weißgroſchen) 
So wird er kommen ind Paradeis, 
Aus dem Paradeis ind ewige Reben, 
Gott wird ihm den Himmel geben. 


(Für das Geld bereiten fi) dann die Mädchen einen Schmaus.) 


Bemerfenswerth und für den durchaus pangermanijchen Ur- 
grund und Charakter des Volfsliedes und Vollsbrauches in allen deutjchen 
Stämmen und Ländern abermals einen neuen Beweis Tiefernd (Siehe Aehnl. 
bei den früher beſproch. Kinderliedern“) ijt der Umftand, daß (nach 
H. Frifhbiers Sammlung: „Preußische Volfsreime und Volksſpiele“, 
Berlin, Elin 1867 ©. 224) ein dem Sommerdodenbraudh und Lied 
ganz ähnlicher Gefang und Rundgang der „Tannenfrauen und Kinder im 
Samlande und in Königsberg“, alfo an einem der nordöftlichiten 
Ränder deutfcher Erde und jo weit von Deutſchböhmen entfernt und ge- 
trennt, als Faftnachtsgefang und gewiß auch in der Fafte in Uebung ift. 
Dieje norddeutichen Faftenfänger führen einen mit bunten Bändern, Kna— 
ftergold u. |. w. gepugten Eleinen Tannenbaum (Fichten- oder Tannen: 
zweig in Deutfchböhmen!) mit fich, den fie zu ihrem Geſange rhythmiſch 
bewegen. (Gefchieht auch in Deutfchhöhmen.) Dazu bemerft Frijchbier 
noch: Die in ihrem Liede erwähnten Fiſchchen fieht man jet (?) nicht 
mehr (?) auf dem Baume, hin und wieder dafür eine Puppe. 
Auh die Tannenbäume fommen mehr und mehr ab und an ihre Stelle 
treten bepugte „Tannenkränze“ . . . Es ift außer Zweifel, daß dem 
norddeutschen verdienftvollen Sammler hier eine fcheinbar kleine und 
doh im Wejen bedeutfame Berwechjelung oder Vermiſchung zweier 
verihiedener Bräuche, und zwar der uralten, ſicher panger— 
manifchen Sommerdocken- (Frühling-Anfinge-) Lieder und Bräuche und 
eines blos ürtlichen oder Zandesbrauches aus der Fajchingszeit unterlaufen 
ift, beziehungsweife, daß das Volk jener Gegend felbjt unbewußt bereits 
beide Bräuche vermijcht, verwechfelt und aljo auch ab und zu das Frühling» 
anfingen als Faſtnachtsbrauch oder auch umgekehrt ein ähnliches Faſtnachts⸗ 
oder Fajtenlied zur Frühlingsfeter gebraucht hat. Derlei Verdrehungen, 
Bermifchungen u. ſ. w. kommen in der Volksübung öfter vor und müſſen 
daher von Seite der Sammler und Forscher um jo fchärfer unterfucht, 
gefondert und richtig gejtellt werden. 


— 393 — 


Das jamländiiche Lied lautet in. jeinen wichtigften Stellen: 


Wir fommen herein getreten, 

Loog an de Ringe! 

Mit Singen und mit Beeten, 

Loog an be Ringe! 

Wir wünfhen dem Herrn einen 

goldenen Tiſch 

Aufalle4 Eden gebratenen Fifd! 
Wir wünſchen der Frau eine goldene Kron’, 


Aufs andere Fahr einen jungen Sohn, - 

Wir wünjchen ber Kärke a hoppre Bann, 

Opt and’re Jahr a pudligen Mann! 

Latt und nicht lange ftahen, 

Wir wollen wieder gahen ! 

De Schattel hefft e goldne Rand. 

De Herrichaft Hefft a milde Hand! 
(Königsberger Gegend.) 


Im nordweitlihen Schlefien wird am 1. Frühlingsfonntage von 
den Kindern von Haus zu Haus folgendes Lied geſungen, das ebenfalls 
zu den Sommerdodenliedern gehört und die allgemeine — dieſes 


Brauches erweiſt. 


Ei Gottes Nama heba wir an, 

Wir ſinga die ſchiene Frau Wertin an, 
Wir ſinga ſie nie alene an, 

Wir ſinga ſie alle mitſama an, 

Wir wünſcha den Herrn en gedeckte Tiſch 
Uf jeder Ede en Karpa-Fiſch 

Und mitta nei a Glas mit Wein, 

Da ſolla die Herrn recht Iuftig fein, 
Ruta Ruſa wachſa uf'm Stengel, 


Der Herr is ſchien, die Fran is wie a 
Engl, 

Die guldene Schnur giht im das Haus, 

Die Schiene Frau Wertin giht ein und aus. 

Sie gieht wie eine Togge 

Im Ihwarzbraunen Rode, 

Sie wardt ſich wol bebenfa 

Und ward ung wol was jchenfa! 
(Schlefien.) 





Miscellen. 


Zum Banernaufftand vom Iahre 1680. 
In dem ſogenannten Schwarzbuch) der Herrſchaft — (Bezirk 


Ludig) finde ich folgende Eintragung: 


1) Diejes im Befite des Herrn Gutsbeſitzers Milner befindlihe „Schwarzbud 
des Ambtes Utritzſch, darinnen alle einfommenen Uebelthätter, Rauber und 
Dieb juftifizieret und condemnieret worden, Aufgeriht im Jahr anno 1680“ 
gibt im angeführten Zitel feinen Zweck an, Nebſt den Urtheilen über die 
aufftändifhen Bauern (Fol. 20—235) finden fi zumeift nur Sentenzen über 


wegen Diebſtahls beftrafter Dreicher. 


Der Grundherr von Udritſch war 1680 


Fürft Julius Heinrich Herzog zu Sachſen ꝛc. Der fürftlihe Inſpector hieß 
Johann Spindler. — Bergleiche über den Bauernaufftand von 1680. Mittheil. 
I. Jahrg. 3. H. VI. 79, 255, IX. 58, XVI. 238, 


Mittheilungen. 25. Jahrgang. 4. Heft. 


26 


— 394 — 


„Der Bauern Rebellion, ſo ihnen zu Schaden, Un— 
glückſchaft ausgegangen. 

Nachdeme in dieſen unglückſeelig 1680 Jahr, do das Königreich 
Bohaimb abſonderlich die Hauptſtadt Prag mit einer vormahls nie erhört 
ſo grauſamben peſtilenziſchen Contagion überſchwemmt, daß alles in Zittern, 
Schrecken und Forcht geſtanden und de facto noch ſtehet, dennoch unge— 
achtet dejjen theils Herrichaften, Unterthaneren bey Ihrer Fayf. und fönigl. 
Majeftät umb ihre uhralte Gerechtigfeiten zu vecuperieren juppliziert, Ihro 
Mayft. auch nicht ungeneigt gemwejen, ein medium terminum zwiſchen 
denen Herrn Ständen und Ihren Unterthaneren, damit feinem Theil zu 
viel oder zu wenig bejchehe, ergreiffen zu laſſen, nichts deftoweniger das 
hort und rohe Volk ſich nit wollen bedeuten oder zur Geduld verweißen 
lajfen, jondern immer eine Herrichaft die andere nicht nur aufgefordert, 
bejondern denen jenigen, die es nicht mit ihnen halten wollen, mit Brand 
und Todtjchlagen gedrohet, auch wider die faykerliche deßwegen geſchickte 
Soldatesca und ihre Obrigfeiten ſich aufgeleinet, zufammen voltirt, und 
wirklich) zu denen Waffen, jo viel jie aufbringen mögen gegriffen. Unter 
andern dann in der h. Fastenzeit alhießige Unterthaneren, jo zwar faft die 
legten, aber nicht die geringsten waren, welche erjtens die Stadt Luditz uf 
einen Abend dergeftalt belagert, daß ihmen die daſelbſt auch deßwegen 
gefangene Dorfrichter von dem Oberherrn herausgegeben werden müſſen. 
Zum andern dann mit ihren Gewehr fich in Zeuffelsberg loairt, biß die 
Neiterei von 5 Compagnien untern Obriften de Merci kommen, ihnen 
das Gewehr abgenommen. Dann auch eine keyßerliche Commifjion von 
Ihro Ereellenz Herrn Generalwachtmeifter Freyherrn von Har- 
randt, Herrn Baron von Hißerle und Obrijtwachtmeifter Herrn 
Graf von Kuffftein und Auditor des löblichen Keykerfteiner Negiments 
Dr. Henri Meyer diejes rebelliiche Volk eraminiret, condemnirt und 
ufs newe in die fünigliche und obrigfeitliche Pflicht genommen. So ge: 
jchehen den 23. Juny obbejagten 1680ten Jahres. do dann: 

1. Hanns Rohe, Udritfcher Richter, mit nachher Buchau ge- 
führet und aldorten und nebjt ihrer 2 von Gißhübler und 2 von Ludiger 
Herrſchaft gehenft, geföpft und ufs Rad geleget worden. 

2. Folgende aber jeind condemnirt, in obrigkeitlihen Geſchäften in 
Eyßen und Banden zu arbeiten, nemblichen: 

Jakob Kißwetter 2 Jahr lang 
Martin Stark von Stodh') 2 — 


1) Mariaſtock. 


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Michael Braun von Knönitz) 1 Jahr lang 
Georg Strunz von Bohentſch) 1 „ u 
Thoma Kanter von Bohlemb?) 1 „u 
Hans Kung von Herrſcheditz) 1 „ — 
Martin Würkner von Sehrleß) 1 „ u 
Mihl Khun von Zobolep®) E. u 02 


3. Georg Fiſcher von Udritſch, welcher einer von den Haubt- 
rebellen und 2mal aus der Gefängnuß entbrochen und flüchtig worden, 
hat jollen, wann er ergriffen wiirde, der fayjerl. Commiffion nachgefendet 
werden und fein Urtheil empfangen. Weillen dann die Commiffion caffiret 
und zerjchlagen, als wird diefer vom fürftl. Oberamt zu beftraffen feyn. 


4. Folgende Richter und Gejchworne, jo in einer Claſſe begriffen 
und feiner viel bejfer als der andere war: 

Georg Würdhner, Gefchworner von Udritſch. Martin 
Seger, Richter zu Herrfhedig. Johann Enders, Richter zu 
Bohentih. Georg Tauſch, Richter zu Sihelaw.’) Simon 
Wolff, Richter zu Paſſenaw.“) Niel Süßner, Richter zu Rat- 
timotz.?) Lorenz Withner, Richter zu Bohlemb. Thome 
Hirſch, Gefchworener zu Stodh. Andres Wirth, Nichter zu 
Boboleg — ift niemals überzeugt worden. Martin Deheimb, 
Richter von Lintſch!e) — niemals rebellirt. Georg Oehmb, Richter 
zu Geffring.') Welche dem hochfürjtl. Ambt die Scharwerf und alle 
Arbeit auffündigen laffen. 


Weitere Verbrecher find zu finden: 

5. Georg Leni, Schufter zu Paſſenaw, welcher nebjt dem 
Georg Fiſcher uf die legte Stund, als die kayſ. Soldatesca ſchon fait 
auf biefigen Territorio war, mir der Zeit hochfürſtl. Inſpektoren 
anjtatt der hohen Obrigkeit alle Freundfchaft und Gehorfamb im Namen 
der ganzen Landichaft aufgejagt, Weib, Kinder, Haus, Hoff und Alles in 
die Schang gefchlagen mit ausdrüdlichen Vermelden, wo fie die Soldaten 
nur angriffen, jie wollten ihm den Meifter ſchon fpielen, So hat er 
auch mehrers geredt als ihme befohlen war. NB. Diefes hat aud) 
Georg Fiſcher als Socius und der Rebellion Abgejandter ohne Scheu 
mir ins Angeficht gejagt. 


1) Knönitz. 2) Bohentſch. 3) Polem. 4) Herſcheditz. 5) Serles. 6) Zoboles. 
7) Sichlau. 8) Paſſnau. 9) NRatiborz. 10) Lindſch. 11) Geffing. 
26 


— 596 — 


6. Georg Gipp, Fiichmeifter zu Udritfch ufn Schloßteuch fich Hören 
laffen: der Inſpektor jollte ihnen nur einen einzigen Mann wegnehmben, 
fie wollten ihm jchon kriegen, denn jie jtünden alle vor einen Mann. 

7. Georg Veytvon Stodh hat nebit andern den Senf, Wirthen 
von Zoboleß, geholet und beim Arm fortgerifjen. 

8. Hans Boppolen von Stodh ijt bei der Abholung des 
Richters von Lintjch mitgewejen; der mit zufchlagen und fo arg war, 
als die andern. Der dann au den Matthes Wuffka und andere 
abholen helfen. 

9. Martin Wufffa. ware nebjt dem Michael Khun der erfte 
Aufrührer geweſt, fo ihre Gerechtigkeit fuchen wollen. 

10. Hans Wirth wird von Georg Lein gravieret, daß er 
ihme befohlen zu jagen, fie wollen das Mevyerhöffiiche Gefinde alles 
wegnehmben. 

11. Michael Lohr wird von vielen Udritſchern gravirt, daß er 
herumgeloffen und fie aufgebotten. 

12. Salomon Böhmb von Geſſing hat die Trommel gefchlagen. 

13. Martin Beyer von Udritjch ijt über das Keyferliche Verbott 
zum legten mahl nachher Prag gegangen, welcher auch die Geldanlagen 
gemachet. 

14. Hans Karl von Stodh hat vor dem hiefigen Schloßthor 
bedrohet und dem Kornfchreiber ins Geficht gefaget: Was ift das vor ein 
Ned, daß er (scilicet der Inſpector) gejtern zu uns gejagt: DO! wer weiß, 
wer gewinnen, oder wembs reuen wird! 

15. Barthl Earl von Knönitz ſoll auch ſcharff geredet haben, 
das jaget fein Richter. 

16. Simon Schug von Knönitz uf Cenſch (?) geloffen, der 
dann die Poſten Hin und wieder getragen. 

17. Mathes Wagner, Ziegelichlager, hat die Mufterung verricht. 

18. Schmied zu Sihelam, Andreas Tauſch, hat Spieß 
gemacht. 

19. tem Chriſtoph Mehring, Schmied zu Udritjch, mit 
feinen Söhnen. 

20. Des Sternwürths Söhn haben Spießle gemachet. 

21. Jacob Hörtterich hat die Trommel geholet und zum Troß 
damit pravirt und gejchlagen. 


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22. Hans Balger Salkelder, Würth zu Udritjch, hat die 
Trommel vor Ludig geführt. 

23. Simon Podenftein von Udritfch hat die abgedanften 
Soldaten in der Nacht beherberget, wodurch die Bauern ihre Poſten 
bekommen. | 

Diefe Punkte jind ad perpetuam rei memoriam dem fchwarzen 
Gerichtsbuch beygetragen. Weillen aber Ihro hochfürftl. Durchlaucht wie 
ein oder der andere Delinquent ſowohl bey hießigen als andern hochfürftl. 
Aembtern zu bejtraffen feine gnädige Refolution dato ertheilet, alſo bleibet3 
His dahin fuspendiert. Spindler m. p. 8. ©. 


Sagen aus dem weftliden Böhmen. 
Bon Franz Wilhelm. 


2. Hans Adler und das Schottenbrünn!. 


Buchau jtand ehemals nicht an dem Plage, wo es heutzutage jteht, 
jondern breitete jich mit einer Anzahl von nahezu Hundert Häufern um 
die noch heute beftehende St. Jakobskirche jenfeits des Baches aus, welcher 
fih am Fuße des von der Ruine Hartenjtein gefrönten Schloßberges 
durch das reizende Wiefenthal dahin jchlängelt. 

Um jene Zeit führte auch eine Straße von Maria-Stod durch den 
Koppenwald zum jogenannten Schottenbriünn!, beim Götzenteich vorüber 
über das Mitnichbergel nah Buchau. Nahe beim Schottenbrünn’! jtand 
ein Kreuz. Hierher wurden von weit und breit Wallfahrten unternommen, 
denn das Wafjer des Brünnleins befaß nicht nur eine ausgezeichnete 
Heilkraft, jondern konnte auch durch eine andere myſtiſche Eigenjchaft einen 
unrechtmäßig Beichuldigten feine Ehre wieder geben; denn wenn ein Uns 
reiner aus dem Brunnen getrunken hatte, verjchwand das Waſſer jofort 
und erjchien erjt wieder nad) Sühnung der Schuld. 

Da war nun auch ein gewiljer Hans Adler aus Hartmannsgrün, 
welcher in Boftelberg in Dienften geftanden hatte, bejchuldigt worden, feine 
Stiefmutter mit ihren fünf Kindern umgebracht zu haben. Und da er 
jedwede Schuld hartnädig leugnete, wurde er gendthigt, zum Beweiſe 
feiner Unfchuld aus dem Brunnen zu trinken. Und fiehe da! Kaum hatten 
die erften Tropfen Waſſers feine Lippen benegt, jo war das Wafjer bis 
auf den Grund verjchwunden. Unzweifelhaft war hiermit feine Schuld 


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dargethan. Die Haut ward ihm für jeine doppelt frevelhafte That in 
Form von Riemen vom Rüden gefchnitten und hierauf der gejchundene 
Körper auf das Rad gebradt. Die Seele hauchte der Verbrecher erjt 
am Galgen aus. Alsbald erjchien auch das Waller des Schottenbrünn- 
leins wieder. 


3. Der Schabgrüber vom Aünichsbergel. 


Kaum einen Steinwurf weit vom Sclojje Hartenjtein, welches am 
Schloßberge ftand und jegt nur noch in feinen Auinen zu erbliden ift, 
entfernt liegt das fogenannte Münichsbergel. Darauf ftand vor Zeiten ein 
Klofter, deſſen Inſaſſen mit dem Schloßheren, dem Grafen von Plauen, 
im friedlichen Einvernehmen lebten. Ein unterivdiicher Gang verband das 
Schloß mit dem Klofter, um den Bewohnern des Erjteren in Zeiten der 
Bedrängniß ein rettendes Auskunftsmittel zu gewähren. Als der Graf 
einjtens hart von feinen Feinden bedrängt wurde, brachte er feine Schäße 
dur) den Gang in das Klofter und verbarg fie an einer ficheren Stelle, 
die jelbft den Mönchen unbekannt war. Der Graf aber fehrte auf dem- 
jelben Wege, den er gefommen, in das Schloß zurüd und ftarb dort den 
Heldentod mit al feinen Mannen; das Schloß aber wurde verbrannt. 

Längſt ſchon war auch das Kloſter verfallen und verborgen und 
vergeſſen lag der Schag noch immer, bis der alte Hufchfamüller nächt- 
licherweile darauf aufmerffam wurde. Allnächtlich Teuchtete nämlich von 
11—12 auf dem Münichsbergel ein Lichtlein, obwohl e8 doch befannt war, 
daß fich Feine menfchliche Wohnung dort befand, auch ſonſt die Stelle 
gern von den Leuten gemieden ward, da ja nicht einmal Gras an der 
Stelle wuchs. Es lag alfo nahe, daß hier ein Schag verborgen lag. 
Mit Haue und Schaufel ausgerüftet, machte ſich der Müller auf und 
ftand Schlag 11 Uhr am Miünichsbergel, um an der vom Flämmchen 
bezeichneten Stelle nachzugraben. Schon mochte er bald eine Stunde ge- 
wühlt haben, als plöglich aus der Erde ein heller Glanz empordrang, der 
ihn faft blendete und beim Einhauen des Werkzeugs ein Metallgeklimper 
vernehmbar wurde. Hinter ihm aber rief es: „Die Mühle brennt!” 
„Jeſus, Maria und Joſef!“ ſchrie der Müller und blickte Hinter fich. 
Kein Fenerjchein war bemerkbar, auch ſonſt hatte fich nichts Verdächtiges 
gezeigt, und der Müller wollte den gefundenen Schaß heben; allein alles 
war verjchwunden, und vom Buchauer Stadtthurme her erflang der 
Stundenſchlag zwölf. 


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4. Die vergrabenen Meßgewänder bei der St. Iakobskirdhe. 


Ein Buchauer Bürger hatte für den Fommenden Morgen‘ einen 
Adersmann auf fein Feld bei der St. Jakobskirche beftellt. Er machte 
auf und hielt es an der Zeit, auf das Feld zu gehen, um dem beftellten 
Adersmann die nöthigen Weilungen zu ertheilen; diejer aber hatte fich noch 
nicht eingefunden. In einiger Entfernung hörte er ein Rajcheln und fchritt 
darauf (08. Zu feiner Verwunderung jah er, was er früher nie bemerft 
hatte, ein Loch, in welchem Meßgewänder, Monftranzen, Kelche u. a. kirch— 
liche Geräthe zerjtreut herumlagen. Wie vom Thale herauf vernahm 
er jest ein Geräufch, ähnlich dem Rollen eines jchnell dahin fahrenden 
Wagens. „Hansgirg, da müßt Ihr herauffahren!” rief der Bürger gegen 
die Richtung zu, von woher das Rollen zu fommen fchien. In demfelben 
Augenblide aber war das Loch mit al’ den Gegenftänden verjchwunden 
und in Buchau ſchlug es zwölf. 


5. Der Sanzer Schinderhans in Buchau. 


Fahrt man (demn das Wandern ift in unferer Zeit zur Seltenheit 
geworden) die Xerarialjtvaße von Lubenz nad) Buchau, jo gewahrt man 
ſchon vom Weiten die faum eine Vierteljtunde jüdlih von Buchau auf dem 
Gipfel des Schloßberges thronende Ruine Hartenftein, welche, gleihfam um 
ihre malerifchen Reize zu verdeden, hinter zwei glodenfürmigen Kuppen 
hervorgudt, die wie ein Zwillingspaar an der linken Seite der Straße hin- - 
gelagert find. Doch trugen die beiden Geſchwiſter nicht immer jenes fried- 
liche, Schatten und Ruhe jpendende Gewand, wie jet. Denn ehemals jtand 
auf der der Straße näher liegenden und etwas höheren Kuppe der Galgen 
aufgerichtet, während die entferntere, niedrigere das Rad trug. Zwiſchen 
dem heutigen Buchau und den beiden Hügeln nahe bei den „vier Häufern“, 
wo die Bezirksitraße über Teltih und Koßlau nad) Theufing und Tepl 
führt, befand ſich der Richtplatz, wo geföpft wurde. Dort ftanden drei 
Kreuze, die erſt entfernt wurden, al3 man die Prag-Karlsbader Straße 
baute. Jenſeits der Bezirksſtraße, hart am Fußfteige nad) dem Dorfe 
Teltſch gelegen, ragen zwei den früheren ähnlich gelagerte Hügel empor, 
der eine Bürl (Bühl), der andere Brandling genannt. Am Fuße des Lep- 
teren jtand ein kleines Dörflein, Namens Dürmaul, in welchem fich zeit- 
weilig der durch feine Näubereien und Schandthaten befaunte und gefürd- 
tete Schinderhans aufhielt, der doc wohl auch wegen jeiner Meildthätigfeit, 


mit der er die Armen vom Gute der Reichen bejchenfte, unter jenen einige 
Freunde bejaß. In Dürmaul war es nun, wo man den mehr gefürchteten 
als beliebten Räuber mit Hunden aufgeſpürt hatte und ihn in das Bus 
Hauer Rathhausgefängniß brachte, um am nächſten Morgen das über ihn 
längft gejprochene ZTodesurtheil am Galgen zu. vollziehen. Doch der 
Schinderhans war im Befige des Geheimmifjes einer Zauberformel, duch 
deren Macht er alle Feſſel brechen konnte. Die Nacht hindurch hatte er 
ruhig geichlafen und erjt am frühen Morgen — doch noch vor Tages- 
anbruc; — entwijchte er aus dem Gefängniß und jchlenderte gleichgiltig in 
der Richtung gegen Bergles dahin. Leute, die ji) ſchon am Wege nad) 
Buchau befanden, um feine Hinrichtung zu ſehen, fragten den nachläſſig 
daher jchreitenden Mann, deu fie nicht Fannten — denn Schinderhans 
erjchien immer in anderer Tracht — warum er denn nicht in Buchau 
bleibe, um den Schinderhans hängen zu jehen? Dieſen gab er zur Antwort, 
daß der heute nicht gehängt würde, denn da müßte er dabei fein. Da 
man ihn aber an diefem Tage nicht gefangen, jo ward er auch nicht gehangen. 

Seinem längft von überirdifchen Mächten bejtimmten Schidjal follte 
er aber doch nicht entgehen, denn was für den Galgen bejtimmt ift, jtirbt 
in feinem Bett. Als er bald darauf in Folge jeiner Sorglofigfeit, bauend 
auf feine Zauberfprüche, wieder einmal eingebracht wurde, ward er in 
Ermangetung eines anderen Mitteld mit zufällig vorhandenem Lindenbajt 
gebunden, über dejjen Wirkung feine Zauberformeln feine Macht hatten. 
Der Schinderhans fam auf den Galgen, und feine irdischen Reſte erhielten 
gleich den Leibern der übrigen Verbrecher ihren Ort am Armenjinderfelde 
nächſt dem Kralenteiche beim Domajchlagberge gegen Bergles. 


Sagen über Friedland und Umgebung. 


Mitgetheilt von Ferdinand Thomas in Taunwald. 


Bon Böhmen reichen im Norden zwei Zipfel in das deutjche Reich 
hinein; im öftlichen derfelben liegt die Stadt Friedland, die durch 
Wallenſtein Weltberühmtheit erlangt hat. Alljährlich fommen Hunderte 
von Fremden aus Defterreih und Deutichland in die Stadt, um dem 
Schloſſe des großen Friedländers einen Bejuch abzuftatten. 

Friedland — zum Unterjchiede von Orten gleichen Namens auch 
„Sriedland in Böhmen" genannt — liegt am Zufammenflujje der 
Wittig und Nasnig und ift feit 1875 Station der ſüdnorddeutſchen 


— 401 = 


Verbindungsbahn. Hier iſt der Sig einer k. k. Bezirkshauptmannſchaft, 
eines k. k. Bezirksgerichtes und anderer Aemter. Die Zahl der Einwohner 
beträgt gegen 5000. Dieſelben ſind Deutſche und beſchäftigen ſich vor— 
zugsweiſe mit Kleingewerbe und Feldbau, doch finden viele auch in den 
hier beſtehenden Fabriken Beſchäftigung. 

Von hervorragenden Gebäuden ſind das Schloß, die Decanalkirche 
und das Rathhaus beſonders zu erwähnen. Entſtanden iſt Friedland vor 
ungefähr jechshundert Jahren, wahrſcheinlich während der „kaiſerloſen 
Zeit" im Deutjchen Reiche. Erwiejen ift, daß der dem Deutjchthume zu: 
gethane Böhmenkönig Przemysl Ottofar II. das Schloß Friedland den 
urfprünglichen Befigern, den Herren von Michelsberg, entriß und 
es im Jahre 1278 (am 7. Feber) „mit allen Nechten und Zugehörungen“ 
um 800 Mark Silber dem deutjchen Freiheren Rudolf von Biber: 
ftein verkaufte. Das Gejchlecht der Biberfteine herrjchte über Friedland, 
zu dem auch die Städtchen Neichenberg und Seidenberg gehörten, bis zum 
Jahre 1551. Kaifer Ferdinand J., zugleich König von Böhmen, verkaufte 
es dann am 1. Amil 1558 an das deutſche Adelsgeſchlecht derer von 
Rädern. Bei dieſem blieb es bis nach ter folgenfchweren Schlacht am 
Weißen Berge bei Prag (1620). 

Kaiſer Ferdinand II. verfaufte hierauf im Jahre 1622 die confis- 
cirte Herrschaft Friedland nebjt vielen andern an Albreht von Wald- 
ftein, deſſen Bejigungen einige Jahre jpäter zum „Herzogthum Fried- 
land" erhoben wurden. Nach Wallenfteins Ermordung (am 25. Feber 1634) 
fam dann Friedland an den Grafen Mathias Gallas, deſſen Nach— 
fommen bis 1759 die Herrichaft bejaßen, worauf fie Eigenthum der 
Grafen Clam-Gallas wurde, die fie noch heute inne haben. 

Reich ift das alte Friedländer Schloß und deſſen Umgebung an 
Sagen. Es fei uns geftattet, eine Anzahl derjelben Hier mitzutheilen. 


1. Die Entkehung von Friedland. 


Die Erbauung des Thurmes Indica. 


Bor taufend Jahren war die weite Gegend, in der jegt Friedland 
liegt, nody von dichten Wäldern bededt. Nur felten fam ein Fremder in 
diefe Wildniß, in welcher reißende Thiere, wie Wölfe, Bären, Eber und 
andere hauften. Gefchah es aber doch einmal, fo verivrie fi) gewöhnlich 
der Wandersmann, oder er wurde eine Beute der wilden Thiere und der 
umberziehenden Ritter vom Stegreif. Deshalb ließ der Befiger der Land- 


—— 


ſchaft im Jahre 1004 mitten im Walde einen hohen Thurm zum Schutze 
und Wegweiſer errichten, der den Namen Indica oder Inder (d. i. 
Wegmeifer) erhielt. In demjelben wohnte ein Wächter, welcher die Fremden 
bewirthete und ihnen die wünjchenswerthen Auskünfte ertheilte. 


Der Urfprung des Namens „Kriedland”. 


Einst geihah es, daß den Thurm Indiea ein Wächter bewuhnte, der 
fieben Söhne hatte. Zur Taufe eines jeden hatte er den Grundheren zum 
Bathen genommen. Diefer hatte wieder jedem Pathenfinde eine Hube 
Waldland zum Gejchenfe gemacht. Als nun die Söhne erwachjen waren, 
machten fie das ihnen gejchenfte Land urbar und bauten Häufer darauf. 
Das waren die erjten Häufer der Stadt Friedland. 

Noch hatte aber damals der Feine Ort feinen Namen. Da gejchah 
e3, daß zwei von den fieben Brüdern, die lange miteinander uneinig ge: 
wejen waren, fich wieder verfühnten. Aus Freude hierüber wurde die An- 
fiedlung „Friedland“ genannt. 

Andere erzählen, daß ſich einjt ein ſächſiſcher Prinz in diefe Wald- 
einfamfeit flüchtete. Derjelbe hatte ſich nämlich mit einer Jungfrau von 
bürgerlicher Abkunft vermählt und wurde deshalb von jeinem Vater ver- 
folgt. Erſt nad) Fahren legte ſich des Vaters Ingrimm, und der Prinz 
durfte erſt jegt wieder in jein Heimatland zurücfehen. Bor der Heimkehr 
aber gab er der Eleinen Anfiedlung, in der er fich jo lange aufgehalten 
hatte, zur jteten Erinnerung den Namen „Land des Friedens", woraus 
jpäter „Friedland“ entjtanden ift. 

Der Gefchichtsfchreiber von Friedland und Neichenberg, P. Rohn, 
erzählt dagegen in feiner Chronif (auf Seite 20) Folgendes: „Den Namen 
Friedland haben diefem Ort die Herren Berfen von der Eihe?) 
darum beigeleget, weil ihrer Vorfahrer Berkowetz Herr zu Drzewitz die 
Polen durch Kriegslift aus Prag und ganz Böhmen vertrieben und hiemit 
Fried im Lande gejtiftet hat, auch darum vom Kaifer zum andern 
Heren in Böhmen erfläret worden und von denen böhmifchen Herzogen 
den Bunzlauer Kreis gejcheufet befommen hat. Conveniunt rebus no- 
mina saepe suis. 

Der Name mit der That 
Oft ein Gleichnuß hat.“ 


1) Die Herren Berka wurden früher irrthümlich als Herren von Friedland ge— 
nannt; erft Dr. Hermann Hallwich hat den Irrthum aufgeklärt. 


— 0 


2. Wie die Bafaltfänlen am Friedländer Schloßberge entſtanden find. 


Bei dem Thurme Indica wurde um die Mitte des 13. Jahrhunderts 
eine feſte Burg erbaut, die heute noch wohlerhalten ift. Diefelbe fteht auf 
einem 55 Meter hohen Bajalthügel, der nur von der Nordjeite zugänglich), 
an feiner übrigen faft runden Umgebung wegen der aufrechtitehenden Ba: 
faltfäulen und jähen Abjtürze nicht zu erflimmen if. Die Säulen des 
Schwarzen Gefteins haben namentlich an der Südoftfeite herrliche Formen, 
und die ganze Felswand fieht einem gefurchten Felde nicht unähnlic). 

Das Volk erzählt, daß einft in der Burg ein Nitter wohnte, der 
ein Tiederliches Leben führte. Einmal kam ein Fremder auf die Burg 
und bat um Nachtherberge. Gern wurde fie ihm gewährt, aber er mußte 
dem Ritter mit Spiel die Zeit vertreiben helfen. Hiebei verlor aber der 
Nitter ungeheure Summen Geldes, jo daß er darüber jchon in Zorn ge- 
rieth. Grimmig lachte er zulegt auf und rief: „Ha, was liegt an diejem 
Gelde! Ich bin ja doch der Burgherr von Friedland, und den Mauern 
meines Schloſſes kann niemand, jelbjt der Teufel nicht, etwas anhaben!" 

Der Fremde aber erwiderte: „Herr, Ihr irrt Euch! Noch in diefer 
Nacht will ich in die Felswand, auf der Euere Burg fteht, mit einem 
Pfluge Furchen ziehen!" 

„Wenn Ihr das könnt,“ Sprach der Nitter, „jo will ich Euer 
Sclove fein.“ 

„Euer Wort gilt," antwortete der Fremde. 

Und nun entlud fich über der Burg ein furchtbares Gewitter; Blitz 
folgte auf Blig, Donner auf Donner. Die Bewohner der Gegend dachten 
nicht anders, als es ſei der jüngfte Tag über fie hereingebrodhen. 

Der Fremde war während des Unwetters aus der Burg verjchwun- 
den, den Ritter wieder hatte ein Blitz todt niedergeftredt. Die Diener aber 
fahen beim Leuchten der Blige mit Entjegen, wie der Fremde mit einem 
von zwei Rappen bejpannten Pfluge in die Felswand gewaltige Furchen 
aderte. 

Am nächſten Morgen erblidte man deutlich die Furchen in dem 
Bajaltfelfen. Es war nun ohne Zweifel, daß der Fremde der Teufel 
geweſen, und daß der Ritter diefem verfallen war. 


3. Der Stößelfein. 


Einft lebte im Schloffe zu Friedland ein Ritter, deſſen Gemahlin 
finderlos war. Alltäglich Flagte fie dem Himmel unter Thränen ihr Leid. 


u. 


Endlich fand fie Erhörung und jchenkte ihrem Gatten ein Knäblein. Darob 
herrſchte im Schlofje großer Jubel bei alt und jung, nur ein altes Weib 
bezeugte feine Freude darüber. 

Diefe Alte hatte der Herrin einmal gevathen, jie jolle, wenn fie der 
Himmel nicht erhöre, von der Hölle Hilfe begehren. Damals hatte die 
Herrin ihr aber fein Gehör gefchenft, und deshalb mied die Alte auch 
fortan das Angeficht derjelben. 

Eines Tages nun jchlich fie jih in einem unbewachten Augenblide 
herbei, viß das Kind an fich, ftürzte mit ihm hinaus aus dem Gemache, 
lief wie rajend die Treppen empor, von Gang zu Gang, bis fie endlich 
zu dem Steine gelangte, den der Erbaner des Schlofjes einft von dem 
Feljen mitgenommen hatte, auf dem feiner Väter Burg gejtanden, und 
den er zum Gedächtniffe hier hatte einjegen laffen. An diefen Stein nun 
jtieß fie in ihrem Wahnfinne des Kindleins Kopf, worauf fie jich jelbjt 
vom Söller hinabjtürzte. | 

Des Ritters Schmerz war groß; der Mutter reichte man ein anderes 
neugeborenes Kind, und erſt als eine Neihe waderer Söhne und Töchter 
jenem unglüclichen Erftlinge gefolgt waren, erzählte man ihr die Trauer- 
funde, welche fie nie wieder froh werden ließ. Der Stein, an dem das 
Kind getödtet wurde, befindet fich noch heute im Gange des zweiten Stod- 
werfes der alten Burg und wird der „Stößelftein" genannt. 


4. Das alte Städtchen Friedland. 


Am nördlichen Abhange des Schloßberges entjtand ſchon im 13. 
Jahrhunderte ein Städtchen, das mit hohen Ningmauern umgesen wurde, 
von denen heute nur noch wenige Reſte ftehen. Wie erzählt wird, follen 
die Arbeiter bei der Aufführung der Mauern ein Viertel Getreide er- 
halten haben. 

Das Städtchen hatte auch frühzeitig eine Kirche oder eigentlich eine 
Capelle zu Ehren der heiligen Barbara. Die Sacriftei der jebigen De— 
canalfirche wird vielfach für die erjte Kirche gehalten. 

Unter den Bewohnern, die von allem Anbeginne her deutjch waren, 
ſollen fich auch friiher viele Juden befunden haben, die einen eigenen 
Tempel hatten; noch heute heißt ein -Stüd Ader im fogenannten „rothen 
Grunde” beim Schügenhaufe der „Judentempel". 

Zur Stadt gehörte in alter Zeit ein noch größerer Complex von 
Feldern, Wiefen und Wäldern als heutzutage. So war früher aud) die 


— 405 — 


jogenannte „Harte”, eine Waldung unterhalb der Stadt am rechten Wit- 
tigufer, Eigentum der Bürgerjchaft. Da gefchah es, daß einft ein Bilr- 
germeifter einen Befiger des Scloffes, vielleicht um ſich bei ihm einzu- 
jchmeicheln, zum Geburtstage auf einem Teller einen Reijigzweig zum 
Geſchenke brachte und damit die „Harte an die Obrigkeit abtrat. Die 
Bürgerfchaft war aber mit diefer Handlung ihres Oberhauptes nicht ein— 
verjtanden. WS der Bürgermeifter vom Schloſſe in die Stadt herab- 
fam, wurde er überfallen und getödtet. Zur Erinnerung wurde in der 
„Harte“ ein Kreuz errichtet, das aber jet nicht mehr dort zu finden ift. 


5. Bwei Gnadenorte, 


Die meijten Ortjchaften der Friedländer Gegend befiten ein hohes 
Alter. Faſt in allen Dörfern, wo heute Kirchen ftehen, befanden jich 
ſchon im Jahre 1346 Pfarrkirchen. Die ältefte Kirche in der Gegend 
foll die in Lusdorf fein. Bei der legten Renovirung derjelben joll 
man an einem Bogen die Jahreszahl MCXXIV (1124) gefunden haben. 
Bis zur Neformationgzeit war Lusdorf aud ein berühmter Wallfahrtsort. 
Ulrich IV. von Biberftein erwirfte für die Lusdorfer Kirche einen Hundert- 
tägigen Ablaß. (Brief, ddto. Rom 1488 den 15. Jänner, vom Bapjt 
Sunocenz VII.) Die Urkunde wird im Pfarrarchive zu Neuftadtl, wohin 
Lusdorf feit der Reformation als Filialfircbe gehört, aufbewahrt. 

Ein noch heute ſtark befuchter Wallfahrtsort ift Haindorf. Wie 
erzählt wird, träumte einft einem Maune, dejjen Weib jchon lange krank 
war, er folle ein Muttergottesbild an eine Linde hängen und feine Frau 
würde wieder gefund werden. Der Mann begab fi nach Zittau, Faufte 
dort um fieben Pfennige ein Marienbild und hing es daheim an einem 
ſchönen Lindenbaume auf. Richtig wurde nun auch das Franke Weib 
gejund. ALS dies Wunder befannt wurde, ftrömten die Leute ſcharenweiſe 
zum Gnadenbilde, und ſchon im %. 1211 follen die in der benachbarten 
Lauſitz begüterten Herren von Biberftein um jene Linde eine Capelle er- 
baut haben, die jpäter im Jahre 1252 wegen des großen Menjchen- 
andranges erweitert wurde. Der Hochaltar der jegigen Klojterficche in 
Haindorf foll genau an der Stelle der erwähnten Linde ftehen. Im 
Jahre 1350 wurden die Wallfahrten nach Haindorf wegen des ungeheuren 
Zulaufs Iandesfürftlich verboten. Später fam die Kirche durch auffällige 
Wunderthaten abermals zu großem Anjehen. | 


Zr A: 


6. Raubritter im Friedländiſchen. 


Bor vielen Jahrhunderten hauften der Sage nah in der Gegend 
von Friedland Raubritter. Namentlich werden uns zwei Stellen als Auf- 
enthaltsorte derfelben genannt. Die eine ift die fogenannte Feenzhöhle 
in der Harte, die andere der Gebirgsjtein am Fuße des Hemmrich- 
berges. In der Feenzhöhle wurden regelmäßig die VBerfammlungen abge 
halten; von dort foll auch ein unterirdiicher Gang bis ins Rathhaus 
führen. Auf dem Gebirgsfteine hatten die Raubritter einmal eine ge- 
raubte Jungfrau zu ihrer Bedienung. Ale Tage mußte fie zur Stadt 
gehen, um von dort die mothwendigen Lebensmittel zu holen. Einmal 
verrieth fie aber bei einem folchen Gange dem Bejiter des Yriedländer 
Schloſſes den Aufenthalt ihrer Peiniger. Damit er den Ort befjer fände, 
jtreute fie auf dem Heimwege vom Schlojje bis zum Gebirgsjteine Bohnen. 

Bald kam auch der Herr von Friedland mit feinen Mannen vor 
den Berg gezogen. Sofort erriethen die Räuber, wer ihren Aufenthalt 
verrathen haben fünnte, und fie wollten nun die Jungfrau tödten. Dieſe 
aber entfloh ihnen und ftürzte auf der Flucht in einen Abgrund, wo fie 
zerjchmettert den Geift aufgab. Der Abgrund heißt bis zum heutigen 
Tage der Jungfernſprung. Der Gebirgsftein ſelbſt aber wurde 
damals erorbert, und die Räuber fanden insgefammt den Tod. 

Bei dem Berge befindet fich eine Höhle, worin in einer Wand eine 
goldene Schüſſel, aus welcher die Raubritter gegefjen haben, und ein 
Schwert liegen follen. 


Wittheifungen der Gaſchäftsleitung. 





Aufruf. 


Der Bevölkerung Böhmens gereicht es zum unvergänglichen Ruhme 
ſich aus dem wirthichaftlichen Elende nach dem dreißigjährigen Kriege zu 
einer fruchtbringenden Thätigfeit aufgerafft und in der Zeit nach dem 
Berlufte des induftriereichen Schlefiens im vorigen Jahrhundert Wohlitand 
und ökonomische Geltung erlangt und zur Stärkung der politischen Kräfte 
und des Anfehens der Monarchie vor andern Ländern der Krone beige- 
tragen zu haben. Ebenſo unanfechtbar wie diefe Thatfache ift auch die 
Wahrnehmung, daß es in vorderjter Linie die Deutſchen gemejen 


— 407 — 


find, welche bei diejer wirthichaftlichen Regeneration die Führung nahmen 
und behielten. 

Die Einzelheiten diefes wichtigen hiſtoriſchen Proceſſes find uns 
aber noch zumeijt verjchlofjen, und doch ift es eine Sache der Ehre der 
Deutjchen in Böhmen, ihre eigenfte hiſtoriſche That genauer zu jtudieren 
und darzulegen. Auf Anregung eines unjerer Vereinsgenofjen, eines ge- 
lehrten Hiftorikers, ergeht darum unſer Appell an unfere geehrten Mit- 
glieder vornämlich in den gewerbethätigen Gegenden Böhmens, fie wollen 
zu einer umfaſſenden Gejchichte der Induſtrie in Böhmen feit 1648 mit- 
wirken, indem fie den in den Archiven und Regijtraturen der Gutsherrichaften, 
Fabrifen und anderwärts befindlichen Quellenmaterial, d. i. gleichzeitigen 
Aufzeichnungen über Gründungen induftrieller Etablifjements, über die 
Perjönlichkeiten der Unternehmer, über Capital und Abſatz der Fabriken, 
über Fabrifsmethoden, über die BVerhältniffe der Arbeiter und ihrer 
Löhne u. ſ. w. nachforſchen und an die Leitung unferes Vereines liefern. 
Die Archive und Regiftraturen der Gutsherrichaften, Fabriken u. ſ. f. 
dürften noch viele ungehobene Schäge in diefer Richtung enthalten. Es 
it nicht zu zweifeln, daß deren Eigenthümer dem Töblichen Beginne mit 
Sympathie entgegenfommen werden ; handelt es fich doch auch darum, die 
Berdienfte ihrer Vorgänger der Vergefjenheit zu entreißen. Wir wollen 
unfere Aufgabe nicht bloß auf die beiden großen Zeiträume von 1648 bis 
1748 und von da bis 1792 bejchränfen, es werden uns auch Daten 
erwünfcht fein, die bis zur Gegenwart reichen. Sollte der Einjendung 
von Originalhandfchriften, um fie hier copiren- zu lafjen, oder von Ab- 
Schriften Schwierigkeiten unterliegen, fo wirde der Verein ſich auch mit 
der bloßen Angabe von dem Norhandenfein quellenmäßiger Aufzeic)- 
nungen über induftriegefchichtlihe Dinge begnügen und die betreffenden 
Documente eventuell ſelbſt an Ort und Stelle copiren laffen. Aus diejen 
Beiträgen würde in verhältnigmäßig kurzer Beit ein Archiv der deutjch- 
böhmischen Induſtrie erwachfen, von dem in dieſen Blättern immer 
wieder Mittheilungen gemacht werden würden, und fpäter könnte zu einer 
wifjenfchaftlihen Bearbeitung der Sammlung durch geeignete Kräfte 
gefchritten werden. 


Prag, am 1. Mai 1887. 
Der Ausſchuß. 


— 48 — 


An die geehrten Bereinsgenoffen. 


Der Ausschuß hat den Beſchluß gefaßt, den in diejes Jahr fallenden 
fünfundzwanzigjährigen Beitand unferes Vereines durd die Einberufung 
einer außerordentlichen Bollverfammlung zu feiern, anf deren Tagesord- 
nung die Berichterjtattung über die fünfundzwanzigjährige VBereinsthätigfeit 
und die Wahl von Chrenmitgliedern gejett wurde. 

Wenn der Ausſchuß dieſe Feſtfeier des Vereines in jo engen Grenzen 
zu begehen gedenkt, fo ſah er ſich hiezu durd die Erwägung veranlaft, 
daß die dermaligen politiihen und nationalen Verhältuiſſe und nur zur 
ernten gewilienhaften nationalen Arbeit mahnen, aber keineswegs geeignet 
find, eine frendige Stimmung zur Abhaltung eines prunkvollen Feſtes zu 
erzeugen. 

Die Feitverfammlung findet am 11. Juni d. J. Abends um 7 Uhr 
im Spiegeljaale des Dentihen Hauſes ftatt, und ergeht an unjere Mit- 
glieder hiemit die Einladung zu zahlreidem Beſuche. 


Der Bibliothek wurden werthvolle Gejchenfe übermacht: 

Bom Herrn Phil. Dr. &. Biermann, Schulrath, k. k. Gymnaſial—⸗ 
Profejjor in Prag und von dem Herrn Phil. Dr. Karl Schenfl, kaiſerl. 
fönigl. Hofrath und Univerſitäts-Profeſſor in Wien. 


Nachtrag zum Verzeichniß der Mitglieder. 
Geſchloſſen am 28, April 1887. 


DOrdentlide Mitglieder: 
Herr Feiler E., Director der Dynamitfabrif in Zamky bei Noftof. 


» Goldmann Julius, Dr. Advocat in Warnsdorf. 
„Rieger Yuftin, Apotheker in Warnsdorf. 


DE jene Herren Mitglieder, denen das legte Heft der Mit: 
theilungen durch einen Zufall nicht zugeitellt worden fein follte, werden 
höflichſt erfucht, dasfelbe bei der Gefchäftsteitung (Aunaplatz 18S—I) 
gütigft reclamiren zu wollen. ag 


— — — — — 


"8. rt. Hofbuchdruckerei A. Haaſe, Prag. — Selbſterlag. 


Literariſche Beilage 
zu den Mittheilungen des Vereines 


für 


Geschichte ler Deutschen in Bähmen, 





XXV. Jahrgang. I. 1886/87. 








Anton Gindely: Waldftein während feines erſten Generalates im 
Kichte der gleidyzeitigen Quellen 1625—1630. Zweiter Band. Prag 
und Leipzig, Tempsfy und Freytag 1886. 


Das erſte Gapitel beipricht die Kapuzinerrelationen des P. Mlerander von 
Hales, eines diplomatischen Agenten, dev in Prag mit einer „Personaggio grande* 
in Verbindung trat. Die Beſchuldigungen Wallenftein’3 durch diefe Perfönlichkeit hat 
Schebeck ſchon abzuſchwächen verfucht, aber Gindely widerlegt dies und hält den 
Fürften von Lobkowis für diefe Perfönlichkeit, Aretin und Hurter halten Slawata 
dafür, und Gindely ſucht diefen allerdings ſchwierigen Punkt zu erweifen. Im zweiten 
Gapitel behandelt Gindelv die Verfprechungen des Kaiſers bezüglich einer theilmeijen 
Entlaffung feines Kriegsvolkes. Der Convent in Bingen bezog ſich nad der Propofition 
des Mainzer Kanzlers Metternich auf Wallenftein’3 gefährliche Anjchläge, und Kur— 
fürſt Marimilian zweifefte felber fchen, daß der Kaiſer des Herzogs mächtig fer. Es 
wurde aber jest auf Befehl des Kaiſers mit der Entlaſſung eines Theils der Truppen 
Ernſt gemacht. Das dritte Capitel: Waldftein’s Thätigfeit in Norddeutſchland während 
des Jahres 1628 und das vierte Capitel: Die Lübeder Friedensverhandlungen, erflären 
die Urfachen, die den Katfer zu fo großer Nadhgiebigfeit zwangen. Die Oppofition 
der Pigiften, die Beſorgniß vor Schweden wendeten Wallenftein’3 ganze Aufmerkſamkeit 
auf fih. Das fünfte Capitel jchildert Die fteigenden Leiden der Mark Brandenburg. 
Alle Zufagen Wallenftein’3 hatten ſich al3 eitel erwiefen, In die Berabjchiedung des 
faiferlichen Siriegsvolfes war im Herbſt wieder ein Stillftand eingetreten. Branden— 
burg und die Liga befchwerten fich heftig; am Ligatag zu Heidelberg (jechites Capitel 
1629) wurden die Friedensforderungen energiich betont und über die Gewaltthaten 
des Kaiferlichen Kriegsvolkes geklagt; trotz diefer Oppofition der Katholifen gegen das 

1 


—— 


Wallenſtein'ſche Heer beutete der General die beſetzten Quartiere in gewohnter Weiſe 
aus, befonders hatte Wallenftein e3 auf Magdeburg abgefehen (fiebentes Capitel), 
ichloß aber doch einen Ausgleih unter Bedingungen, die für Magdeburg fehr günftig 
waren, nicht ohne feine fcharfe Oppofition gegen dad vom Kaifer ertheilte und von 
der Liga heiß erjehnte Reftitutionsedict zu äußern. Wallenftein billigte dasfelbe nicht 
(achtes Eapitel: Wallenftein und das Weftitutionsedict); feine Stellung zu den 
Protejtanten war immer freundlicher geworden. Nicht die Religion, fondern die 
Befriedigung feines Chrgeized lag ihm am Herzen; died war ihm Zweck, alles 
Andere nur Mittel, Capitel neun zeigt die Stellung, welche Wallenftein gleich 
anfangs zu dem Mantuaniſchen Succeffiongftreit einnahm. Er weigerte fih an ben 
italienischen Händeln Antheil zu nehmen, mußte aber dody ein Armeecorps dahin 
abgehen laffen; er hatte ficy nicht mit Umvecht gegen die Erweiterung bes Kriegs: 
fchauplates gewehrt. Der Convent der Liga in Mergentheim wollte auf die Ent: 
laffung Wallenſteiu's und auf die Revifion des Medlenburger Proceffes dringen, aber 
Marimilian feste alle Hoffnung auf einen Kurfürjtentag, da der Sailer an eine 
Scmälerung der Machtvollkommenheit Wallenftein’s dachte (zehntes apitel: Die 
Vorbereitungen zum Kurfürftentag zu Regensburg). Wallenftein ſchlug Marimilian 
eine perfönliche Zufammenkunft vor, die diefer nicht annahm. Das eilfte Capitel: 
Die Abjegung Waldſtein's erzählt diefen Act, der mit möglichfter Schonung geſchah. 
An näheren Nachrichten über Wallenftein’s Verhalten während der Tage, die feiner 
Abſetzung vorangingen, fehlt es; der Kanzler Werda und Hoffriegsrath Queftenberg 
waren damit beauftragt. Wie Wallenftein die Nachricht von feiner Abjegung aufnahm, 
fann man gleichfall$ nur vermuthen. Der zweite Band faßt im lesten Capitel das 
Refultat der in den beiden enthaltenen Forihungen überfichtlich zufammıen. Mau muß 
gejtehen, daß diejes Schlußcapitel eine gerechte Würdigung des Feldherrn ift. Sie gibt 
ein Scharf umriffenes Bild und verjchweigt zu den Schattenfeiten nicht die Schlag: 
lichter und die anderen Umftände, die das aus Wallenftein machten, wa3 er geworden 
ift. Gindely befpricht und faßt in zwölf Punkten die unbeftreitbaren Ergebniſſe der 
Forſchungen zufammen: Iruppenzahl, Charakter des Heeres, die Contributionen und 
Erprefiungen der Officiere und Soldaten, die mangelhafte Disciplin, Wallenftein’s 
Entlohnung und Lebensweile, feine langjame Kriegsführung und fein Verhältniß zur 
Liga, jeinen dominirenden Einfluß, feine ehrgeizigen Pläne und die Verdächtigungen 
des Kaiſers, Wallenftein’S ehrgeizige Pläne und feine Beſtechungen. Zulegt werden 
die Bemühungen, jeinen Sturz herbeizuführen, erörtert. Man wußte in Wien nichts 
Beitimmtes über die Quartiere und über die Stärfe de3 Heeres und kannte nicht 
einmal die Namen aller Oberften. Gindely ſchätzt die Durchſchnittszahl des Heeres 
während der Zeit von 1625—30 auf circa 80,000 Mann ohne Troß. Dieſe Armee 
beitand mehr aus Proteftanten als aus Katholifen, die Mehrzahl der Regimenter 
war von Proteftanten commandirt. Uebrigens war die Religion Wallenftein eine 
nebenjächliche Angelegenheit, ev wollte beide Parteien für feine Zwecke ausnützen. 
Wallenſtein ließ ſich Eontributionen in unglaublicdyer Menge zahlen; zahlreiche einzelne 
Angaben beweijen die Wahrheit diefer Beihuldigung. Die regelrechten ausgejchriebenen 
Gontributionen mögen wohl hingereicht haben, um den Officieren und Soldaten ihre 
Zahlungen zu fihern, wöchentlich 200 Thaler für den Oberften und 50 Thaler für 
den Hauptmann. Tilly behauptet nun, daß fih unter den Officieren fehr wenige 
befanden, die jich nicht wöchentlich von den Contributionen 1000-2000 Thaler, die 
Rittmeiſter aber 400, die Hauptleute 200—400 zu Nuten gemacht hätten. Die Oberften 


er 2} a 


forderten von den Orten, wo fie ihre Werbungen anftellten, das Vierfache von den 
Koften für diejelben und für die erjte Nusrüftung, dazu erhob man die Contribution 
für das ganze Regiment vom erjten Tag der Werbung an, während noch nahezu 
feine Mannjchaft vorhanden war zc. ꝛc. Dieſes Benehmen der höheren Officiere übte 
and) feine demoralijirende Wirkung auf die Soldaten, die zur Gewalt griffen. Selbft 
den Faijerlihen Erblanden blieb die traurige Belanntihaft mit diefem Heerweſen 
nicht erjpart. Gindely behauptet ferner, es jei eine landläufige Tradition, daß 
Wallenftein ftrenge Disciplin verlangt habe von feinen Beamten und Dienern wohl, 
für ihm ſelbſt war aber feine ftrenge Inftruction ein todter Buchftabe; er ließ 
wenigſtens jpäter den Dingen ihren Lauf. Die Erprejlungen und fonjtigen Schand- 
thaten ftrafte er jelten. Da er diefen Räubereien ruhig zujah, begnügte er ſich aud) 
nicht mit dem Sold, fondern nahm einen Theil der Beute für jih in Auſpruch; 
jein glanzvolles Auftreten Eoftete viel Geld, ein bedeutender Theil der Contributionen 
fam dem Kaifer nicht zu, und Wallenftein wußte ftet3 Hinfichtlicy augeblicher Vor— 
Ihüffe, an die man in Wien nicht glaubte, fic) ſchadlos zu halten. Gindely meint, 
in Bezug auf Deutichland darf man Wallenftein nicht mit zu ftrengem Maßſtab 
mejlen, in Böhmen aber habe er ſich durd) jeine Betrügereien an dem Kaiſer und 
bezügliy des Smiricky'ſchen Vermögens ein Brandmal aufgedrüdt. Bedenkt man 
nun dazu die geringen Xeiftungen mit einer jo großen und fo theuren Armee, bedenkt 
man, daß er ſich nie um ein harmoniſches Einvernehmen mit Tilly bemühte, daß er 
den Krieg nicht raſch zu enden juchte, daß er den Ligiften gegenüber ſich zu feinem 
anftändigen Benehmen verpflichtet fühlte, daß er pflichtvergejfene und meineidige 
Officiere von den Kigiften zum Schaden der eigenen Heeresdisciplin aufnahm, jo 
jtehen derlei Leiftungen in feinen Verhältniß zu den aufgewandten Mitteln; er 
fühlte ji eben als alleinigen Herrn; ftufenweife hatte er dieje gefährliche Höhe 
erfionmen, Die nftructionen waren ficher nicht die Urfache diefer Ueberhebung. 
Über in jeinem Verhältniß zum Kaifer lag der Grund, warum Wallenftein über die 
Grenze, die ihm gezogen war, ſchritt. Man wußte in Wien, daß dad, was er durch 
Eontributionen bejtritt, feine VBorjhüffe waren, aber man konnte ihn nicht aus feiner 
Stellung entlaffen, um die Heeresmaſchine nicht in ihrem Gange zu ftören; jo fühlte 
ih Wallenftein al3 Herrn des Heeres: „Das Heer gehört mir, und wie idy es allein 
zuftande gebracht habe, jo will ih aud) nach meinem Belieben darüber verfügen.“ 
Um diejelbe Zeit (1626) überwarf ſich Wallenftein mit Collalto, der nicht ermangelte, 
in Wien über ihn zu Hagen. Es fam freilich dann die Unterredung Wallenſtein's 
mit Eggenberg in Brud, in Folge deren Wallenjtein’s Einfluß thatſächlich erhöht 
wurde, Der Kaifer hatte fein Vertrauen zu ihm noch nicht verloren, er gab ihm 
Medlenburg und erweiterte feine Vollmachten. Sogar der Kaijer wurde wegen ber 
Uebergewalt Wallenftein’g verdächtigt, als wolle er die kaiſerliche Auctorität auf 
eine feitere Grundlage ftellen; aber der Kaiſer dachte nicht daran, die Freiheiten 
der deutſchen Fürften zu beſchränken oder die Succeflion anders als in herföümmlicher 
Weile zu ordnen, was aud) die Neichsfürften wußten, die ihre Klagen nur gegen den 
Feldhauptmann erhoben. Sah man anfangs in diefem uur einen Volljtreder kaiſer— 
licher Verfügungen, jo beſchuldigte man ihm zulegt des Strebeus nach umfajjender 
Herrſchaft. Gindely bringt eine Menge gewichtiger Ausjagen bedeutender Perſön— 
lichfeiten für dieſen Verdacht bei (369 fg.) und glaubt (©. 375), Wallenftein wäre 
auch gegen jeinen Willen zu diefem Ziele Hingedrängt worden, weil die Reichs— 
vicare im Falle des Todes des Kaijerd fonft fein Verderben herbeigeführt hätten, 
1* 


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PR (pe 


Die Gegner behaupteten, er habe durdy Beftehungen einflußreihe Perſönlichkeiten 
gewonnen, die ihn hielten, und Gindely meint, daß died auf verläßlicdhen Mit: 
theilungen beruhe. Endlich gelang es den Bemühungen der Ligiften, feine Abjegung 
herbeizuführen. „Er fiel unbedauert von der erreichten Höhe, weil er die Stüßen 
abgebrochen hatte. Die Documente, die aus dem Staub der Archive aus Tages: 
licht treten, dulden Feine Slorificirung mehr; indem fie und Wallenftein in feinem 
wahren Welen ericheinen laffen, fchwindet fein moraliicher Nimbus und es bleibt 
nur der harte Gewaltmenſch übrig, Nie und nimmer wird man abftreiten fünnen, 
daß der unfäglihe Sammer, mit dem der 30jährige Krieg Deutſchland erfüllte, zur 
Hälfte jeine Schuld ſei.“ Mit diefen Worten jchließt Gindely diefe Vorgefdyichte oder 
dieje vorhergehenden Acte der Kataftrophe. Als Beilage folgt die Juſtruction fir 
Wallenſtein. Dr. L. Chevalier. 


Dr. Hermann AJallwich: Töplitz. Cine deutſch-böhmiſche Stadtgeihichte. 
Mit 24 Flluftrationen. Leipzig, Dunder md Humblot. 1886. 


i „Eine deutich-böhmische Stadtgejchichte”, Jo begiunt Hallwich in ver Vorrede 
fein glänzend geſchriebenes und gründlich gearbeitetes Buch, „gibt ſich von vornherein 
al3 mehr oder minder bejcheidener Beitrag zur Geſchichte deutjcher Cultur.“ Diejen 
Standpunkt hält auch dag ganze Buch feft, mag es die jchweren Kämpfe der Bürger 
in der Vergangenheit oder die ruhigen Tage der Badeſtadt darftellen. Die Geſchichte 
der Stadt, jo reidy aud) die Literatur hierüber ift, mınBte ganz von Neuem gejchrieben 
werben, jagt der Verf., ja jo zu fagen ihr Fundament erft wieder ausgegraben werden. 
Daß von einem jo gründlichen und umfichtigen Forſcher wie Hallwich nichts ver: 
abjäunt wurde, um bis ins Heinfte Detail mit Sorgfalt und Schärfe jede Quelle auf: 
zudeden, da3 braucht wohl an dieſem Plage nicht erwähnt zu werden. „Inland und 
Ausland boten die Baufteine, die ich nach beftem Willen und Gewiſſen zu einem 
Ganzen gefügt.“ Der warme Ton der Darjtellung, die liebevolle Vertiefung des 
heimatsfrohen Mannes in die Vergangenheit der Vaterftadt, der Fräftige und energijche 
Pulsſchlag, der Leben in das feinfte Geäder fonft nicht beachteter communaler Ereig- 
niffe treibt, machen das Buch ſelbſt für jene zu einer nicht bloß lehrreichen, ſondern 
auch künſtleriſch aumuthenden Lectüre, welche den böhmiſchen Berhältniffen ferne 
ftehen und das Buch wie ein beliebig anderes in die Hand nehmen, um fich zu 
unterhalten. Die dramatifche Ader der ganzen Darftellung, die Kraft der Schilderung, 
die das eigene volle Intereſſe auch in dem fer zu erweden weiß, hat Hallwich 
längit in feinen Schriften befuudet. Man kaun wicht anftehen, dieles ſchöne Bud) 
als eine Mkeifterleiftung zu bezeichnen. So reibt fih in der langen Kette von 
trefflichen Arbeiten die der Verein und die Bereinsgründer, zu denen Dr. Hallwid) 
gehört, herausgegeben, Glied an Glied; nad) einem einviertelhundertjährigen emfigen 
Schaffen ericheint das Bud; gerade zur rechten Zeit, um zu zeigen, daß die jugend- 
lichen Mänuer, die voll Begeifterung den Verein geihaffen, and) im Stande waren, 
ihn zu halten, Solche Leitungen fpredyen lauter als jede andere Stimme. In 
Hallwich's Bud fehlt nicht dag con amore. „Es ift leider in der Geſchichts- 
jchreibung Sitte geworden, Alled emendate, dilueide, apte, aber nur nicht ornate 
darzuftellen, Hier ift ein Buch nicht bloß für Gelehrte, Amandae sunt artes, revo- 


a rc 


renda est historia“ jagt ein trefflicher Gejchichtsichreiber der nenen Zeit. Die Bürger 
der Tieblichen Stadt mögen ſich des ſchönen Gefchenkes ihres dankbaren Sohnes 
freuen, Die Arbeit zerfällt in 5 Bücher, Das erfte Buch: Deutihe Anfänge gliedert 
fih in 3 Gapitel, die Entitchungsgefchichte (500 v. Ch. — 1250), das deutfche Stadt: 
wejen 1250—1398, und die Entwidelung und Zerftörung von 1398—1426; ebenfo 
klar find die übrigen 4 Bücher in je 3 Capitel getheift, jo daß die Arbeit auch Außer: 
lich fein gegliedert und überfichtlich gehalten ift. Wir können in diefer Anzeige nicht 
auf die älteſten Beiten eingehen, jo intereffant auch Hallwich die Bojer- und Marko: 
manmenzeit, die antifen Broncefunde nnd alten Steinwälle uns vorzuführen weiß. 
Die ftreug urkundliche Geſchichte des Bielathales begimmt mit dem 10, Jahrhundert. 
Die Stiftung des Benedictinerinnensstlofters in Töplitz durch Judith war von großer 
Bedentung. König Wladillam, ihr Gemahl, hatte auch die Johanniter gerufen. Ju 
den Stürmen, welde das böhmifche Königthum erichütterten, wuchs die Macht ver 
Gaftellane von Bilin, ihre Herrſchaft erjtredte fih weit ins Bielathal, ihr Amt ver: 
erbte ſich auf die Hrabeſchitze; Borjo von Rieſenburg ſtammte aus diefem Haufe. Für 
Böhmen Fam bald die Epoche deuticher Burgbauten; das erite Werk folder Art im 
ZTöpliger Thal war die Riefenburg. Borſo von Niefenburg ftand im Aufftande des 
Brinzen DOttofar von 1248 wader au der Seite Wenzel’3 I. und ſchlug den Prinzen 
bei Brür; Ottofar I. hatte ſchon das deutjche Bürgerthum herangezogen. Die Ana: 
logie aller Umftände zwingt zu der Annahme, daß Töpli wie Auſſig, Brür und 
Bilin noch vor dem Ausgang Ottokar's II. zur Stadt erhoben wurde. Auch König 
Johann von Luremburg fürderte das Deutjchthum, fo wie Karl IV., unter dem uns 
das Bild der deutichen Stadt Töplis fchon deutlicher entgegentritt. Auch die Herren 
von Rieſenburg waren große Wohlthäter für Töplis, verarmten aber und verkauften 
1398 ihren Beſitz. An ihre Stelle trat der Markgraf von Meißen. „Die Befeftigung 
der meißniſchen Macht in Böhmen war für die nationale Entwidlung des Biela- 
thales ein ansichlaggebendes Moment.” Hallwich führt dies ausführlid von S. 46 
au durch. Der Hufitismus fand einen ftarten Gegner an dem Orden der deutichen 
Ritter und an dem Markgrafen von Meißen, doch entging Töplis feinem Schidjale 
nicht. Die Werfe von Jahrhunderten deutjcher Arbeit wurden vernichtet. Das 
zweite Buch: „Tſchechiſche Herrſchaft“ enthält die drei Capitel: Die Hufitenzeit (1426 
bis 1459), „Um Sprache und Freiheit” (1459—1480) und „Zur Unterthänigkeit“ (1480 
bis 1543). Die bleibenden Folgen des Hufitenkrieges zeigten ſich. Jakaubek der Mähre 
und Siegmund von Wartenberg ftritten fi um herrenlos gewordenes Gut, und Ja— 
faubef war hierbei vom Glück begünftigt. Diefer Glüdäritter baute fid) in Töplitz 
fein warmes Neft, die neuen flavifchen Anfiedler waren hörig. Georg von Podiebrad 
brach die meißniſche Macht in Böhmen, Töplis bekam Georg’3 zweite Gemahlin 
Johanna von Rojmital; Jakaubek fcheint anderweitig entſchädigt worden zu fein, 
Königin Johanna that viel für die Stadt; 1467 ertheilte fie ihr ein neues Privi- 
legium, aber die eben regierende Königin erklärte Stadt und Herrſchaft als per: 
lönliches Eigenthum für fih und ihre künftigen Erben, Als Töplig an eine neue 
Grundobrigfeit kam, die Herren von Vitthum, hatte e8 von denfelben nicht viel zu 
erwarten. Ans dem Beſitz Albrecht3 von Kolowrat fam Töplitz in den Beſitz der 
Anna von Kowan. Unter der Herrichaft Wolf von Wieſowitz fiel die alte Kloſter— 
und Leibgedingftadt Töplis, die von Kronlehen zu einer Herrenftadt geſunken war, 
bis zur eibeigenfchaft herab. Wolf verlangte „Ichuldige Uuterthänigkeit.“ Ein treuer 
Anhänger Ferdinands im Aufftand des böhmischen Adels 1547 wurde er von ihm 


— 


Be 


mit Gnaden überhäuft; je höher ihr Befiger ftieg, bdefto mehr gewann die Gurftadt. 
Der Gebrauch naturwarmer Qnellen zu Heilzweden fam erft mit Beginn des 16. 
Fahrhunderts in Schwung, und Töplis öffnete fi dem großen Fremdenverkehr. 
Wolf hatte durch mehr als 25 Jahre die Stadt mit großer Vorliebe bedacht uud 
ihr wachlender Wohlftand war unter feiner Verwaltung nicht zu verfennen. Bern— 
hard von Wiefowig, fein Bruder, ftarb bald, und eine Erbin vermählte fih mit Caſpar 
von Schönberg, der aber nachher dur Streitigkeiten mit den anderen Erben in 
die Klemme kam und — Goldmacher wurde. Die Herrihaft fam an feine Brüder, 
aber auch diefe Fonnten fie nicht behalten: der Käufer war Radiſlaw der Aeltere 
Wchinſky von Wchinitz. Das vierte Buch bringt den Streit um dad Bräuredt. 
Radiſlaw war ein Mann von erbarmungslofer Herrſchſucht und Eigennüsigfeit. Sein 
erfter Angriff war auf dasfelbe Streitobject gerichtet, um welches der große böhmifch: 
Ständeftreit zu Anfang des Jahrhundert3 vornehmlich geführt wurde, das Brau= und 
Malzrecht. Diefe Epifode ift ein Glanzpunkt des Buches. Hallwich weiß fie in allen 
ihren Wendungen und Wandlungen jo vor das geiftige Auge zu führen, daß unjere 
Spannung wie bei einer hiftorifhen Novelle wählt. Die gewaltthätige Schlaubeit 
des Tyrannen und die Gemeinheit feiner Werkzenge, dad wadere und tapfere Bür— 
gerthum eined Martin Herfloß, das fruchtlos, aber unermüdlich für das alte, gute 
Recht eintritt, der ganze Uebermuth und die Anmaßung der böhmiſchen Stände ift 
typiſch und doc fo imdividnell gezeichnet, daß einer künſtleriſchen Geftaltung hier 
prächtig vorgearbeitet ift. Wie jchön find die Worte, die er dent Andenken des Martin 
Herklotz nahruft: „Die äußeren Erfolge follen und dürfen nicht entjcheiden. Der 
Prüfftein wahren Verdienftes um die engere und weitere Heimat fei für und jederzeit 
die rechte, werkthätige, felbftlofe Liebe zur Heimat. Sie finde, ob noch fo fpät, auf- 
richtige, dankbare Würdigung und Anerkennung.” Wohl fein anderer Grundherr von 
Töplitz hat dort einen fo traurigen Nachruhm hinterlaffen wie Radiflaw ; er, „der 
Reiche“, ftürzte die Stadt in Armuth und Knechtſchaft, aus der fich emporzuarbeiten 
eine mehrhundertjährige Anftrengung kaum genügte. Trotz der Nationalitätengejege 
von 1413 und 1615 hatte zur Zeit des dreißigiährigen Krieges die Stadt dennoch 
einen deutſchen Charakter. Wilhelm, der Neffe Radiſlaw's des Nelteren, der ſich zuerft 
Kinsky nannte, der Herr von Töplit war Proteftant, aber er wurde bei der Güter: 
confiscation gefchont; freilich kam auch für Töplis die Zeit der Gegenreformation, im 
Krieg felbft taufchte die Stadt ſächſiſche mit Faiferlicher Einquartierung. Wilhelm 
Kinsky ift jene Perfünlichkeit, die in Dresden gegen den Kaifer arbeitete und Wallen- 
ftein zur That drängte, er fiel auch auf der Burg zu Eger. Der Belis von Töplig 
kam an das Haus Aldringen; Anna von Aldringen vermählte fi mit Hieronymus 
von Clary, ihr Sohn Marcus war der Erbe des ganzen Aldringiſchen Beſitzthums. 
Der Verweſer Marimin Freiherr von Mdringen that viel für die ganz herunter: 
gekommene Stadt; umfonft verlangte die Stadt vom Grafen Johann Georg Markus 
ihre alten verbrieften Rechte. Mit dem Tode des Grafen 1700 endet eigentlich Hall- 
wich's Buch in feinen Detailangaben. „Ein Beitrag zur Geſchichte deutichen Städte: 
weſens wollte geliefert werden, ein Stüd deutſcher Culturgefchichte. Yon Anfang an 
haben wir Schritt für Schritt gewiffenhaft die Phafen verfolgt, denen das Deutſch— 
thum einer Gemeinde Böhmens unterworfen war, bi3 zu dem Zeitpunkte in welchem 
dasjelbe unbeftritten die Alleinherrſchaft in ihr zurüderlangt hatte.” Dieſes Programın 
bat Hallwich ftreng erfüllt. Das Buch ift in diefer Hinficht ein Stüd hochintereffanter 
Geſchichte der Deutihen in Böhmen, und gerade in einer Stadt, die noch andere 


—— 


Beziehungen aufzuweiſen hat als bloß den Kampf um ein paar Privilegien ꝛc. 
Dankbar gedenkt der Verf. noch der Thätigkeit Franz Karl Grafen von Clary und 
Aldringen und erwähnt auch die neueren wichtigen Ereigniffe, die Töplis im Guten 
und Schlimmen betroffen haben, Eindringlich mahnt er: „nicht zur Curftadt allein 
— zur Stadt der Gewerbe in des Wortes höchſter und befter Bedeutung hat die 
Natur in gleicher Weile Töplig mit überreicher Hand vorherbeftimmt. Es ift nicht 
wahr, daß curftädtiiche und jpecifiih induftrielle Intereſſen fih mit einander nicht 
vertragen,“ Der Berfafler weiß übrigens jehr wohl, daß die örtlichen Beziehungen 
nicht genügen. „Immer nnd immer wird das Geſchick auch der einzelnen Heinen 
Gemeinde — das ift die große Lehre der Gefchichte im Kleinen — in letter Linie von 
den allgemeinen öffentlichen Angelegenheiten beherrfcht und beftimmt werden.” In diefer 
Hinficht mahnt der Be f. zur Ausdauer und Treue. — Ueber die fprachliche Ableitung 
von Töplig wollen wir mit dem Verf, nicht rechten; fie fordert gewichtiges Bedenken 
heraus und greift wieder zu Eeltifhen Wurzeln als alten Nothbehelf. Das Bud) ift 
vortrefflich ausgeftattet, die 24 Illuſtrationen find hier nicht eine bloße Beigabe, fondern 
fie haben Anfprucd auf jelbftändigen künftlerifhen Werth. Das prächtige Titelbild bietet 
einen lieblichen Blid auf die ſchöne Stadt. Ein mufterhaft gearbeitetes Namen- und 
Sah-Regifter erleichtert den Gebrauch de3 Buches, das ja ebenſo ein lehrreiches 
Unterhaltungsbuch wie ein gründlich gearbeitetes hiftorisches Werk ift. Erwig. 


Dr. Herman Haupt: Der waldenfifhe Urjprung des Codex Teplen- 
sis und der vorlutheriſchen deutſchen Bibeldrude gegen die Angriffe von 
Dr. Franz Joſtes vertheidigt, Würzburg, V. J. Stahel. 1886. 


Gegen die erfte von uns feinerzeit in diefen Blättern beſprochene Schrift 
9. Hanpt’3, worin er den waldenfifchen Urfprung des Codex Teplensis nachzumweijen 
fuchte, ift unterdeffen neben vielen zuftimmenden Kritifen auch ein Angriff verfucht 
worben, der die vorlutherifchen Bibelüberfegungen als Fatholifche darzuftellen ſuchte. 
Es geichah die von Dr. Franz Joſtes in der Schrift: Die Waldenfer und die vor— 
lutheriſche deutſche Bibelüberfegung, Münfter 1885. Die Ausfälle gegen Haupt find 
ſehr heftig, der Ton, in dem die Polemik geführt wird, ein erbitterter, Um fo 
anerfennenswerther ift die vornehme Ruhe, mit welcher Haupt im vorliegenden 
Schriften feine Meinung vertheidigt. Darnach ericheinen alle Einwände, die Foftes 
gemacht Hat, ungerechtfertigt, alle feine Aufftellungen unhaltbar. Joſtes hatte. an 
einigen lateinifchen Beigaben des Codex Teplensis Anftoß genommen, Hanpt weift 
an Thatfachen nach, daß viele Waldenjer lateinifch verftanden. Die Verfuche, die 
„7 Stüde de3 heiligen Glaubens” und die „7 Heiligkeiten“ als unwaldenſiſch und 
übereinftimmend mit den Lehren der Fatholifchen Kirche darzuftellen, find mißlungen, 
ebenfo ift abgewiefen der Verſuch, die confequente Ueberfeßung von filius hominis mit 
sun der maid als unauffällig, weil allgemein üblih, darzuftellen. Die Arbeit war 
für Haupt nicht leicht, und wieder müffen wir zugeftehen, daß das fette enticheidende 
Wort in der Sache noch nicht geiprodhen ift. Haupt hat neuerdings den Dubliner 
Codex herangezogen, hat fich in Verbindung geſetzt mit verfchtedenen gelehrten Bibel- 
forſchern, hat felbt eine ganze Maffe von Handfhriften durchgejehen; aber gegenüber 
der Fülle noch unedirten und unerforichten Materials auf diefem Gebiete bedürfen 
feine Refultate immerhin weiterer Beftätigung, und mande Modificationen dürften 


er 


jeine Behauptungen noh erfahren. Die Hauptſache aber, der waldenfische Uriprung 
des Codex Teplensis, und damit der gedrudten vorlutheriſchen deutſchen Bibelüber- 
ſetzung, Scheint jest jchon zweifellos fiher, — Im Auhange hat Haupt „Actenſtücke 
ans dem Inquiſitionsarchive des Cöleftiners Petrus, Geiftliche des Bisthums Paſſau 
betreffend“ abgedrudt, dann auch „Proben ungedrudter deuticher Bibelüberſetzungen“ 
aus 16 Münchner und einer Mainzer Handichrift. T. R. 


Die böhm. Landtagsverhandlungen und Landtagsbeſchlüſſe vom J. 1526 
an bis auf die Neuzeit. Prag 1886. 


Von den vom königl. Landesarchive herausgegebenen Laudtagsverhandlungen 
liegt uns der IV. Band vor, der blos die Verhandlungen dreier Landtage in den 
Fahren 1574—1576 umfaßt und mir Maximilian's II. Regierung ſchließt. Die Leſer 
der „Mittheilungen“ dürften fich vielleicht erinnern, daß wir eine eingehendere Anzeige 
über den Inhalt des III. Bandes ungern vermißten; wir werdet auf eine ſolche noch 
ferner vertröftet, fie Joll erit mit dem Jahr erfolgen, in dem die alte Berfaffung des 
Landes ihre Giftigfeit verloren hat. Wir nehmen e3 mit Dank an, daß mit dem vor— 
liegenden Bande von dem Herausgeber ein Bericht über den Inhalt einer jeden Land: 
tagsverhandlung erftattet wird. Weit wichtiger als die Verhandlungen der Landtage 
von 1574 uud 1576, die fich hauptſächlich auf das Feilichen über das Mehr oder 
Meniger der Steuern beſchränken, find die des Landtages von 1575, der den 21. Febr. 
berufen und mit zweimaliger Vertagung den 27. Sept geicjloffen wurde. Auf dem: 
jelben handelte es ſich wornämlich um religiöfe Angelegenheiten, die das Land tief 
aufwühlten, daher denn auch die Verhandlungen ihrer Wichtigkeit willen vollinhaltlich 
veröffentlicht werden. Die Herausgeber (Prof. Gindely nnd die Beamten de3 Lanz 
desarchivs) theilen nicht blos die amtlichen Korrefpondenzen, die Föniglichen Propo— 
fitionen und die Landtagsbefhlüffe mit, jondern auch dad Diarium de3 Altſtädter 
Kunzlers Sirt von Dtterödorf und die Aufzeichnungen der böhmischen Brüder über 
die Verhandlungen auf den Landtage, ſowie zahfreihe Schriften, welche die Brüder 
unter einander wechſelten. —n. 


Tome w. W.: Deéejepis mösta Prahy. Dil. VII. (Novoceskà biblio- 
theka &. XVIIL) v Praze 1886. 


Mit der bedingten Unterwerfung der Stadt Breslau (am 13. Jänner 1460) 
ichloß der 6. Band; der 7, erzählt die weiteren Begebenheiten bis zum Jahre 1478, 
und zwar in 5 Eapiteln, wovon einige wieder in je zwei Unterabtheifungen zerfallen, 
Eine kurze Weberficht der Hanptmomente, foweit fie diefe Einthetlung bedingten, wird 
die Gliederung Har machen. — Nachdem K. Georg in den böhmiſchen Ländern all: 
gemein anerkaunt ift, betreibt ev eifrig feine Wahl zum deutjchen Könige. Doc der 
Plan jcheitert am Widerftande der Hobenzollern, hat aber audy eine große Aufregung 
unter den Utraquiſten zur Folge, was den König zwingt, fich öffentlich für die Auf: 
rechterhaltung der Compactaten zu erklären. Die Eurie weiß er lange hinzuhalten, 
endlich aber drängt diefelbe immer mehr, und er muß ſich (14. Jän. 1462) ſchließlich 
zur Abſendung einer Gefandtichaft nah Rom entſchließen (Cap. 7, a). — Der Erfolg 


— — 


iſt die Aufhebung der Compactaten; aber Rückſichten auf die Lage des Kaiſers u. a. 
halten zunächſt Binz II. vor ftrengeren Maßregeln zurüd, und nachdem er ſich zulett 
dennoch dazu eutſchloſſen bat, ftirbt ev amt 15. Auguft 1564, bevor die Gitationsbulle 
veröffentlicht it (7, b). — Auch der Nachfolger Paul II. zögert noch; erjt nachdem 
Georg feine Fürſprache für den Landſchädiger Hinko von Vöttau zurücgewiejen, 
erfolgt am 28. Juni 1465 die neuerliche Citation. Jetzt verbinden ſich die Fatholifchen 
Herrn zu Grünberg; 1466 wird zwar noch mehrfad) unterhandelt, Eude dieſes Jahres 
aber wird Georg gebannt, und mit feiner Berufung dagegen am 14. April 1467 hat 
der Kampf begommen. (8.) — Durch das ganze Jahr 1467 dauert der Krieg mit dem 
Herrenbunde, troß mancher Vermittlungsverfuche; erſt am 28, Jänner 1468 kommt 
es zu einem Waffenftillftande. (9.) — Nach mehrfachen vergeblichen Bemühungen bei 
andern Fürften gewinnt die Curie jest den K. Matthias zum Kampfe gegen Georg, 
den derjelbe gegen Ende März beginnt, Anfangs mit entichiedenem Glück; doch 
Ichlägt diejes im Spätherbfte um, und im Feber 1469 ficht ſich Matthiad in jo ge: 
fährlicher Lage, daß er einen Waffenftillftand fchließen muß und aud Friedensver- 
handlungen in Olmütz pflegt (10, a). — Gleichzeitig nimmt er aber die Wahl zum 
Könige von Böhmen an; enttäufcht feßt Georg den Krieg fort, und der Erfolg ift 
entichieden auf feiner Seite. Er fihert fi die Freundicdaft des Polenkönigs durd) 
die Wahl des Prinzen Wladijlam zum Thronerben in Böhnten; die deutichen Fürften 
ſprechen fih in Villach zu feinen Gunften aus, felbit der Papft zeigt ſich zu Unter: 
haudlungen geneigt, da ändert Georg3 Tod am 22. März 1471 die Lage (10, b). — 
Nah der Wahl Wladiflams dauert zwar ber immere Krieg noch einige Zeit fort, 
endlich aber einigen die Parteien über die Herftellung der Ruhe. Nur mit Matthias 
wird erfolglos verhandelt, der Krieg bricht neuerdings aus, Polen und Böhmen ftehen 
den Ungarn bei Breslan gegenüber, da kommt es hier am 28, Nov, 1474 zu einem 
Waffenftillftande auf 2", Jahre (11, a.) — Die Stände Böhmen! nnd Mährens 
find fortdauernd bemüht, den Frieden im Lande herzuftellen,. Matthias aber macht 
nad) feinem Siege über den Kaiſer neue Verfuche, die Fatholiihen Herren Böhmens 
zum Kampfe gegen Wladiſlaw zu bewegen; allein vergeblih. Da entichließt aud) er 
ſich endlich zum Frieden, der am 7. Dec. 1478 zu Olmütz verkündigt wird, (11, b.) 

Im vorliegenden wie im vorausgehenden Bande nimmt natürlich die Perſön— 
lichfeit Georgs v. Podebrad das Hanptintereffe in Anſpruch, und es find mehr als 
zwei Drittheile de3 Raumes feiner Gefchichte gewidmet. — Seit Palackh 1860 in 
jeiner Gejchichte Böhmens (Band IV, 2) zuerft auf urfundlicher Grundlage ein Bild 
diefes Mannes vom tichehifchen Standpunkte entworfen, hat ſich aud) die Forſchung 
anf deutjcher Seite diefer Zeit eifrig zugewendet. Bereit3 1861 erſchien Jordaus 
Bud) über Georg, das freilich vielfady die nöthige Gründlichkeit vermiffen läßt. Dann 
behandelte Voigt die Beziehungen zu Pius I. im 3, Bande der Gefchichte dieſes 
Papſtes (1863), Im J. 1865 erichien die Geſchichte des Herzogs Ludwig des Reichen 
von Baiern, de3 Bundesgenoffen Georg's, von Kluckhohn. Das Verhältniß zu ben 
Hohenzollern fand eine Darftellung in Droyſens Gejchichte der preußifchen Politif 
(IL, 1.— 1868). Eine Reihe von Aufſätzen bat weiter der Schlefier Markgraf diefem 
Könige gewidmet, der zugleich durch die Herauszabe des lateinischen Ejchenloer und 
der politiichen Corveipondenz Breslaus die Forihung bedeutend förderte. Endlich hat 
noch Erniſch über die ſächſiſch-böhmiſchen Beziehungen 1464-71 gehandelt (1880—1). 
Schon vorher hatte ſich Prof. Bachmann diefer Zeit fpeciell zugewendet; uoch in den 
fiebziger Jahren erichienen von ihm 2 Arbeiten über die 3 erjten Regierungsjahre 


— Si Se 


Georg’3; unlängft hat er den 1. Band feiner Reichsgeichichte folgen laffen, der won 
1460 bis 1468 reiht. Er hat auch zu den „Urkundlichen Beiträgen“, die Palady 
zugleih mit den betreffenden Bande feiner Geſchichte erjcheinen ließ, manderlei 
Nachträge and verichiedenen Archiven geliefert. — Damit find nur die Hauptwerfe 
der einjchlägigen Literatur erwähnt. Unftreitig wird man alſo begierig fein, nach 
diefen Arbeiten wieder eine eingehende Darftellung von tichechiicher Seite zu erhalten, 
wenn e3 auch anderweitig befannt ift, daß Tomek in feiner Auffaffung der Politik 
Georgs noch heute im ganzen anf dem Standpunkte Palackh's fteht. Er lehnt es 
freilich ab, die entgegengefegten Anfichten zu widerlegen, da dies nicht in den Rahmen 
feines Buches pafle, fondern eine befondere Behandlung erfordern würde, Dod hat 
er es für nothwendig gehalten, in einer Vorrede feine Auffaſſung durch einige allge= 
meine Ausführungen zu begründen. Ich darf wohl kurz den Gedankengang wieder 
geben. Nachdem Tomek zuerft die Gründe hervorgehoben, warum er den Gtreit 
zwiſchen den Utraquiften einerjeits, den Katholiken und dem Papfte anderjeits, wie 
auch die innern und äußern Kriege fo eingehend behandelt, mweift er auf die Bear— 
beitungen feit Balady hin. Wie einft Dümmler, Büdinger und Lorenz gegen Pa- 
lady’3 Darftellung der älteren Geſchichte aufgetreten wären, fo hätten ſich auch hier 
Gegner unter den deutſchen Schriftftellern erhoben, die KR. Georg feinen Ruhm und 
feine Verdienfte rauben wollten. Der Grund fei zum Theil nationale Mißguuſt. 
Man fei mit feinem Verhalten in den Angelegenheiten des deutſchen Reiches nicht 
zufrieden und werfe ihm Herrſchſucht, Eigennuß und Arglift vor. Andere fänden in 
feinem Borgehen in Böhmen nicht? als Ehrgeiz, „und da ift ihnen die Frage, ob 
K. Georg durdy den Eid vor feiner Krönung dem Papſte die Ausrottung des Utra= 
quismus gelobte und ob er durch die Nichterfüllung dieſes Verfprechens eidbrüdig 
wurde, ein wahrer Rederbiffen”, fügt er Hinzu. — Bei Georg’3 Verhalten in ben 
Sachen des Reiches müſſe man bedenken, einerfeit3 daß es ihm in erfter Linie auf 
das Wohl feined Landes ankam, anderſeits daß er fih nach den Perfonen richten 
mußte, mit denen er e3 zu thun hatte, nach den Kaifer und den Neichsfürften, bei 
denen Eigennuß im Mebermaß vorhanden war, Seine guten Abfichten für das Wohl 
Deutſchlands feien aus denfelben Gründen vereitelt worden, wie jene Karl3 IV. und 
Wenzeld. Tomek ift überzeugt, das Urtheil über Georg werbe fich deutſcherſeits 
Schließlich ebenfo ändern wie das über Karl IV., den man des Reiches Stiefvater 
genannt habe, — Wer einem folhen Manne Ehrfucht vorwerfen wolle, müſſe etwas 
aus feinem Leben anführen, was fi nur aus diefem Beweggrunde erklären laſſe. 
Man weiſe dafür auf fein Streben nad der Krone hin; niemand aber könne jagen, 
was damal3 für Böhmen gedeihlicher gemwefen wäre als Georg Wahl. Daß ihm 
das Wohl feines Landes höher ftand als feine Herrfchaft, habe er gezeigt, ald er auf 
die Nachfolge feines Sohnes verzichtete, um fi) einen mächtigen Bundesgenoflen zu 
fihern. — Tomef gibt zu, e3 würde Georg nicht allzufchwer gefallen fein, ſich vom 
Kelche Toszufagen, wenn das zum Beften feines Volkes gewefen wäre, Bei den far: 
tiſchen Verhältniffen jedoch habe er nie ernftlih daran denfen fünnen; die Folge 
wäre gewejen ein mörberifcher Kampf mit dem Kern feines Volkes und all die 
Trübſal, die faum durch feine Bemühungen überwunden war. Er hätte fi dadurd 
der Stüße feiner Herrfchaft beraubt, denn der Gegenpartei hätte er niemal3 ganz 
vertrauen können. Auch meint der Verf., nicht fo jehr gegen die Communion unter 
beiden Geftalten fei der Kampf der Curie gerichtet geweſen, ald gegen die übrigen 
3 Artikel, welche fi auf Reformen im kirchlichen Leben bezogen; die Losſage vom 


1 


Kelch hätte alfo den König keineswegs von allen Schwierigkeiten befreit. Und zum 
Schluß: Der Papft hätte damals den Böhmen den Kelch bewilligen follen, wie 
jpäter Pius IV. und das Zridentiner Goncil gethan; ohne Kampf hätte man fich 
dann über den Sinn der anderen 3 Artikel geeinigt, der fo anerfaunte Utraquismus 
wäre fpäter nicht jo leicht dem Andrange der Intherifchen Refornt erlegen, der fürchter- 
lihe Umfturz von 1620 wäre dem Lande erfpart worden. — 

An diefen Ausführungen oder an Einzelheiten des Werkes Kritik zu üben ift 
nicht meine Aufgabe. Dagegen wird man e3 der Wichtigkeit der Sache angemeffen 
finden, daß diefe Anzeige etwas länger ausgefallen ift. W. Hieke. 


Bon den Böhmer'ſchen Regeften liegen uns vor: 

a) Die Negeiten des Kaiſerreiches (Regesta imperii) unter den Ka: 
rolingern, neu bearbeitet von Engelbert Mühlbader, 1. Bd. 
4, Liefr. (Innsbruck 1886); fie umfaffen die Zeit vom 12. Febr. 859 
bis 12. Juni 885, und 

b) Die Regeſten zur Geſchichte der Mainzer Erzbifhöfe (Regesta 
archiepiscoporum Moguntinensium), mit Benügung des Nachlaſſes von 
J. F. Böhmer bearbeitet und herausgegeben von Corn. Will, 2. Bd. 
3. Lieferung (Jnnsbruck 1886), die vom 15. Mai 1253 bis zum 
17. März 1288 veichen. 

Wir begnügen uns mit der einfachen Anzeige der beiden Lieferungen, da über 
den hochbedeutenden Werth der Regeftenwerfe Böhmer's die Männer vom Fade — 
und für fie allein haben fie Intereffe — eines Sinnes find, ihnen ift es ja auch 
bekannt, daß die Negeften durch die Neubearbeitungen an Umfang und Gehalt ge: 
wonnen haben. —n. 


Jul. weizſaͤcker: Deutſche Reichsacten unter König Ruprecht. 2. Abth. 
1401—1405. Gotha, Perthes 1885. ©. IV und 854. 


Wir haben fchon bei Beiprehung des im J. 1882 erfchienenen IV. Bandes 
bingewiejen, wie wichtig die Neihsacten unter Ruprecht auch für die Gejchichte 
Böhmens find; dasfelbe gilt aud) von dem V. Bande, der in verhältnißmäßig Furzer 
Zeit feinem Vorgänger folgte. Er bringt die Acten zu den Tagen zu Augsburg und 
die Vorbereitungen der italienischen Unternehmung im Sept. 1401, zu dem kgl. Eur: 
fürftentag, mit Städten, zu Mainz im Juni 1402, zu dem fgl, Fürften- und Stände: 
tage zu Nürnberg im Aug. und Sept, 1402, zu dem gl, Curfürftentag zu Boppard 
im März 1404, fodann Ruprecht's Landfriedensthätigkeit in Franken und dev Wetterau 
1403—1408, endlich die Reichstage zu Mainz im Dec, 1404 und im Dct. 1405. — 
Die auf die Luremburger in Böhmen ſich beziehenden oder von ihnen ausgejtellten 
Acten, die von dem Herausgeber im vorliegenden Bande aufgenommen wurden, find 
theilweije in Palacky's Formelbüchern und anderwärts abgedrudt, fie gelangen aber 
hier zu ihrer richtigen Beleuchtung. —ın. 


— 


Michael Ruftler: Das jogenannte Chroniecon universitatis Pra- 
gensis. Mit eimem Vorwort von Dr. Adolf Bachmann, ord. dff- 
Profeſſor an der deutjchen Univerfität in Brag. Leipzig, Veit und 
Comp. 1886. 


Profeffor Bachmann hat in feiner dentichen Reichsgefchichte daranf aufmerkſam 
gemacht, daß die bedeutendften Quellen aus der öſterreichiſchen Gefchichte des mittleren 
und ausgehenden 15. Jahrhunderts nur in durchaus unzulänglicher Form zu Gebote 
ftehen; in der Vorrede zu diefer Schrift dehnt er diefe Bemerkung audy auf das 
vorangebende Kahrhundert, namentlich auf die Sefchichtichreiber der huſitiſchen Be— 
wegung aus. Die vorliegende Arbeit über das Chronicon universitatis Prageusis 
ift ans feinem Seminar hervorgegangen, Nuftler befpricht in Nr. 1 zuerft die hand: 
Schriftliche Vorlage; der Coder der kaiſerl. königl. Hofbibliothef in Wien enthält das 
Chronicon u. P., die Handichrift ift in den Fontes abgedrudt bis zum Jahre 1420. 
(Eonft. Höfler, Gefchichtsfchreiber der Hufitifchen Bewegung in Böhmen.) Höfler ift 
Werth und Bedeutung des Chronicon universitatis nicht entgangen, während Pa— 
lady davon wegwerfend fpricht (Würdigung 2c.); im neueſter Zeit hat Goll dieſes 
Thema in verdienftliher Weife behandelt, ohne allerdings gauz zu einem Abſchluß 
zu kommen, Wuftler behauptet, daß eine eingehende Prüfung des Chronicon eine 
ganze Neihe pofitiver Ergebuiffe liefert. Die Meldungen von 1348 bis 1413 be- 
ziehen fi) mehr oder weniger auf die Umiverfität, das folgende ift nach Brezowa's 
Memoirenwerk gearbeitet. Nr. 2 geht auf Inhalt, Quellen und Berfaffer der 
Prager Univerfität3:Chronit genauer ein und behandelt zuerft die annaliſtiſchen 
Notizen; hier untericheidet Auftler farblofe Nachrichten und ſolche, die entſchieden 
tſchechiſch⸗ nationale, bald auch Hufitiich - Freundliche Gefinnung zeigen. Die Mel- 
dungen bieten auc eine Handhabe, um die Zeit ihrer Abfaffung näher zu be— 
grenzen, wie der Verfaffer recht gründlich nachweiſt; ſodanu behandelt Ruſtler die 
„Tagebuchartigen Notizen 1402/3 — 1413. Diefe Aufzeichnungen befunden die genaueſte 
Sachkenntniß, überall läßt fih ein Zeitgenoffe erkennen. Seite 12 faßt Nuftler das 
Reſultat feiner Analyfe zufammen, Er meint, daß Biezowa Autheil am erften Theil 
deö Chronieon gehabt. Die Umiverfität3acten, jo kann man den- protofolfarischen 
Bericht und die Ankündigung der Magifter nennen, ein neuer Abjchnitt im Chro- 
nicon, führen eine ruhige Sprade. Der letzte Abjchnitt hat zum Verfafler einen 
gemäßigten Katholiken, er kann alfo nicht identifc fein mit jenem, der die beiden 
früheren verfaßte. Mit dem Jahre 1414 beginnt ein neuer Theil, der eine aunalen- 
hafte Erzählung der damaligen Ereigniffe enthält. Der Compilator ſcheint eine ältere 
weitläufiger Handichrift Brezowa's als Vorlage gehabt zu haben. Ceite 28 faßt 
Ruſtler die Ergebuiffe zufammen, In Nr. 2 beſpricht er den Teßten weſentlich mit 
dem Werk Biezowa’s übereinftimmenden Theil der Haudfchrift; auch hier liegt eine 
nicht bekannte Handſchrift Brezowa's zugrunde, der Abichreiber war ein Deutſcher. 
Als Anhang wird die Verbefferung des in Seript. rer. Hus. I. ec. gebrudten Textes 
des Chronicon auf Grund der Dandichrift geneben. Die dankbaren Unterfuchnngen 
Ruſtlers mögen bald weiter fi) erftreden, damit bei den grumdlegenden Arbeiten 
anderer Forſcher auch diefes Gebiet nicht brach liegen bleibe, Chevalier. 


u ae 


Sulius Lippert: Culturgeihichte der Menfchheit in ihrem. organiſchen 
Aufbau. Stuttgart, Ferdinand Enke. 1886. 


Unter dieſem Titel läßt der rühmlichſt bekanute heimiſche Autor Julfus Lippert, 
der uns bereits mit einer ganz ſtattlichen Anzahl von werthvollen Büchern beſchenkt 
hat, ſein neueſtes Werk in Lieferungen erſcheinen, welches ein getreues und anſchau— 
liches Bild der geſammten Culturentwicklung der Menſchheit als ein organiſches 
Ganzes zu geben ſich zur Aufgabe ſetzt. Für eine in jeder Beziehung vorzügliche 
Löſung derſelben gibt der Name des Verfaſſers die beſte Bürgſchaft, bei dem ſich, 
was in dieſen Blättern zu betonen wir wiederholt erfreuliche Veranlaſſung hatten, 
ein univerſelles Wiffen und liebevolles Bertiefen in den in Angriff genommenen Stoff 
nit einer jelten Haren Darftellungsweife in Bezug auf Methode und Form in her- 
vorragenden Maße paart. Alle diefe Vorzüge tragen die bisher erfchienenen vier 
eriten Lieferungen, weldye gleichzeitig befunden, daß der Verfaſſer feinen Gegenftand 
auf Grundlage der neneften Ergebniffe der einjchlägigen Forichungen behandelt und 
welche bislang in ethnologiſch-hiſtoriſcher Hinficht. herrichende irrige Anfichten richtig 
ftellen. Die Einleitung beichäftigt fich mit der „Lebensfürjorge als Princip der Eul- 
turgefchichte” und ftellt das Programm des Verfaſſers feſt; feine Betrachtungsweiſe 
will, ohne einer der bisher in der culturgefchichtlichen Literatur beliebten Methoden 
zu folgen, „ſelbſt unterfcheiden lehren, wie weit dad „Naturgejeg“ als Autrieb in das 
Merk des Menſchen, die Schöpfung feiner „Cultur“, hineinreicht, wie weit der Menfch 
jelbft aus feinen eigenen Antrieben, Kräften und Mitteln heraus „ein bejonderes 
Reich des Menfchlichen innerhalb der Natur zu Schaffen vermochte.“ Nach der Ueber- 
zeugung des Referenten ift diefe Einleitung geradezu ein Meiſterſtück zu wennen, 
welche den Lejer durchaus feffelt und anregt und aufpornt, die Lecture des Lippert— 
chen Buches fortzufegen. Die vorliegenden vier erften Lieferungen enthalten Abichnitte 
mit folgenden Anfichriften: „Die Urzeit“, „Ausblick auf die Verbreitung der Menſch— 
heit“, „Die erſten Fortichrittäverfuche der Lebensfürjorge” und „Die Zähmung des 
Feuers”. Das Werk ift auf zwanzig Lieferungen zu vier Bogen berechnet und joll, 
im zwei Bände eingetheilt, bis im Herbft diejes Jahres vollendet fein; wir werden 
fpäter nochmals ausführli auf dasſelbe zurückköommen. Die Ausftattung ift eine 
durchaus jplendide und gereicht dem befannten Stuttgarter Berlage zu aller Ehre. 

Otto Lohr, 


Seitichrift des Teplig-Schönaner Anzeigers zu feinem fünfundzwanzigſten 
Jahres-Jubiläum. Teplitz, 1. Mai 1886. 


Am 1. Mai 1861 erjchien die erite Nummer des „Teplitz-Schönauer Auzei— 
gers“, der feither wuchs und gedieh nud hener das Feit eines viertelhundertjährigen 
Beitandes feiern könute. Aus dieſem Aulaffe gelangte obige Feftichrift zur Ver— 
öffentlichung, die in einer Reihe von gediegenen Beiträgen ſich mit der Gejchichte und 
dem Emporblühen der Thermenftadt und ihres Rocalblattes beichäftigt, das während 
feines Beſtandes allezeit ſtramm dentich gefinut war und nunmehr einen ehrenvollen 
Rang in der deutichnationalen Provinzpreſſe Böhmens einnimmt. Seine Gejdhichte 
entrolft Gabriel Grimm in einem Aufſatze, der alle localen Ereigniffe von Bedeutung 
regiftrirt, weldye während des Zeitrammes von 1861—1886 in dem „Teplig-Schönaner 


u MR: ss 


Anzeiger” publiciftiich behandelt wurden; hiezu zählt auch die IV. Wanderverjannt- 
lung unjere3 „Vereins für Gefchichte der Deutihen in Böhmen“ im Jahre 1871, von 
welcher der „I.-Sch. U.” jagte, daß fie ſich „zu einem Fefte von deutjchnationaler 
Bedeutung®geftaltete“ und weiter: „Der Same, ber hier in ben leßten Tagen ge— 
ftreut wurde, ift auf einen empfänglichen Boden gefallen, er wird die beften Früchte 
tragen, Kinder und Kindeskinder werden noch in jpäten Tagen davon erzählen, wie 
die Deutichen in Böhmen in trüber Zeit hier in unjerem Curorte, gleich jenen 
Männern von Rütli, ſich gelobten: feſt und treu zufammenzubhalten, ſich in feiner 
Noth und Gefahr zu trennen,” — Der weitere Inhalt der Feftichrift, welcher ein 
getreued Bild des erften Blattes des „I.-Sch. Anzeigerd“ vom 1. Mai 1861 bei- 
gegeben tft, it folgender: Ein jhwungvoller und Fräftiger „Felt: Gruß” von dem 
heimischen Dichte Anton Auguft Naaff, „Offenes Sendihreiben an den Jubilar 
von jeinem Taufpathen“ Franz Cerwenka, „Entftehungs-Geihichte der Stadt 
Töplig“ von Dr. Herm. Hallwid. Es ıft dies das 1. Capitel des inzwifchen im 
Buchhandel erfchienenen und weiter oben beiprochenen Werkes Hallwich's „Töplis, eine 
deutjch-böhm. Stadtgeſchichte“ Karl Stöhr bringt in feinem Beitrage „Teplit in 
den letzten 25 Jahren“ intereflante Detaild der Arbeiten des Stadtverordnetencollegiumgs, 
fowie ftatiftiiche und Hiftorifche Notizen, während Norbert Mariſchler „Handel, 
Gewerbe und Induftrie”, Rihard Pollak „Das Verkehrsweſen“ und Alfred 
Freund „Das Vereinswejen“ der Stadt in den Jahren 1861-1886 erörtern, Die 
Schweſter-Commune „Schönau in den legten 25 Jahren“ findet ihre Würdigung von 
Franz Waage, Eine recht freundlich anmuthende Gefchichte aus dem Töoplitzer 
Thale, betitelt „Der Knabe, der ein Bergmann werben wollte”, erzählt Adolf 
Siegmund, und bemerfenswerth ift endlich der politiiche Effay von Leopold 
Shönhoff „Bon Schmerling zu Taaffe“, der in dem für unfere Landsleute actueil 
beberzigenswerthen Sate ausklingt: „Deutſch fei das Dad über mir und deutſch 
bleibe der Boden unter mir!“ Otto Lohr. 


Der „Verein für Geſchichte und Alterthum Schlejiens" 
veröffentlichte im laufenden Jahre: 


Dr. €. Gruͤnhagen: „Regeſten zur ſchleſiſchen Geſchichte.“ 3. Theil bis 
zum Jahre 1300 nebjt Regijter. S. 153—348. 


Der vorliegende Halbband umfaßt den Zeitraum vom 23. Jänner 1291 bis 
12. Nov. 1300, Daran fließen fi) Nachträge und Berichtigungen zu Band II. 
und das 49 Seiten umfaffende genaue Regifter. Der geheime Ardhivrat Dr. Grün— 
hagen bat fich durch fein Regeſtenwerk, das allen Forderungen in vollftem Maße 
entjpricht, die man an eine jolche Arbeit zu ftellen berechtigt ift, ein unvergängliches 
Denkmal gejegt. Der Einfluß feiner mühevollen und gediegenen Arbeit ift nicht 
vieleicht blo8 in feiner „Geſchichte Schlefiens“, fondern in gleicher Weile auch im 
den mannigfahen Arbeiten Anderer über einzelne ſchleſiſche Fürftenthümer, Städte, 
Klöſter u. |. w. zu verjpüren; d.e Negeften, deifen kann man ſicher fein, werden auch 
fernerhin fegensreich wirken. Ihrer werden auch die Hiftorifer Polens, Böhmens 
und Mährens nicht entrathen können. 





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Dr. €. Grünbagen: „Zeitſchrift des Vereines für Geſchichte und Alter- 
thum Schleſiens“. XX. Bd. Breslau 1886. ©. 372, 


= 

Sc jehe mich bemüßigt wieder und immer wieder zu betonen, baß dieſe Zeit- 
ſchrift zu den gedisgenften periodiſchen Publicationen zählt, die von Seite hiftorifcher 
Provincialvereine an das Tageslicht treten. Den Reigen der Abhandlungen in diefem 
Bande beginnt Dr. Zul. Krebs mit „Schlefien in den Jahren 1626 und 1627." 
Der Verf. ift in der Zeit des dreißigjährigen Krieges wohl bewandert, Zeuge deffen 
find eine Reihe hervorragender Aufläge und die Herausgabe des VI. Bandes der 
Acta publica Rob, Schüd liefert „Beiträge zur Gefchichte des ſchleſiſchen Poſt— 
wejens von 1625—1740”. Dr. Grünhagens „Schlefien unter Rudolf II. und der 
Majeftätsbrief 1574-1609 ift eine Arbeit, die die Aufmerkffamfeit der Leſer feilelt 
und die wahrjcheinlich die Grundlage bilden wird zu der Schilderung dieſer Zeit in 
jeinem in Bälde erfcheinenden 2, Bde. der „Geſchichte Schleſiens“. Löſchke handelt 
über „die Politik Ottokars IL. gegenüber Schlefien und Polen, namentlich in den 
letzten Jahren feiner Regierung“. Dr. Soffner fchreibt über „die Kirchen-Reduc- 
tionen in den Fürftenthümern Liegnig — Brieg — Wohlau nad dem Tode des 
Herzogs Georg Wilhelm“. Der Stadtardivar Herm. Markgraf, der fih um die 
Geſchichte feines Heimatlandes vielfahe Verdieuſte erworben hat, jchildert uns die 
Thätigkeit und das tragiiche Ende des „Breslauer Hauptmannes Heinz Dompnig F 1491“. 
Dr. Wahner bringt erftlich „einiges über die Garnifonverhältniffe in Oppeln feit 
Friedrich dem Großen big zum Ausgange des Freiheitäkrieges“, ſodaun über „Oppeln 
zur Beit des zweiten jchlefiichen Krieges“, Wernide behandelt den „Künigsrichter 
von Bunzlau Johannes Bütiner“. Dziatzko theilt „ein älteres lateiniiches Gedicht 
auf die Hinrichtung des Herzogs Nikolaus von Oppeln (1497)” und Pfotenhauer 
„die Pförtner vom Neumarkt und ihre Aufzeichnungen“ mit. Ueber „die eriten 
Winterguartiere der Waldfteiner in Schlefien“ handelt Dr. Krebs, derjelbe und Grün— 
hagen bringen „quellenmäßige Beiträge zur Geſchichte des dreißigjährigen Krieges“ ; 
den Band jchließen „archival. Miscellen” und „Bemerkungen, Ergänzungen und Be— 
richtigungen zu neueren Schriften auf dem Gebiete der ſchleſ. Gefchichte”. Der Verein 
erlitt im Vorjahre durch den Tod feiner beiden Mitglieder Prof, Dr. Herm. Palm 
und Öymnafialdirector Dr. Herm. Wentzel einen ſchweren Berluft; die Nefrologe 
ihrieben Dr. E. Reimann und Dr. Grünhagen. 

Wenn auch wicht Namens des Vereines, jo ift doch gewiß nit ohne Aure— 
gung ſeinerſeits erjchienen die | 


Geſchichte der Dörfer Ober: und Nieder-Mois im Neumarkter Kreife, 
Nah archiv. Quellen von J. Jungwitz. Breslau 1885. ©. 285. 


Das Bud, an deſſen Zuftandefommen der Vorftänd des Staatsarchivs durd) 
jein dankenswerthes, hilfreiches Entgegenkonmen und feine Ermunterung, der Fürft- 
biihof von Breslau durch jeine Diunificenz, mit der er d.e Dedung der Koſten über- 
nahın, einen Antheil haben, ift dem Lebteren gewidmet und von ihm dem gemanuten 
Bereine geſchenkt. Er behandelt die ältefte Gejchichte der Dürfer uud ihre Vergabung 
an Laubus, ihre Ausjegung zu deutſchem Recht, die Gründung der Pfarrei und 
Ihildert die Schidjale der Dörfer bis in die neuefte Zeit. Es ift eine gute und fleigige 
Arbeit, die ſelbſtverſtändlich aud auf die kirchlichen Zuftände Rüdficht nimmt und 
die Rechtsgejchichte nicht aus dem Auge läßt. —n. 


ae A Be 


Bellmann’s Führer durd Prag und Umgebung nebjt einem großen Stadt- 
plan mit vollftändigem Straßen: und Pläteverzeichniß, drei Special- 
plänen und einer Umgebungskarte. Siebente Auflage. Vollftändig um- 
gearbeitet von Otto Lohr. Prag, E. Bellmanı’s Verlag 1886. 


Es fehlt nicht an guten älteren und neueren Büchern über Prag und feine 
Umgebung; Bellmanu's „Führer“ hat fich jtet3 der Gunft des Publicums zu erfreuen 
gehabt. Solche praftiihe Wegweiſer, in denen das Nichtige gut geordnet, verzeichnet, 
leicht anfzufinden und präcis bezeichnet ift, haben ihr Verdienſt. Bellmaun's Führer 
hat in feiner 7. Auflage durch die geihidie Hand Dtto Lohr's gewonnen. Ein gutes 
Regiſter erleichtert das Aufichlagen, dann folgen Notizen für die Fremden und die 
Sehenswürbdigleiten. Hierauf gibt der „Führer“ einen gut gruppirten gefchichtlichen 
Ueberblid, führt das wichtigfte topographiiche und ftatiftiiche Materiale an und nimmt 
dann die Stadttheile von Prag, die Vorftädte und Vororte und Prags Unrgebungen 
durch. Bei einer nächften Auflage wäre wünſchenswerth, daß bei den Prager älteren 
und neneren Prachtbauten die Namen der Baufünftler angegeben würden, wie 683.8. 
beim Waldftein’ihen Palais geichehen tft, bei dem herrlichen Lobkowitz'ſchen Palaſt 
aber nicht. Die Pläne find vortrefflih, das ganze Buch recht praftifch angelegt und 
ſonſt wohl ausreichend für den Fremden, leider muß man auch fagen für den Ein- 
heimijchen ; denn e3 ift ganz unglaublich, wie wenig die Leute von Prag und feinen 
Sehenswürdigfeiten, bejonderd von den Runftihäten willen. Das nette Büchlein kann 
Jedermann beftens auempfohlen werden. Erwig. 


Deter Miloſlav Vefelsfy: Der Fremdenführer in der königlichen freien 
Silberberg: und Minzitadt Kuttenberg uud deren nädjiten Umgebung. 
Ein Wegweifer ꝛc. Mit 12 Abbildungen. Kuttenberg 1886. 
Karl Sole. ! 


Der Berfaffer gibt zuerst einen Ueberblick über die Geichichte des Silberberg- 
banes. Seite 34 Ipricht ev über die Lage der Stadt und ihre ftatiftiichen Verhält- 
niffe. ©. 39 beginnt er das Capitel über die Gemeindeverwaltung ꝛc. Cap. IV. führt 
die Unterrichtsanftalten, Cap. V. die Wohlthätigkeitsanftalten, Cap. VI. die merf- 
würdigen Bauwerke, vor Allem die prächtige Barbara-, die Jacobikirche und Marta: 
Himmelfahrtskirche, fowie die anderen Baudenkmäler an. Diefes Cap. ift von großem 
Intereſſe für den Lefer. Das Buch wird jeden Beſucher der Stadt gute Dienfte 
feiften, e3 muß ab r ſprachlich vollkommen umgearbeitet werden. Die Sprache wim— 
melt von Bohemismen. Wir wollen von den- Drudfehlern abjehen, die äußerft ſinn— 
ftörend find, und nur eine Heine Blütheuleſe von den erften Seiten geben. ©. 5 ehe 
zur Beichreibung . . . kommen wird — fürdachte S. 6 — daß auf einer fo geringen 
Erdfläche 2c, gibt gar feinen Siun, ©. 6 daß die Stadt ſehr rajch fid) erhoben hatte, 
kann mit dem Umſtande gedacht werden, ©. 6, — thaten einen Widerftand ©. 7, 
dem zur Hilfe den Kuttenberger eilenden ©. 7. Das Setzen der Zeiten ift dem Verf. 
eine mubefaunte Sache, wovon jede Seite Zengniß gibt. S. 7 immer ftatt immer— 
mehr. ©. 8 Es entlich fih ein Wolkeubruch. S. 8 drohten der Vernichtung. ©. 9 
geichlagen haben wollte; er rüdte vor K. ein. Der Sagban ift überall ungeſchlacht 


u. AT 


©. 10 Landtägen, ©. 11 diejelben für fid) verficherte, S. 13 im Flor war, von der 
©. 14 Halt an Silber ꝛc. ꝛc. Die Abbildungen find nett, die ganze Ausstattung des 
Buches nicht übel, Erwig. 


Dr. Felix Zeller: Die Incunabel-Drucke der fürſtl. Fürſtenberg'ſchen 
Bibliothek zu Bürglig. Stuttgart, 1885. 


Die reichhaltige fürftl. Fürftenberg’sche Bibliothek, die gegenwärtig auf Schloß 
Pürglitz ſich befindet, befist eine beträdhliche Zahl von Incunabeln, von denen manche 
in den befannteren bibliographiichen Werfen wohl, wenn auch nicht ganz richtig. be- 
Ichrieben, andere aber gar nicht angeführt eriheinen. Herr Bibliothefar Dr. Felir 
Zeller hat durch eine genaue Beichreibung der vorhandenen Wiegendrude die Wiffen: 
Ihaft und Fachkreife in hohen Maße zu Dauf verpflichtet; feine Arbeit, zuerft in dem 
„Neuen Anzeiger für Bibliographie und Bibliothekswiſſenſchaft“, 46. Jahrg., erfchienen, 
liegt nun als Separatabdrud vor und verzeichnet im Ganzen 173 Incunabeln, von 
denen bie felteneren eingehend behandelt, die häufiger vorkommenden aber nur kurz 
befchrieben werden. Zu jenen gehört‘die erfte deutiche „Bibel“, ungefähr um 1466 
von 9. Eggeftein in Straßburg gedrudt, zugleich der ältefte Wiegendrud der Bi- 
bfiothef, ein „Missale Pragense“, Nürnberg, Georg Stuchs, 1498 u. a. Bur 
leichten Orientirung dienen die Inhalts-Ueberfichten, welche die Werke in alphabetiicher 
Ordnung nad den Drudern und den Drudorten fowie aud nach den fortlaufenden 
Drudjahren von 1466 - 1500 anführen, Otto Lohr. 


Dr. Rarl Schober: Quellenbuch zur Gedichte der öſterreichiſch-unga— 
riihen Monarchie. Ein hiſtoriſches Lefebuch fiir höhere Schulen und 
für jeden Gebildeten. I. Theil. Bon der älteften Zeit bis zum Aus— 
jterben der Babenberger. Wien, Alfred Hölder, 1886. 


Welch ein weiter Weg aud auf pädagogiſchem Gebiete von dem erften Be— 
fanntwerden eines neuen, blendenden und anjcheinend bahnbredhenden Gedankens big 
zu deffen Verwirflihung zurüdzulegen ift, hat fi unter andern auch an dem Bor: 
Ichlage der Herbart » Zillerihen Schule, den Geichichtöunterricht auf die Lecture der 
Quellen ſelbſt zu begründen, gezeigt. Wohl gibt es feit langer Zeit Leſebücher aus 
Homer, Herodot, Livius u. ſ. w.; aber durch diefelben wurben doc nur joldye 
Scriftfteller für den Gefhichtäunterricht nusbar gemacht, deren Eignung als Schüler: 
lecture auch früher ſchon feftitand, und die daher auch früher ſchon an Gymnajien 
gelefen worden waren. Das Neue an den angeführten Lejebüchern bejtand nur darin, 
daß fie die betreffenden Schriftiteller in größerem Umfange als vorher, nämlid) 
nahezu vollftändig, den Schülern zugänglic zu machen fuchten, daß fie behufs leich— 
teren Verftändniffes ſtatt der Urſprache eine Ueberjegung boten, und endlid darin, 
daß fie, während der Gymnaſialunterricht vorher auch bei Behandlung biftoriicher 
Schriftfteller mehr die ſprachliche Seite berüdfichtigt hatte, num in erſter Reihe deu 
Inhalt zur Geltung braten und die Schriftfteller als Quellen geſchichtlicher Er- 
fenntniß betrachten lehrten. Auf die Geſchichte des Mittelalterd und der Neuzeit 

2 


dagegen, für welche die Verwirklichung de3 oben angeführten Gedanfens eine voll: 
ftändige Neuerung bedeutete, wurde diejes Verfahren bisher nur felten und, joweit 
es öfterreichiiche Gejchichte betrifft, noch gar nicht in Anwendung gebradht. Die her— 
fümmliche Nedensart von der „Lüde”, die durch ein nen erichienenes Bud ausgefüllt 
werde, trifft alfo bei dem „Quelleubuche“ Schobers buchftäbli zu. Bon den „Leſe— 
büchern“ zur alten Gefchichte unterjcheidet es fich freilich mwejentlih, nnd zwar ſchon 
darum, weil es nicht ein einzelnes Geſchichtswerk, jondern Bruchſtücke aus einigen 
Dutzend verichiedener Chroniken, Legenden u. |. w. bietet, ein Umftand, der freilich 
durch die Natur der Sache fi) von jelbft ergibt, aljo dem Herausgeber nicht zur Laſt 
fällt, aber doc) dem Ganzen etwas buntichediges gibt. Das Buch beichränft fidy ferner 
nicht auf bloße Ueberfegung und Erklärung, ſondern gibt auch den griedhifchen oder 
lateinijchen Urtert, was injofern gebilligt werden muß, weil das ſprachliche Gewand, 
in welchem die mtittelalterlihen Quellen auftreten, für die betreffende Zeit bezeichnend 
und dadurch lehrreich ift; nur fürchten wir, daß es wenige Gymnaſiaſten über ſich 
vermögen werben, den eigenthümlichen Wendungen und Sabgebäuden diefer Quellen- 
bruchjtüde nachzugehen, da unmittelbar daneben die "bequeme Ueberſetzung fich darbietet. 
Segen die Answahl der Quellenabſchnitte wird fich kaum Exrhebliches einwenden laſſen; 
alle irgendwie wichtigeren Begebenheiten find berüdjichtigt, umd aus dem ja großen: 
theil3 recht dürren und öden Chronikenftoffe ift mit Gefchif Dasjenige herausgehoben 
worden, was dem modernen Geſchmack noch am ehejten zuſagt. Ob eine eigentliche 
„Belebung“, d. h. eine anjchauliche, Farbenreiche Vergegenwärtigung der mittelalter- 
lihen Geſchichte gerade mit Zuhilfenahme einzelner mittelalterliher Quellen zu er: 
zielen jei, daran zweifle ich, insbefondere in Bezug auf öſterreichiſche Geſchichte, nad) 
Einfihtnahme in das vorliegende Buch mehr als vorher, Kunftreiche, moderne 
Darftellungen, wie wir fie 3. B. in Gieſebrechts deuticher Kaiſergeſchichte haben, 
ericheinen mir im diefer Hinficht wirkfiamer. Dennoch tft e3 gut, daß der Verſuch 
gemacht wurde, und ein wichtige Hilfsbudy für die Hand der Lehrer, zumal folder, 
welche nicht Gelegenheit hatten, ſich mit mittelalterlichen Quellen in größeren Um: 
fange bekannt zu machen, wird Schober’s Quellenbuch aucd dann bleiben, wenn fich 
die Erwartungen, die in Bezug auf eine ausgiebige Benützung des Werkes von Seite 
der Schüler gehegt werden, nicht in vollem Maße erfüllen ſollten. Auf alle Fälle 
fanı das Bud) den Lehrern der Geichichte, jowie den Vorftehern von Schülerbiblio- 
theken zur Anſchaffung nur empfohlen werben. th. 


Heinrich Teweles: Preile und Staat. Eine Unterfuchung. Prag 1886. 
Verlag von D. Kuh. 


Wohl angeregt durch die Prefanträge, welche in der jüngften Zeit im öfter: 
reichiſchen Reichsrathe von verfchiedenen Seiten eingebradyt wurden, bejpricht der 
Berfaffer in dem und vorliegenden Schriftchen die Laften und Dinderniffe, welche der 
Staat der Preſſe auferleat und in den Weg legt. Der Verf. geht von dem, wehl von 
Niemandem beftrittenen Gruudſatze aus, daß die Breffe in ihrer heutigen Form ein 
hervorragendes Volfsbildungsmittel fer, und daß der Grund, daß der Staat oder viel- 
mehr die Regierung, welche ſonſt alle Inftitutionen der Bolksbildung unterftüßt, gerade 
dieſer alle möglichen Hinderniffe bereitet, in der falſchen Auffaffung Liege, die da lehrt: 


u AG: 


die Zeitung ſei von vornherein ald etwas Gefährliches, dem Staate Feindliches anzuſehen. 
Dielen Grundſatz fefthaltend beſpricht nun T. die einzelnen, dem Zeitungsweſen auf: 
gebürdeten Beichränkungen, die Conceſſions- und Cautionsfrage, die Cenſur- und 
Inſeratenſteuer, den Zeitungsftempel u. ſ. w. Wenn er zu dem Schluffe kommt, daß 
die Stempelftener als VBerbraudysftener ganz und gar unhaltbar ift, fo werden wir 
ihm rückhaltslos beiftimmen. In feinem Vorſchlage aber, durch eine allerdings viel 
gerechtere, fih nad) Raum und Auflage richtende Inſeratenſteuer die Stenerlaft von 
dem Leſer auf den Unternehmer zu übertragen, können wir fein befonberes Heil er- 
bliden. Denn würde vor Allem der Unternehmer nicht ebenfalld wieder die Laſt auf 
den Conjumenten werfen? Und nachdem der Inſeratentheil bei den meiften Zeitungs— 
unternehmmngen die einzige thatſächliche Einnahmsquelle ift, jo ift ja der Inſeraten— 
theil durch die Einfommenftener, die der Eigenthümer doch zahlen muß, ja jo wie fo 
beftenert. Diele Inferatenftener wäre unferer Anficht nach keine „Ergänzung“ der 
Einfommenftener, wie T. meint, fondern einfah eine vollkommen ungerechtfertigte 
Verdoppelung derjelben. Der Verf. erklärt hiebei, fein Vorfchlag zeige, daß er nicht 
darauf ausgegangen jet, die Zeitungsftener im Principe zu verwerfen. Wir halten 
fie aber vollkommen, auf feine übrigen Ausführungen geftüst, für vwerwerflih. Die 
Beitung als gefchäftliches Unternehmen ſoll ja ficher beftenert werden, aber vollftändig 
conform mit allen anderen gejhäftlichen Unternehmungen; der allgemeinen Volks— 
bildnerin aber außerdem nod) eine zweite Art der Beftenerung, eine eigene Zeitungs: 
ftener aufanbürden, glauben wir, ließe fi) nie und nimmer rechtfertigen. Wo bleibt 
denn danı die „möglichite Erleichterung des Gewerbes”, die T. ganz folgerichtig 
fordert, wenn man Extra-Abgaben gerechtfertigt findet? Gegen diefen Vorſchlag des 
Berfaflers müffen wir alfo Verwahrung einlegen, allen andern in der Brochure ent— 
wicelten Ideen dagegen fünnen wir volltommen beiftimmen, aud dem Berlangen, 
die Eonfiscationserfenntniffe dem Geichwornengerichte zuzuweiſen, obgleich hier gerade 
bei uns in Prag vom praktiſchen Standpunkte aus einige Einwendungen gemacht 
werden könnten. Dr. Karl Görner. 


Alfred Rlaar: Gedenfrede zur Feier von Ludwig Börne's hundertitem 
Geburtstag. Brag, D. Kuh. 1886. 


Der Berein deutſcher Scriftfteller uud Künftler in Böhmen „Concordia“ 
veranftaltete anläßlich des Hundertften Geburtstages Ludwig Börne's am 22. Mai 
1886 eine erhebende Gedenkfeier, bei weldyer der Obmann Herr Alfred Klaar eine 
nad; Form und Inhalt gediegene Nede hielt, die nun als Brodüre im Buchhandel 
erichienen ift. Ausgehend von dem Satze: „Wie ward er (Börne) und und wie Fan 
er und wieder werden?” entwirft der Reduer ein ſcharf umriſſenes Charafterbild 
Börne's und feiner Zeit, würdigt jeine Bedentung und Stellung in der deutjchen 
Literatur und liefert eine von ceingehendem Studium aber aud von bejonderer 
Vorliebe und fait überſchwenglicher Verherrlichung des Gefeierten und jeiner Schrif- 
ten zeugende Apologie des „Begründers der deutjchen Journaliftif des XIX. Fahr: 
hundert3“, Otto Lohr, 


2 


BO. 


r. Herm. Weichelt: Deutſch-öſterreichiſche National-Bibliothek, Pen). 
nn des Herausgebers. 


Dieſes verdienftlihe und zeitgemäße Unternehmen, deffen wir an diefer Stelle 
ſchon wiederholt rühmlih Erwähnung gethan, jchreitet rüftig vorwärts und findet 
immer neue Freunde, da ed Jedermann die Möglichkeit bietet, um einen verhältniß— 
mäßig billigen Preis (1 Bändchen koſtet 10 Kreuzer) ſich allmälig in den Beſitz einer 
guten Hausbibliothel zu jegen. Der Herausgeber weiß auch mit Verftändniß bie 
richtige Wahl aus dem reichen poetiſchen Schatz unferer heimifchen Dichter zu treffen, 
von denen in erfter Linie die hervorragendften nach Gebühr in jeiner „Deutſch-öſter— 
reichiſchen National-Literatur” vertretin find, aber andy weniger befannte ältere und 
jüngere Berüdfichtigung finden. Seit unferer legten Anzeige (Literar. Beilage zum 
Sahrgang XXIV der „Mittheilungen“, Seite 35) find folgende Bändchen erichienen: 
28. Spaziergänge eines Wiener Poeten. Bon Anaftafius Grün — 29—30, Griſeldis. 
Dramatiiches Gedicht von Friedrich Halm. — 31. Der arme Spielmann, Erzählung 
von Franz Grillparzer, — 32. Todtenkränze. Canzone von Zedlitz. — 33. Onkel 
Forſter. Eine Alltagsgeichichte von Karl Herloßfohn. — 34. Camoens. Dramatiſches 
Gedicht von Friedrich Halm. — 35—36. Garrid in Briftol, Yuftipiel von J. 2, Dein- 
barditein. — 37. Die Griehin. Novelle von Adolf Foglar. — 38—39. Das Klofter. 
Idylliſche Erzählung von Karl Egon Ebert. — 40, Ein Landpfarrer, Erzählung von 
&. Herloßjohn. — 41-42. Brodmann. Schanfpiel von Frig Pichler. — 43. Ingvelde 
Schönwang. Altnordiſches Bild von Zedlig. — 44. Eine Nacht in den Apenninen. 
Novelle von C. Herloßfohn. — 45—46. Die unheilbringende Krone. Zauberipiel von 
Ferd. Raimund. — 47, Die Tage des Teufeld. Novelle von Alfred Meißner. — 
61. Agda Sjöſtröm. Hifter. Schanfpiel von Heinrih Swoboda. — 63—64. Der 
Fechter von Ravenna, Tranerjpiel von Friedr. Halm, Otto Lohr. 


Anton Reitler: Conrad Ferdinand Meyer, Eine Titerarifche Skizze zu 
des Dichters 60. Geburtstage. 2. Aufl. Leipzig, H. Haeſſel 1885. 


Sonrad Ferdinand Meyer ift einer der lickenswürdjgften und eigenartigften 
zeitgenöfltichen Dichter, der troß feiner prächtigen Novellen und Erzählungen bei und 
zu Sande fo ziemlich unbekannt geblieben ift. Unjer Landsmann Anton Neitler unter: 
nimmt es nun, in dem angezeigten Buche den Lebens: und Entwidlungsgang des 
bedeutenden Schweizer Poeten Meyer, feine Werke und deren Borzüge und Schön— 
heiten zu beleuchten und hiedurch manchen Leſer auf Genüffe aufmerkſam zu machen, 
die ihm bisher fremd waren, Daß U. Reitler's Unternehmen ein nothwendiges nud 
erfolgreiches war, dafür jpricht die zweite Auflage, die jein Buch in kurzer Zeit erlebt. 
Mit Wärme führt er die Sache feines Clienten, vertieft fih im geiftwolle Unter- 
fuchungen der Motive in den Dichtungen, harakterifirt in jcharfen Linien die Ge— 
ftalten der Meyer'ſchen Muſe und erzielt, wa3 er will, ganz und voll: Er veranlaßt 
den Leſer mit den Werfen Meyer’3 ſich jelbft vertraut zu machen, fie zur Hand zu 
schmen Der literarifchen Skizze, mit welcher fih Anton Reitler auf das Belte 
einführt und zu der wir ihn beglückwünſchen, ift ein fachmilirter Brief ded Dichters 
an den Verfaſſer beigegeben. Otto Lohr. 


— 21 — 


Dr. E. Mach: Der relative Bildungswerth der philologiſchen und ma— 
thematisch = naturwilienschaftlichen Unterrichtsfächer der höheren Schulen, 
Vortrag, gehalten vor der Delegirtenverfanmlung des deutſchen Real— 
jchulmännervereins zu Dortmund. Leipzig-Prag 1886, Tempsky— 
Freytag. 


Der bekanute ausgezeichnete Gelehrte gibt den Entwurf eines Vortrags, der 
auf der Naturforicherverfammlung in Salzburg hatte gehalten werden jollen, aber 
auf der VBerfammlung des deutichen Realſchulmännervereius gehalten wurde; der 
Verf. jagt ausdrüdlich. daß feine Ausführungen zunächſt nur die deutſchen Schulen 
betreffen und daß fie auf die üfterreichifchen nicht ohne alle Modificationen zu über- 
tragen find. Die Mittheilungshefte des biftorifchen Vereines find fein pädagogiſches 
Blatt, es handelt fi alfo bier nur darum, von der Culturbewegung Kenntniß zu 
nehmen, die fi auf dem Gebiete des Unterrichtes ankündigt, befonders, wenn dieſelbe 
von einem jo bedeutenden Mann der Wiffenjchaft vertreten iſt. Dr. Mad) will das 
Griechische einerjeits und die Mathematik anderfeit3 für facultative Unterrichtsgegen— 
ftände der Oberclaffen de3 Gymnaſiums erklärt wiffen. Gegenüber deut einfeitigen 
Geſchrei gegen die Philologen hat ein Vertreter der realen Wiſſenſchaften aud einmal 
den Muth, gegen das Uebertreiben der mathematischen Disciplin am Gymnaſium ein 
Wort zu fprechen, was jedenfalls ſehr bemerkenswerth iſt. Die eigentliche Kluft 
zwijchen dem humaniſtiſchen Gymnaſium und dem (deutfchen) Realgymnaſinm wäre 
hierdurch überbrüdt. Neben vielem Richtigen begegnen wir in dem intereflanten 
Schriftchen manchem fchwer anzunchmenden Sat. Seite 16 heißt e8: Wie wenig 
eine complicirte Grammatik mit der Feinheit der Gedanken zu thun hat, beweijen 
die Jtaliener und Franzoſen 2c. Treffend ift die Bemerkung: „Sch glaube, daß der 
für eine zwedmäßige Bildung zureichende Lehrſtoff, welcher allen Zöglingen einer 
Vorbereitungsichule gemeinfan geboten werden muß, ſehr beicheiden ift, ich würde bie 
Bahl der Schulftunden und die Arbeitszeit außer der Schule bedeutend einjchränfen.” 
„Auch in den Oberclaffen braucht der allen Zöglingen gemeinfame LXehrftoff ein be— 
fonderes Maß nicht zu überjchreiten,” Mag man mit den Säten des Herr Verfs. 
einverftanden fein oder nicht, aus der Schrift wird “Jeder lernen, der lernen will und 
die Augen nicht abfichtlich verfchließt vor der großen Bewegung, die auf diejem vor: 
bereitenden Gebiete des Unterrichtes fi) vollzieht. Die Offenheit und Klarheit, mit 
der der Verf. jpricht, -Täßt über feine Anfhauungen feinen Zweifel auffommen; daß 
der Herr Berf. feinen Stoff jharf erfaßt und ebenfo deutlich entwidelt hat, daß er 
jede pädagogische Phraſe verfhmäht, wie fie jest in der Mode find, ift ein großer 
Vorzug des Schriftchend, deflen Anregungen gewiß Freund und Gegner gern folgen 
werden, Erwig. 


— — —— — 


Vom Büchertifche der ſchönen Fiteratur. 


Erinnerungsblätter au Joſeph Victor von Scheffel. Prag, Selbſt— 
verlag der „Leſe- und Redehalle der deutjchen Studenten”, 1886, 


Die „Leſe- und Redehalle der deutſchen Studenten” in Prag veranftaltete 
aus Anlaß des Ablebens de3 gefeierten Dichters Joſeph Victor von Scheffel am 


13. Mai I. $. einen Tranercommers, Zu diefer pietätvollen Feier. ihres Ehrenmit- 
gliedes trugen eine Reihe von Dichtern ftimmungsvolle Grüße und ſchön empfundene 
poetijche Ergüfle bei, welche zumeift dem Heimgang des Sängers des „Gaudeamus“ 
gelten und die in Buchform dem großen Lefepublicum, unter welchem ja eine große 
Sceffel-Gemeinde eriftirt, zugänglich gemacht wurden und dieſem gewiß willfonmen 
fein werden. Ein Fachimile der Dankverje, die Scheffel der „Leie- und Redehalle“ 
für ihre Beglückwünſchung zu feinem 5Ojährigen Jubiläum im Jahre 1876 zu- 
ſandte, eröffnet die Anthologie, in welcher 2. Anzengruber, Felir Dahn, L. A. Frankl, 
Robert Hamerling, P. K. Rofegger, Ernſt Wichert und andere Nanten von beften 
Klange neben jüngern, aufftrebenden Autoren vertreten find. Die Ausftattung des 
Büchleins ift eine elegante. 


Joſef Sacher’s gejammelte Schriften. Herausgegeben von Wilhelm 
Franz. Neihenberg, Selbitverlag des Herausgebers. 1886. 


Für die meiften unferer Lejer dürfte der Name Sacher's wohl ganz unbekannt 
fein; und doch wird er in einer, freilich erſt zu fchreibenden Geſchichte der poetiichen 
Literatur Dentih-Böhmens feinen Platz einnehmen und feinem Träger ein dauernde 
Gedächtniß fihern. Der Kenner der „Erinnerungen“ aber, die dem heimiſchen Lite— 
rarhiftorifer eine reiche Fundgrube bedeuten, wird in Sacher einen alten Freund 
finden und ſich gewiß feines epiichen Gedichte „Ludwig von Hammerftein oder das 
gegebene Ritterwort“ eutſinnen, womit unjer Dichter in den Jahrgang 1834 der 
„Grinnerungen“ fich vortheilhaft einführte. Nacd dem Jahre 1848, dad Sacher mit 
Ufo Horn bei dem großen Verbrüderungsfefte in Reichenberg bekannt machte, ver- 
ſuchte er es mit einer periodijchen Zeitichrift, die unter dem Titel „Wandelftern“ 
allmälig zu einem größeren Familienblatt umgeftaltet werden follte, aber ſchon nad) 
der eriten Nummer wieder einging. Bon nun an ließ Sachers feine poetifhen Pro— 
ducte in verjchiedenen Journalen erjcheinen, und Herrn Wilh. Franz gebührt immerhin 
unfer Dank, daß er die Schöpfungen feines Landsmannes, der am 27. Auguft 1803 
in Neichenberg geboren wurde und am 22. Februar 1859 in Friedland ftarb, ſam— 
melte und im einem jchön ausgeftatteten Bande von 10’, Bogen der Vergefjenheit 
entzog. Dem Inhalte nad theilen fie fi im Gedichte ernften, vermifchten und 
heiteren Inhaltes und in Proſaiſche Schriften. Stehen die Gedichte insgefammt auch 
nicht auf der Höhe und entrathen einzelne auch echt poetilchen Schwunges, edler 
Sprache und ſchöner Form, was namentlich von manchen recht unbedeutenden Gele— 
genheitsfachen, den Epigrammen, Näthjeln u. a. gilt; fo findet fi in den „Gejam- 
melten Schriften” Sachers manches Leſenswerthe, ja wirklich Schönes. Webrigens 
hätte es dem Nachruhme des Verfaſſers keineswegs Abbrud gethan, wenn der Her— 
ausgeber ftatt „Alles“ zu bringen, ſich mit einer ſorgfältigen Auswahl begnügt hätte, 
In Anbetracht des ſchönen Zwedes, den er verfolgt, mit dem zu erhoffenden Rein— 
ertrag die Noth der hochbetagten kranken Witwe de3 Verftorbenen in Etwas zu 
lindern, und unter Hinweis auf das weiter oben Geſagte, verdient das Buch Ver— 
breitung und raſchen Abjat. 


— — 


Theodor Autter: Aus der Jugendzeit. Gedichte Warnsdorf, 
Eduard Strache. 1886. 


Im netten Gewande bietet uus Theodor Hutter eine Liedergabe, für welche 
wir ihm zu anfrichtigem Danke verpflichtet find. Das Mißtrauen und die Vorficht, 
welche durch die heutzutage geradezu epidemiſch auftretende Dichterwuth und ihre 
Ausbrüche den Kritifer erfüllen müffen, ſchwand bereit3 nad) der Lecture der erften 
„Lieder ber Sehnfucht”, und je weiter wir lafen, befto beftimmter drängte fih uns die 
Ueberzeugung auf, daß Theodor Hutter eine Ausnahme von ben vielen modernen 
Dichterlingen bildet, die der überwiegenden Mehrzahl nad) eine jeichte, trübe Pfütze 
für den caftaliichen Quell halten, ans denen fie für ihren „Wahnſinn“ das richtige 
Bomitiv trinken. Theodor Hutter ift ein berufener Dichter, ein wirklicher Lyriker, ber 
wie ein Zeit: und Berufsgenoffe von ihm neidlos anerkennt, „gefundes Empfinden 
und finnige Gedanken zu kunſtgerechtem und wohltönendem Ausdrud zu bringen ver- 
fteht“. Bei ihm findet fih nichts Gekünfteltes, nichts Geziertes; feine Rieder fließen 
natürlich und einfach, fie kommen aus einem warm empfindenden Herzen und rufen 
im Buſen des Leſers einen harmonischen, andauernden Wiederhall wach. Bei diejen 
hohen Vorzügen wollen wir aber auch nicht unterlaffen zu geftehen, daß in Bezug 
auf Formvollendung Manches zu bemängeln bleibt, daß Reime wie verflärt — 
ftört (S. 20) u. a. gerade hier unangenehm auffallen; aber der Verfaffer wird dieſen 
Vorwurf nicht als Heinliche Nergelei auffaffen und hiebei der Worte Leffing’3 denfen, 
daß man bei einem echten Dichter den ftrengften Maßſtab der Kritif anlegen fol. — 
Zu den ſchönſten Liedern des Buches, das gewiß verdienten Anwerth finden wird, 
zählen wir „An die Ferne”, „O wolle fanft Dich neigen“ und „An meine Heimat“. 
Einen ernften Ton ſchlagen die Gedichte „Die Wahrheit” und „Auf Alfred Meißner's 
Tod“ an. Mit aufrichtiger Freude conftatiren wir nochmals Hutter's Bedeutung und 
hegen den innigen Wunfch, noch öfters die Klänge jeiner Leyer ertünen zu hören, 


Rarl Iro: Sechs dentihnationale Lieder, Dem jungen Oefterreich ge: 
widmet. Eger, Selbjtverlag 1885. 


Aus diefen patriotiichen Liedern Karl Iro's, eines talentirten Egerländer 
Poeten, weht ein frifcher, jchneidiger Geift und eine hohe Begeifterung für das deutſche 
Boll in Oeſterreich; ftellenmweife gemahnen fie fogar an unfere großen Sänger zur 
Zeit der Freiheitöfriege. Solche Wedrufe haben gerade in unferen Tagen Bedeutung 
und Berechtigung und verdienen Beachtung. Die jehs Lieder find betitelt: Deutjcher 
Neujahrsgruß, Brauf’ deutiches Lied, Mein deutsches Volk, Vom Dillen, Ein Mahn: 
ruf, Deutiche Art. 


Heinrih Zimmermann: Prager Spaziergänge. Ein Cyelus eruſter und 
heiterer Dichtungen. Prag, Selbſtverlag. 


Wir hatten Gelegenheit, vor geraumer Zeit die Poeſien Zimmermann's im 
Manuſcripte zu leſen und gaben der ſtillen Hoffnung Raum, daß der Autor ſich mit 


— — 


dem Erfolge, den er mit ihnen in einem engeren Freundeskreiſe errungen, begnügen, 
ſie aber nicht der Oeffentlichkeit preisgeben werde. Und nun iſt es doch geſchehen! 
Wegen einiger weniger Gedichte, die recht paſſabel genannt zu werben verdienen, 
gleich einige Dutzend ganz mittelmäßige, ja nichtsfagende Neimereien, von denen das 
„beitere“ der „heiteren Dichtungen“ Höchftens im Bankeljänger-Styl und Ton fi 
verräth, durch Druderjchwärze verewigen zu laſſen — „ja beim Barte des Propheten 
— Das war wahrlich nicht vonnöthen!”“ Die Diction diefer „Prager Spaziergänge“ 
gemahnt und gar zu jehr an das Pflafter in vielen der Straßen, durch die uns unfer 
„Dichter“ führt: beide find holprig. 


Dr. Johannes Rlein: Religiöſe Dichtungen des Presbyter Johannes. 
Dritte Ausgabe. Neifje, F. Huch, 1884. 


Die angezeigten Dichtungen befunden Formgemwandtheit und einen tiefen, wahr: 
baft frommen Sinn und reihen zu den befferen religiöfen Liedern, deren die moderne 
Richtung nur wenige zeitigt. Die fprechendfte Empfehlung für das Bud Dr. Johannes 
Klein's liegt in dem Umſtande, daß es bereits die dritte Auflage erlebt hat. 

Otto Lohr. 


„Deutſch-böhmiſcher Vereinskalender.“ Der erfte Jahrgang eines „Deutſch-böh— 
mijchen Vereinskalenders“, der gewiß in allen deutfchen Kreifen auf freundliche Auf— 
nahme rechnen darf, joll im Format eines elegant ausgeftatteten Taſchenbuches im 
Fahre 1887 erſcheinen. Er wird das ganze Gebiet des deutichen Vereinslebens in 
Böhmen überfichtlich darftellen und beleuchten und dadurch der deutfchen Gultur- 
geſchichte Böhmens ein reiches Material bieten. Sein Inhalt foll bilden: 1. Ein mit 
alfen für das Vereinsweſen wichtigen Hinweifen verjehenes Kalendarium. 2. Eine 
ftatiftifche Weberficht des deutfchen Vereinsweſens in Böhmen. 3, Ein nad) Bezirken 
geordnete Verzeichniß aller deutichen Vereine in Böhmen, ihrer Zwecke, der wich— 
tigften Momente ihrer Thätigkeit, ihres Mitgliederftandes und ihres Vermögens, ihrer 
Obmänner, Vorftandsmitglieder und Functionäre. Auch beſonders bemerkenswerthe 
Momente der Organiſation und die Aufnahmsbedingungen werden erſichtlich gemacht 
werden. 4. Eine Reihe von Vormerkblättern mit praftiichen Rubriken für die Ver: 
einsthätigkeit jedes Einzelnen. 5. Das Vereins- und Berfammlungsgefet, bezie— 
hungsweiſe von Fahr zu Fahr die Neuerungen und wicdtigiten Entjcheidungen auf 
diejem Gebiete, Der deutſch-böhmiſche Vereinsfalender wird außerdem alljährlich 
mit dem Bilde eine hervorragenden, um das deutſche Vereinsleben befonderd ver: 
dienten Mannes geſchmückt werden, zu diefem Bilde die Biographie und außerdem 
eine Neihe von Artikeln bringen, welche verichiedene Seiten des deutichen Vereins: 
lebens in ein helleres Licht jegen, Anregung zu Förderungen und Verbefferungen auf 
diefem Gebiete enthalten follen. — Die Redaction und Adminiftration, an welche die 
Bereine ihre Beiträge zu ſenden erſucht find, befindet fi in Prag, Tenugafle Nr. 17. 





— — — 


8. tr, Hofbuchdruckerei A. Haaſe. — Selbftverlag. 


Literarifdhe Beilage 


zu den Mittheilungen des Bereines 


. 
Geschichte ller Deutschen in Böhmen. 


XXV. Jahrgang. u. 1886/87. 








Dr. E. werunsfy: Gedichte Karl IV. nnd feiner Zeit. IL. Band, 
2. Abth. Iunsbruck, Wagneriche Buchhandlung. 1886. 


Wenn zwilchen der 1. und der vorliegenden 2, Abtheilung des IL. Bandes 
von Werunsky's Karl IV. eine längere Unterbredung ftattfand, jo wird fie damit 
erflärlich, daß dazwiichen eine Forſchungsreiſe nad) Rom, und ald unmittelbare Frucht 
derſelben die Veröffentlihung feiner „Auszüge aus den Regeften Clemens VI. und 
Innocenz VI. zur Geſchichte des Kaiſerreiches unter Karl IV.“ Tiegen. Gleich wie 
die vorhergehenden Bände wollen wir, unferer Aufgabe gemäß, and die vorliegende 
Abtheilung unferen Lejern zur Anzeige bringen, indem wir uns unfer Endurtheil über 
das groß angelegte Werk unferes gelehrten Landsmannes bis zu dem Augenblid vor: 
behalten, bis zu weldem uns der Schluß desfelben vorliegen wird, 

In den let erichienenen Halbbande wird im 7. Capitel (S. 325—374) die 
Gründung der Neuftadt und der Univerfität Prags und des Königs deutiche Politik 
von 1350—1354 abgehandelt, das 8, (S. 375—484) beſchäftigt ſich ausichließlich mit 
dem politiichen und ſocialen Zuſtand Staliens um die Mitte des 14. Jahrhunderts 
und das 9. (S. 484—618) erörtert Karla IV. italienische Politif und feinen Römer: 
zug. Aus diefem Ueberblid über den Inhalt des Halbbandes ift erfichtlid, daß der 
Löwenantheil Ftalien und deſſen Angelegenheiten zufällt, 

Was das 7. Kapitel betrifft, jo wird Karls böhmiſche Königskrönung erzählt, 
hierauf die Gründung der- Neuftadt und der Univerfität mitgetheilt, jodanır zeigt uns 
ber Verfafler Karls Thätigkeit in den deutjchen Angelegenheiten. Die branden- 
burgifhen Händel find noch lange nicht jo weit gediehen, daß fie des Königs volle 
Aufmerkſamkeit und ein energiiches Eingreifen in Anſpruch genommen hätten; dafür 
jucht er die Nechtsunficherheit und die rohe Selbfthilfe durch Landfriedensbündniffe 
einzubänmten, Daß deren Aufzählung und die der Theilnehmer an benjelben etwas 
ermüdend auf den Lejer einwirkt, liegt in der Natur der Sadıe. In des Königs 

3 


— 26 — 


Charakter lag es nicht den Tod feiner zweiten Gemahlin (2. Feber 1353) lange zu 
betrauern; faum it er Witwer geworden, fo fteht er auch ſchon in Unterhandlungen 
um die Hand der Erbin von Schweidnig und Sauer, die er den 27. Mai heimführt. 
Wer die weitere Thätigleit Karls in Bezug auf Deutichland bis zu feinem Römerzug 
näher fernen lernen will, den verweilen wir auf die Lectüre des 7. Capitels. Das 
8, ift, wie fchon bemerft wurde, Jtalien gewidmet. Der Verfaſſer verfchafft uns eine 
genane Einfiht in die politischen VBerhältniffe der Halbinjel. Wenn aud die Ueber- 
fülle der großen und fleinen bis herab zu den winzigften politischen Eriftenzen, die 
fih um die Mitte des 14. Jahrhunderts jenfeit3 der Alpen bemerkbar machen, den 
Lejer anfänglih verwirrt und die Aufzählung der oft recht kleinlichen Intereſſen der 
mannigfachen Parteien jchier erdrüdend auf ihn wirft, jo möge er fih doch ruhig 
der Führung des Verfaſſers anvertrauen, der im Belige der genaneften Keuntniffe der 
Berhältniffe, ihn durch das unentwirrbar jcheinende Labyrinth der Parteienpolitif 
ficher leiten wird, In dieſes Getriebe der mannigfachſten Sonderintereffen wird Karl 
durch feinen Römerzug verjegt; er ift Fein Fremdling auf diefem.Boden, denn er 
fennt die italienischen Verhältniffe von feiner Jugendzeit her und er hat fie, jeitdem 
ihn die deutſche Königskrone ſchmückt, audy nicht für einen Moment aus den Augen 
verloren. Seinem Zuge über die Alpen bis zur Siebenhügelftadt fehlt der blendende 
Glanz, der fih über die Römerzüge der DOttonen, Salier und Hobenftaufen aus: 
breitet, jein fluchtartiges Verlaffen der ewigen Stadt nady Empfang der Kaiferfrone, 
objihon dem Uebereinfommen gemäß, das lange vorher mit dem Papfte getroffen 
worden war, verfiel dem Hohngelächter feiner Zeitgenoffen, und jein Feilſchen um die 
Geldjummen mit einer langen Reihe von Städten erzeugt noch heute eine abftoßende 
Wirkung. Trogdem erreichte der jchlaue Nealpolitifer Karl IV. feine Zwecke, er 
heimfte ein, was er ſich vorgejegt hatte, Ihm ward die Kaiferfrone, ihm huldigte 
Italien, und große Geldjummen, deren Werth der nüchterne Luremburger richtig zu 
tariren veritand, waren in jeinen Geldbeutel gefloffen. _ı. 


Taroflav Goll: Historicky rozbor basni rukopisu Krälodvor- 
skeho: Oldricha, Benese Hermanova a Jaroslava. (Hiſtoriſche 
Analyje der Gedichte der Königinhofer Handjchrift: Oldrich, Benes, 
Hetmanov und Jaroſlav.) Prag 1886, Selbjtverlag. 


Es muß vecht ſchlimm beftellt fein um die Echtheit der Königinhofer Handichrift 
(Rh. Hſ.), daß, fo oft nene Einwendungen gegen diefelbe gemacht werden, ein Theil 
der Nationalen über die Urheber berfallen und wicht in wilfenfchaftliher Weiſe mit 
Sachlichen Gründen, fondern mit wüſtem Gejchrei und Lärm fie betämpfen. Wir haben 
in fester Zeit Gelegenheit gehabt, uns hievon zu überzeugen: tichechiiche Gelehrte, die 
ben Muth Hatten, ihre Zweifel über die Echtheit der Hi. zu äußern, wurden aus 
Bereinen ausgeſchloſſen, als Verräther der Nation gebrandmarkt, in öffentlichen Ver: 
lanımlungen wurde gegen diefelben Stellung genommen und in lächerlichiter Weiſe 
die Echtheit der Hſ. decretirt. Ja der naitonale Terrorismus hat es ſoweit gebradht, 
daß tſchechiſche Buchhändler ſich ſcheuen, Schriften, die Angriffe gegen die koſtbare 
Hſ. enthalten, in ihren Verlag zu übernehmen. Diejes Schidjal theilt das uns 


Et BR 


vorliegende Büchlein, e8 mußte im Selbftverlage erfcheinen. „Bei der Aufregung bes 
Bublicums — jo äußerten die Verleger — jet die Herausgabe der Schrift Ihon aus 
Geihäftsrüdjichten nicht möglich.” Nicht einmal in eines der wiſſenſchaftlichen 
Sammelwerfe wurde die Arbeit aufgenommen (Val. Vorrede S. 2), und doc ift fie 
durchaus wiljfenichaftlid gehalten. Mit gewiflenhafter Genauigkeit werden alle Möglid)- 
feiten erwogen, jelbit ganz ummahrjcheinlihe Eimmwürfe widerlegt und mit ftreug 
logischer Conſequenz die Schlüffe gezogen. Wenn wir aud) mit dem Verfaſſer überein: 
jtimmen, daß gerade in dieſem Streite die Bekämpfer der Echtheit der Hſ. ihre 
Gründe möglichit erjchöpfend vorbringen, um den Gegnern jegliche Ausflucht zu be- 
nehmen; jo müffen wir auderjeit3 die Forderung als zu weitgehend ablehnen, daß 
jedes einzelne Gedicht der HI. ſowohl von hiftorifchen wie philologiſchen al3 paläolo— 
giihen Standpunkte aus als unecht ſich erweiſen müſſe, bevor man fagen könnte: nun 
hat der Streit ein Ende. Denn einmal braucht ein Gedicht, das 3. B. der Hiftorifer 
al3 unecht erwiejen hat, nicht gerade aud) dem Grammatiker anjtößig erjcheinen und 
umgekehrt. Dann aber muß auch die Hſ., wie fie uns vorliegt, al3 einheitliches 
Ganzes betrachtet werden: erweiſt fih aud; nur ein Stück derfelben ald unecht, jo 
fällt die ganze Hſ. Winkelzüge, wie Jiretek's Behauptung „das Lied auf dem Vyse— 
hrad fei, wenn auch nicht dem Texte, jo doch gewiß der Handjchrift nach unedht“, ') 
bedürfen feiner Widerlegung. Zu ſolch' unbegreiflihen Ausſprüchen „hoeret ouch 
geloube zuo“. 

Der Verfaſſer unterfucht den geichichtlichen Gehalt der drei Gedichte: Oldkich, 
Bened Heimanov und Karoflav, freilich nicht alle drei gleich eingehend. Auf Oldrich 
entfallen 60 Seiten, auf Benes 9. 14, auf Jaroflan 20. Eine Vergleihung des Haupt: 
gedankens in dem Gedichte Oldtich mit dem Chroniften Dietmar einerjeits, mit Kosmas 
und Dalimil andererjeit3 ergeben, daß das Gedicht jünger fein müſſe als der Dalimil. 
Der Zeitgenoffe Dietmar erzählt die Vertreibung der Polen in ungeſchminkter Wahr- 
heit: Jaromir wird von Heinrich I. nad Böhmen geführt. Als Boleflav Chrabry 
vernimmt, daß Saromir im Anzuge gegen Prag begriffen jei, verläßt er mit feinen 
Polen die Stadt ohne Kampf. Kosmas hat diefe nadte Thatjache bereit3 poetifch 
ausgeſchmückt, Dalimil erweitert offenbar auf Grund mündlicher Ueberlieferungen die 
fagenhaften Zuthaten und in diefer erweiterten Form finden wir auch in dem Ge- 
dichte der KH. Hi. das Ereigniß der Eroberung Prags erzählt. Da fich jedoch hier 
Zuthaten finden, die auf eine weitere Fortbildung der Tradition jchließen laflen, und 
die im Dalimil nicht vorkommen, jo läßt id mit Recht behaupten, daß das Gedicht 
jünger fein müſſe al3 der Dalimil. Ueberdies denft fi) der Dichter im Gegenfate 
zu Kosmas und Dalimil die Prager Altftadt befeftigt, mit der noch offenen Kleinſeite 
durch eine Brüde verbunden. Dieſe Auffaffung würde der Zeit zwiſchen 1235—57 
entfprechen. Der Dichter aber zeigt in der Auffaffung feiner Quellen eine jolhe Un- 
fenntniß der thatlächlichen Verhältniffe, daß man genöthigt tft, nody weiter in ber 
Zeit heraufzurüden. Die Brüde über die Moldau erjcheint ihm nur am rechten Ufer 
mit Thurm und Thor befeftigt, das linke Ufer ift ungeſchützt; die Polen fliehen zuerft 
durd die Gräben, dann durch dag Thor. Ein Dichter des 13. Jahrh. hätte in der 
Art der Befejtigung beſſer Beſcheid gewußt. Allerdings enthält das Gedicht zwei 
Thatfachen, die fid) weder bei Kosmas noch bei Dalimil noch ſonſt einem biftorifchen 
Schriftfteller bi3 zum 18. Jahrh. finden, nämlich einmal die Erwähnung, daß Jaromir 

1) Zof. und Herm. Jirecek, die Echtheit der Kh. Hi. S. 182. 
3* 


— — 


nad) der Vertreibung der Polen zum zweiten Male zur Herrſchaft gelangt (was 
geichichtlich" falſch ift), andererjeitö daß der polnische Ujurpator nicht Mesco (Mecislav) 
fondern richtiger Boleflan heißt. Palacky und Tomek fchliegen daraus auf das hohe 
Ulter des”Gedichtes. Nun wird jedoch nachgewiejen, daß Dobner (im 18, Jahrh.) der 
erfte war, der in ganz gleicher Weile wie der Dichter des Oldrich die Ereigniſſe in 
den Fahren 999—1004 erzählt. Es ift nicht nöthig, daraus jofort einen Schluß auf 
die Abhängigkeit des Gedichtes von Dobner zu ziehen, aber für die weitere Beweis- 
führung bleibt es von Wichtigkeit. Die zahlreichen Uebereinftimmungen mit Häjek 
(16. Jahrh.) Tegen eine doppelte Frageftellung nahe: Benuste Häjek das Gedicht oder 
ift vielmehr der umgekehrte Fall anzunehmen ? Eine eingehende Erörterung der Ab- 
weichungen, die ſich daneben in beiden Werken vorfinden, ergibt, daß fich diefelben 
nur erklären laffen, wern man annimmt, daß der Dichter den Chroniften benust hat, 
aber nicht umgekehrt. Bicher gehört auch die Erklärung de3 merkwürdigen Namens 
Vihon Dub. Statt deſſen fteht bei Häjek der umpoetiihe Name Berkovec. Hiemit 
will er einen Sprößling aus dem befaunten Geſchlechte des Berka von Duba be: 
zeichnen. Nun heißt aber Byhon „Sprößling“; der Name bedeutet alfo in poetifcher 
Umformung nichts anderes als Berkovec. 

Uebrigens ftimmen alle Abweichungen von Häjek mit Dubravius überein. Sehr 
bezeichnend ift aud der Nachweis, daß Swoboda in feiner hiſtoriſch-kritiſchen Ein— 
leitung zur Ausgabe der Kh. Hi. (1829) feine Erläuterungen zum DOldrih aus 
Häjek entlehnt hat — natürlich ohne es zu geſtehen. Nach einer Beleuchtung der 
vergeblihen Bemühungen Nebesky's, die ſchon von Büdinger vorgebrachten Verdachts— 
gründe zu widerlegen, geht der Verfaſſer an die Analyje des geihichtlichen Stoffes 
im Benes H. Auch hier weilen zahlreiche Barallelftellen darauf hin, daß der Dichter 
den Ehroniften Häjek benust habe, Diefer erwähnt die Einfälle der Brandenburger 
Sadjen und Meißner zu den Jahren 1279—83, weiß aber nichts von einer Ver— 
theidigung des Landes durch einen böhmifchen Abdeligen, vielmehr jei nad jeiner 
Anficht durch das Erſcheinen Otto’3 von Brandenburg mit dem Fürften Wenzel der 
Verwüftung des Landes ein Ende gemacht worden. Der Name „Bened Hermanov“ 
(Hermanns Sohn) gelangte durch eine Combination ganz eigener Art in das Gedicht. 
Ber Häjek heißt es, daß die Bewohner in große Berge und Felfen fich geflüchtet und 
dort gewohnt hätten. Dieser Gedanfe wurde iu das Gedicht hinübergenommen, 
zugleich aber der unbeftimmten Ortsangabe der Sinn untergelegt, daß hiemit die 
Gegend bei Groß-Skal gemeint fei, wo ſich merfwürdige ftadtähnliche Felsgebilde 
finden. Nun wurde nad) einen Helden geſucht; er durfte natürlidy nur ans der Nähe 
von Groß-Skal zu Haufe fein. Da bier die Wartenberge ihre Befigungen hatten, 
fo wurde aus der Stammtafel diefes Gefchlechtes ein gewiſſer Benes, der im jener 
Zeit febte, aufgenommen. Der Name war leicht aus Paprocky's „Diadochus“ (1602) 
zu finden. Als Nachkomme Hermanus von Ralsko befam er das Attribut „Heima- 
nov“ (ein Sprofe Hermanns). Smwoboda, der ſich ftet3 al3 richtiger Interpret der 
Kh. Hi. erwieſen hat, entwidelt a. a. O. diefelbe Anficht. Nun ift aber von Pa- 
fact) aufmerkfam gemacht worden, daß ſeit der Mitte des 13. Jahrh. die adeligen 
Beichlechter fi) nach ihrem jeweiligen Wohnfige benannten. Dieſer Hermann jollte 
alfo rechtmäßiger Weife den Beinamen „von Wartenberg“ oder „von Groß-Skal“ 
führen, Ein „Benes“ mit dem Geichlechtsnamen „Hekmanov“ ift ſonach ein hiftorifcher 
Anachronismus. Palackh freilich, der unter allen Umftäuden die Echtheit ‚der; Kh. 
Hſ. vertritt, ſucht die Sache in der Weiſe einzurenken, daß er die Einfälle in die 


wei 


Zeit Premysl Ottofars I. verlegt. Für diefe Zeit kann er allerdings einen „Benes 
Hermanop” ausfindig machen. Gegen jegliches hiftorisches Zeugniß conftruirt er einzig 
und allein auf Grund der KH. Hſ. ein neues geihichtliches Ereigniß. 

Häjek war überhaupt die wichtigite Quelle für „Libusin soud“ wie für die 
Kb. Hl. Mit Recht kann man den Worten des Verfaffers zuftimmen: „Häjek hat 
jegliche8 Anfehen als Gefchichtsichreiber verloren, aber auch als Chronift fiel er der 
Bergefienbeit anheim, was man jedoch, wenigſtens in Betreff der Rh. Hſ. und des 
Libusin soud bedauern muß. Vielleicht hätte eine befjere Bekanntſchaft mit Häjek's 
Chronik zu rafcherer Enticheidung des Streites beigetragen.” 


Was endlich das 3. Gedicht Jaroſlav betrifft, fo ift der 1. Theil desfelben 
(Ermordung der Tochter des Tatarenfürften) nach einer ſchleſiſchen Sage bearbeitet, 
wie fie in Kloſe's documentirter Gefchichte aufgezeichnet ift. Auf eine überzeugende 
Bemweisführung ift nicht eingegangen. Feifalik's Unterfuhungen über dieſes Stüd ') 
fürdert befjere Nefultate zutage, Daß ein Gedicht aus „des Knaben Wunderhorn” 
den Anftoß zu der Daritellung | in der Kh. Hi. gegeben hat, ift nach dem dort Ge— 
jagten zweifellos. 

Für den zweiten Theil (Kampf der Ruſſen gegen die Tataren) find außer 
Häjek noch benüst M. Polos Million, die Mlerandreis und Dubravius, der 
feinerfeit$ wieder aus dem polnifchen Chroniften Diugos ſchöpfte. Auch für den 
dritten Theil (Kampf der Ungarn und Polen mit den Tataren) bleibt Häjek Ge- 
währsmann, Für den vierten (Kampf der Mährer mit den Tataren) tritt zu Häjek 
uoch Cruger (sacri pulveres, zum 25. Juni 1669) hinzu. Die Beweisführung iſt 
bier bei weiten nicht fo eingehend wie bei Oldrich; es wird auch nichts weſentlich 
nenes gefördert. Bekannt it ſchon die Thatjache, daß es eine Schlacht bei Olmütz 
mit den Tataren nicht gibt, dab im Jaroſlav vielmehr diefe Schlacht, die angeblich 
1241 geichlagen worden jein jollte, mit einer zweiten zwiſchen Bremyfl Ottofar II. und 
Bela von Ungarn (1253) verwechielt wird. Intereſſant ift der Nachweis, wie dieſe 
angeblidye Niederlage der Tataren im Jahre 1241 allmälig mit dem Namen Ja— 
rojlav v. Sternberg verknüpft wurde. Paprockh hat in diefem Werdeproceſſe die 
Schlußredaction hergeftellt und aus ihm ſchöpften die Verfaſſer. Seine Werke waren 
ihnen leicht zugänglich; fie befinden fich in der Prager Univerfitätsbibliothef. Sogar 
die Anregung, den Streitern ein Gebet in den Mund zu legen, das, wie Feifalik 
nachgewieſen hat, *) aus Bjalnı 7 und 26 zuſammengeſchweißt iſt, hat der Dichter des 
Jaroſlav aus Paprocki. 

Man ſollte meinen, daß durch dieſe Schrift jeder einſichtige, objectiv urtheilende 
Leſer von der Unechtheit dieſer drei Gedichte überzeugt ſein müßte. Soviel wir jedoch 
die Vertheidiger der Hſ. kennen gelernt haben, dürfte es doch noch immer nicht der 
Fall ſein; aber begierig ſind wir auf die neuen Ausflüchte derſelben. Die Schrift 
lehrt auch, daß ſchon vor Jahren die deutſchen Gelehrten Büdinger und Feifalik über 
die drei behandelten Gedichte zu ganz richtigen Reſultaten gelangt waren, wenn ſie 
uns auch nicht alle Details ihrer Unterſuchungen vorgelegt haben. 

Dr. Joh. Knieschek. 


1) Ueber die Seh. Hi. v. J Feifalik. Wien 1860, Seite 98 f. 
2) A. a. O. ©. 12 f. 


Dr. von Hagen: Das Leben König Sigmunds, von Eberhard Windede. 
Nah Handichriften überjegt. Leipzig, Franz Dunder. 1886. 
(Gejchichtjchreiber der deutjchen Vorzeit, Lieferung 79.) 


Dr. v. Hagen hat nicht das ganze Werk Windede’3 überjegt; Tapitel, in denen 
anderweitig zugängliche oder wenig wichtige Nctenftüce sc. mitgetheilt werden, wurden 
ausgelaffen. Dem Ueberjeter lag vor Allem au der Herftellung eines zuverläfligen 
und lesbaren Textes, die Sprache wollte er im ihrer alterthümlichen Färbung be- 
laſſen. v. Hagen verbreitet ſich in der Einleitung über das Verhältniß der Handichriften 
und über die Lebensverhältniffe Windecke's. Im Jahre 1395 iſt Windecke in Eger, von 
wo aus er „mit einem großen Kaufmanne“ Böhmen durchwanderte (E. 4), Seit 1410 
ftand er in Dienften Sigmund's und fand beim Fiuanzweſen Beihäftigung; feit 
1425 ließ er fih in Mainz, feiner Geburtsftadt, nieder, wo er in den politifchen 
Kämpfen zwilchen den Zünften einerſeits, dem Batriciat und der Geiftlichfeit auder- 
ſeits auf Seite der Erfteren eine Hauptrolle jpielte, da er Huge Vorfiht mit dema- 
gogiſchem Talente verband, Er war ein tüchtiger Gefhäftsmann, ein trener Ans 
hänger Sigmund’3 und befaß eine gewilfe Bildung. An dem „König Sigmund's 
Buche“, jo wichtig es als Quelle ift, treten aber doch fchwere Gebrechen auf, Die 
Erzählung iſt jchwerfällig, ja geradezu confus in gewilfen Partien, dabei begegnen 
wir gar zu vielen Wiederholungen, v. Hagen behauptet, da nirgends ein beherr- 
ſchendes Brineip für die Anordnung und BZujammenftellung der Einzelnheiten her— 
vortritt, jo ftehe in diefer Hinfiht die formloſeſte Chronik höher als Windecke's 
Wert. Aſchbach, Troyfen und Lorenz ſuchen dies zu erflären, und bier zeigt ſich 
Lorenz’ Annahme, daß die Wiener Handichrift, die eine wohlgeordnete Erzählung 
enthält, nicht3 anderes al3 ein Auszug aus Windecke's Werk jei, als gerechtfertigt. 
Die „wüſte Geftalt“ des Werkes in den meiften Handfchriften ift alſo die urfprüng- 
fihe. v. Hagen hält dafür, daß die Eintheilung in Gapitel die Darftellung beein- 
trächtige, weil der Faden häufig abgeriffen würde, ferner Windeckes Mrbeit des Dic- 
tirend die Weberficht über das Ganze verlieren ließe. Während Lorenz behauptet, er 
wolle jedes Urtheil über Windecke's politische Geſinnung in der Schwebe laſſen, be— 
hauptet v. Hagen, der Zweck, den Windede verfolgt, fer offenbar, den Kaiſer gegen 
die Angriffe zu rechtfertigen, welche ex wegen jeiner Politik in Deutichland reichlich 
erfahren habe. Für die Bedeutung der großen firchlihen Verſammlung zeigt Windede 
fein Berftändniß, noch weniger kann man fich einen Begriff von den Hufitenfriegen 
nad) feinem Werfe machen. Anmerkungen unter dem Strich erflären und berichtigen 
das Thatlähliche, Ein gutes Regifter erleichtert den Gebrauch des Buches. 

L. Ch. 


Heinrich Gradl: Gedichte des Egerlandes. Mit Abbildungen, Karten 
und Plänen. 1. Band. S. 1—24. Eger 1886. Druck und Verlag von 
A. E. Witz. 


Es iſt ein ſehr dankenswerthes Unternehmen, daß die Redaction der „Egerläuder 
Zeitung“ ſich entſchloſſen hat, als Beilage zu ihrem Blatt eine vollſtändige Heimats— 
kunde des Egerlandes aus der berufenen Feder Heinrich Gradls unter Mitwirkung 
vieler gelehrten Landsleute abwechſelnd mit Heften der „Egerwellen“ erſcheinen zu 


laffen. Das Werk wird jest auch Nichtabonnenten zugänglih. Wir machen bag 
Publicum auf dasjelbe aufmerkſam. Wie das erfte Heft jchen zeigt, findet ſich 
viel Intereffantes auf Grundlage tüchtiger, nicht leicht zugänglicher Forfchungen in 
einer Darftellung, die jehr hohen Anforderungen entipricht. Der 1. Abichnitt erzählt 
den Zuftand des Ländchens bis zum Auftreten der erften Bewohner. Es ift ein groß: 
artiged Bild ans der Primordial-, Secundar-, Tertiarzeit und Onartarzeit. Leicht: 
verftändlich wird der Leſer hier über die Bildung der Torfmoore und Mineralmoore 
belehrt. Der 2. Abjchnitt gibt einen muftergiltigen Ueberblif über die Anfiedlungen 
der Ureinwohner, der Kelten und Germanen, über die ältere Steinzeit, die Renthier— 
zeit und die jüngere Steinzeit, über die Bronze und Eifenzeit. Hier lieft der Lern: 
begierige anſchaulich an einem beftimmten, ihm bekannten Landſtrich jene Erörterungen, 
die ihm im wiflenichaftlihen Werfen wegen ihrer Allgemeinheit nicht fo leicht ver: 
ftändlich werden. Die ulturaxbeit der Kelten und Germauen wird treffend und auf 
Grund der Funde geichildert. Wir begrüßen diefe Arbeit frendig und können nur 
wünſchen, daß das Gebotene gern und willig aufgenommen werde und zwar aucd von 
jolhen Kreifen, die nicht der egerländiichen Landsmannfchaft angehören. Die Aus» 
ftattung in Großoctav ift jehr gut, der Drud correct und mit Slluftrationen ver: 
jehen. Eine genaue Angabe der benusten Literatur gehört unbedingt zu den Vorzügen 
des Werkes. L. Ch. 


Der Mineralreihthun Schlaggenwalds, (Zur Preisbewerbung.) Erzgebirgs- 
Zeitung VIL Jahrg. 5-8. Heft. ©. 75 ff. 


Artikel in populären Zeitfchriften, welche beftimmt find, wiſſenſchaftliches In— 
terejfe im weiteren Kreiſe zu erregen, find immer ſehr danfenswerthe Leiftungen, nur 
dürfen fie nicht jo ausſehen, wie jener, deifen Titel wir diefer Beiprehung voraus: 
jetsten, der überdies noch al3 eine Concurrenzarbeit angejchen werden will, Der längit: 
vergangenen Tagen angebörende Mineralreihthbum Sclaggenwalds ift vor langer 
Zeit ſchon von Glückſelig in feinen „Mineralien des Egerer Kreifes“ und in Zepharovich's 
„Mineralogiſchem Lericon der öfterr. Monarchie” jehr genau und erjchöpfend bejchrieben 
worden, und der Verfaffer hätte beifer getban, aus diefen beiden ihm unbekannt ge: 
bliebenen, aber jo leicht zugänglichen Quellen zu jchöpfen und jo wenigſtens grobe 
Fehler zu vermeiden, als fein eigenes Licht ziemlich trübe feuchten zu laffen. Bon 
den 48 von Schlaggenwald befaunt gewordenen Mineralien führt der Verfalfer nur 
24 au, allerdings unter 36 Nummern, da mehrere Mineralien unter verichtedenen 
Namen zwei: und dreimal vorhanden find, Dabei begnügt er fih nicht mit der An— 
gabe des Vorkommens, jondern fiigt den meisten Namen eine mangelhafte, aus Quen— 
ſtedt's mineralogiſchem Handbuch (3. Th. wörtlich benüst!) ausgezogene Charakteriftif 
bei, die manchmal gar nicht auf das Schlaggenwalder Vorkommen paßt. Bon den 
vielen groben Drudfehlern (Natern ftatt Natron, Orthokles ftatt Orthoflas u. ſ. w.) 
wollen wir ganz abſehen; auch find nicht minder zahlreiche Schreibfehler zu rügen (das 
arern lieft der Verfaſſer apaty, Cali ftatt Kali, Nacrid ftatt Nafrit, Caſſiterit ftatt 
Kaffiterit, Wiſmuth (sie!) ftatt Wismuth kömmt vor). Weiter gebraudıt der Berfaffer 
das Wort „PBrodicte” zur Abwechslung fir „Mineral“ und ſpricht von „regulärem 
Zinn“, wo er regulinifches oder metalliiches Zinn meint. Wo derjelbe aber aus dem 
Bourne eigener mineralogijcher Kenutniſſe jchöpft, gibt er fic) nicht minder arge Blößen. 


Flußſpath hat bei ihm „unebenen Bruch”, der in Sclaggenwald vorfommende 
Lithionglimmer foll Kaliglimmer jein, Greifen, ein gemengtes Geftein, wird als 
Mineral aufgeführt, Gyps foll im rhombiihen Säulen kryſtalliſiren, Megobafit 
(rihtig Megabafit) joll vermwitterter Karpholit jein, wiewohl darunter Wolfram zu 
verftehen ift u. dgl. m. — Dieſe Blüthenlefe wird binreichen zu beweifen, daß bie 
mineralogifhen Kenntniſſe des Verfaſſers nicht weit her, Faum für den Hausgebraud, 
geichweige denn für die Abfaſſung mineralogifcher Artikel für die Deffentlichkeit ans— 
reihen. Wir müffen uns auch fragen, wie die Redaction der Erzgebirgs-Zeitung ſich 
berbeilaffen konnte, ein ſolches Machwerk, da3 gleihwohl feinem Erzeuger einen 
gewiſſen wiſſenſchaftlichen Anftrich, ja fogar einen Ehrenpreis verichaffen fol, ohne 
alle weitere Prüfung zu veröffentlichen, und möchten ihr im eigenen Jutereſſe empfehlen, 
ein wenig Eritifcher bei Behandlung folder Beiträge zu fein, die in ihrer Unfertigfeit 
befjer für den Papierkorb als für die Beröffentlihung taugen. Lbe. 


Scebef Edmund: Die Schweden und die Kapuziner im dreißigjährigen 
Kriege, (Separatabdrudf aus der dterr..ungar. Nevue 1886. Heft II.) 


Fürft-Erzbifchof Zbinko Berka von Duba und Lipa brachte die Kapuziner nad) 
Böhmen; der Berfaffer erzählt deren Ankunft und Aufnahme unter der Führung des 
P. Lorenzo, Im Jahre 1602 wurde ihre Kirche auf dem Hradihin dur den Erz: 
bifchof eingeweiht. Der Schwerpunft ihrer Thätigkeit lag im Predigen. Zur Beit des 
Schwedenkrieges machten die Kapuziner einen jo guten Eindrud auf Baner, daß er 
fie Schütte. Der BVerfaffer erzählt Beifpiele, wie in Brür, Brünn, Iglau, Prag die 
Schweden den KRapuzinern überall mit Schonung begegneten uud fie reichlich unter: 
jtüßten; gerade in der jchweren Zeit des 17. Jahrhunderts nahm der Orden in der 
böhmischen Provinz den größten Aufſchwung. Im Fahre 1626 erftand dem Orden 
in dem lauretanifchen Haufe auf dem Hradichin ein hochangejehener Andachtsort. Der 
Berfaffer hat mit diefer Heinen Arbeit, die gleichjam als Span von feiner befannten 
großen Arbeit über Wallenftein abgefallen jein mag, einen recht danfenZwerthen 
Beitrag für jene Zeit geliefert. Erwig. 


Reid! 5. X.: Beitrag zur Geſchichte von Dur. Oux, F. Scheithaner 1886. 


Man würde irren, wollte man nad dem Titel eine genauere Behandlung 
irgend einer Partie aus der Gedichte der Stadt Dur erwarten. Der ziemlich 
bunte Inhalt des Büchleins läßt fi überhanpt ſchwer mit funzen Worten charalte: 
rifiren. Der Verf, erflärt im Vorwort: „Sch habe im Laufe der Jahre jo Manches 
aus der Vorzeit meiner Baterftadt erforicht, und damit dieje von mir mit Mühe 
gelfammelten Notizen für die Zukunft nicht verloren gehen, habe ich diefelben druden 
laſſen.“ Dem entjprechend enthält der erfte, größere Theil in Form einer Art Chronik 
eine Reihe hiftorifcher, topographifcher und befonders culturgefchichtlicher Nachrichten, 
die fich freilich auf die verfchiedenen Zeiten recht ungleihmäßig vertheilen; fo ift das 
ganze 16. Fahrhundert auf kaum zwei Seiten abgethan. Die eigentlich Hiftorifchen 
Notizen leiden aud vielfach an jehr großer Unbeftimmtbheit. — Der zweite Theil bringt 
auf 20 Seiten „Eintragungen aus dem Durer Stadtbuche im Originaltert”, u. zw. 


aus den Jahren 1390-1533, zum Schluffe ein Verzeichnis der Namen der Bürger: 
meifter von Dur von 1390 au. — Der Berf. verwahrt ſich dagegen, daß die Arbeit 
für „eine nad) hiſtoriſchen Begriffen gejchriebene Gejchichte gehalten werde“; das ent- 
waffnet die Kritif, die mande Bemerkungen zu machen hätte, Aber auch in einer 
ſolchen Schrift follten Behauptungen vermieden werben, die geeignet find, falfche An— 
Ihaunngen von den factifchen Verhäftniffen zu verbreiten; fo, wenn es heißt, daß um 
1400 der Markgraf von Meißen der „Zandesherr” von Dur war (©. 8 f.). Derfelbe 
war nur Gutsherr feit dem Kauf von 1398, ben übrigens der Verfaffer nicht zu 
fernen jcheint. W. Hieke. 


Dr. Franz von Köber: Archivaliſche Beitfchrift. X. Band. München, 
Theodor Adermann. 1885. 320 Seiten. 


Die Geſchichte des fränkischen Archiv: und Kanzleimefens ift in dem foeben 
genannten Bande der „Archivaliſchen Zeitſchrift“ beſonders reichhaltig vertreten. Der 
verdiente Hohenzollern-Forjcher Dr. Wagner bietet uns durch jeinen Aufſatz „Kanzlei— 
und Archivweſen der fränkiichen Hohenzollern von der Mitte de3 15. bis zur Mitte 
de3 16. Jahrhunderts“ eine Ergänzung und Erweiterung der im vorigen Bande er- 
Schienenen Abhandlung „Schidjale des Maffenburger Archivs“. Er macht uns u. a. 
nit der Thatſache befannt, daß ſich jchon feit dem 15. Jahrhunderte aud in Ausbach 
ein hohenzolleriches Archiv befunden habe. — In das ältere „Archipweſen der 
Reichsſtadt Nürnberg”, das ein ziemlidy complicirtes- war, werden wir durch den 
königl. Kreisarchivfecretäv Dr. Johann Per eingeführt. — Die Einrichtung des Ur— 
fundenarhivs des fränkiſchen Hochſtifts Würzburg im 16. Jahrhunderte lernen wir 
durch einen Auffab des Reichsarchivrathes Dr. Schäffler kennen, welcher in demfelben 
das von dem um die fränkiſche Geichichte hochverdienten Arhivar und bifchöflichen 
Secretär Lorenz Fries (F 1550) entworfene „Verzaichnuſs der Schreine und Be- 
halter, jo uf unfer lieben Framwenberg ob Wirzburg in dem Gewelb fteen” ver: 
öffentlicht. — Reichsarchiv-Aſſeſſor Dr. Wittmann theilt und in feinem ſehr leſens— 
werthen Auflage „us jtädtiichen, geiftlichen und Adelsarchiven Süddeutſchlands“ die 
ſummariſchen Nepertorien über die Archive der ehemaligen NReichsjtädte Windsheim 
in Franken und Heilbronn im Schwaben mit. Der nächte Band wird eine Fort: 
jeßung dieſes Aufjages bringen. 

Ju dem angezeigten Bande findet ſich aud) der Schluß des Artikel3 von Dr. Boos 
„sur Geſchichte des Stadtarhivg in Worms“, Die Geichichte eines anderen Stadt- 
arhivs nämlich jenes zu Freiburg im Breisgau behandelt A. Poinfignon, der fih um 
die Neuordnung desjelben große Verdienfte erworben hat. Ueber mehrere hiſtoriſch 
werthvolle Manuſeripte aus der Handichriftenfammlung des kgl. bayerifchen Kreisarchivs 
in Aınberg berichtet und Dr. Scyneiderwirth. Eine von ihm erwähnte Handichrift, 
welche eine „Erzehlung von dem Bayrifchen Krieg und funderli von der Sulz: 
bachſchen Belagerung der Behmen in Anno 1503* enthält, dürfte auch der Beachtung 
böhmiſcher Hiftorifer werth jein, 

Die neuefte Gefchichte des in Oeſterreich als Mufterarhiv befannten fteier- 
märfiichen Landesarchivs enthält der Aufjat des ſteir. Yandesarchivdirectord Dr. von 
Bahn „Die Ergebniffe am fteiermärfifchen Landesarchive in dem Jahrzehnt 1873— 1882”. 
Den Bemühungen Zahn's ift es gelungen, viele Heinere fteirifche Archive für das Lan- 


— 


— — 


desarchiv zu erwerben und ſie dadurch für immer vom Untergange zu retten; ſogar ein 
Archiv aus dem Staatsbeſitz, nämlich das in der k. k. Finanzprocuratur aufgeſtellt ge— 
weſene ſteiriſche Lehensarchiv hat Zahn für das Landesarchiv übernommen. Er motivirt 
die Uebernahme dieſer Archivalien mit folgenden für die öſterreichiſchen Archivszuſtände 
ſehr bezeichnenden Worten: Da nämlich in Oeſterreich nur Scartirungs- nicht aber 
ioftematiihe Confervirungsnormen für Staatsarchivalien beftehen, jo wären dieſe 
Acten eben in die Stampfe gewandert! Möchte die öfterreichijche Regierung doch bald 
auf dem Berordnungsmwege eine VBerbefferung diefer traurigen Arhivsverhältniffe, welche 
für die Landesgefhichte unmiederbringliche Berlufte herbeiführen können, veranlaffen ! 

Die Aufmerkſamkeit deutjcher und öſterreichiſcher Hiftorifer möchte der Referent 
ganz befonders auf den Aufſatz des leider feither verftorbenen kgl. preußifchen Staats— 
arhivard Dr. Göde „Ueber das 17. preußiiche Staatsarchiv“ hinleuken. Diejes Archiv 
bat feinen Sit in Weslar und birgt in fich den größten Theil des Archivs des ehe— 
maligen deutfchen Reichskammergerichts. Für die Gefchichte aller einft zum heil, römi— 
ſchen Reiche deuticher Nation gehörig geweſenen Staaten ift dort nody viel bisher 
unbefanntes Material zu finden. 

Von noch allgemeinerem Jutereſſe für den Hiftorifer ift der jehr anziehend 
gefchriebene Artifel de3 Univerfitätsprofefford Dr. Julius Pflugk-Harotung „Ueber 
Archive und Bibliotheken”. Er theilt uns darin feine Beobadhtungen und Erfahrungen 
mit, die er auf feinen wiſſenſchaftlichen Reifen in den Archiven und Bibliotheken 
Deutichlands, Frankreichs und Staliend gemacht hat. Befonder3 für Gelehrte, die 
wiflenfchaftliher Forihungen wegen die Archive und Bibliotheken Italiens zu bejuchen 
beabfichtigen, gibt er ſehr wichtige Rathichläge und Fingerzeige, Zum Schluffe fommt 
er zu dem intereffanten Reſultate, daß Deutjchland nicht nur in Bezug auf die Zahl 
und Reichhaltigkeit, fondern auc auf die Benugungsiyfteme feiner Archive und Biblio— 
thefen den romanijchen Ländern weit überlegen if. Daraus erklärt fih auch zum 
großen Theile die hervorragende Stellung und Bedentung, welche gegenwärtig die 
deutihe Wiſſenſchaft in der civiliſirten Welt einnimmt, 

Beiträge zur Gefchichte des Archivweſens in Rußland Tiefern die Abhandlung 
de3 Stadtardivard Dr. Schiemann in Reval „Das herzoglice Archiv in Mitau“ 
und der Bericht von A. W. Gawrilow und A. N. Lwow „Ueber die Ordnung des 
Drenburger Gouvernementsarhivs.” Das ſchwediſche Archivweſen betrifft der Aufſatz 
des ſchwediſchen Reichsarchivars G. ©. Malmjtröm in Stodholm „Wblteferung von 
Geſandtſchaftsacten in Schweden im 17. und 18. Jahrhundert“. 

Für Sphragiftifer und Heraldifer befonders bemerkenswerth ift der Aufſatz des 
königl. Reichsarchivsrathes Primbs „Eine Wanderung durd die Sammlıng von 
Siegelabgüffen im kgl. allgemeinen Reichsarchiv zu München”. Der Verfaſſer begimut 
in diefem Auflage mit der Bublication des KRataloges diefer auch für Adelsgeihichte 
jo wichtigen Sammlung, weldye im nächften Bande ihre Fortiegung finden wird. In 
das Gebiet der Heraldik gehört der in diefem Bande begonnene Anfla des Heraus— 
gebers über „Bedeutung, Recht und Gejchichte dev Helmfleinodien“, Jeder Fachmann 
wird auch die in demfelben enthaltene Fortfegung der Artifelferie von Löher's „Ueber 
Einrihtung von Archiven“ mit Freunde begrüßen. Er beſpricht diesmal vorerft die 
Inhaltsverzeichnung von Codiced und Amtsbüchern, jowie die Verzeichnung und Ein— 
theilung der Acten in den Archiven. Dann geht er zu der Erörterung über, wie man 
am beften Orts-, Perſonen- und Sachenkataloge und Repertorienfammlungen anlegt. 
Als praktiſche Beifpiele gibt er eine Schlagwörterüberficht und drei Artifel aus dem 


hiftorifchen Ortslexicon für Bayern, welches auf Grund der in den bayerifchen Staats: 
archiven vorhandenen Urkunden einſt der verftorbene (and als Germanift berühmte) 
Reichsarchiv-Functionär Dr. Karl Roth angelegt hat. Der Kiteraturbericht befpricht 
einige neuere für Archivare beſonders beachtenswerthe Bücher. Mit Recht werden 
darin die vom Oberardivar Dr. C. A. 9. Burkhardt verfaßten „Stammtafeln der 
Erneftinifchen Linie des Hauſes Sachſen“ als eine genealogifhe Mufterarbeit gerühmt. 
Aus den Heineren Mittbeilungen, die diefen Band befchließen, find für Fachmänner 
von bejonderem Jutereſſe die beiden Artikel „Nepertorien-Veröffentlihung der frau: 
zöſiſchen Archive” und „Ungariſch-kroatiſcher Archivsſcandal“. 

Möchte es dem verdienten Herausgeber der „Archivaliſchen Zeitſchrift“, die mit 
dieſem Bande ihr erſtes Jahrzehnt abſchließt, vergönnt ſein, die wiſſenſchaftliche Welt 
noch mit ſehr vielen Bänden derſelben von ebenſo reichem und allgemein intereſſantem 
Inhalt zu erfreuen! A. Mörath. 


Dr. 93. Sriedrih von Maasburg: Die Proceh-Ordnung für Böhmen 
vom 23. Januar 1753. Herausgegeben und mit Anmerkungen verfehen. 
Wien 1886. Manz'ſche kak. Hof-Verlags- und Univerfitäts- 
Buchhandlung. ©. VI, 77. 


Die in Böhmen, Mähren und Schlefien um die Mitte des vorigen Jahrhundertes 
fih ſtets häufenden Beichwerden über Verfchleppung der Civilproceſſe und fchlechte 
Parteienvertretung vor Gericht beſtimmten die Ratferin Maria Therefia am 27. Juni 1748 
die k. Statthalterei in Prag zu beauftragen, von den böhmischen Landesftellen Gut- 
achten abzuverlangen, wie den erwähnten Webeljtänden abzuhelfen wäre, und fodann 
auf Grundlage diefer Gutachten einen Entwurf des zu erlaffenden Geſetzes zu ver- 
faffen und der Hoffanzlei vorzulegen. Ueber diejen Entwurf fanden dann in den 
Jahren 1751 und 1752 im böhmifchen Senate der oberiten Juſtizſtelle eingehende 
Berathungen ftatt, bei denen als Neferent der Juſtizhofrath, nachmals Feldzengmeifter 
und Generaldirector der Artillerie Franz Graf (jpäter Fürft) von Kinsky (geb. 1726, 
geftorben zu Prag am 18. December 1792) fungirte. Bei diefen Berathungen wurde 
daran feftgehalten, daß es ſich zumächft nur um die Befeitigung einzelner Mängel 
des Verfahrens ſowie der fchreiendften Mißbräuche, die in dasjelbe fich eingefchlichen 
hatten, feineswegs aber um Berfaflung einer ganz nenen allgemeinen Gerichtsordnung 
handle. Der auf Örundlage diefer Berathungen von der oberften Auftizftelle an. die 
Kaiſerin erftattete Vorſchlag wurde von bderfelben zunächſt dem ihr bejonderes Ver— 
trauen genießenden Vice - Präfidenten der oberften Juſtizſtelle Otto Grafen von 
Franfenburg zur Abgabe eines Separatvotums mitgetheilt, welches Votum dann den 
Gegenſtand nenerlicher Berathungen bei der oberften Yuftizftelle bildete. Der jo end- 
giltig feitgeitellte Entwurf einer Proceßordnnug fir Böhmen wurde von der Kaiferin 
janctionirt, am 23. Januar 1753 fundgemaht und trat am 1. Auguſt desjelben 
Jahres in Wirkſamkeit. — Durch die Herausgabe diefer Procefordnung, einer Vor: 
fäuferin der noch gegenwärtig in Defterreich geltenden allgemeinen Gerichtsordnung, 
bat fih nun der um die Geichichte der öfterreichiichen Juftiz im 18. Jahrhunderte 
bereit3 hochverdiente Verfall neuerlich ein nicht geringes Verdienft erworben und 
zwar umjomehr, als er ſich nicht mit dem bloßen Abdrucke des Geſetzes begnügte, 


fondern jedem Artikel desfelben eine eingehende, namentlich die won den oberften 
Gerichtsbehörden erftatteten Gutachten und die bei der oberſten Juſtizſtelle gepflogenen 
Verhandlungen berüdfichtigende Erläuterung beifügte. Diefe Gutachten und Verhand- 
lungen find aber nicht nur für das volle Verftändniß der einzelnen Beftimmungen 
des Geſetzes von größter Bedeutung, fondern fie gewähren zugleich ein, allerdings nicht 
jehr erfrenliches Bild der Juftizverhältniffe Böhmens um die Mitte des vorigen Jahr- 
hunderts. Die Benügung derfelben wird durd ein jorgfältig gearbeitetes Namen- und 
Sadıregifter wejentlich erleichtert. Dr. R. 


Hans Lutſch: Berzeihniß der Kunftdenfmäler der Provinz Schleſien. 
1. Band. Die Kunftdenfmäler der Stadt Breslau. Breslau, Wilhelm 
Gottlieb Korn. 1886. S. XIV und 260, 


Vom Minifter der Unterrichts: ımd Medicinalangelegenheiten veranlaßt, von 
den Landesſtänden Schlefiens und der Oberlaufig unterftüßt, hat der Verfaſſer es 
unternommen eine Weberfiht über die für die Kunſt und Technik des Mittelalters 
und der Neuzeit bebeutiamften Denkmäler ald eine Ergänzung zu den Urkunden und 
Regeftenwerken zu liefern. Die Arbeit will feine abjchließende fein, fie will blos in 
einheitlihem Rahmen eine Anleitung zur Beſtimmung des Werthes der Denkmäler 
für die Eulturgefchichte bieten und überläßt ein endgiltiges Urtheil und eine ein- 
gehende Würdigung der Zukunft. Der Verf. er ift Regierungs-Baumeiſter, läßt in 
jeinem verdienftvollen Buche die vorgeichichtliche Zeit und das 19. Jahrhundert un— 
berücjichtigt, er jchließt e8 mit den Schöpfungen der Gilly'ſchen Schule ab; er fchliekt. 
aud die im Mufeum jchlefiicher Alterthümer md die in den Büchereien, namentlic) 
der Breslauer Stadt- und Univerfitätsbibliothef der Verfchleuderung entzogenen Runft- 
werfe aus, Im vorliegenden 1. Bande werden die Kunjtdenfntäler Breslaus auf: 
gezählt, und zwar in den erften drei Capiteln des erften Buches die firhlichen Denk: 
mäler ber Dom= und der Sandinjel, die Kirchen der vom Stadtgraben umgebenen 
Stadt und die der Vorftädte; das 4. und 5. Capitel erörtert die Profanbanten. Das 
2. Bud) beipricht die Ausftattung der Gebäude mit befonderer Berüdjihtigung der 
Kleinkunſt. — Die Bedeutung der mühevollen Arbeit für die Culturgeſchichte Schle- 
find wird aus dem Mitgetheilten erfichtlih, man muß ihr den beften Fortgang 
wünſchen. Die Aufgabe, die ſich der Herr Verfaſſer geſetzt hat, fällt in vwielfacher 
Beziehung mit der zufammen, die ſich die „Eaijerl. königl. Geſellſchaft zur Er— 
forihung und Erhaltung der Runft- und biftoriichen Denkmäler” gejest und theil- 
weile durchgeführt hat. —n. 


Franz Huͤbler: Geſchichte, Bedeutung und praftiiher Werth der Ste: 
nographie Gabelsbergers. Selbitverlag des Stenographen-Vereines in 
Reichenberg. 

Seit einigen Jahren ift das ftenographiiche Keben in Deutihböhmen ein überaus 


reges geworben, welcher Erfolg befonders dem Wirken &3 deutſchen Stenographen- 
Verbandes in Böhmen, der bereit3 weit über 1000 Mitglieder zählt, zu danken ift. 


— — 


Unter den Vereinen, welche dieſem Verbande angehören, nimmt der Reichenberger 
Verein Dank der trefflichen Leitung, deren er ſich erfreut, eine der erſten Stellen ein, 
und es freut und, hiemit ein Werkchen des langjährigen Vorſtandes dieſes Vereines 
mit verdienten Lobe anzeigen zu können. Auf blos 24 Seiten faßt es alles zuſam— 
men, was geeignet ift, den Laien mit der Bedeutung der Gabelsberger’ichen Steno- 
graphie bekannt zu machen. Die einzelnen Kapitel de3 verdienftvollen Werkchens 
führen folgende Weberjhriften: 1. Geſchichte der Stenographie; 2, Geſchichte und 
Syſtem Gabelöbergers; 3. die übrigen deutſchen Kurzichriftigfteme der Gegenwart; 
4. Berbreitung und gegenwärtiger Stand de3 Gabeläberger'ihen Syſtems (aus dieſem 
Capitel verzeichnen wir die bemerfenswerthe und erfreuliche Thatfache, daß die Ga— 
belsberger'ſche Stenographie 1870 nur von 163 Vereinen mit 4635 Mitgliedern ge- 
pflegt wurbe, während ihr 1885 bereit3 544 Vereine mit 14.145 Mitgliedern ihre 
Thätigfeit zumendeten); 5. Bedeutung und praftifcher Werth der Stenographie (dieſes 
Capitel ift befonders lejenswerth); 6. die materielle Stellung der Stenographen 
(auch diefes Capitel enthält viele beachtenswerthe Mittheilungen); 7. Schluß. Welches 
Kurzſchriftſyſtem fol gewählt, waun und wie joll e3 erlernt werben? Die zuletzt auf: 
geworfene Frage wird unſeres Erachtens ganz richtig dahin beantwortet, daß das 
Gabelsberger'ſche Syitem, ſelbſt wenn es nicht das befte aller vorhandenen Syſteme 
wäre, doc) ſchon darum jedem amderen vorzuziehen ift, weil es das verbreitetite ift, 
indem jährlich in Deutichland und Defterreih an 30.000 Perfonen nach Gabeläberger 
unterrichtet werden; daher ift e3 bei diefem Syftem viel leichter, Perjonen zu finden, 
welche eine darin abgefaßte Niederfchrift zu leſen im Stande find, als bei den anderen 
Spyftemen, die wie 3. B. die Faulmann'ſche Phonographie höchſtens 3—400 Anhänger 
aufzumeilen vermögen, Alles in allem kann Hübler’3 Schrift folchen, die fih für 
ftenographifche Fragen intereffiren, nur wärmſtens empfohlen werden. Th. Tupetz. 


Balenderfhan. 


Deutſcher Volkskalender für 1887, Nedigirt von Julius Lippert. 


Diefes vortreffliche, von Julins Lippert wie befaunt ausgezeichnet redigirte 
Haus: und Familienbud; unjerer deutjchen Landsleute hat mit dem vorliegenden 
nunmehr feinen XVII. Jahrgang erreicht und bedarf nicht erft einer nochmaligen 
Empfehlung; es hat Freunde in den weiteften Kreifen gefunden, und daß es fie er- 
halten, ja die Zahl derjelben immer erweitern wird, dafür bürgt der Herausgeber, 
der „Deutiche Verein zur Verbreitung gemeinnüßiger Renntniffe in Prag“, und ber 
Name feines Redactenrs. — Der Jahrgang für das Jahr 1887 bringt nebit dem 
Kalendarium und den üblichen verſchiedenen Tabellen und Regiftern in der Abthei- 
fung „Belehrendes und Unterhaltendes“ das mannigfaltigfte und reichhaltigfte Ma— 
terial, darunter einige nette Erzählungen von M. Waltraut und W. Wiechovsky, 
eine Gefhicdhte der Prager Taubftummen-Anftalt aus der Feder des unvergeßlichen 
Dr. Alex. Wiechovsky, werthvolle ethnographiſche und culturgefchichtlihe Bilder aus 
Dentihböhmen von unferem waderen Gefinnungsgenofien Dr. Michael Urban in 
Plan und noch eine Reihe diverjer gemeinnüsiger Winfe und Aufllärungen. Lefens- 


u, BR 


werth ift ferner die Skizze über Guſtav Bohland, den Begründer der erften mecha- 
nischen Werkftätte für Mufifinftrumente zu Graslig im Erzgebirge, Das „Gedenkbuch“ 
feiert in pietätvollen Worten den am 18. Juni 1886 zu Gießhübel dahingefchiedenen 
Prof. Dr. Joſeph Kaulich, Director de3 von Dr. 3. Freiherru von Löfchner gegrün— 
deten Franz Fojeph3-Kinderjpitals in Prag, einen mwaderen, verläßlichen Deutichen 
und tüchtigen, theilnehmenden Arzt. — Unſeren Stammesgenoſſen am Lande dürfte 
das Titelbild, welches das nee deutjche Theater, das Ergebniß der Opferwilligkeit 
aller Deutihen in Böhmen, in feiner zukünftigen Vollendung zeigt, eine willkommene 
Beigabe fein. 


Neuer Prager Kalender für Stadt und Land auf das Jahr 1887. 
Nedigirt von Joſeph Willomißer. 


Auch diefer altbewährte Kalender, der auf eine ehrenvolle Vergangenheit von 
vier Decennien zurüdiehen kann — der vorliegende Jahrgang ift der einundvierzigfte 
— und ber in unjerem bekannten Humoriften Joſeph Willomiser einen umfichtigen 
und tüchtigen Redacteur befitt, behandelt das jeiner Vollendung raſch entgegengehende 
neue deutſche Theater; dem anſchaulich und erichöpfend geichriebenen Auflage von 
Herm. Kat ift das Bild der künftigen Pflegeftätte deutſcher Kunſt in Prag beige: 
geben. Ein glüdlicher Gedanke war ed, die Gefchichte und Bedeutung, Zwecke und 
Erfolge des „Deutſchen Handwerfervereins“ in Prag, die Dr. Carl v. Görner dem 
Kataloge der von diefem Vereine veranftalteten Austellung als Geleitswort beigab, 
zum Abdruf und zur allgemeinen Kenntniß zu bringen, Gleiches gilt von dem 
Artikel „Die Königinhofer Handichrift“, der gewiß geeignet ift, ferner Stehende über 
den immer nod währenden literarifchen Streit zu orientiren. Der beutjche land- 
wirtbichaftliche Gentral-Verband, das Verzeihniß der deutjchen Mitglieder des böh- 
mifchen Landtages und der deutſchen Reichgrathsabgeordneten aus Böhmen, charak— 
teriftifche Skizzen über Bismard, zeitgemäße Auffäse über die Königin-Witwe von 
Spanien, den König Ludwig I. von Bayern, den Volksſchriftſteller P. K. Rofegger, 
Brof. L. Paſteur bilden weiterd den höchft intereffanten Inhalt des Kalenders, der 
aber damit noch lange nicht erjchöpft ift; demm wir finden außerdem noch eine Fülle 
anregender, unterhaltender und belehrender Lectüre, jo die hübfche Originalnovelle 
„Die Badereife” von Hedwig Wolf, Humoriftiiches, Wortlaut des Laudſturmgeſetzes 
u. ſ. w. Daß nebft dem Kalendarium auch die gewohnten Skalen, Tabellen u. dgl. 
nicht fehlen, braucht nicht bejonderd erwähnt zu werden. Ginige der Kalender: 
Sprüdjlein find originell und mögen hier angeführt fein: Auguſt: Sei deutſch mit 
der Seele — Nicht blos mit der Kehle — Nicht blos mit den Lippen — Auch hinter 
ben Rippen. Geptember: Sol ihn der Wenzel rejpeciren — Muß fi der 
Michel felber rühren, 


Haaſe'ſcher Haus: und Wirthihaftsfalender XV. Jahrgang. Für das 
Jahr 1887. Nedigirt von Joſeph Willomiger. 


Diefer Kalender enthält zum Theil dieſelben Aufläge, die wir bei dem vor- 
bergenannten hervorgehoben haben, zum Theil andere, jo den mit Sachkenntniß ge- 


A — 


ſchriebenen, beherzigungswürdigen Artikel von Joſeph Maraß: Ueber die allzugroße 
Studirluſt auf dem Lande, eine Dorfgeſchichte von demſelben Verfaſſer, die Erzählung 
„Der Glücksfund“ von Guftav Löffel, landwirthichaftliche Notizen u. ſ. m. 


Haaſe'ſcher Minuzen-Kaleuder auf das Jahr 1887. 


Es ift dies eine Heinere Ausgabe des Haaſe'ſchen Haus: und Wirthichaftd- 
kalender mit Johannisbad als Titelbild, einer gedrängten hiftorifchen Skizze dieſes 
freundlichen Badeorte3 au der Hand des erft kürzlich im Buchhandel erjchienenen 
Buches „Sohannisbad“ von Dr. Bernhard Pauer, der Humoreste „Auch eine Hoch— 
zeitgreife“ von Karl Georges und dem übrigen befanuten Apparat eines praftifchen 
Kalenders. 


Egerer Jahrbuch. Kalender für das Egerland und ſeine Freunde. Re— 
digirt von Georg Gſchihay. 


Der ſiebenzehnte Jahrgang dieſes Kalenders ſchließt ſich würdig an ſeine 
Vorgänger an und ſorgt in ausgiebiger und höchſt befriedigender Weiſe für Kurzweil 
und Belehrung ſeiner Leſer. Sofern dieſe eingeborene Egerländer ſind, und wenn ſie 
heutigentags zerftrent in der Welt lebend, den alten Dialect nicht verlernt haben, 
werden ihnen die mundartlihen Erzählungen und Lieder des Jahrbuches ebenfo viele 
liebe Grüße aus der Heimat fein, Mit ſolchen haben fi) diesmal eingefunden 
Dr. Michael Urban, deſſen Novelle „Zu Haufe — im lieben Egerlande” das Thema: 
Ueberall jhön, aber zu Haufe — im Egerlande — iſt's doch am jchönften! fehr an: 
muthig variirt; in einer anderen Erzählung desjelben Autord „Die alte Geiga-Aiva“ 
betitelt, werden einige Zauberfprüche, Feuerſegen, Krankheitsbeſchwörungen u. dergl. 
al3 intereffante Eulturbeiträge der alten guten Zeit angeführt. Der Stoff aller 
übrigen Erzählungen und Sagen von M. Nieder, Joh, Dietl und Ernft Stirner 
ift der Vorzeit de3 Egerlandes entnommen, dad außerdem M. Rieder und J. M. 
Brauner in begeifterten Weifen feiern, während Karl Iro einige andere formſchöne 
Producte feiner jangsfrohen Muſe beiftenert. Das Titelbild zeigt die ältefte Anficht 
von Schloß Kinsberg, über welche Nittervefte im vorigen Jahrgang des „Egerer 
Fahrbuches” eine eingehende Hiftorifche Skizze enthalten war, Den Schluß bildet 
eine Abhandlung über die Geichichte und Entwidlung der Muſikſchule in Eger. 


Kalender für das Egerland, Redigirt von Johann Wüſt. Eger, 
A. E. Wit 1887. 


Bon diefem Kalender ift der IV. Jahrgang für 1887 erfchienen. Unter feinen 
Auffägen verdient in erfter Linie die Gefchichte des Egerer „Sauerbrunnd” von 
Heinrich Gradl genannt zu werden, der an der Hand verläßlicher Quellen und mit 
der dieſem Hiftorifer eigenen Gründlichkeit eine Geſchichte des Badeortes Franzen» 


— 4 — 


bad entwirft- Dr. &. Habermann ftellt in feinem Beitrage „Ruinen“ betitelt, höchſt 
intereffante Betrachtungen über Ruinen von Induſtrialien an, wie fie der gegen- 
wärtigen Zeit eigenthümlich find. Den weiteren Juhalt bilden die hübſche Skizze 
von Graf Clemens Zedtwitz-Liebenſtein: „Der lebte einer alten Familie“, eine Er: 
innerung aus dem Lehrerleben vergangener Tage „Die erfte Schulprüfung“ von 
Wilhelm Appelt, der Schwank „Landsknechts drei Wünſche“ von Carl W. Gama- 
lovski, Egerländiiche Vierzeiler von Dr. Michael Urban, Sprüche, Gedichte, Humo- 
riftifches und volfs-, land- und hauswirthichaftliche Bemerkungen. 


Deutſcher Volkskalender für die Iglauer Spradinjel, Geleitet von 
Dr. Dagobert Zöwenthal. Iglau 1837. 


Mit der Herausgabe diefes Kalenders hat fi) der „Deutiche Verein für Iglan 
und Umgebung” unftreitig ein großes Verdienſt erworben, und es fteht zu erwarten, 
daß dieſes Unternehmen bald zu einem wirklich volksthümlichen ſich geftalten und 
erfolgreich wirken werde. Die Redaction des erften Jahrganges zeigt, mit. welcher 
Umficht und richtiger Stoffwahl bei Zufammenftellung des Textes vorgegangen wurde. 
Prof. Julius Wallner bringt eine Geichichte der Iglauer Epradinfel, eine populär 
biftorifche Arbeit, aus welcher wir erjchen, wie fräftig dad Deutſchthum im diefer 
Gegend fi) erhalten hat. Der Berfaffer fußt wohl auf Schlefingers gelehrten Arbeit 
„Geſchichte der Entftehung der Iglauer Sprachinſel“ hätte aber diejelbe insbeſondere 
in Bezug auf die agrarifchen und Bergbauverhältniffe nod mehr ausnützen jollen — 
allerdings unter Angabe der benutzten Quelle. Die Geſammtzahl der Deutjchen in der 
Iglauer Spradinjel beträgt nad) dem Verfaffer 37,178, denen nur 7207 Tſchechen gegen: 
über ftehen. Er ruft den Bewohnern zu, feſt und treu zu halten an der deutſchen Sprache 
und Sitte „es ift das Eoftbarfte Erbtheil Eurer Ahnen und Urväter, die nuter dieſem 
Zeichen reich und mächtig geworden, die als deutjche Eoloniften in’s Land gekommen 
und mit ihrer Hänbearbeit den Boden für fi und ihre Enkel im feindlichen Kampfe 
erobert!” — Der Ausschuß des „Deutichen Vereins für Iglan und Umgebung“ er- 
ftattet Bericht über feine Entftehung und Thätigfeit fowie über die Zwecke des Ka— 
lenders, ferner finden wir einen Bericht über „Die deutſche Volksbibliothek“ in 
Iglau, eine Weberficht der deutichen Vereine, ein Adreſſenbuch der Iglauer RAN 
infel, Erzählungen, Gemeinnüßiges n. |. w. 


8. t, Hofbuchdruderei A. Hanje, Prag, — Selbjtverlag. 


Literariſche Beilage 


zu den Mittheilungen des Vereines 


Geschichte ller Deutschen in Böhmen. 


XXV. Sahrgang. III. 1886/87. 








1. Fürſtenbergiſches Urkundenbuch. Sammlung der Quellen zur Gefchichte 
des Hauſes Yürjtenberg uud feiner Lande in Schwaben. Herausgegeben 
von dem fürjtlihen Hauptarhiv in Donauefchingen. J. Bd.: Quellen 
zur Gejchichte der Grafen von Achalm, Urach und Fürjtenberg bis zum 
jahre 1299; Tübingen 1877, S. XVII und 404. II. I. und IV. Bd. 
Tüb. 1877—79 ©. 460, 466 und 583. V. Bd.: Quellen zur Gefchichte 
der Fürjtenbergifchen Lande in Schwaben vom Jahre 700 —1359, 
Ziübingen 1885, ©. 563. 


2. Geſchichte des fürjtlihen Hauſes Fürftenberg und feiner Ahnen bis zum 
Fahre 1509 von Dr. Siegm. Riezler. Tüb. 1833, ©. XXIV und 500. 


3. Stammtafel des mediatifirten Hauſes Fürftenberg. 1884. 


Eines der hervorragendften Türftlichen Häufer Süddentichlands ift das der 
Fürftenberge, dad auf eine lange, viele Jahrhunderte umfaſſende, ununterbrochene 
Reihe von Ahnen hinweiſen kann. Faſt alle Mitglieder dieſes Geichlechtes find mit 
der Geichichte des deutſchen Südweſtens auf das Innigſte verflodhten, viele von ihnen 
ftanden im Dienfte der deutfchen Kaifer aus dem habsburgifchen Haufe und gar 
manche nahmen und nehmen auch in Defterreicdh eine hervorragende Stellung ein. 
Die fürftlihe Familie, die reichsunmittelbar über weite Gebiete herrſchte und noch 
heute, troß ihrer Mebdiatifirung, eine hohe Stelle unter den Adelsgeſchlechtern des 
deutjchen Reiches einnimmt, blüht gegenwärtig in zwei Linien, der ſchwäbiſchen und 
der böhmiſchen. Das regierende Haupt der erfteren, Fürft Karl Egon, faßte den 
Gedanken, die Quellen zur Gefchichte ſeines Haufes durch feine Archivverwaltung 

4 


a RE 


fihten und herausgeben zu laffen und fo find in Durchführung feines Planes jenes 
Urkundenwerk und auf Grundlage desjelben die Gejhichte und die Stamm— 
tafeln des fürftlichen Haufes entitanden, die in Hinblic auf ihre gediegene und pracht— 
volle Ausftattung, bei Weitem mehr jedody in Hinblick auf ihren hoben inneren 
Werth ein höchſt bedeutjames und umvergängliches Denkmal find, die der fürftliche 
Herr fih und feinem Haufe gejegt hat. 

Wenn ich die oben angeführten Publicationen, die dent Gebiete weit entrüdt 
zu fein fcheinen, das der Verein für die Gefchichte der Deutſchen in Böhmen pflegt, 
dennod in diefen Blättern zur Anzeige bringe, jo fehe ich mich dazu nicht etwa darum 
verpflichtet, weil Seine Durchlaucht Fürft Karl Egon ein glänzend ausgeftattetes 
Eremplar der gefammten obengenannten Schriften in bochherziger Weije unjerem 
Vereine verehrte, jondern ich jehe mich dazu veranlaßt, weil, wie ſchon bemerkt wurde, 
eine Linie des Haufes jeit der Mitte de3 vorigen Jahrhunderts in Böhmen“ fehhaft 
it, die nicht ohne hervorragenden Einfluß auf die Geſchicke unferes engeren Vater: 
landes ift und bleiben wird, ſodann und nicht zuletzt darum, weil das große Urfuuden- 
werf, jowie die auf dasjelbe fich ftüßende Geichichte und die Stammtafeln auf der 
Höhe der Wiſſenſchaft fiehen. Hat doh Seine Durhlaudt die beften Kräfte für 
bas Unternehmen gewonnen, denn die eriten 4 Bände der Urkundenfammlung, ſowie 
die Geichichte und die Stammtafeln find bearbeitet vom Archivrath (jest Oberbibliothefar 
in Münden) Dr, Siegm. NRiezler, der fih auch als Hiftoriograph Baierns einen 
berühmten Namen gemacht bat, der V. Bd., der, wie jchon gejagt, die Quellen zur 
Geſchichte der Fürftenberg’schen Yande in Schwaben bringt, und dem gewiß noch ein VI, 
folgen wird, ift von dem jeßigen fürftlichen Archivrath Dr, Baumann herausgegeben, 
ber auch als Mitarbeiter bei deu vorhergehenden Bänden fich bethätigt hatte, 

Bezüglich des Urfundenbudes wäre zu bemerfen, daß wohl fein Beurtheiler 
besjelben den Herausgebern daraus einen Vorwurf machen wird, daß fie fich nicht 
auf die Wiedergabe von Urkunden und Negeften beichränften, fondern daß fie auch 
Nachrichten aus Chroniken und Dichtern, Einträge in Nefrologien, Jahrzeit- und 
Lagerbüchern mittheilten, ja daß fie auch Inſchriften, bitdneriiche Denkmäler und eine 
große Zahl von Siegeln im Texte aufnahmen (überdies jchließt der V, Band mit 
87 Siegeln auf 8 Tafeln ab), die man jonft in Urkfundenbüchern, jchon wegen des 
Koftenpunktes, gar nicht oder doch nur höchſt ſparſam findet. So beginnt gleich. der 
I, Band mit einem Auszug aus dem Zwiefaltner Nefrolog A: 14. Kal. Dee. (811?) 
Vnröch und B Vnrich (am Rande: proauus Liutoldi comitis), Auch damit mird 
man mit den Herausgebern einverftanden jein, daß fie die älteren, für die Hans- und 
Landesgeſchichte wichtigeren Urkunden, auch wenn fie Schon anderwärts gedrudt waren, 
vollinhaltlich, unbedeutendere Stüde aber, wenn fie and) bislang nicht gedindt waren, 
bloß im Regeſt mittbeilen. Mit dem Anfange des 13. Jahrhunderts beginnt die 
Meittheilung bisher ungedrucdten Materials, das jeit der Mitte desjelben Jahrhunderts, 
jeit der Begründung der fürjtenbergifchen Linie des Hauſes, in den Vordergrund tritt 
und mit dem 14, Jahrhundert weitaus vorwiegend wird, Es kann nicht meine Auf: 
gabe fein, auf das hier vorliegende reiche Quellenmaterial, das den Zeitraum von 811 (?) 
bis zum 31. Dec. 1509 umfaßt, und das and) in rechtögefchichtlicher und ſprachlicher 
Richtung jeine hohe Bedeutung bat, näher einzugehen, ich will auch nicht der Erb— 
folgeordnungen und ZTeftamente, der Verzichte weiblicher und männlicher Mitglieder 
des Hauſes auf das Erbe, hauptjählic wenn ſie geiitlihen Standes waren, der 
Käufe, Schenkungen und Verpfändungen, der Auszüge aus Lehen- und Rechnungs— 


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bücher, der Schlihtungen von Streit, der Abfagebriefe und Urfehden, der Weis: 
thümer u. ſ. f. erwähnen, ih will bloß im Vorbeigehen auf eine unfcheinbare den 
14. Mat 1485 ausgeftellte Urkunde aufmerfiam machen, auf die Urfehde der Anna 
Henni von Röthenbach, die ald Here vor dem Gerichte des Grafen Heinrich zu 
Fürftenberg die Fenerprobe beftanden hat, und das zu einer Zeit, in der von Hexeu— 
procefjen und der dabei angewandten Feuerprobe, es ift in der Regel die Waſſer— 
probe in der Uebung, faum noch die Rede tft. Der I, in noch größerem Umfange 
der IV, Band bringt Nachträge und jeder der 5 Bände endigt mit einen genau 
zulammengeftellten Orts- und Perfonenverzeichniffe. 

Auf die „Geſchichte des Hauſes“ übergebend, erwähne ich, daß es ſich 
im 11. und 12, Jahrhunderte. nady den Burgen Ahalm und Urad, ſeit dem 13. 
nah Freiburg und Fürftenberg nannte, Als feinen Ahnheren kann es mit 
einiger Wahrjcheinlichkeit den oben genannten, im Nefrolog des Klofters Zwiefalten 
zum 18. Nov, angeführten Unruoc, einen Zeitgenoffen Karls des Großen, aufftellen; 
von den Tagen des Kaiſers Konrad U. an ſchließen ſich dann, von feiner Lücke 
unterbroden, 26 Generationen zu einer Ahnenreihe von jeltener Fülle zuſammen. 
Jener Unruoch wird als Urahne des Grafen Liutold von Ahalm, des Gründers 
von Klofter Zwicfalten, erwähnt, der wieder ein Ahne der Fürftenberge ift. Sicheren 
Boden betritt man freilich erft mit dem 11. Kahrhundert, von welcher Zeit an die 
Familie fiherlih Schwaben angehört. — Zur Zeit Konrad I. bauten die Brüder 
Egino und Nudolf die Burg Adhalm bei Nentlingen, von Rudolf ftammen die 
Grafen von Ahalm. Sein jüngfter Sohn Wernher, Bilhof von Straßburg, 
war Anhänger Heinrichs IV., die beiden älteften Kuno und Liutold, gründeten 
Zwiefalten, dem fie beinahe ihr gelfammtes Gut ſchenkten; mit ihnen ftarben die 
Grafen von Adalm aus. Eines Stammes mit diefen find die Grafen von 
Urad; fie leiteten ihre Abkunft wohl von dem jchon erwähnten Egino I. her und 
nannten fi nach der Burg Urach, dem heutigen Hohenurach im Thale der Erms. 
Sein Urenkel Egino IV. war vermählt mit Agnes von Zähringen, durch die ein 
Theil ihres väterlichen Exbes, jo Freiburg, au ihren Sohn Egino V. von Uradı 
gelangte. Bon deffen älteften Sohn Konrad ftammen die Grafen von Frei— 
burg, die 1475 ausitarben ; von feinem jüngeren Heinrich 1. die von Fürften- 
berg ab. Diefer ftand dem König Audolf von Habsburg nahe, mit dem er diefelben 
Urgroßeltern batte, in jeinen Dienften wanderte er Jahre lang von der Ditiee bis 
nach) Italien, er 309 1277 mit Friedrich Burggrafen von Nürnberg, als König Rudolfs 
Unterhändler, an Ottofard Hoflager nah Prag, und focht das Jahr darauf in der 
Schlacht bei Dürrnkrut, in welcher ihm und dem Hohenzollern Friedrich das Fönigliche 
Banner empfohlen ward. Als Lohn für feine treuen Dienfte wurden ihm zwei wich: 
tige Punkte aus dem zähringiichen Erbe, Villingen und Haslach, als Reichslehen ge: 
rettet und er erhielt die „Srafichaft in der Baar“, nad) der er fid) „Landgraf in der 
Baar“ nannte. Aber unter jeinen Söhnen und Enfeln erlitt die Macht des Haufes 
empfindliche Verfufte. Jene theilten den Befis, womit der jüngere Egon das Haupt 
der Haslacher Linie wurde, die mit dem bei Sempad gefallenen Johann er- 
fojch, während Friedrich die Hauptlinie des fürftenbergifchen Hauſes fortpflanzte, 
Sein Sohn Heinrich I. geräth mit König Albrecht I. im Kampfe, wurde in jeiner 
Felte Fürftenberg belagert, muß einen Theil feiner Ländereien an des Königs Sohn, 
den Herzog Friedrich, abtreten und erhält fie von ihn als Lehen zurück. Auch Bräunu— 
fingen wurde abgetreten und Villingen ging verloren. Später hält er freu zu den 

4* 


a 


Habsburgern, nimmt in Herzog Leopolds Dienſten Theil an den Nömerzug Hein: 
richs VII, fteht nad) deſſen Tod auf der Seite Friedrichs des Schönen und ſeit 1330 
auf der Ludwigs von Baiern. Sein Enkel Heinrich IV. vereinigte den erledigten 
Beſitz der Haslacher Linie, Durch neue Theilungen entftanden die Kinzigthaler, 
die Geijinger und die Konradiſche Linie. Der Gründer diejer ftand mit Sieg 
mund von Tirol in Verbindung, was ihn mit den Eidgenofen verfeindet. Seit 
Heinrichs I. Ableben hatten Theilungen die Macht des Hauſes geſchwächt, und ebenjo 
lang hatte ſich die Wirkſamkeit der Grafen faſt ausjchließlich in den engen reifen 
der Heimat und der nächiten Nachbarichaft bewegt, exit jeit Heinrichs VII. und 
Wolfgangs Zeiten gewinnt die Geichichte des Hauſes wieder einen reicheren In— 
halt. Mit dem Erlöichen der Kinzigthaler Linie wird das Fürftenberg’ihe Erbe in 
den Händen der zwei genannten Brüder und jchließlich bloß in denen Wolfgang 
vereinigt. Heinrich unternahm in jugendlichen Jahren eine gefahrvolle Pilgerfahrt 
nad; dem heil. Grabe, er ift jpäter Rath des Erzherzogs von Tirol und tritt dann 
mit feinem Bruder in die Dienfte Maximilians. Wolfgang macht deſſen Feldzug gegen 
Ungarıe mit und war Theilnehmer an der Eroberung von Wien und Stuhlweißen: 
burg. Beide Brüder werden Näthe des Königs und mehren ihren Beſitz, jo 3. 8. 
dur Kauf von Donaneihingen. Als Hofmarichall zieht Heinrich mit dem römischen 
König 1496 nad) Stalien, wohnte danı am Hoflager in Innsbruck in der nach ihm 
benannten Deinrihsburg und machte mit den Kaiſer und in deflen Auftrage weite 
Reifen, während Wolfgang an der Vertreibung des Württembergers Eberbard großen 
Anteil hatte. Beiden war jodanı in dem Krieg mit den Schweizern von 1499 eine 
hervorragende Nolle beicyteden, in welchem Heinrich in dem leberfalle bei Dorned 
den Tod fand. Wolfgang war nun der alleinige Regent der fürftenbergiihen Lande. 
Er hatte als Oberithofmeister und Ritter des goldenen Vließes Philipp den Schönen 
1506 nad Spanien begleitet, während fein Sohn Friedrich ald Spiel» und Studien- 
genoffe des Prinzen Karl in den Niederlanden blieb. Nach einem viel bewegten Leben 
ftarb Wolfgang den 31. Dec. 1509 und mit jeinem Tode jchließt das Geſchichtswerk 
ab, dem eine forgfältig ausgeführte Karte beiliegt, die die ſchwäbiſchen Lande des 
Haufes Adhalm-IUracd Freiburg: Fürftenberg zur Darftellung bringt. 

Auf Grund der „Stammtafeln” merke ih in Fortiegung der Geſchichte 
der Fürftenberge Folgendes an: Von Wolfgangs Enkeln gehen die Kinzigtbaler 
und Heiligenberger Linien aus. Diefen gehörten an die Brüder Ferdinand, 
Neichshofrath, F 1662, Leopold, er fiel ebenjo wie fein jüngerer Bırnder Ernft Egon 
in kaiſ. Dienften, jener 1639 bei Thronville, diefer 1652 bei Etampes; Franz 
Egon ftirbt 1682 als Firftbiihof von Straßburg, dann die in den Neichsfürftenitand 
erhobenen Herman Egon und Wilhelm Egon. Der Sohn Ferdinands, Maxi 
milian Joſef, fiel 1676 vor Philippsburg, dejlen Vetter Anton Egon ift Statt: 
halter König Anguſts des Starken in Sachſen und ftirbt 1716, fein Bruder Emanuel 
fällt 1685 vor Belgrad. Mit Anton Egon erlifcht die Linie. Der Kinzigthaler Linie 
entitanımten der als Hauptmann bei Ofen 1684 gefallene junge Friedrih Chriſtoph, 
jodann jein Bruder Karl Egon, der als Feldmarihall-Lieutenant 1702 bei Fried— 
lingen blieb, Aus der von Friedrid Rudolf, * 1655, ftammenden Stühlinger 
Linie erwähne ich den bei der Belagerung von Landau 1704 gefallenen Brosper 
Ferdinand, ſodann deſſen Sohn Joſef Wilhelm, F 1762, der in den Reichs— 
fürftenftand mit Ausdehnung auf feine gefammte Descendenz erhoben ward. Er war 
vermählt mit Maria Anna Gräfin von Waldftein, die die GStifterin des 


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fürftenbergiihen Fideicommifies Pürglit in Böhmen als Secundogenitur 
wurde. Der eritgeborne Sohn der Beiden, Joſef Wenzel, F 1783, ftiftet ‚die 
reih3fürftliche, der zweite Karl Egon die böhmiſche Linie, Deſſen Enkel, 
Karl Egon, vermählt mit einer Tochter des Großherzogs von Baden, fuccedirte 1804 
auch in das reichöfürftliche Fideiconmiß, und von feinen drei Söhnen wurde der 
jeßt regierende Karl Egon IL das Haupt der reihsfürftliden, Marimiltian 
Egon, F 1873, der böhmischen (ihm folgte fein gleichnamiger 1863 geborner Sohn) 
und Emil Egon der Königshofer Linie, al3 Stifter des Königshofer Fider- 
commifjes. Schließlih wäre noch anzuführen, daß Ludwig Auguſt Egon, Bruder 
des oben erwähnten Fürften Joſef Wilhelm, die landgräfliche Kinie mit der 
Derrihaft Weitra in Niederöfterreich geftiftet hat, welcher unter Anderen der jeßige 
Erzbifhof von Olmüs angehört. Von der landgräflichen zweigte fi) die Tay- 
fowißer oder die mährijche Linie ab, die bereits ansgeftorben ift. G. B. 


Dr. €. Grünbagen: Geſchichte Schlefiens. II. Bd. (bis zur Vereinigung 
mit Preußen; 1526 -—1740). Gotha 1886; ©. 446, Quellennachwei— 
jungen 1—46. 


Den von mir angezeigten 1. Band ift der 2, verhältnißmäßig raſch gefolgt und 
mit ihm ift das verbienftvolle Werk abaefchloffen, Der vorliegende Band, der in 
drei Büchern zerfällt, von denen das 1. die Umgeftaltung der kirchlichen Verhältniffe 
in Schlefien bis zu deren Anerkennung duch den Majeftätsbrief, dag 2. die Zeit des 
dreißigjährigen Krieges und das 3. Schleften in den Zeiten der firhlichen Reaction 
beleuchtet, handelt über einen Theil der ſchleſiſchen Gejchichte, der, wenn von der 
dentichen Coloniſation des Landes abgehen wird, zu dem intereffanteften Abjchuitt 
zu zählen ift. Bezüglih der Firdlichen Bewegung, von der Schleſien ſofort nad) 
Beginn der Neformation ergriffen wurde, will ich nur bemerken, daß die Umwand— 
(ung anf kirchlichem Gebiete bier hauptlählihd von den Obrigfeiten herbeigeführt 
wurde. Sie berufen Prediger, die der neuen Lehre anhängen, und dieje wieder 
führen im Einverſtändniß mit der Yaienwelt die Umgeitaltung der kirchlichen Verhält- 
niffe Schritt für Schritt durch; Gegnerſchaft und Widerfpruch bleibt einzig und allein 
der Geiftlichkeit überlaffen. Diefer Vorgang hatte zur Folge, dab die Landesbiſchöfe, 
die als die Oberhirten auch der zu der neuen Lehre ſich Bekennenden angefehen 
wurden, fie bis tief in das 16. Jahrhundert nicht als Abgefallene anfahen, 
jondern daß fie nicht daran zweifeln, mit ihnen innerhalb der Kirche ein Aus— 
kommen finden zu können, Mit den Nenderungen auf firdlichem Gebiete hält die 
Hebung des Schulweſens gleihen Schritt. Moiban, erfter proteft, Brediger an der 
Elijabetblirche, früher Nector der Magdalenenfchule, bürgerte dag Griechiſche ein, 
Joh. Huf hielt Borlefungen in lateiniſcher Sprache über die heil. Schrift, der Stabt- 
Ichreiber Joh. Nabe (Gorvinus), einer der berühmtelten Poeten de3 Dumanismus, 
und der Patricier Joh. Metzler waren Förderer der humaniftiichen Studien, Valentin 
Trogendorf verichaffte der von ihm geleiteten Schule zu Goldberg großen Ruhm. — 
Als Schleſien an die Habsburger gelangte, war der Sieg der Reformation in Breslau 
bereits ein vollftändiger, für fie hatten fi) die mächtigiten Fürften Schleſiens erklärt, 


— | Re 


ihre Anhänger hatten das Uebergewicht anf den Fürftentagen; und dennoch war von 
einer Kirchenſpaltung faum die Rede, die Kirchengüter waren kaum angetaftet, die 
Autorität des Biſchofs nicht beftritten. Unter Rudolf wurde die Bewegung zum 
Stillftande gebracht, ja e3 traten die Reactionsbeftrebungen und zwar vorerft in den 
jogenannten Erbfürſtenthümern immer deutlicher hervor, der Neigen beginnt mit 
Troppau. Sein jchlaffes Negiment bringt den Kaifer um Ungarn, Defterreih und 
Mähren; Böhmen und Schlefien bleiben ihm noch für kurze Zeit, er muß jedoch den 
Ständen die Majeftätsbriefe ausitellen. Der für Schlefien fest in Haren und ein— 
fachen Zügen die vollitändige Gleichberechtigung der beiden Religionsparteien mit 
einer Freiheit und Folgerichtigkeit feft, die im 17, Jahrhundert beipiellos ift. 

Der Dresdener Accord (28, Febr. 1621) Ichüste Schlefien vor dem Scidjale, 
dem Böhmen nad) der Schlacht auf dem weißen Berge verfallen war, der Einfall 
Mannsfelds in das Laud gab jedoch die erwünfchte Handhabe zur Gegenreformation 
mit Hilfe der berüchtigten Lichtenjteiner. Won den Leiden, die der unfelige Krieg 
für Deutſchland in Gefolge hatte, blieb Schlefien nicht verichont, Mannsfelder, Kaiſer— 
liche und Schweden verwülteten gleichmäßig das Land, das beim Abſchluß des Frie- 
dens aus taujend Wunden biutete, Aber auch der Friede bradıte den gequälten 
Schlefiern feine Ruhe, denn die von Ferdinand II. wieder in Angriff genommene, 
von Leopold I. fortgeſetzte Kirchliche Reaction nahm auf die den ſchleſiſchen Proteftanten 
in der weſtphäliſchen Friedensurkunde zugeitandenen kümmerlichen Zugeftändniffe 
wenig Nüdficht. Aber auch die etwaige Hoffnung der Schlefier auf eine größere 
Berüdfihtigung ihrer materiellen Intereffen waren vergebend. Denn wenn vielleicht 
auch Leopold guten Nathichlägen nad) diefer Richtung bin nicht unzugänglich war, fo 
it doch bei der Schmwerfälligfeit der Regierung, der beftändigen Geldnoth und ber 
Unterordnung der politiichen Rückſichten unter die kirchlichen tbatlächlich von landes- 
päterlicher Fürforge feiner Regierung nur wenig zu veripüren; ein Glüd, das dem 
ſchwer zerrütteten Lande der Friede gewahrt blieb. Es ift begreiflid, wenn unter 
jolhen Berhältnifien dem Schwedenföntg Karl XII. auf feinem Zuge durch Schlefien 
die Klagen der Proteftanten über erlittene Verfolgung und ihre Bitten um jeine Ver: 
wendung laut entgegengebradht wurden. 

Mir gebricht e3 an Raum, um auf die Regungen hinzuweiſen, die fih auf 
dem Gebiete der Wilfenfchaften, der Kunst und Poeſie, des Gewerbes und Handels 
nad dem großen Kriege in Schlefien fühlbar machten. Bezüglich der inneren Bolitif 
bezeugte blos Ferdinand IL Sinn und Verſtändniß für die Aufgaben derjelben, er 
bemühte ſich, eine einheitlihe Münze zu jchaffen, er führte directe und imdirecte 
Steuern ein, und was in der habäburgifchen Zeit für die Organifativn der Verwal: 
tung in Schlefien aefchehen ift, reicht auf Ferdinand zurüd, fo daß feine Nachfolger 
eigentlich ganz allein davon gezebrt haben; nur auf religiöfem Gebiete find fie erfin: 
derijh und energisch in Maßregeln zur Befämpfung des Proteftantismus geweien. 

Der Verfaſſer Ichilderte die Geſchichte Schlefiens als die eines Yandes für fid,, 
mit beionderen Schidfalen und ihn eigenthümlichen Intereſſen, die wefentlich ver: 
Ichieden von denen der andern habsburgischen Erbländer waren. Es iſt ja richtig, 
daß mit dem Fahre 1740 diefe Selbitäudigfeit ein Ende nimmt, und daß von mun 
an die Geſchichte Schlefiend mit der Preußens zufammenfließt; trotzdem hätte der 
geehrte Verfaſſer, wie ich meine, feine anziehende Darjtellung nicht mit der Eroberung 
Schleſiens abbrechen jollen, denn es wäre feinen Lefern, wie er ja felbjt zugibt, von 
hohem Intereſſe geweſen, zu erfahren, wie es preußiſch wurde, wie e3 jo jchnell mit 


— — 


dent neuen Staate verſchmelzen konnte, und welche eminente Bedeutung, wie wir 
hinzufügen, die Provinz ſehr bald für den preußiſchen Staat bekam. Wir wollen 
aber mit dem Verfaſſer wicht rechten, daß er ſein Werk mit 1740 abſchließt, find ihm 
vielmehr dankbar für das treffliche Buch, deſſen Eriftenzberechtigung von Jedermann 
anerfannt werden muß und das, deſſen find wir gewiß, einen weiten Leſerkreis, 
namentlich unter jeinen Landsleuten finden wird, unter denen ja fein Name fchon 
jeit vielen Fahren von beftem Klange ift. n. 


Dr. Jak. Caro: Geſchichte Polens, V. Theil. 1. Hälfte: 1455 — 1480 
(die 47. Liefer. 1. Abth. der Herren Ukert'ſchen Sammlung, fortgefegt 
von Giejebrecht) Gotha, 1886, Berthes; ©. 500. 


Bekanntlich hat den 1. Band dieſes Werkes, der für die ältefte Geichichte Polens 
grundlegend wurde, Herr Dr. Richard Roepell bearbeitet, die Fortfegung übernabın 
fein jüngerer College Prof. Caro in Breslau, der den vorliegenden Band dem hoch— 
verdienten Profeſſor Roepell verehrungsvoll zueignet. Wie in den von ihm verfaßten 
drei vorangehenden Bänden zeigt Caro auch in dem neueften, daß er feiner ſchwie— 
rigen Aufgabe völlig gewadjlen ift. Tiefes Verftändniß der die Zeit und die Perſonen 
treibenden Ideen, bejonnene Kritik, die der Berf. wiederholt, 3. B. an Diugoß aus— 
übt, und eine anziehende Darftellung und Screibweile werden dem Bude einen 
bleibenden Werth fihern. Der Zeitraum, innerhalb deſſen ſich die Schilderung be— 
wegt, ift oben angegeben. Der Band beginnt mit dem 11. Buche, das in 11 Capiteln 
zerfällt uud den dreizchnjährigen Krieg (1453—1466) Polens mit dem deutjchen 
Orden erzählt, dazwifchen wird aber immer wieder eingehende Rüdfiht auf die 
inneren Zuftände de3 Meiches genommen. In dem Kriege hat Danzig einen „trans 
rigen Ruhm“ erworben; denn „jo troftlos die Bemerkung für den deutſchen Batrioten 
auch fein mag, jo ſehr entipricht e3 doch der Wahrheit, daß vielleicht im ganzen Verlauf 
der deutjchen Geſchichte niemals ein ftädtifches Gemeinweien eine jo zähe und von 
Fahr zu Jahr wachlende Straft für den Verbleib bei dem politiichen Verbande Deutich- 
lands entfaltet habe, als hier die deutiche Seeftadt aufbot, um ſich von demjelben 
zu trennen“. Die Darftellung der Urſachen des Verfalls des deutſchen Ordens be- 
zeugt, daß der geehrte Verfafler e3 verfteht, bi3 zum innerſten Kern vorzudringen. — 
Im 12. Buche mit feinen 6 Gapiteln wird der Kampf um die Thronfolge in Böhmen 
dargelegt; Kafimir IV. fegt jchließlich die Erhebung feines Sohnes anf den böhmischen 
Thron durch. 

Wir fcheiden von dem Buche mit dem egoiftiihen Wunfche, es möge der Herr 
Verf. recht bald in den Stand gelegt fein, uns mit der Fortſetzung feines Geſchichts— 
werfes zu erfreuen. n. 


Dietrih Rerler: Deutſche Reichstagsacten unter Kaifer Siegmmud. 
Dritte Abtheilung. 1427—1431. Berthes, Gotha 188575; ©. 649. 
Ich habe ſchon mehrere Bände der durch die hiftorifhe Commiſſion der kgl. 
Akademie der Willenfchaften in München veröffentlichten Reichstagsacten angezeigt, 


== AR 


fo auch die zwei vorangehenden aus der Regierungszeit Kaiſer Siegmunds. In den 
vorliegenden fallen die zwei wichtigen Reichſstage von Frankfurt 1427 und von Nürns 
berg 1431. Bon den 514 Nummern, die der Band zählt, waren 295 bisher ganz 
unbefannt. Um für die auf dem erfteren Tage geplante Reichskriegsiteuer zum Be— 
hufe der Belriegung der Hufiten auch die Städte zu gewinnen, deren Zuftimmung 
bei pecuniären Leiftungen vornehmlich nothwendig war, wurde für Ende Dec. 1427 
der Tag zu Heidelberg angefagt, auf welchem der ſchwäbiſche Städtebund den hart- 
nädigften Widerftand leiftete. Ueberhaupt bietet die Gejchichte der Erhebung ber 
Reichskriegsſteuer von 1427 ein trauriges Bild, es tritt die Zerrüttung des deutſchen 
Staatsweſens, die Machtlofigfeit feiner Leiter, der Sondergeift und die Unbot- 
mäßtgfeit der hohen und niederen Stände kläglich zu Tage. Aus dem wenigen 
Mitgetheilten wird Jedem die Wichtigkeit der Reichdtagsacten für die Gedichte 
Böhmen einleuchten, der Fünftige Geſchichtſchreiber der Hufitenkriege wird fie nicht 
entrathen fünnen, er wird auch in dem vorliegenden Bande, der gleich den früheren 
die uneingefchränkte Anerkennung verdient, ein reiches Material auf das Gewiſſen— 
haftefte und Sorgfältigfte zufanımengetragen finden. Die Nusftattung de3 Bandes 
ift, wie fi) das von der geſchätzten Berlagshandlung Perthes von jelbit verfteht, 
eine rühmenswerthe, —n. 


Canossa, studi e ricerche di Angelo Ferretti, professore nel r. 
istituto tecnico di Reggio nell’ Emilia. Seconda edizione. Ermanno 
Loescher, Torino; 1834. 


Sm Jahre 1877 waren e3 gerade 800 Fahre, daß ſich in Canoffa jene uner- 
hörte Demüthigung eines deutichen Königs zutrug, welche die genannte Burg für 
immer berühmt machen follte. Ein Fahr vorher, 1876, erſchien die erfte Auflage des 
vorliegenden Buches, welche einen bei einem gelehrten Werfe nicht eben häufigen, 
praftiichen Erfolg hatte. Die Aufmerkſamkeit nämlich, welche dadurd neuerdings der 
merfwürdigen Burg fich zumendete, hatte zur Folge, daß durdy Wegräumung der den 
Bergabhang bededenden Steintrümmer und Anlegung von Wegen die Burg überhaupt 
erft wieder dem großen Bublicum zugänglich gemacht wurde und daß auf der Höhe des 
Bergkegels Ausgrabungen begannen, welche über die Lage der dafelbft befindlichen 
Gebäude ſchätzenswerthe Aufllärungen ergaben. Fa die Burg wurde fogar von dem 
italienischen Unterrichtsminifterium nad Jahrhunderte langer Vernachläſſigung als 
„Nationaldenfmal” ertlärt, wobei man jelbftverftändlich weniger das Andenken an 
den Sieg des Papſtthums über das Kaijerthbum, von dem Canoſſa Zeuge war, zu 
feiern gedachte, als vielmehr das Andenken an die „große Jtalienerin”, die Gräfin 
Mathilde, der auch das Buch Ferretti's zum größten Theil gewidmet ift und welche 
man im heutigen Stalien vorzugsweile als Vertheidigerin der nationalen Selbſtän— 
digkeit Italiens gegen dentjche Eroberungsluſt zu betrachten geneigt it. Um gerecht 
zu fein, muß indeffen zugeftanden werden, daß Ferretti ſelbſt jenen lWebertreibungen 
entgegentritt, welche die nationalen Gefühle des 19. Jahrhunderts jchon in das 11. 
zurückverſetzen möchten. 


Da der Gegenstand, dem der Verf. fein Buch gewidmet hat, auch von deutjchen 
Gelehrten vielfach behandelt worden ift, fo ergibt fi) für den deutjchen Beurtheiler 


en A 


unwillkürlich die Frage, ob und bis zu welchem Grade die Ergebniffe der deutichen 
Forſchungen dem Verf. bekannt geworden find. Ein Verzeichniß der benüsten Werke, 
das dem Buche vorangeftellt ift, fcheint geeignet, darüber am rafcheften Aufichluß zu 
geben; aber gerechte Vermunderung- muß e3 erregen, in dieſen Verzeichniffe zwar den 
hiftorifhen Roman: „Eanoffa“ von Bolanden, dagegen weder Gieſebrechts Kaiſerge— 
Ishichte, noch die Jahrbücher des deutjchen Reichs, noch die Monumenta Germaniae 
vorzufinden Bei der Lectüre des Buches felbft ftellt fih der Sachverhalt freilich als 
minder ſchlimm heraus. Bolandens Roman wird nur citirt, um eine alberne Erdich 
tnug, die Heinrich IV. Buße in minder grellem Lichte zeigen fol, zu widerlegen; 
aber wer, um Himmelswillen, muthet einem Hiftorifer zu, fich bezüglich deifen, mas 
er al3 hiftoriiche Thatſache berichtet, mit einem Noman anseinanderzufeben? Auch 
die Monumenta Germaniae find dem Berf., wie ſich fpäter zeigt, nicht völlig unbes 
faunt; er bemüßt in der Ausgabe der Monumenta u. a. den Donizo, feine Hanpt- 
auelle für das Leben der Gräfin Mathilde, Aber des Verf. Bekanntſchaft mit dem 
deutjchen Urkundenwerke ift doch eine fehr ungenügende, denn er würde jonft gewiß 
wicht den Lambert von Hersfeld, den er mit dem länaft als falich erkannten Namen: 
„Lambert von Aſchaffenburg“ benennt, den Wipo von Burgund und den Hermannus 
Gontractus, nad) der Ausgabe des Struvius vom Fahre 1726 citiren. 

Leicht könnte man jo Shen nad; dem Verzeichniß der benüsten Werke zu den 
ungünftigften Folgerungen über das ganze Buch gelangen; doc mit Unrecht. In dem 
engen Kreiſe von Quellen, die der Verf. zu Rathe zieht, bewegt er fih im ganzen 
nit Vorſicht und nicht ohne Fritiiches Geſchick; der quellenkritiſche Apparat ift jogar 
meift unmittelbar in den Tert aufgenommen. Freilich fällt dabei auf, daß der Berf. 
den Unterichied zwiichen primären, zeitgenöffischen, und fecundären, abgelciteten Quellen 
viel zu wenig beachtet; wie könnte er fonft feine Schilderung der Erziehung, welche 
die große Gräfin genoß, aus einem Schriftiteller von 1666 entnehmen! Auch jonft 
vermag fi) der Verf. bei aller Keritif von Irrthümern nicht freizubalten, und zwar 
von Irrthümern, die leicht zu vermeiden gewejen wären, wenn er auch in neuere 
deulſche Seichichtäwerfe als Ludens Geichichte des deutichen Volkes von 1825—37 
Einjiht genommen hätte. So macht 3. B. der Verf. über den Inveſtiturſtreit die 
ganz unrichtige Angabe, als hätte e3 von Aufang an zwei Inveſtituren, Die geiftliche 
mit Ring und Stab und die weltliche mit dem Scepter, neben einander gegeben 
und als hätte es fih bei dem Streite um nicht? gehandelt, ald um die Frage, 
welche der beiden Anveftituren früher zu erfolgen habe. Heinrich IV. wird von dem 
Verf, obwohl diefer fonft keineswegs klerikal ift, höchſt ungerecht beurtbeilt: „gleich 
ſchlecht als Menih und als König,“ jagt er von ihm, babe er den Krieg gegen die 
Sachſen „mehr wie ein Straßenräuber, als wie ein Soldat geführt.“ Der Grund 
it offenbar, weil der Verf. dem Donizo, dem Lobredner Canoſſa's und der großen 
Gräfin, Vertrauen fchenkt, als er nad) den Ergebniffen der deutichen Kritik ver: 
dient. Falſch ift auch die Darftellung, als wäre die Demüthigung Heinrich IV. zu 
Cauoſſa von dem Bapfte verlangt worden, als Bedingung zur Zurüdnahme des 
Bannes, falſch die Angabe, als wären die jogenannten „dietatus papae*, Brivatanf- 
zeichnungen Gregor VII Beichlüffe jener Synode, auf der der Bann gegen Heinrich IV. 
ausgelprochen wurde, 

Doch genug der Ausstellungen! Als Vorzug des Werkes muß neben dem guten, 
mitunter ſchwungvollen Stil befonders der Fleiß gelobt werden, den der Verf. auf 
Localftudien verwendet hat; das Ergebniß derfelben legt er in zwei Plänen, dem von 


Canoſſa felbft und dem feiner Umgebung, dem Lefer vor, Auch zwei Abbildungen dev 
Burg Ihmüden das MWerf. 

Was die Bertheilung des Inhaltes betrifft, jo erzählt das erfte Capitel die 
Erbauung der Burg durch Azzo Adalbert, Sohn des Sigifredo aus Lucca, denfelben, 
welcher der flüchtigen Adelheid, Witwe Kaijer Lothars und naher Gemahlin Otto's 
des Großen in Canoſſa Zuflucht gewährte, das zweite dag weitere Emporfommen de3 
Geichlechtes unter Tedald und Bonifacius im Bunde mit den deutſchen Kaiſern, das 
dritte und vierte behandelt die Zeit der großen Gräfin, das fünfte die ſpäteren 
Schickſale der Burg. Im Schlußcapitel bejpricht der Verf. den gegenwärtigen Zuftand 
der Burg, welche feit ihrer Zerftörung dur die Einwohner von Reggio im Fahre 
1255 niemals wieder völlig hergeftellt wurde. Th. Tupetz. 


Adolf Bachmann: Briefe und Meten zur öſterreichiſch-deutſchen Geſchichte 
im Zeitalter Kaifer Friedrichs II. (Fontes rerum austriacarum, 
2. Abth. 44. Band. Wien 1885. 


Für denjelben Zeitraum, auf den fih Palacky's „Urkundliche Beiträge zur 
Geſchichte Böhmens und feiner Nachbarländer im Zeitalter Georgs von Podiebrad“ 
bezogen, alſo für die Jahre 1450 ; 71, erhalten wir jest von Prof. Bachmann bereits 
die zweite Sammlung von neuem Material. Die vorliegende joll eine Ergänzung 
fein zur erjten, den 18379 im 42. Bande der Fontes erichienenen „Urkunden und Acten— 
ſtücken zur öſterreichiſchen Geſchichte im Zeitalter K. Friedrihg III. und K. Georgs 
von Böhmen“ Bon einer Nachleſe fann man eigentlich kaum jprechen, wenn man 
jieht, daß der vorliegende Band um mehr al3 150 Seiten ftärfer ift als jener, troß- 
dem der Zeitraum ein fürzerer ift, nachdem die hier mitgetheilten Stüde erft mit 
dem Jahre 1453 beginnen. 

Mas diesmal vollftändig oder in Negeftenform neu geboten wird, vertbeilt fich 
freilich auf die einzelnen Jahre ungemein verſchieden. So entfallen auf die eriten 
8 Jahre (1455—60) blos 55 Nummern, auf die 8 letzten (1464—T71) auch nur 79, 
dagegen auf die dazwiſchen liegenden 3 Fahre (1461—63) die übrigen 414 Nummern, 
während die erfte Sammlung für diefe nur 33 Stüde gebracht hatte, — Dieſes findet 
feine Erklärung, wenn man in Betracht zieht, woher die Beiträge ftammen. Zwar 
bat das reiche Dresdner Archiv, aus dem doch bereit? Palacky und auch wieder 
Bachmann ſelbſt jo viel veröffentlicht hatten, neuerdings an 80 Nummern beigefteuert. 
Hicher gehören gleich die eriten 34 des Bandes, die ſich beziehen auf die Fehden an 
der böhmiſch-ſächſiſchen Grenze und_auf die Verhandlungen über die böhmischen Lehen 
in ſächſiſchem Befis. Soweit diefe Sachen allgemeinere Bedeutung haben, dürfte damit 
das meiſte veröffentlicht fein. Wer ſich aber mit Zocalgefibichte, peciell Nordböhmens, 
beichäftigt, dem bietet das genannte Archiv auch jest noch viele intereffante Details, 
wovon fich Referent perfönlich überzengt hat. — Das großherzogliche und herzogliche 
Geſammt-Archiv in Weimar hat, wie früher ſchon, jo auch diesmal wieder jehr An— 
ſehnliches geliefert. Darunter find 3. B. eine Neihe längerer Berichte über die Ber: 
bandlungen von Nürnberg, Roth und Prag im Jahre 1460, ganz beionders aber die 
Berichte, die fid) Herzog Wilhelm von Sachſen zur Zeit feiner Wallfahrt nah Balä- 
jtina von feinen Statthaltern evftatten lich, „eine elle erften Ranges für das 


— — 


Fahr 1461“, wie Bachmann ſelbſt ſagt (Nummern 81, 82, 88 -90, 99—102 u. ſ. f., 
worunter vor Allem Nr. 90 für die böhmiſchen Verhältniſſe höchſt wichtig iſt). 

Auch mehrere andere Archive ſind noch vertreten, alle aber, auch die beiden 
zuerſt genannten, zuſammen übertrifft an Reichthum des Gebotenen das Kreisarchiv 
in Bamberg. Das zeigen am beſten folgende Zahlen: Von allen 548 Stücken des Bandes 
eutſtammen demſelben gerade 300, alſo über die Hälfte. Dieſes Archiv vereinigt jetzt 
alles, was früher in Oberfranken zerſtreut war, darunter auch das Plaſſenburger 
Archiv der früheren Markgrafen von Ansbah aus dem Haufe Hohenzollern. Nun iſt 
ja befannt, welche wichtige Rolle die Brandenburger und in erfter Linie Markgraf 
Albrecht jpielte in den Fahren 1459—63, ald man im Reiche mit dem Verlangen 
nad Reformen gegen den unthätigen Kaifer auftrat und K. Georg diefe Stimmung 
benüßen wollte, um fich zum dentichen Könige wählen zu laffen. Diejer Plan fchei: 
terte an dem MWiderftande der brandenburgiichen Fürften. Diefes und die Feindichaft 
gegen den bairiſchen Herzog Ludwig, den Bundesgenoffen des Böhmenkönigs, verband 
den Markgrafen Albrecht immer enger mit dem Kaiſer, in deifen Politik er vielfach 
vathend und drängend eingeiff. Albreht war unter den damaligen NReichsfürften 
mftreitig der bedeutendfte; bei feiner großartigen politiſchen Gejchäftigfeit iſt es alſo 
jelbftverftändlich, daß ſeine Correipondenz eine ganz bejondere Bedentung beanſprucht. 
Und gerade für die Jahre, um die e3 fich bier handelt, ift fie am beften erhalten. 
Tiefe und viele fonftige Acten, Briefe u. dgl., die fi außerdem in dem Bamberger 
Archive befinden, bedingen die Hohe Wichtigkeit desſelben für die Geſchichte jener Zeit. 
Daß Vieles von dem bier vorhandenen Material auch für die böhmiſche Geichichte 
in Betracht kommt, ergibt fih aus den Beziehungen K. Georg zum Neihe und 
jpeciell aus feiner directen Betheiligung an dem Kampfe gegen den Markgrafen 
Albrecht. Auf Einzelheiten hier hinzumeifen, würde viel zu weit führen. 

Faft durchweg find es alio die auswärtigen Beziehungen Böhmeng, deren 
Kenntniß durch vorliegende Sammlung gefördert wird. Erſt für die fpäteren Jahre 
feit 1464 enthält diefelbe aud) mehrere Stüde, die ſich auf die inneren Verhältniffe 
beziehen. Ginerjeit3 find dies Briefe, die über K. Georgs Verhältniß zum Bapfte 
und zu der Katholifenpartei der böhmischen Länder handeln (Nr. 480, 483, 489, 491, 
499, 504). Unter anderen erhalten wir auch einen Brief der Pilfener an Herzog 
Wilhelm von Sachſen vom 11, Juli 1466 mit Klagen über K. Georg (Nr. 503); 
der Herzog endete denfelben dem Könige zu, der fi) dann dafür beim Herzoge be— 
dankt und gegen die erhobenen Vorwürfe vertheidigt (12. October, Nr. 505). Ueber 
die Vorgänge nach) dem Ausbruche des Krieges gegen K. Georg handeln mehrere 
Berichte, darunter drei, die dem damaligen Bürgermeifter von Eger, Kaspar Junker 
von Geeberg, zugeididt wurden (Nr. 513, 517, 532). 

Die Behandlung der Terte ift die gleiche, wie in der früheren Sammlung. 
Huf das beigegebene Regifter ift, ſoviel fi durch einige Proben feftftellen ließ, hin— 
länglicdye Sorgfalt verwendet. Bei einigen wenigen Nummern bat Nef. die Angabe 
des Archivs vermißt; indes läßt ſich da meift der Urſprung ziemlich ſicher erratheı, 
abgejehen etwa von Nr. 317, 

Wie befannt, bat Prof. Bachmann das befprodhene Quellen-Material zum 
größten Theil bereit3 vermwerthet in dem 1. Bande feiner Neichsgeichichte, der die 
‘Jahre 1460—68 behandelt. Es kann nur der Wunſch ausgeſprochen werden, der Herr 
Verfajler möge bald in der Lage jein, den 2. Band uns vorlegen zu fönnen und dazu 
ebenfoviel neue Urkunden, Acten u. dgl. wie für die behandelte Periode,  W. H. 


Dr. Franz von Rrones: Geſchichte der Karl Franzens-Iniverfität in Graz. 
1886. ©. XVI. und 684. 


Das Bud) ıft eine werthvolle Feltgab: zu der ine Vorjahre begangenen Feier 
des dreihundertjährigen Beftandes der Hochſchule. Es zerfällt in zwei Theile, von denen 
der erſte (bis ©. 212) die „Sahrbücher der Geichichte der Grazer Univerfität von ihrer 
Gründung bis zur Gegenwart, 1585/6— 1885, mit Einfchluß der Vorgeſchichte 1570— 1585“ 
nrittheilt, der zweite die „Grundzüge der Entwidlung und des Beltandes der Univer— 
fität“ umfaßt. Der Verf., Profeffor au der Hochſchule in Graz, hat in die „Jahr— 
bücher” „als fortlaufende Chronik der Umiverfität gewiffermaßen das Dateugerüft für 
den Aufbau der pragmatiichen Geichichte derſelben“ unteraebradjt, jo dah die „Jahr— 
bücher“ und die „Grundzüge“ fich einander ergänzen, ohne ſich inhaltlich zu decken. 
In jenen werden die die Univerfität betreffenden Ereigniffe Jahr für Jahr verzeichnet ; 
fie beginnen mit dem Briefe des Erzherzogs Karl vom 27. Januar 1570 an den 
Rector des Wiener Jefuiten-Collegiums, erwähnen jodann die Stiftungsurkunde des— 
jelben Landesfürften vom 1. Ian. 1585 für dag „Publicum studium, Gymnasium 
und die Universitas“, weiter die Eröffnung der Schulen des Eollegiums den 11. No— 
vember und endigen mit der Eintragung: „als Tag der dreihundertjährigen Gründungs— 
feier der Grazer Univerfität wird der 25, Nov. 1886 feſtgeſetzt.“ — In den „Grund: 
zügen“ behandelt der Herr Profeffor im 1. Bud) die VBorgefchichte der Hochſchule und 
die Gründung derielben und zwar bejpricht er zuerft das Schulwefen Steiermarf3 im 
Mittelalter und während der Reformation bis 1564, ſodann die Negierung Erzherzog 
Karls und die Thätigkeit der Jeſuiten bis 1584, Ichließlih die Gründung der Unis 
perfität. Im 2. Buche werden die äußeren Berhältniffe der Hochſchule im Verbande 
mit dem Feluitencollegum zur Spradye gebradıt, e3 wird der Stiftungsbrief vom 
1. Jan. 1602, die Baugeihichte des Collegiums und der Univerfität, die Glaubens 
miſſion der Jeſniten und die Sopdalitäten an der Hochſchule, endlich das Stiftungs- 
und Stipendienwefen erörtert. Im 3. Buche werden die Studentenjchaft, die akade— 
milche Gerichtsbarkeit der Hochichule und ihr Theaterweien, im 4. die Verfaffung und 
Lehre der Jeſuiten-Hochſchule, die Lehrkräfte derjelben und deren literarische Thätig- 
feit dargelegt. Das 5. und 6. Bud handeln von der ftaatlichen Reformation bis zur 
Aufhebung des Kefnitenordend und von da bis zur Umwandlung in ein Iyceum. 
Das 7. befpricht die Grazer Hochſchule als Lyceum, das 8, von ihrer Wiederher- 
ftellung als Univerfität von 1827—50, und das 9, von ihrer VBervollftändigung 
jeit 1863 und ihrer Entwidlung bis zur Gegenwart. — Fünf Anhänge bringen die 
Würdenträger, Profefforen und fonftige Lehrkräfte der Hochſchule, die Stiftungs- und 
sreiheitsbriefe des Collegiums und der Univerfität, die Actenftüfe und Urkunden 
gemiichter Art und die Verzeichniffe der benüsten Hand- und Druchkſchriften. 

Der geehrte Herr Berf., als Geſchichtsforſcher und Hiftoriograph in den weiteften 
Streifen befannt, hat mit dem vorliegenden Buche der Lehranftalt, an der er ſeit 1862 
thätig ift, ein ihr würdiges Denkmal gefett; das Werk ift nicht blos für Alle, die 
der Univerfität al3 Lehrer und Studirende angehörten und noch angehören, jondern 
für Zeden, der ſich für die Gefchichte intereffirt, von hohem Werthe. n. 


Dr. Ernſt Miſchler: Der öffentliche Haushalt in Böhmen, Beitrag zur 
Kenntniß und Benrtheilung des Finanzwejens der Selbjtverwaltung in 
Dejterreih. Leipzig md Wien Töplitz und Deutide 1887. 
©. XI 206. 


Wichtige ftaatlihe Intereffen find es — wir nennen beifpielsweile das Volks— 
ſchulweſen — deren Verwaltung in jüngjter Zeit auch in Oeſterreich von Seite des 
Staates beftimmten ihm untergeordneten Gemeindewejen ganz oder theilweile über- 
tragen wurde. Man bezeichnet diefe Berwaltung im Gegenſatze zu der durch ben 
Staat unmittelbar geübten mit dem Namen der Selbftverwaltung, in Defterreich aber 
regelmäßig mit dem allerdings nicht ganz ſachgemäßen Namen der Autonomie und 
nennt die Gemeinweſen, die Länder, Bezirke und Gemeinden, denen dieſe Selbitver- 
waltung übertragen ift, Selbjtverwaltungs- oder autonome Körperjchaften. Dieſe 
Sclbftverwaltung und die ihr dienenden Körperſchaften bieten nun ſowohl was ihre 
Organifation, als was ihre Thätigkeit und die Reſultate derfelben betrifft, der wiſſen— 
Ihaftlihen Betrachtung die mannigfachiten Seiten dar und bei der Wichtigkeit der 
durch dieſe Körperjchaften verwalteten Intereſſen für das gefammte jociale und ftaat- 
liche Zeben vermag es nur die Kürze der Zeit, mit welcher fie erit in Defterreich 
beftehen, fjowie der damit zufammenhängende Mangel an allgemein zugänglichen 
Quellen zu entjchuldigen, daß, abgeſehen von Ulbrichs trefflicher Darftellung in deffen 
öfterreichiichem Staatsrecht unfere ſtaats- und verwaltungsrechtliche ſowie ſtatiſtiſche 
Literatur ihrer Aufgabe in diefer Beziehung noch jo wenig entiprochen hat. Wir 
müſſen daher jeden Beitrag zur Kenntuiß des Lebens unjerer Selbftverwaltungstörper 
mit Freude begrüßen und vor Allen, wenn er, wie der vorliegende, eine der wid): 
tigften Seiten dieſes Lebens, die finanzwirtbichaftliche, zum Gegenftande hat. Mit 
Recht hebt der Verf., der bereits durch zahlreiche Eleinere in der „Statiftiichen Mo— 
natsichrift” veröffentlichte Arbeiten jeine willenjchaftlihe Befähigung auf diefem Ge— 
biete erwielen hat, hervor, daß bei dem gegenwärtigen jo überans dürftigen Stande 
der Quellen von einer erjchöpfenden und gründlichen Darftellung der Finanzwirth— 
Iichaft der Selbjtverwaltung in Defterreich feine Nede jein könne und daß er ſich daher 
auf die Daritellung der autonomen Finanzwirthſchaft des wichtigften öfterreichiichen 
Landes, deſſen gemeinwirthſchaftlichen Verhältniffe überdieg auch noh im Großen 
und Ganzen als für die übrigen öfterreihiicdhen Länder typiich aufgefaßt werden 
fünnen und zwar umſomehr beichränten musste, al3 ihm nur für dieſes Land die 
nöthigen Quellen, insbefondere auch durch die Güte des Oberftlandmarichalls, Fürften 
Lobfowicz die Landtagsacten zu Gebote jtanden. Der Berfafjer hat nun auf Grund 
diefer Quellen die Finanzwirtbichaft der Selbjtverwaltungsförper in Böhmen in einer 
Weiſe dargeftellt, die zwar nicht allen Anforderungen, die an eine ſolche Arbeit zu 
jtellen find, im vollen Umfange entipricht, aber jedenfall als ein ſehr wertvoller 
Beitrag zur Kenntniß und Beurtheilung des Finanzweſens der Selbitverwaltung in 
Böhmen bezeichnet werden muß. Dies näher zu begründen, ift hier weder Ort noch 
Kaum; wir müſſen uns vielmehr begnügen, nur den reichhaltigen Inhalt des Buches 
zu ſkizziren. Nach einer die Selbjtverwaltung in Defterreih im Allgemeinen charak— 
terifivenden Einleitung behandelt der Verfaſſer zunäcft den Haushalt (die Eigen: 
verwaltung) des Landes (S. 7—48) und die mit dem Zandeshaushalte vereinigte 
Selbftverwaltung (S. 49—67), bei weldher er wieder die temporären Daushaltungen 


ua — 


Grundentlaſtung, Proprinationsablöſung), die Haushaltungen ftaatlih-autonom ge— 
miſchter Natur (Normalſchulfond, Lehrerpenſionsfond) und die mit dem Lande ver— 
bundenen Stiftungen untericheidet. Dem Lande folgen die Bezirke (S. 68—86) und 
in einem Anhange zu denſelben bejpricht der Verf. die der Aufſicht des Bezirkes 
unterliegende, aus den ehemaligen Getreidefonden entjtandenen und durch das Gefet 
vom 22, März 1882 organifirten landwirtbichaftlihhen Bezirksvorſchußcaſſen. Den 
Slanzpunft des Buches bildet unftreitig die num folgende Darftellung der Finanz: 
wirtbichaft der Echulbezirke (S. 87—112), für welche, wie der Verf. hervorhebt, ihm 
meift vertreffliche Quellen, jo namentlich die noch viel zu wenig gewürbigten feit 
1874 jährlih dem Landtage vorgelegten Berichte des Landesausſchuſſes über den 
Zuftand des Volksſchulweſens zu Gebote ftanden. An die Schulbezirke reiht fih nun 
die Darftellung der Finanzwirthſchaft der umterften Stufe der Selbjtverwaltung, der 
Gemeinden (S. 113—179) und den Schluß des Buches bilden Betrachtungen über den 
Unterfchied der Staatöverwaltung und Selbftverwaltung, über das Verhältniß beider zu 
einander und Vorſchläge zur Reform der Selbftverwaltung. In Bezug auf das letztere 
jet hervorgehoben, daß fich der Verf. im ganzen Verlaufe feiner Darftellung nicht damit 
begnügt hat, nur die thatfächlichen Verhältniffe zu Schildern, fondern daß er an die— 
jelben — ob zum Vortheile des Ganzen, ſei dabingeftellt — doch den kritiſchen Maß: 
ſtab gelegt hat und jo zu Neformvorichlägen gelangte; welche eingehender Discuffion 
ein weites Feld darbieten. Schließlich ſei noch bemerkt, daß zahlreiche in den Text 
de3 Buches aufgenommene ftatiftiihe Tafeln eine ſehr lehrreiche Ueberfiht über die 
fortichreitende Entwidlung der Finanzwirthichaft der einzelnen Selbftverwaltungs- 
fürper gewähren. Dr. F. 


Johann Peter: Charakter: und Sittenbilder aus dem deutjchen Bohmer⸗ 
walde. Graz 1886. 


Das Buch vereinigt eine größere Zahl von Skizzen, die vorher in Roſeggers 
Zeitſchrift „Heimgarten“ evichienen waren. Der erite Theil umfaßt Charakterbilder 
der Bevölferung des füdlichen Böhmerwaldes, wie fie ſich nach Alter, Geſchlecht und 
Beichäftigung gliedert. „Der Waldbauer”, „Bua und Diandle“, „Näl und Nal“, 
(Großvater und Großmutter), „Der Richter”, „Der Wildſchütz“. „Der Vogelfteller“, 
„Der Paſcher“, „Der Holzhauer“, „Der Gmoahiat“ (Gemeindehirt) — dieje Capitel- 
überichriften bezeichnen aud) den Inhalt. — Im zweiten Theil, „Sittenbilder”“ be— 
titelt, it die Eintheilung von der nach den Jahreszeiten wechſelnden Beihäftigung 
und von den verschiedenen Fefteszeiten hergenommen. Der Berfaffer ift im Böhmer: 
walde aufgewachjen und fennt das Leben und die Sprache jeiner Heimat gewiß gut. 
Manche Abjchnitte Haben auch ficher den Zwed, in einer Zeitichrift für ein Stündchen 
flüchtiger Unterhaltung zu ſorgen, pafjend erfüllt. In einem Buche vereinigt wollen 
jie uns aber doch — aud) die beiten — recht unbedeutend ericheinen. Gar manche 
der Bilder haben gar zu wenig oder gar nichts „Charakteriftiiches” an ſich; fie könnten 
mit kleinen Aenderungen anf jede andere deutjche Landichaft übertragen werden. Der 
Verf. verlangt im Vorwort: Um das Volk zu würdigen, müffe man die „naturwahre 
und weltreine (!) Volksſeele vollinhaltlich begreifen”; das ıft ihm aber nicht gelungen, 
denn jeine Schilderungen halten fi bloß an das Neußerliche, ind Herz dringen fie 
ie cin, — Auch hätte das Buch als ſolches einer ftrengen Redaction bedurft. Die 


— — 


in einfacher Sprache, manchmal faſt trocken gehaltenen Beſchreibungen des Lebens 
und Treibens in den Walddörfern find eingeleitet oder unterbrochen von jchwung- 
vollen Naturjchilderungen, welche aber über einen ziemlich engen Kreis von Bildern 
verfügen, die ich jo mehrmals, oft mit den gleichen Worten wiederholen; das wirkt 
bei fortlanfender Lecture ftörend. Und gerade in diefen Schilderungen zeigt ſich nicht 
jelten ein Mangel in der Beherrihung der Sprade (©. 115: „Der Wald ſammt 
feiner Behauſung wadht auf” — ©. 165: „unaufhörliche Conſequenz“ — ©. 160: 
„grünbefränterte Thäler“ — ©. 161: „gefrorene Schneekryſtalle“ u. |. w.). Gewiſſe 
Wendungen erweilen fih als Nachwirkungen des Dialects. — Doch genug der Einzel: 
heiten, dem aufmerfiamen Lefer werden vdiefelben leicht auffallen, — Der hier zuge: 
meſſene Raum ift eigentlich ſchon überjchritten. W. Hieke. 


Alois Ichn: Aus dem geiltigen Peben des Cgerlandes. Ein Ueberblic 
über die nenejte Literatur desſelben. Separatabdrudf aus der 
Egerländer Zeitung. Eger 1887. Selbitverlag. 


Eine mit vieler Liebe zur Sache und mit forgfältiger Benüsung alles bekannt 
gewordenen Materiales gejchriebene Ueberficht über das, was auf dem Gebiete der 
Wiſſenſchaft und Kunft in den lebten Jahren mit Bezug auf das Egerland veröffentlicht 
worden iſt. Diejelbe Hingt in den Wunſch aus, die zerftreuten und iſolirten wiſſen— 
Ichaftlichen Kräfte des „gelehrten Egerlandes“ in der engeren Heimat und Fremde 
mögen fih zu einem gemeinfamen Verbande vereinen, damit fid) mit der Zeit der 
Plan einer wiffenihaftliden Zeitfchrift des Egerlandes verwirkliche. Wir bezweifeln 
freilich, daß dieler von echt egerländiſchem Localpatriotismus getragene Wunſch jemals 
in Erfüllung gehen, und daß ein folcher auch in weiteren Kreiſen werde getheilt werden. 
Vorläufig wird fi der Verfaffer aber jedenfall ein bleibendes Verdienft erwerben 
wenn er von Zeit zu Zeit in der Gejtalt des vorliegenden Aufſatzes zulammenfaßt, 
in welcher Weile fih Wilfenihaft und Kunft mit dent Egerlande beichäftigen. Lhe. 


Robert Laͤhmer: Induſtrielle Briefe aus Nordböhmen. Warnsdorf, 
Strade. 


Der Berfajler hat in diefem Bande die feit dem Jahre 1882 nad und nad) 
veröffentlichten „Briefe” gefammelt; er konnte mit Necht von dem regen Intereſſe 
ſprechen, welche dieſen Briefen bei ihrem Ericheinen zugewendet wurde. Wer fi ın 
leicht faßlicher, fast durchans verläßlicher Weife über die ftaunenswerthe Erwerbs— 
thätigkeit unſeres deutichen Volkes in den Induſtriebezirken Böhmens unterrichten 
will, findet hier alles Wiffenswerthe kurz und treffend zulammengeftellt. Der Verf. 
ftellt aber nicht bloß zuſammen; ein Eurer nationalöfonomifcher Blick ift ihm eigen, 
der die Gefahr nicht überfieht, die mauchem Indnſtriezweig droht. In der Vorrede 
fchüttet der Vrf; in diefer Beziehung fein Herz aus. Es find im ganzen 14 Abhand: 
lungen, die intereflantes culturgefhichtliches, biographifches, handelspolitiiches und 
anderes Diaterial gut verarbeitet in abgejchlofjenen Bildern bringen. Wie lehrreich 


diefe Abhandlungen für den Geographen ꝛc. find, geht ſchon daraus hervor, daß in 
ben wmeiften allgemeinen und jpeciellen Geographien, Heimatskunden ꝛc. meift fo 
dürftiges Material gebradht wird, daß eine tiefere Einficht in die induftriellen Ver— 
hältniſſe Böhmens nicht gewonnen werden kann. Aus bloßen Tabellen 2c. ftellt ſich 
nie ein lebbaftes Bild ber. Dabei liejt fi das Buch auch für denjenigen gut, der 
den induftriellen Verhältniffen nicht das rege Intereſſe entgegen bringt, das diejelben 
verdienen. Möge der Verf. feine Arbeitökraft nicht ruhen laſſen und feine Schrift 
planmäßig erweitern. Es gibt noch genug Material hierzu. Die Ausftattung ift 
durchaus lobenswerth. —r. 


Dr. Eduard Maria Schranfa: Ein Bud vom Bier. Ceruriſiologiſche 
Studien mit Skizzen. Theil 1 und 2. Frankfurt a. d. O. B. Wald: 
manns VBerlag 1886. 


In 29 Gapiteln bringt der Verfaſſer in diefen Studien, fo kann man fie mit 
vollem Recht nennen, ein reiches vortrefflih und planvoll verarbeitete Material über 
den berühmten Gerftenfaft. Er hat wohl alle Kategorien, erjhöpft unter welchem fein 
Stoff zu betrachten ift, infofern fie nicht bloß technischer Natur find. Er jagt in der 
Vorrede: „und doch läßt gerade das Bier, das Fosmopolitischefte der Getränke, noch 
eine literarifhe Behandlung zu, da nicht nur für den Biermacher, fondern auch für 
den Biertrinfer, für den Producenten wie für den Confumenten, für jeden Gebildeten 
von Intereſſe jein dürfte,” Es iſt im diefen Blättern nicht möglich, auf den Inhalt im 
Einzelnen einzugehen, jo ſehr auch unſer engeres Vaterland ein Anrecht hat, gerade 
bei diejer Arbeit hervorgehoben zu werden. Gapitel 1 handelt vom Bier als Wort 
und feine Etymologie. Capitel 2, 3, 4 behandeln ähnliches. Capitel 16 und 17 „die 
Mythologie des Bieres und das Bier im Aberglauben“ würden es wohl verdienen 
im Auszug mitgetheilt zu werden, Mit diefen Gapiteln endet der erfte Theil, der 
zweite Theil beginnt E. 18 mit dem Bier in der Sage und C. 19 im Märchen. Referent 
hat bier nur einige Eapitel genannt, um darauf aufmerffam zu machen, unter welchen 
Geſichtspunkten und wie reihhaltig die Behandlung diefer Studien if. Das Bud) 
kann nicht geichildert, es muß gelefen werden. Schon die eigenthümliche Arbeitsart 
des Verf. läßt eine Furze Andentung diefer oder jener Bartie des Buches nicht zu. 
Es dürfte kaum möglid) jein, den Stoff intenfiver zu behandeln als wie es hier vom 
Verf. geicheben it. Es tft eine gelehrte, tief eindringende Arbeit mander Jahre, die 
hier in gut abgerundeten Gapiteln mit einer die betreffende Kategorie erichöpfenden 
Srimdlichkeit geboten wird. Poeſie und Proſa haben ihren gleichen Theil an der 
Aıbeit. Es dürfte dem Verf. faum irgend ein poeiiiches Lob des „Bieres“ entgangen 
fein oder ſouſt eine Dichterftelle, die auf den Geritenfaft Bezug bat, die er nicht fenut 
uud palfend citirt. Mit vollem Recht Eonıte der Berf. jagen, daß es bieher an einem 
ipeciellen „Bud; vom Biere“ feuilletoniſtiſch-wiſſenſchaftlichen Genres mit culturbifto- 
riſchem Gepräge gefehlt habe. Graeſſes „Bierftudien“ Haben viel Verdienftliches, aber 
ein Bud) für die biertrinfende Welt it doch ficher nur Schranfas Bud; par excellence, 
Hier findet in leichter gewandter auf wiſſenſchaftlicher Bafis ftehende Darftellung der 
Leſer alles, was ihm zu wiſſen wünſchenswerth iſt und er wird ficher nicht einmal ſondern 
öfter zu manchem Gapitel gene zurückkehren. Der Verf. zeigt fi) aber nicht etwa als 
ein bloßer Compilator, der eine Reihe von gelehrten und nicht gelehrten Büchern 


Be A 


ercerpirt, ben Stoff anorbnet und verbrämt. Es ift Geift und Sinn in allem; der Vrf. 
weiß bie entlegenften Punkte jcharffinnig zufammenzubalten und feine Refultate Daraus 
zu ziehen. Es wäre zu wünjchen, daß der Verf. feine andern culturhiftortichen Studien 
über verjchiedene Themata, die er anderswo furz behandelt hat, in ähnlicher Weife 
ausweitet. Was die Benüsung ber Quellen und der vorhandenen Kiteratur betrifft, 
jo dürfte dem Verf. faum etwas auf jein Thema näher Bezughabendes entgangen 
fein. Seine Belefenheit ift eine erftaunliche und vieljeitige, nicht bloß älterer Quellen 
und Arbeiten, auch der neueren und neueſten. Die Aphorismen zu einem Bierrechte 
ließen fi wohl leicht vermehren und zu einem umfaffenden und intereffanten Capitel 
ansgeftalten. Beionderd die Chroniken deutſcher Städte in Böhmen bieten da reid- 
haltige8 Material, was noch lange nicht ausgenügr ift. Der Vrf. hat übrigens durch 

den Zitel „Aphorismen“ angedeutet, daß er nur das ganze Bebiet des Bierrechtes in 
feinen einzelnen Theilen abſtecken wollte. Wir wünſchen dem Berf. zu feinem von den 
verjchiedenften hierzu berufenen Rritifern rühmlichſt anerkannten Werke Glück und 
würden uns herzlich freuen, ihn auf diefen Pfade mit eben jo viel Erfolg und Wiſſen 
weiterfchreiten zu jehen. Die Ausftattung des Buches ift glänzend, —T. 


Kaleidoffop: Feuilletoniftiiche Studien, Skizzen und Canterien von Dr. Ed. 
Maria Schranfa. 


In diefem Kaleidoftop bringt Schranka 30 Fenilletond- Skizzen und Cauferien 
die durchaus von feiner Belefenheit und Gewandtheit zeigen, abgeriffene Gedanken um 
einen Einheitspunkt geſchickt zu gruppiven, Anecboten und culturgeichichtliche Notizen 
treffend zu verwerthen. Schranfa hat feine Eigenthümlichkeit Culturgefchichte in bril- 
lanten Effecten zu fchreiben, in mehreren großen Schriften gezeigt; man fieht diefen 
Heinern Arbeiten nichts Gequältes an, fie find leicht hingeworfen und gut gefchrieben. 
Er zeigt einen jcharfen Blid für die Schwächen mander Schriftfteller, ohne gerade 
boshaft zu werden, Anderſeits findet fi mancher fräftige würzige Humor in dieſen 
bingeworfenen Blättern. Der Stoff, um welchen der Verfaffer feine heiteren Gedauken— 
füden jpinnt, ift mannigfaltig genug, da gibt es „etymologifche Curioſitäten“, da ſpricht 
er vom „Schweigen“, vom „Zintenkler”, vom „Bleiftift“. Ueberall reiche Dichterbelege, 
feinfinnig ausgewählt. Das fpringende Wefen diefer Art von Darftellungen jheint dem 
lebhaften Temperament de3 nad allen Seiten auslugenden Verf. am meiften zuzu— 
lagen. Ein heiteres Stünblein ift ficher der Effect diefer harmlofen, nichts deſto we— 
niger aber nady vielen Seiten anregenden Lectüre, Bon dem Verfaſſer gelten die von 
ihm citirten Verſe Tandler's. Und wie ich fo auf meinen Pfad die müßigen Blide 
richte, ‚ftudire ich im Vorübergehen: ein Stüd Culturgefhichte, Druck und Ausftattung 
bes Schriftrechens ift vortrefflich. - x. 


Jahrbuch der k. k. heraldiſchen Geſellſchaft „Adler“ in Wien, XVI. Jahr— 
gang der Zeitſchrift, XIII. des Jahrbuches. Wien 1886. 

(Die beiden Böhmen angehenden Aufſätze, nämlich: „Zur älteſten Geſchichte 

der Schlid” von Heinrich Gradl, — und „Blätter aus der altböhmiſchen Genealogie“ 


von %. Teige find auch feparat erfchienen.) 
5 


— — 


In der Rubrik „Bohemica aus periodiſchen Zeitſchriften“ wurden in der lite— 
rariſchen Beilage unſerer Mittheilungen bereits ſeit mehreren Jahren jene Aufſätze 
aus den Publicationen dieſer Geſellſchaft verzeichnet, welche ſich mit böhmiſchen Ge— 
ſchlechtern beſchäftigten. Wenn wir dem vorliegenden Jahrgange eine längere Be— 
ſprechung widmen, ſo liegt der Grund darin, weil derſelbe zu gleicher Zeit zwei ſolche 
uns näher angehende Arbeiten bringt. 

Der an der Spitze genannte Aufſatz des fleißigen Geſchichtſchreibers des Eger— 
landes, H. Gradl, eröffnet den Band. Wie den Leſern der Mittheilungen bekanut 
iſt, hat derſelbe bereits 1882 im 20. Jahrgange unſerer Zeitſchrift (S. 347—51) einen 
kurzen Beitrag „zur Herkunft der Schlicke“ geliefert. Ziemlich allgemein wurde bis 
dahin angenommen, daß die Familie aus Eger ſtamme. Gradl brachte damals für 
die Zeit zwiſchen 1260 und 1266 aus voigtländiſchen Urkunden einige Namen, welche 
ſchließen laſſen, daß die Vorfahren der Schlick zu jener Zeit zwiſchen Plauen und 
Oelsnitz anſäſſig waren; auf das hier gelegene Ober-Loſau wäre demnach auch jenes 
Laſan zu beziehen, welches ſpäter als Prädicat angenommen wurde. Zwiſchen dieſer 
Zeit und dem erſten Auftreten des Geſchlechtes im Egerlande liegen weit über hundert 
Jahre, für welche alle Nachrichten fehlen, ſo daß es noch nicht gelungen iſt, den 
Anſchluß der ſpätern Schlick an jene erſten bekannten Glieder zu finden. — Diesmal 
hat es ſich Gradl zur Aufgabe geſetzt, alle Nachrichten zuſammenzuſtellen, die ſich über 
die in Eger anſäſſigen Schlick finden ließen vom erſten Auftreten im Jahre 1390 bis 
zum Jahre 1449, wo Kaspar Schlick ſtarb. Wir erhalten ſo nicht weniger als 243 
kürzere oder längere Notizen, die meiſt aus den Büchern der Stadt Eger ſelbſt 
ſtammen. Die Verwandtſchaft aller darin genaunten Glieder läßt ſich freilich damit 
nicht ſicher feſtſtellen, doch ſo viel iſt klar, daß wir wenigſtens zwei Zweige der 
Familie zu unterſcheiden haben, deren Verwandtſchaftsgrad noch zweifelhaft bleibt. 
Zuerſt tritt Hand Schlick auf (1390), ſpäter ſeine Brüder Heinrich I und Niklas II; 
Heinrich hinterließ 5 Söhne, darunter als älteften Kaspar. — 1410 fiedelt fi in 
Eger ein anderer Niklas Schlick an; ob er Brüder hatte, bleibt unentjchieden, auch 
Nachkommen laſſen fi) nicht ſicher nachweiſen. — Wichtig ift nod die Schlußbe- 
merfuug, daß die Prädicate „von Laſan“ oder „von Weißenkirchen“ bis 1450 nicht 
vorfommen. j 

Der Auffa von Joſef Teige behandelt I. die Slavnikiden. IL die Vrsovcen; 
IM. die Herren von Lichtenburg; IV. die Anfänge de3 Hauſes Gernin von Chubdenic. 
Indem ich gebührend den Fleiß herporhebe, mit dem die in vielen Urkunden und 
in Chronifen zerftrenten Notizen zufammengeftellt find, muß ich darauf verzichten, 
bier darauf einzugehen, was an neuen Vermuthungen geboten wird, und dasjelbe auf 
feine Richtigkeit zu prüfen. Nur zwei’ furze Bemerkungen möchte ih an Nr. IH. 
(Die Herren von Lichtenburg) fnüpfen. Das Befte, was in der lebten Zeit über die 
älteften Glieder diejes Hauſes gefchrieben wurde, fteht doch unftreitig in dem Auflat 
von Dr. Schleſinger „Die deutihe Spradinfel von Iglau“ in den Mittheilungen, 
23. Jahrgang ©. 312 ff. — Teige jcheint denjelben ganz überjehen zu haben, da ich 
nirgends eine Grwähnung finde. Er hätte gefunden, daß Schlefinger dajelbjt in 
directem Gegenfage zu Palackh (dem Zeige folgt) in Heinrich von Zittau (dem Vater 
Smils von Lichtenburg) den Sohn des Tichaftolaus von Zittau fieht und denjelben 
ftreng fcheidet von dem Bruder, dem Burggrafen von Bauten. — Teige führt jelbft 
die Stelle aus Dalimil an, wo diejer von den Urahnen der Lichtenburger berichtet: 
„Er furt an dem fhild roönn.“ Nun bedeutet die „rone” den Baumrumpf; jolche 


u 


alfo, nicht Pfahlleitern führte das Gefchleht im Wappen. — Beigefügt ift dem Auf- 
jage Zeiges eine große Stammtafel de3 böhmischen Geichlechtes der „Vancura von 
Rehnic“, wobei nur bemerkt ift, daß fie nach der gräfl. Wunjhwit - Wratislamfchen 
Sammlung im böhmischen Mufenm zufammengeftellt wurde. Wer diefe Sammlung 
kennt, weiß, daß fie neben vielem Guten auch mandes Falſche enthält. Es wäre 
alfo wohl wünfchenswerth, der Verf. hätte die Angaben, fo weit al3 möglich, auf 
ihre Nichtigkeit geprüft und darüber kurz Bericht erftattet. Dann erſt hätte die 
Stammtafel eigentliben Werth erlangt. 

Bon bedeutendem allgemeinen Intereſſe ift noch die Arbeit aus dem Nachlaffe 
des 1885 verftorbenen Retberg: „Die Geſchichte der deutichen Wappenbilder“, deren 
Abdrud im vorliegenden Jahrbuche begonnen wird, wofür gewiß jeder ea 
dankbar iſt. W. H 


Jahrbuch der Geſellſchaft für Geſchichte des Proteſtantismus in Oeſter⸗ 
reich. Achter Jahrgang. 1. Heft (Januar bis März 1887). 


Wenn wir hier diesmal ausnahmsweiſe das erſte Heft eines Jahrgangs von 
einer periodiſchen Zeitſchrift anzeigen, ſo geſchieht dies nicht, um den Inhalt im 
einzelnen zu beſprechen; vielmehr möchten wir damit unſere Leſer auf ein Unter— 
nehmen aufmerkſam machen, welches auch über ben Kreis der Proteftanten ſelbſt 
hinaus Beachtung und Förderung verdient. Es wird noch vieler Einzelforfchungen 
bedürfen, bevor 3. B. die Geichichte des Lutherthums in Böhmen gefchrieben werden 
fan; darum muß jeder Beitrag dazu dankbar aufgenommen werden. — Bereits die 
früheren Jahrgänge brachten manches auf Böhmen bezüglihe; ich will nur erwähnen, 
daß ein Theil der „Studien zur nordböhmiſchen Reformationsgefchichte”, die Wolkan 
in den letten Jahren veröffentlicht hat, zuerft in diefem Jahrbuche erichienen: ift. 
Das vorliegende erite Heft des 8. Jahrganges wird eröffnet durch einen Aufſatz des— 
jelben Berfaffers: „Beiträge zu einer Geichichte der Neformation in Böhmen“. Es 
wird zunächſt das Decanat Auffig behandelt, doch ift auch diefer Theil noch nicht 
abgeichloffen. Eine Beſprechung der Arbeit müffen wir alfo verfchieben, bis weiteres 
erſchienen jein wird. W. H. 


Geſchichte des deutſchen Mäünnergefangs-Vereines in Prag vom Jahre 
1859 bis 1886. Anläflich der 2djähr. Bejtandesfeier, verfaßt von Ferd. 
Höhm. NRedigirt von Franz Mathe, Schriftführer. Prag. A. Haafe. 


Solche Abfchnitte, wie eine 25jährige Veftandesfeier, laden dazu ein, die Ge- 
ichichte eines Vereines ind Auge zu faffen, damit nicht, wie es leider nur zu häufig 
geichteht, die eriten Anfänge wichtiger und erfolgreicher Vereine in „ewige Nadıt 
getaucht find“, Die Jahre rauſchen dahin, die erften Mitglieder zerftreuen ſich oder 
jterben ab und der Reft ift — Schweigen oder Sage. Es ift daher auch hier wieder 
eine durch unſere ganzen Zeitverhältniffe bedingtes verdienftvolles Unternehmen, die 
erste Vereinsbildung unſeres hochangefehenen Männergefangdvereines zu betrachten. 
Es ift das die „Zauberflöte“ im Jahre 1859. Vierzehn Namen von Mitgliedern 

5* 


zei 


find überliefert. Der Director war C. G. Pfullmann. Diefer Verein Töfte fi auf 
und e3 trat in demfelben Jahr 1860 die „Harmonie“ an feine Stelle, den der Ge— 
fangverein „Flöte“ im Jahre 1861 ablöfte. Seit dem 8. Mai 1861 erfolgte Feine 
Auflöfung des Vereines mehr; dies ift alfo der Gründungstag des heut beftehenden 
blühenden Vereines. Unſere Gefchichte geht nun die einzelnen Vereinsjahre durch; 
manches für den Verein ruhmvolle Blatt ift darin verzeichnet. Seit dem J. 1866 
nahm der Verein den Titel, den er jett führt, an, Möge ber treffliche Verein blühen 
und gedeihen! Ch. 


Programmanffäge aus den Jahren 1885 und 1886. 


Die Rebdaction biefer Blätter forgte feit einer Reihe von Jahren dafür, daß 
die den Sahresberichten der deutſchen Mittelihulen Böhmeus beigegebenen hiſto— 
riihen Abhandlungen und die in den andren Kronländern eriheinenden Progranını- 
auffäge, fofern fie die Gejhhichte Böhmens berühren in der „Beilage zu den Mitthei- 
lungen” zur Anzeige gebracht werden; ſeitdem diefe Gepflogenheit in Uebung ift, hat 
der Unterzeichnete diefe Arbeiten beiproden. Referent hat fich dieſer Aufgabe gern 
unterzogen, weil, feiner Meinung nad), die Mitglieder unfered Vereines von ber 
wiſſenſchaftlichen Thätigkeit der in ihrer Mitte lebenden Mittelichullehrer in 
Kenntnis zu jeßen, weil bejjere Abhandlungen der Bergeffenheit zu entrüden find, 
und endlich) weil er der Anſchauung it, daß die wohlmeinenden Winfe, an denen es 
der Referent im Laufe der Jahre nicht fehlen ließ, die Hiftorifer an unferen Mittel- 
ichulen dazu beftimmen würden, fich in der Wahl der Themen immer mehr der Randes- 
und Localgeſchichte zuzuwenden, denn die ift und bleibt ja hauptſächlich das Gebiet, 
auf welchem der Gejchichtsforicher, der in einem Kleinen Orte lebt, in weldem ihm 
große Bibliothefen nicht zur Verfügung ftehen, höchft erfolgreidy wirken kann. Selbft- 
verftändlich denke ich nicht entfernt daran, daß univerſalhiſtoriſche oder aber Arbeiten, 
die einen Theil der Gefchichte anderer Kronländer oder eines fremden Staated be: 
rühren, unbedingt anszufchließen wären. Aber noch ein Umftand beftimmt mich dem 
Wunſche der Redaction nachzukommen; ich muß aber, um ihn klar zu legen, etwas 
weiter ausholen. Die Programmenliteratur Oeſterreichs erblidte befanutlih mit ber 
Organiſation unferer Oymnafien das Licht der Welt. Feder von uns, ber fich der Zeit 
erinnert, in welcher der Organifationsentwurf ins Leben trat, und an die unmittelbar 
daranf folgenden Fahre, feier damals Lehrer, oder aber Mitglied eined Seminars der 
philofophiichen Facultät geweſen, der wird aud) der Begeifterung denken, die unjeren 
Buſen für das Gymnaſialweſen jehwellte. Ein frifches, fröhliches Leben pulfirte in dem 
Lehrerftand, das in der Schule, in den Conferenzen, in der wiſſenſchaftlichen Thä- 
tigkeit der Lehrer zu Tage trat. Das glänzendfte Zeugniß dafür legt die „Zeitichrift 
für die öfterreihifchen Gymnafien“ ab, die während der fünfziger und eines Theils 
der jechziger Jahre unter der Leitung des trefflichen Profeſſors Dr. 9. Bonig auf 
ihrem Höhepunkt ftand. Dean blättere die erjten zehn bis fünfzehn Jahrgänge der 
Zeitfchrift duch und man wird über die Fülle von gediegenen Abhandlungen philo- 
logiſchen, germaniſtiſchen, hiſtoriſchen u. ſ. w. Inhalts ftaunen, die in derjelben auf: 
geſpeichert ſind. Sie ſtellte ſich aber auch zur Aufgabe, ſämmtliche Programmaufſätze 
zur Anzeige zu bringen, und ſie übte damit auf dieſen Zweig der Schulliteratur einen 


— — 


überaus günftigen Einfluß aus, indem fie gute Arbeiten lobend anerkannte und die 
Berf., die verfehlte Themen bearbeiteten, nicht blos tabelte, jondern audy belehrte. 
Wie in fo mander Beziehung wandelt nunmehr die Beitichrift auch in diefer Rich: 
tung andere Wege; denn während fie jedwedes von irgend einem Wiener Lehrer her: 
ausgegebene Schulbüchlein breit tritt, und während fie fih faft nur nod auf An: 
zeigen von Büchern meift philologischen Inhalts befchränkt, beipricht fie Programm: 
arbeiten blos ausnahmsweiſe. So manche den Yahresberichten öfterreihiiher Gym— 
nafien beigegebene Abhandlungen finden in Deutichland lobende Anerfennung, während 
fie innerhalb der Grenzen unſeres PVaterlanded tobt gefchwiegen werden. Um nun 
diefen fühlbaren Maugel, ſoweit ed in unjeren Kräften fteht, einigermaßen abzuhelfen, 
follen wenigſtens die oben näher bezeichneten Brogrammaufjäge in diefen Blättern 
berüdfichtigt werben. 

Ich habe diesmal die in den Jahren 1885 und 1886 erſchienenen Abhandlungen 
anzuzeigen, ihre Zahl, vornehmlich der zu Ende des legten Schuljahres publicirten, ift 
eine äußerft geringe, 


1. Dr. willibald Ladenbauer: Der hifter. Unterricht ald Grundlage einer 
religiöfen Weltanfhanung. Progr. des deutſch. Gymnaſ. in Budweis, 
1885; ©. 53. 


Wir haben und nicht darum zu kümmern, ob der vorliegende Aufſatz die Be— 
arbeitung des pädagogiſchen Themas ift, das dem Verf. bei Gelegenheit der Staats: 
prüfung geftellt wurde, es fcheint ung aber faum fraglich, daß der Einfiuß des Prof. 
Willmann und der von ihm vertretenen Richtung in Ladenbauers Arbeit zur Geltung 
fommt. Da in unferen Heften der Erörterung pädagogifcher Fragen fein Raum 
gegeben ift, jo beichränfen wir uns auf die Bemerkung, daß der Verf. mit Luft und 
Liebe an jeine Aufgabe ging und fie gründlich erörtert. Dem theoretifchen Theile 
der Arbeit folgt ein Abfchnitt, der die theiftische, fobann ein zweiter, der die chriftliche 
Geſchichtsauffaſſung darlegt. 


2. w. Rnoblodh: Die wichtigſten Kalender der Gegenwart. Eine Dar- 
jtellung des gefanmten Kalenderwejens. 9. Yahresbericht der deutjch. 
Realſchule in Karolinenthal, 1885; ©. 90. 


Der Berf. bietet feinen Lefern eine jehr danfenswerthe Schilderung des Ka— 
lenderweſens, die auch für den Hiftorifer nußbringend ift. 


3. Der Jahresbericht des Comm. Realgymnafiums in Teplis vom J. 
1885 bringt: 
a) ein um bie Mitte des 16. Jahrhundert verfaßtes, in lateinischer Sprade 
gefchriebened Thomae Mitis idyllion de thermis Teplicensibus nnb 


b) einen gejchichtlichen Ueberblicd über das erfie Jahrzehnt der Lehranftalt mit 
ftatiftiichen Nachweiſen. 


BI: 


4. Georg Mair: Das Land der Skythen bei Herodot und der Feldzug des 
Dareios in demfelben. Eine geograph. Unterfuhung; IL Thl. Brogr. 
des Gymnaſ. in Saaz 1885; ©. 68. 


Der I. Theil findet fi im vorhergehenden Jahresberichte, In beiden handelt 
es fi) um eine geographiiche Unterfuchung und um die Nahmweifung uud Klarlegung 
von Frrthümern, deren fich Herodot in jeinen Angaben über das Land und über 
den Feldzug des Großkönigs Ihuldig macht. Die Arbeit ift auf die Quellenfchriften 
gegründet, läßt aber auch die neueren Arbeiten nicht außer Acht und bezeugt eine 
tüchtige Sachkenntniß, eine bejonnene Kritif und ein ſcharfes Urtheil. 


5. Defid. Koebmann: Die Kaijerfrönung Karls IV. und ihre Bedeu— 
tung. Progr. des Comm.Gymn. in Komotau, 1885; ©. 37, 


Der Verf. nimmt einen weiten Anlauf; er beginnt mit dem Tode Heinrichs VIT., 
erwähnt ben Römerzug Ludwigs des Baiern, ben er bald in „Born“, bald in „Wuth“ 
gegen den Papſt gerathen läßt, und jpricht von der Berheiratung Margarethens 
von Tirol mit Ludwig von Brandenburg, bei welcher „der Kaifer, da ſich feiner von den 
anweſenden Biſchöfen zur Vornahme diefer Handlung herbeilafjfen will, die Trauung 
jelbft vollzog.“ Der Berf. läßt (in einer Anm.) alle Kurfürften von Ludwig ab- 
fallen, die an deſſen Stelle Karl zum Könige wählten. Belanntlih ganz unridtig. 
Die Eide, die Karl der Curie leiftete, werden erwähnt und bei diefer Gelegenheit 
abermal3 weit in die deutiche Kaiſergeſchichte zurüdgegriffen, um endli auf S. 14 
beim Römerzug Karl3 anzulangen, Wie in der Einleitung find wir auch im weiteren 
Verlauf der Arbeit auf neue Ergebuiffe nicht geftoßen; Alles, was er mittheilt, findet 
fi) bei anderen Forſchern, vornehmlich in der Geihichte Karls IV. von Werunsky, 
eingehender und Flarer dargelegt. 


6. Adolf Wurfcher: Beziehung des Königs Mathias von Ungarn zu 

- Georg von Podebrad und Wladiflaw von Böhmen; 14. Jahresbericht 
der k. k. Oberrealfchule im II. Bez. von Wien, 1855; ©. 29. 

Die Abhandlung, die jedem Hinweis auf Quellenfchriften und auf Hilfsmittel 

mit übertriebener Aengftlichfeit ausmeicht, erzählt, wie es das Thema mit fih bringt, 


hauptſächlich den Krieg zwijchen Ungarn und Böhmen. Was uns der Verf. bietet, ift 
möglicherweije blos der Auszug aus irgend einem größeren Dandbuche. 


7. Joſ. Münzberger: Aus dem Böhm.-Leipaer Stadtardiv; IL. Abſchn. 

“- Nachrichten zur Gejchichte Leipas vom Jahre 1660 bis zum Beginne 
des 18. Jahrhunderts. — 22. Yahresbericht der Comm.Oberrealſchule 
in Böhm.-Leipa, 1885; ©. 33. 

Ein kurzer Nekrolog, betreffend den am 27. Mai 1885 mit Tod abgegangenen 
verdienftvollen Director der Lehranftalt, Dr. Caj. Watel, Teitet das Jahresprogramm ein. 
Was,die beigegebene Arbeit betrifft, deren erſten Abſchnitt wir feinerzeit beiprochen, jo tft fie 
vielenanderen hiftorifchen Programmanfjägen jchun darum vorzuziehen, meil fie fich 
auf localem Boden bewegt, fih auf Haubfchriftliches, bislang unbekanntes Material 


Be 


ftüst und biefed ben Lefern zur näheren Kenntniß bringt. Für die Gefchichte der 
Stadt wäre aus dem oben angeführten Zeitraume hervorzuheben, daß das Teftament 
de3 Grafen Ernft von Kaunitz vom 24, Octob. 1672 feine Brüder übergeht und daß e3 
die Herrichaft Neuſchloß und die Stadt Leipa feinem Neffen Karl Grafen von Wald: 
ftein vermacht; ſodann find die Seudye von 1680, die Streitigkeiten der Gewerbe: 
treibenden mit der jüdiſchen Bewohnerſchaft u. j. w. zu erwähnen, Die Abhandlung 
verdient die volljte Anerkennung. 


8. P. Amand Paudler: Graf Joſef Kinsky, Herr auf Bürgftein und 
Schwoyfa; Jahresbericht des Gymnaſiums in B.-Leipa, 1885; S. 47. 


Nicht blog Männer bürgerlicher Herkunft, jondern auch Mdelige haben jih um 
die Fnduftrie in den deutſchen Gebieten Böhmens große Berdienfte erworben; einer 
der hervorragendften und verdienteften, wenn er nicht etwa gar den eriten Plaß bean: 
Ipruchen kann, war Graf Joſef Kinsky, der unvergeßliche Befiser der Herrichaft 
Bürgftein. Den 15. Nov. 1705 geboren, verlor er in jeinem 13. Jahre feinen Vater ; 
er genoß eine forgfältige Erziehung, machte Reifen und erwarb ſich eine geläuterte 
Weltanfhauung. Im jugendlichen Alter ftehend, trat er in den Fohanniterorden, er 
wurde Oberamtratb, dann Commercienrath, fpäter Commerzien:Vicepräfident in Schle— 
fien, hierauf Aſſeſſor bein fönigl. Landesgubernium und Präfident des Commerzial-Conſeß 
und des Wechielgerichtes zweiter Inftanz in Böhmen und ſegnete deu 17. April 1780 
das Zeitliche, Er verſchied in feinem Haufe in der Hibernergafie in Prag Graf 
Kinsky war ein gereifter Mann, der ſich in öffentlichen Aemtern durch mancherlei 
Erfahrungen vorbereitet hatte, als er den Entſchluß faßte, auf feiner Herrichaft Bürg— 
jtein eine induftrielle Mufterwirtbichaft für ganz Böhmen einzurichten. Die Aulegung 
zahlreicher Dörfer, die Gründung einer neuen Stadt Haida) und die Erridtung 
zahlreicher Yabrifen wurde in wenigen Jahren vollftändig durchgeführt. Es fehlt uns 
au Raum, die zahlreichen indujtriellen Schöpfungen des Grafen auch nur einfach) 
aufzuzählen, wir begnügen uns auf die verdienftvolle Monographie Paudlers zu ver: 
weijen, der zu derjelben gedrudtes und nugedrudtes Material verwerthete, Referent 
begegnete dem geehrten Verf. ſchon wiederholt auf feinen Streifzügen in der Programm 
literatur, und immer wieder war er in der angenehmen Lage, dem Prof. Paudler 
bezüglich der Wahl und der Bearbeitung feiner Abhandlungen die Anerkennung zum 
Ausdrud bringen zu fünnen; auch der vorliegende Auffag gibt vollen Anlaß dazu. 


9. G. Mair: Der Feldzug des Dareios gegen die Shythen; Progranım 
des Gymnaſiums in Saaz, 1886; S. 30. 


In den zwei vorhergehenden Programmauflägen hat ſich der Verf. mit feinen 
Unterfuhungen über das Land der Skythen den Boden zubereitet, um nun ben Feld— 
zug des Dareios zu ſchildern. Er weicht von der Darftellung Herodot3 vielfach ab, 
corrigirt fie und legt bar, welchen Kiriegsplan der Großkönig hatte und durch welde 
Gegenmaßregeln die Ausführung durch feine Gegner vereitelt wurde. In einem An- 
bang Sprit Mair über die Herkunft und die Nationalität der Sfolot, eine Frage, 
die er, wie er uns hoffen läßt, au einem anderen Orte eingehender behandeln wird. 
Die fleißige Arbeit verdient, daß fi) die Aufmerkſamkeit der Fachgenoſſen ihr zumende, 


10. Dr. Hugo Oſtermann: Die Borlänfer der Diocletianiſchen Reichs— 
theilung; Jahresbericht des Gymnafiums in B.-Leipa, 1886; ©. 19. 


Der Zweck des Aufſatzes ift, wie fein Verf. mittheilt, die Theilungen der faifer: 
lihen Gewalt im römifchen Reiche unter zwei oder mehrere Träger und die damit 
zufammenhängenden Theilungen des Reiches in chronologiſcher Reihenfolge darzuftellen, 
um ſowohl die Verfchiedenheit der Motive und der Durhführung der einzelnen Thei- 
lungen fennen zu lernen, ald auch darzuthun, inwiefern dad Beifpiel der vorangegan= 
genen Theilungen auf die Diocletianifche Keichötheilung eingewirft hat. — Die Dar- 
ftellung beginnt mit der Theilung zwiſchen Octavian und Antonius, worauf eine 
nad) der anderen abgethan wird. Ich bin nicht einer Auffaffung begegnet, die nicht 
jelbftverftändlich oder auf die ich nicht fchon anderwärts geftoßen wäre, 


11. Defid. Loebmann: König Wenzels Thätigfeit als deutſcher König; 
Programm des Comm.-Öymnafiums in Komotau, 1886; ©. 28. 


Die Abhandlung Ichließt fih an die oben angezeigte Arbeit von bemjelben 
Berf. on. Die Folgen der Kaiferfrönung Karls IV., die ja auch wir nicht gering an- 
ſchlagen, werden überjhätt, und ans ber Unterlaffung des Römerzuged von Seite 
jeines Sohnes jcheint Loebmann alle Uebel abzuleiten, von welchen diefer und 
Deutfchland während feiner Regierung betreffen wurden. „Dur die Kaiſerkrone 
hätte der König fein moraliihes Anſehen gerade jo ftärfen fünnen, wie e8 vor ihm 
jein Vater gethan;“ den Kaifer würden die Fürften „Leinesfall3 fo leichterdingd ab- 
gejegt haben“; er hätte als Schirmuogt der Kirche viel zur Beleitigung des Papft- 
ſchismas beitragen, die deutjche Königskrone feinem Haufe erhalten können; er würde 
„al3 Kaifer von feinen eigenen Unterthanen faum in Gefangenschaft gebracht worden 
jein; endlich hätte König Wenzel als Kaifer die huffitiiche Bewegung bei Beiten 
fteuern, die böhmischen Wirren in ihren Anfängen bejeitigen und jo Böhmens gol- 
denes Zeitalter erhalten können“, — Es hätte vom Verf. ebenfo gut auch noch die 
Behauptung aufgeftellt werden fünnen: Wäre Wenzel in Rom geſalbt und ihm bie 
Kaiſerkrone auf das Haupt gejest worden, dann würde er im Handumdrehen ein 
völlig anderer Menſch, er würde ein Mann von hellftem Geiſte, edelſtem Gemüthe, 
von raftlojer Thätigfeit geworden fein und es wüßte die Gefchichte von einem a 
Zizka u. ſ. w. nichts zu berichten. B. 


R.t, Hofbuchdruderei A. Haafe, Prag. — Seibftverlag. 


Literariſche Beilage 


zu den Mittheilungen des Vereines 








für 
Öeschichte der Meutschen in Bähmen, 
XXV. Jahrgang. IV. 1886/87. 





Die öfterreihiich-ungariihe Monardiie in Wort und Bild, Auf Anre- 
gung und unter Mitwirkung Seinerfaif. u. fönigl. Hoheit 
des durchlauchtigſten Kronprinzen Erzherzog Rudolf. 
Ueberfichtsband. 1. Abt. Naturgefchichtl. Theil. — Wien und Nieder- 
dfterreih. 1. Abt. Wien. 


Es wird unter unjeren Leſern wohl Niemanden geben, der nicht von dem emi— 
nent patriotiichen Unternehmen Kunde erhalten hätte, unſer großes Geſammtvater— 
land, die öſterreichiſch-ungariſche Monarchie, in Wort und Bild darzuftellen, ein 
Unternehmen, das auf Anregung und unter Mitwirkung Seiner f, u. E Hoheit des 
Kronprinzen in das Leben trat; ed werben fich aber anch unter unferen Leſern gewiß 
nur wenige finden, die, wenn auch nicht ſämmtliche bis jett erfchienenen 34 Liefe— 
rungen des Werkes, jo dody einen Theil derjelben aufmerfiam durchblättert, ſich in 
den von anerkannt tüchtigen Fachmännern gefchriebenen Tert vertieft und fih an den 
funftooll ausgeführten Randzeihnungen und an den dem Texte beigegebenen zahl- 
reichen Slluftrationen erfreut hätten. Wenn wir das großartig angelegte, auf 14 bis 
15 Bände geplante Werk, in welchem jeded Land unjeres herrlichen Vaterlandes und 
jeder der zahlreichen Volksſtämme unferer Monarchie feine volle Berädfichtigung finden 
joll, bislang noch nicht zur Anzeige brachten, wie es doch gewiß viele unjerer Leſer 
und das mit vollem Rechte erwarteten, fo gefhah es blos darum, weil wir der Mei- 
nung waren und nody find, daß es verfehlt wäre, jede Lieferung einzeln zu beiprechen 
jondern daß wir den Abichluß eines oder mehrerer Bände abwarten müßten, um 
eine eingehende Anzeige über einen einigermaßen abgerundeten Theil des Werkes 
geben zu können. Nachdem jeo die zwei oben bezeichneten Bände abgeſchloſſen vor— 
liegen, wollen wir nicht länger jäumen, unferer Pflicht nachzufommen. 

6 


23. Bi 


Die „Einleitung“ zum Ueberfichtsband ftammt aus der Feder Seiner, m £. 
Hoheit des Kronprinzen, fie beginnt mit der Bemerkung, daß unjere Monarchie 
noch immer eines ethnographiſchen Werkes entbehrt, welches, auf der Höhe der wiſſen— 
Ihaftlihen Forihung ftehend, mit Zuhilfenahme der fo jehr vervollfommmeten künſt— 
ferifchen Reproductiongmittel, anregend und befehrend zugleich, ein umfafjendes Ge— 
jammtbild unjeres VBaterlandes und feiner Volksſtämme bietet. Mit diefen Worten 
ift das Programm de3 Gefammtwerfes ausgefprochen, das, foweit wir bis jetzt fehen, 
trenlich eingehalten wird. Im weiteren Verlaufe führt ung die Einleitung von Wien 
aus durch das Tiebliche Niederöfterreich bis zu dem hochragenden Schneeberg mit 
feinen fahlen Halden und Krummholzgeftrüppe, wir ſchauen die Kalkgebirge Ober: 
Öfterreich3 mit ihren zadigen Formen, milde Thäler und Schluchten, blaue Seen, 
grünende Wieſen. Salzburg, die alte Biſchoféſtadt, erhebt ſich, vor ung liegt die 
Fellenburg Tirol; in Vorarlberg, an den Geftaden des jchönen Bodenſees, halten wir 
an. Zunächſt geht es, den Gebirgszügen folgend, längs der ichneebededten Kette der 
Tauern durch die herrliche grüne Steiermarf, Kärnten und rain mit ihren Seen 
und Kalfgebirgen fie durchziehen wir und gelangen durh Görz hinab in den Karft, 
in die Steinhalden mit fpärlihem Grün, ein Typus fo ganz eigenthümlich und 
einzig in feiner Art. Vom weißen und kahlen Felfen aus erblidt der Wanderer das 
reiche jchöne Trieft, und nun geht es zwilchen zahlreichen Inſeln an den Küſten des 
großartig ſchönen Dalmatiens bis Hinunter in die herrliche Boche di Cattaro, wo 
als mächtiger Grenzpflod ſich das ernftsmajeltätifche Gebirgsmaffiv der Schwarzen 
Berge erhebt. Nah Norden fchwebt unſer Blick. Mähren, das reiche Rand, mit 
feinen lieblichen Higelketten ift burchwandert, und Böhmen, das wohlhabende 
Plateau, umgrenzt von einem Kranze ſchöner Waldgebirge, liegt vor uns ausgebreitet. 
Doch genug der Wanderung. Wem die früheren literariihen Schöpfungen Seiner 
faif. Hoheit befannt find, der wird fi) mit wonnigem Gefühle erinnern an die aus 
einem Herzen voller Begeifterung quellenden, poetifh durchhauchten Schtlöcrungen 
der Naturjhönheiten, wie fie fih dem finnigen Beobachter im dichtbelaubten Walde, 
in den von zahllojen Waffervögeln belebten fumpfigen Niederungen oder auf ein— 
famen Pfaden in den Wildniffen des Hochgebirges aufdrängten; diefelbe ſchwungvolle, 
begeifterte Sprache erkennt der aufmerfiame Leſer in der „Einleitung“ wieder. Die 
Widmung, Seiner faif. u, königl. Majeftät zugeeignet, ſowie die Worte der Einleitung, 
welche auch die verfchiedenen Volksſtämme unferes Vaterlandes raſch au unferen 
Bliden vorüberführt, und die Aufgabe kurz bezeichnet, die ſich das Werk geſetzt hat, 
find mit ſchönen, den Text begleitenden Randzeichnungen gefhmüdt, die vom Prof. 
Rampler componirt find. — Der Einleitung folgt auf dem Fuße die Oro- und 
Hydrographie von dem Generalmajor Karl von Sonflar, einem genauen Kenner 
unferer Alpen, der fich, wie männiglich befannt, um die Durchforſchung unferer 
alpinen Welt große Berdienfte erworben hat. Wenn auch einzelne Heine Irrthümer, 
wie und von Dr. Hecht, einem unferer herporragenditen Alpenwanderer, mitgetheilt 
wurde, fich in die Höhenangaben eingefchlichen haben, jo können jie dody der trefflichen 
Arbeit des leider feither mit Tod abgegangenen Verfaffers nicht Abbruch thun. Diefer 
Theil des Buches hat außer einer Karte über die öftlichen Alpen 13 Flluftrationen 
von Lichtenfels, von welchen wir den Ortler, den Krimler Wailerfall, den großen 
Fifchlee in der hohen Tatra und tas Geläufe hervorheben. Auch die geologiiche 
Ueberfiht von Fr. v. Hauer hat einen Gelehrten zum Verf, der auf diefem Ge- 
biete fein Neuling ift. Die überfichtlihe und Mare Darftellung ift von 10 Xichten- 


we — 


fels'ſchen und 3 Holzſchnitten von ungar. Künſtlern geziert; wir machen auf das den 
Plöckenſtein darſtellende Bild aufmerkſam. Intereſſant iſt der Abſchnitt über die 
klimatiſchen Verhältniſſe von J. Hann, dem Illuſtrationen von Schindler und 
Schaeffer beigegeben ſind. A. v. Kerner ſchildert die Pflanzenwelt Oeſterreich— 
Ungarns und A. v. Moſjiſovits die Hanna, jene zieren 11 dieſe 10 Abbildungen 
von Bar. v. Ranfonnet, Schindler, Mataf, Bauk, Pauſinger u. f. f. 
Wie aus der 33. Lieferung erfichtlich ift, wird ſich die 2. Abtheilung des Weberfichtd- 
bandes mit der Ethnographie und der Gefchichte der Monarchie befchäftigen. 

Der zweite und complet vorliegende Band beichäftigt ſich ausſchließlich mit 
Wien. Die einleitenden Worte von Seiner faif. Hoheit find der Lage unferer 
Metropole gewidmet, der Schilderung des gottgejegneten Stüdes Erde, auf „den ſich 
jeit den Römertagen unfere herrliche Baterftadt erhoben hat. Nahe der Donau in 
den grünenden Praterauen erglänzt die hohe Kuppel der Rotunde, ein Wahrzeichen 
des neuen Wiens, wie e3 der Stephansdom des alten ift. Stephansdom und Rotunde, 
Markfteine in unferer Gejchichte, fünden weithin leuchtend den Wanderer die Yage Wiens, 
diefer Metropole an der blauen Donau zwifchen Oft und Welt, wo Nationen aneinander 
grenzen und Natur und Völkerleben einen großen Stapelplat der Eultur für Gegenwart 
und Zukunft geichaffen haben.“ Aus jedem Worte diefer „Einleitung“ weht dem Leſer 
die ftolze Freude entgegen, die der hohe Verfaffer über feine herrliche Vaterftadt, em- 
pfindet, eıne Freude, die lauten Nachklang in Millionen Herzen findet, denn nur 
nationale Bornirtheit könnte unferes Reiches Reſidenzſtadt, die Kaiferftadt an der 
Donau, mit mißgünftigen Augen betradten. Mit Fug und NRedt ift diefem Juwel 
unjerer Monarchie ein voller Band eingeräumt, noch immer ein viel zu larger Raum, 
wenn man bed reichen Lebens gedenft, das bier jeit den Nömerzeiten ſich auf allen 
Gebieten entfaltete und bis auf die Gegenwart pulfirt. 

Die Ueberficht über die Geihichte der Stadt iſt von K. Weiß, und gerade 
für diefen Theil konnte eine erprobtere Kraft faum gewonnen werden. Der Verf. 
führt und zurüd in die Vergangenheit big zu dem Augenblid, wo auf feltiihem Boden 
das geſchichtliche Leben Wiens als römische Anfiedlung beginnt. Mit dem Untergange 
- der Römerherrichaft verlor Vindobona feine Beſtimmung als befeftigter Grenzort und 
gleichzeitig jenft ein dichter Schleier ſich über die Stadt, der fich erft nach Jahr— 
hunderten wieder lüftet. Erſt 1030 wird Wien in einer Chronif wieder genannt, 
um gleich darauf abermals für ein Jahrhundert vergeffen zu fein. Als aber um bie 
Mitte des 12. Jahrhunderts der Schleier für immer gehoben ward, da herricht auch 
ſchon reges Leben innerhalb der Mauern der Stadt, die feit dem Fridericianiſchen 
Freiheitöbrief die Reſidenz eines mit ftattlichen Hoheit3rechten bewidmeten Landesherrn 
ift. Wir wollen nicht die Entwidlung der Stadt jhildern, nicht die Privilegien an- 
führen, die der gemwerbe- und handelsthätigen Bürgerfchaft zuerkannt wurden, wir 
fönnen aber nicht unerwähnt laffen, daß e3 für Wien, obihon es zu Ottokar I. von 
Böhmen, deffen Gunft es beſaß, treu hielt, nur zum Heile ward, daß die Habsburger 
an feine Stelle traten, denn mit Böhmen vereinigt würde Prag der Schwerpunkt der 
Premyfliden-Herrihaft geblieben und Wien in den Hintergrund getreten fein. Bis 
zum Ausgang des Mittelalters ftanden die Wiener, von vorübergehenden Trübungen 
abgejehen, unentwegt zu ihren Landesfürften. Die Stadt ſelbſt wuchs immer Fräftiger 
empor, bi3 fi) vom Ende de3 15. Zahrhundert3 an ein Sinken wahrnehmen läßt, 
deſſen Urfachen in der Aenderung der Handelöwege, in der Türfengefahr und in der 
Kirhenipaltung zu juchen find. Die Anftrengungen zur Wiederherftellung der Ein- 

6* 


—— 


heit des Glaubens verkümmerten das geiſtige Leben, die Univerſität gelangte vollſtändig 
in die Hände der Jeſuiten, ſie übten mit größter Strenge die Büchercenſur, die Ver— 
bindung mit dem geiſtigen Leben Deutſchlands wurde gelodert, die Fortſchritte der deut- 
ihen Bildung ferne gehalten und mit dem überwiegenden Einfluß der Spanier und Ita— 
liener am faiferlihen Hofe wurden fremdländiſche Sitten und Einrichtungen herrſchend. 
Glänzend bewährte fidy der Heldenmuth der Bürger während der türfifchen Umlage- 
rung von 1527 und 1683. Die Türfennoth ift beendet. Je mehr die Staatdmänner 
jeit Zeopold I. beftrebt waren die Bande der unter Habsburgs Scepter vereinigten 
Volksſtämme zu feftigen, die Hilfsquellen zur Hebung der Macht und des Wohlftandes 
des Neiches zu erichließen, die verfchiedenen Völker durch die Verbreitung ber deutſchen 
Sprade und Bildung, durch gemeinfame Grundſätze in der Verwaltung, der Rechts- 
pflege und der Heereseinrichtungen fefter zu verbinden, defto mehr wurde Wien ber 
Mittelpunkt der Fortichritte auf dem Gebiete der Induſtrie und des Handels, des 
Unterrichts, der Kunft und Wiſſenſchaft. Und treu und feſt ftand die Bevölkerung 
der Metropole zur Dynaſtie, fie ſchaute in begeifterter Liebe zu ihrer Landesmutter 
Maria Therefia hinauf, brachte enthufiaftiiche Hingebung Joſef II., dem Wohlthäter 
ber Menjchheit, dem Schöpfer der großen Reformen auf allen Gebieten des öffent» 
lichen Lebens entgegen, und jie war während der Franzofenfriege zu jedem Opfer 
bereit. Wenn auch der Aufihwung Wiens anf jedem Gebiete menſchlicher Thätigfeit 
nad) den Freiheitskriegen wieder erlahmte, fo erreichte er doch unter der Regierung 
Kaiſer Franz Joſef L., des Schöpferd des neuen Wiens, eine früher nicht geahnte 
Höhe. Wir fließen den gefhhichtlichen Ueberblid mit dem heißen Wunſche des Berf.: 
„Möge die ſchöne Stadt unter dem Schuße des Kaiferhanfes, unter den Segnungen 
des fortichreitenden geiftigen und wirtbichaftlichen LXebens, des Gemeinfinned und der 
Scaffenskraft des freien Bürgerthums zu ihrem Glüde und ihrem Wohle, zur Ehre 
und zum Stolze des Vaterlandes fortblühen bis in die fernften Tage!“ — 

Wir find bemüßigt in unjerer Anzeige und kürzer zu fallen. Die Darftellung 
von „Wien! ardhitektonifcher Entwicklung“ übernahmen A. Hauſer, K. Lind, ©. 
Niemann und K. v. Lützow, von denen der erfte die römilchen, der zweite die 
mittelalterlicyen, der folgende die Baudenkmäler des 16. bis 18. und der letzte die des 
19. Jahrhunderts ſchildert. Von den römischen ift, von dürftigen Reften abgejehen, 
nicht3 auf uns gefommen, von den mittelalterlihen find faft nur noch kirchliche Ge— 
bäude, in erfter Linie der Stephansdom, vorhanden, allein fie genügen um auf die 
große Kunftblüthe fchließen zu können, die feit dem Auftreten der Habsburger in 
Wien geherricht bat. Früher ald anderswo in deutſchen Landen erblühte in Defter- 
reich die Kunft der Renaiffance. Was aber die Architektur jeit dem kaiſerlichen Hand— 
ichreiben vom 20. December 1857 leiftete, daS haben wir ftaunend miterlebt. Die 
Meifter Joh. Georg Müller, Schmidt, Ferftel, van der Nüll, Siccardsburg, Hanfen, 
Semper, Hafenauer u. f. wm. werben in der dankbaren Erinnerung der Wiener und 
in der Geſchichte der Architektur fortleben. — In feiner Schilderung des Volkslebens 
in Wien bewegt fih Fr. Schlögl auf feinem eigenften Gebiete; wir machen anf das 
von ihm entworfene Bild befonders aufmerffam, — „Die Mufit in Wien“ hat den 
für diefen Abjchnitt in erfter Linie berufenen E. Hauslik zum Verf., er führt ung 
bis in das Mittelalter zurüf und verweilt mit Necht längere Beit bei den Heroen 
diefer Kunſt, bei Glud, Haydn, Mozart, Beethoven und Echubert. Das gewiß 
dankbare Thema: „Die deutiche Literatur in Wien und N,-Defterreih” ift von J. 
Minor ſachgemäß und in abgerundeter Weife behandelt. Wir wollen nicht auf die 


— 69 — 


mittelalterliche Poeſie zurüdgreifen, die, wie männiglid) befannt, glänzende Vertreter 
in Defterreich fand, wir wollen auch nur fur; an Marmilians I. Bedeutung für die 
Literatur erinnern, haben jedod anzumerken, daß die Zeit der Gegenreformation und 
des breißigjährigen Krieges die Öfterr. Literatur auf dem tiefiten Punkte jahen. Die 
Cenſur zerftörte jeden geiftigen Verkehr mit dem proteftantifchen Deutjchland, die 
Meifterfingerfchulen, die mit Luthers Lehre nad Defterreich gelommen waren, theilten 
mit diefer das Los der Verfolgung, und nichts blieb zurück als das latein, Schul- 
drama, das von den Jeſuiten mit unerhörtem Glanz und Pomp in Scene gefeßt 
wurde. Erſt in neuerer und neuefter Zeit trat Defterreich wieder in die Arena ein 
und brachte hochbedentjame Schöpfungen hervor; um dies zu erhärten, gemügt es auf 
Srillparzer, U. Grün, Lenau und viele Andere hinzuweiſen. „Das Wiener Schau: 
jpiel” ift von X. Speidel, die „Malerei und PBlaftif in Wien“, und zwar die vom 
Mittelalter big zur Neuzeit von lg, die im 19. Jahrhundert von Lützow ge— 
ihildert. „Die Wiener Kunftinduftrie” hat Falke zum Verf. und an bem „volfe- 
wirthichaftlihen Leben in Wien“ haben Erner, Grimburg, Hede und Sar 
gearbeitet; vedigirt wurde diefer Theil von Neumann Spallart. 

E3 fehlt und an Raum, um die Bedeutung der angeführten Abjchnitte auch 
nur kurz und bündig hervorheben zu fünnen; für ihre Tüchtigkeit Iprechen die Namen 
der Verf.; gelang es doch der Redaction des Werkes für jeden Theil des Buches die 
beiten Kräfte zu finden und fie an den gehörigen Plaß zu jtellen. Ob aber die Arbeits- 
theilung nicht etwa doch in zu minutiöfer Weife durchgeführt und ob damit der Ein- 
heit der Arbeit Eintrag geichehen ift, überlaffen mir der Beurtheilung der Leſer. — 
Es wäre noch zu bemerken, daß der Tert auch diejed Bandes von Ylluftrationen be— 
gleitet ift; wir zählen deren, abgejehen von hübſchen Initialen und ſchönen Rand— 
zeichnungen, iiber 120, die theilweife von Fünftleriihem Werthe find. — Wir fchließen 
diefe Anzeige mit dem Vorſatze, in nicht zu langer Zeit unfere Leſer wieder mit einem 
oder mehreren Bänden näber befannt machen zu föunen, und mit der ftillen Hoffnung, 
recht viele unjerer Leſer zu beftimmen, daß fie das groß angelegte Werk nicht achtlos 
bei Seite liegen Taffen. B. 


Aubert Ermifch: Urkundenbuch der Stadt Freiberg in Sadjen. II. Bd. 
Bergbau, Bergredjt, Münze. Leipzig. Giefede und Devrient. 1886. 


Der im Auftrage der königlich ſächſiſchen Staatsregierung herausgegebene 
„Codex diplomaticus Saxoniae regiae* ift bei feinem XII. Bande 
(zweiter Haupttbeil) angelangt. Der XIL Band bradte ald I. Band des Urkunden- 
buches der Stadt Freiberg die für die eigentliche Stadtgeſchichte in Betracht kom— 
menden Urkunden und Diplomatarien der drei Klöfter und des Collegiatitiftes von 
Freiberg. Der vorliegende zweite Theil des Urknndenbuches der alten ſächſiſchen 
Bergitadt bejchäftigt ſich ausichließlid mit der Geſchichte des Bergbaus und der 
Münze von Freiberg; der dritte Theil fol die noch fehlenden Materialen zur Ge— 
Ihichte der Stadtverfafjung und des Stadtrechte bringen. Diefe Gliederung kann 
angeſichts des maflenhaften vorliegenden Stoffes nur volle Billigung finden. Im 
2. Bande fpeciell liefert der bewährte Herausgeber Ermifch eine über das locale Inter— 
eſſe hinausreichende, grundlegende Arbeit über den Bergbau in Sachſen im Allgemeinen, 


— 0 — 


wermwegen er die wichtigeren Urkunden des XIII. u. XIV. Jahrh. der ſächſ. Bergwerfe 
überhaupt mittheilt und insbefondere im Anhange II die älteften Bergordnungen von 
Schneeberg und Annaberg dem vollen Wortlaute nad veröffentlicht. Somit hat 
gerade die GSelbftändigfeit diefeg zweiten Bandes feine Berechtigung, und es wäre 
vielleicht zwedmäßig gemwejen, derfelben auch durch ein jelbftändiges Wort: und Sach— 
regifter, im melches der Herausgeber ja aud „einzelne Erklärungen“ verlegen will, 
Ausdrud zu verleihen. Auf eine tiefere Erörterung des Stofflihen will der Ver- 
fafler in der Einleitung nicht eingehen; er glaubt in feiner Beicheidenbeit eine zu— 
ſammenhängende Darftellung der Geichichte des Berabanes und Bergredhtes mit einer 
Inftematifchen Bearbeitung des geſammten Rechtsftoffes völlig ausgereift nicht bringen 
zu fünuen. Eine folde umfangreiche Arbeit hätte nach der Anſicht Ermiſchs das 
Ericheinen des vorliegenden Bandes auf Jahre hinaus verzögert. Uebrigens jeien auch 
zur Yöfung einer ſolchen Aufgabe jehr eingehende bergtechnifche Kenntniffe nothwendig. 

Indeſſen bringt und die Einleitung fo viel Lehrreiches, daß wir dem Berfafler 
auch für die enger begrenzte Beiprehung nur dankbar fein können. Der Eintheilung 
des Urfundenbuches jelbft entiprechend, erörtert er 1. die Urkunden über Bergbau und 
Münze, 2. das Freiberger Bergredht, 3. das ältefte Bergurtelbuch des Freiberger 
Rathes (1476—1485), 4. die Rechnungen der Freiberger Münzmeifter, Zehntner uſw. 
(1353—1485) und 5. die älteften Schneeberger und Annaberger Bergordnungen. 
Selbjtverftändficdh macht und der Herausgeber in feiner befannten gründlichen Weije 
über das Formale, Fundort u. dergl. der urkumdlichen und handichriftlihen Vor— 
lagen auf das Genauefte befannt. Wir können nur Einzelnes hervorheben. Die 
Ölanzperiode des Freiberger Bergbaues fällt in die Zeit von jeiner Entjtehung 
(1162—1170) bis zum Tode Heinrichs des Erlauchten. Die Urkunden fließen ſpärlich, 
weil dag gelammte Verfahren in Bergfadhen ein mündliches war und feinen Anlaß 
zu jchriftlichen Ausfertigungen bot. Eine zweite Periode kann vom Ausgange des 
XI. Jahrhunderts bis zu den Hufitenfriegen gerechnet werden. In dieſe fällt die 
Godification der Gewohnheitsrechte und die Ergänzung derjelben durch Neception 
fremder Rechte. Die Grubenbauten mußten tiefer angelegt werden, und maſchinelle 
Hilfgmittel zur Bewältigung der Grubenwäfjer famen zur Anwendung. Auswärtige 
Meifter wurden herangezogen und mit Vorrechten ausgeftattet. So beriefen 3. B. 
die Markgrafen (1379 März 20.) neben anderen Technikern den Joh. Zceheslam 
und Dominik Goltimid von Prag zur Anlegung von Wafferkünften. In diefer 
Periode gelangte auch die Anlegung von Stollen zum Durchbruch, und es bildete fich 
ein eigened® Stollenreht aus, das in der Hauptfahe aus Iglau übernommen 
wurde. Doch beginnt ſchon aus inneren Gründen der Berfall des Bergbaues, 
welchen die Hufitenkriege, „welche die gefammte Induſtrie des ſächſiſchen Landes ſchwer 
geihäbdigt haben“ bejchleunigten. Diefer Verfall dauert bis tief in das XVI. Jahrh., 
„während durch das Aufkommen des Schneeberger Bergbaus feit etwa 1470 eine 
neue zweite Ölanzperiode der ſächſiſchen Bergwerksgeſchichte eingeleitet wurde.” 

Das Freiberger Bergrecht ift wahrſcheinlich niederſächſiſchen Urſprungs. 
Die Codification begann im Beginn des XIV. Jahrh., indem man verſuchte, das 
Recht, welches während des XII. und XIII. Jahrh. in Freiberg ſich ausgebildet hatte, 
feſtzuſtellen. Der Verſuch GBergrecht A) blieb Entwurf, iſt aber von Wichtigkeit als 
Unteilage für die jpätere Codification, fowie als hiſtoriſche Quelle für die ältefte 
Berfaffung des meißnijchen Bergbaues überhaupt. Bekannt ift der Einfluß des Frei— 
‚berger Bergrechts auf das Iglauer, welches in der Mitte des XIII. Jahrhuuderts 


codifteirt, das Freiberger zur Grundlage hat. Nicht lange nach der Entſtehung des 
Bergrechtes A erbat ſich der Freiberger Ralh zur Ergänzung der Rüden bes beite- 
benden Gemwohnheitsrechtes eine Rechtsweiſung aus Iglau. Auf Grund der erhal: 
tenen Iglauer Rechtsweiſung und des alten einheimischen Gewohnheitsrechts (Berg: 
recht A) entftand nun um die Mitte des XIV. Jahrhunderts eine neue Codification 
(Bergredt B) — die Grundlage des ſächſiſch-meißniſchen Bergrechtes bis in bie 
Meuzeit herein. Die beiden Freiberger nnd die Iglauer Rechtsaufzeichnungen bringt 
num der Herausgeber in kritiſch gefichteten Texten, deren Emendation troß ber 
vielen gedrudten und handichriftlichen Vorlagen ficherlich ein ſchweres Stüd Arbeit 
geweien. Ahnen fchließt fih noch als vierter Abjchnitt eine bisher unbekannte Frei- 
berger Berggericht3orduung aus der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts an. 

Der Abdrud des „älteften Bergurtelbudhes des Freiberger 
Rathes“ (S. 301-371) ift nur zu begrüßen. Denn ed werben durch dasſelbe 
zahlreiche Belege für die praftiihe Anwendung der im Freiberger Bergrechte ent— 
baltenen Grundfäge erbradt. Bis in die Nenzeit herein hatte der Rath zu Frei» 
berg die Befugniß, in Bergrechtsfragen Rechtsbelehrungen zu ertheilen. Wie diefe 
Befugniß in den älteften Berfajlungsverhältniffen der Stadt mwurzelte, und unter 
welchen Formen diejelbe ausgeübt wurde, erläutert der Derausgeber auf das Klarſte. 
Freiberg bildete ſich als eine Art „Bergichöffenftuhl” für die ganze Provinz heraus. 
Zahlreic find insbeſondere die in Schneeberger Angelegenheiten erfloffenen Rechts— 
belebrungen. . 

Die im Anhange I. (S. 374—455) veröffentlichten Rechnungen der Freiberger 
Münzmeiiter, Zehntner u. ſ. w. (1353—1485) bilden eine werthvolle Quelle für die 
jo ſchwierige Münz- und Finanzgefhichte des Mittelalterd. Vom Jahre 1461 hat 
fie der Herausgeber der mühevollen tabellariichen Umarbeitung unterzogen. Anhang II. 
(S. 456 —529) bringt, wie ſchon bemerkt, die älteften Schneeberger und Annaberger 
Bergordnnungen, 

Haben wir im Vorftehenden nur ganz im Allgemeinen auf den reichen Inhalt 
des vorliegenden Urkundenwerkes hinweiſen wollen, jo möchten wir jchließlih nur 
noch bemerken, daß jeder, der ſich mit geichidhtlihen Forihungen über Bergbau- 
angelegenbeiten befaßt, auf Ermichs treffliche Arbeit wird zurüdfommen müſſen. 
Belonders für unjere böhmiſche Bergwerksgefhicdhte, die ja feit Sternberg ganz ind 
Stoden gerathen ift, bietet die Publication die fruchtbarften Anregungen und Aus— 
gangspuntte, L. S. 


Dr. Franz Toftes: Die Tepler Bibelüberjegung. Eine zweite Kritik. 
Münjteri. W. 1886. 


Eine erite Kritif der Haupt'ſchen Hypotheie, daß die Bibelüberjegung des Cod. 
Teplensis Waldenfishen Urfprungs jet, hat eine zweite Schrift von Haupt hervorgerufen, 
die num von Joſtes neuerdings und man muß zugeftehen, mit viel Glück angegriffen 
wird, Die Gründe, die Haupt vorgebradht hatte, erfcheinen jehr erfchüttert oder ganz 
widerlegt. Nachdem hier in diefen Blättern über die Haupt'ihe Schrift zuftimmend 
berichtet wurde, müſſen wir das ausbdrüdlich hervorheben, um der Wahrheit die Ehre 
zu geben, und zugeftehen, daß nach Lefung der zweiten Joſtes ſchen Schrift der walden- 
ſiſche Urſprung des Cod. Teplenji3 höchſtens noch als möglich ericheint, keineswegs 


wahrjcheinlih und am allerwenigiten in irgend einem Punkte bewiefen. — Wenn 
wir einen Irrthum unſererſeits — begangen durch vorjchnelle wenn auch bedingte 
Zuftimmung zu den Haupt’ihen Argumenten — zugeftehen, fo find wir nur in der: 
jelben Lage wie andere Fachblätter und bedeutendere Gelehrte. Bon allen Bibel: 
überjegungen ift allgemein befannt nur die des Ulfilas und die Luthers — zweier 
„Ketzer“. Die fatholiihe Kirche war ftet3 gegen das Bibellefen von Seite der Laien, 
nody auf dem Tridenter Concil wurde e3 verboten: es reihte ſich alfo die Hypotheſe 
vom waldenfifchen Urjprung der vorlutheriſchen deutichen Bibelüberiegung jehr leicht in 
unfere fonftige Vorftellungen von den ketzteriſchen Strebungen und den Fatholifchen Vor— 
ſchriften. Es muß aber eine andere Borftellung in den Vordergrund treten. Bekannt 
ift, daß jchon zur Zeit Karls des Großen das Evangelium des Mathäus überjegt 
wurde, um einem Bebirfniffe beim Gottesdienft entgegen zu kommen nnd dieſes Be- 
dürfniß beftand doch das ganze Mittelalter hindurch fort. Der Geiftlihe muß doch 
der Borjchrift gemäß jeden Sonntag und Feiertag einen Abjchnitt aus den Evan— 
gelien vorlefen und jeder mußte dazu, wenn er nicht] ſelbſt überfegen wollte oder 
konnte, trachten eine Ueberſetzung wenigftens diefer Lectionen (Perikopen) zu befommen. 
Wir haben bi3 auf weiteres im God. Teplenfis eine ſolche Ueberfegung des neuen 
Teftantente mit Bezeichnung der Lectionen für den Gebrauch beim Gottesdienfte zu 
erbliden. — Sicherbeit herrſcht allerdings noch immer nicht und das muß auch jest 
wieder betont werden. Der Streit um ben God. Tepl. zeigt jehr Kar, wie ganz 
mangelhaft unfere Kenntniffe von den Waldenjern find und daß wir von ber Ge— 
ihichte der deutichen Bibelüberfegungen vor Luther noch immer jo gut wie gar nichts 
wiſſen. Letzteres war allerdings ein längft gefühlter Mangel unjerer Sprad: und 
Kiteraturgefhichte und es wurde auch gleich beim Erfcheinen des erften Heftes des 
God. Tepl. betont, daß diefe Ausgabe endlich den enticheidenden Anſtoß zum Angriff 
diejer Forichungen geben müſſe. Das fcheint denn nun in der That fich erfüllen zu 
jolfen. Hr. Joſtes verfpricht eine Geichichte der deutichen Bibelüberjegungen und bittet 
um Unterftügung bei feinem Unternehmen von Seite der Bibliothelsvorftände und 
Beier alter Ueberſetzungen. Falls dies Buch erjcheint, jo bleibt noch immer eine 
Maſſe fchwieriger und umfangreicher Arbeiten zu thun, bevor man an endgiltige 
Löſung der ſchwierigen Frage über Zeit, Ort und Zweck der Ueberjegung und jpeciell 
bes einen Coder gehen kann. Gin anderer jehr nahe verwandter Coder derjelben 
Ueberjegung findet fih — wie längft befannt ift — in der Gymnaftalbibliothef in 
Freiberg in Sachſen, darüber erhalten wir auch jet erft etwas reicheren Aufihluß 
durch: 


Dr. M. Rachel: Ueber die Freiberger Bibelhandſchrift nebſt Beiträgen 
zur Geſchichte der vorlutheriſchen Bibelüberfegung. Freiberg (Programm 
Nr. 495) 1886. 


Nadel gibt zuerft eine Geſchichte und Beichreibung der Hf., dann Verglei— 
Hungen mit anderen Weberjezungen insbefondere der Tepler. Er kommt dabei zu 
folgenden Schlüffen: Weder der Freiberger nod der Tepler Cod. find unmittelbare 
Vorlagen der eriten Drude geweſen, die aber der Freiberger näher als ber Tepler 
ſtehen; zwilchen dieſen beiden befteht ein fehr enger Zufammenhang. Der Freiberger 
Coder ſtammt wahrjcheinlih aus einem Klofter und diente wohl feeljorgeriichen 
Zwecken. — Auch) die Arbeit Rachel ift nicht abichließend : er verfpricht „eingehendere 


u 


Behandlung der jprachlichen Seite“ der Hf., ſowie „eine genauere Vergleihung der- 
jelben mit dem Cod. Teplenfi3 und dem älteften Bibeldrude, T. R. 


Altdentiche Predigten, herausgegeben von Anton E. Schönbad. Eriter 
Band. Terte. Graz, BVerlagsbuhhandlung. Styria 1886. XVII. 
531. 9 Marf. 


Das Bud, dem früh verjtorbenen Profeffor Wilhelm Scherer gewidmet, 
bildet den erſten Theil eines großartig angelegten, auf drei Theile berechneten Werkes 
über die altdeutiche Predigtliteratur. Während der erjte Band Texte altdeuticher Bre- 
digten liefert, joll der zweite die Unterfuhungen bringen, welche die wijfenfchaftliche 
Bedeutung diefer Terte erfordert; es wird aljo vor allem der Rautftand der Ueber: 
lieferung, der Stil, die Quellen und deren Verwerthung erörtert werden u. ſ. w. Der 
dritte Band endlich wird al3 Ergänzung zum erften die kleineren und größeren 
Predigtfammlungen enthalten, welche, wenn auch von geringerer Bedeutung, doch das 
Material für dad Studium altdeutiher Ranzelberedfamkeit bis zum 14. Jahrhundert 
vervollitändigen. 

Der vorliegende erite Band gibt die Predigtſammlung der Handichrift der 
füniglichen Univerfität3bibliothet zu Leipzig Nr. 760, deren genaue Beichreibung 
Schönbah ©. IX f. liefert und von der er nur jene 38 von Leyier bereit3 abge— 
drudten Nummern (ausgenommen Nummer 105) fortließ. Sie gehört wohl nicht, 
wie Leyſer gemeint hat, der Mitte, fondern dem Anfang des vierzehnten Jahrhunderts 
an, Unter dem DTerte finden wir die forgfältige und genaue Angabe der Lesarten 
und Varianten, wie fie und andere Handichriften bieten. Mit Zuhilfenahme dieſer 
Varianten die-ältefte Geftalt der Predigten herzuftellen, erfcheint wegen der zu großen 
Verſchiedenheit der einzelnen Faſſungen unmöglich. Jede einzelne Handichrift trägt 
eben ein gemwilfe individuelles Gepräge und aud das Alter der Codices ift nicht 
maßgebend. Der Herausgeber hat alfo in feinem Texte die Handichrift getren wieder— 
gegeben und nur infoweit geändert, als er die Abkürzungen auflöfte und Unklarheiten 
befeitigte. 

Ueberhaupt hat er alles gethan, um fein ſchönes Buch einem möglichit großen 
Bublicum zugängig zu machen. So wird jeder Leſer, ber fich für die altdeutſche 
Predigtliteratur intereffirt, ohne gerade fonft mit dem Mltdeutichen vertraut zu fein, 
Ihon in der reichlichen Interpunction eine mächtige Förderin finden und dem Heraus— 
geber danken, der alles gethan hat das Verſtändniß des Textes zu erleichtern. Die 
reichhaltigen Anmerkungen, welche Seite 391—455 umfaſſen, weiſen die Citate der 
Bibel oder der Väter nad) und geben, jo weit ald nur möglich, den Quellen der 
Predigten nah. Sie geben den beiten Beweis, welch tiefgehende und umfallende 
Kenntniß Schönbad von der firdjlichen Literatur befist, Nicht minderes Lob gebührt 
dem Wörterverzeihniß (S. 459-503). Auch hier will der Herandgeber, einem 
Wunſche der Verlagsbuchhandlung entiprechend, welche gerne auf ein Publicum aus 
theologifhen Kreifen zählen möchte, — demjenigen die Lectüre erleichtern, der jich 
fonft mit dem Altdeutſchen nicht bejchäftigt hat. Aber dabei verliert er den Foricher 
nicht aus dem Auge. Auch diefer wird niemals vergeblih das Wörterverzeihniß zu 
Rathe ziehen, wenn es ſich um feltene Redensarten und Fügungen, um felten be= 


legte oder font nicht nachgewielene Ausdrücke handelt, ja gerade bei den leßteren 
wird er die Zahl der Beleaitellen möglichit vollftändig beiſammen finden. 

Sehr danfenswerth ift das Sachverzeichniß, welches zugleih ein Regifter für 
die Anmerkungen ift und jedem höchſt willfommen fein muß, der ſich mit geiftlicher 
Poefie und Proſa beihäftigt und erfahren will, ob beftimmte Ausdrüde und Bilder 
auch in der Predigtliteratur anzutreffen jeien. Das Buch beichließen noch einige 
überfichtlihe VBerzeichniffe: jo das der in den Predigten citirten Bibelftellen und der 
Gitate aus den Bätern; es werden die Nummern der Predigten nach dem Inhalte 
. geordnet (sermones de tempore, de sanctis) angeführt u. j. w. So hat der Heraus: 
geber alles gethan, um fein Buch zu einem vortrefflicen zu geftalten und den Wunſch 
nach der baldigen Fortjegung des fo ſchön Begonnenen in und wachzurufen. Möchte 
aber das würdig ausgeltattete Buch auch im Kreiſe unferer deutichen Geiftlichkeit 
recht viele Leſer finden und ihr zeigen, weld fleißige Pflege die deutjche Predigt im 
Mittelalter gefunden bat. A. Hruschka. 


Dr. Auguft Sonrnier: Handel und Verkehr in Ungarn uud Polen um 
die Mitte des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur öſterr. Commer- 
cialpolitif. Aus dem Archive für Öfterr. Gejchichte. LXIX. Bd. 2. Hälfte. 
©. 317—481 (Akad. der Wiſſenſch. in Wien) feparat abgedrudt. 


Herr Profeffor Fournier fand in den Archiven des kaiſerl. königl. Mini— 
ſteriums des Innern zwei Foltobände im Manufcript, die Handelsfahen enthielten, 
von denen der ftärfere die „Relation“ einer den 19. Mai 1755 von Brünn aus 
angetretenen „Commercial-Reiſe“ ift, die über Ungarn, Siebenbürgen, Defterreichtich- 
Schleſien und Polen ging, Danzig, Wismar, Roftod, Kübel, Hamburg, Lünne— 
burg, Braunjchweig und Leipzig berührte und nach dem Beſuche einiger böhmijcher 
Fabriken den 6. Jänner 1756 abſchloß. — Der zweite Band nennt fih: „Re— 
flerionen über die beichriebene Commercial-Reiſe duch Hungarn u. ſ. w. jammt an— 
gebängten verichiedenen unmaßgeblihen Vorſchlägen.“ Wie fi) aus den Neflerionen 
ergibt, waren es Graf Karl Otto von Haugwig, Eohn des Staatdminifterd, und 
Ludw. Friedr. Procop, Inſpector des Brünner Manufacturamtes, die im Auftrage 
de3 Wiener General Conmerciendirectoriums die Neife unternommen hatten. Bon 
den 4 Bänden der Relationen ift nur der erfte vorhanden, der aber darum der wid 
tigite ift, weil er gründlichen Aufihluß über Handel und Verkehr in Ländern gibt, 
über deren commercielle Verhältniffe zu jener Zeit wir nur ganz obenhin unterrichtet 
find. Der Herr Prof. bringt nun die Haugwitz-Procopſche Relation zum Abdrud 
uud läßt im Anhang zwei zeitgenöffifche Berichte über den Stand der böhmtichen 
Induſtrie im Jahre 1756 folgen und zwar erftlih die Relation Ludwigd von Los— 
cati, die fih im Archive unſeres Vereines im Mier. vorfindet, jodann Mittheilnngen 
aus den „Reflexionen“ über einzelne böhmiſche Fabriken. E3 fehlt und an Raum, 
um näher auf die für den Handel und die Induftrie unter Maria Therejia jo hoch— 
wichtige „Relation“ einzugeben. 

Prof. Fournier begnügt fid) keineswegs, wie vielleicht ans meinem bisherigen 
Neferate geichloffen werden könnte, mit dem bloßen Abdruck de3 obenangeführten 
bandihriftlihen Materiald, er leitet es vielmehr mit einer gediegenen Abhandlung 


— — 


ein, welche die „achn Jahre öſterreichiſcher Haudelspolitik (1746—1756)“ zum Gegen 
ftande hat. Er erörtert, wie Maria Therefia den enticheidenden Schritt aus dem 
fendalen Weſen heraus in die Bahn de3 modernen Staates mit genialer Regierungs— 
gewalt und geordneter unabhängiger Wirthichaft gemacht hat, bei welchem fie unter 
Anderem von dem Grafen Friedrih Wilhelm von Haugwis und von Bartenftein 
unterjtüßt wurde. Jener hat den Entwurf zur Zulammenfaffung der getrennten 
Adminiftration der Erbländer in ein „Directorium in publieis et cameralibus“ au$- 
gearbeitet, mit dem jpäter das Commerzdirectorium vereinigt wurde, Damit begann 
der aroße und commercielle Aufihwung. Seit 1748 verfolgt die Regierung die 
Löſung des doppelten Problems, einmal in den gewerbsfähigen deutſchen Erbländern 
die Induſtrie zu heben, zu entwideln und zu ſchützen, um die verlorene wirthſchaftliche 
Unabhängigkeit des Staates wieder zu erlangen, und zweitens den ungarischen Roh— 
producten neue Abſatzwege zu eröffnen. In Bezug auf das erftere fand zunächſt 
Böhmen die meifte Berüdfichtigung. Es ift wahrhaft ſtaunenswerth, wie rajd) fich 
bier, in Mähren, Niederöfterreich u. |. w. die Induſtrie hob. So wie die Regierung 
einerjeit8 mit Verordnungen und mit dem Beijpiel der Induſtrie unter die Arme 
griff, jo forgte fie auch andererfeits, da ein inländiſcher Großhandel nicht beftand, für 
den Abjat der öfterreichiichen Producte und Fabrifate. In ZTrieft, jeit 1719 Frei— 
bafen, wurde 1751 mit dem Bau des Molo San Carlo begonnen, eine Levante: 
Compagnie für den Export ungarischer Producte und erbländiicher Fabrikate und 
1755 eine andlungsbörje gegründet. Der Straßenbau im Norden von Bielig nad) 
Brünn, nad) Böhmen u. ſ mw. wurde in Angriff genommen. Die Beamten der Re- 
gierung begaben ſich als fürmliche Handlungsreifende auf die Suche nad Abnehmern 
der öfterreichiichen Waaren, fie führten Muſter derjelben mit fich, ftudirten Geſchmack 
und Bedarf, empfahlen ihre Artikel, brachten Aufträge mit beim vder doch ſchätzbare 
Kenntniffe, wie die beiden genannten Haugwitz und Procop. 

Ih kann die Anzeige der verdienitwollen Arbeit des geehrten Verfaflers nicht 
ichließen, ohne bier des Vorſchlags zu gedenken, den derjelbe an die Bereinsleitung 
machte und der in dem im vorliegenden Hefte der Mittheilungen befindlichen „Aufruf“ 
feinen Ausdruck findet. In demielben wird zur Beiſchaffung des Materiald aufge: 
fordert, das vielleicht jpäter zu einer „Seichichte de3 Handel und der Induſtrie“ zu 
verwerthen wäre. An diejer Aufgabe ſich zu betheiligen, wären, wie ich wähne, 
meine Collegen, die Lehrer für Geſchichte an den Mittelſchulen, in erſter Linie mit- 
berufen. Hier erſchlöße fich ihnen ein reiches und danfbares Feld für ihre Privat: 
ftudien. Sie follten die Hand mit anlegen bei der Durchforſchung der Archive in 
Induſtrieſtädten, der Fabriksbeſitzer u. ſ. f.; die Archive der Statthalterei in Prag, 
der Minifterien des Innern und der Finanzen u. |. w. müſſen gleichfall3 eine Fülle 
ungehobener Schäße bergen. Die Beröffentlihung des aufgefundenen Materiald und 
die Verarbeitung desfelben, fei e8 in Programmauflägen, oder in unfern „Mittheis 
lungen“, fei es in felbitändigen Publicationen, würden Baufteine von hohem Werthe 
für eine jpätere Geichichte der Induſtrie in Böhmen abgeben, eine Geſchichte, welche 
die eminente Bedeutung unſeres deutichen Volke! in unferm KRronlande in das glän- 
endfte Licht ſetzen müßte. —n. 


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Schriften des ‚Vereines für Geſchichte und Alterthum Schleſiens“. 


Der diesjährige XXI. Band der Vereinszeitſchrift bringt wieder eine Fülle 
guter Arbeiten, die mit der Abhandlung des auf hiftoriichem Gebiete vielfady erprobten 
Prof. und Directord Reimann „über das höhere Schulmefen Breslaus in den 
Fahren 1763—1786“ beginnen; der Aufſatz hebt mit der 1765 eröffneten reformirten 
Realſchule an und endigt mit der Reform des Elifabethbgymnafiums, Stadtardhivar 
Markgraf jchreibt über „die Entfeftigung Breslaus und der geſchenkweiſen Ueber— 
laffung des Feftungsterraind an die Stadt, 1807-13”, Dr. Krebs fest feine Arbeit: 
„Schlefien in den Fahren 1626 und 1627” fort, er jchildert Mansfelds Zug durch 
Schiefien und behält jih bie Darlegung der von den Schlefiern ergriffenen Gegen- 
maßregeln und den Zug des Herzogs von Friedland durch die Provinz wahrſcheinlich 
für den nächſten Band vor. Dr. Wahners Beiträge „zur Geſchichte der Standes- 
berrihaft Benthen“ gehören der Zeit der Gegenreformation au. Bon Prof. Grün- 
hagen bringt die Zeitfchrift 1. einen öffentlich gehaltenen Vortrag: „Die alten 
ſchleſiſchen Landesfürften und ihre Bedeutung“ zum Abdrud und fie theilt 2. in dem 
Aufſatz: „Schlefiiched aus London“ Gejandtichaftsberichte aus dem Anfang des 30jähr. 
Krieges betreffend mit. Beiträge liefern W. Bernhard „zur Biographie des Lie— 
derdichterd Fohann Herrmann“, H. Jaekel „zur Geſchichte Hedwigs von Breslau 
und der Landgrafen Heinrich v. Altenburg und Friedrich ohne Land“ und K. Wein 
hold: „zur Entwidlungsgeihichte der Ortsnamen im deutſchen Schleſien“. Archivar 
Dr. Bfotenhaner jchlieht die Reihe der Abhandlungen mit feiner Arbeit: „Der 
del des Fürſtenthums Dels im 16. Jahrhundert“. — Aus den „archivaliſchen Mis- 
cellen führe ih an: „ein unbefannter Breslauer Biſchof“ von Petrzynski, „ein Uns 
terrichtöplan für jchleftihe Prinzen von 1601“ von Pfotenhauer und „zur Authentici- 
tätsfrage von Öttofars II. Broclamation an die polnischen Fürften vom J. 1678“ von 
Ulanowäfi, der geftügt anf eine in der Univerfitätsbibliothet von Krakau befindlichen 
Handichrift aus dem 15. Jahrhundert für die von Grünhagen (Schleſ. Reg. Nr. 1566 
und Geſchichte Schlefiens I. Anm. S. 36 Nr, 15) bezweifelte Echtheit eintritt. 


Codex diplomatieus Silesiae II. Bd. Schlefiens Münzgeſchichte im 
Mittelalter von Friedenburg. 


Der vorliegende Band enthält alle eigentlichen Münzbriefe, die noch zu er- 
mitteln geweſen find, und foldhe Urkunden, die jonft ihrem ganzen Inhalte nach von 
Wichtigkeit für die Münzgeichichte find. Die rechtzeitige Herftellung der zu dieſem 
Bande gehörigen 17 Tafeln mit Abbildungen konnte nicht bewerfitelligt werben, fie 
folleu mit dem im nädjten Jahre herauszugebenden zweiten Bande publicirt werden, 
welcher der Darftellung des ſchleſiſchen Münzweſens gewidmet fein wird. Die Ur- 
kunden 1—31 betreffen Sclefien im Allgemeinen, die von 32-109 nehmen Bezug 
auf die einzelnen Fürſtenthümer. Die vier legten Urkunden beziehen fi auf die zu 
Defterreich gehörigen Herzogthümer Teſchen, Troppau und Jägerndorf; der Heraus: 
geber hat fie der Magijtratursregiftratur in Zeichen, dem Stadtarhive in Breslau 
und einem Copialbuche in der Mufeums-Bibliothef in Troppau entnommen; fie find 
von Biermann in feiner Geihichte des Herzogthums Teſchen (S. 161 und 241) und 


—— 


in feiner Geſchichte der Herzogthümer Troppan und Jägerndorf (S. 391 und 392) 
bereits benützt worden, nur ſcheint ihm die im Breslauer Stadtarchive befindliche 
Urkunde vom 5. Juli 1475 unbekannt geblieben zu ſein. — 


Oettingana. Neuer Beitrag zur Oettingiſchen Geſchichte, insbeſondere 
zur Gejchichte des Dettingifchen Münzweſens von Dr. Wilh. Frei- 
herrn Röffelholz von Kolberg. Als Manufer. gedrudt; S. LX 
und 278. 


Ich zeigte im legten Hefte der „Mittheilungen” das „Fürſtenbergſche Urkunden- 
buch“ an nnd nun ift mir die Aufgabe geworben, die Leſer diefer Zeilen mit dem 
oben angeführten werthvollen Buche befannt zu machen, das jeine Eriftenz Seiner 
Durhlaudht dem Herrn Fürften Karl zu Dettingen-Wallerftein verbanft. 
Gleich den Fürften zu Fürftenberg find auch die von Dettingen ein uraltes ſchwä— 
biſches Geſchlecht, das aud in Böhmen reich begütert ift. Es verdient die volljte 
Anerkennung, daß die Häupter der beiden fürftlichen Häufer die unter ihrer Obhut 
befindlichen hiſtoriſchen Schätze wenigſtens theilweife der Deffentlichfeit übergeben, 
Schäße, die ja au für die Landichaften, in deren Gebiet ihre Befigungen waren 
und nod find, von größtem Werthe find; fie gehen in diefer Beziehung mit einem 
glänzenden Beifpiele vor, dag gewiß der Naceiferung auch der hohen Adels— 
geichlechter Böhmens würdig wäre, die in nenerer Beit in diefer Nichtung ſich eben 
nicht gar zu eifrig zeigten, 

Indem ich mich dem vorliegenden Buche wieder zumende, habe ich zu erwähnen, 
daß eine Abtheilung der fürftlichen Kunft und wiflenfchaftlihen Sammlungen aus: 
ichließlich der Oettingiſchen Hausgeſchichte gewidmet ift, ihr gehört unter andern aud) 
eine Sammlung Dettingifher Münzen und Medaillen an; der numismatiſche Katalog 
macht eben den Kern der vorliegenden Arbeit aus, welcher ſich der fürftliche Domänial- 
Kauzleirath und Arhivar Freihere von Löffelholz-Kolberg unterzog. Die VBorrede 
macht und mit der umfangreichen Literatur über das Fürftenhaus, über die Topo— 
graphie, die naturhiftorifchen WVerhältniffe der Dettingifchen Lande u. ſ. f. befannt; 
es ift eine Fülle gedrudter und handfchriftlicher Schriften angeführt und den Namen 
ihrer Verfaffer find biographiiche Skizzen und Bemerkungen über die größere oder 
geringere Wichtigkeit ihrer Arbeiten angefügt, jo daß die „Vorrede“ einem etwaigen 
jpäteren Gejchichtsjchreiber des Dettingifchen Hauſes und jeiner Lande ald unent— 
behrlicher Wegmeiler dienen wird, Zur Dettingiichen „Münzgefchichte” übergehend 
habe ich anzumerken, daß die erften Münzherren die Grafen Ludwig XI. und Fried» 
rich III. waren, die vom König Wenzel 1391 das Recht erhielten in ihrer Stadt zu 
Dettingen eine Münze zu haben und daſelbſt Münze mit Korn und Aufzahl zu 
ſchlagen wie andere Fürften und Getrene des Reiches, welche Münze haben. Friedrichs 
Sohn Ulrich, in zweiter Ehe mit Georg Podiebrads Muhme Barbara von Kunftat 
vermählt, beichränkte fi) auf die Prägung von Pfennige, bejonders auf die jogenannten 
„Schwarzpfennige”, die in großer Menge vorhanden find. Zu Anfang des 16. Jahr— 
hundertö wurde das Münzprivilegium auch auf die Goldprägung ausgedehnt und 
um die Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde das Oettingiſche Münzweſen ab- 
geſchloſſen. — In der „Münzgefchichte” gibt der Verf. urkundlich ficher geftellte hiſto— 


— — 


riſche Notizen über die einzelnen Münzherrn; im „Münzkatalog“ werden die Münzen, 
zuleßt die Conventionsthaler, die Eonventionsgulden, die Zwölfer, Sechjer und Kreuzer 
von 1759 beichrieben; im Medaillenfatalog werden die Denktmünzen des Hauſes im 
Ganzen 31 Stüd geihildert. Die „ardhivaliichen Beilagen“, neun an der Zahl, find 
werthvolle Beiträge zur Geichichte des Münzweſens; ſchließlich findet das Dettingifche 
Wappen eine eingehende Beichreibung und Erklärung. Der auf urkundlichem Material 
aufgebaute Stammbaum des fürftlihen Hauſes zeigt uns den um 1007 lebenden 
Reisgaugrafen Sieghard al? den Stammherrn des Gefchlechtes, das fih im Laufe 
der Jahrhunderte in einzelne Linien jpaltete. Das gelehrte Werk ſchließt mit etlichen 
Tafeln, auf denen Münzen, Siegeln und das Fürftenwappen abgebildet find. B. 


Joſef Emler: Libri confirmationum ad beneficia ecelesiastica 
Pragensem per archidionesim. Liber septimus ab anno 1410 
usque ad annum 1419. Pragae 1886. 


Es ift ſehr verdienftlich, daß der tichechifche hiftorifche Verein die Herausgabe 
der Prager Confirmationsbücder fortiegt. Die bewährte- Hand Emlers hat fich der 
NRedaction ſowie ſchon des jechiten, fo auch des vorliegenden fiebenten Buches unter: 
zogen. Dasjelbe beginnt mit dem 24. Mai 1410 und reicht bi3 Ende Juni 1419. 
Die Lücke zwiſchen dem jechften Buche, welches mit Ende April 1410 fchließt und dem 
fiebenten (Mai 1—24) erklärt ſich durch das fehlende Blatt im Originalcoder, Diefer 
ift zwar nicht erhalten, jondern die Edition erfolgte auf Grund einer Abfhrift aus 
dem Ende des XV. oder dem Anfange de3 XVI. Jahrhunderts; aber auch dem da- 
maligen Copiften lag der Originalcoder ſchon mit dem erwähnten Defect vor. Daß 
die Mangelhaftigkeit der Abichrift befonders für die richtige Schreibung uud Inter— 
pretation der Eigennamen große Schwierigkeiten bot, wollen wir dem Herausgeber 
gerne glauben. Dem Benüger des Buches wird eben in manchen Fällen die eigene 
entiprechende Emendation nicht erjpart bleiben. Tingls Vorgang in der äußeren 
Einrihtung, Anordnung und Eintheilung wurde aud) wie ſchon beim fechften fo aud) 
beim fiebenten Buche mit Recht beibehalten. — Noch eine Kleinigkeit: Wenzel Schulz 
lieferte die mübhjelige Arbeit de3 Inder für das 6, und 7. Bud. Er vermweift zur 
bejjeren Orientirung über die Ortönamen in eingeflammerten Ziffern auf den Palacky— 
ichen Popis, was ja für viele Fälle (nicht für alle) ganz zwedmäßig if. Im 6. Buche 
vermißten wir die Anmerkung zur Erklärung der eingeflammerten Ziffern. Diejelbe 
erfolgt nun im 7. Buche am Kopfe des Inder. Die Löjung des Räthſels ift aber 
nur zur Hälfte erfolgt. Denn während Titel, das Vorwort Emlers, ja jelbit das 
Inſerat des tichechifchen Geſchichtsvereins auf der Rüdfeite des Schlußdeckblattes in der 
internationalen lateiniſchen Sprache erjcheint, präfentirt fi jene Anmerkung zum 
Inder im tihehifchen Gemwande. Die Klammern bleiben alfo immer noch allen noch 
jo gelehrten Benützern, welche nicht tichechifch verftehen, Hieroglyphen. Ich muß an— 
nehmen, daß bier feine Abficht vorliegt; ed wäre zu kindiſch! L. S. 


— se 


F. &. Reidl: Beitrag zur Geihichte von Dur. 1866. (Dur, Scheithauer.) 


Die Anfpruchslofigkeit, mit welcher das Büchlein auftritt, und die Verwahrung 
de? Verfalfers im Vorworte „gegen das Anfinnen, daß dieſe jeine bejcheidene Arbeit 
für eine nad biftorifchen Begriffen gejchriebene Geichichte gehalten werden folle* — 
entwaffnet in vorhinein jedmwede ftrenge Kritif. Wir wollen aud eine ſolche nicht in 
Anwendung bringen und nur einiges aus dem Büchlein hervorheben, was der wirk— 
lichen willenichaftlichen Erörterung empfohlen jei. Die vornehmliche Quelle der Mit: 
theilungen unjeres Verfaſſers für die ältere Zeit bildet dad Gerichtsbuch von 1390, 
das fich erhalten hat. Die Eintragungen in demfelben bieten marncherlei Intereſſe. 
Das Durer. Schöppengericht erfreute ji) eines weiten Anfehens. Die Gerichtsipradhe 
ift die deutiche, die vorkommenden Perſonen- und Flurnamen find zumeift deutich. 
Schon zum Fahre 1390 wird eine deutſche Schule erwähnt. Die heute verſchwun— 
denen Ortihaften „Dünſlewiz“ und „KReilhban“ werden häufig genannt. Die 
Teihwirthichaft in der Umgebung von Dur fcheint frühzeitig eine ſehr ausgebreitete 
gemejen zu fein; insgleihen werden häufig Wein- und Hopfengärten erwähnt, Im 
Fahre 1426 wurde die Stadt von den Hufiten zerftört. Das Gerichtsbuch zeigt eine 
Lüde von 10 Jahren. Der Schusherr Markgraf Friedrih von Meißen beftätigte am 
25. (?) Juli 1438 im Felde vor Brür die alten Gerechtſame. Ein fchöner Brauch hat 
ſich nad) der Erzählung des Verfaffers an diefen Tag geknüpft. Die Durer hätten 
eine Stiftung gegründet, durch welche fi die Prahner Inſaſſen, auf deren Weide: 
grund das Zelt de3 Markgrafen gejtanden, als er das genannte Privilegiun ertheilte, 
verpflichteten, alljährlih im Juli auf jener denfwürdigen Stelle drei Kreuze in den 
Raſen hauen, und zu diefer Stelle pilgerten alljährlid am 25. Juli die dankbaren 
Durer in feierliher Proceffion — ein Brauch, der fich bis zum Ende de3 vorigen 
Fahrhunderts erhielt. Zu bemerken wäre nur, daß die Beftätigungsurfunde Friedrichs 
am Sonnabend nad St. Jakobstag datirt ift, welches Datum für 1438 nicht auf 
den 25. jondern den 26. Juli fällt. - 


Am Sabre 1459 fiel Dur an Böhmen zurüd. Als Schutheren finden wir die 
Sulewite bis zum Fahre 1529, in welchem die Lobkowitze die Schusherrichaft erlangten. 
Seit 1642 befindet fi die Herrſchaft Dur im Beſitze der Waldfteine. Ueber den 
dreißigjährigen und fiebenjährigen Krieg, über die Jahre 1813 und 1866 bringt das 
Büchelchen ganz intereffante Nachrichten. Aus eigener Anſchauung berichtet der Ver— 
faffer iiber den riefigen Aufſchwung des Kohlenbergbaues in den Jahren 1870 und 
1871. Er jchreibt unter andern über die Einwanderung der fremden Arbeiter: „Zum 
Bau der Bahnen und zur Errichtung mehrerer großer Kohlenwerfe wurde eine be— 
bentende Anzahl von Arbeitern in Dur benöthigt, welche durch Zeitungsannoncen und 
Agenten geworben, denn auch in großer Menge bier anfamen. 3 etablirte fi für 
die Folge in Dur eine echt Falifornische Wirthihaft. Da die beftehenden Wohnhäufer 


den Andrang der Arbeiter nicht aufzunehmen im Stande waren, wurden in der Eile . 


proviforifche Holzbarafen errichtet und al3 auch diefe unzureichend waren, wühlten ſich 
die neuen Anfömmlinge Löcher in die Erde und führten bier, unbehelligt von Mieth- 
zins und Meldungsvorjchriften, ein echtes Troglodytenleben. Noch andere zogen e3 
vor, die ftet3 brennenden und rauchenden Löihhalden als Schlafftätten zu benüßen, 
und ift es um diefe Zeit nicht felten vorgefommen, daß im einer einzigen Nacht 
mehrere diefer Schläfer durch den Kohlenrauch erftidt und durdy das in der Halde 
fortglimmende Feuer verbrannt waren. Am Sonntage und an dem vorhergegangenen 


- 80 — 


Lohntage kamen dieje Höhlen: und Baratenbewohner in die Stadt, um den reichlich 
verdienten Lohn jobald ald möglich durdygubringen. Dann wimmelten alle Verkaufs: 
läden und Wirthshäuſer von Arbeitern, und in entlegenen Schenfen wurde um hohen 
Einſatz gejpielt, wobei manchmal die Meffer blitten und arge Naufhändel an der 
Tagesordnung waren. Die ftädtifche Polizei hatte damals eine jchwierige Aufgabe 
und mußte manchmal zu Streifzügen in das Barafenrevier die Afliftenz einiger Mit- 
glieder des bewaffneten Schützencorps nachſuchen. — Da bei einigen Durer Kohlen- 
werfen der compalte Kohlenkörper auf manden Stellen kaum zwei bis drei Meter 
unter dem Dedgebirge gelagert war, jo wurden die Erdabhubarbeiten an Unternehmer 
verpachtet, welche leßtere aber eine Menfchengattung nach Dur brachten, wie fie hier 
vordem nie gejehen worden war. Halbnadte verwahrlofte Geftalten, die von Unger 
ziefer jtrogend, vom übermäßigen Branntweingenuß aufgedinien, im Sommer und im 
Winter barfuß gehend, ein gräßliches Bild menſchlicher Verkommenheit boten. Das 
an Lohntagen empfangene Geld trugen die Abräumer, fo wurden diefe bedauerns- 
werthen Menfchen hier genannt, nur ftet3 in der Hand, da fie in den ihren Körper 
bededenden Lumpen feine Taſchen hatten, und trachteten das jauer verdiente Geld 
baldbmöglichit gegen Branntwein und Pferdewürjte umzuſetzen. Nachdem in ber 
Folge die jeicht liegenden Kohlenflöge abgebaut worden waren, ift auch die Species 
der Abräumer wieder aus dem Weichbilde von Dur verfhwunden.“ 

In einem zweiten Theile bringt der Verfafler Auszüge aus dem ſchon genannten 
Gerihtsbuhe (1390— 1533) und im Anhange ein cdronologisches Verzeihniß der 
Durer Bürgermeiſter von 1390 bis heute. Von der tſchechiſchen Schule in Dur, die 
doch in öffentlichen Blättern jo oft zur an gelangte, erfahren wir jonderbarer 
Weiſe nicht ein Wort. S. 


Alfred Hilgard: Urkunden zur Geſchichte der Stadt Speyer. Dem 
Hiſtoriſchen Verein der Pfalz zu Speyer gewidmet von Heinrich) 
Hilgard-Billard. Straßburg 1885 Trübner. 


Dieſes prachtvoll ausgeftattete Urkundenwerk verdankt fein Erjcheinen „der 
Munificenz de3 durdy feinen großartigen Unternehmungsgeift und durch feine nad den 
verichiedenften Richtungen hin bethätigte mehr als fürftliche Freigebigfeit diesſeits wie 
jenſeits des Oceans wohl bekannten Herrn Heinrich Hilgard- Billard“, eines 
geborenen Speyrer, welcher die Koften der Herausgabe großmüthig jpendete. Das 
Werk bringt den urkundlichen Vorrath der Stadt Speyer und benachbarter Archive 
bi3 zum Fahre 1349, in welchem nah endgiltiger Bejeitiguna der patrizifchen Vor: 
rechte die Stadtverwaltung auf rein zünftıger Grundlage eingerichtet erſcheint. Selbit- 
verftändlich werden nur die öffentlichen Urkunden vollftändig gebracht; Privaturkunden 
fanden nur in bejonderen Fällen Aufnahme. Auch das bereit? Gedrudte wurde mit 
Recht herangezogen. Ueber jeine urtundlichen und handichriftlicden Borlagen, ſowie über 
die angewandten Principien der Textkritik fpricht fich der Herausgeber in der Vorrede 
eingehend aus. Bezüglich der letteren weicht er von den jest allgemein üblichen 
Regeln im Wefentlihen nicht ab. Große Sorgfalt und Gewiljenhaftigkeit kann dem 
Herausgeber nadgerühmt, und es darf wohl die volle Verläßlichkeit des Gebo— 
tenen angenommen werden. Im Ganzen werden uns 536 Urkunden vorgeführt. Die 


ältefte um das Fahr 653 ift eine Gonfirmation Stegbert II. von Franken, gegeben 
der Speyrer Kirche, betreffend den berrichaftlichen Zehnt im Speyergau. Es folgt 
eine zweite aus dem VII. Zahrh., eine aus dem VII. (Karl d. G.), 4 aus dem X. 
5 aus dem XL, 10 aus dem XII. Jahrh. u. f. w. Ein Auhang bringt noch 8 größere 
Uctenftüde, Ein forgfältig bearbeitete Regiſter erleichtert die Beuützung des 
umfangreichen Bandes. Der Freiheitsbrief Kaifer Friedrihs I. vom 27. Mai 1182 
ift im Faximile beigegeben. 

Ein reichhaltiges wohlgefichtetes urkundliches Materiale liegt den Localforichern 
von Speyer vor. Aber auch die Gefchichte der benachbarten Städte, der ganzen Pfalz 
wird ihren entiprechenden Nuten aus dem Werke ziehen fünnen, Cine große Aus: 
beute wird ſelbſtverſtändlich der Eufturhiitorifer gewinnen; ich möchte befonders auf 
das Zunftwejen, die alte FJudengemeinde von Speyer (au) von Worms), auf die 
mannigfachen inneren ſtädtiſchen Einrichtungen und dergleichen aufmerkjam machen. 
Der Namenforjcher darf nur den geordneten Inder überbliden, um manche werth- 
volle Entdedung zu machen. Ja jelbit die allgemeine Kaifergeichichte findet ihre 
Bereicherung. So wird uns 3. B. in Nr. 520 zum 2, April 1349 ein Confirmations- 
brief Karla IV. mitgeteilt, welchen wir in den Huberſchen Negeften nicht finden. 

L. S. 





Dr. W. Rogerowesfy: Die meteorologiihen Aufzeichnungen des Leit— 
meriger Nathsverwandten Auton Gottfried Schmidt aus den Jahren 
1500 bis 1761. Brag 1887. (Domimnifus.) 


Aus der Ehronif Schmidts (F 1762) theilt der auf dem Gebiete der Leitmeritzer 
Hiltoriographie rührige Verfaffer eine weitere Folge meteorologiſcher Beobachtungen 
mit, welche nicht bloß ein locales Intereſſe zu erregen geeignet find. Große Dürre 
und Kälte, Regen und Schnee, Gewitter und Sturm, Eisgänge, Hochwaſſer, Ueber— 
ſchwemmungen, Kometen, Nordlicht:r, Erdbeben, Heujchreden und Maifäfernoth u. ſ. w., 
Alles was an Natnrereigniffen ſich bemerfenswerthes im genannten Zeitraume in 
Leitmerig und Umgebung ergab, wird uns in hronologisher Ordnung vorgeführt. 
Uber auch über gute und fchlechte Fechſungsjahre, namentlih in Bezug auf Wein, 
Obſt und Getreide werden wir unterrichtet, und geftaltet fih die fortlaufende Angabe 
der Wein: und Getreidepreife recht lehrreich Erdbeben wurden in Leitmeritz 
beobachtet am 2%6. März 1511, am 15. September 1590 und am 4. December 1690; 
am 28. Februar 1761 gegen 8 Uhr Abends „war ein Nordſchein in Form einer 
jehr lichten fpisigen Säule zu ſehen“. Ein Sad: und Ortsregifter erleichtern die Be- 
nügung der ſchätzenswerthen Publication, deren Verfaſſer wir noch recht oft mit deu 
Ergebniſſen feiner gründlichen Iocalen Forihungen zu begegnen hoffen. L. S. 


Serdinand Thomas: Taunwald und Umgebung. 1837. (Berl. J. Fritiche 
in Reichenberg und Tannwald.) 


Das Büchelden hat den Zweck, dem Fremden, der nah Taunwald konnt, 
alles Wilfenswerthe über diefen Ort und deilen Umgebung mitzuteilen. Es will 
eine Art Meiner Bädecker fein und erfüllt nach diefer Richtung vollftändig ſeinen 

7 


— 82 — 


Zweck. Bemerkungen über Bevölkerungs-, Erwerbs- und Verkehrsverhältniſſe, hiſtoriſche 
Nachrichten fiuden ſich in der knappſten Form vereinigt. Bon Tannwald aus ſelbſt 
werden wir angeregt zu Spaziergängen nad) Swarow mit der großartigen Fabriks— 
anlage Liebigs, nah Tiefenbad und Unterpolaun in welchen landſchaftlich 
ſchön gelegenen Orten uns zugleich Gelegenheit geboten wird, die Glasinduſtrie im 
Großen und Kleinen zu ſtudieren (Joſef Riedel, Ferdinand Unger und Johann Umann). 
Ron Tiefenbach zweigt ein prächtiger Weg nad Deijendorf, dem Ausgangspunkt 
der altkatholiihen Bewegung des Jiergebirges, ab. Wir werden ferner unter aller: 
hand nützlichen Winfen nad) Morhenftern, Albrehtsdorf, Prichowitz bis 
zum idylliſch gelegenen Wurz elödorf geleitet und auf die hervorragenderen Aus— 
fichtspunkte des Gebirges geführt. Wenn auch mur flüchtig, aber doch verſtändlich 
weift der PVerfaffer auf das Vordringen der tihehiihen Nationalität in Reiditz, 
Böhm.-Schumburg und Polefchnig bin. Perfonalien über Tannwald und Reiſeregeln 
ichließen das Werkchen, dem ein praktiſches Orientirungslärtchen beigeſchloſſen iſt. 
Alten Einheimiſchen, ſowie namentlich den in der Gegend verkehrenden Freinden ſei 
dasſelbe beſtens empfohlen; die Nachrichten find durchweg verläßlich. LS. 


Quellen zur Gedichte der Stadt Kronftadt in Siebenbürgen. Heraus: 
gegeben auf Koften der Stadt Kronftadt von dem mit der Herausgabe 


betrautem Ausſchuſſe. 1. Band. Kronjtadt. Römer u. Kammer 1886. 
(776 Seiten.) 

Dieſes höchft verdienftvolle Werk, veranlaßt durch die Stadtvertretung von 
Kronftadt, ſoll alle Geſchichtsdenkmäler zur Veröffentlihung bringen, welche auf die 
Geſchichte der Stadt Bezug haben und die im ftädtifchen Archiv ſowie im Befig von 
Einzelnen und Körperſchaften find. Die Profefforen des k. evangelijhen Gymnaſiums 
nebſt zwei Würdenträgern des Magiſtrats Schnell ſpäter Boyer und Mayer find die 
mit der Herausgabe betrauten Männer. Der erfte Band enthält „Rechnungen aus 
dem Archive der Stadt Hermannjtadt und ber fächftichen Nation“. Ein genaues Ver— 
zeichniß der Ortö- und Perjonennamen fowie ein lateiniſches und deutiches Gloſſar 
erleichtern den Gebraud). Drei Tafeln geben die Wafferzeihen und Schriftproben. 
Die Rechnungen beginnen vom Jahre 1503 und gehen bis zum Jahre 1526 incl. 
Solche gründliche Vorarbeiten für eine künftige Gefchichte der Stadt Kronftadt müſſen 
vorangehen, wenn wie Dr. Eugen von Trauſchenfels fagt, eine Monographie würdig 
der Stadt hergeftellt werden foll. „Welch unfhätbare Daten von photographiſcher 
Treue in denfelben enthalten find“ hat der genannte Gelehrte in feinem Vortrag über 
Krouftadt zur Zeit des Fürſten Stefan Bäthori und Michael Apafi, ſowie Biſchof 
Dr. Teutſch in feinem Vortrage über Honterus und Kronftadt nachgewieſen. Das 
Bedürfniß nach umfaffender und treuer Einzeldarftellung der Geſchichte Kronftadts, 
jagt die Vorrede, hatte fic ſchon bei der Vertheidigung ber ftädtifchen Privatrechte 
wiederholt fühlbar gemacht. Es wurde in Folge der Schmähungen nationaler Gegner 
in der Stadtvertretung Kronftabt3 ber Entihluß gefaßt, einen Preis für Abfaffung 
der Geſchichte Kronſtadts auszuſchreiben. Aber ein ſolches Preisausſchreiben wäre 
erfolglos geweſen. Senator von Trauſchenfels zeigte die richtige Bahn, die zwar 
laugſam aber ſicher zum Ziele führt; es wurden ſeit dem Jahre 1876 nicht unbedeu— 


— 88 — 


tende Summen in den ſtädtiſchen Jahresvoranſchlag zur Herausgabe der ſtädtiſchen 
Geſchichtsquellen eingeftellt. Dem Fleiße und der geordneten Gejammtthätigfeit der 
Profefforen de3 Gymnaſiums und den oben genannten Männern verdankt der ftatt- 
liche 1. Band fein Erfcheinen. Auch hier eine fchwere Kampfarbeit für die Erhaltung 
wenigftend des Andenfens an die ehrenvolle Vergangenheit. Wir fünnen nur dem 
Wunfche der Herausgeber zuftimmen: Es mögen gütige Mächte über den Fortgang 
diefer Arbeit wachen. —r. 


Dohemica 
aus periodifchen Beitfchriften, Jahrg. 1886. 


Arhiv für öſterreichiſche Geſchichte. Herausgegeben von der faif. 
Akademie der Wiffenfchaften in Wien. Band 67 und 68. 


67. Band. J. Huemer: Rhythmus über die Schladht auf dem Marchfelde 
(1278). ©. 183. — 68, Band. F. Tadra: Cancellaria Johannis Noviforensis, 
episcopi Olomucensis 1364—1380. ©. 1. — 4. Lewidi: Ein Blid in die Politik 
K. Sigmunds gegen die Polen in Bezug auf die Hufitenkriege (feit dem Käsmarker 
Frieden). ©. 327, 


Neues Archiv für ſächſiſche Gefhihte und AlterthHums- 
funde. Herausgegeben von Dr. Hubert Ermiſch. 7. Bd. Dresden. 


Gaedeke: Zu den Berhandlungen Wallenfteins mit den Schweden und 
Sadjen 1633. ©. 156. — Rnothe: Die Kragenihe Fehde S. 216. — Gaedeke: 
Aus den Papieren des kurſächſ. Generallientenant3 Hans Georg v. Arnim 1631—34. 


Arhiv für flavifche Philologie. Herausgegeben von V. Yagit. 
IX. Band. Berlin. 
3. Knieſchek: Die tſchechiſchen Marienklagen. ©. 36. 


Hiftorifch politifche Blätter. Herausgegeben von E. Jörg und 
Fr. Binder, München. 

97. Bd. Deutiche und Tſchechen in der Vergangenheit und Gegenwart. ©. 48, 

199, 259. — Die beiden Slavenapoftel ald Bekehrer von Böhmen. Eine Entgegnung. 


S. 1%. — 8. Band: Fürft Alfred Windiih-Gräs und Graf Leo Thun in den 
Prager Junitagen 1848, 


Der deutjhe Herold. Zeitichrift für Heraldik, Sphragiftif und 
Genealogie. Organ des Vereins Herold in Berlin. XVII. Jahrgang. 


% Zeige: Beiträge zur Geſchichte der Kinsky-Tettauiſchen Familie. ©. 75. 
7* 


— Sn 


Jahrbuch der E E heraldiſchen Gejellihaft „Adler“ im 
Wien. XII. Jahrgang des Yahrbuches. Wien. 


Heinrih Gradl: Zur älteften Geſchichte der Schlid. S. 1. — F. Teige: 
Blätter aus der altböhmijchen Genealogie. S. 9. 


Jahrbuch der Geſellſchaft für die Geſchichte des Prote- 
jtantismus in Defterreich. VII. Jahrg. Wien und Leipzig. 


Rob. Leidenfroft: Die Eheordnung des böhmischen Landtages von 1609 
bis 1610, ©. 157. — Th. Molnar: Die Erecntion zu Prag im Jahre 1621. 1. 
©. 174. — oh. Scheuffler: Der Zug der öfterreihifchen Geiftlihen nad und 
aus Sachſen. I. (Forti.) S. 188. 


Jahrbücher und Jahresberichte des Vereines für mellen- 
burgifhe Gejhichte und Alterthbumsfunde. 51. Yahrgang. 
Schwerin. 


W. Rogge: Wallenftein und die Stadt Roſtock. S. 283. 


Neues Lauſitziſches Magazin Im Auftrage der Oberlauſitziſchen 
Geſellſchaft der Wiſſenſchaften. 62. Bd. Görlitz. 


Edelmann: Der Rückgang des Landes Budiſſin aus der Brandenburgiſchen 
an die böhmiſche Herrſchaft anno 1319. S. 79. — Sauppe: Geſchichte der Burg 
und bes Cöleſtinerkloſters Oybin. ©. 88. — U Moſchkau: Die Burg Karlsfried 
bei Zittau. ©. 111. — 9. Knothe: Wie Seifhennersdorf zur Oberlaufig gejchlagen 
wurde. ©. 286. — Derjelbe: Wie die Burg Karlöfried und die Zittaner Vogtei 
für die Krone Böhmen reclamirt werden follte. ©. 288, 


- Mittheilungen der. f. Central: Commijjion zur Erforjchung 
und Erhaltung der Kunjt: und hijtor. Denfmale. XI. Bd. Wien. 


U. Weber v. Ebenhof: Holzkirche zu Huttendorf (bei Starfenbad) ©. 1. 
— E. Wernide: Urkundliche Beiträge zur Prager Künftlergefhichte. S. VII. — 
Zur Kunde mittelalterlicher Städtefiegel (au Böhmen). S. X. — E. Wernide: 
Beiträge zur Ki eäichifchen Künftlergefhichte aus Geſchichtsquellen ſchleſiſcher Pro— 
vpincialftädte, S. LI 


Mittheilungen des Nordböhmiihen Excurſions-Clubs. 
Nedigirt von N. Paudler und J. Müngzberger. IX. Jahrg. Zeipa. 


Heine R. v. Kopes: Gut Sufohrad und jeine Beſitzer 1696—1802. ©. 1. 
— A. Paudler: Aus dem Zeitalter Wallenfteins. ©. 9, 110. — Derjelbe: Die 
Botenmaner bei Schönau. ©. 37. — Derjelbe: Wälſche Baulünftler in Nord— 
böhmen, ©. 140. — Derjelbe: Aus dem Gedächtniſſe. ©. 185. — Derjelbe: 
Das rothe in Keipa. ©. 215. — Derielbe: Aus dem Hohenelber Klofter- 
gedenkbuche. ©. 219. — Derjelbe: Das Aufha Wernftädter Urkundenbuch. ©. 257. 


— 35 — 


— 9. Knothe: Die ritterlihe Familie Kucbloeh auf Warusdorf. S. 16. — 
NR. Müller: Ein Fund und eine Mahnung. ©. 19. — J. Neumann: Der 
Kattundrud in Wernftadt. ©. 21. — R. Lahmer: Induſtrielle Briefe aus Nord— 
böhmen. ©. 44, 143. — W. Hiefe: Meiftersdorf. S. 48. — Derjelbe: Die Be- 
fiter von Markersdorf. S. 07. — W. Künftner: Sagen vom Podhornberge. 
S. 49. — W. Katzerowsky: Leitmeriß in dem Sriegsiahre 1756. ©. 97. — 
A. Sedlacek: Verfchollene Namen. ©. 105. — F. und A. Kunze: Deutjche 
Volksſagen. ©. 124. — 4. Baudler und F. Dreßler: Abentenerliche Briefe. 
©. 134. — W. Bayer: Anton Richter aus Leipa. ©. 148. — A. W. Stellzig: 
Die Stadt Kreibig im fiebenjährigen Kriege. S. 177. — Ortörepertorium des Dau— 
baer Gerichtsbezirkes. S. 193. — U Wiskotſchil: Sagen aus dem Elbethale. 
S. 19. — 3. Teige: Lofes zur Geſchichte der Stadt Keipa. ©. 212. — Sagen 
aus dem Niederlande. S. 367. — J. Bed: Heimiſche Städtewappen. ©. 272. — 
WR. Stellzig: Von Leipa über Kamnis und Kreibig nad Zittau. S. 290. — 
Fr. Bernau: Die Hut: und Wactberge. S. 297. 


Mittheilungen des Juſtituts für Öfterreihiihe Geſchichts— 
forſchung. Nedigirt von E. Mühlbacher. VIL Band. Innsbruck. 


Lindner: Ueber die bei der Abjesung des Königs Wenzel verlefenen Artikel. 
©. 340. — Mayer: Zur Geidichte des fiebenjährigen Krieges. I. Zwei Berichte 
über die Schladht bei Kolin, IT. Zum Rüdzug der Preußen aus Böhmen II. 
Die Eroberung der Stadt Zittau. ©. 378. — Buſſon: Berfprehungen des 
Markgrafen Otto II. von Brandenburg an DOttofar von Böhmen betreffS der 
römischen Königswahl 1262. — ©. 636, 


Mittheilungen des kak. Kriegs: Arhivs. Jahrg. 1886. Wien. 


Zwiſchen Donau und Elbe. Skizze der Kriegsbegebenheiten in Oftböhmen im 
18. Sahrhunderte. S. 1. — Dunder: Beiträge zur Gefchichte des erſten ſchleſiſchen 
Krieges 1741. ©. 113. 


Mittheilungen aus dem germanifhen Nationalmujeum. 
I. Band. 3. Heft. Jahrgang 1886. 
9. Löſch: Ein Kunftreiter producirt fih vor Kaifer Rudolf II. im J. 1588 
zu Prag. 
Altpreußiſche Monatsjchrift neue Folge. Herausg. von H. Neide 
und E. Wichert. XXI. Bd. Königsberg. 
V. v. Keltſch: Der baterifche Geograph. S. 505. 


Ungarijhe Revue. Herausgegeben von B. Hunfaloy u. ©. Heinrich. 
6. Jahrgang. Budapeft. 
©. Borovßfy: Pie Urgeichichte der Langobardeu. S. 184. 


— Be 


Das Niejengebirge in Wort und Bild. Herausgegeben vom 
Öfterr. Niefengebirgs-Vereine. Heft 19—22. - 
F. Knothe: Die jchlefiijhe Mundart in Nordböhmen. (Fortf.) ©. 1, 34, 59, 


91. — U Halmwinger: Weber den lateinifchen Namen des Riefengebirges, ©. 13. 
— R. Möchel: Nahrichten über die Bolfsihule in Ober-Rodlig. ©. 21. 


Verhandlungen des hiftorijhen Vereins von Oberpfalz 
und Regensburg. 40. Band. Stadtamhof. 


W. Neumann: Der Regensburger Dombaumeifter Wenzla und fein Ge- 
ihledt. ©. 243. 


Bierteljahresfhrift für Gejhihte und Heimatsfunde der 
Grafſchaft Glatz. VI Jahrg. Heft 1—3. Habeljchwerdt. 
Volkmar: Georg von Podiebrad und die Greiguiffe feiner Zeit im Glager 
Lande. ©. 177. 


Arhivalifhe Zeitfhrift. Herausgegeben von F. von Löher. 
XI. Band. München. 
J. Teige: Eine alte Nachricht über das Archiv von Rarlftein. S. 315. 


Zeitſchrift für Kirchengeſchichte. Herausgegeben von Th. Brieger. 
VII. Band. Gotha. 


J. Gottſchick: Hug’, Luther! und Zwinglis Lehre von der Kirche mit Rück— 
fiht auf das zwiſchen benfelben beftehende Verhältniß der Verwandtſchaft oder Ab— 
hängigfeit. ©. 345, 543. 


Zeitfchrift für Fatholifhe Theologie. Redigirt von J. Wiefer 
und 9. Grijar. X. Band. Innsbruck. 


J. Smwoboda: Die Kirhenfhliefung zu Kloftergrab und Braunau und die 
Anfänge des 3Ojährigen Krieges. S. 3855. — 9. Grifar: Vaticaniſche Berichte 
über die Proteftantifirung und die fatholifhe Reftauration in Böhmen zur Zeit 
Ferdinands II. ©, 722, 


Beitfchrift des Vereines für Geſchichte und Alterthbum 
Schlejiens. Herausgegeben von C. Grünhagen. Breslau. 


19. Band. W. Milkowitſch: Ueber die Zeit des gütlichen Uebereinfommens 
zwiſchen R. Fohann von Böhmen und Herzog Johann von Steinau. S. 307. 

20. Band. Th. Löſchke: Die Bolitif K. Ottofars II. gegenüber Schlefien und 
Polen, namentlih in den legten Jahren jeiner Regierung. S. 97. — J. Krebs: 
Die erften Winterquartiere der Waldfteiner in Schlefien. S. 297. 


—— 


(In tſchechiſcher Sprade:;) 


Athenaeum. Blätter für wiſſenſchaftliche Literatur und Kritik. Haupt: 
Redacteur: %. G. Maſaryk. II. Jahrg. Prag. 


%. Gebauer: Nothwendigkeit weiterer Unterfuchungen der Königinhofer und 
Grünberger Handicrift. — (Von Verfchiedenen:) Materialien zu einer wiſſenſchaftlichen 
Beurtheilung diefer Handichriften. 


Casopis musea krälovstvi deskeho. (Zeitfhrift des Fön. böhm. 
Muſeums.) Redacteur: J. Emler. 60. Jahrg. Prag. 


K. Jirecef: Der ferbifhe Zar Uroſch, König Vukaſchin und die Ragufaner. 
S. 3, 41. — J. Trublat: Sigismund Gelenius, fein Leben und feine wiſſen— 
fchaftlihe Thätigfeit. ©. 27, 210. — F. I. Zoubek: Komenskys theologiihe Pole- 
mifen. V. VI. ©, 48, 396, 449. — A. Trublat: Tſchechiſche literarifche Arbeiten 
des Mathebaeus Bohdanechy. S. 70. — F. Tadra: Johannes Nopiforenfis, Kanzler 
Raif. Karls IV. ©. 85, 276. — W. W. Zeleny: Thomas Peichina von Czechorod. 
©. 102, 331, 554. — J. Goll: Die Brüdergemeinde im 15. Jahrhundert. ©. 121, 
297, 468. — Ad. Batera: Im Mufenm befindliche Bruchſtücke eines altböhmischen 
Pſalters etwa aus dem Anfang des 14. Ihdts. ©. 129. — ©. Winter: Stabt und 
Kreis Rakonitz während des 3Ojährigen Krieged. ©. 235. — W. W. Tome: Zur 
Erklärung des Gedichtes von Oldrih in der Königinhofer Handicrift. S. 357. — 
$. Soll: Einige Worte ald Antwort (auf vorftehende Abhandlung). S. 6083. — A. 
Rezek: Eine Jeſuiten-Komödie zur Verherrlichung des Kaiſers Mathias vom J. 1617, 
©. 388. — J. Emler: Nod einige Briefe Joſef Jungmanns an Anton Maref. 
S. 433. — M. Hattala: „Pavlak“ in Dalimild Chronik. ©. 444. — N. PBatera: 
„Bom Leiden Chrifti.“ Altböhmifches Neimwerf aus dem 14. Fahrhundert. ©. 582, 


Pamätky archaeologieke a mistopisne. (Archäologifche und 
topograpbijche Denfmaler.) NRedacteur: Johann B. Miltner. 
XII. Theil, 4.—8. Heft. Prag. 


K. Cermäk: Kreuze aus Gräbern in der Kirche zu Bratſchitz. ©. 145. — 
K. Ehytil: Entwidelung der Miniaturmalerei unter den Königen aus dem Haufe 
Luxemburg (Fortf.). S. 151, 207, 311, 361. — 3.8. Miltner: Bartholom. Prokops 
Deukwürdigkeiten von Wolin (Forti.). ©. 163, 255, 315. — Derf.: Wie viel wog 
eine altböhmishe Mark. ©. 169. — T. Bilek: Zuftand der Pfarreien 1650—2 im 
Chrudimer, Königgräßer, Bunzlauer, Schlaner und Saazer Kreiſe ꝛc. ©. 177, 263, 
325, 867. — M. Lüffner: Bydzower Flügelaltar. ©. 181. — Derſ.: Mrtnik und 
Komarow. ©. 279. — Böhmifche Denare unter audländifhen Yunden. ©. 185. — 
Aug. Rofina, der Verfaffer der Denkwürdigkeiten von Schlan. S. 190. — Fleiſcher— 
ordnung von Chrudim. S. 191. — Desgl. von Neuhaus, ©. 287. — J. Smoltf: 


er AB 


Gußformen für Bronzegegenftände, gefunden zu Swolinowes. S. 193. — Desgl. von 
Hoftomis. ©. 331. — Derf.: Fund böhmischer und böhmiſch-mähriſcher Denare bei 
Rakwitz in Mähren. ©. 289, 337. — Derſ.: Grab zu Onxetz. ©. 321. — U. Ry— 
bicka: Beiträge zu einem biographiichen Lerifon der böhmiſchen Maler. S. 225. — 
J. Teige: Genealogiſche Beiträge. ©. 229. — F. Pruſik: Alte tichechiiche In— 
ichriften. ©. 269. — Fr. Yepat: Proceſſe des Jeſuiten-Collegiums zu Gitichin. 
©. 271. — Fir. Leger: Grabhügel unterm Tuhoſcht. ©. 217. — F. Rychli: Der 
Maflenfiind von Krtenow. Nachträge. ©. 238, 2856. — E. Leminger: Burgftätte 
oberhalb der Eimburf- Mühle bei Kuttenberg. S. 341. — Prähiſtoriſches Grab bei 
Rzehnitz. ©. 283. — Gräberftätte bei Radonis. S. 284. — Ein Czaslauer prähiſto— 
riiher Fund. ©. 334. — Bronze-Fund bei Ritihen. S. 331. — Grabhügel auf dem 


— 


Huſſin bei Klattau. S. 332. 


Sbornik historicky. (Hiſtoriſches Magazin). Herausgeber und 
Redacteur Anton Rezek. IV. Jahrgang. Prag. 


Fr. Wacef: Kirchliche VBerhältniffe in Südböhmen zur Zeit des 30jährigen 
Krieges. ©. 1, 85, 142, 215, 257. — 3. Janousek: Das Stadtarchiv zu Teltſch 
in Mähren. ©. 6, 111, 175, 240, 263. — Fr. Ramentief: Die Betheiligung der 
Mährer an den Türkenkriegen von 15236—1568. S. 15, 65, 157, 193, 271. — Ders 
felbe: Die Erpedition des Erzh. Ferdinand zum Entſatz de3 von den Türken be- 
lagerten Sziget 1556. ©. 321. — 3. Tenora: Die Linie Kunftatt-Statehow. ©. 30. 
— J. V. Novak: Sechs hiftoriiche Predigten des Priefters Gallus Zalanſkh. ©. 46. 
— U Rezek: Cyrilliſch-methodiſche Nachklänge. S. 57. — Derfelbe: Zur Bio- 
graphie Daticlys von Heslowa. ©. 185. — Derſ.: Zwei Beiträge zur mähriſchen 
Geſchichte. S. 371. — Deri.: Vertrag über Schloß Niefenberg (1497). ©. 372. — 
F. Bernau: Noch etwas über den Tod des Georg von Loblowis. ©. 59. — ©. 
Zibrt: Ueber die tſchechiſche Poftille des Prieſters Martin Philadelphus von Zämrsk. 
S. 77, 149. — 3. Simek: Baul Stransfy3 „Respublica Bojema*. ©. 93, 134. — 
Derjelbe: Wie die Huttenberger 1529 gegen die Türken rüfteten. S. 310. — Der: 
jelbe: Die Betheiligung der Kuttenberger am Türkenkriege 1532. ©. 376. — Fr. 
Snopek: Die pannonifchen Legenden und der Mönd Chrabr. S. 129. — K. Köpl: 
Ueber einige altböhmiiche Mathe. S. 184. — Derjelbe: Contract über den Ban der 
Kirche in Wodnian vom 3. 1584. ©. 187. — 2. Domeifa: Ueber die Herkunft der 
Witkowitze. ©. 206, 254, 342. — Derjelbe: Schrieb ſich Zawiſch Witkowetz nach dem 
bairiſchen Falkenftein? S 309. — K. Nowäk: Beiträge zur nähern Keuntniß der 
Schriften Huffens und jeines Lebens. ©. 222, 301, 332. — V. Praſek: Nothwen- 
digfeit der philologishen Methode bei der Erklärung von Ortönamen. ©. 251. — 
%. Vävra: Das landtäflihe Gut Kbel. ©. 264. — Fr. Tiiher: Schreiben des 
Grafen Wilhelm Slawata an den Grafen Jaroslam Borita von Martini und dejjen 
Sohn vom J. 1635. ©. 352. — E. Zibrt: Thomas Reichel von Neubaus. S. 234, 
298, 881, W. Hieke. 


"8. f. Hofbuchdruckerei N. Hanfe, Prag. — Selbitverlag. 


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