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Full text of "Studien zur DescendenzTheorie"

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HARVARD UNIVERSITY 




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OF THI 

MUMUM OV OOIiPABA,nVB SOfiLOOT 



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STUDIEN 

ZUR 

DESCENDENZ-THEOßlE. 



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STUDIEN 

ZUR 

DESCEjSDENZ-THEOßlE. 



L 

U£B£R DEN 

SAISON.DlMOßPHISMUS 

DER 

SCHMETTERLINGE 

VON • 

AUGUST WEISMANN, 

PBOFCSSOB IX F&EIBUBG i. Bb. 



MIT ZWEI FARBENDRUCKTAFELN. 



LEIPZIG, 

V£BLAÜ VON WILHELM ENGELMANN. 

1875. 



(S^Murttr-Abdmek txu dan Aiuttli del Mtueo CSvieo dt Qmunn Vol. VI.) 



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VORWORT. 



Ai« ich mir vor einer Beihe von Jahren die Au%abe 
stellte, die noch ^enig beachtete Erscheinung des Saison- 
Dimorphismus einer eingehenden Untersuchung zu unter- 
werfen, bestimmte mich dazu nicht blos das Interesse, 

welches sich an die Auflösiinjj; eines jeden Ratlisels in 
den Natui'erstheinungen knüpft, .>undeni ich glaubte, es 
müsse möglich sein, von diesem Punkte aus einen Schritt 
vorwärts zu thun in der Frage nach der Umbildung der 
Arten. 

Wenn es gelang, diese einzelne Erscheinung von 

Doppel«:estaltigkeit auf ihre Ursachen zurückzufHihren, 
so w.ir die Frage nacli der Artlnldung doch ininierliin 
insoweit gefördert, als damit wenigstens eine der Ursachen 
blossgelegt und einer der Wege au%edeckt war, durch 
welche und auf welchen neue Formen entstehen. Und 
dies musste auch dann noch werthvoll scheinen, wenn 
es sich dabei herausgestellt hätte, dass nicht neue und 
bisher übersehene Ursachen der Erscheinung zu Grunde 
liegen, sondern bereits als wirkend anerkannte. Ich 
wenigstens bin der Meinung, dtoss es im Augenblicke 
weit weniger Angabe der Forschung ist, neuen Um- 
wandlungsursachen nachzuspfiren, als vielmehr die be- 
kannten in ihrem Einfluss gegeneinander abzuwägen 
und die Art und Weise im Näheren festzustellen, wie 
sie wirken. 

Die ^^'el;p. auf welchen ich das vorgesteckte Ziel zu 
erreichen suchte, wechselten im Laufe der Untersuchung. 



vr 

Ich begann mit dem Versuch, neue Formen künstlicfa 
hervorzurufen, wobei denn die umbildenden Factoren das 

Bekannte, die Umwandlungsprodukte aber die gesuchte 
Grösse waren. Dies gelang, und fast schien es, als sei 
damit die Frage abgesc lilo'^sen , die Erscheinulig des 
Saison -Dimorphismus auf ihre Ursachen zurückgeführt. 
Aber weitere Versuche zeigten, dass^nicht immer und 
unausbleibUch die betreffende Umwandlung den Einwir- 
kungen folgte, welchen ich -sie zugeschrieben hatte. 

So wurde es nöthig, vom synthetischen auf den ana- 
lytisclicn AVeg überzugehen und von den fcstgestrilten 
Umwandlungen aus nun wiederum rückwärts nach ihren 
eigentlichen Ursachen zu forschen. 

Dass bei solchen Untersuchungen häufig ein genaues 
Eingehen auf unscheinbare Einzelheiten unvermeidlich 
war, leuchtet ein. Auch in der Darstellung konnten 
sie nicht ganz, vermieden werden, wenn auch die speciellc 
Darlegung der einzelnen Versuche in einen besonderu 
Abschnitt am Schlüsse verwiesen wurde. 

Uebrigens ist ja der Werth und die Bedeutung, welche 
wir einer Thatsache beilegen, immer nur ein relativer 
und kann einzig und allein gemessen werden nach dem 
Masse von Einsicht, von neuer Erkenntniss, welches sie 
uns gewährt. Ich hotte von Neuem zeigen zu können, 
was vor mir schon Andere rWa 11 ace, Bates, Darwin) 
bewiesen haben, dass auch so unscheinbare Einzelheiten, 
wie kleine Schwankungen in Färbung und Zeichnung 
eines Schmetterlings unter Umständen uns zur Erkenntniss 
allgemeiner Gesetze führen können. 



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I* Bedeutnnip und Snt«tel»inff 
de« SaUK»i&*I>imorplftl0mi&«. 

Die Erscheinung, welche hier einer näheren Unters udiung 
unterworfen werden soll, ist sclion seit geraumer Zeit be- 
kannt. In den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts wurde 
nachgewiesen, dass zwei bisher als besondere Arten aufge- 
führte Formen der Schmetterlings-Gattung Vanesta trotz ihrer 
sehr verschiedenen Färbung und Zeichnung in Wahrheit ein 
und derselben Art angehören, dass also diese Art dimorph 
ist, doch so, dass die beiden Formen > unter welchen sie 
auftritt, nicht gleichzeitig erscheinen, sondern zu verschie- 
denen Jahreszeiten, die eine im ersten Frühling, die andere 
im Sommer. Wallace hat spater diese Art des Dimorphismus 
mit dem Namen des Saison-Dimorphismus belegt, ein 
Wort, dessen heterogene Zusammensetzung dem Philologen 
Schauder erregen mag, das aber doch nach Möglichkeit kurz 
und verständlich ist, und welches ich deshalb beibehalte. 

1 



2 

Die Vanessa-Art, bei welcher die Entdeckung des Saison- 
Dimorphismus gemacht wurde, trug vorher die beiden Species- 
Namen, V. Ltvaua und Prorsd. Letztere ist die Sommer-, Krstere 
die Wirjterfonn; der Untersi-liiod zwisi^licn Beiden ist auch für 
den Laien so gross, dass es schwer lallt, an die Zusammen- 
gehörigkeit beider Formen zu <:laul>on, Livana (Fig. 1 u. 'i) 
ist i)raungel!) mit schwarzen [-"leclTen und Strichen , Ih-orsa 
(Fig. V) u. (i) tief sdiwarz mit einer breiten weissen Binde 
üi)er beide Flügel. Denmx li ist die Thatsadie , da^s beide nur 
Winter-und Sunimergeneralion derselben Art sind, unzwei- 
felhaft richtig. Ich habe seilest zu wiederholten Malen aus 
den Eiern der Levana die l'roisaforni erzogen und aus den 
Eiern der Prursa umgekehrt wieder die Levanaform. 

Seit der Entdeckung dieser Thatsache sind nun noch ziem- 
lich zahlreiche ähnliche Fälle nachgewiesen worden. So zeigte 
P. C Zell er (*) durch Züchtungsversuche, dass zwei in Zeicb- 
nung und Färbung, wie besonders auch in Grösse sehr ver- 
schiedene BläuÜDge, welche bisher als Lyeaena Polysperchon 
und /». Amyntas aufgeführt worden waren, nur Wintcr-und 
Sommer-Generationen ein und derselben Art sind, und der 
ausgezeichnete Lepidopterologe D/ S t a u d i n g e r wies das- 
selbe nach für die den Hittelmeerländern angehörenden Weiss- 
lingsformen Anthocharis BeUa Esp. und A, Auaonia Hb. 

Derartige Fälle, bei welchei\ die Unterschiede swiscben 
Winter-und Sommer-Form so gross sind , dass man sie als 
besondere Arten in den systematischen Werken anführte, 
sind indessen nicht häufig; ich kenne deren nur fünf. Gerin- 
gere Unterschiede, solche vom stematischen Werthe der blos- 
sen Varietät kommen viel dfter vor. So ist Z. D. für viele 
unserer gemeinsten Schmetterlinge aus der Familie der Weiss- 
linge Saison-Dimorphismus nachgewiesen, doch sind die Un- 
terschiede in Zeichnung und Färbung nur bei einiger Auf- 

(■) ■ über die Arlrechte <les Polyoniutattu Ämyntas und l'vli/apei'chon» Hitll. 
•nt. Zftik 1849, T. 10. p. 177-18». 

(*) «Die Artfn d>T I.epidopteren-0.ittting Ino I.each neb-st einigen VorlM- 
in«rktingan über Localv«ri<l*teo » btett. eni. Zeil. 1803, T. «3, p. 34«. 



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3 

marjtsamkeit ta Iwmerken, und bei noch anderen Arten, 
I. & dem gemeinsten unsrer Blaulinge, lycoena Alexis sind 
sie 80 gering, dass auch der Kundige scharf zusehen muss, 
um sie zu erkennen. Man würde sonnt leicht ganze Heihen 
von Arten zusaniniüiistellon können, welclie den L'l)ergang 
von völliger Ubereinstiuiniung beider Generationen durch 
kaum zu bemerkende l'nterschiede liindurch bis zu Diffe- 
renz-en im Werthe von Varietäten und schliesslich von Arten 
verauschaulu-hten. 

Auch solche Falle mit geringen Unterschieden zwischen den 
beiderlei Generationen sind nicht sehr häufig; ich kenne 
unter den euiopäischen Tagfaltern etwa zwölf, docli Hessen 
sich bei besonders darauf gerichteter Aufmerksamkeit wohl 
noch einige weitere dazu finden. Auch bei Nachtsclimetter- 
lingen soll Saison-Dimorphismus vorkommen , ohne dass ich 
indessen im Stande wäre, nähere Angaben darüber xu ma- 
chen; meine eigenen Beobachtungen beziehen sich nur auf 
Tagschmetterlinge. 

Dass andere Insekten-Ordnungen die Erscheinung nicht 
darbieten» rührt wesentlich daher, dass die meisten nur eine 
Generation im Jahre hei;vorbringen; bei den übrigen aber 
finden sich in der That Formänderungen! welche swar nicht 
als reiner Saison-Dimorphismus aufzu&ssen sind, wohl aber 
sum Theil von den gleichen Ursachen hervorgerufen sein 
niOgen, wie die später folgende Untersuchung über die Be- 
xiehungen des Saison-Dimorphismus sum Generationswechsel 
und der Heterogenie naher ausfahren soll. 

Welches sind nun diese Ursachen? 

Als ich vor Jahren einmal einem Lepidopterologen meine 
Absicht mittheiltc, über die Ursachen dieses räthselhaften Di- 
morphismus Untersuchungen anzustellen, in der Hofifhung, 
aus seinen reichen Erfahrungen Förderung meiner Absicht zu 
gewinnen, erhielt ich die lialb entrüstete Antwort ■ da sei 
gar Nichts zu untersuchen, es sei oben der specifische Cha- 
rakter dieser Art, in zwei Gestalten aufzutreten; nach una- 
bänderlichem iNuturgesetz wechselten diese zwei Formen in 



4 

regelmässiger Folge miteinander ab; damit müsse man sich 
begnügen Von seinem Standpuncte aus hatte der Betref- 
fende ganz Recht, von der alten Specieslehre aus darf nach 
der Ursache solcher Erscheinungen überhaupt gar nicht ge- 
fragt werden. 

Ich Hess mich jedoch durch diese Al)f"ertigun^ nicht ab- 
schrecken, sondern untenialmi eine Reihe von Untersuchun- 
gen, deren Kesultate ich liier vorlegen will. 

Zuerst lag die Vermuthung nahe, ob nicht etwa die Ver- 
schiedenheiten der Schmetterlinge sekundärer Natur 
sei und ihren Grund habe in Verschiedenheiten der I\auj>en, 
insbesondere ob nicht etwa die im Frühjahr und die im 
Herbste aul'wachsendcn Raupen sich mit verschiedenen Pllaii- 
zen ernährten und durch Assimilation verschiedenartiger che- 
mischer Stofife auch zu verschiedenartigen Farben-Ablagerun- 
gen auf den Flügeln des Schmetterlings Anlass gilben. Die 
letztere Vermuthung widerlegt sich leicht dadurch, dass 
grade bei der am stärksten dimorphen Vanetsa Levana über- 
haupt nur eine Pflanze, Urtica fn^/or« die grosse Brennessel, 
als Nahrung dient. Allerdings zeigen grade bei dieser Art auch 
die Raupen einen sehr scharf ausg^prochenen Dimorphismus, 
allein derselbe ist kein Saison-Dimorphismus, die beiden Rau- 
penformen wechseln nicht miteinander ab, sondern treten ge- 
mischt in Jeder Generation auf. 

Zum Oberfluss habe ich mehrmals den Versuch gemacht 
und die seltenere gelbbraune Varietät der Raupe getrennt 
aufgezogen; es entwickelte sich aber aus ihr genau dieselbe 
Schmetterlingsform , wie aus den gleichzeitfg und unter glei- 
chen äussern Bedingungen aufgezogenen schwarzen Raupen. 
Derselbe Versuch mit demselben Resultat ist schon im vo- 
rigen lahrhundert angestellt worden und zwar von Rdsel, 
dem vortrefflichen Miniaturmaler und Naturbeobachter, dem 
Verfasser der berühmten und noch heute brauchbaren « In- 
sectenbelustigungen ». 

Es fragte sich nun weiter, ob nicht der Kischeinung die- 
selbe Ursache zu Grunde liege, welcher wir den Weclisel von 



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5 

Wmter>ttnd Sommerkleid bei so vielen Säugethieren und Vö- 
geln zuschreiben, ob der Wechsel von Farbe und Zeichnung 
nicht hier wie dort auf dem indirekten Eintiuss äusserer 
Lebensbedingungen beruhe, d. h. also auf Anpassung 
durch N a t u r z ü c Ii t u ng. Gewiss fuhren wir mit Kecht 
die weisse Farbe, welche das Schneehuhn im Winter, die 
graubraune, welche es im Sommer annimmt, auf Anpas- 
sung zurück, da beide F;irbangen augenscheinlich der Art 
erheblichen Nutzen bringen müssen. 

An und für sich wäre es nicht undenkbar, dass bei Schmet- 
terlingen analoge Erscheinungen vorkämen, mit dem Unter- 
schied, dass der Wechsel in der Färbung nicht an ein und 
derselben Generation aufträte, sondern alternirend an ver- 
schiedenen. Indessen schliesst die Qualität der Fär- 
bungs-Unterschiede , welche beim Saison-Dimorphis- 
mus vorkommen , diese Deutung auf das entschiedenste 
aus, und ferner bleibt die äussere Umgebung der Schmet- 
terlinge , mögen sie nun im Frühjahr oder Sommer aus- 
schlüpfen, so sehr die n&mliche, dass ein jeder Gedanke, man 
habe es hier mit verschiedenartigen sympathischen Färbungen 
SU thun, gänzlich aufgegeben werden muss. 

Ich habe schon an einem andern Orte (*) darzulegen ver- 
sucht, dass es für Tagschmetterlinge während des Flugs 
überhaupt keine schutzenden Färbungen gibt, aus dem dop- 
pelten Grunde, weil die Farbe des Hintergrundes, auf wel- 
chem sie sich darstellen fortwährend wechselt, und. weil die 
flatternde Bewegung auch bei der besten Anpassung an diesen 
Hintergrund dennoch sofort sie dem Auge ihrer Feinde ver- 
rathen wurde. 

Ich suchte damals auch nachzuweisen, dass unsere, der 

gemässigten Zone angehörigen Tagfalter überhaupt nur we- 
nige Feinde haben . welche sie im Fliegen verfolgen , dass sie 
aber vielen Angriffen ausgesetzt sind während ihres Schlafes. 
Für letztere Behauptung sei es gestattet, hier einen Beleg 

(>) Ubsr den Slndnas der Uolirung auf die Aribildung. Leipzig 1878, S- 50-82. 



6 

ansttfähroD. Im Sommer 1869 brachte ich etwa 70 Schmet- 
terlinge der Vaneua Prorsa in einen ger&umigen mit Blumen 
reichlich Tersehenen Zwinger. Obgleich nun die Thiere sich 

sehr wohl fühlten, munter bei dem sehr schönen Wetter an 

den Blumen uniherschwärmten , einzelne sogar sich ])egat- 
teten, und ein "Weibchen Hier legte, so fand ich doch von 
den ersten Tagen an jeden Morgen einige ttnlt und verstüm- 
melt am Boden liegen, und diese Decimirung nahm pro- 
gressiv zu, viele verschwanden vollständig, ohne dass ich 
ihre Keste aufzufinden vermochte, und nach neun Ta^-en 
1 waren sie alle bis auf ein einziges Individuum der Wuth 
)a*m,j>jJ' ihrer nächtlichen Feinde^ vermutblich Spinnen und Opilio- 
niden, erlegen. 

f Vor Allem in sitzender Stellung sind also die Tagfalter 
feindlichen Angriffen ausgesetzt. In dieser Stellung schlagen 
sie bekanntlich ihre Flügel nach oben zusammen , und es ist 
klar, dass sympatische Färbungen nur auf der Unterseite 
ihrer Flügel vorkommen können, wie sich denn solche bei 
vielen auch unter unsern einheimischen Faltern auf das 
klarste nachweisen lassen. 

Nun zeigen sich aber die Unterschiede grade in den ausge- 
bildetsten Fallen des Saison-Dimorphismus s. B. bei Vanma 
ZnNifia viel weniger auf der Unter- als auf der Oberseite 
der Flügel. Die Erklärung durch Anpassung ist also unhaltbar, 
und ich will mich hier mit einer umständlicheren Widerle- 
gung derselben um so weniger aufhalten als ich glaube, die 
wirkliche Ursach e der Erscheinung nachweisen zu können. 

Wenn der Saison-Dimorphismus seinen Grund nicht in der i n- 
directen Einwirkung verschiedener Jahreszeiten hat, so kann 
derselbe in einer direkten Einwirkung der wechselnden Sus- 
seren Lebensbedingungen liegen, die ja ohne Zweifel bei der 
Wintergeneration andere s,hi<1, als bei der Soramergeneration. 

Zwei Faktoren sind es vor Allem, von denen ein solcher 
KinHuss vcrmuthet werden könnte: Temperatur und Ent- 
wicklungsdaucr , d. h. Dauer der Pujtpenzeit. Die Dauer 
der Raupcnporiodu konnte ausser Acht gelussen werden, du 



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7 

diese nur um ein Geringes küner ist bei der Wintergene- 

ration, wenigstens bei den zu Versuchen l)enutzten Arten. 

Von diesen Ijej-iehtsijunkteu ausgehend stellte ich nun 
wäiircnd einer längeren Reihe vun Jahren Versuclie an, die 
darthun sollten, olj in der That die Zweigestaltigkeit der 
betretenden Arten auf direkte Einwirkung der erwähnten 
Momente zurückzulühren sei. 

Die ersten Versuche wurden mit Vanessa Lccaiia angestellt. 
Aus den Eiern der im April augeschlüpt'ten Wintergeneration 
erzog i( h Raupen die unmitteli)ar nach ihrer Verpuppung in 
einen Hi>schrank gebracht wurden, in welchem die Lufttem- 
peratur nur 8-lü° K. betrug. Ks zeigte sich indessen, dass 
bei so wenig erniedrigter Temperatur die Entwicklung sich 
nicht auf beliebige Zeit verzo;:ern lässt; denn als nach vier 
und dreissig Tagen die Schachtel aus dem Eisschrank he- 
nusgenommen wurde, waren alle Schmetterlinge, etwa 
vierzig an der Zahl , bereits ausgeschlüpft , viele schon todt, 
andere noch lebend. Der Versuch war jedoch in so weit ge- 
lungen, als statt der unter gewöhnlichen Verhältnissen zu 
erwartenden Prorsaform die meisten Schmetterlinge als soge- 
nannte Porima (Fig. 3, 4, 7, 8 und 9) ausgeschlüpft waren, 
d. b. als eine, zuweilen auch im Freien beobachtete Zwiscben- 
form zwischen Prorta und Levana, welche mehr odei^ weniger 
noch die Zeichnung von /Vor«! besitzt« abi*r bereits mit vie- 
lem Gelb der Leoam vermischt. 

Es sei hier gleich erwähnt, dass schon im An&ng des vo- 
rigen Jahrzehents ähnliche Versuche angestellt wurden und 
zwar von einem steierischen Entomologen Georg Dorfmei- 
ster. Leider entdeckte ich die kurze Hittheilung darüber (') 
erst zu einer Zeit, als meine eignen Untersuchungen schon 
fest beendet waren. 

In diesen sehr hübsch ausgedachten, nur etwas zu sehr 
complicirten Veräucheu kommt der Verfasser zu dem Kesul- 

(>) « 0bar die Klnwlrknoff ▼•rarhladeaer, wAbrend der Bnlwlcklnngsptrto- 

den ang^ewendetcr WArroei^rado auf die F&rbnng und Zeichnung derSchinal- 
Urlinge ». Mitlheil. de« naiurwiM. Vereioa für Staieruuirk, 1S64. 



tat, ■ dass die Temperatur allerdings auf die Färbung und 
die dadurch bedingte Zeichnung des künfUgen Schmetter- 
lings einen Einfluss ausübe» und zwar den meisten w&hrend 
der Verpuppung ». Durch Herabsetzung der Lufttemperatur 
während eines Theils der Puppenperiode gelang es dem Ver^ 
&S8er einzelne Porima-Individuen zu erziehen , die meisten 
Schmetterlinge aber beharrten auf der Prorsa-Form, Dorf- 
meister setzte (üc Temperatur noch weniger lierab, als es 
in meinem oben angel'ulirten ersten Versuche geschah , näm- 
lich nur auf iO-ll° R,, Hess die Puppen aucli nidit lange Zeit 
in dieser massig erniedrigten Temperatur, sondern brai.litc 
sie nacli *> ^/^-S Tagen wieder in höhere Temperatur. Daran 
lag CS ütlenbar, dass er nur in wenigen Fällen Übergangsfor- 
men erzielte und dass es ihm niemals gelang, eine völlige 
Umwandlung der Sommer- in die Winterform hervorzurufen. 

In meinen folgenden Versuchen brachte ich die Puppen stets 
in eine Temperatur von 0-1° K., sie wurden direkt in den 
Eiskeller gesetzt und erst nach vier Wochen herausgenommen. 
Ich gieng dal)ei von der Idee aus, dass vielleicht weniger der 
Kältegrad, als vielmehr die Verzögerung der Entwicklung die 
Umwandlung herbeiführe, der erste Versuch hatte aber gezeigt, 
dass bei 8-10'* B. die Sdimetterlinge ausschlupfen, man demnach 
die Verzögerung der Entwicklung nicht in der Hand behalt 

Gleich der folgende in dieser Weise angestellte Versuch (') 
ergab ein viel entschiedneres Resultat. Von zwanzig Schmet- 
terlingen hatten sich fünfzehn in Pcrima umgewandelt und 
unter diesen befanden sich drei, welche der Winterfbm {U- 
vana) zum verwechseln ähnlich sahen und sich höchstens da- 
durch von ihr unterschieden, dass ihnen die feine blaue Saum- 
linie fehlte, welche man bei der ächten Levana nur aus- 
nahmsweise vermlsst. Fünf Schmetterlinge dagegen waren 
vollständig unverändert geblieben, das heisst als gewöhn- 
liche Sommerform (Prorsa) ausgeschlüpft, sie wai'en also von 
der Kälte unbeeinflusst geblieben. 

(>> Siehe uatea: Versuch 9. . 



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9 

Aus diesem Venmeh hatte sich also ergeben, dass danh 
vierwöehentliche Kalte von 0-1^ R. ein grosser Theil der 
Schmetterlinge sich ä,er Levanaform zuneigt, ja in einzelnen 
Individuen dieselbe beinahe vollständig erreicht. 

Sollte es nun nicht möglich sein, die Umwandlung vollstän- 
dig zu machen, in dem doppelten Sinne, dass jedes Indivi- 
duum umgewandelt würde und jedes vollständige Le- 
vanaform annähme, nicht blos auf der Uliergaiigsstufe zur 
Levuna stehen bliebe? Wenn die Annahme der Prorsa- oder 
Levanaform rein nur von der direkten Einwirkung der Tem- 
peratur oder Entwicklungsdauer abhängt, so musste es ge- 
lingen durch Anwendung völlig entsprecliender äusserer Ein- 
wirkungen , alle Puppen nach Willkür in diese oder jene 
Schmetterlingsform zu zwingen. 

Dies ist nun mit Vanessa Prorsa niemals gelungen. Wie 
in dem soeben mitgetheilten Versuch , so behielten auch 
in allen folgenden immer einzelne Individuen die Sommerform 
unverändert bei , andere stellten Übergänge dar und nur sehr 
wenige wandelten sich so vollständig um, dass man sie für 
ächte Levana hätte nehmen können. Dagegen gelang eine 
vollständige Umwandelung, wenigstens der Sommergeneration 
bei einigen Arten aus der Familie der Pieridm, 

Die meisten Arten unsrer Weisslinge (Pieriäen) seigen 
die Erscheinung des Saison-Dimorphismus. Winter und Som- 
merform unterscheiden sich ziemlich auffiiUend. Bei Piem 
Napi, mit welcher Art ich vorwiegend ezperimentirte, föllt 
die Winterform (Fig. 10 u. 11) durch die sehr starkschwarze 
Bestäubung der Flugelwurzeln auf der Ob.erseite auf, 
während die Flügelspitzen zugleich mehr grau, jedenfalls 
viel weniger breit und tief schwarz sind als bei der Sommer • 
form ; auf der Unterseite liegt die Verschiedenheit haupt- 
sächlich in der oft sebr breiten und dunkeln grünlich schwar- 
zen Bestäul)ung der Adern der Hinterflügel bei der Winterform, 
während diese grünschwarzen Streifen bei der Sommerform 
(Fig. 12 u. 13) nur andeutungsweise vorhanden sind. 

ich setzte nun zahlreiche Individuen der Sommergeneration 



10 

unmittelbar nach ihrer Verpuppung in den Eiskeller (0-1* R.), 
liess sie dort volle drei Monate lang, brachte sie dann (Ii Sep- 
tember) ins Treibhaus, und dort schlüpften vom 96 Septem- 
ber bis 3 Oktober sechsig Schmetterlinge aus, welche alle 
ohne eine einzige Ausnahme die Charaktere der 
Winterform an sic^ trugen, die meisten sogar in un- 
gewöhnlich starkem Grade. Ein so starkes Gelb auf der Un- 
terseite der Hinterflügel und eine so tief schwarzgrüne Be- 
stäubung^ der AJcrii, wie sie au diesen Exemplaren die Regel 
war (siehe z. B. Fig. 10 u. 11) habe ich wenigstens niemals 
im Freien beobachtet. 

Übrigens Hessen sich niclit alle durch die t.cwächshaus- 
Ternperatur ( 12-24" K.) zu sotortigem Ausschliij fi'u bewegen; 
eine Partie vun Puppen uberwinterte vielmehr, allein auch 
diese gab im nächsten Friilijabr nur Schmetterlinge von der 
Winterform. 

Es war also b e i d i e s e m W e i s s 1 i n g gelungen, 
alle Individuen der Sununergeneration in die 
Winterform zu verwandeln und alle vollständig. 

Um so eher durfte man erwarten, dass dasselbe auch bei 
V. Lemna möglich sei, und wneute Versuche wurden ange- 
stellt, die sich von den früheren nur dadurch unterschieden, 
dass die Puppen von ihrer Vcrj!up})ung an (9- 10 Juli) volle 
swei Monate im Eiskeller blieben. Allein, wie oben schon 
angedeutet wurde, das Resultat blieb dasselbe wie früher. 
Es schlüpften im Gewächshaus (*) vom 19 September bis sum 
4 Oktober 57 Schmetterlinge aus, welche fast alle der Winter- 
form sehr nahe standen, ohne dass aber auch nur ein ein- 
ziger die vollständige Levanaform dargestellt hätte; drei 
zeigten wieder die reine Sommerform (Prorsa)\ 

So wäre es also nicht möglich , bei Levana durch Kälte und 
Versdgerung der Entwicklung die Sommergeneration in allen 
Individuen und vollständig in die WinterfDrm umzu- 
wandeln. Zwar könnte man einwerfen, die Kälte habe immer 

l') Siehe nuten: Versuch N.« 11. 



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11 

nocb zu kam eingewirkt, man hätte statt die Puppen zwei 
Monate auf dem Eis zu lassen , sie sechs Monate dort lassen 

sollen, so lange etwa, als die Wintergenei ation unter natür- 
lichen Verhältnissen ini Puppcnzustande verharrt. Dieser Ein- 
wurf muss als bereolitigt anerkannt werden, wenn auch eine 
derartige Wirkung einer noch langer dauernden Külte-Periode 
desshalb unwahrscheinlich ist, weil die Verdoppc'ung der 
Kälie-Periode von vier auf acht Woclien keine entscheidende 
Verstärkung der l'niwandlung hervorgerufen hatte ('). Ich 
würde übrigens nicht unterlassen haben , den Wrsuch in 
dieser Weise niodificirt, noch einmal anzustellen, leider aber 
konnte ich im Sommer 1873 trotz aller Muhe nicht hinrei- 
chend viele Rau^^en auftreiben. 

Die Lücke, die dadurch entsteht, ist übrigens nur von 
untergeordneter Bedeutung und für die theoretische Anschau- 
ung ganz gleichgültig. 

Nehmen wir an, der unterlassene Versuch sei gemacht 
worden, Puppen der Sommergeneration seien durch Kälte in 
ihrer Entwicklung his zum nächsten PriUijahr aufgehalten 
worden und wären dann als vollständige Winterfbrm (Levana) 
ausgeschlüpft und zwar alle Individuen, so wurde dies ganz 
ebenso, wie der entsprechende Versuch hei Pieria Nofn zu 
der Verrauthung berechtigen, dass lediglich die direkte 
einmalige Einwirkung eines gewissen Masses von Kälte oder 
von Entwicklungs-VerzOgerung im Stande wäre, alle Puppen 
der Art, von welcher Generation sie auch stammen möchten, 
zur Hervorbringung der Winterfbrm (Levana) zu zwingen. 
Daraus würde aber weiter folgen, dass im Gegensatz dazu 
ein gewisses Mass von Wärme mit Nothwendigkeit die Bil- 
dung der Sommerform (Prorsn) nach sich ziehe, ebenfalls 
einerlei, von welcher Generation die betreffenden der Wärme 
ausgesetzten Puppen stammen. 

Dieser letzte Satz ist nun aber nicht richtig 
und da er es nicht ist, so fällt mit ihm auch der 



(*) V«rgl6lclM: Verincli 4, 9 uad 11. 



12 

erste, einerlei, ob der unterlassene Versuch mit 
Prona gelingen würde oder nicht. 

Ich habe zu wiederholten Halen den Versuch angestellt, 
die Wiiiterform durch Anwendung von Wärme in die Sommer- 
form umzuwandeln, aber stets mit demselben negativen Er- 
folg. Es ist nicht mröglich, die Wintergeneration 
zur Annahme der Sommerform zu zwingen. 

V, Leoana macht nidit blos zwei Generationen im Jahre, 
sondern deren drei , sie ist P o 1 } g o n e u o n t e ('), wie ich mich 
ausdrücken möchte; eine Wintergeneration wechselt ab mit 
zwei Sommergcncrationen , deren ors;te im Juli, die zweite 
im August tliegt. Diese letztere erst liefert als vierte Gene- * 
ration des Jahres überwinternde l'uppen, welche im nächsten 
Frühjahr (April) als erste Sclimetterlingsgeneration, und zwar 
in der Levanaform ausschlüpft* 

Solche der vierten lieneration aiifrehüreude Pu|>[)en setzte 
ich zu wiederholten Malen unmittulbar nach ihrer Verpuj- 
pung , zum Theil auch schon wiilirend des Kaupeulebens ins 
Gewächshaus, in welchem die Temperatur auch Nachts nie 
unter 12* B. üel, bei Tag aber oft bis auf 24" R. stieg. 

Immer war das Result^it dasselbe, alle, oder fast alle Pup- 
pen überwinterten und schlüpften als Winterform (Levana) 
im nächsten Jahre erst aus und zwar als volle ächte Levana 
ohne jede Spur eines Übergangs zur Prorsaform. Nur ein ein- 
ziges Mal war eine Porima darunter, ein Fall, der spater 
seine Besprechung und wie ich glaube auch seine Erklärung 
finden wird. Öfter dagegen kam es vor, dass einige der Schmet- 
terlinge noch im Herbst nach etwa vierzehntägiger Puppen- 
ruhe ausschlüpften und diese waren dann stets Prorsa (Som- 
merform), und einmal auch eine Porima, 

Aus diesen Versuchen geht hervor dass gleiche Ursachen 
(Wärme) verschieden einwirken auf die verschiedenen Gene- 

(') Anm. Es scheint mir sehr notbweadig. «in Vfori zur Bezeichnung des 
Unwhuides la katwn, ob «Ine Art ein, xwvl oder mehrore Q«ner«tloneD im 

Jahre hervorbringt, und ich schta;^« dafür dl Botelchouog: MoilO-Di-UOd 
Polygooeuoole vor, von yonvm ich i>rzeuge. 



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13 

rationcn der V, Lcvana; hoi den beidon Sommcr-Gencratioiien 
vorarilasst hohe T(?mj)(>ratur stets die Bildung der Prorsaforin, 
bei der dritten aber ^'escliieht dies nur selten und bei ein- 
zelnen Individuen, während die grosse Masse unwandelbar 
stets die Levutiaform liefert. Man kfinnto sagen, dies hübe 
seinen Grund darin, dass diese dritte Generation keine Nei- 
gung mehr habe, auf den Kiniluss der Wärme hin ihre Ent- 
wicklung zu beschleunigen, dass aber bei längerer Puppen- 
dauer stets die Levanaform entstehen müsse. Einmal verkürzt 
sich aber auch bei dieser Generation durch fortgesetzte hö- 
here Temperatur die Puppenseit ziemlich beträchtlicli , bei 
vielen Individuen wird sie von sechs auf drei Monate herab- 
gesetzt, dann aber ist die betreibende Erklärung im Grunde 
gar keine. Erklärung , sondern einfach eine Umschreibung der 
Thatsachen, auf die nothwendig die Frage folgen muss, wa- 
rum denn gerade diese Generation keine Neigung habe , durch 
den Einfluss der Wärme ihre Entwicklung bis auf vienehn 
Tage herab zu beschleunigen, wie es die beiden vorherge- 
henden Generationen doch als Regel thun? 

Die erste Antwort, welche, man auf diese Frage geben 
kann, lautet: Die Ursache dieser verschiedenen 
Reaction auf gleichen Reis kann nur in der 
Constitution, der physischen Natur der betref> 
fenden Generation liegen, nicht aber ausser- 
halb derselben. Welches ist nun aber der Unterschied in 
der physischen Natur der beiderlei Generationen? 

Aus den bisher mitgetbeilten Vorsuchen geht deutlich hervor, 
dass Kälte und Wärme nicht die unmittelbare Ursache sein 
können, warum eine Puppe die Prorsa- oder die Levanaform 
aus sich entwickelt , liefert doch die letzte Generation über- 
haupt immer die Levanaform, mag sie nun kalt oilcr warm 
behandelt werden, nur die erste und zweite können zum 
Theil und mehr oder weniger vollkommen zur Annahme der 
• Levanaform bestimmt werden und zw'ar durcli .Vnweiulung 
von Kälte. Die Kälte ist also l)ei ihnen mittelbare Ursa- 
che der Umwandlung in die Levanaform. 



14 

Heine Erkl&rung der Tliats&clieii ist folgende. Die Levana 

form ist die primäre ursi i ungliche Gestalt der Art, die Pror- 
saform die sekundäre, entstanden durch allniälige Einwirkung 
des Sommerklimas. Wenn wir im Stande sind, viel Individuen 
der Somniergenerationen durch Kälte in di^ Winterfurni zu 
verwandeln , so beruht dies auf Rückscldag zur Stannnform , 
auf Atavismus, der wie es scheint am leichtesten durch 
Kälte hervorgerufen wird , d. h. also durch dieselben äus- 
seren Einwirkungen, welchen die Stammform durch grosse 
Zeiträume hindurch ausgesetzt war und deinen Fortdauer bei 
der Wintergeneration bis heute noch Farbe und Zeichnung 
der Stammform erhalten hat. 

Die Entstehung der Prorsaform aus der Levam denke ich 
mir ungefähr folgendermassen. Dass eine sogenannte Eiszeit 
während der Diluvialperiode in Europa bestanden hat, ist 
sicher. Mag dieselbe nun ein wirkliches Polarklima über 
unsre geniissigte Zone ausgebreitet haben, oder mag nur 
eine geringere Kalte mit vermehrten athmosphärischen Nie- 
derschlägen geherrscht haben, jedenfalls war der Sommer 
damals kurz und relativ kühl, und die vorhandenen Tagfalter 
konnten alle nur eine Generation im Jahre hervorbringen, 
sie waren alle Monogoneuonten. V, Uvofla wird also 
damals nur in der Levanafbrm vorhanden gewesen sein ('). 

Als nun das Klima allmälig wieder wärmer wurde, musste 
ein Zeitpunkt eintreten, in welchem der Sommer so lange 
dauerte, dass eine zweite Generation sich einschieben konnte. 
Die Puppen der Levanabrut, welche bisher den langen Win- 
ter über im Schlaf zubrachten, um erst im nächsten Sommer 

(!) Anm. Uta kftnot« M«r die Slreitfrag« aufwerfea, ob diese Art lur 
Zelt der grössten Kalte überhanpl In Bnrapa vorhanden geweeen lei. Voran«» 

(gesetzt dass die Eixzeil iinsorn Preit«>n ein fornilirlies I'olarklima brarhlp, 
halte ich dlesfür sehr unwahrscheinlich, da heule die Lerana nur bis l^ievlaad 
gegen Norden hinauf reicht. Allein einmal lit iiher die Nat'jr dea damala 
herrachenden Klimas das letzte Wort noch nicht geaprochen , un dann, das 
Fehlen der Letana zur Zeit der grössten Kalte vorausgesetzt, wird dieselbe 
doch ao bald von Sibirien kommend bei uns eingewandert sein, als das Klima 
die Bxiatetii der Art ala einer monogoneaontlaehen geatattete. Aua den aehd* 
nen Cntersnehungeo Hoffmann*« Uber die «laoporlen der eurupil* 



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15 

als Schmetterling sa erwachen , konnten jetzt noch während 
desselben Sommers, in dem sie als Raupchen das Ei ver^ 
lassen hatten, als Schmetterling umherfliegen and erst die 
von diesen abgesetzte Brut überwinterte als Puppo. 

Somit war jetzt ein Zustand hergestellt, in welchem die 
eine Generation unter bedeutend andern klimatischen Ver- 
hältnissen herinwuchs, als die zweite. 

Dies kann nun zwar nicht plötzlich eine so be- 
deutende V e rii n (1 e r u ng in Tarbe und Zciclinung 
hervorgebracht hal)en, wie sie zwischen der Prorsa- 
und Levanaform heute besteht , w o h 1 aber all m ä 1 i g. 

Dass die I'rorsaforni nicht plötzlich entstand, geht klar 
aus obigen Versuchen hervor. 

Wiire es der Fall gewesen , so würde dies nichts andres 
heissen, als dass ein jedes Individuum dieser Art die Fähig- 
keit besitze, zweierlei Gestalten anzunehmen, je nachdem 
Wärme oder Kälte auf dasselbe einwirkt, etwa so wie Lak- 
muspapier sich roth färbt, wenn man es in Säure taucht, 
•blau, wenn in Alkalien. Die Versuc]u> liaben aber gezeigt, 
dass dem nicht so ist, dass vielmehr die letzte Generation 
eine unvertilgbare Tendenz zur Levanaform in sich trägt und 
sich davon durch noch so lange anhaltende Wärme nicht ab- 
bringen laset, wiihrend die beiden Sommergenerationen eine 
Torwiegende Tendenz zur Proraaform aufweisen, wenn sie 
sieh allerdings auch durch längere Einwirkung von Kälte 
häufig und in verschiedenem Grade zur Annahme der Leva- 
naform bewegen lassen. 

Der Schluss scheint mir unabweisbar, dass die Entstehung 
der Prorsaform eine allmälige war, dass die Umstimmun- 

• ell^n Tagrfnlt'T» J?pht mit grosser Wahrscheinlichkeit hervor, dass 
di0M letzte AQaictil die richtige isl, dass zur Zeit der grössten Kalte sowohl 
F. Lnana al* tfi« UMlsien andern untrer Tagfaltar In Eiir(»pa fehlton vnd 
•r«l «ptter und zwar ans Nordasien einwandi rten. Für die hier Törliegende 
Präge Ist es übrigens ganz gleichgültig; , uh V. f.frana wahrend dtfr (^nnzen 
Eiszeit ausdauerte oder nicht. lateressaiit über wäre es, zu erfahren, ob sie 
beste im nördlicbsten TtieU Ibres Verbreilangagebletet in twel Generatio* 
ni^n auftriit oder etwa bloM in einer, leb babe darüber keine Angaben auf- 
fluden können. 



10 

gen, welche im Chemienius des Pappenlebeiis entstanden und 
schliesslich zur Prorsueichnung fahrten, gans allmalig ein- 
traten, suerst vielleicht eine Reihe von Generationen hindurch 
gans latent blieben, dann in ganz leichten Zeichnungsfinde- 
rungen sich kund gaben und erst nach langen Zeiträumen 
die volle Prorsfr-Zeichnung hervorriefen. Es scheint mir, dass 
die angeführten Ergebnisse der Versuche nicht nur sich leicht 
erklären lassen durch die Annahme einer allmäligen Ein- 
wirkung des Klimas , sondern dass diese Annahme überhaupt 
die einzig zulässige ist. Die Wirkung des Klimas ist offenbar 
am besten vergleichbar der sogenannten cumulativen "Wir- 
kung , welche gewisse Arzneistoffe auf den menschlichen 
Körper ausüben; die erste kleine Dosis bringt kaum bemerk-" 
bare Veränderungen hervor, wird sie aber vielmal wieder- 
holt, so sunimirt sich die Wirkung es tritt Vergiftung ein. 

Diese Vorstellung der Einwirkungsart des Klima 's ist 
durcliaus niclit neu, die meisten Zoologen h:il)en sie sich so 
vorgestellt ; neu ist nur der f ö r m 1 i c h e beweis l'ür die- 
selbe, und weil die angelührtt'n Thatsachen diesen liefern, 
deshalb scheinen sie mir allerdings bedeutungsvoll. Ich 
werde bei Besprechung der Klima- Varietäten auf dieselben 
zurückkommen, und es wird sich dann zeigen, dass auch die 
Natur der Abänderungen selbst die langsam wirkende Thä- 
tigkeit des Klimas bestätigt. 

Währenid nun also beim Übergang der Eiszeit zu dem jetz- 
igen Klima, F. Levam aus einem Monogoneuonten allmälig 
zu einem Digoneuonten wurde, prägte sich zugleich allmälig 
immer schärfer ein Dimorphismus bei ihr aus, der nur durch 
Abändern der Sommergeneration entstand, während 'die Win- . 
tergeneration unverändert die primäre Zeichnung und Fär- 
bung der Art festhielt. 

Als die Sommer später noch länger wurden, konnte sich 
noch eine dritte Generation einschieben, und die Art wurde 
Polygoneuonte und zwar in der Weise; dass zwei Sommer- 
mit einer Wintergeneration abwechselten. 

Es soll nun untersucht werden, ob die Thatsachen vollkom- 



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17 

men mit dieser Theorie stimmen, ob dieselben nifgends in 
Widerspruch mit ihr stehen , und ob sich alle aus ihr er- 
klären lassen. 

Ich will es gleich im Voraus aussprechen, dass dies im 
vollsten Hasse der Fall ist. 
Zuerst erklärt die Theorie sehr einfach , warum zwar wohl 

die Sommergenerationen sich künstlich umwandeln la.-.^cii, 
nicht aber die Wintergencration ; letztere kann uiinioglich 
einen Kücksclilag zur i'rurijatorm machen, da diuse weil jun- 
ger ist, als sie sel!)st. 

Wenn aber deniiuch unter hundert Fällen einer vorkommt, 
wo eine Puiipe der Wintergeiieration durch Wärme getrieben, 
ihre Entwicklung noch vor Eintritt des Winters vollendet 
und in der Sommerform ausschiüpl't (*), so ist dies nichts 
weniger als unerklärlich. Atavismus kann es nicht sein, was 
hier die Entwicklunf^srichtuiig bedingt, wohl aber sehen wir 
daraus, dass die Umwandlung der beiden ersten Generationen 
doch auch bereits eine gewisse Umstimmung in der dritten 
hervorgerufen haben, die sich eben darin äussert, dass unter 
günstigen Umständen (Einwirkung von Wärme) einzelne In- 
dividuen die Prorsaform annehmen, oder wie man sich auch 
aasdrücken könnte , dass die alternirende Vererbung , von 
welcher weiter unten eingehend die Rede sein wird and 
welche es mit sich bringt, dass die Fähigkeit« Prorsaform 
anzunehmen, bei der Wintergeneration in der Regel latent 
bleibt, dann bei einzelnen Individuen zu einer continuir- 
lichen wird. 

Es ist wahr, wir haben noch keinerlei Einsicht in das 
Wesen der Vererbungsvorgänge; und damit ist zugleich die 
Mangelhaftigkeit dieser Erklärung bezeichnet aber wir kennen 
doch viele ihrer äusseren Erscheinungsformen, wir wissen 
bestimmt dass eine dieser Formen darin besteht, dass Eigen- 
thümlichkeiten des Vaters nicht wieder beim Sohne, andern 
erst beim Enkel odef noch später wieder auftreten, dass sie 



(>) siebe uaVeu Versuch N.« 10. 



18 

* 

also latent vererbt werden können. Gesetzt nun, es 
würde eine Eigenthümlichkeit so vererbt, dass sie stets in 
der ersten, dritten, fünften Generation aufträte, in den zwi- 
schenliegenden latent bliebe, so wiire doch nach den bishe- 
rigen Erfalirungen der Tall nicht undenkljar, dass die Eigen- 
thümlichkeit ausnahmsweise — d. h. auf eine uns unbekannte 
Ursache hin — bei einem cinxelnen Individuum der zweiten 
oder vierten Generation aufträte. 

Dies entsjiräclie aber vollkommen dem angefahrten Falle, 
in welch eni « ausnahmsweise » einzelne Individuen der Win- 
tergeneration Prorsaform annehmen , nur mit dem Unterschied, 
dass sich hier eine Ursache — die Warme — angeben lässt, 
welche das Aufgeben der Latenz dieses Chai*akters veranlasste, 
wenn wir auch nicht im Stande sind zu sageü, in welcher 
Weise die Warme diese Wirkung ausübt. 

Diese Ausnahmen von der Begel sind also kein Einwurf 
gegen die Theorie. Sie geben uns im Gegentheil einen Fin- 
genteig, dass, nachdem einmal eine Prorsageneration sich 
gebildet hatte, die allmälige Binschiebang einer zweiten 
Prorsageneration durch das Vorhandensem der ersten erleich- 
tert worden sein mag. Ich zweifle nicht, dass auch im Freien 
zuweilen einzelne Individuen von Prorsaform noch im Sep- 
tember oder Oktober ausschlüpfen, aber erst wenn unser 
Sommer sich noch um einen oder zwei Monate verlängern 
wurde, könnten diese den Grund zu einer dritten Sommer- 
generation legen, wie eine zweite jetzt bereits vollendete 
Thatsache geworden ist, erst dann nämlich würden sie nicht 
nur ausschlüpfen, sondern auch Zeit zur Fortpflanzung, zum 
Absetzen der Brut und diese Brut Zeit zum Heranwachsen 
bekommen. 

Gewiss muss unterscliicden werden zwisclicn der ersten 
Feststellung einer neuen Kliinaform und zwisclien deren 
Übertragung auf neu si<:h einscliiebcndc Generationen. Krsteres 
erfolgt wohl immer selir langsam, Letzteres mag in etwas 
besclileuni^'tem Tenii)o gesclichcn können. 

In Uetreü' der Zeitdauer, welche nothig ist, damit klima- 



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19 



tit>clio Kinllüsse eine neue Furm liervorbringen oder damit 
eine bereits lixirte neue Furm auf eine folgende Generation . 
durch Vererbung übertragen weide, konimen gj-osj;e Verschie- 
denheiten vor, je Dach der physischen Nutur der Art und 
des Individuums. 

Wie verschieden die individuellen Neigungen äi dieser 
Hinsicht sind, geht schon aus den mitgetheilten Versuchen 
mit Prorsa hervor. 

In dem Versuch N." 12 gelang es nicht, unter etwa 70 In- 
dividuen auch nur bei einem einzigen statt der Levana-die 
Prorsaform zu substituiren , oder mit andern Worten: die al- 
ternirende Vererbung in kontinuirliche zu verwandeln, während 
in den enteprechenden Versuchen früherer Jahre (z. B. Ver- 
wich 10) von einer etwa ebenso grossen Anzahl Pappen drei 
als Prorsa und eine als Parima ausflog. Man könnte die Ur- 
sache dieses verschiedenen Verhaltens in äussern Momenten 
suchen wollen, allein man reicht damit nicht aus zur Er- 
klärung der Thatsachen. Man könnte z. R. vermuthen, dass 
sehr viel davon abhinge» zu welcher Periode des Pup- 
penschlafes die Einwirkung erhöhter Wärme beginne, ob 
am ersten, oder am dreissigsten, oder hundertsten Tag nach 
der Ver^iu^ipung, und diese Vermuthung ist insofern auch 
ganz richtig, als in den beiden letzten Fällen die Wärme 
keine andere Wirkung mehr haben kann, als die, das Aus- 
schlüpfen des Schmetterlings um Einiges zu beschleunigen, 
nicht aber die, die I.evanaform in Prorsa umzuwandeln. Ich 
habe zu wiederholten Malen grosse Mengen von Levanapup- 
pen der dritten Generation im Laufe tles Winters der Zim- 
mer- oder einer noch höheren Temperatur ausgesetzt ('j 
(bis zu K.;, aber nie Prorsa erhalten. 

(<> Aom. ytmn Dorfmelitor bemerkt . dan fiberwinternd« Pappen, die su 

früh tnr « Entwickluns in das Zimmer ^'fiiommen od^r fjnr nicht dop Kalle 
ausgeseift werden, entweder verkümmerten, Iheils bleiche, ilieiU krüppet« 
bafi« > ScbmeUerlioge liefern, oder aber verderben, so liegt dies wohl daran 
dasi dieser tflehtige Botomologe versftumt hat, für die nötbige Feuchtigkeit 
der erwärmten l.uft zu sorgen. Irh habe bei Aufbewahrung der Poppen über 
Waeaer stets selir scliune schmetlerHugt? erhallen. 



20 

Irrig aber wäre es einen Unterschied, in dar Wirkung der 
Wärme anzunehmen, je nachdem dieselbe am ersten oder 
dritten Tag nach der Verpiij-pung, oder während oder auch 
vor der Verpuppung beginnt. Das beweist am besten der 
Versucli N.° 12, bei welchem die Raupen der vierten Genera- 
tion schon mehrere Tage , ehe sie sich zur Verpujjpung auf- 
hingen ins Trei!)haus gesetzt wurden und dennoch nicht ein 
einziger Sclimelterling die Prorsalorm annahm. 

Aucli den umgekehrten Versucli habe ich öfters angestellt 
und Kaupen der ersten Sommerbrut, während sie in der 
Verpuppung begritlen waren , der Kälte ausgesetzt. Der Erfolg 
war indessen regelmässig ein .\bsterben der Raupe, was um 
so weniger Wunder nehmen kann, als man die Empfindiic])'- 
keit der Thiere während der Raupenbäutungen sehr wohl 
kennt, die Umbildung zur Puppe aber weit tiefergreifende 
Umwälzungen ihit sich bringt. 

Dorfmeister glaubte aus seinen Versuchen schllessen zu 
dürfen, dass die Temperatur den grössten Einduss während 
der Verpuppung ausübe, zunächst aber den grössten kurz 
nach derselben. Seine Versuche sind nun zwar mit so 
kleinen Individuenmengen angestellt, dass sich kaum sichere 
Schlüsse darauf gründen lassen , dennoch mag aber dieser 
Schluss insofern richtig sein, als Alles darauf ankommt, dass 
gleich von vornherein, die Bildangsvorgänge in der Puppe 
diese oder jene Richtung einschlagen, deren Endresultat die 
Prorsa oder Levanaform ist. Ist einmal die eine oder die andre 
Richtung eingeschlagen, dann kann sie durch Temperatur- 
einflüsse wohl beschleunigt oder verlangsamt, nicht aber 
mehr umgewandelt werden. 

Es ist auch sehr möglich, ja wahrscheinlich, dass sich ein 
Zeitpunkt bestimmen lässt, in welchem Wärme oder Kälte 
am leichtesten die ursprüngliche Entwicklungsriilitung ab- 
zulenken vermögen, und es wäre dies die nächste Aufgabe, 
welche gestellt werden und deren Beantwortung jetzt , nach 
Feststellung der Hauptpunkte nicht mehr so schwierig sein 
müsste. Ich selbst war mehrfach in Versuchung, sie in .\n- 



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21 

griff lu nehmen« habe dann aber doch darauf verübtet, 
weil mein Material mir nicht gross genug erschien und bei 
allen solchen Versuchen nichts mehr vermieden werden muss 
als eine Zersplitterung des Versuchs-Blaterials durch allzu- 

complicirte Fragestellung. 

Mag indci^sen auch ein giinstijjster Zeit^iunkt der Teinpe- 
ratur-Kiiiw irkung während der ersten Tage der Verjtuppung 
existiren, so geht doch t-clion aus dem oben angeführten 
Versuch N." I'2 hervor, dass die Individuen in ver- 
schiedenem Grade geneigt sind, auf solche Ein- 
wirkungen zu reagiren, dass ihre Disposition, 
die gewöhnliche En t w i ck 1 ungs r ich t ung aufzu- 
geben, verschieden gross ist bei verschiedenen 
Individuen. 

Auf andre Weise wäre es nicht zu erliiären, dass in allen 
den angestellten Versuchen mit der ersten und zweiten 
Prorsa-Generation immer nur ein Theil der Puppen durch 
Kälte mm Binschiagen der Levana-Entwicklungsrichtung ver- 
anlasst wurde, ein anderer nicht, und dass auch von erste- 
rem nur wenige Individuen vollständig surcicfcschlugen, 
die meisten aber auf halbem Wege stehen blieben. Der Bück- 
sehlag erfolgt vollständiger oder weniger vollständig. 

Wenn aber gefragt wird, warum in den entsprechenden 
Versuchen mit dem kleinen Weissling {iHerü Napi). 
stets und ausnahmslos vollständiger Bückschlag eintrat, so 
kann darauf mit der Vermuthung geantwortet werden, dass 
bei dieser Art die Sommerform noch nicht so lange Zeit ge- 
bildet sei, also auch leichter wieder aufgegeben werde ^ 
oder auch , dass die Differenxen zwischen den beiden Genera- 
tionen lange nicht so bedeutend seien, was übrigens selbst 
wieder darauf deutet , dass hier die Sommerform jüngeren 
Ursprungs ist. Schliesslich könnte indessen auch geantwortet 
werden, dass die Neigung zum Rückschlag bei verschiedenen 
Arten ebensogut verschieden gross sein könne, als l)ei den 
verschiedenen Individuen ein und derselben Art. Jedenfalls 
aber bestätigt die Thatsache, dass ulie Individuen durch Kälte 



•>•> 

zum vollen Rückschlag bewogen werden, die oben in Beiug 

auf V. Prorsa ausgesprochene Meinung, dass es bei diesen 
Vei-suchen niclit so genau darauf ankommt, in welchem Ent- 
wicklungbUioment man die Kälte eingreifen la>^t , (iabs viel- 
mehr dort Verscliiedcnheiten der individuellen Constitu- 
tion die Ursachen i>\nd , warum die Kälte diese Puppe zum 
vollen Rückschlag Ijringt , jene nur zum lialben und eine 
dritte ganz unbeeinllus.st liisst. (ianz besonders interessant ist 
in dieser Beziehung der amerikanische Papilio Ajax. 

Dieser unserm Segelfalter ähnliche Schmetterling CFig. i(» 
u. 17) tritt überall, wo er vorkommt, in drei Varietäten 
auf, die als var. Telmnomdes ^ var. Wa/shii und var. Mar- 
cellus bezeichnet werden. Der verdienstvolle amerikanische 
Entomologe^ Edwards hat nun durch Zuchtungsversuche 
nachgewiesen, dass alle drei Formen in denselben Entwick- 
lungscyclus gehören und zwar derart, dass die beiden er- 
sten nur im Frühjahr auftreten und stets nur aus überwin- 
ternden Puppen entstehen, während die letzte Form, vor, 
MareeUu» nur im Sommer und zwar in drei Generationen 
hintereinander auftritt. Es liegt also hier ein Saison-Dimor^ 
phismus vor, der mit gewöhnlichem Dimorphimus verbunden 
ist, Winter-und Sommerform wechseln miteinander ab, aber 
die erstere erscheint wieder selbst in zwei Formen oder Va- 
• rietäten: var* Telamonides und )Vttl$b$i, 

Sehen wir vorläufig von dieser Complication ganz ab und 
fassen diese beiden Winterformen als eine einzige auf, so 
haben wir- also vier Generationen , von welchen die erste die 
Winterform besitzt, die drei folgenden dagegen die Sommer- 
form var, Marcellus liefern. 

Das Eigenthümliche bei dieser Art liegt nun darin, dass 
bei allen drei Sommergenerationen nur ein 
Th e i 1 der Puppen schon nach kurzer Zeit (vier- 
zehn Tagen) auschlüpft, dass aber ein andrer und weit 
kleinerer Theil den ganzen Soninjer und den darauf folgenden 
Winter über im I*uppenschlaf verharrt, um erst im nächsten 
Frühjahr auszuscliiüpfen und zwar ktets in der Winterform! 



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S3 

So fülirt z. B. Edwards an, dass von fünfzig Puppen der 
/.weilen I ieneradon , welche sich Ende Juni verpuppt hatten, 
nach vierzehn Tagen ^lo Marcellus-Schmetterlinge ausschlüpf- 
ten , fünf Puppen aber erst im April des nächbtun Jahres 
und zwar als Tulatnonides. 

Die Erklärung dieser Thatsaclien ergiebt sich sehr einlach 
aus der oben aufgestellten Theorie. Nach dieser müssen dic! 
beiden Winterfurnien als die primären , die Marcelluslbrni 
aber als die secundare betrachtet werden. Letztere ist aber 
noch nicht so fest üxirt wie bei 1^'. Prona, wo ein Rück- 
EK^hiag der Sommergenerationen zur I.evanaform nur durch 
besondere äussere Eindüsse eintritt, während hier in jeder 
Generation sich einzelne Individuen finden, bei welchen die 
Neigung zum Rückschlag noch so gross ist, dass auch die 
grösste Sommerwärme nicht im Stande ist, sie von ihrer ur- 
sprünglichen , anererbten Entwicklangsrichtung abzulenken, 
ihre Entwicklung zu beschleunigen und sie zu zwingen, die 
Marcellusform anzunehmen. 

Hier ist es unzweifelhaft , dass nicht verschiedenartige äus- 
sere Einflüsse, sondern lediglich innere Ursachen die alter- 
erbte Entwicklungsricbtung festhalten las&en; denn alle 
Raupen und Puppen der vielen verschiedenen Züchtungen 
waren gleichzeitig denselben äusseren Einflüssen ausge- 
setzt. 

Zugleich ist es aber auch klar, dass diese Thatsachen kei- 
nen Einwurf gegen die aufgestellte Theorie einschliessen, 

sondern dass sie im (.i'cgentheil dieselbe bestätigen, insofern 
eine Erklärung dieser Thatsachen vuin Buden der Theorie 
aus sehr leicht ist, auf andere Weise aber kaum gefunden 
werden möchte. 

"Wenn aber gefragt wird, w'elche Bedeutung der Du- 
plicität der Winter form zukommt, so könnte man 
darauf einfach antworten, dass die Art schon zu der Zeit di- 
morfdi war , als sie noch in einer einzigen Generation im 
Jahr auftrat. Doch kann dieser Erklärung entgegnet werden, 
dass ein derartiger Dimorphismus sonst nicht bekannt ist, 



1 



24 

da wohl ein sexueller Diinoipliisinus vorkommt von der Art, 
dass das eine Geschlecht — bei Pap. Turnus z. B. das wei- 
bliche — in zweierlei Färbung auftritt, nicht aber ein Di- 
morjthismus , der sich, wie es hier der Fall ist, auf beide 
Geschlechter bezieht, und es darf de&halb wohl ein andrer 
Gedanke geiiussert werden. 

Bei V. Levaua sahen wir den Rückschlag in sehr verschie- 
denem Grad bei verschieilonen Individuen eintreten, sehr selten 
nur erfolgte er vollständig bifl xiir ächten Levanaform , meist 
aber nur theilweise bis zur sogenannten Poriniaforin. Nun 
wäre es jedenfalls erstauidich, wenn bei Pap, Ajax der Rück- 
schlag jed'esmal ein vollständiger wäre, da grade hier die 
Neigung zum Rückschlag individuell so sehr verschieden ist. 
Ich möchte desshalb vermuthen, dass die eine der beiden 
Winterformen, und zwar die vor. Telamonidea nichts an- 
deres ist als eine unvollständige Rückschlags- 
form, der Porma bei V. Levana entsprechend. Dann wäre 
WaUhii allein die Urform des Schmetterlings, und damit 
würde stimmen, dass diese Varietät später im Frühjar er» 
scheint, als die vor, Telamonüies, Das Experiment müsste da- 
rüber .\u&chlu8s geben können. Die Pu])pen der drei ersten 
Generationen müssten, auf Eis gestellt, zum grösseren Theil 
die Form Teiamonides geben, zum kleineren Theil die vor. 
Watshii und nur wenige oder vielleicht gar keine Individuen 
von Marcellus, und zwar peho ich bei dieser Voraussage von 
der Ansicht aus, dass die NtM^'ung zum Rückschlag im Man- 
zen gross, da.>s selbst bei der ersten Sominergeneratiun 
die doch jedenfalls am längsten schon dem Summerklima 
ausgesetzt war, stets ein Theil der Puppen auch ohne künst- 
liche Mittel sich zu Teiamonides entwickelt hätte, ein an- 
drer Theil al)er zu Marcellus. Dieser letztere wird nun bei 
Anwendung von Kälte Teiamonides werden , der erste dagegen 
wird ganz oder zum Theil in die Urform Waishii zurück- 
schlagen. 

Man sollte erwarten, dass die zweite und dritte Generation 
noch leichter und in einem greiseren Procentsatze zurück- 



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25 

schlage als die erste, eben weil diese letztere zuerst die neue 
Marceil usform angenommen hat ; allein aus den vorliegenden 
N'ersuchsrcilien lässt sicli in dieser Hinbirht kein sicherer 
Schluss ziehen. So überwinterten allerdings von der ersten 
Sommergencration nur sieheii Puppen unter 67 und gaben 
Tt'lamonidrSy wülirend von der zweiten Generation 40 von 70 
Puppen überwinterton, von der dritten t2ü unter Mi Pup- 
pen; aber zu siilieren Schlüssen würde doch eine grössere 
Versuclisreihe nothwendig sein. 

Nach den bisher mitgetheilten Erfahrungen konnte man 
vielleicht immer noch der Vermuthung zuneigen, als ob bei 
dem Saison-Dimorphismus- die auf das einzelne Individuum 
einwirkenden äusseren EinBüsse ihm direct die eine oder die 
andre Gestalt aufnöthigten. Ich habe selbst diese Ansicht 
lange Zeit gehegt, sie ist indessen nicht haltbar. Dass nicht 
etwa Kälte die eine, Wärme die andre Zeichnung hervor- 
bringt, geht schon daraus hervor, dass bei Pop. Ajax jede 
Generation beiderlei Formen hervorbringt, sowie weiter da- 
raus, dass ich die vierte (überwinternde) Generation von 
V. Lewma oft ganz in Zimmerwärme enogen und doch stets 
die Winterform erhalten habe. Man könnte aber geneigt sein, 
nicht die Temperatur direkl verantwortlich zu machen, son- 
dern vielmehr die durch die Temperatur bewirkte Verl ang- 
ssmung oder Beschleunigung der Entwicklung. 

Ich gestehe, dass ich lange Zeit hindurch in diesem Mo- 
ment den wahren Grund des Saison-Dimorphismus gefunden 
zu liabcn glaubte. I3ei V. Lcvana sowohl als bei Picris Napi 
ist der l'nterschied der Puppendaucr Ijci Winter-und Sommer- 
fornien ein selir grosser. Bei der Somniergcneration von V. Le- 
v'ina beträgt dieselbe in der Kegel 7-1:2 Tage, bei der Win- 
tergeneration dagegen ungetahr !:2Ü() Tage. 

Allerdings hann man bei letzterer die Puppenruhe abkür- 
zen, indem man die Pupjien in der Wärme hält; aber doch 
habe ich von den im September verpuppten Raupen nur in 
einem Falle schon Ende Dezember zwei oder drei Schmetter- 
linge erhalten,, gewöhnlich schlüpften dieselben erst im Laufe 



26 

dos Februar und Man aus, und im Marx sind sie bei war- 
mem Wetter aucb schon im Freien zu sehen. Die grösste 
Abkürzung der Puppen^.eriode lässt doch immer noch eine 
Puppenzeit von mehr als 100 Tagen übrig. 

Grade aus dieser Beobachtung geht aber (ervor, dass nicht 
die Entwicklungsdauer im einzelnen Falle die Gestalt des 
Schmetterlings bestimmt, also den Ausschlag gieht, ob Win- 
ter-oder Sünimerforni entstehen soll, sondern dass um- 
gekehrt die P u|)[) u 11 da u G r ab hang ig ist von der 
E n t \v i L k 1 u n g s r i c h t u n g , \v e 1 c Ii c der w e r d e n d c 
Sc Ii ni e 1 1 er 1 i n g in der Puppe e i ng e sc Ii I a g e n hat. * 
Auch lässt sich die» sehr gut vorstellen, wenn man !)CMleiikt, 
dass die Winterlorni \v;lhr(Mi<l uiiziililiger GeiieratioiuMi stets 
eine lange Puppenruhe gühal»t haben nmss, (üu Soninici tonii 
aber stets eine kurze. Die Gewohnlieit Langsamer Hntwii klung- 
muss sich bei der ersteren ebenso ^elir befestigt haben als 
die einer raschen Entwicklung bei der zweiten, und es kann 
durchaus nicht überrasclien*, wenn wir sie diese Gewohnheit 
nicht bei der ersten; sich darbietenden Gelegenheit aufgeben 
sehen. 

Dass sie aber doch gelegentlich aufgegeben wird, beweist 
uns um so mehr, dass die Dauer de)* Puppenentwicklung so 
wenig, als die Temperatur direct und im einzelnen Fall 
die Schmetterlingsform bestimmt. 

So giebt z. B. der theoretisch ganz unbetheiligte Edwards 
ausdrücklich an, dass zwar in der Regel die beiden Winter- 
formen von Pap, Ajax, nämlich die oar, Telamonides und 
Walihii nur nach einer Puppenruhe von 150-370 Tagen auf- 
treten, dass aber einzelne Fälle vorkommen, bei 
welchen die Puppenruhe nicht mehr beträgt, als 
bei der Sommerform, nämlich nur 14 Tage ('). 
Aber auch bei V. Levana kommt Ahnliches vor; denn nicht 

(*) Anm. so erbiett Edwards aus Eiern von WcUshtt die am sehnten April 

ff<^I«*(?t worden waren, nach vi.T/i'lintapiircr Ptipiir-nniho vom Mi .'unltM 
SclimutterUngti der Ma reell uttotiu, 1 der WuUhU uud 1 der TelainoniUetform. 



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Dur lässt sich — wie bereits erwähnt wurde — die Winter- 

generation durch künstliche Wärme in ihrer Entwicklung bis 
zu einem gewissen Grad treiben , sondern die Soninicigoiie- 
ration bringt nianchuial Riicksclilagsiuniu'ii liervor, ohiu; dass 
eine Verzögerung der Etitwickluiig stattgefunden liat. Die 
hall)e RückstldajL'^sfürm Porima war bekannt, lange ])evor man 
daran daclitc, sie künstlich durt:h Einwirkung von Kälte zu 
erzeugen; sie kommt gelo^jcntlich , allerdings wie es scheint 
sehr selten, mitten im i>omnier im Freien vor. 

Wenn nun meine Deutung der W-rliältnisse richtig, die 
Wintertorm die primäre, die Sommerlurm die sekundäi-e i.st, 
und solche Individuen der Sommergeneration , welche frei- 
willig oder künstlich zur Annahme der Winterform sich her- 
beilassen, als atavistische zu betrachten sind, so liegt 
der Gedanke nahe, ob denn blos niedrige Temperatur diesen 
Bückschlag einzuleiten im Stande ist, oder nicht vielleicht 
auch anderweitige äussere Einflüsse. 

Dies Letztere scheint nun in der That der Fall zu sein. 
Ausser rein inneren Ursachen wie sie vorhin bei Pap. Ajax 
nachgewiesen wurden, scheinen Wärme und mecha- 
nische Bewegung den Rückschlag einleiten zu 
können. 

Dass ungewöhnlich hohe Wärme Rückschlag veranlassen 
kann, schliesse ich aus folgender Beobachtung. Ich zog im 
Sommer 1869 die erste Sommerbrut von V, Levana, Die 
Raupen yerijuppten sich in der zweiten Hälfte des Juni, und 
von dieser Zeit bis zu ihrem Ausschlüpfen vom 98 luni — 
5 Juli herrschte grosse flitze. Während nun sonst die Zwi- 
schenlbrm Porü/ia im Freien oder bei Züchtungen eine sehr 
grosse Seltenheit ist, die mir z. B. unter vielen Hunderten 
von Exemplaren nie vorgekommen ist, befanden sicli unter 
den GO-70 ausschlüpfenden SclniH^tterlingen dieser Brut etwa 
8-1(1 Porima-Exemplare. Ein cxacter \'ersuch ist dies aller- 
dings nicht, aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit, d;iss die 
hohe Sommertemi>era(ur liier den Anstoss zum Rückschlag 
gegeben habe, scheint mir doch vorzuliegen. 



28 

Auch fiir das zweite Moment, dem ich die F&higkeit zu- 
gchreiben möchte» Rückschlag za veranlassen, kann ich kei- 
nen absoluten Beweis vorbringen, da alle diese Nebenfragen 
experimentell zu erledigen eine unendliche Menge Zeit er- 
fordert hätte; doch besitze ich eine Beobachtung, die es mir 
wahrscheinlich macht, dass ni oc h a n i s c h c andauernde 
Bewegung auf die Entwicklung der l'upj'cn älmlich ein- 
wirkt , wie Kälte d. h. dass sie dieselbe verzögert und zu- 
gleich Kückschlag veranlasst. 

Ich hatte eine grosse Anzahl Puppen der ersten Sommcr- 
brut von Pieris Nupi aus Eiern gezogen und zwar in Frei- 
burg, wechbolte dann aber und zwar noch während viele 
Raupen in der Verpuppung begriffen waren, den Aufenthalt 
und reiste mit den Puppen sieben Stunden lang auf der Ei- 
senbahn. Obgleich nun sonst diese Generation des kleinen 
Weisslings stets noch im Sommer und zwar meist im Juli 
desselben Jahres und als Sommerform (var. Napaeae) aus- 
schlüpft, so erliielt ich doch von allen diesen zahlreichen 
Puppen während des Jahres 1872 keinen einzigen Schmetter- 
ling. Im Winter hielt ich sie im geheizten Zimmer und trotz- 
dem schlüpften erst im Januar 1873 die ersten Schmetter- 
linge ans, und die übrigen folgten im Februar, M&rz, April; 
zwei Weibchen sogar erst in Juni. Alle aber erwiesen 
sich als exquisite Winterforml Der ganze Entwich- • 
lungsgaog war genau ebenso, als hätte Kälte auf die Pup- 
pen eingewirkt, und ich wüsste in der That keine andre 
Ursache für dieses ganz ungewöhnliche Verhalten aufzufin- 
den, als das siebenstündige Rütteln, dem die Puppen wäh- 
rend der Eisenbahnfahrt ausgesetzt waren ! und zwar unmit- 
telbar nach oder noch während ihrer Verpuppung. 

Offenbar ist für die Theorie des Saison-Dimorphismus die 
eine Thatsadie von fundamentaler Wichtigkeit, dass die 
Sommer form zwar wo Iii in die Winter form ver- 
wandelt werden kann, nicht aber diese in die, 
Sommerforni. Icli habe für diese Thatsadic biblier nur die 
Versuche mit V. Levana angeführt; es liegen mir indessen 



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29 

auch solche mit Pierh Napi vur. Ich operirte aber nicht mit 
der iLrewülmliclien Wintcrf'crm von JK Nn/ii, sondern ich 
wählte mir zu diesem Versuch die allen Entomolügcn wohl- 
bekannte Varietät Bryoniue aus. Diese ist gewissermassen 
die |)Otenzirte Winierforni von Napi; im männlii hen Geschlecht 
(Fig. \k) gleicht sie bis aut minutiöse rnterschiede genau der 
gewöhnlichen Wlnterfurni, im weibliehen aber unterscheidet 
sie sich von Napi durch graubraune Bestäubung der ganzen 
Oberseite (Fig. 15). Diese Form Bryoniue kommt in den Po- 
larländern als einzige Form von Napi vor, ausserdem findet 
sie sich nur noch auf den Hochalpen , wo sie auch auf ab- 
geschlossenen Matten als einzige Form fliegt, an andern 
Stellen aber, die weniger isolirt sind, vermischt mit der ge- 
wöhnlichen Form des Falters. An beiden Orten macht Bryoniae 
nur <me Generation im Jahre und muss demnach nach meiner 
Theorie als Stammform von Pieris Napi betrachtet werden* 

Ist diese Voraussetzung richtig, ist wirldich die Varietät 
Bryoniae die aus der Eisieit an einigen Punkten der Erde 
noch erhaltene Urform, Napi aber in ihre( Winterform die 
erste durch wärmeres Klima allmälig entstandene secun- 
dare Form, so kann es unmöglich gelingen, aus Bryoniae^ 
Puppen durch Einwirkung von Wärme jemals die gewöhn- 
liche Napiform zu erzeugen, da nur durch Cumulation im 
Laufis zahlreicher Generationen, nicht aber durch einmalige 
Einwirkung die jetst herrschende Form des Falters entstanden 
sein muss. 

Ich stellte nun den Versuch in der Weise an, dass ich in 

der ersten Hälfte des Juni in einem einsamen und gänzlich 

abgeschlossenen Mpenthal Weibchen von Bryoniaf einfing 
und sie in einen geräumigen Zwinger setzte, wo sie an 
Blumen umherflogen und mehrere hundert Eier an gewöhn- 
lichen Kohl absetzten. Obwohl die Raupen in Freiheit sich 
von einer andern, mir unbekannten Pflanze ernähren, frasscn 
sie doch munter den Kühl, wuchsen rascli heran und ver- 
puppten sieh Kmle Juli, ich brachte nun die Puppen in ein 
Treibhaus, in welchem die Temperatur zwischen i'i und 124" U. 



90 

schwankte, allein trotz dieser grossen Wärme und was ge- 
wiss von besonderer Wichtigkeit ist, trotz des Mangels stär- 
kerer nächtlicher Abkühlung schlüpfte doch nur ein einzi^'cr 
Schmetterling noch in demselben Sommer aus, und zwar ein 
Männchen, das sich durch gewisse minutidse Merkmale in der 
Zeichnung mit voller Sicherheit als Var. Bryoniae kennzeich> 
nete. Die andern Puj>pen überwinterten im geheizten Zimmer 
und ergaben von Ende Januar an bis Anfang Juni noch 28 
Schmetterlinge, welche alle exquisite var. Bryoniae 
waren. 

Der V'er:juch bestätigt also die Ansicht, dass Ih-ijonitw die 
Stamnit'onn von Naitl ist, und die bisherige Bezeicfiiiung der 
SystetiKitiker niüsste somit eigentlidi uingokelirt werden, man 
niüsbte Pieris Bryoniae als Artname aul'stelleii , die Winter- 
und Sommerform des Woisslings wie sie in unsern Ebenen 
vorkommt, als var. Napi und Napaeae l)ezeichnen. Doch möchte 
ich es nicht auf mich nehmen, die unendliche Confusion in 
der Synnon^mik der Schmetterlinge noch zu vermehren. In 
gewissem Sinne ist es ja auch ganz richtig, die forma Bryoniae 
als K I i III a - Va r i e t ü t zu bezeichnen, denn sie ist in der 
That durch das Klima bestimmt, wenn nicht hervorgerufen, 
so doch festgehalten, nur ist sie nicht eine sekundäre, von 
Napi abzuleitende Klima-Abweichung, sondern die primäre. 

In diesem Sinne könnte man wahrscheinlich die meisten 
Arten als Klima-Varietäten bezeichnen, insofern als sie näm- 
lich unter dem Einfluss eines andern Klimas allroälig neue 
Charaktere annehmen würden, unter dem Einflüsse des jetzt 
an ihrem Wohnbezirk herrschenden Klimas aber ihre jetzige 
einmal gewonnene Form gewissermassen erworben haben und 
beibehalten. . 

Die oar. Bryoniae ist aber von ganz besonderem Interesse, 
weil sie die Beziehungen klar legt, welche zwischen der 
klimatischen Varietät und dem Saison-Dimorphismus bestehen, 
wie dies im nächsten Abschnitt dargelegt werden soll. 

Iiier muss zuerst noch die Richtigkeit der aufgestellten 
Theorie einer weiteren Probe unterzogen werden. 



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31 

Es wurde gezeigt, dass die s(>cundüren Formen saison-di- 
morpher Sclimetterlinge nicht alle in gleichem Grade die 
Neigung zum Rückschlag besitzen, d.iss vielmehr diese 
individuell verschieden ist. Da d i o K iickke h r zur 
primären Form gleicli bedeutend ist mit dem Aufgeben ilur 
seeundären, die grössere Neigung zum Kiicksclilag also gleich- 
bedeutend mit grösserer Nei|^ung zum Aufgeben der seeun- 
dären Fürm , dies aber wieder einer geniigeren Festsetzung 
dieser letzteren gleichkommt , so muss daraus geschlossen 
werden, dass die Individuen der Art verschieden 
stark von dem Klimawechsel beeindusst wer- 
den, so dass die neue Gestalt sich bei den einen früher 
befestigt, als bei den andern. Daraus muss nun noth- 
wendig ein Variabelwerden der betreffenden 
Generation hervorgehen, d. h. die einzelnen Indivi- 
duen der Sommergenerationen müssen stärker in Zeichnung 
und Färbung diflferiren, als dies bei der Wintergeneratiou 
der Fall ist Wenn die Theorie richtig ist, müssen die 
Sommergenerationen variabler sein, als die 
Wintergenerationen, wenigstens so lange, als nicht 
auch bei ihnen durch fortgesetzte Einwirkung der Wärme, 
verbunden mit steter Kreuzung der in verschiedenem Grade 
abgeänderten Individuen, eine Ausgleichung der individuellen 
Abweichungen im höchstmöglichen Grade su Stande gekom- 
men ist. 

Auch hier wird die Theorie durch die Thatsachen voll- 
kommen bestätigt. Bei Vanessa Levana ist ganz entschieden 
die Levanaform sehr viel constanter, als die Prorsaform. 
Erstere ist in geringem Grade bexuell-diniorpli, die Weibchen 
sind lieller, die Männchen di.nkk'r gefärbt. Berücksichtigt 
man diese VerscLiedenlieit der Geschlechter, die in noch ge- 
ringerem Grade auch bei der Prorsaform voikommt, so wird 
man die obige Angal>e richtig finden, da.ss die Levanaform 
nur wenig variiit, je'lenfalls ungleich weniger, als die 
Prorsa, bei welclier die gi-.»ssten Verschiedenheiten in tlem 
Auftreten gelber Streifen, in dem Schwinden des schwarzen 



83 

(von der Levanaseicbnung übrig gebliebenen) Fleckes auf 
der weissen Binde der HinterÜügel vorkommen, so dass es 
schwer ist, zwei völlig gleiche Individuen herauszufinden. - 
Und dabei kommt noch in Ansehlag , dass die Levanazeichnung 
als die bei Weitem complicirtere viel leichter dem Variiren 
ausgesetzt sein sollte. Ganz dasselbe findet sicli bei Pieris 
Napi. Audi hiur ist die var. acs ira bedcuten<l variabler als 
die var. vernulis. Aus dem Verhalten der von mir als Stamm- 
form aufgetassten var. Brijuniae dagegen könnte man ver- 
sucht sein, einen Einwurf gegen die Theorie herzuleiten; 
denn diese ist sowohl in den Alpen, als im Jura, wo sie auf 
grösseren Höhen ebenfalls vorkommt, bekanntermassen aus- 
serordentlich variabel in Färbung und Zeichnung. Nach der 
Theorie sollte sie aber noch konstanter sein, als die Win- 
tergeneraiion der Ebene, weil sie die ältere ist, also auch 
in ihren Charakteren die befestigtere sein sollte. 

Man darf aber nicht vergessen, dass Variabilität bei einer 
Art nicht blos auf dem einen eben angedeuteten Wege un- 
gleich starker Reaktion der Individuen auf Einwirkung abän- 
dernder Beize entstehen kann, sondern vor Allem auch durch 
Kreuzung zweier getrennt entstandener, sfiater aber in Be> 
ruhrung gekommener nahestehender Varietäten. In den Alpen, 
wie im iura dringt von der Ebne her öberall die gewöhn- 
liche Form von Napi gegen die Flugplätze von Bryomae vor, 
und eine Kreuzung zwischen beiden Formen wird an den 
meisten dieser letzeren gelegentlich, an vi<»len sogar häufig 
stattfinden, so dass es nicht Wunder nehmen kann, wenn 
an einigen Orten (z. B. bei Meiringen) eine förmliche Mu- 
sterkarte von Öbergangsformen zwischen Napi und Bryoniae 
umherfliegt. 

Der förmliche Beweis aber dafür, dass Kreuzung die Ur- 

saclie der grossen Varial)ilität von Brijoniac in dem Alpcnge- 
biet ist, liegt darin, dass sie in den Pohirliindern ■ durch- 
aus nicht so variabel ist, wie in den Alpen, 
sondern ziemlich constant, nach etwa 40-130 im nor- 
wegischen Stücken zu schliessen >. So schreibt mir auf 



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33 

meine Anfrage mein verehrter Freund, Herr D/ Stand In- 
ger, der selbst swei Mal die Sommermonate in Lappland 
zugebracht hat. Eine Kreuzung mit Napi kann dort nicht 
stattfinden, da Napi nicht vorkommt, die uralte Stammform 
Bryoniae hat desshalb dort ihre ursprüngliehe Conatanz beibe- 
halten können. 

So stimmen also auch hier die Thatsachen mit den Erfor^ 
demissen der Theorie. 

II. Sal«on«I>liiiorp]&tamafl and Iclimatlsolie 

Varlet&t. 

Wenn Saison-Diniürpliisnius — wie zu zeigen versucht 
wurde — durch langsame Wirkung veränderten Sonimer- 
klimas entsteht, so ist derselbe also nichts Andres, 
als die Spaltung einer Art in zwei klimatische 
Varietäten an ein und demselben Orte, und wir 
müssen erwarten, maiiTÜgf;i(']ie Zusammenhänge zwischen 
der gewöhnlichen, einfachen Kiimavarietät und dem Saison- 
Dimorphistnus zu finden. 

Es kommen nun in der That Fälle vor, in welchen Saison- 
Dimorphismus und Klimavarietät in einander übergehen und 
derart mit einandw verflochten sind, dass die auf experi- 
mentellem "Wege gewonnene Ansicht über Natur und Entste- 
hung des Saison-Dimorphismus Bestätigung findet. Ehe ich 
indessen näher darauf eingehe, ist es nöthig, sich über den 
Begriff « Klima- Varietät » su verstandigen, da derselbe 
nicht selten auf ganz heterogene Dinge, jedenfalls oft sehr 
willkürlich angewandt wird. 

Meiner Ansicht nach sollte scharf unterschieden werden 
iwischen Klima-und Localvarietaten und unter den ersteren 
nur solche verstanden werden, welche durch direkte 
Einwirkung klimatischer Einflüsse entstanden sind, 
unter der allgemeine^n Bezeichnung der Localformen 
aber alle solche Abweichungen, welche ihren Ursprung aus 



34 

andern Ursachen herleiten, also z. ß. aus indirekter 
Einwirkung der äusseren Lebensverhältnisse oder auch Um- 
standen, welche gar nicht in Klima 4ind äusseren Lebensver- 
hältnissen von heute ihren Grund haben, sondern- etwa in 
geologischen Veränderungen, welche Isolirung hervorriefen. 
So können sich z. B. alte, sonst längst ausgestorbene Arten 
unter dem Schutze der Isolirung an einseinen Stellen jler 
Erde erhalten haben, während andere, welche im Zustande 
der Variabilität einwanderten, sich an solchen Orten durch 
Ami sie (Verhinderung der Kreusung mit den Artgenossen 
des übrigen Wohngebietes) in Lokal-Varietäten umbilden konn- 
ten. Im einzelnen Falle kann es schwer, oder im Augenblick 
sogar geradezu unmöglich sein, zu bestimmen, ob man eine 
klimatische, oder eine aus andern Ursachen entstandene 
Localform vor sich hat; grade dcsshalb aber sollte man mit 
der Bezeichnung klimatische Varietät vorsichtiger sein. 

Die Voraussetzung, dass im wahren Sinne des Wortes kli- 
matische Formen bestehen, ist soviel mir l)ekannt, ohne An- 
stand von allen Zoologen gemacht worden, auch liegen ja 
eine Anzahl sicher beobachteter Thatsachen vor, welche be- 
weisen, dass lediglich durch neue klimatische Einllüsse auf 
directem Wege bestimmte Veränderungen einer Art hervor- 
gerufen werden können. Bei ^Schmetterlingen ist es in vielen 
Fällen möglich, ächte Klima-Varietäten von andern hocal- 
formen zu sondern, einmal dadurch, dass es sich nur um be- 
deutungslose, nicht um biologisch wichtige Abänderungen 
handelt, dass also Naturzüchtung als Ursache der Abände- 
rung von vornherein ausgeschlossen werden kann, dann durch 
die streng nach dem Klima geregelte geographisclie Verbrei- 
tung, welche nicht selten sogar den Nachweis von Über- 
gangsformen auf einem zwischen zwei extremen Klimaten 
gelegenen Mittelgebiete erlaubt 

Nur auf solche, unzweifelhafte KlimarVarietäten werde 
ich mich beziehen, wenn ich in Folgendem versuche, den Zu- 
sammenhang zwischen ein&cher Klima-Varietät und Saison- 
Dimorphismus klar zu legen. 



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95 

Ein solcher Fall in^ welchem die Winterfofiii mnee Saison- 
dimorphen Schmetterlings auf anderen Wohngebieten als ein- 
sige Form, das heisst als klimatische Varietät vorkommt 
wurde bereits im vorigen Abschnitt angefürt. Ich raeine den 
Fall v<m Wfffit Najj't, denn die Winterform dieser im goiuas- 
ngten europäischen Flachland saisondimorph auftretenden Art 
kommt in Lappland und auf den Alpen als niunomorplie kli- 
matische Varietät vor, freilich in einer noch höheren Entwick- 
lung des Wintertypus, al« var. Bryoniai'. 

Sehr analüg ist der Kall von Antocharis Delta, ebenfalls 
einem Schmetterling aus der Familie der Weisslin«^c, der in 
den Mittclmeerländern bis ins mittlere Frankreicli hinein vor- 
kommt und dort überall einen sehr scharf ausgeprägten- 
Saison-Dimorphismus aufweist. Seine Sommergeneration wurde 
bis in die neueste Zeit als besondere Art A. Autonia beschrie- 
ben, und erst durch Staudingers Züchtungsversuche ist es 
nachgewiesen, dass beide vermeintliche Arten genetisch zu- 
sammenhSngen. 

Diese Art kommt nun ausser in den genannten Landern 
auch noch an einer kleinen Stelle in den Alpen vor, in den 
Walliser Bergen in der Umgebung des Simplon-Passes. Bei 
dem kurzen Sommer des Alpenklimss macht sie dort nur 
eine Generation, und diese trägt vollkommen die 
Charaktere der Winterform an sich, nur wenig mo- 
dificirt durch etwas stärkere zottige Behaarung des Körpers, 
wie sie vielen alpinen Schmetterlingen eigen ist. Diese vor. 
Smpkmißa ist also hier ein&che Klima-Varietät während sie 
in den Ebenen Spaniens und Sodfrankreichs als Winterform 
einer saisondimorphen Art auftritt 

Oflienbar entspricht diese AfUhocham «ar. ^mpkniea genau 
der cor. Bryonk» von IHuis Napi; die Wahrscheinlichkeit, 
dass auch sie als die aus der Eiszeit übriggebliebene Stamm- 
form der Art betrachtet werden muss, ist wohl sehr gross, 
wenn auch nicht wie bei Dryoniac behauptet werden kann, 
dass sie seit der Eiszeit nicht vielleicht irgend eine kleine 
Veränderung eingegangen sei. Bei Bryoniae verbietet sich 



36 

diene Annahme, da die Art in Lappllind und auf den Alpen 
Jetst noch völlig übereinstimmt Anihoehttri» Smploniea 
scheint in den PoUrländern überhaupt nicht vonukommen. 

Sehr interessant ist einer unsrer gemeinsten Bläulinge Po- 
lyommatiu Phlaim L., der eine sehr grosse Verbreitung be- 
sitzt und von Lappland bis nach Spanien und Sicilien reicht. 
Vergleicht man Exemplare dieses schönen rothgoldenen Fal- 
ters aus Lappland mit solchen aus Deutschland, so lässt sich 
kein constanter Unterschied auffinden. Dennoch hat dieser 
Schmetterling in Lappland nur eine Generation, in Deut- 
schland zwei im Jahre; Winter-und Sommergeneration glei- 
chen sich aber vollständig, und ganz ebenso sind Exemplare 
gefärbt, welche im Früiiling an der ligurischen Kiiste und 
in Sardinien gefangen wurden (Fig. 21). Man konnte danach 
{klauben, dass diese .\rt ausserordentlich indifferent gegen 
klimatische Eintliisse sei. Allein die siideuropäische Sommer- 
generation unterscheidet sich von der eixüi erwährten Win- 
tergeneration nicht unbedeutend , indem bei ihr das glänzende 
Rothgold von einer dichten schwarzen Bestäubung bemahe 
verdeckt wird (Fig. 22). Die .\rt ist also unter dem Eintluss 
des warmen südlichen Klima's saisondimorph geworden , 
was sie in Deutschland nicht wurde, obgleich sie auch dort 
zwei Generationen macht. Niemand, der nur die sardinische 
Sommerform nicht auch die dortige Winterform kennte» 
würde zweifeln, sie als Klima-Varietät unsres P. Phlaeas zu 
betrachten, oder umgekehrt die deutsche (nördliche) als Klima^ 
Varietät der südlichen Sommerform, je nachdem man die eine 
oder die andre als die primäre Gestalt der Art annimmt. 

Noch verwickelter ist das Verhältniss bei einem andern 
Bläuling Zyoaem AgeBtü, insofern hier ein doppelter Saison- 
Dimorphismus vorliegt Der Sehmetterling kommt in dreierlei 

(■) Anm. Nach brtetlicher Miltheilung des Herrn D.' Staudinger werden 
dl« Welbehcn von Bryontiu in Ijapplaod nie so gant danket, aU Afters in den 

Alpen. /.Mtfon (Inpi'?.-!) nicht seUfn statt Weis;« eine gelbe Orundfarbung. 
QeltM inüividueu sind indessen auch in den Alpen niebl selten und bUden 
im Jura sogar die Regel. 



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37 

Gestalt vor , A und B wechseln in Deutschland miteinander 
ab als Winter-und Sommerform, B und C dagegen folgen 
in Italien als \Vinter-und Soninierform aufeinander , die Form 
B kommt also beiden Kiimaten zu , aber in Deutschland tritt 
sie als Sommer-, in Italien als Winterform auf. Die deutsche 
Winterform A fehlt Italien vollständig, wie ich aas zahlrei- 
chen selbstgefangenen Exemplaren weiss, die italienische 
Sommerform dagegen (var. Allous) kommt in Deutschland 
nicht vor. Die Unterschiede zwischen den drei Formen sind 
aufialleod genug. Die Form A (Fig. 17) ist auf der Oberseite 
scbwarabraun und seigt höchstens eine Spar schmaler rother 
Randflecke, während die Form B (Fig. 18) mitt grossen leb- 
haft siegelrothen Bandflecken geziert ist und C (Fig. 19) 
sich von B durch ein intensives Gelbbraun der Unterseite 
ausxeichnet. Wer nur die deutsche Winter^und die italieni- 
sche Sommerform vor sich hätte , wurde sie ohne Zweifel 
als klimatische Varietäten aufliissen, sie werden aber verbun- 
den durch die in den Entwicklungsgang Beider eingeschaltete 
Form B, wodurch eben beide extreme Formen den Charakter 
blosser Saison-Formen erhalten. 

XXI. Qnfaität der A.lb&nAeTnnga-TJrmB/o'h^iitm 

Es ist gezeigt worden, dass die Erscheinung des Saison- 
Dimorphismus dieselbe nächste Ursache hat, wie die klima- 
tische Varietät, nämlich Veränderung des Klima's, dass sie 
sogar ihrem Wesen nach geradezu als identisch mit klima- 
ticher Varietät betrachtet werden muss, und sich nur dadurch 
von der gewöhnlichen, oder wie ich sie genannt habe, ein' 
fachen (monomorphen) Klima- Varietät unterscheidet, dass 
neben der neuen, durch Klimawechsel entstandenen Form die 
alte fortbesteht und zwar genetisch mit ihr in Zusammen- 
hang , so dass alte und neue Form nach der Jahreszeit mitei- 
nander abwechseln. 

Es drängen sich nun zwei weitere Fragen der Untersuchung 
auf, nämlich einmal: wodurch bewirkt Klima-Wechsel 



38 

eine Änderung in Zeiclinuiig und Färbung eines 
Schmetterlings, und zweitens: in wie weit be- 
stimmt die klimatische Einwirkung die Qualität 
der Abänderung? 

Bei der ersten Frage wäre vor Allem zu entscheiden, ob 
das eigentlich Wirksame beim Klima-Wechsel in der Einwir- 
kung höherer oder niederer Temperatur auf den Organismus 
liegt, oder vielleicht mehr in der durch höhere Temperatur 
beschleunigten, durch niedrige verlangsamten Entwicklung. 
Andere Faj^toren der Gruppe von äusseren Lebensbedingungen, 
welche wir unter dem Namen c Klima • zusammenfassen, 
können als in diesen Fällen unwesentlich unberücksichtigt 
bleiben. 

Die Frage ist schwer su entscheiden, da Wärme und kurze 
Puppendauer, und andrerseits Kälte und lange Puppendauer 
meist unzertrennlich miteinander verbunden sind, und man 
ohne grosse Vorsicht leicht xu Trugschlüssen gefuhrt wird, 
indem man auf Bechnung momentan wirkender Einflüsse 
setzt, was doch nur Folge- langer Vererbung ist 

Wenn bei Vanetaa Leoana auch in sehr kühlen Sommern 
dennoch stets die Prorsa^und nie die Levanaform auftritt, so 
würde es doch sehr irrig sein, daraus schliessen zu wollen, 
dasa nicht die Sommerwärme , sondern nur die der Winter- 
generation gegenüber immer noch weit kürzere Entwicklungs- 
zeit Anlass zur Bildung der l'rorsaform gewesen sei. Diese 
neue Gestalt der Art entsteht nicht ploizlicli, sondern ist, 
wie aus den üben angefüliiten Versuchen schon zur Geniige 
hervorging, erst im Laufe vieler Generationen entstanden, 
• während welcher meistens Sonimerwärnie und kurze Entwick- 
lungsdauer zugleich vorhanden waren. Ganz ebenso wäre es 
unrichtig aus der Thatsache, da^s die Wintergeneration stets 
die Levanaform liefert, auch dann wenn die Puppen keiner 
Kälte ausgesetzt, sondern im Zimmer erzogen wurden, zu 
schliessen dass die Winterkälte keinen Einfluss auf die Fest- 
stellung ihrer Form gehabt habe. Auch hier müssen die ent- 
scheidenden Einflösse viele Tausende von Generationen hin- 



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90 

durch wirksam gewesen sein. Jetzt nachdem die Wintergestalt 
der Art durch so lange Zeiträume hindurch sich befestigt 
Ijat, bleibt sie auch dann noch best^hon, wenn der äussere 
Einduss (die Kälte), weicher sie liervorrief, momentan ein- 
mal fehlt. 

Das Experiment kann uns hier nicht weiter helfen: da wir 
nicht mit langen Zeiträumen experimentiren können; aber es 
giebt einige Beobachtungen, welche mir entacheidend zu sein 
scheinen. Wenn wir den PolyommaHu PhUuas sowohl in Deut- 
schland als in Italien in zwei Generationen auftreten sehen, 
von denen die deutschen beide gleich sind, während in Italien 
die Sommergeneration sehwars wird, so kann dies nicht dem 
Binfloss kürzerer Entwicklungsdauer sugeschrieben werden, 
weil diese in I>eutschland und Italien dieselbe ist (xwei Ge- 
nerationen im Jahre), sie kann somit nur von der hö- 
heren Sommertemperatur herYorgerufen wor- 
den sein. 

Ahnliche Fälle liesseiti sich noch manche anfuhren, doch 
genügt als Beweis ein einsSger. Ich bin desshalb der Ansicht, 
dass nicht die Bntwicklungsdauer. das umwan- 
delnde Prineip ist bei der Bildung klimatischer 
Varietäten der Schmetterlinge, sondern ledi- 
glich die Temperatur, welcher die Art während 
ihrer Verpuppung ausgesetzt ist. 

Wie hat man sich nun die Wirkung der Wärme auf Zeich- 
nung und Färbung einer Schmetterlingsart vorzustellen? Es 
ist dies eine Frage, die vollständig nur durch' einen Einblick 
in die geheimriissvollen cliemischen Vorgänge berintwortet 
werden konnte, durch welche der Kürjjcr des Schmetterlings 
sich in der Puj)pe aufbaut und zwar nur durch einen so 
vollständigen Einblick bis in die feinsten Dctail-Processe hi- 
nein, wie wir weit entfernt sind, ihn bei der Entwicklung 
irgend eines lebendigen Wesens auch nur annähernd zu be- 
sitzen. Nichtsdestoweniger lässt sich doch auch in dieser 
Frage noch ein wichtiger Schritt vorwärts thun, wir kön- 
nen feststelln, dass die Qualität der Abänderung we- 



40 

sontHcli nicht von der einwirkenden W&rme, 

sondern vom Organismus selbst abhängt. Es geht 
dies einmal aus der (Qualität der Abänderung bei ein und 
derselben Art hervor. 

V'er^'leiclit man die italu-nlsclu' Suiiiinorlürm von Pulyom- 
matus J'hlacas mit ihrer W'iiiterform, so bestellt der L'nter- 
scliied zwischen ihnen lediglich darin , dass das glänzende 
Küthgold der letzeren bei der Sommerfurni durch schwarze 
Schu])j)ün stark verdüstert, gew isberniast>cn überdeckt ist. Der 
Entomologe spricht von einer • schwarzen Bestäubung » der 
Oberseite der Flügel, die natürlich nicht wörtlich zu nehmen 
' ist, denn die Anzahl der Schuppen ist bei beiden Formen 
dieselbe, aber bei der Summerform sind die mciüteu Schup- 
pen schwarz, relativ wenige nur roth. 

Man könnte nun daraus den Schluss ziehen, dass durch 
grosse ^Värme dei- Chemismus des Stoffwechsels bei Phlaeas 
in der Weise verändert werde, dass weniger rothes und 
mehr schwarzes Pigment erzeugt werde. Aber so einfiu:h ist 
die Sache nicht, es geht das schon aus dem einen Umstand 
hervor, dass die Sommerfbrmen nicht plöttlich, sondern erst 
im Laufe zahlreicher Generationen entstanden sind. Es geht 
aber weiter auch aus dem Verhältniss von beiden Saisonformen 
bei andern Arten hervor. 

So unterscheidet sich die Winteribrm bei Pieri» Napi von 
der Sommerform unter Anderm durch starke schwarze Bestäu- 
bung der Fliigelwurzeln. Man kann aber daraus nicht schlie- 
ssen, dass hier bei der Winterform mehr schwarzes Pigment 
erzeugt werde, als bei der Sommerform; denn bei dieser sind 
zwar die Flügelwurseln weiss, aber dagegen die Flögelspitzen 
und die schwarzen Flecke auf den Vorderflügeln grösser und 
tiefer schwarz, als bei der Winterform. Nicht die Quan- 
tität des erzeugten schwarzen Pigmentes unter- 
scheidet beide Formen, s u n d e r a der Modus sei- 
ner Vertheilung auf den Flügeln. 

Und selbst bei Arten, deren Sonnnerform wirklicli weit 
mehr Schwarz enthält, als die Winterform, wie z. B. Va- 



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41 

uessa Levana ^ lässt sich doch iiiclit die eine Form aus der 
andern einfach durch Verbreiterung' der vorhandenen scliwar- 
zen Stellen ableiten; denn an derselben Stelle, an welcher bei 
Levana ein schwarzes Band verläuft, iindet sich bei der sonst 
viel mehr Schwarz enthaltenden Prorsn eine weisse Binde 
(Vergleiche die Fig. 1-9). Die Zwischenstufen, welche man 
künstlich durch Kälteeinwirkung auf die Sommergeneration 
erzeugt bat, zeigen Schritt für Schritt, je nach dem der 
Röckschlag mehr oder weniger vollständig eingetreten ist, 
wie mitten auf der weissen Binde der Prorsa ein schwarzer 
Fleck entsteht, der grösser wird, um schliesslich bei der 
vollständigen Levanaform mit einem andern von vorn in die 
Binde hereinwachsenden schwarzen Dreieck zu einem schwar- 
zen Band zu Terschmelzen. Die weisse Binde der Prorsa- und 
die schwarze der Levanaform decken sich auch keineswegs, 
sondern bei Prorsa ist eine ganz neue Zeichnung entstanden, 
die nicht durch blosse Farbenvertauschung aus der Levana» 
Zeichnung zu erhalten ist. 

Es entsteht also hier unzweifelhaft die neue Form nicht 
blos dadurch, dass ein gewisses Pigment — hier das Schwarz 
— in grösserer Menge erzeugt wird, sondern dadurch, dass die 
Pigmentvertheilung zugleich eine andre wird, dass an dersel- 
ben Stelle, an welcher früher Schwarz sich ablagerte, Jetzt 
Weiss auftritt, während an einer andern das Schwarz bleibt. 
Wer die Prorsa-und Levanaform miteinander vergleicht, 
wird nicht umhin können, sich zu verwundern, wie eine so 
total verschiedne Zeichnung nur durch die direkte Einwirkung 
äusserer Verhältnisse entstehen konnte. 

Die vielen Zwischenformen aber, die wir künstlich erzeu- 
gen können, sind — wie mir scheint — ein neuer Beweis 
für die A 1 1 ra ä 1 i g k e i t der ü m w a n d 1 u n g. Atavistische 
Zwischenfornion können nur da vorkommen, wo sie in der 
jihyletischen Reihe auch wirklich einmal bestanden halx-n. 
Allerdings kann ein Hiickschlag nur in einzelnen Charakteren 
erfolgen, in andern aber die neue Form bestehen bleiben, es 
ist das sogar die gewöhnlichere Form des Kücltschlags, und 



43 

es könnto auf diese Weise eine Mischung von Charakteren 
entstehen, wie sie als phyletisclies Stadium nie vorgekolnmen 
ist; es kennen aber gewiss niemals einzelne Chaniktere auf- 
treten, die nicht auf irgend einem phvletischen Entwicklungs- 
stadium normale Charaktere warenn es widerspräche dies ge- 
radezu dem Begriff des Rückschlags, durcli den niemals neue, 
sondeui stets nur schon dagewesene Charaktere ins Leben 
treten können. 

Wenn demnach die atavistischen Formen von V. Levarta, 
welche wir als Porimai'orm bezeichnen, uns die Zeichnungscha- 
raktere in einer grossen Mannigfaltigkeit von Übergängen vor 
Augen fuhren, so lässt uns dies auf eine lange Reihe von 
phvletischen Entwicklungsstadien schliessen, welche durchlau- 
fen werden mussten, ehe sich die Sommergenerationen voll- 
ständig in die Prorsaform umwandelten. 

Es bestätigt dies also die oben schon vorgetragene Ansicht 
von der langsamen und cumulirenden Wirkung der Klimaein- 
flusse. 

Wenn nun aber auch die Wärme xweifellos das Agens ist, 
welches viele unsrer Schmetterlinge allmälig in Zeichnung 
und Farbe verändert hat, so gebt doch aus dem, was so eben 
äber die Qualität dieser Veränderungen gesagt wurde, 
sur Genüge hervor, dass die Hauptrolle bei diesem Transmu- 
tationsprocess nicht ihr zufällt , sondern dem Organismus, 
der von ihr beinflusst wird. Durch die Wärme veranlasst, be- 
ginnt eine von Generation zu Generation sich steigernde Än- 
derung in den feinsten und letzten Vorgängen des Stoffwech- 
sels, welche nicht blos darin besteht, dass statt des einen 
FarbstofTs an einer bestimmten Stelle ein andier abgelagert 
wird, sondern welclier es eben so gut mit sich bringen kann, 
da^^s an einer Stelle Gelb sich in Weiss umsetzt, an einer 
andern in Schwarz, oder dass an einer Stelle Schwarz sich 
in Weiss verwandelt, an einer andern aber Schwarz bleibt. 
Wenn man l)edenkt , wie ungemein zäh die kleinsten unbe- 
deutt'fisteii Chaiaktere der Zcirlmung bei constanten Sclimet- 
terlingsarten von Geschlecht zu Geschlecht vererbt werden. 



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48 

so muss eine derartige totale Umwandlung um so mehr 
überraschen und man wird sie nicht aus der Natur 
der Wärme erklären können, sondern nur aus 
der Natur der betreffenden Art. Diese reagirt auf 
Wärme nicht so, wie muß Eisenlösung auf Kaliumeisencya- 
nur, oder auf Schwefelwasserstoff; was vorher Schwarz war, 
wird jetzt nicht filau oder Gelb, was Weiss war , wird nicht 
durchweg Schwarz, sondern es entwickelt aich, aua- 
gehend TOD der vorhandenen Zeichnang» eine 
neue, oder wie ich es allgemeiner ausdrücken mOchte: Die 
Entwieklungsrichtung der Art wird eine andere. 
Die complicirten chemisch-physicalischen Vor- 
gänge im Stoffwechsel des Pappenschlafs ver- 
schieben sich allm&Iig derart, dass daraus als 
End-Resultante eine neue Zeichnung und Far* 
bung des Schmetterlings hervorgeht 

Dass wirklich hei diesen Vorgängen die Cdnstitution der 
Art die Hauptrolle spielt, nicht aber das äussere Agens, die 
Wärme, dass diese vielmehr nur die Bolle des Funkens äber- 
nimmt, der wie Darwin sich einmal treffend aasdrückt, die 
brennbare Substanz entzündet, während die Art und Weise 
des eingeleiteten Verbrennungsprocesses von der Qualität des 
explodireiidcn Stoffes abhängt, dafür sprechen noch weitere 
Thatsachen. 

Wäre es nicht so, so müssto erhöhte Wärme bei allen 
Schmetterlingen eine bestimmte Fahbe stets in derselben 
Weise verändern, stets also in dieselbe andere Farbe um- 
wandeln. Dem ist aber nicht so, denn während Pohjommalus 
Phlacas im Süden schwarz wird, wird die ebenfalls rothe Va- 
nma Urlicae im hohen Norden schwärzer, und viele andere den 
Entomologen wohlbekannte Beispiele Hessen sich dafür anführen. 

Dagegen finden wir umgekehrt, dass Arten von ähnli- 
cher physischer Constitution, d. h. also nahe ver- 
wandte Arten unter dem gleichen klimatischen 
Eintiuss in analoger Weise abändern. Ein schönes 
Beispiel dafür bieten unsere Weisslinge (ßieridm). Die mei- 



44 

sten von ihnen zeigen Saison-Dimorphismus: so Pieris Bras- 

sicue , Rapae , Napi, Krueptri urul Daplidice, Anthocharis Belia 
und Belcmia, Lrucoplias'ui Siaupis , und bei allen sind die Un- 
terschiede zwischen Winter- und Sonmierlürtii ganz älinlicher 
Art; erstere zeichnet sich durch starke schwarze Bestäubung 
der Fliigeiwurzeln, durch schwärzliche oder grüne Bestäubung 
der Unterseite der Hinterllüj:el aus, während letztere statt 
dessen intensiv schwarze Flügelspitzea und oft auch Flecke 
auf den Vordcrflügeln besitzt. 

Nichts kann aber scblagendcr beweisen, wie hier Alles von 
der physischen Constitution abhängt, als die Thatsache, dass 
bei einzelnen Arten die männlichen Individ uen 
in andrer Weise abändern, als die weiblichen. 
Die Stammform von Pieris Napi (die var. ßryoniae) bietet 
ein Beispiel. Bei allen Pieriden finden sich sekundäre Ge- 
schlechtsunterschiede, die Männchen sind anders gezeichnet 
als die Weibchen* die Arten sind also sexuell dimorph. Nun 
wurde oben schon erwähnt, dass die Männchen der von mir 
als Stammform au^efiässten alpin-polaren var. Bryomae sich 
beinahe gar nicht von den Männchen unsrer deutchen Win- 
terform (Piem Napi var, vemalu) unterscheiden, während 
die Weibchen so bedeutend differiren Es hat also der 
allmälige Klimawechsel, der dje Stammförm Bryoniae in 
Napi verwandelte, eine weit stärkere Wirkung auf das weib- 
liehe als auf das männliche Geschlecht ausgeübt. Die äus- 
sere Einwirkung war genau dieselbe, aber die 
Beaction des Organismus war eine verschiedene, 
und die Ursache der Verschiedenheit kann nirgend andere 
sucht werden, als in den feinen Mischungsunterschieden , wel- 
che die weibliche von der männlichen physischen Constitution 
unterscheiden. Wenn wir auch ausser Stand sind, solche Un- 
terschiede näher zu präcisiren, so dürfen wir sie doch aus 
solchen Beobachtungen mit voller Sicherheit als vorhanden 
erschliessen. 

(•) vergleich« die Fig. 10 und 14. U und 15. 



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45 

Ich hebe dies besonders desshslb hervor, weil nach meiner 
Ansicht Dar'win seiner sexuellen Züchtung einen su grossen 
Einfloss zuschreibt, wenn er die Ausbildung secundärer Ge- 
schlecjitsunterschiede auf sie allein zurückfuhrt. Der Fall 
von Aryonioe lehrt uns» dass sie auch aus rein inneren 
Ursachen auftreten Icönnen, und ehe nicht das Expe- 
riment über die Tragweite der sexuellen Zuchtwahl irgend 
einen Anhalt geliefert haben wird, bleibt die Ansicht berech- 
tigt, dass der sexuelle Dimorphismus der Schmetterlinge 
2um grossen Theil in Verschiedenheiten der physischen Con- 
stitution der Geschlechter seine Ursaclie habe, üanz anders 
liegt die Sache hei solchen Sexualcharakteren, welche wie 
die Stimme der männlichen Heuschrecken unzweifelhafte Be- 
deutung für das Gesclüechtslebcn besitzen. Diese können ge- 
wiss mit grosser Wahrscheinlichkeit von sexueller Ziichtung 
abgeleitet werden. 

Es ist vielleiclit nicht überflüssig, noch einen andern ähn- 
lichen Fall anzulühren, bei welchem aber nicht das weibli- 
che , sondern das männliche Geschlecht stärker von dem 
Klimawechsel betroffen wurde. Der schon oft erwähnte Po- 
lyommatus Phlaea^ ist in unsern Breiten, wie im hohen Nor- ' 
den in beiden Geschlechtern vollkommen gleich in Farbe und 
Zeichnung, ebenso im Süden in seiner Wintergeneration. Die 
Sommepgen erat Ion aber zeigt einen leichten sexuellen Dimor- 
phismus, der darin besteht, dass bei den Weibchen das Roth 
der Vorderflügel weniger vollständig von Schwarz verdeckt 
wird, als bei den Uamichen. 

# 

XV. Waram sind nlol&t alle Poljr^potteuoaten 

siaiMon-dlmor]}^ 7 

"Wenn wir als erwiesen annehmen dürfen, dass der Saison- 
Dimorphismus nichts Anderes ist, als die Spaltung einer Art 
in zwei Klima-Varietäten an ein und demselben Wohnorte, 
so drängt sich sogleich die weitere Frage auf, warum nicht 



« 



46 

alle Polygonenonttn (Arten welche mehr als eine Generation 
im Jahre produciren) saisondimorph geworden shid. 

Um diese sn beantworten» ist es nöthig, nSher auf die 
Entwicklung dieses Saison-Dimorphismus einzugehen. Offenbar 
beruht dieselbe auf einer eigenthumlichen Art der Vererbung, 
einer sprungweisen, periodischen, die man versucht sein 
könnte, mit der von Darwin zuerst hervorgehobenen Ver- 
erbung in correspondirendem Lebensalter zu identificiren. 
Sie fällt indessen keineswegs mit dieser völlig zusammen, 
wenn sie auch eine grosse Analogie mit ihr besitzt und in 
letzter Instanz auf ein und demselben Grunde beruhen muss. 

Die Darwin'sche « Vererbung in correspondi- 
rendem Lebensalters, oderwie Haeekel sie nennt, die 
■ homoclirone Vererbung» charakterisirt sich dadurch , 
dass neue Charaktere stets in demjenigen Lebensalter des fn- 
divuluunis auftreten, in welcliem sie zuerst bei seinen Vorältern 
auftraten; ein Satz, dessen Richtigkeit streng erwiesen wurde, 
da Fälle bekannt sind, in w-elchen das erste Auftreten eines 
neuen (vorzüglich pathologischen) Charakters , sow ic seine 
Vererbung durch mehrere Geschlechter beobachtet w urJe. Auch 
• die saisondimorphen Schmetterlinge können einen weiteren 
Beleg dazu liefern und zwar in besonders werthvoller Weise. 
Sie zeigen nämlich, dass nicht etwa nur plötzlich entstan- 
dene, also wohl aus rein innern Ursachen hervor gegangene 
Abweicbungen diesen Vererbungsmodus einhalten, sondern 
dass allmälig entstandene , von Generation zu Generation 
sich häufende, auf Anstoss äusserer Einflüsse hervorgerufene 
Charaktere sich nur auf diejenigen Lebensstadien vererben , 
in welchpn diese Einflüsse sich geltend machten oder noch 
machen. Bei allen saisondimorphen Schmetterlingen, welche 
ich genau untersuchen konnte, fand ich die Raupen der 
Sommer-und Wintergenerationen völlig iden- 
tisch; die Einflüsse, welche auf die Puppen 
einwirkend, die Imagines in zwei klimatische 
Formen gespalten hatten, waren also ohne alle 
Einwirkung auf die früheren Entwicklungssta- 



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47 

dien geblieben. Ich führe speeiell an, dass die Raupen 
sowuhl als die Puppen und Eier von Vanessa Levana bei der 
Sommcr-und Winterform, gans gleich sind und dasselbe ist 
der Fall in allen der genannten Stadien von Pierii Napi und 
Pierü Bryoniae. 

Es soll hier nicht Tersncht werden, tiefer in das Wesen 
der Vererbangserscheinungen einzudringen ; es genügt das 
Gesetz bestätigt su haben, dass Einflüsse, welche nur in be- 
stimmten Entwicklnngsstadien des Individuums eintreten, 
auch wenn sie nicht pl6tslieh> sondern cumulativ wirken, 
doch nur dieses einzige Stadium verändern, ohne alle Nach- 
wirkung auf spätere oder frühere Stadien. 

Offenbar ist dieses Gesetz von der grössten Wichtigkeit 
für das Verständniss der Metamorphose. Lubbock (<) hat 
kürzlich in geistreicher Weise entwickelt, wie man sich die 
Entstehung der Metamorphose bei den Insecten durch indi- 
recte Einwirkung verschiedener Lebensbedingungen in den 
verschiedenen Lebensaltern einer Art erklären kann, wie die 
beissenden Mundtheile einer Kaupe sich durch Aii|:assung an 
eine andre Einuhrungswcise in s|iätcrem Alter in saugende 
umwandeln konnten; eine solche Anpassung verschiedener 
Entwicklungsstadien einer Art an verschiedenartige Lebens- 
verhältnisse würde aber niemals 7.ur Metamorphose führen 
können, wenn nicht das Gesetz der homochronen oder perio- 
dischen Vererbung die allmäligcn Errungenschaften eines 
hestimmten Lebensalters auch nur auf dasselbe Lebensalter 
der folgenden Generation übertrüge. 

Die Entstehung des Saison-Dimorphismus beruht nun auf 
der Herrschaft eines ganz ähnlichen Gesetzes, oder genauer 
einer Vererbungsform, welche sich von der eben l)etrach- 
teten nur dadurch unterscheidet, dass sie sich hier nicht auf 
die Stadien der Ontogenese, sondern auf eine ganze Genera- 
tionsfolge bezieht. Diese Vererbungsform würde sich etwa so 
formuliren lassen: Wenn umstimmende Einflüsse al- 

(1) On ilie Orlgta ud Itetamorpbo«* of nisMis. London 1874. 



48 

ternirend eine Reihe von Generationen treffen, 
so entsteht ein Cycius von Generationen, indem 
die Abänderungen sich nur auf die von dem 
abändernden Binfiusse getroffenen Generatio- 
nen vererben, nicht aber auf die dazwischen 
liegenden. Charaktere, welche durch den Einfluss des 
Sommerklimas entstanden, vererben sich nur auf die Som- 
mergenerationen, bei den Wintergenerationen bleiben sie la- 
tent, ganz ebenso wie die beissenden Mundtheile der Baupe 
im Sdunetterling latent bleiben und erst in dem Raupen- 
stadium der folgenden Generation wieder hervortreten. Auch 
dies ist keine blosse Hypothese, sondern der unabweisliche 
Schluss aus den Thatsachen. Sobald man zugiebt, dass meine 
Auffassung des Saison-Dimorphismus als einer doppelten Klima- 
Varietat richtig ist, so folgt daraus unmittelbar das Gesetz der 
cyclischen (<) Vererbung, wie ich es zum Unterschied von der 
die Stadien der Ontogenese betreffenden homochronen Ver- 
erbung nennen möchte. Diese cyclische Vererbung 
bildet oü'enhar die Grundlage aller jener Ki si-lieinungcn wel- 
che man unter dem Namen des GeneratiiMiswechsels zusam- 
menfasst, wie dies später entwickelt werden soll. 

Es verhalten sich also die aufeinander folgenden Genera- 
tionen liier genau ebenso, w^ie dort die Kntw icklungsstadien 
eines Individuums, und es muss erlaul)t ^ein, daraus den 
Kiickschluss zu ziehen, dass in der That — wie wir es aus 
andern Gründen schon lange annehmen — eine Genera- 
tion nur ein Entwicklungsstadium im Leben der 
Art ist. Es scheint mir darin eine schöne Bestätigung für die 
Dichtigkeit der Entwicklungslehre (Descendenztheorie) zu liegen. 

(M Anm. Ich dachte zuerst daran dia beiden Formen cyrliscbcr oder homo- 
chroner Vprorbiinp als ontogonetiac h-und p h y l e t i 8 r h - r y r 1 i s h e 
tu bezeichnen. Eratcres wuro stets richtig. Letzteres ab«r passle iwar b«iui 
0«iieralloMWiechMl , bei welchem «Irklich swel oder mehrere phyle ti- 
sche S l .1 d i •> n milcinniidtT abwechseln, nirht nbor hei .-»Ilpn di'ii Fallen, 
welche ich (siehe unten l) der Hekerogonle turechne und bei welchen, 
wie grade beim Sal«OD«Dlmor phlsmas, eine Reihe von QeaerAtloaeQ d e • s e 1- 
ben phyletlaehen Stadium« den Aiiss<^Diripaiikt bildet. 



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4*J 

Wenn nun aber — um zu der. in diesem Abschnitt su lö- 
senden Frage zurociuukebren — der abwechselnde Einfluss 
von K&lte. im Winter und Wärme im Sommer nach dem 
Gesets der c^ clischen Vererbung zur Ausbildung uiner Winter- 
und Sommerform fuhren muss, warum — so müssen wir 
abermals fragen — finden wir nicht bei allen Polvgoneuon- 
ten unter den Schmetterlingen die Erscheinung des Saison- 
Dimorphismus^ 

Man \Vird zuerst daran denken, dass nicht alle Arten die 
pleiche Einplindlichkeit gegen Teniperatur-Fintlüsse zu liaben 
brauchen; ja es lässt sich sogar aus den qualitativ so sehr 
verschieilenen Diticrenzen zwischen Winter-und Sonunerforni 
der verschiediien Arten mit iie-^tiuinitheit eine verschieden 
grosse Enifdanffliclikcit für den niodificirenden Einfluss der 
Tenijjeratur al)leiten. Allein damit reicht man zur Erklärung 
nicht aus; denn es gieljt Schmetterlinge, die überall, wo sie 
vorkommen, zwei völlig gleiche (*) Genejationen produ- 
ciren und dennoch unter verschiedenem Klima als Klima-, V'arietät 
auftreten. So J^amrga Egi ria (Fig. 23} deren südliche Varietät 
Mrnne (Fig. 24) sogar noch durch eine Mittelform der ligu- 
rischen Küste mit ihr verbunden wird, liier besteht also eine 
entschiedene Beactionsfähigkeit auf Temperatureinflüsse, und 
doch ist keine Scheidung in Sommer-und Winterform ein- 
getreten. 

Man könnte nun daran denken, eine verschiedene Art 
der Vererbung als Ursache des verschiedenen Verhaltens 
anzunehmen, also einfach zu sagen: nicht immer werden 
Veränderungen, welche durch Klimawechsel erzeugt wurden, 
alternirend vererbt, d. h. nur auf die correspondirenden Ge- 

(I) Anm. B« lieniht auf einem Jrrthum, weno d«r MMt Mhr fsnaiM U«- 
7«>r-Dttrr in Mincm « V«raeiehnlM d«r Schmetterling« der Schwell » (UBC) 

s. 2il7 angiebl, il' - witittT-nml Soromergeneration von P. Kgeria iinttTsrMe- 
deu «ich durcU kleiuu Abweichungen im Flüselscboitt unU in der Zeichnung. 
Die Charaktere, welche Meyer fdr die Sommerform anglebt, passen Tiel 
mehr aof des weibUche Oeachlecht. Bs besteht bei dieser Art ein sehr ge- 
riiiirfti^riger sesveller Dimorphismus, abttr kein sai son • Hl mor> 
p h i R tn u 9 



50 

nerationen, sondern zuweilen auch kontinuirlicb, also so, 
dass sie in jeder Generation su Tage treten, in keiner blos la- 
tent vorhanden sind. Die Ursachen warum in einem bestimmten 
Falle die eine oder die andere Vererbungsform eintr&te, 
könnten dann nur innere, d. h. im Organismus selbst gele- 
gene sein, und Ober ihr eigentliches Wesen Hesse sich einst- 
weilen so wenig aussagen, als über das "Wesen irgend 
eines Vererbungs-Vorganr^es. In ähnlicher Weise hat Dar- 
win eine doppelte Art der Vererbung; in Bezug auf die 
iiuucii Charaktere angenommen, wcltlu' durch geschlechtliche 
Züchtung hervorgerufen werden; bei der einen bleiben diese 
CJiarakterü auf das Gesclilecht beschränkt, welches sie er- 
warb ; bei der andern werden sie aucli auf das andere Ge- 
sclilecht vererbt, ohne da>.s sidi angeben liesse, warum in 
einem l>e>timmten Falle die eine oder die andere Form der 
N'ererbung eintritt. 

Ilei der sexuellen Züchtung mag diese Art der Erklärung 
statthaft sein, da es nicht undenkbar ist, dass gewisse Cha- 
raktere von der jdix sisclien Natur des einen Geschlechtes 
nicht so leicht, oder selbst gar nicht hervorgebracht werden 
können, als von der des andern Geschlechtes; in unserm 
Falle aber kann in der })]iysischen Constitution der einen 
Generation unmöglich ein Hindern iss zur Übernahme eines 
vererbten Cliarakters liegen, insofern diese Constitution vor 
dem Eintritt des Dimorphismus bei allen aufeinanderfolgen- 
den Generationen gleich war und erst durch den ungleichen 
Einfluss der Temperatur auf die alternirenden Generationen 
jeden Jahres, in Verbindung mit cyclischer Vererbung inso- 
weit ungleich geworden ist, dass daraus ein Wechsel der 
Artcharaktere resultirt. Wenn dass Gesetz der cyclischen Ver- 
erbung überhaupt ein Gesetz ist, dann muss es auch in 
allen Fallen Geltung haben, und es kann niemals vor^ 
kommen, dass Charaktere, welche von der Som- 
mergeneration erworben wurden, auch auf die 
Wintergeneration von vorn herein vererbt wer- 
d e n. 



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51 

Ich will zwar die Möglichkeit nicht in Abrede stellen , dass 
später, nachdem si'hr zahlreiche Generationen liindurcli al- 
ternirende Vereiltuu^u: ^tnüi^' ciii^'elialten wurde, ein Moment 
eintritt, wo der iiberwie^rende EinlUi^s mehrfacher Somiuer- 
generatiunen sich schlicsslicli auch Itei der Wintergeneration 
derart geltend macht , dass die Sommer-Charaktere nun auch 
hei ihr zum Vorschein kommen, statt wie bisher latent zu 
bleiben. Man kbnnte sicli vorstellen , dass auf diese Weise 
zuerst nur wenige, später immer zahlreic here Individuen der 
Sommerfbnn sich annähern, bis schiiesslicli der ganze Dimor- 
phismus verschwunden und die Art wieder raonomorph ge- 
worden wäre, bis also die neue Gestalt der Art die Allein- 
herrschaft errangen hätte. Eine solche Vermuthung würde 
sich sogar jetzt schon durch einige Thatsachen stützen lassen, 
wie denn oben bereits eine der Theorie scheinbar widerstrei- 
tende Beobachtung an Vane$aa Levana in diesem Sinne ge- 
deutet wurde. Ich meine die Thatsache» dass zuweilen ein- 
zelne Schmettei'linge der Wintergeneration noch im Oktober 
ausschlupfen und zwar in der. Prorsaform , statt wie die an- 
dern zu uberwintern und im nächsten Frähjahr in der Levana- 
form zu erscheinen. Auch die Thatsache , dass die Winterform 
von Pieris Napi im weiblichen Geschlecht nicht mehr die 
auffiillende Färbung der Stammform Bryoniae beibehalten hat, 
Hesse sich als Beeinflussiing der Wintergeneration .durch 
die mehrfochen Sommergenerationen deuten , und nicht min- 
der kann die Doppelgestalt der Frühjalirs-ieneration bei Pa- 
-jtil'w Ajnx durcii allmäligc Umwandluii;^' der alternirenden 
Wrcrbung in continuirliche ihre Erklärung linden, wie oben 
bereits angeführt wurde. Alle diese Fälle sind al)er vielleicht 
auch anderer Anslogung fähig, jedenfalls k.uin ül)cr die Rich- 
tigkeit der Vermuthung erst durch weitere Thatsachen 
entschieden werden. 

Sollte indessen dieselbe sich aucli als richtig heraussteUen , 
so würde mit ihrer Hülfe sich doch das Fehlen des Saison- 
Dimorphismus bei Fällen w ie Pararya Eyeria und Meiune nicht 
erklären lassen, da hier nur eine Sommergeneration vor- 



38? 

kommt, also ein Überwiegen der Sommercharaktere in Bezug 
auf die Vererbung nicht angenommen werden kann. Man 
mu88 sich somit nach einer andern Erklärung umsehen, und 

ich glaube sie in dem Umstand zu lindon, dass die genann- 
ten Scliiiictterlingc nicht als Puppen überwintern, 
b 0 n (1 e 1- Ii als K a u p o ii , dass s o mit die W i n t c i k ä 1 1 e 
nielit die E n t w i c k 1 u n g s v o rgä n g e direct beein- 
flusst, durcli welclie das vollendete Insect in 
der Puppe sich ausbildet, (iivido darauf aber scheint 
es bei der Entstehung jener Färbungsunterschiede nnzukoni- 
nieii, welche wir aU Saison-Dimorphisn^us der Sclimottcr- 
linge bezeichnen. 

Es geht die» mit grüsster Wahrscheiidirhkeit aus den oben 
angeführten Versuchen hervor. Mao kann es schon daraus 
schliessen, dass die Eier, Raupen und Puppen bei der Som- 
mer- und Wintorgeneration bei allen darauf untersuchten 
saisondimorphen Arten völlig gleich sind; nur das St:uliuni 
des Schmetterlings zeigt sich verschieden. Weiter daraus, 
dass Temperatur-Einflüsse, welche die Raupe treffen , niemals 
eine Veränderung des Schmetterlings nach sich ziehen , sowie 
endlich daraus, dass die künstliche Hervorrufung des Ruck- 
schlags der Sommer^ in die Winterfbrm nur durch Einwir- 
kung auf die Puppe zu erzielen ist. 

Wir dürfen annehmen, dass zur Eiszeit nicht alle Mono- 
goneuonten als Puppen den Winter uberdauerten, da auch 
heute noch eine ganze Anzahl von ihnen im Raupenstadium 
überwintern (z. B. Satynu Proserpma u. Hermione, Epme- 
phek Eudora, Jantra, Tithmut, ffypenmtut, Jda u. s. w.). 
Als nun das Klima wärmer wurde und in Folge davon bei 
vielen dieser Monogoneuonten sich allmälig eine zweite Ge- 
neration einschob, folgte daraus doch keineswegs mit Noth- 
wendigkeit auch eine Vei-siliielsung der AVintergeneration , 
derart, dass nun die Pujipen , statt früher die Haupen über- 
winterten. Es lässt sich sogar a priori leicht dartliun , dass 
wenn überhaupt eine Verschiebung der Wintergeneration 
eintrat, dies nur in umgekehrter Richtung geschehen konnte, 



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53 

nämlich so, das» Arteu, welche Irüher als Kaupeii den Win- 
ter zubrachten, nun im Ei uberwinterten, solche aber, wel- 
che früher als Puppen überwinterten , jetzt als Raupen. 
Das Einschieben einer Sonmiergeneration muss nothwendig 
das Absetxen derjenigen Brut, welche überwintert, weiter 
gegen das Ende des Sommers vorrücken; der Best des Som- 
mers» welcher zur Entwicklung der Eier und Bäupchen die- 
nen soll, wird möglicherweise nicht mehr bis zur Verpup- 
pung ausreichen, und die Art, welche als Puppe äberwinterte, 
solange sie monogoneuontisch war, wird jetzt vielleicht als 
Raupe uberwintern müssen. 

Eine derartige Verschiebung ist denkbar; gewiss aber 
ist es, dass viele Arten überhaupt gar keine Verschiebung 
ihrer Entwicklung erlitten, als sie aus Mono- zu Digoneuonten 
wurden. Es geht dieses daraus hervor, dass bei vielen Arten 
aus der Familie der Satyriden, w^elche heute Digoneuonten 
sind, die Überwinterung im Stadium der Raupe geschieht, 
also ganz ebenso wie bei den monogoneuontisch gebliebenen 
Arten derselben Familie. 

Bei allen Digonoeuonten aber, deren AViiitc r- 
g e n e r a t i 0 n in d o r K a u p e n f o r ni ü )) e r w i n t e r f , k ö n- 
neii wir nicht erwnrten S a i so n - D i ni o r |» h is m u s 
der i>c Ii m e 1 1 e r 1 i n g e anzutreffen, da bei ihnen 
das I* u j> |) e n s t ad i u ni ihrer beiden Generationen 
nahezu denselben Temperatur cinflüssen ausge 
setzt ist. 

Man wird daher zu dem Satze geführt, dass bei Tag- 
schmetterlingen überall da Saison-Dimorphismus 
entstehen muss, wo die Puppen der alterni- 
renden Jahresgenerationen sehr verschiedenen 
Temperatur-Einflüssen in regelmässigem Wech- 
sel und lange Zeiträume hindurch ausgesetzt 
waren. 

Damit stimmen die Thatsachen, insofern die meisten 
Schmetterlinge, welche Saison-Dimorphismus zeigen, auch 
im Puppenstadium überwintern. So ausser Vanetta Levam, 



54 

alle Pieridc'M, Pajji/iu Macknon , J'ap. Podalirius , Pup. Ajax, 
Indessen darf nicht verschwiegen werden, dass Saison-Diniur- 
phismus auch bei einigen Arten vorkommt, welche nicht als 
Puppen, sondern als Raupen überwintern, wie dies z. B. bei 
der sehr stark dimorphen Lijcacnn Amijntcs der Fall ist. Aber 
solche Fälle lassen sich auf verschiedene Weise erklären. 

Einmal hängt die Bildung einer Klima-Varietät — und als 
solche miissen wir ja auch die Formen des Saison-Dimorphis- 
mus auffiissen — keineswegs lediglich von der Grösse der 
Differenz ab zwischen der Temperatur» welche auf die 
Puppen der primären, und der Temperatur, welche auf die 
der secundären Form einwirkte; sie wird vielmehr durch 
die absolute Temperaturhöhe bestimmt, welche das Puppen- 
. Stadium trifft. Es geht dies unzweifelhaft daraus hervor, dass 
manche Arten, wie unser gemeiner Schwalbenschwanz, Pap, 
Maehaon und der Segelfalter , Pap. PodaHriw in Deutschland 
und dem übrigen gemässigten Buropa keine Unterschiede in 
der Fälbung efkennen lassen zwischen ihrer ersten Genera- 
tion, deren Pn{»iien iibei'wiutein und der zweiten, deren Pup- 
penzeit in <leii Juli l'älli, während dieselben Sehnietterlin;^'e 
im siidlit'lien Spanirn und Italien in gerinj:em Grade saison- 
dinioi'ph werden. Die unter dem Einflüsse der sicilianischen 
Sommerhitze sich entwickelnden Schmetterlinge hal)en sich, 
wenn auch nur in geringt-m Grade zu klimatischen \'arie- 
täten umgebildet. Noch klarer beleuchtet diese Verhältnisse 
folgende Ketlexiüu. Die mittlere Tcmperatiu- von Winter und 
Sommer in Deutschland dillerirt um 14, U*^ Ii, also viel be- 
deutender, als die des deutschen und sicilianischen Sommers, 
welche nur um 3, R, aus einander stehen; dennoch sind 
Winter- und Sommergeneration yon Pap. PodaUrius in Deutsch- 
land gleich geblieben, die Sommergeneration in Sicilien aber 
zur Klima- Varietät gewoi^den; in der geringen Steigerung 
der mittleren Sommer-Temperatur von 15,0* R (Berlin) auf 
19, 4* R (Palermo) niuss also die Ursache der Abänderung 
liegen. Es tritt demnach bei einer bestimmten 
absoluten Tomperaturhöhe die Tendenz zum Va- 



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55 

riireii in bestimmter Kiclitung ein, an zwar ist 
diese Höhe verschieden für die verschiedenen' 
Arten. Letzteres geht daraus» hervor, dass erstens der Un- 
terschied zwischen Sommer- und Winterform bei verscliicdenon 
Arten sehr ungleich gross ist , und dass zweitens viele Digo- 
neuonten in Deutschland noch monomorph sind und erst in 
Södeuropa saisondimorph werden. So die ebenerw&hnten Pap, 
Maehaon und PodaUriM, wie auch Polyonmatus Phlatas. Der 
verdienstvolle Zeller hat auf seiner italienischen Reise vom 
Jahre 1846-47 eine ziemlich grosse Anzahl von Tagschmetter- 
lingen als in schwachem Grade saisondimorph erkannt, wel- 
che 68 in unserm Klima nicht sind ('). 

So würde sich also das Vorkommen von Saison-Dimorphis- 
mus bei Arten welche wie Lycaena Amyntas als Raupen, 
nicht aU Puppen uberwintern, einfach daraus erklären, dass 
die Wintergeneration die primäre Form war, und dass die 
Steigerung der Sommerwärme seit der Eiszeit beträchtlich 
genug war, um bei dieser A i- 1 die alliiiiiÜg sich zwischen- 
schicbt-'nciü zweite Generatii)ii zur Abänderung /u veranlassen. 
l>oi Ii Idsst sicli der Diniorpliismus von Li/c. A tni/nlas noch 
auf andere Weise erklären. 

Es könnte nämlich hier eine V'erschiebung der Entwick- 
lungszeit stattgolunden liabiMi und zwar in dem oben schon 
als möglich zugegebenen Sinn, dass die Art l'riiher im Pup- 
penstadium überwinterte, später aber durch das Einsdiieben 
einer Sommergeneration in ihrer Entwicklung verrückt wuinie 
und als Raupe überwintern musste. War dies der Fall, dann 
hat sich die jetzige Winterform, var. l^olysperchon unter dem 
Eiuduss des AVinterklima's festgestellt, sie ist eine ächte Win- 
terform und hatte auch nach der angenommenen Verrückung 
ihrer Entwicklung keinen Grunde sich .umzuwandeln, da die 
Temperatur des ersten Frühjahrs , in welches heute ihre Ver* 
pupputig f&llt, dazu nicht hinreichend hoch ist Dagegen 



(■) Pb. C. Zeller Demerkungen Ubi>r die auf eliter Keise uach llalieu und 
sicllton geumnelleo sdimettarllngMrlen. Itii 1SI7, II* XU. 



küiiiite sich dio einge&chobi'uu zwciti; Generatiuu, dcivu l'up- 
pcnperiodi! mitten in den Iluch.suinnier lallt, sehr wohl zu 
einer abweichenden Sommerform irestalten. 

Diese Krklärung fallt genau genoninien mit der vorigen 
zusauinicn, mit dei- sie den yVusgangspunkt gemein liat , die 
Voraussetzung nämlich, dass hier wie l)ei Vu/ti-ssa Lrvutia 
und den Pieriden die Winter form die primäre ist, 
dass also der Dimorphismus von der gegebenen Wim 
terform ausgeht und nicht die Entsteh ung d ic- 
sor es ist, was erklärt werden soll, sondern die 
der S 0 mm e r f 0 r m. Ob nun d io Winterfonn sicli durch 
Einwirkung der Winter- oder der Frühjahrs-Temperatur ge- 
bildet hat, ist für die Beurtheilung des einzelnen Falles- in- 
sofern gleichgültig, als wir doch ausser Stande sind, anzu- 
geben, wie stark die Temperatur-Erhöhung sein müsse, um 
eine bestimmte Art sum Abändern xu zwingen. 

Theoretisch ist nun auch der andere Fall denkbar, dass 
bei irgend welchen Arten die Sommerform die pri* 
mare war, und dass durch Wanderung nach Noi*den die 
Art in. ein. Klima gerieth, welches ihr zwar noch gestattete, 
zwei Generationen hervorzubringen, das Puppenstadium der 
einen Generation aber der Winterkälte aussetzte und so zur 
Bildung einer sekundären Winterform den Anlass gab. In 
diesem Falle wörde allerdings das Überwintern als Puppe 
unerlässlich zur Entstehung eines Saison-Dimorphismus sein. 

Ob dieser Fall in Wirklichkeit vorkommt , ist mir in hohem 
Grade /.weiielhall , so viel kann jedenl'alls mit Mesiimiiitheit 
behauptet werden, dass der erstere Fall bei Weitem der hiiu- 
tigere ist. Durch die schönen l'ntersuchungen von Ernst 
Ho ff mann f) ist mit grosser Evidenz nachgewiesen wor- 
den, da^s l)ei wiMtein die Mehrzahl aller euroiiäischen Tag- 
falter nu llt von Süden her, sondern aus Sibirien einwanderte. 
Von iiSI Arten snid nach Hoffmann 173 aus Sibirien, nur 
39 aus dem südlichen Asien und nur acht aus Afrika einge- 

(*) Isvi>ori6D der onroptlseheo TaRfalMr. HtuUgart 1S73. ^ 



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wandert, riachdoin wahrend der kältesten Periode der Eis- 
zeit gar keine (?) oder doi h nur sehr wenige Arten nördlich 
von den Alpen übrig geblieben waren. Somit waren die mei- 
sten Schmetterlinge, welche heute Europa bewohnen, seit 
ihrer Einwanderung einer allmälig zunehmenden Wärme aus- 
gesetzt. 'Wenn sich bei ihnen Saison-Dimorphismus entwi- 
ckelte, so muss stets die Sommerform die sekundäre gewesen 
sein, wie dies die Rückschlagversuche bei Pieris Nopi und 
Visfies» Levana auch bewiesen haben. 

Alle mir als saisondimorph bekannten Schmetterlinge finden 
sich bei Hoffipann unter der Bubrik der sibirischen Ein- 
wanderer, mit Ausnahme von zwei Arten, der Anthoeharü 
Beknm, welche unter den aus Afrika eingewanderten aufge- 
führt wird, und der Pieris Krveperi» welche über Kleinasien 
eingewandert sein mag, wie sie denn auch heute noch nicht 
weiter ilach Westen vorgedrungen ist, als Griechenland. Aus 
einer Wanderung in der Richtung von Ost nach West kann 
ein bedeutender Klimawechsel kaum abgeleitet werden, und 
der Ursprung des Saison-Dimorphismus l)ei Pieris Krueperi 
kann daher nur auf derselben Ursache beruhen, wie der der 
sibirischfu Einwanderer, niimlich aut" der all^j-eineincn WUi- 
mezunalime der nördlichen Halbkugel seit der Eiszeit. Auch 
bei dieser Art muss die Wintertoi-m die primäre Form ^ein. 
Bei An (hoc /iuris Ilvlcinid ila^"ej,'eii kann die Wanderung von 
Afrika aus nach Norden wolil eine Versetzung in kühleres 
Klima bedeutet und eine secundäre Winterform veranlasst 
haben, wenn sich auch darüber nichts Sicheres aussagen lässt, 
weil wir die Zeit der Einwanderung in Südeuropa nicht näher 
kennen und sich eine Wanderung auch ohne Klimawechsel 
denken lässt, wenn sie nämlich Schritt hielt mit der seit der 
Eiszeit allmälig zunehmenden Wärme der nördlichen Halbkugel. 

Entscheidend wurde hier nur der Versuch sein. Wenn die 
Sommergeneration, vor. Glauee die primäre Form war, so 
wird es nicht möglich sein, durch Einwirkung von Kälte auf 
die Puppen derselben die Winterfbrm Belenm hervorzurufen, 
während es dagegen gelingen muss, die Puppen der Win- 



38 

tei';,^L'iieration durcli Wanne zum K;ick.sclilag in dii; (llaucc- 
Forni zu veranlassen, wenigs-tens tlieihvciso und nielir oder 
weniger vollständig. Lhrigens soll keineswegs helinnjjtet 
werden, dass es sich so verhalten müsse. Icdi hin im lio- 
gentheil der Ansiidit, dass auch hier die Winterlorm die 
jtrimare ist. Die Wanderung nach Norden (von Al'rika nach 
Siidspanien^ war eine all/.u geringfligigo , und die Winter- 
lorm findet sich beute ebensowohl in Afrika ab in Spanien. 

Schon von Wallace ist der Saison-Dimorphismus als Gene- 
rationswechsel beseichnet worden» und wenn damit nichts 
weiter gesagt sein soll, als dass ein regelmässiger Wochsel 
verschieden gestalteter Generationen stattfindet, so kann man 
ihm diesen Namen nicht bestreiten. Damit ist indessen auch 
nicht viel gewonnen, solange nicht nachgewiesen wird, dass 
beiden Erscheinungen die gleichen Ursachen su Grunde liegen, 
dass sie somit in Wahrheit analoge Vorgänge sind. Die Ur- 
sachen des Generationswechsels aufzufinden ist aber bis jetzt 
noch kaum versucht worden und dies aus guten Gründen: os 
fehlte dazu an jedem Material. Häckel hat wohl als der 
Einzige in neuester Zeit diese coinplicirten Krsclieinungen in 
ihrer Ge^vanimtheit einer eingehenden üntt'rsm hung unter- 
worfen; und gelangt'.' dabei zu dei- IJherzougung, dass man die 
verschiedenen l-'ormen der .Metagenese in zwid entgegengesetzte 
Reihen vereinigen könne. Er unterscheidet eine progressive und 
eine regressive Heüie und versteht unter ersterer diejenigen 
Fälle, « welche gewissermassen siclnmch auf dem Ubergangssta- 
dium von der Monogonie zur .\niphigonie (ungeschlechtlichen 
zur geschlechtlichen Fortpflanzung) I)eHnden, deren frühere 
Stamraeltcrn also niemals ausschliesslich auf geschlechtlichem 
Wege sich ibrtpllanzten » (Trematoden, Uydromedusen). Sei 
der entgegengesetzten Form der Metagenese, der regressiven 
nimmt lläukei einen « Hüciuichlag der Amphigonie in die 



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MoDOgonie > an, und zwar bei allen solchen Arten, welche 
heute einen regeln^ässigen Wechsel von Ampbigonie und 
Parthenogonie aufweisen (Aphiden, Rotstorien, Dapbnideia, 
Phyllopoden u. s. w.) 

Ick kann Häckel im Wesentlichen nur vollkommen bei- 
stimmen. Aus der blossen Betrachtung der Erscheinungen des 
Generationswechsels, wie sie uns heute vorliegen» scheint 
auch mir mit grosser Sicherheit geschlossen werden xu können, 
dass diese vielgestaltigen. Fortpflansungsweisen auf min- 
destens zwei verschiednen Hauptwegen ent- 
standen sein müssen, die man wohl auch so formu- 

■ 

liren kann, wie es von Häckel geschehen ist. 

Ich möchte indessen eine etwas andere Auffassungsweise 
vorziehen, die Fortpflanzungsweise, ob geschlechtlich oder 
unge^hlechtlich , nicht als entscheidendes, sondern nur als 

secundäres Moment betrachten , und den Versuch wagen , 
die Erscheinungen des Generationswechsels (im weiteren Sinne) 

ihrem A u s «: a n gs p u n k t c nach in zwei grosse Gruppen 
zu sondern, von denen die eine als ;jeiiuine Metagenese, 
die andere als lictcrogonie bezeichnet wordi'u könnte (*). 
Der Ausgangspunkt für die Metagenese ist eine p h \ 1 e t i sc h 
ungle ich Werth ige F o r ni en r e i h e, für die fleterogonie 
al)er ist er ein e Ii e i Ii e p h y 1 e t i s c h g 1 e i c h w e r t h i g e r 
Formen, soweit wir heute urtheilen können, stets eine 
lieihe gleichgestaltiger G esc h 1 ech 1 sg e n era 1 1 o n e n. Ers- 
tere würde so ziemlich mit der progressiven, Letztere mit der re- 
gressiven Metagenese Häckel 's 7usimmcnfallen. Die Metage- 
nese kann selbst wieder auf verschiedenen Wegen entstanden 
sein. Einmal aus der Metamorphose. So z. B. bei der 
Fortpflanzung der berühmten Cecidomyien mit ammenden liar- 

(■) Aam. Es Ul gewiss Torsuxiehen, die Bezeichnung « Metagenese» in die- 
Mm speetelleren Sinn« ansuwenden italt «in« nw «Urar alnrafShraB. AU 

allgeni'-iiio . die Metagenese und Heterogonle umfauende Beielchnung bUebe 

«I.Inn das « Wort » <i'»nt»r.i lioiisw oclisul , wfnn man nicht vorriehl. « ry'Ii- 
scbe Fortpllauzung ■ zu «ageii. Lelzlerea wurde sich dauu gut der « meta- 
morphlachen» gegenflber stallen laaien. 



von. OUciiltar ist die Käinj/kuit dn'.sL'r Larven, su ii ungesilileciit- 
lich zu vennuhren erst sekundär erworben worden, wie 
schon daraus hervorgeht, d(i4>s es zahlreiehc Arten derselben 
Miii ken^'attung giebt, deren Larven süiiinitlich nicht amnien , 
dunn aber auch daraus, dass diese Larven ;.ell>st unzweifeihal't 
sekundäre Formen sind, entstanden durch Anpassung dieses 
phylctischen Entwicldungstadiums aii eine von den spateren 
Stadien sehr abweichende Lebensweise. In der Gestalt, wilche 
sie heute besitzen, können diese Larven niemals die Bolle des 
Endstadiums der Ontogenese gespielt, können also auch nicht 
etwa froher die Fähigkeit geschlechtlicher Portpflanzung be- 
sessen haben. Der Schluss scheint unabweislich, dass die Me- 
tagenese hier von der Metamorphose ausgegangen ist, d. h. 
dass ein Stadium der Ontogenese durch Erlangung ungeschlecht- 
licher Fortpflanzung die ursprunglich vorhandene Metamorphose 
in Metagenese verwandelt hat. 

Pur solche Fälle hat Lüh bock (*) vollständig Kecht, 
wenn er den Generationswechsel kürzlich aus der Metamer^ 
phose abzuleiten suchte. Allein abgesehen von der Heterogunie 
lässt sich eine grosse Reihe von Fällen ächter Metagenese von 
diesem Gesichtspunkt aus nicht verstehn. 

Mit Hacke 1 wird man annehmen müssen, dass der Gene- 
rationswechsel der Hydromedusen und Trematoden nicht wie 
bei jener ('('ridoinyia darauf berulit, dass Larvenstadii'n »lie 
Fähigkeit erlaubten /■u aninien , soikIith dass die niedcrn 
K n t w' ic k 1 u n gs s t ad i e n dieser Arten diese Fällig- 
keit von jeher besessen und nur b e i b e h a 1 1 e n 
haben. Die heute lebenden aniinenden Larven der Trema- 
toden können möglicherweise früher einmal zugleich auch 
^M'srliluclitlich sicli verinelirt haben, heute aber liat sich diese 
\'(Minelirung>weise auf ein phyletisch sjiäteres Stadium ijber- 
tragen. Hier wäre demnach die Metagenese nicht eigentlich 
aus der Metamorpliose hervorgegangen, sondern hätte sich 
im Lauf der phyletischen Entwicklung dadurch gebildet, dass 

(<> A a. o. capltel IV. 



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61 

die phvletisch jüngeren Stadien zwar die P&higkeit sexueller 
Fortpflanzung abgegeben, die der ungeschlachtliclien ' Ver- 
mehrung aber beibehalten bitten. Ein dritter Weg, auf wel- 
chem Metagenese entstehen kann wäre dann der durch Poly- 
morphose. Sobald dieselbe mit Stock biMunjr d. Ii. mit un- 
geschlechtlicher Verme]iruii|j: verbunden ist, also vor Allem l)ei 
den Hvdrozoen muss sich aus ihr Metagenese entwickeln 
können. Nicht die successiven Uniwandlurigsstadien ein und 
desselben physiolugischen Individuums sind hier der Aus- 
;:angsj)uiikt des Geiieratiunswethsels, sondorii die verschie- 
denen gleichzeitig nebeneinander lebenden Furnien, in vi'elche 
sich die Art durch functionelle Differenzirung der verschie- 
denen , an einem Stocke beisammen lebenden Individuen 
gespalten hat. Es bilden sich hier Individuen, welche allein 
die geschlechtliche Fortpiianzung überncdtmen, und die lleta- 
genese kommt dadurch zu Stande, dass diese sich von dem 
Stock loslösen , an welchem sie entstanden sind, während die 
übrigen Individuen verbunden bleiben und die ungeschlecht- 
liche Vermehrung beibehalten. Eine scharfe Grenze zwischen 
diesem und dem vorher betrachteten Fall lässt sich übrigens 
nicht ziehen (<). Der Unterschied liegt nur in der Vereinigung 
des ganzen Zeugungskreises zu einem Stock. Gemeinsam ist 
beide», dass die verschiedenen phyletischen Stadien niemals 
an ein und demselben Individuum (Metamorphose) sich ab- 
spielen, sondern dass mit der ph^ tetischen Weiterentwicklung 
gleichzeitig auch die Metagenese entstand d. h. die Verthei- 
lung dieser Stadien auf eine Succession von Individuen. Man 
könnte desshalb diese als die primäre Metagenese un- 
terscheiden von der aus der Metamorphose hervorgegangenen 
secund&ren Metagenese. 

Cl \nm. l>>'r Oedanke, df.n Oenorationswnrhsttl nus d»>r Pol yni n-plmsi« Iut- 
suteittin (nicht, wie gewöbolicU geschah, unagektihrl die Tulymorphose aus 
dam Oencrallonawaehael) M nicht neu, wU Ich «rst wtlirend Darehsiclit dar 
letit«o Correctur bemerk«. Semper hat denselben bereits am Schlüsse seiner 

inter-'ssant«'!! Abhandlnng « Uber Of'nfTatlonswechsel b^i sti inkorallen » II. 
«. w. aus;<csnra«'h»'n. Sieht»; /eitäclinfl 1". wis*. Zool. Bd. XXII. 1}<T2. 



. iß 

Es ist nicht meine Absicht, hier bis auf die letzten Ur- 
sachen der Metagenese zurückzugehen. Ohnehin wurde man 
sich vorläufig auf diesem Gebiete nur in vagen Hypothesen 
bewegen können. Die Erscheinung des Saison-Dimorphismus, 
mit der es diese Arbeit in erster Linie zu thun hat, steht 
offenbar der Metagenese sehr fern. Hauptsachlich um dies klar 
zu legen wurden vorstehende Betrachtungen angestellt. Das 
Gemeinsame in der Entstehung der Metagenese liegt nach 
meiner, oben srhon angedeuteten Ansicht darin, dass hier 
stets nielirere und zwar in aufsteigender Linie 
sieh folgende (i)rogressivc Metagenese Häckel's) phy- 
I e t i s c h e E n t \v i c k 1 u n g s s t a d i e n sich in die Fä- 
higkeit u n g e s c Ii 1 ecli 1 1 i (• h e r und geschlechtli- 
cher Fortjifla nzung tli eilen, und Unterscliicde finde 
ich bei ihr nur insofern, als erstere neu erworben (Larven 
der C'-cidomyki) oder von Alters her beibehalten (ll;»droiden} 
sein kann. Es scheint, dass dabei ohne Ausnahme die ge- 
schlechtliche Fortpflanzung den frülieren Stadien verloren 
geht und sich auf das jüngste Stadium allein beschränkt. 

Aus den Untersuchungen über den Saison-Dimorphismus 
geht hervor, dass hier die Entstehung eines Cyclus von Ge> 
nerationen auf gänzlich verschiedenem Wege entsteht. Hier 
werden ursprünglich gleichgestaltete Beihen 
von Generationen durch äussere Einflüsse un- 
gleichartig gemacht Dies scheint mir deshalb von gros» 
ser Wichiigkeit, weil der Saison-Dimorphismus ohne Zweifel 
jener Fortpflanzungsweise ganz nahe steht, welche man bisher 
ausschliesslich als Heterogonic bezeichnete, und weil somit 
die Erkenntniss seiner Entstehungsgeschichte zugleich Licht 
verbreiten muss über die Entstehung und das Wesen der 
Heterogonie im Allgemeinen. 

Beim Saison-Dimorphistnus ist es* — wie zu zeigen ver- 
sucht wurde — der directe Binfluss des Klima 's, und zwar 
wesentlich der Temperatur, welcher die Abänderung und 
Umwandlung eines Theils der Generationen bewirkt ; in- 
«lem die Generationen abweciiselnd dem Euillusä der Som- 



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03 

mer- und der Wintertemperatur ausgesetzt werden, entwickelt 
sich ein periodischer Dimorphismus» ein regelmisaiger C^clus 
verschieden gestalteter Generationen. Es wurde bereits oben 
hervorgehoben, dass die aufeinanderfolgenden Ge- 
nera tioneii einer .\rt sich in Bezug auf Verer- 
bunjj; yaiiz ebenso verhalten wie die Stadion der 
Ontofjonese unl zu:,'Ieiih auf den Paralielismus zwisclien 
Melaniori^hose und Ileterogoniu liinjL'ewiesen. Wenn auf ein 
ijestimnites Kntwickluiigs-Stadiuin Kinlliisse wirken, welche 
im Stande sind, direkt oder indirekt Abünderungen zu erzcni- 
goii, so vererben sich diese Abänderungen immer 
nur auf dieses eine Stadium. Darauf beruht die 
Metamorphoso. Ganz ebenso vererben sich Abänderungen , wel- 
che periodisch auf bestimmte Generationen z. ü. die Genera- 
tionen 1, 3, 5, etc. wirkten, aiuli nur auf dics'^, nicht aber 
auf die dazwischen liegenden. Darauf beruht die Heterogonie. 
Erst die Thatsache der cyclischen Vererbung lässt uns die 
Entstehung der Heterogonie begreifen, die Thatsache, dass 
sofort ein Cyclus von Generationen sich bildet, 
sobald dieselben unter regelmässig alterniren- 
den EinflQssen stehen und dass in diesem Cyclus neu- 
erworbene Abänderungen, und seien sie anl&ngHch noch so 
minimaler Natur, doch nur in die Feme vererbt werden, nicht 
auf die folgende Generation, sondern stets nur auf die corres- 
pondirende, d. h. auf die unter den gleichen verändernden 
Einflüssen stehenda Nichts ist mehr im Stande die ausserordent- 
lich hohe Bedeutung klar xu legen, welche die Lebensbedin- 
gungen auf die Gestaltung und Weiterentwicklung der Arten 
haben müssen, als diese Thatsache; Nichts kann aber zugleich 
besser veranschaulichen, wie ihre Macht nicht in plötzlichen, 
heftigen Cingriflfen sich äussert, sondern vielmehr in sehr schwa- 
chen und langsamen Einwirkungen. Sehr lang fortgesetzte 
Häufung unmerklich kleiner Abweichungen, das erweist sich 
auch hier als das mächtige Zaubermittel, durch welches die 
Furmen der lebendigen Welt umgemodelt worden. Niemand 
vermag, auch niciit durch Anwendung der stärksten Wärme, 



64 

die Winterform einer Vanesta Ijewma in die Sommerform 
umzuwandeln; aber die regelmässig auf jede zweite und 
dritte Generation des labres einwirkende Sommerwärme hat 
im Laufe bedeutender Zeiträume diese beiden Generationen 
in eine neue Form geprägt und s^war ohne dass die erste 
Generation dadurch mitverändort worden wäre; sie hat an ein 
und demselben Orte zwei verschiedene klimatische Varietäten 
erzeugt, wie sie in der Melir/ahl der Falle nur an getrennten 
Orten vorkommen und zwar so, dass beide miteinander ab- 
wechseln, miteinander einen Cyelus von (Jenerationen bilden, 
von welchem jedes üiied sicli gesililet litlich fortpflanzt. 

Wenn nun aber auch der Saisün-Dimurjdiismus der Hetero- 
gonie zugerechnet werden niuss, so soll doch keineswegs 
l)ehauptet werden, dass die bisliei- allein als Heterogonie be- 
zeichneten Fälle cyclischcr Fortpflanzung mit dem Saison- 
Dimorphismus ganz identisch wären. Sie sind dies nur 
in ihrem Ausgangspunkt und ilirer Entwicklungs^ 
weise, nicht aber in dem Wirkungsmodus ihrer 
Abänderungsursaclien. 

Gemeinsam ist beiden Erscheinungen der Ausgangs- 
punkt: gleichgestaltcte (monomorphe) Geschlechts- 
generationen, sowie der Entwicklungsgang, inso- 
fern durch alternirende Einflüsse ein Generationscyclus mit 
allmalig divergirenden Charakteren entsteht. 

Dagegen lässt die Qualität der Abänderungen, 
durch welche sich die sekundären Generationen von den pri- 
mären unterscheiden, auf einen andern Wirkungs- 
modus der sie hervorrufenden Ursachen schlies- 
sen. Die Unterschiede zwischen den beiderlei Generationen 
sind beim Saison-Dimorphismus weit geringer, als bei den 
andern Fällen von Heterogonie; sie sind einmal quantitativ 
geringer und dann auch der Qualität nach verschieden, 
insofern sie solche Charaktere betreffen, welche wir als bio- 
logisch indiüerente ansehen müssen Meistens beschränken 

' I A II tti. st(>he: ni«>in<> sehrifl « 'Ölwr den Binflow der laollrnng auf die 

Artlulduiif!: » Leipzig 1^7^. ' 



I 



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65 

sich «liC V<'i-s<'liie(lonheiten aut tlie Zeichnun*: und Färbung 
ilor Flügel uml des Kuqiors, zuweilen zeigen sich aueh kleine 
Verscljiedenlieiten im Flügelsclmitt , und in wenigen Fällen 
auch solche in der Kürpergrössc (Aycatvm .lmy«/a>'): dagegen 
scheint der ganze übrige Kör|jerbau — soweit wenigstens 
meine l'ntersuchuu^eii reichen — bei beiderlei üenerationeu 
gleich zu sein. 

Ganz anders bei den übrigen Füllen von lleterogonie, wo 
der ganze Bau des Körpers melir oder weniger verändert 
erscheint, die Körpergrüsse oft sehr verschieden ist und bei- 
nahe alle innern Organe der beiderlei Generationen von ei- 
nander abweichen. Schon Claus (*) wurde zu dem Ausspruch 
gefuhrt: « für die Entstehungsweise der lleterogonie würden 
wir I^um eine andre Erklärung finden als die allmälige und 
langsam erfolgte, vortheilhafte Anpassung der Or- 
ganisation an bedeutend abweichende Lebens- 
bedingungen » und er bat gewiss damit das Richtige 
getroffen. In allen diesen Fällen betrifft die Abänderung nicht 
indifferente Charaktere, wie meistens bei den Schmetterlingen, 
sondern biologisch oder physiol(^isch wichtige Theile und wir 
werden dadurch genöthigt, dieselben nicht durch direkte 
Wirkung veränderter Lebensbedingungen entstanden su den- 
ken, sondern durch indirekte, durch Naturxiichtung, 
durch Anpassung. 

Der Unterschied zwischen Saison-Dimorphismus und den 
übrigen bekannten Fällen von Heterogonie besteht also darin, 
dass bei Ersterem die secundäre Form, unter welcher die 
Art auttritt, allein durch direkte Wirkung äusserer EinHüsse 
entsteht, bei Letzteren aber zugleirh und zwar w'ahrschein- 
lich in überwiegendem Maasse durch indirekte Wirkung 
solcher KinHüsse. Beweisen lässt sicli dieser Satz vorläufig 
imr in seiner ersten Hälfte; allein es ist in» höchsten Maasse 
wahrscheinlich, dass aucli die zweite richtig ist. Natürlich 
lässt sich nicht ^agen, inwieweit auch bei der genuinen He- 

<•) arnndtiige der Zooloirie 9. Anflair«. I<«iptlir ifn. KlnleiUnf. 



66 

terogonie direkte Wirkung äusserer Einflösse mit im Spiele 
ist — liegen doch über ihre Enlstebung noch keinerlei Ver- 
suche vor; dasB aber eine etwa mitwirkende direkte Einwir- 
kung nur eine sekundäre Bolle spielt, die Hauptursache der 
Abänderung aber in Anpassung liegen müsse, dass kann wohl 
Niemand zweifelhaft sein, der x. B. die von Leuckart ent- 
deckte Fortpflanzung der Atcam niyrooenota in 's Auge &sst, 
bei welchem Wurm die eine Generation frei im Wasser lebt, 
die andere dagegen in der Lunge des Frosches, wo ferner die 
beiderlei Generationen sirh in Körpergrösse und im Bau der 
innerii Or{,'aMe su sehr von einandor unterscheiden , aU es bei 
den unit'orracn Nematoden nur immer möglich ist. 

Zum Uberfluss und um mugllLlien Missverständnissen vor- 
zubeu^'-cn, sei scldiesslicdi nocli bemerkt, dass die t^ualität 
der Abänderun;;en , durch wclclie sicli beidi i lei Generationen 
unterscheiden beim Saison-Dimorpliismus und der Ileterogonio 
nicht etwa in dem Sinne verschieden sind, dass ilmen ein 
verschiedenes Gewicht als « A r t c h a r a k t e r c ■ boigele^^t 
weiden könnte. Besonders qualificirte Artcharaktere giebt es 
bekanntlich übcrliaupt nicht, und es wäre sehr falscli , wollte 
'man den Unterschieden des Saison-Dimorphismus dessbalb 
geringeres Gewicht beilogen, weil sie meist nur in Fär- 
bung und Zeichnung der Flügel bestehen. Es handelt sich ' 
hier nicht um die Frage, ob zwei Thierformcn den Werth 
von Species oder von blossen Varietäten haben, eine Frage die 
nie entschio den werden wird, weil ihre Beantwortung stets 
von der individuellen Ansicht über das Gewicht der betref- 
fenden Unterscheidungsmerkmale abhängt, und weil über-, 
haupt beide Begriffe rein conventionelle sind ; es handelt sich 
hier vielmehr lediglich darum, ob die unterscheidenden Cha- 
raktere die gleiche Constanz besitzen d.h. ob sie mit 
derselben Zähigkeit vererbt, mit derselben Genauigkeit auf 
alle Individuen in nahezu derselben Weise iibertragen werden, 
ob sie also in einer Weise auftreten , dass sie möglicher Webe 
auch als Species-Charaktere benutzt werden könnten. Und in 
dieser Beziehung kann es keinen Augenblick z%veifelhafl sein, 



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67 

dass dio Färbung und Zeiclinung der Schmcttcrlinp-e genau den- 
selben Rang einnimmt wie irgend ein anderes ounstantes Merk- 
mal irgend einer andern Thiergruppe, wie die Gaument'altcn bei 
den Mäusen, der Zaiinbau bei Säugethiercn iilK-rhaujit , die 
Zahl und Form der Schwung- und Steuerfoderu bei den 
Vögeln u. s. w. Man erinnere sicii nur, mit welch wunder- 
barer Beharrlichkeit oft die minutiösesten Einzelheiten der 
Zeichnung bei Schmetterlingen vererbt \verden. Unterscheidet 
der Systematiker doch nicht selten zwei nalie stehende Arten 
a. B. der Familie der Bläulinge (Lycaenidae) hauptsächlich 
nur durch die Stellung einiger unbedeutender schwarzer 
Pünktchen auf der Rückseite der Flügel! (Lycaenn Alexis und 
Agestis), Und diese Diagnose erweist sich als zureichend , denn 
Lye. Akxitf bei dem die Punkte in einer graden Linie stehen, 
bat andere Baupen als Lye. Agestü bei welchem der mittlere 
Punkt zur Seite gerückt ist ! 

Ich halte es aus diesen Gründen auch nicht für gerechtfer- 
tigt und noch weniger für nützlich , den Di- und Polymor- 
phismus der Schmetterlinge , weil er sich vorwiegend nur in 
Färbungsunterschieden.bewegt, als D i- und Polychroismus 
zu bezeichnen und ihm desshalb eine geringere Bedeutung 
beizumessen ('). Es wäre dies nur dann gerechtfertigt, wenn 
den Färbungsunterschieden andere Ursachen zu Grunde lügen , 
als den Formverschiedenheiten im engeren Sinne. Es wurde 
aber gezeigt, dass durch dieselbe direkte Einwirkung des 
Klima 's, durch welche neue Färbungen entstehen, bei ein- 
zelnen Arten auch Verscliiedenlieiten in der Form (Flü- 
gelschnitt, Grösse etc.) hervorgerufen werden, und umge- 
kehrt ist CS längst bekannt , wie viele schützende Färbungen 
nur durch indirekte Wirkung äusserer Eintlusse sich er- 
klären lassen. 

Wenn ich einen Unterschied hervorhob in der Qualität der 
Abänderungen beim Saison-Dimorphismus und den übrigen 

io di«Mr BMiebimir die Dlieuufon in dar Mg. enlomoloff. OMell- 
•ehaft SU Bra«S0l. 187S. 



08 

bekannten Fällen von Heterogonie so betrifft dieser nur die 
biologische oder phy siologisclie Bedeutung der 
Abänderung für den abgeänderten Organismus 
selbst. Beim Saison-Dimorpfaismus verändern sich vorwie- 
gend nur indifferente Charaktere, Charaktere welche für 
die Lebenstahigkoit der Art ohne jede Bedeutung sind, bei 
der genuinen Iletcritgoiiie aber, werden wir zur Annahme 
gezwungen, diiss nützliche Abänderungen, oder Anpas- 
sungen eingetreten sind. 

Mag man nun die Heteiogonie nach meinem Vorschlag 
aljgrenzeii oder narli der l)isluM' gültigen Weise, indem man 
sie entweder meiir morphologisili dclinirt als die cvclisclie 
Aufeinanderfolge verschieden gestalteter (lesihlochis- 
genei-ationcn, oder sie mit Claus als «. die Aufeinandurl'olge 
verschiedener unter abweichenden K mähr ungsv er- 
hültnissen lebender » Geschlechtsgenerationen aut- 
fasst, immer wird der Saison-Dimorphismus mit unter diesen 
Begriff fallen. Abweichende Ernährungsverbältnisse im wei- 
testen Sinn werden auch durch Einwirkung verschiedenen 
Klima 's gesetzt, und es ist erst in neuester Zeit ein Fall 
bekannt geworden, bei welchem es sehr wahrscheinlich auch 
die klimatischen Verschiedenheiten der Jahreszeiten sind 
welche durch Beeinflussung der Brnährungsvorgänge einen 
. Generationscyclus erzeugt haben, ganz analog dem, wie wir 
ihn beim Saison-Dimorphismus der Schmetterlinge beobachten, 
aber mit dem Unterschiede, dass die Verschiedenheit zwischen 
Winter- und Sommergeneration nicht, oder fast gar nicht in 
der Form des aufgewachsenen fortpflanzungsiahigen Thieres 
liegt, sondern beinah ausschliesslich in seiner 
Ontogenese, in dem Modus seiner Entwicklung. Eine 
Yergleichung dieses Falles mit den analogen Erscheinungen 
bei Schmetterlingen wird nicht ohne Interesse sein. Bei der 
merkwürdigen Süsswasser-Daphnide Leptodora kifalina L i 1 1 j e- 
borg war durch P. E. Müller (<) schon seit einigen Jahren 

(I) I'. E. Muller, Hidrag til ClailoctTuers l<'oi-li>laiitiiigahlstoriP. 



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60 

die Oiitngeiicsü stiulirt und iiacligewiestMi worden, dass die- 
5»elbe eine direkte ist, indem der Enihryo, che er das Ei 
verlasst , !)ereits die Gestalt, die Gliedmassen und innern Or- 
gane des ausgebildeten lliicre.^ besitzt. So wenigstens bei den 
Sümiiiereiern. Nun wurde neueniinL's von Sars (*) naclige- 
wiesen, dass dieser Entwicklungsgang nur für die Sommerbrut 
gilt, dass dagegen die Winter-eier im Frühjahr einen Em- 
bryo eutlassen , welchen nur die drei ersten Gliedmassenpaare 
besitzt, welcher statt der zusammengesetzten Augen nur ein 
einfaches unpaares Stirnauge besitzt, kurz der den Bau des 
Nttuplius aufweist und erst allmälig den Bau der Leptodora 
erlangt. Die aus ihm hervorgehende reife Form unter- 
scheidet sich durch Nichts von den späteren Generationen, 
als durch das Vorhandensein des unpaaren Larvenauges, 
welcher als kleiner schwarzer Fleck dem Gehirn des 
Tbieros aufiutzt. Die Generationen im entwickelten Zu- 
stand unterscheiden, sich wie es scheint, nur durch^ dieses 
minutiöse Zeichen, aher die Sommergenerationen entwickeln 
sich direkt, die Wintergeneration dagegen durch eine Meta- 
mori^hose, welche mit dem einfachsten Crustaceentypus be- 
ginnt und so ziemlich die ^di^ lutischc Entwicklung der Art 
repräsentiren mag. Wir sehen also hier gewissermassen unter 
unsem Augen die Zusammenziehung einer metamorphischen 
Entwicklung in eine direete vor sich gehen. Bs iSsst sich nun 
allerdings nicht beweis; n, was die Ursache dieser Erscheinung 
ist, aber es liegt nahe, oder ist im Hinblick auf die Entste- 
hung des Sai>un-Dimür[jhisiiius der Sclauctterlinge sogar last 
unvermeidlich, in den kliniati>ch allernirenden l-^mliussen des 
Sommers und Winters die Ursache zu verniLithen. Dass diese 
direkt eine .\l)kürzung der Entwicklung im Sommer hervorge- 
bracht haben, ist wold das wahrscheinlichste und so hätten 
wir hier eine Heterogonie die dem Saison-Dimorphismus der 
bcUmottcrliiige iu doppelter Ucziehung nahe vorvvrundt ist, 

(<) sar« in « FOrhaodtinger I VMeaskalw seUkalMt 1 Gbrtotlula » ISIS, 
B«ri 1. 



70 

eioinal, insofern auch hier der Generations-Cycius durch 
direkte Einwirkung äusserer Lebensbedingungen entstanden 
wäre , und zweitens insofern die Winterform auch hier die 
primäre, die Sommeribrm die secundäre ist. 

Man hat bekanntlich bisher unter dem von Rudolph 
Leuckart zuerst in die Wissenschaft eingeführten Begriff 
dür lIetoru{i()iiie nur den Wechel verschieden gestalteter 
G e s c h 1 e c h t s e n e r a t i o n c n verstanden. Unter diesem Ge- 
siditspunkt würde die l'ort{»tlan/.ung der Leptodora so wenig 
zur Heterognnie gezählt werden können, als die von Apliis 
oder Ü'ipfüiin, obgleich die scheinbar ungeschlechtliche Ver- 
mehrung der Winter- und eines Theils der Sumniergencra- 
tionen unzweifelhaft keine Amnienzeugung , sondern Parthe- 
nogenese ist ('). Wie schon gesagt möchte ich indessen dem 
Criterium der ungeschlechtlichen FortpUanzungsweise keine 
fundamentale Bedeutung zuschreiben, und zwar vor Allem 
deshalb» weil wir die physiologische Bedeutung beider Fort- 
pÜanzungs weisen nicht können, weil ferner dieses Eintheilungs 
princip ein ganz äusserliches ist, werthvoU nur so lange, als 
man noch kein besseres an die Stelle setzen konnte. Eine 
Scheidung der cyclischen Portpflanzungsarten nach ihrer 
Genese scheint mir, — wenn Oberhaupt ausfuhrbar — nicht 
nur werthvoller sondern gradezu allein richtig, und die Kennt- 
niss der Entstehung des Saison-Dimorphismus scheint mir 
jetzt dazu die Möglichkeit zu bieten. 

Wenn man wie oben angedeutet wurde, als Metagenese 
im engeren Sinne alle jene Fälle bezeichnet , bei welchen 
wir annehmen müssen, dass eine Reihe verschieden 
alter phylotischer Stadien den Ausgangspunkt 
gebildet haben, als Heterogonie aber jene Fälle 
bei welchen gleiche phyletische Stadien durch 
periodisch wirkende äussere Einflüsse zur Bil- 
dung eines Generatioubcy clus veranlasst wur- 

(•) siehe meine Abliandhmp « Über Da« und I.ebenscrschoiminpeu dar Lc 
ptodora hyaUna ». Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIV , lieft. 3. 1874. 



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71 

den, so ist es klar, dass das l Icbiut der lluterogonie dadurch 
bedeutend ausgedehnt und zugleich scharf und bestimmt um- 
schrieben wird. 

Es gehören dann zur Heterogonie nicht nur die bisher 
dazu gerechnete Fortpflanzung der Ascarts nigrovenota, Lep- 
toUera appendiculala , sowie die der Rindcnläuso , sondern 
auch die Fortpflanzung der Aphiden, Cocciden, der na])liniden, 
Kotatorien, Phyllopoden, kurz alle jene Fälle bei welchen wir 
aus der Form, dem anatomi^Bchen Bau und der Furtpflanzungs- 
weise der beiderlei Generalionen auf ihre früher vorhandene 
Identität schliessen können und dieser Schluss wird wesent- 
lich gestutzt werden, durch den Vergleich mit den nichst* 
verwandten Arten. Wenn wir s. B. die Gattung Aph» imd 
Verwandte, von allen Seiten umgeben sehen Yon Insekten, 
welche sich in allen Generationen geschlechtlich fbrtpflansen , 
so werden wir bei der grossen Ähnlichkeit im ganxen äusseren 
und inneren Bau der beiderlei Aphis-Generationen schon allein 
dadurch zu der Vermuthung gedrängt, dass die scheinbar 
ungeschlechtliche Fortpflanzung der Aphiden in Wahrheit 
Parthenogenese sei, d. h. sich aus geschlechtlicher Portpflan- 
zung entwickelt habe. Auch kann darüber heute kaum mehr 
gestritten worden, da wir wissen, dass hier sowohl als bei 
LcpOxIorft und andern Daphniden ein und dasselbe Weibclien 
abwei hselnd parthenogenetisch sich entwickelnde und befruch- 
tungsbedürttige Flor hervorbringt. Bei Lnchuas (^ueni ist 
dasselbe sclion vor Jahren durch von Heyden ('j festges- 
tellt und neuerdings von |}all)iaiii (-) bestätigt worden. 

In allen diesen Fallen kaini kein Zweifel sein, dass der 
Generationscyclus aus phylctisch gleicliwerthigen Generatio- 
nen sich entwickelt hat. Aber es sind allerdings auch solche 
denkbar, welche weniger einfach und klar vorliegen. Vor Allem 
wissen wir nicht ob nicht Parthenogenese schliesslich zu gän- 
zlich ungeschlechtlicher Zeugung herabsinken hann. Käme dies 

(0 Slettin. eniom. Zelt. B4. 18. S. 8). 1867. 
(*i Coropt. reod. T. 77. p. 1M4. 187S. 



72 

vor, SU würde aiirh diu Mögliclikeit vorliegen, dass aus der 
Ileterogüiiio bthlie>slich eine Fortptlan/Liii^bweise liervurginge , 
welche vun achter Metagenest> ihrer Erscheinung nach 
nicht m unterscheiden wäre. Dies nämlich dann, wenn die 
zu ungeschlechtlicher Fortpllanzung herabsinkenden Genera- 
tionen, z. U. d(M- Blattläuse, zugleich durch Anpassung an 
ahweichende Lcl>ensv('rli;iltnisse iiiren Bau !)edeutend veiün- 
(lerten, etwa eine regressive Metamorphose eingingen. Wir 
würden dann m ihnen ein früheres phyletisches Stadium zu 
sehen meinen, während sie iu Wahrheit ein späteres wären 
und das Bild der Me tagenese wurde sich aui' dem Wege der 
Heterogonie gebildet haben! 

Umgekehrt wäre es aber ebensowohl denkbar, dass das 
Bild der lleterogonie aus genuiner Metagenese heraus sich 
entwickeln könnte, falls nämlich Larven, welche dem go> 
schlechtsreifen Thiere der Form nach ähnlich sind, die Fähigkeit 
ungeschlechtlicher Fortpflanzung erlangten. Auch diese Mög- 
lichkeit lässt sich nicht gradesu von der Hand weisen. 
Wären die ammenden Larven der Cecidomyien den Ge- 
schlechtsthieren etwa so ähnlich« wie die lugendformen der 
Orthopteren dem geschlechtsreifen Thier, so würden wir nicht 
wissen können, ob sie herabgekommene Geschlechtsthiere seien, 
oder ächte Larven welche sich su ungeschlechtlicher Fort- 
pflanzung emporgeschwungen hätten. Ihre Fortpflanzung 
würde als Parthenogenese aufgcfasst worden, und Niemand 
wäre im Stande, die Auflhssung zu widerlegen, dass hier 
Heterogonie vorläge, es sei denn, er könne den Entwickiungs- 
modus ihrer Fortpflanzungsart darlegen, d. h. er könne 
nachweisen, dass die heute parthcnogenisirenden Generatio- 
nen früher blosse zeugungsunlähige Larvenstadion 
waren. 

Ich habe diese letzten Betrachtungen nur angestellt, um 
zu zeigen auf wie schwankendem Boden wir hier noch stehen, 
sobald es sich um die Deutung des einzelnen Falles 
handelt, und wie Vieles noch zu tliun übrig ist. So gewiss es 
scheint, dass beide Formen der cyclischen FortpÜänzung , 



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73 

■ 

Heterogüiiie und Metagenese auf gunz ^^ctrcniitcii 
Wegen entstehen, so nmss doch die Möglichkeit zugegeben 
werden, dass unter L'ms.änden dass Bihi der jetzt vorliegentlen 
Verhaltni:>se über die wahre Genese täustlien kann. Im ein- 
zelnen Fall den We^^ anzugeben, auf welchem die c}clischü 
Fortpilanzungssveise cntbtari len ist , wird nur durch umsich- 
tige Prüfung und vollständige Kennt niss des jew'eiligen That- 
betiUiiidei» zusammen mit dem Versuch möglich werden. 

• 

VI* Allgemeine Sol&l&ütte. 

Es soll hier nicht eine Widerholung und kurze Zusammen- 
fassung der Kesultate gegeben werden , welche in Bezug auf 
den Saison-Diniorpliismus erlangt wurden, sondern vielmehr 
möchte ich hier die allgemeinen Resultate hervorheben, 
weiche ans jenen hervorgehen und zugleich solche Fragen 
aufwerfen, welche bisher noch gar nicht, oder nur kurz und 
beiläufig Besprechung fiinden. 

Zuerst muss constatirt werden, dass Unterschiede im 
Werthe von Art-Unterschieden lediglich durch 
direkte Wirkung äusserer Lebensbedingungen 
entstehen kOnnen. 

Nach dem, was oben über den Unterschied, zwischen den 
beiderlei Formen einer einzigen saisondimorphen Art gesagt 
wurde, kann über die Richtigkeit dieses Satzes kein Zweifel 
sein. Den besten Beweis liefern die älteren Systematiker, wel- 
chen die genetische Zusammengehörigkeit von ))eiderlei For- 
men noch unbekannt war und welche in unbefangener Taxi- 
rung ihrer Unterschiede in vielen Fiilh.'U beide mit b(;sondern 
Specics-Namcn belegten. So \ (i7a'.isa Lcvana und Ihorsn ^ An- 
tncharis Bclia und Ausonia , Anlocharis Bekmia und Giauce, 
l.ijcaeiui PotijsperchüH und Amyrttus. 

Es kann somit kaum bezweifelt werden, dass neue .\rten 
sich auf diesem Wege bilden können , und ich glaube, dass 
dies, bei den ächmctterlingeu wenigstens, in ausgiebigem 



74 

Masse der Fall war und iti Hier wohl mehr, als anderswo 
und swar aus dem Grunde, weil die so aufEiUenden Farben 
und Zeichnungen der Flügel und des Körpers in den meisten 
Fällen ohne biologische Bedeutung , also ohne Nutzen für die 
Erhaltung des Individuums und somit auch der Art sind. 
Dicsel))eii können somit auch nicht Gegenstand der Naturzüch- 
tung sein. 

Darwin hat dies selir wohl eingesehen, als er die Zeich- 
nungen der Schmetterlinge niclit von gewöhnlicher Nattir- 
züchtung, sondern von geschlechtlicher Züchtung herzuleiten 
versuclite. Nach dieser Annahme tritt jede neue Färbung oder 
Zeichnung zuerst bei dem einen Geschlecht zufällig auf und 
befestigt sich bei diesem dadurch, dass sie von dem andern 
Geschlecht der alten Färbung vorgezogen wird. Nachdem nun 
der neue Schmuck z. B. bei den Männchen constant geworden 
ist, lässt Darwin ihn durch Vererbung theilweise oder ganx« 
oder auch gar nicht auf die Weibchen übertragen werden , so 
dass also die Art mehr oder weniger sexuell dimorph bleibt, 
.oder aber (durch vollständige Übertragung) wieder sexuell 
monomorph wird. 

Die Zulassigkeit einer so verschieden, gewissermassen will- 
kürlich sich äussernden Vererbung wurde oben schon aner- 
kannt. Hier handelt es sich um die andere Frage, ob Dar- 
win im Rechte -ist, wenn er auf diese Weise die ganze 
Farbenpracht der Schmetterlinge von sexueller Züchtung hor- 
leitet. Mir scheint die Entstehung des Saison-Dimorphismus, 
gegen diese Annahme zu sprechen, so verführerisch und 
grossartig sie sldi auch anlässk Wenn so bedeutende Ver^ 
sehiedenheiten, wie sie zwischen den Sommer^und Winter- 
formen mancher Schmetterlinge bestehen, lediglich darch 
den direkten Einfluss veränderten Klima's hervorgerufen wer- 
den können, so wäre es sehr gewagt, der sexuellen Züch- 
tung gerade liier eine L'rosse Bedeutung beizumessen. 

Das Princip der sexuellen Züchtung scheint mir unantastbar, 
auch will ich nicht in Abrede stellen, dass et auch bei den 
Schuietterlmgtfu wirksam ist, aber ich glaube, dass wir des- 



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75 

aellieB, als letzten Erklärungsgrundes der Farben , entbehren 
können, insofern wir sehen, dass bedeutende Karbenwcclisel 
auch ohne jeden Kintluss sexuellei- Züchtung eintreten können. 

Es fragt sich nun, wie weit der u ni \v a n d e 1 n d e Kin- 
fluss des Klima's reicht? Wenn eine Art durch Klima- 
wechsel abgeändert hat und zwar in solchem Fietrag, dass 
ihre neue Form den systematischen Werth einer neuen Spe- 
cies besitzt, kann sie dann durch Versetzung in die alten 
klimatischen Verhältnisse wieder in die alte Form zurück- 
kehren? oder wird sie dann zwar abändern, aber wiederum 
in neuer Weise? 

Die Frage ist nicht ohne Bedeutung, insofern im ersteren 
Falle klimatische Einflüsse von geringem Werth für ArtbiU 
dang sein miissten. Es würde sich dann meistens nur ein 
Schwanken zwischen zwei Extremen ergeben. Wie heute bei 
den saisondimorphen Arten Sommer-und Winterform iii jedem 
lahre miteinander abwechseln, so würde dann in den grossen 
Abschnitten der Erdgeschichte Wärmeform mit Kälteform ab- 
wechseln. 'Bei andern Thiergruppen wirken sicherlieh auch 
noch andre klimatische Einflüsse verändernd ein, bei den 
Schmetterlingen aber, wie ich gezeigt zu haben glaube, vor 
Allem die Temperatur. Diese aber kann nur zwischen ziem- 
lich enge gesteckten Grenzen hin und her schwanken und 
laset keine verschiedenartigeren Nüancirungen zu. 

Es fragt sich also, ob auch die Schmetterlingsarten nur 
zwischen zwei Formen hin und her schwanken, oder ob viel- 
mehr bei jedem neuen Klimawechsel (insofern er übcrliaupt 
stark genug ist, um Abänderung hervorzurufen) auch wieder 
eine neue Form cnt^tl•]lt. 

So sehr aucli die iiückschlagversuclic an saisondimorphen 
Schmetterlingen das Gegentheil zu erweisen scheinen, so 
glaube ich doch, das Letztere annehmen zu müssen, ich 
glaube, dass durch Klimawechsel niemals wieder die alten 
Formen entstehen, sundern nnnier wieder neue, dass somit 
allein eine periodisch sich wiederholende Veränderung' des 
Klima'ü genügt, um im Laute langer Zeiträume immer neue 



7« 

Arten aus einander hervorgehen tu. latmen. So wenigstens bei 
den Schmetterlingen. 

Meine Ansicht stützt sich wesentlich auf eine theoretische 
Uetrachtung. Ks wurde oben bchon butuut, was aus den Vei-- 
ivUcliLii uiiniittell>ar licrvui'^'elit , dass die Temperatur auf die 
physische Constitution de^ Iiidividuunis nicht .>o wirkt, wie 
Säure oder Ajkali auf Lacmuspapier , d. Ii. das^ niciit ein 
und dasselbe Individuum je nachdem es mit Kälte oder 
Wärme behandelt wird, diese oder jene Färbung und Zt'ich- 
nung horvorltringt, sondern dass vielmehr das Klima, wenn 
es viele Generationen hintereinander in gleicher Weise beein- 
llusbt hat, allmälig eine solche Veränderung in der physi- 
schen Constitution der Art hervorruft, duss diese sich auch 
durcli andere Färbung und Zeichnung kundgibt. 

Wenn nun aber diese neuerworbenc , und wir wollen an- 
nehmen, durcli lange Generations-lieihen hindurch befestigte 
physische Constitution der Art wiederum einem anhaltenden 
Klimawechsel unterworfen wird» so kann dieser fiinüass, 
auch wenn er genau derselbe ist, wie zur Zeit der ersten 
Artgestalt, doch unmöglich die erste Gestalt wiederum her- 
vorrufen. Die Natur des äussern Einflusses ist zwar dann die 
gleiche, keineswegs aber die physische Constitution der Art! 
So gut aber — wie oben gezeigt wurde — ein Weissling 
ganz andere Abänderungen hervorbringt, als ein Bläuling 
oder eine Satj ride unter dem abändernden Einfluss desselben 
Klima's, so gut — wenn vielleicht auch in geringerem 
Grade — muss die Abänderung, welche von der umgewan> 
delten Art unseres Beispiels nach Eintritt des primären 
Klima's entsteht von jener primären Form der Art verschie- 
den sein. Mit andern Worten: wenn auf der Erde auch 
nur zwei verschiedne Klimate in geologischen 
Perioden mit einander abwechselten, so m ü s s t e 
doch von einer j eden diesem Wechsel unterwor- 
fenen S c h m e 1 1 e r 1 i n g s a r t eine unendliche Reihe 
verschiedener Artformen ausgehen. 

hl Wirklichkeit wird die Verschiedenheit der Klimate eine 



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77 

weit gKtosere sein, und ein Wedisel derselben tar eine be- 
stimmte Art nicht nur durch periodische etwa anzunehmende 

Schwankungen der Ekliiitik, sondern auch durch geologische 
Umgostaltungen , sowie durch Wanderungen dor Arten sell)St 
stattgefunden haljcn, so d;iss also ein steter Wechsel 
von Arten rein nur aus dieser einen Ursache des 
Klimawechsels angedauert haben niuss. Wenn man 
bedenkt, dass viele sonst untergegangene Arten sii]) local 
erhalten haben weiden und weiter jene LocaltbinuMi dazu- 
zählt. welche durch Amixie entstanden sind, so kann die 
ungeheure Zahl von Schmetterlings irten nicht mehr in Er- 
staunen versetzen, welche wir heute auf der Erde antreften. 

Wenn aber Jemand geneigt wäre, aus meinen Kückschlag- 
Versuchcn bei saison-dimorphen Schmetterlingen den Schluss 
SU zielien, dass die secundäre Art in die primäre surückscbla- 
gen müsse, subalU sie demselben Klima ausgesetzt werde, 
welches diese hervorgebracht halt» so vergisst derselbe, dass 
dieser Rückschlag zur Winterforin eben nur ein Rikkschlag 
ist, d. b. die durch eigenthümlicbe Vererbungsgesetse be- 
dingte plötsliche Bückkehr zu einer primären Form, 
keineswegs aber eine allmälige Wiedererwerbung dieser pri- 
mären Form unter dem allmälig wirkenden Einflüsse des 
primären Klima'sl Tritt doch der Bückschliag sur Winterform 
auch auf andre Einwirkungen ein x. B. auf hohe Wärmet 

Derartige auf Vererbungsgesetsen beruhende Bäckscbläge 
werden gewiss auch bei solchen Transmutationen vorkommen , 
welche nicht alternirend mit der primären Form, wie beim 
Saison^Dimorphismus, sondern continuirlich eintreten. Sie wer- 
den aber vermuthlich hier rascher unterdrückt werden, als 
licim Saison-Dimorphismus , bei welchem durcli das stete Ai- 
terniren der primären und secuntlären Form die Tendenz 
zur ilervorbringung der ersteren sich auch in der zweiten 
stets leliendig erhalten muss. 

Dass der üben gezoj^^enc Schluss der richtige ist , dass eine 
secundäre Art, wenn sie wieder ilcn äussern Bedingungen 
unterworfen wird, unter deren Eintiuss die primäre entstan- 



78 

den war, nicht etwa. wieder tu dieser zurückkehrt, das be- 
weisen die Eriahrüngen an Pflanzen. Die Botaniker (}) ver- 
sichern uns, « dass Cuhurracen die verwildert und also unter 
die früheren Lebensbedingungen zurückgekehrt sind, nicht 
in die ursprüngliclie wilde Form, sondern in irgend eine 
neue sich umwandeln ». 

Kin zweiter Punkt, der mir vom Saison- Dniiorjihismus aus, 
Licht zu erhalten scheint ist die Entstehung von Va- 
riabilität. 

Es wurde hervorgehoben dass die secundären Formen zum 
grossen Theil l^edeutend vuriubler sind, als die jtrimiiren. 
Rührt dies davon her, dass der gleiche äussere Einlluss die 
verschiednen Individuen einer Art zu v e r s c Ii i e d e n a r t i- 
gen Ab'änderungen veranlasst, oder ändern alle Indi- 
viduen in der gleichen Kichtung ab, und entsteht das IJild 
der Variabilität nur durcli das ungleiche Tempo in 
welchem die einzelnen Individuen auf den äussern Beiz rea- 
giren? 

Ohne Zweifel ist das Letztere der Fall. Es geht dies schon 
aus den Unterschieden hervor, welche sich zwischen den 
verschiednen Individuen einer secundären Form zeigen. Sie 
sind immer nur Unterschiede des Grades nicht 
der Art (Qualität). So vielleicht am deutlichsten bei der so 
sehr variabeln Vamsaa Prorsa (Sommerform), wo alle vor- 
kommenden Variationen sich nur durch geringere oder gros- 
sere Entfernung von der Levana-Zeichnung unterscheiden, 
wie zugleich durch grössere oder geringere Annäherung an 
die reine Prorsa-Zeichnung, niemals aber Abänderungen vor- 
kommen, die nach einer ganz andern Bichtung hinaussielten. 
Es geht dies aber weiter auch daraus hervor, dass — wie 
oben bereits angeführt wurde — verwandte Arten und Gat- 
tungen» ja selbst ganze Familien (die Pieriden) auf den glei- 

(■) Nag«li. BnUtehung und S«ffriird«r natorliletoriscbM Art, Mttnelien 

IfiOTi. s. ST). Der Vurfassor verwertlict a. n. <). diesclxMffi'brachte Th»l*acll6 In 
gant en^gegengeselziem sinne, aber offenbar mit Unrecht. 



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79 

eben äussern Reiz in derselben Art and Weise, oder besser 
in derselben Ricbtung abändern. 

Es darf demnach der Satz aufgestellt werden, dass — bei 
den Schmetterlingen wenigstens — alle Individuen einer 
Art denselben äussern Kelz mit der gleichen 
Abänderung beantworten, dass somit die durch 
klimatische Einilüssc bedingten Abänderungen 
in ganz bestimmter Richtung erfolgen, welche 
bedingt ist durch die physische Constitution 
dieser Art. 

"Wenn aber selbst bei der Entstellung neuer klimatisclier 
Schmetterlingsformen, bei welcher Naturzüchtung völlig aus- 
zuschliessen ist , und die Natur der Art selbst nachweislich 
die Kichtung der Abänderungen bestimmt, dennoch Varia* 
bilität eintritt, so darf daraus geschlossen werden, dass 
überhaupt jede Umwandlung einer -Art mit einem Schwan- 
kendwerden ihrer Charaktere beginnt. 

Wenn wir aber die primären Formen der Schmetterlinge 
stets bei weitem constanter finden, so zeigt uns dies, dass 
fortgesetzte Kreuzung der Individuen einer Art schliesslich 
die Schwankungen der Form bis zu einem gewissen Grad 
ausgleicht. 

Beiderlei Thatsachen zusammen aber bestätigen den von 
mir früher aufgestellten (*) Satz, dass, bei jeder Art 
eine Periode der Variabilität mit einer solchen 
der (relativen) Constanz abwechselt, dass letztere 
die Höhe ihrer Entwicklung, erstere der Anfang oder das 
Ende derselben bezeichnet. Ich erinnre daran hier deshalb, 
weil die Thatsachen, auf welche ich mich damals hauptsäch- 
lich stützte, nämlich die von Hilgendorf combinirte phy- 
letische Entwicklungsgeschichte der fossilen Schnecken von 
Stt'inhoim, inzwischen bis zu einem gewissen Grade wankend 
geworden sind, und ntan in dem relativ völlig berechtigten 

(<) Siehe meine Sebrifl « Üter den BtaSun der iMliranf auf die Arlbll- 
dung. Leipsig lS7t. 



80 

Misstrauen gegon sie, leicht zu weit gehen und ihnen ubev- 
haupt jeden Werth abzusprechen geneigt sein könnte. 

In derselben eben angezogenen Schrift leitete ich die 
Entstehung einer gewissen Klasse von Localformen von lo- 
caler Isolirung her. Ich suchte zu zeigen, ilasseine Art, 
wenn sie im Zustand (Periode) der Variahilit&t auf isolirtes 
Gehiet geräth, dort nothwendig allein durcltdioVorhin- 
derung der Kreuzung mit den Art genossen an- 
derer Wohngebiete zu etwas .ihweii-liendeii Cli:u"iktereii 
gelangen, od' r wass dasselbe i.st eine Locall'orni bilden niuss. 
Dies niuss deshalb geschelien, weil die verschiednen Variatio- 
nen, durtdi welche eben die momentane Varialnlität der Art 
gesetzt wird, stets in andern Zahlenveihiütnissen auf dem' 
isolirten sein werden, als aul" den anleiii Wohngebieten, 
und weil die Constanz durch Kreuzung dieher N'ariationeii 
liewurgebracht wird, also die Resultante ist, aus 
den verschiednen Comp o n e n t e n, d e n \ a r i a t i o n e n. 
Sobald aber die Componenten ungleich sind, muss auch die 
Resultante eine andere sein und so scheint mir von theore- 
tischer Seite der Mügliclikeit solclier durch den Process der 
A ni i X i e gebildeter Localformen kein Hinderniss im Wege zu 
stehen. Ich glaube aber auch weiter gezeigt zu haben, dass 
zahlreiche Localformen sich ungezwungen als solche amicti- 
sche Formen auflisssen lassen, während sie durch klimatische 
Einflüsse nicht erklärt werden können. 

Dass ich mit der Au&tellung der Amixie nicht die Exis- 
tenz wirklicher klimatischer Formen in Abrede stellen 
wollte, wie von einigen Seiten gemeint wurde, geht aus 
vorliegender Abhandlung wohl zur Genüge hervor. Es fragt 
sich aher, ob nicht klimatische Einflüsse auch die Entstehung 
amictischer Formen dadurch veranlassen können, dass sie 
eine Art variabel machen? 

Es wird schwer sein darüber jetzt schon endgültig abzu- 
sprechen; wenn indessen in allen Fällen durch klimatische 
Eintiüssü nur in ganz hestimmter Richtung ein Variiren 
stiittfindet, so kann aus einer solchen Variabilität eine ami- 



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81 

ctische Form nicht hervorpehen, da dann die Componenten 
nur dem Grade, niclit der Art nach versiliiodene Kosultanten 
erzeugen konnten. Auf su feine Unlorschiede aber können wir 
unsre Untersuchungen noch nicht ausdehnen. 

Als let/.tes, aber niclit unbedeutemUlcs lieNultat dii'ser Un- 
tersuchungen liel)e icli nochmals luM-vor, dass uni>timni(Mid(' 
Rintlüsse, wenn sie in regelmässigem Wechsel alteniirend 
eine lange iieihe ursju-iinglich gleicher Gent'i'ationen treffen , 
nur die betroffenen Generationni ummodeln, nicht aber die 
dazwischen gelegenen. Oder kürzer: Cvclisch einwir- 
kende Abänderungs - Ursachen erzeugen cyclisch 
auftretende Abänderungen; unter ihrem E>nfluss 
gestaltet sich die Reihe monomorpher Genera- 
tionen zu einem Cyclus di- oder polymorpher 
Generationen. 

Auf die nähere Ausführung und Begründung dieses Satzes 
brauche ich hier niclit zurück zu kommen, aber an ihn 
schliesst sich unmittelbar die Frage, ob nicht diese die Gene- 
rationen xum Generations-Cyclus umwandelnde c y cl i s c h e 
Vererbung in ihrem letzten Grund gleichbedeutend sei 
mit Darwin und Häckel 's homochroner Verer- 
bung, welche die Stadien der Ontogenese zu einem 
Cyclns gestaltet? Vielleicht gelingt es der Zukunft, von die- 
sem Punkte aus in das Wesen der noch so dunkeln Verer- 
bungsvorgänge einzudringen und beiderlei Erscheinungen auf 
ein und dieselbe Ursache zurückzufuhren, die sich beute nur 
ahnen, nicht klar erkennen ISsst. 

Um schliesslich auch noch das allgemeinste und insofern 
auch Hauptresultat dieser Untersuchungen tu formuliren, so 
scheint es mir in dem Nachweis zu liegen, dass rein nur 
durch den Einlluss veränderter äusserer Lebens- 
bedingungen eine Art zum Abändern veranlasst 
werden kann und zwar zum Abändern in be- 
stimmter Kichtung und dass diese letztere wie- 
der lediglich von der physischen Natur der 
variirenden Organismen abhängig ist, versrhie- 



den bei verschiedenen Arten, ja selbst bei den 
beiden Geschlechtern ein und derselben Art. 

So wenig ich geneigt bin, einer unbekannten Transmuta- 
tionskraft das Wort zu reden, so sehr möchte ich auch hier 
wieder betonen, dass die Umvvandelung einer Art nur zum 
Theil auf äusseren Kintliisscn beruht, zum andern Theil aber 
auf der speci tischen Constitution dieser einen 
Art. Specifisch nenne ich dieselbe, insofern sie auf den- 
selben Reiz anders reagirt, als die Constitution einer an- 
dern Art. Im Allgemeinen lässt sich auci» recht wohl ein- 
sehen , warum dies so sein muss. Nicht etwa weil eine 
neue Art von Lebenskraft in ihr verborgen läge, sondern 
deshalb, weil sie eine andere Entstehungsge- 
schichte h i n t er sich hat, als irgend eine andere 
Art. Wir müssen annehmen, dass von den ältesten Zeiten 
der Örganismenbildung an durch alle Zwisclienstufen hindurch 
sich bestimmte Eigenschaften, Wachstums — , Ernährungs — , 
oder Kntwickelungstendcnzen bis auf die heute lebenden 
Arten ubertragen Iiaben, dass jede von diesen eine gewisse 
Summe solcher Tendenzen in sich trägt, dass diese es sind,^ 
welche seine äussere und innere Erscheinung su jeder Zeit 
seines Lebens bestimmen, welche in ihrer Beaction gegen 
die Aussenwelt das individuelle Leben, wie das der Art selbst 
darstellen. Da diese Summe ererbter Tendenzen bei jeder Art 
um mehr oder weniger verschieden sein muss, so eridärt sich 
daraus nicht nur die verschiedene äussere Erscheinung der 
Arten, die Verschiedenheit ihrer physiologischen und biolo- 
gischen Lebens&usserungen , sondern es geht auch daraus 
mit Nothwendigkeit hervor, dass verschiedene Arten 
verschieden reagiren müssen auf solche äussere* 
Beise, welche Abänderung ihrer Form hervor- 
rufen. 

Dies heisst nun nichts Anderes, als dass jeder Art durch 
ihre physische Constitution (in dem soeben delinirten Sinne) 
bestimmte V a r i a t i o n s m ö g 1 i c h k e i t c n vorgezeichnet 
sind. Dieselben sind oHenbar ausserordeutiich zahlreich für 



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83 

jode Art, aber nicht unendlich, sie gestatten der Naturzüch- 
tung einen weiten Spieliaum , aber sie beschränken dieselbe 
auch, indem sie sie zwingen, gewisse, wenn auch lireite 
Kntwickelungsbahnen einzuhalten. Ich habe schon frü]i( r 
einmal hervorgehoben dass man die Rolle welche die phy- 
sische Constitution der Arten bei der Umwandlungsgeschichte 
spielt zu gering taxirt, wenn man den Gang der Umwand- 
lungen wesentlich nur äussern Bedingungen zuschreibt. 
Darwin gibt allerdings die Wichtigkeit dieses Factors zu, 
aber doch nur insoweit es die einzelne Variation betrifft, 
d«ren Qualität auch ihm wesentlich von der ph} sischen Con- 
stitution der Art abzuhängen scheint. Ich glaube aber, dass 
grade in diesem Moment der Gr^ind liegt, warum auch unter 
den gunstigsten äussern Umständen niemals ein Vogel in ein 
S&ugethier sich umwandeln könnte, oder, um mich allgemein 
auszudrucken, warum von einem bestimmten Puncte, einer 
bestimmten Art der jetzigen Schöpfung aus auch unter den 
günstigsten äussern Umständen nicht jeder beliebige andere 
Punct erreicht werden kann, warum von diesem Puncto aus 
bestimmte Entwickelungsbahnen, wenn auch von bedeuten- 
der Breite, eingehalten werden müssen, etwa so, wie eine 
den Berg hinabrollende Kugel durch ein bestimmtes, gleich- 
bleibendes Hindemiss anders abgelenkt werden wird, je 
nachdem dasselbe sich ihr höher oben, oder weiter unten 
entgegenstellt, je nachdem ihre Bewegungsrichtung und 
Geschwindigkeit im Augenblick der Aljlenkung l)eschatlen ist. 

In diesem Sinne bin ich mit der ■ bestimmt » gerichteten 
Variation A s k e ii a s \ ' s einverstanden , keineswegs aber dann, 
wenn damit eine bewundere, neue Natuikrait gemeint sein 
soll, welche aus sich selbst die Variationen dirigirt (*). Die 
Erklärung der Erscheinungen scheint mir eine solche Annahme 

(0 siehe mein« Sebrifl'.c Über die Berechtiinng dir Dftrwln*i«lMnTb«orie» 

Leipzig 1SÄ8. 

(*) Aom. Ich betone dies hier ausdrücklich, weil der Berichl, welcbm Icli 
Im ArehlT rdr Anthropologie (iabrgang U9S) dber Atkenesy's gedanken- 
Miehe Sehrlfl gegeben babe mebrfkcb missTerstanden worden Isl. 



84 

nicht zu erheischen, und wenn sie nicht nothwendig ist, so 

ist sie überhaupt nicht statthaft. 

Meiner Ansicht nach kann eine Transmutation rein nur 
aus innern Ursachen nicht gedacht werden. Könnten 
wir den Wechsel äusserer Lebensbedingungen absolut sis- 
tiren, so würden die vorhandenen Arten stationär bleiben , 
denn nur die Einwirkung äusserer liehe im weitesten Sinne 
des Wortes vermag Abänderungen zu erzeugen und seilet 
die nie l'elileiiden « individuellen Variat luiien «. ^Llieirien mir 
neben der ererbten Ungleichheit der Anlage wiederum auf 
ungleichen äusseren Einllüssen zu l)eruhen, und auch die 
ererbte Anlage selbst ist nur deshalb ungleich, weil von 
jeher die einzelnen Individuen etwas verschiedenen äussern 
Einflüssen unterworfen waren. 

Bin Abändern aus rein innern Ursachen scheint mir vor 
Allem deshalb ganz undenkbar, weil ich mir nicht vorstellen 
kann, wie dasselbe materielle Substrat der physischen Con- 
stitution einer Art zwei entgegengesetzte Bewegungen auf 
die folgende Generation übertragen sollte. Und doch mässte 
dies der Fall sein, wenn die durch Vererbung übertragene 
Entwickelungsrichtung letzter Grund der Ähnlichkdt mit den 
Vor&hren und der Abänderung d. h. der Unähnlichkeit mit 
ihnen sein sollte. ' 

Alle Abänderung vom geringsten bis zum grössten Betrag 
scheint mir in letzter Instanz nur auf äussern Einflössen 
beruhen zu können, sie ist die Reaction des Organismus auf 
äussere Beize. Dass diese Beaction eine andere sein muss, 
wenn von gleichem Beize eine anders geartete physische 
Constitution getroflTen wird, liegt auf der Hand, und darauf 
beruht nach meiner Ansicht eben die angedeutete grosse Be- 
deutung dieser constitutionellen Unterschiede. 

Wenn man unter Vererbung auch die Vererbungs- 
summen, das heisst die jeweilige physische 
Constitution einer Art begreift, also die beschrankte 
und in obigem Sinne bestimmt geriehtete Variationslahigkeit, 
unter Anpassung aber die directe und indirecte Keaction 



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85 

ilicser physisclicii Constitution auf den Wechsel der Lebens- 
bedingungen, so kann ich mich Iläckel 's Ausdrucksweise 
anschliessen und mit iliiii die Umwandlung der Arten auf 
die Iteiden Momente der Vererbung und Anpassung 
zurückführen. 



VKllSLCJHK. 

A. Versache mit Vanessa Levana. 

1). Zucht aus Eiern» welche am lS-15 Hai 1868 im Zwinger 
von einem Weibchen der Winterform gelegt waren. Aus- 
schlupfen der Raupen am 20-23 Hai, Vqrpuppung derselben 
am 7-9 Juni. 

Die Pu])pen wurden bei gewöhnlicher Temperatur aufbe- 
wahrt und ergaben: 



am 


1U Juni 


4 Schmetterlinge 


» 


20 » 


5 




a 


21 > 


10 


• 


• 


z3 ■ 


9 




• 


23 > 


7 


a 


• 


25 • 


13 


• 



i:u.s;ininien-4'S S( liiuotterlinj^e , wcK hi- alle 
• Ii'- l'rMr>.it")rm bt^sa>sen , drei WcilKlien mit ziemlicli viel 
l»elb, Klmiics aber soviel, als die Figuren 3, A, 7, 8 oder \). 

V' ersuch. Am 1^' " August KSIuS gefundene Raupen (der 
dritten Generation) verpuppten sich Anfang September, 
wurden im ungehoii^ten Zimmer aufbewahrt. Im September 
schlüpften noch 3 Schmetterlinge aus und zwar in Prorsa- 
form, die andern überwinterten und ergaben, als sie Endo 
Februar in das geheizte Zimmer versetzt wurden vom 1-17 
Harz 1869 mehrere Schmetterlinge, alle von Levanaform. 

Versuch 3. Am 17*** Juni 1869 gefundene Raupen wurden 
nach ihrer Farbe sortirt; die gelben mit hellbraunen Dornen 



9» 

ergaben bei gewöhnlicher Temperatur am 8'*''-112"" Juli 13 
Schmetterlinge , von welchen 12 gewöhnliche Prorsaturni 
zeigten, einer, ein Mann, a1)er noch mehr Gelb enthält als 
Figur 3, demnach als Poriniat'onn bezeichnet werden muss. 

Versuch 4. Von gleichzeitig wie in V. 3. gefund-'nen Kau- 
pen der Generation 11 \\ urdcn am ':2'> Juni 30 Puppen in den 
Eisschrank gesetzt (Temperatur 8-lU^' Ii). Als am 3 August 
die Schachtel geutinct wurde, waren fast alle l)ereits ausge- 
schlüpft, viele schon todt, einige noch lebend, alle ohne 
Ausnahme Zwischenformen (Pon'mu), doch alle der l'roraa- 
form näher stehend, als der Levanafoi-m. 

Versuch 5. Eine grosse Anzahl gleichieitig gefundener 
Raupen der Generation II verpuppte sich und wurde bei 
holier Sommer-Temperatur aufbewahrt. Nach etwa 19 tä- 
giger Pappenzeit schlüpften vom 28 Juni — 5 Juli etwa 70 
Schmetterlinge aus, alle von Prorsalbrm, mit Ausnahme 
von 5» welche starke gelbe Zeichnung besassen {Porkna), 

Versuch 6. Die 70 Schmetterlinge des vorigen Versuches 
wurden in einen 6' hohen und 8' langen Zwinger gesetzt, 
in welchem sie bei warmem Wetter lebhaft . an Blumen 
schwärmten. Einmal nur wurde Begattung beobachtet, und 
nur ein Weibchen legte am 4 Juli Eier an Brennnesseln. Bei 
der damak herrschenden, hohen Sommerwärme ergaben diese 
Eier schon nach 30-31 Tagen die Schmetterlinge (3'' Genera- 
tion). Alle Individuen waren Prorsa mit mehr oder weniger 
Gelb, keines unter iS vollständige Porima. 

Versuch 7. Am H*'" August gefundene junge Raupen der 
Generation IV wurden im 'rr(n'>liaus bei 17-20" ii erzogen. 
Verpuppung: '21-523 August. Davon wurden: 

A. 50 Puppen fünf AVuclicn lang auf das Kis gesetzt 
(Temp. 0-1" R.), dann im ungeheizten Zimmer überwintert. 
Sie ergaben alle im April 1870 die Levanaform mit Aus- 
nahme einer einzigen Purfma. 

B. Eine etwa gleiche Anzahl der Puppen wurde ins Treib- 
haus gesetzt, aber ohne Erfolg, da trotz einer Temperatur 
von 12-24" K. kein einziger Schmetterling im Laufe des 



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87 

October und November mehr ausscbliipfte. Die Puppen wur- 
den dann im ungeheizten Zimmer überwintert und ergaben 

ira April und Mai lauter Lovana. 

Versuc h 8. Anfang Juni 1870 gelundenti Kuupen der Gene- 
ration II vcrpu])pten sidi vom 13-15 Juni, und lieferten hei 
gewöhnliclier Temperatur am und 30*"" Juni 7 Schmet- 
terlinge der Prorsa-form. 

Versuch 9. Pupiien derselben Generation II wurden unnut- 
telbar nacli der Verpuppung am 18"" Juni 1870 in den Eis- 
keller gesetzt (Temp. 0-1' K), blieben dort vier Wochen 
laug (bis zum 18**° Juli) und gaben dann bei gewöhnlicher 
Sommertemperatur am: 

±1 Juli 2 Prorsa. 
23-3 . 

24 ■ 0 Porima , von welchen 'i der Levana sehr ähnlich. 

25 » 1 Levana, aber ohne blaue baumlmie. 
20 » 2 Levana ■ » 

2 > G Porima. 

Summa^SO Schmetterlinge, unter welchen nur S reine Prorsa^ 
form. 

Versuch iO. Ausgewachsene Raupen der Generation IV 
am 90**" August 1870 gefunden verpuppten sich am 36^ 
August bis 5*" S^tember. Die Puppen wurden in 3 Theile 

getheilt : 

A. wurde unmittelbar nach der Verpuppung in das Treib- 
haus gc])rachl (Tcnii>. 12-25" K) und blieb dort bis «um 
20""" Ortober. Von etwa AG Puppen schlüpften nur 4 aus und 
zwar 3 als Prorsa und \ als Porima. 

Die übrigen Pupjjon überwinterten und lieferten alle im 
närlit^ten Früjahr Levana. 

B. wurde im Zimmer aufbewahrt, vom November an im 
•geheizten bei (1-1 5" K. Kein einziges Individuum schlüptVi 
noch in demselben Jahr aus. Vom >(ovember ab wurde diese 
Partie Puppen mit C vereinigt. 

Cb wurde unmittelbar nach der Verpuppuug einen Monat 



88 

lang auf das Eis gesetrt, dann abor von 28*** September bis 
19**" October in das Treibhaus. Auch hier schlüpfte kein 
Schmetterling mehr aus. Die Puppen uberwinterten nun mit 
denen von Partie B im geheizten Zimmer (über Wasser) bei 
6-15* R und licfcrtun: 



am reor* 


a 

V 


1 y lioVttuel 






4 I.Avnnn 






1 o Lev&ua 


> 


24 


1 9 Levana 


» 


25 


1 1 9 Levaoa 


» 


28 


1 d^, 1 9 Levana 


am März 


1 


1 ^ Levana 


» 


13 


1 9 Lövana 


• 


18 


1 9 Levana 


» 


19 


1 Levana 


.\pril 


2 


2 1 9 Levana 




7 


1 9 Levana 


» 


21 


1 9 Levana 


Mui 


2 


i 9 Levana 



Summa- IS l.cvana, darunter 10 WL-ilH-lioii. 

Diu gepaue Angabe dor Zeit ile» Ausscliliiptcns ist deshalb 
von Intercüso, weil daraus ersichtlich wird, in wie verschie- 
denem Grade die verschiedenen Individuen auf den Einfluss 
höherer, als der gewohnten Temperatur reagiren. Während 
bei Vielen eine Beschleunigung der Entwicklung um 1-2 Mo- 
nate eintrat, schlüpften Andere erst im April und Mai aus, 
d. h* zu der Zeit» in welcher sie auch im Freien erscheinen. 

Versuch 11. Zucht der Generation II aus Eiern der Ge- 
neration L Ausschi uj'lVn aus dem Ei am C*^Juni 1872, Ver- 
puppung um den 9*** Juli. Vom 11**" Juli bis 11**" September 
wurden die Puppen auf Eis gestellt (Temp. 0-1" R) , dann in 
das Treibhaus gebracht, woselbst alle ausschlüpften und zwar: 

Sept. 19 Sc/" Prorsa und 1 Porima 
» -1\ lo l*onma (li^ und 1 ^ ; und 



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89 



Sept. 




'1 LeviiiKi 9 




22 


14 Porima (12 und 2 9) 


• 




1 lievan.i 9 




23 


10 Levaiia 9 






Porima </ 




^Ik 


'i Luvana 9 




2ü 


i Levana 9 




27 


3 Levana 9 


Oct. 


4 


1 Porima 



Summa-57 Schmetterlinge, worunter 3ä und 
25 9f ^ Prorsa, 32 Porima und 22 Levana. Es muss 
jedoch bemerkt werden, dass unter den als « Leuana » be- 
xeichneten Stücken Keines sieb befindet, welches der natur- 
liehen Leoam gant entspricht, ja Keines, welches derselben 
so nahe kommt, wie einige Exemplare aus Versuch 9. Alle 
sind grösser, als die naturliche Leoam ujd enthalten trott 
des vielen Gelb doch mehr Schwarz, als irgend eine ächte 
Levana. Bei allen künstlich erzeugten Levana ist stets die 
schwarze Binde auf der Wurzelhatfte der Hinterflügel noch 
durch Gelb unterbrochen, was bei der ächten Lewuna sehr 
selten vorkommt. Auch ist der ganze Habitus bei der künstli- 
chen Leoana meist plumper, der Plügelschnitt etwas anders, 
die Vorderdjügel nämlich breiter und weniger spitz (siehe die 
Abbildungen 7 bis 9). 

Versucli 12. Am 22 "" Sejitcmber 1872 gcfundono Raupen 
dfr Generation IV wurden in zwu' Haltten getheilt: 

A. wurde im Orchideenliaus bei 12-2o" R zur Verpuppung 
gebracht und bliel) dann im Treibhaus bis in den December. 
Trotz der liohen Tom[ioratur schlüiifte nicht ein einziger 
Schmetterling walnend dieser Zeit aus, während melirere 
gleichzeitig gefundene und in denselben Schachteln gezogene 
Puppen von Vanessa C. album und Ata/anla Mitte October 
ausschlüpften. Von Mitte December an wurden dann die 
Puppen im ungeheizten Zimmer aufbewahrt und schlüpften 
dann im Frühjahr 1^73 sehr spat aus, alle als Levana: 



90 



6 Juni 7 Levana 

8 - 2 » 

11 > 2 » 

12 » 1 » 

15 » 6 « 

16 » 1 ' 
19 > 2 » 

Siimina-'21 Levana. 

B. wurde im ungeheizten Zimmer erzogen und dort den 
Winter über gelassen. Vom 28"^ Mai slü scblüpfteu die Schmet- 
terlinge aus, alle aU Levona» 



B. Versuche mit Pieriden. 



Versuch 13. Im April cingefangene Weibchen von Pieris 
Hapae legten Eier an Sisymbrium AlHaria, piese lieferten 
Raupen, welche sich vom 1-3**" Juni verpuppten. Die Puppen 
wurden vom 3*** Juni bis Ii**" September auf Eis gestellt 
(Temp. 0-1* R.), vom 11*** September bis 3*~ October in das 
Treibhaus (Temp. 12-24* B.). Dort schlüpften aus: 

Oct. 23 — 19 

• 24 — 19 
. ^il) 2 19 
- 5i6 — 19 

• 38 1 19 

Summe-3 0^ und 5 9 

Alle mit den scharf ausgeprägten Characteren 
der Winterform, die Weiber alle stark gelblich auf der 
Oberseite, die Männer rein weiss; auf der Unterseite starke 
schwarze Bestäubung der Hintcrtliigcl , besonders in der Mit- 
telzelle. F.ine Puppe schlüpfte nicht mehr im Treibhans aus, 
sondern ül)erwinterte und gab im geheizten Zimmer am 
20''" Januar 1873 ein Weibchen, ebenfalls von der Winterform. 

Versuch 14. Am 27 und 28'''".\prii 1872 eiuge£ingene 



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»1 

AVeiljchen von Pieris Napi le^'ten Eier an Sisi/z/ibrium Al- 
fiaria. Die aus ihnen erzogenen Kausen verpuppten sich vom 
28*"" Mai bis 7'"' Juni. Die Puppen wurden kurz nach der 
Verpuppung auf Eis gestellt, wo sie bis zum 11"" September 
(3 Monate) blieben. Am 3'" October ins Treibhaus versetzt 
lieferten sie dort bis zum 20""" October üO Schmetter- 
linge, alle mit scharf ausgeprägten Characteren 
der Winter form. Die übrigen Puppen überwinterten im 
Zimmer und lieferten: 



April 38 


3 <r 


und 


6 


9 


Mai 


4 




• 


1 


9 


» 


iS 


4 <r 


• 








15 




» 


1 


9 


a 


i6 




• 






» 


18 


1 




1 


9 


B 


11) 






1 


9 


» 


20 






1 


9 


» 




2 








• 


20 


i ^ 








• 


21) 






1 


9 


Juni 


3 






3 


9 


» 


0 






1 


9 


■ 


U 




• 


1 


9 


» 


21 




• 


1 


9 


Juli 


2 




s 


1 


9 



15 und 19 9 
Versuch 15. Melirere der im Mai 1873 ausgeschlüpften 
S<hnietterlingc des Versuchs \h wurden in einen geräumigen 
Zwinger gebracht, licgatteten sich dort vnd legten Eier an 
Kops. Die Kaupen wuidisen an den lobenden Pflanzen im 
Zwing(!r heran, verpuppten sich dann in Schachteln und 
wurden in 2 Theile getheilt: 

A. Mehrere Puppen bei gewöhnlicher Sommertemperatur 
aufbewahrt gaben am 2**" Juli Schmetterlinge mit den ausge- 
prägten Characteren der Sommerform. 



9S 

B. Diu andern ['mipun wurden unmittelbar nach der Ver- 
puppung auf Eis gestellt und blieben über Munate im 
Kislveller vom 1'"" Juli bi^ 10"" Ortol)er). Leider verdarben 
die meisten davon durcli Einilringen von Näs.si! in die Schaclittd. 
Nur 8 lebten noch und von diesen schlüpften 3 noch um 
^0""" October aus und zwar als "Winter form, die an- 
dern überwinterten im ungeheizten Zimmer und schlüpften 
erst Anfang Juni 1874 aus. Alle ^ waren Weibchen 
und alle sei.!:rton die Charactere der Winter- 
form, aber trota einer Puppendauer von 11 Mo- 
naten besassen sie dieselben doch nicht in 
höherem Grade, als gewöhnlich, näherten sich 
also der Stammform Bryoniae nicht. 

Versuch 16. Auf einer Alpe in der Gegend von Oberstorf 
(AUg&uer Alpen) wurden am 13^ Juni 1871 Schmetterlinge 
von Pieris Napivar, Bryoniae eingefangen und in den Zwinger 
gebracht. Sie flogen dort munter an den Blumen umher „ 
Begattung fand swar nicht statt, aber mehrere der "Weibchen 
legten Eier an gewöhnlichen Gartenkohl ab. Aus diesen kamen 
Baupen, welche in allen Altersstadien völlig 
denen der gewöhnlichen Form von Auyw gleich 
waren. Sie gediehen vortrefflich bis kurz vor der Yerpup- 
pung eine Pilzepidemie sie decimirte, so dass von 300 Raupen 
nur etwa 40 lebende Puppen erhalten \\urden. Auch diese 
glichen vollständig der gewöhnlichen Form von Napi , zeigten 
denselben Poh murphismus, indem sie thcils schön grün, theils 
strohgelb (die meisten), theils auch gelbgrau waren. In dem- 
selben Sommer schlüpfte nur ein einziger Schmetterling aus. 
ein Männchen, welches sicli durcli die schwarze Bestäubung 
der Flügeladern an den Flügelrändern (Oberseite) mit Sicher- 
heit als var. Unjoniac zu erkennen gab. Die übrigen Puppen 
überwinterten im geheizten Zimmer, und rLaben von Ende 
Januar bis Anfang Juni Ii Männer und 5 Weiber, alle mit 
ausgeprägtem Character der var. Bryoniae Es schlü- 
pften aus: 



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93 



2S Januar 


i 








36 • 


1 








3 Februar 


1 








4 > 


1 








5 » 


i 








7 . 


— 






V? 


9 > 


1 




— 






1 








L 1f "■ .... 

4 Marz 






1 


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0 Aj)ril 






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17 


1 








1 1 Mai 






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3 Juni 


1 









Summe-10 5 9 



Wie man sieht, ist auch hier die Neigung durch Einwir- 
kung von Wärme die Entwicklung zu beschleunigen bei 
deu Individuen sehr verschieden. Von den 16 Schmetter- 
lingen hat nur einer nahezu die normale Entwicklungszeit 
beibehalten, vom 27**^ Juli bis 3 Juni, also volle 10 Mo- 
nate; alle Andern kürzten sie ab; ein Mann auf Ii Tage (!), 
8 Individuen auf 6 Monate, 4 auf 7 Monate, d auf 8 Monate, 
1 auf 9 Monate. 



ERkUßUNG DER ABBILDUNGEN. 

Tafel I. 

f^. 1. Mann von Vanessa Levana, Winterform. 

2. Weib von V. Levana, Winterfbrm. 

3. Mann von V. Levana, kunstlich erzeugte Zwiscben- 
form (sog. Porima). 

f^. 4. Weib von V. Levana, aus der Sommergeneration 
künstlich erteugte Zwisehenform (Porima), von der Winter- 



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94 

form nur durch die etwas dunklere Grundfarbe zu unter- 
scheiden , in der Zeichnung aber vollständig mit ihr überein- 
stimmend. 

Fiij. 5. Mann von V. Levana , Sunimerlbrni f Prorsa). 

Fig. G. "Weib von V. Levaiia , Suiiunerlbi ni (Tixirsa). 

Fig. 7-9, aus der ersten Sommer-Genuralion künstlich er- 
zeugte Zwisclienl'ornien (Poriina). 

Fig. 10 u. 11. Mann und Weib von Fiei is Sapi Winter- 
Ibrm. künstlich aus der Sonimergeiieration erzeugt; die gel])e 
Grundfarbe der l'ntersoite der HinterÜügel lebhafter, als bei 
der natürlichen Winterforni. 

Fig. 12 u. 13. Mann und Weib von Pieris Naj)i, Sommer- 
form. 

Fig» 14 u. 15. Pieris Napi var. ßryomaes Mann und Weib, 
aus Eiern gesogen. 

Tafel H. 

Fig, 16. PapiUa Ajax, var. Telamonides, Winterform. 

Fig* 17. Pap, Ajaxp var. MareeUut, Sommerform. 

Fig. 18. Lycaena Agesiü, 0. deutsche Winterform. 

Fig. 19. L, Agestii, deutsche Sommerform. 

Fig. 20. L Agestis, italienische Sommerform. (Haupt- Un- 
terschied zwischen Fig. 19 u. 30 liegt auf der Unterseite, 
welche nicht mit dargestellt werden konnte). 

Fig. 21. Polyommatus Pklaeas Winterform aus Sardinien, 
' der deutschen Winter- und Sommergeneration vollkommen 
gleich. 

Fig. 22. Polgommatus Phlaea$, Sommerform aus Genua. 
Fig. 23. Pararga Egeria L aus Freiburg, i Br. 
Fig. 24. Pararga Meüme südliche Klimaform von Egeria, 
aus Sardinien. 

separat-Abdnick aus den Atmatt 4el JtUMo Cieieo M Storia IfctturtUs lU 

Genocay Bd. vi. lt<74. 



Nachträgliche Bemerkung. 



Alle Abbildnngeii sind direel nach der Natnr entworfen. Leider 
konnten sie nicht unter den Angen des Verfossere ansgefbhrt 
werden nnd so kam es, dass trots der meisterhaften Wiedergabe 
TOn Farbe and Zeichnung im Ganzen, doch bei einigen Figuren 
^;era(Ie die feinen Unterschiede zwischen den beiderlei Gonerutionen, 
niif die CS hier besonders ankam, nicht so scharf auBgedrllckt 
sind, als dies in der Natur der Fall ist. So namentlich bei Pieris 
Napi Fig. 10. 13 , dessen Sonimcrform 12 und 13, eine zu starke 
schwarzgrüne Bestäubung der Unterseite, sowie auch der Flügel- 
wnrzeln auf der Oberseite erhalten bat. Auch die Sommerform 
von Polyommatus Phlaeas (Fig. 22 ist meistens noch düsterer, 
als sie hier dargestellt wurde, wie ich denn im Allgemeinen 
sagen kann, dass alle Bflder der beiden Tafeln die betreifenden 
Untenchiede der Generationen eher zn schwach , als zn stark 
angeben. Es versteht sich, dass darin nicht der geringste Tadel 
für den darstellenden Kttnstler liegen kann. Im Gegentheil 
spreche ich Herrn Ramann hier ansdraeklich meinen Dank ans 
ftlr die ▼ortreffHehe Ansftihmng dieser Bilder, welche als Leistung 
des Farbendruckes neben denen des Ra mann 'sehen Werkes über 
die Schmetterlinge Europa & wühl unerreicht dastehen. 




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I 

I 



I 



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STUDIEN 

ZUR 

DESCENDENZ-TIIEORIE. 



IL • 

UEBER DIE 

LETZTEN URSACHEN 

DER 

TRANSMUTATIONEN 

VON 

D" AUGUST WEISMANN, 

?KuF£äSUB IN FKLLBIKU i. Bs. 



MIT FÜNF FARBENDRUGKTAFELN. 



LEIPZIG, 

V£HLAO VOK WILHELM EliQELMAJSM. 

1876. 
S 



Das UeberaetzuDgsrecbt vurbehalten. 



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UEBER DI£ 

LETZT£N UKSACUEN 

DER 

TRANSMUTATIONEN. 



T 

m EKTSTEHCNG DER Z£lCHm'G B£l DEN SCUMETimLNGS-KAUPEN. 

n. 

UEBER DES FHVLETISCHLN rAMLLELlSMÜS BEI METAMORPHiSCHLN ARTEN. 

m. 

DEBERMEiniWAlDLiniGDESlIEnKAin^^ 

IV. 

HEBER m MECHAH18GHB AUFFiSSÜKfl DER XATOR. 



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VOUWOllT, 

In dem im vorigen lahre erschienenen ersten Hefte der 
»Studien « hatte ich nachzuweisen versucht, dass allein schon 
durch Süssere Einflüsse, wenn sie viele Generationen hin- 
durch in gleicher Weise auf eine Art einwirken, mehr oder 
weniger bedeuteiidc Umwandlungen der Form entstelieu kön- 
nen. Die in voriiegeodem Uefle raitgetheillea Arbeiten wur- 
den unternommen, um Klarheit darüber zu erlangen, ob die 
von Darwin angestellten Principien der Umwandlung: Va- 
riabilität, Vererbung, Kampf um*6 Dasein und Cor- 
- relation zum Verstttndniss der thatsttcblich beobachteten 
L'rawandlungserscheinungen ausreichen, ob wirklich die ge- 
sammte organische Welt nur als das Resultat des Auleinander- 
wirkens von Organismus und Aussenwelt gelten darf, oder 
ob wir damit nicht ausreichen, vielmehr genöthigt sind, eine 
unbekannte, treibende Bntwicklungskraft in den 
Organismen anzunehmen , wie eine solche von verschiednen 
Forschem unter verschiednero Namen in die Wissenschaft 
t inziiruliien versucht worden ist, so von Nägel i als »Ver- 
voll kom m n u ngsp ri n ci p «, von Külliker als »Schö- 
pfungsgeselz«, von Askenasy als »bestimmt gerich- 
tete Variation«, von den Philosophen von fiartmann, 
und Huber als »jorganisches Bntwicklungsgesets« 



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VUI Vorwort. 

oder auch als »Universalprincip der organischen 
Natur«, ein metaphysisches Princip, welches manwohl nicht 

unpastieud als »pli ylclischü LehL'nskrafl« be/eichnon 
und so der nur für das Gebiet der individuellen Enfwicklung 
eiogelulirten ontogcnelischen) Lcbcuskraft der allen 
»naUirpbilo^opbischen« Schule gegenüberstellen darf. 

Von allen Fragen, die sich an die Descendenztheorie 
knüpfen, schien mir diese von jeher die wichtigste, weil sie 
am tiefsten in unsere allgemeinen Vorstellungen nicht nur von 
der organischen Weit, sondern von der Well überhaupt ein- 
greift. Sie lallt zusannnen mit der Frage: sind die Natur- 
Vorglinge rein mechanische Wirkungen der NaturkrSine, ist 
die Erscheinungswelt ein reiner Mechanismus, oder greift in 
sie planmassig ordnend ein zweckthtttiges Princip ein? 

Ich darf wohl sagen, dass ich ohne vorgefasste Meinung 
an die Untersuchung ging, nicht mit der Absicht , eine bereits 
festslehende Ueberzcugung zu vcrtheidigen und mit allen Mit- 
teln als richtig zu be^veisen, sondern bereit das anzunehmen, 
was ich als Wahrheit linden wfhde. 

Allerdings habe ich mich schon zu einer Zeit gegen eine 
solche unbekannte Entwicklungskraft ausgesprochen''^], als 
diese Untersuchungen noch in ihrem Anfange standen, da- 
mals aber noch nicht auf Grund specieller, auf diesen Punkt 
gerichteter inducliver Untersuchungen, sondern gestützt 
auf allgemeine d ed u c t i v e Krwiigungen, die nur die Existenz 
einer solchen Kraft unwahrscheinlich und ihre Annahme un- 
berechtigt erscheinen Hessen. Die volle Ueberzeugung von 
der Richtigkeit einer Ansicht kann aber auf dem Gebiete der 
Naturforschung niemals durch blosse Deduction gewonnen 
werden, vielmehr muss die Induclion stets hinzukommen. 



*} In der kleinen Gclegenheils-Schrifl „Ueber die Berechli^ng 
der Darwin 'sdien Tbcorio. L«ipxig 4 868. ** 



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Vorwort. JX 

Wenn ich daher heute an den fHlher geäusserten Ansichten 
fe>lhallc, so gescliiclit es wahrlich nicht, um consecjuenl zu 
bleiben, sondern lediglich, weil die Leberzeuguug von ihrer 
Richtigkeit sich mir um so fester gestaltete, je tiefer ich in 
der Untersuchung vordrang. Gar oft stellten sich Zweifel ein 
und das bereits Gewonnene erschien wieder schwankend und 
unsicher. Ganz besonders bei den Untersuchungen des ersten 
Abschnittes schien es mir eine Zeitlang, ats ob man ohne Her- 
bei/Jehung einer zvvecklliiitigen Krall nicht auskommen könne; 
aber bei forlgesetzter Beobachtung zeigte sich dann doch im- 
mer eine einfache Losung, und schliesslich wiesen alle Einzel- 
Untersuchungen unabhiingig voneinander auf dieselbe Grund- 
anschauung, zu welcher frtther schon allgemeine Erwttgungen 
geführt hatten : auf die rein mechanische Auffassung 
der Naturvorgünge. 

Von den vier Abhandlungen, welche in diesem Hefte 
vorliegen, enthalten die drei ersten specielle naturwissen- 
schafUiche Untersuchungen und streben von verschiedenen 
Seiten her, die angedeutete Frage auf inductivem einer 
Losung ntther zu iUhren. 

Die erste handelt »von der Entstehung der Rau- 
p e n z e i c h n u n g.o Sic sollte gew issermassen eine Probe auf 
die Richtigkeit der durch Darwin eingeführten Vorstellungen 
aber die Umwandlung der Organismen sein, indem in ihr der 
Versuch gemacht wurde, die der Beobachtung heute vor- 
liegenden Formdifferenzen auf einem bestimmten, wenn auch 
kleinen Formengebiete lediglich aus den bekannten Um- 
wandlungsfaktoren abzuleiten. 

Dass hierfür grade die »Zeichnung« der Schmetteriings- 
Raupen gewählt wurde, hat einen doppellen Grund. 

Die Thtttigkeit der NaturzUchtung kann sich ilirem Wesen 
nach nur auf solche Charaktere beziehen, welche bM)k)gisch 
bedeutsam sind. Sollte nun geprüft werden, ob ausser Na- 



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X Vorwort. 

Uirzllchtitng und der direkten Einwirkung äusserer Einflüsse 
sowie der correlativen Folgen beider noch ein andres, unbe- 
kanntes Moment der Umwandlung in den Organismen ver- 

borpon lioijt , so war es geboten, ein I oi iiieiiijt'bicl tnr die 
Liitersucliung zu wählen, welches wenigstens den einen 
dieser beiden bekannten Umwandlungsfaktoren, die Natur- 
zttchtung, wenn nicht grade auszuschliessen, so doch mög- 
lichst einzuengen schien, ein Fonnengebiet, welches wesent- 
lich aus sogenannten »rein morphologischen« Charakteren be- 
steht, nicht aus solchen, deren Nut/.lichkoil auf der Hand liegt, 
(h'ren Riilslcliiin!4 diMcli Nalur/ucliluni; daniit von vornherein 
möglich und wahrscheinlich it»t. Nun ist zwar wohl die Fär- 
bung, nicht aber die davon ganz unabhängige »Zeichnung« 
der Raupen als worthvoll für das Leben ihres Trägers ange- 
sehen worden, ausgenommen etwa diese oder jene ganz ver- 
einzelte Zeichnungsform . die im Sinne von »NachtlfTung« ge- 
deutet wurde. Im Allf;i'iiieiiu»n rnusslen die Zeichnungs- 
charaklere der Uaupen als »rein uiorphulogische« ange- 
sehen werden, <l. h. als solche, denen wir keine Bedeutung 
für das Leben des Thiers zuzuschreiben wusslen, die somit 
auch nicht auf Naturzdchtung bezogen werden konnten. Sie 
waren wohl am ersten als Zierde oder Schmuck zu deuten, 
spotteten aber damit zugleich einer jeden Herleitung nicht 
nur aus Natui /.iichlung, sondern ebenso sehr auch aus direkt 
abändernden üinüusseo der Aussenwelt. 

Sie boten aber noch einen Yortheil , den man nicht ge- 
ring anschlagen darf: sie schlössen von vornherein 
jeden Versuch einer Erklärung durch geschlecht- 
liche Zuchtwahl aus. Sosehr ich überzeugt bin, dass 
au( Ii dieser xVuswahlprocess thalscichlich wirkt und von grosser 
Beiieulunj^ ist , so unla.-s.^har un<l unbeiechenhar ist er in .sci- 
nen Wirkungen , w enn es öich um einen beslimmleu Fall han- 
delt, und die EoUtehung eines Fonnenkreises wftrde sich 



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Vonrart. XI 

niemal> klar auf ihre einzeliu'n Kaktorori zuruckrwhreri lassen, 
wenn diexM l aklor mit in lid rächt käme. So können wir 
wohl im Allgeffleinen vertuulhen, (iass viele Zage der 
ScbmelterKogszeichnuBg der sexuelleo Zuchtwahl ihren ür- 
spmng verdankeo, wie viele aber und welche, darüber 
sind wir fttr jetzl wenigstens noch ganz im Unklaren. 

Auf diesem Gebiet, wie auf dcMii sehr analojjen der Vögel- 
zeichnunii und Farhunjj; w urtle eine derartiij;e l iiler>u< luin^; 
wie sie hier beabäichligl \Nar, sclion desliaib unausfuhrliar 
gewesen sein , weil man stet^ im Zweifel geblieben wäre, ob 
nicht ein Charakter, der aus keinem der übrigen Abftnderungs- 
Faktoren ableitbar schien , auf geschlechtliche Zuchtwahl be- 
zogen werden mttsse. Man hatte eine unbekannte Entwick- 
lungskraft weder a u sscliliessen, noch e rscliliessen können, 
weil man es im Grunde mit zwei Unbekannlen zu lliun ge- 
habt hätte, die man auf keine VVei^e hatte auseinander 
halten können. 

Diesem Dilemma entgeht man bei der Zeichnung der 
Raupen, da diese als solche sich nicht fortpflanzen können. 
Wenn hier die Erscheinungen nicht vollstttodig aus Natur- 
zuclilung und direkler Ahiinderung durcli di(^ Aussenw(!lt ab- 
zuleiten sind , wenn ein u ncr klin ter Rest bleibt, so 
kann er nicht auf sexuelle Zuchtwahl, sondern nuiss auf 
eine noch unbekannte Kraft bezogen werden. 

Aber nicht nur in dieser Hinsicht bieten die Raupen ei^ 
heblicbe Vortheile* 

Wenn versucht werden soll, aus den Einwirkungen der 
Aussenwelt die Umwandlungen der Form al)zuleil(Mi, so ist 
vor Allem eine geuauc Kcnntniss dieser Aussenwelt notliig, 
d.h. der Lebonsverhaltnissc, unter deren Eintluss die 
belre0eiiden Arten stehen. Nun ist allerdings auf dem («ebiete 
der Raupen unsere Kenntniss der Lebensverhaltnisse keines- 
wegs so vollstilndig, als man denken sollte, wenn man weiss, 



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XU Vorwort. 

dass Hunderte von Lepidoptcroiogea sich seit geraumer Zeit 

fortwährend mit ihrer Züchtung und Beobachtung befassen. 
Vieles luag beobachtet sein, aber man hielt es nicht der Ver- 
OlTeDtlichung werth, vieles ist auch verüffeollichl, aber so 
vereinzelt und zerstreut , und zugleich von so ungleicher Zu- 
verlttssigkeit, dass ein Leben dazu gehörte, es zu sichten 
und zu sammeln. Eine zusanuuenfassende, auf allgemeine 
Gesichtspunkte gegründete Biologie der Raupen fehlt 
noch vollsttiudig , so sehr interessant und werthvoll eine solche 
Arbeit auch sein müsste, Nichlsdesloweniyer wissen wir 
ioiwerhiu Uber das Leben der Raupen bedeutend mehr , als 
(Iber dasjenige irgend welcher anderer Larven, und da wir 
zugleich eine sehr grosse Anzahl von Arten kennen 
und deren Leben und Entwicklungserscbeinungen miteinander 
vergleichen können , so musste das Gebiet der Raupenzeich- 
nung auch von dieser Seite her für die gestellte Aufgabe als 
das relativ günstigste erscheinen. 

Dazu kouimt dann noch als letzter, aber nicht geringster 
Vorzug der Umstand, dass uns hier in der Entwick- 
lung desIndividuums einStttckder Artgeschichte 
erhalten ist, dass wir somit ein Mittel in der Hand haben, 
den Gang zu verfolgen, den die auf ihre Lisaclien /.urUckzu- 
fuhrenden Charaktere — die Zeichnungsformen — im Laufe 
der Jahrtausende (luichgeniacht haben. 

War ich schon bei der Frage nach den genaueren Lebens- 
bedingungen der Raupen hHußg auf eigne Beobachtung ange- 
wiesen , so fand ich in Hinsicht dieses letzten Punktes so gut 
wie gar keine Vorarbeiten vor. Es war wohl im Allgemei- 
nen bekannt, dass viele Raupen in der Jiii^cnd anders gefiübt 
und £,'ezeicluu't sind, als im Alter, bei einii^en sehr auffallen- 
den Füllen sind auch kurze Notizen darüber in den Werken*) 

*) Eine sehr eingebende und genaue Beschreibung der ganz ^ 
jungen Raupe von G hionobas Aello bat der amerikanische Ento- 



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Vorwort. XIII 

besonders der ttlteren Schriftsteller zu finden , vor Allem bei 
dem vortrefflichen Naturbeobachter Hösel von Rosenhof, 
dem Nürnberger Forscher und Miniaturmaler ; allein in kei- 
nem einzigen Falle reichten die voi liandnen Ant;aben aus, 
wenn es sieh um SehlUsse aut die phs Irlix-lif Kntvvicklung 
bandelte. Man sieht hier wieder recht deuUicb, wie zweifel- 
haft der Werth solcher Beobachtungen ist, welche so zu sagen 
aufs Gradewohl, d. h. ohne leitende Gesichtspunkte angestellt 
wurden. Vieles daran kann gut und richtig sein, aber es 
fehlt oft grade das , worauf es bei der wissenschaftlichen Ver- 
werlhung vor Aileni ankam. So imisste Alles neu fesl^e.stelll 
werden, und aus diesem Grunde hui sich denn auch die Un- 
tersuchung Uber eine ziemliche Reibe von Jahren fortgespon- 
nen, aus diesem Grunde auch musste grade dieser Theil der 
Untersuchung auf eine möglichst kleine, leicht zu Überblickende 
und formal scharf begrenzte Grupj)e beschränkt werden, die 
Familie der Schwiirmer oder Sphingiden. 

Aucli die zweite Abhandlung hüll sich aus lihnlichen 
Gründen, welche spater im Naheren dargelegt werden .sollen, 
im Wesentlichen an denselben Stoff, die Schmetterlinge. 
Sie versucht, dem allgemeinen Problem — existirt eine in- 
nere Umwandlungskraft oder nicht — von einer ganz andern, 
man kann sagen der entgegengesetzten Seite betznkommen. 
Sie analysii l die F o r m v e r w a n d t s c h a f t e n der Schmetter- 
linge in ihren beiden Hauptentwicklungsstadien, dem -Falter 
und der Raupe, und sucht durch Prüfung der gegenseitigen 
Formbeziehungen auf die Natur der Ursachen derselben zu- 
rttckzuschliessen. 

Ich muss sagen, dass mir die hier aufgefundenen That- 
sachen verschiedener morphologischer bei gleicher 
genealogischer Verwandlscbafl von enlscheideader Be- 

mologe Samuel H. Scudder gegeben. Bzlrait des Annales de 
hl See. ent. Belgique. Tome XVI. 1873. 



XIV Vwwoit. 

(leuUiDg zu sein Schemen. Das Zusammenstimmeii der daravs 
sich eichenden Folgerungen mit den fiesnitalen der ersten 
Untersuchung hat wenigstens in mir selbst auch den leuten 
Zweifel an der Bichttfsifceit dieser fi(»tzleren beseitigt. 

Die drille und kleinste AMiaudlmii^ über die I nnvand- 
lung des Axololl in ein A m bl y s tont a , erseheinl hier 
nicht zum ersten Maie. Sie wurde ben ils vorigen Herbst in 
der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie'*) abgedruckt. 
Wenn ich sie jetzt diesen »Studien« einverleibe , so hat dies 
seinen vernehmlichsten Grund in dem innem Zusammenhang, 
der zwischen dieser und den beiden ersten Untersuchungen 
besteht. Alle drei G;ehen darauf aus, Klarheil iil>er (be Frage 
Zugewinnen, ob die Knlvvicklung der orijauischen Welt aul 
rein mechanischen Principien beruht, oder ob neiien ihoen 
noch eine innere, zweckthatige Kraft angenommen werden 
muss. Die beiden ersten suchten diese Frage auf einem an 
und fbr sich gleichgültigem, frei gewählten Gebiete zu lüsen, 
diese drille dagegen stellte sich di(» Aufgabe, den einzigen 
Fall einer l h a I s a c h 1 i e h b e o b a c h t e l e n p I ö l /. Ii e h e n 
A r l u m w a n d 1 u n g in Bezug auf die tlieoi*elische Auslegung 
kritisch zu prüfen, die ihm bisher allein zu Theil geworden 
war. Der Aufsatz ist im Wesentlichen unverändert geblieben, 
einige ZusStze sachlichen Inhalts abgerechnet, von denen ich 
besonders die am Ende dos ganzen Aufsatzes mitgetbeilten 

anatoiiiischcn Daten iiervorhebe, welche, wenn ich nichl ii ie, 
eine wesentliche neue Slülze meiner Ansicht bilden. .Auch 
die »Nachschriftu am Schlüsse wurde beibehalten, weil 
die Art, wie ich zu den in ihr niedergelegten Anschauungen 
gelangte, durch ein Verarbeiten mit dem übrigen Text weni- 
ger klar hervorgetreten wHro, und weil mir grade der Weg 
zu diesen Ansichten nicht ohne allen Einfluss auf das Gewicht 



*} Band XXV. Suppi. S. ^99. 



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Vorwort. XV 

ZU sein schien, welches man geneigt sein niOcIite, denselben 

beizulegen. 

Den bi\s|)i(H'luMi(>n drei Abhandlungen roihl sich als 
Abschluss des (iauzen eine v i er t e an » ü c b er d i e ni e e Ii a - 
nische Auffassung der Natur.« Indem sie die Endresul- 
tate der vorhcrgesühickten Einzelforschungen zusammcnfasst, 
sncht sie zugleich, dieselben dnrch allgemeine Erwägungen 
noch weiter zu stutzen und sie schliesslich zn einer philoso- 
phischen Nalur- und WelUuitrassuiii^ /u i^eslallen. .Maiiclie 
müchlen wohl der Ansicht sein, icl» halte das Letztere Den- 
jenigen Uberlassen k<innen, deren Aufgabe es ist, den jedes- 
maligen Stand unserer Erkennlniss von den Naturvoi^llngen 
zu allgemeinen Vorstellungen zu gestalten: den Philoso- 
phen. Zwei Wahrnehmungen aber bestimmen mich, meine 
eigne Ansicht in dieser Hinsicht auszusprechen. Die eine be- 
sieht <laiin. (lass auch untei- ilenjeni^en Philosophen, welche 
wieLduard von llarlniana, den W illen haben , sieh aul deu 
neugewonnenen Hoden naturwissenschaftlicher Krkenntniss zu 
stellen, die Thatsachen httuiig missverstanden oder wenig- 
stens nicht in ihrem wahren Werthe taxirt werden ; die zweite 
darin, dass selbst einzelne Naturforscher, wie Carl Ernst 
von Haei", jedenfalls aber sehr viele Nicht-Naturforacher sich 
raisslrauisch von der \ orNNarls>lr«'bentlen Kor>( luMi^ abwen- 
den, weil sie fürchten, dieselbe mUsse unau.sbleiblich einer 
Weltanschauung zutreiben, welche ihnen a priori für iman- 
nehmbar gilt. Den Ersteron gegenüber wollte ich zeigen, 
dass die von Darwin inaugurirten, auch hier vertretenen 
Anschauongen von der Entwicklung der organischen Natur 
cilli rdini:^ nu'l Rerht rn ec Ii a u i sc he iienannt werden müssen; 
geü;enuber den /weilen, dass eine solche mechanische Auf- 
fassung der oi L-anischeu Well und damit der Natur überhaupt 
keineswegs blos zu einer einzigen philosophischen Natur- 
auffassnng hinzufuhren braucht, dem Materialismus, dass 



XVI Vorwort. 

sie sich vtelnoebr weil folgericht^r in gaoz andrer Weise 
weiter entwickeln Ittsst. 

So findet sich in diesom zweiten Hefle sclicmbar sehr 
Heterogenes dicht nebeneinander: naturwissenseliallliches 
Detail and allgemeine, philosophische Gedanken. In Wahrheit 
httngen aber beide sebr genao zosammen und das Eine Icann 
des Anderen nicht entbehren. Wie die Einzelantersochangen 
der drei Abhandlungen ihre höchste Verwerthung erst in den 
allgemeinen Erwägungen der letzten finden and gleichsam 
nur in dem steten Hinblick auf dieses Ziel ilberhaupt möglich 
waren, so konnten die allgemeinen Schlü.sse erst aus voraus- 
geschickten Resultaten specieller Korscliung als aus einem 
sichern Boden hervorwachsen. Wttre das hier neubeige- 
brachte Material an Thatsachen schon bekannt gewesen, so 
hatte allerdinfj;s dem Leser der beschwerliche Weg durch das 
Dickicht nalurwissensehafllicher Speciallbrsehung erspart wer- 
den können. Sowie die Dinge aber einmal lagen, war es 
unumgUnglich nothwendig, das Thatsachliche bis in die un- 
scheinbarsten Einzelheiten hinab festzustellen und darzulegen, 
und besonders die erste Abhandlung musste naturgemSss mit 
dem Zusammentragen und Sichten eines ausgedehnten mor- 
phologischen Materials beginnen. 

Grade bei dieser und aurh der zweiten Abhandlung halle 
ich mich vielfach der LnleisKil/ung ausgezeielmeler Faehge- 
nossen zu erfreuen, so vor Allem des Herrn Dr. Ol to Slau- 
d Inger in Dresden, auf dessen ungemein reiche Schmetter- 
lingsammlung ich mich mehrfach beziehen werde, dann der 
Herren: Pkx>fessor Gerstflcker in Berlin, Wolfens- 
berger in Zürich, Riggenbach-StUheli n in Basel und 
William Ed \v a r d s in ( 1 o a 1 b u i' g h , West-Virginia ; ich 
Stalle ihnen hiermit hei /lic hen Dank ab. 

FaKiraaei. Ba., Juli 1876. 

Der Verfasser. 



Digitizea L7 GoOglc 



Inhalts - Verzeichniss. 



Vorwort V 

I. 

Die Sntstehniig der Zeiehrnng bei den Selimetterliiigs- 

Ranpem. 

Binlaitnng 1 

OntogaiMMiiiidllorpliologladarSphinsidm^oio^ . . lo 

I. Die Gattung Chaerooamp» 10 

1) Chaerocaropa Elpenor 10 

1) „ Poreeliu« 14 

3) Reaitltite im OntogvneM diewr boidan Arten und Vergldeb mit 

den ährigen bekannten ChaerooMspft-Arten 17 

II. Die Gattung Deilephila 23 

Ij Deilephila Euphorbiae 24 

]) « NteMft 28 

3) , DtUS 28 

4) . Vespertilio 29 

5} , Oalii 80 

6) n UfoniiM 39 

') n Zygophylfi 34 

8) „ Tllppophaes 35 

Zutammenfasaung der Thatsachen über dieOattung Deile- 

phiU und Bohlflaae darana 39 

m. Die Oattung Satrinthnt 45 

1) SnMiBthuR Tiliae 45 

2) „ Populi 47 

3) , OcellaU 49 

Raavltat« der Bntwiekinngigeachlchte der drei Smerin- 

thus-Arten 50 

IV. Die Gattung Macrogluaaa 52 

l; Macr. SteUatarum 52 

2) Vei|^eidiimt endem Arten . 56- 



XVIU 



lahalta-VerseicbnUs. 



V. Die Gattung merugon B S7 

1} Pterogon Oenotherae 57 

2) Yerglmdi mit «ndern ArtMi 59 

VI. Die Gattung 9pbinz M 

1^ Sphinx Litrustri 60 

2, Vergleich uiii andern Arten 61 

VII. Die Oftttung Aneeryx 63 

1) .\nc. Pinastri 6t 

2) Vergleich mit andera Arten 64 

Schlüsse auf die Phylogenese 65 

1 J Die OntogfncHf ih'r Raupen ist eine zwnr ^tarkgekttntSt sber wenig 

gefälkchte Wieilerhulung der Phylogenese 66 

2) Drei foimsle EntwicMungagesetie 68 

3) Da« Zurück rücken neuer Charaktm in immer jfli^ere Leben*» 

Rtaiücii i'<t Knlm- innerer I^iMunfjx^i setze 70 

4; Machweis dal'ur, dans neue Charaktere stet« am Ende der Entwick'- 

lung entatehen . Die rothen Flecke tov 8mer. Tiliae 73 

Biologischer Werth der Zeichnung 75 

Schutzvorrichtung bei Kaupen sehr verbreitet 76 

Biologischer Werth der Ftrbung 77 

Pholymurphe. Mympathiache Färbung bei Ch. FJpenor, Pcwosllus, Pt Oeno- 

thcrae, 1). Vfsportilio, Galii, I.ivorni««, Hippophae« . 79 

Gewohnheit des Sich Versteckens da« Primäre ; ihre Ursachen 80 

Polymorphinntnbenihthier niohtauf gleichzeitiger, aondemaiaf sueocmiTfr 
doppelter Anpassung; Verdrängung der alten Anpasraag durch eine 
neue; Nacliwein nn D. Hippophaea, Oalii, VespertiUo, If. SteUatamm 

Ch. Elpenur, .Sph. Cunvolvuli 81 

Biologischer Werth der Zeichnung (sensu strietiori) 85. 

Vier Hftuptfonnen derselben bei den Sphingiden 86 

1) Hangel der Zeichnung bei im Dunkeln lebenden und bei 

kleinen Raupen 86 

2] Längsstreifung bei Oranraupen 87 

3) Scbrigitreifnng. Farbige Siume sind die Sdilsgachntten der 

BlsUrippen 80 

4; Auffen- und Ringflecke 86 

Dehnition 86 

n) Augenfleeke 97 

Können ursprünglich krfn Widrigkeitaseiehen lein .... 98 

Sie sind Schri'ckntittel ....**..., 99 

VerMUche mit Vögeln l lOO 

Möglichkeit eines spiteren Funetionaweehieb der Augenfleeke 101 

b) Kingflecke ► 102 

Sind sie \V idrigkeitszeiihen? Gibt es überhaupt Rau- 
pen , die verschm&ht werden und zugleich bunte Färbung 

beaitsent 103 

V er au che mit Kidechsen und vertchiedoen Baupen, auch 

D. Oalii undEuphorbise 103 



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Inhalt! -VeneichiUM. 



ja. 



8ftU 

BeiD. Giilii, Kuphorliiao, Dtihlii, Muurutanica und die Ring- 
fleck« wabncheitilich Widrigk.eiU£eicht;a 105 

B« D. Nieaea sind ne vielleicht logleieli Scfaradunittal . . 107 
Der pvimire Ringfleck bei D. Hi|ipui)haeK i«t ein Sehntsnitlel 
und beruht nuf Xacluihiniii\<; cint-s rHanzentheils .... 108 

5) Untergeordnete ZeichnuQgs-Charaktere Iii) 

AieielnBf 110 

% IKe Rackenpunkte TonCh.Blpenor und Poreellue III 

Die SritMipunkte Ton S p h i n x ( ' << ti v o 1 v u 1 i III 

Entstehung untf»rgeordii eter l'h a k t o r »• durch Ver- 
miscbung ererbter, aber bedeutungslos gewordaer Charaktere 

vntereinander nnd mit neuentfltandraen 113 

Xinwfirfe su Ounsten einer phyletieobeii Lebraiknit . . . . ] I3 
UnabhiDgi>f Ktiutehung der lUngflcck-Reiben bei den Arten der Gattung 

Deilephila 113 

Möglicher Stammbaunn dieser Galtung 117 

Unabhtngige Bntatehung der rothen Flecke bei mehreren Smeiinthus- 

Arten 118 

Functionsweclistl der Zeichnungselemente 122 

Farbenwechsel im Laufe der Outugenese 123 

FliyletiMlieZiitwiokliingderSphingiden-Zeidmtmg ; Zussm- 

menllMraiig; Sohlnie 125 

Uie iltcaten Sphingiden waren ohne Zeichnung IM 

Län ^sHtrei fang die iUeeteZeichnungeform 125 

Schragstrci fung 126 

Fleekenieichnung 120 

Dai eiste und «weite Zeiehnnngielement lehUeaeen sieb aui, nickt aber daa 

erste und dritte, oder das zweite und dritte 129 

Resultate in Bezug auf die Entstehung der Zeichnung, Bild von der F<nt- 

»Uhung und allmaligen CoinpUcation derselben 131 

Allgemeine« Besultat: Zurflekw^ng der phyletiichen Lebenakraft auf 

Gebiete 137 



Ii. 

lieber den phyletischen Parallelismus bei metamorphisclieii 

Arten. 

Einleitung 141 

I. Banpe nadBelunetterliiig yerladern flumiBauiuiabliftngig 
voiMliiaDdMr 148 

Dinorphismu» Mos einen Stadiums 140 

SelbstÄndijreVariabil i täl der Stadien, helero( lironischeVariabilltSt) 140 
Constanz und Variabilität sind nicht inhärente Eigenschaften ge- 

vieaer Zeichnungifonnen 153 

Die heterochronische Variabilität erklirt sich nieht durch die Annahme 

einer phyletischen Lebenskraft '154 

Seltenheit grosser Variabilität bei Puppen 155 

QraeM Variafaitttilhinflger bei Baupen ab bei Schmetteflingtn 155 



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XX Inhalu-VerzeichiuM. 

Ursachen dieser ErscheinunR IM» 

Scheinbare belbstständigkeit der einzelnen Kau{)en6tadien. VariabilitAU- 

Wellen 157 

iSaturnia Carpinials Beispiel sekundärer Variabüitit 160 

Ursachen der f^pnnuen Correlation zwischen d«l Banpemtadien» der man- 
gelnden zwischen Imago und Kaupe lÖT 

n. Fällt dio Formverwandtschaft dor Baupen Busanunen mit 

der der Falter P IbD 

Familiengr Uppen *. 169 

Familien; hluflg vollatiadige Congruens 171 

Ausnahme davun bei den Nymphalidrn 171 

Bei l'eberpangs Familien zeigen auch die llaupen Millelfurnien 175 

Gallungen; fast vuUständigc Cungruem; die NymphaUdengaUungen 

lauen sieh auf den Bau der Raupen grflnden 176 

Hiufif auch die Untergattungen, ao von Vaneiaa 177 

Incongruenz hei Pterogon ISO 

Arten ; Incongruenzen sehr h&ulig, Smerinthus Ocellata und l'upuU . . . ISf 
DdlepUIa- Arten »igen nihere Fonn-Venrandtichaft der Falter, al« der 

Raupen 181 

Systematik nicht nur der Autdruck der morphologiachen Ver- 
wandtechart 183 

Varietite n ; die Incongraeni wird lur R^d, Saison DimoipMimaa kli- 
matische Varietät, Dimorplusmua der Raupen, Idiale Raupen - 

Varietäten 184 

Ergebniss der Untersuchung iSb 

Ursachen der Incongruens 187 

Uiapliyletiaclie Lebenskraft erUlrt die Eraebeinungennieht 188 

Sie ist OberflOssigsurBridlning derselben 196 

nL Incongraenien bei «aidoni IiiMkt0B-Ordiiiiiis«tt 201 

Hymenoptcren 201 

Ordnungscharaklere besitzen nur die Imaginea 202 

Hoppelte Ineongruens : Terwbiedner Abstand und versohtedne Gruppen» 

bildung 205 

Dipteren 205 

Hie Larven bilden swei Typen, die auf verscbiedner LebensweiRc beruhen 206 
Aehnliehksit der madenförmigen Larven bei Dipteren und Hymenuptaren 

beruht auf Convergens 209 

In diesen Daten M ieder Ktarku Gründe enthalten gegen die Annahme einer 

phyletiNchcn Lebenskraft 210 

IKe Zunft der Aphaniptera 211 

Resultate aus denForm-VerwandtachafUm der Hymenopteran und Dipteren 212 
Unteiachied von tyinschen und sttlklligen Theilen binlillüg 213 

IV. ZuaammenfiMluis 214 

Krste Form der Inronpnienz .».*.•* 215 

Zweite Form der Incungruenx 216 

Allgemeiner Sebluss auf Eüminirung der „phyletisehea Lebenakiaft'* . . 220 
Parallele mit der l^ansmulation der Oigaasysteme 222 



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InlMlU-VcrMieluiiM. 



XXI 



III. 

Ueber die Uuiwaudlung des niexikanischeu AxoloU in ein 

Amblystoma. 

8«it« 

Einleitung 229 

Versuche 231 

DMrtiiBg dar Tbataadieii 234 

Der Axolotl wandelt sich in aeinem Vntorlande nienab um 233 

Die Amblystomen Nord-Amerika's 238 

Beruht die ausnahmsweise eintretende Umwandlung auf phyletischer Wei- 
terentwicklung der Art? 299 

TheoietiMlMT^agiraitedcsPallM 241 

Unterschiede zwischen Axolotl und Amblystoma 242 

Dieselben sind nicht correiative Folgen des Wegfalls der Kiemen .... 2-14 

ErkUrung durch Kuck schlag 245 

Bebptele tob ZurQeknnken auf eine niedere phyletische Stufe; Filippi'e 

peschlechtKreife „Tritonenlarven" 243 

Analuge Beobachtunpen an Triton von J u 1 1 i e n und S c h r e i b e r s . . , 251 
Die Sterilit&t der künstlich hervorgerufenen Amblystomen eine Instans 

gegen dit ftrahere Deutung der Umwandlung 233 

Dieeelbe atabt mit der Kackschlags-HypoUtese nicht in AViderKpruch . . . 233 
Erklärungs - Vanach dar StarUitäl vom Boden dar Rackachlaga-Hjrpo- 

these aus 254 

Ursachen, welche den ROekichlag der hypothetischen Amblystoma-BeröU 

karuag Maiiko'a vanalaiat häbaii mfl^pn 256 

Salzgehalt dea Wawern in Vetbindvng mit Trockenlegvng daa Ufeia dnreh 

Winde? 260 

Folgerungen aus der Köckachli^s -Hypothese 264 

Syatamatiaehaa . 234 

Ein Zu"at7. zum ..biogenetinchen CrundgeaalS" 133 

Allgemeine Bedeutung des Kückschlaga 266 

>iach8chrift 267 

IVockanh^ dar Luft die walnadididialieUraacba des angenommenen Rflck- 

■ddagee von der AmUyiloma- in die Axolotl-Farm 233 

Zaaats 273 

IV. 

üeber die mecliantsehe Anffkssung der Natnr. 

Einleitung 277 

Beiultst der drei vontehenden Abhandlungen : T^ugnung einer phyleti- 

tischen Lebenskraft 373 

Berechtigen diese Reauitate au Inductioneechlflwan auf die oiganieche Welt 

im Allgemeinen 276 

Die Annahme einer eololnn eleht im Wideisprueh mit den Orundiitaen dar 

Naturforechung 279 

Die Lebenskraft" der früheren Nalurphiiofiophen 260 

Warum wurde sie angegeben? Aniknge su einer mechanischen Erklärung 

deeLebena 232 



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xxu 



Inhalu -VerzeichniM. 



8«iU 

I. Sind die PrinoipieD der Selectionstheorie meohanisohB P 2^4 

"Widerlegung der v. Harlmann schen An^tichlcn 2^A 

Variabilität 2f:^5 

Die Annahme eohrankenloeer Veriabilitit kein Poetulat der Sdec- 

tionstheorie 285 

Die Anerkennung einer bestimmt gericliteten" Variabilit&t bedingt nicht 

die Annahme einer ph)leti»chvu Lebenskraft 288 

Vererbung 291 

Nützliche AbAnderungen tn len nicht nur vereinzelt tttf 191 

Auch vercinielt auftretende neue Charaktere können Bur Hemchall ge- 
langen 292 

Kne meekaaieelM Theoiia der Verarbung Mit noeh 296 

HaeflkersPerigeneaiiderTlaatidule 29« 

Correlation ^ 298 

Der ,.Specie8typu«" beruht auf dem physiologischen Gleichgewicht der 

Theile des Organismus 300 

Die ErkllrungB-Principien der Selectionstheorie aind 

K o ni i t ni e c h a n i s c h 0 303 

Bedeutung der phyRischen Constitution des Organismus für 

die Qualität der Variationen 303 

Alle indiriduelle Variabilit&t beruht auf ungleidien iuaaem Ein- 
flüssen 304 

Ableitung der Beschränkung der Variabilit&t 'W! 

Ableitung der Lokalfurmen ........... 309 

BmUek svkehett ontogeu^hw und phvletiaeher Lcbenikfaft .... 310 

Beide sind nnserCrennlich 312 

n. Meohanisnraa und Teleologio 3U 

V. Haer's Forderung an die Selectionstheorie 314 

Berechtigung derselben abw Unmögliciikeit des Nebeneinanderwir- 
kens eines metaiihysiaehen Principe und des Natttrmecbaaiiiftiit . .315 
Die ,, sprungweise Entwicklung" ( heterogene Zeugung) . . 317 

Schwache positive CJrundlagen dieser Hypothese 317 

Widerlegung (h rselben durch die Unmöglichkeit eines Zusammenwir- 
kens der „heterogenen Zeugung'' mit NatursQchtung 319 

Oaa Eii^reUen eines metaphyttscfaen Principe ist auch mit allm&IIger 

Transmutation unvereinbar 323 

Das metaphysische [teleologische: Princlp kann nur als letzter Grund des 

Is'alurmechanUmus gedacht werden 324 

Werth dieser Erkenntniss fOr eine harmonische Weltanschauung .... 325 
Erklärung des Geistes durch Annahme einer , .beseelten" Materie .... 327 
Die Selectionstheorie führt nicht nothwendig cum Materialismus .... 328 



Brklinuig te Abliildimgra. 



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DI£ fiNTSTEUUNG DER ZEICUMUNü 

BEI DBN 

SCHMETTERLINGS - RAUPEN. 



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Einleitung. 



Die allgemeine Idee, um derentwillen die in dieser Abhand- 
lung niedergelegten Untersuchungen nii;;cstellt wurden, fand schon 
im Vorwort ihre Besprechung^-, auch wurde dargelegt, warum grade 
die Zcichnniig der Kaupen und spcciell der ISplimgideQ-Kaupea zur 
FrUfung dieser Idee ausgewählt wurde. 

Die Aufgabe, die sich hier stellte, war diese : es sollte der 
Versuch gemacht werden . alle Z e i c h n u n g s f o r m e n , welche 
bei den S p h i n g i d c u - K a u p e n v o r k o m m e n , d a r a u f h i n 
zu prüfen, ob sie sich aus den bekannten Uuiwund- 
lungsfaktoren ableiten lassen oder nicht. 

Dass NaturzUchtung eine grosse Anzahl von Charakteren ins 
Leben ruft, kann nicht bezweifelt werden . ebensowenig, dass eine 
grosse Menge der verschiedensten äussern Einflüsse auf direktem 
Wege den Organismus zu Abänderungen zwingen können . dass 
aber diese beiden Umwandlungsfaktorcn zusaninicu mit den ihnen 
nachfolgenden correlativen Abänderungen im »Stande sind alle 
Charaktere irgend eines, wenn auch noch so kleinen Fuiiiicuge- 
bietes hervorzurufen, dies war zwar wohl behauptet, niemals aber 
noch nachgewiesen worden. Darauf aber schien es mir ganz l)c- 
souders Jetzt anzukommen. Nicht um den Xaclnveis handelt es 
sich jetzt mehr, dass die Aussenwelt verändernd auf die Or- 
ganismen einwirkt — dieser ist bereits gefllhrt worden — wohl 
al)er um die Frage, ob alle Abänderung Folge der Ein- 
wirkungen der Aussenwelt auf den Organismus ist. 
(ielang es, alle vorkommenden Zeichuungs - Elemente auf einen 
der bekannten Faktoren der Art -Umwandlung zurllckzuflihren , so 
war damit eine „innere Entwickluugskraft". auf diesem tJebiete 
weuigsteus, als nicht wirksam uuchgewieäcu , ^elau|^ es uiclit, 

Wtisaftas, Stadien. IL | 



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2 



Einleitung. 



d. h. blieb ein nnanflOsbarer Rest von Zeicbnongs- Elementen Qbrig, 
80 war der Gedanke an ein »inneres Entwicklnngsprineipa vorerst 
nicht ganz abzuweisen. 

Der Versneli einer Lösung dieser Angabe mnsste damit be- 
ginnen, eine morphologisehe Gnmdlage zn gewinnen nnd'cwar 
dadnroh, dass man, soweit mnglieli} die phyletisebe Ent- 
wieklnng der Zelehnung leststellte. Im Voraus Hess sieh 
freilieb nieht einmal sagen , ob Oberhaupt irgend welohe Art von 
gesetsmftssiger Entwiekhuij^ bier zu finden sei, sehr bald aber 
zeigte sieh, dass dies allerdings und in hohem Masse der Fall ist. 
Bei alten Arten sind die juugcu liaiipen anders gesdehnet als die 
erwaehsenen, bei vielen indert sich die Zdehnung mit jedem der 
fünf Lebensstadien, wie sie dnreh die vier H&utungen beseiobnet 
werden, und stets ist diese sehrittweise Umwandluug der Zeiehnnng 
eine Entwieklnng im wahren Sinne des Wortes, ein Hervor- 
gehen des Zusammengesetstereii ans dem EiniSuihen, des Naeh- 
folgenden ans dem was vorher bereits gegeben war, niemals ein 
unstetes nnzusammenhftngendes Ueberspringen. 

Aus dieser Entwieklnng der Zeiehnung beim einzelnen Indivi- 
duum lasst sich nun die phyletisebe Entwieklunj; derselben sehr 
wohl erschliessen , denn es kann kein Zweifel sein , dass uns hier 
in der Ontogenese ein sehr wenig verSndertes Bild der pbyletischen 
Entwieklung erhalten ist, wie leb später noch nftber begründen 
werde. Die phyletisebe Entwieklung kann hier nur wenig • ga- 
fft Iseht« sein. 

Wohl aber ist sie bedeutend abgekürzt und zwar in sehr ver- 
schiedenem Grade, am stftrksten bei den Arten, welche in Oirer 
pbyletischen Entwicklung am meisten vorgeschritten, am wenig- 
sten bei denen, welehe noch mehr snrllckgeblieben sind. Es geht 
daraus schon hervor, von welebem Werthe es gewesen wftre, eine 
recht grosse Anzahl von Arten in ihrer Ontogenese mit einander 
TcrgUicben zu können. 

Leider ist dies nur in sehr beschränktem Hasse mSglieh gewesen. 
Grade die jüngsten Stadien der Ranpen-Entwieklnag sind die wieh- 
tigsten tttr die Erschliessung der pbyletischen Entwieklung, weil sie 
die Zeichnung der ältesten Vorfahren der heutigen Art uns erkennan 
lassen, und di^ Erlangung befruchteter Eier ist deshalb für diese 
Untersuchungen vor Allem zu erstreben. Die meisten Sphingiden- 



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EioUtong. 



3 



Weibchen legen indessen in der Gefangenschaft keine ' oder liüch- 
nur ganz wenige Eier. So ist es mir leider grade bei iiieliiercn 
Arten nicht gelangen, ihre ganze Entwicklung zu beobachten, 
welche aller Wahrscheinlichkeit nach besonders werthv(dle Auf- 
schlüsse geliefert haben würden , so bei Deilephila Galii und 
Lineata, D. Vespcrtilio und Hippophaes. 

Allerdings glückte es bei Tielen andern und auch bei einigen 
Ton diesen Arten junge Raupen an ihrer Nährpflanzc aufzu- 
fiadra, im allergUnstigslen Falle aber doch nur Individuen des 
Bwetten Stadiums , meistens nur ältere. Wenn es nun trotz dieser 
UnToUkommenbeit des Materials, trots der dadurch unvermeid- 
tidieii bedeutenden Lodien in den Beobaehtangsreiben dennoch 
gelang, ein im Oanien siemlieh geeebknsenes Bild der pbyleti- 
leben Eotwieklnng der Spbingiden -Zeiehnung zu entwerfen, so 
beweiflt diee woU, ein wie fruchtbares Feld die Untenaehong die- 
ser VeihUtnisie ietnnd gibt — wie ieh hoffe — Andern den Anlass, 
nicht nnr die anf dem kleinen Gebiete der SehwUnner-Familie 
gelassenen laUieieben Ltteken anssufHUen, sondern andi andere 
Fbmitiea der Sehmetterlinge in ftbnlieher Weise zu behandeln. 
Besonders dankbar ersehiene mir eine Bearbeitung der Papilio- 
niden, natSrliehniehtetwablosderwemgenenropäiseben, sondern 
▼or Allem der amerikanisehen nnd' indieehen. In diesem Angen- 
bliok wissen wir Ton den Jagendstadien der Papilioniden> Raupen 
•e gnt wie gar Nichts. Kein einsiges entomologisches Werk enthSIt 
eine Notiz Uber Gestalt und Zeichnung der jungen , eben ans dem 
fii geeehlUpften Rftnpchen auch nur unserer gemeinsten 
Papilionlden, des Sehwalbensehwanses oder Seglers, 
ja ieh glanhe nieht sn viel zu sagen , wenn ich annehme, dass noch 
nieoMls Jemand dieselben beobachtet hat. Sobald man aber be- 
denkt, dass uns in ihnen eine seit Jahrtausenden ausgestorbene 
Stammform unserer heutigen Fapilio-Arten erhalten ist, mnss es 
doch aieherlidi vom gfUssten Interesse sein, dieselben genau kennen 
SU lernen, sie an vergleiehen mit den frilhesten Jugendfonnen Ter- 



'j Nur di« Smeri nthus-Arten thun die« legelmöJuiig ; Macroglusaa 
Siel latarum legte zalilrcirlii' Kier in t>i'neni grossen Gaze-Zwinger; Drilo- 
phila- Arten dagegen sind auch in einem solchen höchstens xum Ablegen ein- 
•dmr Bier sa brnregan. Auch bei Chaerocampa- Arten erhielt idi itets nur 
Heilige Bier» von Sphinx und Aeherontia niemala euch nur ein dnsigee. 



4 



Bialmtnng. 



wumlter Arten, iu den fol^^euden Stadien das allniälige üivergiren 
nach verschiedenen Kichtungen zu verfolgen und so ein Bild der 
phyletischen Entwicklung einer fonnenreiclien Gruppe zu entwer- 
fen. Ohne Zweifel wUrdeii sich dahci noch zahlreiche andere wis- 
senschaftliche Nehenergcbnissc einstellen. Vor allem inUsaten uns 
solche Untersuchungen, mögen sie nun an dieser oder au einer 
andern (liiippe angestellt werden, Uber die wahre systema- 
tische Verwandtschaft der Formen Aufklärung geben, 
d. h. Uber die genealogisch e Verwandtschaft, und zwar bessere, 
als uns die Morphologie der Falter oder der ausgewachsenen Hanpen 
allein gewiihrcu kann. Wenn ich bei der hier vorliegenden Ent- 
wicklung der »Sphingidcu-Zcichnung mit derartigen Schlüssen sehr 
zurückhaltend war , so geschah dies nur im Bewusstsein , Uber eine 
noch allzu lückenhafte Basis von Thatsaehen zu gebieten. Wenn 
aber dereinst durch vereinte Forschung Vieler die individuelle Ent- 
wicklung aller heute auf der Erde lebenden Sphingiden-Arteu klar 
yor ansern Augen liegen wird , dann werden wir nicht nur Uber das 
relative Alter der verschiedenen Arten , Gattungen und Familien, 
sondern auch Uber die Art ihres Zusammenhangs reichen Aufschlutu 
erhalten. 

£b ist ^nlnthum, wenn behauptet wird, das System habe 
nur die Form-Terwandtsehsft sn berOoktiehtigeu , es solle 
nnd kOnne Dichts Anderes sein , als der AusdnidL der Form- Ver- 
wandtschaft. Allerdings ist ^e Form-Verwsandtaehallflir tins der 
einzige Massstab der Blnts- Verwandtschaft, auch ist es nnbe- 
sweifelbar richtig, wenn die Vertheidiger jeuer Behauptung anndi- 
men, dass Form- nnd Blnts-Verwandts<diaft durchaus nicht 
immer snsammenfallen. Ich werde in der sweiten AbhandlnngThat- 
Sachen beibringen, welche darüber keinen Zweifel lassen, welche 
aber zugleich beweisen , dass die neuere Systematik grade anf dem 
Gebiete der Schmetterlinge stets bestrebt gewesen ist, wenn aneh 
wohl mehr nnbewosst, die Bluts- Verwandtschaft nir Grundlage 
des Systems zu machen. Nur aus diesem Grande wurden die Ran- 
pen und Pnppen mit zur Feststellung systematischer Gruppen Ter- 
wandt, nicht selten allerdings in unrichtiger Weise. 

Wohl muss zugegeben werden , dass wir hftnfig nicht im Stande 
sind, die Bluts- Verwandtschaft zu errathen, sobald wir nUmlieh 
die Arten einer Gruppe nur in e i n e r Form mit einander yeigleiehen 



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Etnleitiing. 



5 



kOnncii. Denn da wir nur mg der Forn-Verwandtseliaft saf den 
Grad der Blnto-Verwandtwshall eehliesseii kSnnen, diese beiden 
aber meht immer parallel laufen , eo iet ein m>le1ier Scblnw , wenn 
er ndi nvr anf eine einsige Form ettttzt, sehr trttgeriseh. 

Wenn z. B. die Schmetterlinge direkt ans dem Ei kämen , also 
keinen Raupenznetand dttrehmaebtcn , lo it^ma wir bei Anfttellnng 
dea Systems rein nnr anf die Veigleiebong ihrer Formühnliebkeiten 
angewiesen , wir würden ailein auf Qnmd dieser AehnUeUwlten sie 
an Gruppen vereinigen nnd es hinge dann sehr von dem Gewiebte, 
weldies man diesem oder jenem Merkmal beilegt ab , wie man diese 
Gruppen bildete. Und nieht nnr dnreh vnsdiiedene Taxirung der 
Merkmale könnten wir ine gehen', sondern noch mehr dsdurob, 
dass nieht selten iwei Arten Ton naber Bluts-Verwandtsehaft in 
der Form weiter von efaumder, als von andern Arten abstehen. 
Wir bitten keine Sicherheit , dass unsere AnflTassQng der Form- 
Venrandtsehaft dem genealogisehen Zusammenhange der Arten 
entspriche. 

Gans anders, sobald eine jede Art in zwei oder drei vor- 
sehiedenen Formen uns entgegentritt. Wenn von zwei Arten, 
oder Gattungen die Sebmetterlingc sowohl, als die Banpen nnd 
Poppen den gleiehen Grad von Form-Verwandtschaft 
aufweiseD, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Form- 
Verwandtschaft auch die Bluts-Verwandtschaft ausdrücke, sehr 
gross. Dies ist nun allerdings nicht immer der Fall und sobald 
diese Terschiedenen Studien in ungleichem Grsde formverwaadt 
sfaid, wird es sich darum handeln, zu entscheiden, welches der- 
selben sugldeb den Ausdruck der genealogischen Verwandtschaft 
enthält Die Entscheidung kann im einzelnen Fülle schwierig sein, 
indem die Banpen stSiker von den nftebst-blntverwandten Arten in 
der Form abweichen kOnnea, als die Falter und aueh umgekehrt 
die Falter sflbrker, als die Banpen. 

Fttr diesen Fall bleibt uns noch die Bntwieklungsge- 
sehiehte der Raupen, welche beinahe immer bis zu einem ge^ 
wissen Grsd Auskunft geben wird , Uber den wahren genealogischen 
Zusammenhang der Fornmi, weil sie stets einen Theil der phyle- 
tischen (Stammes-) Entwicklung der Art uns enfhllllt. Wenn wir 
zwei Schmetteriings-ArteD im FlOgelschnitt und andern Charakteren 
so verschieden sehen , dass wir trotz mancher üebereinstimmnngen 



6 



Einleitung. 



doch geneigt sein würden, sie in gans veneliiedne. Cinttiingen tn 
stellen , ond wenn wir dann finden , dass nioht nur ihre Banpen im 
ansgewaelisenen Znstande in allen Einselbeiten der Zeichnung sehr 
genan mit einander stimmen, sondern, dass auch die gaase 
phyletisehe Entwicklung dieser Zeichnung, wie sie 
uns in der Ontogenese derBaupen Torliegt, bei beiden 
genau in derselben Weiseibren Ablauf genommen bat, 
so werden wir mit Toller Sicherheit auf eine sehr nahe Bluts- 
Verwandtschalt beider Arten schliessea und sie beide dicht neben- 
einander in dieselbe Gattnng stellen. Einen solohen FaU haben wir 
X. B. in den beiden Sphingiden Chaeroeampa Elpenor und 
Porcellns, wie aus dem Verlaufe der Untersuchung henroTgchen 
wird. Walker stellte die beiden Arten in zwei Terschiedene 
Gattungen und taxirte damit die Form- Verwandtschaft der 
Imagines ganz richtig, da der Sehmetterling von Porcellus in 
derTh<atden Arten der Gattnng Pergesa Walk, nlher form- 
▼erwandt ist, als denen der Gattung Chaeroeampa. Micht«- 
destoweniger müssen dieselben in einer Gattnng beisammen blei- 
ben, soll anders der Grad ihrer Bluts- Verwandtschaft zum Aus- 
dmck gebracht werden. 

So bietet nns die genaue Kcnntniss der Entwicklangsstufen 
der Kaupen auch in systematischer Hinsicht einen unschätzbaren 
Anhalt zur Beurtheilung des Grades der Bluts- Verwandtschaft und 
wir müssen in dieser Hinsicht das Studium der Baupen fUr wichtiger 
halten , als das der Schmetterlinge. 

AllcKliiif^s werden nicht alle Gruppen in gleicher Weise ergie- 
big sein . wie die Sphingiden oder wie nach meiner Vermuthang 
die Papilioniden , da nicht alle Familien Baupen von so prägnanter 
und mannichfaltiger Zeichnung oder mit so verschiedenartiger und 
charakteristiBcher Ktfrperform besitzen, sicherlich aber wird im 
Grossen und Ganzen unsere Vorstellung Uber die wahre d. h. die 
Bintsverwandtschafl und damit die Bildung wirklich natürlicher 
Gruppen wesentlich gefördert werden, wenn wir erst von zahl- 
reichen Arten aller Gruppen die vcrschiednen Entwicklnngsstadien 
genau kennen werden , welche die Kanpe vom Ei an bis zu ihrer 
Verpuppung durchläuft, viele Formen Yon zweifelhafter, systeOMr 
tischer Stellung werden dann in ihren genealogischen Beziehungen 
klar gelegt werden. 



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BinlMtang. 



7 



Dies kann jedoeh meht die Arbeit eines Einielneii tein , nieht 
nur, weil das Beobaehtnngs-llaterisl sn gross « sondern vor Allem 
weil es anf einem alliQ wdten Gebiete sentrent ist. Denn es ge- 
nQgk nieht, Uos die eiiroplisehen l^ypen sn stndiien » wir mttssen 
deren möglichst viel von der ganaen von Schmetterlingen bewohnten 
Oberilohe der Erde kennen lernen. Diese Beobaohtongen aber las- 
sen sich nnr an Ort nnd Stelle machen. Warum sollte es aber nickt 
mflglieh sein , anck nnter tropischem Himmel die Entwicklung vom 
Ei an zn verfolgen, wenn man sich nicht sehent, einen Theil der 
Zeit, welche gewöhnlich nnr dem Sammeln gewidmet ist , der Zucht 
und Beobaehtnng zu widmen ? Viellmoht gelingt es mir , Einzelne 
der vielen, vortrefflichen, sorgfältigen nnd snverlilssigen Beobachter 
nnter den Entomologen davon zu ttberzengen , dass es doch ausser 
dem gewiss ebenfalls nothwendigen und dankcnswerthen Aufsuchen 
neuer Formen noch ein anderes Gebiet gibt, auf welchem sich 
mit Erfolg arbeiten läset: die genaue Erforschung der Ent- 
wieklnngder bekannten Arten. 

Der erste Abschnitt dieser Abhandlung besteht somit in 
der Feststellung dieser Entwickln n^^ für die mir zu- 
güngiiehen Sphingiden-Arten. Nacheinander werden Ke- 
pfisentantai von sieben CTattungen tboil^ vollständig, theils nur in 
dnigen ihrer Stadien besohrieben und sodann durch Yergleichong 
untereinander und mit verwandten Arten , von denen uns die jünge- 
ren Stadien noch unbekannt sind , ein Bild des Entwicklungsganges 
sn gewinnen versucht, den die Zeichnung bei jeder Gattung ge- 
nommen hat. So viel wie möglich wurde in diesem Abschnitt nur 
dasKaterial an Thatsachen gegeben, nnd die Verarbeitung 
d e s 8 e Iben zu allgemeinen Sehlttssen über den formalen Gang der 
Zeiohnungsentwicklnng auf den zweiten Abschnitt verspart; doch 
war eine völlige Trennung der Thatsachen nnd ihrer Verarbeitung 
nicht dnrchiUhrbar , es erschien s. B. passend, der Betrachtung 
jeder Gattung am Schlüsse eine Zusammenfassung der bei den ver- 
sohiednen Arten erhaltenen Resultate folgen zu lassen. 

Nachdem so festgestellt war, dass die Zeichnnng der Sphin- 
giden-Baupen sich äusserst allmälig, gesetzmässig nnd 
nach ganz bestimmten Richtungen hin phyletisc]) ent- 
wiokelt hat, galt es , den Ursachen ihres ersten Auftretens , wie 
ihrer weitem Entwicklung nachzuspttren. Hier war in erster Linie 



8 



EinleitanK. 



die Frage nach der b i o 1 o i s c Ii c n H e d e u t u n g d e r Z e i c h - 
n u n g zu bcaatworten und dieser Frage ist der dritteAbscbnitt 
gewidmet. 

Hätte CK sieh hierbei herausgestellt, dass derßelhen gar keine 
Bedeiitiuig für (bis Lel)cn des Thicres zuk^mnit oder doch nur ans- 
nahniHweisc, dass somit die Zeiehniing wirklieh das ist, was sie 
/.u sein scheint, ein sog. »rein morphologischer' , d. Ii. physiologisch 
liedcntungsloser Charakter, so hätte die so aufTallcnd gcsetzniässige 
Kiitwicklniig derselben im I.aiit'e der rhylogencse durch keinen der 
bekannten Faktoren der Arfabänderung erklärt werden können; die 
Annahme einer thätigen . inuern Umwandlungskraft hätte gemacht 
werden milsscn. Grade auf diese Untersuchung kam somit Alles 
au und aus diesem Grunde habe ich weit ausgeholt und nicht nur 
die Zeichnung der Sphiugidcn IJanpen . sondern auch die Kaupen- 
Zeichnung iil>crhaupt in die Betraclituug hereingezogen. 

IJas Kcsultat war indessen ein anderes, die Zeicliuung ent- 
hüllte sich als ein ftlr das Leben sehr bcdcufsanicr Charakter und 
CS niuKste — auf diesem (icbicte wenigstens — die Annahme einer 
pbyletischen Lebenskraft zurückgewiesen werden. 

Dies führte zum Inhalt des fünften Abschnittes, der bestimmt 
ist, gewisse Einwürfe zu Gunsten der zurückgewiesenen >'p]iylcti- 
schen Lebenskraft« zu prüfen. Der sechste Abschnitt endlich gibt 
die Zusanimcufassung der gewonnenen Anschauungen. 

Noch Eines muss ich zum Vei ständniss der Untersuchung selbst 
vorausschicken. Es war unvermeidlich, einige neue Kunstaus- 
d rücke ftlr die vcrsdiiednen Zeichnuogselemente der Raupen 
einzuführen, wenn überhaupt mit denselben wissenschaftlich operirt 
werden sollte. Ich habe die einfachsten und möglichst selbstver- 
ständlichen Bezeichnungen gewählt, die wohl auch alle hier oder 
dort schon in Anwendung gebracht worden sind , nur eben nicht in 
einem bestimmt präeisirten Sinne. Ich verstehe unter Rücken- 
linie, Linea d o r s a 1 i s , nur die in der Mittellinie des Rückens 
verlaufende Längslinie, unter Stigma Ii nie, Linea st igmalis. 
die unter oder über den Stigmen verlaufenden Linien , die man dann 
genauer in Supra- und Infra-Stigmalinie scheiden kann, 
unter Subdorsal streif, Linea subdorsalis, diejenige 
Linie, welche mitten zwishen KUckeustreif und Stigmeastreif 
verläuft. 



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Einleitung. 9 

Die Untoneheidimg von Ringfleek und Angenfleck wird 
im Lanfe der Unienachimg gegeben werden. Wie nothwendig die 
Einfllbnmg bestiinniter Termim technid hier war, lehrt ein Bück 
nof irgend eine der Torliaodenen BanpenbesebreilHingen ; anoli wenn 
dieselbe an nnd flir rieb genan ist , maebt doeh der Mangel pridser 
AaedrBdte nicbt nnr die formelle Fawnng derselben nnnOtbig lang 
nnd flcbwUlstig, sondern er ersebwert aneb ungemein die Yer- 
gleiebnng der einen mif der andern Art, wril man nie sieber ist, 
ob mit demselben Ansdmdce aneb der bomologe Cbarakter gemeint 
ist. Wenns. B. vonderRanpeTonCbaerocampaElpenor ge- 
sagt wird : »an den Seiten der Bmstringe eine hellere lüngslinie«, 
so ist dies swar riebtig, allein man kann darans nieht ersehen , ob 
diese Linie hfiber oben oder nnten verläuft nnd folglieb aneb nieht, 
ob sie das Aeqnivalent der bei andern Arten »an den Seiten ■ der 
Segmente YerlanibndenLSngslinien ist Sagt man aber statt dessen 
»Snbdorsale auf den Bmstringen nnd dem elften Segmente«, so 
ist damit gesagt, dass hier dn Rest dessdben Zriehnnngs-Elementes 
▼erliegt, welches rieh in voller EnlwieUong bei vielen andern 
Sphingiden-Banpen vorflndet, ja bei derselben Art in der Jagend 
▼orfaanden ist. Die bisherige Art der Banpeor-Beschrribnng war 
eben keine wissensebaftliehe, rie ging nieht darauf aas, die Mor- 
phologie der Ranpen festzustellen, sondern rie war rein nur auf 
das praktische BedQrfiiiss der rasehen Wiederorkennnng einer auf- 
gefundenen Raupe gerichtet. Aber aueh ftir diesen Zweck dürfte 
die piftcisere Art die bessere sein. 



Ontogenege und Morphologie der Sphingldeii- 

Zeioliniuig. 



L Die (üattung Chaerocani]Ni. Dnp. 

Obgleich ioh keineewegs flir eine ttbennisdge Spaltung der 
Gettangen eingenommen bin, halte ich dooh die TVennang der 
Ton Ocheenheimer ani^geBtellten Gattong Deilephila in die 
B wei Gattungen :Ohaeroeampa nnd Deilephila sensn strictioii 
nach dem Vorschlage Daponehera ftr gerechtfertigt MOgen 
aach die Falter eine solche Trennung weniger nothwendig erschei- 
nen lassen I so lehrt doch die Entwicklongsgeschichte der Banpen, 
dais in der Tbat eine tiefe Kloft zwischen beiden Artengrappen 
besteht nnd daas dieadben nnr an der Wonel znaanunenbängea. 

1. Chaerocampa Elpenor. L 

Schwärmend eingefangene Weibehen legten .im Zwinger ein- 
seine spftrliohe Eier an Gras , Hob nnd besonders an den Tarlataa, 
mit welchem der Zwinger bezogen war.' Dieselben sind nahezn 
koglig, doch etwas plattgedrttckt, grasgrün, ein wenig heller als 
die von Eapborbiae, aneh etwas grösser (1,2 Mill.)- WShrend 
der Entwicklung des Embryo werden sie zuerst gelblich grttn, sn- 
letzt gelbUch. 

Stadium 1. 

Die jungen Räupchcn haben 1 Mill. Länge, sind unmittel- 
bar nach dem AusschlUpfen noch nicht grün . sondern gelhlichweiss, 
milchglasfarhig , nur das grosse etwas gekrümmte Schwanzhoru ist 
schwarz. Die Räupchcn sind so durchsichtig , dass man Nerven- 
system, Tracheen, Verdauungstractus hei schwacher VergrJisserung 
aufs Schünatc erkennt. Sobald die Kiui])chen zu fressen anfangen 
(an EpUobiom parviflorom), werden sie grtla in iTolge des Durch- 



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OntogeaeM und Morphologi« der Sphingiden-Zetohnung. 



11 



•ddimnenu der Nakrang, allmttlig nimmt aber aneh die Haut 
selbst eine atariL grOne Firbnog an (IW. TL, Hg. 17). Alle indivi- 
dnen (im Garnen etwa swanzig] sind vOlUg gleidi , alle ohne jede 
Spnr Ton Zeichnung. 

Stadium II. 

Die erste Hftntang erfolgt naeh 5 — 6 Tilgen bei einer LInge 
der Baape von 9— 10 Hill. Naeh derselben ersdieint sie gUniend 
giltai, das Horn, wie Vmher sehwais, am Gmnd ein wenig rotii nnd 
eine feine weisse BnbdorsalHnie sieht sieh TomHorn 
bis an den Kopf (Fig. 18). Dieser Leistere, sowie aneh die Fttsse 
bomI grttai, dieSogmentehischnitte erseheinen als helle, ftineBing- 
strrilbn nnd ansseidem leigt sieh die ganae obere Fliehe des Seg- 
mentes lein qneigeringelt, was llbiigens aneh sehen im ersten 
StndhunderFaUist 

Im Boginne dieses GMadivms ist noeh keine Spur der Angen- 
ieeke tn bemerken, aber noch wihrend desselben, wenige Tage 
naeh der ersten Häntnng bemerkt man, daas die weisse Snbdorsal- 
linie aof dem vierten nnd ftnflen Segment nicht mehr gestreckt 
veriioft, sondern sieh In swei kleinen Ansbiegnngen 
naeh oben krttmmt. Sehr bald treten diese swei Halbmonde 
siirker hervor, indem dnnkleresGrttn ihre CoBoaTititansAait. Dies 
Ist die erste Anlage der splltern Angenfleeke (Fig. 19 
nnd 80}. 

Aneh eine sehr ftine, wdsse Linie Terbindet jetst die Stigmen 
(Infra-Stigmalinie) and IXsst sieh vom loteten Segment bis an den 
Kopf verfolgen. Sie spielt keine Bolle bei der weiteren Entwiek- 
lang der Zeiehnong, sondern veisdhwindet schon im folgenden 
Stadinm wieder. Dagegen hilt sich die blntrotheFIrbong, welehe 
Jetst an derBashi des imUebiigea schwatsen Sohwaashoms aaftritt, 
bis in daaAnfle Stadinm, nm sodann nach wieder an verschwinden. 

Vor der aweitsn nintang, welche nach abermals 6—6 Tagen 
eintritt, bentit die Baape eine Lunge von etwa 1,3 Oent nndseigt 
bersitodieftrsiesooharakterhrtiaehe, hmggeslreokfte, vom stark 
ve^jttngte Gestalt, die ihr fi»t daa Ansehen einer kleinen Naek^ 
sebneeke gibt. Uebrigens habe ich in diesem Stadiom noch nicht 
bemefkt, daw die Banpe die 3 vordem Segmente in die 2 folgenden 
lartlckiOge, wie das vom erwachsenen Thier so hiafig geschieht. 



12 OntOfeMM tmd Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



Aach sind diese beiden Lelsteroik noeh niöht so aaffaUend graes xaaA 
diek, wie firllber. 

Stadiam III. 

Naeb der zweiten HHotang Teründert rieb ZeiobBong und 
Färbung nar in Besag auf die Angenfleeke : Die Fttllong der 
balbmondförmig gekrttmmten Snbdorsallinie wird 
schwarz*) nnd da xngleich die SnbdorBallinie in ibrera übrigen 
Verlauf Bchr an WeisBc und damit an Dentliebkeit verliert, treten 
die Halbmonde aehon wie kleine Angenfleoke bervor 
(Fig. 20). 

Uebrigena bereitet sich noch während diMes Stadinme die völ- 
lige Abschnttmog der bogenförmig gekrtlnmitcn StUcke von der 
Übrigen Linie vor and anmittolbar Yor der dritten Häutung liaben 
sich die Augenflcckc nach vom und nach hinten scharf abgegrenxt, 
indem die schwarze Grundirnng nach oben sich krttmmt nnd den 
weissen, allmälig linsenförmig werdenden weinen Fleek m nm- 
waehsen beginnt (Fig. 31). 

Stadium IV. 

Nach 5 — 6 Tagen erfolgt die dritte Häntnng und nun sind die 
Angenflecken ganz selbstständig geworden, der weiaae Fleok bat 
Nieral- (vorderen oder Eiform (hinterer) angenommen, und der 
schwarze Grund erstreckt sich als schmaler Saum an den Seiten 
desselben nach oben (Fig. 21 . Erst gegen Ende diesem Stadiums 
aber umfasst er ihn vollständig. Zugleich bekommt deroenteale 
Tbeil des weissen Flecks eine eigentbtkmliobe violettbranne naob 
oben sa ins gclhc spielende Färbung nnd nnr ein peripberiseber 
Bing davon bleibt rein weiss (Fig. 32 und 33). 

Vom Sabdorsalstrcif sind nnr noch Spuren zu erkennen , die 
sich fast in derselben Stärke zuweilen bis in das letzte Stadium 
hinein erhalten. Am deatlichsten bleibt derselbe auf dem vorletz- 
ten und auf den drei vordersten Segmenten , während er auf den 
beiden die An genflecke tragenden Segmenten 4 und 5 spurlos ver- 
sebwindet In diesem Stadium maeht sieb die eigentbtlmliobe Me- 



* Die Abbgening tob sdiwanem FSguMUt kann •ehoo vmnittalbar vor 
der UAuUing b«gjliUMii. 



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OntofMMM und Morphologie der Sphiagidea-Zeichmmg. 



13 



limng der ganzen Oheiseite benierklich. Das Grliu derselbeu ist 
nicht mehr ;^'leichiiiässig, sondern anf hellerem Grunde zeigt sich 
eine Menge kurzer, sauft geschläogelter dankelgrUuer Längs- 
strichelchen. 

An den Flanken der Raupe ordnen sich diese Stric he zu schräg 
nach vorn und unten Uher die Stigmen wegziehenden . aber nur un- 
deutlichen Sehrägstreifen , welche erst im nächsten Studium stärker 
hervortreten. 

SUdinm V. 

Die vierte Häutung erfulgt 7—8 Tage nach vollendeter dritter, 
bei einer Grösse der Raupe von 4 — 5 Cent. 

Während bisher alle beobachteten Individuen mit einer einzigen 
Ausnahme hellgrtln waren , ändern jetzt die meisten ihre Farbe und 
werden dunkelbraun. Nur in einem Fall trat die braune Färbung 
acbon im vorhergehenden (vierten) Stadium ein. Die ebenerwähn- 
ten Schrägstreifen erscheinen als unterbrochene matt lehmgelbe 
Streifen nnd dattelbe Lehmgelb zeigt sich als continuirliche Fär- 
bnng anf den Seitenflilchen der 4 vordem Segmente. Von der öub- 
dotMlHnie iit jelit nur noeli «nf dem eUten und den drei Yor- 
deni Segmenten «ine denlliele Bgm m sehen, nnd an letetorer 
Stelle besonden dentlieh anf dem dritten Segment beginnt am 
ihn die Bildung eines dritten Angenfleokee dnreh Ab- 
lagerung von Sehwarz (Fig. 22j. Doeh kommt es weder jetxt 
nodi im lebten Bnnpenetadinm an einer ToUstlndigen Anebildang 
desselben, vielmehr bleibt die Snbdofsale als eontinnirUdie Linie 
anf diesen drei Segmenten besteben. Weitere VerUnderungen sind 
die bedeutende relative Verkttrsnng des Sehwaasboms, welekes 
zngleieb seine sehttnesebwanrothe Farbe verliert undbriunlieb wird. 

Die swei grossen Augenfleeke haben nahen ihre volle Ausbil- 
dang erreleht. Das Schwan hat den nierenföimigen wessen Fleok 
vollkommen nrnwachsen, aafdiesem aber hat sieh ans den braunen, 
rOIhliehen nnd gelben TOnen des vorigen Stadiums ein nahesn 
sehwaner Fleek entwickelt: die Pupille des Auges (Fig. 33). 
Um hier gleich eine bestimmte Terminologie (Qr die veisohiedenen 
Iiieile der Angenfledte einauftlhren, beieiehne ieh die Pupille als 
Kern, den hellenGrund, anfwelehem die Pupille steht, als Spi e- 
gel , den sehwanen Grund, der den Spiegel einschHesst, als Hof. 



In diesem fttoften Stadimn erreicht da8 Thier die Lttnge yon 
6 Gest. Dann erfolgt noch eine fUnilte HäiUoiig und erst in dem 
sechsten Stadiam vrird die Raupe reif zur Veipnppung. Auffallende 
Verändenmgen in Zeichnung oder Fär1iiin<r geben dann nicht mehr 
yor sich , wohl aber eivigß OBMlMUihare , die aber theoretiseh toh 
groason Intoreaae aind. 

Stadinm VI. 

In diesem Stadinm tritt die Naehahmung der Angtaieoke avf 
den drei vordersten Segmenten noch dentUeher henror, als im ftnf- 
teoi und gleichzeitig wiederholen sich nnn anfallen 
andern Segmenten vom fttnften bis anm elften die 
An gen flecke, freilieii ohne Pupille, ledigliefa alsdlfltaae tief- 
schwane Flecke , deren morphologisehe Bedentaqg aber nicht im 
Ctoringsten iweifelfaaft sein kann. Sie stehen genau an der Stelle 
des Segmentes, auf welcher sie auch bei Segment 3 nnd 4 stehen: 
nahe dem Vorderrand and ober- nnd unterhalb der Subdorsale. 
Nieht selten kann man von dieser nooh eine sehwaehe Andentong 
erkennen (Fig. 23). 

Bei ganz dunkelbrannen Ranpen aind die Flecke allerdinga 
mir bei gOastiger Keleuchtnng nnd genauer KenntDiss der Ranpe 
an erkennen , bei heUbraonen nad bei gittaen Individttai aber treten 
ale ganz scharf hervor. 

Noch eine andwe Neubildung habe ich nie ikilher als in dem 
sechsten Stadium betrachtet Es sind dies kleine, punktförmige 
Fleckchen , welche paarig anf Segment 5 — 1 1 nahe dem Hinter- 
rande sich zeigen. 8ie können sich nicht ans der Subdorsale ent- 
wickelt haben, weil sie höher oben liegen als diese. Ihre Farbe 
wechselt nach der Gnmdfarbe der Raupe, ist aber immer heller 
als diese, hellgrün bei den grtlnen Raupen , lehmgelb bei den bell- 
braunen , graa bei den schwanbiaancn . Diese K U c ke a p u n k t e, 
wie ich sie nennen will, bieten nnr dadurch ein Interesse , dass sie 
sieh auch bei Chaerocampa Porcellus ▼<H^ndmi nnd doK um 
ein Stadium fiüher auftreten , wie bei Elpenor. 

2. Chaerocampa Porcellus. 

Schwärmend cingefangenc Weibchen legten in einer .Schachtel 
einzelne Eier ab Dieselben sind bellgrUu, sphüroid, sehr ähnlich 
denen von Elpeuor. 



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OiitogMMn mid Moi^Mtlogit dter Bphiagidmi^Ziieluniiig. 15 



Stadium I. 

Unmittelbar nach dem Ausschlüpfen messen die Räupcheu 
3.5 Mill., sind einfach hellgrün und zeigen auf dem Hinterrande 
jeden Segmentes eine feine weisse Querlinie , ganz so wie C h a e - 
rornmpa Elpenor im zweiten Stadium. Diesem ähneln sie 
dadurch noch mehr, dass auch eine feine weisse Subdorsal- 
linie schon mit blossem Auge leicht sich erkennen lässt (Fig. 24). 
Während die erwachsene Raupe von allen andern bekannten Chae- 
rocampa-Arten durch den Mangel des Schw an zhorns sich aus- 
zeichnet, ist in diesem Stadium noch ein deutliches, wenn 
auch sehr kleines Horn vorbanden, ja es bleibt ein solches 
genau genommen durch die ganze Entwit klungsdaner hindurch er- 
halten . wächst aber nicht und wird daher alhnälig im Verhältuiss 
zur Kaupe so klein . dass es bisher ganz übersehen wurde. 

>iach 4 — 5 Tagen erfolgt die erste Häutung. 

Stadium II. 

Die blaugrüne FUrl)iing bleibt unverändert, auf der Mitte des 
Rockens macht sich eine etwas dunkler grüne Dorsallinie be- 
merklich fdas durcbsc^bininienidc Kückengefäss und die weisse 
Su b d o rs a 1 Ii n i e erscheint jetzt sehr breit und rein weiss , vid 
auffallender als in irgend einem Stadium bei Elpenor (Fig. 25J . 

Nnn tritt auch die Verjüngung des Körpers nach \oru (3 vor- 
dersten Segmente) auf und Schrägstriche Uber den Stignien heben 
sieh durch dunkles GrUu deutlich von dem helleren Grund ab. 

Wie bei Elpenor zeigen sich noch während des zweiten Stadiums 
die orsten Spuren der späteren Augenflecke, hier aber nicht als eine 
Krümmung der Snbdnrsallinie , sondern als fleckenartige Verbrei- 
terungen derselben von stärkerer Weisse als die im Übrigen Verlauf 
schon etwas ins QrUnliche spielende Linie. 

Stadinm m. 

Erst nach der zweiten HKotnng aber beginnt auch der dunkle 
Hof sich zu bilden und zwar zuerst durch ein wenig Braun , welches 
sich am Unterrand des ▼ordern der weissen Flecke zeigt und all- 
mfilig an Ausdehnung zummmt und an Tiefe der F&rbong. Zugleich 
grenzen sich beide Flecke schärfer gegen die immer mehr iot Grttiie 
▼erbleiohende Subdoraalliiiie ab (Fig. 27) . Bald umwächst dann da» 



16 Ontogeneie und Morphologie der Sphingidcn-Zeichnung. 



Braune daa Wdss und das vordere Auge ist soweit fertig, wihiend 
das hintere langsam naeiifolgt. Die Bildung der Augen gelit also 
hier nicht rascher tot si^ als bei Elpenor. 

Am Ende dieses Stadimm betriigt die Lfaige der Ranpe etwa 
4 Cent, die Gnmd&rbe ist nodi immer meeigrttn, die Snbdorsal- 
linie sehr ahgeUasst, naeh mten gaos yerwasehen , nnr nach ohen 
noch scharf abgesetst von der grünen Gmndfiurbe (Fig. 26). 

Stadium IV. 

Nach der drUten Httutong wurden alle Raupen (5} brann «also 
ein Stadium frttherals es bei Elpenor in der Regel ge- 
schieht In einzelnen FUlen tritt die branne Fftrburg sogar schop 
im dritten Stadium auf Der Snbdorsalstreif war bis auf Reste auf 
dem totsten und d» 3 ersten Segmenten ▼erschwunden. Die Augen« 
flecke entwickeln sich jetzt rasch bis su voller Ausbildung, sie 
erhalten eine schwarse Papille und geben dem Thier wirklich ein 
schreckliches Aussehen , wenn es bei drohender Geihhr durch Ein- 
siehen der vordem Segmente das vierte aufblAht (Flg. 28). Die 
Augenfleeke des fttnften Segmentes entwickeb sich weit weniger, 
als bei Elpenor, bleiben klein und fidlen wenig ins Auge. Dagegen 
entstehen jetzt schon , ganz wie im letiten Stadium bei Elpenor, 
auf allen Segmenten, mit Ausnahme des letzten, deutliche 
Anlagen von Angenfleeken, als unregelm&ssig rund- 
liche schwarze Flecken am Vorderrand der Segmente 
in der HOhe der ehemaligen Subdorsallinie und dort ist 
das sdiwane Pigment in ihrer Umgebung su Ungsstrdfen ange- 
ordnet, zu weldiem dann noch ein medianer LSngsstreif hinzu- 
kommt, eine Zdchnung, die vielleicht die Raupe ihren Feinden 
noeh ftiTchterUcher erscheinen ISsst. Diese selbst ist Indessen nur 
auf den drei ersten Ringen zu eikennen. Sehr deutlich erseheinen 
dann ferner noch die bei Elpenor erwühnten »Rttckenpunkte« auf 
Segment 5—11. 

Von der dritten Bftutung ab finssen die Raapen noch 1 1 Tsge, 
in die noch eine vierte Häutung fiel, ohne dass aber damit eine 
VerlUiderungderZeichnungverbnnden gewesen wäre. Dann gingen 
sie In die Eide. Die Raupen-Entwicklung im Ganzen betrug 38 bis 
29TiBge. 

DieEntwiddung der Poroellus-Raupe wurde zweilfal verfolgt. 



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Ontogmete und Morphologie der Spliingiden-Zeichnung. t7 



1869 «D 12, 1874 aa 5 Indiyidiieii. In keinem Fall erhielt ich 
Banpen, welche die ganze Entwieklongadaner hindnreh grlln ge- 
blieben wären, doch wird dieser Fall, wenn auch als ein seltoer, 
in den Büchern angegeben; die Abbildung einer grttn gebliebenen 
anflgewachBcnen Banpe habe ich jedoch nirgends anfBnden können 
nnd mOehte deshalb einstweilen annehmen, dass grttn blei- 
bende Poreellns-Ranpen — wenn sie Überhaupt Tor- 
kommen — gradesn Ansnahmeflllle sind. Die theoretische 
Bedentnng dieser Annahme wird sieh später ergeben. 

3. Resaltate der Entwicklungsgeschichte von Chaerocampa 
Elpener und Poreellni und Vergleichung mit den übrinen bekannten 

Chaerecimpa-Arlen. 

Das erste Stadium von Elpenor deutet daraufbin, dass die 
weitest surttckliegende Stammibrm der Gattung noch keinerlei 
Zeichnung besaas , dass dieselbe einfaoh grttn gewesen ist In spft- 
teren Nadikommen bildete sich dann die weisse Lftagslmie , welche 
ich als Subdorsale beseiehnet habe, und bei noch spSteren Nach- 
kommen schwand dieselbe wieder bis auf mehr oder weniger deut- 
licfae Reste , während sngleich aus einxelnen Stttcken derselben sich 
die Angenflecken auf dem yierten nnd fttnften Segment entwickelten. 
Erst nachdem diese znr vollen Ausbildung gelangt waren, Uldeten 
sieh als 'schwache Wiederholungen derselben schwane Flecken 
aof den andern Segmenten mit Ausnahme des lotsten. 

Bei Chaerocampa Poreellns schlttpft die Raupe schon 
mit dem Suhdorsalstreif ans dem Ei, das Stadium I. von Elpenor 
wird ttberspmngen, nnd wir dflrfen aus dieser Thatsache sehliessen, 
dass Poreellns die jttngere Art ist oder, was dasselbe ist, die in 
der Entwicklung weiter voigeschrittene. 

Damit stimmt der ganze ttbrige Entvncklnngsgang von Por- 
eellns, der im Wesentlichen nur eine Wiederholung der Erschei- 
nungen bei Elpenor ist und nur in dem einen Punkte sich unter- 
scheidet^ dass alle Neubildungen um ein Stadium früher auftreten, 
als dort So die Umwandlung der grttnen Grundfärbnng in die 
Imuine, so die Wiederholung der Augenfleckc auf den Übrigen 
Segmenten in Gestalt verwaschener schwarzer Flecke , so das Auf- 
treten der hellen Ii llckenpnnkte«. Nur die Angcnflecke selbst 
erscheinen in demselben Stadium, und etienso bildet sich auch die 

W«Ua»Ba, Stodin. IL 2 



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18 



Ontofeneae und Moiphologi« d«r Sphingidtn-Zcichnung. 



iof . *Sebw«iiidi«iifonii< der Bmpe, d. Ii. die eUrke rnadartige 
VeijaBKnog der Tordera Segmente in demidbeii Stedhni aas, nim- 

lieb im sweiten. 

Ans dieeeo allein bekennten Entwicklungadaten werden wir 
«nf Tier Haaptstufen der phyletiscben Entwicklang 
der Gattung zurUckschlieBsen dürfen. Die erste Stufe ist einfach 
grttn, obne jede Zeichnung, die zweite weist bereits eine Subdor- 
sale auf, die dritte Augeiiflccke auf dem dritten und vierten Seg- 
ment, nnd die vierte wiederholt die Augenfleeke , wenn aacb aar 
in Andentangen , anf allen Übrigen Segmenten mit einaiger Ana- 
nahme des rudimentBren swOlften Segmentes. 

Veigleiobt man nnn biermit die übrigen bekannten Ranpen von 
C h a e r o c a ni p a - A r t e n , so ergibt sieh das interessante Resultat, 
daaa dieselben Hieb in drei Gruppen sondern lassen, welebe 
genan den drei letzten pbyletiaeben Stnfen entspre- 
eben, wie sie soeben aus der Ontogen e eevonChaeroeampa Bipenor 
and Porcelltts abgeleitet wurden. 

Von der Gattung C h aerocam pa * i sind im Ganzen Uber 
50 Arten beschrieben worden, nur von ir> Arten aber keuut man 
die Kaupen und zwar stets nur unter der Form , vwelcbe ara im lete- 
ten Stadium der Ontogenese besitzen. 

(iruppe 1. Ich kann nur wenige Vertreter fllr sie anfuhren. 
Zuerst sei Chaerocaiupa Syriaca peuaunt, die ich in zwei auf- 
geblasenen E\cini)laren in der Staudinger'schen Sanimluu^ ge- 
sehen und in V\^. 29 abgebildet habe. Die Kaupe ist grün und hat 
ausser den vielen (.'haerocanipa- Kaupen zukommenden kurzen 
Sehrägstreifen über den Füssen als einzige Zeichnung eiuc ein- 
fache, weisse Subdorsale ohne jede Spur von Augen- 
fleeke n. Sie entspricht also genau dem zweiten Stadiuni in der 
Ontogenese von Chaerocampa Elpenor und Poroellns. 

*} Ich tiehe die Gattungen Pergets Walk, und Darapaa Walk, mit zu 
Chaerocampa Dup. ; die erste von ihnen icheint mir überhaupt unhaltbar, 
da man zwei Arten , deren Kaupen eine hu vollständige Uebereinatimraung sei- 
gen, wie Chaerocampa Elpenor und Poreellua uninAfUeb in twei Gattungen 
auMinander reisigen kann ! Porcellun wird aber Wegn sdMt in der That etwaa 
verKcliicdt iifn I'"lum'lschnittes üur (Jnttunp Pergena grrnpen. Ks zeigt nicl) 
an dieaem Beispiel deutlich , wie gefährlich ea iat, ohne alle liücksiobt auf die 
lUitpen SchmetterUngtigattungen Rnfintetellen. Aiioh die Osttnng Darapea 
Wdk. echeint mir von sehr sweifelhaftem Werth und bedarf jedenlldlt Boeh 
Moer gemoen Nachprefeng mit BeiOckaiehtigang dar Raupeafonien. 



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Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. ] 9 



Leite tnicl die Naohriehton Ober diese Art so mgenttgeiid , «neb 
in Betraff des Sehinetteiliiige, daas sieh nieht einmal mit voller 
Beelinuafheit ans der GrBsse te beiden Banpen anf ibr Alter 
sehliessea lisst. Sollte der Sebmetterüng die GrOise ron £ I p e n o r 
besttien , dann wire die abgebildete Banpe von 5,3 Cent. Länge 
jedenfalls niebt ans dem lotsten , sondern dem vorlelsten Stadinm 
nnd es misste swdfblbaft gelassen werden, ob sie vielleiebt im 
loteten Stadinm noeb Aogenlleoke bekommt, oder niebt 

Dass aber Arten ezistiren, welebe aneb im letzten Stadinm 
te Ontogenese dem Stadinm 2 von Elpenor entspreoben, seigen 
die swei bekannten Arten der yoo Walker naeb den Imagines 
angestellten Gattung Darapsa. Von dieser Gattung werden im 
Gray'seben Oatalog sebn Arten an^efklbrt, von sweien derselben 
-sind die Banpen im erwaebsenen Znstand bekannt dnreb die Tor- 
traffliebenAbbüdttqgeuTon AbbotnndSmitb*). Diese besitsen 
die »Sebweinebenform« in ansgeseiebnetem Grade; eine Banpe ist 
in der Stellung abgebildet, welebe aneb nnsereCbseroeamparBaapea 
bei bemanahender Gefidir sofort amiebmen: die drei vordersten 
Segmente sind in das vierte eingesogen (Fig. 34 ist eine Copie dar- 
aadi).' Angenfleeke sind aber wete bei D. Myron noeb bm D. 
Cboerilns vofbaaden, sondern nur ein breiter, weisser Snbdor- 
salsMf und nnterfaalb desselben weisse Sebiftgstreifen, welebe 
gans ftbnHeb vrie im Stadium m. von Poreellns mit der Snbdoisale 
ansasnnentreffen, gewissetmassen ans ibr bervoigeben. 

Grnppe 2. Sie entbllt zahlrdehe Arten, websbe, wie onsre 
einheimischen Chaeroeampa Eipenor nnd PoreeBns anf Segment 
vier md ftnf Augenfle^ trsgen, wlbrend die übrigen frei davon 
snui, ote bOebstens nur Andeutungen davon anweisen. Hierher 
geboren ausser den beiden genannten Arten noeb flinf andere, nim- 
Heb in Burepa noeb Chaeroeampa Celerio nnd Aleeto (? nicht 
sieber bekanntl), in Indien Chaeroeampa Nessus Umy und Ln- 
easi Beisd.**) nnd eine nnbenannte Art ans Port Katal in Afrika. 



*) Abbot 4t Saiith. The iwtanl histoiy of tfw flmr LfpUdqptoroat 

InBects of Georgia , collectcd from ihe obscrvations of John Abbott, with 
the plants un which they feed. London 17U7. Fol. 2 vol. 

**j Abgebildet in ,,A Catalogue of Lepidopterous Inäncl» in Ihe Museum of 
thoBwt. IndUCompMjrby Thomas Horsfield and Fredaric Moore, 
London 1857. Vol. I. PI. XI." 



20 Ontogenefie und Murpbolugie der Sphingiden-Zeichnung. 



Die Snbdonale kann dabei mehr oder weniger eriialten sein. 
So beritit Chaeroeampa Celerio nach der Abbildung Httbner*« 
eine breite gelbe Linie Yom Horn an bis xnm seehsten Segment, 
dagegen fehlt sie hier anf den drei ▼ordern Segmenten YollaMndig. 

Bei der nnbenannten Art ans Port Natal*) erstreckt sich die 
Snbdorsale sogar bis znm Vbrderrand des fttnfken Segmentes, ea 
steht auch nnr anf dem Tierten ein ansgebildeter Angenfleck, anf 
allen folgenden aber sind Andeutungen von solchen su erkenneUi 
als dunkle Flecken wie bei Elpenor und Forcellus. 

Den Uebeigang zu der dritten Gruppe bildet dann eine eben- 
falls nnbenannte Art aus Mozambique*). Bei ihr sind anf Seg- 
ment 4 und & siemlich grosse Augenileoke entwickelt , dann folgt 
eine nnr stellenweise deutlich markirte Snbdorsale, anf welcher 
kleine, mndliche, noch nicht Tollstandig von ihr abgegranite Fleck- 
chen stehen und zwar je eines nahe dem Yorderrand jeden Seg- 
mentes, also etwas weiter ausgebildete Wiedeiholungen der yor- 
dem Augenflecke. 

Gruppe 3. Bei den hierher gehörenden Arten wiederholen 
sich die Augenflecke nach rttckwftrts anf allen Seg- 
menten. Ich kenne sieben derartig gezeichnete Chaeroeampa- 
Sanpen, ron denen Chaeroeampa Biseeta Horsfield**) sieh noch 
an die vorbeigehende (kuppe anlehnt, indem hier die Wiederho- 
lungen der Angenflecke auf den Segmenten sechs bis elf noch nicht 
die ToUe Ausbildung erlangt haben. Vollständig gleioh Schemen 
sie bei Chaeroeampa Oldenlandiae**) Fabr. zu sein, sowie anch 
bei Chaeroeampa Alecto***) ans Imto, wftbrend sie bei Chae- 
roeampa Actaeus Cram.***) sowie bei Chaeroeampa Tersa aus 
Nordamerika (Taf. n. Fig. 28) anf den übrigen Segmenten kleiner 
sind als der Aagenfleck auf dem vierten S^ment nnd bei Chaero- 
eampa Celerio Linn, ans Indien f) die GrOsse der Flecke von 
Tomen nach hinten zu abnimmt. 

Anch in dieser Gruppe verhält sich die Subdorsale sehr ver- 
schieden. Bei einigen Arten scheint sie vOllig yerschwundeu zn 
sein (Chaeroeampa Actaeus, Celerio), bei andern ist sie als 

*) Abgebildet in ,, Transatt. Rnti)m. S<»c. new neriei Bd. IV. PI. XIU." 
Cat. Lep. Ins. Hast India Comp. PI. XIII. 
Horsfield «. a. O. Ttf. X. 
^f) EbradaselbttTaf. XI. 



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Ontogenese und Moipkologie der Sphingiden-Zeichnung. 



21 



Liditstraif noch Torbaoden und sieht Uber alle Segmente (Chae- 
roeampa Aleeto), bei noeh andern ist sie alt breiter, weiseer 
Streif erhalten wenn aoeh nor bis snm vierten äegmcnt ( C haero- 
campaTersai Fig. 28). 

Der Sobdorsalstreif ist somit bei den Arten» welche bereits 
Aogenflecke besitsen, ein sehr Tarjabler Charakter. Interessant 
ist es aber, dass aneh in dieser am weitesten Toifeschrittenen 
Orappe die Snbdorsale ttberbaupt noeh Torkommt, weil hier- 
' dnreh eine ähnliche Entwieklnng der Angenflecke, 
wie bei Chaerocampa Elpenor and Poreellas fast snr 
Gewissheit wird. 

Die Ontogenese dieser tropisehen Arten würde darttber defini- 
tiven Aaftehlnss geben kfionen, leider aber kennen wir die Jagend- 
fennen von keiner einaigen Art, and so ISsst sidi nnr vermathen, 
dass jundestens ein^ von ihnen im ersten Stadinm noeh die dn- 
fiwhe Snbdorsale ohne Angenfleeke aafweisen weide, dass dann 
im sweitea Stadium die beiden primären Aogenfleok-Fkare aaf dem 
Tierlen and fünften Segment sieh aasbilden and erst in den loteten 
Stadien die Uebertragang aaf die ttbiigen Binge stettfinden werde. 

Die lotete Annahme geht anmittelbar aas der Ontogenese von 
Elpenor and Porcellas hervor, fllr ihre Bereehtigang spridht 
andi die sehen erwihnte bedeatendere Grösse der Aagenfleeke bei 
mehteven Arten der dritten Grappe. Sie wttrde schliesslieh noch 
sehr bestimmt gestHtet weiden dnroh das Verhalten der Baope von 
Chaeroeampa Celerio in Indien, voraasgesetot, dass die hieraof 
bsillglieheD Angaben Horsefield's nicht aaf einer Verweehsdang 
der Art berahen. DieseryerdienteBeobaehter,derzaerstplaamissig 
eine grosse Ansahl tropischer Banpenformen zttchtete, beschrieb 
nnd in äemlieh guten Abfalldangen darstellen Hess, gibt aneh eine 
Abbildang der indischen Banpe von Chaerocampa Celerio. 
Nach dieser besässe dieselbe Aogenflecke aaf allen Segmenten vom 
vierten bis aehntai. Die enropilisehe Baape derselben Art hat nnr 
aaf Segment 4 and 5 Aagenflecke, Horsefield seheint dieselbe 
nicht gekannt so haben, da er keinerld Bemeikang sn seiner Notia 
ttber Chaerocampa Celerio aas Indien hinsnfilgt. 

Gehört die von ihm abgebildete Banpe wirklich sa Celerio 
—was ieh kebeswegs fllr anwahrscheinlich halte ^ so ist dadnrch 
nidit nnr erwiesen, dass bei den Banpen der dritten Grappe die 



22 



Ontogenese und Murpholugie der Sphingiden-Zeicboung. 



Angeailecke «nf den hintaren Segmenten lekandär, dnreh Wie- 
derholnng der vorderen primftren entotamden sind, sondern vir 
wurden damit festgestellt bsben, dass ein nnd dieselbe Art 
gleichseitig anf awei yerscliiedenen Wolingebieten 
aaf swei versebiedenen phyletiscben Stadien ange- 
langt sein kann. 

Fassen wir schliesslich die Thatsadieni welche die Ontageneoe 
der beiden deutschen Arten und jene, welche die aasgebildete 
Form der übrigen Arten an die Hand gibt Msammen, solisstsieh * 
darans mit siemlicher Sich^heit ein Bild vom Entwicklnngsgaag 
der Qattong Chaerocampa entwerfen. Von den vier phylelischea 
Stadien, welche ans der Ontogenese von Elpenor und Foieelliis 
sich ableiten liessen, bilden drei heute noch den Endpunkt der 
Entwicklung bei lebenden Arten. Die grosse Ycnchiedenheit der 
Baupen dieser Gattung erklärt sich denmaeh sehr einCMh daiaas, 
dass sie auf ▼erschiedner HShe phyletischer Entwicklung stehen, 
einige Arten sind weit lurtlckgeblieben (Gruppe 1), andere mehr 
vorgeschritten (Gruppe 2), noch andere auf der HOlie der Entwick- 
lung angelangt (Gruppe 3). Es stimmt gut su dieser Ansehanmig, 
dass die dritte Gruppe nur siss tropischen Arten besteht, da viele 
Tbatsachen dafllr sprechen, dass unter den Tropen die phyletische 
Entwieklung rsschw vor sich geht, ato in gemässigtem KUma. 

Soll aber die Entstehung der so anHUIenden Zeiehnmg kun 
cbarafcterisirt werden , so beraht dieselbe auf der lokalen Umbit- 
dung sweier Stückchen des Subdorsalstreift su Augenflecken, sovHe 
der späteren Uebertragung dieser beiden primären Augenflecke auf 
die dahinter gelegenen Segmente. Die Augenfleokc entstehen immer 
auf Segment vier und ftlnf und die Uebertragung schreitet von hier 
aus meistens nur nach rückwärts fort , in einigen Fällen aber auch 
zugleich nach vorwUrtR. Hierin d. h. in dem Ausgangspunkt 
der Augen fleokbildung liegt ein tlurcligreifender Unterschied 
der Gattung Chaerocampa von der mit ihr häufig susammeO' 
geworfenen Gattung Dcilephila, bei welcher der Ausgangspunkt 
eines gaas ähnlichen Zeichnnngscharakters an anderer Stelle Uogt. 



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OtttogeaMe uiMi Morphologie dei Sphiogiden-Zeicbnung. 23 



II. Die Oattuog DeUephUa. 0. 

Mir rind die Baopen toh nean Arten des enropltimliea Faii- 
üMgelitoieB und die einer aordnierikiiiBehen Art bekannt Ihre 
Zewimmg irt «aienMin Tervoliieden und eeheint anf den ersten 
Bück wenig Hofftmng sn bieten, sieh auf eine gemeinsame Grand- 
Com smrttokfthren an lassen. 

Mail kann diese lehn Arien naeh ilirer Zeichnnng in 5 Gmiipen 
sondern, wdehe loh knn beaeiehnen willi ehe ieh snr Daistellnng 
der Ontogoneso ttbergehe- 

Dia erste Ornppe wird von drei Arten gebildet. Es 
gehört iB ihr die yerbreitetsto and hSnügsto aller enropKiseben 
Deüephila-Artea D. Eaphorbiae nnd ansner ihr noch D. Dahlii 
aas Saidinien «hI Corsika, sowie D. Nieaea, eine Art von eben- . 
fiüls sehr besohiiaktein VerbfeitangsbeBirk, da sie nur in euieni 
kkinen Gebiete der fransftdsahen lüttehneerkllste ▼orankommen 
ssheint Alle drei Arten stimmen insoweit in ihrer Zeiobnong Aber- 
ein, als sie im amgewaehsenen Zostand swei Reihen Ton 
Bingfleeken Jedeneifs besitien, während eine Snbdorsal- 
linleTollständig fehlt. 

Die sweite, wiederum aas drei Arten bestehende Grnppe 
isiglaadi noefa grosse Aehnliehkeit mit Eaphorbiae, hat aber 
Bir eine einiige Reihe ?on Bingfleeken. Dahb gehffrt 
D. Vespertilio, Galii nnd die in Algerien vorkonunendeMau- 
ratnaiea. 

Fttr die folgende Grnppe kenne ich nor einen Vertreter: 
D. Livorniea Esp. Sie besitzt eine einfache Reihe Ton Ring^ 
flseken, welehe dnreh eine Snbdorsallinie verbanden 
werden. 

Eine weitere Grnppe wird von der am kaspischen Meer 
vorkommenden D. Zygophylli nnd der nordamerikanischen D. 
Lineata gebildet, welche einen starken Subdorsalstreif 
besitit, in welchen aber mehr oder weniger dentlieb Bing flecke 
eingeschaltet sind , die ich als o f f n e bezeichne , weil die schwane 
Einfiusnng derselben in Gestalt eines obem und nntem Bogens aof- 
triit nnd noch nicht die Snbdorsale schneidet. 



24 



Ontogenese und Morpholugie der Sphingiden-Zeicbnung. 



Bei der letiten Gruppe, repritoentirft durch die am Fiu« 
der Alpen (Wallis) and sttiUlch bis Andaliuieii voriLommende D. 
HippophaeB ist norein breiter SabdorsalstreifTorluuiden, in der 
Regel ohne jede Spar von einer Fleekenreihe. 

Die erwähnten bedeotenden Unterschiede in der Zdohnnng 
dieser fttnf Gnippen bemhen nnn keineswegs etwa anf ZnlUlig- 
keiten, sondern sie entsprechen versehiedenen phyleti- 
sehen Entwicklnngsstadien, mit andern Worten: die fUnf 
Gnippen sind von verschiedenem Alter, die saerst gcnannteGn^pe 
(Enphorbiae etc.) ist dte jUngstOi die snletst genannte 
(D. Hippopliaes) die ftlteste der Gattung. 

Ihrem phyletischen Alter nach folgen sich die Chmppen in der 
nmgekehrten Bdhenfolge, die erste ist die von Hippophaes, die 
zweite die von Zygophylli, die dritte die von Livornica, die 
vierte die von Galii und die fUnfte und jüngste die von Enphor- 
biae. Nor von der loteten Gruppe ist mir die Entwicklnngsge- 
Bchichte einer Art vollstftndig bekannt nnd dies ist der Grand, 
warum ich in Folgendem mit dieser Grappe beginne nnd also von 
den jüngsten zu den lUtbsten Formen voranschr^, statt den na- 
tllflicheren Weg von den einfiMhsten und Utesten zu den complidr- 
teren jüngeren einzuschlagen. 

1. Deilephila Eupherhiaa. 

Frisch eingefimgene weibliche Schmetterlinge wurden in einen 
Zwinger von derGrOsse eines kleinen Zimmers gebracht. Obgleich 
sie sich dort fcnneswegs recht wohl fühlten, vielmehr sich Flügel 
und Kopf an den Tarlatanwänden vielfach zerstiessen , so legten 
doch einige von ihnen Eier ab und zwar einaefai an die Basis der 
Blfttter von Euphorbia Cyparissias. Dieselben SJmeln sehr den 
Eiern von Chaerocampa Elpenor, sind wie diese sphlroid, 
allein etwas kiemer und etwas dunkler grün. Sie werden in klei- 
nen Gruppen, bis zu sieben Stück, nahe bdeinander abgesetzt, 
doch so, dass sie sich nicht berühren, selten auf die Spitze eines 
BlKttchens, immer aber nahe der Spitze eines Zweiges, also da, 
wo junge Blatttriebe in nächster Nähe sind. 

Während der Embryonal - Entwicklung verfilrben sieh die 
Eier, weiden gelblich, stelienweiBe schwänlich, zuletzt ganz 
schwärzlich. 



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OatogHMM und Morphol<^e der Sphingiden-Zeiohnaag. 25 
Stadinm I. 

Die jungen Räupchen [Fig. 37) messen nnmlttelbar nach dem 
AassehlUpfen 4 Mill., sind zuerst etwas heller, werden aber schon 
nach einer halben Stande fllr das blosse Auge tief sammtaehwan; 
spiter, bei sonehmeiider QiOne erblassen sie wieder, wefden grtln- 
Hohediwarz und spttter aohiriinlichgrfln. Bei sttrtoer Vergrüsse- 
mng (Fig. 38] zeigen lie von Anfang an ein schwänslichee Griln, 
die Born ist lehwan, ebemo der Kopf, Ftttie imd eine halbinoiid- 
ftmige GbitiDplatte anf dem Backen des Frothorax, sowie eine 
paarige ond swei unpaarige Chitittplatten«if dem leisten ISegment. 
Von der spftteren Zeiehnang der Banpe ist nooh gar 
Nieiiis Torhanden. Die Stigmen heben sieh als weisse Fleelce 
ab. Anf jedem Segment steht eine AmaU (meist 10) Wlnehen, 
Ton denen jede eine einfi^he Borste trttgt. 

Wenn die Btapehen die Llnge Ton 7 Hill, eneidit haben, sind 
sie oBrengrlln und stedien dann nicht mehr so grell ab von dem 
GrSn der BophorUar-BlIftler, wie vorher. Irgend eine Zeichnnng 
besitMü rie aiudi dann noeh nicht. 

Stadinm n. 

Nach flinf Tilgen erfolgt die erste Hftntnng und mit ihr er- 
seheint plotslieh nnd ganz unvermittelt eine schon 
sehr eomplicirte Zeiehnang. Die Orandfarbe ist jelit ein 
helles, gelblidies GrBn (Fig. 39). Anf jedem der 12 Segmente 
steht 'nahe dem Yoidemiid ein rdn weisser, runder Fleclc mitten 
anf einem grossen , in die Qaere gesogenen schwanen Fleck. Ich 
beieichne sie, entsprechend der bei Ohaeroeampa eingeführten 
NomendalDr als* weissen »Spiegel« auf schwarzem »Hoft, beide 
znsammen aber als »Bingf leck« zom Unterschied von den eigent- 
lichen Angenfleeken, bei welchen noch ein »Kern«, diePa- 
pflle des Aoges, hinzukommt. Nicht bei allen Individuen, aber bei 
vielen sehr deudieh sieht man Spuren einer Subdorsal- 
linie als hellen, weisslichen Liehtstreif die weissen 
Flecke miteinander verbinden. Das Horn, die Thoneal- und After- 
iHsee und einige Fleeken am Kopf sind schwarz. 

So bleiben die fiinpehen unveründert, bis nach 4 Tagen bei 
euer Lllnge von 17 lüil. die sweiteHllutang eintritt, wdehe wieder 
eben so grosse Veiinderungen mit sieh ftthrt, wie die erste. 



26 



Oatogeiiese und Morphologie der iSpbiQgidea-Zeichnung. 



Stadivm ID. 

Di« Bupe bekoBunft nnn diM gekffmflll» (ehagriovlige) Ani- 
selMii,welolw0iieimenrMjhieiieoZiistaiidberi Kleine, wviMe, 
ktfrntritfiiUidie Winehw neben in Ungmüieii angeoidiiet fn» 
BttekeoiMf Mb sur StigmaUiiie und leiten «iob «wsli neoh «nter- 
halb deraelbao auf den Banebftaaen. Sie sind nioht nur nie ein 
Obankier von Werth, der dieGattongen DeilepbiU nnd Chae- 
roeampa traml» aoodflni ne spielen aneh beini Znetendekoninien 
der etgenfhUmliofaen FlsekoueMhnnng eine BoUe, wie spiter ge- 
leigt weiden soll. 

Die Omndfiffbe der Baape ist jetit sin beUee Grün (flg. 40), 
webshes jedoob an bestinunton Stellen von Sebwan TSidiingt ist. 
Von dem sebwarsea »Hof« der Bingfleske erstrseken sicli swet 
dreieekige sehwane Zipfol gegen den Hintenand des Segmentes 
sn , ohne denselben gew4lbnlieh Jetrt sehen in erreichen. 

Die Bingfleske sud nicht wesentUeh-reribidert, doeb beme^ 
man msistens jehit schon, dass die Chagrinfleckchen, welche nnter 
jedem Bhigfleek stehen, etwas grtfsser sind nnd dichter beisammen 
stoben, als an andern Stellen. Sie Tersohmelzen im folgenden 
Stadium sn einem iweiton, weissen Spiegel, so dass dann swei 
Bingfleoke ttberdnander stehen, deren schwane Hflfe aber sn- 
sammeniUeseen. Zuweilen findet die Ansbildong des «weiten Bing- 
flecks schon in diceem Stadium statt (Fig. 42). 

Die Snbdorsale ist jetzt rollgtändig yerschwunden , Uber 
den Fttssen verläuft ein breiter Streif, der Stigma-Streif*). 
Das Horn ist gelb mit schwaner SpitM. Am Kopf haben die bei- 
den schwanen Flecke an OtOsie angenommen« 

Stadinm IV. 

Die dritte Häatang , welche nach abermals yisr Tagen bereits 
eintritt , bringt keine so bedeatenden Veränderungen mit sich. Das 
Grttn des Grandes verschwindet Jetzt vollständig und macht einem 
matten Schwarz Platz. Uebrigens sind die Raupen jetzt, wie auch 
schon im Torigen Stadium , sehr variabel. So kann sich z. B. ein 
drdeekiges Stückchen des grtlnen Grundes am Hinterrand der Sef- 

*) Genau genommen müsste dieser Streif als Infrastigma-Streif be- 
MMiMtiraidm« doch Im <Bm Bwda dBMi 8Ihb, ti« aqgMA 
Sttraif vtnksapi, vis Si B. bd Aaotr ja Piasctri. 



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OataguutM und Mofphologie der SpliiBgid«n>Zeiclmiiig. }7 

BMoto erlialteii (Fig. 41), nnd mlelM ImttvidiMii, w«lolie diMen 
Ohuakler besitsen , erweiMii doh gewöhnlich aneh dnroh das Feh- 
len des «weiten Splegeli im Bingfleck als inrttckgeblieben in der 
Entwiddiing der Zeiehnaag. In Fig. 4 1 sind die Obagiinfleekdien, 
aaa welohen rieh dieser sweite Spiegel später bilden wird, sehen 
dentUeh etwas grösser, als die andern and aof Segment elf 
smd iwei ven ihnen benita anaammengeioflscn. 

Stadinm V. 

Nach abermals vier Tagen folgt die vierte Hlatong. Die ZeMi- 
aangbldbt dieselbe» doch werden dieFarhen lebhafter; dasZiegil- 
rofth an Kopf, Horn, Baokenatreif and Füssen Terwaadelt sieh in 
Fenerreth. Der voiher abweehsebd grttn and gelbe StigmarStrrif 
Utot ridi gewöhnlich in eine Beihe rothgelber Fleoke anf . 

Zehn Tage später, bei einer Läng« von 8,5 Cent, hffrt die 
Baape aof an fressen and beratet sieh aar Yerpnppang. 

Aneb in diesem letsten Stadinm ist die Variabilität der 
Päfbnng sehr giees. Variabel ist eigenfUeh Jeder Oharakter, 
ehglsieh ea Torkonuaft, dass die Individnen eb nad derselben Brat 
sehr wenig Abwetehaagen seigen*}. So ist die Bttekenlinie 
bald aehwara, bald roth oder rotfa von Schwan anterbroobea, so 
dass nar noch kleine, rothe Fleekehen UelbeD. Der Kopf ist 
bald gani loth, bald tiigt er schwane Flecken. Am Baach 
herrscht meist Both vor, bei Einzelnen aber ist dasselbe in Schwan 
verwandelt. Aach die Orandfarbe schwankt, meist ist rieein 
gttniendes Brannschwan, aaweilen ein mattes Kohlschwan. 
Ebenso sind die Chagrinfleckchen bald weiss, bald gelb, and aaeb 
die »Spiegel« der Bingfleeke sind oft gelbUch. 

Die interessantesten Variationen aber scheinen mir die folgen- 
den an sein: . 

Bd vielen Individnen vom Kaisentnhl (Breisgan) war das 
Both nngemein lebhaft and beschränkte rieh nicht aaf die gewöhn- 
lichen Stellen, sondern nahm ansserdem noch das Dreieck am 



*) Darauf beruht ofTtnbar die Angabe dai so überaus zuverlässigen Rösel, 
da«s die Itaupo von Euphorbiae sehr wenig variabel sei [Inscktenbelusti« 
gUDgen Bd. III. S. 3(>). Ich theilte früher diese Meinung, bis ich mich über- 
' Mugte , dw dfaM Art u mudMB Oitm swv Mfar Iwiwlant, aa 
idirTariabdisk. £■ ■chsinen lokal» Binflfliit diaB— pa vwiBdailich »tt Miwhift. 



28 OntogeneM und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



Hintenaod der Segmente ein (Fig. 44), welebes in den Stadien 
m. und IV. vom Orttn eingenommen wurde (Fig. 42}. Dieee Vn- 
riation iat aneh Ton Httbner lehon abgebildet worden. 

Bei einem Individunm (Fig. 43) fehlte der ontere Bingfleek, 
dagegen besass der eine yorbandene einen eohOn rothen Kern, 
der iwar naeb vomen ra ▼erwaaehen anfhDrto, aber doeb den 
ersten Schritt kor Bfldnng eines voUatladigenAQgenfleokeB darstellt 

Ob in die loteten sehn Tage noch ehie fttnfte Hiatang Allt, 
kann ieh nicbt gans bestimmt Tomefaien , wenn ich aneb sehr daran 
sweifle. Gewiss ist aber, dass einige Zeit vor der Veipappang nnd 
iwar , wlbread die Tbieie noch freasen , dm anffirilenden F^urben 
verachwfaiden nnd Schwan die Haaptfivbe wird. 

Offenbar ist die Ontogenese dieser Art nur ein sehr nnvoll- 
stindiges Bild ihrer phyletisefaen Bntwiddnng. Das geht allein 
schon aas der grossen Kloft benror, welehe iwiscben dem ersten 
nnd sweitenSladinm liegt Eine BeiheTonBingfleckenlLann nicht 
plOtelieb nnd nnvermittelt entotaaden sein, Tidmelir wird sie sich 
aller Wahrscheinlichkeit nanAk ans einer Snbdorsale entwickelt 
haben, die aber bei EnphorUae nur noch im iwdtem Stadiam nnd 
aneh da nur als ein schwacher Liehtatieif angedeatet ist 

Diese Vermnthong wud sor Gewissheit, wenn wir dte ttbrigea 
Arten von Deilepbila sn Hülfe sieben. 

2. Deilephila Nicaea. 

Ich kenne diese Art nur aus aufgeblasenen Excni]>laren der 
Sta 11 <l i nger'sclicn Sammlung und ans den Ahbiklungen Du- 
poncliers, von welchen Fig. 51 meiner Tafel III. eine Copie ist. 
Die auKgewachsene Raupe besitzt zwei völlig getrennte Reihen von 
Ringflecken. D u p o n c h c 1 bildet noch zwei jüngere Entwicklungs- 
stadien ab, von denen das jüngere wohl das dritte Statliuni ist. 
Das 18 Mill. lange Thier ist blattgrlln, zeigt keine Spur eines Sub- 
dorsalstreifens und trägt bereits die beiden Reihen von Ringflecken, 
welche sich von denen des folgenden und des letzten Stadiums nur 
durch die noch grtlne Farbe des Spiegels unterscheiden. 

3. OaitepMteDibiii 

kenne idi ans xabIreichenEzemplarenTersehiedenerStadieo, welehe 
Herr Dr. Standinger in Sardmien gesammelt nnd in aofgeblase- 
nem Znstande anfbewahrt bat. 



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Ontogenes« und Morphologie Her Sphingiden-Zeichnung. 



29 



Das erste Stadium ist sdiwSnlieh und idgt, gans wie 
das entsprechende Stadinm von Enphorbiae noch gar keine 



Leider fehlt das zweite Stadinm in der Standinger*schen 
Samminng. Das dritte seigt bereits eine Rettie ?on Ringflecken, 
welehe aber noeb dnreb eine sehr dentlieb nnd scharf aus- 
gebildete Snbdorsale Terbnnden wird. Im Yierlen Stadium 
kommt dann noch eine iweite (untere) Reihe Ton Ringflecken hinsu, 
wibiend in der Regel sogleich der Snhdorsalstreif veischwindct. 

So blettit es ancb im fllnfken Stadium, weldies in der Zeich- 
nung grosse Aehnlichkeit mit Enphorbiae besHat, wibrend es 
sich in der Fftrbung nicht unwesenflich tod ihm au unterscheiden 
scheint I soweit man darttber nach oonservirten Exemplaren und 
aaeh vereinielten Abbildungen (bei Duponcbel, Httbner) nr- 
theilen kann. Uebrigens habe idi mehrere Exemplare des letiten 
Stadiums geseben, bei welchen die Snbdorsale noch als breiter 
Lichtstreif dentlieb su erkennen war. 

Aus der vierten Gruppe der Ton Oalii scheint mir beson- 
ders das Wenige wichtig, was ich über die Entwicklung ?on D. 
Vespertilio fesMellen konnte. 

4. Dsilephilt Vespertilio. 

Leider ist es mir bis Jelst noch nicht gelungen befruchtete Eier 
dieser Art lu erhalten , so dass ich Uber das erste Stadium Nichts 
aussagen kann. Dasselbe irilre nicht nur wegen der Zeichnung, 
sondern auch wegen eines etwa noch Torbandenen Restes des 
Schwanihomes von Interesse. 

Auch das s weite Stadium ist mir nur aus seinem Ende 
belumnt, da die einzige Ende Juni 1873 an Epilobium rosmarini- 
folium gefiindene Ranpe sich berate dicht Tor ihrer zweiten Hiu- 
tnng befand. In der Regel aber pflegen bei so jungen Raupen die 
Neobildungen , welche das folgende Stadinm bringt, schon am 
Ende des Torbeigehendeo dnreb die dOnnc Ghitinbant dnrchsn- 
schimmern und dadurch die Zeichnung des Tbieres zu verSudem. 

Diese Ranpe mass etwa 16 Hill., war scbOn grasgrUn , glän- 
zend nnd glatt (Fig. 13). Eine breite, weisse Snbdorsallinie zog 
7om Torletzten Segment, auf welchem das Horn schon voll- 
ständig fehlte, bis auf daserste Segment. Bei genauem Zusehen 



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30 OotogMMirt voä Motpbologie der Sphingiden-Snelianaf . 

«ikaante man nahe dem Yorderrand jeden Segmentes die erste Spar 
der späteren Ringfleoke in Gestalt eines sehwaeh gelben, rundlicben, 
Übrigens nicht scharf umschriebenen , auf der Subdorsallinie 
selbst stehenden Fleekes (Fig. i 3) . £)er8elbe fehlte nur aaf Segment 
eins, nnf welehem auch später kein Ringiieek steht. 

Ausser diesen Zeichnnngselenienten war nnr noek ein gelbliok- 
weisser Stigroastreif zn beobachten. 

Lieider ging dieses einzige Exemplar zu Grunde , ehe es die 
Httatnng, zn der es sich anschickte, Uberstanden hatte. Jedenfalls 
ist mit (lieser l)creits eine sehr bedeutende Umwandlung verbunden. 
Ich sckliesse dies ans einem aufgeblasenen Exemplar der Stau- 
din g e r 'sehen Haninilong, welches bei einer Länge Ton nur 1 8 Mili . 
doch schon die spätere graue Färbung an Stelle des schUnen Grttu 
seigt. Die breite weisse Snbdorsale trägt auf jedem Segment ein 
rothes Fleckchen , oben und unten von schwarzem Halimiond ein-* 
gefasst (Fig. 4» A.). Dies wäre das drille Stadium. Daran 
sohliesst sich dann das vierte Stadium, von dem ich mehrere 
Ranpen lebend gesehen habe. Auch hier ist bei manchen Ranpen 
die Snbdorsale noch vOllig deutlich vorhanden (Fig. 14), aber die 
Flecke Spiegel] sind jetzt vollständig von einem schmalen scbwar- 
len Ring 'Hof; nmgcbcn , der sie scharf von der Snbdorsale ab- 
setst (Fig. 49 B.). Im fUnften Stadium wird dann dieser Ring 
an einem etwas unregelmässig gestalteten schwarzen Hof, wäh- 
rend die Snbdorsale vollständig verschwindet (Fig. 51 und 49 C.j. 
Die Spiegel selbst sind weiss, tragen aber meist noch einen rOtb- 
lichen Kemfleck , der offenbar dem primären gelben Flecken ent- 
spricht , mit welchem die ganze Entwicklung ihren Anfang nahm. 
Doch fehlt er auch zuweilen, wie denn auch in den früheren Stadien 
mancherlei Variationen vorkommen, die sich aber alle als Hildungs- 
heniraung oder-Verziigernng leicht versteben lassen. So schwindet 
die Subdorsale oft friiber und ist im Stadium IV. nur noch als 
schwacher idchtstreif vorhanden. 

5. Deilephila GaJii. 

Ganz ähnlich scheint die Entwicklung der Zeichnung von D. 
Galii vor sich zu gehen. Bei der erwacbseucu Raupe ist auch hier 
keine Spur einer Subdorsallinie zu erkennen. Auf dunkel oliven- 
grtlaem oder auch schwäralichbraaneoi , braunem oder lehmgelben 



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Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 31 



Qnind sMhl eine Reibe groiier seliwftrser Fleeke, deren 
jeder wieder efaiea nnr^gehnlisig nmdlielieii gelbliehirelien Spie- 
gel Mgl. Leider ist ei mir an^ Iiier bis jeteC ideht gelungen, 
beftnobtete Eier la bekommeo. Aber eine efaixige AbbUdmig einer 
1,5 CSent. langen Raupe findet sieb bei Hflbn er. Sie iat beUgrilny 
md bat 5 Llngslimen, eine Doml-, swei Subdonal- and Stigma- 
tniien. Die SnbdonalHnie ist weiss nnd trigt an Stolle der spSteien 
Ringflecke kleine rotbe Fleeken, wibiend sie selbst an Rissen 
Stellen sebwan gesiamt ist 

Wabnebebdiebbatle Httbner das dritte Stadinm vor sieb 
nnd danaeb würde man rennntben dürfen, dass das xweite eine 
Ton Fleeken noeb freie Sabdorsallinie besHit, oder doeb nor so 
sebwaebe Anfinge der Fleeken, wie im sweiten Stadium bd Ves- 
pertilio. 

Das vierte Stadium habe ieb selbst in swei Indiridaen im 
Oberengadin geflmden. Das eine davon (F!g. 45) war bereits sebr 
dnakel, scbwarzgrUn in der Gfandfiffl>e*) mit grUnlichweisser 
DorsaUinie. Auch bier war die Subdorsale als breiter, sebarf be- 
grenzter , weisslichgrOner Streif in ganzer Ausdehnnng noch ror- 
banden und die in sie einge»chalteten Ringflecke bestanden ans 
einem schwefelgelben Spiegel mitorangerothem Kern ; der schwarze 
Hof griff noch nicht Uber die Sobdorsale, osndem beschränkte sieb 
noch anf zwei etwas verwasebmie Halbmonde Uber und nnter dem 
Spiegel. Nur die zwei vordersten Spiegel (auf Segment 
2 und 31 entbehrten des Kernes. 

Die übrigen Eigenthttmlichkeiten der FUrbuug ergeben sieb 
ans der Abbildung , ieb hebe hier nnr noch das Vorhandensein von 
Chagrinfleckchen heraus, welebe die Flanken nnd anch einen Theil 
des Baachs bedecken. 

Dieses Exemplar mass 3,3 Oent. in der Länge, ein sweites 
von 2,8 Cent, verhielt sich zwar im Wesentlichen gleich, zeigte 
aber, dass anf dieser Entwicklungsstufe eine bedeutende Variabi- 
lität herrschen mnss. Es war pechschwarz mit sehr undeutlicher 
Subdorsale und wenig hervortretenden Kingflecken , deren Spiegel 
aber anch schwefelgelb war und den Orangerothen Kern einschloss. 
Die Cbai^rinining war ebenso stark ausgebildet, die Chagrinfleck- 
chen gelb statt weiss. 

*) Dtt Ortn In Rg. 45 fit bedcvtnid so hell gmlhra Im FariModraek. 



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32 OntogeneM und Morpholope der 8pMiigid«i-Z«Iehiittiig. 

Besonders aber ist hervorzuheben . weil in theoretischer Be- 
ziehung wichtig, dass hier auf den drei vordersten Seg- 
menten die Ring flecke fehlten und auf dem vierten 
nur eine schwache Andeutung davon sich erkennen 
Hess. Auch bei der abgcbiUleten Raupe nehmen dieiUn^ecke an 
Deutlichkeit von liinten nach voruen zu ab. 

Stadium V. 

Die beiden eben beschriebenen Individuen bekamen nach ihrer 
Häutung die bekannte, oben bereits kurz geschilderte Zeichnung 
der ausgewachsenen Galii-Kaupe. Das fUnfte Stadium ist das letzte. 

Bekannt ist auch, dass diese liauj)e in mehreren Farlien vor- 
k(mimt, wie denn RJisel sie in drei Variationen abbildet, hell- 
grün, olivengrlln und lehmgelb. Seitdem hat man es nicht tler 
Muhe Werth gehalten, auf Raupenfärbungen Acht zu haben, so dass 
z. B. in dem bekannten Buch von Wilde'; selbst diese Rös er- 
sehe Beobachtang keinen Platz gefunden iiat und die Raupe von 
Qalii einfach als »schwärzlich olivengriinu beschriebeu wird. 

Ich hatte Gelegenheit, die ziemlich seltene Art in 25 ausge- 
wachsenen Exemplaren nebeneinander beobachten zu kiinnen und 
konnte so feststellen , dass es sich hier nicht um einen eigentlichen 
Di- oder Polymorphismus handelt , sondern um einen hohen Grad 
von Variabilitftt. Es sind nicht mehrere scharf getrennte Färbungen, 
sondern die Extreme sind durch zahlreiche ZwiBchenfomien yer- 
bnnden. Allerdings aber Überwiegen die Extreme. 

Die hellgrttiie Foim RdseFs ist mir nicht vorgekommen, auch 
die dunkelgrüne fehlte unter diesen 25 Individuen, ich kenne sie nur 
au einielnen frülieieii Ftandea. Dagegen kamen alle Abstufungen 
der Fifbung zwischen peehsehwafs und hell lehmgelb , ja fast 
weisflUehgelb vor : brannsehwars, sehOn kastanienbraun, gelbbraun, 
dunkel lehmgelb, aneh bnumrodi. Unter 21 Exemplaren, deren 
F&rbung notirt wurde, befanden sieh 9 sehwane, 9 lehmgelbe und 
3 bnnne, jede der diei Gruppen aber leigto wieder versebiedeoe 
Fubenabitnfiingen. 

Aneh die übrigen IHrbungen schwanken etwas. So sind die 
Spicgelllecke iheils weiss, theihi sattgelb , theils auch enthalten 
sie noch einen rOthlicben Kern. 

*) Die PÜanzen und Kaupen Deutschlands. Berlin 1860. S. b<i. 



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üniogenei« und Murphulugiv der Sphingiden-Zeichnung. 



33 



BeflondereB Interesse bietet das Schwanken der Chagrinirnng, 
iBBofem diese in anffallendem Znsanimenliang so stellen scheint 
mit der Gesammt-Färbung der Raupe. Selten nur seigen 
schwane Raupen sü spärliche Chagrinimng, wie die in Flg. 46 abge- 
bildete, meist sind sie bis gegen die Rllekenlinie hinauf dicht besetzt 
mit grossen ChagrinkOmchen (Fig. 47) und ihndn dann auffallend 
der erwachsenen Raupe von D. Euphorbiae. Die hell oeker- 
gelboi Individuen entbehren dagegen snm Tbeil die Chagrinileok- 
eben gänzlich (Fig. 48), sie sind glatt und ähnehi dann nicht wenig • 
der ebenfalls hell lehmgelben oder gelblichrOthlichen Raupe von 
D. Nicaea (Fig. 51). Niemals aber habe ich eine Raupe ron 
Oalii gesehen, welche im letzten Stadium noch Spuren der Snb- 
dorsale gezeigt, niemals auch eine, welche eine zweite Reibe von 
Spiegelfleeken besessen bitte. Ein Zurückschlagen oder ein plötz- 
liches Vorschreiten in der phyletischen Entwicklung scheint also 
nicht Tonnkommen. 

Von der ebenfalls noch zur Galii-Oruppe gehörigen Dell. 
Hanretanica Nordafrika*s habe ich weder Exemplare jttngerer 
Stadien, noch auch Abbildungen auftreiben können. Die ausge- 
wachsene Raupe ist der von Euphorbiae sehr ähnlich, unter- 
scheidet sich aber durch das Fehlen einer zweiten Reihe von Ring- 
flecken. Ich mnss sie deshalb als eine auf ttlterer Stufe phyletischer 
Entwicklung zurückgebliebene Form ansehen. 

Ich wende mich zur Lirornica-Oruppe: 

6. Doitephila Livornica, HUbn., 

die einzige enroplische Art,- welche hierher zu rechnen ist, besitzt 
im ausgewachsenen Zustand ungefilhr die Zeichnung, welche fllr das 
vierte Stadium von Oalii angegeben wurde, d. h. sie besitzt eine 
Subdorsallinie, in welche Ringfleoke eingeschaltet 
sind. Die Art ist bekanntlich selten, ich habe sie lebend noch 
nicht erhalten können , dagegen aber mehrere aufgeblasene Exem- 
plare nnteiaucbt, die alle darin ttbereinstimmten , dass die Ring- 
flecke sidi scharf abgrenzten von der weisslicben Subdorsallinie, 
dass also diese tob jenen unterbrochen wurde. In den Werken von 
Hllbner, Boisdnral und Duponchel finden sich Abbildungen 
der ausgewachsenen Raupe. Die Grundfarbe derselben ist bei den 



34 



Ontogoneae und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



raeiiten IndiTidaen branii, doch bildet Boisdoval*) anob ein 
hellgraues Exemplar ab, was nach Analogie mit Galii nnd 
Vespertilio darauf schliessen Usst, dass die ersten Stadien grlln 
sind. In Dr. Standinger's Sammlnng befindet sich ein jnnges 
IndiTidonm, wahrsehefadieh dem vierten Stadinm angehOrig, von 
hell asehgraner Gnmdfiwbe. Dorsal- nnd Sobdorsalstreif sind weiss 
nnd LetKterer trägt an Stelle der spiteren Ringfleeke kleine weisse 
Spiegel mit rothero Kemfleck, genan entsprechend dem in Fig. 49 A 
• abgebildeten Stadium von Vespertilio. Die Spi^l idnd Nichts , als 
Erweiterangender Snbdorsale, die also dnrch sie noish nicht nnter- 
brochen wird. Der schwane Hof Ittoft noch nicht rond am die 
Spiegel , sondern nmrandet dieselben nnr nnten nnd oben nnd iwär 
ist er nach oben an viel stftrker entwickelt nnd sieht sich bis an die 
Bttckenlinie. 

Die vierte Grnppe bilden die beiden Arten D. Lineata 
Fabr. nnd D. Zygophy Iii » erstere vertritt in Nordamerika nnsere 
Li vornica, nnterseheidet sich aber von ihr dadurch, dass sie anf 
dem Stadiam 4 von Livomica stehen bleibt. 

Mir ist die Art nnr ans der Abbildung bekannt, welche Abbot 
nnd Smith von der ausgewachsenen Raupe geben, nnd aus der 
Stellung und Form der Flecke glaube ich schliessen zu müssen, 
dass dieselbe — im Gegensats sn den Übrigen vortrelTlicbea Ab- 
bildungen — nicht gans genan ist. 

Die Grundfarbe der Ranpe ist grlln, der Snbdorsalstreif gelb, 
nnd gesäumt von schwarzen , schwach gekrttmmten Bogenlinien, 
welche ihn nirgends nnterbrechen. D. Lineata von Nordamerika 
scheint demnach eine ältere Form zu sein, als nnsere Livomica. 

7. Deilephila Zygophylli. 

Diese Art schlicsst sich imniittelbar an D. L i n e a ta an, sie lebt 
im Bttdlichen Kusslaiul. Ich habe vier Exemplare der Ranpe in Dr. 
Staiidinger's Suninilnng gesehen, von welchen drei jedenfalls 
im letzten Stadium der Ontogenese sich befanden. Die Grundfarbe 
scheint aschgrau, aschbrann bis schwärzlich zn sein mit weisslicher 
Körnclnng. Ein breiter weisser Snlxlorsalstreif zieht bis an die 
Basis des schwarzen Horas nnd bei dem einen Exemplar scheint 



*) Fig. 63 ist eine Copie naeh BoiidiiTaL 



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Ontofenete und Morphologie der Sphingiden-Zeichnmig. $5 



derselbe auf den ersten Blick n o e b k (! i n e S p u r vo n Flecken- 
a u lagen zu entlialten Fig. 50; . Bei geniiuerer Untersncbung aber 
bemerkt man an dersellien Stelle, an weleber bei den Ubri<;en 
Üeilephila-Arten die Kingtlecke stehen, kleine schwarze 
Halbbogen Uber und unter der Snbdorsale, bei andern 
Exemplaren hat sich auch das Weiss der Subdorsale selbgt an die- 
sen Stellen za einem deutlichen Flecken erweitert , ja bei einem 
Indindnum tritt die SnbdMsale znrOck , während helle weisse Spie- 
gelflecken auf ihr stehen mit obern und untern schwarzen Einfas- 
snngsbogen (Fig. 50 A). Die Baupe ist also grade in diesem ent- 
scheidenden Charakter sehr Tsriabel und es würe der Ansicht, das» 
dieselbe grade jetzt sich im Ueborgang za einem Irilheren phyleti- 
seben Entwicklnngastedinm befindet, nur die andere entgegenzu- 
stellen, »teil welcher die Ringflecke lirtther stftrker entwiekelt waren 
und jetit in der Bückbildong begriffen sind. Welche ron beiden 
Antiekten die richtige ist, darttber kann nnr die Entwicklungsge- 
sdiiehte entscheiden. Fttr einen der .zablreidien nnd eifrigen rus- 
sischen Natnrforscber dürfte die Herbeisohaffung des Hilerials daiu 
nicht allsn schwierig sein. 

8. Daütphila HippophMS 

istder einzige mir bekannte Beprilsentant der fünften nnd älte- 
sten Gruppe. Bekanntiich ihnelt der Sehmetterling dieser Art 
tum Verwechseln dem yon D. Enphorbiae. Um so mehr mnss 
es anffiülen, dasa die Raupen so vollstindig Terschieden sind. 

Die an^gewacbsenen Ranpen dieses wenig verbreiteten Schwir- 
mers sind dareb Terschiedne, mehr oder minder getreue Abbildungen 
in den Werken Ton Hllbner, BoisduTal und Dnponohel be^ 
kannt Auch gibt Wilde eine Beschreibung derselben, jedoch 
wohl nach firemder Quelle. Ich will mich nicht mit der Kritik dieser 
verschiedenen Angaben aufhalten, sie sind theils richtig, theils 
ungenau , theils auch ginslieh irrtbOmlidi ; fttr die Fragen , welche 
hier vor Allem in Betracht kommen , reichen sie nicht ans. Es war 
nStfaig, neue Beobachtungen anzustellen. 

Ich habe im Ganzen etwa vierzig Raupen vergleichen kOnnen, 
davon 35 in lebendem Znstande. Alle diese Exemplare besassen 
ungefitbr dieselbe graugrttne Gmndiiube und die meisten schienen 
genan die einfiwhe Zeichnung zu besitzen, wie sie z. B. in der 

3» 



36 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



Hllbner*schenAbtfldiing dargestellt ist, d. h. einen liemlieb 
breiten, und an den Rftndern etwas Terwasebenen 
grOnlichweissen Sabdorsalstreifen ebne jede Spur 
Ton Fleeken auf allen Segmenten mit Aosnabme des 
elften. Auf diesem aber befimd sieb ein gelblieber, sehwars- 
geslamter Spiegelfleek mit einem breiten, verwasebenen , stark 
orangerotb geflirbten Kemfleek. 

Eb kommen aneb wirkHeh, ond swar keineswegs selten, Indi- 
viduen vor, bei weloben in der Tbat keine andern Elemente der 
Zeichnung vorbanden sind, als die genannten; nnter 28 anf diesen 
Pnnkt bin vergliobenen Individnen befanden sieb 9. 

HOebst interessant Dir die Gescbichte der Zeiobnnngsentwiek- 
Inng der ganzen Gattong mnss es aber ersebeinen, dass bei 
vielen andern Individuen dieser Art kleine rotbe 
Fleeke auf der Subdorsale sieb leigen, und swar 
genau an der Stelle, wo bei andern Arten die Ring- 
fleeke stoben [Fig. 60} ! Also eine Wiederbolung des einngen 
vorbandenen ausgebildeten Ringfleckes I 

Dabei bat es aber nicht sein Bewenden, sondern bei wieder 
andern Individnen stehen diese rotben Fleckchen auf einem 
grosseren gelben Spiegel und bei Einigen (Fig. 59} werden 
sodann durch Einfassung mit Schwärs förmliche 
Ringflecke daraus! 

Wir haben also hier innerhalb ein und desselben Stadiums 
einer Art die ganze Entwicklung des Ringfleeks ans der Subdorsale. 

Noch interessanter wird die Sache daduroh, dass sich nach- 
weisen iXsst, aus wekhen Elementen die Neubildung bervoigebt, 
sowie, dass sie von hinten nach vornen vorschreitet, 
somit also wohl ohne Zweifel als Wiederholung nnd 
Uebertragung des schon früher vorhandenen Ring- 
fleckes auf Segment elf an betrachten ist. 

Ich schicke den Nachweis fUr diesen «weiten Punkt vom». 

Es ist mir kein Exemplar vorgekommen, welches anf allen 
Segmenten Ringflecke getragen hätte, im höchsten Fall waren die 
Segmente 10,9,8,7,6 nnd 5 mit Flecken vereehon. So war es 
unter den 2S genan verzeichneten Kaupen bei dreien der Fall. 
Auch dann aber fanden sich mcht auf allen diesen Segmenten 
gleich hoch entwickelte Kingflecke, sondern dieselben 



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Ontogenese und Morphologie der Spbingideu-Zeichuung. 



37 



nahmen von hinten nach vornen an Ansbildong ab. 
Auf Segment 10 steht s. B. bei der in Fig. 59 abgebildeten Banpe 
em TDUig ausgebildeter Ringfleck , allerdings nur mit schwachem 
■ehwarsen Hof, aber doch deutlich eingefosst» anf Segment 9 schon 
ist diese Einfhssnng etwas weniger scharf nnd dunkel, auf Segment 
8 und 7 noch weniger, auf Segment 6 ist sie ganz verschwunden, 
der gelbe Spiegelfleok hat zugleich an GrOsse veitoren nnd auf 
Segment 5 nkennt man nur bei schärferem Zusehen zwei kleine 
nahe beisammenstehende riJthHche Fleckchen, die erste Anlage des 
Kemileoks*}. 

Häufiger kommen Individuen vor, bei welchen die Flecke von 
hinten her nur bis zu Segment 7 reichen und auch da nehmen sie 
nadi vomen zu an GrOsse, Ausbildung und IntensitSt der Farbe ab. 
So fand ich es bei 5 Exemplaren unter 28. 

Viel Oiler (bei 11 Exemplaren) besehränken sich dieBingflecke, 
oder ihre ersten Anfänge auf die beiden Segmente 10 und 9 und 
aneh dann ist ohne Ausnahme der Fleck anf dem neunten Segment 
viel schwächer entwickelt als anf dem zehnten. 

Ein VoranrBcken der Ringfleck-Bildung in der Richtung nach 
vorn Ist also ganz unzweifiBlhaft. Gewöhnlich nimmt die Ausbildung 
der Flecke nach vomen zu sehr rasch ab, und solche FSlle, wie 
dar in Fig. 60 abgebildete sind seltner, wo man anf allen Segmen- 
ten von 10 bis 5 nur die ersten Spuren der Fleckenbildung findet. 

Ans welchen vorhandenen Elementen smd nun diese durch 
Uebertragnng entstandenen, also sekundären Ringflecke her- 
vorgegangen? Sie nehmen ihren Anfang nicht mit der Abschnttrung 
ehies StBekes der Subdorsale — wie bei den primären Augen- 
flecken der Ghaerocampa-Arlen — nnd der Umprägnng des- 
selben zu einem Spiegelfleek, sondern mit der Bildung eines 
Kernfleckes nnd zwar dadurch, dass zuerst eine, dann zwei 
der Chagrin-Wärzchen, welche anf der Subdorsale stehen, 
eine gelbliche oder rothe Färbung annimmt (Fig. 61, 
Segm. 6 n. 7) . Dann erst entsteht die gelbe Färbung des Grundes, 
auf welchem diese beiden Fleckchen stehen (Fig. 61 , Segm. 8) nnd 
nun bildet sich auch eine mehr oder weniger markirte sehwaizo 



*) l)w Verbluien de* Roth von hinten nneh vorn su ist in dem Parben- 
drnck nieht «agegeben worden. 



33 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



Einfawiuig in Gestalt sweier Ueineo Bogen. Erat spftter ver- 
schmelzen dieee Begen nnd sngleieh aneh die beiden piimiren 
Kernfleeken zu einem einzigen, wie denn z. B. in Fig. 61 nodi anf 
Segment 9 gani dentlieli die ZneammenBetsnng dee Ringfledu ans 
Bwei Thülen zn ericennen ist 

Gewisa ISaat aich von vornlierein nioht liestraiten, daaa diese 
Thatsaehen aieli aneh in umgekehrtem Sinne theoretiseh denten 
lasBCD. Wie bei D. Zygophylli so könnte man aneh hierver- 
anchtsein, die Eracheinnng als ein allmttliges , von vorn nach 
hinten vorrückendes Schwinden früher vorhanden 
gewesener Ringf lecke aufzufassen. Die Bereehtignng einer 
solchen Deutung wird indessen durch die Ontogenese widerlegt. 

Zwar ist es mir nieht gegluckt, Eier von Hippophaes za 
erhalten und die jüngeren Stadien der Raupe sind mit deshalb un- 
bekannt , allein unter meinen Ranpen beiSuiden sich zwei aus dem 
vierten Entwiolünngsstadinm und diese zeigten nicht etwa 
anf allen Segmenten Bingfleoke, wie man es nach dieser 
Auffassung erwarten mflsstc, sondern sie entbehrten jede 
Spnr von Flecken auf allen Segln eilten mit Ausnahme 
des elften, auf diesem aber befand sich ein minder 
ausgebildeter Fleck, als er im letzten Stadium ge- 
funden wird. 

In diesem Stadium vier ist die Raupe von Hippophaes 
heller und blasser grUn Fig. 58 , die Subdorsale gelblich und mit 
scharfer Begrenzung , die Infrastigmale wie später rein weiKs. Die 
Chagriniruug ist bereits vorhanden , aber keines der Cbagrinfleck- 
chen ist roth oder röthlich, auf der Subdorsale ist keine Spur einer 
Ringfleokbildung zu entdecken mit einziger Ausnahme des elften 
Segmentes. Dort verbreitet sieh die Subdorsale etwas nnd auf ihr 
erkennt man einen länglichen, verwaschenen rosenrothen Fleck 
(Fig. 58 A . Der schwarze Uof , der im fünften Stadium vorhanden 
ist, fehlt noch nnd der Fleck grenzt sich nach vom noeh nieht so 
scharf gegen die SubdorHale ab, wie später. 

Nach den mitgetheilten Beobachtungen darf man wohl erwar- 
ten, bei dem dritten Stadium von Hippophaes die SuMorsale 
auch auf dem elften Segment frei von jedem Flecken zu finden , in 
Stadium 2 aber mischte vielleicht sogar die Subdorsale selbst noch 
nicht vorhanden sein. 



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Ontogenete und Moxphologie der Sphingideii-Ziiichnuiig. 39 



ZiMBiii0iifatsiiig der ThalswIiM Ober die Gattung Oellephila und 

SehlOeee danwe. 

Famt man allebdie ZeidmaagdAf ausgebildeten Dei- 
lephila- Arten ina Auge, so reprisentiren dieaelben in ihien ftnf 
Gruppen iHnf phyletiache Entwieklungsatadien dar Gattung ; zieht 
man aber die Entwicklnngsgescliiolite za Httllb, so lumunen noch 
swd weitere Stadien hinan, dasjenige idlmUeh, in welchem die 
Banpe «berhanpt noch keine eigentliehe Zeichnnng besitit, wie 
wir es auf der ersten EntwicUnngsstnfe von D. Enphorbiae nnd 
Dablii erhalten finden nnd ein s weites Stadium mit Snbdorsale 
ohne jede Bingfleckbildung. 

Es müssen also sieben Stufen pby letiseher Entwick- 
lung nntersehieden werden. 

Stadium 1. Ginsliche Abwesenheit der Zeichnung 
findet sieh bei keiner Art im erwachsenen Zustand mehr vor. 

Stadium 2. Eine Snbdorsallinie sieht vom 
Sehwanshorn bis zum ersten Segment, begleitet v.on 
einem Stigmastreifen. Auch dicaea Stadium bÜdet nirgends 
mehr das Endstadium der Ontogenese , wird aber ohne Zw^l im 
zweiten Stadium mehrerer Arten erhalten sein (D. Vespertilio, 
Livornica, Lineata, vielleidit auch Galii.) 

Stadium 3^ Die Snbdorsallinie trftgtauf dem yor- 
letzten Segment einen Ringfleck; im Uebrigen wie das 
▼orige Stadium. Hierher gehlirt nur D. Hippophaes, welche 
aber in einer IGndersahl der Individuen schon den Uebeigang zu 
dem folgenden Stadium aufweist, indem sekundäre Bingflecken 
von hinten nach vom vorrllGkend auf den ttbrigen Segmenten auf- 
nweD. 

Stadium 4. Auf der Snbdorsale stehen offne Ring- 
fleeke nnd zwar auf allen Segmenten von elf bis eins. 
D. Zygophylli gehOrt hieiiier, sowie D. Lineata aus Nord- 
amerika. 

Stadium 5. Auf der Snbdorsale stehen geschlos- 
sene Ring fleeke. Von den bekannten Arten schliesst allehi 
D. Livornica seine Entwicklung mit dieser phyletisehen Stufe ab. 

Stadium 6. An Stelle der geschwundenen Snbdor- 
sale steht eine einfache Reihe von Ringflecken. D. 



40 



Untugenese und Murpholugie der bpiüugiden-Zeichnuiig. 



Galii, Vespertilio und Maure taniea repiUsentireii dieses 
Stadinm am ScUasBe ihrer Ontogenese. 

Stadium 7. Eine doppelte Reihe ron Ringfleeken. 
Kar D. Dahlii, Euphorbiae nnd Nicaea eneiehen diese hOehsle 
Stufe der Deilephila-Zeiehnang, Dahlii nnd Euphorbiae im 
vierten Stadium der Ontogenese, Nicaea aber sehon im dritten. 

So Iflekenhaft auch noch unsere Kenntniss der Entwicklnngs- 
gesehiehte der einzelnen Arten ist, so iSsst sie doch soviel mit 
Sicherheit erschliessen , dass die EntwieUnng der Zeichnung eine 
durchaus gesetsmttssige ist, dass sie bei allen Arten in der^ 
selben Weise vor sieh geht. Alle Arten seheinen auf dasselbe 
Ziel losEUsteuem und es macht deshalb ganz den Eindruek, als 
ob ein inneres Entwioklnngsgesets es wäre, welches 
als treibende Kraft die phyletisohe Weiterbildung 
der Arten veranlasse. 

Es muBS einem spSteren Abschnitt Überlassen bldben, die 
Berechtigung dieses Eindruckes genauer zu prüfen. Hier, wo es 
sich wesentlich nur um die Feststellung der Tha|sachen handelt, 
ist znnXchst zu constatiren, dass niigends eine rttckschrdtende 
Bewegung beobachtet wurde. Niemals zeigten die jttngero Ent- 
wicklungsstadien einer Art die Zeichnungsform einer splfteren 
phyletischen Stufe als die älteren, die Entwicklung der Zeichnung 
nimmt bei allen denselben Weg und gelangt nur bei der einen Art 
weiter vorwürts anf demselben als bei der andern. 

So sind Nicaea, Euphorbiae bis zum siebenten phyle- 
tischen Stadium vorgesehlitten, Zygophylli und Hippophaes 
nur bis zum dritten, Zygophylli in einzelnen Individuen bis 
zum vierten. Ifit welchem phyletischen Stadium aber auch die 
Ontogenese einer Art abschUeesen mag , immer zeigen die jüngeren 
Ranpenstufen die älteren phyletischen Stadien auf. 

So erreicht D. Galii im letztem Stadium der Ontogenese die 
sechste phyletische Stufe; dem entsprechend finden wir im vor- 
letzton Stadium die fttnfte, im drittletzten die vierte phyletische 
Stufe repAsentirt nnd es gehVrt wenig Gombinationfigeist dazu, um 
vorauszusagen, dass im zweiten Stadium die dritte oder zweite 
phyletische Stufe vorhanden sein wird. 

Stellt man die Entwicklung der verschiedncn Arten zusammen 
und bezeidinet die Stadien der Ontogenese mit arabischen, die 



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OntogeiMM und Morphologie der Sphiiigiden-Z«icbniiiig. 



41 



Stufen der Phylogenese aber, welebe in jedem StadSnm erreicht 
werden, mit ittnuBehen ZiiFem , so erhält mnn folgende Tabelle, 
welche nicht nur eine hnnchbare Uebersicht der fintwichlnngs- 
reihen gibt, sondern sogleieh anch aeigt, wie liele Lllcken noch 
aoBBttfUllen sind , mn an einer vollatiodigen Kenntnias selbst dieser 
kleinen Artengruppe zn gelangen. 



Entwicklungstabelle der Deilephila-Arten, 



Deilephila. 


Ontog. 

Sud. 1. 


Ontog. 

Sud. 2. 


Ontog. 

Sud. 3 


Ontog. 

Sud. 4. 


Ontog. 

Sud. 5. 


l; Hippo])hae8 


•f 




■f 


,11 ^ 


III-IV. 


2) Zygophylli 






f 


•f 
• 


III-IV. 




i 


? 


? 


i 


IV. 




? 


1 


? 


IV. 


V. 


5)Galü 


? 


? 


IV. 


V. 


VI. 


eiVespertUlo 


? 


n.(?) 


IV. 


V. 


VI. 




? 


t 


f 


t 


VI. 


8) Dahlfi 


I. 


? 


VI. 


vn. 


vn. 




I. 


V. 


VI. 


vn. 


vn. 


10)Nieaea 




? 


vn. 


vn. 


vn. 



Ans dieser sehr nnTollstindigen Tabelle sieht man , dass swar 
hl elnaehien FUen die Stadien eine contSnoirliehe B^e phyleti- 
seher Stufen darstellen können, so bei D. Galii, dass aber in an- 
dern auch Stnfen ttberspmngen werden, so bei D. Enphorblae, 
bd welcher aaf die Stufe L im Stadium t sogleich die Stufe V. im 
Stadium 2 folgt Genau genommen ist der Sprung nodi grosser, 
denn die Stufe V. wird doch nur andeutungsweise erreicht, 
die Suhdotsale ist nicht als scharf begremte Linie, sondern nur als 
«in Terwaschener Streif, ein sog. Uchtstrelf , Torhanden. 

Das Ausfeilen phyletiseher Stnfen nimmt su mit dem Vor- 
wirlsschreiten der phyletischen Entwicklung. Eine je höhere Stufe 
die Art schfiessUeh erklimmt, um so mehr werden die Anfengsstufen 
susammengeiogen oder anch gans ausgestossen. 

Aus dem, was bis jelst von der Entwicklung von Hippophaes 
Torliegt, lisst sich die eine, wie mir scheint, sehr wichtige Folgerung 
sieben, dass die Bingflecke der Deilephila-Arten su- 



43 



Oatogeaese und Murphologt« der SphingideD-Zeichnuag. 



erst auf dem Sehwanshornsegment entttanden sind 
and erst sekvodlir and allmHUg anf die davor lie- 
genden Segmente übertragen Warden. Vollkommene 
Sicherheit wttrde dieser Sati wohl dorch die KenntnlM der Jugend- 
fonnen anderer , phyletieoh nurttokgebliebener Arten eihalten , be- 
aonden de^enigra der amerikaniaeben D. Lineata, vielleicht 
auch von Zygophylli und Livorniea. Schon die wenigen, 
oben mitgetfadlten Beobachtungen Uber die Entwicklnng von D. 
Oalii können ihm snr Sttttie dienen, da das Fehlen der Ring- 
flecke bei der jnngen Baape anf den drei vordem 
Segmenten (im einen Fall) oder doch die geringe Ans- 
bildnng derselben an dieser Stelle (zweiter FUl) ebenfalls anf 
ein Yorwftrtsrflcken der Flecke in der Bichtang von hinton 
nach vom deoten. 

Darf er als richtig angenommen werden , so ergibt sieh darans 
ein fnndamentaler Unterschied in der Entwicklung 
der Zeichnang bei den Gattangen Chaerocampa and 
Deilepbila. Bd Chaerocampa geht zwar auch die Bildung 
der Aagenfleeke von einer Subdorsale aus, allein sie bilden sich 
snerstauf sweien der vorderen Segmente und werden sodann 
erst auch auf die dahinter liegenden Obertragen , bei D e i 1 ep h ila 
bildet sich ein einziger Bingfleck auf dem vorletzten , dem Schwanz- 
honiscgment und wird sekondlranf die davor ttegenden Segmente 
ttbertrsgen. 

Auch was die Entstehiuig des ersten Bingfleckes angeht, 
findet sich ein Unterschied von Chaerocampa, insofern bei 
dieser der erste Schritt znr Aogenbildung die Abschnttrung 
eines gekrümmten Stückes der Subdorsale ist, wäh- 
rend bei Deilepbila zuerst derKernflecksa entetehen scheint, 
jedenfalls die Abgrenzung des Spiegelflecks von derSnbdorsale erst 
sekundär geschieht. Doch i»t es misslich hier weiter gehende 
Schlüsse zn ziehen , da wir das erste Anftreten des ersten King- 
fleckes noch nicht beobachtet haben , aus dem Modus aber, wie die 
sekundilren Ringflecke sich bilden, kein ganz sicherer Schluss 
anf die BUdungsgeschichte des primären Ringfleckes p /oiz^en 
werden kann. Darans, dnss bei llippophacf^ die Bildung der 
seknndltren Ringfleoke mit der Kothfärbung eines oder zweier Cba- 
grinfleckchen beginnt, darf nicht gefolgert werden, dass auch der 



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Ootogeneae und Morphologie der Sphingidea-Zeichnung. 



43 



primlie Biogfleek des elftem Segmentes auf dieee Wdee begonnen 
habe, ond dies ist niebt ohne Bedentnng, sobald es sieh um das 
Aofiraolien der Uisaehen handelt, welche der BingfleckbUdong zu 
Grande liegen. Aneh bei Cbaeroeampa scheint die Bildong der 
primftren und sekundären Angenfleeke ▼ersohieden an sein, 
bei letsteren entsteht xnerst der schwarte Hof, bei ersteren der 
SpiegeUeek. Allerdings bleiben die seknndilren AngenfledM hier 
radlmentilr nnd dadnreh wird wiederom die Beweiskraft dieses 
Sehlnsses abgesobwSobt, immerhin aber mnss angenommen wer- 
den, dasB wir ans hier noch anf in unsicherem Boden bewegen, 
als dass weitere Schlüsse anf ihn gebaut werden durften. 

Als EndergebnisB der Untersuchung kann man den Sais hin- 
stellen, dass die' heute lebenden Arten der Gattung 
Deilephila fttnf Terschiedene phyletisehe Stadien 
erreicht haben und dass in dem so Tersdhiedenen phyletischen 
Alier derselben der Grund ihrer so sehr verschiedenen inssera 
Ersebeinnng liegt, der sonst bei Raapen so ttberaos Ihnlicher 
SchmetterUnge sich kaum veistehen liesse. 

Fast konnte es ttberflttssig seheinen , noch weitere Belege ftbr 
die Bichti^toit dieser Deutung der Thatiachen beisubringen. Allein 
auf einem Gebiete, wo die Quelle der Thatsachen noch so spBrlich 
IKesst , darf kein Argument als ttbertttssig bei Seite gelegt werden, 
welches sieh aus ihnen ableiten ttsst. 

Es kann aber mittelst der gelegentlich vorkommenden Abwei- 
chungen (Variationen) der Banpen gewissermassen die Ftobe auf 
die Biobtigkeit der vorgetragenen theoretischen Deutung gemacht 
werden. 

Wenn uns in der Ontogenese dieser Arten wirUloh eine Beihe 
pbjrletiscbcr Entwicklungsstufen vorliegt, so dürfen wir annehmen, 
dass gelegentlich Rtteksohh^f vorkommt, dass also eine erwachsene 
Baupe die Charaktere einer jttngern zeigt nnd zwar mllssten Btlck- 
schlagfionnen anf eine frllhere phyletisehe Stufe in dem Masse selt- 
ner vorkommen, als diese Stufe in der Ontogenese weiter znrttck- 
gertt^t ist. So mllssten z. B. Andeatungen der Snbdorsallinie bei 
erwaohsenen Baupen von Euphorbiae nur sehr selten vor^ 
kommen, und noch seltner bei Nicaea, während man sie liäufigcr 
erwarten mtlsste bei Vespertilio, aach schon bei Dahlii. Bei 
Dahlii ist die Subdorsale noch im dritten Stadium vtfUig ent- 



i 



44 Ontogenese und Murphulugie der Sphingidea-Zeichnung. 

wickelt yorhanden, ebenso bei Vespertilio, während de bei 
Enphorbiae nnr im «weiten Stadinm und aaeb da nor als An- 
deotong erhalten ist. 

In der Tbat verhält sieh nnn die Sache eo. Unter mehreren 
Hundert erwachsenen Banpen von Dahlii, welche Herr Dr. Stan- 
dinger in Sardinien sammelte, befanden sich einige , welche 
swar nicht eine denfliche Sabdorsallinie, wohl aber an Stelle der- 
selben einen schwachen Lichtstroif als lotste Andentnng desselben 
besassen. Eine der Ranpen der Standinger'schen Sammlung 
besitst sogar eine deutliche Utngslinie iwischen den geschlossenen 
Angenflecken. BeiVespertilio kommt das Aofkroten der Länga- 
linie im letalen Stadinm noch häufiger vor, während es bei En- 
phorbiae äusserst selten ist und auch dann nur als schwache 
Andeutung erscheint. So bei einem als »Aberration« bcKeichneten 
Exemplar des Httbner'sehen Werkes und bei einem der Stan- 
dinger'schen Sammlung. 

Von Nicaea habe ich hlfcbstens acht Exemplare gesehen, 
keines von ihnen besass eine Andeutung der längst geschwundenen 
Subdorsalstreilbn. 

Es muBS aber auch erwartet werden , dass irgend ein Stadium 
am leichtesten auf die pbyletische Stufe des vorher- 
gehenden Stadiums zurttokschlügt, dass somit am häu- 
figsten solche Charaktere durch Rackschlag ent- 
stehen, welche im vorhergehenden Stadium noch 
vorhanden waren. 

Auch dieses Postulat der Theorie findet in den Thatsachea 
seine Bestätigung. Raupen, welche auBgcwachscn dem sieben- 
ten phyletiscben Stadium angehören, wie %. R. D. Euphoi biue, 
leigen nicht ganz selten Variatiuneu diu dem Höchsten Stadium 
entsprechen, d. h. statt zwei Reihen von Kingflecken deren nur 
eine und zwar nur die obere, zuerst auftretende. Dage^n 
kommen KlUkschlagsformen auf das fünfte phyletische Stadium 
(Ringfleoken mit verbindendem Subdorsatetreif) nur äusserst sel- 
ten vor. 

Mir sind solche bei ausgewachsenen lebenden Ranpen 
von I). Enphorbiae niemals vorgekommen, wohl aber in einem 
Fall bei einer Raupe im vorletzten i vierten; Stadium der Ontoge- 
nese, wo aber der aufibllenderweise dunkle, bräunliche Snbdor- 



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UQtogtint;8e und Murphologie der Sphingiden-Zeichnuug. 



45 



sabtraif, der die rnmst Tollkommen entwickelten Bingfleeken ver- 
band, im ftonften Stedinm der Ontogenese Bpnrioe versehwand. 

Solche Ranpen aber, welche im erwachsenen Znstand der 
sechsten phyletisebea Stnfe angehören, leigen nicht seilen mehr 
oder weniger entwickelt die Charaktere der fünften Stnfe; so 
s. B. D. Vespertilio. 



III. Die (jattiing Smerinthus. 

Die Smerinthnfr-Banpen sehen sieh sehr fthnlich nnd besitzen 
alle eine sehr einfache Zdchnnng. Dies sehUesst schon das Vor- 
kommen lahlrticher Entwieklnngsstnfen dieser Zeichnung ans, so 
dass in dieser Richtung das Stndinm der Ontogenese geringere Anf- 
BchlUBse Uber die phyletisehe Entwicklung der Gattnng in Aussieht 
stellt, als bei den Torhergehenden Gattungen. Dennoch trigt nach 
hier dasselbe nicht unhuteressante Frttchte nnd fttr die Erforschung 
der Ursachen, welche die Ranpenzeichnungen henrormfen, sind 
die hier erhaltenen Thatsachen sogar werthvoller. 

Ich beginne auch hier mit der Darstellung der Entwick- 
lungsgeschichte. Befruchtete Eier KU erhalte gelingt bei allen 
mir bekannten Smerinthus- Arten sehr leicht. Begattete Weib- 
chen legen auch in Gefangenschaft Eier in Menge ab und anch ge> 
logene Weibchen kann man bei den hänfigeren Arten leicht dadaroh 
sur Begattung bringeii , dass man sie an passendem Orte ins Freie 
seilt, an einer Nadel befestigt. Ein Männchen stellt sich dann bald ' 
ein und die Begattung erfolgt so regelrecht, wie bei einem nicht 
fixirteo Thier. 

1. Smerinthus Tiliae. 

Die hellgrtlnen Eier sind naheiu kuglig. Sie entlassen nach 
14 Tagen (Aniiuig Juli) die hellgrünen ^npchcn , welche sich 
durch ihr enonn langes Schwanzhorn fast von halber Körperlänge!) 
ansaeichneu^ Auch dienes ist zncrst hcllgrUn, wird aber schon nach 
einer Stunde dnnkelviolet. Sparen irgend einer Zeichnung lassen 
sich in diesem Stadium nicht erkennen. 

Sobald die Rftnpehen ausgeschlüpft sind, üsngen sie an, die 



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46 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 

leere Eimhale wa benagen , dann aber rennen sie mit grosser Leb- 
haftigkeit nmber» nm erst nach mehreren Standen ihren Air lange 
Zdt bldbenden Aofenthalt anf der Unterseite der Undenblätter 
und iwar anf deren grosseren Blattrippen sn nehmen. Da sie mit 
diesen gleiche Farbe nnd Form besitzen, so sind sie dann sehr 
schwer zu entdecken, was dnrehaas nicht der Fall wttre, wenn sie 
in qnerer oder schrUger Richtung zu den Rippen dem Blatte an^ 
süssen. Etwa nach vier bis fünf Tagen treten die Ränpchen m 
das sweiteStadinm ein nach bestandener erster Häutung. Sie 
bekommen nun jederseits sieben weisslicbe nach oben 
etwas dankler grttn grundirte Schrägstreifen, welche 
an den Seiten der Segmente 1 1—4 in der Richtung des Schwaas- 
homs Tcrlanfen (V. 24). Eine dankler grttne ROckenlinie 
kommt durch die Lage des RQckengefllsses nnd das Fehlen des 
FettkOipers an dieser Stelle za Stande, indem so das grUne Blnt 
and der grttne Darm stärker durch die Haut schimmert. Ausser- 
dem aber besitzen die Ränpchen einen weisslichen, feinen 
Snbdorsalstreifen, der vom Horn bis nach dem Kopf hinzieht. 
Das Horn wird schwarz , an der Wurzel gelbroth. 

Im dritten Stadium, welches nach 6—7 Tagen eintritt, 
treten die Sohrägstreifen stärker hervor, während der Snb- 
. dorsalstreif wieder verschwindet. 

Stadium IV. 

Nach abermals 4—5 Tagen erfolgt die dritte Häutung und nun 
beginnt ein Dimorphismus, der vielleicht besser als Variabilität 
'beseidinet wird, da die beiden extremen Formen durch Uebeigänge 
verknüpft erscheinen. Die Mehrzahl der Kanpen leigt wie bisher 
rein weisse Schräglinien, viele aber besitzen an der Vorderseite 
des Streifens einen blutrothen Flecken, der grosser oder 
kleiner, stärker oder schwächer gefärbt sein kann in allen lieber- 
gängen bis zur blossen Andentang herab. Diese Flecken bean- 
spruchen ein ganz besonderes Interesse, denn sie sind niehts 
Anderes, als die ersten Anfänge der bei so vielen 
Sphingiden - Kanpen vorkommenden Farbensänme der 
Schriigstricbc. 

Im Stadiuni V., dem letzten der RaopenentwickluDg, bilden 
sich die rothen Flecke noch weit stärker ans. Unter einigen achtzig 



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Ontogenese und Morphologie der Spbingiden-Zeiehnang. 



47 



Raupen Yon einer Brat war etwa ein Viertel ohne alles Botb, die 
Uelvrigen aber mit melir oder minder lebhaften , maaehmal grossen 
nnd nnregetanSssig gestalteten blntrothen Fleeken gesohmVokt. 
Bd Eimelnen hatte sieh der Fleeicea strieh artig in die Lftnge 
gezogen*) nnd stellte nnnsehon einen farbigen Sanm des weissen 
Sehiigstrieliea tot, Ihnlieh denjenigen, wie ihn die Baapen von 
Sphinx Lignstri besitien. So Ündet er sieh aneh anf ▼ielen 
Abbildungen dargestellt, nnr gewöhnlich gar in regelmSssig, denn 
in Wirkliehkeit bleibt der forbige Strich nach oben sn immer etwas 
rauh nnd nnregelmSssigbegrenzt, nie schon so glatt nnd seharfrandig 
wie etwa bei Sphinx Lignstri. Er ist hier offenbar ein noch nicht 
TOllig fertiger, sondern noch in der Bildung begrilfener Charakter. 

2. Smerinthus Populi. 

Ans den kngelUhnliehen ^rUnen Eiern schltlpfen 6,5 Millim. 
lange Känpchen noch ohne jede Zcicbnnng ans. Sie sind 
heilwcisBlich grUn, der grosse Kopf und das lange Schwanzbom 
von derBcllKin Farbe. Der Hintcrrand der Segmente erscheint als 
eine bollere, glänzende Hinglinic Taf. IV. Fig. 55). 

Schon am folgenden Tag, und zwar obnc dasa eine Häutnng 
Torheigegangen wäre, tritt die cbarakteristiscbe Zeicbnnng der 
Gattung anf: sieben weisse Bohrägstreifen, welcbe nahe 
der Mittellinie des Bttekens beginnen nnd in der 
Richtung des Horns an den Seiten hcrablaufen. Auf 
den drei vnrdcrHten Segmenten sind sie nnr durcb drei kleine weisse 
Flecken vertreten (Fig. 56). Zugleich besitzt dicBaope aber ein 
Zeichnnngselement, welches den erwacbHenen Ranpen der Gattung 
anr noch in Andcntungeif' erhalten bleibt, nämlich eine sehr 
wohl entwickelte, rein weisse Snbdorsallinie. Dieselbe 
wird Ton den sechs vordem Scbrägstreifen gekreuzt nnd läuft za- 
sammen mit dem siebenten auf dem Scbwanzborn ans. 

Lange Zeit glaubte icb , dass die beschriebene Zeichnung erst 
dem zweiten Stadium zukünie , da ich von der allgemein angenom- 
menen Idee beherrsclit wurde, dass Veränderungen in Form und 
Färbung bei Insekten nur zur Zeit der Häutung cintrctcji könnten. 
Ich glaubte die Uäutuug Uherselien zu haben und erst ^^ naue Be- 
obachtung einzelner Individuen benahm mir diesen Irrtbum. 

•) So bildet «neh Rfliel (s. a. O.) diese Baape ab. 



48 Ontogmiew und MoKphologie der ^htngiden-Zdchniuig. 



Stadium II. 

Die erste H&atnng erfolgt oaeh 5 Tagen bei einer Länge der 
Baape tod 1,4 Cent. Sie fuhrt nur nnbedeotende YerSndeningen 
der Zeichnung mit sich. Der Snbdorsalstreif ▼erliert sehr an Dieke 
und Deutlichkeit und der ente und letzte Schiigetrich werden er- 
heblieh breiter, als die dazwischen liegenden (Fig. 57). Auch die 
grttne Grundfarbe nimmt einen gelberen Ton an und ebenso die 
Streifen. 

Dagegen treten Veränderungen der Form ein. Der ftuher 
rundliche Kopf bekommt die charakteristische dreieckige, nach 
oben spitu Smerinthusform ond zugleich zwei weisse, nach oben 
in spitzem Winkel zusammenstoes^e Linien. Zur selben Zeit 
bilden sich auch die ChagrinkOmchen der Haut und die rauhe rothe 
Stelle auf der Wurzel des Horns. 

Ueberhaupt scheint jetzt eine Neigung zu Ablagerung ^n 
Roth Yorhanden zu sein , da auch die Thoraealfttsse sich lOthlich 
ftrben. 

Stadium III. 

Nach G— 8 Tagen eifoljrt die zweite HHntnng. Die Zeieliuuiig 
vei^ndert sich nur inBofcni . als die Suhdorsale noch nndentlit'her 
wird. »Sie \'ih<st sich jetzf nur noch hei wenigen Individuen auf (hm 
drei \ order^ten Segnieoteu deutlich erkennen, bei den meisten aber 
fehlt sie voliHtändig. 

Zuweilen treten schon jetzt rostrothe Flecke iihcr den Schriig- 
stricheu auf, ein Charakter, der erst im fllnfteu Stadium häutig 
vorkommt. Bei der einzigen, aus etwa Od Individuen hestehenden 
Zucht, hei welcher ich die ganze Entwicklung^ verfolgt hahe . lie- 
sass nur ein Individuum solche Flecke und dici>;cs zeigte dieselben 
unr auf dem sechsteD Segment, aber auf beiden iSeiten 
desselben. 

Stadium IV. 

Die dritte Häutung erfolgt nach ahennals sechs Tagen , ohne 
dass eine Veränderung der Zeichnung damit verbunden wäre. 

Auch in diesem Stadiiiin beohaclitete ich bei einer und zwar 
hei einer andern, als der cl>en erwähnten Kaupe die rostrotheu 
Flecken und wieder nur auf dem sechsten Segment. 



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Ontogenete und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



49 



Wegen der theoretischen Schlüsse, die man aus dieser Lokalisirung 
der Flecke — falln sie uändich allgemein zutrifl't — ziehen könnte, 
wäre es von Wichtigkeit, bei verschiednen Brüten Beobach- 
tuDgen Uber das erste Auftreten , die Häutigkeit und die lokale 
Beschränkung der Flecke anzastellen. Es ist mir sehr wahrschein- 
lich, dass sich mindestens in Bezug anf Hiintigkcit und Zeitpunkt 
des Auftretens grosse Verechiedenheiten ergeben werden , da im 
letzten Stadium grade dieser Charakter eine grosse Variabilität 
zeigt. Um so auffallender wäre es aber, wenn es sich herausstellte, 
dass das früheste Erscheinen der Flecke sich stets anf ein bestimm- 
tes Segment beschränkt. Die Analogie mit dem ereten Auftreten 
der Angenflecke bei Chaerocampa, sowie der Ringtlecke bei 
Deilephila läge nahe. 

SUdlmn V. 

Die erwachsene Banpe zeigt keine iigend erfaehliehen 
Unterschiede der Zetehnmig Tim den yorhergehttuden Stadien. Die ' 
Schrägitreifen I tmd 7 dominiren jetst ideht mehr, da die daswi- 
sehen liegenden wieder an Stärke angenommen haben. Vielen 
bKÜTidoea fehlen roChe Flecken ganz, andere beBihten eolelie, aber 
nnr klein und wenig lebhaft, noeh andere zeigen zwei Flecken Aber- 
einaader tob M>halt rostrolher Farbe die aocb xnsammenilieBBen 
können nnd dann eine bedeutende Grösse erreichen. Niemals 
aber habe ieh sie weder im Leben noeh in Präpara- 
ten oder Abbildungen an einem regelmässigen 
lintenfOrmigen Sanm des weissen Sohrägstreifens 
werden sehen, wie dies bei Tiliae in seltenen Fällen vorkommt. 

3. Smerinlhiis Oeellafta. 

Die grünen Eier ähneln sehr denen von Popnli, ebenso die 
eben ansgeschlttpflen Sänpehen, welche wie dort der Zeichnung 
ToBständig entbehien. Wie dort bildet sich dieselbe aber schon 
im Laufe des ersten Stadiums und ist schon vor der ersten Häutung 
ganz deutlicb siehAar. Das lange Sehwanihom ist roth gefHibt. 

Die 1 Gent, langen Käupchen häuten sich nach 2—3 Tagen 
und damit treten die sieben schon weissen Schrägstrei- 
fen noch stärker henror, sowie die feine weisse, nur vorn 
etwas breitere Subdorsallinie. Von PopuU unterscheiden 

WcitMsaa« SladiM. IL 4 



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50 OntOj^t-neMe unil Morpiioliigie dvr S|)hingitleii-Zeichnun)(. 



n» aiek dadnroh , dass die SelnHgaMfea in der Ii itteIHnie des 
Räokens xusammenstoeaen. 

Die nach abermab 3 Tagen eintretende iweite HKntong bringt 
keine erfaebliehe Aendemng, die feine SobdorialUnie tritt nnr noch 
etwas mehr sorllcic. 

Anohdie dritte Hftntnng bringt nichts weaentUcb Nenes. 
Sie erfolgt nach weiteren 4 Tkgen. Sohrigstreifen bleiben wie 
▼erheri aber sie erhalten Jetst naoh oben eine von 
der grttnen Grundfarbe dnnkler sieh abhebende 
Grnndirnng, während die Subdorsallinie Tersdiwindet and 
nur anf den 3 oder 4 vordem Segmenten dentlieh bleibt. 

Die vierte Hftntnng erfolgt sieben Tage spUer nndver- 
ftnderte bei den von mir an^jezogenen Banpea die SSeiehmng gar 
nicht. Knr kleine Fftrbnngsnntersehiede an Kopf nnd Horn machen 
sich bemerklich , beide werden bliaKch. Es gibt indessen , wenn 
aneh selten, einielne Indxndnen, webhe in diesem letzten Stadinm 
•rothe Flecken in der Umgebnng der Schiftgstreiftn leigen, gans in 
derselben Weise wie bei FopnH , nnr dsas sie bei Popnli hftoliger 
verkommen. Ich selbst habe nnr einmal eine aasgewaebsene Baape 
von Ooellata gefunden, welche rostbraune Flecken Uber 
und unter den Schrfigstreiftn besass, genau so, wie RAsel*) 
eine dieser Art abgebildet hat. 

Auch in diesem Stadium bleibt indessen hat immer ein mehr 
oder weniger deutlicher Rest der Snbdorsale auf den drei 
bis sechs vordersten Segmenten bestehen, als eine weisslicbe Linie, 
welche vom Kopf au« grade nach hinten sieht und die vordersten 
Schi«gstriche sehneidet (Fig. 70). 

Resultate der Entwicklungsgeschichte voa Smerintfaus Tiliae, 

Populi und Ocellata. 

Aus dem dilrfli^cn Material dieser drei, offenbar nahe ver- 
wandten Arten läset sieb doch immerhin soviel abnehmen, dass in 
Besag auf Zcichnnug drei £ntwicklnngsstafen zu nntcrscheiden 
sind: 1} einfache (grUne) Färbung ohne Zeichnung, 
2) Subdorsalstreifen mit sieben ihn kreuzenden 
Paaren von Sebrftgstreifen nnd 3) mehr oder weniger 

*) iMekten-Bclaitigangen. Suppl. Hdb. 38. Flg. 4. 



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Ontogenea« und Morphologie der Sphingiden-ZaiohnuoK. 51 



TolbttadigeB Fehlen des Snbdorsalatreifeii, wftbrend 
die SehrSgstreifen bleiben nnd dieNeignng zeigen, 
rothe FleekeuBinme zn bilden. 

Welche der drei Arten die iHeste ist, wage ich nieht so ent- 
seheiden. Wenn man nach der Häufigkeit der rothen Fleeken 
sehliessen darf, so würde Tiliae die jüngste, c^. h. weitest vor- 
gesehrittene Art sein. Allein damit stimmt nicht, dass bei ihr die 
Schri^istreifen etwas später erscheinen. Doch sind gewiss beide 
Unterschiede zn geringfilgig, nm darauf sichere Schlüsse bauen zu 
k(hinen. 

Der Yeigleich mit den erwachsenen Baupen anderer Smerin- 
thnsarten bringt keine erheblichen weiteren Aufschlüsse. 

Von der Gattung Smerinthus Ochs, werden bei Gray*) 
30 Arten aufgeflihrt, Ton denen mdnes Wissens die Raopen nur 
bei 8 bekannt sind (5 europäisdie nnd 3 nordamerikanische}. Bei 
keiner Ton diesen zeigt das letzte Stadium neben den SchrSgstreifen 
auch noch den Subdoisalstreif in ganzer Länge. Keine auch zeigt 
umgekehrt eine weiter vorgeschrittene Entwicklungsstufe etwa so, 
dass die rothen Flecke constant zu linearen FarbemAumen gewor- 
den wären. Wir müssen also annehmen, dass sie alle so ziemlich 
die gleiche Stufe pbyletischer Entwicklung erreicht haben. 

Erst wenn man sich zn der in ihrer systematischen Stellung 
zweifelhaften Gattung Calymnia Boisduval wendet, welche bei 
Gray nur durch eine von Westwood zur (Gattung Sme- 
rinthns gesogene**) Art vertreten ist, findet man eine ältere 
Entwicklungsstufe der Gattung repräsentirt. Die erwachsene Banpe 
von C. Panopus aus Ostindien besitzt nämlich neben den 
Schrägstreifen auch noch einen vollständig aus- 
gebildeten Subdorsalstreif***), sie entspricht also dem 
ersten Lebensstadinm von SmerinthusPopuli. Möglicherweise 
enthält sie in ihrer Ontogenese ein Stadium , dem die Schrägstreife 
noch fehlen , während die Subdorsale bereits vorhanden ist. Aus 
dem firOben Verschwinden der Subdorsale bei den Smerinthus- 
Arten darf geschlossen werden, dass sie auch früh in der Fhyloge-. 

•) Cataloguc of Lepidopt. British Musrum. 
**J Cabinet Orient. Knt. p. 13, pl. G. fig. 2. 

'* *) Catalogue of the Leptdopt. InsectR of the East*Indift Comp»iiy hy Hora- 
field te Moon. Taf. VIII. Fig. 6. 



52 ()ntogen4>fie und Morphulugie der Sphingiden-Zeiehnnnfc. 

nese aufgetreten ist, während die Schrügstriehe eine sekan^bre 
Zeiehnangsfonn darstellen , wie Bpitler noch näher begründet wer- 
den soll. 



IV. Die (Gattung Macroglossa. 

Die ausgewachsene Raupe ist Ton fttnf Arten bekannti 
zu welcher ich noch eine sechste hinsnittgmi kann. Die Gattung 
enthält bei G r ay 26 Arten. Jttngere Entwicklungsstände der Ran- 
pen finde ich nirgends weder abgebildet , noch beschrieben , doch 
habe ich selbst die Ontogenese einer Art voltetändig beobachtet 

Es gelang mir ein im Freien gefangenes Weibehen von M. 
Stella tarn m znr Eierablage zu bewegen nnd zwar dadurch, 
dass ich dasselbe in einem geräumigen, im Freien aufgestellten 
Zwinger fli^en Hess. Es schwärmte dort an den Blumen und \o^q 
seine kleinen, graRgrilncn, kugligcn Eier halb im Fluge einzeln 
an die Blätter. Blüthcnknospen und BltUhenstiele von Galium 
Mol Ingo ab, im Ganzen 130 Eier im Laufe von drei Tagen*). 

Stadium I. 

Illach etwa acht Tagen schlUpften die nur 2 Mill. langen Ränp- 
chen anH. Dleselhen sind zuerst gelhlieh , bald aber grUnlieh , mit 
kleinen einzel»tehendeu Borsten besetzt und kurzem, zuerst grlin- 
licbem, dann schwarzem Schwanzhorn, der Kopf ebenfalls grünlich- 
gelb. Sie besitzen keinerlei Zeichnung (Taf. 1. Fig. 1). 

Stadium 11. 

Nach vier Tagen erfolgt die erste Häutung und nun bekommen 
die Bäupchen schon die Zeichnung, welche sie im Wesentlichen 
bis zur Verpuppung beibehalten. 

Di« Eiablage gc!>ci>icht so, Uans daa Thier im Flug« mit den Hcinen die 
Spitze einei Zweiges packt und nun , fortwibrend mit den FlOgeln schwirrend, 
das Abdomen aufwärts gegen ein Hlatt krümmt. Im Nu hat ea ein Ei auf den- 
selben befestigt. Zwei bis vier Mal wiederholt ( s mm diese Procedur di( lit hin- 
tereinander, um dann wieder l&ngere Zeit saugend die ßhimeii /.u umschw&nnen. 
IHeKter gleichen in der Fürbe Rehr genau dem Orün der jungen Blathenknoapen 
von Oallum. 



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Untugcnese und Murphulogie der Sphingiden -Zeichnung. 53 



.Ein feiner weisser Snbdorsalstreifen, sowie ein 
ebensoldier Stigmas treifen zeigt sieh nnd zngleich ein dnnkel- 
grllner Rttckenstreif, der indessen, wie gewOhnlicli niclitvon 
FSgmentablagemng in der Haut lierrttbrti sondern von der an dieser 
Stelle gelegenen Spalte swisehen den FettkOrperlappen (Fig. 2). 

Die Farbe ist jetit bei allen Individaen ein sebmntsiges Grttn, 
die Bant fein ebagiinirt. 

Stadium JUI. 

Die nach abermals vier Tagen eintretende zweite Häntang 
bringt keine Veräudcruug der Zeichnung. Nor die Färbung wird 
etwas dunkler. Länge 12 Millim. 

Stadium IV. 

Auch die dritte Häutung (nach weiteren vier Tagen) bringt nur 
eme Veründernng der Färbung und zwar in der Weise , dass d i e 
Raupen dimorpb werden. Zugleich entsteht aber auch jene 
eigenthttmlicfaeBanhigkcitderBant, die oben bei den Deilepbila- 
Arten schon alsChagrinirnng bezeichne wurde. 

Die Gesammtftrbnng ist jetzt tbeils ein helles Grasgrün, 
theilsein dunkles GrasgrUu; in letsterem Fdle ist zugleich 
die Subdorsallinie nach oben sn dunkelbraun gesäumt nnd die 
Stigmen sind eben&lls dunkelbraun. Länge 17 lUllim. 

Stadium V. 

Vier Tage später, nach der vierten Häntnng wird der Di- 
morphismus zum Polymorphismus. Man kann fttnf 
Hanptformen nnterseh^den: 

Variation L hellgrttn (Fig. 7] ; Rllekenstreif sebwaisgrOn, 
stark markirt, Snbdorsalstreif breit, rein weiss, nach oben zu dun- 
kelgrün gesäumt; Stigmastreif Chromgelb, Horn schwarz, ander 
Spitze gelb, an den Seiten blan. Stigmen schwarzbraun, fein 
gelblieh gesänmt, Pässe nnd Spitzen der Afterftlsse mennigroth. 

Variation II. sebwarzbrann, Kopf und Protborax gelb- 
braun, Zeichnung dieselbe (Fig. 6). 

Variation m. schwarzgrttn oder grttnschwarz (Fig. 
10 und 11), Subdorsale nach oben schwarzgrttn grundirt, welche 
nubung allmälig in hellgelb ttbergeht, Stigmastreif Chromgelb, 
Kopf und Prothorax grOnlicbgelb. 



54 ODtoganeae und Morphologw der Sphingiden-ZmehnuDg. 

Variation IV. bellgrUn [Fig. 1 u. 12), liUckeolinie §;ans 

schwach angedeutet, Subdorsale breit, nach oben nur sehwach von 
duDklerem Grün gesäumt , Sabstigmastreif seliwach gelblich , Kopf 
und Prothorax grUn. 

Variation V. brann violett, die schwarze littckenlinie 
aof rttthlicheni , schmälerem oder breiteren Grund Fig. 8!. 

Man siciit schon aus diesen fllnf Variationen , dass die ver- 
schiedenen Formen nicht unvermittelt nebeneinander stehen. In 
der That sind dieselbe durch zahlreiche Ueberpin^^e verbunden, 
die grüne Grundfarbe variirt schon sehr, bald ist sie dunkler, bald 
heller, bald gelblicher, bald bläulicher vcr^'leichc die Figg. 4. 5, 
7 und 12;. Die Zeichnung hh iht bei Allen dieselbe, kann aber in 
sehr verschiedener J>tiirke uiurkirt sein. Die Dorsallinie ist 
oft nur ganz schwach angedeutet, wie hiugehauclit. die Subdorsale 
oft wenig grimdirt , oft auch tief scliwar/. nach ol)cn nn»l /iendich 
dunkel nach unten bo-^ienzt und dann sind Jiuch die Seiten von 
dunklerem (Iriin, oft mit Hchwiirzliclicm Anflug Uber dem gelben 
Stigniastrcif Fig. ."> , manchmal auch diese scliwar/, jrrundirt. Nur 
Horn und Fiisse sind bei allen Formen gleich. Die grllue Grund- 
farbe geht dann durch schwHrzlichen Anflug ins Srlnvar/grUne, ins 
Grünschwarze und Braunschwarze Ulicr tind dieses dann wieder in 
dasRöthlicliljraunc bis Lila Fig. 'V . Lct/tfio Farbe ist die seltenste. 

Nach alle dem könnte die Hczeiclinung : F<i 1 y ni n r p Ii i s m u s 
sehr ungeeignet ersclieinen , da wir es hier nicht mit scharf ge- 
trennten Formen zu tliiui liahen . sondern mit ftnif, sehr variaf»eln 
GrundfarboDgen , welche durch zahlreiclic l e bergäuge vcrknUpit 
sind. 

Wenn aber auch die Hezeichnung: Variabilität vorire/nucn 
werden sollte, so deutet mir doch eine Hcobaehtiuig daraut hin, 
dass es hier bereits in gewissem Grade zur l'ixiruug der eiir/elnen 
Färbungen gekommen ist. ich fand nändich eine braune Haupe, 
auf den fünf vordem Segmenten der linken Seite 
hellgrün, auf dem fünften sogar braun und grlln gemischt Fig. 0 . 
Ein solches Sc h e c k i j: u e r d e n kann oftenbar nur da eintreten, 
wo Charaktere um die llerr.-i liat't kämpfen, welche nicht mil einan- 
der verschmelzen können, etwa so. wie bei den Zwitterbienen die 
eine Hälfte eines Segmentes männlich die andere weiblich ist. nicht 
aber beide zu einer mann lieh- weiblichen Mittelform verschmelzen. 



Ontogenese und Murphologie dtr Sj>iii(igiüt;a-Z( uhauiig. 55 <• 



Uk Mm daniis den SoUess, dam «inige der Haapt-Varieliton 
▼OD Stellatarnm sieh beroits so weit von einander entforat 
haben, daaa sie alt halbwegs fixirte Formeo ni belraohten sind, 
nicht mehr miteinander Tersehmefasen, sondern, wenn sie in einem 
Individuum nisammentreffen, sieh nnveimitlelt nebeneinander eni- 
wiokeln. 

Damit stimmt aaeh die weitere Thatsaehe , dass von den 140 
erwaehseiMii Banpen, welche ich aoe den Eiern jenes Weibebcas 
erxog, die Uebeiig^mgsformen sehr in der MinoritSt waren. Es be- 
fanden steh darunter 49 grüne Raupen, 63 braaae und nur S8 sehr 
venchiedenartige Uebezigangsformen. 

Ans diesen Orllnden bezeichne ich die Erscheinung als Poly- 
morphismus, wenn auch als einen sokshen, der seine schärfste 
Ausprägung noch nieht erreicht bat. Diese wird erst durch fiUmi- 
nimng der Mittelformen za Stande kommen. 

Unmittelbar vor der Verpupinin^ nehmen alle Ranpen , grttne 
wie bmune eine lila Färbung an. Das fünfte SUidiuni dauei-t siebm 
Tage und die ganze Ranpenentwiekluiig 23 Tage, die Entwielüung 
Tom VA bis zum Schmetterling nnr 31 Tage. 

Ich bin nuf den Polymorpiiismu.s von Stellatarnm nicht nnr 
det)lialb HO genau eingegangen, weil er bisher unbekannt war and 
weil eine Analyse eines derartigen Falles noch gänzlich mangelte, 
sondern vor Allem, weil es mir scheint, dass nicht unwichtige 
Schlllsse daraus gezogen werden können. An und fUr sieh ist übri- 
gens schon eine derartige extreme Vielgestaltigkeit interessant , da 
sie in dies^em Grude meines Wissens noch bei keinem Insect beob- 
achtet worden ist. 

Theoretische Verwerthung soll dieser Polymorphismus an einer 
spitercn Stelle finden. Mit einer weiteren Ausbildung der Zeich- 
nnng hängt er nicht susammen und in Bezug auf diese zeigt M. 
Stellatarnm eine sehr niedrige Ausbildung , da sie Uber die im 
zweiten Stadium erreichte Stufe uielit hinauftkonmit. 

Sie zeigt uns nur zwei Stufen der Zcichunni: 1^ gänzlichen 
Mangel joder Zeichnung und 2j den einfachen Subdor- 
salstreifen, begleitet von einem Klicken- und Stigma- 
streifen. 

Somit müssen wir annehmen, dass die phyletischo Entwicklang 
der Zeichnung seit langer Zeit still gestanden hat, oder — was 



56 



Oatogenese uud Morphologie der SphingiUen-Zeichnung. 



duselbe sagt — dast die Zeiohnimg, welche hier die ansgewaeh- 
sene Banpe bentet, eine sehr alte ist. 

Um meine Beobachtnngen ttber M. Stellatamm hier gleich toII- 
stSndig sn geben , fttge ich noch Einiges Uber die Pnppe bei. 

Bei der ansseigewOhnlichen Variabilitftt der Banpe schien es 
von Werth, aneh die Farbenschwaofcnngen der Pnppe festanstellen. 
Diese sind nnn ungemein gering, der ockergelbe Omnd 
spielt manchmal mehr ins Bttthliche, manchmal mehr ins GrSnlicbe 
und die siemlich Terwickelte Zeichnung schwarzbranner, gestri- 
chelter Linien besonders anf den Flttgelscheiden ist sehr constant, 
höchstens etwas mehr oder weniger stark ansgesprochen. Die 
schwachen Färbnngsschattirnngen der Pnppe stehen 
aneh dnrchans in keinem Znsammenhang mit der Fftr- 
bnng der Banpe, sowohl grOne als branne Raupen liefern bald 
mehr rVthlich gelbe, bald mehr grünlichgelbe Pnppen. 

Aneh derVeigleich von M. Stellatarnm mit den übrigen 
bekannten Hacroglossa-Arten bringt kanm einen Zuwachs unserer 
Keontniss der phyletischen Entwicklung. So zeigen die beiden 
europftischen Arten, deren Banpe bekannt ist, M. Fnciformis 
und Bombyliformis im Wesentlichen dieselbe Zeichnung, wie 
Stellatarum, das Hauptelement derselben ist ein wohlausgebil- 
deter Subdorsalstreif . 

Auch die ostindische Art U. Qilia Boisd. besitzt ihn als ein- 
zige Zeichnung, nur die ebenfalls ostindische Art H. Corythns 
Boisd.*) tdgt ausser der Subdorsale noch Schrigstriche , welche 
dieselbe aber mcfat kreuzen, sondern erst unterhalb beginaeD. 
Wahischeinlioh sind dieselben später entstanden, als die Snbdor- 
sale. Verhält es sich so, dann müssen wir in M. Corythns eine 
spütere phyletische Stufe erblicken. 

Uebrigens sollen auch bei H. Fnciformis und Bombyli- 
formis kleine Schrägstriche (rothe) um die Stigmen vorkommen, 
nach der Abbildung Duponchers zu schliessen. Doch haben 
diese mit den oben erwähnten Schrägstrichen von M. Gilia Nichts 
zu thnn, da sie in umgekehrter Kichtunj; verlaufen. Ich sellist habe 
von diesen beiden Arten nur M. FuciformisO. in lebenden Rau- 
pen beobachtet, und diese besassen keinerlei Schrägstriche. 



*) Cat. E^it-Iadia Companjr Miu. Taf. VIII. Fig. 2. 



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UntogeDe«« und Morphologie der Sphiogiden -Zeichnung. 57 



Diesen. ftnf bekaonten Arten kann ich noch eine seebtte an- 
•ehlieasen: dieBanpe Ton Hacroglosta Croatica, einer klein- 
asiatischen und ostenropfiischen Art, von der mir durch die GHlte 
Hrn. Dr. Standingers^s ein Exemplar, begleitet von einigen No- 
tizen angekommen ist. Die erwachsene Banpe ftbnelt in Form and 
Zeichnung sehr der von M. Stellatarnm, doch hebt sich der 
Sobdorsalstreif viel weniger scharf vom Gmnde ab, als dort nnd 
Dorsal- sowie Stigmastreif scheinen ganz sn fehlen. Die Farbe ist 
meist grttn , variirt aber bis an Roth , bei der jugendlichen Banpe 
sind die Snbdorsalstreifen dentlicher und sehftrfer , als bei der er- 
wachsenen. 

Es bietet also diese Art keinerlei Zeichnnngselemente dar, 
welche Uber die bei Stellatamm vorkommenden hinansgingen, sie 
ist im Gegentheil noch ein&cher, als diese. 



T. nie Gattog Ftenigmi B. 

Obgleich mir nur ein kleines RniclistUck aus der Eutwicklungs- 
geseliiclite einer cinzig:en Art (iicser (»attuu^' vorliegt, so tlieilo ich 
dassel'ie doch mit, da es mir mit Zuziohunir zweier anderer Arten 
zu jrenti^'en scheint, um weni^'stens im (Jn»ssen und (Jauzen die 
Entwieklttugsriehtuug zu bestimmeu , welche die Gattung genom- 
men hat. 

1. Ptertgon Oenotherae Esp. 

Die in vielen zum Theil gnteniAbbildnngen daigestellte aus- 
gewachsene Banpe hat bekanntlich eine sehr oomplicirte Zeichnung, 
welche nicht ans irgend einem der bisher betrachteten Zeichnnngs- 
Elemente der Sphingiden ableitbar scheint. 

Um 80 mehr war ich ttberrascht ein nur 12 IfiU. langes Bäup- 
ehen dieser Art mattgrUn zu finden , ohne jede Spur der späteren 
Gttteneichnung, dagegen mit einem breiten weissen Snb- 
dorsalstreifen, der Uber alle 12 Segmente hinlief (Fig. 63). 

Nach Grosse und späterer Entwicklang zu artheilen, mOchte 
diese Raupe dem dritten Stadinm angehört haben. 

Auch im folgenden, vierten Stadium bleibt dieselbe Färbung 
und Zeichnung bestehen, aber man bemeriLt jetzt an der Stelle, 



§8 Oatogeoese uod Morphalogi« der Sphingiden-Zeichnung. 

walobe bei «iid«ni SpbingidflB doidi dai Seliwäiizkom.siMgeBeich- 
nel iit, die Anlag« des Bpäterea Angenf leeke in Oeetelt eines 
nindliobeo gelbliohen Fleckes (Fig. 64). Ent im ftlnflee T«r- 
sehwindefc pUNslieh die Snbdorsale, die Banpe wird dnnkelgrila 
(ssltaer) oder schwanbnuin, erhSltdieOitteneiokniing, die kleinen 
SohilgBMfehen, die ttlier die Stigmen wegeilen, nnd den sekta 
entwifikeUen Angeofleek, ans gelbem Spiegel mit sohwanem Kem- 
ileek nnd sehwanem Hof beetekend (Fig. 65} . 

Eine gans Mhnliebe Zeiohnnng wie diese enropiiseke Art sie 
im erwachsenen Zustand besitet, zeigen aueh Fi er4»gon Ganrae 
und A b b o t i i ans Nordamerika, bei ihnen ist dieselbe aber dadarok 
von ganz besonderem Interesse, dass sie den Weg andeutet, auf 
welchem die primäre Sphingiden-Zekknung sich in die scheinbar so 
total Terschiedene der ansgewachsenenPt. Oenotberse nmgewandelt 
hat. Pt. Ganrae ist grün, nnd auf diesem Grunde steht eine 
ccmiplicirte Gittcr/eichnnng, welche bei näherer Betrachtung sich 
wesentlich dadurch entstanden erweist , dass die D o r s a 1 1 i n i c in 
kleine schwane Pnnkte aufgeM ist, die Snbdorsallinie in 
schwarze, weissgesftnmte Drcieckohen. Diese Raupe bestft- 
tigt also wieder von Neuem die merkwürdige Er- 
scheinung, dass die Thier- wie Pflanzen-Formen 
Nordamcrika's phyletisch älter sind, als die euro- 
päischen, wie dies in gleicher Weise auch bei Dell. Lineata, 
der vicarircnden Form von Dcil. Livornica herrortrat. Gkms 
in Uehereinstimmung damit entbehrt die Itaupe von Pt. Gaurae 
anch des Augenflecks auf dem elften »Segment nnd zeigt statt dessen 
noch das ursprügliche, wenn auch kleine Sphingideuhoru ! 

Auch der Schmetterling dieser Art ähuelt in Färbung nnd 
Zeioh n nng, nicht aber im FlUgelschnitt dem nnsers Fterogoa 
Oenotherae. 

Dass die Ranpmi der Gattnn^^ Ptcrogon ursprunglich das 
Schwanzhom besessen haben, lehrt Überdies nooh die im sUdUst- 
liehen Russland lebende Art, Pterogon Qorgoniades Uilbn., 
deren Kenntniss ich der Ötau d i n ger'schen Sammlung verdanke. 
In dieser befinden sich etwa acht aufgeblasene Exemplare von 3,7 
bis 3,9 Cent. Länge, welche theils auf rothem, theils auf grUnem 
Grund eine Zeichnung aufweisen, die sich an die Jugendform von 
Oenotherae anscblicssl. Ein breiter weisser Subdorsal- 



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OntogMMM und Morphologie der Sphingiden-Zeichnuof. 59 



streif sieht von einem kleinen Sohwansliorn bis am den 
Kopf. Ansserdem aber beutet die Banpe nooh einen nn^Bwittiilieh 
bccdlen, weissen, roth gesäumten Infrastigmastreif, einen 
feinen weissen Dorsalstreifen and eine feine weisee Ldnie swi- 
sehen Sabdorsale und Stigmale, eine Linea snprastigmalis. 

Die Kaupen der Standinger 'sehen Sammlung g^Oren trete 
ihrer geringen Grösse doch alle dem letzten Stadium an , wie denn 
auch der Schmetterling nicht mehr als 2,G Cent. Flttgelspannong 
hat , also an den kleinsten der bekannten Sphingiden sSUt. Die 
Art hat somit im erwachsenen Zustand me Zeichnung, welche 
dciu Jngendkleid von Oenotherae ganz nahe Stellt, sie Terhält 
sich zu Oenotherae, wie Deilepbila Uippophaes zu D. 
£uphorbiae, nnr dass hier der Al)stand zwischen beiden noch 
gritaser int. Gorgoniades ist offenbar eine phyletisch ältere Art, 
was abgesehen von der Zeichnung schon aus dem Besitz eines 
Horns »t sehliessen wäre. Allerdings wissen wir noch nicht, ob 
Oenotherae in frühester Jugend ein Horn besitzt; wahrschein^ 
lieh verhält es sich »o , in jedem Fall aber besass die Stammform 
von Oenotherae ein solches, da die nüchstverwandte Pt. Gan- 
rae da8selbe heate noch aufweist. 

So sehen wir also aach bei der Gattung Pterogon die Zeich- 
nung der Kaupon mit einer LängHKtreifung beginnen, gebildet 
durch die grundlegende S u )> d o r h a 1 e . zu der dann entweder nnr 
noch eine Infrastigmale, oder auch noch eine Suprastig- 
male (Gorgoniades) hinzukommt. Aus den Längsstreifen 
entwickelt sich dann durch Zerlegung derselben in Punkte oder 
kleine Felder eine Gitterzeichnung, die soletzt (bei Oeno- 
therae) völlig selbstständig wird und ihre Beziehungen au den 
Längslinien di r e c t nicht mehr erkennen lässt. 



yi. Die Gattung Sphinx. 

Von dieser Gattung indem von Gray aufgestellten engeren 
Sinn ist es mir trotz aller Mühe nicht mitglich gewesen, anch nur 
von einer einzigen Art befruehtcte Ekv /.n erhalten. Die WeÜK'hen 
sind iu der Getangensehalt nicht zur Ahiage ihrer Eier zu bewegen 
und man kann dieselben nur durch einen glücklichen Zufall be- 
kommen. 



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GO Ont(^ene«e und Morphologie der Spbingiden Zeichnung. 

Anoh in der Ldtteratar sachte ich lange vergebenB nach iigend 
welchen Angaben Uber das Jagendkleid dieser Raapen , fiind aber 
schliesslich in einer Anmerknngder ROs ersehen »Insektenbelnsti- 
gangen t eine Beobachtong Eleemann's Uber die Jageadformen 
von Sphinx Ligastri, die zwar weit eatfemt ist von YoUsttn- 
digkeit , dennoch aber Uber einige Punkte Auf kttmng gibt. 

Kleemann eildeltToaeiiiBoiWeibchenTon Sph. Ligastri 
400 befirnchtete Eier. Die aaskriechendenRäapchen sind »aa&ags 
ganz hell gelblich griln, werden aber nach demGennss der frischen 
Bltttter grttner • ; aach das Horn ist znerst hellgrUn and wird dann 
B dankler«. DieRäapchen spinnen Fäden and befestigen sich 
dadnrch aat dem Blatte von dem sie sich emlUiren I (meines Wis- 
sens noch bei keiner Sphingidenart beobachtet ! } . Sie hänten sich 
vier Mal; erst nach der dritten Hilutung kommt die Einfassang am 
ihren Kopf, nebst den pnrpnrrothen Streifen, »da solche zuvor 
nnr allein weiss warea«. Die Häatangen erfolgen ininter- « 
Valien von je 6 Tagen and nach der vierten Häntong wachsen de 
noch etwa zehn Tage*). 

Aus diesen kurzen Notizen lä88t sich entnehmen, dass die 
Zeichnnng im Stadium III. aus sieben weissen Schrägstrichen 
besteht, welche im St^uliuni IV. farbige Sttome erhalten. Das letz- 
tere habe ich selbst aueli öfterf; g;esehen. 

lieber den wichtigsten Punkt geben die Kleem an naschen 
Beobacbtnngcn leider keinen Aufschluss, Uber das Fehlen 
oder Vorhandensein einer Snhdorsallinie in den 
jüngeren Stadien. Dass er dieselbe nicbt erwähnt, kann 
darchaas nicht als ein Beweis fllr ihr thatstfchliches Fehlen ange- 
sehen werden . vielmehr möchte ieli vermutben . dass sie in Sta- 
dium I., vielleicht auch II. vorhanden ist .Jedenfalls gibt es Arten 
der Gattmi^^ Sphinx {sensu strictiori , welche in der Jugend dne 
Subdorsale besitzen, wie ich mit Bestimmtheit schon allein ans 
den Kesten einer solchen bei den erwachsenen Banpen von Sph. 
Convolvuli schliessen zu dürfen glaube. 

Noch sicherer wird dieser Sehluss , wenn man die Zeichnung 
einiger nahe verwandten Gattungen zum Vergleich herbeizieht. 
Olinehin dürfte die Abtrennung der Gattung Macrosila Boisd. 



*) R0«ej a. a. O. Bd. HL S. 26. Anmerkung. 



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Ontngcnea« und Moqiliulogie der Sphiit|tiilen-Zeiclinung. t)t 

von Sphinx wohl haiiin deh rechtfertigen hissen. Nimmt man 
diese nnd die Chittongen Dolba Walk, and Acherontia Ochs, 
hinan , so ftllt vor Allem die grosse Aehnlichkett in der Zeichnung 
anf » die oft so weit geht , dass der Unterschied zweier Arten ledig- 
lich in kleinen Farbenschattinmgen besteht, während der Unter- 
schied swischen den Schmetterlingen bei Weitem grosser ist. 

Mir sind von den genannten Ckttnngen im Gänsen vienehn 
Ranpen- Arten bekannt: Macrosila Hasdrnbal, Rastiea*) 
und Cingnlata*}; Sphinx Conyolvnli, Lignstri, Caro- 
lina*), Qainqnemacnlata*), Drnpiferarum*) , Kal- 
miae*) , Gordias*}; Dolba Hylaens*}; Aeherontia 
Atropos, Styx**) nnd Satanas**). AUe diese Ranpen, mit 
einer einzigen Ansnahme besitsen Schittgstreifen nach Art der 
Smerinthns- Ranpen, die meistoi ohne jede Andentong einer 
Snbdorsallinie , eine dagegen — die nordamerikaniscbe M. Cin- 
galata — mit Tölig aasgebildeter, eine andere — die ftlr 
Europa stellrertretende Art: Sphinx GonvolTnli — mit rudi- 
mentftrer Snbdorsale. Die meisten anter diesen besitzen als 
Grandfarbe das Grttn der Blätter, von welchen sie leben, einzelne 
aber sind brann, d. h. bodenfarbig nnd dann tritt die Zeichnung 
nicht mehr so scharf hervor ; wieder andere besÜMn sehrantbllende 
Farben ( A. Atropos ) nnd dann sind die SchrUgstriche sdur leb- 
haft gefärbt. Nur H. Hasdrnbal***) entfernt sich vollständig 
von diesem Schema, indem hier auf tiefem Schwarz sdimale gelbe 
Ringe stehen, während Horn ond letztes Segment roth sind. 

Diese grosse, höchst auffallende Raape von M. Uasdrnbal 
ist dieselbe, welche Wallace auf seine Erklärang brillanter Fär- 
bung von Raupen geführt bat. Ueber die Entstehung ihrer so ganz 
abweichenden Zeichnung kann erst ihre Ontogenese Aafsi^ass 
geben, in welcher sicherlich noch ein oder das andere ihrer älteren 
phyletischen Stadien erhalten sein wird. 

Dassdbe müsste genau genommen auch von den übrigen Arten 
gesagt werden, doch lässt der Veigleich mit den so ähnlich geseich- 



•) Bei Abbot & Smith abgebildet und 1)eHchrieben. 
*•) Abbildungen in Cat. Lep. Ins. Kast-liiilia Comp. 
***) Siehe die Abbildung bei Sepp, Surinam Miltt; Vlindcra, P. 3, PI. lul. 
1848. Ein Spiritot-Exemplar der erwadueoen Kaupe befindet eich ini Berliner 
MuMun. 



62 Ontogenene und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



neten Smerinthini nnd der UnutBod , dut bei EinaelBeii eioe 
SMonaUioie ni erkennen ist die bestimnite Vermathnng ab be- 
reehtigt erselieiBenf daes die primire Zeiehnnng anch 
hier die Sabdoreale war, dass aber dieselbe meistens durch 
die spKter daan gekommenen Schittgstreifen vdllig Teidflagt wurde. 
Dann wttrde also die Omppe der Spbingini gegcnOber dee 
Smerintkini die jüngere sein nnd daodk stininit die Mhere Ana- 
bikhtngderSchrSgstreifen, welehe hier stets xweifiurb^, wane b»al 
sogar dreilMig (Spb. Drupiferarnm Weiss, Koth, Sdiwars) 
sind, während sie bei den Smerintbus-Arten nur s^n einiger- 
maeeen regelmXssige Fariiensäume Itesitsen. 



YU. Die Gattiug Ancerjrx Boisd. 

Obgleieb diese Gattnng in den Catalogen enropttiseher Selanet- 
terlinge meistens nicht angenommen wird, sondern die einaiga 
hierher gehörige Art des enropfilsehen Fannengeliietee noch der 
Gattung Sphinx Oeh». zugerechnet wird, so scheint mir ihre 
Abtrennung von Sphinx dcüsh geboten, nicht deelialb, weil die 
Kclimetterlinge sehr durchgreifende Verschiedenheiten darbSlenf 
sondern weil naeh dem Wenigen, was wir Uber dieKanpen wissen, 
diese derartige Venduedenheiten antWeisen. 

Es ist mir mehrfiush gdnngen, befinchtete Eier von Aneeryx 
Pinns tri in erhallen nnd ich gebe hier snerst die Entwicklungs- 
geschichte dieser Raupe, welche ttbrigena schon in dem TortreiF- 
lichen Werk ttber Forstinsecten von Ratsebnrg eine recht genaue 
DarstelliBg geftindea bat. 

Schon Bösel wnsste, dasa der»Fichtensehwarmef> seine Eier 
im Juni nnd JnK einseln am die Nadeln der Kiefern legt and be- 
sdirieb dieselben als »gdblieh, faxend, o?alrand nnd von der 
O tO sse eines Birsekena«. 

Beim Anssehlflpfen sind die 6 Millim. langen RUnpehen hell- 
gelb, der Kopf gttinend schwarz mit gelbem Clypens, das an der 
Spitze gegabelte SohwanKhom snerst auch gelblich, bald aber 
schwan. Eine eigentliche Zeichnung fehlt noch, doch verlSnft ttber 
dem RttckengefUss ein rOthlicher Streifen nnd anch die Stigmen- 
gegend spielt etwas ins Orangerothe (Fig. 53 a n. b) . 



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Sobald die Biapehcn sich mit Nabrang geftUt btbdii, bekom- 
meii sie einen Strioh ins OrOaUdie. Nadi vier Ttigm erfiolgt die 
erste Hftatnng. Unmittettsr nach denelbeB iel aooli keine 
dentlidie Zeieknnng sn erkennen t mUAnsnekne einer grilolieh- 
weineen Sti gm al e. Saeh einigen Standen alwr wird die aoAog- 
Keh hellgittne Chiudfiirbe dunkler nnd sngleieb tritt eine grttn- 
liehweisse Snbdorsallinie soharf hervor, sowie eine ilir 
paialleUaafende Unie oberhalb der Stigmen, die bei Pterogon 
Oorgoniades hereita als Snprastigmale beseiahnet wude. 
Eine Dorsale fehlt, der Kopf ist hellgrOn, mit swei 
denClypens einrahmenden, sehwanbraanen Streifen; Horn nnd 
TboraeaUllsse sohwan; Afterfttsse rOthlichgrlln; Lllnge 12-- 13 
MiUim. (Fig. M). 

Stadinm Hl. 

Nach weiteren vier Ta^^en erfolgt die zweite Hüutung. welche 
weder in Färbung; noch Zi i( hnung eine Aendoriinj; mit sich bringt. 
Nur das Horn wird bräunlich mit schwar/er, jetzt nicht mehr gab- 
iiger Spitze. Wie schon vorher sind au( b jetzt die Itäupchen vor- 
trefflich den Kiefernadcln angepasst, an denen sie den ganzen 
Tag Uber fressen und lassen sieh nur schwer zwischen ihnen er- 
kennen. 

Stadium IV. 

Auch die dritte Häutung bringt keine wesentlichen .\eude- 
rungen. (Irundfärbung und Zeichnung li]ei!)en dieselben, nur die 
Stigmen, welche V(trher unscheinbar gelblich waren, fallen jetzt 
durch ein lebhaftes Ziegelruth ins Auge. Das iioru wird uu der 
Basis geibroth. 

Stadinm Y. 

Erat im fünften nnd letzten Slalom Mart sich die Zeieb- 
naag wesentlich. Ein rothbraaner, breiter Dorsalstreif 
drängt mehr oder weniger ToMstilBdig die weisse Snbdorsale. 
Aach die Snprastigmale wird in viele karze Sttlcke oaterbro- 
chen, während die grüne Grandfar}>e je nach dem Individuum mehr 
oder weniger durch den bräunlichen Ton verdeckt wird, der vom 
Rucken gegen die Flanken sich herabzieht. Horn schwarz, immer 
noch gegabelt, Segment 1 oben mit einer Homplatte, ähnlich wie 
sie die lUwpen der Deilepbilaarten besitsen. 



t 



Ontogenese und Murphologie der Sphingiden-Zeichnuiig. 

DiOBea Stadinm ist sehr Tuütbel, wie schon die in den rer- 
sehiedenen Werken niedergelegten Abbildungen beweisen. Die 
Variationen bemhen einerseits auf dem Kampf der grünen Gmnd- 
darbe mit der von 01>en her Torrllckenden rothbrannen , andrerseits 
a1>er aneh auf der mehr oder weniger vollstilndig gelungenen Be- 
seitigang znsammenhftngender LBngslinlen. Zuweilen bleiben die- 
selben ToUstindig erhalten. So Ündet sieh bei Httbner (Sphin- 
ges m., Legitimae C,b) eine Banpe abgebildet, bei welcher 
sowohl die Snbdorsale als die Snprastigmale noch oontinnir- 
lieh Ton Segment 11 bis 1 Terllhift, ein Fall, der wohl als RQek- 
sohlag auf die primäre Form gedeutet werden darf. 

Im Oansen beruht der Umschlag in der Zeichnnng vom vierten 
zum fünften Stadinm darauf, dass die kleineren Raupen den Nadeln 
angepasst sind, die grossen aber den Zwei gen. Ich werde später 
darauf snrQckkommen. 

Die Ontogenese des Fichtenschwärmers lehrt uns demnach 
drei verschiedene Zeichnnngsformen kennen: 1) die einfache 
Färbung ohne Zeichnnng, 2) eine Zeichnung aus 
dreierlei paarigen und parallellaufenden Längs- 
linien gebildet und 3) eine complicirte Zeichnung aus 
den Bruchstttcken der frttheren gebildet, zu denen 
noch ein dunkler Dorsalstreif hinzukommt. 

Von den 14 Arten, welche Gray zur Gattung Anceryx 
rechnet, finde ich ausser der beschriebenen nnr noch von zweien 
Notizen Uber die Raupe. 

A. Coniferarnm lebt in Nordamerika auf Pinns palustris 
und wird von Abbot & Smith abgebildet. Färbung und Zeichnung 
erinnern durchweg an unsere A. Pinastri. 

A. Ello Linn, wird nach Merian's Autorität bei Clemens 
beschrieben*), wonach auch sie dunkelbraun ist, »mit einer weissen 
Blickenlinie und mit weissen nnregelmässigen Flecken an den Sei- 
ten«. Sie lebt von einer »Art von Psidi um oder G ua v a. « 

Die meisten Anceryx-Arten Bcheinen auf Coniferen zu 
leben und dem entsprechend gan/ bcHtiinnite und gemeinsame An- 
passungen zu zeigen. Ich scli Hesse dies — da bestimmte Angaben 
fehlen — zum Theil nur aus den Namen wie Anceryx J nniper 

•) Synopite of th« Nordi Ameriran Sphingidflc Phihdelphis 1859. 



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Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-ZeidiDaiig. 



65 



(Afrika). DasBbeiimserer A. Pinastri das Gemisch von Brann nnd 
TumengrUn , dnrohsetst mit flehdobar anregelmisBigen helleren, 
gelbliehen y weissHehen Flecken eine sehr vollendete Aupassuug 
an die Umgebung des [aasgewaduenen) TbieieB darstellt} hat man 
schon zu einer Zeit erkannt , die von nnsem heutigen Anschanmigen 
noch sehr wdt entfernt war. B0 s e 1 sagt von dieser Raupe : *Nadi 
dem Fussen iritst sie still nnd ist dann schwer sichtbar, weil sie 
mit ihrer Speise einerlei Farbe hat.« »Denn ihr branner RUcken- 
streif hat ftst die Farbe, wie die Zweige der Fichte, und wer sollte 
woU nicht wissen , dass unter den grünen Nadeln derselben sieh 
auch viele gelbe befinden?« 

ÜB dieser Anpassung an NadelbOlier liegt es offenbar, dass 
diese Baupen im erwachsenen Zustand sich so. wdt von denen der 
Gattung Sphinx entfernen, wShrend doch die Schmetterlinge sich 
so nahe st^en , dass man erst dann sie als besondere Gattung ab- 
trennte, als man eine grossere Aniahl von Arten von ihnen kennen 
lernte. 



Schlüsse auf die Phylogenese. 

All«i bisher angestellten Betrachtungen lag die Anschauung 
zu Grunde, dass die Entwicklung des Individuums die 
Stammesgesehiehte in nuce in sich enthftlt, die An- 
schauung Fritz Hullerns und Haeckel's, nach welchem die 
Ontogenese die kurze Beci^itulation der Phylogenese ist. 

So sicher nun auch dieser Satz im Allgemeinen wahr ist, 
so sehr sich seine Richtigkeit durdi alle neueren Untersuchungen 
Uber Entwicklung immer wieder von Neuem bestfttigt hat, so darf 
doch nicht vergessen werden, dass diese »Recapitulation« nicht nur 
bedeutend verkürzt, sondern auch »gefiUschtK sein kann und eine 
genaue Pruihng in jedem einzeben Falle ist daher geboten. 

Es fragt sieh also hier vor Allem, ob die so verschieden- 
artige Zeichnung der Baupen in verschiednen Alters- 
stadien wirklich als zurllckgebliebener Best vcrn der 
Zeichnung der Stammarten aufzufassen ist, oder ob 
nicht vielmehr diese Verschiedenheit darauf beruht, 
dass die Baupe beim Heranwachsen verschiednen 

W«ita»aB, tMa4ini. II. 5 



66 Ontogenete uad Moiphologie der iSphingideu-Z«tciinung. 



inisem Lebensbedingungen begegnet, denen sie sich 
dnreh Anlegung einer Tersehiedenen Tracht — wenn 
der Ansdrack erlaubt ist — angepasst hat. 

Da kann es nnn nicht sweiftlhaft sein, dass das Erste der 
Fall ist. 

Es soll zwardorehans nicht geUlognet werden, dass dieLebens- 
▼erhUtnisse der Raapen in der Jogend snweilen etwas andere 
sind, sls im Alter, es wird im Qegentheil spKtor nachgewiesen 
werden, dass in der That fttr gewisse einielne FlUe das Anlegen 
einer neuen Tracht im Alter wirklich auf einer Anpassung an neue 
Lebensverhältnisse beruht, aber im Allgemeinen bleiben sieh die 
inssem VerhiUtnisse wahrend der Entwicklung der Haape sehr 
gleich, wie schon allein daraus hervorgeht, dass ein Wechsel der 
Nahmngspflanse niemals vorkonmit. Wir sollten deshalb eher enie 
völlige Gleichheit der Zeichnung wftbrend der gaasen 
Raupeoseit erwarten , als eine so grosse Vefsobiedenheit, wie wir 
sie tbatsächlich beobachten. 

Yerschiedne Umstftnde scheinen mir zu beweisen, dass das 
Jngendkleid der Ranpen nur ganz ausnahmsweise auf einer neuen 
Anpassung beruht, in der Regel aber durch Vererbung erworben ist. 
Dabin gehOrt zuerst die Thatsache, dass nftchstverwandte, 
ganz gleichen äussern Verhältnissen ausgesetzte 
Arten, wie z. B. Ghaerocampa Blpenor undPoreellns 
zwar genau das gleiche Jngendkleid besitzen, dass 
dasselbe aber in verschiedner Altersstufe auftritt. 
So erschmnt der Snbdorsalstieif bei Eipenor erst im zweiten 
Studium, während er bei Force lins schon im ersten vorbanden 
ist. Wäre dieser Streif eine Errungenschaft der jungen Raupe, her- 
voigemfen durch Anpassung an die speciellen Lebensbedingnngen 
dieses Alters, so ninsste er bei beiden Arten in demselben äta- 
dinm auftreten. Da er dies nicht thut, so dttrflen wir daraus 
schlieBsen, dass er in Wahrheit nur mn ererbter Charakter ist, 
der von den Vorfahren beider Arten im erwachsenen Zustande 
erworben wnnle und der jetzt auf die Jugendstadien zurttckgerttokt 
ist, bei der einen Art weiter zurück, iih bei der andern. 

Der stllrkste nud wie mir scheint durchschlagende Beweis aber 
für die rein pliyletische Bedeutuni: l« i jugendlichen Haupenzeidi- 
nung li^ in der auffallenden üesetzmässigkoit, mit 



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Ontt^nete und Moqjliologie der Sphingiden-ZeichnuDg. (j? 



welcher bei allen yerwandten Arten sieh die Zeieh- 
nnng in ähnlicher Weise entwickelt, mOgen ihre 
äussern Lebensverhältnisse noch so Tcrschieden 
sein. Bei allen Arten der Omppe der Chaeroeampini (die 
Gattungen Chaerocampa und DeilephiU) geht die Zeichnung 
— nag sie in späteren Stadien noch so verschieden sein — von der 
einfachen Sabdorsallinie ans und dies bei Arten , welche auf den 
TCrschiedcnsteu Pflanzen leben und hek denen Allen diese Zeich- 
nung ohne jede biulo^che Bedeutung sein muss, so lange die 
K&upchen so klein sind, dass dieselben Überhaupt 
nur mit der Lupe sichtbar sind und von einer Nach- 
ahninng etwa der Blattstiele, -Kippen oder -Kanten 
nicht die Rede sein kann, eben wegen des Grossen- 
Unterschiedes von Blatt und Raupe. 

Und wenn wir bei der Gruppe der Macroglossini (die 
Gattungen Macroglossa, Ptcrogon und Thyreus Swains.) 
frrade dieselbe einfache Zeichnung der Subdorsallinie durch alle 
iritadien hindurch bei zwei Gattungen beibehalten »eheu , während 
dieselbe bei den Smerinthini sehr irtth schon schwindet und bei 
den Sphingini nur noch in Spuren nachweisbar ist, welch' an- 
dere Erklärung Ifisst sich diesen Thatsachcn geben , als dass uns 
hier eine Reihe von Bruchstücken aus der phyletischen Entwick- 
Ittugsreihe der Sphingiden-Zcichnung vorliegt , dass dieselbe von 
einer Grundform, der einfachen iSubdorsallinic ausgepiiif^en und 
dann nach verschicdnen Seiten hin sich weiter entwickelt bat und 
da«» in dem Masse , als diese Weiterentwicklung vurangeschrittcn 
ist, die ältcrn phyletischen Stadien ininier weiter zurück in immer 
jüngere ontogenclischc Stadien geschoben wurden, bis sie schliess- 
lich selbst in den jUu^^sten Stadien nur noch als schwache Andeu- 
tung: auftraten Deil Euphorbiac] oder selbst ganz climiuirt wurden 
h\\Q meisten Arten der Gattung S p h i nx / Ich glaube in der Tliat 
nicht , dass es möglich ist , eine andere , irgendwie genügende Er- 
klärung für diese Thatsachcn beizubringen. Somit kann die Berech- 
tigung obiger Auffassung wohl nicht mehr in Zweifel gezogen wer- 
den und wir dürfen mit Sicherheit auf der Anschauung fusseu, dass 
die Ontogenese der Kaupenzeich nuug uns ihre Phy- 
logenese enthüllt, mehr (»der weniger vollständig, je nachdem 
mehr oder weniger phyietische Stufen ausgefallen sind, zuweilen 

5» 



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68 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 

— aber gewiss selir selten — eimgermasBen entstellt, oder mit an- 
dern Worten: die Ontogenese der Ranpenselehnang ist 
eine zwar mehr oder weniger stark gekttrstOi aber 
kaum gefftlsebte Wiederholung der Phylogenese. 

Wenn sieh dies nnn so veridUt, so. handelt es sich soniehst 
danim, das GesetsmlBsige in den Entwicklongserseheinongen hei^ 
aasBofindent om daraus dann wiedenun aof die der Ennvicklung su 
Qmnde liegenden treibenden Ursschen zurncksehUessen in kSmien. 

Die Ctesetse oder vieUeieht besser: die Normen, naeh wel- 
chen die Entwicklung geschieht, sind wesentlich die folgenden: 

I. Die Entwicklung beginnt mit dem Einfachen 
und schreitet allmKlig zu dem Zusammengesetzte- 
ren Yor. 

n. Neue Charaktere erscheinen zuerst im letzten 
Stadium der Ontogenese. 

m. Dieselben rflcken dann allmftlig in frühere 
Stadien der Ontogenese znrttck und verdrftngen so 
die älteren Charaktere bis zu yOlligem Verschwin- 
den derselben. 

Der erste dieser Sftise erscheint fast selbstrerstindfieh. Sobald 
einmal ttberhanpt von Bntwicfcluag gesprochen wird, denken wir 
schon an dne Entwicklung vom Einziehen zum Zusammengesetzten. 
Es bestitigt also dieses Resultat der Beobachtung nur, daas es sich 
hier wirklich um eine Entwicklnng im wahren Sinn des Wortes 
handelt, nicht etwa Mos um eine AufeiDanderfolge verschiedner 
selbstständiger, d. h. unabhängig von einander eintretender Zu- 
stände. 

Die beiden folgenden Sätse dagegen beanspruchen grossere 
Bedeutung. Sie werden nicht zum ersten Male hier ausgesprochen, 
sondern wurden schon vor einigen Jahren von Wttrtemberger*} 

ans dem Studium der Ammoniten abgeleitet. Auch dort treten 
die neuen Charaktere vorwiegciul in späterer Lebenszeit auf und 
rttcken dann, im Verlaufe der phylefcischen Entwicklung auf die 
jtingeren Stadien der Outogenesc zurtlck. »Die Veränderungen an 
dem Charakter der Schalen bei den Ammoniten machen sich zuerst 



*) Neuer Beitrag sun geologiscben Bewdiie der Darwin'tehen Theorie. 
AiieUnd 1873, No. I tt. 2. 



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Ontogenese und Morphologie der 8pliiDgiden-Zeicfanung. 69 



saf dem letzten Umgange bemerUicli, beiden nachfolgenden 
Generationen aber schiebt eich eine solche Yeribidemng nach nnd 
nach immer weiter gegen den Anfang des Spiralen Gehlhises fort, 
bis sie den grOesten Tfaeil der Wiadongen beherrscht.« 

Ganz in demselben Sinne werden anch die Fille an£rofiu»en 
sdn, welche Nenmayr nnd Panl kttnlich ttber gewisse Heia- 
nop^-Formen aas den Paladinensehichten WestslaToniens mitge- 
tbeilt haben. Bei H. recurrens sind die lotsten Windnngen der 
Schale glatt« ein nener Oharakter, die kleinen oberen Windnngen 
aber tragen larte Bippen , wie deren die nnmittelbaie Stammform 
anch anf der letzten Windung besass, das Embiyonalgewinde zeigt 
sich wieder glatt nnd die Verfksser glauben (aus andern Orttnden), 
dass die weiter zumckliegende Stammform ein glattes Gehäuse be- 
sessen habe. 

Hier nnd bei den Ammoniten erslhlt uns also gewissermassen 
jede Schale die Stammgesehichte der Art, an ein und derselben 
Schale üadw wir nebeneinander verschiedene phyletische Stufen 
erhalten. Diese BeqnemUeikeit bietet die Baupenzeichnnng nicht 
dar, dennoch aber glaube ich, dass wir durch sie noch etwas weiter 
geflihrt werden und etwas tiefer eindringen kOnnen in die ürsaehen, 
weldie den ümwandlungsrorgSngen zu Grunde liegen, und zwar 
deshalb, weil wir hier das Thier im Leben beobachten und seine 
Lebensbeziehungen genauer beurtfaeilen kttnnen , als dies bei einem 
fossilen Thier mOglieh ist. 

Als ich im Jahre 1873 die Abhandlung Wttrtenberger's 
erhielt, firappirte mich nicht nur die Ueberrinstimmung der von ihm 
gewoonenen Hanptresnltate mit den eigenen, durch das Studium 
äex Banpenzeichnung gewonnenen , sondern fast eben so sehr eine 
IKflvenz in der beiderseitigen Aaslegnng der Thatsachen. 

Dieselbe betrifft das allmälige ZurHckrttcken eines nenen 0ha- 
rzkters von dem letzten Stadium der Ontogenese in die früheren. 
Ohne nähere Begründung nimmt WUrtcnbergcr gewissennassen 
als selbgtrerständlicb an, dass die treibende Kraft, welche das 
Znrttckrticken bewirkt, dieselbe ist, welche nach seiner Ansicht 
den betreffenden Charakter zuerst im leisten Stadium heryorgerufen 
hat: Natnrzttchtn ng. »Die in einem Torgeschrittenen Lebens- 
alter von den Organismen envorbcnen Vcrändemn^en kennen sich, 
wenn es ntltzlicb ist, in der Weise bei ihren Nachkommen 



1 



70 Ontogenes« uad Murphologie der Sphingiden-Zeichnang. 

forterben, dass sie bei den folgenden CSenentionen immer ein kl^ 
wenig Mher anftreten, alt bei den ▼arbergeiienden.c 

GlewisB iSsit es sieb tbeoretiaeb eebr wobl denlien, dan ein 
nenerworbener Charakter, wenn er aaek fttr die Mkeren Steden 
nttteHch ist, allm&lig auch anf diese übertragen werden kann, indem 
in diesem Falle stete diejenigen IndiTidnen am meisten Anssicfat 
bitten, sn Überleben, bei welchen derselbe am frühesten auftritt 
Alldn in der Entwieklnng der Baupen-Zeiehnung sebeinen mir 
Thatsaeben Tonaliegen, welche beweisen, dass ein solehes 
Znrilekrttcken der neuen Ckaraktere bis zn einem 
gewissen Grad nnabhftngig ist rem Notsliehkeits- 
prinoip, dass es daher anf eine andre Ursache zn- 
rttckgefllhrt werden mnss: anf die Bildnngsgesetae, 
welche innerhalb eines jeden Organismus walten. 

Wenn wir bei der Raupe yonDeil. Elpenor sehen, dass die 
beiden Angenflecken, welche snerst anf dem nerton und fünften 
Segment sich bilden, später als schattenhafte Andentongen ohne 
jeden biologischen Werth auch auf den übrigen Segmenten erschei- 
nen , so wird Niemand dies Anftreten dnrch Natonllchtnng erUHren 
wollen. Man wird Tielmehr sagen , dass bei segmentirten Thieren 
die Neiguig Torhanden ist, die glichen Charaktere anfallen Seg- 
menten EQ wiederholen vnd dies will wiedemm nichto Anderes 
sagen, als dass innere BildnngsgesetM an solcher Wiederholnng 
des nenentotandenen Charakters nOthigen. 

Die Existenz solcher von NatnrsUchtnng nnabhSngiger Bil- 
dangsgeselse steht also fest and wird ja aach nicht bestritten 
(Correlation, Darwin). Dass aber in dem Torliegenden Fall 
derartige innere BUdnngsgesetze das ZnrnokrOcken der neuen Cha- 
raktere bestimmen, scheint mir ans der oben schon in andenn Sinne 
angeftihrten Thatsaehe henrorsugehen, dass in manchen FUlen 
Charaktere, welche bei dem erwachsenen Thier entschieden nüta- 
Keh sind, in jugendliche Stadien zurnckrllcken, wo sie höch- 
stens indifferent, gewiss aber nicht ntttslich sein 
können. 

So die Scfarigstreifen der Smerinthns-Raopen. Bei der 
erwachsenen Baupe ahmen sie, wie spiter genauer begrOndet werden 
soll, die Blattrippen nach und bewirke in Qemeinsehaft mit der 
grttnen Omndfliri)nng, dass diese Baupen anf ihrer Nahrungspflaaie 



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1 



OBtogMMW und Hoiphologie der Spbinglden-Z«ichnung. 71 



nur sehr fehwer la entdecken sind; der Büek gleitet Uber sie weg, 
ud man erkennt gie ab Tkier ent dann, wenn man gie infilUig 
genau fizirt. 

Nnn treten aber diese Sehriigstreifen hei allen mir bekannten 
Smerinthns-Baapen schon im sweiten, ja znm Theil schon im 
ersten Stadium aaf , d. h. bei Räupchen von 0,7 — 1 Cent. Länge. 

Die Schräg:streifcn stehen hier viel dichter uebcneiDander, als die 
Rippen irirend eines Blattes an Weiden, Pappeln oder Linden, von 
einer Nachahmung dieser Blätter kann also keine Rede sein. 

Allerdings aber werden die jungen Räupchen durch die Schräg- 
streifen auch nicht etwa auffallender, da sie Uberhaupt nur bei 
tehailNu Zusehen zu erkennen sind. Darin muss der Grund liegen, 
warum dieselben nicht durch NaturzUchtung entfernt worden sind. 

Ich möchte sonach die eigen tbiimliche £racheinuag des Bäck- 
Schreitens nenerworbener Charaktere etwa so formulircn ; Ver- 
ändernngen, welche in späteren Stadien der Onto- 
genese entstanden sind, haben die Tendenz, sich im 
Lanfe der phyletischen Entwicklung nach rückwärts 
auf die jüngeren Stadien zu übertragen. 

Die oben mitgetheilteu Entwicklungsdaten liefern zahlreiche 
Belege dafür, dass diese Uebertragung allmälig, schritt- 
weise nnd zwar in denselben Schritten geschieht, 
welche dio erste Feststellnng des neuen Charakters 
im Endstadium der Ontogenese herbeiführten. 

Wäre dieser Satz nicht richtig, so würde mit ihm die Ontoge- 
nese sehr viel von ihrem Interesse für uns verlieren. Es wiire dann 
nicht mehr thunlieh , aus dem ontogenetisehcn Entwicklungsgang 
eines Organs oder eines Charakters auf dessen rhylogeuesc zu 
schliessen. Wenn z. B. die AugcnHeeken der Chaerocampa- 
Raupen, welche im reifen Alter erwtubeu worden sein müssen, im » 
weiteren Verlauf der pliylotisclicii Entwicklung zwar nach rück- 
wärts in jüngere Stadien der ( »utogenese geschoben worden wären, 
aber nicht in ihren primitiven Anfängen als Ausbuchtungen der 
Subdorsallinie. sondern gleich als fertige Augenflecken, so würde 
uns ihr Erscheinen über das Wie ihrer Bildung keinen Aufschluss 
geben können. 

Es ist nun aber Allen, die sich mit Entwicklungsgeschichte 
irgend einer Thiergruppe beschäftigt haben , sehr wohl bekannt, 



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72 Onlograne und Morphologie der Sphtngiden«Zeichniuig. 

das8 kein Organ nndkcin irgendwie zusainmeiigegetzterer Charakter 
plötzlich und unvermittelt in der Ontogenete auftritt und da nun 

andienells gewiss sclu int , dase Ncucmngen oder Weiterentwick- 
lungen bereits vorhaudner aber noch einfacher Charaktere vorwie- 
gend im EndBtadium der Entwicklung vor sieh geheOi so wird man 
also zu dem obigen Sohlos» geführt und zwar noch mit der Modifi- 
cation, dass ncnerworbene Charaktere in dem MasRe 
nach rückwärts verschoben werden, in welchem sie 
doreh noch später hinzutretende Charaktere gewis* 
sermassen ans dem Endstadinm der Ontogenese ver- 
drängt werden. 

Er muss dies ein rein mechanischer Process sein, be- 
ruhend auf jenen innem Bildangsgesetzen, deren Wirkungen wir 
zwar wahrnehmen, ohne sie aber schon näher begründen zu können. 
£r kann unter Umständen durch NaturzUchtung verhindert wer- 
den, so z. B. wenn die jungen Ranpen von Anceryx Pinastri 
die eigenthUmliche Gitterzeichnnng der erwachsenen Raupe nicht 
annehmen, weil sie vemiuthlich durch ihre Anj)assung an die grü- 
nen Tannennadeln besser geschlitzt sind , als sie es sein wUrden, 
wenn sie das auf bedeutendere KOrpergrösse berechnete Kleid des 
letzten Stadiums trligen. 

Das Zurllckrllckcn der iicucrworbcncn Charaktere kann ver- 
muthlieh auch beschleunijrt werden , wenn diese Charaktere auch 
für das jünfrero Stadiuni von Nutzen sind, allein es geschieht 
gänzlich unabhängig von irgend welchem Nutzen 
auch dann, wenn die Charaktere indillercnt sind, 
veranlasst Icdi gl icli durch innere ßildungsgesef zc. 

Dass in der That neue Charaktere vorwiegend im 
letzten Stadium der Ontogenese auf treten, das lässt 
• sich auch an der Kani>cn/.eichnung nachweisen. 

Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass neue Charaktere 
überhaupt im ganzen Tliicrreich stets nur im Endstadiuni 
der Ontogenese auftreten könnten, \ielmchrhat Haeckel voll- 
kommen Hecht , wenn er die AD[>assung8fähigkeit der Organismen 
auch der Zeit nach für unbeschränkt hält, rniwandluugcn 
können unter Umständen zu jeder Zeit der Entwicklung eintreten 
und grade die Insekten mit Metamori)liosi' . deren I^arven so weit 
von den Imagiues abgewichen sind, liefern den Beweis dafUr, dass 



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Ontogenese und Morphologie der iSphingiden-Zeichnung. 73 



Meh frohere Stadien sich gänslich omgestalten kitnnen. Was hier 
behauptet wird, ist nur dieses, dass innerhalb der Ranpen- 
entwicklnng nene Charaktete' in der Regel erst bei der ansge- 
waehsenen Raupe hinxokommen. 

Einmal ISsst sieh schon die mit dem Alter der Ranpe 
so hftnfig annehmende Gomplication der Zeichnung 
kaum anders denten, als dass stets am Endstadiam der Ontogenese 
die nenen Charaktere hinzageftigt wurden. Dann aber kSnnen wir 
in einzelnen FlÜlen die Natur gewissermassen auf der That ertappen, 
wie sie grade im Begriff ist , einen neuen Charakter wenn auch noch 
mit .einiger Unsicherheit, hinsusnftigen. 

Ich denke dabei an die blutrothen oder rostrothen 
Flecke, welche hei drei Arten Ton Smerinthus-Raupen im 
fetsten Stadium in der Umgebung der Schiügstreifen Toikommen. 
Es wurde oben geidgt, dass dieselben als die ersten Anftnge jener 
linearen farbigen Säume ansusehen t&od, welche erst bei der Gat- 
tung Sphinx zu yoUer Entwicklung gelangen. Sie sind bei 
Smerintbus Tiliae bei einzelnen IndiTiduen audi bereits zu- 
sammengeflossen und stellen einen , wenn auch noch unregelmäs- 
sigen Faibensanm dar. fiel Sm. Populi bleiben sie immer auf 
dem Fleckenstadium stehen, kommen aber bei vielen Individuen 
vor, während Sm. Ocellata nur sehr selten fleckig ist und Sm. 
Querens niemals Flecken henrörzubringen scheint 

Allerdings zeigen sich nun die Flecken sowohl bei Sm. Tiliae 
als Populi nicht ausschliesslich im fttnften (letzten) Stadium, son- 
dern auch schon im vierten , zuweilen bei Populi sogar schon im 
dritten und man kSnnte daraus schliessen wollen, dass der neue 
Charakter nicht bloe im Endstadium zuerst aufgetreten wäre , alldn 
die meisten der gefleckten Individuen erhalten die Flecken erst 
im fünften Stadium, unreine Hinderzahl von ihnen schon im 
vierten. Man wird also das gelegentliche frtthere Auftreten der 
Flecken schon als ein ZurttckrOoken des im ftlnften Stadium erwor- 
benen Charakters auslegen müssen. Uebrigens stehen sieh das vierte 
und ftlnfte Stadium der Ranpen sowohl was QrOsse und Lebens- 
ipeise, a^ Beziehung zur Aussenwelt anlangt, als in Bezug auf 
die Zeichnung sehr nahe, so dass zu erwarten ist, dass hier neue 
Ghaxakleie des ftlnften Stadiums, sofern sie auf Anpassung 
beruhen, sehr Schnellauf das vierte ttbertragen werden. Es wäre 



74 Ontogenese und Morphulugie der Sphingiden-Zeichuuiig. 



dieB ein FaU toh Bei^ktmigniig des dnnsh innere Unaehen be- 
dingten Voiganges dnieh Natnnttehtong. Wanun die Verlnde> 
rangen Torwiegend erat im leisten Stadivm eintreten, dieee Frage 
hfingt aufs Geuaneste mit der andern nach den Uiraehen der Ran- 
penaeielmnng ttberliaapt insammen nnd kann desludb erst spttter 
nnteranolit werden. 

Wenn wir aber hier im Vorana einmal an& Oradewohl die An- 
nahme machen wollen, alle wirklich neuen Zeiehnnngecharakteie 
beruhten auf Anpaasong an die Lebensbedingungen nnd entstünden 
durch Natorsttchtnng, so wOrde es nicht echwer sein, aus dieser 
Yoranssetznng den Sehluss abzuleiten, dass diese neuen Charaktere 
vorwiegend im letzten I^ebensstadium snerst auftreten rnttssen. 
Zwei Umstttnde sprechen daHlr: die GrOsse des Thiers und 
die längere Dauer des letzten Stadiums. So lange die 
Raupe so klein ist, dass ein jedes Blatt eie vielfaeh deckt, bedarf 
sie wohl aar einer guten Anpaf^sung der Färbung, um bo vollkom- 
men verborgen zu Rein, uU es tlberlinupt mnglicli ist, abgesehen 
davon, dass auch viele ihrer späteren Feinde sie jetzt der Nach- 
Btelhing noch nicht für werth halten werden. Dann aber dauert 
aach das h tzte Stadinm bedeutend länger, als jedes der vier 
vorheigehenden ; beiDeilephila Euphorbiae beträgt es zehn 
Tage, gegenüber einer Dauer von vierTagm der übrigen Stadien, 
bei S ph i n X L i gustri ebenfalls aehn Tage gegenüber sechs Tagen 
der übrigen Stadien. 

Die Raupe hat also in dem Kleide ihres letzten Stadiums längere 
Zeit die Gefahr zu überwinden, von Feinden entdeckt zu werden 
und da sie zugleich auch zahlreichere Feinde hat und ihrer viel 
bedeutenderen Grösse halber weit leichter gesehen wird, so 
lässt es sich wohl begreifen , dass eine Aenderung der liCbensbe- 
dingnng, z. B. die Uebersiedeluug auf eine neue FutterpÜanze vor 
Allem die Anpassung der erwachsenen Banpe zur Folge haben 
wttide. 

Es wird sich nun in Folgendem leigen , in wie weit die hier 
gemachte Voraussetzung, dass aUeZeiehnnngscharaktereanf Natur- 
sttchtung beruhen, richtig ist. 



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Ont4i8eDe8e und Murphutugie tlvr i>pbingidea>Z«ichniing. 75 



Hl. BitlopiMher Werth der Zeiehnmg. 

Naehdem ieb die Entwicklung der liaupenzeichnang, soweit 
möglich, ilirer ttoeeem Eradieiniiiig nacii beschrieben nnd dann die 
ihr sa Grande liegenden formalen Entwickhmgegesetee daraus ab- 
geleitet habe, gelange idi snr Hauptaufgabe, m dem Versneh, die 
tieferen, bewegenden Ursaehen anikndeeken, welche dieZeichnnng 
flberiiaapt benronrnfen. 

Zwei Möglichkeiten liegen hier vor, dieselben, welohe sieh uns 
in Beang anf die Entwieklong dei oiganisehen Liebens im Oroeten 
nnd Gkuizen darbieten. Entweder die so eigenthttmliehen, ver- 
wickelten nnd ftlr nns scheinbar nnverstilndlichen Charaktere, wel- 
chen wir den Namen dner Zeichnung geben, verdanken ihre Ent- 
stehnng der direkten nnd indirekten Einwirkung langsam sieh 
iDdemder Lebensbedingangen — oder sie entstehen ans rein 
innem, im Oiganismns selbst gelegnen Ursachen, ans einer p hy- 
letisehen Lebenskraft. Ich habe in der Sinleituig schon 
anseinandergesetst, warnm mir grade die Raopenzeichnnng ein so 
besonders gttostiges Object zur Entscheidung dieser IVsge an sein 
schieD, oder genauer warnm mir in Besog anf dieses Object grade 
die Entscheidung leichter mOglicfa su sein schien, als in Beeng anf 
andere. Ich will es hier nicht wiederholen. 

Die gaaae Untenuebung wttre von mir nicht angestellt worden, 
wenn ich su Deiyenigen gehörte, welehe sich von vornherein snr 
Allmacht der NatansBohtnng bekennen , wie zu einem Glaubens- 
artikel oder einem wissenschaftÜchen Axiom. Eine Frage, die nur 
auf indnctivem Wege einer LOsung sich nähern kann, darf unmO|^ 
lieh nach den ersten Proben , die gttnstig fttr dieses Frincip aus- 
fielen, nun ab gelöst und weitere Proben als tlberflilssig angesehen 
werden. 

Gewiss hat die Annahme einer geheimnissvoll* wirkenden 
phyietischen Kraft ftlr nnsera nach Erkenntniss strebenden Geist 
etwas sehr UnbeiHedigendes; jedenfidls ist dieselbe aber nicht 
dadurch als widerlegt anzusehen, dass man die Entstehung 
Hunderter von Charakteren anf Natunichtung zurttckftlhren 
kann, die vieler anderer anf direkte Einwirkung Süsserer 
LebenriMdingnngen. Soll die absolute Abhängigkeit 
der Entwicklung der organischen Welt von den 



7ö Onto^eueae und Morphologie der SphingideD-Zeicbaung. 

EinflttsBen der Anssenwelt nacbgewieflen werden, so darf 
man niehC blos beUebige Charaktere bier jind dort heran^greifen, 
wie sie sieh grade für die Brklilnuig am besten snginglieh zeigen, 
sondern man mnss vor Allem den Vennch maehen, s&mmt» 
liehe Charaktere einer bestimmten, wenn aneh klei- 
nen Erseheinnngsgrappe Tollstftndig auf die uns be- 
kannten Umwandlnngs-Faktoren snrttekziiftthren. Es 
wird sich dann leigen , ob dies mOglich ist, oder ob ein ans den 
bekannten Prindpien nicht eiklirbarer Best bleibt, der dann znr 
Annahme einer im Innern der Organismen liegenden Entwickhinga- 
kraft zwingen würde. Jeden£ülslässt sich die »phyletische Lebens- 
kraft« nor dnroh Eliminirang beseitigen, dnreb den Nachweis, 
dasB aUe ttberhanpt vorkommenden Charaktere der betreffenden 
ErscheinnngBgmppe auf andere Ursachen znrllckgeftüirt wer- 
den müssen , dass somit ftlr die voraosgeselie phyletische Lebens- 
kraft Nichts in thnn ttbiig bleibt. Daraus wttrde die Negimng der- 
selben mit Nofhwendigkeit folgen, da man anf die Anwesenheit 
einer Kiaft nicht daraus sehliessen kann, dass sie kdnerlei Wir- 
kungen ausübt. 

Es soll also hier ein solcher Versuch gewagt werden und zwar 
an der Erscheinungsgruppe der Baupenzeiehnung, spedell der 
Sphingiden-Zeidmung. Die Alternative i welche zu entscheiden 
wilre, lautete demnach : Ist die Baupenzeiehnung ein ur- 
sprünglich rein morphologischer Charakter, hervor- 
gerufen durch rein innere Ursachen, durch eine 
phyletische Lebenskraft, oder ist sie lediglich die 
Beaktion des Organismus auf Äussere Einflüsse. 

Die LOsnng dieser Alternative wire dadurch anzustreben, dass 
man versuchte, alle vorhandnen Zeichnungs-Elemente auf eine der 
bekannten Umwandlungs-Ursachen zurückzuftihren und das Ge- 
lingen oder Misslingen dieses Versuchs würde die Entsehddung 
geben. 

Die erste Frage, deren Losung in Angriff zu nehmen wäre, 
ist offenbar die, ob die Elemente der Sphingiden- Zeichnung 
wirklich sind, was sie anf den ersten Blick zn sdn scheinen: 
rein morphologische Charaktere. Sollte sieh herausstel- 
len, dass sie alle ursprünglich eine biologisdie Bedeutung 
besitzen, so müssten sie von Natnrzüchtnng abgeleitet werden. 



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OntogeneM nnd Morphologie der Sphingiden- Zeichnung. 77 



Wenn ich nnn dam sehreite, den biologisehen Werth der 
Banpen- nnd speeiell der Splüngidemeichnmig festsosleUen» um 
anf dieae Weiae zu einem RttokBehloes auf die Ableitbaikeit der- 
selben Ton Natusttchtong zu gelangen, so wird es nnvenneidlleh 
sein, auch die Totalfftrbnng der Ranpen in die Untersnohung 
beraunudehen, weil der Werth der Zeichnung sehr häufig nnr 
in einer VentSrfamg der Wirkang der Farbe bemht nnd nicht ver- 
siaaden werden kann, ohne Versttndnisa dieser; nieht seilen anch 
seheint die Wiiknng der Zeiehnnog der der FSrbong an wider- 
sprechen, ja sie gradean wieder an&nheben, so daaa beide Faktoren 
nothwendig gemdnsam betrachtet werden müssen. 

Ich begfame mit der Untersnchnng der Total -Firbnng nnd 
laaae darauf die der Zeichnung folgen. 



Biologischer Werth der Färbung. 

Schon oft ist anf die grosse Verbreitung sohnfaender Fllrbun- 
gen bei Raupen hingewiesen wonton und es ist nicht meine Absicht, 
dies im Einseinen hier in wiederholen. Aber inr Beurtheilnng der 
Wirkung der Zeichnung ist es gut, sich su erinnern, wie sehr 
bei diesen TidTerfblgten, meist wehrioaen und also sehr schuta- 
bedürftigen Thieren die allerrersehiedensten Mittel Anwendung ge- 
fluden haben, um sie tot ihren Feinden einigennassen sicher su 
stellen. 

Schttliead gogen feindliche NadistelluBgen wirkt die Bedeek- 
nng mit stachligen Dornen, wie sie den Baiqpen vieler Tsg- 
falter (Vanessa, Melitaea, Argynnis- Arien) zukommen, 
nnt Haaren, wie sie yiele Spinner besitzen (die sog. Bäreoraupen) 
oder mit langen, steübn Stacheln , wie sie bei den meist tropi- 
schen Dana! den vorkommen. Schutzmittel — wenn auch in 
etwas andenn Sinne — sind dann die anfTaUeod geftrbten (gelb- 
roth), einen stinkenden Saft absondernden Drttsenschläache, 
wie rie bei allen Arten aus der grossen Familie der Papilionidcn 
den Raupen im Nacken Terboqpen sitzen , um dann plötzlich zum 
Schrecken des Angreifers hervoigescbnellt zu werden, oder wie sie 
bei den Raapen der Spinnergattung Harpyia in der langen 
Schwanzgabel liegen (daher der FopulKmame »Gabelschwime«], 



78 



OntogencM und Morphologie der Sphingiden-Zdebnuag. 



um dann in ähnlicher Weise {rftftelich hervor/aschiessen. Viel ver- 
breiteter noch als die TnitB- nnd Schreokmittel , sind aber an- 
passende Fttrbnngen und Formen verbunden mit bestimm- 
ten Lcbcusgewohuheiten. 

So bei dcu Uanpen jener Noctuiden, welche das Volk als 
Ordensbänder passend bezeichnet (die Gattung C a t o c a 1 a nnd 
Verwandte : sie fressen das grüne Laub verschiedener Waldbüume, 
aUein nar l>ei Nacht; bei Tage sitzen sie in den Kitzen der Kinde 
am Stamme des Baumes und sind in der Färbung', der eigeuthüni- 
liehen Glätte und dem Glanz der mattgrauen oder l)räunlichenllaut, 
die noch dazu an einigen Stellen mit kleinen HOokern besetzt ist, 
80 vortretflich der Kinde des Baumes angcpasst, dass auch bei 
Kenntniss dieser ihrer Gewohnheit nnr ein Bcharfes Ange sie m 
entdecken vermag. 

Die auffallende Aehnlichkeit mancher Spannerranpen mit 
Hol/stUckchen ist bekannt, und uuch hier kommt eine Gewohnheit 
der Thiere hinzu, um sie unkenntlich in madiai : die Gewohnheit^ 
sich bei herannahender Gefahr steif zu machen und bewegongslos, 
wie ein Stückchen Holz vom Aste abzustehen. Sie erinnern in die- 
ser Beziehung an mehrere Schmetterlings- Arten unter den Eulen, 
z. B. Cucullia Verbasci und vor Allen die Gattung Xylina, 
die in sitzendem Zustand durch Färbung und Zeichnung ihrer Vor- 
dertlUgel einem Stückchen trocknen Holzes frappant gleichen nnd 
die die Gewohnheit besitzen , wenn sie berührt werden , sich fallen 
zu la.«;sen, ohne die FlUgel auszubreiten, die vielmehr die Beine 
anziehen und sich todt stellen. 

Dass einfache sympathiscbe Färbungen eine sehr weite Vcr- 
hreitun^' unter den Kaupen halien müssen, zeigt schon die grosse 
Masse der grün gefärbten Kaupen. Man kann gradezu safrcu, 
dass alle Kaupen, wxlche nicht anderweitige Schutz- oder Trutz- 
Mittel besitzen, sympathisch gefärbt sind. 

Dies ist bekannt. Xicht minder auch die Erklärung, welche 
Wallace Air die l)uutcn und auliällcndcn i^'ärbungen zahlreicher 
liaupen gegeben bat. Neu aber ist der in den oben gegebenen Be- 
schreibungen der Kaupen -EntwickluniT enthaltene Nachweis, in 
welcber Weise der seiner äussern Erscheinung nach bekannte 
l) i ni o r p Ii i s m u s od e r Po ly m o r ph i sm u s d c r Kau p e ji seine 
Erkläi'ung tindet und grade diese Erscheinung ist sehr geeignet, 



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Ontogenese und Morphologie der iSphingiden-Zeicbnung. 



in leigen, einen wie holmi Werth sympatliieehe Fürbnngen Ar 
Baopen bentwn. Es handelt sieh hier om eine doppelte An- 
paBflnng, wenn nneh nidit ganz in der Weise, wie ieh es frtther 
▼ennntlHDigsweise annahm *) . Zn«rst geht ans der Entwieklnngs- 
geeehichte der Sali herrar, dass alle Sphingidem-Ranpen, 
welcheim erwachsenen Znstand dimorph oder poly* 
morph sind, iji der Jngend nnr einerlei Firbnngbe- 
sitxen. So bleiben die Raupen des Weissohwürmers Chaero- 
eampa Elpenor alle grttn bis in das vierte Stadium, dann aber 
werden die meisten von ihnen dnnUer oder heller bimnn, nnr sehr 
wenige behalten die grttne FHrbnng. Ganz ebenso rerhAlt sieh 
Ch. Porcellns nnd die iwarnidit nahe Terwandte, aber an den 
gleiehen Orten nnd der gleichen Nahrangspflanse lebende Ptero- 
gonOenotherae. 

Auch bei dieser Art kommt im erwachsenen Znstand die branne 
Form häufiger yor, als die grflne, beide besitzen zugleich eine com- 
plidrte Zeichnung. Die jugendliche Raupe aber seigt nur eine 
hellgrttne Hbrbnng nnd als einzige Zeichnung einen rein weissen 
Subdorsaliitreif. Sie istso gut drai Epilobinm hirsutnin nnd 
rosmarinifolinm angepasst, an dessen filllttem sie lebt, dass 
sie nur sehr schwer zu entdecken ist. 

Nach der dritten Hllutong aber wird sie brann und nun fällt 
sie sehr leicht ins Auge, wenn sie an ihrem Futtcrkraut sitat. 

Bei allen den genannten Ranpen nun nnd die braunen Fär- 
bangen sympn t Iii sclie. nie sind Anpassungen theils au da8 Braun 
des Bodens, tbells an dünc Blätter und Stengel. Sobald nämlich 
die Kaupen eine bedeutmidere Grösse erreicht haben , h a 1 1 e n s i e 
sich am Tage versteckt. Es ist dies eine ganz sichere Beob- 
aehtnng, die nicht nnr hior und da in entoiiiologischen Notizen an- 
gegdMO wird , sondern too deren Richtigkeit ich mich selbst oft 
ttt»erzengt habe. Besonders von Ch. £lpenor ist mir aus frühe- 
rer Zeit sehr wohl erinnerlich, dass die erwachsene Raupe bei, 
Tage stets ganz unten an den dürren Acstcn und welken Blättern 
der strauchartigen vielästigen Nahrungspflauze , dem E p i 1 o b i u ni 
hirsntum sitirt, und auch, wenn dieselbe an dein ganz niedrigen 
Epilobinm parviflorum lebt, verkriecht sie sich bei Tage in 

*) Siehe die Sobitfk : Ueher den EinfloM der Isolirang auf ^ Artbildnng. 
Lnpdg 1872, 8. 22. 



80 



Ontogenese nnd Morphologie der Sphingiden-Zoohnung. 



dem Blätter- und Stengelgewirr am Boden. Cranz dasselbe ist mir 
von Spbinx ConTolvali bekannt, welche blos deshalb sebwer 
zn erhalten \nt, unch in Gegenden, wo sie sehr hänfig vorkommt. 

Als ich einst in der Nähe von Basel am hellen Mittag eme 
braune Ruape Ton Ptcrogon Oenotherae an einem einzelste- 
henden dUrren Stengel yüu Epilobi nn) rosmarinifolinm fand, 
theilte mir mein Begleiter, der vielerfahrene Schnictterlingsammler 
Uerr Kiggenbach-Stähelin mit, das» diese liaupen sich stets 
am dorren Kraut hielten (bei Tage!), sobald sie brann ge- 
worden seien, wihrend sie vorher nnr am grttnen zn finden 
seien. 

£8 ist also wohl anzweifelhaft, dass die Aende- 
rnng der Färbung mit einer Aendernng der Lebens- 
gewohnheiten einhergeht. 

Welches ist nun al>er das Primäre gewesen? 

Warn die hier vertretene Ansicht richtig ist, nach welcher die 
spätere braune Färbung als sympathische aufzufassen ist , sn moss 
die Art zuerst die Gewohnheit angenommen haben , sich bei Tage 
an der Er^le und am dürren Kraut aufzuhalten, ehe sich die nr- 
sprUiiglieh grüne Färbung durch Katurzttchtung in eine braune um- 
wandeln konnte. 

Und so muss es in der That auch gewesen sein ! 

Besonders jene nahe verwandten Arten vermögen hier einige 
Klarheit zu schaffen, welche im Alter nicht dimorph sind, sondern 
in allen Individuen dunkel gefärbt. Dahin gehört z. B. Dei- 
lephila Vespertilio. Auch bei ihr ist die jugendliche liaupe 
hellgrün nnd sitzt bei Tage wie bei Nacht an den Blättern des 
Krautes , von dem sie frisst. Sobald sie die dunkle Färbung be- 
kommt — nach der dritten Häutung — ändert sie ihre Gewohnheit, 
verbirgt sich des Tags über am Grunde und frisst nur des Nachts. 
Sie wird deshalb auch von den Samndem am liebsten des Abends 
gesucht oder aucli Nachts mit der Laterne. 

Der lehrreichste Fall ist aber der von Deilephila Hippo- 
phaes. Hier tritt Ubcriiaupt keine Umwandlung der Färbung 
mit dem Alter ein, sondern die Raupe behält das ganze Leben hin- 
durch eine graugrüne Färbung, welche sehr genau der Farlie der 
Blätter des Sanddorns Ilippophae rhamnoides cntsprieht, ;in 
welchen die Kaupe lebt. Nichtsdestoweniger besitzt auch 



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Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. Sl 



diese Art die Gewohnheit, sobald sie eine beden- 
tendere Grosse erreicht hat, nur Nachts in fressen, 
bei Tage sich aber am.Fnsse ihres Wohnstranches sn 
▼erborgen. Es wird ansdrtteUieh Ton den Sammlern angegeben, 
dass man diese Banpe bei Tage kanm finden kOnne nnd empfohlen, 
sie des Naehts mit der Laterne sn suchen. 

Daraus mnss denn wohl geschlossen werden, dass 
die Gewohnheit dieser nnd anderer verwandten Ran- 
pen, sich bei Tage zn Terbergen, angenommen wnrde, 
als sie noch die Farbe derBUtter besassen, nnd dass 
die Anpassung an die Farbe des Bodens oder dttrren 
Lanbes und trockner Strttnke erst sekundär er- 
folgt ist. 

Warum aber nahmen diese Baupen eine solche Gewohnheit 
an, da sie doch durch ihre grüne Farbe auf den BUIttem ToUkom- 
men geschlUst su sein sdhienent 

Die Antwort ergibt sieb leicht, sobald man sich umsieht, bei 
welcherlei Baupen diese Gewohnheit überhaupt YOifcommt. 

Findet sie sieh etwa nur bei den ADgehörigen der einen Gat- 
tung D e i 1 e p h i 1 a , und bei allen Arten dieser Gattung? 

Die8 ist keineswegs der Fall. Einmal zeigen mehrere Deile- 
phila-Arten die Gewohnheit nicht, so D. Euphorbiae, Galii, 
Kicaea, Dahlii nnd dann kommt sie auch bei Arten anderer 
Gattungen vereinzelt vor. So bei ^iacro^^lo.sBa Stellatarum, 
bei Sphinx Convolvuli, bei Achcrontia Atropos. 

So mass denn also wohl diese Gewohnheit eine Folge von be- 
stimmten äaesem Lebensverhältnissen sein , welche allen diesen 
Tagschläfem gemeinsam sind. Gemeinsam ist ihnen nun Allen das 
Leben nicht anf Bänmen mit grossblättrigcm otler doch dichtem 
Laubwerk, sondern anf niedrigen Kräutern oder höchstens auf 
kleinblättrigen nnd bUUtcrannen Sträuchem , wie dem Sanddom. 
Ich glaube nicht zu irren , wenn ich die Gewohnheit der erwachse- 
nen Banpen, bei Tage sich zu verstecken, davon herleite, dass 
die grttne Farbe sie nur ro lange schützt, als sie 
klein sind, oder genauer, als ihre Grüsse die eines Blattes oder 
Stengelstttckes der betreffenden Xahrungspflanze nicht erheblich 
tiberschreitet. Sobald sie bedeutend grösser werden, 
mttssen sie trotz ihrer sympathischen Färbung auf- 

W«iim»aii, Stadien. U. $ 



SS Ontogenese und Morphologie dur Sphingiden-Zeichaung. 

fallen. So war esdenn too Nuten fkir aie, aidi bei Tageswmek- 
Beiielie&imd ninr bei Nadit n freeeen ond rie ttieten dlee nd dran 
dieenoeli, nveh wenn die eeknndilre Anpastnng mn die 
Farbe dee Bodens ete. nooh nieht eingetreten iet 
Diee lehrt nne die stets grin gefilrbte D. Hippopbnes «nd niekt 
minder die grttne Foimder erwnehsenen Banpen von Spfainx 
ConYolTttli» Deil. Elpenor und Poreellns, d«m alle diese 
▼ersteeken skdi bei Tage ebenso gnt als ihre branngeftibten Art- 
genoasen. 

Man könnte mir einwerfen, dass es — wie ich selbst schon 
Bolehe angeführt habe — Sphlai^den-Ranpen gibt, welche anf nied- 
rigen kleinblättrigen Pflanzen leben nnd dennoch bei Tage sich nicht 
Terbergen. Eiuc solche ist z* B. Deil. Euphorbiae, die in 
vielen Thailen Deutschlands so gemeine Wolftmüchranpe. Diese 
fiaupe muss aber zu denjenigen gereehnet werden , welche , sei es 
wegen schlechten Geschmackes oder ans einem andern später SU 
erörternden Grunde von VOgdn und andern grösseren Feinden ver- 
schmäht werden, zu jenen, von welchen Wallacc gezeigt hat, 
dass es ihnen Vortheil bringt, möglichst auffallend gefärbt zu sein. 
Ich werde später bei Besprechung des biologischen Warthes der 
Zeichnung darauf zurückkommen. 

Anf der andern Seite aber lässt sich aus den Lebensverhält- 
nissen der auf dicht belaubten Bäumen oder Bttschen lebenden Rau- 
pen sehr wohl yerstehen, dass sie die Gewohnheit bei Tage zu ruhen 
und vom Baume herabzusteigen, nm sich zu verbergen nicht ange- 
nommen haben. Sie sind durch ihre grline Färbnng zwi- 
schen grossen und zahlreichen Blättern hinreichend 
geschützt und ich werde später zu zeigen haben, das.s die Zeich- 
nung, welche sie an sich tragen, diesen Schutz noch vermehrt. 

So beruht denn der Di- oder Polymorphismus 
der S p Ii i n g i (l e n - H a u p e n nicht auf einer g l e i c h z e i - 
tigen dopi)elteu Ani)assung. sondern auf der Ver- 
drängung einer alten F a r b c u - A n p a s s u n g durch eine 
neue und bessere, somit auf einer successiven dop- 
pelten Anpassung. Die erwachsenen Itaupen von D. Elpeuor 
sind nicht deshall) theils braun, theils t^TÜn. weil sich ein Theil von 
ihnen den Blättern . ein anderer Thcil dem Boden angepasst hat. 
sondern deshalb, weil die altererbte grUue Färbnng noch 



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Ontogeaeta und Blorphologie der SplüügideiipZaioluiaag. 



nicht TolUtftndig dareh die neuerworbene braune 
beseitigt nnd verdrängt ist, weil einzelne:Individnen 
die alte gr^ne Färbung noch beibehalten. 

Wenn ich früher*) schrieb, »dass eine Art aicJi aof difite oder 
jene Weise den gegebenen Lebemrerhiiltniaeen anpassen kann nnd 
es keineiwegs blos je e i n e bestangepasste Form für jede Art geben 
mnse« so ist dies zwar theoretisch und im Allgemeinen wohl richtig, 
nicht aber in seiner Anwending auf derartige Fälle. Denn eine 
Vergleichnng der bei Tage nihendeD Sphingiden-Raapen zeigt deat*> 
lidi, dass bei Allen die Tendenz vorhanden ist die grttne Farbe el^ 
■ zalegoi nnd eifie düstere dafür aaznnehmen, nur dass dieser 
Process der Verdrängung des Grünen bei der einen 
Art weiter vorgeschritten ist, als bei der andern. 

Es ist nicht ohne Interesse, dies im Einzelnen zu verfolgen, 
da wir dadurch einen Einblick erhalten in die Vorgänge, durch 
welche Polymorphismus überhaupt entsteht, sowie in den Zn- 
sammenhang zwischen diesem und blosser Variabilitilt. 

Koch nicht begonnen , oder doch noch in den ersten Anfängen 
betindet sich der Process bei Deil. Hippophaes. Wenn man 
den Angaben der Autoren trauen darf, so kommt neben der gewöhn- 
lichen grünen Form noch eine i^cltcnc silbergrauc vor und diese 
uiüsste dann als der Beginn eines Uuilarbangsprocesses aufgefasst 
werden. Mir selbst ist diese Form weder unter den 35 lebenden 
Exemplaren vorgekommen, welche ich mir von dieser seltenen Art 
verfichaften konnte, noch habe ich sie in Sammlungen gefunden. 

Bei Macroglossa .Stellatarum sehen wir sodann den 
Umwandhingsprocess in vollem Gange. Eine grosse Menge von 
lüdividucu ist noch grün , etwa 35 % ; die Anzahl der dunkelge- 
färbten beträgt 46'* o? Uberwiegt also bereits, und zwischen beiden 
Extremen stehen etwa 19^ „ l'ebergangsformen, welche allen mög- 
lichen Nuancen zwischen Hellgrün und Dunkelschwarzbraun auf- 
weisen, ja selbst ins Braun-Violette und in einzelne Individuen 
selbst ins Rein- Violette hinliberspielen siehe die Abbildungen Fig. 
3 — 12 . Dass diese Zwischenformen der Kreuzung ihr Dasein ver- 
danken, lässt sich aus ihrer relativ geringen Anzahl schliessen in 
Verbindung mit der Thatsache, dass alle 140 Individuen meines 

*) Ucber den £iiiflu» dar UoUrung auf die Artbildung. Leipiig 1872. 
Seite 21. 

6» 



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84 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



YerniGhs von einer Mntter al»gtammten. Znm Ueberflnis würde ee 
noeh der oben im Einzelnen «ngefllhrte Fall beweisen, in welchem 
eine Raupe grOn nnd brann §^heel(t war (Fig. 9). 

Wie dort beieita angedentet wnrde, wird der Procets in der 
Weise YorrScken, dass die Hittelformen relatiT ab-, diednnkefai 
individtten relativ annehmen. 

So ibden wir es bei Sphinx ConTolvnli nndfitftingans 
gleicher Weise bei Ohaerocampa Elpenor. Bei beiden Arten 
sind die grttnen Ranpen die seltneren*). Eigentliohe Mittelformen 
swisehen ChrOn nnd Brann kommen nicht mehr vor , wohl aber ziem- 
lidi Tcrsehiedne Sehattiningen von Brann , Hellbrann bis Brann- 
sdiwarz* 

Wiederom etwas weiter vorgerflcl^t ist der Process bei Ohae- 
rocampa Poreellns nnd Gelerio, sowie bei Pterogon 
Oenotberae. Bei allen diesen Arten kommt die grttneFoim noch 

Tor, aber sie U/k so selten, dass wohl nur die wenigsten Sammler 
sie überhaupt gesehen haben. Die braune Form ist also hier bei- 
nahe schon zur Alleinherrschaft gelangt und die einzelnen grUnen 
Individnen, welche znweilen auftreten , können schoA als Bttck- 
' Schlagsformen auf ein ttlteres phyletisches Stadium angesehen 
werden. 

Aehnlieh scheint sich Dcil. Livorniea zu verhalten, eine 
Art, deren Raupe indessen so selten beobachtet wird, dass es schwer 
sein möchte , das Verhältniss zwischen braunen und grttnen ludi- 
vidnen annähernd zu bestimmen. Ich selbst habe nur ein einziges 
grünes Exemplar in der Sammlung von Dr. Staudinger gesehen 
(vergleiche Fig. 62j . 

Gänzlich verschwunden ist die grllne Form bei Deilephila 
Yespertilio, Euphorbiae, Dahlii, Mauretanica, Nicaea 
nnd bei G a 1 i i. Denn das schwärzliche Olivengi'lln, welches manche 
Raupen der letzteren Art besitzen, kann höchstens noch als ein 
Nachklang an das einstige Hellgrün gelten, was beide Arten in 
früherer Zeit an sich trogen , nnd was beide heute noch als Jugend- 
kleid tragen. 



. *) Gtenaue Zahlenaogabeii Aber das Verhiltaim der Tenchiedenen Formen 
in einander kann icli leider niehtgeben, da ich Sph. Convolvuli nie aus 
Slem ertogen hmbe, C h. Elpenor aber nicht in hinreichend groeser AnsahL 



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Ontt^nece und Mo^thologie der Sphingiden-ZeicbnuDg. S5 



Damit Ut denn der ganze FloceM abgeschloeaen. Beginnend 
mit dem Anftreten dnzelner dnnklefer Individnen führte er zoent 
zo groeser VariabllitSt der FSrbnng, welehe durch Seltnerwerden 
der Zwiaehenformen znm Polymorphiunns nnd durch gänzliches 
Ausfiülen derselben zmn Dimorphismus hinttberleitete. Indem nun 
die neue Farbe immer mehr ttberdie alte den Sieg errang, Terdrttngte 
sie dieselbe bis zum yollstilndigen Schwinden und die zuerst va- 
nabeln, dann polymoiphen, zuletzt dimoiphen Baupen der Art, 
kehrten so wieder zurtlek zum Honomorphinnus. 

So sehen wir also hier den Process der Umwandlung unter 
nnsem Augen noch Tor sich gehen und es kann durchaus kein 
Zweifel ttber ^e treibende Ursache derselben bestdien. Sobald ein 
Charakter mit Sicheibett sich als Anpassung herausstellt, be- 
sitzen wir keine, andre Erklärung tfXt seine Entstehung, als die 
durch Natursflchtnng. Wenn aber nachgewiesen werden kann — 
und ich glaube , dass dies geschehen ist — dass nicht nur im All- 
gemeinen die Baupen häufig sympathische Färbungen besitzen, 
sondern dass diese Färbungen sogar während des Lebenslaufes ein 
und derselben Art je nach den äussern Umsttnden wechseln kOnnen, 
so muss dies gewiss eine sehr hohe Vorstellung Ton der Ifacht er- 
zeugen, welche Natursttchtung auf diese Formengmppe ansäht 



Biologischer Werth der Zeichnung. 

Die aufituwerfenden Fragen sind diese : UatdieZcicbnuug 
der Raupen irgendeinen biolo^isclien Werth oderist 
sie gc Wissermassen nur ein Spiel der Natur? lässt sie 
sich demnach ganz oder theilwei sc durch Natur zUch- 
tung entstanden denken oder hatNaturzttchtnng kei- 
nen Autheil an ihr? 

Die Frage liegt hier klarer und schärfer zugespitzt vor , als 
bei irgend einer andern Formengmppe und zwar deshalb , weil es 
nur ein Entweder — Oder gibt, keine dritte Möglichkeit. Mit 
andern Worten ; Wenn es nicht gelänge, eine bestimmte, biologische 
Bedeutung der Baupen - Zeichnung^ nachzuweisen , so wUrdB zu 
ihrer Erklärung nur die Annahme einer phyletischen Kraft ttbrig 



86 



Ontogooese und Moiphologie der Sphingideii-Zeicfaiittng. 



btoiben, dran £e ErUlnmg dueh direkt« EfawManig der 
Avnenweh kam ftr eine«» geeetaBHesige flntwickliiigifelke ?ra 
Fornen nicfat geiAgeB und die ErkUruDg dnreh eezselle Ztteh- 
tnng bl«iliC Ider von TonilierBin «mgeseldoiMB, da wir es odl 
Larven, mit.nielit fortpflansnngsfihigen Thieien n 
dran haben. 

Die biologische Bedentang der Zeiohmmg wird lioh — falls 
sie llberhaapt Toriumdra iet — «n leiohteefen dadoek ef^ittnden 
lassen , dass man Arten nnd ZniObide mit gleidier Zeiehnnng anf 
iigend eine QemelnBamkett der LebensveikSltDisse prVft, die so- 
dann einen Bneksohhiss anf die Bedeitong der Zeiehnnng mOg^- 
lieherweise. gestatten wird. 

Wir findra bei den Sphingiden vier Hanptformen der 
Zeiehnnng. 1) GinslieheAbwesenheit-jederZeielmBng; 
2) Lftngsstreifen; entweder eine einfhebe Snbdosailüniei oder 
daneben noeh StigmastreUbn nnd einen Dofsalstreif ; 3) Sehrig- 
streifen; 4) Angenfleeken nnd Ringfleeken einzeln, paar- 
weise oder in ganien Beihra angeordnet. 

Sehen wir nns nra nm , liei weichen Artra «Oese vier ZcSck- 
nnngs-Kategorien 1ll»eihanpt rorkommra nnd iwar nieht nnr in der 
Idefaien Gruppe der Sphingiden, sondern in der ganien Qntamg 
der SehmetterUnge, so eigibt sieh Folgendes. 

1} Gänzliche Abwesenheitder Zeichnung, beiden 
Larven andrer Insekten z. B. der Küfer, so hftnfig, findet sieh bei 
Schmetterlingsnmpen nnr selten. 

Dahin gehören einmal alle Arten von Sesien, (der Gattungen : 
Sesia, Trochilia, Sciapteron, Bembecia), derra Banpen 
ohne Ausnahme weisdieb oder gelblich gelMit sind nnd im Innern 
der Zweige von Bäumen nnd Stiünchem zom Tlieil aneb in den 
Stengeln krantartiger Pflanzen lebra. Dann nnterirdiseh , an den 
Wurzeln der Pflanzen lebende Ranpen, wie Hepialns Humuli 
an dra Waneln des Hopfens nnd II. Lnpulinns an denen von 
liritienm repens. Auch diese cntl)ehron nicht nur jeder ZciehnuDg, 
sondern ancli der FUrbiing. Sie sind gelbliohweiss, wie die vorher- 
gehenden , oflenbar weil sie dem Einflnss des Lichtes entzogra 
sind. DeTnents]n'eehcnd nun^eU die Zeichnung anch den Banpra 
solcher Kleinschmetteriioge, welche wie TortrixArbntana und 
Fomonana im Innern von Früchten oder wie maaoheTineaden 



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OotogWim oad Morphologie der Sphingiden-Zddinttiig. 87 

in tragbireii Säcken leben nnd dieee eind dum tmk ohne lebhafte 
Falben, gewilhnyeh weisslich. 

Aber anch von den aaf der Oberflttefae TonFflanzen fressenden 
Binq>en der KleiDeehmetterlinge bedtoen — soweit meine firfab- 

mng reicht — viele keine Zeichnung in dem oben präcisirten 
Sinne ond zwar sind dies die kleinsten , wie z.B. die grUnliehen, 
in Blättern minirenden Nepticula-Arten. Erst die grosseren Arten 
besitzen Längsstreifen und Sehrägstreifen. Augen flecken kommen 
bei keiner dieser Ranpen vor, ein Umstand der für die biologische 
Bedeatong dieser Charaktere , wie lie aaehhef Tersacht werden 
•oll, von grosser Bedentang ist. 

Die Kleinheit der Ranpen an nnd für sich kann nicht der 
Gnind dieses Mangels sein, denn bei jungen Smerinthus-Räupchen 
von 1 Cent. Länge sind die Schrägstreifen bereits aufs Schönste 
aasgeprägt und die Raupen vieler Kleinschmetterlinge tiberschrei- 
ten dieses Maass bedeutend. Die Oberfläche der Raupe, die 
das Feld darstellt , auf welchem sich eine Zeichnung zu entfalten 
hätte, ist also nieht absolut zn klein fttx die £ntfaltang 
einer solchen. 

Ausser diesen beiden Kategorien — den kleinsten Microlepi- 
dopteren und den im Dunkeln Ichenden Jfaiipen — kommt ein 
völliger Man^'el der Zeichnung nur noch in der ersten Jugend zahl- 
reicher Kaupcn vor. 80 besitzen alle Sphingiden, deren Ent- 
wicklung ich beobachten konnte, unmittelbar nach dem Aus- 
schlüpfen aus dem Ei noch keine Zeichnung. Bei Man- 
chen tritt sie dann freilich schon sehr bald ein, noch vor der 
ersten Häutung, bei Andern erst nach derselben. 

2 Die zweite Kategorie von Z c i ch n u n g e n . die 
Län gsstreifung ündet sich ausserordentlich verbreitet in den 
verschiedensten Familien. Sie kommt ebensowohl bei Tagschmctter- 
lingen , als bei Sphingiden . Spinnern, Eulen nnd Kleinschmetter- 
lingen vor. In allen diesen Gruppen fehlt sie aber auch vielen 
Arten . Dies spricht sc hongegeuihrereinmorpho lo- 
gisch e Bedeutung und 1 ii s s t v e r m u t h e n , sie möge 
irgend einen biologischen Werth, einen Nutzen für 
die Erhaltung des Individuums und damit auch der 
Art besitzen. 

Ich finde diesen Nutzen darin, dassStreifeu, welcheder 



SB Ontogenese und Morphologie der Sphingidea-Z^ebnang. 

LSnge nach Uber die Ranpe hinlaufen, dieselbe im 
Allgemeinen weniger auffallend machen. Natürlich 
nicht unter allen Umständen ! Es gibt auch sehr anffallend gefUrbte 
Baupen, welche Längsstreifen besitzen. Denken wir uns abet 
eine sympathisch geftrbte, z. B. grttne Raupe, so wird diese schon 
allein dadurch schwer sichtbar sein, dass sie mit dem Gründer 
Pflanze Ubereinstimmt, auf welcher sie lebt. Ist es eine kleine 
Kaupe, d. h. llbcrt ri fft ihre Länge und Dicke nicht er- 
heblich die Dicke und Länge der Pflansentheile, an 
welchen sie lebt, so wird sie kaum noch besser versteckt wer- 
den können , eine Streifung würde ihr kaum noch einen besondem 
Yortheil gewähren, es mtisste denn sein, dass die Theile der Pflanze 
auch gestreift wären. Ganz anders , wenn die Kaupe bedeutend 
grosser nnd dicker ist, als jene Fflanzentheile (Blätter, Stengel). 
Jetzt wird auch die genauest angepasste sympathiBche Färbung 
nicht verhindern, dass sie als grosser Körper sich auf- 
fällig von den umgebenden Pflanzentheilen abhebt. 
Einer solchen Kaupe nun muss es entschieden vortheilhaft sein, 
wenn sie streifig wird, denn die Streifen theilen gewissermasseu den 
grossen Knupenkörper in mehrere LUngsstUcke, sie lassen ihn nicht 
mehr als Einheit erscheiucu. und bewirken so noch besser, als die 
blosse sympathische Färbung . dass der Blick darüber weggleitet. 
Dies wird um so mehr der Fall sein, wenn die Streifen in ihrer Farbe 
und Dicke Theile der PHanze nacliahmcn . z. B. die Licht- oder 
Schattenstreifen , welche durch Kanten des Stengels hervorgerufen 
werden oder durch lange und scharfe Blattränder. 

Wenn nun diese Auflassung richtig ist, so mUssen wir envarten 
dass die Zeichnung durch Längsstreifen: 1, den kleinsten 
Kaupen fehlt und 2 sich vornehmlich ])ei solchen 
Kaupen fi nd et . w c 1 c Ii e an 1 än gsge stre i f t c u 1' flanzen 
leben , d. h. an Ptlanzen mit dünnen, zahlreich nebeneinander auf- 
spriessenden Stengeln, grasartigen Blättern oder auch au i^auzen 
mit nadelartigen Blättern. 

Dass das Erste re der Fall ist, wurde bereits ausgesprochen. 
Die kleinsten ^Iicrolc]iulu])teren -Kaupen besitzen keine Längs- 
streifung, auch wenn sie nicht im Dunkeln leben, sondern an der 
Oberfläche, oder in ganz oberflächlichen Hlattgängen(Nepticula etc.), 
iu welchen sie nahezu ebensosehr dem Lichte ausgesetzt sind , als 



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Ontogenese und Moq)holugie der Sphingiden-Zeichnung. 



89 



wam aie «nf der Oberfllche des Blattes lebten. Dass aber sebon 
bei ^anz jangen Spbingiden-Banpcbeii der Snbdorsalstreif inweilen 
anftritty erkÜM sieb — wie oben gezei([^ wurde — aas dem all- 
miligeD Ziiraekrtlekeii der im letsteo Entinddangsstadinm erwor- 
benen Anpassangen. 

Dass anob das Zweite eintrifflrdass liagsgestraifte Raapen sn- 
meist anpflanzen leben, deren Habitos den Eiidmckdner Streifimg 
berrorbfingt, kann man l«ebt festsMlen, wenn man eine grosse 
Beibe sympaüdseb gefllrbter and mit Lingsstieifen yersebener 
Baupen auf ibre Lebensweise Tergleiöht. 

So ist es bei denTagsebmetterlingen sebr auffallend, 
dass beinabe alle Baupen aus der Familie der Salyriden Ittngs- 
streifige Baupen besitzen. Die Thatsaebe erklttrt sidi aber leiebt, 
da alle diese Baupen an Gr&sern leben. 

So dieBaupen der Gattungen Melanargia, Erebia, Saty- 
rus, ParargO} Epinephele, Coenonympba, von denen 
keine einsige Art — soweit die Baupen ttberhanpt bekannt sind — 
die Lingsstrelfen niebt besttsse, aber auch keine Art nicht an 
Gräsern lebt. Interessnnt ist auch, dass hier, wie bei gewissen 
Spbingiden einige Arten braun sind, d. h. dem Erdboden angepasst, 
während die meisten grttn, also dem frischen Grase angepasst 
smd. Ganz wie dort verbergen sich die b ra un e n Arten bei Tage 
am Boden und ganz wie dort haben auch einige der grUnen Arten 
bereits dieselbe Gewohnheit angenommen. Ich habe oben die Ent- 
stehung dieser Gewohnheit von der zunehmenden Grösse der 
waebsenden liaupe abgeleitet, welche es mit sich bringen muss, 
dass die Kanpe trotz sympathischer Färbung und Zeichnung 
schliesslich doch allzu auffällig wird nnd es liegt eine hUbscbe Be- 
stätigung dieser Ansicht in dem Umstand, dass nur die grossen 
Arten der Sat^riden braune Raupen besitzen, so Satyrns Pro- 
serpina. Herraione, Phaedra u. s. w. Es würde mich auch 
nicht Uberraschen , wenn ein genaueres Studium dieser bisher nur 
selten gezüchteten Arten einen Dimorphismus bei Einzelneu der- 
selben ergäbe, in der Art, wie er bei Sphingiden besteht und ich 
glaube mit .Siclierlicif vuraussagcn zu dürfen, dass die noch ganz 
unbekannten Jugendzastäude dieser braunen Kaupen durchweg 
grün sind, wie dort. 

Ausse den Satyriden findet sich noch bei den meisten 



90 OatOgenese und Moipholugie der ^phiogideu-Zeichuung. 



BaapeidarPieridenndHeaperideneiiief gewOlmlid iran* 
. gtr mkvf wgwptofliwiie f Jnffrtwifimg. 

Einige tePi«rideii Mraa tn Orn eiferen, dflien dttnaa 
Stengel, soteeleBtttter, BlOflwnrtengel nnd Sehtton Iwter Utafß- 
linien dantelleni ein andrer Tlieil aber lebt an HUsenpflameD 
(Lathyrns, Lotns, CoroniUa, Vieia), einige Wenige aaeh 
an breitblättrigen finalen (Bbamn ns). 

Diea eebeint der Theorie an widerspreeben. Allein aaeb aaf 
grileieranBlAttemkSnnenbellere Seitenstreifen, wieiieB. B. CoUaa 
Rbamni beeilst niemals lebSdlieb, eondem mir nWaHrilt nein- 
wenn aie also als Erbstttelc ttbemommen worden, wird ftr die 
Natnnlleblang kein Omnd vorliegen, sie wieder n entfernen. Bei 
den an Wicken, Kleearlen nnd dergleichen lebenden Banpen alter 
mms man nicht yergeeeen, daes ihre KahrungspdanBen swar selbst 
keineLKngBStreifungyortäiischen, dass sie aber stets imGrase 
wa 0 h s e n , dass also die aaf ihnen lebenden Banpen stets zwischen 
Oraastengeln sich aaf halten , sehr häufig eogar an Graahahnen 
sitzen, so dass es filr sie keine bener sehtttsende Zeiehnong geben 
kann, als Llagsstreifen. 

Ganz ebenso lässt sich die Streifang der fiesperiden- 
Kaupen verstehen, welche theilweise an Giüsem, meist aber an 
Kleearten leben. 

Es ist nicht meine Absicht alle Schmetterlingsgruppen in die* 
ser Wdse hier durchzagehen. Das Gesagte genUgt wohl, um dar- 
znthan, dass Längsstreifung wirklich U berall da vor- 
kommt, wo man sie erwarten sollte, falls ihr wirk- 
lich die biologische Bedeatung snkommt, welche ich 
ihr snsohreibe. 

Dass sie gelegentlich auch sn einer förmlichen Nach- 
äffnng bestimmter Pflanzenthcile verwendet wird , zeigt 
das Beispiel mehrerer Spanner z. B. Fidonia Spartiaria, 
welche auf Ginster S partium Scoparinm) lebt und deren 
Längsstreifung täuschend die feinen Kanten des Stengels dieser 
Pflanze nachahmt. 

3^ Die Schriigstreifnng. 

Kann es von irgend einem Nutzen für eine grosse . crrilne 
Kaujte, wie / . 15. die von S p Iii n x L i g u s t r i sein, mit lila-wcissen * 
ISchrägstriehen au den Seiten versehen zu. sein:! oder gar mit roth- 



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Ostogeneae und Morphologie der SpUngiden-Zeicbnaog. 91 



■w dMBD , oder irein-MhwBn-iütben SohrSgstridien , wie bei 
Sphinx Tiliae und Drnpiferamm? Und Hegt Uer nielit 
gnde einer jener Fllle Tor, weldie klar beweiien, daee es meh 
rein moipliolegiMhe, Ar das Lelm dei InAvidnaaie wertkloae 
Cbaraktere gibt? Spielt nieht die Katar mit Farben nnd Formen 
gelegentüeb aneb einaud cweeUoe , oder, wie man ea oft poetieeb 
aaggedmekS bat, geftllt aieb nieht Mer die Natar, dem Keiohthram 
ikrer Fhantarie freies Spiel an laaaen? 

inderTbat^liteaattf den eiBtenBliekaoans. Man konnte 
fiwt an der syrapatUMben Bedentang der grünen Grandfiurbe Zwei- 
fel bekommen, wenn man auf ibr bnnte Striebe angebraobt ihidet, 
die — so seilte man denken — die gate Wirkong der Grandfiurbe 
wieder aufbeben nnd das TUer bOdwt anflUlend mnehen. 

Und doeb ist dem entsebieden niebt eo, sondern die Sebilg^ 
striebe bäben eine gana ShnHebe Bedentnng wie die oben betraeb- 
teton LHngslmien. Die Striebe dienen daia die Ranpe 
sebwer erkennbar an maeben, indem sie dieselbe — 
soweit mOg^b — einem Blatte ftbnlieb maeben; sie sind 
die Naebabmnng der Seitenrippen eines Blattes. 

Niemand, der sieb mit dem Soeben der Banpen je abgegeben 
bat, wnd diee tSat soldie Fftlle beaweifeln , in weleben die Sebrig- 
striebe einfaeb weiss oder grünliob-weiss sind. Wie seliwer ist es 
s. B. dieBanpe von Smer. Oeellata an ibrer Nahrangspflanse 
der Weide an erbHdraa. Und dies keineswegs Mos deshalb , weil 
sie die Farbe der WddenUfttter besitzt, sondern niebt minder, weil 
ibr grosser KOrper niebt eine nnanterbroebenegrUneFlidie 
darstellt, die sofort von den Blfttternabsteeben nnd das 
snebendeAnge anf sieb lenken würde, sondern weil 
dieselbe dnrob sehrftge Parallelstriebe gansübnlieh 
eingetbeilt wird wie ein WeidenbUtt. Hataiüob bandelt 
es sieh hier niebt, nm eine speeieUe Naehahmnag des Blattes ndt 
allen sebiai EinaeOieiten, niebt nm eine fibcmlielie Verkkidnng des 
Insektes in ein Blatt, aondern nnr nm die Herstellnng von 
Linien nnd Zwisebenränmen, dienichtwesentlichvon 
der Eintbeilnng des Blattes dureb seine Rippen 
abweiebt. 

Dass diese Anslegong die richtige ist , beweist das Vorkom- 
men dieser Zeielinnngsfonn. Sie ist im Oanaen selten, findet sieb 



92 OtttogmcM und Morphologie der Sphingiden-Zeidinung. 

ausser bei vielen SphiDgiden noch vereinzelt in'Yerschiednen 
Famiiieiii aber immer nur bei solchen Raupen, die aaf 
Blttttern mit Seitenrippen leben, nie bei solchen, 
welche auf Gräsern, oder auf Nadelhölzern leben. 

Dies zeigt sich schon innerhalb der Familie der Sphingiden. 
In voller Entwicklung finden sich die Scbrägstreifen hier nur bei 
dem Tribus der Smerinthini und Sphingini. Die Smerin- 
th 118- Arten leben sämmtlidi auf Laubbäumen, auf der Weide, 
Pappel, Linde, Eiche n. s. w. und besitzen alle die Schrflgstriche, 
za den Sphingini aber zählt auch die Gattung Anceryx, deren 
Banpen , soweit wir wissen , auf Nadelhölzern leben. 

Die Schmetterlinge dieser Gattung stehen denen der Gattung 
Sphinx ungemein nahe, nicht nur in Furm und Farbe, sondern 
auch in vielen Einzelheiten der Zeichnung. Die Kaupcu aber sind 
sehr verschieden , und diese Verschiedenheit beruht nur 
darauf, dass die Einen dem Nadel-, die andern dem 
Laubholz angepasst sind. Die Aneeryx- Arten sind — 
w ie oben im Näheren dargelegt wurde — braun mit GrUn gemischt, 
besitzen niemals auch nur eine .Andeutung von Schrägstrichen, s ju- 
dern vielmehr eine aus vielen [rebvochenen Linien {,'eniisclitc Gitter- 
zeiclinung , welche äusserst wirksam sie in dem Kadelgcwirr und 
auf der braunen Einde der Cunil'eren verl)irgt. 

Von den auf Blattpflanzen lebenden .Si)hingini ent- 
behrt keine einzige Art die SclirUgstricbe. Mir sind 
von zehn Arten zugleich die Kaupe und die Nahrungspflanzc be- 
kannt , nändich von Sphinx Carolina. II u 8 1 i c a , C i n g u - 
lata, Convülvuli. Quinquemaculata, Prini, Drupi- 
fcrarum, Ligustri, dann von Dolba Uylaeus undAche- 
rontia Atrojios. 

Ausser den Sphingiden kommen die Schrägstriche noch bei 
einigen Tagfaltern vor, nämlich den liaupen der Schillertalter 
A ]) a t u r a Iris. Ii i a und Gl y t i e und diese leben auf Waldbäu- 
nien Zitteri)api)cl und SaahveidC; und sind schon in ihrem GrUn 
vortreiVlich den Blättern angepasst. Ausserdem kenne ich sie von 
einigen, wenigen Spinnern, nämlich den grossen, grllnen Raupen 
von Aglia Tau und Endromis Versicolora und auch diese 
leben beide auf Waldbäumen. 

Auch beikleiuereuKaupenvou Noctuiueu, Gcometriden, 



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Ontogenese und Morpliologie der Spbingiden-Zeichnung. 



93 



•dbat Pyraliden kommen gel^ntlieh BchrSglaofende Striche 
▼er, doch in geringeier LRnge und andier Anordnung. Auch dort 
ateDen sie meiner Yermnflmng nach AnpMsnngen dar, doch wttrde 
ee an weit fthren, genauer daraof einmgehen. Ee lei nnr nooh der 
ongewiAmlieh weilgehenden AnpsMong erwihdt, wdehe dieRanpe 
▼onEriopns Pteridis anfWeist. Diese kleine Noetnine l^t 
an Pteris Aqnilina, bedtit dasselbeOrOn und ahmt durch dop- 
pelt gelichtete weisse SehiSglinien, wdelie in spitiem Winkel sich 
auf jedem Segment kienaen, die Sporenfinien desFamkrants so gat 
nach , dass man sie nnr sehr schwer gewahr wird. 

Nach alle Diesem kann es wohl nieht mehr zwei- 
felhaft sein, dass die Sohrftgstriche der Sphingiden 
Anpassungen sind. 

Aher wie erkliien dch die hnnten Farben siume, die bei 
so vielen Arten die Scfarflgstriehe begleiten? 

Ich gestehe, dass ich lange an der Möglichkeit ▼ersweifelte, 
ihnen irgend dnen Mologischen Werth anschreiben zu kOnnen. Sie 
schienen mir nur anffollend, nicht aber schtttsend und Terhergend. 
Es mag auch wirklich solche Fülle geben, wo die Schrlgstriche 
durch grelle Farbensäume die Baupe anfallend machen, wie ja 
sehliesslidi jedesZeichnungselement durch grelle FarbengegenslUie 
ein auflkllendes Aussehen an Wege bringen kSnnte. Ich kenne 
indessen daftlr kefai Beispiel. Li der Bogel aber und bei allen ihrer 
Totalfibrbung nach gut angepassten Baupen ist dies sicherlich nicht 
der Fall, sondern der Farbensanm erh<»ht die Täu- 
schung, er stellt den Schlagschatten vor, welchen 
die Blattrippe auf der untern Seite des Blattes wirft, 
und alle diese Ranpen sitsen in der Buhe nie auf der 
obern Seite des Blattes, immer auf der nntern. 

Man wird diese Erklärung im ersten Augenblick vielleicht ge- 
waltsam finden, aber man mache den Versach, man betrachte eine 
Baupe TOn Sphinx Lign s t r i nicht im Zimmer und dicht vor den 
Angen , sondern aus einiger Entfernung und im Freien auf ihrer 
Nahrungspflanze und man wird finden, dass dann das Lila der Far- 
bensänme nicht mehr grell hervoi-tritt , sondern einen Farbenton 
durstet, sehr ähnlich demjenigen der Schatten, welche auf den 
Blättern umherspielen. Die Farbensäume bilden eine 
wirksamere Unterbrechung der grossen grttnen 



94 Oatf^enew und IforpholofiB dar fipUngidaB-Zalehiiiuig. 



Fläche des Raupeuk()rper8, als eswoiaalicha Strich« 
allein an tbaa im Stande wären. 

Wenn man freilich die Raapa in die Sonne und an einen kaliten 
Stengel setzt, wird sie aaeh von fem leicht sichtbar sein, allein 
die Thiere sitzen niemals derart, sondern stets im tiefen 
Blätterschatten und dort ist es , wo die Farbensäame ihre eigent- 
liche Wirkung thun. Man werfe mir nicht ein, dass einfach dunk- 
ler ^'rllue Grundirung der weissen Schrägstriche denselben Effekt 
hervorrufen würden and dass deshalb meine Erklärung immer noch 
die grelle Färbung dieser Säume unerklärt lasse. Allerdings kann 
ich nicht sagen, warum bei S ]) In n x L i g u s tri dieselben Lila, bei 
Drnpiferarum, Prini. wie bei Dolba Hylaeus roth , bei 
Macrosila ru s t ic a schwarz und {;rlln , bei Ac Ii e r on ti a Atro- 
pos sogar blau sind. AVUssteu wir genau auf welchen PÜauzeu 
diese Raupen ursprünglich fjelebt haben, so würde vielleicht 
eine mit dem Auge des Malers gepHo^^ene Verfrleichung der auf 
ihren Blättern spielenden Schatten ergeben, dass in dem einen mehr 
Roth , in dem andern mehr Blau oder Lila enthalten ist. Die Far- 
bensäunie der Sphingiden müssen so betrachtet werden , wie ein- 
zelne Piiiselstriche eines grossen Meisters in dem Gesicht eines 
nienschliciieii Porträts. Ganz in der Nähe betrachtet sieht man da 
rothe. blaue, ja selb.-^t grüne Flecken und Striche: alle diese in der 
Nähe auffallenden Farben verschwinden aber, sobald man zurück- 
tritt, sie bringen dann nur noch die Gesaninitwirkung eines mit 
Worten nicht genau zu bezeichnenden Farbentoues hervor. 

Vollkonnnen im Einklang mit dieser Erklärung sehen wir die 
mit den grellsten Farbensäumen versehenen Baupeu bei Tage 
sieh in der Erde verbergen und n u r in der Abend- und 
Morgendämmerung, wie auch während der Nacht an ihrer 
Nahrungspflanze sich aufhalten, d. h. bei einer so 
schwachen Beleuchtung, dass schwächere F a r 1) e n 
überhaupt ^^ar keine Wirkung mehr macben würden, 
das grelle Blau aber von Acherontia Atropos grade 
eben noch denEiu-druck eines Schlagschattens ohne 
entschiedne Färbung machen wird. 

Grade bei der KartotVel raupe schien mir früher die Erklai iui^ 
der Farbensäume durch Anpassung auf unüberwindliche Hindernisse 
zu stosseu und ich glaubte daher, diese Raupe in die Kategorie 



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OntogeaMe uud Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 95 

d«r staUeB m mflaun, weMie grall gaftrbt siiid, wml sio dnen 
MldMktan GewlmiMk beaüzeii «nd von V90«to TanehmShft w«rdMi. 
AUtm snok ohne darüber «perimentirt sn iMben-, mvm kh eiae 
■okdieAiiilfigiiig nirOckwciaai. Zwar kennai wir MdBr die Onto- 
genese dieser Banpe noefa gar nicht, allein wir wissen wenigstens, 
daas die jüngeren Bavpeu (Stadiam 4} grilnlieher geftrlvt sind, als 
die mehr rein gelben des fünften Stadinms (die aber aneh hinfig 
noch sehlin grttn sind) und wir wissen weiter , dass einzelne er- 
wad»ene Raupen dunkel braungrau gefärbt sind ohne alle 
aaffiülenden Farben. Nach Analogie mit dem oben ansführlich be- 
sprockenen Dimorpbismns der Chaeroeampa- und Sphinx* 
Arten mass also gesehlossen werden , dass auch hier ein neuer An- 
passnngs-Process begonnen hat, dass die Raupe sich dem Erdlx^den 
anpasst, in and aaf weloheu) sie sieh bei Tage verbirgt*). £in 
Thier aber, welches unzweiteUtafte sympathische Färbungen an- 
nimmt, kann nicht zu Denen gebSren, welohe Immonität Yor feind- 
Udieu Angriffen beBitzen. 

Dass die ErklUrung der Farbensäume als Kacliabmnng der 
SchUgschatten der Blattrippen richtig ist, läset sich noch von einer 
andern Seite her erhärten. 

Nehmen wir einmal an, dieselben seien keine An])as8ungen, 
seien nicht durch NaturzUchtung entstanden, sondern durch die 
hypotlietisehe pbyletisebc Kraft, so würden wir erwarten mttssen, 
dieselben im Verlaufe der phyletischeu Entwicklung irgend einmal 
auftreten zu sehen, vielleicht zuerst nur bei einzelnen Individuen, 
dann bei mehreren , schliesslich bei allen , aber gewiss nicht so, 
dass snorst einzelne unregelmässige farbige Flecke entstehen , uu- 
regelmässig in der Kähe der weissen Schittgstriche angebracht, 

*} Die geographiiehe Verbreitung der sebwarten Form deutet darauf bin, 
data auch hier eine Verdr&ngung der gelben (grünen) Form durch die dunkle im 

Otuig ist. Während näniüch im mittleren Europa Deutschland , Frankreich, 
Ungarn) die schwarze Variation eine grosse Seltenheit ist, kommt sie schon im 
tödlichen Spanien, wie mir Herr Dr. Noll mittheilt, fast in gleicher Häufigkeit 
vor, wi« die gelbe. Ton Herrn Dr. Sfandingar aber «rfahre ich, daee In 
Südafrika (Port Natal die schwarze Fonn eher die häufigere ist, wenn auch 
dort noch die poUlKclbe, seltner die grüne Form vorkommt. Ich habe sowohl eine 
Baupe , üU mehrere Schmetterlinge aus PortNatal gesehen , die ganz genau 
mit den innrigen atinunen. Ea idieint alao die VerdrSqgnng der grQnen (gelben} 
dnidi die dem Hndi n angepaaate. achirarae Variation in winneremKUmamseher 
▼er aich sa geheui aia in gernftMigtem. 



96 Ontogcncie und Hofphologi« der SplüiigidMi-ZeichiMiiig. 



daBS dauu diese Flecken Bich vermehren , sich dem ^yei^sen Strich 
anschmiegen, zusammen verschmelzen, um einen immer noch 
mehr fieckcnartijj; unregclmiissig'eu Saum darzustellen und dasserst 
ganz zuletzt dieser Saum sich zu einem regelrechten, gleichbreiten 
Öirich gestaltet. 

Und doch ist die ]i h y 1 e t i s c h c Entwicklung der 
Farben säume von der letzteren Art. Besoudcis deutlich 
geht dies aus der Ontogenese der Sme r int hus- Arten hervor, wie 
oben dargelegt wurde. Bei 8m. Tiliac lässt sich der Entwick- 
lungsgang bis zur Bildung eines immer noch ziemlich unregel- 
raässigen rothen Saumes verfolgen. Vollkommen strichartig 
wird derselbe erst bei den Sphi nx- Arten. Sehr möglich, dass 
die Ontogenese V(m Sp hi n x Ligus t ri oder Drupiferarum uns 
den ganzen Process vor Augen führen wUrde, möglich freilich auch, 
dass durch Zusammenzieliung der Entwicklung bereits Viel von der 
rhylogenese verloren gegangen ist. 

Ich gelange jetzt zur Prüfung der leteten Art von Zeichnmig, 
welche bei den Sphingiden Torkommt, zn den ; 

4) Aagenfleeten und Ringflecken. 

Augen- und Kingflecke finden sich ausser bei S ph i n- 
gideu nur bei sehr wenigen Raupen und da wo sie vorkonmien — 
bei einigen tropischen Papilioniden . einzelnen Noctuinen 
wUsstc ich keinerlei Daten Uber die Lebensverhältnisse und Ge- 
wohnheiten der l)etreffenden Arten beizubringen. Ohne Berück- 
sichtigung dieser Verhältnisse aber ist kein Verständniss zu er- 
reichen. 

Unter Au gen flecken verstehe ich mit Darwin »einen 
Fleck innerhalb eines anders gefärbten Kin^'cs, ähnlich der Pupille 
innerhalb der IriS'<. zu dem aber noch weitere ' concentrische 
Zonen« hinzutreten können. Bei den Cliaerucampa- Haupen 
und bei Pterogon Oenotherae. bei denen ächte AugcnHceke 
vorkommen, sind es immer drei Zonen, die den Augenflcck bil- 
den: ein centraler Fleck, die Pupille oder wie ich sie bezeichnet 
habe: der Kern flec k, darum eine helle Zone, der Spiegcl- 
fleck und um diese heinim wieder eiue dunkle (meist schwarze] 
Zone: der Hof. 



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OntogencM und Moiphologie der Sphingtden-Zeiehmiiig. 97 



Unter Ring flecken dagegen möchte ich jene Angenflecke 
begriffen wissen , welche des Keinflecks der Pupille) entbehren, 
welche somit , streng genommen , auch nicht ein Auge täuschend 
nachahmen , sondern auffallende belle Flecke darstellen , welche 
▼OD dunklem Hof umgeben sind. 

Zwischen beiderlei Bildungen aber besteht keine scharfe 
Orenze und rom morpholugischen Standpunkte kOnnen sie kanm 
getrennt werden. Arten mit Kingfleeken zeigen bisweilen Kem- 
fledEe, und Raupen mit Augenflecken balien in einzelnen Fällen 
Blatt einer dunkeln Pupille nur einen blassen Fleck. Wenn ich 
hier die beiden Bildungen getrennt behandle, so geschieht es des- 
halb, wdl sie anfiwei Gattungen vertbeilt auftreten nnd in jeder 
derselben ihre besondere Bntwieklungsgesebichte besitzen. Die 
Ringflecken entstehen an andrer Stelle nnd auf eihe andere 
Weise , als die A u g e n f le eken , es darf deshalb nicht ohne Wei- 
leras angeiiODiinen w«rdaa , dass sie durch dieselben Ursaehen ins 
Leben gerafen sind, Tielmehr mttssen sie getrennt aof ihren Ur- 
sprung untersucht werden. 

Die Angenflecke gehören den Gattungen Chaerocampa 
und Pterogon, die Ringfleeke der Gattung Deilephila an; 
die Entstehnng derselben in jeder dieser Gattungen würde sich 
nach den oben gegebenen, entwicklnngsgeschidi^hen Daten fol- 
gendermassen darstellen lassen. 

Bei beidoi Gattungen bilden sich die Angenflecke (Ringflecke) 
durch Umwandlung einzelner Stttelce der Snbdorsale. 

Bei Ohaeroeampa entstehen die primftren Angenflecke 
W dem vierten nnd fünften Segment und zwar durch Ahschnttmng 
eines gekrflnunten Stückchens der Subdorsale, welches zum s p i c - 
gel fleck wird und sich mit einem dunkeln Hof umgibt. Erst 
nachtrSglieh kommt noch ein Kernfleck (die Papille) hinzu. 

Deilephila lehrtdieEntwicklnngTonD. Hippophaes, 
dass der primäre Ringfleck auf dem Sohwanshom-Segment (dem 
elften) entsteht und xwar als Auflagerung eines rothen Fleckes auf 
die weisse, an dieser Stelle etwas yerbreiterte Subdorsale. Erst 
nacbtrtlglioh erfolgt dann die Bildung eines dunkeln Hofes und da- 
mit die zuerst unTOllkommene, dann aber vollständige Abschntt- 
rung des Spiegelfleeks von der Snbdorsale. 

Bei beiden Gattungen entstehen die Flecke suerst lokal, anf 

W«l«a»Ba, fltailMi. n. 7 



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9B Ontngenes« und Morphulogie der Sphingidcn-ZeichoMIg. 

einem oder «nf swei Segmenten mtä weiden eret Mknodiie yoa 
dort anf die andern ttbertragen. Bei Chaeroeampa liai^^Md^ 
lieii naeh rllekwirli fortachreiftend, bei Deilepbila anMoUie«- 
Heh nach TorwUrts. 

Eb wäre nun tu nntereuchen , welche biologiiehe Bedentang 
den Achten Angenflecken, wie sie die Ohaeroeampa- 
Banpen besitBen, ndiommt, eventiieU, ob lie ttberhanpt iifend 
welche Bedeutnng haben? 

Soviel ist von vornherein klar, dase diese Augenfleeke nleht 
in die Kategorie jener Zeiehnnngscharaktere gehOrea kVnnen, 
welche ihren Trilger weniger leicht lichtbar machen. Eher kOna- 
ten sie die entgegengesetste Wirkung haben. 

Man konnte also versncht sein, die Angenflcek-Banpcn rai den 
•anfTallend gefibrbten« Banpen sn sftUen, welche, wie die Heli- 
coniden, Danaiden und Enploeiden unter den Schmetter- 
tingen einen widrigen Oeechmack besitien nnd in ihren brillaalen 
Farben gewissermassen den Stempel ihrer Uageniessbarkeit an sieh 
tragen. 

Allein, wenn ich auch nicht dnreh Versuche gefunden bitte, 
dass unsere einheimisehett Chaerocampa-Banpen thataiehlieh 
von VOgeln und Eidechsen geflossen weiden, also jenen Insektea- 
vertilgem kein wideriicher Bissen sind, so Hesse sich schon allein 
aus dem Umstand, dass diese Banpen alle sympathisch 
gefärbt sind, der Sdilass ziehen, dass sie nicht in diese Kate- 
gorie gehören. Denn alle sympaäiiscb geftrbten Baupen werden 
gefressen und überdies könnte nnmOgliob .ein und dieselbe Eaupe 
zugleich nicht auffsllend (sympathisch) und zugleich aoffallcnd ge^ 
fUrbt sein; das Eine hebt das Andere auf. 

Was können aber die Augenflecken für eine andere Bedeotong 
haben , als die, das Thier auflUlend zu machen t 

Hätten wir es mit einem geschleohtsreifen Thier m thon , so 
würde man wohl zuerst an die Wirkung geschlechtlicher Zuchtwahl 
denken und diese Flecke als Gegenstände des Schmackes auffassen, 
wie die Augenfleeke auf dem Gefieder des Pfauen und ArguflfasaDS. 
ffier bandelt es sich aber um Larven und die sexuelle Zttehtuag ist 
somit ausgeschlossen. 

Die Angenflecken niUss^ also entweder eine andere Bedeutung 
haben, oder sie haben ttberhanpt gar keine f^r das ijoben des Thiers, 



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OubognuM aad Morphologie d«r ^iagidon-Zoielittunf . 09 



find rein «morphologisclie Charaktere« und wlirdcn duun — fall« 
sich (lies erweisen Hesse — ihren Ursprung nur ausschliesslich 
innern, im Orj^anisnius selbst gelegenen Kräften verdanken können, 
sie würden die Annahme einer phyletischen Lebenskraft sehr Dahe 
legen. 

Ich glaube nun, dass die Augeuflecke allerdings einen biolo- 
gischen Werth besitzen und zwar den eines Scli reckm i ttels, 
sie gehören in die Kategorie jener /alilrcich und iii ileii versebic- 
(leusten Grn})i)cn des Thierrcichs vorkommenden Einriebtungeu. 
welche den Zweck haben, ihren Träger mögliehst fürch- 
terlich erscheinen zu lassen. 

Es ist bekannt , dass die Raupen der Sphingiden sich in ver- 
■ehiedner Weise benehmen, wenn sie angegriffen werden. Einige, 
wies. B. Sphinx Ligustri und SmerinthusOcellata neh- 
men bei herannahender Glefahr die sog. Sphinx- Stellung an; 
werden sie aber dann thatsäcblich angepackt, so schlagen sie 
wie toll nach rechts und links nm sich und suchen so nicht nur sich 
los so machen, sondern auch ihre Driinger in Schrecken zn setzen. 
IMes gelingt ihnen denn auch selbst beim Menschen — vor Allem 
bei Kiadeni und Fraaen — nicht selten, leichter vielleicht, als bei 
ibren er&breneren Feinden, den Vögehi. 

Die mit AngeofieekeB Twaebeiieii Ohaerocampa-Banpen 
beaekmen sieb anders. Sie setseii dem Angriff nur Snlie ond Aas- 
daner entgegen, erlteben sieh niebt spbimtartig, aondeni sieben 
Bor den Kopf and die drei vordem Ueinen Segmente in das grosse 
vierte lornei^, welcbes dadnrob michtig ansebwillt nnd desbalb 
Ton Unkundigen für den Kopf des Thieres gehalten wird. Auf 
diesem Segment aber stehen die grossen Angen- 
fleeken nnd es gehört wahrlieb wenig Pbmtasie dasa, am in 
ebier solehen Banpe ein Iklrehtertiebes Ungehener mit fearigen 
Aogen sn sehen, besonders wenn man es sieh in der Ghrifsse vor- 
stellt, in weleher es dem Angreifer, efaier Bideehse, ebnem Ueinen 
Vogel, ench^en miss. Man vergleiche Fig. 28, welche die Banpe 
von Ch. Poreellns in Vertbeidigungsstellung wiedergibt, wenn 
aneh nieht in ganz vollstttndiger , da die vordem Segmente noeh 
stiAer ebgeiogen werden künnen. 

Nattrlieh würde dies für ^nen wissenachaftlieben Beweis nieht 
genügen, kh maehto deshalb eine Beihe von Versoohen, «n fest- 

?• 



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100 Ontogeoete und Morphologie der Sphingiden-Zeichniuig. 



iiutellen, ob dJese Raupen ibatsiflliUeh Udneran Vageln Sehreeken 
einflOgsen. Der ente Versuch fiel wenig beledigend ans. Ein seit 
Jabren gez&hmter Eiobelhither, dem ich eine Weinnuipe vorwarf, 
Hess ihr niebt einmal Zmt ibr ManOv«r in maoben , sondern tOdtete 
sie sofort dnreb einen derben Scbnabelbieb. Der Vogel war seh 
Jabren gezähmt und gewohnt, anf Alles losanbaeken, was man 
ibmyorwarf. Vielleicht hätte ein wilder Eichelhäher (GarrnUfi 
Glandarins) anders gebandelt, doch wird ein so grosser vnd 
muthiger Vogel vor nnsem einheimischen Raupen wohl ttberbanpt 
nicht viel Respeot besitsen. 

Ich wandte mich nun an wilde V(Igel. Eine grosse branne 
Weinranpe wnrde in den Fnttertrog eines offhen Hühnerstalls ge- 
legt , aus dem die HOhner entfernt worden waren. Bald liess sieb 
eine Gesellschaft von Sperlingen nnd Bnchfinken (Fringilla 
domestica nnd eaelebs) von den benachbarten Bäumen in der 
Nähe des Trogs nieder , um dort nach gewohnter Weise zu sehma- 
rozen. Sehr bald fliegt Einer auf den Rand des Futtertrogs nnd ist 
grade im Begriff, in den Trog bineinzubtlpfeu , als er die Raupe 
erblickt, neugierig den Kopf hin und herdrebt, aber nicht wagt, 
bineinzubUpfen. Bald kommt ein Zweiter und macht es ebenso, 
dann ein Dritter und Vierter, Andere setzen sich auf die Stangen 
' Uber dem Trog und zuletzt sitzt eine ganze Gesellschaft von zehn 
oder zwOlf Vögeln rund hemm. Alle recken die KOpfe nnd schauen 
' in den Trog, aber Keiner fliegt hinein. 

Ich machte nun die Ctegenprobe, entfernte die Raupe und liess 
die VOgel sich wieder versammeln. Nun httpften sie lustig im Trog 
umher. 

Ich wiederholte den Versuch Öfters, und immer mit demselben 
Erfolg. Einmal besonders war es dentlich zu erkennen, dass wirk- 
lich Schrecken und keineswegs blos Neugierde es ist, was 
diese VOgel der Raupe gegenüber empfinden. Die Raupe sass aussen 
vor dem Trog zwischen ausgestreuten FutterkOmem und zwar so, 
dass sie von der Seite her durch den Trog verdeckt war. Bin Sper- 
ling flog nun schräg von oben so herab, dass er die Raupe zuerst 
nicht sab nnd sieh dicht neben ihr niederKess. Im Moment aber, 
wo er sie bemerkte, drehte er in siehtbarer Hast um nnd flog davon. 

Dadurch wird nun allerdings nicht bewiesen, dass auch insekten- 
fressenden grosseren VSgeln diese Raupen ftlrehterlich vorkommen. 



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Ontog cne t o und Morphologie der Sphingiden-Zdelinung. IQl 



Mit solchen Vögeln konnte ich nicht experimentiren , wohl aber 
ÜMB sieh feststellen , dass selbst Hühner eine gewaltige Sehen vor 

diesen Rampen haben. Ich setzte öfters grosse Weinranpen in den 
Huhnerhof. Sehr bald wurden sie bemerkt and ein Hohn lief eilig 
aaf sie in, lOg aber den zum Schnabelhieb ausholenden Kopf sehen 
wieder zurück , sobald es die Raupe in der Nfthe erblickte. Nnn 
lief es unschlüssig im Kreise nm die Banpe hemm , die inzwischen 
ihre Schrecksteliung angenommen hatte , holte zehn nod zwaniig 
Mal cum Schnabelhieb ans, sog aber Jedesmal wieder zurttok. 

Ganz ebenso machten es alle Übrigen Htthnernnd 
Hähne und es dauerte oft 5 ja 10 Minuten, bis ein besonders hers» 
hafter Hahn endlich den ersten Schnabelhieb wagte, dem dann 
bald ein zweiter und dritter nachfolgte , HIh die Raupe dann, an- 
seheinend mit gutem Appetit verschluckt wurde. 

Ich habe diese Versuche immer in Gregenwart mehrerer Per- 
sonen gemaoht} nm mich vor allzu subjektiver Auflegung des Ge- 
schehenen zn sdhiUzen. Aber stets fassten Alle das Benehmen der 
V<)gel so auf, wie ich es hier dargestellt habe. 

Wenn nun die Augenflccken der Ranpen als Schreckmittel anf- 
anfassen sind , so hebt sich damit die Schwierigkeit ihres Vorkom- 
mens auf sympathisch gefärbten Arten. Sie vermindern den Vor- 
thril der sympathischen Färbung nicht, weil sie die Raupe Ton 
fernher nnd ohne dass diese schon die Schreckstellung ange- 
nommen hat, nicht aufiallend oder Uberhaupt nur leichter sichtbar 
machen, sie nutzen aber ihrem Träger, sobald derselbe trotz seiner 
sympathischen Färbung von einem Feinde entdeckt worden ist. 
DieAngenflecke sind sonach ein zweites Schutzmittel fttr die Raupe, 
dessen Wirkung dann beginnt, wenn die der sympathischen Fftr- 
bnng ihren Zweck verfehlt hat. 

Damit soll indetsea nicfat behauptet werden , dass die Augen- 
flecke der Chaerocampa - Raupen immer nnd Uberall diese nnd 
nnr diese Bedeutung für das Leben des Thiers haben. Ein jeder 
Zeichnnngs - Modus kann denkbarer Weise durch Ausführung in 
stark contrastirenden, grellen Farben den Träger im höchsten Grad 
auffallend machen nnd so darf erwartet werden, dass auch ächte 
Augenfltcke bei einzelnen, ungeniessbaren Arten ihre ursprüng- 
liche Bedeutung eines Schreckmittels verloren und zum blossen 
Widrigkeitszeicben geworden sind. Vielleicht Terhftltes sieh 



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1 02 Ontof eneM und M orpludiigk der Syliiiigidiw -Zeiehnung. 



80 hei C h a e r o c a m p a T e r 8 a V'i^. , deren zahlreiche Angen- 
flecke das Thier wohl nehr leicht sichtbar machen. Ohne dasg 
Versuche darüber angestellt sind , lässt sich indessen keine Ver- 
niathung irgendwie bestimmter aussprechen und es kann cl)eu- 
sowohl sein , dass in diesem Falle die bunten mit hellruthem Kern 
versehenen AugenÜecke die BUithen der ^sahruugspflaiiic (äper- 
macoce Hy ssopi fol ia) nachahmen. 

Ich erwähne diese Möglichkeiten nur, um daran zu zeigen, wie 
ein einmal vorhandner, ererbter Zeichnungscharakter, selbst wenn 
ereine so bestiiinnte und coniplicirte Gestalt hat. wie hier, dochsehr 
wohl unter IJuiständen von NaturaUchtung in ganz anderm Sinne 
zu Gunsten des Trägers verwerthet werden kann. Ganz so, wie 
ein und dasselbe Organ, dieselbe Gliedmasse eines Krusters 
z. B. im Laufe der phyletischen Entwicklung sehr verschiednen 
Lebenszwecken dienen kann, bald der Locumotion, bald der Ath- 
mung. der Begattung oder der BefesUgimg der £ier, oder d«r 
^iahrungsautiiahme. 

Ich gelange zur Untersachang des biologischen Werlhcs der 
unvollständigen Augenflccke oder, wie ich sie nenne. 
Bing 11 ecke. Wirken auch sie als Schreckmittel . oder sind sie 
vielleicht nur »Widrigkcits- Zeichen« d. h. eine biguaiar, 
welche die Ungeniessbarkeit ihres Trägers anzeigt"* 

Ich niUHs von vornherein hekeuncu , das.s ich hierüber am 
wenigsten hcHtinimten Aufschluss geben kann. Die Entschei- 
dung ist nur durch Versuche zu erlangen und zwar durch Versuche 
mit jeder einzelnen Art, lil>er die man ein Urtheil zu haben 
wünscht: es ist durchaus nicht statthaft, hier Analogieschlüsse zu 
machen und von einem Fall auf alle übrigen zu schliessen, denn 
es ist nicht nur möglich , sondern sogar sehr wahrscheinlich , dass 
die biologische Bedeutung der Ringflecke eine wech- 
selndeist, verschieden bei versebiednen Arten. Nur eine grosse 
Reihe von Versuchen könnte da volle Sicherheit gewähren. Leider 
mangelte mir bisher daso das Material. Ich würde die Veröffent- 
liobang dieser Abhandlung um ein Jahr verschoben haben, hfitte 
ich mit Sicherheit voraussehen können, dass dieses Material in ge- 
nügender Menge sich mir in nächstem Sommer darbieten wtlrde. 
Leider aber hängt dies immer sehr vom Zufall ab und ich glaable 
einen vorläufigen Abflchlnas dem Hinaossiehen ins Unbestimmte 



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Otttof t — w md Morpkol^gis dar 8pliiiigidM-Z«Mluiung. 1 OS 



foniehen zu niQsten. Vielleicht gelingt es diesen Zeilen, einen 
oder den andern Entomologen , dem das Material leiebter sugäng- 
lich ist, flir die Forteetzung meiner Versache anzuregen. 

Die bisher von Andern angestellten Versuche sind dnrebani 
nicht genügend zur Entacheidnng der hier in Betneht kommenden 
Fngen. 

Es ist bekannt, dass Weir'j von einigen •bantgeförbten, auf- 
fallenden« Kaupen nachwies, dass sie thatsächlich von insekten- 
freseenden Vögeln nicht gefressen werden während Butler**) 
dasselbe für Eidechsen und Frösche darthat. Leider sind dieee 
Versuche ro kurz mitgetheilt , dass nicht einmal die Namen der 
Arten angeführt sind, mit welchen experimentirt wurde. So kann 
man nicht wissen, ob etwa darunter auch Kanpen von Sphingiden 
sieb befanden und noch weniger welche Arten. Auch ich selbst 
habein dieser Richtung cini-^e Versuche angestellt, und zwar mit 
Eidechsen. Es kam mir ilubei zuerst daruuf uu, mich im Allge- 
meinen von der Richtigkeit der Beluiuptung zu Uberzeugen , dass 
es : I i Raupen g i b t , d i e i h r e s G e 8 c h ni a c k e b h a II) c r n i c h t 
gefressen werden und "2 dass so lebe Raupen eine bunte 
Färbung besitzen. Ich erhielt positive und im Ganzen sehr 
bestimmte Resultate. So erfreuen sich z. B. gegenüber Eidechsen 
einer vollBtändigen Immunität die Raupen von Gastropacha 
Neustria, der gelb und blau gestreiften gemeinen Ringelraupc. 
während die nächsten Verwandten derselben z. B. Castrop. 
Lanestris und Pini verzehrt werden, wenn auch nicht grade mit 
besonderer Vorliebe. Es kann somit nicht in der Behaarung der 
Grund der Ungeniessbarkeit liegen, deou diese ist bei G. Pini 
weit stärker, als bei G. Neust ria. 

Ein sehr ciitschicdnes Resultat ergaben auch die sehr auf- 
fallend gelb und schwarz gebänderten Rau|)en von Euchelia 
Jacobaeae. Ich brachte dieselben häufig in den Zwinger einer 
Lacerta viridis, allein niemals wurde eine von ihr auch nur 
beachtet. Wiederholt sah ich die Raupen der Eidechse Uber den 
Körper, sogar über den Kopf kriechen, ohne dass diese nach ihr 
schnappte. Die Kanpen blieben jedesmal mehrere Tage laug im 

*) On Inseeta «nd InMotivorous Buda, in : Tnmnot. Bntonolog. Soe. 1869, 

pag 21. 

**) £bendaaelb«t pag. 27. 



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1 04 OntogMiMe und Morphologw dar SpUiigidan-Zaidioiiiig. 



Eidechsenzwinger, aber niemalH wurde eine verniisst. Ganz eben- 
so verhielten gich die EidecliHcn gcgontibcr den feichmetter- 
lingen von E. Jacobacae, kein einziger wurde von ihnen be- 
rtthrt! Auch die gelb und Kcbwarz läiigsstreifigen Kaupen von 
Ph a 1 e ra B u c ep b a l a wurden stets verschmäht und nicht minder 
die beim Zerdrücken Übelriechenden , hellgefärbten Kaupea des 
grossen Kohhveisslings Picris Brassicae. 

(irade der letztere Umstand beweist wohl überzeugend , dass 
die Eidechsen diese Art als ungeniesshar l)et!ncliten. In der That 
besitzen sowohl Raupe als Schmetterling ein autTallcnd ^^clb gefärb- 
tes Blut von öliger Consistenz , an dem ich indessen keinen ent- 
schiednen Geruch bemerken konnte, wie ein solcher für das Blut 
der Heliconiden und D a n aide n angegeben wird . 

Ich stellte nun den Versuch an, eine dcrVj Jacobacae mög- 
lichst ähnliche Kanpe der Eidechse vorzusetzen. Ilalijwllehsige 
Kaupen von Gastropacliu Kubi sind ebenfalls mit gelben (gold- 
gelben", aber schmäleren Querringeu versehen , die aufdunkelm 
Grunde stehen; sie sind aber weit stärker behaart, als die von 
E. Jacol)aeae. Zuerst betastete die Eidechse diese Ranpen mit 
der Zunge . Hess aber wieder von ihnen ab , so dass ich schon 
glaubte , sie wUrde sie auch verschmähen, später aber frass sie sie 
dennoch auf. 

Ebenso frass sie Kaupen von Satnrnia Garpini trotz ihrer 
borstigen Haare und Gabelschwanzranpen iHarpyia Vinula 
trotz ihres sonderbaren Aussehens und ilircr Schwanzlir»i iicr , war 
überhaupt kein Kostverächter, sondern verzehrte Kegenwlirnier und 
Nacktschnecken in Menge, auch grosse Spinnen, und einmal auch 
die grosse, mit starkem Gebiss versehene üeuschrecke , Decti- 
CQB ve r uei vor US. 

Thiere aber mit starkem , auch für uns widrigem Geruch wies 
sie stets zurück; so den scharf riechenden Käfer Chrysomela 
Populi. so auch den stinkenden Tau.sendftlsser Julus ter- 
rcstris, während sie deu geruchlosen Lithobius forficatus 
gern frass 

Ich betone dies besonder.«!, weil es die Vemiuthung stützt, dass 
auch bei den verschmähten Kauj)en ein für uns zwar nicht iinmer 
wahrnehmbarer Ubier Geruch die Ursache der Ungeniessbar- 
keit ist. 



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Ontogeneae und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



105 



Die anffaUenden Farben sind natttrlich aar die »Etiqoettet 
dleeer Ungeniessbarkeit, das «Widrigkeitsieiehea« und der 
Venmeh mit Gastropaeha Rabi idgt, dase die Eideeheen von 
moberein gegen bunte Banpen einVonurtheil beeitien, wdebes 
de erat doieb genane PHlAuig des grade vorHegenden Faltes ab- 
legen. Sebr merkwürdig war mir in dieier Blniieht die Beobacb- 
tang, dass später — nachdem die Eidedue bereits die Erfalimng 
gemacht hatte, daas es nicht bloe widrige Ranpen gibt, welche 
■chwan and gelb geblladert sbid, (E. Jacobaeae), sondern 
aneb wohhichme^ende (G. Bubi), siennnanch an weilen die 
Jaeobaeae-Banpe mit der Zange betastete! sie wollte sich 
ttbenengen, ob die Baape wirklich so sd, wie sie aassehe d. h. an 
geniessbar! 

Zuweilen , wenn aach nicht häufig trifft auch bei Banpen dn 
anffallendes Aussehen mit insseilich schon wahrnehmbarem, pene- 
trantem Gerach sosammen. So bd Papilio Machaon, dem 

Schwalbenschwans. 

Hier habe ich denn auch niemals den geringsten Yerauch eines 
Angriffet von Sdte der Eidechse gesehen. So setzte ich einmd 
zwei groese Raupen von Papi lio Machaon in den Eidechsear 
Zwinger, sie blieben dort fUnf Tage lang und verpuppten sich 
schliesslich unbehelligt an den Wänden des Zwingers. 

Ich habe diese Versuche mitgetheilt, obgleich sie bisher noch 
nicht Sphingiden-Raupcn betrafen, um deren Zeichnnngswerth es 
sich hier in erster Linie handelt, weil es mir vor Allem uöthig 
schien, durch eigne Versuche fcstzastelleu , dass es ttberhaapt 
Widrigkeitsseichen bei Raupen gibt. 

Ich komme nun za meinen leider nur sehr spärlichen Versadien 
mit Deilephila-Ranpen. Ich konnte nor mit zwd Arten eZ" 
perimentiren, mit D. Galii und Euphorbiae. 

Deii. Galii wnrde beharrlich verschmäht Eine 
grosse Raupe der schwarzen und eine der gelben Variation wurden 
12 Standen lang im Eideehsenzwingcr gelassen, ohne dass de 
auch nur berührt oder untersucht worden wären I 

£e scheint also, dass D. Galii für die Eidechse als widriger 
Bissen gilt Damit stimmt auch die Gewohnheit der Raupe , dch 
nicht zu verbergen, sondern auch am hellen Mittag frei an 
ebem Stengel su dtwn, so dass ste kaum dem suchenden 



106 OatofMiaM «nd Bliitph«lop» dar gpWegidMi Z>Mhinmg. 



Blick entgehen kum. Sie hU fui ebenso aaffiUlend ak D. En* 

phorbiae. 

Um so Überraschender war es mir, zn erfahren, dass diese, 
die Wolfsmilch raape, der Eidechse gegenüber sich darchani 
keiner Immunität erfreut. Als ich eine grose, 6 — 7 Cent, lange 
Raupe in den Zwinger setzte , wurde die Eidechse sofort aufmerk- 
sam und uoliald die Raupe anfing herumzukriechen, packte sie die- 
selbe l>eim Ku[if , schüttelte sie heftig und begann sie hinunter zu 
würgen. Trotz heftigem Winden und Krümmen wurde sie unter 
zeitweise wiederholtem Schütteln immer tiefer hinabgewürgt und 
nach weniger als 5 Minuten war die ganze Ranpe verschluckt*/ ! 

Auf Eidechsen also wirken die so auffallenden Ringflecke dieser 
Raupe weder erschreckend, noch werden sie von ilinen als Zeiehwi 
der IJngeuiessburkeit betrachtet. 

Leider konnte ich bisher mit Vögeln keine Versuche ansteilen. 
Es wäre übereilt , wollte man aus dem Versuch mit der Eidechse 
schliessen, dass die Kingflecke keinerlei biologische Bedeutung 
hätten. Es wird kaum irgend ein Schutzmittel ^'eben , welche« 
seinen Träger allen seinen Feinden gegenüber aicher stellt, schützt 
doch selbst das (Üft der gefährlichsten Giftschlangen dieselben nicht 
vor den AugrilVeu des Sekretärs und des Schlangenatllers und die 
Kreuzotter wird bekanntlich vom Igel ohne Umstände gefressen. 
So wird man auch annehmen müssen, dass manche durch widriircn 
Geschnmck geschützte Thiere doch auch einzelne Feinde besitzen 
können, für welche dieser Geschmack nicht vorhanden ist. So 
spricht z. B. gar Nichts <lafUr. dass bunte Haupen, welche that- 
sächlicli von Eidccliscn und Vögeln nicht gefressen werden, zugleich 
auch von Schlupfwespen verschont würden. Und so Hesse es sich 
sehr wohl denken, dass die Wulfsniilchraupe fllr Eidechsen, die sie 
ganz verschlucken, nichts Unangenehmes darböte , während sie 
vielleicht fllr Vfigcl widrig wäre, weil diese sie zerhacken nndzer- 
reissen müssen, um sie hinal)zu8chlingen. 

Es ist mir deshalb immer noch am wahrscheinlichsten , dass 
D. Euphorhiuc und ebenso die nahe verwandte D. Da h Iii und 
Mauretauicadie aofialienden Kingfleoke als Zeiohen der Unge- 

*) Wie oben bw«its angefahrt, war es niobt die gewOhaUehe deutMhe Bi- 
dedue (T<acerta stiqiium), mit der diese Venaehe angeatdlt winden, eonden 
die g f S eeete, sOdeuropiiMhe Lacerta viridi«. 



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OatofenM« maA Morphulugi« der Sphingiüen-Zoichnuog. 107 

nieasbarkeit für die Mehreahl ihrer Fein^ an sieh tragen. DalUr 
•priekt vielleicht schon die Elmähning von giftigen Enphorbiaoeen, 
noch viel deutlicher aber die allen diesen Arten snkonunende Ge- 
wohnheit, sich bei Tage nicht zu verfoeiigen, sondern frei und offen 
dazusitzen, von Weitem schon leicht erkennbar. Besftssensie in ihrer 
Firlrang sclbät nieht ein Sobntimittel, so wttrden sie durch diese 
Gewohnheit längst ausgerottet sein, statt, wie thatsächlieh der 
Fall ist, an allen den Orten , wo sich günstige Lebensbedingungen 
für sie finden zu den häufigsten Sphingiden zu gehören. So findet 
sich D. £aphorbiaeim sOdliehen wie im nördlichen DentschUuid 
(z. B. bei Berlin], in sehr grosser Anzahl und Dr. Staudinger 
theilt mir mit, dass ihm aof Sardinien die Baopen tob D. Dahlii 
korb weise zugetragen worden seien. 

Wenn aber auch bei vielen Deilephiia- Arten die contrastiren- 
den Ringfleckc natürlich in Verbindung mit der Übrigen bunten 
Firbang) als Widrigkeitszeichen anzusehen sein mögen, so schliesst 
dies doeh keineswegs die Möglichkeit aus, dum sie hei einigen 
Arten eine andre UoUe sinelen nnd etwa als Schreckmittel wirken, 
ja es scheint mir sogar ganz wohl denkbar , dass sie bei ein nnd 
derselben üanpe gegenüber verschiednen Feinflen beide Hollen 
spielen and es wäre gewiss von Interesse, doroh Yenrache diese 
Vermathiing zn bestätigen oder sn widerlegen. 

Als Schreckmittel mögen sie, gewissen Feinden gegenttberi 
schon bei der hellgelben Variation derBaape von D. Galii dienen 
und gewiss noch mehr bei D. Nicaea, deren Scblangenfthidieh- 
keit schon früheren Beobachtern aufgefallen ist *) 

So können auch bei jenen Deilephiia Arten, welche sieh bei 
Tage verbergen , die Ringflecken nicht aU Widrigkeitsseichen anf- 
gefasst werden, Hondem sie müssen eine andre, wenn ttberhanpt 
eine Bedeutung haben. So bei D. V e s p e r t i 1 i o , welche sowohl 
in der Jograd, als im Alter sympathisch gefärbt ist und D. Hip- 
pophaes, bei der dieselbe Gewohnheit des Venteekens mit sym- 
pathischer Firbnng zusammentrifi't. 

Scheint es auch bei der erstgenannten Art deakbari dass die 

*i 60 sagt liüisduval über diese an Euphorbiac £sula und verwandtea 
Alten in dnr Frovenee lebenden Raupe : ,,8a reseemblaaee avee un leipent et 
■a coaleur tranch^e permeltent, de la d£cou\Tir aiscmcnt*'. IKee wurde 1848 
pechrieben, nlio bu^se ehe man en NetusOchtang dachte. 



1 08 Ontogciww und Morphologie d«r Sphiiigiden-Zeiduiniig. 

zahlreichen, grossen Hingflecke kleineren Feinden Schrecken ein» 
fli)g8en , HO kann Uber die Richtigkeit eioer soleben VermathnQg 
doch nur das Experiment eut8cheideil. 

Bei D. Hippophaes da^c/^cn ist eine solche Deutung von 
TOrnhcrcin zurückzuweisen , (ia hier bei den meisten Individuen 
nnr ein einziger Kingflcck vorbanden ist, dieaer aber darchane 
keine Aehnlichkeit mit einem Auge besitzt. 

Ich habe lange vergeblich nach einer Hedentnng dieses Fledus 
gesucht und grade hier wäre die Erkcnntniss derselben von grossem 
Wertiie, weil wir in ihm otTcubar den Beginn der ganienRingfieek- 
entwicklnng yot ons haben, die AnfangsBtnfe, von weleher die 
Zeichnung aller andern Deilcpbila-Arten ausgingen. 

Ich glaube jetzt die richtige Lösung des Räthsels gefunden zn 
haben , leider zu einer soleheo Jahreszeit, wo ich sie durch das 
Experiment zu erhärten ausser Stande bin. 

Ich halte die Flecken fttr eine un})estimmte NaebabmuDg der 
Beeren der Nahningspflanze ! DicHcIben sind orangeroth und 
genan von derselben Farbe sind die Flecken; die FarbeoUberein- 
alinuniing zwischen Beeren und Flecken ist genau ebenso vollkom- 
men , wie die zwischen den Blättern und der Gesammtfärbung der 
Raupe. Ich kenne aber keine Haniie, weiche genauer die Blätter 
ihrer NahrungspHauze in der Farbe nachahmt , und zwar entspr»» 
eben sich die dunklere Oberseite und die hellere Unterseite bei 
Blättern und Raupe und das GrtUn des Sanddoms ist kein gewöhn- 
liches, helles Blattgriin, sondern ein Graugrlln, wie es bei Ranpen 
sonst gewiss nur selten vorkommt. Ich will auch ausdrücklich be- 
merken , dass ich wiederholt Personen die grossen, dicken Raupen 
und zwar 6 — S auf einmal auf einem Zweier des Sanddorns gezeigt 
habe, ohne dass dieselben sie gleich zu erblicken im Stande waren. 
Es ist somit keine l)lo88eVcrmuthung, sondern eine 
Thatsachc. da.ss diese Art durch ihre Totalfärbang 
Schutz er! an j;t. 

Die Orangerothen Flecke aber scheinen zuerst eher geeignet, 
diesen Schutz wieder zu vermindern, so wenigstens, wenn man die 
Thiere auf junge Triebe setzt, die keine Beeren tragen. Da nun 
aber zu derselben Zeit, in welcher die Beeren sieh 
roth färben Knde Juli Anfang August) die Kaiipen im 
letzten Stadium der Kutwickluug sich befinden, d. h. 



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üatoganaie und Hoiphologi» der Sphtngtden-Zeichmuig. 109 



mit rothen Flecken Tersehen sind, ho igt wohl die Ver- 
nmthimg, dasg diese eine vage Copie der Beeren darstellen , sehr 
nahe liegend. Aus demselben Grande , aus welchem diese Kaupen 
die Gewohnheit erlangt haben nur in der Abend- nnd MorgendUm- 
memng, sowie bei Nacht zu fressen , bei Tage aber sich zu ver- 
bergen, aus demselben Grand muss es auch vortheilhaft tlir sie 
sdn, wenn die Oberfläche ihres grossen Körpers nicht blos durch 
w^ssliche Streifen getheiit erscheint, sondern ancb noch in andrer 
Weise anterbrochen wird. Und wie künnte dies wirksamer gesche- 
hen, als dorcb zwei Fleeken , welche in ihrer Farbe nnd auch io 
ihrer Stellung an die gruppenweise den Stengeln ansitzenden 
rothen Beeren erinnern? Beim Fressen heftet sich das Thier mit dem 
ffioter&eil stets einem Zweig an nnd nnr das Vordertheil streckt 
sieh mefadr oder weniger vom Zweig ah, dem Blatte parallel ; die 
rothen Fleeke weiden also immer am Zweige stehen, wo 
aneh die Beeren sitien, ja iefa mOdite fittt vermnthen , dass 
die geringen Forlsehritte, welehe die Bildung seknndirer Ringflecke 
anf den nbrigen Sesmenten bis heute gemaeht hat, eben darin ihren 
Gmnd hat, dass solehe Beerenlleeke an andern Stellen der Banpe 
eher sehldlieh als nUtslich sind. 

Wie kann aber, so wird man fragen , die Naohahmnng rother 
Beeren, welehe ddieilieh so gut wie alle andern Beeren TonVOgeln 
gefimaen werden, nlltiUeh seb für eine Banpe? Sie wird eher da- 
dnch ein Gegenstaiid der Aofmerksamkeit ftr ihre Feinde werden. 

Danuif ist sweierld tu antworten. Erstens, dass soleher 
Beeren an einem Busehe sehr viele sind, dass somit die Wahr- 
sdieinliebkeit sehr gering ist. dass grade der kleinere nnd weniger 
augenftUige Beeren-Fleck vor wirkliehen Beeren den VOgeln 
m die Angen stSche nnd zweitens, dass die Beeren zwar beginnen 
sieh roth zu färben, wenn die Banpen heranwaehsen, ihre volle 
Beife aber eist im Herbst erlangen, wenn die BIXtter fidlen nnd die 
gelbrotfien , hanftnweise zusammenstehenden Beeren weiAin zu 
sehen sind. Zu dieser Zeit aber sind die Baupen iBngst verpuppt. 

Ich habe diesen einzelnen Ttül so ansftthilieh hebandelt, weil 
er mir von besonderer Wichtigkeit seheint. Er ist der einzigeFall, 
der uns lehrt, dass die Bingileck-Beihen der De i 1 e p h i 1 a- Banpen 
von einem einzigen Fleekenpaar ausgegangen sind, 
der dnzige, der uns gestattet, die Wurzel der ganzen Entwicklungs- 



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110 ÜDtogenMe and Morpholflgie der ^ihitigidfln-2eichnung. 



raike ans liciit so riehen. Gelang es hier, die Ur saehe der Bil* 
dung klar so legen , so war damit die «rsprUngHche ^ primire Be> 
deatnng klar gelegt. 

Ich fiMse kars die Efgebidase der Untenmehmig tther dea 
MologiiBeheii Werth der Deilephila^Ringfleeke zoiaBiDen. 

IXieser Werth ist bei den hevte lebenden bekannten Ddlephüa 
Arien ein ▼ersehiedner. 

Bri einigen Arten (Galii lioher, wahraeheiatteh aneh £o- 
phorbiae nnd Manretanica) bilden die auffallenden FleelK 
ein WidrigkeitBseiehen fttr gewisse Febde (nicht ftr alle!). 

Bei einer sweÜen Artengruppe haben sie die Bedentang einer 
S e h r e o k I e i e h n n n g , wie die Angenfletke der G h a e r o e a m p a - 
Kuupcu Nicaea? helle Form yon Galii f) EadHeh bei einerdritten 
Gruppe, fttr die ieh für JetstnnrHippophaes aaflihren kann, 
beruhen sie anf sehutzender Nachahmang eines Pflan- 
lentheils nnd rerstärken die Wirkung der sympathi- 
sehen Fftrbnng. 

6. UntergeerdneteZeichnungseharakiire. 

Wenn es ans Yerstebendem sich ergeben hat, dass alle drei 
Hanptekmeote der Sphingidcn-Zeiehnnng, LSngSBtreifen, Sehiig^ 
strafimg nnd Fleckenbildnag keine rdn morphologisGhen Charak- 
tere sind, sondern dass sie eine gaas bestisunte Bedentong fltar den 
TrMger haben , so würde Nichts nn Wege stehen , die Baistehnng 
der gesammten Sphingiden-Zeiehnnng anf Natnnlehtnnginrttck- 
snflibren, falls diese drei Elemente wiiUieh die einiigeB wiien, 
welebe Torkommen. 

Es zeigen sieh aber bei verschiednen Arten noch andere Formen 
von Zeiehnnng, die ich als »nntergeordnete Zeiehnnngs- 
Charaktere« sosaaunenfiMnen nnd einige davon heraasgrrifen 
will, am an ihnen sn leigeB, auf wekhe Ursadm sie sieh beriehen 
lassen. 

leb reehne hisiher i. B. jenes feiae Nelswerk dnnkler Lings- 
strieheldieni welohes öfters die gaaie Oberseite der Banpe Uber- 
siriit nnd welches man als •Bieselnng« beieichnet. Dieser 
Charakter findet sidi hanptiXoUieh bei den erwaehsenen Ohaeto- 
eampa-Banpen nnd zwar am stBrksten bei der braunen VarietiU, 



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Ontogenese und Morpkologie der Sphingiden-Zeichnung. 1 ] ] 



kMDml aber «idh bd D«ilephiU Yespertilio und in Ähnlicher 
Weiieboi PterogonOenotherAe nnd Sphinx Oonyolvnli 
TOT. Sowettmirbek&nnt, kommt sie nur bei sympathisch ge- 
färbt eD «nd swar bei Bolchen Baapen lov, Trelohe sieh zritwelse 
am €bimde der Fflaose, im Gewirr troekner Stengel nnd Blitter 
aofhalteo. 

Ich sehe in ihr keine bestimmte Nachahmung, sondern nur 
eines der Torsdiiedenenlfitte], die grosse, gleichmSssige OberflBehe 
der Banpe an nnterbreehen , sie nngleieh in machen nnd dadurch 
wcalger anffiülend. Ihre Znrtckfthmng anf NatunOehtnng kann 
kanm tweifelhall sein. 

Es gibt aber noeh eine sweite Oruppe von Zeiehnnngs- 
Klem en ten y die anf eine andere Qndle an beliehen sind. Dar 
hingehören s. B. jene hellen Pnnkte bei Chaerooampa Por- 
cellns nnd Blpenor, die ich oben als Blickenpnnkte beieicbnet 
habe. weiss keine andere Srklämng ittr sie, als dass sie noth- 
wendige Folge anderer NenbOdnngen sind, dass sie anf Oorrela- 
tion bemheo (Darwin), oder — wie ich mich ansdrUcken 
irilehte ^ dass sie ein AnslfaiBS der in dem spedfischen Organis- 
mas dieser Arten herrschenden Bildnngsgesetie sind. 

WIhrend man sich hier anf die blosse Vermnthnng be- 
sehrlnkt sieht, die betreffenden Charaktere mochten der Ansflnss 
innerer BUdungsgesetse sein , gelingt es bei gans fthnliehen Bil- 
dangen einer andern Art die Abhiogigkeit yon soleben Qesetsen 
nachsttweisen. 

Bei Sphinx ConTolynli «eigen manche der dunkeln 
Biemplafeweissliehe Pnnkte anf den Segmenten 6— 11 nnd 
swar je einen am Vorderraad jedes dieser Segmente in der HOhe 
der TOUig Terschwnndenen Snbdorsallinie (Fig. 52). 

Diese Pnnkte varüren sehr in Grosse, Helligkeit' nnd SdhSrfe 
dsr B e g re ni mg. Es mOchte sich nan sdiweriich irgend dne bio- 
logisehe Bedeutung Itlr diese Pnnkte herausfinden lassen, ihre Her- 
kunft wird aber sofort klar, sobald man heller» IndiTidnen tci^ 
gleicht, bei welchen die weissUchenlSchrSgstriche an den Seiten 
deutlich erhalten sind nnd die Snhdorsale wenigstens auf den fünf 
oder sechs yordem Segmenten. Man eikennt dann, dass die 
Pnnkte an der Kreusungsstelle der Subdorsale nnd 
der Sehr&gstreifen stehen (Taf. I. Fig. 16). Ihre Erklärung 



112 OntOjgeneie und Murphulogie der Sphingiden-Zeichnung. 



eigibt rieh somieh daraus, dass grade an diesen Stellen dieNdgnng 
des Orgaaismns, helles Pigment abtolagem doppelt so gross 
sein mnss, als an den andern Stellen der beiden hellen Linien- 
systeme; es bilden sich also helle Fleeke anch dann noch , wenn 
die Unien, welehe rieh hier kreuzen, in ihrem Übrigen Verlanf halb 
oder ganz erloschen sind. 

Hier ist somit ein Zeiehnnngscharakter rein nnr dnreh innere 
Bildangsgesetze henrorgernfen nnd zwar dnrdi Anfeinandertreiren 
zweier, rndimentir gewordener älterer Charaktere. In ähnlicher 
Weise werden viele andere nnbedentende Einzelheiten der Zeieh- 
nnng an%e&sst werden mUssen, wenn es anch nicht mOglioh ist, 
für jedes Fleckehen nnd Strichelchen den spedellen Nachweis dar 
fttr anzutreten. Der grOsste Theil aller »nntergeoidneten Zeich- 
nnngscharakteret beruht auf der Vermisehung ererbter, 
aber bedeutungslos gewordener Charaktere unter- 
einander nnd mit nenentstandenen. 

Es wäre Überhaupt ganz verkehrt, nur solehe Charaktere auf 
NatnrsUchtung an beziehen, welehe bei der Art, welche rie beritzt, 
nachweislich noch rinen biologischen Werth haben. Sie können 
sehr wohl nnr ererbt sein. So wäre es wohl möglich, dass die 
matten und wenig in die Augen eilenden Bingflecke von Deil. 
Vespertilio heute ohne Werth filr das Leben der Art sind, rie 
können von einer Stammform flbernommen sein und nur deshalb 
von Natunttehtnng nicht entfernt, weil sie unsehädlieh sind. Doch 
fUhre ich dies nnr als hypothetisches Beispiel an. 

Fär die swrite Zriehnnngsfonn der SpUngiden , die Schräg- 
strriftmg lässt rieh rine Vererbung auf spätere phylelisehe Ent- 
wicklungsstufen nachweisen, obgleich rie dabri den nnprttngUdien * 
biologischen Werth einbflssen. 

So scheinai die Chaerocampa-Banpen, als rie noch aritlebens 
grOn und den Blättern angepasst waren, durchweg helle Sehiig- 
strrifen, als Naehahmung der Blattrippen besessen zu haben. 
Wenigstens zeigen alle Arten von altem Habitus diese Schräg- 
itrrifen, so Ch. Syriaca (Fig. 29), Darapsa Choerilns 
(Fig. 34) und ebenso die heUgMne Jugendfbrm von Ch. Elpenor 
(Fig. 20) und Poreellus (Fig. 25 u. 26). 

Bri diesen Letzteren wird nun später die Anpassung an die 
Blätter aufgegeben und eme dunkle, braune oder schwarzbraune 



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Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 113 



Totelftrbimg aagenomiDeD. Trotidem Bohwnideii die Sohrigstrai- 
feo nicht, sondern zeigen sieh besonden im vierten , oft ancii noeh 
im ftlnften Lebenistadinm noeh aJe denfliehe , wenn nneh nicht 
grade so schuf wie früher begienste lehmgelbe Streifen , die frei- 
lieh jetst sehr Yariabel sind, entspreehenddemgeringenbiologiBehen 
Werthe, den sie bemupraehen können, denn sie ntttien nur noch in- 
sofern , als sie die grosse Oheifliohe der Raupe eonplren helfen, 
nicht aber mehr dnreh Naehahmong der umgebenden Gegen- 
stlnde. 

Ganz ftbnlich TcrhlUt es sich mit den SehiSgstreifen bei Sphinx 
ConyoWnli, Ton deren Jogendznstand man mit Sicherheit Tor- 
anssagen kann, dass er scharfe, helle Sehrägstreifen besiteen wird, 
da dieselben in mehr oder weniger dentliehen Besten allen an«ge- 
wachsenen Raupen der Art zukommen , besonders den grttnen. 
Ueberhanpt beruht die ganze Zeichnung dieser Ranpe wesentlich 
auf einer Miscimng von Kemiuiscenzen aus früherer Zeit, aus 
Resten der Subdorsale und der SchrSgstrttfen, beide ausserordent- 
lich variabel, zu denen dann noch eine neue Anpassung, die schwarze 
Uieselung der Grundfarbe hinzukommt. Letzteres aber nur 
bei der phyletisch jüngeren braunen, gar nicht oder 
doch nur schwach angedeutet bei der alten grUnen Formt 



Einwürfe zu Gunsten einer phyletischen Lebenskraft. 

Es wurde im vorigen Abschnitt dargel^sit, dass alle drei Zeich- 
nungs-Elemente der Sphingiden- Raupen ursprünglich eine be- 
stimmte Bedcntnng für das Leben der Art hatten, bei welcher sie 
zuerst entgtanden, dass sie auch heute noch bei den meisten Arten, 
welche sie besitzen Ton einem bestimmten, wenn auch zuweilen 
andern Nutzen für ihren Trüger sind und es wUrde somit von die- 
ser Seite her kein Hinderuiss entgegenstehen, sie durch Natnr- 
zttchtung entstanden aufzufassen. 

Wenn man aber die Erseheinongon im Ganzen Uberblickt , so 
ergibt sich Einiges, was mit einer solchen Auffassung vüllig nnver- 
einbar ert^eheint. 

Den gevviehtigstcu Einwurf bietet die Gattung Deilephila. 

Die Reihe von Ringflecken, welche fast alle beute lebenden 

Weismann, »tiMli«n. II. g 



114 Ontogencfle und Morphologie der Sphingiden-Zeiehnttiif . 

Arten in grnsserer oder geringerer Ausbildung besitzen , hat sich 
ans einer einfachen Sabdorsallinie entwickelt. Es könnte deshalb 
nidit Uberraschen, wenn wir eine Art ?orfUnden, welche noch 
ohne Bingfleeke blos diese Linie als einziges Zeich- 

nnngselement besiisse. Wenn es sich bei D. Hippophaes 
80 einfach verhielte, würde die Annahme, das« diese*; Art die 
Stammform der Übrigen Arten sei, keinerlei theoretische Schwierig- 
keiten mit Bich führen. 

Man würde sagen, dass erst eine spätere Art die Ringflecke 
durch NaturzUchtung ans der Subdoraale entwickelt ond auf alle 
nadifolgenden, noch jüngeren Arten vererbt habe. 

Nnn besitzt aber D. Hippophaes in einzelnen In- 
dividuen kleine, zum Theil ganz wohl entwickelte 
Ringfleckc auf mehreren Segmenten! Die Ring- 
flecken-Reihc ist bei ihr in der Entwicklung be- 
griffen! Die Übrigen, phyletisch weit jüngeren Arten können 
die Kingflecke nicht von ihr geerbt haben, da sie sie selbst nur sel- 
ten und als ersten Vcrsucb besitzt , sie müssen also — so scheint 
es — sclbstständig und unabhängig von den Hing- 
flecken der andern Arten bei ihr entstanden sein. 
Wenn dies aber der Fall wäre, wie würden wir iKWcisen können, 
dass nicht auch bei den übri<;en Arten das Auftreten der Ringflecke 
selbststäudiij: f^^escliab, und wenn bei einer grösseren Anzahl von 
Arten dersell)C Charakter sich zeigt, ohne auf Vererbung 
von einer gemeinsamen Stammform zu beruhen, wie 
könnte man dies anders deuten, denn als den Ausfluss einer in 
diesen Arten liegenden Kraft, gleiche Variationen liervor/.u- 
bringcn und was wäre diese anders, als die »bestimmt gerichtete 
Variatinn" Askenasy's d. h. eine phyletischc Lebenskraft? 

Die einzige Auskunft aus dieser Redrängniss würde etwa in 
dem Nachweis zu tinden sein, dass D. Hippophaes in früherer 
Zeit schon Ringtlecken besessen . dieselben aber später wieder 
tlu'ilweise oder ganz verloren halie , dass also die zuweilen bei ihr 
V(trkonMuenden Ringlleeke auf K ii e k sc ii 1 a g beruhten. Die Onto- 
genese lehrt aber, dass dies nicht der Fall ist. da die Jüngere 
Raupe nicht etwa zahlreichere uud deutlichere Ringflecke besitzt, 

*l Oder eine andere, ausgeatorbene , aber analog gezeichnete Arti 



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Ontogenete und Morphologie der Sphingideo-Zeichnung. 115 



sondern derselben ▼ollstlndig entbehrt mit ein^i^^cr 
Ansnalune des elften Segmentes, aof dem sieh ein fother Fleek be- 
findet, der aber aneh weit sehwieber ist, als im leisten Stadium. 

Die LOsnng des RSthsels ist in dieser letiterwfthnten Thalsaehe 
▼erborgen. Die Voraassetsnng des ganzen Baisonnement war 
nniicbtig , der eine rothe fleck anf Segment 11 ist ebenfalls ein 
Btngfleek, nnd swar der wiehtigste von alleni weil der pri- 
mftre, der snerst entstandene. Diesen besitxen nnn aber 
alle Individnen ohne Ausnahme , dieser erste Bingfleefc ist n II ti- 
li eh nnd somit durch Natnisttebtang henroigemfen, er wird nicht 
ererbt, sondern bei dieser Art neu erworben sein. So wenigstens, 
wenn mono oben gegebene Deutung dieser Flecke richtig ist. 

Dieses primftre Fleckenpaar konnte nun von dieser Art auf 
spUere Arten durch Vererbung ttbertragen werden. Da aber bei 
jedem segmentirten Thier die Neigung vorhanden ist, die Eigen- 
thllmlichkeiten eines Segmentes anf den übrigen lu wiederholen, 
so m n SS diese Wiederholung bei den späteren Arten immer reich- 
licher und TollstBndiger eingetreten sein, nnd dies um so mehr, 
wenn der Fkroeess der Wiederholung durch Natursttchtung begttn- 
stigt, wenn die Bei he Ton Ringfleeken, welche auf diese Weise 
entstand, in irgend einer Weise inm Nutzen der Art yerwendet 
werden konnte. 

Auch bei Hippophaes selbst muss die Neigung voihanden 
sein, sekundäre Bingllecke herrorsubriogen, nnd wir sehen ja 
thalsiehlich bei einem Bruchtheil der Individuen eine mehr oder . 
minder lange Beihe sohsher Sekundärflecken auf sehr Terschiedner 
EntwickluiigshOhe. Wenn dennoch die Bingfleek - Beihe sieh nicht 
zu einem constanten und wohlentwickelton Charakter erheben 
konnte , so findet dies seine einikche Erklärung in dem Umstände, 
dass ein soleher die Eiistens der Art gefährdet haben würde. 

Es liegt also in diesem FUIe durchaus keine NOthigung zur 
Annahme einer phyletisehen Lebenskraft. Gtade die Bingflecken 
der CkUtung Deilephila geben uns vielmehr eine vortreiniche 
Handhabe, eine Thalsaehe zu verstehen, wetehe andernfalls sehr 
tn Gunsten ^ner phyletisehen Kraft vorgebracht werden könnte : 
die strenge Oesetzmässigkeit in der Entwicklung der 
Ranpenzeichnung. 

Ehe ich durch das Studium der Hippopbaes-Zeichnong nnd 

8» 



116 Ontugene»c und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 

-Entwidduig »i der Entdeokinig geleitet wofden war, dais die 
Dellephilalleeken nor auf einem Segment entstanden nnd tod da 
ana eekondir anf die Übrigen ttbertiagen wniden, eneUen mir dieie 
entannliebe Geaetamlaeigkeit ein nnventladlielies Rftibeel, welelieB 
sieh nar doreh die Annalime einer phyletisehen Kraft Ktoen liesie. 

Man Tersnolie nnr einmal, ftlr die lehn hier besproehenen Arten 
einen Stammbaum an eonatmiren, liaiirt anf die VovanMetsnng, daw 
die Fleekenreihen selbst ererbt worden seien, wo sie tlber^ 
hanpt Yorkommeo, niebt blos die Tendena anr Horror- 
bringnng derselben darob Uebertragong des einen ur- 
sprOnglieli ererbten primSren Fleokens auf die flbrigen Segmente I 

Es wild niebt gelingen ; man mnss den giOssten Tbeil der 
Arten in eine Reihe ordnen, weil stets die eine Art eine Zeich- 
nnngsform als fertiges Kleid trägt, die bei der folgenden als Jngend- 
kleid auftritt. Ist es aber sehr nnwahrscheinlieh , dass nenn rer- 
schiedene, direkt ans einander hervorgegangene Arten gleichzeitig 
neben einander leben , so läset sieb vollends eine Art, D. Ves- 
per t i 1 i o , gar nicht in diesen Stammbaum einfUgen , da sie einen 
Charakter entbehrt, der allen andern zukommt: das Sehwanzhom ! 
Dasselbe fehlt schon im dritten Lebensstadiam bei ihr, mussalso 
sehon in sehr frtther Zeit der phyletisclicu Entwicklung verloren 
gegangen sein, nnd wir dürfen sie deshalb nur mit der ältesten, be- 
kannten Art genetisch in Verbindung denken. Nun besit/.t sie aber 
gans dieselben Entwicklungsstufen der Zeichnung, wie die Übri- 
gen Arten ' Wäre demnach die Bingfleckreihe als solche durch 
Vererbung Ubertragen worden, so wäre die Existenz einer hondosen 
Art mit iUngflecken ein unverständliches Räthsel nnd wttrdc fUr die 
Annahme paralleler Entwicklungsreiben sprechen, die dann 
wiederum kaum eine andre Erklärung finden könnte, als die durch 
»bestimmt gerichtete Variation«'. Es liegt hier einer jener Fälle 
vor, wie sie schon öfters von Anhängern der phyletiscben Lebens^ 
kraft ftlr ihre Ansiebt geltend gemacht worden sind. 

Die Auflösung solcher Fälle, d. b. ihre ZurUckfUhrung auf die 
bekannten Uniwandlungsursacheu ist niemals leicht, weil sie 
ohne genaue Kenntnis» der Ontogenese vieler Arten , sowie der 
ursprünglichen Bedeutung der in Frage kommenden Charaktere 
niebt niüglieb ist. In diesem Falle der Deilephila-liaupen 
aber gelingt dieselbe Es liegen hier allerdings parallele 



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OntogeoeM und Morphologie der Sphiogidea-Zeichnuog. 117 



EntwieklangBreihen Tor, »ber sie berahen nioht «if der 
nbekaimteo phyletieehea Lebeosknift, aondeni auf den ans 
ihren Wirkungen wenigstens bekannten innern Bil- 
dnngsgesetsen des segmentirten Organismas. Weil 
Charaktere eines Segmentes dieMeigong haben» sieh aoch anf 
den andern so wiederiiolen . dämm ktfnnen von einer Stammform 
ans, wefehe nor auf einem Segment Bingfleeke besass, mehrere 
Entwieldongsreihen ansgegangen sein, welche alle nnabhBqgig 
▼on einander, JRiagfleek reihen hervorbraehten. 

Wir werden deshalb etwa das folgende Bikl eines Stammbaumes 
entwerfen dürfen. 




ICSi^loher Btammbaam der Chrttnag Dflilepblla. 

Die KreiM beimohnen die phyletigefaen Stadien IV— VIII. } das eolite wird 
nur von Nleaee erreicht und unterwlieidettieh vom siebten hauptsftchlieh 
durch die OntüRencsi'. in di ren d r i 1 1 cm Stodimn «Hon die sichte phylelische 
Stufe erreicht wird, w&iirend bei Kuphorbiee und Dahiii ernt im vierten. 
Die mit Fragezeichen beseichneten phyletiachen Stetionen sind ausgestorben 
und nur dvnsh iS» Ontogenese der lebenden Arten bekannt Ee versteht sieb, 
daas dieser Stammbaum nur die formalen Beziehungen der Arten zu einander 
ausdrücken soll, nicht die realen. So wäre es möi,'lich, dass nicht Hippophae« 
die Stammform der übrigen Arten wäre , sondern eine unbekannte oder ausge- 
Bloibene Art, die jedoeh dieaelbe Zeichnung besessen haben mufs 

q. B. w. f 



IIS Ontogenese und Morphulugie der Sphingiden-Zeichnung. 



Hier gehen vier FtoaUelreilieii toh der Stammfonu Hippopbaee 
ans, es konnten ihrer nach ftlnf gewesen sein , vieUeieht andi nur 
drei. Bei dem Ittekenhaften Znetand nnsrer ontogenotisehen Kennt- 
nisse IXsst sieh darüber nichts Sicheres anesagen, es ist aber aoeh 
dir den Ponkt, der hier in Betraoht kommt, ganz gleiohglUtig. Die 
Entfeninng von dem Hittelponkt (der Stammform) gibt die phyle- 
tisohe Entwidklongsstofe an, anf welcher die betreffende Art hente 
steht. 

Bin zweiter Fall ist nicht minder lehrreicb , weil er noch in 
etwas anderer Weise das Wirken innerer im Oigantsmns selbst 
gelegener BUdnngsgesetie erscbüessen lässt, welche dennoch 
darchaos nicht einer phyletischen Lebenskraft gleichgesetzt wer- 
den dtbfen. 

Ich meine die farbigen S&nme der Schrägstriche, wie sie 
bei den meisten Arten der Gattung Sphinx vorkommen. 

Es wurde in einem früheren Abschnitt schon hervorgehoben, 
dass die Entsteh aufweise derselben durchaus gegen die Annahme 
einer phyletuehen Kraft spricht uiui zwar deshalb, weil diene far- 
bigen Säume ans anregelmässig hier und da zerstreuten Flecken 
erst allmälig zusammen gesetzt werden! Eine uEntwicklungskraft« 
braachte nicht erst im Dunkeln zu tappen , von ihr darf erwartet 
werden . dass sie nene Charaktere mit der öicherhmt des Meisters 
den alten hinzufügt. 

Wenn aber auch sicherlich die Farbensänme auf der Thiitig- 
keit der Natarzttehtung beruhen, indem diese die zerstreuten 
FIf cke /nsammenzog, ordnete und strichartig gestaltete , so liegt 
doch darin, dass jene ersten Fleckeu bei mehreren Arten in 
ganz gleicher Weise und unabhängig v one inander auf- 
getreten sein müssen, der Beweis, das» in der That in gewissen! 
Sinne eine »bestimmt geri rli tete Variationa besteht. 

Bei drei Arten von Smerinthus-Raupen erscheinen 
gegen Kmlo der Ontogenese rothe Flecken; bei Sm. Populi und 
Ocellata nur bei einer Minderzahl von Individuen und stets ge- 
trennt, nicht zusammengeflossen , bei Sm. Tiliae aber bei den 
meisten Individuen und nicht selten zu einem einiigen , grOsswoi 
und länglichen Flecken zusammengeflossen. 

Die drei Arten kOnnen diese Flecken nicht etwa von einer ge- 
meinsamen Stammform ererbt haben, denn die Flecken fehlen in 



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Ontogeneae und Morphulugie der Sphingiden-Zeichnung. 1 19 



dm jttngerai Stadien der Ontogenese oder treten doch nnr ans- 
aaluneweise auf, ond werden erst in dem letiten Stndinm Ubifiger 
and grteser; ne sind offenbar ein in Vorwäjrts-Enttrieldangbe- 
grittaer Charakter. 

Woher kommtes nun, daes drei Arten nnabh&ngig 
▼on einander in analoger Weise rariiren? Ich weiss 
keine andere Antwort darauf, als die, dass aus ähnlicher 
physischer Constitution auch ähnliche Variationen 
mit Nothwendigkeit hervorgehen mttssen. Oder anders ■ 
gewendet: die drei Arten haben von ober unbekannten, noch 
fleckenlosen Stammart zwar nicht die Fledcen erben kttnnen, wohl 
aber eine physische Constitation, welche lurHerrorbringung rotber 
Flecken auf der Haut neigt. Der Fall bietet viele AehnUchkeit mit 
dem der Farben-Tarietftt bei Laoerta mnralis, auf welche 
Eimer*) kttndich aufinerksam machte in seinen interessanten 
liitflieilnsgen Uber die blaue Eidechse des Faraglione-Fehens bei 
Capri. Bei verschiednem Schldelbau besitsen doch die Eidechsen 
Sttd-Italiens dieselben prägnanten FarbenvarletBten, wie die Nord- 
ItaH^ns und Eimer glaubt dieses Variiren in gleicher Richtung an 
weit entfernten, zum Theil seit langer Zeit isolirtcu Ocrtlichkeiten 
auf eine der Ari-Gonstitution innewohnenden Tendenz, bestimmte 
VariationsrichtuDgeii einsusdilagen, beziehen zu mttssen. 

Ich habe schon vor geraumer Zeit ) betont, dass man nicht 
▼ergessen darf,(^ie dieProdukte der Natursttchtnng in 
erster Instanz von den Variationen abhängen, welche 
der betreffende Organismas der Natarzttchtnng bie- 
tet, dass die Zahl der möglichen Variationen fUr j( de 
Art zwar sehr gross sein mag, keineswegs aber im 
bnchstäblichen Sinne genommen unbegrenzt ist. Es 
moss für jede Art auch unmüglicbc Variationen gehen. Ich 
meinte deshalb, das» die p b y s i s c b e N a t n r einer jeden Art eine 
nicht minder wiehtige Rolle bei der Hcrvorbriugung neuer Charak- 
tere spiele, als Natuizttchtoqg , welclie doch immer erst mit den 



*i Zuulogische Studien auf Capri. IL Ltecfto nuinlu ooenil*, ein Boitng 
lur Darwin sehen Lehr». Leiiizig 1S74. 

**) Ueber die Berechtigung der Darwin 'sehen Theorie. Leipzig 186$. S. 

Siehe nueb den ersten Theil vorliegender Schrift: Ueber den 
Saiioii-Dlmcrphiimvs der Sefametterlinge S. 82—84. 



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120 OntogeneM und Morphologie der Spbingiden4Mebnttng. 

AuflllMeii jener physisclien Natur, nimlich mit den Vsristioiieii 
operinn ond Neaes schaffen kann. 

Es bedürfte nur .einer geringen Aendernog der Deßnition, nm 
aasdiesertVariatioiiBei n seh rU n k ung« oder »Variations- 
begrenzDDg*, wie sie ein nothwendiger Ausflnss der physischen 

Constitution einer jeden Art sein mnss, eine »bestimmt gerich- 
tete Variation« im Sinne einer phyletiscben Lebenslirafk so 

machen. Statt zn nagen: die Smerinthns-Kaupen neigen dam, 
rothe Flecken aaf der Haut li(>rvor/.nbringen, brauchte man nur an 
sagen : dieselben neigen zur Hervorbringnng rother Säume vor den 
Sohrägstrichen«. Das Letztere ist über nicht richtig, da die 
rothen Säume erst durch das Zusammenlegen rother 
Flecke durch Na tnrzUchtung entstehen. 

£s ist aber auch nicht einmal richtig, dass alle Smerinthns- 
Arten diese Neigung znr Fleclien-HeiTorbringung erkennen lassen. 
Vielmehr scheinen dieselben weder beiSm. Quercus, noch bei 
Sm. Tremulae yorzukommen. 

Der Unterschied in der beiderlei Anffassungsweisen tritt klar 
an Tage, wenn man sich fragt . oltz. B. diejenigen Chaero- 
campini-Ranpen, welche heute keine Augenflecken 
besitzen , dieselben später noch bekommen wttrden, 
falls sie sich lange genug auf der Erde halten können? 

Die Anhänger einer »bestimmt gerichteten Variation" werden 
darauf mit »Ja« antworten mtlssen. Die Augeuiiccke sind ein 
Charakter , der fast allen Arten der Grnppe zukommt , d as Z i e 1 , 
welches von der phyletischeu Kraft angestrebt vrird und welches ein 
jedes Glied der Gruppe früher oder später einmal erreichen muss. 

Nicht so bestimmt wird sich dagegen der ausdrücken, der mit 
mir der Meinung ist , dasB ccmiiilicirte Charaktere wie mehrfarbige 
Schrägstriche und gar Augentiecke niemals d as U e s u 1 1 a t re i n 
innerer Kräfte sind, sondern innner nur durch Thätigkeit der 
Naturzllchtuiig entstehen d. h. durch Conil)inati<in der nWh dar- 
hicteuden kleinen und eint'achen VarialioiuMi. Kr wird ant- 
worten , dass die Hervorbringung von Augenliecken bei solcliou 
Arten , welclie derscDjen jetzt entbehren, zwar nicht als unmiiglich 
angesehen werden kann, dass sie alier nur dann einln ten werde, 
wenn auch die Constitution dieser Arten zur Ilervurbiingung dunk- 
ler Flecken am Bande der bubdorsale neige und wenn zugleich der 



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Untugeoe«« und Morphologie der Sphingidcn-Zeichaung. 



121 



BmHi von Angenileckeii der Raupe in ihren speciellen Lebensver» 
httltoissen von Noteen sein wtlrde. 

Gans anders steht die Saehe» wenn es sieh nm die blosse 
Uebertragnng eines auf einem einielnen Segmente bereits vorhand- 
nen Charakters aof die andern Segmente handelt. Hier erfolgt 
diese Uebertragnng ans rein Innern Ursachen, ans den im Organis« 
mos herrschenden Gleichgewichts- oder Bildnngsgesetnn (Corra- 
lation) nnd die inssem Liebensverliältnisse spielen dabd nnr dne 
negatiTe Rolle, indem sie die vollständige Reproduktion des Cha- 
rakters auf allen Segmenten so i. B. der Augenfleeken yerhindem 
. können, sobald dieselbe der Art naohtheilig wftre. Vielldoht ist es 
so SU erkliren, dass bei unsern Chaeroeampa- Arten nnr 
schattenhafte Andentungen der Augenfleoke auf den ttbrigen Seg- 
menten stehen, nicht aber voll ausgebildete Aqgenilecke. Es wXre 
denkbar, dass die zwei Angenpaare voin einen grossem und wirk- 
sameren Schrecken ausübten, als wenn das Thier mit swei langen 
Reihen TOn Augen ?enehen wäre. Voriftufig ISsst sich darüber 
nichts Sicheres sagen, suerst müssen Versuche mit sohshen Baupen 
angestellt werden, welche Augen-Reihen besitien. 

Bei der oben aufgeworfenen Frage, ob bei den augenflecklosen 
Cbaerocampa-Arten tu erwarten sei, dass sie im Laufe ihrer weite- 
ren phyletischenEntwieklungAugenflecke erhalten würden, kommt 
noeh ein anderer Punkt in Betracht, der hier nicht übeigangen 
weiden darf. 

Wenn nümlidi auch die Nützliehkeit der vier Zeichnungs- 
Elementein ihrer ausgebildeten Form nachgewiesen wurde, 
so ist damit doch, strong genommen, ihre Entstehung durch 
NatursOehtnng noch keineswegs bewiesen. Es müssteanch 

gezeigt werden, dass schon die ersten Anfänge dieser Charak- 
tere ihrem Träger nütBÜch waren. Die Frage nach der N ü t z 1 i e h - 
keit der »Anfangsstufen« nützlicher Bildungen istes, 

welche hier berührt werden muss. 

Bei den ttbrigen Zeicbnungselementen, den Längsstreifen und 
Schrägstrichen ist diese nun allerdings selbstverständlich , die An- 
fimgsstnfen (lieber einfischen Charaktere fcttnnen nicht sehr von der 
auitgehildeten Form verschieden gewesen sein , wohl aber war dies 
der Fall bei den Augen- und Kingfl ecken. 

Bei den Bin gf lecken lässt sich die Frage am klarsten be- 



122 



Ontogenew und Morphologie der Sphingiden-Zetohnung. 



leuchten , weil sich hier eine Art der Beobaobtong bietet, welche 
noch im Beginn der RingfleckbildiiDg stehen gebUeben ist: Dei- 
lephilaHippophaes. 

Ich sachte wahrscheinlich zn machen , dass die Orangerothen 
Flecke, welche hier in der Regel allein das elfte Segment ziereiii 
ciuc Verstärkung der sympathischen Färbang der Baope herv<N^ 
bringen, indem sie die Farbe der Beeren des Sanddoms naehahmen, 
wie die tibrige Runpenfläche die Farbe der Blätter. 

Nehmen wir dies als richtig' an, so hat die Entstehung dieser 
Flecke durch NaturzUchtung keinerlei Schwierigkeit, da auch ein 
sihwUclicrcs Roth oder ein kleinerer Fleck einen geringen NotMn 
für den Träger haben musste. 

Der Fall ist aber insofern von Bedentong» als er seigt , dass 
bei diesen Zeich nungselementen ganz ebenso wie bei 
andern Organen der verschiedensten Thiere im Laufe 
der phyle tischen Entwicklung ein Fu nction 8 Wechsel 
vorkommen kann. Denn diese Flecke, wclchebeiHippophaes 
rothe Beeren nachahmen, spielen bei pliylctiKch weiter vorgeschrit- 
tenen Arten eine ganz andere JKolle, sie bilden Sohreokmittel 
oder W idrigkeitszeielien. 

Es ist mir sehr onwahrHcheinlieh, dass auch die ächten Augen- 
flecke der Chaerocampini einen solchen » FunktionswechseU 
(Dohm) durchgemacht haben, vielmehr glaube ich, dass schon 
die erHten Anfänge derselben die spätere Wirkung, hervor- 
brachten, *d. i. Schrceken. Wir sind allerdings hier nicht in der 
günstigen T^ge, eine Art za kennen, welche die Anfangsstufen 
dieses Charakters in ihrem letzten Lebensstadinmanfwiese, 
aber wir sehen in den Anfangsstnfen , wie sie uns ans dem iweiten 
Lebensfltadium einiger Arten vorliegen, die Form erhalten, unter 
welcher die Angenflecke in der Phylogenese zuerst aaftraton, und 
können daraus wohl mit einiger Sicherheit die Wirkung ennesMW, 
welche sie damals ausüben mnfwten. 

Wir sehen in der Ontogenese von Cbaerocampa Elpenor 
und Force 11 US, dass zuerst eine kleine Ausbuchtung des Sab- 
dorsalstreifs entsteht, deren liohlscito sich nnt dunklerem Grün, 
bald dann mit Schwarz fUllt, worauf nun das aufwärtn gebofrene 
Stllek der Sulidorsale Bich abschnürt und immer vollständiger mit 
Schwarz nmgibt. Dann verbreitert sich das abgeschnürte weisse 



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On^genese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 



123 



SMok und cJne Behwane (dunkle) PtapiUe entsteht in seinein 
Centrnm. 

Nnn mmmt deli allerdings der erste Anfang der Avgenfleeke 
bei einem 2 Gent langen Bänpchen unbedeutend genng ans , allein 
wir dürfen niebt veigessen, dasft derselbe bei den Vorftltem der 
heutigen Chaeroeampa-Ranpen im erwaehtenen Alter anftrat. 
Denkt man sieh aber die mit dnnkelm Pigment unterlegte Ans- 
biegnng der weissen Subdorsale dementsprochend vergiOssert, so 
wird man ihr kaum die Bedentnng dnes Schreckmittels absprechen 
können. Man darf dies um so weniger, als diese Zeichnung 
auf dem angeschwollenen vierten Segment steht, wel> 
cheB an and für sich schon der Raupe ein sonderbares , für kleinere 
Feinde wohl schreckliches Aussehen verleiht. Und wir wissen be- 
stimmt, dass das Aufblälien dieses Segmentes aneh von solehen 
Chaerocampa-Ranpcn feindlichen AngriiTen gegenüber angewend^ 
wird, welche keine Augenflecken besitzen. (Vergleiche 
die Abbildung von Darapsa Chocrilns, Fig. 34.) Jede Zeich- 
nung , die aneh nur entfernt einem Ange glich, musste an dieser 
Stelle die Sehreckwirkung erhöhen und aus diesem Grunde glaube 
ich, darf mit Sicherheit angenommen werden, dass diese Art der 
Zeichnung schoninihren ersten An fnngsstnfen dieselbe 
Bedeutung hatte, die sie heute in ihrer vollen Ausbil- 
dung hat. £in Functionsweclisel fand hier nicht statt. 

Ans alten den im ersten Abschnitt mitgetheilten Tbatsachen 
wttsste ich nun nur noch eine Gruppe von Erscheinungen berans- 
sofinden , welche wenigstens den Versuch einer ZurUckfllhning auf 
mne phyletische Lebenskraft gestattete. Es ist dies das Vor kom- 
men dunklerGrundfarben bei aus gewachsenen Ran pen, 
deren Jngendznstand hell geflu ))t ist. Ich versuchte oben 
zu aeigen, wie dieser Färbnngswechsel bei den Chaerocampa- 
Baupen auf doppelter Anpassung beruht, indem die jugendliche 
Raupe dem Grttn der Pflanze , die ausgewaidisene dem Boden nnd 
dtirren Laube angepasst ist und durch die sympathische Färbung 
gedeckt wird. Diese Deutung muiste nm so mehr zntre£fend er- 
seheinen, als derselbe Vorgang der allmäligen Verdrängung des 
ursprünglichen GrUu durch braune Tüne sich bei Arten ganz anderer 
Gattungen wiederfindet, die die mit der dunkeln Färbung noth- 
wendig verbundene Gewohnheit besitzen , im ausgewachsenen Zu- 



124 Ontogm«M and Iforphologi« d«r Splungiden-Zeidmiiog. 

staDd am Tage sieh zu verbergen. So Sphinx CodtoItoU, Dei- 
lephila Vespertiiio, Acherontia Atropoa. 

Soweit wäre Alle» durch Natarzttchtnng leicht za verstehen. 
Wenn wir aber auch bei Bolchen Arten die »Tendens« sehen , im 
Laofe der Entwicklung eine dnnlile Färbung zo erlangen , w e 1 c h e 
weder sich verbergen, noch Uberhaupt sympathisch 
gefärbt sein kOnnen, weil sie gleichzeitig sehr auf- 
fallend gezeichnet sind , wenn ferner dargethan werden kann, 
dass diese Arten , wie z . B . I) e 11 c p Ii i 1 a G a 1 i i thatsSchlich im- 
mnnitätyor feindlichen Angriffen besitzen, wie auders vcrmi^gen 
wir uns dann dieselbe Tendenz zur Hervorbringung einer dunkeln 
Grundfarbe zu erklären, als durch Annaliinc einer phyletischen 
Lebenskraft, welche die Variationen in dieser Richtung lenkt? 

Dennoch glaube ich , dass auch an diesem Ponkte die Bernfong 
auf unbekannte Kriifte entbehrt werden liann. Erstens können 
dunkle Grundfarben auch noch in ganz andrer Weise der Art von 
Nutzen sein , als dadurch , dass sie als sympathische Färbung auf- 
treten. Bei Dcilcphila Galii wie bei D. Euphorbiae tritt 
vielmehr die lieilc Uingfleekenzeichnung am grellsten auf dem pech- 
schwarzen Grund hervor, und da diese Raupe aufTuUen soll (sit 
▼enia verbo!', so >vird dieser Zweck am besten durch Annahme 
einer (InnkelnTotairärhung erreicht, wiesieanoh beiDeilepbila 
Enphorbiae eingetreten ist. 

Die scheinbar allen diesen Sphingiden-Qattnngan gemeinsame 
Tendenz, im Alter eine dunkle Färbung anzunehmen, beruht also 
anf zwei ganz verschiedenen Anpasrangen, einmal bei den von 
Feinden gesnohten Arten i n der Anpassung an die Farbe des 
Bodens nnd zweitens bei den von Feinden verschmähten Arten 
auf dem Bestreben einen möglichst grossen Gontraat 
inderFärbung hervorzurufen . 

Uebrigens ist die Voraussetzung, von welcher dieses letzte 
Plaidoyer fUr die Lebenskraft ausging, nicht einmal allgemein 
richtig. Denn es gibt auch Arten , welche niemals eine dankle 
Färbung annehmen, wie z. H. Deilephila Nicaca und auch bei 
1). Galii haben alle Individuen zwar das sympathische GrHn des 
Jugendkleides abgelegt, keineswegs al)er alle ein dunkles dafür 
ciiii;ctanscht ; viele ähneln vichnelir in der helllehnigeltien Fär- 
bung auftaUeud den schlangeuälmliohen Raupen von D. Nicaea. 



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OntogMMte nnd Morphologie der Sphiogiden-Zeichnung. 125 



Phyletische Entwicklung der Sphingiden-Zeichnung; Zusammen- 

fatsung; Schluss. 

Wenn wir ans der Form, welche viele Sphingidenraupen beim 
AogscIilUpfcn aus dem Ei besitzen , mit Sicherheit auf die Ulteste 
phyletische Stufe znrttekschliessen dUrfen, so hatten dieSphin- 
gidenraupen anfänglich noch keinerlei Zeichnung. 
Du chaFakteriBtiBche Schwanzhorn muss Ultcr sein, als jede Zeich- 
nmig, denn es findet sich stets schon bei den jüngsten HHupclicn 
u CDU es nicht Uberhaupt fehlt) und zwar meistens sogar in relativ 
bedeutenderer Grösse, als iu spUtereni Alter. 

£& läsHt sich aber noch ein weiterer Beleg dafUr anfllhren, dass 
CS einst Sphingiden-Kaopen ohne jede Zdebnnng gegeben hat. £s 
gibt noch solche! 

Ich meine nicht jene imDnnkeln miuircuden und deshalb farb- 
losen Banpen der Sesien, sondern ich berufe mich auf eine in 
Spiritus eonservirte, gi'osse (Uber 6 Cent. langcy liaupe des Berli- 
ner Masenms*), welche der destalt nach dem IVibus derSme- 
rintbini angehört. Sie besitst ein Schwanzhorn und ist auf der 
ganzen Oberseite mit kurzen, sparsam stehenden Bürsten bekleidet, 
wie solche auch bei den Sesien vorkonunea. Von Farbe scheint 
diese nnbekanntc Raupe hellgrün gewesen zu sein, zeigt jetzt aber 
nnr einen gelblichen Ton. Es fehlt beiihrjedeSpurvonZeich- 
nnng nnd sie entspräche um so genauer dem jüngsten Stadium 
der meisten heute lebenden Sphingiden-Raupcn, als in diesem eben- 
falls kur/.e Borsten sparsam über die ganze Oberseite des Thiers 
vertheilt sind. Wir hätten also gcwissermasscn ein lebendes Fossil 
vor uns und es wäre von grossem Interesse die Herkunft desselben 
kennen zu lernen. 

Alle Daten der Eutwicklungsgescliiclite laufen darauf iiiuaus, 
dass von den drei, bei Sphingiden vorkoinmcndcn Zt-iclinun^s- 
fornien, der L än g s s t r o i f n n g , den S c b r ä g h t r i c h e n und den 
Flecken, die ersteie die Ulteste ist. Unter den Arten, welche 
mit Schrägstrichen, oder mit Flecken ge/iert sind, finden sich viele, 
deren Jugendstadieu längsgestreift sind, das Umgekehrte aber 

*j Die Kenntnias derselben verdenke ich der Freundlichkeit neinM ver- 
duften CoUegen Froreeeor Oeretieker. 



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1 26 Ontogenese und Morphologie der Sphingiden-Zetchnung. 



findet sich mcbt: niemalfl weagt die jonge Banpe Flecken oder 
Schrlgatrielie, wenn die erwaehsene Banpe nnr UngsgeBtraift ist. 

Die erste nnd ftlteste Zeichnung der Spliingiden- 
Ranpe war also die LftngBBtreifnng, oder genaner der 
SnbdorBalstreif, zn welchem ein Dorsalstreifnnd einStigmal- 
Btreif noch hirnnkommen konnten. DasB aneh dieees zweite phy- 
letiBche Entwieklnngsstadium nnB in lebenden Arten erhalten int, 
wnrde bereitB mehrfooh angeführt, die eineTribaB, die der Ha- 
crogloBBini ist sogar groBsontheilB anf dicBem Entwicklongs- 
stadinm Btehen geblieben. 

Nach dem hiologiBchen Werth, welchen wir dieser Zeichnnngs- 
fonn snBprechea mOssen, hat ihre Entstehung durch Natnrxllchtung 
keine Schwierigkeit. Schon der erste Anfang einer Streifbng muss 
nlltslich gewesen sein, denn er zerlegte für das Auge des Be- 
schauers bereits die grosse anffftllige Fläche des RaupenkOrpers in 
mehrere Sttlcke und machte sie dadurch weniger anffallend. 

So ist aneh nicht schwer einzusehen , wie eine ganze Gmppe 
Ton Gattungen sich mit dieser niedrigen Stnfe der Zeichnung bis 
heute bchelfen konnte. FUrbnng und Zcicliniitig »md ja nicht das 
einzige Schutz- und Trutzmittel dieserThiere, und grade die Raupen 
der 80 einfach gezeichneten MncrnglnsBini besitzen z. B. die 
Rchntzende Gewohnheit nur bei Nacht zn fiessen , bei Tage aber 
sich zn verbergen. Uebrigens kann unter gewissen Lebensbe- 
dingungen die Längsstreifnng auch für eine Spbin^iden-Kanpe ein 
besserer Schutz sein, als irgendeine andere Zeichnung', nnd alle 
die Arten, bei denen sie heute nf>ch die bleibende Zeichnung ist, 
lohen entweder zwischen Gräsern, oder an Co- 
nifer en. 

Man kann nicht eigentlich sagen, dass die zweite Form 
der Zeichnung, die »Sch rUgs triebe, sich :uis der ersten ent- 
wickelt hätte. Wäre sie durch Umwandlung der ersten entstauden, 
so könnten nicht beide gleichzeitig nebeneinander bestehen. 
Dies ist aber der Fall, sowohl bei einzelnen Arten im erwach- 
senen Zustand (C a 1 y m n i a P a n o p n s *) , als bei andern in jugend- 
lichem Alter (am schönsten bei Smerinthus Pop u Ii Fig. 56). 

Dass die Schrttgstreifen aber später in der pbyletisehen Ent- 



•) Catalogue Eut India Comp. Taf. VIII. 



I 

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Ontogenese und Moiphologie der Sphingiden-Zeichnung. t27 



Wicklung eraehienen lind, als die UiigSBtreifang , dies geht ans 
Tenebiednen Thatsaeben iiervor. 

Eiomal treten sie in der Ontogenese einiger Arten spiter anf, 
alsdieliingsstreifen. SobeiChaeroeampaElpenornndPor- 
eel 1 n s , bei welehen sie freilieb ttbeibaapt niobt zu lieber Bntwiek- 
long gelangen. Dann aber versebwinden die LBngsstreifen häufig 
im Laufe der Ontogenese, wftbrend die Sebrigstreifen allein das 
Feld behaupten. So sebwindet die Subdorsale bei allen dabei- 
miseben Smerinthus-Arten sebon sehr frtth bis auf geringe Beste *) ; 
ieb snebte aber oben su leigen, dass neue Oharaktere nur im 
lotsten Stadium binsugefUgt werden und dann, wenn wiederum 
neue binsukommen aus dem lotsten Stadium Terscbwinden und auf 
die jüngeren snrQekrIleken. Die Oharaktere Torsebwinden 
also aus einemStadinm in derselbenOrdnung, in wel- 
cher sie gekommen sind. 

Schliesslich kennen wir unter den lingsstreifigen Ghtttangen 
(s. B. Haeroglossa) einsebie Arten, welche im Alter kleine 
Sebr&gstriobe besitxen (H. fuoiformis), wenn auch in 
umgekehrter Bichtung yerlauibnd, wie bei den misten, andern 
Sphingiden-Baupen. Es sind dies aber stets solche Arten, welche 
von der Lebensweise der andern Arten abweichen, und nicht 
mehr im Grase und an Krilutem, sondern an grossblitttrigen 
Stiinebem leben. Wenn wir einst ihre Ontogenese kennen lernen 
werden, wnd sieb herausstellen, dass die Schrlgstriche eist spKt 
auftreten, wie dies fttr Pterogon Oenotherae heute berella 
nachgewiesen ist. 

Wenn aber gefragt wird, warum luerst die Lftngsstrei- 
fang und spiter erst die Schrägstreifung bei den 
Sphingiden sieh ausbildete, so kSnnte darauf mit einem Hin- 
weis auf die physisebe Oonstitntkm dieser Raupen geantwortet wer- 
den, welche leichter die eingehen LSngsUnien, als die in ihrer die 
Segmente krenienden Biebtung oomplicirt bcrzustellenden Schrilg- 
streifen ber?orbringen konnte. Dürfte aber nicht vielleiobt auch 
daran gedacht werden, dass die ältesten Sphingiden vor w legend 
auf niedrigen Pflanzen zwischen GrlUern lebten und 
erst im Laufe der Zeit allmälig auch auf Strttuober 

*) Ein solcher Reit findet «ieh «ehr deutlieh bei Smer. Ocellata; eiehe 
Kg. 70. 



1 2S Ontogenete und llorpholugiu der Spbingiden-Zeichnung. 



and Bftome ttbersiedelten? Aneh heote noch leben die 
meisten Sp1iingiden>Baapen auf ntedein Pflanzen, wenige and 
meist nar die AngeliOrigen bestimmter ganier Gattungen aaf 
Bftnmen. 

Der Cbarakter der ScbrSgatricbe yervollkommnete sieb doreb 
begleitende FarbenaKnme. Es verstebt sieb von selbst, dass die- 
selben erst BpSter binsngekonunen sind. 

Das dritte Hanptalement der Sphingiden- Zeichnung: die 
Flecken, inOgen sie nun Achte Au gcnf lecke oder nur King- 
fleeke sein, sind bei sweien der hier spcciell berttcksichtigtoi 
Gattungen im Anseblnssan die SnbdorHallinie entstanden, und zwar 
bal>en sie ßich entweder auf ihr abgelagert (Deilephila) oder 
^^cradezu durch Umblldnng eines Stückchens der Suhdorsale ans 
ihr gebildet (Chaerocampa). Dass sie aber ancb nnabhängig 
▼on der Snbdorsale entstehen können , beweist der an Stelle des 
ScbwanzhomR stehende AugcnfleokTonPterogoD OenotfTerae. 
Aherauch hier lehrt die Ontogenese, dass seine Entstebnng der 
der Subdorsale naobfolgt, so dsss man allgemein sagen kann, alle 
diese Fleckenzeichnungcn sind später entstanden, 
als die L&ngsstrcifenzcichnung. 

DieFragenaeh dem relativen Alter der Schrägstrei- 
fang nnd der Fleckenzeichnnnglisstsiob nicht allgemein 
beantworten. In einigen Fällen (Chaerocampa Elpenor nnd 
Porcellus] verschwindet die Sehrttgstreifang , wenn die Augen- 
flecke zu voller Entfaltung gelangen, nnd man dürfte daraus fttr 
diese l'^illic seliliessen, dass nie auch frllhcr in der Phylogenese auf- 
getreten ist. Allein es ist sehr wahrscheinlich , dass Schrligstreifnng 
an versehiednen Zeiten unabhängig von einander entstanden ist, 
wie sie denn aueb, so gut wie die Längsstreifung auch in ganz an- 
dern Familien sporadisch vorkommt. Es wäre ein grosser Irrthum, 
Wollte man ans dem Besitz von Schdigstrcifcn allein sehon auf Ab- 
stammung einer gemeinsamen Stammform schlicssen. Die Schräg- 
Rtreifung, welche sich bei einzelnen Macrogl ossa-Artcn findet 
(Macrogl. Corythus, Indien; ist nicht von lanj^cher vererbt, 
sondern unabhängig bei dieser oder einer naheiie^^enden Stammart 
erworben worden. Sie hat genetiseb Nicht« zu thun mit der 
Schrägstreifung, welche bei einigen ('ha er ocauipa -Arten vor- 
kommt (z. B. bei Chaerocampa ^ essus aus ludien], oder mit 



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OntofeneM und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. 129 

• 

der SdurägstFeifbog der Smerinthas- oder SphinX'Arten. Sie 
bemlit eiofteh auf analoger Anpaesnng Seidlitzj'; d. h. auf 
AnpasBung an analoge Umgebung. 

Gans iluüieh verluateB deh mit den Fleekenseiehnnn- 
gen. leh habe oben sohon henrorgehoben, dase noter Umstlnden 
die Bingfleeke ganz das Anssehen von Angenfleoken ge- 
winnen können, dadnreh nSmlieh, daas lidi ein Kemfleek aof 
ihrem Spiegel bildet, wie diee in seltnen FUlen bei Deilephila 
Enphorbiae (Fig. 43), hftafiger bei D. Galii, als Begel aber bei 
D. Vespertilio Torkonimt Dennoeh sfaid dieselben anf ganz 
anderm Wege entstanden , als die Aogenfleeke der Ohaerooampa- 
Arten, hingen also genetisch niditndt ihnen zosammen, die beiden . 
Gattungen haben sieh zn einer Zeit getrennt, wo noch keine von 
Ihnen Fkckenzdehnnngen besass. 

Bei Pterogon Oenotherae finden wir dann eine dritte Art 
von Fledudchnnng, wdehe den Angenfleeken der Ohaeroeampa- 
Banpen am idlohsten kommt, aber an ganz andrer Stdle steht, anf 
ganz andre Weise nnd folglich auch ginzlich nnabhingig von 
jenen entstanden ist. 

Es Usst sich aoch ganz wohl Terstehen, warum das erste 
und zweite Zeichnungs-Element der Sphingidenran- 
pen sich ansschliesst, das zweite und dritte aber 
nicht und ebensowenig das erste und dritte. 

Ein heller Längsstreif, der die Schrägstriche 
schnei det , yermindert sehr bedeutend die Aehnlidikeit mit einem 
Blatt, welche diese anstreben und findet sich deshalb auch nur da, 
wo Ton der Wirksamkdt einer nacbabmeDden ZeiebnuDg wegen der 
Kleinheit der Ranpe noch keine Rede sein kann , d. h. bd gua 
jungen Ränpchen (vgl. z. B. Fig. 56, erstes Lebensstadium von Smer. 
Populi). Im spätem Leben mnss dann die ältere Zeichnung der 
neueren weiclmi und wir finden dementsprechend die Sabdorsale 
TCnM^wundtti anf allen Segmenten, auf welchen Schrägst reifen 
stehen und nur auf den vordersten SegmciUen erhalten, aufweichen 
diese letzteren fehlen. In wenigen FttUen kommen allerdings den- 
noch beide Zeiehnnngselemente zusammen vor , so bei C a 1 }' m n i a 
Panopus und Macroglossa Corythus, dann und aber die 

*) Die Darvin'sche Theorie. Elf Vodetungen über die Entstehung *der 
Thiere und Pflanzen durch Natanflchtong. 2. Aufl. Leipsig 1675. S. 1S5. 
Waiirnksa, SUdin. Ii. 9 



130 üntogeaeM und Morphologie der Sphingiden>Zeichnung. 

Sohtigstridie kttner und leiehen meht ttber den Snbdonalstreif 
hinaiiB, bei Darapsa Ohoerilns verBchmelzen sie sogar mit 
denselbeii. 

Es konnte in einzelnen FÜlen ancb eine besondere Blattstroc- 
tur dnrah die Längstreifen nacligeabmt werden, im Gänsen aber 
setsen Lftngsstreifen die Wirkung der Sebiftgstreifen herab, und wir 
finden dementsprechend nidit nur die Sobdorsale anf den Segmen- 
ten mit SehiAgstrichen in der Regel geschwunden, sondern die 
meisten Banpen mit Schrftgstreifnng entbehren anch 
der sonst so rerbreiteten, Ittngslanfenden Stigma- 
und Bliokenstreifen, so alle mir bekannten Smerinthns- 
Arten, alle Arten der Gattungen Sphinx, Dolba, Aeherontia. 

Sehrägstreifung aber und Fleckenzeiehnung brau- 
chen sich nicht gegenseitig in ihrer 'll^kung su beeintiiehtigen und 
finden sich auch in einzelnen FftUen beisammen, wenn allerdings anch 
wohl niemals in gleich starker Ausbildung. So besitzt Chaero- 
campa Nessus*) starke Schrilgstrdfen, aber schwach ent- 
wickelte Augenflecke, und umgekehrt zeigt Chaerocampa El- 
pe n erstarke Augenflecke, aber die frttheren Sohrftgstreifcn sind 
höchstens noch in Andeutungen vorhanden. Es eridirt sich lacht 
aus der Lebensweise. Dictjenigen Ranpen wenigstens, welche wir 
genau kennen , leben nicht anf grossblättrigen , stark gerippten 
Pflanzen nnd sind sogar in der Mehrzahl der IndiTiduen der Farbe 
des Bodens angepasst; die SchrVgstreifen haben somit hier nur die 
Bedeutung rndimcntärer Bildungen. 

Dass auch die erBte und dritte Zeichnungsform 
sich nicht immer in ihrer Wirkung beeinträchtigen 
mttsseii. zeigt das Beispiel von C Ii aerocampa Tersa. beider 
freilich die biologisciie Bedeutung der Augenflecke eine andre zu 
sein scheint, als die eines Schreckmittels. Bei den meisten C'hner'>- 
campa-l^an])on yerschwindet im Laufe der Phylogenese die Hubdor- 
sale und wir können erstehen, dass die Täuschung der Augenflecken 
vollständiger sein muss, wenn sie nicht auf einer weissen Linie stehen . 

Wenn man das geringe Material von Thatsachen in Betracht 
zieht, mit dem hier operirt werden konnte, so wird man das Ee- 
snlat dieser Untersuchungen nicht fUr nnbefriedigeud halten. 



•) Cat. Lep. £Mt India Comp. Taf . XI. 



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Oatogeaese und Morphologie der Sphingiden-Zeichnung. ] 3 1 



Es ist geliiiig«D, fttr jede der drei Haupt-Elemente 
der Spkingiden-ZeieliBnttg eine biologiiehe Bedeu- 
tung naehsnweieen und dadnroh ihreEntstehmigdnrehNatai^ 
■SditaDg wihneheiiiUcli tu maeben. Ee ist ferner gelangen su 
sengen, dass sehen die ersten Anftnge dieser Zeidmnngen ?oa 
Kntien sein mnssten nnd damit scheint mir ihre Entstehung 
dureh Natnrittehtung gradesu erwiesen zu sein. 

Es ist weiter nieht schwierig gewesen, aneh das Verseh win- 
den der prim&ren Zeichnungs-Elemente durdi spiter 
hinzukommende sekundire wesenflieh als dne Wirkung der Katnr- 
zttshtung zu Torstehen. 

SehliessUoh gelang es, auch die »untergeordnetent oder 
»aecessorischen« Zeichnnngselemente (Bieselung, Tflp- 
fehmg u. s. w.) theils als Wirkung der NatursttBhtuQg, theOs als 
eorrelatiTe Wirkung der früher schon Torhaadnen Zeiohunngsele- 
nwnte zu hegreifen. 

Whr können uns desnaeh Ton der Entstehung und aUmlUgen 
fitelgemag der Sphingidenseiehnung etwa folgendes Büd entwerfen. 

IMe SlteSten Sphingiden enftehrten noch der Zeichnung, sie 
waren yermuthlich nur dorch sympathische Färbung, durch ein 
groeses Schwanzhom und durch eine Bewehrung mit knrsen Bor- 
sten geschätzt. 

Ihre Nachlbommen ^hielten darch NatnrzUchtang eine Längs- 
fltrcifung nnd zwar die vom Horn bis an den Kopf reichende Sub- 
doreaüinie, sowie eine Stigmalinie, zuweilen auch eine Dorsallinie. 
Die so gezeichneten Baupen mttssen am besten an solchen Pflanzen 
versteckt gewesen sein , welche vorwiegend das Bild von PaiaUel- 
strichen gewähren , und es darf ?ermuthet werden . dass zu dieser 
Zeit die meisten Sphingiden-Ranpen an solchen Pflanzen oder doch 
wischen solchen Gras lebten. 

In späterer Zeit kam zu den Längslinien eine Folge von SchrVg- 
Strichen hinzu, die (fast immer!) in der Richtung des Schwanz- 
homs ziehend Uber die sieben hintern Segmente vom Rttcken bis 
gegen die Ftlsse hin liefen. Ob sie alle zusammen entstanden, 
oder — wie es wahrscheinlicher ist — zuerst nur einer, der dann 
durch Correlation und unter Begünstigung durch Naturzüchtung auf 
die Übrigen .Segmente übertrng-en wurde, lässt sich heute nicht mehr 
feststellen, wenigstens nicht aus den vorli^nden Thatsachen. 

9» 



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132 Ontogenese und Morphologie der 8phingideti-Zeichnung. 

In dem Masse, als die Sehritgstriebe sieh gegen den Rflcken 
hin Yerllngerten, seh wand die Lftngsstreifting, da sie die ttosehende 
Wirkung jener beeintrftehtigte, es bildeten sich aber bei vielen Arten 
dunklere oder anch bunte FarbensSume vor den wdssen Sdnig- 
strichen, eine Nachahmung der Schlagschatten, welche die Blattr- 
rippen werfen. 

Wlhrend so eine Gruppe von Sphingiden (Sphinx- 
Smerinthns) ihre Äussere Erscheinung einem gerippten Blatte 
immer fthnlicher su machen bestrebt war, entwickelten sieh andere 
der Iftngsstreifigen Arten in anderer Weise. 

Einige lebten zwar auf strauchartigen Blattpflanzen, allein eine 
Schrägstreifnng entwickelte sich nicht bei ihnen , weil sie bei den 
schmalen dicken und sohwachrippigen Blättern der Xahrnnga- 
pflanze nutzlos gewesen wSre. Sie behielten einfach die bistierige 
Zeichnungans Längsstreifen, die ihnen in Verbindung mit einer 
sehr genauen Uebereinstimmnng mit der Farbe der Blätter schon 
einen hohen Grad von Schutz gegen Entdeckung gewährte. Ge- 
steigert wurde derselbe aber noch, wenn es gelang, auch andere 
Theiieder Xnhrungspflanze, wie Heeren iUippophaes] inFarbe 
und ungeftlhrer Lage so nachzuahmen, dass dadurch der grosse 
Ranpenkßrper noch weniger von der Umgebung abstach . So ent- 
standen wahrscheinlich bei einer Art die ersten Biogflecke auf 
nur einem nnd zwar dem vorletzten Segmente. 

Sobald aber einmal dieses erste Paar von Ringflecken ein 
fester Charakter der Art gewonlen war, hatte er »lie Tendenz, sich 
auf den Übrigen Segmenten nnd zwar von hinten nach vom vor- 
iUckend zu wiederholen. 

Unter Umständen konnte dies von grossem Nachtheil für die 
Art sein und wurde deshalb durch XaturzUchtung soweit mi'jglich 
verhindert llippophaesl . in andern Fällen aber l)raohte es keinen 
Nachtheil mit sich , die in der Färbung ihrer Nahrungsptianze gut 
angepasste Raupe wurde dun Ii die kleinen Kingfleckeben nicht auf- 
fallender und so konnten sie auf allen Segmenten sich wiederholen 
Zygophylli . Auffallende Farben niussten in diesen Füllen 
aus ihnen entfernt werden, falls sie etwa von der unmittelbaren 
Stammform crcrht worden waren, worüber aber bis jetzt nichts 
Sicheres gesagt werden kann. 

In andern Fällen war die Wiederholung der Ringfleckc mit 



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Ontogenese und Murpholugie der Sphiogiden-Zeicbnung. 133 

Starken Farbenoontrasten weder sdildUch, noch iadüFerent,- 
Bondem konnte som Vortheil der Art wdter Terwerthet weiden. 
Nihite steh eine Art von Pflanzen mit eoharfen Sftften (Enphor- 
biaeeen), welehe ihren Magen illUend sie in einem widrigen 
Biaien ftr andere Thiere werden Heeaen, ao gaben die beginnenden 
Ringfleeke der Natnnllcfatang ebe leichte Handhabe, die Art mit 
einer anflbUendenZeichnnng in Tenehen, die als »Widrigkeita- 
leichenc sie vor Angriffen sditttst. 

Standen aber die dnnkebi Flecken anf heUem Gmnde 
(Nieaea), io konnten lie den Eindruck von Angen maclien 
and ihren Tiftger kleineren Feinden fllrehterlich eraeheinen laaeeo. 

Welehe dieser beiden Bedentongen inerstinder Phylogenese 
rar Geltung kam, ist nach den bis jetzt vorliegenden entwieklungs- 
geseUclitlichen und biologischen Daten auch nicht mit Sieherheit 
in sagen. Es darf aber veirnnthet werden, dass die Bedeutung 
eines Scbreckmittels zuletzt erreicht wurde. 

Sehr wohl denlKbar ist es auch , dass die Ringflecke im Laufe 
ihrer allmälig immer znneluneaden Complicirtheit gelegentlich noch 
andere Rollen Ubernehmen mussten, dass sie auch in diesen Stadien 
noch einmal zu Nacliahmung von Pflanzentheilen verwendet wur- 
den, eine Reihe von Beeren oder Blttthen darstellten, doch liegt da- 
fttr bis jetzt kein positiver Anhalt vor. 

In dem Masse als die Singflecke sich von der Subdorsale, aus 
der sie hervorgegangen waren , abschnürten , verschwand diese 
immer vollständiger 'aus dem Endstadinm der Ontogenese und trat 
in die jüngeren Lrebensstadien der Raupe zurück — sie wurde 
historisch und dieses Verschwinden liisst sich hier wolilauch 
daraus ableiten, dass der ursprünglich Blattlinien nachahmende 
Längsstreif, bedeutungslos geworden war, wenn er auch nicht grade 
immer die Wirkung der Ringfleeke zu vermindern brauchte. Cha- 
raktere aber, welche werthlos geworden sind, werden bekanntlich 
immer mit der Zeit rudimentär und verschwinden zuletzt ganz. Ich 
glaube nicht, dass allein der ' ^Mchtgebrauch« solche Cha- 
raktere zum Schwinden bringt, wenn er freilich auch bei aktiven 
Organen einen grossen Antlicil daran haljeu wird. Hei Zeichnnngs- 
Charakteren kann von Uebung oder Nichttlbung derselben nicht die 
Rede sein. Dennoch schwinden sie allniälig. sobald sie bedeu- 
tungslos geworden sind. Ich möchte dies lediglich als Wirkung 



134 OntogaiiMt md Horphologie der SphingidcB-Zcielmuig. 

davon betrachten, dassdieControlle des Charaktersdnrcb 
Natnrzttchtnngavfgehoben ist, (AufhebuDg der sog. »oob- 
smativen Anpassung ct. Seidlitz). Beliebige Variationen kön- 
nen sieh geltend machen , so dass der beireffende Charakter aolb- 
wendig ins Sehwanken gerathen mnss. Dass dieser Aoslösduiag»- 
process aber nicht rasch vor nch geht, vielmehr äusserst langsam, 
sehen wir an der Ontogenese mehrerer Deilephila-Arten , welche 
die bedeutungslos gewordene Subdorsale durch eine gaase Beihe 
von Lebensstadien mit durchschleppen. 

Bei einer andern Gmppe längsstreitiger Sphingiden^üanpen 
entwickelte sich, unabhängig von der Subdorsale ein Angenf leck 
nnd zwar an der Stelle des hier verschwundenen und nur noch als 
knopffOrmige Anschwellung vorhandnen Schwan z;horiis. Die Be- 
deutung des Charakters, wie er heute beiPt. Oenotherae v<^ 
endet vor uns liegt, ist wohl ohne Zweifel die eines Schreck- 
mittels, ob aber die Anfangsstufc schon dieselbe Bedeutung hatte, 
lässt sich bei der isolirten Steilun^ der einzigen , mit diesem Cha^ 
rakter versehenen Art der Gattung Pterogon nicht entscheiden. 

Bei einer dritten Gruppe längsstreitiger Raupen , der späteren 
Gattung Chaerocampa entwickelten sich An gen flecke direct 
aus Stücken der Subdorsale und zwar zuerst nur auf dem vierten 
und fünften Segment. liier kann mit Bestimmtheit angegeben 
werden, dass der Charakter schon von seiner Entstehung au die 
Bedeutung eines Schreckmittels hatte. Gewiss aus diesem Grunde 
sehen wir auch die Subdorsale in der unmittelbaren Umgebung der 
Flecke schon früh verschwinden, während sie sich auf den übrigen 
Öegmenten länger erhält. 

Ein Theil der jüngeren tropischen Arten dieser Gruppe bil- 
dete sodann sekundär nnd durch Correlatiun ähnliche oder ganz 
gleiche Augenflecken auch auf den übrigen Segmenten 
und nun mag es vorkommen , dass die Angenflecke in einzelnen 
Fällen fCh. Tersa"?) eine andere Bedeutung gewinnen , dass sie 
vielleicht wieder zu einer Verkleidung der Kaupe benutzt werden. 
Beeren oder BlUthen nachahmen, wie es auch denkbar wäre, dass 
die Augenflecken zu einem »Widrigkeitszeichen« umgestempelt 
würden. 

Bei allen diesen Raupen mit reiner Schreckzeichnung 
aber bleibt nicht nur die ursprüngliche sy mpathische Fär- 



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I 



Ontogenese und Morphologie der Sphingidra^Zeidmung. 1 35 

bnng erhalten, eondeni sie wifd nger bei den neisteii aUmttHg 
dtreh eine benere (Anpaaimig der enraehsenen Raspe an den Erd- 
boden) enetit. Aneh Sehrügstriebe» als NachahmiiDg der Blatt- 
sind keineswegs ansgeechloBien, und finden sich fast 
inner, wenn aneb nnr sohwaeh entwielcelt nnd oft nur zeitweise. 

Aber aneh bei YoUkommner Anfkassnng an den Erdboden kann 
das Zoebnnagsmasfter der Schrägstreifen beibehalten nnd wieder 
nen Terwerthet werden , indem dieselben ihre frühere, scharfe Be- 
grennmg verlieren nnd anstatt bestimmte Pflanzentheile nachsn- 
ahmen, vielmehr nnr dasn verwandt werden, eine nnregelmäs- 
sige Oitterzeichnnng darstellen zu helfen, wie sie am besten 
das Gewirr von Lichtem nnd Schatten, Streifen und Flecken nach- 
ahmt, welches unter niedrigem Pflanzen wuchs zwischen Stengeln, 
trodmen nnd dtlrren Blättern am Boden entsteht. 

Wie aber Banpen mit Fleckenzeichnnng ihre älteren Zeich- 
nnngsmomente in rückgebildetem Zustand beibehalten und nen ver- 
werthen und umbilden kOnnen , ganz ebenso kann eS auch bei Kan- 
pen ohne Fleckenzeichnnng geschehen. Arten mit ansgeprilgtcsten 
bunt grundirten Schrägstreifen können in verwandten Arten (jünge- 
ren?) dieselben Zeichnnngselemente in mdimentärem nnd umge- 
wandeltem Zustand aufweisen. Sie tragen dazu bei , die eben ge- 
schilderte »Gitterzeichnung« zu Stande zu bringen. Dabei kann 
sogar der älteste Zeichnungscbarakter, der Subdorsalsticif , noch 
eine Rolle spielen , in dem seine Reste einzelne Stellen der com- 
plicirten Zeichnung stärker niarkiren Sphinx Convolvuli; . 

Schliesslich können hier , vaQ in andern Fällen , sobald es die 
Anpassung an eine unruhige, von Lichtern und Schatten durch- 
kreuzte Umgebung fordert , noch neue Zeichnnngselemente hinzu 
kommen, dunklere Strichelchen, welche den helleren Grund der 
Ranpenoberfläche llberspinnen. 

Ich gelan^jc zimi Schluss dieser Abhandlung. 

In Bezn^r auf die grosse und allgemein bedeutsame Fi a^e , \nn 
welcher aus diese lintersuchungen unternommen wurden, lässt sieh 
ein klareres und eintacheres Endergebniss ziehen , als bei der Coni- 
piicirtheit der fraglichen, auf ihre Ursachen zurllckzu führenden 
Charaktere . sowie bei der noch höchst lllckenhaften Kenntniss onto- 
genetischer und biologischer Thatsachen er\vartet werden konnte. 

Ich hatte selbst lange Zeit hindurch es nicht fUr möglich ge- 



1 36 OntogeneM und Morphologie der Sphingiden-Zoiehnung. 



halten, alle Zeichnnngsformen und -Combiiiationen auf die Ur^ 
Sachen zurUcksnfllhreu , welehe Umwandlungen bekanntermaasen 
hemrrufcu können, ich hatte erwarteli ea werde ein anerklärbarer 
Best ttbrig bleiben. 

Dies ist nicht so. Wenn auch angenbUeklieh noch nicht in 
jedem einsebien Falle mit Bestimmtheit gesagt werden kamit in^ 
wieweit ein jedes einzelne SSeichnnngselement grade bei dieser 
einen Art biologische Bedentang besitat, so hat doch festgestellt 
werden können, dass jedes der bei Sphingiden-Ranpen 
Torkommenden Zeichnnngs-Elemente nrsprttnglieh 
eine bestimmte biologische Bedeutung hatte, dass 
es dnrch Natnrsllchtnng hervorgernfen worden ist 

Fttr alle drei Hanptelemente der Sphingidenseichnnng konnte 
ferner nachgewiesen werden, dass nicht nnr ihre Anfiingsstafe, son- 
dern anchihre definitive Ansbildnng, die höchste Stnfe 
ihrer Entwicklnng ihrem Trttger einen ganz bestimmten Vor- 
theil bringt , dass auch sie einen bestimmten, biologischen Werth 
hat, dass somit anch die allmSlige Entwicklnng und 
8teigerang des Charakters auf Natnrzttchtung zn- 
rttckznftthren ist. 

Wenn aber auch NatuizlU-htun^^ derjenige Faktor ist, der die 
drei IIaii|iteharaktere und eini;j^e der Nebencharaktere der Zeich- 
nung ins Leben rief und zur vollen Ausbildung führte, so Hess sich 
doch in der Wiederholung eines lokal entstandenen Charakters 
auf den übrigen Segmenten , sowie in der Bildung neuer Elemente 
an den Kreuznngsstelleu rudimentär gewordener älterer ein zweiter 
Faktor erkennen , der lediglich im Innern des Organismus liegen 
mnss, jene Im Innern des KOrpers waltende Gesetzmässigkeit, doreh 
welche kein Theil TerSndmrt werden kann , ohne tos» gewisse Wir- 
kung auf die andern Theile ansznflben: das innere Bildlingsgesetz 
(Gorrelation parwin^s) oder Wachsthnmgesetz. 

Nur an einer einzigen Stelle der ganzen I'nter.suchungsreihe 
konnte man einen Augenblick schwanken, ob hier nicht doch die 
Aeusserung einer phyletischen Lebenskraft zu Tage trete : bei den 
rothen Flecken, welche die Schrägstreifen mehrerer Smerinthus- 
Raupen begleiten. Genauere Analyse Hess aber grade bei ihnen 
die tiefe Kluft, welche zwischen >• analoger Variation » und jener 



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Ontugenes« und Morphologie der Spbiagiden-Zeichnung. 



137 



mystisclien phytetisolieii Lebensknft beiteht, am denfliehtten er- 

Eb bldbt somit ftr die Thitigkeit denettME auf dem Gebiete 
der Spfaingiden-Zeiehnmig mid -IHrbnng Nlefato xn lliiiii llbiig, 
demi selbet von den uiteigeofdneten Zeiebnnngaebankteren liewen 
sieh mehrne auf ibieUnaeboi smtekftthien und nur die »Bttcken- 
pnnkte« der beiden einbeimlBohen Cbaerocampa-Arten mnssten ohne 
bestimmten Beweis anf Conelatioii belogen weiden. Es wird aber 
Niemand im Emst daran denken wollen , au dem angenblu^lichen 
Unvermögen eine so nnbedentende Einzelheit befriedigend zu er-, 
klären auf die Existenz einer so inhaltsschweren Kraft sn sehliessen, 
wie sie die phyletische Lebenskraft sein würde. 

Der letzte Schlass, zn welchem die Untersnehong gefOhrt hat, 
ist demnach dieser: Aenssernngen einer phyletischen 
Lebenskraft sind auf dem Gebiete der Sphingiden- 
Zeichnnngnnd -Färbung nicht zuerkennen, dieEut- 
stehnng und Aasbildung derselben beruht lediglich 
auf den bekannten Faktoren der Natnrittohtung und 
der Correlation. 



U£B£R DM PHYL£TISCU£N PABALL£USMUS 

BEI 

METAMÜRPHISCHEN ARTEN. 



Einleitiing. 



Li der Torigen Abhandlung wurde der Versuch gemaeht, eine 
ganze Gruppe scheiiibBr »rein morphologischer« Charaktere auf die 
bekannten Faktoren der Umwandlung znrttckzufUhren , sie voU> 
ittndig aus diesen za erklären und so auf diesem Gebiete eine 
innere treibende Umwandlongskraft (phyletische Lebenskraft) an»- 
iDschlicHsen. 

In dieser zweiten »Studie« habe ich mir die Aufgabe ge- 
stellt, durch Vergleichung der Formverhältnisse der zwei Haupt* 
Stadien metamorphischer Arten die Frage zu lösen, ob solche 
innere treibende Kräfte Überhaupt ezistiren, oder ob 

lie ausgeschlossen werden können. 

Es schdnt noch Niemand auf den Gedanken gekommen zu sein, 
diese Frage an solchen Arten zu prüfen , welche uns in doppelter 
Gestalt entgegentreten , als Larve und als Image (Insekten) , oder 
allgemeiner ausgedrückt an solchen Arten, deren Individuen succes- 
si VC ganz verschicdne Formen besitzen Metamorphose) oder 
hei welchen die verschiednen Können , die vorkommen, auf ver- 
schicdne Individuen vcrthcilt sind, die miteinander abwcchsehi und 
auseinander hervorgehen G e n e r a t i o n s - W e c h s e 1 ] . Und doch 
müssen grade hier gänzlich verschicdne Form- Verwandtschaften 
er^'artct werden, je nachdem die Entwickhing der organischen 
Welt auf einer phyletischen Lebenskraft beruht, oder nur die Ile- 
action des Art-Organismus auf Einwirkung der Anssenwelt ist. 

Gesetzt das Erste wäre der Fall, so mllsste das stattgefunden 
haben und noch stattfinden , was ich » p h y 1 c t i s c h e n 1* n r a 1 1 e - 
lismus« nenne, d. h. die beiden Stadien metamorphischer Arten 
mtissten sich genau parallel entwickelt haben , jede Abänderung 



142 



EiDleitung. 



des Schmetterlings iiittBSte auch von einer Abänderung der Baape 
begleitet oder gefolgt worden sdn nnd die Byitematiscben Gruppen 
der Schmetterlinge mHasten rieh in einer Systematik der Baupen 
genau in der glridien Weise wieder vorfinden. Wenn die Arten 
vermöge einer ihnen innewohnenden Kraft periodisch abSnderten 
und zu einer neuen Art sidi umgestalteten, so kttnnte diese Umpri- 
gUDg unmöglich nur ein einsehies Entwicklungsstadiam — etwa 
nur die Ranpe — treffen, sie wttrde vielmehr gleichzeitig oder sue- 
oessive sich auf alle Stadien — Raupe, Puppe nnd Sehmetterling — 
erstrecken mttssen, ein jedes Stadium wttrde eine nene Gestalt be- 
kommen, ja es durfte sogar erwartet werden, dass jedes Stadium 
gleich stark abändere: weni^^stens liesse sich nicht abseben, 
warum eine rein innere Kraft der Entwicklung das eine Stadium 
stärker beeinflussen sollte, als das andere. Ranpe nnd Schmetter- 
ling iweier Arten mttssten gleich weit von einander alwtehen und 
ebenso Raupen und Sdimetterlinge zweier Gattungen , zweier Fa- 
milien n. s. w.. kurz ein System der Hau])en mUsste sich mit dem 
System, welches lediglich auf die Schmetterlinge gegrttadet wUre, 
vollstlindig decken , oder was dasselbe ist, d i e F o r m ve rw a n d t - 
Schäften der Hanpen mttssten den Formverwandt- 
Schäften der Schmetterlinge genau entsprechen. 

Grans anders dagegen mUsste sich die Sache gestalten , wenn 
eine innere Triebkraft phyletischer Umprftgung nicht bestünde 
nnd die Umwandlung der Arten lediglich auf Einwirkungen der 
AusBcnwelt beruhte. In diesem Falle mUssten Ungleichheiten in 
der phyletischen Entwicklung der verschiednen Lebensstadien er- 
wartet werden , denn bei den zeitlicli und räumlich oft stark ab- 
weichenden liCbeuRbedingungcn beider Stadien könnte nnd mllSPte 
hltufig (las eine Stadium von Einfillssen gctrotreu werden, welche 
(las andere nnberUlirt lassen, das eine könnte somit eine Uniprä- 
guug erleiden, während das andere unverändert l)liel)e. Dadurch 
entstünde ein ungleicher Abstand zwischen den beiden Stadien 
zweier Arten, es wUrdeu also z. Ii. die Schmetterlinge . falls diese 
der abgeänderte Thcil sind, in weiterer Fonnverwandtschaft stehen, 
als die Kaupen . nnd der Ah.stand zwischen ihnen mUsste immer 
grJ)S8cr werden, als der zwischen den Kaujien. wenn melirmals 
hintereinander die Schmetterlinge von abändernden EintlUsscn ge- 
troffen wurden, während die Kaupen unter de usel ben EintlUsaen 



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EinUituDg. 



143 



▼erharrten und «omit Moh nnTertndert blieben. Die beiden 
Stadien wflfden in ilirer ph jletiachen Entwieklnng nidit mitein- 
ander geben} dieseEntwicldmig würde nicht dnreh paraUeleLinien 
anegedrndct werden liOnnen nnd wir nillfliten deahalb erwarten sn 
Iniden} dan keineswegs eine TOlüge Congmeni swisehen dem anf 
die Banpen nnd dem anf die Sehmetlerliiige gegründeten System 
bestehe, dase vielmehr die Banpen hftnflg andere ^stematisdie 
Gmppen bilden, als die Sebmetteriinge. 

Die An%abe wire demnaeh die, sn nntersnehen, ob bei 
solchen Arten, welehe sieh mittelst Metamorphose 
entwickeln nnd deren einzelne Stadien nnter sehr 
abweichenden Lebensrerhftltnissen existi'ren, ein 
Tollstftndiger phyletischer Parallelismns besteht, 
oder nicht. Direkt ttsst sich dies nicht entscheiden, da wir 
die phyletisehe Entwieklnng nicht vor nnsem Angen abrollen sehen 
kttanen, aber indirekt liest es sieh dadurch feststellen, dass wir 
die FormTcrwandtsohaf t der beiden Stadien gesondert prUfian 
nnd miteinander Teiglmchen, dass wir also Ranpensystem nnd 
Schmetterlings-System nebeneinander halten. War die phy- 
letische Entwiddong ^e parallele, Tllllig i^eiohmlssige, so müs- 
sen noch die EndngebnhMe derselben : die heute vorliegenden For- 
men gleich weit FoneinaDdcr ab8tehen4 Banpensystem nnd Schmet- 
terliogssystem müssen Bich decken, müssen congraent sein; ver- 
lief sie nicht parallel, so müssen sich Ungleichheiten, 
Incongruenzen der beiden Systeme herausstellen. 

Ich l)in gewiss, dass Systematiker des alten Schlages diese 
Zeilen nicht ohne Gransen lesen können. Wird es doch lüs an be- 
deutender Fortsebritt in der Systematik angesehen , dass man all- 
ndUig aufgehört bat. die Arten blos nach einem oder einigen 
wenigen Merkmalen in ein System einzuordnen , dass man nicht 
blos das Endstadium der Entwicklung dabei berücksichtigt den 
Sehmetterlingi , sondern auch die so abweichend gebildeten Jngend- 
stadien (Baape, Puppe) sn Batbe zieht ! Und jetzt soll gar geprüft 
werden, ob nicht Ranpen und Schmetterlinge ganz vcrscbicdue 
Sj-steme bilden ! War denn nicht bei neuen und in systematischer 
Hinsiebt zweifelhaften Schmetterlingsarten stets die erste Frage; 
wie ist die Raupe beschaffen und gab diese nicht häufig Licht über 
die »Verwandtschaft« des Falters? 



144 



Eioleituag. 



GewiiB I und mit ToUem B«oht worde ihr Ban mit m Bathe 
gesogen. Man war lioh aber dabei nieht immer gans Uar, daas es 
zwei Arten Ten Yerwandtaofaaft gibt, nnd daas dieae mOglieherweise 
nicht immer zasammenfidlen mUasen: Form-Verwandtaehaf t 
nnd Blnta-Verwandtaeliaft. 

Es iat Uaher immer stillschweigend angenommen worden, dasa 
der Verwandtschaftsgrad swiachen den Faltern deraelbe sei , wie 
der swiachen den Raopen nnd wenn damit von Blutsrerwandtschaft 
geaproehen werden soll, so ist dies natürlich auch immer der Fall, 
da Raupe nnd Schmetterling dasselbe Individuum ist Wir haben 
nicht bei allen Thiergmppen Mittel an der Hand , um zwiaehen 
Form- nnd Blntsverwandaehaft streng zu unterscheiden nnd müssen 
lins deshalb häufig begntigen , die blogge Form- Verwandtschaft als 
Grundlage des SystemFi gelten zu lassen , obgleich dieses doch ein 
Anadruck der Bluts - Verwandtschaft sein sollte. Grade bei metSr 
nu trphischen Arten aber branchen und dürfen >yir dabei nicht stehen 
bleiben, denn hier liegen uns zweierlei Form- Verwandtaehafiten vor, 
die der Larven und die der Imaginea nnd wie icli eben zn zeigen 
Teranehte, versteht es sich keineswegs von selbst, daaa beide stets 
snaammenfallen . ja en liegen bereits Beispiele genngTor, welche 
beweisen, dass ein solches Zuaammenfollen dnrcbana nicht ttberall 
vorhanden ist. 

Ganz besonders auff&Ilig ist dies bei einer von den Insekten 
sehr weit entfernten Thiergruppe , den Hydroniedusen, deren 
systematische Gruppen ganz andere ßind, je nachdem man sie anf 
die pol yp Ol de, oder auf die m e d u s o i d e Generation gründet. 
So entspringt die Qual Ion fiiinilie der Oceaniden von Polypen- 
Btöckchen, welche ganz verscbicdcneii Pol ypen-Familicu anp:c- 
hören und unter jeder dieser To 1 y |i c n- Familien gibt es Arten, 
welche Quallen von einer audern l'aniilie liervorhrinpen. 

In iilinlichcr Weise sind bei den E e Ii i n o d e r ni e u die Larven 
der Ophiuren riuteus-Form nicht denen der gewöhnlichen 
.Seesterne am nächsten formverwandt . sondcni vielmehr den 
Larven aus einer ganz andern Ordnung, der der Seeigel! 

Ich will nicht bcbau])tcn . dass in diesen beiden Fällen die 
Ungleichheit der Form Verwandtschaft, (»der wie ich es bezeichnen 
möchte; die Incongruenz des morj) h o 1 ogi scb en Systems 
auf ungleich rascher phyletischer Entwicklung der beiden Stadien 



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Einleitung. 



145 



oder Ctonentionen berahen mltase oder daas sie eich dnrdi die An- 
nahme einer solelien TOlfig Teretehen lasse « es ist mir sogar wahr- 
Bcbeinlicb, dass wenigstens bei den Ophinren noeh ein gaoi anderes 
Moment in Betraoht Icommt; dass ^e Formyerwandlsebaft mit 
den Larven der Seeigel nicht anf BlntsTerwandtschaft bemht, 
sondern anf Convergenz (Oscar Schmidt} , d. h. anf Anpassung 
an ShnHebe Lebensbedingnugen, 80?ftl aber gebt ans beiden Fällen 
hervor, dass nngleicbe Form Verwandtschaft sweier Stadien vor- 
kommt. 

Gewiss darf mcfat von vomhereb aus solchem Vorkommen der 
Sehlnss gesogen werden, dass eine pbyletiscbe Kraft nicht existire, 
vielmehr wäre vorher sn nntersnehen, ob nnd wieweit soldie Un- 
gleichhdten anf nngleicbe phyletische Entwieklnng bemgen werden 
dürfen nnd wenn dies der Fall ist, ob Abwdchnngen von einer 
stricten Oongrnenz des morphologischen Systems nicht 
doch vereinbar sind mit der Annahme dner innem Triebkraft der 
Umwandlang? Wird doch ein gewisser Einlloss der Anssenwelt 
anf den Ablanf des Entwicklnngsprooesses der organischen Welt 
andi von den Yertheidigefn einer phyletischen Leboiskraft bereit- 
willig zugaben 1 Es mttsste also nachgewiesen werden kjjnnen, 
dass derartige Abweicbnngen von völliger Congrnenz vor- 
kommen , welche ihrem Wesen oder ihrer Orttsse nach anvereinbar 
sind mit der Annahme innerer Triebkittfte nnd es mUsste andrer- 
seits der Mach weis versncht werden, dass sowohl die Abwei- 
chnng von der Congrnens, als aneb die Congrnens 
selbst sich ohne die Annahme einer phyletischen 
Lebenskraft verstehen lässt. 

Es soll nnn in Folgendem versncht werden , diese Fragen an 
der Gruppe der Schmetterlinge unter gelegentlicher Zuzie- 
hung sweier andrer Insekten-Ordnungen zar Entscheidung zu brin- 
gen. Weder Eohinodermen, noch Hydromedusen wären 
hente schon zu einer solchen kritischen Pilifuog zu verwenden ; 
die Zabi der Arten , deren Entwicklung sicher hegrUudet danteht 
ist noch allzu gering nn<l die biologischen Verhältnisse sind noch 
sehr unbekannt. In beiderlei HinHicht werden sie von den Schmet- 
terlingen bei Weitem Ubertruffen. Hier kennen wir eine grosse An- 
zahl von Arten in ihren beiden Haupt-Entwicklnngsstadien und 
mehr oder minder genau auch die Bedingungen, unter welchen ein 

W*Ub«bb, 8t*4laB. IL 10 



146 Einleitnng. 

jedes der beiden Stadien lebt, and wir kOnnen deshalb in einem 
gewissen Betrag wenigstens ermessen , welehe Verlndemngen der 
Lebensbedingungen Abänderungen des Baues hervorrufen müssen. 
Weder in der Zahl bekannter L<arvenarten, noeh in der gehauen 
Konntniss ihrer Lebensweise konnte irgend eine der ttbiigen 
Insekten-Ordnungen gegen die der Sehmetferlinge aufkommen. 

Wo wäre die Dipteren- oder Hymenopteren-Gattung, 
von welcher sehn und mehr Arten in ihren Larven so genau be- 
kannt wären, dass man sie su morphologischen Veigleichen be- 
nutzen konnte? Oder wer wollte .don Untersdhied in der Lebens- 
weise der Larven swanxig verschiedener Arten von Culex oder von 
Tipula angeben? Dagegen leben die Baupen näehstverwandter 
Schmetterlings-Arten häufig auf verschiednen Pflansen, wodurch 
allein schon eine gewisse Verschiedenheit der Lebensbedingungen 
gesetst wird. 

Die erste und vomehmlichste Frage, weiche die Untersuchung 
XU beantworten hätte, wäre die: Besteht bei den Schmetter- 
lingen ein voUsändiger phyletiseher Parallelismus 
oder nicht, oder genauer : kOnnen wir ans den heule bestehen- 
den Formvervwidtscbaften swischen Baupen einerseits nnd Schmet- 
terlingen andrerseits anf eine genau parallel laufende phyktieehe 
Entwicklung beider Art-Stadien KurndLschliessen oder bestehen In- 
congrucnzen der Formverwandtschaft, welche auf un^eichen phy- 
letiRcben Entwicklungsgang hinweisen? 

Ehe ich iudcHscn an die Beantwortung dieser Frage herantrete, 
ist CR iincrlilsslich , einen Punkt klar in legen , der bi»hcr unherllhrt 
blieb , der aber entschieden sein muss , ehe diese Frage Uberhanpl 
emstlich gestellt werden kann. Ehe gefragt werden darf, ob 
Hanpe nnd Schmetterling sich genau parallel entwickelt haben oder 
nicht . mnsB bekannt sein , ob eine unglcicheEntwicklnng 
Überhaupt mr»glicb ist, ob nicht etwa eine m genaue Bezie- 
hung Kwischeu dem Bau beider Stadien besteht , diiss jede VerUnde- 
rnng des einen auch eine V'criinderung des andern nach sich 
zieht. Wäre dies der Fall, liedingte jede Veränderung de« 
Schmetterlings eine corr e l a t i v c Abänderung der Kaupe und um- 
gekehrt, so wurde eine Ungleichhoit der Formverwandtschnft 7Avi- 
sehcn Baupen i^erseits nnd Schmetterlingen andrerseits nicht 
denkbar sein , Baupen-System und Scbmetterlings-iSystem mttssten 



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Binleitnng. 



147 



sich vollständig decken und man wUrde einen groben FehlschluBs 
tliini. wollte man aus der parallelen pliyletischen Entwicklung hei- 
der Stadien auf die Existenz einer iuncrn phylctisclien Kraft 
scliiessen , während es doch nur die bekannte Correlation wäre, 
welche die (Gleichheit der Entwickhingsbahn vorschreibt. 

Es muss dcshülb vor Allem zuerst festgestellt werden, dass 
Hatipe nnd Schmetterling sicli in ihrer Form nicht gegenseitig 
bestininicn, und der ganze erste Ahsehnitt muss deshalb dem Be- 
weise gewidmet sein . il a s s h e i d e S t a dien s i c h u n a b h ä n g i g 
von e i n a M d e r V e r a n (1 e r n . Es werden sich dabei KUckschlüsse 
auf die verändernden Ursachen ergeben , die der späteren Unter- 
SQchung Uber Vorhandensein oder Abwesenheit einer vollständigen 
Congruenz des beiderseitigen morphologischen Systems noch von 
einer andern Seite her zu UUlfe kommen werden. Die beiden Fra- 
gen, deren Beantwortung naclicinander versucht werden 8(dl, 
sind keineswegs identisch, wenn sie sich auch nahe berühren, denn 
€8 wäre ja ganz wohl denkbar, dass die erste dahin beantwortet 
wurde, dass keine oder nur eine Äusserst geringe form- 
bestinunende Correlation zwiscben Raupe nnd Sdimstterling be* 
sfilade , ohne dass damit nun sehen enfsebieden wiie, ob die phy- 
letisebe Entwicklung beider Stadien eine gleiebmftssige ge- 
wesen ist, oder nicht. Eine TOUige Congruenz der morphologischen 
Yerwandlachaft könnte demnngeaehtet stattfinden, soliald die 
Transmutationen nicht von Snssem Anregungen , sondern von einer 
iunem Triebkraft ausgingen. Es muss also auf die Frage : be- 
steht eine formbestimmende Correlation xwisehen 
beiden Stadien noch die andere folgen: decken sieh die 
Formverwandtsebaften beider Stadien, oder deeken 
sie sich nicht, ist ihre pbyletisebeEntwicklnngeine 
gletcbmässige gewesen, oder nicht? 



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I. Raupe und Sobmetterling^ verftndern fliren Ban 

unabhängig von einander. 



Eine Tollstftndige Unabhängigkeit beider Stadien von ein- 
ander SU bebauptcn, wHre sinnlos. Es Teniteht sich ron selbst, dass 
eine gewisse Abbftngigkeit bestehen mnss, die Hasse lebendigen 
Gewebes y oiganiseben Stoffes, welche sieh in der Raupe anhänft, 
bedingt die Grttsse des Schmetterlings, und die Menge oiganiseben 
Stoffes, welchen das Ei des Schmetterlings birgt, bestimmt die 
Grosse des aosschlttpfenden Büiipchens. Die in der Uebersehrifl 
ausgesprochene Behauptung bezieht sich nur anfden Bau, sie 
will aber auch für diesen nicht eine absolute Unabhängigkeit io 
Anspruch nehmen , sondern nur eine relatiTe , allerdings aber 
sehr hochgradige. Wenn es auch denkbar Ist, dass irgend 
welche Abänderung im Bau des Schmetterlings eine correlatire 
Abänderung im Bau der Raupe nach sidi ziehe, so lassen 
sich doch solche Fälle bis jetzt nirgends nachweisen, yielmebr 
spricht Alles itlr eine beinahe vollständige Unabhängig- 
keit der beiden Stadien voneinander. Ganz etwas An- 
deres sind die indirekten Znsammenhänge, welche z. B. durch 
irgend einen Grad von Brutpflege zu Stande kommen. Sie fehlen 
bei Schmetterlingen fast vollständig, finden sich aber bei Dipteren 
und besonders bei Hymenopteren in jedem Grade. Schlupfwespen- 
Larven, welche im Innern anderer Insekten leben, bedingen (nicht 
immer, aber doch meistens) den Besitz eines Legestachels bei der 
weiblichen Imago, so dass also hier der Bau und die Lebensweise 
der Larve indirekt den Bau des vollendeten Insektes beeinflnsst. 
Dies beruht aber nicht auf innern Bildungsgesetzen (Corre- 
lation), sondern anf der Wirkung äusserer Momente, denen 
sich der Organismus dureh Naturzttchtung anzupassen sucht. 



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Ueberden phyletiwhen PtnIMitmus bei metamurtibischen Arten. 149 



leh ItfM die ThatMcfaen spreehen. 

Dam nicht jede Ablndernng des einen Stadinmi eine solehe 
des andern naeh sieii zieht, gebt schon ans jenen Arten hervor, 
bei welchen nur das eine Stadinm dimorph oder polymorph ist 

So finden wir liei allen saiaon-dimorphen Arten die 
Baopen der in Zeiehnong nnd FKrbnng oft weit differiienden 
Sehmetteriings- Generationen ToUkommen gleich. Umgekehrt 
lassen sieh lahlreiche Fälle anfahren, bei welchen die Ranpen 
dimorph sind, wiUirend die Schmetterlinge nnr in einer FormTor- 
kommen (vergleiche die Abhandlung I dieses Heftes). 

Es gibt aber anch ThatsaehcD , welche direkt aseigen, dass ein 
jedes Stadium selbstständig abändern kann, ohne da- 
dorch das andere in Mitleidenschaft zu ziehen, ich meine die That- 
saehe, dass ein jedes Stadium selbstständig variabel 
werden kann, dass die £igenscbafl grosser Variabilität oder 
grossw Constanz keineswegs stets allen drei Stadien, Raupe, 
Puppe und Sehmetterling in gleicher Weise zukommt, sondern dass 
bald die Raupe sehr variabel , der Schmetterling und die Puppe 
sehr constant ist, bald umgekehrt, bald auch alle drei Stadien 
gleich variabel oder gleich oonstant, wenn aooh dieser letstere Fall 
nur KolttMi eintrifft. 

Wenn aber Variahilitüt soviel bedcatet, als die Periode der 
Neugestaltung einer Lebeform sei es in ihrer Totalität oder nur 
in einzelnen Charakteren oder Gharakteren-Gruppen , so gehf aus 
der einfachen Thatsache der heteroehronisehen Variabili- 
tät der ontogenetischen Stadien hervor, dass diesel- 
ben einzeln umgeprägt werden können nnd dass die 
Umprägnng eines Stadiums keineswegs die der 
andern naeh sich zieht. Dass aber Variabilität in allen Fäl- 
len, mag sie aus irgend welcher Ursache eingetreten sein . die Hc- 
dentung hat. nach einer neuen Form UberzuU iten. wer mikihte das 
bezweifeln f Mubs doch schon allein durch die tortj^^esetzte Kreu- 
zung variabler ludividuen zuletzt eine Ausgleichung der Unter- 
schiede und damit wohl immer eine neue, wenn anch nicht immer 
sehr weit abweichende Coustanz-Fonn eintreten ! 

Dass nun wirklich die einzelnen Entwicklungsstadien einer 
Art theils variabel, thcils constant sein können , dass der variable 
oder constante Charakter des einen Stadiums ohne allen Einfluss 



150 Ueb«r den phyletiadien Pinlleli«min M BietMBOtpliMcben Arten. 

auf den des andeni Stadiams bleibt , das mOgen die folfendoo Ao- 
gaben beMugen , welche zugleich auch sehr geeignet sind, Anden- 
tungen Uber die Ursachen (Ick Eintritts von Variabitittt nnd da- 
mit also einen Beitrag zur Entscheidung der Hanpi-Frage la liefeni, 

un welche sich diese riitcrsochungen drehen. 

Wenn ich in Folgendem ron Variabilität spreche, so denke 
ich dabei nicht an das Vorkommen von Lokal- oder Zeit- Varietä- 
ten, sondern ich meine damit einen hohen Grad der individuel- 
len Variabilität, ein bedeutendes Schwanken der (.'haraktere 
hei den liulividnen ein und derselben Oer tliehkeit, ja oft 
schon ei n u nd dcrHclbeu Hrut. Constaut nenne ich dagegen 
eine Art. bei welcher die Individuen eines kleineren oder anch 
eines grossen Gebietes nur sehr unbedeutend von einander ab- 
weiehen Gewöhulieh, aber doch nicht immer Bind constante For- 
men zugleich solche, welche arm, variable Formen solehe, welche 
reich an Lokal Varietäten sind. Da die HegrifVe . variabel" und 
»constaut . ininierliin sehr relative sind, so halte ieh niieli an mög- 
lichst extreme Fälle, in welelicn also die individuellen Eigenheiten 
innerhalb sehr weiter, oder nur innerhalb sehr enger Grenzen 
schwanken. 

Da Uber <len Grad von Variabilität, den eine Art in den 
verschiednen .Stadien ihrer Entwicklnog aufweist, keinerlei Be- 
obaehtun^ru vorliegen, so war ieh ganz auf eigene Heobaehtungen 
angewiesen, wenigstens was das Haupen- und Puppenstadium be- 
trifift, während mir für das Iniap»-Stadium die ungemein reichen 
Erfahrungen meines verehrten Freundes Herrn Dr. Standiuger, 
eine wesentliche Stütze waren. 

Fassen wir zuerst nur die drei Haupt formen ins Auge, 
nnter welchen jedes Sehmetterlings-Individnum uns entgegentritt, 
nMniUdl Raupe, Puppe und Imago. so tinden wir, in Bezug aul die 
Constans oder Variabilität dieser drei Formen alle Comhinatiouen 
thalBÜchlich in der Natnr vorhanden, welche sich theoretisch aus- 
denken iaieen. 

1) Es gibt Arten, welche in allen drei Stadien einen 
hohen Grad Ton Gonatani betitsen. So i. B. Sphinx 
Ligustri, Limenitis Oamilla, Callimorpha Jaeobaea, 
Pieris Brasaieae. 

2) Es gibt Arten, die in allen drei Stadien einen 



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üeber den phylcliMiheB PamlleUiaitts bei mefaunorphiwliea Arten. 151 



hohen Grad von Variabilität besilien. Dooli nram die- 
ser Fall gelten sein, da ich nur Vanessa Prorsa-Levaiia dar 
f9i anfuhren kann. Der Gnud liegt darin, dass das Pappen- 
sladinm Überhaupt nur selten variabel ist. 

3j Es gibt Arten, welche in zwei »Stadien variabel, in 
dem dritten constant sind. Dahin gehört z. B. Snierin- 
thu8 Tiliae, bei welchem Itaupc und Scbmctterliii}; sehr variabel 
sind , die Puppe ulicr völlig constant uud ganz ebenso verhält es 
sich bei (J astropaciia Pini. dem berUcbtiirt» u Kieterns[)inner. 
In anderer Coiiibiuatiun zeigen dasselbe Verhalten manche Ta^^- 
falter, wie z B. VaneHsa U rticae und Pol v <• h 1 n l o h , bei wel- 
chen Raupe und Puppe sehr variabel, der Sc liinctt^ riing al)er sehr 
constant ist; in gerinf;erem Grade ist daHselbo auch bei Vanessa 
Atalanta der Fall, wahrend bei Pierin Napi Pu|)pe und 
Schmetterling variabel, die Raupe aber von einer merkwürdigen 
Constanz ist und pinz ebenso verhält es sieb bei der meiner Theorie 
nach als Slamnitorm von Naj)i aulzufasscnden Lokalforui var. 
Bryoniae vergleiche das erste lieft dieser »Studien«'. 

4i Es gibt Arten, welche in zwei Stadien constant, 
und nur in dem dritten variabel sind. 

So finden sieb einige wenige Arten, bei welchen Raupe 
nntl i*upjie constant. die Imago aber variabel ist. So 
bei Saturnia Yamamai, dessen Schmetterling bekanntlich in 
unzähligen Farben-Abstufungen von hellgelb bis zu grauschwan 
Inn Tariirt, während die grüne Raupe nur sehr geringe individnelle 
Verschiedeubeiten der Zeichnung, gar keine der Färbung aufweist, 
and die Pappe vOlUg constant ist. Ebenso verhält es akli bei En- 
prepiaCaja, Plantae;iniS| Hebe. 

Sebr groBB ist die Aiuahl der Aile&t wdebe iwar eonetante 
Sehmetterlinge and Pappen, aber sebr variable Ran- 
pen beaitien. loh laaie die mir bekannten Fälle hier folgen: 
MacrogloBsa Stellatarnm, Fneiformis nnd Bombyli- 
formis; Cbaeroeampa Elpenor, Gelerio, Nerii, Dei- 
lepbila Galii, Livorniea Hbn , üippophaes, Vesper- 
tilio, Zygophylli; Sphinx Convolvnli, Acherontia 
Atropos; Smerintbas Tiliae, Oeellata; Callimorpha 
Hera; Oaenllia Verbasei nad Seropbnlariae. 

Sebr selten sind die Fälle, in denen die YariabiUtät sieb 



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152 Ueberden phyletiiehen Furanelimiu b«i mstaiiiorphiMhan Arten. 

lediglich auf das Puppenstadium bezieht, währeod Raape 
nnd Image in hohem Grade eonstaat liod. So verhält C8 sich beim 
Tag-Ffanenange, Vanessa lo, dessen Puppen heller oder dunkler 
braun, oder auch hell gelbgrlln sind, während in den beiden amlem 
Stadien kaum irgend welche leichte Ntlanccn der Färbung oder 
Abänderungen der sehr complicirten Zeioliminj,' iiacliwcishar sind. 

So rechtfertigen also die Thatsiulicn die oben vertretene An- 
sieht, dass die einzelnen Knt w iekl ungs st adieu sieh 
selbstständig verändern, dass die in einem Stadium einge- 
tretene Abänderung o h n e E i n f 1 u s s 1) 1 c II) t auf die v o r h e r - 
gehenden nnd nachfcilf^endcn Stadien. Wäre dem nicht 
so, 80 kiinntc unmöglich irgend ein Stadiuni variabel werden, ohne 
dass nicht /ugleich aueh alle andern Stadien variabel würden. Be- 
stände eine Correlation zwischen liaupe, Puppe und Sehmcttcrling 
derart, dass jede Aendcrung der Raupe eine entsprechende Aen- 
derung des Sehmettcrlings nach sich zi)ge , S(» würde auch - so- 
bald eine grössere Anzahl von Charakteren der Raupe ins Sehwan- 
ken gcriethc, d. h. sobald die Kaupe variabel würde — noth wendig 
auch eine grössere Anzahl von Charakteren des Sehmettcrlings 
schwankend werden, d. h. er mUsste ebenfalls variabel werden. 

Eine einzige andere Auslegung könnte etwa vom Standpunkte 
der alten Speeies-Lehre versucht werden. Man könnte sagen , es 
sei eben die EigenthUmlichkeit gewisser Raupen- oder Sehmetter- 
Hngszeichnungen , variabel , die andrer aber constant zu sein und 
da Zeichnung der Raupe und des Sehmetterlings bei einer Art 
meist ganz verschieden sei , so könne es sieh leicht treffen , da^s 
ebem Schmetterling von constanter Zeichnungsart eine Raupe zu- 
gehttre, irelohe variable Zeiehnnngaart beaide. 

EinKoraWabrbdt läge einem solehenBinwoTfanch in Grande, 
denn es ist riehtig, dass die versohiedenen Zeiehnnogsfonuenf 
welche bei Sehmetterlingen Toikommen, einen siemHeh verschiede- 
nen Grad von Oonstans erlangen. 

Wenn man deshalb von Conslaas and Variabilittt einer Art 
spricht, meint man etwas Anderes, wenn es sich nm eine Sphinx- 
Art, als wenn es sieh nm eine En prepia-Art handelt. Was beider 
Letiteren schon ftlr einen hohen Grad von Oonstans gilt, wftre bd 
der Enteren noch immer em siemUeber Grad von Variabilitli. Ea 
ist in Besng anf die Frage von den Ursaehen der Ckmstans von In- 



L.iyi.i^uu Ly Google 



Usbcr den phyletilclien ParaUelismus bei metamorphUchen Arten. 1 53 



tereue, dass die F&higkeit einer Zdehirangsform, eioen holien 
Ond YOD CoMtMissa erlangen, keineswegs im umgekehr- 
ten VerhiitnisB zur Complication dieser Zeiclinung 
steht, wie man doch a priori erwarten sollte. 

ISo besitzen die Arten der Gattung Sphinx and Verwandte auf 
ihren meist anscbeinbar graa, weiss und scliwarz raelirten Vorder- 
flttgeln ein äusserst complicirtes Gewirr von Linien , die aber bei 
den eonstanten Arten einen hohen Gra l vunConstanz zeigen , wäh- 
rend die weit [)Iümper gezeichneten bunten VorderflUgel unserer 
sogen. > Härensclimetterlinge« (Aretiidae) auch bei den constan- 
testen Arten immer noch ganz wohl merlüiclie individuelle Unter- 
schiede aafweisen. E» muss also bei den verseliiedenen Zeichnangs» 
gmpi>en mit verschiedncin Masse gemessen werden. 

DicK zugegeben, ist aber entschieden zu bestreiten, dass 
Coustauz und Variabilität inhUrente Eigenschaften 
gewisser Zeichnnngsforui cn sind. 

Es geht dies einfach danuiH liorvor, dass innerhalb eines lie- 
stimniten Zeichnungstypus sowohl Arten von ^'rosser Coustauz, als 
solche von /relativ) grosser Variabilität stehen. 

So zei^'en uns die Vorderflllgel von Sphinx Li gas tri und 
Convolvnli die äusserste Constan/ , während der ganz- älnilieh 
gezeichnete Sphinx .\nceryx Pinastri recht variabel ist. So 
ist Deilephila Euphorbiae, der Wolfsniilchschwäinicr be- 
kannt wegen seiner irrossen Variabilität in Färbung, wie in Zeich- 
nung, während die /.um Verweehseln ähnliche i)eil. Galii einen 
sehr hohen (irad V(»n Constanz besit/.t und wiederum «lic den Inseln 
Corsica-Sardinien eigene Deil. Dali Iii silir variabel ist. Aus 
der Familie der Arctiiden ist Ca 1 1 i ni (» r p Ii a Hera ein Hei- 
spiel fllr Constanz, ebenso die alpine Aretia Flavia, während die 
der letzteren so älinliehe Aretia Ca ja Uberaus variabel ist. so <lass 
man kaum zwei völlig gleiche iiulisiduen zusammensuehen kann. 

Dasselbe lässt sich von liaupenzeichnungcn nachweisen. So 
zeigt <lie iiaupe von Deilephila Dahlii eine sehr bedeutende 
Variabilität, während die von 1). Galii in der Zeichnung ab- 
gesehen von der Grundfarbe sehr constant ist. So ist die Raupe 
▼on Vanessa Urticae sehr variabel, die von V. Antiopa sehr 
constant u. s. w. 

Die grossen Unterschiede in Betreff der Constanz oder Variap- 



\ 54 Ueb«r d«n phyletiaehen PftnlleHmiiu b«i metanorphtteben Arten. 

büitftt, welche die verschicduen Stadien ein und derselben Art aof- 
wciKcn, milHRcn demnacli ihren (irund anderswo haben, ata in den 
Typus der Zeichnnng selbst. Er muss darin li^jen, dast 
die einzelnen 8tadien sich unabhän^i^ von einander 
▼erSndcrn, zu ganx verschieduer Zeit in eine nene 
Variabilitäts-Periode eintreten können. 

Wir werden hier sehen im Voraus auf die Haupt- und Grund- 
tVat;c pefUbrt : kommt der Anstoss zur Vcrändcrunp; von aussen oder 
von innen, ist es die physische Natur des Or^^inisnins , wck-bc viel- 
leicht njich Altlauf gewisser Zeiträume, spoiilau zur Neugestaltung 
treibt. (t(k'i- entstehen Neuj;cstaltuuireu nur dann . wenn sie direkt 
oder indirekt durch die äussern Lcbcusverhältuisse henrorgerufcn 
werden. 

In dem vorliegenden Falle deuten die Tliatsachen un- 
7. w e i f c 1 h a f t a u f eine v ö 1 1 i g e Abhängigkeit der U m - 
gübta 1 1 uu ge n von äussern liCbensbediugu ugen. 

Das selbslständige Aiitdcten von \'arial»iiität in den einzelnen 
Stadien der Metamorphose k<iinite zwar wohl auch tlir nur schein- 
bar gehalten werden. Man könnte versuchen . die lfmgestaltuug 
aus rein inncrem Anstuss, aus einer pliylcti.schen Lebenskraft trotz- 
dem atitVctlit zu erhallen, indem man auuälime . d i es e 1 b c wi r k e 
pe r i (» d i s c Ii . so zwar, dass zuerst das eine, dann das 
fol gen de S ta d i u ui variabel werde, bis schl iesbl ic h die 
ganze Art umgewandelt sei. 

Es Hess sich dagegen wenig einwenden, denn, sobald man 
Uberhaupt einmal zu gänzlich unbekannten Kräften seine Zuilneht 
nimmt, lässt sich auch ihr Wirkuugsniudus nach WillkUr ausden- 
ken, stetig oder periodisch. 

Allein gesetzt, eine solche Umwandlungskraft existirte nnd 
wirke periodiseh, so mUsste die VariahiUtltl dock immer in be* 
stimmter Riehtnng Qbar die verschiedenen Stadial weggleüenf 
etwa wie eine Welle ttlier die WasserflSche, es mttssten Sehmetter- 
ling, Poppe nnd Banpe oder Banpo, Puppe nnd Schmetterling 
snccessiv variabel werden. Fälle, wie der von Vanessa 
Prorsa, in welchem alle drei Stadien variabel sind, Hessen sieh 
allenialls noch erklären , allein jene andern, in welchen Banpe nnd 
Imago llnsserst variabel , die Poppe aber vOllig constaot ist, spotten 
einer jeden Erklftrong von diesem Standpunkt ans. 



\Mtn den pbyletischen ParaUeluraut b«i in«Uunorphi«chen Arten. 1 55 

Sie erkl&ren sich aber sehr einfoob, wenn wir die Abftnde- 
rangen von inwem Einwirkungen abhängig denken. Und zwar 

verstehen wir von diesem Gesicktspnnkte aus nicht nur, wie ea 
nir)glieh iHt , dans ein mittleres Stadium von der Umwandlung nn- 
heheiiigt bleibt , in welcher die beiden andern begriffen aind^ aon- 
dem wir verstehen auch, warum gerade das Puppensta- 
dium so häufig diese Ii olle spielt. 

Stellen wir die Frage , warum sind die meinten Puppen con» 
Btaut und nur verhältnissmässig sehr wenige variabel, so liegt die 
Antwort in der Thatsache , dass alle Puppen , welche in der Erde 
oder im Innern von Pflanzen iScsien) verborgen ruhen , oder durch 
dichte Gespinnstc geschützt sind , völlige Constanz zeigen , sowie 
dass Variabilität in ir/jceiid höherem He trag nur bei 
solchen Puppen vorkommt, welche frei licfren oder 
frei aufgehängt sind. Dies steht in genanciii ZuHannmMihaug 
mit der Thatsaclie . auf die ich bei einer früheren (Iclegcnlicit*) 
aufmerkKam gemacht habe, dass niimlich 1) i in o r ph i sm uk bei 
einigen Puppen vorkommt, al)er nur bei ko leben, welche 
frei liegen, also den Bücken ihrer Feinde ausgesetzt sind. Mir 
sind solche Fälle nur von Tagfalterpuppen bekannt, und auch Varia- 
bilität in iri^end höherem Betrjij;e habe ich nur unter ihnen gefunden. 

iJeutcn schon diese Thatsaehen darauf hin , dass die Natur 
nicht nutzlos mit Formen spielt , sondern dass Abän d e r u ngen 
auf diesem fiebiete wenigstens nur auf einen äussern 
Anstoss hin erf(tlgen, so siiricht die irrosse Häufigkeit der 
Variabilität bei Kaupcn, ihre relative Seltenheit bei den ima- 
gines ohne Zweifel fllr dieselbe Anschauung. 

Ks wurde oben angeführt, dass die .\rtcn mit variabler Raupe 
und constanter Imago äusserst häutig seien , die aber mit constan- 
ter Raupe und variabler Imago sehr selten. 

Darin liegt einmal die Bestätigung des olien schon gezogenen 
Schlusses , dass die Variabilität der Imago ihre Ursache nicht in 
der Variabilität der Raupe haben kann und zweitens , dass die Ur- 
saehen, welche V»ri»bilität hervorrufen, häufiger 
den Ranpen- alt den Imago-Zustand treffen. 



*) Uebcr d«a Eiotius« der l^olining auf die Artbildung Lvipicig 1^12. 
8«ite 20. 



1 56 Ueber den phyletiiehen FmUelismus bei metmoiphiaclieii Arien. 

Wo köoDten »b«r diese Ursachen anders gesucht werden, als 
in den äussern Lehensbedingimipeii, die fUr beide Stadien so nng:e- 
mein verecbieden , ftlr die Kanpen aber ungleich wechselnder sind, 

als für die Imaginen / 

Man nclnnc die Arten einer Gattung, z. B. der Sphingidcn- 
Gattuiig Deilcphila Die Imagincs unsrer europäischen Arten 
leben alle — fiowcit wir es wissen — genau auf die nämliche Weise, 
alle Hiegen in der Diiiiinieruug * . saugen ihre Nahrun?: mit Vorliebe 
aus (1 e II K c l bc II Ulunicii und besuchen sehr häufig dieselben 
Orte. SU (lass iii.iii auf dem Flugplatze einer dieser Arten fast im- 
mer noch eine oder die andere derselben antritTt. falls dieselbe in 
der betrelfcnden Gegend überhaupt vorkonmit. Ebenso sind die 
Verstecke , w eiche sie bei Tag aufsuchen , die gleichen und die 
Feinde sind die i:k'i( hüii . von denen sie verfolgt weiden. 

Gau/, anders bei den Kaupen. Hier leben aucb die näehst- 
verwandteit Arten unter ziemlieh verschiedenen Lebcusl>edingungeu, 
wie selion allein daraus hervorgeht, dass sie auf eine andere 
NahrungKjtflanze angewiesen sind. Dies kann aber sowohl 
direkt Abänderungen hervorrufen . als indirekt. Die Kaupe kann 
sympathische Färbungen und nacliabmende Zeichnungen annehmen 
und diese müssen je nach Farbe und Bau der NahrungspHanze an- 
dere sein, sie kann aber auch auffallende Färbungen, als ••Widrig- 
keitszeichen > , an/unehmcn streben, falls sie nändieli fUr die 
wesentlichsten Haupenleinde ungeniessbar ist, und dann wird wie- 
derum der Grund uud Boden, auf dem sie lebt, hestinimeud auf 
die zu wühlende sit venia verbo'. i Contrastfarbe etc. wirken. Aber 
aoch gewisse Lebensgewohnheiten der Ranpe werden Ton der Nah- 
rangspfianze abhUngig sein. Wenn z. B. Deilephila Hippo- 
phaes nor bei Nacht frisst, bei Tage aber am Fasse ihres Nah- 
mngsbnsches sieli nnter Hoos ond Bttttem mbirgt, so würde 
Deil. En phorbia« eine solche €lewohnbeit nicht annehmen klin- 
nen, weil Enphor. Cyparissias auf troeknem, pflansenarmem 
Boden wächst, der kein Versteck bietet nnd wdl eine Baupe , so 
lange sie ttberliaupt noch frisst, sieh nie weit von ihrer Nahnmgs- 
pflanie entfeinen kann nnd thatsXehfich aneh nie weit von ilv ent> 



*) Deilephila Liuuala ist auch achun in einzelnen Fällen bei Tage an 
Blumen eehwinnend getdien worden. 



Leber den phyletitchen ParallelUmuB bei mctamorphischen Arten. |57 

fernt. Auch ein Verateeken dnreli Einwühlen in den Boden, wie 
es s. B. bei Aeherontia Atropoe vorkommt, könnte von Deil. 
Enpliorbiae nieht ansgefthrft werden, da die Nahnrngepflamse 
— in der B^l wenigstens — anf troeknem, steinigen nnd lurten 
Boden wSeiist. 

Nehmen wir nnn noch Innzn, dass aneh die Feinde der 
Raupe andere sein werden , je naehdem dieselbe anf einer Pflanze 
lebt, welehe als Niederholz Flassnfer begleitet nnd dort oft ein 
förmliches Diekieht anf weite Strecken hin bildet (Hippophae] oder 
sieh als Krant frei nnd sehntdos Uber dem ganz fehlenden oder 
gans niedem nnd spSrUohen Graswnchs trockner AbhKnge nnd 
Hügel erhebt, je nschdem sie in Znsammenhang mit solchen Lokal- 
versehiedenheiten die Gewohnheit angenommen hat, nur bei Nacht 
za fressen oder anch bei Tage , so werden wir eingestehen mttssen, 
dass in der That die AnstSsse zn neuen AapasBungen, Verbesse- 
rungen, also allgemein ausgedruckt Anstössezn Abände- 
rungen, sowdt sie von der AuHseiiwelt herkommen , ungleich 
hänfiger eintreten mttsBen beiBanpenals bei Schmet- 
terlingen, (liiss also auch Abänderungen nnd jener Zustand von 
Variabilität, welchen wir als Einleitung einer Abänderung betrach- 
ten dttrfen, häufiger bei Uaupen sich finden muss, als bei Schmet^ 
terlingen. 

Da nun die Thatsachen mit dem Ergebuiss dieser apriorischen 
Erwägung vollkommen Übereinstimmen , so darf also weiter zorHck- 
geschlossen werden , so muss auch die Grnndlage dieser Erwägung 

als richtig gelten, die Voraussetzung nämlich, dass Abände- 
rungen in F il r b u II und Z e i c Ii n ii n g bei K a u p e n , Pup- 
pen und Scbmetterlingeu nur aufAustoss von aussen 
erfolge n. 

Dies (lail al»er nicht so verstamlen werden, als ob auch die 
ei nze 1 ne n S t u fe n d e r Iva ii pene n t w i ck 1 u ng nur auf änsscrn 
Anstoss hin abändern kiiiiuten. Die K.uipenstadien stehen mit- 
einander in Correlatioii , wie oben Abhandlung I. nachgewiesen 
wurde, die neuen Charaktere entstehen im le/ten Stadium, bei der 
erwachsenen Raupe, rücken dann aber später langsam auch auf 
die jüngeren .Stadien zurlick und zwar in hohem (Jrade unab- 
hängig von äusseren Einflüssen, lediglich nach den Ge- 
setzen der Correlatiou. NaturxUclitung Übt dabei nur einen sekuu- 



158 Ueber den phyletischeu l^aralleliHmus bei meuinorphiwhen Arten. 

dttren Binfliun ans, ündeai sie die Uebertragnngaaf die jungem 
StadieD befördern oder aber hindern kann, je naebdem die be- 
treffenden nenen Cbaraktere fttr die jüngeren Stadien nttladieb oder 
Hebidlich sind. 

Wie nun be! der ersten Erwerbung eines nenen Charakters sich 

bedeutende individuelle Unterschiede zeigen in Bezug auf die 
Sehneltigkcit und Vollständigkeit, womit sich die Einzelnen die 
Erwerbung aneignen, ähnlich wird es sich auch bei der Ueber- 
tragung einer im letzten Stadium errungenen Verbesserung aaf das 
KunScbst jüngere Ktadinm verhalten. Der neue Charakter wird 
von versohißdnen Individuen in yerscbiedneai Grade 
und verschieden schnell nngenommen werden , er wird ge- 
wiRf^cmiassen einen Kampf mit den alten Charakteren des iStadiuuia 
zu bestehen haben, knrz das jüngere ätadinm wird varia- 
bel werden. 

Man könnte sehr wohl diese Art der Vanabilitüt als sekun- 
däre V;i riabilitiit der priniürcn ^cjrciilllierslellen ; diese 
(die primäre ; beruht auf ungleicher Ueacti»>n der iiulividnellen Ur- 
gnnisnien auf iiusscni Reiz, jene die sekuiidihr auf nngleicb 
rucher und starker Actiuu der im iuucru des Orgauisuius waltenden 
liildungsgcsetze. 

Das Uussere Hild der Variabilität wird in l>oiden Fällen das 
gleiche Kein, aber die l'rsaehe. die es hervorruft, ist eine andere. 

S.> wild auch hier bei den ein/ebien Sfadicn der liaupeuent- 
wieklung hätifijr der Anschein entstehen, als köniifen an«'h sie selbst- 
stän<lig abändern, wie das Staditini der Pu|)pe (»der des Schmetter- 
lings, da auch sie cin/ebi das Hild der Variabilität darbieten kön- 
nen . wIShrend die aii<k in Kntw iekhui^sstufen eonstant l)icil)en. In 
Wahrheit aber bcndit dies auf Täuschung, denn hier ist es in der 
Ihat ^ewissennasseu eine Variabi Ii täts-Wel le , welche über 
die verschiedenen Entwicklungsstufen von oben nach unten lang- 
sam hingleitet, nach unten zu immer sehwileher werdend bis zum 
Tülligen Verschwinden. 

Wür finden demenfspiediend sehr bftufig nur das letzte 
Stadinm oder die beiden lotsten variabel, die jün- 
geren aber eonstant. 

So sbdd bei Maeroglossa tiftellatarnm die Banpen im 
ersten, sweiten und dritten Stadinm eonstant, im vierten werden 



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Ueber den phyletUchen Panülelismua bei inetainor|)hischeu Arten. 1 59 

■ie Tsriibel, aber erat im AtnOtMi nehmen ne jenen hohen Ckad von 
Variabilitil an, oben im NSberen besebrieben wurde (siehe 
Taf. I, F{g. 3—12). 

So 8!nd«adi die Raupen von Vanessa Cardni naeb meinen 
Aufiseicbnungen trotz complicirter Zeichnung änsserst constant in 
den vier ersten Stadien , im fünften aber werden sie variabel, wenn 
nnch nicht in hohem Grade. Auch bei Smcrinthiis Tili:io, 
OceUata nnd Popnii gehUrt die hochgradige Variabilität iler 
Raupen nnr den letzten Stadien an , die vorhergehenden sind sehr 
constant. Dies liegt keineswegs etwa daran, dass bei den jungen 
Raupen die Zeichnung meist einfacher, alno auch weniger variatioDS- 
fiUiig ist. Es kommt auch das Umgekehrte vor. Etwa so wie beim 
Tapir nnd Wildschwein die Jungen längsstreifig sind, während die 
reifen Thiere nur eine einfache Farbe aufweisen , so besitzen die 
jungen Ränpchen von Saturnia Yamamai schwarze LUn^- 
streifeii auf j^clbcm Grunde, während schon in Stadium 2 cinfnrlics 
Grün an die Stelle der complicirten , al)er völlig constanteu Zeich- 
uun<; tritt. Wenn die jüiif^oron Stadien so häuüj; constant sind, so 
rührt dies vielmehr daher, dass die l Jebertra{;un^- cinos neuen Cha- 
rakters auf die jlln{;ercn Stadien nicht nur sehr alimiiii;;, sondern 
auch mit stets abnehmender Encrj;ie vor sich geht, ge- 
wissermassen so , wie eine jjhysikalisehe Bcwegnnj; (hirch die 
Widerstände all niälig immer langsanier w ird Ms /.um völligen Still- 
stand. Es mag weiter auch darin seinen (irund halicn , dass die 
(Miaraktere erst dann Übertragen werden , wenn sie in den letzten 
Stadien bereits fixirt, also nicht mehr sehwankend sind , woraus 
vielleicht eine grössere Gleichmässigkcit der Uebcrtragung abge- 
leitet werden darf , also ein geringerer (irad von Variabilität, als 
er bei der ersten Entstehung des betrefTcndcn Charakters vorhanden 
sein musstc. Ausgedehntere und speciell auf diesen Punkt ge- 
richtete Untersuchungen müssten angestellt werden , sollten die 
Oeaetze, nach welchen das ZarUckrUcken neuer Charaktere stattfin- 
det, im Genaueren festgestellt werden. Erst soldie UnlerBUebungen 
worden mit Sicherheit auf die Ursachen sehliessen lassen, durch 
welche die geringere Variabilität der jüngeren Kaupenatadien be- 
dingt wird. 

Es kommt Obrigena auch vor, dass die ersten Stadien 
variabel, die späteren constant sind, doch sebeint dies 



* 



lüU Uet>er den phyletiachen Panülelismus bei meUmorphiachen Arten. 

der seltnere Fall sq sein. So dod die Rftnpehen 7011 Oaetro- 
paehft Qnereifolift (Knpfeiglacke) in Stadiom t merklich 
▼ariabel, siAter aber nicht mehr and ebenso ist es mit Spilosoma 
Urticae, die im sweiten Stadinm beinah dimorph an nennen ist, 
spSter aber wieder constant wird. 

Am seltensten scheint das erste Stadinm variabel zu sein. 
Ich kenne 11 r r ein c n solchen Fall in Sphinx T i n m s t r i . dessen 
IViHc Ii ans »h in VA j^eschlUpfte Kilnpchen (Tai*. IV, Fi^r. r.:i schon 
bt'dentemlc N'ersehicdenheiten in den braunschwarzen Moiultleckt-n 
auf dem Kopfschild erkennen IngRcn. Studinni '1 (Fig. 51), 3 und 4 
ist dann /ienilich conntant, Stadium fi aber .sehr variabel. 

Ein derartiger Befund wUrde sich durch die Annahme von zwei 
Variutionswellcn leicht verstehen lassen , deren erete nur noch auf 
Stadium 1 ruht, während die zweite gewisserinassen grade erst auf 
Stadium begonnen hat Kiner suk-hoii Annahme stiinden keinerlei 
theoretische lie<lenkcu riitge^cn . viebnehr hätte sie viel Wahr- 
scheinlichkeit für sicii , da wir ja wissen, dass die .\iten von Zeit 
y.n Zeit neuen l ingestaltungen uiiterb'egen nntl da die N'ereinigung 
mehrerer letisdier Entwiekhnigsstiifen innei liall» (ler< »nfo^jrene.se 
ein utui derscllien Art siehe S. II Hntwicklung der (ialtuug 
Dcilepliilai beweist, dass wahrend «Us Zniilckrlickens eines C'lia- 
I akters neue Charaktere uu Endstadiiun (b r t )ntni:enese auftreten 
können, ja sogar sehr häutig zu einer Zeit auftreten, /n welcher 
der niiehstjUngste Cliarakter noch lange nicht bis zum Aufaugs- 
stadium /nrUckgerückt ist. 

Dafür, dass diese sekundäre Variabilität gewisser- 
mass«'n durch den Kampf der alten Charaktere mit den neuen zu 
Stande kttinint, welche von ()ben nach unten lierabzurUckcn liestrebt 
sind, wUsste ich kein schöneres Beispiel , als di»" liaupe unseres 
kleinen Nachtpfauenauges, Saturnia Carpini, welche ich viele 
Jahre hindurch aaf diesen Punkt hin beobiu'htet habe. 

Wenn diese liHupchen das Ei verlassen, sind sie schwarz, im 
erwachsenen Zustand dagegen beinahe hellgrttn, wenigstens in 
- einer Lokalform, die ich nach ihremJ^mdort in der Nähe von Genna 
die rar. Lignrica nennen will. 

WlÜirend nun diese beiden Endstadien der Entwicklung eine 
relative Constans besitsen, zeigen die mittleren Stadien eine Varia- 
bilitSt, die um so hochgradiger wirtl, je mehr man sieh dem leisten 



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lieber den pbyletiachen FaraUclismus bui metamorphischen Arten. 16] 



Stadium nAhert and zwar beroht das Schwanken in der Zeiclinnng 
einfadi anf einem Kampf des Griln mit dem von Alters 
her Überkommenen Sehwarz nnd es entstehen so, nament- 
lieh im rierten Stadium der dentschen Lokalform eine nnglaobliche 
Menge der verschiedensten Zeichnungen, die aber alle ans dem 
angegebenen Gesichtopnnkt sehr leicht sich verstehen lassen. 

Die einfachere, und wie ich glanbe, auch die Kltere Form der 
Umwandlung liegt uns in der Lokalform rar. Ligurica vor. 

Diese besitzt nXmlieh im letzten Stadium bei einer Lttnge von 
7,5 Cent, eine schfin hellgrttne Farbe ohne Jede Spur von 
schwarzer Zeichnung (Fig. 77) . Alle Individuen sind gleich*], 
auch in der Fftrbnng der sechs oiange&rbenen WarzenknOpfe, die 
-auf jedem Segment stehen, das Stadium ist also völlig 
eonstant. 

Unsere deutsche Sat. Carpini verbftltsich im fttnften Sta- 
dium anders. 

Allerdings kommen anch hier einzelne Individnen vor, welche 
ganz Grün sind, ohne Jedes Seh war/. . allein nie Bind selten, die 
Masse besitzt einen mehr oder weniger breiten schwarzen Hing, 
der mitten Uber das Segment hinzieht Fig. 78 u. 7«) . Verniittlungs- 
Fonnen werden dnnn (bu ch s(»lche Individuen gebildet, bei welchen 
die schwarze Binde zerfallen ist in einzelne schwarze, mehr oder 
minder grosse Flecke am die Basis der Warzenknöpfe her [Vig. SO) . 
So ist also das letzte Stadium der dentschen Lokal- 
form im Qcgensatz zu der Genueser Lokalform sehr 
variabel. 

l 'eliiifrens imtei'seheiden sich die beiden Fonueii keineswegs 
blos durch mehr oder wcni;;cr vor^erlickte ])hyletische Eatwick- 
laog, sondern auch sonst noch in mehreren Punkten. 

Da CS von grossem theoretischen Interesse ist, festzustellen, 
(iass eine Art .sich nur in dein einen Stadium der liaupc 
lokal verseliieden entwickeln kann, so will ich das That«Uch liehe 
hier ^'leich anliiuen. 

Die Unterschiede liegen darin, dass die Genueser Lrikalform 
fllnf, die Deutsche, wie die meisten Kaupen, nur vier Uäatuugeu 

*) leb habe aUMTdiiiga nur eine Brut aii%MOgeD, die aber aii« fanfslip Indi- 
viduen hcntand. Es wftrc interessant itt wilsen, ob diew Abart der Raupe aber 
ganz Südeuropa verbreitet ist. 

WeiamanD, ätndi«n. II. 11 



162 l^tiber (len phyleiischen Parallelismuii bui meUmorphUchen Arten. 



dnrehoMeht ; ferner darin, dasB die Genneser Foim dm lidite GiUn, 
welelies ineli die dentedie Form im Werten Stsdiom besitit, lobeld 
es dnmel bei ibr angetreten ist , bis sn Ende der Banpenentwick- 
lang beibebftlt, i^lbrend die deotsebe Form es im fünften Stsdinm 
mit einem dttstem QrangrUn yertaosebt (Teigl. Fig. 77 q. 78). 

Sebr merkwürdig ist dann eine Differenz in den Mberen 
Stadien , die ans beweist, dass der pbyletisobe Umwandlnngspro- 
cess bei beiden Formen seine ganz selbstständigen Wege gewan- 
delt ist. Da der Kampf des Grlln mit dem Schwarz — nm in die- 
Heni i^ilde 7.n bleiben — im letzten 8tadinm der Genueser Form 
vttUig l>eeQdet erscbeint, so sollte man erwarten, dass die neue FUr- 
bnng, das Grün, nun aneh bereits weiter auf die Jttngeren Stadien 
hinllbergerllckt sei, als bei der deutschen Form, nnd doch ist das 
nicht der Fall, ja sogar umgekehrt, das Schwarz lichanptet bei der 
italienischen Form lUnger das Feld, als bei der deutschen. 

Bei der Genueser Form sind die beiden ersten Stadien voll- 
ständig schwarz, im dritten erst tritt dazu ein orangegelber Seiteo- 
Htrcif auf. Bei der d e n t s c h c n Form erscheint dieser Streif schon 
im zweiten Stadiinn und nicht selten treten Uber ihm , wenigstens 
auf den nnttlcren Segmenten gelbe nr»fe um einige der Warzen- 
knöpfe der mittleren Hcilie hinzu. Im dritten Stadium aber ist das 
Gelb luud dies ist nur der Vorläufer des späteren Grlim noch wei- 
ter ansfrel)reitet. so da.ss nicht selten die Raupen orangefarbig aus- 
sehen und nur die Warzenknöpfe zum Theil oder alle noch schwarz 
sind und ausserdem noeli einzelne Fleckeu und Streifen [Fig. (iß 
und OS). Oft sind aucdi nur die KnJipfe gelb und der Grund bleibt 
grossentheils schwarz, kurz die helle Farlie ist bereits in v(dleni 
Kampfe mit (Um Schwarz und eine unendliche Heihe vou Varia- 
tionen ist die Folge dieses Kampfes währeud in dejnselben Stadium 
der Genueser Form eine Iteinaii vollständige Constanz herrscht. 

Diese bleibt auch uocii im folgenden, vierten Stadium, denn 
auch jetzt noch bleibt die Raupe tief sebwar/, und nur der jetzt 
heller gelbe (schwefelgelbe' Seitenstreif deutet auf die bevor- 
stehende Umwandlung (Taf. IV, Fig. 07;. 

Diese erfolgt dann erst im fünften Stadium, mit welcbem pUlti- 
Heb nnd obne Vermittinng ein belles Grttn die Gmndfiu'be wird nnd 
vom Sdiwars bOdistens nocb Spnren am Yorderrsnd der Segmente 
Ubrigbleilran. 



U«ber den phyletUchen ParallelitmiM bei metamorphiicben Arten. 



Eb ist dieielbe Zeicbnong, welelM dM Tierte Stedinm der 
deatadien Form darbietel, nnr daas hier Individuen ohne alles 
Schwarz nicht vorkommen, vielmehr bei Vielen das Sohwan nodb 

immer die Grundfarbe bildet und das Grttn nnr in Gestalt eiDielner 
Flecke auftritt (Fig. 71—75). ßei andern freilich herrscht das 
Qrttn bei Weitem vor mid zwischen beiden zeigt sich eine Unzahl 
von Mittelformen , so dass dieses Stadinm als das variabelste von 
allen bexeichnet werden mnss. 

Das sechste Stadinm der Genaeser Form und das Alnfte der 
deutschen wurden bereits gegeneinander gehalten. So bekämen 
wir also folgendes Schema: 

A. Deutsche Form: B. Genueser Form: 

Stadinm I. 9 Tage. 9 Tage. 

Schwan; constant. Schwan; constant. 

Stadium II. S 1\ige. 1 1 Tage. 

Schwarz mit orangegelbem Sei- Schwarz ; constant 
tenstreif; variabel. 

Stadinm m. 5 Tage (in andern It'Hige. 
FUlen bis sn 16 Tagen). 

Schwan mit Gelb; sehr var Schwarz mitoraagegelbemSei- 

fli^l, tenstreifen ; constant. 

Stadinm IV. 16 Tage (in eini- 6T^. 
gen Fällen nur 5 Tage] . 
Hellgrün mit Schwan gemischt; Schwarz mit hellgelblichem 
sehr variabel. Seitenstreif ; constant. 

Stadium Y. ü Tage .(oft auch 6 Tage. 

mehr) . 

Dunkelgrün m schwarzer Binde Hellgrün mit geringen Resten 
oder auch ohne; variabel. Schwan; variabel. 

8 tad i n m VI. Verpappnng. 1 8 Tsge. 

HeHgrUn ohne jegliches 
Schwan: constant. 
Stad. VII. Verpuppung. 

11* 



164 Ueber den phyletisohen PanUeliamu« ht& raetamorpluBchen Arten. 

Aus dieser Zusamiiicnstelhin^r ersieht man. dass der 'I ransfor- 
mations-Proccsg bei der Geuueser Forui wenigsteuB vorläufig ab- 
geschlossen ist. 

Warum das ZnrUokrUcken der nenerworliencn Charaktere auf 
die jüngeren St^idirii noch nieht erfol- t. oder niclit weni;rsten> im 
Gan-c ist, liisst sieli nieht angehen; «lieiisowenig . nlj es später 
noeh ertblgen wird, i h<:;leieli dies vermuthet werden darf. .Vugen- 
hlieklich scheint nur luu-h eine rehitiv kurze Zeit erforderlieh , Iiis 
das ein/.if;e noeh im Fliiss hegritTene variable) Stadium V dun-li 
Ibrtgeset/.te Kreuzung i(mstant wird, wie alle andern Stadien. 

Dass l)ei der deut.sehen Form die Transformation n>»(li in 
vollem tiange, zeigt sehon die Thatsaciie . dass hier alle Stadien, 
mit Ausnahme des ersten variabel sind , das zweite nur sohwach, 
das drifte sehon viel stärker, das vierte im denkbar höchsten Grade, 
«las fünfte und letzte aber wieder weniger stark, so dass also der 
stärkste Kampf des Alten mit dem Ncueu im vierten Stadium 
stattfiudct. 

Aus der Unzahf von Variationen, welche dieses Stadium dar- 
bietet , kann man eine geseblossene Keihe von Uebergängen her- 
stellen, welche den allmSligen Sieg des Grün Uber das Schwans 
illnstrireo tmd Schritt ts» Schritt den Weg nachweisen , den das 
Grttn dabei genommen hat. 

Am schwärsesten Individnom ist Nichts grlin , als der im vor- 
hergehenden Stadium gelbe Seitenstreif (Infrastigma-Streif), sowie 
ein halbmondförmiger Streif an der Basis der mittleren nnd ein 
noch kleinerer Halbmond an der Basis des oberen Warsenknopfe 
(Fig. 71 nnd 81). Bei helleren Indiyidnen sind dann diese Flecke 
gewachsen, haben sich einander bis auf schmale Brücken genfthert 
nnd es hat sieh ihnen ein dritter Fleck am Hinterrand der Waraen 
beigestellt (Fig. 72 nnd 82). Alle drei Fledte dehnen sich nmi 
nach allen Seiten hin ans, doch so, dass lange Zeit immer noch 
schmale schwante Grenzlinien da übrigbleiben , wo sie bei ihrem 
Wachsen aneinander Stessen. H&nfig resnltirt daraus eine wahre 
Hieroglyphenschrift auf dem grünen Gmnd (Fig. 85, 86). Znletzt 
yerschwfaidet das Schwarz am Vorderrand nnd in der Mittellinie des 
Rückens, wo es sich als T förmige Figur noch erhSlt (Fig. 73, 74), 
wenn es sonst schon überall bis auf kleine Reste durch das Grün 
verdrängt ist. 



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Ueber dan pbyktidchea l'aralkUsmus bei mutamoqihUchea Aru>n. 

Eines blieb mir in theoretiseher Besiebmig lange Zdl nner- 
UftrSch, nftmlieli die Aenderang des HellgrAn in Dnnkelgiangriln, 
welche im letzten Stadium im Zusammenhang mit einer totalen 
Verttnderong der sefawanen Zeichnung anftritt. 

Man sollte erwarten, fidls neue Charaktere wirklieh nur im 
leisten Stadium erworben, von diesem ans aber auf die jüngeren 
Stadien ttbertrsgen werden, im letzten Stadium dieselbe Zdch- 
nnng und Fb-bnng in vollkommner Ansbildnng TOixnfinden, 
welche das vierte Stadium mehr oder minder nnvollst&ndig be* 
sitst. Da nun die Entwicklungstendenz des vierten Stadiums — 
wenn man 80 sagen darf — auf Beseitigung des Schwan nnd auf 
Alleinherrschaft des Grün offenbar hinauszidt, so mttsste man in 
Stadium V eine hellgrüne Grundfarbe, entweder ohne alle Bei- 
inischnng von Schwarz oder doch mit solchen schwarzen Flecken 
nnd Strichen , wie sie als Rente der ursprUnglichMi Grundfarbe 
schon im Stadium IV Ubri^ geblieben waren, zu finden erwarten. 
Statt dessen zei^t das fllufte Stadium ein dunkleres, matteres Grtln 
nnd eine mehr oder minder entwickelte schwar/.c Zeichnung, 
welche sieh ans der des vierten Stadiums durchaus 
nicht ableiten lässt! 

Erst die in vorigem Jahr beobachtete Genueser Lokal foi-m 
brachte mir insoweit Auf8c]]luss, als bei ihr in der That das letzte 
Stadium nur das potenzirte vorletzte ist, oder richtiger 
ausgedrückt, flass bei ihr dicBclben Ciiuraktcre, welche heut das 
letzte Stadium kenuzeici)iicii. sclion mehr oder weniger vollständig 
auf das vorletzte zurttckgcrllckt sind. 

Das scheinbar paradoxe Verhalten der deutscheu Form würde 
sich durch die Annahme erklären lassen , dass ehe noch das reine 
Hellgrün sich vollständig auf das vorletzte Stadl um übertragen 
hatte, im letzten Stadiuni schon wieder eine Aenderuiig auftrat: 
Verdunkelung der grünen Grundfarbe und Bildung schwarzer Quer- 
iüiudcr. Daun würde nuin die Zeichnung dieses Stadiums umge- 
kehrt zu deuten haben, als die des vorhergeluntk li : das Fehlen 
von Schwarz wäre der ältere, einfache seliwarze Flecken an der 
Basis der War/.enkni>pfe der z u n U c h s t f o 1 g e n d e , ein zusam- 
inenliängcudes schwarzes Querband der vorgeschri ttenste Zu- 
stand dieser Entwicklung. 

Ob diese Deutung richtig ist, und wenn sie es ist, welche Ur- 



1 66 lieber dea phyleliachen Paralleliamu« bei metamorphiachen Arten. 

saobetf die aberauüige Aendemog heryorgerafen haben, dae wird 
vieUeieht dereinst die Vergleieiinng mit der Ontogenese anderer 
Satomien lehren, einstweilen Ittsst sich diese Annahme noch von 
emer andern Seite her durch das Verhalten der Genneser Lokalfurm 
stutzen. Wenn wirklieh das letzte Stadium der deutschen Form 
schon wieder eine neue Umgestaltung begonnen hat, dann ist diese 
Varietät weiter YOi^rUekt in der phyletischen Entwicklung, als 
die Genneser, dann entspricht es ganz der Theorie, dass bei 
ihr das Vorrücken der lichten Farbe (des Orange, als 
Einleitung zur Umfärbnng in Grün) schon bis in das zweite 
Stadium der Ontogenese herabreieht, während bei 
der Genueser Varietät selbst im vierten Stadium 
nur die ersten Aufänj^e der UTiifär])nng sich zeigen. 

Die Genueser Form hält frewissermass^en die Mitte zwisclicn 
der deutschen Form von Saturnia Carpini und der im Osten 
Deutsehlauds einheimischen nSchstverwandten Art Sat. Spini. 
Hei dieser Letzteren sind nämlich die Kaupen :iui li im er- 
wach s e n c n Z u s t a n d vollkommen schwarz m i t i* Ib e n 
Warzcuknö j) fen. Diese Raupenform niUsstc also f\lr die i)hy- 
Ictisch älteste gehalten werden und dies stimmt sehr gut mit dem 
Verhalten des Schmetterlings. Dieser unterscheidet sich von Sa- 
turnia Carpini wesentlich nur dadurch, dass er nicht 
sexuell dimorph ist. Bei Carpini besitzt das Männchen 
eine weit lebhaftere Färbung als das Weibchen , letzteres aber 
gleicht so vollständig dem Weil)chen von Spini, dass es — be- 
sonders iu den etwas j^nisseren südeuropäischen Exemplaren — 
durchaus nicht von ihm la unterscheiden ist. Da nun die einfachere 
Färbung des Weibchens jedenfalls als die ursprungliche angesehen 
werden moss, so mUssen wir aueb Spini, bei welcher beide Ge- 
sehleebter diese Fiiirang besitzen, für die phyletiseb tllere Form 
halten, Carpini aber, bei der diellioMhffii eine andere Farbe 
angenommen haben, ftor die jiingere. f Dies stimmt genau mit 
dem Verhalten der Raupen. 

Es sei hier noeh erwibnt, dass ieh mir aueb die Fhige vorge- 
legt habe , ob die YariatioDen der versebiedenen Banpenatadien in 
ursäebliefaem Zusammenbang miteinander stehen, so also dasa 
etwa die hellsten Individuen des flinften Stadiums aueb die hellsten 
des vierten und dritten gewesen sind. 



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^ Ueb«r den phyletiwheu rturalUlUmus bei meUmorphischen Arteu. 1 Ü7 

Klar iflt eine sokhe Besiehtuig mir iwisehen Stedimn III 
und IV; die dpnkebt en Banpen yoo Stadium III werden in den 
dunkleren VaiietiUen von Stadium IV, während freilioh die helleien 
snm Tliell auch dunUe Varietäten in StadiumlV werden. Zwiaolien 
Stadium IV und V ist gar kein derartiger Zuaammenhang sn er- 
kennen; 80 wurde einmal die dunkelste Raupe d«r dunkelsten 
Variation von Stadium IV die hellBte Raupe Ton Stadium V, in 
andern Fällen aber entstanden ans den hellsten Individuen Yon 
Stadium lY alle möglichen Abstnfimgen von Stadium V. Ich unter- 
lasse nähere Angaben. Das negative Resultat kann nieht ttbei^ 
raschen , es ist eine notbwendige Folge der nnansgesetst stattfin- 
denden Krenznng. 

Somit sehen wir zwar dieHanptstafen der Schmetterlings- 
Entwicklung (Raupe, Puppe, Schmetterling} unabhängig vonein- 
ander ihre Färbungen verändern, die einzelnenStadien des 
Raupenlebens aber in grosser Abhängigkeit voneinander, so 
zwar, dass dem letzten Stadiuni ein neuer Charakter nicht hinzu- 
gefllgt werden kann, ohne dass derselbe sich auch auf das zunächst 
jüngere Stadium im Laufe der Zeit llbertrll'^c ii. d von diesem in 
noch späterer Zeit auch auf die jüngsten Stadien hinüberzöge falls 
er nicht schon vorher durch unbekannte Gegenkräfte in seinem 
Laufe aufgehalten werden kann, Uber welch letzteren Punkt die 
vorliegenden Thatsacheu noch kein ausreichend sicheres Urtheü 
gestatten. 

Warum aber verhalten sich die einzelnen Stufen 
des Raupenstadiums in dieser Hinsicht so ganz ver- 
schieden von den Hauptstadien der ganzen Entwick- 
lung? warum stehen erstere in genauester Correlation , letztere 
aber nicht? Wenn Uberluiupt neue Charaktere die Tendenz haben 
auf die jüngeren Stadien der Ontogenese übertragen zu werden, 
warum gehen nicht auch neue Charaktere des Schmetterlings auf 
die Puppe und zuletzt auf die Raupe Uber? 

Die Antwort ist nieht weit zu suchen. Eine Correlation wird 
um so weniger stattfinden können, je weiter zwei Stadien dner Art 
in ihrem Bau vimelnaader alnreidien, sie wird um so mächtiger 
wirken, je mehr dieselben in morphologisdher Besiehung sieh nahe 
stehen. Es lässt sieh leieht einsdien, dass je mehr swei aufein- 
anderfolgende Stadien in Bau und Lebensweise auseinandeigehen, 



168 Ueb«r den phyletisehen Parallelitiiiin bei netamoTpUeeben Arten. 

68 um so weoiger niQglich wird, dass Charaktere sich von dem 
einen auf das andere Übertragen. Wie sollte z. B. ein neuer 
Charakter des Schmetterlings am Rttasel oder an den Flügeln 
Bich auf die Raupe Ubertragen können, die diese KOrpertlieilc gar 
niehk besitzt / Wenn alao hier eine Correlation bestände . könnte 
de nur darin sieh äussern, dasa irgend ein andrer Theil der 
Raupe auf die Abänderung am Schmetterlings-KUs- 
eel oder Flügel mit einer Ab&ndernng antwortete. 
Das aber grade sollte hier ^^c 7. cigt werden, dass dies 
nicht der Fall ist, und es gebt, wie mir scheint, mit 
S i c Ii e r h e i t aus allen den oben g e ni a c Ii t e n Angaben 
Uber das .selbstständige Variabclwerdeu derilaupt- 
Stadien der Metamorphose hervor. 

Es giht Ul)ri^ens noch eine uncndlieh grosse Reihe von That- 
saeheu, welehe ilie behauptete Selbstständigkeit der eiii/.ehieii Eiit- 
wicklinigsstadien (huthiin. ich meine die in a 11 n i c h l'a c he n I-'. r- 
8cheinnngcll der Metamorphose selbst. Schon allein 
die Existenz jeuer Entwieklungsforni, welehe wir 
als Metamorphose bezeichnen, beweist uihn idcrloglich . dass 
die einzelnen Stadien sich bis zu einem ungemeiu huUuu Grad un- 
abhängig von einander verändern können. 

Werfen wir nur die Frage auf Wie ist die sogenannte »voll- 
kommene« Metamorphose bei den Insekten entstanden . so kann die 
Antwort darauf nur heissen : durch alliuäligc .Vnjiassung 
der V e r sc h i e d n e n K u t w i c k 1 u u g s s t u l'e 11 a n i m m e r w e i - 
ter voneinander abweichende Lcl>enshedingungeu*j. 

Wenn aber einzelne Stadien der naehembryonalcn Eutwick- 
long dorch allmälige Anpassungen an immer weiter auscinander- 
weichende Lebensbedingungen schliesslich za einem so gänzlich 
versehiednen Bau gelangen können wie Raupe und Schmetterling, 
80 beweist dies, dass die Errangenseliaften der einsei- 
nen Stadien in den folgenden Generationen immer 

Tn tlem«elbcn Sinne Kiij^'t Lubhock : ,,it is evident, that creatures whieh, 
liko tliti luajority of insecU, live during the sutcasiT perioda uf thcir existcnce 
in very different eirouiutaaeeB, nay undeiigo eoneidenble ehengcs in thrir 
larwal Organisation , in conaequcnce uf forccs «cting on them «hilf in that con- 
dttion; not, inclci'd, without affecting, b u t certainly witlioiit affecting 
tO any corrcHponding extent, iheir ulliiuatu furni." Origin and meto- 
morphoaet of Ineeott. London 1874, p. 39. 



G 



lieber den phyleliscben rarallelUniuü bei mi taniurphUclicn Arteu. 1G9 



nor anf diese Stadien selbst wieder Übertragen wer- 
den, dass die andern Stadien aber anbehelligt da- 
von bleiben. Es bemht dies anf der Form der Vererbung, 
welche Darwin als Vererbung im correspondirenden Lebensalter, 
Hftekel als homoehrone Vererbung beseichnet hat. 



n. Fällt die Form Verwandtschaft der Raupen 
auaammen mit der der Falter? 



Nachdem so die Unabhängigkeit in der Veränderung der ein- 
seinen Stadien der Metamorphose festgestellt ist, wende ich mich 
snr Untersuchung der Frage: inwieweit ein Parallelismns 
in der phyletisehen Entwicklung dieser Stadien vor- 
liegt. Findet eine vollständige Congrnenz der Form- 
verwandtsehaft zwischen Ranpen einerseits und 
Schmetterlingen andrerseits statt, deckt sieh das 
auf die Morphologie der Schmetterlinge gegrttndete 
System mit dem anf die Raupen errichtbaren, oder 
ist dies nicht der Fall? 

Wenn wir die Ordnung der Schmetterlinge mit Claus*) in 
sechs grosse Oruppen von Familien eintheilen, so springt 
vor Allem in die Augen , dass diese Gruppen, die urspranglich aus- 
schliesslich auf die Charaktere der Imagines gegründet wurden, 
sich keiueswegs ebcuso scharf und bestimmt durch die Raupen- 
cliarakterc begrenzen lassen. 

Bei den Gcomotrinae wUrde dies allerdings der Fall sein, 
ihre Kaupen besitzen nur zehn Fttsse und in Fulge dcFi.sen jenen 
sonderbaren o Spanner«« -Gang, der schon dem I^aien auffällt. Diese 
Fanulien-( Truppe ist aber auch die einzige, welche auf die Morpho- 
logie derliaupen basirt werden könnte und sie ist eine sehr kleine, 
nmfasst unr zwei nahe verwandte Familien, von denen es wohl 
noch nicht ausgemacht ist, ob sie nicht ebenso gnt in eine einzige 
zusammengezogcu würden, (Pbytometridae und Deudro- 

*, (iruniküge der Zoologie 1875. 



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1 70 Uebtr dun phyletischen Parallelismus bei meUmurphischen Art«n. 

metridae), nnd damit die gaioe Gruppe der Spanner den Cha- 
rakter der Familie erliielte. 

Weder die Ghnppe der Hiorolepidoptera, noeh die der 
Noctnina, derBombyeina, Sphinginannd Rhopaloeera 
worden auf Orondlage einer Banpen-Systematik an begründen sein. 
Mehrere von ihnen snid fkeUioh ttberhanpt wenig scharf omsehiieben 
nnd bieten aacb in den Sehmetterlingen keine gemeinsamen, eba- 
rakteristiBchen , die Gruppe scharf onuMhendra Merkmale dar. 

Wohl aber ht dies der Fall bei der Familiengmppe der 
R Ii 0 p alocera oder T ii g f a 1 1 e r. Diese Schmetterlinge besitzen 
in den grossen , breiten , lebhaft gerarbteu , in der Ruhe aufrecht 
gestellten Flügeln, den keulenförmigen Fühlern Charaktere, welche 
sich in dieser Conibination nirgends sonst wiederfinden nnd sie des- 
halb an einer vr>llig scharf umsduiebenen Gruppe vereinigen. 
Ganz anders steht es aber mit ihren Ranpen. 8o cha- 
rakteristiscli auch der Bau der Raupen in den einzelnen Familien 
der Tagfalter ist, so sind doch diese »Raupenfamilien« durch kein 
gemeinsames Merkmal zu einer höheren Gmppe verbunden , und 
die Onippe der "Tagfalter» wUrde niemals aufgestellt worden 
sein, wenn man nur die Kuujicu gekannt hUtte. Allerdings be- 
sitzen sie alle sedis/elin Füsse , tragen nie das Spbingiden-llorn, 
zeigen selten eine Behaarung, wie sie viele Bonibveidcn besitzen*!, 
aber diese genieinsamen negativen Kenuzeicbeu kommen auch 
in ganz andern Grupjien vor. 

Es findet also bei den Tsigfaltern eine vollständi^^c Congruenz 
der Formverwandtsehaft nicht statt, insofern die Iniagines zu einer 
liiiluren Gruppe zusammentreten, der Faniiliengruppe. wäh- 
rend die Kaupen nur eine Gliederung in Familien erkennen 
lassen. Wenn man annehmen darf, dass die gemeinsamen Merk- 
male der Schmetterlinge auf gemeinsamer Abst^immung beruhen, 
so haben also die Imagincs gewisse gemeinsame Merkmale bei- 
behalten, welche sie als zusannuengehörig crkeimen lassen , wäh- 
rend die Uaupen aus der Zeit, in welcher sich die Familien trcuu- 
ten, keine gemeinsamen Charaktere beibehalten haben. 

Ohne jetzt schon auf die Ursachen dieser Erscheinungen ein- 
zugehen , schreite ich zur Feststellung der Thatsaehen weiter vor- 

•) Die Morphidtii - Oultung Discophora zeigt eine lk>haarung, weiche 
derjenigen der IS|nauergaUung Cuethocampa «ehr ähnlich ist. 



Ueber den phyletiMhen ParaUtfUtmu« bei tueUmurphiHchcn Arten. 17t 



wSrte ond wende mieh snr Untenachnog der boideneitigeD Fonn- 
▼erwaadtscbaften innerhalb der Familien. 

Hier kann es nun keinem Zweifel nntorliegen, dass in der Über- 
wiegenden Mehrsahl der Fülle die pbyletiBdie Entwickliing bei bei- 
den Stadien eebr genau parallel gegangen ist, Raupen- und 
Sebmetterlings-Familien decken sieh beinahe toIU 
stindig. 

So stehen inneriialb der Gruppe der Tagfalter eine Reihe 
Ten Familien, die sich genau ebenso gut auf den Bau der Raupe 
als auf den der Imago gründen liessen, bei denen also Ranpen und 
Imagines ebenso stark voneinander abweichen. 

Soz. B. die Familien der Pieriden, Papilioniden, Da- 
naiden and Lyeaeniden. 

Allein es finden sich auch Familien, deren Uingrcnzang gans 
anders aasfallen würde, wollte man die Kaupe dein System zu 
Grande legen , anstatt wie bisher die des Schmetterlings. Dahin 
gehört unter den Tagfaltern die Familie der Nymphaliden. 

Auch hier herrscht zwar eine sehr charakteristische Raupen- 
form vor , allein sie konmit nicht allen Gattungen sn, smidem wird 
bei einigen durch eine ganz verschiedene Raupenform ersetzt. 

In dem neuesten Katalog der Tagsclmietterlinge von Kirby 
'1871) werden 112 Gattungen dieser Familie zugerechuet. Da- 
von benitzcn die meisten Dornen in einer oder mehreren Kei- 
lien auf allen, oder doch den meisten Segmeuten , ein Merkmal, 
das in dieser Anordnung lu i keiner andern Familie wiederkehrt. 

So verhält es .sich hei (k r Gattung 1 bis 'JO , wenn man von den 
Gattungen, deren Haupen hekannt sind, auf ihre nächsten Ver- 
wandten schliesscn darf, liekaunt al)i r sind mir Kaupen der Gat- 
tung 2 Agraulis Buisd., 3 Cethosia, 10 Atel la, 12 Ar gyn - 
nis, I3Mclitaea, 11) Araschnia , 22 Vanessa, 2:iryra- 
meis, 24 Junouia, 'U Ergoli.s, 05 Ilypolimnas llühn. 
(Diadema Boisd.i, 77 Limcntis, 81 Neptis, S2 Athynia, 
endlich die der Gattung 90 E u t h a 1 i a Huhn., welche nach den Ab- 
bildungen Horsfield's nur 2 Kcihcu von Dornen besitzt, die 
aber ungemein lang gckrUmmt und an beiden Seiten gefiedert sind. 
Es darf mit Sicherheit angenommen werden, dass auch die da- 
iwischen liegenden Gattangen in diesem wichtigsten Merkmal der 
Mymphalinen-Ranpen, in der Bedomung , Ubereinstimmen weiden. 



1 72 Ueber den phyletuchen Parallelismus bei metanKNTphischen Arten. 



Allem nach der Gattöng 90 folgen noch 22 Gattnngen und bei 
diesen fehlt die Bedornnng, so wenigstens bei den beiden 
Hanptgsttongen, der Qattnng 93 Apatara nnd der Gattung '104 
Nymphalis. Von den ttbrigen kenne ich keine Abbildungen noch 
Beschreibangen. Bei diesen Gattnngen besitsen die Ranpen nur 
zwei oder mehr domartige Fortstttse anf dem Kopf und das 
leiste Segment endet in swei nach hinten gerichtete Spifsen , einer 
Gabel Tergleichbar. Sonst ist der EQrper glatt nnd weieht anch in 
seiner Form von dem der Übrigen Nymphaliden ab, er hat seine 
grOsste Dicke in der Mitte nnd veijttngt sich von da nach Tom, wie 
nacli hinten , ist auch nicht rein walzenförmig , sondern etwas platt- 
gedrückt und ähnelt einer kleinen Nacktschnecke. 

Wenn man demnach ein System der Tagfalter anf die Ranpen 
gründen wollte , statt anf die Imagines , so wUrdcn diese nnd die 
verwandten Gattungen eine besondere Familie bilden, nicht aber 
mit den 90 andern Gattungen der Nymphaliden vereinigt bleiben 
können. 

Es liegt also hier ein Fall von Inoongruenz vor. Die 
Schmetterlinge der Ciattiingen 1 — 90 nnd 91—112 sind sich näher 
verwandt, nls ihre K:iuj)cn. 

Aber noch nach einer andern Seite besteht ein gleiches Miss- 
vcrhHltniss. Die Hanpen nämlich der (iattnngcu A pa tu ra -Nym- 
phalis stiniiiieii in der Kr»rpergcstalt und dem gabiigen Ilinter- 
Icibsendc selir genau mit den Rani)en einer andern Tagfalterfamilie, 
den Satyriden. wälirend ihre Iniagincs sich von denen der Sa- 
tyriden vor Allem durch den Mangel blasiger Erweiterungen an be- 
stimmten Kippen der Vorderflttgei unterscheiden, eines wesent- 
lichen Charakters dieser Familie. 

Diese doi)pelte l'ngleichhcit ist aucli von den Systematikern, 
welche Rücksicht anf die Bildung der Kaupen nahmen, sehr wohl 
empfunden worden. So versucht Morri s ' die Gattungen A p a- 
tura-Ny m p h al i s der Familie der Libytiieidcn eiuziivcrleibeo 
und stellt diese Familie als Vennittlungsglied zwi^^chen Nympha- 
liden und Satyriden. Möchten aber selbst die Iniagincs der Gat- 
tnngen Apatura-Nymphalis und L i h y t h e a näher verwandt 
sein , als ich glaube, dass sie that.sächlicli es sind, die Raupen sind 

*) Synopsis of thc described Lepidoptera uf Norlh-America. Washington 
1862. 



Ueber den phjrleüscheu i'araUelismu» bei raelaiuorphischen Arten. 1 73 

jedenfalls idurweit yoneioander abstehend, Diindestens so weit, 
als die TOD Apatara-Nymphalis and den Übrigen Nyni- 
pbaliden. 

Nun könnte man allerdings die Gattungen Apatura-Nym- 
pbalis zn einer besondero Familie erheben, wie dies in richtiger 

Wllrdignn^' der Verhältnisse von Staudinger •) aneh bereits ge- 
schehen ist, und zwischen Satyriden und Nyniphaliden einschieben, 
dies wttrde aber nur auf Urund des Baues der Uau- 
pcn geschehen, der <1er Imagines wUrde dabei unbe- 
rücksichtigt bleibetti da sieh ftlr diese Gattnngs- 
grnppe keine andern, gemeinsamen Charaktere auf- 
stellen lassen, als die, welche sie mit den Übrigen 
Ny mj) ha 1 iden -G a tt u ngen gemein haben. 

Allerdings erinnern die Scliillcrfalter lApatura) durch die 
Äugt iitleekc ihrer Vordertillgel etwas an die Satyriden, bei denen 
solche Fleekc niemals fehlen, allein dieser Charakter kommt der 
Gattung Nvniplialis nicht zu, und tehlt aneh den meisten andern 
dieser Grui)pc. Ausserdem zeigt grade die (Jattnng Aj)atura in 
der Zeichnung ihrer Flllgel eine sehr auftallende Al'hnlichkcit mit 
der ächten Nvmphalidengattnng Limcnitis, wird deshalb auch 
von allen Systematikern, welche sie Ulierhanpt in derselben Fa- 
milie belassen, in die nächste Nilhc dieser (iattung gestellt und 
diese Achnlichkeit kann nicht etwa auf Miini( ly beruhen . da nicht 
nur eine oder die andre Art der beiden Gattungen ähnliche Zeich- 
nung besitzen, sondern alle, und da torner Achnlichkeit der Zeich- 
nung allein noch keine NachütVung l)cdingt, sondern Aehnlichkeit 
der Färbung hinzu kommen niuss. Die Gattung Limcnitis ent- 
hält wirklich einen Fall von Nachätl'uug, aber nach einer gan% an- 
dern KiehtuDg, wovon später gehandelt werden soll. 

So ist es denn W(»Iil nicht zu läugnen , dass in diesem Falle die 
ilaupcn andre Verwandtschafts- Beziehungen aufweisen, als die 
Iniagincs. 

Wenn dem »nattlrlieben« System die Aufgabe xnftUt, dem 
gcuctisehen Znsammenhang der Lebeformen Ansdmck so leihen, 
so fragt es sieh in diesem und ähnliehenkFillen, wem man mehr 
glauben soll , den Kanpen oder den Imagines , oder wissensebaft- 

*) Catalug der Lepiduptereii des Kurupäischen FauucngebieU's. Dre.iden 
1871. 



1 74 lieber den phyletieeheii Fenlldiamai tiei metanoiphiieben Alten. 

lieber ansgedrUckt , wer von ])ei(len die ererbten Cbaraktere dent- 
licher und vollstündiger bewubrt bat , wer also durcb seine 
F o r !n V c r w a n d t R c b a f t die Bluts ^ e r w a n <1 1 s c Ii a f t d c u t - 
lieber erkennen lässt, oder n in j:e k e b rt , wer am 
stärksten von der Stamm form a hj^cwicben ist. Die 
Knfsebeidiin^ kann im ein/einen Fall schwierij^. ja angenblicklieli 
unmöglicb sein, doeb niUsstc sie in den meisten Fällen j;elingen 
sobald man die Onto^'cnese der Ilanpe {jenau kennen b-rnte und mit 
ihr zugleicb einen Tlieil der Plivl<);::enesc dieses Stadiums. 

Wie in <ler (Iruppe der 'Pa^^talter die meisten Familien eine 
vollständige Congruenz der F<»rniver\vandtsebat't von Raupen und 
Faltern aufweisen, so findet eine solche auch bei den meisten Fami- 
lien anderer Grujjpen statt. So wUrdc man in der Ornppe der 
Spbingina beide sie zusammensetzenden Familien aueb sehr 
wobl dureb ibrc Raupen eliarakterisiren künncii ' ; die Familie der 
S p b i n g i d a e sowobl als die der S e s i u d a e besitzt eine durchaus 
charakteristiscbe Raupenform . 

In der Gruppe der Bombycina (Spinner] zeigt die Familie 
der Satnrnidae dicke, walzige Raapen, deren Segmente mit 
einer bestimmten Anzahl knopffUrmiger Warzen besetit ist. Aller« 
dingB tteben in diewr Famflie swei Gattungen (Endronii «nd 
A g 1 i a) , welehe dieser ebarakteristiscben Rnopfwarzen entbehren, 
allein bei diesen zeigt aneh der Sehmetterling durchgreifende ond 
gemeinsame Venehiedenheiten von den übrigen Gattungen nnd man 
hat'in der That bereits besondere Ftoilien anf diese Glttongen ge- 
gründet (Endromidae Boisd.). Die Congrnens wird also da- 
durch nicht gestOrt. 

Auch die Familien der Liparidae, Bnprepiadae nnd 
Lithosidae seigen sich in beiden Gestalten scharf begrenzt nnd 
auch unter den Noctuinen gibt es derartige Familien, obgleich hier 
die Aufstellung Ton Familien wegen der nahen Verwandtschaft der 
Gattungen grosse Schwierigkeit hat und immer einigennassen 
willkttrlieh sein wird. Wichtig aber ist es, dass grade die U ober- 



*) Die FamiliengnipiNldef SehwftmeririfdTon den Syttemati kern in Rehr 
verschiedenen! Umfange angenommen; wenn ich hier nur die eiptiitlirhen 
Sphingiden und die Scsicn dazu rechne, so verkenne ich doch keineswegs 
die OrOnde , welehe eine gröaaeie Auidehttang dieier Gruppe befBnrarten; de 
ist eben nicht idierf unuehrieben. 



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Leber den phyleUloheii FlumlleUmttt bei metarourphixchen Arten. 175 



gsngs- Familien sowohl in der Falter- als in der Kaapenform 
UebeiigtQge darstelleo. 

Ein lolcliefl Beispiel bietet die den Noctoinen sogereohnete 
Familie der Aeronyetidae. Hier zeigen die FMter in gewisnen 
Punkten eine Annihenmg an die Gmppe der Spinner nnd ebenso 
besitseo ihre Raapen in der starken Bebaamng ein ebarakteristi- 
sehes Merkmal vieler Bombycinen-Ranpen. 

Einxweites Beispiel stellt die Familie der Ordensbänder 
(Opbiasidae) dar, welcbe zwar von allen Rysteraatikem noch 
der Omppe der Koetninen ngesibU, ihrer Hinneigung an den 
Geometrinen halber aber an das Ende dieser Gmppe gestellt 
wird. Die breiten Flügel, der schlanke Körper der Fslter erinnern 
in der That sehen sehr an den Habitus der Spanner nnd wie die 
Imagines, so zeigen aneh die Ranpen dnrch das Feh- 
len der vordem Banohfttsse eine auffallende Aehnlicli- 
keit mit den Spannerranpen. Schon Httbner bat sie des 
halb in seinem Kan|>enwcrk als »Semi-Geometrae« beseichnet. 

Zeig^ alle diese Fälle eine vollständige Congmenz der bei- 
derlei Formyerwandtsehaften, so fehlt es doeh aneh hier nicht an 
Ansnabmen. 

So würde die Familie der Bombycidae gewiss niemals auf- 
gestellt worden sein, wenn man nur die Bildung der Raupe hcrtlek- 
sichfif:;! hätte, denn während die (rattnngen G astro p ach a . 
Clisiocunipa, Las io ca m pa , Odoncstis und Verwandte 
von einem dichten Filz kurzer, weicher ilaaif in sehr charakte- 
ristischer Weise bedeckt sind, sind die Kaupen der Gattung Hom- 
byx, wozu der Seidenspinner 1». iimri gehört, ganz nackt, nmn- 
cben Sphingiden-Raupen ähnlicli C h a c r o c a ni j) a . Die Schmet- 
terlinge der zn dieser Familie vereinigteu Gattungen Bind sich 
morphologiscli jedenfalls ungleich näher verwandt, als ihre 
Raupen! Ob man Hecht thnt, sie in eine Familie zu vereinigen, 
ist eine Fragc^ die nicht hierher gehört; worauf es hier ankommt 
ist nur die ThatHjiche, da.ss die beiderlei Stadien in sehr ver- 
schiedncm Grade form verwandt sind. 

Ein besonders anfl'allendes Hcispicl von Incongrucnz bietet die 
Familie der Notodontidae, zn welcher Hoisduval, nur auf 
die Charaktere der Iniagines sich stutzend, Gattungen vereinigt, 
deren Raupen Uberaus stark voneinander abweicheu. In dem Rau- 



176 Ueber den pliyletisclien ParallelisniUH hei metaiuürphischen Arten. 

penboeh Ton 0. Wilde ist deslialb ganz richtig diese Familie 
folgendermassen eharakterisirt : • Raupen von Tersdiiedner Gestalt, 
nackt oder dttnn behaart, 16 fltesig oder 14 fllssig.t In der Tbat 
konnten in der ganzen Ordnung der Schmetterlinge kaum Tersebie- 
denartigere Raupen znsamroengesncbt werden, als de hier in ein e r 
Imago-Familic beisammen »tehen, auf der einen Seite die kunEen^ 
walxigeu mit feinen, brüchigen, widerhakigen Haaren besetzten 
Ranpen der Oattnng Cncthoeampa Stpb. (Ch. processionea, 
pithyocampa n. s. w.], <l<'ii K;in|)en der Oastropaclia- Arten sehr 
ähnlich, ZQ denen sie auch frlllier gezählt wurde, auf der andern 
Seite die nackten , buckligen und tiachkr)pfi<;en Kanpen der Gat- 
tung Harpy ia 0 mit ihren zwei laugen Gabelfoitsätzen an Stelle 
des let/.tcu Afterfusspaars und die ganz bizarr gestalteten Ranpen 
der Gattung, Stanropns Genn., Hyboeampa L und Noto> 
donta 0. 

Am schärfsten ßpricht sich die nK)rphoh)j;isclie Congruen« 
zwischen Raupen uud Schmetterlingen bei den Gattungen an», 
sie bildet hier die fast ausnalini slose Reirel und zwar 
so sehr, dass man sicher sein kann für jede nach richtigen l*rin- 
eipien rein nur auf die Imagincs gegrlindete Gattung oder Tuter- 
gattung auch einen durchgreifenden I nfcrschied in den Raupen zu 
Hndcu. Hätte man die Raui)cu /uerst gekannt, man wUrde zur 
AufsteHung derselben (Jaftungcn gok<imnien sein. Mch-he jetzt auf 
den Bau der Imagines errichtet sind, und dieselben würden zu ein- 
ander ungefähr in demselben (trade m<>rj)hologischer Verwandt- 
schaft gestanden haben, wie die auf die Imagines gegründeten (iat- 
iungen. Die Congrncnz ist also in doiipclteni Sinne vorhanden, 
einmal ist der Abstand zwischen den Raupen und den Imagines 
zweier Gattungen gleich gross und dann bilden sie durch ge- 
nuiusume Merkmale verbunden genau dieselben, gleich scharf 
uuisehriebeucn (irnppen ; die Gattungen deckeu sich vollständig. 

So würde man unter den Tagt'alteni die Familie der N vni- 
plialiden ganz W(dd nach dem Hau der l!au]>cn in Gattungen 
theilen können und diese würden — soweit ich urtheilen kann — 
nüt den auf die Imagines gegründeten Gattungen zusammenfallen. 

Die Gattung M c 1 i t a e a z. B. würde sich durch den Besitz von 
je 7 — 9 fleischigen , mit Haaren l>esetzten sog. Scheindomen ch»- 
rakterisiren lassen, die Gattung Argy nnis dureh je sechs be- 



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lieber den phyletiachen ParalldiRmus bei nieumurpbuchen Arten. 177 

haarte, aber nnrerilstelte Domen anf jedem Segment, die Gattung 
Oethosia dnrch je swet XhnUebe Dornen anf jedem Segment. 
Die Gattung Vanessa zdgt dann bis in sieben istige Domen, die 
Gattung Limenitis nur je zwei ästige stumpfe Domen (Zapfen) 
anf jedem Segment n. s. w. Gehen wir mehr ins Einselne, so zeigt 
sich, d&m die näehstverwandten Imagines, wie ja zu erwarten war, 
auch die förmlich nHchstverwandtcn Raupen besitzen, dass aber 
auch bei sehr kleinen Unterschieden /.wischen den Imagine» sieb 
meisten» entsprechende Unterschiede bei den Kanpen finden. So 
ist z. B. die von F a b r i c i n s aufgestellte Gattung Vanessa von 
neueren Autoren in mehrere Gattunj^cn zcrle^rt worden. Von diesen 
Untergattungen zeichnet sieh Grapta Doubl, (wohin 7.. B. die 
•>n ropSische Art C a 1 b u m sowie die amerikaniselien F a b r i c i i . 
luterrogationis, Faunus, Comma etc. gehnren) dadurch 
ans . dass bei ihr nicht nur auf allen Segmenten des Rumpfes mit 
einziger Ansnahnie des i'rothorax Hstigc Dornen stehen . sondcni 
auch auf dem Kopf; bei der Gattung Vanessa sensu strictiori) 
iJoubl. fehlen die Dornen auf K(»pf und Protlior.ix /,. H. Van. 
rrticac ; hei der tropischen (Jattung .lunonia IlUbn. welche 
frllher ' (1 o d a r t I SlO ' - auch zu \'aness:i tcf'zogen wurde , tragen 
die Hanpen auf allen Segmenten ästige Domen auch auf Kopf und 
Prothorax. 

Man krmntc noch weiter gehen und zwei Arten als zwei neue 
Gattungen von \'anessa abtrennen, die auch von den spaltungs- 
sllclitigsten Svsteniatikern bisher vor diesem Seliieksal l)ewahrt 
geblieben .siiul. Allerdings wohl hl(».s deshalb, weil diese Arten 
beute ganz allein stehen und das praktische Bedürf- 
nis s , eine )» c s o n d e r e Gattung zu bilden, nicht so 
empfinden lassen, wie denn Uberhaupt dieses mit den wissen- 
schaftlichen Forderungen häutig in Conllict geräth ; die Wissen- 
schaft bildet eine neue Gattung gestützt auf die Grösse der 
morphologischen Abstünde, einerlei, ob eine einzige oder 
ob viele Arten diese Gattung ausmachen, fUr das praktische 
Bedttrfniss der Uebersichtlichkeit aber sind solefae 
Spaltungen ein Hindemiss, der mitzuschleppende Balhist an Namen 
wird dadurch noeb mehr vergrössert. 



*) Rncydop. Mllh. IX. p. 310. 
Wal Stadlra. U. 



12 



178 U^ber den phylettielMD FumlleUraitM bei metamorphiwlMn Arlea. 

Die beidtn Arien, welche ich auf Grund grösseren Fonn* 
Abstandes Ton Vanessa trennen mOchte, sind die sehr gemeinen 
und weit verbreiteten Arten, Vanessa lo nnd Antiopa, das 
Tagpfaoenange nnd der Tranermantel. Beide besitzen in der sehr 
eigenthUmlichen Zeichnung der Flügel charakteristische Merkmale, 
lo zeigt auf jedem FlUgel einen grossen Augenfleck und Antiopa 
einen breiten, hellgelben 8aum, wie er sonst bei keiner Vanessa 
mehr vorkommt. Es kann nicht zweifelhaft sein, dass niaii langst 
eine jede von ihnen zur Gattung erhoben hätte, kämen in irgend 
einem Theiie der Erde ähnlich gezeichnete Van e 8 sa- Arten vor, 
wie dies hei andern Vanessa- Arten der Fall ist. So gibt es be- 
kanntlich eine ganze Reihe von Arten, die unserer Vau. Cardui, 
eine andere Kcihe von Arten, die unserer Van. C albnm j^Meiehen 
und denselben Zeichnungstypus besitzen, und man hat in 
der That auf Grund desselben die Untergattungen Pyrameis 
und Grapta errichtet. 

Ich wUrde es nicht der Mllhc werfh halten, darauf aufmerksam 
zumachen, wenn niciit die Kaupen von Vanessa lo und 
Vanessa Antiopa sich ebenfalls in kleinen Merk- 
malen sowohl untereinander, als von den übrigen 
Vanessa-Arten unterschieden. Die l'nteisehiede betreffen 
die Anzahl und Stellung der Dornen, wie mau aus der folgenden 
kleinen Tabelle sehen kann : 



Arten der Gattnng Vanessa Fabr. 





Aaz&hl der Dornen uuf Kopf uad Leibearingen der Kaupe 


Kopf. 


Segm. 


u. 


Segin. 
III. 


S«gtn. 
IV. 


Segm. 
V. 


Segm . ! Segfo . 
Vl-Xlj XU. 


Vm. Io . . . . 


0 


0 


2 


2 


4 


(i 


6 




• Antiopa . . 


0 


0 




4 


n 


« 


7 


4 


• Urticu . . 


0 


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> Levana . . 


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U«ber den phyletiiolieii FkmlleHiiiiitt bei mottmorphiiohen Alton. 179 

Man wird dieB6B Merkmal der Dornenzalil nicht ftUr alLro un- 
bedeutend halten, wenn man beachtet, wie Yollkommcn genan das- 
selbe bei den nahe verwandten Arten sich gleich bleibt. So bei 
den drei nächstverwandten Arten Van. Urticae, Ichnnsa nnd 
Polychloros. Wenn wir nun sehen, dass zwei in den Schmet- 
terlings-Charakteren abweichende Arten entsprechende kleine Aen- 
demngen bei den Ranpen anfweisen , so deutet diese exakte syste- 
matische Congmenz auf eine voUlLommen parallele phyletische £nt- 
wieklnng bin. 

Ausnahmen davon finden sich aber auch hier. So bat Hühner 
eine Grupj ie von Vanessa-Arten auf Grund eini^^er charakteristischer 
Merkmale der .Sebnietterlingc zu der oben schon erwähnten Unter- 
Gattung Py rameis vereiniict. Ich wUsste aber nicht, auf welche 
Weise sich diese Gattung auf den Tiau der liaupen ^rthiden Hesse, 
diese stiu)mcn vielmehr, wie aus vurstehcnder Tabelle hervorgeht, 
ganz genau in Anzahl und Stellung der Domen mit den Kaupen 
von Vanessa (sensu strietiori Uberein und lassen aucli in ihrer 
Zeichnung keine gemeinsamen Merkmale erkennen, die sie gegen 
Vanessa hin abgrenzen würden. 

Noch auffälliger ist die Incongrucnz bei der Gattung Arasch- 
nia IJübiier 'A. Prorsa-Levana) , welche, wie die Gattung 
Pyranieis ausschliesslich auf den Hau des Falters gegründet ist. 
Dieser unterscheidet sich von allen andern Untergattungen der alten 
Gattung V'^anessa durch eine kleine Verschiedenheit im Aderver- 
lauf der Flügel die Mittelzelle der Ilinterflügel ist otfcn anstatt ge- 
schlossen) . Bekanntlieh gilt nun das FlUgelgeäder bei den Sehraet- 
terlingen seit Uerrich-Schäfferals das sicherste Criteriam der 
»Verwandtschaft« nnd im Ganzen gewiss mit Becfit. So kommt es, 
dass diese auf das gemeine »Landldlrtehea« Vanessa Levana ge- 
gründete Gattung in dem Veneiehniss Ton Kirby dnreb s^ei 
Gattungen ron Van essa getrennt wird, bei Herrieb-Sohftffer*} 
sogar dnreb yierzig Gattungen! 

Nichtsdestoweniger stimmen die Raupen in ihrer Domenformel 
ganz genan mit der Untergattnng Grapta, so dass man kdn Be- 
denken tragen würde, sie als einer Grapta-Art angehürig zu be- 
tiaehten. £s ist mir sehr wahrscheinlieh , dass in diesem Falle die 

*) Fradramitt Syntomstii Lepidqiteronrai. Regenaburg 1864. 

12* 



ISO lieber den phyletiachen ParallclismuM bei meUniurpiii^chen Arten. 

FonDTerwandtschaft der Raupe richtigere Ansknnft Uber die Blnts- 
verwandtscfaaft der Art gibt, als derFdter, jedenfalls aber 
zeigen die Ranpen andere Formverwandtsehaft als 
die Falter. 

Ebensognt als bei Tagfitltem lassen sich auch in der Gmppe 
der Sphingiden viele Gattangen auf den Bau der Ranpen grün- 
den, welche mit den anf die Imagines basirten snsammenfollen. 

So cbarakterisirt sich die Gattung Maeroglossa durch ein 
grosses, grades Schwanzhom, kngligen Kopf uud durch eine aus 
Längsstreifen zasammengesetite Zeichnung, Charaktere, die in 
dieser Combination sonst nicht wieder Torkommcn. 

Die nahe verwandte Gattung Ptcrogon wttrde dagegen nach 
den Haupen allein nicht begründet werden kOnnen , d:i nicht nur 
die Zeichnung: der erwachsenen Raupe bei den vcrscliiednen Arten 
sehr verschieden ist, sondern aucli das SchWanzhom bei zwei Arten 
▼orhanden, hei der dritten iPt. Ocnotherae) aber durch einen 
knopfTörinigcn Augenfleck ersetzt ist. 

Die Gattung Sphinx sensu strictiori) wUre durch das einfach 
gckrllnnntc Hchwauzhorn , denglattt^n. eirunden Kopf , die ghitte 
Haut und durch die hauptsächlich aus sieben Schrägstreifen beste- 
hende Zeichnung cbarakterisirt. 

Die Gattung Deilephila würde siili von der vorigen dun Ii 
den Besitz eines die Zeichnung untorlireclienden Uückenschilds anf 
fhMii Prnfhornx auszeichnen, sowie (hirch die Zeichnnnir wch'he 
hier aus einem Suhdorsalstroitru mit niehrod(M' minder /ahlrrichen 
und entwickelten Hingileeken l)estelit: auch ist die Haut rauh, 
»chagrinirta — freilieh auch nicht ohne jede Ausnahme i Vesper- 
t i 1 i o I . 

Auch die Gattung Chaerocampa Diip. würde sieh auf die 
Forniverwan(l{s<-haft ihrer liaupen grllnilcn hissen, allerdings aluT 
nur dann, wenn man von der Zeichnung ah.sieht und sieh nur anf 
die ( igeiitliihüliche Gestalt der Kaupen die sog. »8ch weine heu - 
form hezielit. 

Die der Gattung Sphinx so nahe verwandto (Gattung Acbo- 
rontia hesit/.t indem (hij)pelt gekrllmniten Schwanzhorn ein die 
Gatfimg zusammenfassendes M(>rkmal ■drei Arten bekannt . 

Kndiich erwähne ich nocli die Gattung Smerinthus, deren 
Rau])eu durch die nach vorn sich stark verjüngende Gestillt, die 



Ueber den phjrletuchm ParaUeUtmu« b«i nwtamoiphiMheii Arten. 181 

chagrinirte Haut, den beinahe drdeckigeii nach oben spitzen Kopf, 
das einfach gckrllmnite Scliwnnzhorn und die sieben Schrägstreifen 
auf jeder Seite, eine ebeuBO seharf amsebriebene Gattang darstellen, 
als die Schmetterlinge. ' 

Wenn nnn auch in allen bisher gemusterten Abtheilnngcn des 
Systems FäUe vorkommen , hei welchen die FornivcrwandtKchaft 
der Banpen nicht vollständig zusammenfiel mit der der Schmetter- 
linge, so finden sich doch derartige Incongruenzen bei Weitem am 
hänfigstcu t)ci der kleinsten systematischen Grnppe: der Art. 

Durchaus nicht selten sind die Raupen zweier Arten 
weit näher form verwandt, als ihre Schmetterlinge. 
So stehen sich die Kaupen von S m c r i n t h u s 0 c c 1 1 a t a und S m. 
Popnli sowohl im Bau. wie in Zeielniun^ und Färbung ungemein 
nahe, wälircnd ihre Srluiicttci liiiirc in den letzten beiden Eigen- 
schaften h>owohl, als auch im Flii^elsehnitt weit auseinandergehen. 
Den llaupen nach sollte man erwarten, zwei ^anz älmliclic Schmet- 
terlinge aus ihnen zu erhalten, in Wahrheit al)er bat sowohl Po- 
j)uli als Ocellata mehrere viel nähere Verwandte und diese 
näehstverwandten Sebinetferlinfrc besitzen zum Tlieil stärker ab- 
weichende Kaupen, als die ferner verwandte Selimetterlingsart. 

So kommen im Amurlande und in Nord-Amerika Smeriu- 
t Ii u s - Arten vor , welche unserer Oee llata in Färbung, Zeich- 
nung und FlUgelschnitt sehr ifcnau gleiebcn , welche vor Allem das 
charakteristische grosse l)hiue Auge auf den llinterlliigelu l)esitzen; 
Sm. cxcaccata wird mit Kccht gradezu als vicariircndc ameri- 
kanische Fonn unserer Ocellata betrachtet, ihre iiaupe al)er ist 
Chromgelb gefärbt, statt blattgrlln. besitzt dunkelgrüne Seliräi; 
streifen, anstatt weisse und trägt eine ^lenge rother l'leckc sowie 
ein rosarothcs Band auf dem Ko])fe , kurz ist in denselben Charak- 
teren Färbung und theihveise Zeichnung, weit verschieden von 
Ocellata, in welchen grade die Falter vollständig Übereinstim- 
men ! Sic scheint ausserdem noch mit kur&cn Borsten bekleidet zu 
sein, nach der mir vorliegenden Abbildung von Ab bot und 
Smith*) za urteilen. 

Wie naa aber der denkbar nSchste Formverwandte desSchmet- 
lerlingBOeellata eine relativ stark abweichende Raupe besitzt, 



•) A. «. O. Tab. XXV. 



182 IJt-'ber den phyletiwhcn rarallelismus bei metamorphiBchen Arten. 

gaoi M nahKXi es sich mit d«m niehiten FormTenrandten des 
SchmettorUngs Popnli. Anoh diese Art lebt in Nordamerika und 
«war an Jnglaas alba. Der Sohmetteriing dieses Smerinthos 
Jnglandis wdoht in dem Flllgelsehnitt sehr von PopnU ab, er- 
innert aber in Zeichnong tind Färbung so sehr an die eoropXische 
Art, dass ein Zweifel ttber die nahe Veiwandtsehaft der Formen 
niebt gerechtfertigt wftre. 

Die Raupe von Sm. Juglandis*] weicht nnn ebenfalls in 
der Färbung sehr bedentcnd von Populi ab, eine Verwechslung 
der beiden Haupen wlire niebt möglieb , während die Kaupen Ton 
Populi und Ooellata nicht nur Iciebt /u verwechseln, sond^ 
sogar für Kenner schwer zu nntcrsebeiden Rind. 

In derselben Gruppe der Sphingiden fehlt es aber aucb nicht 
an Fällen, bei welchen umgekehrt die Schmetterlinge sich 
bei weitem näher stehen, als die Haupen. 

Besonders aufTalleiKl ist dies in der Gattung Deilep Iii I a , Ton 
welcher acht Arten sieb in den iSchnietterUngcn äusserst nahe ver- 
wandt sind, während die Raupen nicht nur in der Färbung, son- 
dern ebenso stark aneb in der Zeichnung von einander abweichen. 
Diese 8 Arten sind Dei l c ph ila N i eaea. E u ph or biae , Dali 1 ii, 
rjrtlii, Livoruiea, Lincata, Zyf?(»pbylli und Ilijjpo- 
pbacs. Darunter sind N i (' ae a , E II p b o r b ia c , Dalilii. Zy- 
gophylli und II i p po p ti a es im pm/enBau, im Flüj;elselmitt, 
Kowie in der Z e i c Ii n u u g und auch der Filrlunig so iibulicb , dass 
Hieb wolil wenige Lcpidoplcrologen finden Hessen, die sie ohne 
Vergleicbnng sofort richtig erkennen wUrden. Die Haupen aljer 
grade dieser vier Arten sind von ganz versebiedenenj Aussehen. 
Am meisten ähneln sicli noch Eu])h(»rbiae und Dalilii. welche 
beide durch eine doppelte Heilie grosser Ringllecke ausgczeichuet 
sind. Zygophylli vergl. Fig. r>0] besitzt nur schwache Andeu- 
tungen von Hingfleckou auf einer weissen JSubdorsallinic und bei 
Ilippopbaes steht nur auf Segment 11 ein orangerother Fleck 
und die ganze Zeichnung besteht aus einer SuhdorRale . auf wcl- 
eher bei einem Thcil der Individuen mehr oder weniger entwickelte 
kleine Ringfleeke stehen fvergl. Fig. f>0 und 00). Man halte nur 
Haupen und Schmetterlinge von D. Euphorbiac und Ilippo- 



•) Abbot & Smith Tab. XXIX. 



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Ueber den phylctüohen FirmUelismu« M metanorphiichen Arten. 1 83 



pbaei nebeneinander, und man wird nicht umhin können, Uber 
die grosse Differenz in 4er Formverwandtsehaft beider Entwiok- 
longs-Stadien in Erstaunen zn gerathen. 

Beinah noch grosser ist aber diese Differenz zwischen Deil. 
Euphorbiae und Nicaea. Wtthrend die Raupen hier grelle 
Unterschiede in Färbung, Zeichnung und der körnigen oder glatten 
Beschaffenheit der Haut aufweisen, vcrgl. Fif?. öl mit Fig. 43, 44) 
sind die Schmetterlinge überhaupt nicht mit Sicher- 
heit zn unterscheiden. Wie oben schon ausgesprochen wurde, 
fehlt deshalb auch der Schmetterling der seltenen D. Nicaea 
in den meisten Sammlungen ; man kann ihm eben doch nicht an- 
sehen , ob er »ächt« int , d h . oh er nicht etwa blofl ein etwas grosses 
Exemplar von D. E u j) h o r b i a e ist ! 

Ein besondere auffallendes Beispiel von Incimgruenz bieten die 
beiden bei uns bäufigsten C baerocam i)a- Arten : Elpenor und 
i'ü reell US, der sogenannte mittlere und kleine WeinschwUrnier. 
Die Kaupen sind sieb bis in die kleinsten Details der Zeiclinung 
hinein so ähnlieb , dass man sie kaum mit Siclierbeit unterschei- 
den könnte, wäre nicht die eine Art bedeutend grosser Elpenor, 
und besässc sie nicht zugleich ein minder verkümmertes Sebwanz- 
horn . als die andere fPorcellusU Die Schnietlerlinire dieser bei- 
den Arten nun ähneln sich zwar in der aus hellgrün und Weinroth 
zusammengesetzten Färbung ebenfalls sclir , unterseheiden sich aber 
in der Vertheilnng dieser Farben, d. h. also in der Zeichnung 
und zugleich im FlUgclschnitt so bedeutend, dass man sie darauf 
hin in eine ganz andere Gattung brachte , die Walke r'sche Gat- 
tung Pergesa*). 

Sollte das System wirklich, wie von manchen Seiten ange- 
nommen wird, nur die morphologische Verwandtschaft an- 
deuten f so wllre dies Verfahren nfelit n tadeln — m mtlsste man 
dann efai besonderes System ftlr Raupen noek nebenher laufen lassen 
— etwa so t wie es hente noch in den Lehrbllchem der Zoologie 
bei den Hydroidpolypen nnd niedem Hednsen als Prorisorinm 
gesebielit. Grade aber dieses Beispiel TonPoreellns zeigt reebt 
deatliobi dass Di^enigen im Beebte sind, weiebe das System fllr 
enien, wenn aneh onToUkommnen Ansdmek der Blntsrerwandt- 



*) Cstakgue Biit. Mm. 



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184 Ueber den phyletitcfaen FaraUeliiiinM bm melamoTpbndten Arten. 

schalt in Anspruch nehmen nnd behaupten . dass die Systematik 
auch von jeher unbewusst ihreGmppen so gebildet habe, als ob 
sie dem genetischen Zusammenbang der Formal damit Aasdmek 
geben wolle. Nur unter dieser VoransBetsong erscheint ans eme 
solebc Trennung zweier in ihren Baapen 8o YÜÜig ttbereingtimmen- 
der Arten ungerechtfertijct. 

Ich kann diese Musternng der verschiedenen Gruppen des Sy- 
stems niebt schliessen, ohne auch noch einen Hliek auf die inner - 
balb der Grenzen der Art vorkommenden Gruppenbildnngen 
zuwerfen, auf die V arie täten. War schon bei den Arten die 
Incun^^Tuenz sehr häufi};, so wird sie b e i d e n V a r i e t ä t e u g r a de - 
zu z u r Kegel und grade hier hUsst sie sich deshalb schärfer iioeli 
eoutrolliren , weil es sich hier nicht lun Abschätzung einer doppel- 
ten Differenz bandelt, sondern nur um die Frage, ob in tleni einen 
Stadium Uberhaupt eine Differenz oder aber absolute Gleichheit vor- 
banden ist. 

Bei Weitem die meisten Varietäten sind nun entweder blos 
Sc b me tt e r 1 ings va r ie tä ten , oder blos Kaupen Varie- 
täten, nur das eine Stadium weicht ab, das andere ist voli- 
komnicn gleich. 

So sind bei allen mir bekannten saison-d i in o rpbe n 
Schmetterlingen, wie bereits angcfllhrt wurde, die Kaupen 
der beiden , oft so stark vcrsebiednen Schnietterlingsgenerationcn 
völlig gleich und ganz ebenso wird es sich bei den meisten 
ächten kliniatischen Schnietterlingsvarietätcu verhalten. Leider 
liegen nur darüber bis jetzt keine zusammenhängenden und j»lan- 
mässigen lieobaehtnngen vor. Der einzige ganz sichere Fall, den 
ich hiertlir anzufahren wllsste, betrifft die alpine uud polare Form 
des kleinen Wcisslings Pieris Napi. Diese in Zeichnung uud 
Fftrbong des weiblichen Schmetterlings sehr stark abweichende 
Varietftt Bryoniae besitzt Baupen , welche sieh durchaus nieht 
von denen der gewöhnlichen Form von Napi nntendieiden lassen 
(vergl. die Angaben darOber in Heft 1 dieser «Studien«). 

Dass aber aneh die Raupen lokal vaiüren kSnnen , ohne dass 
die Sehmetterlinge ebenfalls in Variationen auseinander gehen , be- 
weisen schon die mehrfoeh besprochenen und genau dargelegten 
Falle von Di- und Polymorphismus der Raupen bei einer An- 
zahl von Spbingiden ;Macroglossa Stellatarnm, Aeh. 



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Ueber den phyletisehen PanUelismiw bef metnnoffpbiNlien Arten. 185 

Atiopos, Sphinx Convolvuli, Ghacr. Elpenor, For- 
ce 11 us etc.}. Noch schärfer beweisen es soldie Fälle, bei wel- 
chen nicht mehrere, somlcrn mir je eine aber verBchiedne 
Bupenform auf zwei verschicdnen Wohngebieten vorkommt. 

Dahin wäre der oben er>vähnte Fall von ChaerocampaCe- 
lerio za reebnen, falls er sich als richtig herausstellt, dahin der 
oben mitgetheilte Fall der ligurischen Varietät der lianpe von Sa- 
turn ia Carpini, dahin endlich ein den Lepidoptcrologen wohl- 
bekannter Fall, der von Gastropach a Lanestris. einem 
Spinner, der in Deutschland die Ebne bewohnt, in den Alpen bis 
zu 70011' hinaufsteigt, dort alter anders gefärbte und gezeichnete 
Kaui)eu besitzt G a s t ro p. A r b u seu 1 a e . als in der Ebne , wäh- 
rend der Sehnietteriing zwar kleiner wird, sonst aber sich in Nichts 
von den Exemplaren der P^hiie unterscheidet. 

Grade unter den alpinen Faltern inttgen noch viele solche Fülle 
vorkommen, die aber nur durch ubsichtlieii auf diesen I*unkt ge- 
richtete rntersuchungen zu entdecken sein werden . da von den 
alpinen Tagfaltern z. B. nicht ein einziger aus der Kanpe ge- 
zogen werden kann und die alpinen llau[)cn dcsliall) bei den Ento- 
mologen im Ganzen wenig Belichtung finden und durchaus nicht 
so genau gekannt sind, als es zur Entscheidaug solcher Fragen 
nothwendig wäre. 

Die rutersuchnng der Formverwandtschaften zwischen Kau- 
pen einerseit.s und Sehmcttcrlingen audrcräcitä hat demnach folgen- 
geudes Ergebniss geliefert: 

Im Grossen und Ganzen besteht ein hoher Grad von Glcich- 
mässigkeit, wie auch von vornherein zu erwarten war, da ja 
Raupe und Schmetterling ein und dasselbe Indivi- 
dunm ist, da somit verwandte Arten thatsächlich in beiden 
Stadien {fiei oh nahe verwandt (d. h. blnts verwandt) sein 
mUMen. Ui&ioaiif&Uend«ristei,daaBderaelheGtadvoiiBluts> 
verwandtsehaft keineswegs immer denselben Grad von Fonnver- 
wandtsehaft mit sieh fllhrt. 

Die Vergleichung lehrt, dass solobelnoongrnensen oder 
Ungleiehbeiten der Formverwandtsehaft in allen 
Gruppen des Systems vorkommen von der Varietät 
an bis an den Familiengrappen hinauf. Sie sind doppel- 
ter Natnr, snm Theil änssert sieb die Incongniens nur darin, dass 



1 86 Uebar 4m phylaUMliea FirtUeUmm bei M«tMnof|tliiidMii Artn. 

die Raupen swder systematiBcher Gruppen s. B. zweier Arten 

n&b e r f o r m v c r w a lul t («ind , als ihre Schmetterlinge (oder am- 
gekehrt l\ zumXbeil aber darin, dass die liaupen andere syste- 
matische Gruppen bilden, als die Schmetterlinge. 

Die Resultate der Untersuchung in Besug auf das Vorkommoi 
von Inoongmemeii bei den verscbiednen systematisobeB GmppeD 
fiind nun kurz znsamniengefasst folgende : 

Am häufigsten scheinen Inoongrncnzcn hei den 
Varietäten vorzukommen, indem sehr oft nur die 
Raapen oder nur die Schmetterlinge sich in Varie- 
täten gespalten hal)cn, wäh re nd duK andere Stadium 
monomorph ^'ehlicl)cn ist. Dio systematische Gliederung 
der Spaltnnf; in \'arietäten findet «also sehr häufig einseitip statt. 

Auch im Formcukreis der Art finden sich Incon- 
prnenzcn untrem ein häufij^. Haid sind die Iniagincs bei 
weitem näher form verwandt, als die liaupen, bald verhält es sich 
umgekehrt und auch der Fall seheint vor/.ukoninien . dass allein 
das eine Stadium (die l{au])e sieh im Betrage von Artdifl'erenzen 
spaltet, während das andere mououiur|)h bleibt (Dcil. £apbor- 
biae und Nicaea.) 

Am vollstUndigsfcn ist die Uchereinstimniung der Formver- 
wandtschal't im liereieh der G att tni ir In der grossen Mehrzahl 
der Fälle entsprechen sich die Haupen- und Imapnes-Gattungen 
und zwar nicht nur in der Schärfe der Abgrenzung, simdem auch 
— soweit mau iirtheilen kann — im Gewicht der uutersehcideuden 
Merkmale, also iu der Weite des Abstandes. Von allen syste- 
matischen Gruppen zeigt dio Gattuug die grösste 
Congruenz. 

Schon bei der Familie nehmen die Unregelmässig- 
keiten wieder zn. Wenn auch gewöhnlich die Raupen- and 
Hebmetterlingsfoniiliea sieh decken, so finden sieb doeb mandie 
Aosnabmen davon, so swar, dass die Qrappe kleiner ausfallen 
würde , wollte man sie aasscbliesslicb aaf den Bau der Raupe grttn« 
den, grosser, wenn aasscbliesslicb aaf den des Fslters (Nympha- 
lidae, Bombycidae). 

Wenden wiranszndenFamilien-Orappen, so zeigt sieh 
eine bedentend gesteigerte Incongrnens; ToUsttndige 
Ueberdnstfmmong ist hier eher wieder sor Aasnabme geworden 



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Ueber den pbjletttchen ParaUeUsmus bei metamorphüchen Arten. 1S7 

und swar fiOlt es bier besooden auf, dasB stets die Raupen es 
sind, welche aaf einer niederen Stufe gewissennassen snrOckbld- 
ben, twar wohl scharf nmschriebene Familien bilden , nnr selten 
aber durch gemeinsame, durchgehende Charaktere in einer Gruppe 
höherer Ordnung snsammentreten, wie es bei den Faltern doch 
mehr&oh gesehieht (Tsgschmetteilinge). ^ 

Nachdem so das ThatBSchliohe — soweit es mir möglich war — 
zusammengetragen ist, handelt es sich darum, den Versuch sn 
machen, dasselbe xu ▼erstehen, aus der beobachteten Gongruenx 
und Ineongrueni der FormTerwandtschaft beider Stadien auf die an 
Grunde liegenden Ursachen der Trsnsmutationen surttck su 
Bchliessen. 

Soriel ist von Tvmiherein klar, dass alle FUle roa Ineongruenz 
nur der Ausdruck oder die Folge einer nicht genau parallel 
laufenden phyletischen Entwicklung der beiden Stadien, 
Raupe und Falter, sein kOnnen. Das eine Stadintn muss sich 
rasoherodw stärker verhindert umgewandelt^ haben, als das 
andre. Eine »ungloirlic })liyl6ti8che Entwicklung« wire 
somit die nächste Ursache der Ineongruenz. 

So würde das Vorkommen von Raupen-Varietäten bei gleichblei- 
benden Faltern einfach so aufzulassen sein, dass hier nnr ^ic Falter 
eine Umwandlung erlitten , einen Schritt in der phyletischen Ent- 
wicklung vorwärts gethan haben, während die Ilaupen stehen ge- 
bliel>en sind. Denkt man sich diese ^einseitige Entwicklung mehr- 
mals wiederholt, so würden zwei so stark verschiedene Raupon- 
tornien entstehen können, wie Dcilephila Nicaea und 
Enphorbiae, während die Falter, wie bei diesen Arten that- 
säcblieh der Fall ist. dieselben bleiben würden. 

Der bäufif;<'r vnrkoninieude Fall von weiterem Form-Abstand 
des einen , als des andern SUidiunis wUnic davon abzuleiten sein, 
dass das eine Stadium Öfter oder stärker abgeändert hätte, als 
das andere. 

Soweit liegt die Erkliirnng der Erscheinungen auf flacher 
Hand und es kann kaum eine andere aufgestellt werden, worin aber 
liegt die l'rsache. dass der eine Tlicil häufiger oder stärker abän- 
dern niusste, dass er gcwissermassen häufiger oder stär- 
ker von Abändcrungs - Anstössen getroffen wurde? 
woher kommen diese Abänderungs - Austösse? Damit 



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1 8S Ueber den phyletiseben PsnlleliimuB bei netemorphitehen Arten. 

Bind wir auf den Kerapimkt dieser ganzen Unteronehong gekommen : 
Hind CS innere, oder ttnesere UrBachen, welche die 
Abäuderangcn bcrvorrnfen, ist es eine phyletiscbe 
Lebenskraft oder sind es nnr die äussern Lebensbe- 

diognngen? 

Obgleich schon im vorigen Abschnitt eine Beantwortung dieser 
Frage gefanden wurde, so will icli mich doch aaf das dort erfaidtene 

RcBultat nicht stützen, sondern die Frage von Nenem und auf 
andrer Grundlage zu beantworten suchen. Die Antwort wird frei- 
lich dieselbe sein, wie dort: eine phyletiscbe Kraft muss 
zurückgewiesen werden, denn sie erklärt erstens 
die Erscheinungen nicht, niul wir kiinneii zweitens 
die Erscheiuangeu aasreicheud ohne ihre Annahme 
erklären. 

Die Annahme einer pb yletischen Lebenskraft 
erklärt die Erscheinungen u i e h t. 

Die Annahme einer in den ürgiinismen gelegenen, treiin ndcn 
Uniwandlungskraft wUrde zwar nüt den Erscheinungen dei" Con- 
gruenz ganz gut stinnnen, nicht aber mit denen der Ine(»n- 
gruenz. Wenn ein grosser Theil dieser Letzteren darauf beruht, 
(UisH die Raupen öfter von Abänderungsst-'ssen bceinflusst wurden, 
als ihre Falter, oder umgekehrt, wie soll man das mit einer snkhen 
innern Kraft zusammenreimen? Müsste nicht dann ein jedes 
S t a (1 i u m einer Art. wenn nicht gleichzeitig, so doch s u c c e s s i v e , 
alicr jedenfalls gleich oft und gleich stark von der in ihr selbst re- 
sidirenden Kraft zum Abändern vcranlas.st werden und wie sollte 
auf solche Weise jemals eine stärkere Abweichung der Form bei 
den Larven, als bei den Imagines zu Stande kommen ? 

Es ist Täuschung, wenn man glaubt, durch die Annahme 
periodischer Eingriffe der phyletischen Kraft solche 
• ungleiche Abstände erklären zu können I Gesetzt es verhalte sich 
sOf die innere Kraft zwinge snccessiv zuerst den Schmetterling, 
dann die Pappe nnd snletit die Baape warn Ab&ndem , so wttrde 
also — wie dies als tbatsllehlieh bestehend fta die einsehien Bau- 
penstadien oben nachgewiesen wurde — gewissennassen eine A b- 
ändernngswelle Uber die verschiednen Stadien der Art hinglei- 
ten. Die einzige Mflgliehkdt, ungleiche AbstSnde zwischen Larven 
nnd Imagines sn eridttren, würde also die Annahme bieten, dasa 



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Lieber den phyletiflchen Paralielismus bei ruetamorphischen Arten. 1S9 



EweiiTerwandte Gkvppen, s. B. Arten, angleielizeitig von der 
Welle getroffen wttrden, so zwar, dass in einem gewissen Zeitpunkt 
bei der einen Art der Schmetterling allein erst abgeändert 
hat» bei der andern aber die Abftndemngswelle aoch die Raupe 
schon erreicht hat. In diesem Fall würden dann die Schmet- 
terlinge beider Arten n&her verwandt scheinen, als die Banpen. 

Nun ist aber diese angespitzte ErkMmngsweise höchstens auf 
Yariettten anwendbar» schon nicht mehr auf Arten nnd noch weni- 
ger anf höhere systematische Gruppen nnd zwar ans dem einfiu^en 
Grunde » weil man jede Abllnderungs- Welle höchstens so stark an- 
nehmen darf, dass sie znr Erzeugung des Form-Abstandes einer 
Varietät ansreicht. WUre die Abänderung, welche auf einen 
einzigen Anstois liiu erfolgt, grOsser, so wUnIcn wir nicht blos ein- 
seitige d. h. nur dem einen Stadium angehorigc Varietäten, 
sondern wir mUsftten ebenso häufig auch ei u s ei tige Arten 
antreifen. Wenn aber durch eine AbUnderungs- Welle stets nur 
im höchsten Falle der Form-Abstnnd einer Varietät hervor- 
gerufen werden kann , so würde durch den obeii hypothetisch an- 
genommenen ungleiehzeitigen Ablanf einer solchen Welle bei zwei 
Arten immer nur so geringe Abstand» - Differenzen der beiden 
Stadien entstehen können, dass wir sie eben nur als Varietäten be- 
zeichnen könnten. Eine Summ im ng aber der Wirkung meh- 
rerer succcssiv Uber dieselbe Art hinlaufenden Wel- 
len könnte nicht eintreten, weil der Abstund von einer benachbarten 
Art immer wiciU r in beiden Stjidien derselbe sein würde, sobald 
eine Welle ihren Weg vollendet hätte. Es könnten also auf diesem 
Weg nur A b s ta n d s - 1) i f f c r e n z e n v o ni F o r nnv e r t h e einer 
Varietät entstehen nnd Incongriien/.en l)ei systematischen Grup- 
pen In'ihcren Ranges wUrden auf diese Weise ihre Erklärung 
nicht finden. 

Aber auch die zweite Form der Incongrncnz spottet 
jeder Erkliirnng vom Standpuni^t einer j)liylctiselien Kraft aus. 
Wie sollte die Thatsaclic verstanden werden, dass Raupen- nnd 
Falter-Familien sicli keineswegs immer decken, oder dass die 
Ranpen ch nur zur Bildung von Familien bringen, die Falter aber 
zum Theil scharf umschriebene Gruppen höherer Ordnung 
bilden ? 

Wie könnte eine innere zwcekthätige Triebkraft innerhalb 



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1 9Ü UelMT dm phyletiM>1i«n FHallaUiinui bei mrtaaoipliitelira Aittn. 

desselben OrganiBmni gans Teraeluedeiie Zweeke ver- 
folgen ? 

Wenn es die Ali^^icbt war, ein bestimmtes System ansznfUhren 
und danaf läafit ja die Annahme einer solchen Kraft immer binaiu, 
warom dann eine so nnyollkonunene, nosiehero, ja verworrene 
AnsfUlinuig? 

Ich mufis es Andern Überlassen, diese Fragen za beantworten, 
fllr mich scheint eine Lebenskraft nicht blos deshalb zurückzuwei- 
sen, weil man mit ihrer Hülfe die Erscheinungen nicht verstehen 
kann, sondern vor Allen» deshalb, weil nie Uherfllissig ist 
zur Erklärung derselben; nach allgemeinen GniudsUtzen 
darf aber die Annahme einer unbekannten Kraft nur dann gemaelit 
werden, wenn sie zum Yerständniss der Erscheinungen unent- 
behrlich ist. 

Ich glaube , dass sich die Erscheinungen sehr wohl begreifen 
lassen ohne eine solche Annahme und /war sowohl die Erscheinun- 
gen der C () n g r u e n /. . als die der I n e o n g r u e n /, in ibren beiden 
Formen, den ungleichen Abstünden und der ungleichen 
Gruppcnbildung. 

Nehmen wir einmal an, es läge keine treibende Kraft in den 
Organismen, welche sie periodisch zum Abändern veranlasst, son- 
dern jede Abänderung sei immer nur die Folge äusserer EiaflUsse. 
sei in letzter Instanz nichts Anderes, als die Keaction, die Autwort 
gewissermassen des Organismus auf irgend einen von der Auaseu- 
welt ausgehenden Kelz, so wUrde also eine jede Lebefonn solange 
unverändert bleiben , als sie von einem zum Abändern zwingenden 
Reiz nicht getroflfen wird. Solche Abänderungs-Anstösse kdnnen 
direkt oder Indirekt wirken, d. h. sie kQnnen neoe Aliia- 
demngen nn mittelbar ▼eraalassen, oder sie können dnroh Com- 
Iiination, Hänfling oder UnterdrQekung der schon vorhandenen in- 
dividoellen Abweiehnngen eine Umbildung in Wege bringen (An- 
passung durch Natursllchtnng). Beide Formen der Einwirkung 
äusserer Einflüsse sind ja längst bereits als thatsBohlich wirkend 
nachgewiesen, es wird also mit ihnen durefaaus iLcine neue und 
eist zu beweisende Annahme gemacht, sondern es soll nur versucht 
weiden, aus diesen bekannten Faktoren der Art-Umbildung allein 
die in Frage stehenden Erscheinungen zu erldftren. 

Fussen wir zuerst diigenige Form der Inoongmenz ins Auge, 



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Ueb«r dm phyletUchen ParaUelismus b«i metamorphischen Arten. 191 

weleh« rieh duroh nngfleiehe Abttftnde der FonuTerwandt- 
mkdt kund gibt, so fiUlt ror Allem anf, daas dieaelbe in einer 
gant bealimmten Beiiehnng tu den Tersehiedenen 
ayatematiaeben Gruppen ateht. Dieae Fonn der Inoon- 
gniem biUel in der Ordnung der Lepidopteren die Regel bei 
Varietftten, findetririi aehrUMgnoeh bei Arten, veiaebwin- 
detaber schon beinah ToUatändig bei Gattungen, und kommt 
bei Familien und Familiengrnppen ttberhaapt nieht mehr 
for. In dem Maase alao ala wir nns nmfiuaenderea systematiaeben 
Grappm anwenden, nimmt die Incongraenz ab, die Con- 
gr n e n z an nnd aoletst siegt dieae Letztere vollständig. 

Wenn nnn Congrnena rine gleiche Zahl gleichstar- 
ker Abändernngsst^ssc vorans8etzt, so sehen wir also darana, 
dass die Anzahl der Abiinderuugsstdase, welche bei Ranpen nnd 
Schmetterlingen eingewirkt haben, nm ao genauer miteinan- 
der Übereinstimmen, je grtfsser die systematischen 
Grnppen sind, welche miteinander verglichen werden. Und 
wie könnte es auch anders sein! Je grösser die systematische 
Gruppe ist. um so längere Zeiträume mlissen zu ihrer Bildung er- 
lorderlich gewesen sein, um so /ahlreiehere Abänderangs-AnstÖBSe 
mttssen eingewirkt hüben, che ihre Bildung zu Stande kam. 

Wenn nun aber auch unter der Voraussetzung , dass der An- 
stoes zum Abändern stets von der Aussenwelt kommt, Nichts dafür 
spricht, dass die Abänderungs-Anstösse stets beide Stadien 
gleichzeitig nnd in demselben Zeitraum in gleicher 
Zahl tretfen, so liegt doch auf der andern Seite auch nicht der 
geringste Grund zu der Annahme vor, dass lange Zeitrilume hin- 
durch immer nur die Kaupen oder immer nur die 
Schmetterlinge von Abändern ngsstössen getroffen worden 
seien. Wir können dies schon aus der Thatsache entnehmen, daa.s 
zwar Varietäten sich häufig nur auf das eine Stadium beziehen, 
dass in seltnen Fällen auch Artunterschiede nur bei den Kaupeu 
vorkommen, während die Schmetterlinge gleich geblieben sind, 
dass aber keine einzige Gattung bekannt ist, deren Arten 
sSmmtlichdie gleichen Raupen beaftsaen. Ea treffen also that- 
aleblieh in dem Zeitraum, innerhalb deaaen aieh 
Gattungen bilden kOnnen, die AbftnderungaatOaae 
niemaia bloa daa eine Stadium, aondern ateta beide. 



192 Uebcr den pliyl«tiMhen PtnUeHmua bei metamoiphiMheii Arten. 

Wenn dies aber so ist» wenn innerhalb der ZcitrUnme, welche 
sor Bildung Ton Arten genügen , nur sehr selten und ganz aas- 
nahnisweise blos da» eine Stiidinm von Abäiulcrnngfi-Anstösscn 
getroficii wird, in der Kegel aber beide, wenn auch nicht in 
gleicher lläutifi^lceit, so nuiss nothwendij? in dein Masse, 
als die Ze iträmne wachsen, die Differenz in der An- 
zahl der A bändcrn n iri^K tiisso , welche die IJaiipe und 
derer welche den Falter treffen, stctii; abnehnieu. 
mit ihr aber znj^leieh auch die (Jriissc der aus den 
A h ä 11 d 0 r II n g B stö SS en res u U i r e u d c n iii o r p h o l ojri se h en 
Differenzen. Mit der Anzahl der sucecssiv sich häu- 
fenden A bänderun{;en wird sieh der Unterschied in 
der Ahiunleru ugsgrösse licider Stadien relativ stets 
vermin dem, bis er für unsere Blicke j^anz ver- 
schwindet, ^i\\\7. so wie wir eine (iriippe von drei Waizenk<"tr- 
nern von einer aus sechs Körnern Itcstcliendcn unterscheiden, nicdit 
aber einen Haufen von lo;i Kürueru von einem der lUO Kürner 
enthält. 

Dass aber die kleinen (Jriippeu des Systems eine kurze, die 
grossen eine lange Bildungszeit hinter sich haben müssen, das 
bedarf keines besondern Beweises, sondern geht unmittelbar aus 
der Desceudenztheorie hervor. 

Alles Dieses wird sich aber nnr dann so verhalten , wenn die 
AnstOflse som Abändern gleich stark sind — oder um ohne Bild sn 
sprechen, wenn AUndenmgen nnr an gleieh werthigen KOr- 
pertheilen eintreten, an solehen, deren Veränderungen von 
derselben physiologischen and morphologischen 
Bedeutung flir den ganzen Oigaoismns ist. 

Dies Ist nun aber bei den niederen Gruppen des Systems stets 
der Falll VarietttteDi Arten und Gattungen unterseheiden sich 
immer nnr durch relstir geringe Unterschiede, tief grei- 
fende kommen hier nidit vor, das liegt schon im Begriff dieser 
Kategorien und hat, wie ich glaube, seine wahre Uisaelie darin, 
dass alle AbKuderung nur in kleinsten Schritten ge- 
schieht, dass somit grossere Differenxen nur im Verlauf grosserer 
Zeitrilume sich bilden können, Inneriialb deren lugleich aber auch 
eine grossere Anzahl von l'ypen (Arten) entstehen, weldie in ver- 
schiednen Graden form- und blutsverwandt sein müssen und des- 



Uebrnr d«n phyletitoben PmlleliRmu« bei metamofpliitclien Arten. 193 



hnlb zn^amnien auch schon eine systematische Gruppe 
höheren Ranges bilden. 

FHr k'irzere Bildtiiijrszeiten , wie sie zur Bildung: niederer 
Grnppen . etwa der Oatlun^cn , erforderlich sind, wird es keine 
Incoii^n-ucn/en zur Foli^'c liahen, wenn liei den Itaupen nur un- 
typisehe Tlieile wie Zeiclinunj;- (»der Hedornun^' der Haut abün- 
dert, bei den Faltern aber typische Theile, Flügel und 
Beine. Die Abänderungen , welche in diesem Zeitraum an den 
Flügeln n. s. w. ausgcftlhrt werden können, sind in ihrer Gesammt- 
heiLt iheh. noch viel zu gering, als dass sie einen erheblichen oorro- 
lativen Einflnss anf den Übrigen Bau des KiJrpers ausüben konnten 
nnd zwd Arten, deren Ranpen nnd Falter gleicb häutig abgeändert 
haben, werden nnn gleiche Abstünde zwischen Raupen nnd zwi- 
schen Faltern darbieten, wenn aneh anf der einen Seite blos unty- 
pisehe, d. h. fllr die Gresammt-Organisation unwichtige Theile, auf 
der andern typische von der AbSnderung betroffen waren. Hier 
wird rein nur die Anzahl der eingetretenen Ab&nderungcn daftlr 
massgebend sein, ob Congruenz oder Inoongmenz zwisehen beiden 
Stadien obwaltet. 

Ganz anders aber, wenn grossere Zeiträume hindnreh 
im einen Stadium nur typische, im andern nur nntypische 
Theile der AbSnderung unterworfen waren. Im ersteren FsU wird 
jetzt eine durchgreifende Umgestaltung des ganzen Baues eintreten 
können, da nicht nur die typischen Theile selbst, z. B. die Flttgel, 
eine viel weiter gehende und in derselben Richtung sich 
fortsetzende Umgestaltung erleiden kOnnen, sondern da ihre Ab- 
Xnderung auch sekundär Umgestaltungen andrer KOix»ertheile her- 
beifllhrt. 

Auf diese Weise glaube ich es erklären zu müssen, dass auch 
bei höheren Gruppen des Systems noch ungleicher Form- 
abstand der beiden Stadien vorkommt und wenn diese Erklä- 
rung richtig ist, 80 ist damit auch zugleich die Ursache der auf- 
fallenden Erscheinung aufgedeckt, dass diese Incongrnenz 
von der Varietät an bis zur Gattung abnimmt, bei 
dieser selbst nur ausnahmsweise vorkommt, dann 
aber bei den Familien wieder Ton Neuem auftritt 
und nach den höheren Gruppen zu immer mehr zu- 
nimmt, ßis zur GattUDg hin beruht die Incongruenz lediglich 



'l94 ^'t:l>tir den phyletiRchen Parallelismus bei metaniorphischen Arten. 

daniif , dasB das eine Stadimn 8f te r abg^ndert hat, ab das an- 
dere, beider Familie, Familiengrvppe and wie splterbei 
den Ordnungen der Dipteren nnd Hymenopteren geseigt 
werden soll, bei der Unterordnung nnd Zunft, bembt de «af > 
der Dignitftt der yon der Abänderung vorwiegend betroffenen 
Kdrpertbcile. Die Zabl der Abäudcrun^an ist dann gldebglllti^, 
wdl sie überhaupt so gross ist, dass die Differenz für unser Auge 
verschwindet, aber auch die gleiche Zahl von Abänderungen 
kann jetzt, wo sie eben eine sehr grosse ist, eme weit 
Stärkcrc oder weit schwächere Umgestaltung des ganzen Körpers 
herbeifuhren, je nachdem sie vorwiegend typische oder nntypische 
Theile betroffen hat, je nachdem die Al)ündeningen lange Zeit hin- 
durch die gleiche Richtung einhielten, oder häufig in der Bichtung 
wechselten. 

Derartige angleiche Formabstände , wie sie bei den hüheren 
systematischen Gruppen vorkommen . sind wohl immer zu^^ieich 
mit V e r s c Ii i e d n e r G r u p ]) e n b i 1 d u n g verknüpft, die Ii a u p e n 
bilden Jindere systematische (iruppeu als die Falter und zwar so. 
dass der e i n e Thcil (irnppen höherer, oder Jiiederer Art 
bildet, oder aber so, dass die Gruppen zwar auf beiden Seiten von 
gleicher 1) i g: n i t ä t , aber von u n g 1 e i c Ii c r Grösse sind. da.«<s 
sie sieh nicht decken, sondern übereinander grei leu. 

Ineongruenzen der letzteren Art zeigten sieh in einzelnen 
Fällen innerhalb der Familien Nyiiijilialiden , ich will sie an 
dieser Stelle nicht näher analysiieu. weil ihre Ursachen schärler 
hei den später zu betrachtenden Ordnungen der Hymenopteren 
und üipteren hervortreten. Die erste Art dieser Incongi-uenzen 
aber lässt sich bei den .Schmetterlingen sehr gut in ihren Ursachen 
klar legen. Sie tritt am scbärt'sten hervor bei der Bildung von 
Familiengrupiien. 

Noch Niemand ist im Stande gewesen , durch ein einziges, 
durchgehendes Merkmal der Kaupen die Gruppe der Tagfalter 
zu begründen und doch ist grade die Gruppe der Tagfalter bei den 
Schmetterlingen die schärfste und bestbegrenzteste in der gan- 
zen Ordnung. 

Wenn man einem gänzlichen Unkundigen keulenförmige Füh- 
ler als Hauptmerkmal der TagfoHer angibt , wird er nionals Im 
Zweifel sein Aber die Zugehörigkeit irgend eines Schmetterlings 



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lieber den pliyktiMshen Tkmllelismu)« bei meUunorphinchen Arten. ] 95 

zu den Tagfaltern. Bin Bolobes typisclies, allen Familien in glei- 
dier Weise zukommendes Merkmal ^It aber bei den Ranpen nnd 
man könnte deshalb mit Kecht sagen, es gäbe keine Tag- 
falter-Raupen, vielmehr nor Eqnitiden-, Nymphaliden- und 
Hclieoniden-Ranpen. Wohl vermag man die lUnqien der einzelnen 
Familien durch charakteristische Merkmale zu sondern und in so- 
fern wird es einem Kenner nicht schwer werden, im einzelnen Falle 
eine Tagfalt^anpe als solche zu erkennen , aber sie besitzt nnr 
ein Familien-Merkmal, entbehrt aber eines Merkmals hliherer 
Ordnung. 

Zum Theil beruht diese Incongrnenz darauf, dass der 

Formabstand zwischen einer Rhopaloceren- und einer Heteroceren- 
Familic auf Seite der Schmetterlinge weit grtJsscr ist, als auf Seite 
der Raupen; gäbe es nur eine einzige Familie der Tagfalter 
auf der Erde, etwa die der E(|uitidcn , so würden wir derselben auf 
Seite der Schmetterlinge den Rang einer 1' nterordnung zuge- 
stehen dürfen, auf Seite der Raupen aber nicht: derartige Fälle 
kommen thatsäcblich vor. wie denn später ein solcher aus der Ord- 
nung der Dipteren besprochen werden s<tll. Damit allein aber ist 
noch nicht erklärt , warum eine ganze Reihe von Familien auf Seife 
der Falter denselben grösseren morphologischen Abstand 
?on den Familien anderer Gruppen zeigen. 

Es mu88 also Zweierlei hier erklärt werden : Erstens: warum 
ist der Form ab stand zwischen den Faltern der Tag- und 
Nachtschmetterlinge grösser, als der zwischen ihren Rau|)en: 
und Zweitens: warum werden die Iniagincs der Tagfalter durch 
gemeinsame Charaktere zu einer höheren Gruppe verbunden, 
die Raupen aber nicht? 

Auf beide Fragen ist die Antwort von dem hier vertretnen 
Standpunkte aus leicht zu finden. Was die erste Frage betrifft, so 
findet sie ihre Lösung darin, dass der Formabstand stets ge- 
nau dem Funktionsabstand entspricht, d. h. dem Ab- 
stand in der Lebensweite. 

Veigldefaen wir nun eine Tagfidter- mit einer NaditfiJterfa- 
milie, so kann kein Zweifel sein« dass der Unterschied in 
den Lebensbedingungen anf Seite der Falter bei 
weitem grosser ist, als nnf Seite der Raupen. 

Die Untersehiede in der Lebensweise der Banpen sind Uber- 



196 Ueberdeu pliyletisehen ParalMismus bei metainorphischen Arten. 

hanpt sehr gering. Alle leben von Fflanzentheilen , mtlssen grosse 
Quantitäten von Nahrung nnfnchmcn und kiinncn dcHhalb die Nah* 
riingßiiul nähme HUT knrze Zeit unterbrccheu. Deshalb verlassen 
sie ihre Nahrungspflanze nie auf Inii^e Zeit und es ist wichtiger fUr 
sie, sich fest anklammern, als sehr schnell und lange laufen zn 
können. Sie l)rauchen aber auch ihre Nahrang nicht lange zn 
suchen , denn sie leben in der Regel in einem Ueberflnss derselben 
und damit liüupt die geringe Entwicklung ihrer kurzsichtigen und 
wenig entwickelten Augen, sowie ihrer übrigen Sinnesorgane zu- 
sammen. 

Im Grossen und Ganzen leben die Kaupen unter sehr 
uniformen Bedingun<::(Mi . so mannichfaltig dieselben auch im Ein- 
zel neu variirt sein können. 

Die ^nissten l ntoiscliiedc der Lel)cnswcise, welche bei Sebniet- 
terlingsrauj)cn vurkoninien /.ei;;en die Molzfressor auf. Alicr 
selbst bei diei5cn. die dureh steten Absehluss von Liclit . dureh die 
Härte des Nahrunirstotfes , dnieb den Einscbluss in en.uen, von 
hurten Wänden begrenzten (längen, durch die eigenthiiinlicho Art 
der Furtl)tMve^ung in diesen Gän,:;en doch wirklieh in mehreren IJe- 
ziehuniren anders situirt sind, als die übrigen, frei auf Pllan/.en 
lebenden b'aiipcn, liat die Anpassung au diese Lel)ensbedingungcu 
doch niclit irgendwie durc'igreifendc VeriindtTung der ty])isehcu 
Znsammensetzun;: des Körpers hervorgerufen; diese Hanpen, 
welche , nebenbei gesagt, den versehiedensten Familien angehören, 
sind mehr oder minder farblos, plattgedrückt, haben alle sehr 
kräftige Kiefer und kleine Fllsse. aber bei keiner eiir/.igen tinden 
wir die Anzahl der Segmente verringert, welche den Ki'iqjer /u- 
sauuncusef/.en . oder die typischen Oliedmassen geschwunden oder 
irgend erheblich umgewandelt, alle ohne Ausnahme iialicu IG 
FUSse, wie die llbrigen liaupen, mit Ausnahme der Spanner. 

Wenn nun selbst unter den möglichst abweichenden Lebeus- 
verhältnissen die Anpassung der Form mit relativ geringen, ge- 
gewiroennassen oberflächlichen Abänderungen zn erzielen war , so 
werden wir bei der grossen Hehrzahl der Raapen , bei allen , welche 
auf der OberflSehe der Pflanzen, oder in wdehoi Fflanzentheilen 
'die meisten Hierolcpidoptera) leben , jcdeo&lls noch weniger ty- 
pische Abänderungen erwarten kthmen. Die ganze grosse Mxa- 
nichfaltigkeit der Kaupenformen beruht wesentlieh auf verschiedner 



L.iy i.i^uu Ly Google 



Ueber den phyletüehen Banllelunraa bei mfltunorpbisehen Arten. 197 

Aüfbildung der Haut uud der in ilir irele^''enen Tlioilo : die Haut ist 
entweder iiaekt und kann dann mit den vcrsuhiedensten Far!»en i)e- 
malt. tbeili^ synipatiiiseh , tlieilH auflallcud gelarht, oder mit einer 
8<rhutz- oder Trutzzcichnung versehen sein, .sie kann mit Ilaaren 
bedeekt sein, welche nesseln, mit Dornen, welche sttdien, sie 
kann ( inzehie ihrer Drüsen zn ji,'ewnltij,'cr Grösse entwickeln, mit 
^rrellen Farben und stinkendem Sekret versehen Nacken "ialiel der 
Tapilioniden . Schwanzdrtlsc der Gabelscinviiuzcl, sie kann aber 
aucli durch IIerv<»rbringun^ von Warzen, von Ecken, Spitzen, 
Uilrkcni aller Art der Raupe die .sonderbarsten Gestalten verleihen, 
deren Bedeutung t'lir das Leben des Thiers uns noch keineswegs 
tiberall klar ist, typische T heile aber werden durch alle diese 
mannicblaltigen Aeiiderunf:en nicht wesentlich beeinliusst. Höch- 
stens verändert sich die Form der einzelnen Körperabschnittc uud 
damit die des ganzen Thiers assclartige öchildrauj)eu der Lyeae- 
niden , niemals aber schwindet einer derselben und gelbst eine be- 
deatende Verlängerung der Gliedmassen findet sich nur in sehr selt- 
nen Fällen (Stauropus Fagi). 

Sodarfmui also wohl sagen, dass der Ban der Banpen 
in Folge uniformer Lebensbedingungen ein im Oan- 
zen ungemein uniformer ist Trotz der grossen Manineh- 
fiütigkeit der äussern Erseheinnng veründert sich der Toialbaa dar 
Ranpenieht, nnr seine AaB8ch|mttoknngen varürenbald naeh 
dieser, lialdnach jener Bichtang und passen sich auf Grandlage 
des bereits Ererbten den Tersehiedenen Special-Lebensbedin- 
gungen anfe Beste an. 

Alles dieses verhillt sich bei den Faltern ganz anders. Hier 
begegnen wir sehr bedeutenden Verschiedenheiten der 
Lebensbedingungen. Die Tag&lter, welche unter dem Ein- 
flüsse des direkten Sonnenliehtes und weit höherer Temperatur 
leben, welche während einer ungleich grosseren Stundenzahl des 
Tages fliegen , müssen wohl in ihren Bewegungsorganen (Flttgeln), 
ihrer Behaarung, in der Entwicklung ihrer Augen und Übrigen 
Sinnesorgane anders ausgerüstet sein, als Nachtfalter. Allerdings 
sind wir heute noch nicht im Stande, den speciellen Naehwms 
zn liefern, dass die einzelnen Organe der Tagfalter dem Leben bei 
Tage genau angepasst sind, aber sehon der Umstand lässt es uns 
mit Sicherheit im Allgemeinen enobliessen, dass es keinen 



198 UciNMr dam phylcdteliMi Pinllelitimn bei nntamofplilwhen Alton. 

einzigen Tagfalter gibt, der bei Nacbt flöge! Man wird mir 
nicht einwerfen wollen , dass es ja f?ar manche »Nachtfalter« gäbe, 
welche bei Tage fliegen. Es scheint allerdings keine grosse Ver- 
jlnderuiiu^ des Tianes n«"ithig zu sein, um einen als «Nachtfalter« or- 
ganisirten Schmetterling zu befähigen, auch hei Tage zu fliegeu. 
Dies beweist aber Nichts gegen die Ansicht, dass derBaa der Tag- 
falter auf Anpassung an das Tageslebeii hernhe. 

Analoge Falle koninien bekanntlich in /.ahlreicben Thiergrup- 
pen vor. .So sind die Kr e I) sc Deca])(Hlcn ntVcnbar für das Wasser 
organisirt , es gibt aber Krabben , welche weite Kelsen zu Lande 
unternehmen. Nicht weniger scheinen die Fische ausschliesslich 
auf das Wasser berechnet zu sein und doch vermag der Kletterfisch 
stundenlang auf dem Lande zu leben. 

Nicht di c se s ist ungewühnlich und verlangt eine besondere 
Erklärung, dass Nachtfalter zum Theil bei Tage fliegen, sondern 
vielmehr umgekehrt die eben erwähnte i hatsaclie , dass kein 
einziger Uhopalocere bekannt ist, der bei Nacht flöge. 
Man darf daraus wohl den Schluss ziehen, dass dieselben vergnüge 
ihrer Organisation unfähig sind zum Nachtleben. 

Nehmen wir nun einmal an*), eine dem TagcBleben angepassta 
Sehmetterlingsfamilie liesse aus sich im Laufe der Zeit eine Naeht- 
falterfomilie herrorgehen, to kann ea nieht iweifelhaft sem, dass 
die Umwandlung des Baues anf Seite der Falter bei wdiem Mirker 
sein wttrde , als anf Seite der Raupen. Aneh die Letstem k&nuten 
nicht ganz onTerHadert bleiben, nicht deshalb «weil ihre Falter zun 
Nachtlelien ttberg^en, was fttr die Raupen TOllig gleich- 
gültig wlrci wohl aber deshalb, weil dieser Uebergang nar 
sehr allmälig, nur im Laufe sehr langer Generations- 
folgen geschehen kann und weil in so langen Zeitriumen 
auch die Lebensbedingungen fttr die Raupen nothwen- 
digerweise oftmals wechseln werden. Es wurde oben ge- 
zeigt, dass schon in dem Zeitraum , wie er zur Bfldung einer neuen 
Art erforderlieh ist, stets auf beiden Seiten Abinderungs- 
anstOsse eintreten, wie viel mehr also, wenn es sieh um die Btt- 



*) Nur der Einfachheit halber mache ich dies« Annahme, nicht etwa, 
weil ieh tbeneugt vire, d«M £e heutigen Khopaloceim wiriiiicli die ilteite 
Gruppe der ScbmetterliDge daietellen. 



L.yi.,^uu Ly Google 



Deber den phjletbehra Pmlldtuni» bei nettmorpldaoheii Arten. 199 

^ng einer Gruppe von viel höherem Rang handelt, zu deren 
Feststellung ein ungleich lUngerer Zeitraum nothwendig ist. Es 
werden also in dem angcndiiinienen Falle auch die iiaupen abiln- 
dern, aber sie werden weit geringere Veränderungen 
erleiden, als die Falter. Während hei diesen in Folge der 
gänzlich ahweiehenden Leheusbcdingungeu fast alle typischen 
Theile des Körpers einer tiefgreifenden l'nigestaltung unter- 
worfen werden, ändern sieli die Raupen vielleicht nur in ihrer 
Zeichnung, oder ihrem Haar- oder Borsfenkleid , oder in irgend 
\N elcher andeni Aeusscrliehkeit , während ihre typischen Theile nur 
unwesentliche l'nigestaltungen erfahren. 

Auf diese Weise lässt es sich leicht verstehen , dass die Rau- 
pen einer Noctuiden - Familie nicht stärker von denjenigen einer 
Tagfalterfamilie abweichen , als diese von einer andern Tagfalter- 
familie, sowie weiter, dass die Falter einer Rhopaloceren- und 
einer Heteroceren-Funltte weit grössere Form-Abstände erkennen 
lassen f all Um Ranpen. Damit wlie tbo äm «ngleiehe 
systematisohe Werth, den man einer einzelnen Tagfalter- 
Familie in ihren Ra n p e n and in ihren Faltern beilegen mllsste, 
eiklttrt. Die nngleiohen Form-Abstinde fallen genau 
snsammen mit nngleiehem Abstand der Lebensbe- 
dingnngen. 

Wenn aber sinuitliehe Tagfalter -Familien dieselbe Bildnng 
ihrer typisehen KOipertheile (Fllbler, Flttgel n. 8. w.) anfWeisen 
nnd eben dadnreh noeh deotlieher sich als dne hOherwerthige 
i^stematiflehe Gmppe, als eine Familiengrnppe oder Unter- 
ordnung den übrigen Sehmetterlingsgruppen gegenttberstelton, 
wibrend ihre Ranpenfiunilien dnroh hebe gemeinsamen Merkmale 
▼eibnndeii erseheinen, so liegt die Uiaaehe dieser Ineongmens ein- 
fteb darin, dass eben nnr die Falter nnter eigenihllmliohen Be- 
Angongen leben, welche ihnen allen gemeinsam sind, 
bei andern Sehmetterlingsgruppen aber nieht wiedef- 
kehreii. Ihre Raupen leben gradeto, wie die aller übrigen Sehmet- 
terlingsfomilien, sie weichen in ihrer Lebensweise dnrehans nieht 
weiter von den Familien der Nachtfalter ab, als ontereinander. 

Wir sehen also biereineOemeinsamkeit der Form genau 
in demselben Umfange anftrotcn , in welchem auch Gemeinsamkeit 
der Lebensbedingungen Torhanden ist. Fttr alle bei Tage lebenden 



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200 Ueber d«n phjletiMhen FanUelimrot bd metamorplibeheii Arten. 

Falter liegt in diesem Tap:eslcben eine solche Gcniciusamkcit 
und dem cn(8i)recliend limlen wir aueh nur sie, nicht aber ihre 
Kanpen durch gemeiusame Charaktere zu einer Gruppe ver- 
bunden. 

Aber auch fUr die Kanpen finden wir eine ljcl)ereinstimuiung 
der Lebensbedingungen, um- in einem viel weiteren Unil'ang. in dem 
der ganzen Ordnung. Innerhalb der Ordnung der Schmetter- 
linge sind die Lebensbedingungen der llaupcn — wie soeben ge- 
zeigt wurde — im Ganzen sehr einförmig and dementsprechend 
stimmt aaeh der Bau der Kaupen aller Falterfamilien in seinen 
wesentlieheii d. fa. typisdien Theilen fiust genau nberein. 

So erkliirt sieh die sonst gani uDTerstftndliche Erscheinang, 
dass die Raupen zwar nieht die Unteroidnungsgruppe der Tag- 
falterraupen bilden, dann aber doeh wieder zu der noch höhe- 
ren Gruppe ^Ordnung) derSehmetterlingsraupen zusammen- 
treten, sie bilden Familien und eine Ordnung zusammen, aber nieht 
die dazwischenliegende Kategorie der Unterordnung. Es widerlegt 
sich damit zugleich der Einwand, den man allenfidls versnchen 
konnte, dass nimlich Larvenformen YcrmOge ihrer •niederen und 
unentwickelten« Organisation es nieht zur Bildung höherer, syste- 
matisdier Gruppen bringen konnten. 

Ich muBS ttberhaupt auf diese Form der Incongruenz, der 
Bildung nngleichwerthiger und ungleich grosser 
systematischer Gruppen in theoretischer Beziehung das 
grOflste Gewicht legen. Ich halte sie, wie ich oben schon 
kurz andeutete , fttr gänzlich unTcreinbar mit der An- 
nahme einer phyletischen Kraft. Wie wftre es denkbar, 
dass eine solche Kraft in demselben Organismus nach zwei 
ganz verscbicdnen Richtungen arbeitete, dass sie dieselben 
Arten in ihrem Raupenzustand zu einem ganz andern System zn<- 
sammenstellte, als im Zustande des Falters, dass sie aus den Bau- 
pen nur Familien, aus den Faltern aber auch Unterordnungen 
bildete? Wenn eine innere treibende Ursache cxistirte, deren 
Tendenz es wäre, bcBtimmte Gruppen thieriscber Formen derart 
ins Leben zu rufen, da.ss dieselben /.usannnen ein harmonisches 
Ganze bildeten, in welchem die einzelneu in ganz bestimmte, mor- 
phologischen Beziehongm zueinander ständen, so niUsste es dieser 
ja ein Leichtes gewesen sein, den üanpen der Tagfalter irgend ein 



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Ueber den phyletiaehen ParallelismuB bei metamorphischen Arten. 20 t 



kleinesMerkmalmitsiigebeii} welohoB sie als so! ehe elwrakterisirt, 
ihnen gewissemiMsen den Stempel »Rhopaloeera« aofge- 
dmekt bitte 1 

Daren sehen wir indessen Nichts, vielmehr TerhJUtsieh Alles 
genau so, wie es sieh verhalten mttsste, wenn die 
Umwandinngen der organischen Welt anssohliess- 
lieh auf äussere Ansttfsse hin erfolgten. 



HL Inoongruenzen bei andern Insektenordnungen« 



Wenn anch die Ordnun^^ der .Schmetterlinge in Welfaelicr Hin- 
sicht besonders günstig ist für eine Untersuchung, wie sie im 
N origen Abschnitt angestellt wurde, so wird es doch nicht ohne 
Nutzen sein, anch einige der andern nietamorphiscben Insekten- 
Ordnnngen auf die Formverwandtschaften ihrer beiden Iliiupt- 
stadien zu prüfen und zu untersuchen, ob auch hier die Bildung 
systematischer Gruppen der beiden Stadien mit dem Umfang ge- 
meinsamer Lebensbedingongen zusammenflUlt. 

Hymenoptersn. 

Bei <!ies( r Ordnung' kann Uber die Ziisaiuuu'iip;cliöriKkcit, die 
Furiiivcrwandtäcbaft der Ima{;ines kein Zweifel sein. iJie ei^en- 
thllmliebc Verbindung des Pro- und Mesotborax. die Zahl und 
Aderun*; (ler Flügel , die beissenden, -/iigUMcb mehr oder weiiii^cer 
auch zum Leeken ciiigericlitctcn Mündt beile giibeu durch die ganze 
Ordnung hindurch und hissen keinen Zweifel, dass die Ordnung 
der Hytucnoi)tcren in der Formverwaudtschaft ihrer Imagines gut 
begründet ist. 

Ganz anders aber mit ilireu Larven. Man darf kühn l)ebanpteu, 
dass die Odnun^ niemals aufgestellt wurden wäre, hätte inun nur 
ihre Larven gekannt I Zwei ganz verschicdne Tvpeu von Larven 
kommen hier vor, der eine — raupenarlig — zeigt einen deutlich 
ausgebildeten hornigen, mit den typischen beissenden Insekten- 
Mnndtheilen bewaffneten Kopf und einen Leib aus 13 Segmenten, an 
welchem ausser einer wechselnden Zahl von Afterfttssen immer drei 



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202 Ueber den phjrletiiolien Parallelismus bei metamorphischen Arten. 

Paare von hornigen ThoracalfllBsen titsen; der andre T^ypna tat 
madenfOrmig, obne hornigen Kopf, ganz ohne oder wenigatena 

ohne die drei typischen Insekten-Kieferpaare nnd ohne After- nnd 
Thoracalfttsse. Nicht einmal die Anzahl der Leibesringe ist die- 
aelbe, denn bei den Raupen der ßlattwespen finden sich deren 13 
ausser dem Kopf, bei den madenfbrmigen Bienenlarvcn ab«r zeigen 
sich im Ganzen nnr 14 Leibesabschnitte, bei den Gallweapen nnd 
Ichnenmoniden nnr 12 oder 10. Man wUrde auch sehr irrm, wollte, 
man die zusammenfassenden Merkmale in innem Organen aufzu- 
finden hoffen. Der Darmtractns verhält sich ganz verschieden bei 
beiden Larvenl^pen, wie Rchon daraus hervorgeht, dass den maden- 
förmigen Larven die Afteröffnung fehlt; hüchntenH das Traeheii- 
system und Nervensystem zeigt eine gewiBse Uebereinatimmnpg, 
die aber anoh nicht vollständig ist. 

Die Ordnung der Hymenopteren eiistirt also 
genan genommen und rein morphologisch gedacht 
nnr in den Imagines; in den Larven existiren nar die Grup- 
pen der raupcnf<)nnii^cn und niadentorniigcn Larven. 

Die ersteren liaben grosse Aehnlichkeit mit den .Schmetterling^ß- 
raupen und ohne alle Kenntniss der weiteren Entwicklung könnte 
man versucht sein, nie mit diesen in eine Gruppe zu vereinigen. 
Allerdinga untersclieiden .'(ich lieide durch gewisse Einzelheiten im 
Bau der Kopfgliedmassen durch die Zahl der Leil »es ringe. Atler- 
füKse u. 8. w. nicht unwesentlich und man wUrde sie deslialh wohl 
als zwei Unterordnungen einer 0 r d n u n g d e r H a u p e u autTllhreu, 
jedenfalls aber würde man sie fllr weit näher form verwandt 
halten, als die iiaupen- und die Madeufo rm der Hyme- 
nopteren. • 

Ist es nun aber denkbar, dass die Imagines der H}inenoptcren, 
dass Pflanzenwespen und Staehclwespen sich nur zufällig so ähn- 
lieh sehen, in Wahrheit aber von ganz versdiiedncn Sfanimformen 
aus sieh gebildet haben, deren eine etwa mit den Sehuiettcrlings- 
rauiMMi aus einer Wurzel kam, die andere etwa mit den maden- 
förniigcu Fliegenlarven i 

Gewiss nicht! die gemeinsamen Charaktere sind zu durchgrei- 
fender und tiefliegender Art, als dass hier eine blos äussere Aehn- 
Hchkeit vorliegen sollte; schon allein ans dem Ban der Imagines 
läaat deh mit grosser Wahrscheinlichkeit ein gemeinsamer Ursprung 



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lieber den phyletischen Paralleli''nius bei metamorphiscben Arten. 203 



«Der Hymenopferen ableiten. Zur Geiwissheik aber wird derselbe 
dadareh erhoben, dasB wir die phyletisebe Entwicklung 
der madenfOrmigen Hymenopteren-Larreti aus ran- 
penfOrmigen dnreh dieOntogenese der Ersteren naeh» 
weisen können. OQrehdieeehOnenUntersnobangenBntsehli's 
ttber die embiTODale Entwiddong der Biene*) wissen wir, dass 
der Embiyo 4ßt Made einen ToUstüadigeai ans fier Segmenten be- 
stelieiiden Kopf besitzt mit den typischen drei Paaren Ton Kiefern, 
dass aber später diese Kopfsegmente sich nicht sn einem wirkliehen 
homigen Kopf weiterbilden, Bondemyielmehr zusammenschnimpliMl, 
daas die Kiefer schwinden mit einziger An^nahme des ersten 
Fsares, welches in Gestalt weicher, mit kleinen Homspitzchon ver- 
sehener Stücke erhalten bleibt. Wir wissen anch, dass auf den 
drei vordersten Leibessegnienten im Embryo die drei typischen 
Beinpaare hervorwaclisen in derselben Gestalt rundlicher Blätter, 
in der sie bei allen Insekten znerst erscheinen, dass aber anch 
diese noch vor der Gebart der Larve vollständig wieder znrQckge- 
bildet werden und ganz ebenso geht es mit paarigen Gliedmassen- 
Anlagen sämmtlicher [?; übrigen Segmente, welche schon in die- 
ser ersten Anlage eine gcring^e Versohiedenheit von den drei vorderen 
Beinanlai^en erkennen lassen. 

Die Maden der H y m e n o p t e r e n stammen also von 
Formen ab, welcbe einen horni^'cn Koj)!' mit Fühlern 
und drei Kieferpaaren, und einen dreizehngliedrigen 
Leib besassen. dessen drei vorderste Segmente Beine 
trujren, welche etwas verschieden waren von den 
Bein paaren der übrigen Leibessegniente. Das heisst 
also : sie stammen von Larven ab, welche im Allge- 
meinen den Hau der heutigen Biattwespeularven oder 
sog. After-Kaupen besassen. 

Somit wäre die gemeinsame Herleitung aller Hymenopteren 
aas einer gemeinsamen Wurzel sicher gestellt. 

Woher rührt aber der so ganz ungleiche Abstand in der Form- 

*} Zeitochrift für wisaenachaftl. Zoologie Bd. XX, S. 510. 
**) Ob nicht da* viMne, elfte mid iwSlfte Segment, irie hA den hevte teilen- 
den Aftcnraupcn aller Ülatlwespcn , ohne Fussanlagen sind? Aus den Abbil- 
dungen Bütschli'i möchte ich es Cut Mhliesaen (siehe s. B. Taf. XXV, 
Fig. IT A). 



204 lieber den phyletieohen PanneUamut bei metsmoffpbiMhen Arten. 



Verwandtschaft der Larven und dcriniagines? Sowie uns heute die 
madenfitniiigen Larven als fertij^e, Icbcnstalngc Thiere vorliegen, 
sind sie oliuc Zweifel :ius!<erordentlieb viel weiter von den raiipeu- 
Torniigen Larven entfernt , als die rflanzenwcspen von (h'n Staeliel- 
wespen. Während l^auzenwesiuMi und .Staclichvespcn sich nur 
durch die verschiedene Gestaltung der typischen Körpcrtlicile. , 
Gliedniassen u. s. w. unterscheiden, werden ihre Larven durch 
viel tiefer greifende L'nterschicde j^'ctrennt; wichtige, typische 
Gliedniassen seh winden in der cincji (iriippe ganz, während sie 
Inder andern zu voller Entwicklung gelangen n. s. w. 

Es bestellt also bei den llynienopteren eine sehr beträchtliche 
Incongruenz des nioriditdogischen d. h. des auf reino Fttrniverwandt- 
schaft hasirten Svstenis der Larven und der Iniagines. Der Grund 
derselben ist nicht schwer zu finden : Die Lehen sbcdi ngunge n 
der Imagines weichen ungleich schwächer von ein- 
ander ab, als die der Larven! Die Lebensbedingungen der 
Imagines gleichen sich in allen grossen Zügen ; alle Hynieu(»jitcreu 
leben hauptsächlich in der Luft, im Fluge, alle am Tage, 
und auch in der Ernährungsweise sind keine allzuweiteii l iiter- 
schiede bemerkbar. Ihre Larven dagegen leben unter fast diame- 
tral entgegengesetzten Verhältnissen , diejenigen der P f 1 a n z e n - 
Wespen leben nach Haupenart auf oder in rilanzen, in beiden 
Fällen stets anf ihre eigne Locomotion zur E r r e i c h u n g und anf 
ihre Kauwerkzeuge zur V e r k 1 e i n e r u n g der Nahrung angewiesen ; 
die Larven der übrigen Hymenopteren aber bedfkrfen 
sttmmflieh keiner Ortsbewegung und keiner Zerkleinemngswerk- 
zeuge, tun ihre Nahrung zu erreielieii und um sie zu gemessen, sei 
es, dass sie in Zellen gefüttert werden, wie die Bienen nnd Ranp- 
wespen , sei es , dass sie in Pflanzengallen anfwaehsen , deren Säfte 
sie saugen , sei es , dass die als Parasiten andrer Insekten von deren 
Blnte sieh ernähren. Wir kOnnen wohl begreifen, dass bei dieser 
ganzen letzteren Gruppe die Beine schwanden , die Kiefer ebenfalls 
schwanden oder doch nnr in einem Paar nnd aneh dieses nur in 
sehr redndrtem Zustande persistirten nnd dass die hornige Skhale 
des Kopfes, die AnsalzflSche der Kanmnskeln, mit diesen ver- 
loren ja dass die Segmente des Kopfes selbst mehr oder we- 
niger schmmpflen, als die Sinnesorgane eingmgen, welche anf 
ihm ihre Stelle gefunden hatten. 



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Ueber den phyletisehen PaTaUelhiiras bei metamorphischeo Arten. 205 

Die Inconpriienz äassert sich aber noch in anderer Weise als 
durch den relariv grösseren morphologischen Abstand der Larven: 
es findet auch eine andere Grappirnng statt beiLar- 

Tcn als bei Iniap:ineB. 

Wenn man die Ilymenopteren blos nach den Formenver- 
wandtschafteu der Imagines eintheilt, so wird die alte .Scheidung 
in zwei Unterordnun üon die richtigste sein, in die Hy menoptera 
Terel)ra ntia oder L) i t roch ii und in die Mymenoptera Aculoa ta 
oder M 0 n ot r o c h a. Uie unterscheidenden Merkmale , Legt rühre 
oder Stachel, ein oder z weigliedrii^c Trochantcr sind doch von 
durchgreifender Bedeutung. Diesen beiden IJnterürdnungen 
en t s j) r e c Ii e n nun ab e r ke in e s \v c gs d i e be i d c n La r ven - 
typen, sondern l)ci den Ter ebrn ntia kommen Fami- 
lien mit raupeuartigen und solche mit madenartigeu 
Larven vor. 

Die Ursache liegt darin, dass bei einem Tlicil dieser Familien 
die Larven in Thieren oder in Ptlan/.engallen .'^climaro/.en und da- 
durch nach ganz, andrer liiclitnng hin den Hau ihres Körpers um- 
gewandelt hai)en. Die Lel)enswciBe der Imagiucs dagegen ist in 
ihren Hau ptzUgeu dieselbe. 

Wir haben also hier wieder den Kall , dem wir schon hei den 
Khopaloceren unter den Sclinietterlingen begegnet sind, das.s die 
Imagines zu einer liidiern Kiniieit verbiuidm scheinen als die Lar- 
ven, weil jene unter im Grossen und Ganzen llhereinstimmenden 
Lebensbedingungen, diese aber unter sehr abweichenden leben. 

Man hat nun freilich in den ncncrcn zoologischen Lehrbüchern 
die alte Eintheilung der Hymenopteren in nur zwei Unteiordnimgen 
aufgegeben, niantheiltsieindrei: Pflaasenwegpen, Scbma- 
roserwespen and Staebelwespen, aber dieses System 
ist eben mit Rncksicbt anf den so Terschiednen Ban 
der LarTen anfgestellt worden. Ob es richtiger ist^ als 
das alte, d. h. ob es die genealogisebe Verwandtschaft besser 
ausdruckt, will ich hier nicht nntersnehen. 

Dipteren. 

Auch bei den genuinen Dipteren (nach Abing der Pnli- 
einen ond Pnpiparen) stimmen die Imagines in allen Haupt- 
charakteren llberein, Zahl und Bau der FIflgel, Zahl nnd Oliede- 



2ü6 lieber den phyletieehen PermlleHiiiDiu bei metamorphieohea Arten. 

nin^^ dvr Beine, eigentliünilü-licr Bau der Brust A'^ersoliiiielzung »ler 
drei Segmente des Thorax , ja selbst Bau der Momitheile variiren 
uur innerliall» enj;er (Jrenzen. 

Dem entspricht die in ihren lIau])tzUfren glcicljmässige Ijebens- 
wtise; alle genuinen Dipteren leben im Licht, hewejren sieh vor- 
\vief;end (Inrch Fliegen , laufen aher auch alle zugleich, alle end- 
lich, welche im imago-Zustand Uberhaupt Kabruiig gemessen, er- 
nähren sich von Ilüssigcn StotTen. 

Ihre Larven dagegen sind nach zwei grundverschiedenen Ty- 
pen gebaut, die einen, — ich bezeichne sie als den Schnaken- 
Typus — besitzen einen hornigen Kopf mit Augen, drei Kiefer- 
paaren und mit kürzereu oder längeren Flihlern, sowie einen aus 
12 bis 13 Segmenten zusammengesetzten Leib, der zwar nie die 
typischen drei BrustfUsse hervorbringt, wohl aber häufig sog. 
AfterfkUne am ersten und letzten Segment. Die andern Dipteren- 
larven stnd oiadenförmig» ohne hornigen, ja ohne jeglichen 
Kopf, denn der erste, dem Kopfe homologe Abschnitt sdebnel deb 
nicht einmal dnrch bedentendere Gr^Jsse von den llbrigen ana, ist 
▼ielmehr im Ctegeotheil viel kleiner. Die typischen Insektemniud- 
tfaeile fehlen gilnzlich, statt ihrer findet ridi ein yerschieden ge- 
formter, im Mnnde gelegener, Torstreekbarer , ganz eigenthttm- 
lieber Hakenapparat. Ausser dem ersten, angenlosen Segmente 
sind nur noch elf andere vorbanden , an welchen niemals AfterCttsse 
sieb ent?rickeln. 

Die Lebensweise beider Lanrengmppen differirt sehr bedeo- 
tend. Wenn auch die »Maden« der Fliegen meist nicht ▼OlUg nn- 
filhig xn jeder Loeomotion sind , wie die der Hymenopterea (Bienen, 
Schlupfwespen), so sind sie doch vorwiegend anf kleine Bewe- 
gungen innerhalb der Nahrungssubstana angewiesen, anf 
welche sie als Ei abgesetst wurden. Sie geben nicht ihrer 
Nahrung nach, sei es, dass sie nach Art der Scbluphrespen als 
Ftoasiten im Innern anderer Insekten (Taebinen), sei es, dasa 
sie in fiinlenden tbierischen oder pflanslicben Stoffen leben oder 
aber mitten unter ganzen Schaaren sessUer Beutethiere, wie die 
Sjrphidenlarven unter den BhittMusen. Gewöhnlich sogar Teipap* 
pen sie sich an demselben Orte, an welchem sie als Lanre gelebt 
haben . und zwar in ihrer Larvenhant , welche zu einer tonnenf^Jr- 
migcn Puppenbulle oihäiiet. Nur weuige verlassen den Ort ihrer 



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U«ber den phyletiaeheii ^rallelitmu« bei metamorphinchen Arlfn. 207 

Ernährung und verpuppen sieh erst nach Beendigeog einer kleinen 
Heise (Eristalis. 

Wie bei den Hyraenoptercii-Ijarvcn , so lässt sich auch hier der 
Bau der Larven ans den Ei^^cntliUmlichkeiten ihrer Lebensweise 
verstehen. Thiere , welche im Inueru einer Nahrungsmasse leben, 
brauchen weder besondere Locomotionsnr/^auc, noch besonders ent- 
wickelte Sinnesorgane l Aui^en. Sie bedürfen auch nicbt der drei 
Kielerpaare , da «ie stctf^ nur tlllssigc Nahrung geniessen und auch 
der im Innern des Mundes ^^clcgenen Haken nich nicht /.um Zer- 
kleinem der Nahrung, sondern zum Festhaken des ganzen Körpers 
bedienen. Mit den Kiefern und ihrer Muskulatur fallt aber auch 
die Nothwendigkeit fester Ansatzüächeu lUr beide weg, d. b. eiu 
horniger Kopf. 

Die Lebensweise der Larven des Sehnaken-Typus ist in 
den meisten Punkten ganz entgegengesetzt. Die meisten und zwar 
grade die typisch ausgebildeten von ihnen müssen sich ihre Nah- 
rung suchen, sei es. dass sie vom liauhe leben, wie Cul leiden 
und manche Tipnliden (Corethra und Mu sei form es ;S i- 
mulia , sei es, dass sie von Pflanzen sich ernähren, die sie zum 
Theil sogar zusammenschleppen und zu einer schützenden Wohn- 
röhre verarbeiten einige Chirommius Arten . Viehi leben im Was- 
ser und bewegen sich sehr rasch , andere in der Erde und in vege- 
tabilischen Stoffen, aber selbst die in Pilzen wohnenden Arten 
wandern zum Theil auf weite Strecken iiin fort, wie der oft be- 
sprochene i>IIeerwurnia lehrt (aus Tausenden der Larven von 
Sciara Thomae gebildet). 

Es entsprechen nun im Allgemeinen die beiden Larventypen 
den beiden grossen Familieugruppeu , in welche man die genuinen 
Dipteren in der Regel und wie mir icheint mit Recht einfbeilt ; in 
dieser Hinsieht besteht also Gleichheit der Formverwandtscbaft, 
die Grnppenbildnng ist dieselbe und die Ineongmenz beruht nur 
daranf, dass der Formabstand swisofaen den bddeilei Lanren 
angleich grösser ist als «wischen den beiderlei Imagines *) . 

*i ist mir nicht unbekannt, dass die beiden Unterordnungen der ge- 
miiiMn IMpteran. die Kurdiern«r (Bnehyeerat und Laoghörner (Nearoeera) 
dordiaill lüdlt scharf abgegrenzt sind , auch weiss ich wohl, dass es Larven- 
fonnen gibt, welche den einen mit (Um amlern I.arventjpu» verbinden. Die 
Verbindungsglieder bei den Imagines lallen aber keineswegs immer mit dea 
VcrbinduDgigUedem dar Larven «uainnien und ci beatdit hier eine iweila, 



208 Ueber den phyletisehen Pandlelim»» bei mcUunotphiMhen Arten. 

DnsR der Abstand der Form bei den Larven grosser ist, als 
bei den Imagines kann keinem Zweifel unterliegen, dass aber ans 
dieser weiteren Formverwandtschaft nidit auf einen sehr weit zn- 
rllcklicgenden «cemeinsamcn Urspjnmg. :\ho auf eine sehr weite 
IMiitS'Verwandtochaft ^^eseblo^son werden darf, geht nicht nnr ans 
der £xistens Ton Uebergangsformen zwischen beiden Unterord- 
nungen hervor, sondern läst sich hier wie bei den Hy- 
menopteren ans der embryoloi^^isehen* Entwicklung 
der madenförmigen Lnrven entnehmen. 

.Schon vor zwölf Jahren iiabe ich nachgewiesen*), dass die 
madenftimiigcn Larven der Musciden als Embryonen einen wohlent- 
wiekeltcn Kopf mit Antennen und drei Kieferpaaren besitzen, dass 
aber im weitern Verlauf der embryonalen Entwicklung eine merk- 
würdige Hedtictifm und Tniformung dieser Theile vor sich <r« lit. so 
zwar dass zuletzt die vier Kopfsegmente als ein einziger kleiner liing 
ersclieinen p'l)iMet von den miteinander versebmolzenen Maxillen- 
paaren, wülucnd der sog, « \'orderkopfi das erste Kopfsegincnt) 
nel>st den Mandil>eln zu dem im Innern des Körpers gelegenen mit 
einem ll;ikrnap]>arat bew.ttVncten Sclilnndkopf sich umwandelt. 

leli lialu' (l;ini:ils keinen Srliluss auf die jtliylctisclic Entwiek- 
lung dieser Larven formen daraus abgeleitet. s(» wenig als dies von 
Huts eil Ii s( (Iis Jalire sj)äter in Be/.ug auf den ganz anal(»,LM'n Fall 
der liienenlarve geselielieu ist. Der Selduss ist aber so sell»sfvcr- 
sfäudlieli. dass es mich wundert, dass er bis jetzt noch nicht ge- 
zogen worden ist**!. 

Eh kann Uberhaupt nicht zweifelhaft sein, dass die sog. 

sehr auifallendc Incongrut-ns der morphologischen VerwandUchafl , die wie- 
derum nur rfsreaf lu beciehen ist, dam des eine Stadium durdi «tirker ebwei- 

ehende LebensverhältniBsc nuch in der Form stärker abgewichen ist, eil dae 
andere. Giudf Iult wird die Einsicht indessen diuhirch erschw« rt, <lnss aiii^er 
Achter FormvL-rwandtschaft auch nuch scheinbare, durch Cunvergenx be- 
dingte binsokommt, so dam ohne ganz genaues Eingeben in« Eintelne die 
Form- und genealogischen VerwandtscbafteO Zweiflügler nicht zu entwirren 
sind. Es wäre übrigens von grossem Intereste, den Versuch su machen und 
ich hoffe, später dazu Müsse zu finden. 

*) Entwicklung der Dipteren. Leipzig 1864. 

**i Lubboek sdiliesst au« der'Anweeettbeit von Thoraealbetnen bei dem 

Hiciinicnibryo auf AbsfnmmuiiL,' Mm einer cain|iii(l' narli^'eii T.arvp. ül)er^ieht 
aber dabei, dass auch die Anlage der Abduminallüsse nicht fehlt. A. a. O. 
8. 28. 



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Ue^ den phyktinehen ParallelitmiiB b«i metamorphiachen Arten. 209 



»warm Iii III) igen«, hesser ni:i(lenfnrniigen Larven der 
hisekteu durchaus keine selir alten Formen sind, sondern im 
Ge^entheil sehr recente, wie dies wohl zuerst Fritz M Ii Her*'', 
später Puckard * uud Brauer" j hervorj;eh<»l)en lialuMi und 
wie es auch in der neuesten Schrift Uher Pbylogeuic der Inäckten 
vou Paul Mayer -;• festgehalten wird. 

Offenbar stammen die »Maden« der Zweiflügler von einer 
Larrenform ab, welche einen hornigen Kopf, Fühler und drei 
Kieferpaaro, wekhe jedoch an den »Segmenten des Leibes keine 
Gliedmassen besass; sie sind also in ganz eigenfchttm- 
lieber Weise nmgewandelte nnd einer neuen Lebens- 
weise angepasste gewöhnliche Dipterenlarren des 
Schnakentypus sowie die »Maden« der Hymenopteren 
in ähnlicher, wenn anch keineswegs gleicher Weise nmgewandelte 
Blattwespenlarven sind. 

Die Aehnlichkeit zwischen beiden ist znm grossen Theil eine 
rein Ansserliche nnd bemht anf dem Vorgange, welchen Oscar 
Schmidt als Convergenz bezeichnet hat, anf Anpassung hete- 
rogener Thierformen an gleiche Lebensbediugangen. Durch An- 
passung an das Leben im Innern flüssiger Nahrungsmassen haben 
raupenartige Uymenopteien-Lairen und tipulidenartige Dipteren- 
Larven einen ähnlidien äussern Habitus und auch manche Aehn- 
lichkeit der innem Structur, kurz einen ziemlich hohen Grad von 
Fonnverwandtschaft erlangt, der wohl im Stande wäre, den weiten 
Abstand in der Blutsverwandtschaft zu verdecken, wenn uns nicht 
einerseits die embiyologischen Formen, andrerseits die Imagines 
darüber Aufklärung verschafften. 

Es ist gewiss von grossem Interesse, dass noch in einer drit- 
ten Insektenordnung ganz sporadisch madenförmige Larven 
vorkommen, bei den Käfern, nnd dass ihre Entstehung hier auf 
den Einflnss genau derselben Lcheu8bedingnnp:en znrttckgefUhrt 
werden muss, welche auch die Bienen -Bladen hervorgerufen 



•) Für Darwin." Leipzig 1S»>4. S.SO. 
**] McD). P«'a1>ody Afailfiny of Scii'nrr, Vol. I No. 3. 
•••) Verhandl. Wien. Zoolox- Botan. GesellHch. ISii9, p. MO. 
•j-] Uebcr Ootogenie und Phylogenle d«r Insekten. Bin« 
■kademuobe Preinchrift. /en. Zeitschrift Bd. X. Neu« Folge III. Heft 3. 
18TS. 

WtliasaB, SUdicD. II. 14 



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210 lieber den phyletisehen PtmlleliMnus bei roetamorphiicfaen Arten. 

habeu, ich ineine die von Bienenhonig schmarotzenden Meloiden- 
Larven (Mcloe, Sitaris, Cantharis . Der Fall ist dadareh Doch 
instnietiver, als hier die sechsfUssige Larvenfonn ooeh flkfct bia in 
die Bientwicklnng zurttckgerrickt ist, Bondern im eraten Statfasi 
des LarveolebeBs beibetialtan wiid. Erat im tweitea Larren- 
Stadium wird die Madenform angenommen, allertliuj^^s nicht ao 
extrem ansgeprttgt, wie bei Dipteren nnd Hymenopteren, da weder 
der Kopf, noch die Thorooalfttiise so yollständig redneirt werden, 
wie dort. Immerhin sind aber diese Theile in dem Umwandlnnga- 
prooess weit vorgeschritten. 

Mir scheinen die »Maden« der Bienen nnd Fliegen 
gani beeonden lehrreich in Bezog anf die hier im Vordergrund 
stehende FVage von den Ursacheo der Transmutation. Klarer ala 
hier kann kaum je die Antwort von den Tfaatsacben ertbeilt werden 
anf die Frage : was gibt den Anstoss snm Abttndem, kommen die 
AbündemngsstOsse von innen, oder von anssen? Wenn die Larven 
hier die Form ihrer Stammttltem anfgegeben nnd einen weit ab- 
weichenden Bau angenommen haben, der nicht nur mit Rednetion, 
sondern theilweise mit einer gani wesentlichen nnd 
fremdartigen Neugestaltung (Sehlnndkopf der Mus- 
ciden) verbanden ist und wenn diese Aendemng des Baues sich 
g^u den jetzigen Lebensbedingangen angeschmiegt zeigt, so ist 
es schon schwierig, die Vorstcllnng beizubehalten, als bernhe diese 
Transiiuitation auf der Wirkung einer phyletisehen Kraft. Dieselbe 
hätte vorherBchen niUsRen, das» grade zu dieser oder jener bestimm- 
ten Zeitperi(Mle die l'rahncn der Maden in Lebensbedingungen ver- 
setzt werden würden , welche es ihnen wHnscbenswerth machen 
mnsste, sieh na( Ii <!' m Maden-Typus hin umzugestalten. Wenn 
aber zngleich die Imagines sich ungleich weniger 
von den Imagi nes jener ranpenfthnlich en Larven ent- 
lerntcn und zwar wiederum im genauen Vcrhältniss 
der A I) wei (■ Ii iingcn in den Lebensbedinj^ungeu. so 
sehe ich wenij^'stcns nicht ein, wie man der Conseqnenz entgehen 
will, dnss CS die äiissein i-.ebensbe(linfi:un{;en sind, welche die 
'rransniiitatiuntMi einleiten, die Abiinderungs-Austösse dem Orga- 
nismus niittluilcn. Mir ist es unfassbar, wie ein und dieselbe 
l^ohensk ruft in demselben Individuum das eine Stadium 
stark, das andere schwach zur Truusumtatiou anregen soll und 



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Ueber den phyletiaohm Pandtellsni» Iwi metemorphiachen Arten. 21 1 



Doch dazu entsprechend den stftrker oder schwächer 
abweichenden Lebensbedingungen, denen sich der Orga- 
nismiiB in dicRcn beiden Stadien fügen soll. GUur nicht zu reden 
davon, dass durch solche nngl ei che Abweichungen die AusfUh- 
mng eines idealen Syatema (Scböpfan|;8gedankena} verlittmniert 
and Terdrelft wird. 

Man kann aneh nieht mit dem Einwarf antworten, dam es sieb 
bier nur um Abändernng nebensSeblieher, nnbedentender Verhält- 
nisse handle, wobl nnr nm Verkttmmemng dnsehier Organe dureb 
Nicbtgebraueh u. s. w., knrz nm Veränderungen, die als Wirkungen 
des Einflasses der Anssenwelt angegeben werden. 

Es bandelt sieh bier so wenig nm eine blosse Verkttmme* 
rnng von Organen dnreb Niebtgebraueb , als etwa bei den Cirri- 
pedien; die Um- und Nengestaltnng des ganzen Körpers gebt aber 
noeb viel weiter, als bei jenen , wenn sie ancb Sosserlieb niebt so 
animilig ist Wo ünden wir sonst Insekten derenKopfindie 
LeibesbOble eingestülpt ist (Scblandkopf der Ifnseiden), 
deren vorderster Leibesring, der physiologisebe Ver- 
treter des Kopfes, lediglieb ans den miteinander 
versebmolzenen Antennen nnd Maxillenpaaren be- 
steht? 

Der Ineongmenien in den Formverwandtscbailen sind aber 
grade bei den Dipteren tiberans lahlreiebe nnd es witrde eine be- 
sondere Abhandinng ntttbig sein, nm sie grUndlicb sn erOrtem. 
Nnr noeb einen Fall möcbte ieh bier erwftbnen, weil hier die Un- 
gleichheit grade im entgegengesetxteo Sinne sieh xeigt. 

Oerstäcker, gewiss eiu gründlicher Kenner der Insekten, 
tbeilt die Zweiflügler in drei »Zünfte«, die Znnft der Diptera 
gennina, der Pupiparanndder Aphaniptera. Die letstere, 
die Znnft der Floh«, besitzt in ihren getrennten Bmstringen, 
ihrer gegliederten Unterlippe so sehr von den eigentlichen Dipteren 
nnd aneh von den Lansfliegen (Pupiparen) abweichende Charak- 
tere, dass Latreille und die englischen Zoologen dieselben ganz 
von den Dipteren trennen nnd in einer besondem Ordnung erheben. 
Wer nun aneh diese Anordnung nicht billigt, sondern mit O er- 
st ftcker die Flohe den Dipteren nireehnet, wurd doch immer zu- 
geben, dass der morphologische Abstand zwischen 

14« 



212 lieber den ph) letischen Paralleli.s<iiUN hei raetatnorphiiichea Art«n. 

ihnen und den beiden andern Zttnften weit grösser 
ist, als der zwischen diesen beiden selbst 

Nnn besitsenaber die Larven der FlOhe Tollkommen den 
Bau der SchnalLenlaryen, hornigen Kopf mit typischen 
Hnndtheilen nnd Fahlem und fnsslosen Leib ans 13 Ringen be- 
stehend. Wftren nns nur die Larren der FlOhe bekannt, wir 
würden sie den genuinen Dipteren einreihen nnd iwar der Unter- 
ordnung der Nemocera oder Schnaken. Züchteten wir sie snm 
ersten Hai, so würden wir erwarten, eine klone Schnake ans der 
Pappe aosschlüpfen zu sehen. 

Während also die Imagines der langhOmigen Schnaken nnd 
der Flohe eine nnr sehr ferne FonnTerwandtschaft besitsen, leigen 
ihre Larven eine Uberans nahe. Und sollte Jemand daran iweifeln. 
dasB in diesem Falle nicht die Larve der stärker abg^nderte Theil 
ist, sondern die Iraago? Und hat diese, der Floh, sich nicht an 
sehr weit von allen Ul)rigen Dipteren abweichende Lcbensverhnlt- 
nisse .ingcpasst, während seine Larve in dieser Hinsicht sich nicht 
von vielen andern ZweiflUglerlarven unterscheidet ? 

Wir haben also auch hier wieder einen Fall angleicher, phyle- 
tischer Entwicklang vor uns, der sich in der ganz verschiednen 
Formverwandtächaft von Larven nnd Imagines kond gibt. 

Somit ist es hier, wie bei den Schmetterlingen bald das Lar- 
ven-, bald das Imago-Stadium , welches stärkere Umwandlangen 
erfahren hat, und wie dort , so wäre auch hier mit dem Einwand 
Nichts anszurichten, dass die pliyletische Lebenskraft etwa in dem 
»höheren« Stadium der Imago stärker wirke und bedeutendere 
Differenzirungeu hervorbiinge, als in dem »niederen«, mehr« an- 
entwickelten « Larvenstadium. 

Wenn aber gefraj.'-t wird, ob auch hier die ungleiche jibylc- 
tischc Entwicklung auf un^lt'icber Anzahl von Abänderungsan- 
Rtössen beruht, wcklie die beiden Stadien in ,:;leichem Zeitraum 
gctrolTon haben, so muss dies entschieden verneint werden, vielniolir 
hat (liesell)e hier, wie lici den liölicrcn systcnmtisclien Grni»])cn der 
Schmetterlinge ihren Orund olTenbar in dem ungleichen Werthe der 
von Abänderunuen vorwiegend getroffenen Theilc. Auf der einen 
Seite sind dies Tlieiie von geringerer Bedeutung für den Gesammt- 
bau. aufib r andern solche von grösserer. So verhält es sich selbst 
noch in dem zuletzt augefllbrteu Fall der Flühe, wu zwar von 



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\Mm d«n phyletMelwB PuRBneliimos bei metamorphlidien Anni. 213 

typischen Körportheilen nur die Flügel rudimentär geworden, 
aber sowohl Fühler, als Mundtheilc nnd Beine, ja Bclbst Gestalt 
ond VerbindungHwcise der Ktfrpcrringo ifreie Thoracalsegmente) 
Hehr wesentliche Umgest.'iltungen erlitten haben mttssen, während 
die I^rve nur ganz unbedeutende Veränderungen durchgemaclit 
haben kann, da sie jetzt noeh in allen typisohen Tbeilen mit den 
ächnakenlarven übereinstimmt. 

Wenn also auch in diesen und ähnlichen Fällen sehr wohl eine 
grössere Zahl von Ahändcrungs-Anstösscn auf der einen Seite ein- 
;;rf roten sein kann, als auf der andern, ja wenn höchstwahrschein- 
lich diese Anzahl nicht al)8(»lut p:l«'icli gewesen sein wird, so lic^t 
doch die Haupt Ursache der autiallcmlcn Iiicongrucnz nicht hierin, 
ftondeni vielmehr in der Stärke der Ahändeiun^s Ansfiisse. wenn 
es erlaubt ist. dieses Hild zu i,'ebranclion. oder genau ausgedruckt, 
in der Wichtigkeit der Theilc. welche abändern und 
zugleich in dem Grade der Abiindornng. 

Grade hierin aber scheint mir ein nicht unbedeutendcN. theore- 
tisches Kesultat verborgen zu liegen, welches sieh wiederum gegen 
die Wirksamkeit einer phvletischen Kraft wendet. 

Wenn sogenannte typische Tb eile- eines Tbierkörpers 
rein nur durch Einwii kiing der Ausscnwelt vollkommen verschwin- 
den, und was nocii meiir ist, so vt)llständig sich umändern können, 
dass etwas ganz Neues, wiederum Typisches Museiden- 
Schlundkopfi daraus entstehen kann, ohne dass dadurch die 
typischen T h e i 1 c des andern Stadiums derselben 
Individuen ebenfalls nmgcpriii^t und in einen neuen 
Typus verwandelt werden, wie kann man dann noch einen 
Unterschied zw is«'hen typischen und nicht-typischen Tbeilen i n 
Bezug auf ihre Entstehung festhalten/ Wenn aber ein 
Unterschied nur in Betracht ihrer physiologischen Bedeu- 
tung besteht d. h. ihrer Wichtigkeit für den Zasamracuhalt des 
ganzen Organismus , für das Gleichgewicht der Gesammt-Organi- 
sation, in Bezog aber anf Abändemng nnd Wegfall genau dieselben 
Einflüsse massgebend seheinen, welehe aaoh die sog. zufälligen 
und nebeosttcblichen Theile znm AbSndem oder Schwinden bringen, 
wo bleibt dann noch ein Operationsfeld fttr die vor- 
an s ge s etz t e p h y l e ti 8 e b e K ra f t? Hit welchem Recht dürfen 
wir annehmen , dass die typischen Theile durch eine Lebenskraft 



214 Ueber den phyletischen Parallelistnu« bei metamorphitchen Arten. 

entstehen? Und doeh ist grade dies das oltimnm refoginm Der- 
jenigen, welelie angeben müssen, dass eine Menge Ton thieiiaeheD 
Theilen oder GharalKieren durch den Einflnss der Anssenwelt ver- 
Mnderti beseitigt oder aneh hervorgemfen werden. 



IV. Zusammenfassung. 



Die Frage . welche die Ueberschrift des zweiten Absobnittes 
stellte, musste in Verlauf der Untersnchnng mit »Nein« beantwor- 
tet wei-den: Die Formverwandtsehaft der Larven 
fitUt durchaus nicht immer zusammen mit der Form- 
verwandtschaft der Imagine» oder was dasselbesagt: eui 
System, welches Icdiglid» auf die Morphologie der Lar>'cn gegrün- 
det ist, fällt nicht überall zusammen mit einem System , welches 
lediglich auf die Morphologie der Imagines sich stutzt. 

Zwei Arten von Incongruenz stellten sich heraus. Die erste 
besteht darin, dass verschieden grosse Abstände zwei systemati- 
sche Gruppen bei Larven nnd bei Iniapncs kenneni Während diese 
Gruppen selbst glciclicii rnifaii^'^ babcn. 

Die zweite Art besteht woKeiitlicli darin , dass die beiden Sta- 
dien systematische Gruppen von versch icdnciii l'ni fange 
bilden und zwar entweder so. dass diis eine Stadium zu Gruppen 
höherer Ordnung zusaiunicnfritt , als das andere, dass also un- 
gleich werthige Gruppen gebildet werden, oder aber so, dass 
beide zwar systematisch gleich wer thige Gruppen bilden, dass 
diese Gruppen sich aber in ihrem Unifan^^e nicht völlig 
decken, dass die eine über die andere hinübergreift. 

Sehr häufig verbindet sich diese zweite Art der Incongruens 
mit der ersten, ja sie ist meistens die direkte Folge derselben. 

Die Ursache der Incnngmcnzen wurde in ungleic her phyleti- 
scher Entwicklung gefunden und zwar entweder darin, dass das 
eine Stadium in demsellien Zeitrauiu von cinergrössern Zahl 
von Abänderungsstössen getrofi'en wurde, als das andere, oder dass 
diese Abäuderungsanstösse der Stärke nach verschieden waren, 



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U«berden ithyletiMheo Farallelismus bei metamurphiscbeo Arten. 215 

k. dsM iie Tbeüe Ton giOaserer oder g«riitg«rar physiologi- 
tcher Dignitftt, oder daes eie iwar gleiohwerthige Tbeile, 
diese aber ungleich stark träfe*. 

In allen Fällen, in welchen tiefer greifende Form-Differensen 

vcrlie^'cn, liess sich nachweisen, dass dieselben geoan snsaBmeii' 
treffen mit Ungleichheiten in den Lebensbedingungen und swar 
naeh aweierlei Richtung, in Bezng anf Stärke nnd auf Umfang: 
mit crsterer stimmte der Grad der Formdifferenz, mit tetituer ihre 
▲nsdehnnng Uber eine kleinere oder grossere Gruppe 
Ton Arten. 

Die yersohiednen Formen der InoongmenE leigteD sieh in fol- 
gender Weise. 

1) Verschieden grosse Form-Abstände zwischen 
den Larven einerseits nnd den Iroagines andrerseits. Unter den 
Lepidopteren fanden sie sich am häufigsten bei den Varie- 
täten und Arten und dort konnten sie mit E\idenz daranf zu- 
rückgeführt werden, das» das eine Stadium entweder allein von 
abändernden EinflllBsen getroffen worden war Variation oder doch 
vorwiegend (Arten . In letzterem Falle konnte mehrfach nach- 
gewiesen werden , dass tbatsächlich das eine Stadium (das der 
Raupe) auf einer älteren phyletisclieu Stufe zurückgeblieben war 
'Dcilephila-Arten) . Derartige, lediglicb auf dem häufigeren Ein- 
(rcrten von Abänderungs-Anstössen beruliende Incongruenzen kön- 
nen nur !)ei den kleineren Gruppen des »Systems bemerkbar sein, 
bei den grösseren verschwinden sie dem vergleichenden Blick. Bei 
den höheren Gruppen können ungleiche Form-Abständc aber tla- 
dnrch hervorgerufen werden, dass die Aliänderungs-AnstösseTbeile 
von ungleicher physiologischer und morpbologischer Di^niität treffen, 
oder aber gleichwertliige Theile in verscliiednein (thkIc. -Vlle der- 
artigen Wirkungen können sich aber erst nach 1 a u gd a ii e r n d e r 
Summirung der Einzel-Ai>änderungc'n zeigen, das heisst nur bei 
solchen systematischen Grup])cu, welche lange Zeiträume zn ihrer 
Bildung nßthig haben. Dadurch erklärt es sich vollkommen , dass 
wir die IncongraenMo de« Form-Ahstaades anerst von der Varietät 
aa bis sor Gattung hinauf stetig abnahmen sehen, dass sie dann 
aber vtm der Gattung aufwärts aar FamiUe, Familieugruppe nnd 
Unteioninnng wieder znnefaoien : die erstere, naeh oben sn abneh- 
mende Ineongnienz beruht anf ungleicher Zahl, die letztere, naeh 



216 Ueber den phyletiiehen VmlleltBiniu bei nMUuBOfpliiwhen Arten. 

oben zuiiebmeude beruht auf ungleicher btärke der Abäodemnga- 

Aoßtöfise. 

Füllt' der /.woiteii Art linden sich unter dm Le]>idMpft'ren so- 
wohl in den Familien, als besonders in den l';iiiiilieii;^i ii|i]ien Rlio- 
paloeera und Heterocera . noeh autVälli^'er zeij:en ^iL• sich in den 
hübe reu systematiticheu Gruppeu derUymeuoptereu uud Dip- 
teren. 

Su weichen die ran pen t i» r ni i f;e n und die ni ad e n t'ö r in i - 
Larven der Hynicno]»tcren weit stärker von einander ab, 
als die I marines, da bei ihnen die tyj)isehen l'heile einer };jinz- 
licben Unip:estahun^' verrallen. während sie bei diesen nur in nüix- 
»igen (!r«'n/.en abändern. Etienso die Dipteren, deren sebnakon- 
(«»rniij^e Larven ebenfalls weiter von den niadeurornn'^en al>st(dien, 
als die Sclmaken von den Flieden, l'ni^a^kebrt ist der .\l»stan(l 
/wischen den Iinagines der Flidie und der Schnaken bedeutend 
j^rösser, als der zwischen ihren Larven, ja die Larven der Flöbo 
würden j^radczu als Familie der I nterorduunf; der Sehnakenlarveu 
beiy;ezälilt werden müssen, wollte man ein Lar\ ensvstem durch- 
fuhren Daraus erhellt zugleich, das» diese nngleichen Abstände, 
wo sie bei höheren systematischen Gruppen vorkommen, immer 
zugleich die zweite Form der Ineongruenz mit sich führen, diejenige 
der ungleichen Rystematischen Gruppenbildnng. 

Ueberau, wo Bolehe ungleiche Abstände bei höheren Gruppen 
vorkommen, gehen sie genau parallel einer starken 
Abweichung der Lebensbedingungen. IMfferiren die 
Lebensbedingungen stärker auf der Larvenseite, so finden wir aneh 
bei den Larven den Bau stärker abweichend» die Pormverwandt- 
schaft also entfernter (Pflanien- und Staehelwespen , Schnaken 
und Fliegen) , weiehen dagegen die Lebensbedingungen stärker auf 
Seite der Imagines auseinander, so finden wir dort den grosseren 
morphologischen Abstand (Tagfidter und Naehtfiilter, Schnaken 
undFl9he). 

2) Die Bweite Hanptform der Incongruenx besteht 
darin, dass die Larven andere systematische Gruppen 
bilden, als die Imagines, wenn man sie ohne Rttcksicht auf 
ihren genetischen Zusammenhang, blos nadi ihrer Formverwandt- 
schaft in Gruppen zusammenstellt. Diese Incongruenx zeigt sich 
wieder in der doppelten Weise der Bildung ungleichwerthiger 



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Ueber den phyletiselien Ftnllelismat bei «MtomorphiMlieii Aiten. 217 

Gruppen und der Bildung gleicli wertlii^^or. aber iin- 
gle i c Ii u in f a n g r e i c b c r , also i^icb nicht voUkooinien deckendeTi 
sondern Übereinander greifender 0 nippen. 

Ua8 Erstere kömmt vur alu direkte Fulge veniobieden grosser 
Abstände. So wtirden die Larven der Flöhe wegen de» ge- 
ringen Form ' Abstandes, der de von den Larven der »Scbnaken 
trennt, nur den liang einer Familie (der Schnakenlarven i bean- 
spruchen können , während ihre Imagines durch so weiten Form- 
AbBtaud von den Scbnaken-ImagincK getrennt nind, dass sie mit 
Becht den Kang einer liesondeni Zunft erhalten haben. 

fJanz cl>eu8o länst sicli auch die Ungleichheit der nieder- 
sten Gruppen, der Varietäten, bciirtlieilen. Wenn die Kau - 
pen einer Art sich lokal in zwei Formen ge.*<palten haben, die 
Falter aber nicht, so bcHit/.t jede der l)ei<lcii l\au[>enformeu nur 
den sv.stemat isclien Werth der Varietät, während die 
Falterform den Werth d.er Art hat. 

Weniger einfach sind die rrsachen der Eisclicimmg. dass vom 
einen Stadiniii die niederen (iruppeu zu einer liidieren vereinigt und 
zusamnicngefass( werden, vom andern Stadium aber dieser höhere 
Kang (sit venia verbo' nicht erreicht wird, (ianz besonders ver- 
wickelt erscheint ein solches \'crliiiltniss dann, wenn nun eine noch 
höhere ( iruppcnbildung wieder bei beiden Stadien zur Auaftlhrung 
gelangt ! 

»So verhält es sieh bei der Fainiliengmiipe der Tagfal- 
ter ; Rho pa 1 (»e era , welche nur von den Faltern gebildet wird, 
während die Kau pen nur Tagtaltcr Fa ni i 1 ie n l»ildcn , beide 
aber dann d(tch wiedernm /.u der höchsten sytitematiuchen Gruppe, 
der der Lei»id<»[itcrcn sich vereinigen. 

Aueh in diesen Fällen entspricht die Ditlerenz in dem Werthe 
der beiderseitig gebildeten systematischen Gruppen genau der Dif- 
ferenz in den Lebensbedingungen, dies tritt besonders dann sehr 
dentlich hervor, wenn jederseite mehrere Untergruppen vorhanden 
sind, wenn also nicht, wie bei den FUthen nnr eine Familie einer- 
selta all Zunft andrerseite aar aia Familie aaftritt, sondern wenn, 
wie bei den Tagfaltern sahlreiehe Familien einerseits zu der 
höheren Einheit der Unterordnung verbunden ersebeinen (FaU 
ter), andrerseits zn einer höheren Gruppe desselben Umfimges 
nieht zusammentreten (Kau pen). Grade in diesem Falle konnte 



8)8 Ueb«r den plijdetiMlimi FimUeliraiiM bei iMtaBrarpMielieB Arten. 

bestimmt BaohgQwiesen werden . dass die Zusammenfassung der 
Familien za einer Gmppe höherer Ordnung, wie sie anf Seite der 
Falter vorlicj^t, genau in dem Umfange eingetreten ist, in wclrhem 
auch die I^bensbedingungen von denen andrer Falterfamilien ab- 
weichen. Die Gruppe der Tagfalter entspricht genan einem gleich 
grossen Kreis gleichfbmiiger Lebonsbedingnn^'cn , während ein 
solcher gleichen Uinfanges auf Seite der Raupen fehlt. 

Die zweite Art ungleicher Gruppeubiidung i)CHtohl 
darin, dass zwar gleichwerthige Gruppen von Ix'iden 
Stadien gebildet werden, dass sie aber nicht glei- 
chen Umfang besitzen, sondern übereinander greifen and 
sieh theilweise decken. 

Vor Allem tritt dies sehr klar bei der Ordnung der Haut- 
flUgler (Hymenoptera) hervor, bei welcher sowohl Larven 
als Imagines zwei morphologisch gut begrenzte Unterordnungen 
bilden, aber so, dass die eine Larvenforni nicht nur die eine Unter- 
ordnung der Imagines ganz beherrscht, sondern noch über sie liin- 
auBgreift Uber einen grossen Theil der andern Iniago-Unterordnung. 

Grade hier ist wieder die Abhängigkeit dieser Erscheinung von 
den Einflössen der AuBsenwelt .sehr deutlich, da sich nachweisen 
Iflsgt (durch die F.nihryologie der Hiene . dass die eine Larven- 
forra, die niadcuförniigc, trotz ihrer heute so stark abweichen- 
den Bauverhältnisse aus der andern hervorgegangen ist und dass 
sie dnrch Anpassung an bestimmte, weit abweichende Lebensbe- 
dingungen entitanden sein muss. 

ÜKMt Form der Incongmenz ist alete verbunden mit ungleioben 
AbstlndeD swiielin den IMm Stedten der dnen ^yrtanwtieehen 
Gruppe, in diesem Falle der Terebiantia. Die I.ianren dieser Imago- 
GruppebeeilBentlieUs Afterrattpen- (Phytosphecea), (hefls 
Maden-Form (Entomospheeefl) nndweidien bedenfend lürker 
von einander ab, all die Pflannnwespen von den Schlnpftree p e n . 
Die lotete Uraaefae der Incongrnens liegt alsoaneh hier darin, 
data das eine Stadium stllrkero AbSndenmgen er&hren hat, als 
das andeie, so dass hier eine tiefer gehende Spaltang der Groppe 
entstanden ist, als dort. 

In ihnUflher Weise mOgen jene analogen InefnignieBsen bei 
dnadnen Familien der Lepidopteien entstanden asin, die oben 
näher dargelegt wurden, nur dass wir bei diesen fUr jelit noeh 



üeberden pbyletuchen Parallelismua bei metamorphinchen Azten. 219 

fliuHwr Stande rind im lüiiieliien den NacliweiB zn ttefeni, duB der 
Bu der Ranpen dorcli bestfaimte, specielle äiunera Lettensbedin- 
gongen starker abBnderte, als der der Falter. 

Bei der kleinsten ^rstematischen Gruppe, den Varietftten, 
gelingt dies wieder znm Tbeil , dort beruht die einseitige Ahände- 
mng theilweise auf direkter Einwirkung äusserer Einflüsse 
{Saison -DimorphigmuR, klimatiHohe Varietät), und es lässt sich 
nachweisen, dass diese Einflüsse (Temperatur) nur anf das eine 
Stadiam einwirkten und demgemäss aaeh nur dieses zur Abände- 
rang veranlassten, wälurend das andere nnverUndert blieb. 

So wäre denn iwar nicht für jeden einaelnen Fall, wohl aber 
ftlr jede der yerschiednen Arten Ton Inoangrnenz 
der Formverwandtschaft ein durchaus genauer und überall 
zntrefTender Parallelismus mit Incongruenz der Lebens- 
bedingungen nachgewiesen. Wo immer die Formen 
im einen Stadium stürker abweichen, als im andern, 
da finden sich auch stärker abweichende Lebens- 
bedingungen, wo immer das morphologische System 
des einen Stadium nicht zusammenfällt mit dem 
des andern, sei es nach dem Umfang oder nach dem 
Werthe seiner Gruppen, da weichen auch die Le- 
he nshed in gun gen dieses Stadinnis entweder blos 
stärker oder zng-leich noch in anderem Umfang von 
einander ab, wo immer vom einen Stadium eine 
morphologische Gruppe gebildet wird, die dem an- 
dern ganz fehlt, da finden sich auch allein bei die- 
sem Stadium in einem bestimmten Umkreise gemein- 
same Lebensl)e dingungen, die dem andern fehlen. 

Der oben so hon aufgestellte Saht, dass die Form abstände 
stets genau dem Abstand der Lebensweise entspre- 
chen, hat demnach überall, wo wir es beurthoilen können, seine 
Bestätigung gefunden. Ungleiche FormabstÄnde fallen genau zn- 
sammen mit ungleichem Abstand der Lebensbedingungen und 
Gemeinsamkeit der Form tritt genau in demselben 
Umfange anf, wie Gemeinsamkeit der Lebens- 
bedingungen. 

leb darf deshalb woU diese Untersnehnngen mit dem Satae 
abeehliessen: dass bei Typen gleicher Abstammung, 



220 Veb«r den pliyl«ta«elien PMalMuraus bai metamorphitchsn Artm. 

d. h. gleicher BhitKvcrwaiHltsch aft der Grad der 
raorphüld^MSchcn Verwundtschaft genau dem Grade 
der Uitterenz in den beiderseitigen Lebensbedin- 
gungen entspricht. 

Für die Kruge nach den letzten Ursachen de r Trana- 
niutatiuuen ist aber dieses Ergebnis» gewiss von der gröbsten 
Bedeutiinf,'. 

Wohl ist der Zusaninienhaiig von Bau und Function schon oft 
hervorgehol)en wurden, aber t*o hinge es sich dabei nur um das 
Zusamnien^tininien je einer Form und je einer lA'l>cn>\veiKe 
handelte, konnte diese Harmonie immer noch als das Kesultal einer 
zweckthUtigen Kraft aufgefasst werden , wenn wir aber bei den 
metaniorphischen Thierformen nicht nur ein doppeltes 
Zusammenstimmen von Bau und Function beobachten, 
sondern wenn wir wahrnehmen , dass die I niwandlung <lcr Form 
in den beiden llauptstadicu der Knlwic khm;:. in ganz ungleich, 
raschen, ungleich starken iiiid in ungleichem Hhythmus 
erfolgenden Schritten vor sich geht, so müssen wir - wie mir 
wenigstens scheint — die Idee einer innern treibenden Uniwand- 
lungskrafl aufgehen, wir müssen dies nm so mehr, wenn durch die 
entgegengesetzte und gewiss sehr einfache Annahme, dass Um- 
wandlungen ausschliesslieh und nur aU Reaction des 
Organismus aaf die Einwirkungen der Anssenwelt 
erfolgen, alle ErBcfaeinttogeo soweit befriedigend ao%eklftrt werden, 
Boweil die KenntnisB der Thatsaehen beate reieht. Wir mttssen 
eine treibende Umwandlungskraft, eine phyleti- 
sehe Lebenskraft ans dem doppelten Grande auf* 
geben, weil sie nieht im Stande ist, die Erschei- 
nungen (der Incongrnens und ungleichen phyleti^ 
sehen Entwicklnng] an erkUren und weil sie an ihrer 
• Erklärung ttberfittssig ist. 

Gegen die letstere HAlfte dieser BeweiaftUirang kttnnle man 
höchstens das Eine gellend machen, dass die Erscheinungen 
der Transmutation in den hier analysirten FftUen nieht vojl - 
ständig vorlägen. Insofern dies heissen soll, dass nieht die ge- 
sammte Lebewelt, Thier- und Pflansenformen in den Bermdi der 
Untersuchung gesogen wurden, ist es Tollkommen richtig: es fhigt 
sich, wieweit die auf einem kleinen Fonnengebiet gewonnenen Er- 



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Ueber den phyletiachen Paralleliamua b«i metamorphiachen Arten. 221 



gelmiflse ausgedehnt werden dllifen. Anf dieee Frage werde ich in 
der letaten Abhandlnng inrttekkommen. 

Wenn aber damit gemeint werden soll, dass anf dem kleinen 
Gebiete der Unterenchnng nnr ein Th eil der TOfrkoramenden Um- 
formungen wirklich analyiirt worden Bei, nnd «war nnr derjenige 
Theil, dessen Abhängigkeit Ton ftnssern Lebensbe- 
dingungen allgemein zugegeben werdCi so mOehte ich 
nicht verrilnmen, hier am Sehhuse dieser Abhandhing nochmals 
darauf hinzuweisen , dass die nachgewiesenoi Incongmenzen sieh 
keineswegs nur auf jene mehr Insserlichen Charaktere beziehen, 
deren Umgestaltnng; entsprechend den äussern Lebensbedingangen 
allerdings am leichtesten zn erkennen nnd am Bchwierigsten in Ab- 
rede zu stellen ist, sondern dase in einzelnen Fällen (madennirmige 
Larven der Zweiflügler) grade die »typischen« Theile es 
sind, welche theils eingehen, theils aber zn einer 
ganz nenen Bildung zn<tammentreten. So entstellen hier 
ans den alten typischen Gliedmassen neue Bildungen, die ein 
yolles Recht darauf haben, ebenfalls wieder als typisch 
betrachtet zn werden. Die Umwandlnng ist nicht zn Tcr^ 
gleichen mit der, welche der Kuderfuss der naupli neartigen 
Stammform eines Ap US oder Branchipus durchmachte, als er 
sich in ein Kauwerkzeug Mandibeln nrngestaltete , oder mit der 
Umwandlnng, welche die vordem Extremitäten der reptilienartigen 
Ahnen der Vögel durchgemacht haben müssen. Die rmwandlung 
' geht weiter . ist durchgreifender und ich lege grade deshall) einen 
grösseren Nachdruck auf dieselbe, weil sie eines der wenigen Bei- 
spiele ist. welche zeigen , dass typisciie Theile ganz eben- 
so abh ä n gi g s i nd vo n d er A u ssen wel t , al s n n ty pi seh e : 
dass sie niclit nur in kleineren Moditikationen sich der Aussenwelt 
anzupassen im Stande sind . wie die Umwandlungen der Extremi- 
täten bei Wirboltbieren und Krebsen in au<i,nebig8ter Weise zeigen, 
sondern dass sie zu einem ganz neuen Typus gewissennassen 
umgeprägt werden können, dessen fertige Bildung in keiner Weise 
den Weg der Entstellung errafheu lässt. Ich wiederhole was schon 
oben ausgesprochen wurde: In Bezug auf die Ursachen 
der Entstehung haben wir keinen Grund, zwischen typi- 
schen und uu typischen Th eilen einen Unterschied zu 
vermutbeu. 



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222 V«ber dm ^kfMmhm PmlleltMniM bd ip«t«moiphiie1)«i Attcn. 

SoUieesüch sei noch crwttl^ni, dass man zn ganz analogen. 
weam aneh weniger scharf ausgeprägten Resultaten gelangt, wenn 
man, anstatt die versehiedneu Studien einer systematischen Gruppe 
in ihrer phyletiseheii Entwickhiug ins Auge zu fassen, die ver- 
schied n e n g l e i c h y. e i t i g n e b e u - u u d m i t e i n a n d e r t u u e - 
tionirenden Tbeile (Organe im weiteren Sinu} des Organis- 
mas ins Auge fasst. 

Es Hesse sieh leicht eine vollstilndifjc Parallele zielien zwisehen 
beiderlei Ent\vieklnugsersclieiiuini(eii. Denn ilass auch die ein/.el- 
neu Tbeile eines Organismus bis zu einem gewissen Grade 
selbstständig sind, dass ein jeder von ihnen selbstsfändig al)ändem 
kann, wenu er allein oder doeh vorwiegend von einem Ab- 
änderungs-Anstoss getrorten wird, dass nicht alle andern Tbeile 
des Organismus ebenfalls Abänderungen eingehen mlissen. oder 
doch wenigstens nicht in gleich iiobem Gratle, das liisst sieh schon 
aus dem sehr versehiedneu Werthe erschliessen . den der Systema- 
tiker auf dieses oder jenos Organ einer Thiergrupi»e in Bezug auf 
deren systematische Stiieidung legt. Wichen alle Tbeile und 
Organe zweier Thiergruppen gleich stark voneinander ab. so würde 
der systenjatische Werth dieser Tbeile ganz gleich sein, wirwUrdeu 
/.. B. zwei Gattungen aus der Familie der Mäuse eben so gut nach 
ibien Nieren, ihrer Leber, ihren Speicheldrüsen, dem histologischen 
Bau ihrer Haare , der histologischen ätmctnr ihrer Husketai oder 
anoh nach den Unterschieden der ABordunug ihrer Mpskidatar 
n. 8. w. nnterscbflideii nnd oliMnkteriflireii kOnnen, als dnich Ge- 
bist, Zehenlänge n. b. w. Dies wttre nun freiUeh erst noeh sn Tei^ 
soeben ; aber es lit wohl mit Sieherbeit Toranssusagen, dass es 
nieht gelingen wttrde. Naeb allen hente vorliegenden Thalsachen 
»n nrÄellen halten die einsehien Thdle nnd besonders die physio- 
logisch nsammenwiikenden TbeilCi also die Organs^'steme ni cht 
gleichen Sehritt bei den Veilndeningen, welche die Art im 
Lanfe der Zeit erleidet, vielmehr avaneirt bald das eine, bald das 
andre Oigansystem nnd die übrigen bleiben inrttek. 

Dies entspiicht vollkommen dem oben erhaltenen Besnltat von 
der nieht parallelen Entwicklung der selbststilndig lebenden 
ontogenetischen Stadien. Wenn die Ungleichheit phyktiseher Ent- 
wifeklnng dort achUtftr ansgeprigt ist, als hier, so findet dies seine 
Erklttmngin der ungleich stftrkeren Correlationi welche 



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Uabcr den plijrletiachen PunUelismu* bei inetMWfphiiMiien Äxten. 223 



swiNlieii den eindum Organsystemen eiM eimigeii Oigantsnuis 
bestellt, als swiaehen den zwar aineiiiaoder benroq^ebeiiden, aber 
deBBoeb beinab yollalindii^ noabbängigen Sladien der OntogeDeee. 
A priori bitte man iwar aaeb bier eine mlcbtige ConebUion yer- 
matben kSnnen, aber tbatiScbHeb beatebt aie niebt, oder nnr in 
eineBi acbr geringen IfaaM. 

Ctoas aber, wie bei den Stadien der HetamorpboM die Un- 
glelebbeit pbyletiMber EntwicUnng aieb nm so mebr Torwisebt, 
je entfernter atebende» nm&iaendere, oder, was daaeelbe tagt, je 
Üoger beatebende Gruppen wir miteinander reigleieben, gaas 
ebenao rerwiiebt sieb der angldcbe Abatand der Organayateme in 
den Masae, als wir an unaerm Vergleieb grösaere Gknppen des 
SyateaM berbeiiieben. 

£b iat niebt undenkbar, wenn fireilicb ein aeliarfer Beweis dafür 
aodi niobt vorliegt, daaa eine Varietät ?on der Stammart sieb nnr 
dareb Abindenng einea einaigen Charakters nnteiaebiede, 
X. B. nnr in der Bebaarnng, Farbe oder Zeiebnnng und 
lolebe FBlie würden dann genau den oben angeAhrten FlUlen ent- 
sprechen, in welchen nur die Ranpe oder nnr der Schmetterling 
eine Varietät bildet. Bei allen tiefer greifenden Ahändemngen 
aber — wie sie /. H. den Unterscliied /wisclicn zwei Arten h9' 
dingen — beschränken sich dieselben wohl niemala nnr auf einen 
Charakter, sondern beziehen sich immer auf mehrere, nnd ans Dar- 
win'« Nachweisen Uber die Veränderungen, welche an dem 
Schädel vua Kanineben mit Hänge-Ohren allein in Folge des 
Uerabhängens der Obren eintreten, liiat sich dies dorcb 
Correlation erklären, andl wenn wir annehmen wollten, dass nr- 
sprUnglich nur ein Organ von einem Abänderungs-Anstoss ge- 
troffen worden sei. Bei zwei benachbarten Arten aber weichen 
die verschieduen Theilc noch in sehr vcrsch i cd nem Grade 
voneinander ab. So sind mir zwei Arten einer Uaphniden- 
Gattunj; bekannt, welche sich sehr nahe stehen, so dass sie nur bei 
genauer Verjj;leichung einzelner Tbeile sich mit Sieheibcit unter- 
scheiden lassen. Wilbreud aber die meisten änssern nnd innern 
Organe fast identisch sind, weichen die Samenzellen der Mann 
chen anf das auiTallendste voneinander ab, bei der einen Art 
j;leiehen sie in der Form einem australischeu Wurfholz Bonierang , 
bei der andern Bind es kuglige Strahlenzelleo ! £iueu analogen 



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224 Heber den phylett»chen Paralieliffmus bei metamorphUchen Arten. 

Fall bilden die beiden hmge Zeit bindnrob miteinander Terweeb- 
Mlten Arten: Dapbnia Pnlex nnd D. magna. Beinabe alle 
Kttrpertbeole Sbneln sich bier aufs Genaueate, aber die Riecb- 
Fttbler der Ifänncbeo weichen auf das anffallendste Toneinander 
ab, wie Leydig meret völlig ricbtig angegeben bat. 

Ebenso kOnnen wir'anch betGattnngen noch einelneon- 
gmenz beobachten der Art, dass dnselne Tbeile des Körpers stär- 
ker, andere weniger ntark von den cntspreclienden einer benach- 
barten Gattung abweichen. Vorirloicben wir / B. eine Art der 
Daphniden-Gattnng Sida mit einer Art der nahoverwandten Gat- 
tung Daphnella, Ro finden wir zwar so zicmlk-h :i lle ftoMem nnd 
innern Organe einigcrmassen anders, aber doch einzelne von ihnen 
ganz besondere stark und ohne alle Frage weit stärker verändert, 
als die Übrigen. So z ß. die Antennen nnd die niiinnliolieii Ge- 
schlechtsorgane. Bei Dapbnella mttuden Letztere auf langen, 
stiefplf(irTiiiL'on Boi,'attungsorganen , die an den Seiten des Hinter- 
leibs hervortreten, bei Sida anf kleinen Papillen auf der Banch- 
seite dieses Krirperabschnittcs. Oder vergleichen wir die Gattung 
Daphnella mit der ebenfalls ganz nahe verwandten Gattung 
Latona, so trleicht wiederum kein Theil der einen Gattung voll- 
kommen dem cnfsprecbcuden der anrlern , aber einzelne weiehen 
stiirker al> . als die andern, so z. B. die Ruder arme, welche hei 
Latona dreiiistig sind, bei Daphuella, wie bei fast allen andern 
Dapbniden nur zweiästig. 

Schon hei den Familien wird es sehwierig und unsicher, 
den For m - A lisf and der < >rgansystenie mid Kiirpertlieile gegen- 
einander abzuschätzen , doch dürfte \snhl lM'li:iii)itet werden dass 
die ])eiden Cladoeeren-Fainilien der Po 1 y p h e in i d o u unil der 
Da))hnidcn weit weniger im Bau ihrer Huderarme voneinander 
abwichen, als in den» der meisten übrigen Theilc. als z. B. im Bau 
des Kopfes, der Schale, der Filsse und des Hinterleibs. Bei norli 
höheren systematischen (Jruppc)i hei Ordnungen und noch mehr 
bei den verscbiediien Klassen eines lliierkreises möchte man ge- 
neigt sein, alle (Jrgansysteme in gleich durchgreifender Weise für 
abgeändert zn erklären. Doch liisst sich schliesslich nicht s.igen. 
ob die Niere eines Vogels eben so stark von der Siiui^etliierniere 
abweicht , wie die Feder von einem Säugetbierhaar. da man die 
L'utersebiede zwischen ganz heterogenen Dingen uieht abmesgeu 



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L eber den phyletischeu Parallelismus bei met&morphiflcben Arten. 225 

kann, es lässt gieh nur sagen, dass beide staik abweichen. Die 
Thatsaehen yerbalten sieh demnach aa<^ hier nicht so, wie wir es 
erwarten mttssten, w^n eine innere Entwicklongskraft die Trans- 
mntationem Teranlasste; es findet nicht eine gleichmässige 

Umgestaltung sämmtlicherTheile statt, sondern es ändert zu- 
erst ein einzelner Theil ab (Varietät), später noch andere 
(Art) , und in dem Masse als der systematische Abstand zunimmt, 
zeigen sich immer mehr und mehr alle Theilc von der Umwandlang 
betroffen nnd immer mehr erscheinen alle Thcole in gleichem 
Grade verändert. Dies mtisste sich aber genan so verhalten, wenn 
der Anstoss zum Abändern von der Aussen weit ausginge. Auf dop- 
pelte Weise mttsste die Ausfjleichung der Abänderungs-Unterschiede 
allmälig herbei^'cfUhrt werden, einmal durch Correlation, indem 
beinahe jede primäre Abäiuleruiig eine (»der mehrere sekundäre 
nach sich ziehen mllsste, dann aber dadurch dass in dem Masse, 
als die Zeiträume wachsen , auch immer zahlreichere Körpertheile 
von primären Abänderungs-Anstössen getrofl'en werden mltssen. 

Es wäre eine verführerische Aufgabe, auch hier den Versuch zu 
machen, die Ungleichheit in der phyletischen Entwicklung auf un- 
gleiche äussere Einflüsse zurückzuführen, nachzuweisen . dass die eir.- 
zelnen Organsysteme in dem Massesich umgewandelt hal>en, als sie 
von abweichenden aussein Lebensbedingungen beeinflusst wurden, 
dass dies aber während einer bestimmten Zeit öfter bei dem einen, 
als bei dem andern Organe der Fall war, kurz den Zusammenhang 
von Abändeningsarsachen nnd Abftnderungswirkungen klar zu legen . 

Doch wllre die Unternehmung einer solchen Arbeit wohl noch 
bedeutend TerfrOht, da die Physiologie no^ lange nicht im 
Stande seb wird, den feinen Unterschieden nachinfolgen , welche 
die Morphologie anfWeist, nnd da wir bis hente noch keinen 
hinreichenden Einblick in das innere GeAlge des Organismus 
haben, um aus einer gegebenen primftren Ablnderung bestimmte 
sekundäre a priori ableiten zu können. Solange dies aber nicht 
möglich ist, haben wir kern Ifittel die correlatiYen AbSnderungen 
Ton den sie herrormfenden primSren an unterscheiden, wenn ne 
nicht vor ungern Augen entstanden sind. 



m. 

UEBEB 

DIE DMWANDLm(& DES MEXIKMISCHEN AXOLOIL 

IN EIN 

AMBLYSTOHA« 



Seitdem durch D u in r i 1 zuerst die Umwandlung einer A nmhl 
von Axolotl in die sogenannte Amblystoma-Form bekannt gewor- 
den ist. hat man diesen mexikanischen Fischmolch an vielen Orten 
in Earopa in Aquarien gezüchtet, hanptBächlich in der Absicht, die 
Bedingungen festzustellen , nuter welchen jene Umwandlnnp: ein- 
tritt und dann daraus weitere Schlüsse auf die eigentlichen Ur- 
sachen dieser ausnahmsweise eintretenden and gerade dadurch so 
räthselvollen Metamorphose zu ziehen. 

Allein trotzdem die Thiere sich Uberall leicht und in Menge 
fortpflanzen Hessen, blieben nicht nur die Fälle, in denen die Um- 
wandlang eintrat, äusserst selten, sondern es gelang nicht einmal, 
die erste und vornehmlichste Frage zu beantworten, ob dieselbe 
durch äussere Verhältnisse hervorgerufen, oder durch rein 
innere Ursachen bedingt ist, geschweige dass etwa bestimmte 
ftossere Einflüsse gefunden worden wären , durch deren Eintreten 
man die Metamorphose mit Sicherheit hätte herbeiführen können. 

Eb« i])«r Uber diese Pankte nidit entschieden war, mnasten 
•De vemiehteii flieoretiMlien Dentongeii und Vttwerthnngen der 
Enehefanmg ohne feiten Boden bleiben. 

Mir eebien nun Ton Jeher grade diese Umwandlimgqgesehidite 
dee AxoloÜ In tbeoretisoher Beziehnng yon gaoi beaoi^derem 
Werlhe sn sein, ja ich glaubte, dass mOglieherwdse dieser eine 
spedelle Fall im Stande sein kOnne, Uber die Biebtigkelt der Gmnd- 
prindpien sn entsebdden , naeh welchen man sich in den beiden 
ÜBindliehen Heerlageni der Trans mn tati on und der heteroge- 
nen Zeugung die Entstehung der Arten yofsteltt. 

So beschloss ich , selbst Veisuehe mit dem Axolotl ansustellen, 
in der Hoilhung, dass es mir Tielleicht glttcken weide , hier einige 
AnfklAmng sn sehafTen. 



230 tJeber die Unnfmudloog dei mcsiku. Axolotl in ein AnblTitome. 

Im Jahre 1S72 hatte Herr v. Kölliker die Freundlichkeit 
mir ftinf Exemplare seiner in WtUrzbarg gezüchteten Axolotl zn 
Uberlassen, welche indessen erat im folgenden Jahre nichliche 
Bmt lieferten. Ich verfolgte mit ihnen die Idee, es wird sich 
später zeigen, aus welchen theoretischen Erwägungen, ob es nicht 
möglich sei. alle Larven sammt und pondcrs. oder doch prossen- 
theils zur Urawandlunp: zu zwingen , wenn mau sie in Lebensver- 
hältnisse bringe, die ihnen den Gehranch der Kiemen erschwere, 
den der Lunge aber erleichtere, mit andern Worten, wenn man sie 
zwinge, von einer gewissen Altersstufe an halb auf dem Lande 
zu leben. 

Indessen erreichte ich kein " Resultat in diesem Jahre, die 
meisten Lar\-en starben, ehe die Zeit zu solchen Versuchen gekom- 
men schien und die wenigen Ucberlebenden wandelten sich nicht 
um, lebten noch bis ins nächste Frühjahr, um dann auch Feiner nach 
der Andern zu sterben. Offenbar hatte ich ihnen, durch längere 
Abwesenheit von Freiburg, wie durch andre Arbeiten abgezogen, 
zn wenig Pflege und Aufmerksamkeit zu Theil werden lassen. 

Ich gelangte damals schon zu der später nur noch mehr be- 
festigten Ueberzeugung, dass man ohne die grösste Sorgfalt und 
AoflnerkBamkeit in der Pflege zu keinem Resultat kommen kaon; 
maa miw gendesn alles Interewe «nf dtoMt eine Ziel eoneeiH 
triiw und es doli sieht verdiieiMii lassen , viele Monate hmg täg- 
lieh gennmie Zeit «tteser Zneht in widmen. Dsss ich dies sslbsk 
niebt ansflütren konnte, ohne andre Aiheiten daillber anfimgebea 
war mir klar und so begiUssle leb es mit Freide, als sieh die Ge- 
Isgenheit bot, die Versaehe von andrer Hand an^gefUirt sn sehen. 

FrftnleinT. Chan Tin, eine dnreh ihre sohOnenBeobaefatnngmi 
•n FhiTgsrnden (leider noeh niebt ▼erOlfentUebt I) mehrefen Faeb- 
gsnossen woU bekannte Dame, erbet sieh, eine Ansahl der eben 
dem Ei entseUtpften Larven des folgenden Jahres anftnsidmi 
mid den Venneb tn maehen, sie gewissermassen gewaltsam in den 
Amblystoma^Znstaad ttbetsoftlfaren. Wie TolMndig dies gelaqg, 
wird man ans den hier folgenden Aifteiehnaagen der Dame selbst 
ersehen und nicht minder dass fieses Gelingen eben nnr bei sokher 
Sorgiklt in der Behaadlnng nnd Feinheit in der Beobaebtang mOg- 
Heb war, wie sie hier angewendet wurden. 



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JUbn di» Umfmndhmg mwilliM. Axdotl in tin Ambljrrtonuu 231 



Tersvche. 

»Hit 5 ungefähr S Tage alten Larven , die von den mir znge- 
giBgenen zwölfen allein am Leben geblieben waren, begann ich am 
zwölften Juni 1874 die Versuche. Bei der ausserordentlichen Zart- 
heit dieser Thiere tlbt die Qualität und Temperatur des Wassers, 
die Art und Menge des gereichten Futters, namentlich in der ersten 
Zeit, den grössten Einflnss aus, so dass mau nicht vorsichtig genug 
in deren Behandlung sein kann. 

Die Thierchen wurden in einem Glasballon von etwa Cent. 
Durchmesser gehalten . die Temperatur des Wassens geregelt und 
als Nahrung zuerst Daphnien , später auch grössere Wasserthiere 
in reichlicher Menge dargeboten. Dabei gediehen alle 5 Larven 
vortretilich. Schon Ende Juni zeigten sich bei den kräftigsten 
Larven die Anfänge der Vorderbeine und am 9. Juli kamen auch 
die Hinterbeine zum Vorschein. Ausgangs November fiel mir auf, 
dass ein Axolotl — ich bezeichne ihn der Kürze halber mit I und 
werde dem entsprechcud auch die Übrigen mit fortlaufenden 
Tömischen Zahlen benennen — sich beständig an der Oberfläche 
des Wassers aufliielt, was mich auf die Vermutbnng brachte, dasB 
muuiiehr der richtige Zeitpunkt eingetreten sei, ihn anf die Um- 
wandlong zum Laadaalamander vorzubereiten. 

Zu dksem Bode wmde I am 1. December 1874 in ein bedeu- 
tend giOsseree Glaageftm mit flachen Boden gebracht, welches der- 
art gestellt und mit Wasser gefttUt war , dass er nnr an einer Stelle 
gau nnter Wasser tauchen konnte, wShrend er bei demhiMifigen 
Hsmmkrieehen anf dem Boden des Qeftsses ttberall anders mehr 
oder weniger mit der Luft in Berührung kam. An den folgenden 
Tagen wurde das Wasser allndUig noch mehr venrnndert und in 
dieser Zeit zeigten sieh die ersten VerSnderungen an dem Thier: 
die Kiemen fingen an einzuschrumpfen. Gleichzeitig 
zeigte das Thier das Bestreben die seichten Stellen zu erreichen. 
Am 4. December bega^ es sich ganz und gar aufs Land und ver^ 
kroch sieh im feuchten Moos, das ich auf der höchsten Stelle des 
Bodens des OlasgeOsses anf einer Sandschicht angebracht hatte. 
Zn dieser Zeit erfolgte die erste Hftutnng. Innerhalb der 4 Tage 



232 Ueber die Umwandlang des mesikan. Axolotl in ein Amblyitoma. 



vom 1 . bis 1 . December , ging eine anffallende Veränderung im 
Acussern von I vor sieb : die Kicmcnqiiasten schrumpften fast franz 
zusammen, der Kamm auf dem Kücken verschwand vollständij^' uud 
der bis dahin breite Schwanz nahm eine runde dem Schwänze des 
Landsahimanders ähnliche Gestalt an. Die graiiliranne Krirjier- 
farbe verwandelte sich nach und nach in eine schwärzliehe : ver- 
einzelte, anfangs schwach gefärbte weisse Flecken traten hervor 
und gewannen mit der Zeit an Intensität. 

Als am 1. December der Axolotl aus dem Wasser kroch, waren 
die Kiemen8]»alten noch geöffnet, schlössen sich allmälig und 
waren bereits nach etwa 8 Tagen nicht mehr zu sehen und mit einer 
Haut überwachsen. 

Von den übrigen Larven zeigten sich schon Ende November 
(d. b. zu derselben Zeit, wo I an die Oberfläche des Wassers kam) 
noch drei ebenso kräftig entwickelt wie I, ein Hinweis, dass auch 
fttr sie der riebtlge Zeitponkt für die Beschleunigung des Entwiek- 
Inngs-Ptoxeitei dngetreteii ad. Sie wurden deshalb denelbea Be- 
handlung unterworfen, n verwandelte sieh aneh in der That 
gldchseitig nnd genau wie I, er hatte noeh ToUkommene Kiemen- 
qnasten, als er In das flache Wasser gesetzt wurde, und sehen 
nach 4 Tagen hatten sich dieselben fut ToUstindig znrUck* 
gebildet, er ging ans Land nnd dann folgte im Verlauf Ton 
etwa zehn Tagen die Ueberwachsnng der Kiemen- 
spalten nnd die Tollst&ndige Annahme der Sala- 
manderform. Wlhrend dieser letzten Zeit nahm das Thier 
Kahning zwar anf, aber nnr, wenn man es dazu nSthlgte. 

Bei ni und IV ging die Entwicklung langsamer von Statten. 
Beide suchten nicht so hiufig die seichteren Stellen anf und setzten 
sich im Allgemeinen auch nicht so lange der Luft ans , so dass die 
grössere HUfte des Januar veistrich, bis sie ganz ans Land giugeo. 
Nichtsdestoweniger dauerte das Eintrocknen der Kiemenqnasten 
nicht längere Zeit, als bei I und II, desgleidien erfolgte auch die 
erste Häutung, sobald sie aufs Land krochen. 

V zeigte nncli viel auffallendere Abweichungen bei der Ver- 
wandlung, wie III und IV. 

Da dieses Individuum von Anfang an viel schwächlicher aus- 
sah , wie die andern und auch im Wachsthum auffallend zurück- 
blieb, 80 konnte dies keineswegs ttbenrasdien. Es gebrauchte 



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Uebar die Umvandlang im menkan. AzoloÜ in «in Aabyatonw. 233 

14 Tage, statt 4, um die Verwandlung soweit dnrehnimachen, dase 

es das Wasser verlassen konnte. Von ganz besonderem Interesse 
war CS , das Verhalten dieses Individnnms während dieser Zeit zu 
verfolgen. Es war, bei seiner zarten und schwächlichen Natnr 

selbstverständlich für alle iiussern Einflüsse viel empfänglicher, 
wie die Andern. Wurde es der Luft zu lange ausgesetzt, so nahm 
es eine hellere Farbe an. Ausserdem gab es einen eigeuthllm- 
lichen Geruch von sich , ähnlich dem , den Salamander verbreiten, 
wenn sie geängstigt oder gefährdet werden. Sobald diese Erschei- 
nungen eintraten , wurde es gleich in tieferes Wasser gel)racht , wo 
es sofort untertauchte und sich alhnälig wieder erholte. Die 
Kiemen entfalteten sich dann immer wieder von Neuem. Dasselbe 
Experiment wurde wiederholt geuiacht und war jedesmal von dem- 
selben Erfolge begleitet, woraus wühl geschlossen werden darf, 
dass durch die Ausübung eines zu energischen Zwanges mit Absicht 
auf die Beschleunigung des Umwaudluugs-Prozcsses ein Stillstand, 
und sogar bei fortgesetztem Zwange der Tod eintreten kann. 

Von Axolotl V bleibt noch anzuführen, dass er nicht wie alle 
aodern bei der ersten Häutung, sondern zur Zeit der 4. aus dem 
Wasser kroch. 

AUe Axolotl sind hente (Jnli 1875} noeh am Leben and gesund 
und kiftftig entwickelt, so dass Ton Seiten ihres EcnahnuigssnBtaii- 
des ihrer Fort|iflaaxnng Nichts im Wege stünde. Der grösste 
vnler den ersten Vieren hat eine Länge von 15 Cent., Axolotl V 
misst 12 Gent. 

Ans dem Gesagten dürfte die Richtigkeit der Eingangs anfge- 
stellten Anmcht erwiesen sein : Axolotl-Larven Tollenden inm grOss- 
ten Theil, wenn nicht alle, ihre Metamoiphose, wenn sie erstens 
gesund ans dem El schltlpfen nnd richtig geflittert nnd sweitens 
Eiipiditnngen getroffen werden, die sie Tom Athmen unter dem 
Wasser sn dem Athmen über dem Wasser nOthigen. SelbstrerstSnd- 
lieh darf dieser Z^ang nur ganz allmiüig nnd bk einer Weise ans- 
geübt werden , die die Lebenskraft des Thieres mcht über Gebühr 
in Anspruch nhnmt.« 



234 Ueber die UmmmdhiBg det »«xikui. Axolod in ein Anbtyitoimi. 

Ich bemerke zu den vorstehenden AnfzeichnnDgcn Fräoleia 
Ton ChaQTin's, dasa die Umwandlung in allen 5 Füllen eine 
▼oUatäiuUge war, nicht zu verwechseln mit der, welche alle in 
kleinen Olasgefässen gehaltenen Axolotl mit der Zeit mehr oder 
weniger eingehen. Es kommt hier nümlich hUufig zu gewissen 
Abänderungen, welche auf die Amblystoma-Form abzuzielen schei- 
nen, ohne dass aber dieselbe erreicht würde. Hei den fllnf erwach- 
senen Axolotl . welche ich au^'cnblicklich besitze nml von denen 
zwei mindestens 4 Jahre alt sind, sind die Kiemen alle sehr zu- 
sammengeschrumpft, aber Kuderschwanz und Hückenkamm sind 
unverändert. Es kann aber auch der Kamin schwinden und der 
Schwanz sich versehmälern. ohne dass deshalb V(»n einer Umwand- 
lung zum Amblystoma die Rede sein könnte, wie weiter unten 
gezeigt werden soll. 

Was die Dauer der Umwandlung betrifft, so betrag sie bei den 
Axolotl'n I— IV. im C5anzen 12—14 Tage. Davon kommen vier 
auf die ersten VerUndcrungen, während deren das Thier noch im 
Wasser bleibt, die tlbrige Zeit aber auf die Vollendung der Meta- 
morphose auf dem Lande. Dnm^ril gibt die Daner der MetSi- 
morphose auf 16 Tage an. 

Au den mitgetheUtett Yermolieii lekeint mir Folgendes be- 
Bonden benehtentwerth : Die fOnf Axolotl-Larven, welehe 
allein in Betraeht kommen kOnnen, da die andern früh starben, 
maehten alle ohne Ansnahme die Metamorphose 
dnreh nnd wurden Amblystomen. Nur einer daTon, No. I, 
leigto dnroh anhaltendes Schwimmen an der Obeifliehei welches 
am Ende des seehsten Monats bemerkt wnrde, eine entsehiedeae 
Hinaeignng snr Metamorphose, eine Yoriiebe für Lnngenaihmnag. 
Von diesem ündividonm darf deshalb wohl angenommen werden, 
dass es aaeh ohne kllnstliohe Naehhttlfe ans Land gekommen fad 
die Umwandhmg eingegangen ^ribre, gaas so wie dies in den etwa 
30 FftUen, welehe DiUBiril im Qaasen beobachtet hat, der Fall war. 

Flr No. n, m. and I¥. dagegen ist eine solche Vermotfanng 
wenig wahrscheinlich. Alle drei Larren snehten sich im tieferen 
Wasser zn halten, vermieden so lange es möglich war, die seichten 
Stellen, die sie sor blossen Lungenathmung zwangen, und gelangten 
so auch um mehr als einen Monat spttter erst zur Verwandlung. 

Bei No. V. vollends kann es kanm zweifelhaft erscheinen, dass 



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Ueber die Umwandlung des mexikan. Axoiotl in ein Amblystoma. 235 

09 deh nieht mngewanileh haben wflrde, ohne die gewallHune Ge- 
w6hBong an dte Anshanren in der Loft. 

Man darf ans diesen EigebniMen wohl den SeUoie riehen, 
dam die meisten Azolotl-Lanren sieb in die Amblyitoma-Fonn 
nm wandeln, wenn sie im Alter von sechs bis nenn Monaten in so 
seichtes Wasser gebracht werden , dass sie vonviegend mit den 
Longen nthnien müssen. Die vorliegenden Versuche sind aller- 
dings der Zahl nach sehr gering, aber dn solcher Schluss darf 
dennoch nicht voreilig genannt werden, wenn man bedenkt, dass 
D n m 6 r i 1 unter vielen ünnderten (die Zahl ist nicht genan ange- 
geben) von Axolotrn nnr einige dreissig Amblystomen erliielt, dass 
ebenfalls unter einigen hundert Axdotl'n Y. Kölliker nnr ein 
einziges Amblystoma zUchtete. 

Fraglich bleibt nur noch, ob jede Larve zur Metamorphoso 
gezwungen werden k:um, und diese Frage kann nur durch neue 
Versuche entschieden werden. Ks war meine Absicht gewesen, die 
VeröffentlichuDg- der mitgctheilteu Versuche so lange zu verschie- 
ben, bis diescll)t'u in i^russcm Massstabe von Fr.'iulein von Chau- 
vin wiederholt sein wiirdeu, da indessen meine Axoiotl in diesem 
Jahre 1875) keine Brut geliefert haben, musste ich vorläutif:; dar- 
auf verzichten und konnte dies um so eher, als es fllr die theore- 
tische Verwerthung der Thatsachcu ziemlich irrelevant ist, ob alle, 
oder nur fast alle Axol(»tl zur l'mwaudlung sich zwingen lassen. 
Dagegen will ich niciit unteilusscu zu e rwähnen, dass der Couser- 
vator des hiesigen zoologischen Museums, Herr Gohr ig. eine 
ziemliche Anzahl von Larven derselben Brut aufzog, mit welcher 
FVftnlein y. Chanvin experimentirte, und dass von diesen L^en 
sechs den Winter ttberlebten, ohne die Metamorphose ein- 
sngehen. Sie wordea-stete fn tiefem Wasser gehißten nnd bil- 
deten also dem Gegenvertnch an dem oben mitgetheilten, sie be- 
weisen, dass nicht etwa diese gaaxe Bmt Ton Tomherein die Nei- 
gong besasB, die Metamorphose einzugehen. 

Sollen nun die neuen Thatsaehen Terwerthet werden, um nnsre 
Vontellung von dem Wesen dieses ungewöhnlichen Umwandlungs- 
proiesses zu klaren, so mUssen tot Allem die schon bekannten 
Daten zu Hfllfe gezogen werden. 

Zuerst ist festenstellen, dass Siredon mexicanns in 
seiner Heiraath, soviel wir wissen, niemals die 



236 Uebar Umwandlmig des meiikan. Axolott in ein Amblyitoiiia. 

Metamorphose eingebt. Man kennt ihn von dort nur 
in der Siredon-Form. Die Angaben, die ich darüber finde, 
rtthren von de Sanssure*") her, der selbst den Axolotl in den 
mexikanischen Seen ])eobacbtet bat. Dieser Forscher hat niemals 
auch nur ein einzi{,'e8 Amblystoma in der Näbe der Seen gefunden 
und »dotli ist die Larve fder Axolotl) dort so gemein, dass man sie 
zu Tauscndeu auf den Markt briug:t". De Saassare glaubt, dass 
der Axolotl sich in Mexiko nicht umwandelt. 

Dasselbe gibt ganz bestimmt Cope**; an, von dessen in 
Amerika gezüchteten Individuen von Siredon mexicanus auch 
in Gefangenschaft keines »Neigung zeigte, sich zu metamor])ho- 
fiiren «. Dagegen sab T e g e t m e i e r * * * bei einem von fUnf Indi- 
viduen, die aus dem See von Mexiko stammten, die Verwandlung 
eintreten und es ist somit aueh die zweite Thatsache festgestellt, 
dass auch der ächte und eigentliche Axolotl sieh 
unter Umständen in der Gefangenschaft in ein Am- 
blystoma verwandelt. 

Diese Bemerkung würde Uberflüssig sein, wenn es sich so ver- 
hielte, wie man lange Zeit glaubte, dass nlmlich die Pariser Axo- 
lotl deren Metamorphose snent beobachtet wurde nnd damals eo 
grosaei A.itfteben erregte, wüUieh Siredon mexieanna wSreo, 
• d. h. jener Siredon, der allein in seiner Heimath den Namen 
Axolotl flUurt. 

In seiner ersten lOttlieilang war Dnmöril selbat noch dieser 
Meinong; er nannte damals das Thier »Siredon mexieanna a. 
Hnmboldii«t) , später aber in seiner anaftthrliehen Arbeittf) 
Uber die im Fflansengarten beobachtete Umwandluig dea Axolotl 
widerrief er diese Ansieht nnd kam nach einer kritischen Beleneh- 
tnng der ftlnf beachriebenen Siredon-Arten an dem Schlosse, daaa 
die Axolotl, welche das Pariser Musenm besitzt, wahraehein- 
lich Siredon lichenoides Baird seien. 

Somit beaSgen sich alle die hu Europa beobachteten Umwand- 
inngen Ton AxoloÜ'n anf diese Art, denn — soriel mir wenigstens 

*) Verhmdl. Sdiweii. natuHbrieh. Oetellaehalt. Kniiedehi 1869. 
**, Dana «nd SiUhnan Amer. Journ. 3 S«iiM I. p. 89. Anitili nator. hist. 

m p. 24ü. 

•**) Proceed. soolog. soc. IbTO p. 160. 
f) Compt. rrad. Bd. 60, p. 766 (t86S). 

•H-) NovTellM AxehivM dn Museum dliwt. nat. Parii 1866, Bd. II. 8. 266. 



L.yi.,^uu Ly Google 



Ueber die Umwandlung des mexikao. Axoloü in ein Amblyttoma. 237 



twkaont ist — sind lie aUe AbkOmmUoge der Fkuriser Kolonie. 
Anch meia» Vennehstiiieie stammen mdirekt dorther. 

Damit stimmt m nnn freiUeh nieht, dasa die AmblyatomarFormi 
welehe Dam6ril ron seinen Axolotl*]i erhielt, am ersten noch mit 
der von Cope anfgesteUten Art A* tigrinum stimmte, ^rtlhrend 
fhr dnreh Marsh*} er&hren, dass Siredon liohenoides 
Baird sich in Amblystoma maTortium Baird umwandelt, 
wenn es überhaupt die Metamorphose eingeht. 

Marsh fand den Siredon lichenoides in alpinen Seen 
[7000' Uber dem Meere) im Südwesten der Vereinigten Staaten 
(Wyoming Territory) und erhielt ans ihnen durch Züchtung in 
Aquarien das Amblystoma mavortinm Baird. Er hält es 
indessen ftlr zweifelhaft, ob das Thier auch in seiner Heimath die 
Umwandlung durchmacht, freilich ohne rechte Begründung und 
aus rein theoretischen Muthmassungen, weil nilnilich nach seinem 
Ermessen »die kältere Temperatur dort wenij;er gUn^tig sei"'*]. 

Wenn ich die Richtigkeit dieser letzten Vermuthung bezweifle, 
80 geschieht dies nur, weil das Amblystoma niavortium im 
Naturzustande in vielen Theilen der Vereinigten Staaten gefunden 
worden ist, nämlich in Califurnien, Neu-Mexiko, Texas. Kansas, 
Nebraska und Minnesotah. Es ist indessen keineswegs undenkbar, 
dass die Art grade in den Alpeuseen, aus welchen sie Marsh 
erhielt, sich anders verhält in Bezug auf Metamor])h()se , als auf 
andern Wohngebieten, wie dies aus den weiter unten anzutUhren- 
den Beobachtungen über Triton hervorgehen wird. 

Somit glaube ich einstweilen, ehe weitere Beobachtungen vor« 
liegen, annehmen zn mttssen, dass die Pariser Axolotl nicht Sire- 
don lie^enoides sind, sondern eine dieser Art sehr nahe Ter" 
wandte, wabisdieiiitieh nene Art. 

Darauf kommt indessen bei der BenrtheSlmig des Umwand- 
Inngsrorgangea nieht viel an, wenn nur soviel feststeht, dass dieser 
Axolotl in seiner Hefanath die Metamorphose nieht eingebt, oder 
doeh nor ebenso ausnahmsweise, wie in Enn^. Leider findet sieh 



*} Pncead. Boaton 8oe. Vol. XIl. p. 97 ; S i 11 i m an Am«r. Jon». Vol. 46, 

p. 304; ein Heferat darüber in Troschcr» Jührcsbcnclit für I'^'',«. S. 37. 

**; Proceed. Boston Soc. XII. p. 97 ; Silliman Amer. Journ. i6, p. 364. Ich 
konnte die«« Schrift nicht lelbtt einsehen «id dtlra iiaeh dem Bttoit ia tn- 
•dMl't JafaiMhnicht fBr 18«6, p. 37. 



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238 Utber die Umwandlung im maukan. Axoloti in ein Amblytlona. 

in den Mittheilangen Damörii's nirgends eine genaue Angabe 
Uber den Fundort dieser ans »Mexiko« eingeführten Thiere; wahr- 
scheinlich war dieser ihm selbst unbekannt, und so kann ich nur 
nach der AutoritUt von Cope anftiliron. dass nueli nie ein Auibly- 
stoiua aus den slUUich von den rruviuzen Tamaulipas und 
Chilhuabua d. b. also Bttdiich vom Wendekreis gebracht wor- 
den ist 

Das gibt indessen auch keine Sicherheit. \ iel wichtiger ist 
die oben belegte Tliatsache. dass der Uchte Axoloti der Seen um 
die Stadt Mexiko sich dort niemals in eine Aniblvstoma verwandelt, 
dass aber atlcli diese Art in einzelnen Fällen in der Gefangenschaft 
die Metamorphose eingeht. Daraus nun und aus der Thatsache. 
dass aucli der Pariser Axoloti sich nur in sehr kleinem Procent- 
satz in der Gefaugenscbal't umwandelt, darf geschlossen werden, 
da 8 8 auch er in seiner Ileimath sich entweder gar 
nicht, oder nur sehr ausnahmsweise umwandelt. 

Allein noch eine andre Reihe von Thatsachen kommt bei der 
Baartheilniig der Umwmndlnngsgefldiichte sehr weeenHieli in Be- 
tracht, ich meine die Exietenz einer liemliehen Aniahl 
Ton Amblystoma-Arten im NatarmBtand. In der »Be- 
vision der Salamandriden-Gattangen«, welche S trau eh**) tot 
einigen Jahren gegeben hat, werden nach dem Vorgänge Ton 
Cope***} I wanzig in Kordamerika lebende Arten Ton Ambly- 
Stoma Tftohadi anfgefllhrt. Wenn nan auch einige dieser Arten 
nnr anf je ein Exemplar basirt sind and deshalb, wie Strauch 
mit Becht m^nt, »wohl mit der Zeit eingesogen werden müssen «, 
so bleibt doch immeriiin doe ganze Reihe von Arten Übrig, welche 
sicher als Amblystomen leben und sich fortpflanzen und welche Ton 
der Breite von New- York an bis zur Breite Ton Keu-Hexiko hin 
ihren Wohnsitz haben. Es gibt also sicher Siredon-Arten, 
welche auch unter ihren nattirlichen Lebensbedin- 
gungen regelmässig die Amblystoma-Form anneh- 
men und sich in ihr fortpflanzen, während es an- 
drerseits mindestens zwei Arten gibt, welche sich 

*] Dana and äiiliman s Amerik. Journ. 3 Scries, I. p. ^9; Annais of nat. 
hiat VII. p. 246. 

Proceed. Acail. Thilad. XIX. 1887, p. 1«6«>209. 
Uim. Acad. Peterab. Bd. 16. 



UeW die Umwandlung des mexikan. Axolotl in «in Amblystoma. 239 

unter ihren jetzigen uatttrlicben Lebensbedingungen 
nur als Siredon fortpflanzen. £b ist ttur eine andre Aa8> 
dmcksweise für diese Tbatsache, wenn man Mgt: der mexikani- 
sche Axolotl sowie der Pariser Siredon, heisse nun fliescr licheno- 
ides oder anden, steht auf niedrigerer phyle tischer Ent- 
wicklungsstufe als die übrigen Amblystoma- Arten , die sich 
in der Salamander-Form fortjjflanzen. Dagegen kann Niemand 
Etwas einwenden, wJihrend der andre, von allen Autoren entweder 
aus^'esprochene , oder stillschweigend vorausgesetzte Satz schon 
eine Theorie enthält . undzwaV, wie ich glaube , eine unrichtige, 
der Satz : der mexikanische Axolotl ist auf niederer phyletischer 
Entwicklungsstufe stehen geblieben. 

Alle Zoologen . die sieh Uljer die Umwandlung des Axolotl 
ausgesprochen haben und die nicht etwa wie ihr erster Beobachter 
noch in den Cu vier scheu Anseliauun^^en von der Unyeränder- 
licbkeit der Species befangen sind, fasstcu deu Vorgang so auf, 
als handle es sich dabei um eine Art, die l)isher durch irgend 
welche besondere Verhältnisse auf niederer Entwicklungsstufe 
zurückgeblieben sei und nun durch irgendwelche EintiUsse 
zum Fortachreiteu auf eine höhere Stufe augeregt wor- 
den sei. 

Aneh ich selbst habe lange Zeit nicbt geglaubt, dass sich die 
SMbe andfirs aniSuMn Hesse, so irenig ich «loli im Stande mt, 
alle Encheinnngen mit dieser Aoißueuug in Eänlüang zu seteen. 
So iDSSerte leb midi noeh im Jahre 1872 folgendennassen *j : 
» Wamm sollte nicht eine plotiliehe Yerindening aller LebensTor- 
hallnisse (üebersiedlnng Ton Mexiko nach Paris} eine direkte 
Einwirknng anf den Organismas des Axolotl gehabt haben, so dass 
er plOtslieb eine höhere Entwieklangsstnfe erreiehte, die viele 
seiner Verwandten Hingst erreieht haben, die offenbar in der Natnr 
seines Organismus liegt and die er selbst TieUeieht aneh in seinem 
Vaterland erreieht haben würde, wenn aneh spSier? Oder wSre es 
undenkbar, dass bei der plOtilichen Verseteang ans 8000' Uber 
dem Meere (meiikanisehes Hochland) in die Hohe von Baris grade 
die Bespirationsoigane dnen Anstoos in der nahe liegenden Ab- 



*) lieber den Einflme der IsoUrung auf die Artbildung. Leipzig 1872. 
fiaito 3S. 



240 Ueber die UmmndluDg des mextkan. Azolotl in «in Amblystoaui. 

änderang erhalten hätten ? Somit haben wir 68 aller Wahrschein* 
lichkeit nach mit einer direkten Einwirkung reiinderter Lebens- 

bedingnngen zn thun. 

Dass der Inhalt des letzten Satzes anch heute noch fest^halten 
werden mus«, versteht sich nach den oben mitgetheilten Versuchen 
yon selbst, die ja {gerade darthun, dass man durch Anwendung be- 
stimmter äusserer Einflüsse es bis zu einem gewissen Grad in der 
Hand hat. die Umwandlung henorzurufen. Gerade darin liegt das 
Neue, was diese Versuche gebracht haben. 

Aber sind wir damit auch gezwungen , das Phänomen als in 
der oben bezeichneten Weise aufzufassen? d. h. als plötzlich 
eintretende ge w i ssermassen mit einem Schlage er- 
folgende phyletische Weiterentwicklung der Artt 
Ich glaube nicht. 

Was mich zuerst an dieser AulTassuug irre machte, war der 
Anblick der lebenden aus meinen Axolotl- Larven erzogenen 
Amblystomen. 

Diese Thiere zeigen nämlich keineswegs blos in einzelnen 
Gharaktereneine Abweichung vom Axolotl, sondern sie unterschei- 
den sieh Ttm ihm schon in ihrem ganzen Habitus ; sie dififcriren ge- 
wisiermassen in allen Thellen, wenn anoh in manchen sehwScher, 
in andern stärker, knn sie sind gans andre Thiere ge- 
worden. Dem entsprechend leben sie auch gans anders, gehen 
nieht melir ins Wasser , sondern haltm sieh bei Tage gern im 
feaehten Moos ihres Zwingers Tersteekt, bei Naeht aber kommen 
sie hervor nnd snohen ihre Kahrnng anf dem Troekenen. 

Ich httte nun swar die grosse Versehiedenhdt iwisehen bei- 
den Entwieklnngsstn&n sehen ans den mir liogst bekannten ana- 
tomieehen Daten erkennen kSnnen, welehe Dnmiril aber den 
Ban seiner Amblystomen gegeben hat; allein das Znsammenlesen 
Tieler Detsilangaben gibt noeh kein lebendiges Bild, jedenfalls 
braehte mir erst der Anbliek des lebenden Thieres snm Bewnsst- 
sein, mit einer wie tief greifenden Umwandlung wir es hier zn 
thnn haben , dass dieselbe keineswegs blos dii^enigen Theile be- 
trifll, welche direkt von der Veränderung der Lebmsweise betroffen 
werden, wie die Kiemen, sondern dass diemeistetti wenn nicht alle 
Theile des Thieres einer Umwandlung unterliegen, welche zwar 
sehr wohl theils als morphologische Anpassung an nene Lebens- 



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Ueber die UmwmdlQiig d«« mmdkan. Axolotl in «in AmblystonMU 241 



Verhältnisse gedeutet werden kann , theils als Folgen dieser An- 
passungen 'eorrelative AI)jind(Tnngen] , ganz unniöglieh aber 
in Bausch und Bogen als pl<it/,lich ei ngetrctene Wir- 
kang dieser veräuderteu Lebensbediagungen. 

So wenigetens nach meiner Anschauung, nach welcher eine 
sprungweise Entwicklung der Arten in der Weise, wie sie hier vor 
sich gegangen sein mUsste, ganz undenkbar ist. 

Ich darf wohl annehmen, dass es bisher den Meisten mit der 
Metamorphose des Axolotl ähnlich gegangen ist, \y\e mir selbst: 
es kam ihnen nicht znm fiewQSstsein, wie weit die Umwand- 
ln ng geht; und so mag es zu erklären sein, dass auch die theo- 
retische Tragweite des Falles yon keiner Seite recht betont wnrde. 
Es ist aber offenbar ein Fall von ganz ungewöhnlicher principieller 
Bedeutung. Ich glaube, es lässt sich leicht zeigen, dass die bisher 
ziemlich allgemein angenommene Deutung der Umwandlungsge- 
schichte des Pariser Axolotl zugleich die Anerkennung eines sehr 
weit trügenden Prineips in sich schlicsst. Wenn niiinlicli diese Deu- 
tung die richtige wäre, dann wäre zugleich niciiu s Ei.iehtens, die 
Meinung derjenigen als riehtig erwiesen , welche wie Kö 1 1 ik c r , 
Askenasy, Nägeli uiul unter den Philosophen Ilartmann und 
Huber die Uinwaudiung der Arten in erster Instanz auf eine den 
Organismen iniiewtdinende Triebkratt zurllekillhren wcdlcn. anfein 
aktive.s, d. Ii. selhstthätiges » Entwicklungsgesctza , eine phylc- 
tische Lebenskraft. 

Wenn nämlich die zu Amblystomen gewordenen Axolotl als 
Indi%iduen aufzufassen sind , welche angeregt dnreli äussere Ein- 
flüsse der phyletisehen Entwieklnng der tlbrigen Individuen voran 
geeilt sind, dann kann dieser Fortschritt nur auf Kechnung einer 
phyletisehen Lebenskraft gesetzt werden, denn die Umwandlung 
ist eine plötzliche, sie liisst keine Zeit zu allmäliger Anpassung im 
Laufe von (jencrationen. Indirekter Einfluss der äussern 
Lebensverhältnisse d. h. Xaturzlichtung ist deninacli von vorne 
herein ausgeschlo.ssen, direkter Einfluss der veränderten Lebens- 
verhältnisse reicht aber bei Weitem nicht aus zur Erklärung der 
totalen Umwandlung des gesammtcn Baues , wie ich sie vorhin 
schon angedeutet habe und jetzt näher ausfuhren will. 

Die Unterschiede zwischen dem Pariser Axolotl und seinem 

W« i t ■ • n n , Stndienu II. 16 



242 U«ber die UnrnndluDg dM mezikan. Axolotl in ein Amblyftoma. 

Amblyrtoma sind naeh Dnmiril, KOUiker undiiieiBaii elgiMD 
BeobMhtangeB die folgenden : 

1) Die Eiemea Tenehwiaden, die Kiemeaapaltea leblieMen 
sieh nnd toh den SSemenbogea bleibt nor der ▼oidento besteben» 
die hinteren venehwinden. Zogldoh Terindert sieh das Os hyoi- 
denm (DnmAiil). 

2) Der BttelEenkamm yersehwindet rollstKndig (Damöril). 

3) Der BoderMhwans wandelt sieh in einen salamander-llin- 
lichen Sehwaai nm (D nm 4 r i I ) , der indessen nicht wie dort dieh- 
mnd, sondern etwas roa der Seite her zasanunengedrilokt ist 
(Weismann.) 

4) Die Haat bekommt gelblieh weisse^ nnregelmüsslg an den 
Seiten nnd dem Bttoken vertheilte Fleeke, (Dnmiril] während 
zugleich ihre früher granschwarze Omndfarlie sich in ein glänzen- 
des Grün schwarz nmwandelt (Weismann); daneben verliert sich 
die schleimige Hantseeretion und die Hantdrttsen werden nndentlich 
(Kölliker). 

5) Die Augen werden vorstehend und die Papillen eng KJil- 
liker) und es bilden sich Augenlider, welche das Auge vollstän- 
dig Bchliessen können, während beim Axolotl nur eine schmale 
Ringfalte das Auge umgibt, so dass dasselbe nicht geschlossen 
werden kann Weismann). 

Gl Die Zehen verschmälern sich und verlieren ihre hautartigen 
Anhänge Kölliker , oder pMiauer die halben Schwimmhäute, 
weh he das |>roximale Ende der Zehen an allen Fussen verbindet 
(Weisni a n ii ' . 

7> Die (lauinenzähne stehen bei diesem, wie bei allen Amblv- 
stomen in einer (iuerreihe , während sie beim Axolotl ähnlich wie 
bei den Triton- i.arven an der Seite des Gaunien^^ewülbes stehen in 
Gestalt eines l)OgentVuini^ gekrllniiiiten . mit mehrfacher Zahnreihe 
besetzten Bandes'; ^Dum^ril siebe dessen Abbildung a. a. 0. 
S. 279). 

*; Dum^ril lässt die Zfthne des Vomer von denen des O« palatinum durch 
eine Lücke getrennt sein. Wahrscheinlich war dieselbe eine künstliche, da 
üegenbaur (Friedrich und Gegeubaur, der Scbidel des Axolotl, 
WOnburg 1849) den Zahiutreifen ohne Unterbreebong Ton einem auf den an^ 
dern Knochen übergehend abgebildet. Ebenso verh&lt es sich bei den Axolotl'll» 
welche ich darauf untersuchen konnte ; übrigens iit dieaa kleine Diffemi in 
dar hier behandelten Frage ganz gleichgültig. 



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UtlMT die UmwMdluDg d«« »«dkm. AkoIoiI in »in Amblyitoim. 243 

8) Beim Axolotl trägt der Unterkiefer ausser den Zähnen auf 
dem oberen Rand des Knochens noch «de trcs-petites dents dis- 
pos6es 8ur plusieurs rangs«; diese letzteren schwinden nach der 
Metamorphose (Dumöril). Ich füge hinzu, dass die bleibenden 
Zähne dem Os dentale des Unterkiefers angehören, die vergäng- 
lichen dem Oh operculare •) . 

9; Die hintere Flüche der Wirbelkörper ist leicht ausgehöhlt 
TOr wie nach der Umwandlung; die vordere aber ist beim Am - 
bly Stoma weniger concav, als beim Siredon (Dumöril). 

Die OBter 7 und 9 angeführten Angaben DamiriTs habe ich 
bii jetzt noch nicht eonatatiren kDnnen, da ieb' keine« meinet 
lebenden Amblyatomen nur deshalb (OdliBn wollte, um die An- 
geben eines Fonchen an bestätigen, dem man' darin gewiss toU- 
sündigeii Vertraoen schenken darf. Ebenso habe ich die Umwand- 
lang der Kiemenbogen noch nidit naehgeseben, alle Übrigen von 
Kolliker oderDumöril gegebnen Daten kann ieh Tollkommen 
bestätigen. 

Die Unterschiede im Ban, welche swisdien Axolotl' nnd Am- 
bljstoma bestdien, sfaid bedentend gritosere nnd gewiohtigerei als 
sie Aschen benachbarten Gattongen, ja giOsser als sie iwischen 
den Familien der Urodelen sich finden. Die Gattung Siredon 
. gehört ohne allen Zweifel sn einer andern Unterordnung» 
als die Gattung Amblystoma, In welche sie sich gelegentlich 
nmwandelt Stranch, der neueste Systematiker dieser Gruppe, 
unterscheidet' die Unterordnung der Salamandrida von der der 
Ichthyodea durch den Besitz von Augenlidern und durch die 
Stellung der Ganmenzähne in einfacher Reihe am hintern Rand des 
Gaumenbeins, während bei den Ichthyodea die Lider fehlen 
und die Gaumenzähne entweder am »Vorderrand des Gaumenbeins 
stehen«, oder »als burstenförmige Haufen die ganie Oberfläche der 
Gaumenplatten bedecken «. 

Wie wäre es nnn möglich, derartige weit auseinander stehende 
anatomische Charaktere als Umwandlungen zu betrachten , die 
durch einmalige Einwirkung abweichender Liebenflbedingungeu 
plötzlich hervorgerufen worden wären? 

*) Siehe O. Hertwig „Uebar des ZahnqrateBi der Anpliibieii und seine 
Bedeutung fQr die OencAe den Skeielt derMnndiiOlüe*'. Afeh. f. nUerow. Anat. 
Bd. XI. Supplementheft. 1874. 



244 Ueber die Umwandlung du» tuexikan. Axolotl in ein Aniblyiitoma 

Und mit dem Ansfitll der alten und der Entstehung neuer 
GanmensXlme gebt Hand in Bind eine Verlndemng im ana- 
tomischen Ban der Wirbelsftnle and — wie wir ans KOlliker's 
ganz richtiger Bemerkang Uber das Aufhören der schleimigen Hant- 
Bckrction echUeseen dürfen — in dem liistologisdien Bau der Bant 
vor sich ! 

Wer wollte es nnternehnien, alle diese tiefgreifenden Verän- 
demngen als direkte und plötzliche Wirkung irgend welcher ein- 
mal einwirkenden änpscm Einflüsse zu erklären? Und wenn 
selbst Jemand Neigung hätte, dieselben etwa als Folgen des 
Wegfalls der Kiemen, demnach als correlative Ab- 
Uti (1 0 r n n ix e u zu deuten, was wäre eine solche Correlation anders, 
als die iuii;,^et;iuftc ]Thyletisclie Lebctiskrnft' 

Denn wenn von einer dureli direkten EinHiiss äusserer Agen- 
den gesetzten Aliiindcning aus der ganze Küri)er sieli durch Corre- 
lation in ein paar Tn^^tu grade so in allen seinen Tlicilen uui- 
waudcln kann, wie es f 11 r d i e u e u e n L e 1) e u s b e di n g u n g e n , 
in denen er v(m nun an leben soll, am angemessensten er- 
sclieint, dann ist das Wort »Correlation« nur uoch eine Thrase, 
dureb die Nichts erklärt, wohl aber der Versuch einer besseren Er- 
klärung verhindert wirdi Dann ist es vorzuziehen, wenn man sich 
eiufaeli zu dem tllauben an eine pbyletische Lebenskraft bekennt. 

Es ist übrigens gar nicht statthaft eine derartige Erklärung 
auch nur versuchen zu wollen, denn wir kennen ja Urude- 
len, welche in erwachsenem Zustand keine Kiemen 
haben und dennoeh alle übrigen Merkmale der Ich- 
thyodea besitzen: Mangel der Augenlider eharakteristiseher 
Typus der Gaumenzthne und des Zungenbebapparates ; so die 
Gattungen Amphinma L., Menopoma Barl, und Crypto- 
branohus d. Hoer. Die lieiden ersten Gattungen besitzen be- 
kanntlich noch Eiemenspalten, Cryptobranehns dagegen liat 
sogar auch die Kiemenspalten rerloren , die bei ihm ganz wie bei 
Amblystoma Ton der Haut llberwachsen sind, und dennoeh ist 
er nach dem Übereinstimmenden Zeugniss aller Systematiker 
ein lichter Fiscfamolch nach Habitus, Zungenbeinapparat, Gan- 
menzShnen*) u. s. w. Es kommt noch dazu, dass auch der 



*} Siehe Streu ch a. e. O. 8. 10. 



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IT«b«r die Unwandluag det mesikan. Axolotl in ttn Amblyttonift. 245 

Axolotl selbst die Kiemen verlieren kann, ohne des- 
halb schon sich in ein Aniblystoma nmznwandeln. 
Ich habe oben erwähnt, da^^s hei Axoh)trn, die in flachem und luft- 
armem Wasser gelialtcn werden, häufig die Kiemen sieh verklei- 
nern, es kommt aber auch vor, dass sie ganz zusammcuschruuipt'en. 
Ich besitze einen in Spiritus konsrrvirten Axolotl, bei weleliem (Jie 
Kiemen bis auf kleine unregelmiissige Höcker zusammengeschrumpft 
sind, zugleicii fehlt der KcUkenkamm so vollständig, dass sogar an 
seiner Stelle eine I^ängsfurche entstanden ist. und auch am Schwanz 
ist der Hauptsaum am untern Rand vollständig, am oberen etwa 
zur Hälfte geschwunden. Trotzdem ist das Thier vom Bau des 
Amblystoma weit entfernt, es besitzt den Kiemeubogenapparat, die 
Gaumenzähne, die Haut u. s. w. des Axolotl. 

Dies beweist also, dass der Wegfall der Kiemen 
keineswegs immer alle die andern Umwälzungen 
nach Biob ziehen muss, welche wir bei der Meta- 
morphose des Axolotl vor sich gehen aelien, dass 
diese also keineswegs die nothwendig nndnnmittel- 
bar eintretende Folge jenes Wegfalls sind. 

Ob sie nach langen Qenerationsfolgen eintreten mOssen, ob 
aiieh die Nachkommen von Cryptobrandins dereinst Salamandri- 
denban annehmen werden, das ist eine andre Frage, die ich nicht 
geradezu remeinen möchte, die aber hier gar nicht in Betracht 
kommt, wo es sich nnr mn eine etwaige plötzliche Folge des 
KiemenwegfiiUB handelt. 

Die Frage scheint mir demnach so zn Hegen: Entweder 
ist nnsre bisherige Auffassung der Umwandlungs- 
geschichte des Axolotl als einer Weiterentwicklung 
der Art unrichtig, oder die Existenz einer phyle- 
tisehen Lebenskraft ist eben durch den Fall Tom 
Axolotl unwiderleglich bewiesen. 

Es fragt sich nun, ob das ThatsUchliche dieser Umwandlungs- 
geschichte nicht auch einer andern Deutung fähig ist / 

Ich glaube, dass dies allerdings müglich ist und dass sich 
eine andre Deutung sogar mit einem ziemlichen Grad ?on Wahr- 
scheinlichkeit als die richtige erweisen lässt 

Ich halte diejenigen Amblystomen, welche sich 
in der Gefangenschaft aas Siredon mexicanas 



246 Ueber die Umwandlung de« nesikan. Asolotl in ein Amblyiton«. 

(8. pisciformis] sowie aas dem Pariser Axolotl, ia 
einzelnen Fftllen «stwiek^lt haben, nieht CUr Fort- 
BohrittB-, iottdernf1lrBnck8cbUgtforinen,ieh gUnbe, 
dasB dieAzolotl, welche hente die Seeen von Mexiko 
bevölkern eine geologiiebe (oder bester soologisehe) 
Epoche frttber bereita Amblyatomen waren, data 
sie aber durch Verftudernngen in ihren Lebenabe* 
dingnngen wieder auf die frühere Stufe der Peren- 
nibranehiaten snrttekgesnnken sind. 

Ohne Zweifel bin ich n dieser Anffiusuig snerst durch die 
Besnlt^ gefthrt woiden, welche sich mir ans mrinen Stadien Uber 
den Saison-Dinunphismiu der Schmetterlinge ergeben hatten^. 

Auch dort bandelt es sich am swei Tcrschiedene ISestalten, 
anter welchen ein and dieselbe Art anftritt and von wdchen sich 
ab wahrscheinlich nachweisen ttsst, dass die dne die phyletisch 
altere , die andere die jüngere ist. Die jtlngeie Sommerform ist 
nach meiner Anscbanang durch allmiliigc Erwärmung des Klima*s 
ans der in einer frtlheren soologischcn Epoche allein vorhandenen 
Winterforro henrorgegangen , aber diese, die primäre Form, hat 
darum nicht aufgehört zu existiren, sondern wechselt heute noch in 
jedem Jahre nls Winterform mit der seknndären, der Sosomer-» 
form, ab. 

Es gelingt nun bei den eaison- dimorphen Schmetterlingen 
leicht , die Somnierbrut dazu zu bewegen , die Winterfunn anzu- 
nehmen und zwar dadurch, dass man ihre Puppen längere Zeit 
einer niederen Temperatur aussetzt, und es lässt sich in hohem 
Grade wahrscheinlich machen, dass diese plötzlich eingetretene, oft 
sehr weit gehende Abänderung oder Umwaiuilung nur scheinbar 
plötzlich entsteht und nur scheinbar die Fol^e einer einmaligen, 
nur bei dieser Generation einwirkenden Kälte ist, dass sie vielmehr 
in Wahrheit auf Rückschlag zur primären Form der Art beruht, 
dass somit die einmal eintretende Kälte nur der Anstoss zum 
Rückschlag, nicht aber die wahre Ursache der Umwand- 
lung ist. Diese muss m'lmehr in der laugduueruden Einwirkung 
der Kälte gesucht werden, welcher Tausende von Generationen der 



*) Siehe : diese Studisn. I. Uaber den 6iueoa>Diaioiphiimu» ^ Sf^etr 
teriinge. Leipijg 1676. 



uiyui-iuu üy Google 



Ufber dit Umwandlmg dM mnäkm. Asolotl in «in Anbljaloau. 847 

Vorfahren unsrer heute lebenden Schmetterlinge nnterworfen waren 
und deren Endresultat ebeu die Winterform war. 

Nehmen wir nun einen Augenblick an, meine eben gegebene 
Deutung der UmwaudlungsgcBchichte des Axolotl gei richtig, so 
hätten wir hier Verhältnisse, die denen des Saison-DimorphismDB 
in maneber Beziehung analog wären. Zwar wechseln hier nidit 
■wiir beide Fonnen regehnässig miteinander ab, aber die primSfe 
Foim kann gelegenttieh und zwar dnnh AneiOM ttnnerer YerldUt- 
naee an Stafle der eekuidären auftreten. 

Wie es dort gelingt die Sommeiiinit dnreh länwiiknng von 
Kllte com An^ben der Soeunerfonn ond aar Annabme des Win- 
terkleides sn bewegen* so gelingt es hier, die Azolotl dnreli 
NUdiignng aar Laftatlunnng anf riner gewissen Allersstafe in den 
AmUystoma-Znslaind Ubenaftthrea nnd weiter: wie beim Saison- 
DimorpMuniu es sieh naehweiBen iSsst, dass diese knnsHieh her- 
▼oigwnfene Umwandlung nnr seheinbar eine pUKaliobe Nen- 
gestaltang ist, in Wabrhdt aber ein Rllekseblag anf die viel iltere 
Winterform, so hätten wir es aneb hier nicht mit einer wirk- 
liehen Nengestaltnng te Art in tbnn, sondern aar mit einer 
seh e inbaren , einem Bttsksehlag anf die phyleCiseb Iltere Fonn 
der Art. 

Das klingt nnn freilich sehr paradox , insofern hier eine Fonn 
durch Rückschlag entstanden sein soU, welche doch als die höher 
entwickelte unzweifelhaft gelten muss. Ich glaube aber, dass 
bei näherer Betrachtung sich viel von dem Paradoxen TerHeren 
wird, was in dieser AufiTassung zu liegen seheint. 

Vor Allem ist zu bedenken, dass die phyletische Entwicklung 
der Arten keineswegs immer grade vorwUrts gegangen zu sein 
braucht. Wir haben ja Beispiele genug von lülckentwicklung, 
wenn auch in ziemlich anderem Sinne, so bei Parasiten und bei 
Kolcben Formen , welche von freier Ortsliewcfrung- zur sedcntüren 
LebeiiswciHe herabgesunken sind. Ich verkenne nicht den l'nter- 
Bchied, welcher zwischen dieser Art der RUckentwicklung durch 
Verkümmerung bestimmter Organe uudürgansysteme und zwischen 
förmlichem Rückschlag besteht. Letzterer ist die Rückkehr 
zu einer schon einmal dagewesenen Thierform, im 
ersteren Falle aber wird trotz aller Vereinfachung der Organisation 
doch immer etwas ganz Neues gebildet. Ich vermag aber 



248 Uab«r di« Umwaadliiiig da« HMcdku. Axobti in ain AnUyitona. 

nichts principiell l'ngereimtes in der Anuahme zu sehen, dass auch 
ein fJirnjIicher Rückschlag, sei es einer ganzen Art, (xler doch der 
Artgenossen eines hestinimtcn Wohn^xchietes als möglich ge- 
dacht wird und ein weiteres Zugeständniss verlange ich vorläufig 
nicht. Warum sollte es z. Ii. so ganz undciikltar sein, dass der 
Axolotl schon in einer längst entschwundenen Zeit sich dem Land- 
leben angepasst, dass er allmUlig durch direkte und indirekte 
Wirkung yeittnderter Lebensbedingungen die Salamanderfonn sich 
erworben hatte, spMter nber bei tob Neoem eintretenden , seber 
augenblieklielien Oiganisation ungünstigen Verftndeningen der 
LebensrerhttltniaBe wieder in die alte oder doeh eine ilur nah&- 
stebende Form snittGkge&llen ist? * 

JedenMs enthält eine solohe Annahme Niehls, was mit be- 
lunnten Thatsachen in Widerspruch stttnde, dann aber liest sie 
sieh in mehriaoher Weise stutzen und sehliesslieh empfiehlt sie sich 
dadurch, dass sie — nach meiner Ansieht wenigstens — die 
einzige annehmbare Erklärung der vorliegenden Thatsachen 
Uefert. 

Die oben enriihnte Existenz einer ganzen Beihe von Ambly- 
stoma-Arten beweist einmal, dass Siredon-Arten sich zur Salaman- 
derform auftchwingen und in dieser sieh regelmässig fortpflaosen 
können und femer: dass dieser ptcyktische Fortsdiritt bei vielen 
Arten thatsäohlich bereits stattgefnnden hat 

Dass aber auch ein Zurücksinken von dieser böhern Ent- 
wicklungsstufe auf die niedere eintreten kann, das beweisen mehr- 
fache Beobachtungen an unsem Wassersalamandem. 

Es ist bekannt , dass Tritonen unter Umständen — wie man 
sich gewöhnlich ausdruckt — »im Larvenzustand geschlechtsreif« 
werden. 

Im Jahre 1864 fand de Filippi*} in einem Snmpf amLago 
maggiore fünfzig Tritonen, von denen nur zwei den Bau des ausge- 
wachsenen Wassersalamandors aufwiesen, alle Übrigen aber ihre 
Kiemen nocii besassen, dennoch aber in Körpergrössc und Ent- 
wicklung der Geschlechtsorgane mit reifen Thieren ttbereiustimm- 
ten und zwar in beiden (ieschlechtern. 

Filippi stellte fest, dass diese »gescblecbtsreifen Larven« 



*) SttU« lanra del Thtoa alpestrii. Archivio per la Zoologia. Torino, 1861. 



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Uvbtr die Ummuidliiag dei m«dk«D. Aiolod in du AmblTftoma. 240 



nicht blo8 änsBerlieh durch den Besitz von Kiemen Larven glichen, 
sondern duss sie auch alle ül)ri;ircn anatomischen Merkmale der 
Larven darboten d. h. die charakteristischen , zu Ijeiden Seiten 
stehenden liaufeu von Gaumenzähnen an Stelle der späteren ein- 
fachen Reihe und eine Wirbelsäule, welche noch in ihrer ganzen 
Länge von der Cliurda dorsalis durchzu^eu ist. 

Nach meiner AutVassung würde dies ein Fall von Rück- 
schlag des Triton auf die zmiftchst hinter ihm lie- 
gende phyletische Stufe, die Perennibranchiaten- 
stafe sein, und Ib dieaem Falle werden weil die meisten 
Zoologen, welche ttbeihanpt anf dem Boden der Desoendenstheorie 
stehen, meiner Anffiuffiang beipflichten. leb wenigstens' würde es 
Atr ein nntdoses Wortspiel halten, wollte man hier tob Larven- 
MpOtaamg sfireehen und glauben Etwas damit erklart an haben. 
Allerdings wird das Thief in demselben Znstande g»- 
sddeditsreif, in welchem es als Larve sneist auftritt, aber eine 
Einsieht in das Wesen dieses Yoigangs erhalten wir erst durch die 
Erwlgong, dass diese sogenannte »geschleohtsreife Larve« genau 
den Bau besitst, welchen das vorhergehende phyletische Stadium 
der Art besessen haben muss, dass somit ein lückschlag des Indi- 
viduums auf das lltere phyletische Stadium der Art vorliegt. Ich 
halte es fUr irrig, wenn Dumöril diesen Fall yom Triton in 
Parallele stellt mit der Sehten Larvenfortpflanzung der Wagner - 
sehen Gecidomyienlarven. Dort ist es gewiss nicht ROckschlag 
auf ein älteres, phyletisches Stadium, was die Larven fortpflan- 
snugsfühig macht , denn diese Larven stellen eben ttberhaapt kein 
älteres phyletisches Stadium der Art dar, sondern mUssengleich- 
seitig mit dieser entstanden sein. Die ungeheure Diffe-^ 
renz im Bau der Larve und der Fliege erklärt sich nicht daraus, 
dass Letztere nachträglich aus Ersterer als einer fertigen, gegebe- 
nen Grösse entstanden ist, sondern daraus , dass beide gleichzeitig 
sich an immer weiter auseinander weichende Lebensbedingun{?en 
angepasst haben*) . Phyletisch betrachtet sind diese Larven durch- 
aus kein noth wendiger Durchgangspuukt fllr die Entstehung der 
Fliege. Sie konnten auch ganz anders gebaut sein , ohne dass die 



* Vorgl. aoeh Lubbook: OnfheOriglo and MetamorplKMMof Im«eli. 

Ltiiuloa i$74. 



250 Ueber die ümwandlong des roesikan. Axolotl in ein Ambljstoma. 

€Mrifc der FUetge dttinreh eMiUte fwindert woricp vi «ein 
bimnohle, dam die Stedifln der InunktwiiiwiiMnoiphoee ▼eiiadam 
■ieh onabhiBgigToneiiiaiider, entopraoboiiddeDLebeDsbediiigiiiigeD, 
welehfln lie imterwoifiNi eind, uid fiben anÜBuiaiider gar keiiMii, 
oder doeh nnr einen sehr geringen finnabeeHiMMindwi Binfln« ms, 
wie oben in der zweiten Abbendlnng anefttbiileh dugelegt wude. 
Jedenfidb ist BdkFHhigkmtdieMr Larven (der Ctoeideni^ sieh 
nngesebleehilieh sn Temebren , ent sefamdXr erworben worden, 
wie sdum duMW berrorgebt, dass es lablreiehe Arten derseibeii 
Müekengattnng^t, wekhe niehtienunen. «In der Gestalt, wekke 
sie heute bedtsen, können sie niemals die Bolle des Endstadinma 
der Ontogenese gespielt, können also nneh nicht etwa früher die 
Fiih^ettgew)iileehtiieherFor4»flansnng besessen habent*). Knn, 
wir liaben es hier mit äohter Lanrenfortpflamong n fhnn, bei den 
Tritonen aber mit Rttcksdilag auf ein älteres pbyletisches Stadium. 

Aach mit meinem Freunde H a e c k e 1 kann ich nicht einver- 
standen sein, wenn er gelep:eiitlich den HUcksehla^^ der Tritonen 
als »Anpassung« an das reine Waaserleben bezeichnet**). Man 
würde hier doch nur dann von »Anpassung« reden können, wenn 
man das Wort in einer ganz andern Bedeutung nimmt, als in der, 
in welcher es Darwin und Wallace in die Wisaensobaft einge- 
führt haben. Jene Forseber bezeichneten damit eine allmälige im 
Laufe von Generationen eintretende Umbildung des Körpers, ent- 
sprechend den neuen Erfordernissen neuer Lebensbedingungen, 
mit andern Worten: die Wirkung der KaturzUehtung, nicht aber 
die Folge einer einmalig und hei einer Generation plötsliob ond 
direkt wirkenden Abänderungs-Ursacbe. 

(ieradc weil das Wort nAnpassung« dem gew^öhnlichen Sprach- 
gebram li nach sich in gar mancherlei .Sinn verwenden lässt, wäre 
es wüu8chenswerth dasselbe nur in einem genau präcisirten Sinne 
zu nehmen , vor Allem nicht da vtm Anpassung zu reden, wo gar 
keine morphologische Aenderung vorliegt, sondern nur eine 
Art von Functionswechsel im iSiDQe Dohm 's*'*). So z. B. wenn 



*) ^he meine Schrift „lieber den Saisou-DimorphismuB der SduMttir- 
linga*', Leipsig 1875, 8. 60. 

*•) Siehe ÜMckalt Anthropogenie S. 449. 

" ' * Der Urtprung der Wirbelthim und 4tm Friacip dM FoaetioiuweobMls. 

Leipzig Ibiä. 



L.y u.^uu Ly Google 



ÜdMr di« Umwuidluiig da« aiMdkaa. Axolotl in «in Anlilyttoim. 2St 

Forel*) nachweist, dass SüsawasBcr- Lungenschnecken, deren 
Organisation auf direktes Athmen der Luft berechnet ist, dennoch 
auch in den grösBten Tiefen der Alpenseen sich ansiedeln konnten, 
indem sie ihre Lungen wieder als Kiemen verwendeten. Dass 
hierbei nicht die geringste Veränderang an den Lungen stattgefun- 
den hat, beweisen die Beobachtungen von Siebold's**}, der 
Pnlmonatea flaeher Gewässer abwechselnd ihre Lun^n za direkter 
Loftedimang aadmr WaseeiatlnDiiiig Terwenden sah, Je nacbden 
der Lnf^ehalt des WaaseiB ein geringer oder dn bedenteiidsr vm. 
Wonta man ndt tob Siebold auf solche Fülle das Wort »Alt- 
passmig« sehleehtidn anwenden, so veilOre dasselbe den speeielkn 
Shm, der nrsprUnglieh mit ihm gemeint war, als Tenninns teehni- 
ens mttsste man das Wort aufgeben; doch Hesse sieb etwa ¥00 
physiologiseher Anpassung reden. 

Jeden&Us liegt bei den fortpflansnngsfthigen Tritonen-nLar- 
Ten« sowonlg ehi FUl Ton Xditer Anpassnng vor, als bei dem aus- 
nahmsweise rieh snm Ambllystoma umwandehulen AzoloÜ. In 
heiden FUlen ist aneh die betreifende Umwandlnqg dniehans nicht 
unerlSssUch fttr das XiOben des Indiridnums. Bäh (kiS' 
meolose) Tntonen dauern, wie ich sehe, viele Monate, wahrseheb- 
Heb auch Jahre kmg in tiefem Wasser aus, obgleich sie auf reine 
Lungenathmung angewiesen sind, und Axolotl kDnnen, wie ieh oben 
bereits enfllhrte, ganz woU Jahre hing in seiohtem und Infiannen 
Wasser aushalten. Wenn ihre Kiemen dabei schrumpfen, ja TOUig 
verschwinden kOnnen, so ist auch dies nicht Anpassung im Dar - 
w i n'scheu iSinue, sondern Folge direkt wirkender äusserer £inflttsse, 
hauptsächlich wohl des verminderten Qebranehs. 

Ein dem Pili pp i sehen Falle ganz analoger wurde 1869 von 
Jttllien beobachtet. Vier in einem Snmpfe geisohte weibliche 
(dunren von Lissotriton panctatns Bell (Synonym fttr Triton 
taoiiatus Schnd.) erwiesen sich als geschlechtsreif- Sie enthieltca 
in ihren Ovarien reife , zum Ahlegen fertige Eier und zwei davon 
legten auch wirklich die Eier ah. Vier männliche Larven, welche 
in demselben Rumpfe gefangen waren, zeigten sich zwar in Bezug 

•) Bull. äoc. Neuchiktei. Bd. Vlil, p. m, ein Refent darCber io Trosohers 
/•hNdMtiehtl&r ises. 

**} Sitmngabtriohte d. nath. phjn. |Umm 4m Ah»d. d. WUi. su M0a«beii 
1S75. H«ftl. 



252 0«ber die Umwiindlung im mexikan. AxoloÜ in ein Amblyetoott. 

auf Körperp:r}>sse ebenso entwickelt, enthielten aber in den Uoden 
keine Samentäden. sondern nur TiSaraen-Mntter/ellen«*). 

Einen dritten derartigen Fall linde ich von Leydig in seinem 
an interessantem Detail reichen Aufsatz »Ulier die Molche der 
wllrttend)ergi8chen Fauna« angefllhrt*"' . Seh reihers, der ehe- 
malige Direktor des Wiener Natiinilienkahiuets, fand ebenfalls 
»Larven« von Triton mit sehr entwickelten Kiemen, al)er von der 
Körpcrgrösse ausgewachsener, mannbarer Individuen«, und — 
wie die anatomische Fntersuchnng lehrte — mit sehr »entwickelten 
Geschlechtsorganen«, zumal mit von Eiern strotzenden Ovarien. 

So steht es also fest, dass Arten, welche die Salamandriden- 
8tnfe in der phyletischen Entwicklung läng!>t erreicht, gelegentlich 
auf die Perennibranehiaten - Stufe zurtleksinken können. Offenbar 
Hast diese Thatsache meine Anifassang der Axolotl als Rückschlags- 
formen vid weniger paradox erscheinen, ja die Rttckachlag-Fälle 
Ton Triton sind geradeso Analoga des Vorgangs, den ich Ar die 
Azolotl sapponire. 

Wir Irnndien nnr an die Stelle der Tritonen Amblystomen sn 
setsen nnd ans den Sumpf, in welohem de Filippi seine >ge- 
schlechtsrdfenTritonenlarven« &nd, zum See von Mexiko emeitert, 
sowie die unbekannten and hier vielleicht Torttbeigehenden Ur- 
sachen des Rückschlags als danernde va denken, so haben wir 
Alles, was zur Herstellnng der Axolotl, so wie wir sie heute kennen 
nothwendig ist, wir erhalten eine Ferennibranehiaten- 
BevOlkernng des Sees. 

Es ist noch nicht einnuU ansgemacht, ob in jenem Snn^fe 
de Filippi's nicht etwa wirklidi andanernd die Perennibran- 
chiaten-Form des Triton Torherrscht, denn mdnes Wissens ist der- 
selbe seither nieht wieder darMifhin nntersncht worden. 

Nehmen wir aber einmal fUr einen Augenblick an, es yerfaielte 
sich wirklich so, es lebte dort eine Kolonie geschleditlich rieh fort- 
pflanzender Perennibranchiaten-Tri tonen, wUrden wir uns wundem, 
wenn ans deren Brut gelegentlich auch einmal ein ächter Triton 
hervorginge , wenn es uns gelänge die meisten Individnen dieser 
Brut durch Versetzung in flaches Wasser znr Metamorphose in 



*] Comp. rand. T. 68, p. 938 tt. 9M. 
ArahiT f. Nataxgwehiehte 1867. 



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Ueb«r die Umwandlung des mexikan. Axoloü in ein Amblystoma. 253 



Tritonen za bewegen t Gans so verhält es sieh aber naeh mdner 
Ansebaamig bei dem Axolotl von Mexiko. 

Ich brauche mich aber nicht darauf sn besehrlnken meine 
Hypothese sn sttttsen, sondern mnss anch direkt die Haltbarkeit 
der bisher angenommenen bestreiten, denn sie steht in Widerspruch 
mit Thatsaehen. 

LSge beim Axolotl wirklich eine plOtslich eingetretene phyle- 
tische Fortentwieklnng toFi dann bliebe efaie Thatsache TOllig on- 
▼erständUeh, nämlieh die Sterilität der Amblystomen. 

Von den etwa dreissig Amblystomen, welche Dnmöril bis 
znm Jahre 1870 erhalten halte, war bei keinem Einzigen volle Ge- 
schlechtsreife eingetreten , weder PaaruDg noeh aneh blosse Eiab- 
lage war Yorgekommen nnd die anatomisch untersnchten Indivi» 
dnen zeigten die Eier unreif und die Spermatosoiden /war vorhini- 
den, aber ohne die allen Salamnndriden zukommende undulirende 
Membran, zwar nicht ohne alle Beweglichkeit, aber wie Qnatre- 
fages feststellte, nur »unvollkommen beweglich«'). 

Auch die fUnf Amblystomen, Uber welche ich hier berichtete, 
zeigten bis jetzt noch keinerlei Fortpflanzungserscbeinnngen. 

Es ist offenbar ein sehr wenig stichhaltiger Einwand , wenn 
Sacc*") die Sterilität der aus Axolotlen erzogenen Amblystomen 
von n sclilecliter Ernährung « herleitet. Warum ptliinzeu sich denn 
die Axolotl so leicht fort, die doch ganz gleich ernährt werden? 
Ich kann auch noch ausdrücklich versichern , dass meine Ambly- 
stomen ganz vortrefflich ernährt sind. Allerdings haben dieselben 
jetzt kaum das Alter von 2 Jahren erreicht, allein die Axolotl 
pflanzen sich im zweiten Jahre bereits fort nnd die Dnmörirscben 
Amblystomen waren 1870 znm Theil schon 5 Jahre alt. 

Die Thatsache der Sterilität steht in grellem Widerspruch mit 
der Auffassung , als seien diese Amltlystomen die regulären Vor- 
posten der sich phy letisch weiter entwickelnden Gattung Sircdon ***). 

Compt. «end. V. 70, 18T0. 
••) Bull Soc. Neuchltel. Bd. Vm. S. 191; «tnB«fmtdvOb«rmTh»aoh«r« 

JaliKtbericht für 1869. 

***> Neuerdings theilt lUanchard Inden Compt. rcnd. (1875, No. 13, 
p. 71«) mit» dau „ dai Amblyttoma von Mexiko, die auigeiraehsene Form der 

Axolotl zum ersten Mal in der Menagerie des Museums Eier gelegt hat". Lei- 
der sind die thats/Vchlichen Angaben dicicr Notiz so ungenau und so tendentiös 
gefArbt, das8 ea unmöglich ist, irgend welche Schlüsse daraus su ziehen. Weder 



254 Ueber die Umwandlung des nmikan. Axolotl in «in Amblyitioiiia. 

Ich will zwar keineswegs behaupten, dass meine Kllckschla^- 
theorie die Sterilität wirklich erklären könne, aber sie steht doch 
wenigstens nicht geradezu in Widerspruch mit ihr. Blosse Rtlck- 
•oUftgBfbrmen kdnnen zu Grunde gehen, ohne sich fortzupflanzen, 
die dmroh das Wiifceii dner phyletischen Lebenskraft henroigft- 
rofene nene Form aber darf keine sterile Min, weil dies den 
»Zweek« den die Lebenskraft verfolgt , gradesn iideder anfhebt 
Der BegrUr der Lebenskraft aber sehliesst den der Teleokgie ein. 

üebrigens Usst sieh die Sterilitttt der Amblystomen roa imsenn 
Standpnnkt ans wenn nieht ToUkontmen Tersfehen, so doeh als eine 
nieht ganz isoUrt stehende Ersoheinnng naehweisen. In dem oben 
angeftlbrten Fälle yoih Lissotiiton pnnetatns wurden allerdings die 
weibliehen »Larven« geseUeehtsreifnnd legten iSer, die m&nn- 
Ifchen aber enthielten xn- derselben Zeit keine ans^bildeten 
Sfiermatosoiden im Hoden I 

Andre derartige FUle sind mir nieht bekannt; sor Zdt, als ieh 
meine oben erwihnten Versnobe mit Schmetterlingen anstellte, lag 



Ut gesagt, oV> ein oder mehrere Weibchen Eier legten — was doch vorab 
▼on der allergrössteii Wichtigkeit gewesen w&re — , noch wird raitgetheilt, ob 
Begattung vorausgegangen, oder ob die gelegten "Eist ügnd welehe ZeidiOD 
embryonaler Entwiekluag «tkcDnen liewen; Herr Blanchard hat nur die 
UebcrzetiRung, da««! .dif T.nrven nicht z3gem werden auszuschlüpfen"' ..Seit 
mehr als 10 Jahren zeigten dieae Thiere keine Fihigkeit zur Fortpflaniimg" 
lind naohdem jetst vielleicht ein einaigee Weibeben Eier gelegt bat, niount 
man diee ohne WMteiee lehon für eine Fortpflaniang dee Amblyetoma'* 
und erklärt emphatisch ,,von heute ab haben wir den Beweis, dass der Batra- 
chier, der zuerst Axolotl , dann Amblystoma ist , sich in keiner Weise von der 
Kategorie vieler kaltblütiger Thiere untencheidet, weiche ,,6tant capablee de 
ae repvoduire daae on ige peu «vanei ne eeaaent pae nAanaaoina 
(l'c'tre f^conds lorRqu'ils sont c o m pl ^t eme n t adultes(!]". Nach 
Herrn lllunchard ist also nun Alles wieder in Ordnung und der unbequeme 
Fall vom iVxolotl ist glücklich aus der Welt geschafft! Ist das etwa die 
„K*tarfortehttng Cnvier'a and Newton'«", wekdie aaeh bei w» dea 
,,Darwiniancm" als Muster vorgehalten wird? Vor Allem wäre doch wohl ab- 
zuwarten, ob die Eier sich entwickeln. Sollte dieser Fall eintreten, »o wire 
damit immer erst bewiesen , da^is einzelne Amblystomen sich fortpdanzen und 
dieee Tbatiaehe wflide Niehta daran Indern, daaa die aberwiegende Ma- 
jorität der Individuen ateril iat. Oder betrachtet Herr Blanchard 
die Maulthiere al^; eine fruchtbare Thierform, weil gelegentlich einzelne Fälle 
von Fortpilanzung bei ihnen vorkommen? Die Sterilität der Amblystomen 
bleibt alio vorliuilg unverindert beatehen und rerlangt eine Erklirang; 
die nachfolgenden Betrachtungen werden durch die sehr wenig exakte" IQt» 
thi^ttng in der franxönechen Akademie durchaui nicht veftndert. 



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IMwr die Umwandluiig de« mwfluHi. Aiolotl in «o AmUjstona. 255 

mir dieser GesichtBpuukt noch fem , und so habe ich versäumt die 
kttDstlich erzengten Rttckschlagsformeii auf die Entwicklung ihrer 
Oenerationeorgane zu untergucbeii. Aber aaob allgemeine EnrHr 
gnugen fttbren zu der- Vennatbong, dü« aivfiitiMhe Fofmeii UMkIt 
steril bleiben können. 

Dmrwiu«) findet die alebiteii UmAhm derSterilUlt einmal 
in dar BinwiriLung weit abweiehender LebeaBTerbiltnisee, und 
zweitens in der Krennng von Individaen ndt weit abweiehender 
Cooetitntion. Abweichende LebeaarerblUniMe sind es nun aller- 
dings, welabe die Uetamorphose des Azoletl einleiten und Ton die- 
sem GesiohtBininkt ans würde es nicht ttbenssehen können, wenn 
wir di^enigen Individnen steril finden, welche. daroh diese Teiia- 
derten Lebensbedingungen grade dadurch als besonders betroffen 
sich erweisen, dass sie in die Salsmanderfiinn snrllcksehlsgen. 

Damit ist noch keineswegs gesagt, dass BflckscUsg immer 
und ansnabmsloB Ton Sterilitilt beig^eitet wird und man kann 
meiner Oentnng der Azolofl-Metamorphose nicht einwerfen, dass 
durch BQckschlag niemals eine for^ansungefthige Kolonie des 
Axolotl habe entstehen können. Im Gegentbeil beweisen die Eier- 
ablegenden weiblichen Tritonen-Lsrven Jnllien's giadesn, dass 
auch beim BttckscMsg die Flhigke&t snr Fortpflanxnng Tollsttndig 
erhalten bleiben kann**) . Aus den erwOhnten allgemeinen Ursachen 
der Sterilität Utost sich aber sogar ableiten, dass dabei die Frucht- 
barkeit in verschiednem Grade verloren gehen kann und wei- 
ter läSBt sich bis zu einem gewissen Punkt Terstehen, warum die- 
selbe beim Rfickschlag in die Ambljstoma-Form vollständiger 
verloren geht, als beim Bflckschlag des Triton in die Perennibrsn- 
chiaten-Form. 

Wenn nämlich in diesen lUlen der Bttcksdilsg durch Verän- 
derung der Lebensbedingungen herroigeffafen wird-, so daif'inan 



•) Origin of Speeles. 5th Edition, p. 325. 
**} Auch bei PÜtmzcn xeigen Kückscblagsfurmea SteriUt&t in verschied- 
Bern Onid«; Herr Darwin macht mioh auf die ThatMMih« auftnerimiii, daM 
die pelorischen (fiyminetrischen) UlOthen, welche als atavistische Formen ge- 
legentlich bei C'orydalis Holida vorkommen, «war theilweiM steril sind, 
theil weise aber fruchtbar. Daäs bei andern ätenlitdts- Ursachen, vor Allep bei 
Baitardimn^eii die FortpSaimingifthigkeit in den allerTeraehieden- 
sten Graden verloren geht, ist Mchun Mit den berflbaiten Beobechtungen von 
SLClreuter und Qirtner bekannt. 



256 Ueber di« Umwandlung de« mexikui. AzoloU in ein Anblystom*. 

▼ielleieht yemiotheii, dass auch die Orüese dieser VeittiideraDg den 
Grad Ton Fmehtbarkcit mitbeBtimmen wird, den die ataTiatiaclie 
Form beibehalten kann; noeh mehr wird aber derselbe beeinflnsst 
werden dnreh die Grosse des morphologi sehen Sprun- 
ges, der mit dem Rtlekschlag gemacht wird. 

Wir wissen, dass die V'erinengunf? sehr ahweicliender Cousti- 
tutionen ,z. B. bei Kreuzun^r verscliiLMlncr Arteui Sterilität hervor- 
ruft. Etwas Aehnliches geht wohl auch heim plötzlichen Rück- 
schlag anf eine im ganzen Bau sehr abweichende Entwicklungs- 
stufe vor sich. Aach hier findet gewissermasscn die Vereinigung 
sweier sehr ▼enehiedner Constitutionen in e i n e m Individnom statt, 
eine Art rm Krensnng. 

Unter diesem (iesichtspnukt lUsst es sich ciniirermassen ver- 
stehen, warum Sterilität eine Folge des HUckschliigs sein kann, da- 
gegen erhalten wir damit noch keinen Aufschluss, \^arum bei 
gleicher Weite des niorj)h( »logischen Si)rungcs dennoch in dem einen 
Fall völlige Sterilität, im andern relative Fruchtbarkeit eintritt. 
Die Grösse des morphologischen Abstandes ist genau dieselbe 
zwischen Axolotl uiiii Amblystoma, wie zwischen Triton und seiner 
«geschlcchtsrcifen Larve«, die Verschiedenheit zwischen beiden 
KUckschlagsfällcn liegt lediglich in der Richtung des Sprunges, der 
im ersten Fall grade in umgekehrter Richtung gemacht 
wird, als im zweiten. 

Grade darin möchte ich den Grund der verschieden starken 
At!'ecti(m des Fortpflanzungsvermögens suchen: nicht in der Rich- 
tung des Sprunges an und fUr sieh, wohl aber in den Verschie- 
denheiten der Ontogenese , welche eben durch die Verschiedenheit 
der Sprungrichtung bedingt sind. 

Der RUck schlag desTriton auf ein älteres phyletisches 
Stadium fällt zusammen mit dem Stehenbleiben auf einem 
jüngeren ontogenetischen Stadium, oder mit andern 
Worten: das ältere Stadium der Phylogenese, auf 
welches der Rückschlag stattfindet, ist vollständig 
noch in der Ontogenese eines jeden Individuums 
enthalten. Jeder Triton ist eine geraume Zeit seines Lebens 
hindurch Ferenuibranchiate ; das zurllckschlagende Individuum 
schlägt eiuiacb dadurch auf die ältere, pbyletische Stufe zorUck, 



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Ueber die Umwandlung dei mexikan. Axolotl in ein Amblyitoma. 257 

dasB es aaf der Lunreutofe seiner iudividueUen Entwicklung 
stehen bleibt. 

Ganz anders bei dem Rfleksehlag des Axoloft in die schon 
früher einmal etrelehte, aber Iftogst wieder aufgegebene Amblj- 
stoma-Forml Diese ist in der Ontogenese des Axolotl 
nicht enthalten, sondern istTollstindig ausgefallen; 
seit einer langen Rmhe von Generationen — so mttssen wir an- 
nehmen — ist die Ontogenese immer nvr bis mrPerennibranchiaten- 
Form gelangt. Wenn nun jetzt einzelne Individuen znm Rllekschlag 
in die Amblystoma-Form veranlasst werden, so wird damit aller' 
dings in morphologischer Beziehnng kein grosserer Sprung gemaoht, 
als b^m Rückschlag des Triton znr Ferennibranehiaten-Form, aber 
es liegt darin zugleich noch ein Sprung in andrer Beziehung, ein 
Sprung nSmüch Uber eine lange Reihe von Generationen hinweg» 
znrOck zu einer Thierform , welche die Art seit langer Zeit nicht 
mehr hervorgebraeht hat, welche ihr gevrissermassen fremd gewor- 
den ist Wir bitten also auch hier das Aufpfropfen einer weit ab- 
weichenden Constitution auf die des Axolotl , oder — wenn man 
lieber will — die Vermengung zweier weit abweichender Ooosti- 
tntionen. 

Natürlich bin ich weit entfernt, diese «EiklSrung« ftlr eine 
exacte ausgeben zu wollen, sie ist nichts weiter,- als ein Versuch, 
das Moment zu bezeichnen , in welchem die Ursache der Tcrsehie- 
den starken Affection des Fortpflanzungsvermögens zu suchen sein 
wird. Tiefer mnzndringen und speciell nachzuweisen, auf welche 
Weise dieses Moment seine Wi^ung zu Stande bringt, muss einer 
spSteron 2Seit vorbehalten bleiben. Für jetzt muss es genttgen, 
darauf hingewiesen zn haben, dass Überhaupt zwischen beiden 
Arten des Rückschlags ein wesentlicher Unterschied besteht, sowie 
einigermassen verständlich gemacht zu haben , dass dieser Unter- 
schied das anssclila^gebende Moment in Betreff der Sterilitätsfrage 
seil) kann. Vielleicht wird sieh das hier verborgene Gesetz dereinst 
HO funnulireu lassen : Atavistische Individuen verlieren 
die Fähigkeit der Fortpflanzung um so vollRtändi- 
ger, je länger die Generationsfolge ih rer Vorfahren 
ist, deren Ontogenese die phylctisch ältere Stufe, 
auf welche der Rückschlag erfolgt ist, nicht mehr 
enthielt. 



258 Ueber die Umwandlung des m«xik»n. AxoloU in «in Amblyitoma. 



Bietet tonach ttoMie Hypothese, weleke die Umweidlmf dee 
Azolotl als Bllekechlag deutet, zugleich die HOglidikeit, die Sieii- 
litxt der auf dieae Weiae ent^andnea Amblyitomea Yentehen an 
lernen, so ist im Gegeatheil Air die Anhlnger einer pbyletisehen 
Lebenskraft die beohaehtete SteriHtit der Amblystomen nieht nor 
»nn T^table dnigme sdentifiqnet, wie Dnmiril sieh aasdrllekt, 
sondern gendecn ein Paradoxon. Von einem solehen sweekflil- 
tigen, trabenden Prindp, sollte erwartet werden dürfen, dasses 
lebenslUiige, nicht dass es dem Anssteiben Terfellene Neolnldnngen 
herrorbiinge, nnd dies nnn so mehr, wenn es sieh dabei nm eine 
Combination von Straktnreigenthttmliehkelten handelt, welche sieh, 
wenn sie aof andre Weise entsteht (nümlich ans andern Siredon- 
Arten) bereits Iftngst als lebens- nnd fortpflanxnngs- 
f&hig erwiesen hat. Wir kennen ja AmblystooBa-Arten, die 
als solche sich fbrtpihuisen nnd Ton denen jede ans einer Azolofl- 
artigen Larrehervorgieht. Man kann also die sterilen Amblystomen, 
welche der Psriser Azdotl herrorbringt , nicht etwa als einen tw- 
fehlten YerBnch der Lebenskraft denten, eine Dentong, die freilich 
an nnd für sieh schon abentenerlich genng wlre I 

Wenn nnn aber gefragt wird, welche Verlnderang der 
Lebensbedingungen es etwa gewesen sein könne, 
die das Amblystoma im See Ton Mexiko*) wieder in 
die Siredonform znrttckschlagen Hess, so kann idl 
darauf freilich nur mit VermuthuDgen antworten, die nnr einen 
bedingten Werth beanspruchen können, so lange sie sich nicht anf 
eine genauere Kcnntnisg der dortigen Verhältnisse nnd der Lebens- 
gewohnheiten der Axolotl wie der Amblystomen sttttsen kOnnen* 

Im Allgemeinen lässt sich vermnthen, dass dieselben 
äussern Einflüsse den Rückschlag bedingen, welche 
früher die Bildung der Perennibranchiaten-Stnfe 
heryorriefen. 

Fflr diese Vennnthung sprechen einmal die hier mitgetheilten 
Versuche, denn offenbar ist es der Reiz der Luftathmung, welcher 
die jungen Axolotl zum liUckschlag in die Amblystomafonn veran- 
lasst, d. h. derjenige Kelz, unter dessen dominirendem £infla88 die 
Amblystomafonn entstanden sein muss. 

*) Da wir die Herkunft der ,,Pu{ier Azololl" nlditkenDen , so moM ieh 
mich in Folgandon «af den Siredon mexieannt Shnr beichrftnkea. 



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Ueber die Umwandlung dM mezikan. Azolotli in ein Amblyitonw. 259 



Dann aber verhält 68 sich ganz ähulich hei den »^aison-diinor- 
phen Schmetterlingen. Dort wird Rückschlag der Sommerbrut in 
die Winterform am leichtesten durch Einwirkung von Kälte hervor- 
gernfen , d. h durch diejenigen Einflüsse, unter deren Herrschaft 
-sieh die Winterfoim entwickelt hat. 

Wir wissen allerdings, dass Rtlckschlag anch durch Kreuzung 
von Baeen und Arten entstehen kann, nnd ich suchte zu zeigen, 
dasB RtlekiebUig bei Selmettoiiingeii aiieh doroh andere Einflüsse 
als Kitte herrorgemfen werden kann, allein die nlehstliegende 
Termnihnng bleibt doeh offenbar die, der Bttcksehlag ati vetaiilastt 
worden doreh Andanem derselben EinflUsse, welche die Peremii- 
bruNÜaleBform gewissermassen geschaffen hat. Dass diese sich 
mter dem Einflnss des Wasseilebens gebildet hat, leidet keinen 
Zweifel, und so geht meine Yemnithnng dahin, das hypothetische 
Amblystoma mexieannm, die snpponirte Stammform der heutigen 
Axolofl des Seees von Mexiko, mOchte dadurch mm Rück- 
schlag in die Perennibranchiatenform yeranlasst 
worden sein, dass ihm die Möglichkeit, ans Land in 
geben entzogen nnd er snm Verharren im Wasser 
gexwnngen worden sei. 

Ich will übrigens nicht Ton vornherein jede andre Mdnnng 
lOTttekweisen. Bs ist sehr wohl zn nntersdieiden zwischen den 
blossen Beizen, welche plOtzHchen Blickschlag zn erzengen im 
Stsade sind und zwischen wirklichen Ab&ndernngs-Ur- 
sacken, welche direkt oder indirekt die UmprUgong einer Art 
znr Folge haben. So wlie es a priori nicht ondenkbar, dass Bttok- 
schlag dnreh Einwiiknng eines Beizes dntrife, der mit der Ent- 
stehung der phyletisch Slteren Form nichts zn thon hat. Gewiss 
hat die Temperatur keinen , oder nur einen sehr geringen AnfheU 
an der Bildung der Perenrnbraaehiatenform gehabt, aber dennoch 
konnte an und für sieh ganz woU KUte einer der Beize sein, welche 
dereinst das Amblystoma in die Siredonform zurückzuschlagen ver- 
anlassten und man konnte de Saussure nicht von romberefai 
Unreeht geben, wenn er die Ansicht ftnssert, die niedrige Tempe- 
ntor des mexikanischen Winters machte die Umwandlung [des 
Axolotrs in das Amblystoma) verhindern, die dann »in dem hassen 
Zimmer der Reptilien« im Jardin des Plantes von Paris vor sich 
gegangen sei. Er stützt seine Ansicht damit, dass »Tschndi das 



26(^ Uebt-r die L'anvanttluil^ des mexikan. /VjcoluÜ in ein Amblysioma. 



Amblystoma« (natürlich eine andre Art) »im heissesten Theil der 
Vereinigten Staaten gefunden habe«. »Aof dem Plateau von Mexiko 
aber schneit es jeden Winter und wenn der See aneh nicht friert, 
so mnss doch seine Temperatur sehr abnehmen bei der geringen 
Tiefe, a 

Wenn aber anoh dieser Ansicht keine theoretischen Bedenken 
entgegenstehen, so halte ich sie doch nicht für richtig. Ich be- 
xweifle, dass die Temperatnr es war, welche die Zarllckyerwand- 
Inng des Amblystoma in den Axolotl yeranlasst hat, oder nach der 
Anffassnng de Sanssnre's, welche heutzutage die Umwandlung 
des Axolotl im See von Mexiko verhindert, und swac deshalb, weil 
jetzt aus allen Theilen der Vereinigten Staaten bis nOrdlich von 
New- York hinauf Amblystomen bekanntgeworden sind, ein Beweis, 
dass auch eine viel bedeutendere Winterkttlte, als die des Hoch- 
landes von Mexiko kein Hindemiss ftlr die Metamorphose des 
Axolotl ist, dass sich die Gattung in dieser Beziehung nicht em- 
pfindlicher zeigt, als unsere einheimischen Salamandriden-Qat-' 
tungen. 

Mehr Beachtung scheinen mir die folgenden Bemerkungen de 
Saussure's zu verdienen, in welchen er auf die BeechaSenheit 
des nicxikjiuischen Seees liindeutet : > der Boden dieser »Seeen ist 
flach, sodass man unmerklicii aus d.Mn See in weite Smnpfregionen 
gelangt, che man festen Boden cniMclit ; viello^ht macht dieser 
Umstand den Axolotl unfUhig, das Trockne zu gewinnen und ver- 
hindert die Lniwiindlnn^r. « 

Jedenfalls bietet der See von Mexiko seiir eigenthümlichc Le- 
bensbedingungen für ein Amphibiinn. Mein verehrter Frcinnl Herr 
Dr. V. Frantzius machte niieli darauf aufmerksam, dass dieser 
See — wie Ubriirens auch viele andre der mexikanisehen Srcen — 
schwach salzij;' ist. Zur Zeit der Eroberung von Mexiko tlurcli 
Ferdinand Cortez hat dieser Umstand die (MHllichc l'cbergabe der 
Stadt herbeigeführt, da die Spanier ihn\ r.claf^erton das Wasser 
abschnitten und das Seewasser nicht trinkbar ist. Die alten Mexi- 
kaner hatten bereits von den fernen Bergen her Wasserleitungen 
angelegt, und auch lunite noch ist die Stadt auf das durch Leitungen 
herbeigeführte Wasser angewiesen. 

Dieser Snl/.gcbalt würde nun an und fllr sich keine Ursache 
für den ßUckfuli iu die i:'ereiuiibi-auchiuteuform sein können, wohl 



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Uebcr die Umwandlung de* mexikan. Axolotl in ein Amblyetom«. 261 



aber in Vcrbindang mit audern Eigenthllmliehi^oiten des Seees. 
Der flachste Tlieil des Seees ist der üstliclie und nar in diesem 
Tlieil liält sich der Axolotl auf. Im Wiater wehen mm regelmässig 
und anhaltend heftige Oststttrme, welehe von den (iehirgen herab- 
ÜAbren lind das Wasser so gewaltig vor sieh her treiben . das8 68 
»icli im weBtlicbeu Tbeil des Sce» < staut und dort häutig Uebcr- 
schwenimungen veranlasst, während vun dem flachen Ostafer oft 
an 2(M)() Fuss völlig trocken gelegt werden 

Hält man nun diese beiden KigeDtliümliehkeiten zusammen .- 
den Sal/^a^halt und periodisches Troekenliegen eines Theils des 
Seebodeus diirrh anhaltende Winde, su erhält man allerdings Le- 
bensbedingungen tT r (k n Axolotl. wie sie sich wohl nur an wenigen 
Arten ebenso wieder tinden mögen. Freilich könnte man versucht 
sein, diesell»en fremde in entgegengesetztem, meiner Tlieorie un- 
gUnstip'm Sinuc /u verwerthen, denn das ZurUcktretcn des W:isser8 
von einem grossen Theil des Sfchodcns sollte — so könnte man 
denken — d«'m Thier den l'ehergang zun» Landleben eher erleich- 
tern . ja es ;;eradezu dazu zwingen. Mau vciirisst aber dabei, 
dass der ctitblösste Seeboden eine sterile Fläclie ist. oline 
Nahrung und (dine Schlupi'winkel, vor Allem ohne NCgetation. und 
weiter, dass durch den ziendich bedeutenden Salzgehalt de.s Was- 
sers spee. (lewicht " I. ()■)]:) die ganze trocken gelegte Fläche 
von Salzkruste Uberzogen s<'in niuss. ein l'mstand (b^* die Ernäh- 
rung auf dem Lande geradezu unmöglich iikk hcii wird Haupt- 
sächlich ('hlornatrium und kohlensaures Natron sind in so beträcht- 
licher M"nge im Wasser aut'^elöst. <lass es sich regelmässig als eine 
Kruste am L'tcr des Seees nieil(>rsc]]lägt. dort während der troi k 
neu Jahreszeit gesammelt Avird und unter dem Namen 'lequiisquite 
in den Handel kommt. M ü Ii I e n j» f ord t * *.) 

S(» fehlt es also nicht an Auhalts|iunkten zu der Vermuthung. 
dass cigenlliiimliehe Verbältnisse dem Thiere seine Ernährung auf 
dem Lande schwieriger machten, als sie im \\'asser ist und dies 
allein könnte genügt haben, dasselbe zur Gewohnheit reinen Was- 
serlebens zurllck/.ufiihren und damit auch zum lilickschlag kl ilic 
rureuiiibrauchiatcn- oder lehthyodenlbrm. 

*, Mühlonpfordt . V rsiich einer getreuen Schilderung der Kepublik 

Mejico. IlaiKUJvor 1>I 1. II. S. 262. 
••) a. a. 0. S. 252. 



262 Uab«r dfa Ummndlmig dM masikMi. Axolotl in «in Amblyitonn. 

Doch genug der Vermuthungen ! Wir dürfen uns nicht bekla- 
gen, das8 wir nicht im Stande sind aus der Ferne mit lieHtimmthcit 
die Ursachen ausfindig zu maclien, wek'he den Axolotl zwangen, 
das AmltlN stumastadium wieder aufzufärben, so lange wir nicht im 
Stande sind, den uns viel näher liegenden Fall von KUekschlag bei 
den Filippi "sehen und J u Iii en'sehen Tritonen anzugel)en und 
doch müssen auch hier allgemeine, die ganze Tritonenkolonie be- 
tretieude Ursachen zu Grunde gelegen haben, da — in dem Falle 
von Filippi wenigstens — die überwiegende Mehrheit der Indi- 
viduen im Larvenzustande verharrte. Versuche mit Tritonenlar\'en 
mUssten hier grössere Klarheit schaflfen können; sie hätten vor 
Allem festzustellen , ob der Rückschlag sich künstlich hervorrafen 
lässt und wenn dies der Fall ist : dureli welche EinllUsse. 

Nach den oben angeführten Erfahrungen bei Schmetterlingen, 
sowie nach den bei Axolotl'n erzielten Kesultaten, würden wir bei 
Tritonen zu erwarten haben, dass der Rückschlag in die Ichthyo- 
denform am ersten eintreten werde, weuu man den Reiz der VVas- 
serumspulung der Kiemen, wie des ganzen Körpers andauern lässt 
und gleichzeitig denjenigen Reiz abhält, unter dessen Einwirkung 
sich die Salamandridenform ausgebildet hat : den Reiz der Luftum- 
spUlung der Kiemen, der Haut- und der Luiigen-Obcrfliiche. 

Aeltere Versuche derart liegen vor, doch sind sie niemals lange 
genug fortgesetzt worden, um den Verdacht gänzlich beseitigen zu 
können, es würde bei längerem Leben der betreffenden Individuen 
nicht vielleicht doch noch die gewöhnliche Metamorphose einge- 
treten Bein. 

So berichtet Schreibers*), dass »>cs ihm oft geglUekt sei, im 
Freien gefangene Wasscrsalamaudeniuappeu im letzten Stadio ihrer 
Ausbildung mittelst einer Vorrichtung ^Drahtnetz /) unter Wasser 
abgeschlossen und mit feinem GehUckel von RegenwUrmern genährt, 
mehrere Monate, ja den ganzen Winter über in diesem Zustande zu 
erhalten und ihre lefzte Verwandlung und den Uebcrgang ans dem 
Quappenzustand in jenen des voUkommnen Thieres solchergestalt 
gewidteam so lauge zu procrastiniercu«. Ob die Thiere lidi 



*i .,Ueber die specifisc he Verschiedenheit des gefleckten und des Bchwarzen 
Erdwilamanders oder Moluhs und der höchst merkwürdigen, ganz eigenthüm- 
lielien Fortpflanz un|HWfi5»3 des LeUteren." Isis, Jahrg. 1833. 8. MT. 



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Uebwr di« Uawandlttiig dM masikui. Aidotl in eb AmWytUnm. 263 

Bchliesslich doch noch umwandelten, wird nicht gesagt, und so lässt 
sich auch nicht entscheiden, ob hier RückschlagsfilUe vorlagen, 
oder blosse Eutwicklungs- Verzögerung. Dass die l inwandlung 
noch nach geraumer Zeit eintreten kann, beweisen Versuche, 
welche Herr Professor Langer in Wien mit Pelobates- Quappen 
anstellte*). Die Thiere wurden in tiefem Wasser gehalten und 
swar 80 , dass sie nicht landen konnten. Dadurch gelang es , bei 
Dreien unter sehr zahlreichen Exemplaren die Metamorphose bis in 
dffii iweiton Sommer hinein zu verhindern; dann aber trat sie 
trolidiMn eio> 

Man wird meiner Btteksehlaga- Hypothese nicht Torwerfen 
wollen, daM de nnf der einen Seil» bäühnpfe, wit lie n»f der 
andern eelbekpoetalirt: eine aprnngwelie Aendernng dei 
Bnnet. Daa diarakteriBtiMlie det Bllekselilags liegt ja gerade in 
der apningweiaen Enwiebnng einee Mteren d. h. frttker bettandenen 
pbylelifleben Stadinnu. Dast diese Toriumunt, ist Tliaisafilie, wllh- 
rend die sprangweise Erreielinng um ndeb Uldlieh ansEndrildLen 
— eines Torwlrtsgelegenen Zieles (slt venia Terbo!) noeh niemals 
erwiesen, oder anch nnr wahrscbeinlieli gemaehl worden ist. 

Wenn es aber gelang in den heutigen Lebensbedingungen des 
Axolotl Momente an finden, wekdie ihm das Leben auf dem Lande 
eisAwersD, oder gans unmQgUdi machen, die eingetretene Bllek- 
kehr aar Ichtfayoden-Form also als motivirt erscheinen hMev, 
so kann auch die andre Seile ssdner Qypothese durch Thatisehen 
geetutit werden, die Annahme der AzoloÜsci in früherer Zeit schon 
AmMjstoma gewesen. 

Wir wissen durdt Humboldt**), dassderS|^cgel desSeeesvon 
Mecdko in verhlltaissmSssig neuer Zeit um ein Bedeutendes fadher 
gelegen hat, als heute. Vfix wissen femer, dass das Hochland von 
Mesko mit Wahl bedeckt war, während jetzt ^r Wald Überall 
ausgerottet ist, wohin die Ausicdhingen des Menschen und spedell 
der Spanier gelangt sind. Darf man nun aandmien, dass etwa zur 
Düurialzeit die BergwUder sich bis zum Bande des damals noch 
tiefen , steiler abfolienden und bedeutend sahärmeren Seees er- 

• Dif betreffenden Versuche sind nicht veröffentlicht worden; ich ver- 
danke ihre Kenataiu der gütigen, brieflichen Mittheilung des verehrten Uerrn 

8i«h» die angeiogme Sefaiifi von Mahlenpfordt Bd. I. 



264 Ueber di« Umwandluiig dm mnikan. Axolotl in dn Amblytlonu. 

streckten, so sind damit nicht nur wesentlich von den heutigen ver- 
Rchicdne Lebensbedinfjunpren angewiesen, sondern auch solche wie 
sie fui die Aosbildtuig eiuer SaUmandiiden - Art ganz besonders 
günstig waren. 

Nach alle dem glaube ich . dass man meinem Versuch . die 
ausnahmsweise eintretende Metamorphose des Axolotl aas dem See 
von Mexiko zu erklären , nicht den Vorwurf eines allzulultigen 
Phantasiegeltäudes wird machen können. Jedenfalls ist er 
die e i n z i g m ü g 1 i c he E r k 1 ii r u n g , welche jener a ndern cnt- 
gegengcstolh werden kann, die da annimmt, die gelegentliche Um- 
wandlung des Axolotl bei nicht lUickschlag sondern ein \ ersuch 
zum Forts<-liritt und diese Annahme muss meines Kmics^ens schon 
aus rein theoretischen Gründen von .ledem /urlh kgewiesen werden, 
der eine ])löt/Jiche Umwandlung der Arten wenigstens da 
für undenkbar hält, wo dieselbe mit Anpassungen 
an n e u e L c b e n s l) e d i n g u n g e n V e r b n n d e n ist. von Jedem 
der Anpassungen nicht für das auf einen Schlag entstandene Werk 
einer Zauberkraft ansieht, sondern für das Endresultat einer langen 
Reihe von natürlichen, wenn auch im Einzelnen kleinen und un- 
scheinbaren Ursachen. 

Wenn meine Deutung der Thatsacben richtig ist , so ergeben 
sich aus ihr einige Folgerungen, die ich hier am äehluss noch kura 
berühren miiehte. 

Zuerst eine mehr äusscrliche Sache. 

Wenn ilcr Siredon mexieanus Shaw nur <iur(di gelegent- 
licbcn Kliekschlag die Amblystoma-Form annimmt , niemals aber 
als solche sich fortptianzt , sondern nur als Siredon, so ist das 
Verfahren der neueren Systematiker nicht zu billigen, welche die 
Gattung Siredon einfach aus dem System streichen und den 
Siredon mcxicanns als unwillkommenen Zusatz unter der 
Gattung Amblystoma aufführen. So lange es nicht nur eine, 
sondern sogar mehrere lebende Siredon-Arten auf der Erde gibt, 
welehe slsBolehe nnd zwar nn r ab aolehe sieh regehnissig fort- 
pflanaen, solange existirt auch die Gattung noeh und wenn wir 
aneli die Hoffiini^ eines dereinstigen Wiederanfeehwnngs dieser 
Siredon > Arten znm Amblystoma den Systematikero nicht ganz 
rauben wollen, so entspricht es doch dem jetst auf der Erde vor- 
handenen Thatbeatand. besser, wenn wir nach wie vor die Gattung 



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Ueber die Umwandlung des mexikan. Axolotl in ein Amblptom». 265 

Siredon unter den Gattnogen der Fischmolehe beetehen lassen 
und in ihr alle diejenigen Arten rechnen, welche wie der Fftriser 
Axolotli der Siredon mezicanns Shaw und wahrscheinlich aoeh 
Siredon lichenoides nnransnahmswebe, oder anf künstliche 
Einflösse hin die Amblystoma-Fonn annimmt, ohne sich aber in 
dieser fortinpflanzen. 

Dagegen wird man mit Recht alle dicjjenigen Arten inr 
Oattnng Amblystoma sieben , welche sich in diesem Znstand fort- 
pflanzen nnd bei welchen die Perennibranchiaten-Stnfe nur als Lar- 
vennstand anftritt. 

Im einzelnen Fall hier die Entscheidnug su treflen, wird hanpt- 
sitehHch Sache der amerikanischen Forscher sein, von deren immer 
steigender Rührigkeit wir wohl in Bälde nithere An6cblttsse ttber 
die Fortpflanzung der zahlreichen Amblystoma^Arten ihres Vater- 
landes erhoffen dürfen. Ich würde mich fienen wenn meine hier 
vorgetragenen Anseinandersetinngen zn solchen Untersnchnngen 
den Anstoss liefern würden. 

Die zweite Folgemng, auf welche ich hinwies» ist rein fheore- 
tisdier Natnr. Sie betrifft einen Znsatz zn dem von Fritz Müller 
und Haeekel zuerst aufgestellten •biogenetischen Grund- 
geseti«. Dieses besteht bekanntlich in dem Satse: Die Ontoge- 
nese enthält in sich die Phylogenese, mehr oder weniger zusammen- 
gezogen, mehr oder weniger verändert. 

Nach diesem Satze nnn mUsste eine jede Stufe der phyletischen 
Entwicklang, wenn sie von einer später folgenden abgelöst wird, 
in der Ontogenese enthalten bleil)en , also in Gestalt eines nntoge- 
netischen Stadiums noch in der Entwicklung eines jeden lodivi- 
dunms zu Tage treten. Damit scheint nun meine Deutung der 
Umwandlung des Axolotl in Widerspruch zu stehen, denn der 
Axolotl, der frllher einmal hcreits Amblystoma war, enthält in sei- 
ner Ontogenese Nichts vom Amblystoma. Der Widersprach ist in- 
dessen nur scheinbar. Sobald es sich wirklich um eine 
Weiterentwicklung handelt, also nm die Erreichnn*; einer 
neuen, vorher noch nicht dagewesenen Stufe, sobald liudct sich 
auch die ältere Stufe in die ( hitogenese aufgenommen vor. Es ver- 
hält sich aber nicht so, sobald die neue Stufe nicht wirklich neu ist, 
sondern frtihcr schon einmal das Endstadium der individuellen Ent- 
wicklung dorgcslcllt hat, oder mit andern Worten: sobald es sich 



266 Ueber die Umwandlung des mexikan. AxoloÜ in ein Ambljstoma. 

um RflokseliUg niehtdei emielnea Individiiiiii», mmäea der 
Art aU soleher anf das Torhergebonde phyletiache Stediam 
handelt« fJao um ein phyletiMbes Ziirtteknnken denelben. In 
diesem Falle wird das frUhereEndstadiam der Onto- 
genese einfaeb eliminirt, es fftllt aas and wir kVn- 
nen dann sein einstiges Vorhandensein nur daran 
erkennen, dass es gelegentlich als Btteksohlagsform 
auftreten kann. So sinkt der Triton unter Umstinden anf die 
Perennibranohiaten-Stnfe snrttek, aber nicht so, dass das Indivi- 
dnnm zuerst Triton wQrde und dann sieh zum Foreaaibnachiatsn 
zarttckverwandelte, sondern wie ich oben schon berrorhob einfach 
dadurch , dass es die Salamandriden-Stnfe gar nicht mehr erreiofat 
und auf der Stufe des Ichtyoden stehen bleibt. So ist aneh der nach 
meiner Hypothese früher an den Ufern des Seees Ton Mexiko 
lebende Salamandrine , das Amblystoma mexicanum auf die Stufe 
des Fischmolehs zurückgesunken und die einzige Spur, welche nn» 
von seiner einstigen Ent?dcklung8-Uöhe bliel), ist eben die in jedem 
Individuum mehr oder weniger enthaltcneNeigung, untw gttnstigen 
Umständen die Salaroanderntufe von Neuem zu erklimmen. 

Die dritte und letzte Folgerung aber, welche meine Deutnng 
der Thatsachen mit Bich bringt, liegt in der Tcränderten Bolle, 
welche durch sie dem liUckschlag in der organischen Nator söge- 
wiesen würde. Während man bisher atavistische Formen nnr als 
vereinzelte Ausnahmsfälle kannte, interessant zwar in hohem Grade 
für unsere JSrkenntniss, aber bedeutungslos fUr den Entwicklungs- 
gang der organischen Natur , würde ihnen jetzt eine reale Bedeu- 
tong in dieser letzteren Beziehung zuerkannt werden müssen. 

Ich möchte annehmen , dass Rückschlag in doppelter Weüe 
für die Erhaltung oder Wiedt'rherstelhmg einer Lebensform mass- 
gebend werden kann. Eitniial so. wie beim Axolotl. wo die neuere 
und organisch höher stehende Form aus äussern Gründen unhalt- 
bar wird und nun — da eino Weiterentwicklung nach andrer Rich- 
tung nicht möglich scheint — statt einfachen Aussterbens ein Rück- 
schlag,' der Art auf die ältere und niedriger organisirte Stufe erfolgt. 
Zweitens aber in der Weise, dass die ältere phyle tische 
Form Ulx'rliaupt nicht aufgegeben wird, während sich 
die Jüngere aus ihr heraus entwickelt, sondern dass sie perio- 
disch mit derjUugeren abwecüäelt, so wie wir dies bei- 



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Ueber die Ummuidliuig dM mezikaii. Azoloü in ein Amblyetome. 267 



den flaiMfi-dimorphen Sehmetterlmgen sehen. Man wird schwer- 
lioh Etwas dagegen emwenden, woin ich hm dieaen den Weehiel 
▼on Sommer- ond Winterform als einen periodiseh eintretenden 
BUekaehlag sn der phyletiaoh Hlteren Foim (der Winterfinfti) 
ansehe. 

Mag der totale Bflehsehlag einer Art, wie ieh sie für den 
AzoloCl annehme, ein selten eintretender Fall sein, der perio- 
disch oder cyclisch eintretende Bttckschlag ist es ge- 
wiss nieht; er spielt sicherlich eine sehr bedeutende Bolle beim 
Znstandekommen Tcrschiedner Formen, der altendrenden oder 
<^lisehen Fortpflanznngsweise *) . 

*] Auf botanischem Gebiet ist ein solcher FaU bereits nachgewie«cn und 
iwar durch Fritz Müller (Botan. Zoitiing S. 226; 1870, S. 1-19). Ich 

erlaube mir, die Stelle des Briefes, durch welche mich Herr Müller auf diese 
ialMMMoto Biitdsekuiig «ateerkam machti hier nitratlidlen. „Ali Boweia 
für die Möglichkeit, dass eine Raekadilagsform iriader dauernde EigenthOm- 
lichkeit einer Art, oder der Artgenossen eines bestimmtLn Bezirkes werden 
kann, könnte ich Ihnen ein Epidendrum der Insel Santa Catharina 
aaltthnn. Bei allen Orebideen (mit Avaiuihme von Cypripedhnii) iat nur ein 
einziges Staubgefäss fruchtbar ausgebildet; in sehr seltnen Fällen treten als 
Kückschlag wuhlgebildcte Anthcren in den verkfimmcrtcn, seitlichen Staub- 
gef&sson des Innern Kreises auf. Bei dem erwähnten Epidendrum 
aber aind diaae ragalmiaaig Torbanden." 



Nftebselirift. 

In Torstehender Abhandlung wnrde schon angedeutet, dass mir 
die Ursachen, von welchen ich das ZorUckschiagen des hypothe- 
tischen Amblystoma mexicanum in den heutigen Axoloti ab- 
leitete, nicht Tollkommen znr Erklärung der Erscheinung ansza- 
reichen schienen. Einmal schienen mir dieselben zu lokaler Natur, 
da sie sich mit Sicherheit doch nur auf den Axoloti des Seees der 
mexikanischen Hauptstadt anwenden lassen, wälirend doch auch 
der aus einem andern Theil von Mexiko stammende Pariser Axoloti 
seine ErkUtrang ferkmgt. Andrerseits aber scbienen sie mir nicht 
swlngend genug. Denn sollten wir selbst später erfahren, dass 
auch der Pariser Axoloti ans einem Salzsee stammt, der fthnlicben 



2G8 Ueber die Umwandlung des inoxikan. Axolotl in ein Amhlystoma. 



Winden anflgesetet iBt, wie der See von Mexiko, so liegt doch in 
diesen Eigenthttmliehkeiten der Seeon immer nnr ein Moment, 
welelies der Lanre die Metamorphose und die Gewinnung eines 
geeigneten neuen Wohnortes auf dem Lande erschwert. Die 
Unmöglichkeit einen solchen SU erreiehen, oder gar das gftnc- 
liehe Fehlen eines solchen ergibt sieh aber daraus nidit mit 
Noihwendigkeit. 

Olfonbar wäre es eine viel solidere Stiltie Dir meine Hypothese, 
wenn es gelftnge, in den physikalischen Verhältnissen des Landes 
Momente nachsuweisen , welche dieEzistens vonAmbly- 
stomen dort gradesu ansschlies'sen. 

Lange Zeit hindurdi wollte es mir indessen nicht gelingen, 
solche Momente aufisufinden, und so schloss ich die vorstehende 
Abhandlung ab und ttbeigab sie dem Druck. Erst später brachte 
mich ein zufälliger Aufenthalt in einem der höchsten Thäler unse- 
rer Alpen, im Ober-Engadin, auf einen Gedanken, den ich jetzt, 
naehdem er an den bekannten Tbatsachen geprüft ist, nicht anstehe, 
für den richtigen zu halten. 

Es fiel mir nämlich auf, dass im Ober-Engadin nur solche Am- 
phibien leben , welche sich anhaltend oder doch häufig ins Wasser 
begeben ; FrOsche fand ich bis zu fast 7000' Meereshöhe, Tritonen 
noch in 6000' (bei Pontresina und Uber Samaden) . Dagegen fehlte 
der auf dem Lande lebende Alpensalamander, Salamandra 
atra, während doch passende Anfendialtsorte auch für diese Art 
in Menge vorhanden wUrcn, und es ihm an Kahrung so wenig feh- 
len würde, als seiiieu Verwandten, den Wassermolchen. Auch die 
bedeutende Höhe Uber dem Meere würde an und flir sich kein Hin- 
derniss seines Vorkommens sein, da er gelegentlich bis za3000Mtr. 
emporsteigt ( F a t i o t ) *) . 

Es ist nun lu kaunt, dass die Luft im Oberengadin**}, wie 
auch in andern Uoclitliiilcrn der Alpen, welche von ausgedehnten 
Gletschermassen umschlossen sind, oft und lange Zeit hindurch ans- 



* Siehe: Ffttiot „].«• Uepttles et let BatTMcieiu de la hftut« Eogadioe". 

GeniiTe < 

**) Ich erinnere nur an dan dem Obercngadin eigenthümliche conaervirte 
Rindlleiscl] , irelchea einfach durob Auatrooknen an der Luft bereitet wird; 
auch an die Mumificirung ganier menschlicher ]<eichen durch Auetrocknen in 
freier Luft, wie eie auf dem grossen St. Bernhard Sitte ist 



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Ueber die UmwmdlvDg de» nexiken. Axoloü in ein Amblyttoma. 269 



serordeutlich tioc ken ist iinil in dicseiii Ijiistand schien mir 
die Ei klärunjir zu liL'^^t n , wariiiu der schwarze Landsahunauder 
dort fehlt * , während seine nächsten im \\ asser h'lienden Verwand- 
ten sieh in Menge vorfinden. Die Ihjut der nackten Anii)ldl)ieu be- 
darf durehaus der Feuchtigkeit, andernfalls trocknet sie ein und 
das Thier, eines wesentlichen Athniungsapparates J)eraubt. stirbt 
oft rascher dahin , als wenn man ihm ein wichtiges, inneres Organ 
ansgeschnitten hätte. Decapitirte Frösche hUi)fen noch lange um- 
her, ein Froscli aber, der dem lieliälter entsprungen eine Nacht 
hindurch in Trockner Ziniincrluft umhergewandert ist, tindet sich am 
folgenden Tag mit trockncr, staublilH'rzogener Haut in irgend einer 
Ecke balbtodt und stirbt vielleicht schon nach einem weiteren Tage, 
wenn man ihn ohne Fenchtigkeit lässt. 

Damit stimmt Alles, was wir von der Biologie der Amphibien 
wisBen. So entziehen sich alle Landsalamaiider im südlicheren 
Italien der heissen und austrocknenden Laft des Sommers dadurch, 
dass sie deh in die Erde vergrabeu and dort einen Senuneraelilaf 
dorehmaelien. So die interessante Salamandrina perspi- 
eillata**) der atif dem Lande lebende Triton Sardiniens, der merk- 
würdige Enproetns Rnseonii Gen6***} (Triton platy- 
ceplialns Schreiber). Von Geotriton fnsens Genö erfithr^ 
ich dnrcb Herrn Dr. Wiedersheim, der die Lebensverhttltnisse 
dieses niedersten enropttischen Urodelen an Ort nnd Stelle stndirte, 
dass er in Sardinien vom Jnni bis in den Winter ununterbrochen 
forteehlftft, während er an der KUste von Spesia und bei Garrara, 
wo er ebenfiüls Torkommt in sehr eigenthttmlioher Weise dem Som- 
merschlaf ausweicht. Er zieht nämlich Nutzen von den zahlreicben 
Hohlen der dortigen Kalkformation und wird auf einige Monate des 
Jahres Höhlenbewohner. Sobald grosse Hitze eintritt, oft schon im 
Hai, zieht er sich in die Hohlen zurttck und kommt erst im Novem- 
ber an Regentagen wieder hervor. In diesem Schlupfwinkel ver- 
fallt er nidit in Schlaf, sondern man findet ihn dort ganz munter 
und sein hauptsächlich mit Skorpionen angefttllter Hagen beweist, 



V Faune dea VettAbrM de U StuMe Vol. m. Hittotre naturelle des Rep- 
tile« et des Batracicns Ocncve 1^T:( 

**) Siehe: Wiedershcim „Versuch einer vergleichenden Anfttomie der 
Selanumdrinen". Wflnburg 1875. 
•**) Siehe: Oen« „Memorie della Beale Acmd. di Torino" T. I. 



270 Ueber di« Ummmdliiiig dm inMülua. AzoloÜ in ein ArnUyitonift. 

das» er mit Erfolg nach Nahrung ausgeht ; die feuchte Luft der 
hühlc macht ein Vergraben in die Erde Überflüssig. 

In demselben Sinne scheint mir auch die Thatsache aufzu- 
fassen, dass die einzige Frosch-Art des Ober-Engadins , Rana 
temporaria*), der braune Grasfrosch, dort viel niclir Wasserbe- 
wohner ist, als in der Ebn(*. Zwar finde ich dartiber in dem oben 
schon angeführten, vortrctVlichen Werke von Fatiot keine Be- 
merkung und bin sonnt auf meine eignen zwar wiederholten, aber 
doch immer nur wiilirend kurzer Zeit angestellten Beobachtungen 
angewiesen, allein es fiel mir sehr auf, dass die Eugadiner Frösche 
noch lange nach der Paarungs-Zeit, welche nach Fatiot 
höchstens bis Mitte Juni dauert , im W^asser anzutreffen sind und 
zwar in Menge. Ich fand sie in den zahlreichen Tümpeln am 
Samaden noch im Juli nndAagost, während sie in der Ebne nur 
zur Zeit der Fortpflanzung in das Wasser gehen nnd dann erst 
wieder Wm Eintritt des Winters, am sich im Sdduum ein Winter- 
quartier sn saehen (Fatiot S. 321). Sie haben also im Engadin 
in einem gewissen Gnde die Leboisweise des Wasseifroeohs ange- 
nommen ^ was natürlieli nieht hindert, dass sie bei fenebter Witte- 
rung in die alte Gewohnheit zmHokMen, sieh aufwiesen und in 
Wildem nrnhefzotreiben. 

Nachdem es mir durch diese Erwigangen sehr wahrscheinlich 
geworden war, dass die aastrocknende Luft des Ober-Engadins 
das Fehlen des sebwarsen Landsalamanders bedinge, lag die Frage 
nah , ob nicht etwa das Fehlen Ton Amblystomen aaf dem Hoch- 
lande ?on Mexiko auf die gleiche Ursache znrttcktnfklhren sei, ob 
nicht etwa andi dort eine solche Trockenheit der Lnft herrsdie, 
dass Amphibien, oder wenigstens salamanderartige Amphibien anf 
dem Lande nicht aasdanem können. Die Htthe über dem Heere 
ist noch bedentender (7000—8000') and die tropische Sonne wird 
hl dem wassenurmen Lande noch rascher Alles anstroeknen. 

Da ich augenblicklich ohne Bücher war, die mich über die 
meteorologisehen VerhUtnisse von Mexiko genügend hfttfeen auf- 
klSren können, schrieb ich an Herm Dr. von Frantsius, der 
durch langjfthrigen Aufenthalt in Gentral-Amexika mit den dor- 



*) Rana eteulent« steigt nie bis in die alpine Region, nwn findet dieee 
Art ntemalt hShcr als llOff Meter (Fatiot a. a. O. S. 318). 



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Ueber die Unwandliiiig d«i mexikaa. Azolod in «in AmUyitonm. 371 

ti^cn klimatischen Verhältniasen isenaa vertraut ist, imd bat ihn um 
seine Ansicht. 

Ich erhielt die Antwort, dass allerdiu^s auf der Hochebene von 
Mexiko eine ganz ausserordentliche Trockenheit der 
Luft vorhanden sei. »Die hauptsächlichste Ursache der Trocken- 
heit der Hochebenen liegt in der geographischen Lage, Conügura- 
tion des Landes und dem physikalischen Bau. Der Nordostpussat 
treibt die Wolken gegen die Gebirge, an deren Kamm diese ihre 
Feuchtigkeit ablagern, ohne Etwas davon liiniiber zu bringen; so 
lange der Nordostpassat weht, werden die Quellen der nach dem 
atlantischen Ocean strünienden Flüsse reichlich mit Feuchtigkeit 
gespeist, während auf dem westlichen Abhänge und namentlich 
auf der Hochebene die Wolken keinen Niederschlag bilden. Aber 
auch in der zweiten Hälfte des Jahres, während unserer Sommer- 
monate, bringt die sogenannte Regenzeit nur wenig Hegen '] , wenig 
im Vergleich zu den sluUicher gelegenen Gegenden, in denen täg- 
lich die schweren tropischen Gewitterregen vom Himmel herab- 
stürzen. Mexiko Hcfjt nämlich viel zu nördlich, um von dem Cal- 
mengUrtel erreicht zu werden« in dessen Bereich jene tropischen 
Kegen angetroffen werden.« 

Sonach stehe ich nicht an, in der das ganze Jahr über andau- 
ernden hochgradigen Trockenheit der Luft den Hauptgrund zu 
sehen, warum auf jenen Hochebnen keine xVmblystomen vorkom- 
men ; sie können einfach dort nicht existiren und müssen vertrock- 
nen, falls sie, dorthin gebracht, nicht im Stande wären, ihre Lebens- 
weise abzuändern and ins Wasser zu gehen. Wenn also in früheren 
Zeiten Amblystomen in Heziko gelebt haben, so blieb ihnen beim 
Eialrilt der heutigen kHmttiMlMii Yeifalltiiiite nnr die WaU unter- 
sngeben oder sieh aolb Nene ins Wasser sortteksudehen, in wel- 
ehem ihre lehthyoden-artigen Vor&hren gelebt hatten. Dane dieeee 
direkt triebt möglich war, dass die Amblystomaforai BeltMt, ohne 
Umwandhing ihree Banes, dain triebt im Stande war, sehen wir an 
der Thatsache, dass anch in den Seeon Ton HexÜLO keine Ambly- 
stomen rorkommen. Ein Znrtlcksiehen ins Wasser konnte — wie 
es seheint — nur dnieh voUstlndigen Bncksehlag auf die lehthyo- 
denform erreieht werden. Diese trat denn anch ein. 

*) Vergleiche das oben schon angtjsogene, vortreffliche Buch von Müh« 
lenpfordt flberHndoo, Bd. I. 8. (»^76. 



272 Ueber die Umwandlung des mexikan. Axoloü in ein Amblyitoma. 

Meine Hypothese von der Umwandlung des A\olotl verlangt 
aber nicht nur den Nachweis, dass Arablystoraen unter den heutigen 
Verhältnissen in Mexiko nicht leben können, sondern aach den 
wdlereoi das« früher andere YerhlUtnisse dort walteten und zwar 
Bolehei wie ab die Exisfens ven Landgal&mandem ennOglidiai. 

Auf rndne Frage , ob man Mmehmen dürfe , dass etwa war 
Diluvialzeit die Fenchtigkeitsverh&ltnisse der Luft auf der Hoeb- 
ebene von Mexiko weaentlicb andere waren als beute, erinnerte mleh 
Herrv. Frantzins an die oben augefubrte Beobaehtnng Hnm- 
boldt*s*) welcher in der Umgebnng des Seees von Tezenoo 
(Mexiko) dentlicbc .spuren eines weit höheren ehemaligen Wasaer- 
Spiegels anffiind. »Sttmmtliebe Hochebenen waren sicher ehemals 
ebenso viele tfnsgedebnte Wasserbecken, die sich nach nnd 
nach mit Schutt füllten nnd noch füllen. Damals mnsste 
die Verdunstung so grosser WasserflSchen eine sehr feuchte 
Atmosphäre schaffen, welche der Vegetation günstig nnd der 
Lebensweise der nackten Amphibien angemessen war.« 

Somit wSie denn «nch von dieser Seite her mdne Hypothese 
gestützt und wir dürfen wohl mit einiger Sicherheit annehmen, 
dass noch am Beginn der Dilnviaheit die Wttider von Mexiko in 
in der Umgebung der Seeen mit Amblystomen bevölkert waren, 
dass diese später aber als die Seeen mehr nnd mehr austrockneten 
und die Luft inmier mehr an Feuchtigkeit verlor, auch immer 
schwieriger auf dem Lande existiren konnten. Sie würden zuletzt 
völlig ausgestorben sein, wäre ihnen nicht durch Rückschlag auf 
die Ichthyodenform das Wasser von Neuem zugänglich geworden. 
Dass bei der Hervorrufung des Rückschlags vielleidit jene 
oben angeführten physikalischen Verhältnisse mitwirkten, welche 
den Larven das Verlassen des Wassers erschwerte, — das Ode. mit 
Sahkrusten überzogene Ufer — darf vermuthet werden, sieher 
können wir aber darüber erst dann urtheilen, wenn wir dnieh das 
Experiment die Ursachen festgestellt haben, welche bei Amphibien 
RückscUag hervorrufen. 

*j Ensai politique lur le jäoyaiune de la NouveUe-EsiMigne. ISO», p. 2S1. 



U«b«r die Umwandlung des mexikan. AzoloU in ein Amblyatoma. 273 



Zusatz. 

Nachträglich geht mir noch eine interessaote Notiz Uber die 
Fortpflanzung der in Nordamerika einheimischen 
Ambly8tomen zu. Herr Professor Spence F. Baird in 

W n s Ii i 11 j^^f o 11 Ix'ob.-u'liti'tc: inelirfaeh und an Yer!«'liiedeneu Arten 
«lie Kntwicklunj; vuin Ki au. Ijcsoudcrs l>ei Aiiil»l\ stoiiia piuictatuni 
II. A. fasciatuin. Seine Iieniia('litiinj;en selieinen noeli nirj;eud8 
veröfloutlieht zu »ein, wie ieh denn Uberhauiit nicht im Stande war, 
irgend welche Angaben Ulier AniblyHtouia-Eutwicklung in der Lit- 
teratur aufzufinden. Einem an Herrn Dr. v. Frantzins gerich- 
teten Brief bin ich ermächtigt, die folgenden kurzen Daten zu ent- 
nehmen. 

Zur Eiablage gehen die Amblystomen ins Wasser und legen 

dort die Eier, eingehüllt in dne gallertiire Masse, aber nicht 
mehr, als 15 — 20 im Ganzen. Das kuglige Ei ist sehr 
gross, vielleicht ' , Zoll dick. Dasselbe entwickelt sieb 
bald zu einer Siredon-artiycn Larve, welclie iiicbrere Monate in 
diesem Zustande verharrt. Dann selirunipfen die Kiemen, das 
Thier beginnt zu kriechen und macht alliuäiig die verschiedneu 
Umwandlungen bis zur voUkomuiuen Amblystomaform durch. 

Ans dieser Mittiieilang geht hervor, dass die Amblystomen 
weit grossere aber auch weit weniger Eier legen, als die Axolotl, 
sowie dass ihre Entwicklung durchaus der nnsrer Salamander gleicht. 

Zum Schlüsse erwähne ich noch ein unatonnsches Vorhftltmss, 
welches meine Auflassung des Axolotl von Mexiko als eines zurttck- 
geschlageuen Andilystoma sehr energisch unterstützt. 

Von Dr. Wiedersheim erfahre ich njimlich, dass der Axolotl 
die bei allen auf (leiu Lande leitenden .Vmphibien vorkoinniende 
' I n terma xi 1 la r (1 r ti sc ' besitzt. Dieses in der Intennaxillar- 
liöhle gelegene Organ sciieiiit ilberali, wo es vorkommt, zur Erzeu- 
gung eines »Fliegenieiuis« d. h. eines ungemein klebrigen Sekretes 
zu dienen, welches das Festkleben der Beute an der hervorge- 
schleuderten Zunge bewirkt. Wenn auch die Wirkung dieses Se- 
kretes vielldcht noch eine andere sein kuin, so geht doch ans dem 
Fehlen der Intermazillardrttse bei allen ausschliesslich im Wasser 
lebenden Amphibien hervor, dass sie fttrdas Fressen im Wasser 
bedeutungslos und nicht verwerthbar sein niuss. Die Intermaxillar- 
drUse fehlt bei allen Perennibranchiatcn und Derotrenien, 
welche W i e d e r s Ii e i in daraufbin untersucht bat, beiMeuobrau- 

WeiaMsnn. Stodlen. U. I9 



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274 Uebur die Umwandlung de« mexikan. Axuloll in ein Anibljuluiaa. 



chiiB, Proteus, Siren, Gryptobranohns, Amphinma« 
Menopoma, ja diese Thierfonnen bcKitzen nieht einmal 
den Raum, in welchem die DrUsc tu i den Salaman- 
drincii lic^t. das Cnviim intennaxillare. 

lici den SnI.iniandrinen nun /oii^t die l)iiise ki'Ikiii tVlilio. 
Suwold dir l.arviM» v«>n Triton, als von A ni Ii I ystoma- Artfii 
brsil/.cn diescll»e in wold cntwicktdtcni Zustand, so /.war, das.s tlie 
Drllscu - Süliläuuhe das Cuvuui iuteruiaxillare vullständig auBfUlleu. 

Wftra nan der Aiolotl eine In der pkyletiselien Entwicklung 
Kurttckgebliebene Art, so wSre schon allein die blosse Anwesenheit 
der sonst bei keinem Perennibranohiaten vorkommenden, nnr ftlr 
das Leben auf dem Laude verwerthbaren DrtiKe ganz unerklärlich. 

Noch rätiiselhafter aber wird die Sache dadurch, dass die Drttse 
beim Axolotl zwar vorhanden, aber ganz rudimentär \»t. 

Wälirend nämlii li he] don Sal a tu a n d r i ne n die j^eräuunj^e 
lliilde (k's Interniaxillarraiinis ;_an/ aii-irct'üllt ist von den Scliläu- 
chen der ItetretVenden Drüse, wird dirsolhc Iteini Axolotl 
beinahe vullständig von ei nein dicht verlil/. ten llin- 
d e g e w e b c erfüllt, in vvelehcm nur ganz vonieo und zugleich 
am Boden unmittelbar Uber den Intennazillar-ZKhnen eine ge- 
ringe Anzahl von Drttsenschlänchen sieh findet, 
welche in ihrem histologischen Bau bis ins Einzelste mit den Ele- 
menten derselben Drttse der Salamandridcn übereinstimmen. 

Ich gebe diese anatomischen Details nach Dr. W ieders- 
heim's mündlicher Mittheilung. Eine austllhrliciie Darlegung wird 
Derselbe an einem anderii Orte später uac-lit'ol<.a>n lassen. 

Eine Erklärung (iieser rudimentären Intcrnuixillardrüsi' beim 
Ax(dotl sidieinf nnr nur unter der Voraussctz-ung möglich, dass der- 
selbe eine atavistische Form ist. L'nter diesem Gesichtspuukt 
leuchtet es ein, dass die bei allen Amblystoma-Larren schon 
angelegte Drttse btxm Kttckschlag des hypothetischen Ambly> 
Stoma mexieannm der DiluviahMit mit in die Perennibraachia- 
tenform des heutigen Axolotl herttbergenonunen werden mnsste. 
Es versteht sich aber auch leicht, dass das Organ im Laufe der Zeit 
mehr und mehr verkümmern mnsste, da es im Wasser keine Ver- 
wendun-r mehr fand, sowie, dass die LUeken. welche dadurch in 
dein einmal vorlcindncn favum intermaxillare entstanden, durch 
Bindegewebe ausgefüllt wurdeu. 



uiyu.^uo Ly Google 



IV. 

UEB£K DI£ 

MECHANISCHE ALlEASSUNü DEB NATLK. 



In der enteo der drei Tonrtehenden Abhandhmgen wurde die 
Frage in Utoen yersacbt, ob sich die UmwaDdlmigeii einei bestiinm- 
ten Complexes TonCharakteren bei dner beBtimmteii syeteniatieobeD 
Gnq^ allein mit Httlfeder Darwin'sehen Frincipien Tolleffiadig 
erklären lassen. DTe Entstebnng der Zeiebnirag und Fbbnng bei 
den Raapen der Sphingiden sollte allein ans individneller Varia^ 
bilität , ans den Einflüssen der Anssenwelt nnd ans den innerbalb 
des Organismos waltenden Gesetzen der Correlation abzuleiten vor- 
saebt werden. Diese Principien . angewandt anf die Entstehung 
eines gans bestimmten , wenn auch sehr eng nmprenzten Fonnen- 
gebietes sollten darauf hiu geprüft werden, ob sie allein fttr sieh 
gentigen , die Wandlungen der Formen zu erklären. 

Es zeigte sich , dass dies allerdings der Fall ist. Ueberali da 
wenigstens^ wo die zu voller Einsieht nVthigen TbatBachen vorlie- 
gen , lassen sich die Umwandlungen ans diesen bekannten Factoren 
herleiten ; es bleibt kein unerklärter Rest von Erscheinungen übrig, 
nnd wir haben deshalb auch keinen Grund , anf eine weitere nooh 
anbekannte Ursache der TrauBmiitationcn zu schliessen , welche im 
Innern der Organismen verborgen läge; für dieses Gebiet der 
Zeichnung und FiirhiinL^ der Ranpen miisste die Annahme einer 
phyletischen Lebcnnkratt als Uberflüssig zur Erklärung der Tbat- 
sachen zurliekgcwiesen werden. 

In der zweiten Abhandlung wurde sodann der Veti^iich ^^e- 
macbt, aus den Be/.iehiiii^en doppelter Formverwaudtschaft, wie 
sie Rieb bei metamorphischen Insekten der Beobachtung darbieten, 
lUlckschlUsse auf die Ursachen der Tranf^niiitationen abzuleiten. 
Es zeigte sicli hier , dass Form- nnd Blutsverwandtschaft durchaus 
nicht immer zusammenfällt, indem die Larven einer Art, Gat- 
tung. Familie u. s. w. ganz andere Formverwandtschaften auf- 
weisen können, als ihre Imagines. Sprach diese Thatsache allein 



278 Einleititng. 

schon sehr entsdiieden gegen die Existenz einer iunern treibenden 
Bntmcklnngskraft , so mnsste eine solche weiterhin auch auf dem 
Wege der Elimination beseitigt werden, da die beobachteten 
Ineongraensen der Formverwandtschaft , ebenso wie die Congni- 
enzen ihre genügende Erklärung in den Einflttesen der Aussen- 
welt auf die Organismen fand. 

80 fUlirte auch diese Untersnchnng lor Längnnng einer pbyle- 
tischen Lebenskraft. 

Die dritte Abhandlung endlich suchte zu zeigen, dass die ein- 
lige bis jetzt thatHächlich betrachtete Verwandlung einer Art in 
eine andere . nicht ohne Weiteres als Ausfluss der Thätigkeit einer 
phyletischcn Lebenskraft gedeutet werden darf, dass vielmehr die 
gritssere Wahrscheinlichkeit dafllr spricht, dass hier überhaupt nur 
scheinbar ein Fall vf)n Neubildung vorliegt, dass es sich in Wahr- 
heit aber um KUckschlag auf eine schon Irtther dagewesene Stufe 
handelt. 

Wenn diese letzte rntcrsuehung der Hypothese einer i)hYle- 
tischen Lebenskraft die ein/ige sichere Beobachtung entzog , welche 
fltr sie angeführt werden konnte , so zeigten die Beiden ersten . dass 
dieselbe auf dem Gebiete der Insektenklasse wenigsteus als durch- 
aus unberechtigt zurückgewiesen werden niuss. 

Es fragt sieh nun freilich , ob dieses Ergebniss von dem kleinen 
Gebiete, auf welchem es gewonnen wurde, auch auf die übrigen 
Gruppen der organischen Welt ohne Weiteres Übertragen werden 
darf. 

Die Aniiilnger eines organischen Eiitwit klungsprincips werden 
dies jedenfalls verneinen und für jeden einzelnen Fall, für alle 
Formenkreise dt r Organismen den besondern Nachweis verlangen; 
ich glaube ai»cr, mit l'nreebt. Wenn irgendwo, so sdieint mir hier 
der Inductionsschluss vnm oin/clnen Fall auf das Allgemeine ge- 
rechtfertigt, da gar nicht ali/.usehen ist, wie eine Kraft von so emi- 
nenter und fundamentaler Bedeutung, wie es die phyletische Le- 
benskraft sein würde, in ihrer Thätigkeit auf einzelne Gruppen der 
organischen Welt beschränkt sein sollte. Wenn dieselbe tiberhaupt 
existirt , dann ist sie die treibende Grundursache der gesammten 
organischen Entwicklung, dann ist sie an jedem Funkte derSeh5p- 
fsag gleich nnentbehrlioh, weil ohne sie ttberhaupt keine Weiter^ 
MlduDg eintreten kann, dann aber man de aaeii an jedem Pimkte 



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Einleitung. 



279 



erkennbar und nachweisbar sein, an keinem dürfen die Erschei- 
nnngeu mit ihrer Annalnne in Wideraprneh stehen, an keinem dür- 
fen sie sich ohne sie erklären und verstehen lansen. Diesellien 
Gesetze und Kräfte, welche die Entwicklung; einer einzelnen For- 
meogroppe hervorriefen, mtlssen auch der Entwicklang der ge- 
samniten «rganisclien Welt zu Grunde liegen. 

Ich ghiube deshalb allerdings, das8 wir vollkommen berech- 
tigt sind, die hei den InRekten gew(»menen Anschaunnpien anf die 
gesammte Lebewelt zu übcrtrnnron nnd 8onnt die Existenz einer 
innem, metaphysischen Entwicklungskraft Uberliaupt zu läugnen. 

Es gibt aber noeli einen ganz andern Weg, der zu demselben 
Kesultate führt, wenn nicht zur vollständigen und definitiven, so 
doch gewiss zur vorläufigen Verwerfung eines soU-hen IVincips : 
die Annahme desselben steht im W'i der sprach mit 
den ( I r u n d s ätze n d e r N a t u r f o r s c h u n g , welche verbieten , 
u n he k a n n t e Kräfte anzunehmen . so lange nicht nachgewiesen 
ist, dass die bekannten Kräfte zur Erklärung der Erscheinungen 
nicht ausreichen. iSun wird aber Niemand behaupten wollen, dass 
dieser Nachweis irgendwie erbracht worden sei ; hat doch die Prü- 
fung der bekannten rmwandlungsfactoren auf ihre Tragweite eben 
erst begonnen, und wm sie überhaupt schon augestellt wurde, ist 
sie zu Gunsten der causalcn Kräfte ausircfallen. Man würde also 
auch ohne die oben angestellten speciellcn Untersuchungen eine 
phyletische Lebenskraft in Abrede stellen müssen, und dies um so 
mehr, als ihre x\nnahnie von der grössten Tragweite ist, indem 
sie den Verzieht auf die lieg r c i f l ic h k e i t der orga- 
niKchen Welt in sich cinschliesst. Wir schneiden uns damit 
die Möglichkeit einer mechanischen d. h. gesetzmässigen Erklä- 
rung der organischen Welt von v(»rnhereiu ab. Dies aber heisst 
nichts Anderes, als Verzicht auf jede weitere Forschung. Denn 
was ist Naturforschuug anders, als der Versuch, den Mechanismus 
nachzuweisen, durch den die Erscheinungen der Welt zu Stande 
kommen? Da wo dieser Mechanisrnns aufhört, ist keine Natnr- 
forscbnng mehr möglich, dort hat allein noch die Pbilosophie za 
spreelieii. 

Diese Anffassong vertritt .ja sehen in sehr bestimmter Weise 
der bekannte Aasspmeh von Kant: »Da wir nnn in keinem FaUe 
a priori wissen kOnneOt wie viel der Meobanism der Natur als 



280 ' EinUitung. 



Mittel zu jeder Endabsiciit in derselben thue und wie weit die 
f'Ur luoB mögliche, inecliuniHcbe Erklürnngsart gehe«, so rnnss die 
Naturwissenschaft allerwärts die luechauischen Erklärungsversuche 
80 weit als mü^^lich treiben. Auch wird diese Verpflichtung 
der Naturwissenschaft selbst von Solchen zugegeben, welche einen 
grossen Nachdruck auf die Nothwendigkeit der Annahme eines 
zweckthätiiicn Princips legen. So sagt Carl Ernst von Baer, 
diia.s wir kein lleclit haben. »v»tn den einzelneu Vorgänt^eii der 
Natur, auch wenn sie augenscheinlich zu einem Hesultatc führen, 
zu behaupten, irgend ein Denkendes habe diesen Zweck bei sich 
entwickelt. Der Naturforscher muss immer mit dem Einzeluen 
anfangen und ni;ig dann später fragen, ob sämnitliche Einzelheiten 
ihn zu eineiu allgenieineu, letzten, wolleudcu und zweck- 
setzendeu (iruude fliliren' ■'. 

Wenn wir nun alsd schon allein aus diesen principiellen Grün- 
den das Recht niclit haben, zur Erklärung von Einzelerscheinungen 
eine zweektbätige Kraft, eine phyletische Lebenskraft aii/uncbinen. 
und damit die Möglichkeit einer physikalischen oder niechanisrben 
Erklärung, und dies lieisst nichts anderes als die einer uatui wis- 
sensehaftlichen aufzugeben , so soll damit doch gewiss nicht be- 
hau|ftet werden, die Entwicklung der organischen Welt sei heute 
scliMü als mechanischer Vorgang hegrilTcn. Wir l)escheiden uns 
vielmehr dabei, zu wagen, die Wahrscheinlichkeit, dass auch die 
Vorgänge der organischen Nalur, gleich denen der anorganischen 
auf rein causalen Kräften beruhen, sei sehr gross, und so dürfe der 
Versuch, auch diese auf uieciianische Principien zurlickzulllhren, 
nicht aufgcgebeu werden. Es liegt kein Grund vor, auf 
die Möglichkeit einer mechanischen Erklärung zu 
▼erziebten, und deshalb darf der Naturforscher nicht darauf 
▼entehten, deshalb ist die Annahme einer phyletisebeii Kraft dem 
Katnrforseber so lange nieht gestattet, als Mebt evident nach- 
gewiesen wird, dass die Erscheinungen ohne eine solche Annahme 
niemals verstanden werden können. 

Slan halte mir nicht entgegen, dass ja anch fllr die BrUftrang 
des individuellen Lebens lange Zeit eine Lebenskraft ange> 
nommen worden sei , als man noch nicht thatsllohliches Material 

*) Reden und kleinere AulH&tze, Theil U : Studien aus dem Gebiete der 
NatunriiMDaohaftm. Petenbvrg 1876. 8. 81. 



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Binlehung. 



281 



genag nnter den Fttssen ftlhlte, um die Herleitang der Lebens- 
erscheinnngen ans physikalischcu Kräften wagen zu können. Es 
ist wohl lieutc nicht mehr fraglich, dass diese Annahme ein nutz- 
loser Irrtbum, d. h. ein falscher Weg war. Sicherlich ein damals 
sehr entschuldbarer, denn der Stand der Frage war wegen der un- 
gleich mangclbai'tcren Basis von Thataachen ein ganz anderer als 
heute bei der aualogen Frage nach den Ursachen der Stammes- 
EntwickluDg. So leicht es auch heute ist, diese Annahme als eine 
unberechtigte nachzuweisen, so war sie doch in den» Sinne damals 
berechtigt, als sie dem damaligen Stande der Erkenntnis« ent- 
sprach. War ili»ch y.ii jener Zeit kaum eine der zahlreichen 
Brücken geseillagen, weiche die anorganische mit der organischen 
Natur heute in Verbindung setzen, und so war die Verniuthnng 
wohl naheliegend genug, dass das I.eben anf KrUftcn bcrahet 
welche ausserhall» des licbendigen nicht vt»rkoninien. 

Jedenfalls kann man es den Philosophen jener Zeit nicht 
verargen, wenn sie die Lücken der augenblicklichen Erkenntniss 
(lincli unbekannte Kräfte auszufüllen und auf diese Weise ein ge- 
schlossenes System herzustellen suchten. Die Aufgabe der Philo- 
sophie ist eine andere, als die der Naturforschung : sie strebt da- 
nach, zu jeder Zeit dem augenblicklichen Stande der Erkenntniss 
entsprechend eine vollständige, geschlossene Weltanschauung auf- 
zustellen. Die Naturforscliung dagegen hat es nur mit der Sanmi- 
lung dieser Erkenntnisse selbst zu tliun, sie braucht deshalb nicht 
stets abzuschliessen . ja sie kann eigentlich niemals ab- 
sch Ii essen, weil sie nienuils mit der Lösung aller Probleme zu 
Stande k<»njnicn wird, sie darf aber nicht Fragen blos deshalb, 
weil sie noch nicht vollständig gelöst sind, für un- 
lösbar erklären und das that sie, sobald sie auf die Möglich- 
keit einer mechanischen Erklärung verzichtet durch Hecbeiziehuug 
eines metaphysischen Frincips. 

•) Salbfitverst&ndh'ch soll damit nicht pesagt sein, dfl'*«^ e.i dem Nattir- 
fornchcT nicht anstehe, über die Krt'orschung der natürlichen VorK'inp«; d. h. 
der Natur hinauszugehen und nicht nur diese zusammcnzufasMen, sundern auch 
s« einereigeiitliehen Welt- Auffassung su verarbeiten ; vielmehr ist dieser* 
wünscht und nothui mlig, wenn die Naturerkenntnisse in ihrem wahren AVerthe 
Bufgefasst werden »ullun. Der Naturforsclier wird aber eben damit Philosoph 
und so floss auch die Lebenskraft der sog. Naturphilosophen" nicht au.s dem 
BcdOrfiiiss der KaturToraehung, sondern aus dem der Philosophie. 



282 



Finleitung. 



Dass dies der riclitiire Wog naturwif<BenBchaftlicher Forschungj 
ist, liisst sicli grade an der Beseitigung der ontogenetiHchen! l.e- 
!»enskraft erkennen. Niemand nimmt sie mehr an. seitdem man 
von der blossen Speeu lati on auf die Erforschung der Natur- 
Vorgänge zurückgekommen ist, und doch ist weder ihre Nieht- 
existenz erwiesen, noch sind wir im Stande zu beweisen, 
dass alle Erscheinungen des Lebens sich rein nur 
aus physikal iseh-chcmisehen Vorgiingcu herleiten 
lassen mUssen, geschweige denn, dass wir sie wirklich alle 
davon herleiten könnten. Auch von Ha er sjiricht es aus, dass 
die Ahschafliing der Lebenskraft ein bedeutender Fortschritt ist, 
die Keduetiou der Lebensersehei Illingen auf physikalisch-ehemisehe 
Vorgänge, obgleich dieselbe ja noeh viele Lücken 
enthält«. Er selbst weist darauf hin, wie unendlich weit wir 
noch davon entfernt sind, die Vorgänge, durch welche der be- 
frnehtete Dotter eines Hühnereies zum UUhncheu wird, auf pbysi- 
kaUscbe Verenge zu redudren. 

Woher kommt es also, dais wir Alle die Uebeizengung hegen, 
eine solobe ToUst&Ddige Bednetion werde milder Zeit mQglieh 
werden, oder wenn anoh dieses nicht, die Entwiekinng des Indivi- 
dnoms berahe dennoch lediglich anf denselben Kr&ften, welche 
anch ausserhalb der Organismen thätig sind? Weshalb ver- 
werfen wir die »Lebenskraft«? 

EinfiMjh deshalb, weil wir kdnen Grand zu der Annahme 
sehen, dass die bekannten Krftfte nicht zur Erklärang der Ersehei- 
nnngen genflgen sollten, und weil wir ans solange für 
nicht berechtigt halten, sweckthfttige Krtlfte ansn- 
nehmen, als wir noch hoffen kOnnen, dereinst eine 
mechanische Erklärung durchsnftthren. 

Wenn es aber nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten 
erschien, die ontogenetische Lebenskraft in bekannte KrSfte 
aufsaUlsen und den Nachweis des Mechanismns ansntreten, der 
das individuelle Leben hervorbringt, warum sollte es nicht eben- 
sowohl geboten sein, die jede tiefere Einsicht erstickende Annahme 
einer phyletischen Lebenskraft &Uen sn lassen und den Nach- 
weis anzutreten , dass auch hier meehaiiisehe Kittfte in ihrem Zu- 
sammenwirken die ganze wunderbare Erscheinungsftllle der orga- 
nischen Welt hervorgebracht haben? 



Einleitung. 



2b3 



Allerdings erfolgte die Beseitignng der alten Lebenskraft zn- 
DSehBt durch neue Erkenntnis von Tbatsacben, durch die Erkennt- 
niss, dasB dieselben Stoffe den organischen KOrper susammen- 
setzen , welche auch ausserhalb desselben vorkommen , durch die 
Entdeckung Wo hier' s und seiner Nachfolger, dass Produkte des 
Stoffwechsels künstlich dargestellt werden können, kurz anfEr- 
fiahrungen, welche beweisen, dass mindestens ein Theilder Lebens- 
processe von bekannten Kräften beherrscht wird. 

Aber haben wir denn auf dem Ocbiotc der Entwicklung der 
organischen Welt nicht ganz analoge Nachweise ftir die Wirksam- 
keit bekannter Kräfte.' Ist die Variabilität aller Forraentypen 
nicht eine Thatsache und muss diese nicht unter dem Einflüsse der 
NaturzUchtung und Vererbung zn dauernden Abänderungen ftlhrenY 
Ist nicht auf diese Weise das Problem glücklich gelöst worden, 
»die Zweckmässigkeit als Kesultat zu erklären, ohne sie dabei 
als Frineip zu UUlfe zu nehmen«? Allerdings haben wir den Pro- 
cess der NaturzUchtung nicht direkt mit Augen von Anfang bis 
Ende ablaufen sehen, aber es hat auch noch Nicniaiul direkt wahr- 
gcn(>?iiiiicn, wie die Eigenwäriue des thierischen Körpers (lureli die 
im Hinte und den übrigen Geweben ablaufenden Vcrbrenuun^s- 
proecHsc /u Stande kam und dciinneh ghuibt man dieselbe mit 
.Sicherheit hierauf und nicht auf eine »Lebeuskraft« beziehen zu 
mttssen . 

Allerdings sind nun die ebengenannten Darwin'selien IVin- 
cipieu der Transmutation noch keine einfachen Naturkräfte, wie 
die der Entwicklung' des Individuums zu Grunde liegend gedaehtcu 
eheniisi'h-i»hysikaliselien Kräfte, und es ist a priori nicht zu sa-ren, 
ob nicht in einem von ihnen, etwa der Variabilität oder der Corrc- 
lation neben ]>hysischen Kräften aueli noch ein metaphysisches 
Princip verborgen liegt. In der That ist neuerdings von Ed ii a r<l 
von Hart mann*] behauptet worden, die .Selcctionstheorie sei 
keine mcehanisehe Erklärungsweise, denn wie setze sich nur zum 
Theil aus meehanischen, zum andern Theil aber aus zweckthätigen 
Kräften zu-sammen. 

So muss denn zunächst untersucht werden, ob diese Behaup- 
tung haltbar ist. 

*) Wahrheit uod Irrthum im Darwinismus. Berlin 1875. 



I. Sind die Fnnoipi«ii der Seleotioiistheorie 

meehanisohe? 



Ednard von HartmaBn kftnn wohl vor Andern TBrlangen, 
da« seine Ansichten aach von Natarforscbern geprüft nnd erwegen 
werden. Mit Recht wird er sn denjenigen Philosophen gesdUilt, 
welche mit einer vielseitigen natarwiBsenschaftlichen AugrUstong 
an diese Fragen herantreten. Dennoch Kisst sieh grade an seinem 
Beispiel erkennen, wie schwierig, ja stellenweise gradezu unmög- 
lich es ist, die von der Natarforaohnng gelieferten Thatsachen in 
ihrem wahren Werthe zu erkennen, wenn man ehen nur die Resul- 
tate in sich aufzunehmen strebt, ohne die Methode ibrer Erlangung 
selbst ausgeübt, ohne also auf einem der bcrlibrten naturwissen- 
schaftlichen Gebiete durch eigene Forschun<; vollständig zu Hanse 
znsein. Mir scheint wenigstens, dass die Bestreitung des 
mechanischen Werth es der Darwin 'sehen Uniwandlungsfactoren 
znm grossen Theil auf unrichtiger Taxirung der naturwissenschaft- 
lichen Thatsaclion beruht, mit welcbeu operirt werden muss. Frei- 
lich ist Uberbauiit nicbt zu verkennen, dass schon die iranze philo- 
sophische Auffassung der Welt, wie sie v. Harr mann in seiner 
»Philosophie des rnbewnssteu" nicdergclc^^f bat, einer unbefange- 
nen Absebätzung der naturwisscnscbaftlicljcn Thatsachen und der 
Vcnverthung derselben in mechanischem iSinne nicht grade günstig 
sein kann. 

Variabilität, Vererbung und v<»r Allem die C o r r e - 
lation werden von Hart mann als nicht rein meebanisehe Prin- 
cipieu betrachtet und in ihnen ein metaphysisches, zwcckthätiges 
Princip angenommen. 



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Ueber die mcchanUche AulfaMung der Natur. 



285 



Was zoeret die Variabilität betrifft, so bemUbt sich 
Ton Hartmann zu seigeiii dass nur die gKnzlieh schran- 
kenlose and nnbegrenste Variabilitftt eine snreiehende 
Veransselsong sei fttr das Znstandelcommen der erfordertiohen, 
ntttzlichen Anpassungen durch Auslese im Kampfe ums Dasein. 
Diese existire aber nicht, ▼ielmehr finde sich nur ein Variiren in 
bestimmter Richtung in dem Sinne Askenasy's), und die- 
ses iLOnne nichts Anderes sein, als der Ausflnss eines innem Ent- 
wicldnngsgesetzes, d. b. einer phyletischen Lebenskraft. 

Diese Dedaction scheint mir in doppelter Weise irrig. Eiunml 
ist es nicht richtig, dass eine g H n z Ii c h schrankenlos e Varia- 
bilität Postulat der Sclectionsthoorie sei, und zweitens bedingt die 
Anerkennung einer in gewissem Sinne »bestimmt gerichteten« Varia- 
Inlität durchaus nicht die Annahme einer phyletischen Lebenskraft 

Eine schlechthin unbestimmte, nach allen mög- 
lichen Richtungen gleiohmässig Tertheilte Variation 
soll nothwendig fllr die Sclcctionstheorie sein . weil nur dann die 
Variabilität die sichere Garantie dafür biete, » dass auch die unter 
den gegebenen Lebensbedingungen zur vollkommnen Anpassung 
erforderliche Variante nicht fehlen wirdu. Dabei ist aber 
Übersehen . dass die neuen Lebensbedingungen, an welche die An- 
passung stattfinden soll , so wenig starr und unverilnderlich sind, 
als der Organismus selbst, dass es sich bei jedem Umwaudlungsfall 
nicht darum handelt, einen Organisationstypus in vorher un- 
wandelbar fest bestimmte, neue Lebensbedingungen, wie 
in ein Procrustes-Hett hineinzupressen , dass die Anpassung keine 
einseitige, sondern eine gc^^enscitigc ist, dass eine Art sieh 
g e w i s s e r ni a s s e n i h i- e neuen L e b e n s b c d i n g u n n 
selbst aussucht, entsprechend den ihrem Organismus 
möglichen d. h. den thatsächlieU vo rkonnnende n 
Variationen. Ich wähle ein Beispiel, von welchem wohl auch 
von Hartmann zugeben wird, dass es sieh nur diiicli Natur- 
zUchtung verstehen lässt, einen Fall von Naehätlung Minncry). 
Gesetzt es flrige unter den Helicouideu Südamerika'« eine Weiss- 
lingsart, welche weder in Gestalt, noch Zeichnung, noch Färbung 
einige Aehnliehkeit mit diesen vor Feinden geschützten Schmetter- 
lingen hHftc, wer würde läugnen , dass es dieser Art sehr nützlich 
sein mUssle , die Form und Färbung einer lieiicouide anzunehmen 



280 



Ueber die mecbaniaohe Auffanaung der Natur. 



and sich dadurch in neue, den biiherigeii NachsteilnDgen ihrer 
Feinde entzogene Lcbeushediugungen zu begeben ' Wenn aber die 
physische Natur der betreffendeu Weis.slingsart da» Varkomnien 
heliconidenartiger Variationen anasohlieast, gebt nun ans dieser 
Unfähigkeit, sich grade diesen neuen Lebensbcdingangen an- 
zuschmie^n schon der Untergang dieser Art hervor? Kann ihre 
ü^stenz nicht auch auf andre Weise gesichert, kann nicht allein 
schon durch grosse Fruchtbarkeit die Zeretörung zahlreicher Indi- 
viduen durch Feinde compensirt werden ? nicht zu reden von den 
zahlreichen andern Möglichkeiten, durch welche die Zahl der llber- 
lobendcn Individuen vermehrt, also die Existenz der Art l)efestigt 
werden könnte. Auch ist dies Beispiel nicht einmal willkürlich |jre- 
wUlilt; es gibt tliatsächlich in den Heliconiden Districten eine 
Meuicc von Weisslingen, welche nicht die schützende Färbunjr die- 
ser widrig sciinicckenden Faniilic l)esitzeii. l-s handelt sich also 
bei der Annahme dieser neuen Lehenshedingungen nicht um Sein 
oder Nichtsein, sondern nur um Bessersein' Nicht jede Wt iss- 
lingsart kann sich iliuen fügen, weil nicht jede die erforderlichen 
Farben- Variationen hervorl»riiigt , aber diejenige, welche es kann, 
thut es auch, weil sie dadurch besser geschützt ist, als sie vor- 
her war. Und so wird es Uberall sein 1 Dementsprechend finden 
wir überall , wo gt'sehützte . Immunität vor Feinden geniessende 
Insekten vorkummcn, auch Nachäffer derselben, bald nur einzelne, 
bald mehrere, meist aus sehr verschiednen Insektengmppeii. ent- 
sprechend der selion vor dem Beginn des An])assnngs - Prucesses 
vorhandneu allgemeinen Aehnlichkeit und der durch die jdiysische 
Natur der betreÜ'cudeu Arten gegebcueu Variatious - Möglich- 
keiten. 

In der ersten Abhandlung dieses Heftes wurde nachgewiesen, 
dass bei gewissen Schwärnierraupen heute noch ein Anpassungs- 
Process sieh vollzieht, darauf beruhend, dass zwar die junge 
Raupe durch das Blattgrün ihres Körpers sehr gut geschützt ist, 
dass diese Färbung aber nicht mehr genügt , das Thier zu verber- 
gen, sobald dasselbe Uber Blattlänge hinauswächst 
Alle diese Raupen — e« ist eine ganseBeihe toii Arten — nimmt 
nan bei smielimender Grilese die Gewohnheit an, sieh bei Tage am 
Boden sn verbergen, und nur bei Naeht m firessen. Dadnreh 
werden also neue Lebensbedingungen gesetzt, die 



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Ueber die mechanische Autfassung der Natur. 



287 



flog» zwingende sind d. h. die nicht ohne OefHhrdimg der Art- 
Existenz anfgegeben werden konnten. Diesen neuen Bedingnngen 
entsprechend hat nnn ein Theil dieser Arten das grüne Jngendkleid 
abgelegt nnd dafttr eines der donkeln Umgebung des hei Tage ver- 
steckten Thieres entsprechende branne Firbnng angenommen — 
bei einer Art hente schon in beinahe allen IndiWdaen, bd andern 
nur bei einem grosseren oder geringeren BmchtfaeO derselben. Ge- 
setzt nun aber, es befände sich unter diesen Arten eine, derm phy- 
sische Natnr braune Farbenallancen nicht henrotbringen kSnnte, 
mttsste nnn deshalb schon die Art unteigehen ? Wäre es nicht denk- 
bar, dass der Mangel der Farbenanpassung durch besseres Ver- 
stecken, z. B. durch Einwühlen in die Erde compensirt würde, oder 
aber durch grössere Fruchtbarkeit der Art oder durch Ausbildung 
eines Widrigkeitezeichens , falls die Art ungeniesshar wäre , oder 
Entwicklung einer ^cbrcckzeichnung'/ Mit andern Worten, könnte 
die Haupe die gegebene neue Lebensbedingung des Verstecktseins 
bei Tage nicht selbst so modificiren, wie es den in ihrer physischen 
Natur gegebenen Variations-Möglichkeiten entspricht 1 

Thatsacbe ist es, dass bei einer dieser Arten die grllucFariie 
nnrerändert beibehalten wird, trotz der veränderten Lebensweise, 
und diese Art ist da wo sie vorkommt trotz der Nachstellungen der 
Entomologen immer noch häufig (Deilephila Hippophaes) ; 
allerdings aber versteckt sie sich wohl besser und tiefer, als andre, 
durch ihre braune Färbung selion s( liwer sichtbare Arten z. B. Sphinx 
Couvolvuli. Hei einiT audorn Art wird die auftallende gell»giUne 
Färbung ebcutalls in der Mehrzahl der Individuen beibehalten, 
aber diese Art wUklt sich bei Tage in die lockere Ackerkrume ein 
(Ach. Atroposi. 

Man wird mir eimvcrfen , es gäl)C ducli auch Veränderungen 
der Lebensbedingungen, die zwingend eintreten, denen sich 
die betroflene Art nicht entziehen könne, sondern bei welchen die 
Anpassung nothweudig erfolgen musa, wenn nicht Uutergaug ein- 
treten soll. 

Ganz gewiss gibt es solche zwingende Lebensbedingungen und 
es ist ja auch kein Zweifel, dass viele Lebeformen untergegangen 
sind durch .\usHterl)en , ui( lit durch Unnvandlung. Ich glaube in- 
dessen, dass sie sehr viel seltner eintreten , als man auf den ei'sten 
Blick auzuuebmeu geneigt ist. Im Allgcmeineu steliea die Alter- 



288 



Ueber die mechanische Auffaiwung der Natur. 



native der sofortigen Umwaodlang oder des Untergangs nur solche 
Aenderongen der Lebensbedlngongen, welche sehr rasch 
eintreten. Das plötzliche Eintreffen eines neuen, ttbermSch- 
tigen FdndeS) wie es der Mensch ist, hat nicht nnr der Dronte und 
der Steller'sohen Sehkuh, sondern noch gar vielen Arten den Unter- 
gang gebracht oder wird ihn noch bringen. Wenn in Amerika all- 
jährlich hunderttausend Morgen Urwald abgeholst werden , so wer- 
den damit sogleich die Lebensbedingungen einer zahlreichen Thier- 
und Pflanzenwelt so plötzlich verändert, dass sie keine Wahl 
haben, sondenn untergehen mttssen. 

Solche plötzliche Aendemngen der Lebensbedingungen treten 
aber in der nicht vom Menschen beherrschten Natur, traten also 
vor Allem in firttheren Epochen der Erdgeschichte wohl nnr sehr 
selten ein. 

Aach die kliniatischen Aendernngen, welche man 
wohl am ersten noch als solche ansehen mOchte, die zu einer Ab- 
äuderung in einer, bestimmten Kichtun^ zwingen, traten sicher- 
lich stets 80 lanj^sam ein, dass die Arten Zeit hatten, sich in dieser 
oder jener Richtung, wie es eben die niögUdien Variationen ihrer 
physischen Naikur erlaubten, den Verhältnissen anzupassen — oder 
aber auszuwandern. 

Es scheint mir deshalb nicht richtig, dass die Variabilität eine 
»schlechthin unbestimmte« sein müsse, um ihre KoUe in 
der Selectionsthcorie Darwin's zu erAlllcii und ebensowenig 
scheint mir dafür ihre 'tUnbegrenztheit« nothwendig zu sein. 
Hurt mann meint, dass nur die unbc^;rcnzte Variabilität die Ga- 
rantie biete, dass auf dem von Darwin au^enumnioncn Wege der 
allniälij:;» 11 Transmutation vonnittclst der Auslese im Kampf ums 
Dasein jeder noch soweit vom Ausgangspunkt divcr- 
gireiide Tvpus auch wirklich erreicht werde«. 

Wer hat aber jemals behauptet, dass jeder 'lyjtiis von jedem 
Punkte aus erreicht werden könne oder wenn .leiu.iud eine solche 
Tollheit wirklich sollte behauptet liaheii . wer liHW-lite nachweisen, 
dass ihre Annahme filr die Selectioiistlieorie eine Notliwendigkeit 
sei .' Wir sehen nirgeiids in der Systematik Anhaltspunkte dafür. 
Wenn aber llartmaun sich die für Darwin ]>(»stulirte ^ unbe- 
grenzte» Vuriabilitiit so vorstellt, » dass sie an und für sich unbe- 
grenzt ist und die Grenzen ihrer Ausschreitung nach einer bestimm- 



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Ueber die mechanischu Autia^suag der Natur. 



289 



ten Biehtmig mobt m aieh , gODdern nur In änsseni Hindernimen 
findet«, 80 denkt er sieh die Variabilitilt als etwas Selbststllndiges, 
gewissennassen dem thierisehen KOrper Hinzugefügtes, nicht aber 
als ein blosses Wort fllr die Beseiehnong des Sehwankenden in der 
AnsAihmng des Organisnientypns. Wenn man aber die Vaiiabili- 
tät in letaterem, dem eigenfliehen, natnrwissoiBchaftliGhen Sinne 
atifTasst, so ist sie dnrehans nicht »quantitativ nnbegrenst«, auch 
sind ihr die Grenzen nicht blos dnroh äussere Momente gezogen, 
sondern dnrch wesentlich innere, d. b. in der physischen Natur 
des Organismus begründete. Darwin hat dies ja schon sehr 
schon nachgewiesen in seinen Untersuchungen Uber die Correla- 
tionen der Organe und Organsystenie des Körper«?. Die im Körper 
wirkenden Kräfte stehen im Gleichgewieht , um mich einen Bildes 
zu bedienen ; verRudert sich ein Organ, so l)edeutet dies eine Ver- 
schiebung der Kriifte, und die Gleichgewichtslage muss nun dnroh 
Verändernngen in andern Thcilen hergestellt werden, die wiederum 
andere Veränderungen nach sich ziehen u. s. w. Darin liegt 
aber der Grund, dass die primäre Veränderung Uber 
eine bestimmte Orügge nicht hinausgehen kann, soll 
nicht die Herstellung der Gleichgewichtslage ganz 
unmöglich werden. 

Dies ist nur ein Bild und es f^ilU mir nicht ein, behaupten zu 
wollen, wir seien heute schon im Stande, für irgend eiuen Fall die- 
ses Bild in mathematische Formeln umzusetzen und nachzuweisen, 
wie stark ein Organ bei einer .Vrt abändern könne, ehe eine defini- 
tive Zerrüttuntc der innern Harmonie des Körpers eintritt. In dem 
Unvermö|.'eii solrlien Xacliwciscs scheint mir aber kein genügender 
Grund zu liegen, die \ ariabilität als den Ausflugs einer zwecktliäfi- 
gen Kraft zu fassen, als eine - innere, gesetzmässi^a' Variations- 
tendenz" Ich finde es im (iegcntlicil sehr leicht hegreiflich, dass 
wir hier die \ Orgänge der Natur nur sehr langsam im FLinzelnen zu 
analysiren lernen, weil sie nothwendigerweise sehr comi)licirt sind. 
Es scheint mir deshall) ein ganz nutzloser Einwurf, wenn Wigand 
in diesem Sinne geltend maclit. dass die Stachelbeere si'it is'i'i 
keine Vergrösserung mehr erfahren hat. obwohl nicht einzusehen 
wäre, warum sie nicht auch die Grösse eines Kürl)is erreichen sollte, 
wenn die Variabilität nicht innerlich begrenzt wäre«. Es mag wohl 
sein, dass dies vorläufig »nicht einzusehen ist«, nichtsdestoweuiger 

W*ltBaaa, BUitf«». IL |S 



290 



Leber die inechanLsche Auffassung der Natur. 



aber berechtigt uns dies sieht « es anf Bechnung einer hypotiie- 
tisoben »VariatioiiBkrftft« za setsen, welohe nun dnoial niditni« 
geben will, dass die Stachelbeere KUrbisse ttbertriflt, sondern wir 
dürfen und mttssen daran festhalten , dias es das Gegen- nnd mit- 
einander- Wirken der bekannten Kräfte ist, welche der VergrOsse- 
mng dieser Frucht Schranken setzt. 

Bei einfacheren VerhUltnissen kOnnen wir Übrigens die Ur- 
sachen solcher Wachsthuinssehranken ganz wohl erkennen. Schon 
vor mehreren Doronnien hat Lcuckart dargelegt, in wie genauer 
Beziehung das Vcrhültniss von Volumen und Oberflsicbe zu der 
() rgiini satt ons- H übe eines Thieres steht. Für Thiere kug^ 
liger Form genügt die Oberfläche zur Respiration vollkommen, so- 
' lange sie von mikroskopischer Kleinheit sind. Ein solcher Organis- 
mus kann aber niclit beliebig vergrössert werden, w«l dann das 
Verhältnis^ der Oberfläche zum Volumen ein ganz anderes wird, 
die Oberfläche wächst im Quadrat , das Volumen aber im Knbos, 
so dass sehr bald die Oberfläche der ungleich stärker wachsenden 
Körpcrniasse nicht mehr genügende Athninng bieten kann. Diese 
Art von HesclirUnknng kann keineswegs gleichgestellt werden 
jener rein änsserliciien, welche sich z. H. darin zeigen würde, dass 
einer ins l'ugoniessene fortgehenden Vcrliingcruii;r der Sclnvanz- 
fedcru des Paradiesvogels dadurch vorgebeugt wurde, dass allzu- 
lange Federn <len Flug behindern, .solche Individuen mit allzulangen 
Federn (leuniaL'li dun-li XaturzUclitung wieder ausgetiierzt würden. 
Die Ursache ist vielinchr hier eine rein innere, in dem (Tieich- 
gewichte der den Organismus beherrschenden Kräfte gelegene. 

Hart mann ist vollkommen im Kecbte . wenn er behauptet, 
die Variabilität sei weder ([ualitativ noch ([uantitativ unbegrenzt. 
Sie ist in beiderlei Sinn begrenzt, und zwar in der 
Richtung wie in der Stärke, durch die in jedem 
specifischen Organismus in etwas anderer Weise 
gegebene Mischung der p h y s i k a 1 i s c h - c h e ni i s c h e n 
Kräfte, durch die physische Natur einer jeden 
Lebensform. Er irrt al>er, wenn er die völlige Schrankenlosig- 
keit der Variabilität für ein nothwendiges Postulat der Selections- 
theorie erklärt und ebenso wenn er aus der allerdings vorhandnen 
Beschränkung der Variabilität schon auf ein zweckthätiges Princip 
schliesst. Es gibt » Variatiousteudenzen«, aber nicht 



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Ueber die mechanische Auffassung der Natur. 



291 



im Sinne einer sweckth&tigen Kraft, sondern als 
AnsflUsse der yersohiednen pliysisehen Constitution 
der Arten, welche nngleiohe Reaction anf gleiche 
inssere Beize nothwendig mit sieh bringt, wie dies 
nnten noch im NSheren daigethan werden soll. 

Darin liegt allerdings eine Aendernng der ursprüngliehen 
Darwin'flchen Annahme einer nnbegrenzten, riehtnogs- und 
schrankenlosen Variation. Aber andi Darwin hat spKter der An- 
sicht zugestimmt, dass die Qualität der Variationen wesentlich 
durch die Natur des Organismus bedingt wird*}. 

Ich wende mich zur Betrachtung des zweiten Factors der 
Selectionslebre, zu der Vererbung. Auch diese soll nach Hart- 
mann kein mechanisches Princip sein. Darwin sei selbst jetzt 
ttberzeugt worden, wie sehr die Wahrscheinlichkeit gegen die 
Mrbliche Erhaltung von Abänderungen spricht, welche, mögen sie 
nun schwach oder stark ausgesprochen sdn, nur in einzelnen 
Individuen auftreten, d. h. welche sogenannte «zufilllige« Ver- 
i&nderungen sind und nicht Auküuss eines dirigirenden Entwick- 
lungsprincipe. »Da nun aber bei den zahllosen möglichen Hieb- 
tnngen einer unbestimmten Variabilität die nützlichen Abweichungen 
immer nur in einzelnen Fällen auftreten können , so hat Darwin 
mit diesem nachtrilglichcn Eingeständniss eine aucrlUssliche Vor- 
aussetzung seiner Selectionstheorie selbst widerrufen« u. s. w. 
Deshalb nniss denn also eine »planvoll-^resetzinUssitrc, von innen 
heraus wirkende Variationstenden/' ani:enununen werden, weU-he 
glciehzcitig eine grössere Anzahl von Individuen ergreift, um die 
an sich unwalirseheiniichc Vererbung zu sicdicrn«. 

Al)or selbst ])oi der von doni \'erfasser zu Grunde geh\:rten 
scdiraukenlüsen Varialtilität darf keineswegs ;^efii|gert werden, dass 
n U t z 1 i c h e Abweichungen immer nur in einzelnen Individuen auf- 
treten können. Bei der ganzen, grossen Kategorie der 
quantitativen Abweichungen ist dies sogar .stets 
umgekehrt. Handelt es sieh um die Verlängerung eines Theils, 
so wird stets eine grosse Mas.se von lndi\ iducn die nützliche Ab- 
weichung besitzen, da es dabei eben nicht auf eine absolute Ver- 



*) KnUtehun^ der Arten. 4. deutsche Auflage 8. 19. 5. englische Auflage 

i>«ite 8. 



292 



Uebar die mechunische Auffassung der Natur. 



grOssening ankommt, sondeni nur darauf, dass der betreffende 
Theil länger ist, als bei andern Individuen. 

Kommen aber qnalitatiye Abiindeningen in Betraeht, so 
fragt es sieh, ob Darwin's »naehtiigliefaes EingestSndniss« nieht 
in weit geht. Solehe Bereebnongen , wie de die North British 
Review in jenem von Darwin angesogenen Artikel vom Hftiz 1867 
anfrtellt, sind doch sehr trilgeriseh , da wir gar kein Mittel haben, 
die Stärke des Sohntses, welchen eine nlltxUohe Abweiehung ge- 
währt, an messen, somit anch kaum mit iigend welcher Sicherheit 
bereehnoi können, bei einem wie hohen Froeentsata von Individuen 
eine AUIndening gldchieitig auftreten muss, damit dieselbe Aus- 
sicht hat, auf die folgende Generation ttbertmgen zn werden. 
Wenn unsere blaue Feldtaube überhaupt im Polarklima esistiren 
knnnte und innu liiltte die Macht, sie allmälig, nicht plOtS- 
lich und iu wildem Zustnii«! jenen Hejrionen zuzuführen, wer 
wollte daran zweifeln, dass sie die weisse Farbe aller Polarthiere 
annähme? Und doch treten unter den wilden Felstauben weisse 
Variationen nieht häufiger auf, al» bei der Schwalbe, Krähe oder 
Elster. Oder mUsste die weisse Farbe der Polarthiere , die gelbe 
der Wüsten-, die grUne der auf Blättern lebenden Thiere st^ts auf 
eine »planvoll gesetzmässige, von innen heranswirkendc, bestimmte 
Variationstendenz« bezogen werden, welche es mit sich brächte, 
da BS eine »grössere Anzahl von Individuen« in der gleichen Weise 
variirten? 

Ein Gran Wahrheit ist auch hierin: ganz vereinzelt auf- 
tretende Variationen liaheii wohl wenip: Aussicht, zu herrschenden 
Charakteren zu werden, und dies ist es offenbar, was Darwin zu- 
gestanden hat. 

Dies ist aber keine.swegs gleichbedeutend mit der Annahme, 
dass nur solclie N'ariationen Aussicht auf Bestand hal)cn , welche 
von vornherein l)ei zahlreichen Imlividnen auftreten. Halten wir 
uns an die 'l liatsachen ! Wir hal)eu nicht den ;j:ering8ten Grund, 
die weisse Farbe der Polarthiere als di r ekt e Kinwirkung der Kälte 
zu l)etrachten. s(t wenig als die grüne Farlie der auf Blättern leben- 
den Kaupen aut" di rekter Einwirkung des Sitzens auf Blättern be- 
ruht: hcide riiaraktere tinden ihre Erklärung nur durch die An- 
nahme von Naturzüchtung, und wiederum Nichts spricht für die 
Auuahme — welche Hart mann für das Gelingen des Proeesscs 



Ueber die maehuiiiehe AuffaMung dm Natur. 



293 



postnlirt — da88 sn gleicher Zeit viele Individuen iu Weiss vuri- 
irten. Wir kennen keine einzige aatserpolare Art von dankler 
Farbe, welche häafigd. h. in jeder Generation nnd in vielen 
Individuen in Weiss variirte, wohl aber kennen wir zahlreiobe 
Arten , welche von Zeit zu Zeit einzelne weisse Individuen hervor- 
bringen. Wenn wir nun auf der andern Seite finden, dass alle 
polaren Thiere , denen die weisse Färbung von Nutzen ist , dieselbe 
auch besitzen, und zwar huiter Arten, deren nächste Verwandte 
nur gauz vereinzelt in Weiss variireu, mllsseu wir nicht daraus allein 
sclion schliessen , dass aiu-h v c rc i u zc 1 tc Variationen unter gUu- 
Stigeu Hedingungen zu licrrscliemlen Cliaraktereii werden kfhnie'n ' 

Mir scheint, dass man in dieser Frage auch von iSeite der An- 
hänger der Sclectionstheorie ein wichtiges Moment zu wenig be- 
rtlcksichtigt hat, nändich die ol)en schon betonte Langsamkeit 
der meisten und vor allem auch der klinuitischen Acndennigen. 
Wenn die Umwandlung eines gemässigten in ein arktisclirs Klima 
so rasch einträte, dass die ihr ausgesetzten Arten der Alternativ c 
gegenüberständen , entweder in zehn oder zwanzig ('»encrationen 
weiss zu werden , oder aber cxistcnz-uufähig , so könnte nur die 
schleunige Intervention einer zweckthätigcn KniÜ sie dadurch vor 
dem Untergang retten, dass sie in aller Stlinclligkcit glcicli liun- 
derttausende von Individuen uini'ärbte. Uaiiz anders aber steht die 
Sache, wenn die l'mwandlung des Klimas sich erst im Laufe 
mehrerer Tausende von Generationen vollzieht , wie es ja nach 
den Ergebnissen der Geologie thatsächlich der Fall ge- 
wesen sein muss. 

Nehmen wir ein bestimmtes Beisjuel . ein sehr bekanntes , den 
Hasen. Er bleibt bei uns im Winter braun und bringt nur selten 
weisse Variationen hervor, während sein Vetter, der Alpenhase, 
während sieben Monaten des Jahres weiss ist , der Hase von Nor- 
wegen während ueou Monaten , der von OrOnland das ganze Jahr 
hindurch. Wenn unser Klima in der Umwandlung in ein arktisches 
begriffen wttre, so wttrde naeh bestimmter Zeit snerst ein Moment 
eintreten , in welchem die Alte Farbmig keinen Vorzug mehr be- 
tfsse vor der gelegenflieh und reraimelt vorkommenden weissen 
VariatioD ; die Wintertage mit sohneebedeektem Boden wSren non 
so zahlrdeh geworden , dass der Schutz , den sie dem weissen Thier 
gewlthren, dem Sehnts gldohkommt, dessen sieh die braunen In- 



294 Osber die maehMiielw Auffmaiif der Netnr. 



(lividiien an den irlcich zalilieiclioii srhncefi tien lagen erfreuen. 
V(»n diesem Moniente au werden die im Winter weissen Hasen nicht 
stärker mehr von Füchsen n. s. w. deciniirt werden, als die brau- 
nen. Dieser Moment nmss aber in Form eines oder nuhrerer 
Jahrhnn(b'rto vorbestellt werden, nnd es nillsste seitsam zufjehen, 
wenn von den einzelnen , jetzt gleieli existenztalii^eu weissen Ha- 
sen nicht ein/eine weisse Familien gegründet werden sollten. All- 
mäiig aber wendet sich das Blatt noch mehr nach der andern Seite, 
die braunen Hasen werden stärker decimirt , und wo iil»erhauitt 
schon weisse Familien sind, besitzen diese einen Vortheil iui 
Kampfe ums Dasein. Daraus folgt noch nicht, dass nun die dun- 
keln Individuen sofort ausgerottet werden müssen, im Gegentheil. 
der Vortheil auf Seite der weissen ist lauge Zeiträume hindurch 
nur ein geringer , dieselben werden auch nur langsam sich zu einem 
höheren Procentsatz der Ciesammtl)evölkerung hinaufarbeiten, trotz- 
dem aber niasg ihre Anzahl stetig, wenn auch sehr langsam zu- 
nehmen. Mit der Zeit aber muss diese Zunahme rascher wachsen 
and zwar ans doppeltem Grunde , einmal weil auch ein sehr ge- 
ringer Vortheil mit der wachsenden Individuenzahl immer zabl- 
reiidiere IndiTidtoii Sieger bl^ben liest , dum eher, weil in dem 
Heese t eis das Klima sioli dem arktiscbeit nüliert, d» Vorliieil, 
weiss zvL sein , immer entscheidender dafilr wird , wer leben und wer 
untergehen soll. 

So sehe ieh dnrcbans kdnen Qmnd , wamm nicht vereinseite» 
indlTidnelle Variationen, sobald sie eben nieht nnr ein 
einziges Mal auftreten, sondern sich im Laufe der 
Qenerationen öfter wiederholen, unter günstigen Verhält- 
nissen zur Herrschaft gelangen sollten. 

Damit stimmen auch alle Thatsachen. Grade aueb der ge- 
meine Hase leigt uns, dass er wohl fUiig sein würde, sieh in glei- 
cher Weise umsuftrben. Im Ostliehen Russland besitst derselbe 
einen bellgrauen, fiist weissen Winterpeb, und Seidlits*) tbeilt 
uns die interessante Beobachtung mit, dass solche helle Exem> 
plare auch in Livland einzeln vorkommen, wo »der gemdae 
Hase erst seit dem Anfimge des Jahrhunderts einheimisch gewor- 
den ist«. 



*) Die Oarwin'Mhe Theorie, Dorpat lb75. 



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Uflber die mechanische AuiTa&sung der Natur. 



295 



Wie ich aber oben schon her^oigehoben habe, liegt anf Seite 
der Lebengbedingnngen kein Gnind so der Annahme rascherer 
Umwandlangen vor ; denn die Veründerong der Lebensbedingongen 
wird beinahe immer eine ttnsserst langsame gewesen sein, ja in 
sehr zahlreichen EHUen wird ttberbanpt gar keine öbjective Ver- 
änderung derselben eingetreten sein , sondern blos eine svbjec- 
ti V e , wenn man diejenigen Fälle so beaeichnen darf, bei welehen 
die Vertfodernng der Lebensbedingungen anf einer Veränderung 
der sich umwandelnden Thierform beruht , niclit aber auf einer 
Veränderung der umgebenden Natur. So in dem oben anp;cfii1irten 
Falle TOn Mimicry, wo die ganze Verilndemng der Lebeusliedin- 
gungen darin besteht, dass eine Art einer andern ähnlich wird. 
Der Proeess der Natnntlehtung hatte hier beliebig lange Zeiträume 
aar Verfügung. 

Ganz ähnlich wird es sich bei allen spcciellen Farben- und 
Formanpassungen zum Behufe des Schutzes verhalten. Bei allen 
diesen handelt es sich immer nur um cinBesserseiUi nicht um 

die Frage: Sein oder Nicht-Sein. 

Grade derartige Fälle sind aber am geeignetsten , das höchst 
ünwahrscheiuUche und IJnzulänglifhe in der Annahme einer Varia- 
tionstendenz als besonderer, xweckthätiger Kraft klar zu le-^en. 
Mau braucht nur irgend einen bestimmten Fall von synipatliischer 
Färbung , oder noch besser , von N ae Ii ä l't'u n ins Auge zu lassen. 
Die » Variatioustendenz « brächte es mit sich, dass eine ^^rrissere 
Zahl von Individuen dem anzustrebenden Vorbild ähnliche Varia- 
tionen hervorbriichtc . und dies - nach Hartmann wenigstens — 
auch in jeder der folgenden CTCnerationcn . so dass dadurch und in 
Verbindung mit Vererbung sich die nützliche Variation steigert. Wie 
kommt es aber, dass diese '»Variationstendenz« in Ort und Zeit 
mit der Existenz des Vorbilds zusammentrifft? Durch 
Zufall, wenn beide keine gemeinsame Ursache haben ? Das wer- 
den die Anhänger zweektliätiger Kräfte gewiss nicht zugeben; also 
bleibt nur die Annahme einer Lei Itniz scheu prästabilirten Har- 
monie, die es schon in den ersten organischen Keim hineinlegte, 
dass nach unzählij;en Umwandlungen der organischen Form, noch 
Millionen von Jahrtausenden grade zu derselben Zeit am mittleren 
Amazonenstrom etwa eine ungeniessbare Ueliconidc entstand mit 
gewissen gelb , schwarz und weisseu Zeichuuugeu auf den Flügeln, 



296 



Uebmrdie UMlumiwhe Avflhmng der N«tur. 



und eine WeiseÜDgsart an derselben Stelle des Erdballs die Ten- 
denz entwickelte, dieser Helieonide als Vorbild nachznstreben ! 

Ausser dieser gewiss wenifj enipfelilenswerthen Annahme 
bliebe a))er nur etwa noch die andere Ubrly; . dass jede oder doch 
sehr viele Wcisslings und andere Schniettcrlingsartcn dieselbe 
heliconidenartigc Variati(»nst(Mi(ltMiz in sicii trüf^en und jederzeit 
und jedcnorts zu entwickeln bestrebt wären , dass sie aber nur dort 
rettssirten, wo sie /.ulVillig örtlich und zeitlich mit den» Vorbild zu- 
sammenträfen und so durch Natur/Uchtung die »Tendenz« gefiirdert 
würde' Dem widerspreclien aber die Thati^achen , denn solche 
nachahinemle \ ariatiunen sind noch niemals in erkennbarer Weise 
bei andern Arten beobachtet worden ! 

(iunz ähnlich aber wird es sich l)ei allen als nützlich nach- 
weisbaren Abändernn^'cn verhalten, wenn ihre Entstehaug durch 
Variationstendenzen erklärt werden soll. 

Man sieht, dass die Einwurfe, welche Hart mann gegen die 
Vere rb u n g vorbringt . im Gnnide nur darthun sollen, dass der 
Process der Vererbung keine Sicherheit fllr die Erhaltung vereinzelt 
auftretender Abänderungen gewährt. Dass die Vererbung 
gelbst ein mechanischer Process sei, wird direct nicht bestritten, 
es wir<l nui augi nonnm'n , dass neue Charaktere nur dann durch 
Vererbung Übertragen werden könnten, wenn sie durch das meta- 
physische • Entwieklungsjmncip" hervorgenifen , nicht aber, wenn 
sie »zu fällig" entstanden sind. Somit richtet sich diese Kritik 
im Grunde nicht gegen die Vererbung, sondern wieder gegen den 
mechanischen Ursprung der Variabilität. 

Hier hätte Hart mann geltend machen können, dass eine 
ZurtickfUhrung des Phänomens der Vererbung auf rein mecha- 
nische Ursachen, also eine mechanisehe Theorie der Ver- 
erb u n g zur Stnndo booIi feitÜDL Dass er dies nicht that , beweist 
einenrits, dass er die Künste der Dialektik vencfamlUite , andrer- 
seits aber Usst es Tennnthen, dass aneh er das Gesetimttssige im 
Grossen und Ganzen der Erscheinung nicht verkannt hat nnd die 
Möglichkeit, eine mechanisehe Eikl&rung derselben zn finden, zu- 
gibt. In der That , wenn die YererbangsOhie^t nieht anf tinem 
Meehanismos bemhte , sowttssteieh nieht, welche Vorgänge des 
Lebens man ttberhanpt noch als meebanisohe anftnfassen bereeh- 
tigt wtre ; denn sie alle httngen aols Innigste mit der Vereibnng 



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Ueber die meohaniaehe AuffatsuDg dar Natur. 



297 



zusammen , sind eines mit ihr nnd können isolirt von ihr nicht ge- 
dacht werden. Haeekel nennt sehr richtig die For^flanzung ein 
Wachsthum Uber das Mass des Individarnns hinaus nnd führt da^ 
mit die £ncheinungen der Vererbung anf diejenigen des Wachs- 
thums znrOek. Umgekehrt könnte man auch das Wachsthmn eine 
Fortpflanzung nennen , denn dasselbe beruht anf einem unansge- 
setzten Vermehmngsprozess der den Organiemns zusammensetzen- 
den Zellen, von der Eizelle an bis zu den ungezählten Schaaren 
der verschiedenartig diflferenzirtcn Zelienarten eines hochentwickel- 
ten Thierleibes. Wer wollte verkennen , dass beide Vorgänge, die 
Fortpflansnng der Eizelle und ihrer Nachkommen beim Aufbau des 
Individuums and die F rtpflanzung der Individuen nnd Arten bdm 
Anfbaa der organischen Welt im Ganzen eine »ehr genaue und kei^ 
neswegs blos änsserliehe Analogie aufweisen*) ? Wer die« aber zu- 
gibt , mnss auch beiden V^orgängen die gleichen Ursachen zu Grunde 
liegend denken und kann nicht fUr den einen cansale Kräfte, für den 
andern zweckthätige annehmen. Wenn Ernährung nnd Zell- 
vermehrung rein mechanische Processe sind, dann 
muss es auch die Vererbung sein We?in es auch bis jetzt 
noch nicht gelang . nachzuweisen, worin der Mechanismus hier be- 
ruht, so lässt sieh doch im Allgemeinen wohl einsehen, duss dabei 
mit einem Minimum lebendiger (MganisclRi- Substanz (z. B. dem 
Protophisma der Samen- und Eizelle i^anvisse liewegungen Uber- 
tragen werden , welche man als E n t w i e k l u n g a r i c h t u n g e n be- 
zeichnen kann, wie ich dies fiiilicr schon kurz dargelegt habe'*) : 
Die Fähigkeit der Organismen, ihre Eigenschaften auf die Nachkom- 
men zu Ubertragen, scheint mir nur so gedacht werden zu kihmen. 
dass »dem Keim des Organismus durch die Mischung seiner Be- 
standtheile , d. h. durch seine chemisch-physikalische Zusammen- 
setzung in Verbindung mit seiner Molckularstruetur , eine ganz be- 
stimmte Entwicklungsrichtung mitgetheilt wird, dieselbe 
Entwicklungsriehtung, wie sie der älterliche Organismus zu An- 
fang besessen hat . . . « (a. a. 0. S. 24). Das ist nun freilich 
nicht mehr als eine Andeutung, und wir erfahren dadureh noch 
nicht , in welcher Weise man sich die Uebcrtragung der Entwick- 



♦) Vergleiche: Hacckel, Generelle Morpholopir TT, 107. 
**} Ueber die Berechtigung der Darwin'schen Theorie. Leipzig l$6b. 



298 



Utbcr die imeliMindie AnihMiuif dar Natur. 



InngsricbtuDg zn denken habe , auf welchen meehanieeheo Momen- 
ten dieselbe überhaupt beruhe. 

Diese Lücke hat iu allerjttngster Zeit II a eck el , der nnermttd- 

liehe VorwärtsdrJiiiger, dem wir bereits eine so reiche Fülle neuer 
Ideen verdanken, in seiner Schrilt, »die Perigenesis der Plastidule 
Berlin 1876« ausz(il\!llcn p'suclit. Leider war der Druck meiner 
vorliegenden Schritt bereits im Gange , so dass ich nur kwn die 
dort auRgesprochcnen Aiiscliauungen erwähnen kann. Die (irund- 
idcc . dass (lie W rcilmiig auf der l'ebertragung einer Bewegung, 
die Variabilität aut Alländerung dieser Bewegung beruhe, ent- 
spricht vollkommen der aut" andern Gebieten der Naturwissenschatt 
gewonnenen IJeljerzcugung . dass alle Gesetze in letzter Instanz 
in Gesetze der Bewegung aulVfliist werden müssen« (Uelni- 
holtz) Ich halte diesellie um so mehr tllr vollkommen berech- 
tigt, wenn auch gewiss nicht im entferntesten fllr erwiesen , als ich 
frlllicr schon die erworbenen individuellen Variatiimen als "Ablen- 
kung der ererbten Eutwicklungsricbtnng« bezeichnet habe, inso- 
fern lei,stet die HaeckeTsclie Hypothese mehr als die Darwinsche 
Pangcnesis, bei welcher eine L'ebertragung des Stoffes, nicht 
blos der diesem StotVe eigenthümlichen Bewegungsart ange- 
nommen wird. Wenn aber auch der Keim zu einer mechanischen 
Theorie der Vererbung in IIa ecke Ts Hypothese enthalten sein 
mag, so scheint sie mir doch von der vollen Lösung des Problems 
noch ziemlich weit entfernt zu sein. Sie macht wohl einen Theil 
der Vererlningsvorgänge auscluiulielier , wir können unter dem 
Bilde einer Molekularbewegung der Plastidule , welche durch äus- 
sere Einflüsse modificirt wird, ganz wohl die Thatsache der im Laufe 
der Generationen eintretenden allmä Ilgen Abänderung verstehen, 
dagegen scheint mir die Ännshme eines GedSehtnisses der Plasti- 
dnle — mag sie auch philosophisch yoUkonunen annehmbar sein 
— doch als eine Formel, die ▼oittnfig kaam tl^liNr in der Erkennt- 
nisi eindringen Uast. Unier dem Uehte einer Tiieoiie sollte der 
eimekoe Fall fwstlndHeli werden, der vorlier dnnkel war. leh 
wttsste aber nieht, wie die Terschiednen Formen des Rttekschlags 
B. B. der Rttekseblag , weleher bei Krenmngea verseluedner Ba^ 
hiniig eintritt, dnieh die Annahme eines Qedftehtnisses der Plasti- 



*) PopulSw wiiMBiehaftl. Vortxlg«, H^2. Bnunadiwdg 1871. 8. 106. 



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Ueb«r die medtanitehe AnffaMoiig d«r Natur. 



299 



dule verständlicher würde Wenn in bdden Aelteni die Plusti lule 
längst andersgeartete MolekularbewegUDgen angenommen baben, 
warum erinnern sie sich dann bei ihrem Znsammentrefifen im Keim 
Teigangner Zeiten und nehmen die alte, längst verlassene Bewe- 
gung wieder an ? D a s s sie dieselbe annehmen , ist ja Thatsache, 
insofern wir einmal die Entwicklungsriehtung des Individuums auf 
Moleknlarbewegnng der Plastidule zurUckfUhren : das Warum aber 
scheint mir durch die Annahme eines Gedächtnisses der Plastidule 
nicht klarer zu werden. Eine inechanische Theorie der Vererbung 
mttsste vielmehr zeigen krmiien . dass die l'lastidulheweguugeu der 
männlichen und weildichcu Keimzelle bei ihrem Zusammentreften 
in diesem Falle der Kreuzung weit abweichender Formen sieh gegen- 
seitig so moditiciren . dass als Resultante die Bewegungsart der ge- 
meinsamen Stammform daraus hervorgehen muss. Bis zu solchem 
Nachweis ist aber wohl noci> ein weiter Wog. IJebrigeus bezciehnet 
Haeckel selbst seine Hy{)(»tlicse keineswegs schon als eine »me- 
chanische Thcoriio der Vererbung«, sondern nur als 
einen Anfang dazu . als eine Hypothese . von welcher er hofft, dass 
sie sich »zum Hange einer genetischen Molcelilartheorie wird aus- 
bilden lassen« (a. a. 0. S. 171. Wenn wir aber auch mit dem 
ungenannten Kritiker der » Philosophie des Uubcwussteu " liekennen 
müssen, dass j^die Thatsaelie der Vererbung bis jetzt jeder natur- 
wissenschaftlichen Erklärung spottet « * , so liegt darin doch kein 
Gruutl zu einer m e t a p h y s i s c h e n Erklärung zu ÜUehten . >? welche 
hier sicherlich am allerwenigsten im Staude ist, den Mangel an 
Verständniss des natnrgesetzliclien Zusammenlianges zu ersetzen«. 

Dass von II artmann von dem Boden des l'nbewussten aus. 
aufweichen! er steht, das Gesetz der (.'orrelatiou als unbe- 
wus.ste Anerkennung eines »nicht mechanischen Universalpriucips 
von Seiten des Darwinismus« hinstellt, kann nicht Wunder nehmen. 
Er versteht eben unter Cor rclation etwas ganz anderes » als wir. 
Hartmann meint, »der Darwinismus sehe sich selbst durch die 
empirischen Thatsachen genöthigt, die gcsetzmäasige Correlatieii 
der mm Spedeatypiis gehörigen Chankters anzuerkennen ; damit 
widM^rieht er aber sefaMik mechanischen ErkUmngsprincipien, 
welche alle daraof hinanslaiifen, den Typus als ein mosaikaitig 



*} ». a. o. 8. 89. 



300 



Ueb«r die omoIuuümIm AnfbwuBg der Netur. 



zusammengewürfeltes, Uusgerliclies , zufsllligea Aggregat von Merk- 
malen autV.ufasgen , welche einzeln neben oder nach einander darch 
Züchtun^^ oder (Jewöhnung erworben sind". Ich glaube aber, dass 
eine soU lie AulTassung weder von Darwin, noch von sonst Je- 
mand augenoninicn würde, (irade die Anerkennung, dass zwar 
nicht jede, alicr doch jede j) h ysiologisch tiefer eingreifende 
Einzel-Abäudcrung mit einem System correlativer Alianderungen 
unmittelbar verknüpft ist oder sein kann, spricht es ja aus. das« 
man aucli \ou unsrer Seite eine innere Harmonie der l lieile, eine 
Gleiclij^ewichtslage , wie ich es oben ausdruckte, anerkennt. 

Atier scliliesst dies schon die Anerkennung eines zweckthätigen 
l'rincips ein oder eine nuH'hanische Erklärung aus ' Ist damit schon 
die Anerkennung eines - Speciestypus« gegeben in dem Sinne eines 
unzertrennlich verbundenen ('(un]»le\es von Merkmalen, ans denen 
keines lieraufigenonimen werden kann, ohue dass alle andern sich 
ebcufallH iindern ' Stimmt überhaupt eine solche AnscbaauDg za 
den empiriBcbeu 'riiatsaeheir' 

Beides sebeiut mir keineswegs der Fall zu sein. 

Ich beantworte zuerst die zweite Frage. Von allen möglichen 
Seiten her ist jetzt die frühere Ansicht von der absoluten Natur der 
Speeles widerlegt; es gibt keine Grenze zwischen Species und 
Varietiit. Wenn aber Hartmann annimmt, dass l)ci der Umwand- 
lung einer S[)ecies »in eine andre der »ganze gesetzmässig ver- 
knüpfte Complex Hieb ändern " müsse, su ist das ein Rückfall in die 
alte Lehre von der abs(duten Natur derSpeeies und steht in grellem 
Wideraprucb mit zahlreichen Thatsachcn. Wir beobachten nicht 
selten Varietäten , welche sieh von der Stammform nar durch ein 
einziges Merkmal nntersclieiden , andere, die mehrfache Unlar- 
tddede anfW^n , wieder andere , bei wdohen die Untersebiede 
sich anf die meisten Theile erstrecken. Letsteie Abweichung wird 
dann von TieleB Systematikeni schon als neue Art bezeichnet wer* 
den, Ton andern lücht. 

Der » Speciestypns < ist also in der That eine Art von Mosaik- 
bild, aber eben ein Bild, in dem alle einzelnen Charaktere, die 
Hosaiksteinchen, znsammengefaXIren und ein harmonisches Ganse 
bilden, nicht ein sinnloses Dufoheinander. Einzetoe der Steinchen 
oder Steinchengmppen kOnnen heransgenommen und dnrch anders 
gefibrbte ersetzt werden, ohne dass dadurch nothwendigerwdBe das 



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Ueb«r die mechmniache Auffuming dar Natur. 



301 



Bild Tenerrt, d. h. als Bild zerstört werde, aber je grossere 
Stttoke desselben TerSndert werden» um so mehr werden andi in 
den andern Theilen der BildiUtohe Correetoren nothwendig, damit 
die Harmonie des Ganzen erhalten bleibe. 

Noch schwerer als die bei versehiednen Tbiergruppon sehr 
hiofigen nnmerkliehen Uebergänge, weiche Art nut Art verbinden, 
scheinen mir aber die in der zweiten Abhandlung dieses Heftes 
dargelegten Thatsachen ins Gewicht zn Men, welche beweisen, 
dass die zwd EncbeinnngBformen einer Spedes sidi gänzlich un- 
abhängig yon einander verändern kOnnen. Die Banpe ändert ab, 
wird nene Varietät, selbst Art (dem Formwertb der Abänderong 
nach), der Schmetterling aber bleibt onYOiindert. Wie kann das 
geschehen, wenn noch ein anderes Gtesetx, als das des physiolo- 
gischen Gleidigewichtes dieTheile oder Merkmale andnander- 
kettet nnd sich zn Tersebieben gestattet? Mtlssten nicht die zwei 
Stadien ganz ebenso rieh mit nnd durcheinander yezindeni , wie die 
Thdle eines Ki^rpers, da sie ja zusammen erst den 
Speciestfpus ausmachen? Und dass dies nicht geschieht, ist 
das nidit eben ein Bewds, dass der ganze, allerdings dennodi 
»gesetzmässig Teibnndene Oomplexc des Arttypns nicht durch dn 
metaphysisches Frindp zusammengehalten und rerbunden ist, son- 
dern nur durch Naturgesetze? 

Wenn aber Hartmann die Beziehungen yerschied- 
ner Arten zueinander eben&lls unter den Begriff derCorre- 
lation &sst, also z. B. das Yerbältniss der Abhängigkeit, in wel- 
chem Orehideenbltttben und die de besuchenden Insekten zueinan- 
der stehen, so vcrlUsst er eben den naturwissensehaftlichen Begriff, 
der mit diesem Worte rerbonden werden sollte, ganz und gar und 
bringt zwei heterogene Dinge zusammen, die niclits miteinander 
gemein iiabcn , als dass sie beide von ihm als Ansflass des Unbe- 
wussten betrachtet werden. Die Conscquenz, die dann weiter aus 
dieser selbstconstruirten Correlation gezogen wird, dass uämlieh 
eni organisches Correlationsgesetz nnr ein andrer Ausdruck fUr ein 
■ organisches Entwicklungsgesetz« im Sinne einer metaphysischen 
Kraft sei, kann natürlich nicht anerkannt werden. 

Wir verstehen unter Correlation nichts Anderes , als die Ab- 
hängigkeit eines Theils des Organismus von dem andern, die gegen- 
seitigen Wechselbeziehungen derselben, wdche lediglich auf einem 



302 



Ueber die mechanische Auffassung der Natur. 



»phyBiologiBehen AbbSngigkeitSTerhaltnissc beruhen, wie Hart- 
ing nn selbst 68 ganz richtig bezeicbnet Damit ist natttrlieh die 

gesaniTnte Morphologie des Organismus mitbegriffeD^ nnd zwar so- 
wohl der Bau iiu Grossen, die Länge, Dicke, Schwere dar einselnen 

Theile, als der mütroskopische Bau der Gewebe, denn von allem 
Diesem hängen ja eben die Leistungen der einzelnen Tbeile ab. 
Wenn aber Hartmann unter Correlation »auch eine morpho- 
logisehei systematische Wechselwirkung; aller Elemente des 
Organismus, sowohl in Bezug auf die typische Grundform der Or- 
ganisation, wie in Bezug auf den mikroskopisch -anatomischen Bau 
der Gewebe« begreift, so trägt er auch hier etwas Fremdes in den 
Begriff hinein und zwar nicht auf Grund von Thatsachcn, sondern 
eben in Widerspruch mit ihnen und nur gestützt auf die Voraus- 
setzung eines »innern Entwicklungsprindps«, welches »nicht me- 
chanischer Natur ist«. 

Man hat schon manchmal den lebenden Organismus mit einem 
Krvstall verglichen, nnd mutatis mutsmdis hat der Vergleich auch 
manches Zutreftende. Wie beim werdenden Krvstall die einzelnen 
Moleküle sich nicht heliebi^' ancinaiiderfllp:en können, sondern nur 
in ganz bestimmter Weise, so bedingen sich auch die Tlieile eines 
Organismus in ihrer gegenseitigen Lagerung. Dort wo lauter 
gleichartige Theilchen sich gru])piren, ist auch ihre Verbindung 
eine sehr gleichartige, leicht zu Uberblickende, sie bietet nur sehr 
geringe .Miiglichkcit von Moditicationen, und das sie l)eherrschende 
Gesetz erscheint daher streng und unabänderlich. In dem Orga- 
nismus verltinden sich sehr mannichfaltige Theile. mag man den- 
selben mikroskopisch oder niakrosko])isch betrachten, und diese 
bieten daher auch zahlreiche verschicdne Möglichkeiten der gegen- 
seitigen Verschiebung und Aneinanderlagerung , das sie beherr- 
schende Gesetz ist weniger einfach und erscheint weniger streng 
und unabänderlich. In beiden Fällen kennen wir die letzte Ur- 
sache, welche eine bestimmte (Tleichgewichtslage stets hcrhcifiliirt, 
nicht; bei dem Krvstall fällt es Nieniand ein, die Harni(tnie in der 
Anordnung der Hieilclien einer zweckthätigen Kratt z.n/.iisc]ireibcn. 
warum sollten wir aber beim Organismus ein solches annehmen 
nnd nicht lieber den bereits begonnenen Versuch fortsetzen, die 
sicherlich auch hier vorhandnc und ebenso gesetzmässigc Harmonie 
der Theile auf ihre natUrlicbcu Ursachen zurückzuführen f 



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UdMT die mechanisohe AutfanHung der Natur. 



303 



Au dieien GiUnden seheiiit mir die Behanptang niobt riditig, 
date die Selectioiistheorie kein »meebaniBeher« Eriüftnmgs- 
Tcrauch der oigHniBehen Entwieklnng sei. Sowohl Variabilität 
als Vererbang, als endiieb Correlation lassen sieb sehr 
wohl rein medbaniseb fassen nnd mttssen so anfgefosst werden, 
so lange man kdne triftigeren Gründe daittr aufbringen kann, dass 
noeb etwas Anderes in ihnen verborgen liegt, aki physikaUseb- 
ebendsehe Kittfte. 

Allerdings aber wird man niobt bei der rei n empirischen 
Aaffftsenng stehra bleiben kOnnen, wie sie Darwin in seinem be- 
wnnderangswttrdigen Bache von der Entstehung der Artena nieder- 
gelegt bat. Wenn die Selecdonsthcoric eine mechanische Erklä- 
rungsweise sein soll, so ist es nothwendig. da.ss ihre Factoreu in 
mechanischem Sinne bestimmt t h e o r c t i b c h f o r m u 1 i r t werden. 
Sobald man dies zn thnn versucht, wird sieh aber herausstellen, 
dass in der ersten Freude Uber das nenentdeckte Selectionsprincip 
der eine in ihm selbst enthaltene Factor der Umwandlung, als der 
scheinbar bekanntere, nngemein in den Hintergrund geschoben 
wnrde gegenMbor dem andern, ncnorkanntcn. 

Ich habe schon vor einer Reihe von Jahren betont, dass der 
erste und vielleicht wichtigste, jedenfalls der unentbehrlichste 
Factor bei jeder Umwandlung die physische Natar des Or- 
ganismus selbst ist* . 

Es wäre ein Irrthum zu glaubon, dass ledifi,licli die Aus- 
senwelt bestimme, welcherlei Abiinderun^^cn an einer bestininiten 
Art auftreten sollen, vielmehr hängt die Natur dieser Abänderungen 
ganz wesentlich von der physischen Constitution dieser Art selbst 
ab, und eine wirklich erfolgende Abänderung kann offenbar nur 
als die Resultante aus dieser Constitution und aus 
den auf sie einwirkenden £iuflUs8en der Aussen- 
welt betrachtet werden. 

Wenn über unzweifelhaft dem Organismus selbst ein wesent- 
licher, ja vielleicht überwiegender Anthcil an der Qualitätsbestim- 
mnng neuer Charaktere zugesprochen werden muss, so kommt Air 
eine mechanische Aoffassung des organischen Eutwicklungspro- 

*) Ueber die Berechtigung etC. Leipzig 1^*'>^. Dort findet Rieh bereits dw 
hier etwas breiter vnrgetngene Uieoietiiche Auffassung der Variabilit&t in kur- 
zen Zügen dargelegt. 



304 



Ueb«r die meehanueb« AuffaMung der Natur. 



cesses Alles daranf an, diesen wichtigsten Factor desselben in 
% bestimmter Weise theoretisch zu fassen nnd seine scheinbar sich 
widersprechenden Aeusserungen des Siehgleichbleibens und der 
Veränderlichkeit unter einem gemeinschaftlichen Qesichtspankte 

zu begreifen. 

Nun wird allerdings von Darwin jede Abänderuu'!: in grös- 
serem Betrage als direkte oder indirekte Folge üiijsserer Einwir- 
kungen l)etraclitct. allein es wird hei der indirekten Wirkung doch 
immer schon ein gewisses, geiinges Mass von Veränderlichkeit 
{indi\iduelle Variabilität vorausgesetzt, ohne welche grössere Ab- 
änderungen nicht zu Stande k(»niinen krmnen. Em j) irisch ist 
dieses geringe Mass von Veränderlichkeit zweifellos vorlianden; 
es fragt sich aber, worauf es beruht. Lässt sich dasselbe auf me- 
ehanischeni Weirc entstanden denken, oder ist vielleicht grade hier 
der Punkt. \\u das nietajihysisehe Trincip einsetzt und diejenigen 
kleinsten Variationen darbietet. weU'lie den nach dieser .\nsicht 
unabänderlich vorgeschriebenen Gang der Entwicklung möglich 
machen? Eine theoretische Definition der Variabi- 
lität ist es, ohne welche die Sdectionslehre allerdings noch 
inmier dem Einschmuggeln einer zweckthätigen Kraft die Tliüro 
oflen lässt. Eine meclianiscdic Erklärung der VarialdlitUt muss die 
Grundlage dieser Seite der Selectionstheorie bilden. 

Diese lässt sieh nun nicht schwer aulliiiden. Alle rngleichheit 
der Organismen niuss darnuf beruhen, dass im Laufe der Entwick- 
lung der organischen Natur ungleiche äussere Einflüsse 
die einzelnen Individuen getroffen haben. Wenn wir dem Organis- 
mus die Fähigkeit zusprechen, durch Vermehrung nur genaue 
Copien seiner selbst zu liefern, oder richtiger: Die Bewegung 
seiner eigenen Entwicklungsrichtnng auf die Nach- 
kommen miTerftndert zu tthertragen, so wird Jede Bindi- 
▼idoelle Variabilitttt« daranf berahen mOssea, daei et nigleieh die 
Fähigkeit besitzt, auf ftassere Einflüsse zu reagirea, d. h. dnreb 
Verttodeningen seiner Form nnd Function zu antworten, mitiiiB 
seine ursprüngliche (ererbte) Entwieklniigsriehtung zu modifieupen. 

Schon Öfters ist es dargelegt worden, dass die »Individnenein 
nnd derselben Art« oder die Kachkommen eines Hutterthiers des- 
halb nicht absolut gleich sein können, weil sie von Beginn ihrer 
Existenz an von ungleichen Einwirkungen der Aussenwelt getrof- 



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lieber die mechanische Auifiuuiung der Natur. 



fen werden. Dies setzt aber voraus, dass sie bei vOUig gleichen 
Einflössen gleich sein würden , d. h. es setit Toraiis , dass die Va- 
riabilitftt nieht etwas dem Begriff des Oiganismns Immanentes ist, 
sondern eben nur der Anedmelc ongleioher Bednflnssting an and 
fllr sich gleicher Entwicklungsriebtangen. TbatsSchlieh freilich 
können schon die ersten Keime eines Indiridunms nicht als völlig 
gleich vorausgesetzt werden, weil die individuellen UnterHchiede 
der Vorfahren in Terschiednem Grade der Anlage nach in ihnen 
enthalten sein mUssen , und man würde schon anf den ersten Ur- 
Organ ismns der Erde /.iiriii k^clirn niUssen, um eine völlig gleich- 
artige, homogene Wurzel, eine tabula rasa, fUr die daraus hervor- 
wachscnden Nachkommen zu finden. Ob ai)er ein solcher jemals 
bestanden hat , ist wohl sehr zweifelhaft und weit wahrscheinlicher, 
dass zahlreiche erste Organismen durch Urzeugung entstanden, 
welche dann ebenfalls nicht absolut gleich gedacht werden können, 
da die Umstände, anter welcheir sie ins Leben traten , nicht absolut 
identisch gewesen sein können. Nehmen wir aber der Einfachheit 
halber einen einzigen ersten Organismus an , so wird die erste von 
diesem durch Fortpflanzung entstandene Generation nur solche in- 
dividuelle Unterschiede besessen haben , welche durch Einwirkung 
ungleicher äusserer Einflüsse hervorgerufen wurden : sdum die 
dritte Generation aber wird neben den sclbstcrworbenen . auch er- 
erbtc Ungieicbbeiten aufgezeigt lial)en . nnd mit jeder folgenden 
Generation nuiss die Zahl der durch \'ererbung bereit.s dem Keim 
mitgetheilteu Anlagen zu individuellen Verschiedenheiten bis zu 
einer gewissen Grenze bin zngennmnun haben, so dass man sagen 
kann, alle Keime tragen sclion in ihrer ersten F.ntstebung die An- 
lage zu individuellen Eigenheiten in sich und würden solche ent- 
wickeln , auch wenn sie selbst nicht ebenfalls wieder von etwas 
verschiednen P^inflUssen gctrofl'en winden. OlVenbar ist dies aber 
der Fall, da schon die jüngsten Eizellen im Eierstock eines Thieres 
in Bezug auf Ernährung und Druck nacli weisbar stets ungleichen 
äussern Einflüssen ausgesetzt sind * . WenJi es daher möglich wäre, 
dass zwei Keime genau gleich wären . auch in Bezug auf die ihnen 
durch Vererbung eingeimpfte Entwicklungsriciitung , so würden 
sie dennoch zwei nicht congruente Individuen liefern und wenn es 

•; Vergleithe : Hacckel , Generelle .Morphologie II, 8. 2U3 U. SeidHtl, 
J)iti Damiirtiche Theorie. 1875, S. 92 u. ful);cnde. 



306 



Ueber die meehaniioh« AttfliM«uiig d«r Natur. 



umgekehrt möglieh wUre , dasa zwei Individuen von der Enibryo- 
nalbildnng an von absolut den gleichen äussern EinflüBsen getrof- 
fen wurden , so könnten auch sie nicht identisch sein , weil die iu- 
dividucllen Verschiedenheiten der Vorfahrenreihe auch bei uuge- 
schlcfhtHeher F(>rt])Hanzuiig Mininialverschiedenhciten der auf das 
Ki tlbertragencn Eiitwickliui: !<richtung bedingen würden. Somit 
liernht die Veisohiedenlicit der Individuen gleicher Ahstaniiming in 
letzter I nstanz lediglich a u f d e r U n 1 c i e Ii Ii e i t d e r ä u s s e rn 
Eint'lltsse. und /war einerseits dei)( iii;:en , welche <lie E!itwi<-k- 
lung der V'orl'aliren . andererseits derieni^'en, welche das hetrell'eiide 
Individuuiii selbst vnn dem ein^esclihi.iieiien We;jre d. h. von der 
durch Vcrerbun;^ lilfertrageneii Eiitwiekiun^srieiitiin^^ um ein (ie- 
rin:;es at)lenken. Ich stimme hier /war im Wesentlichen mit 
Darwin nndllacckcl lüierein. insolern dieseliien die ■ allgeiueiiie 
individuelle l 'ngleiehiieit i auf ungleiclie iiussere Einwirkungen zu- 
rlickfiibren , weiclie aber von Darwin insofern ab, als ich kciucn 
wesentlichen Unterseliie<l /.wischen direkter und indirekter llervor- 
rnfnng individueller Unterschiede sehe, wenn mit letzterer nur die 
nnj,deiehe lieeinllussung des Ki'imes im iilterliehen ( h jiianisnnis ge- 
meint sein soll, (lewiss bat llaeekel Kedit, wenn er die ■ priud- 
tiven Versehicdenlieiten dei von den Aeltern erzeugten Keime auf 
die l'ngleicldiciten der Ernährung zurUckflihrt . denen die einzelnen 
Keime im älterliehen ()rg:inismns tun ermeidlich ausgesetzt sein 
mtlssen ; allein ofi'enbar koiiunt dazu noch eine andre l'ngleichlieit 
der Keime, die mit ungleicher Ernähruug Nichts zu thuu hat. son- 
dern auf ungleicher Vererbung der individuellen Verschiedenheiten 
der Vorfahrenreihe beruht, eine Quelle der Ungleichheit, die bei 
der gesehlechtliehen Fortpflanzung noch ungleich stärker fliesseu 
mnsB, als bei der ongcsehleehtliehcn. Wie aber hier eine Ver- 
misehnng derHerkmale (genauer: Entwieklmiggrichtaiigen) zweier 
gleiehieitig lebender Individuen in einem Keime stattfindet, 
so wird bei jeder Art der Fortpflanxnng eine Ifisehung der Merk- 
male einer ganzen Sneeeseion von Individuen (der Ahn^teilie) in 
demselben Keim zasammentreiTen, von denen sieb freilieh die ent- 
ferntesten nur selten in merklieher Weise geltend macben. 

Auf diese Weise Iftsst sich die Thatsache der individaeUen 
Variabilitüt ganz wobl versteben ; der lebende Organismus entbSlt 
in sieb selbst kein Prineip der Verftnderliebkeit, er ist das sta- 



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Uaber die meehamidM Auffuftunx ^ Natar. 



307 



tische Moment in dem Entwicklun^sprooesae der organiBchen 
Welt und würde stets nur wieder genaue Copien seiner selbst lie- 
tci u . wenn nicht die Ungleichheit der äussern Einflüsse ein jedes 
mMieiitstehendc Individiiiun in seiner Eutwicklungsrichtiing ab- 
lenkte : diese Einflüsse siud also das dynamische Element des 
ProcesHc». 

Aus dieser Fassung; des Variationsbej^rilTes hissen sich aber 
noch zwei \viehti^';e cnipirisch festjcostellte Thatsacheii tlicuretisch 
ableiten, die oben schon besj)rochen(; Beschränktheit der 
Variabilität in Bezuj; auf Qualität und die Entste- 
hun<; von Transui utatiouen auf deui We^^e «les direk- 
ten Einflusses iiu.sscrer lycbensbedi u^'U n^en. 

Wenn die Verschiedenheiten tiei ln<lividuen ^^leichcn Stammes 
anf der Wirkim- un-leieher Eintlüsse beruhen, so ist die Variation 
selbst nichts AiulercH. als die Reaction des Organismus 
anf einen bestimmten äussern Keiz. die Qualität der Va- 
riatictn wird demnach bestimmt werden durch die Qualität des Kel- 
zes und die Qualität des Or^'anismus. In dem l)isher betrachteten 
Falle der individuellen Variation war diese letztere gleich, der 
Reiz aber ungleich, und auf diesem We^^e entstanden bei Orga- 
nis!nen von gleicher physischer Constitution kleine Ungleichheiten, 
Variationen von verschiedner Qualität. 

Dasselbe Resultat , ii,iiidi( Ii verschiedene Variationsqualitäten, 
kann al»er auch aul dem umgekehrten Wege entstehen, dadurch 
dass Organismen von v c r s c h i c d n e r physischer Natur von glei- 
chen äussern EinllUssen getroffen werden. Die Antwort des Or- 
ganismus auf den Abänderungsreiz wird je nach seiner Natur eine 
andere sein oder mit andern Worten : Organismen verschied- 
ner Art reagiren verschiedenartig, wenn sie von den 
gleichen Abändernngsreizen getroffen werden« Die 
physische Natnr des Organismus spielt die Hauptrolle in Bexng 
anf die Qualitit der Variationen, ein jeder specifische Organismos 
kann daher wohl nngemebi sahlreiehe, aber nicht alle iigendwie 
denkbaren Variationen hervorbringen, nämlieh nur solche, 
welche seine physische Znsammensetsnng Uber- 
hanpt möglich macht Daraus folgt dann weiter, dass die 
VariationsmOgliehkeiten nm so welter voneinander verschieden sind 
bei swfli Arten, je weiter deren physische Constitution (die Morpho- 



308 



U«ber die meehuiiioh« Anffusung d«r Natur. 



logie des K(irpel•^^ einbegriffen voneinander abweicht, d:iss der Va- 
riati(tnskrei.s bei jeder Art ein eij;entliilniliclier ist. Somit werden 
wir auf diesem We^e /.u der Erkenntniss :;el'tibrt. dass allerdin^'s 
eine "bestimmt j^eriebtet*! Varia tion ^ bestehen muss , aber 
niebt im Sinne A skenasy's und Hartnianu's als Austluss eines 
unbekannten, innern Entwieklnn^sprineips , sondern als notb 
wendige d. Ii meelianiselie Folge <ler ungleiehen 
pbysisehen Natur der Arten, wclelie selbst bei gleichem 
lieiz mit einer nn^^leielien Variation antworten nuiss. 

Damit stimmen die 'l'batsacben , soweit wir sie kennen, sehr 
gut überein. Verwandte Arten variiren in iilinlieber Weise, Arten 
aber von entfernterer Verwandtsehaft variiren versidiiedcnartig. 
Hclbst wenn sie von denselben äussern KinlUlssen getroll'en werden. 
So habe ich in dem eisten lieft dieser Stiulien ■ darauf aufmerk- 
sam geuiacbt. da>s manche Schmetterlinge unter dem Einflüsse 
wHnnereu Klimas eine last seliwar/A- Färlmug annehmen Polyom- 
matuK IMdaeas; , während andere uragekelirt heller werden ,i*apilio 
Podalirins) . 

So lässt es sieh verstehen, wamm Uberall gewisse Ent- 
wickluogsbahuen eingehalten werden, eine Thatsacbe, die 
lediglieh ans der Natur der Lebensbedingungen , welche die Varia- 
tionen provocireu , sich nidit veratehen liesse. Sobald wir uns aber 
Idar maehen, dass die Qnalit&t der AbttnderangeD wesendich mit 
von der physischen Katar des Organismus selbst all- 
hangt, gelangen wir von sellttt zu dem Schlnsse, dass Arten von 
weit abweiehender Constitution auch verschiedenartige Variationen 
hervorbringen müssen, solche von verwandter Constitution aber 
ähnliche. Damit sind aber auch schon bestimmte Entwickluugs- 
bahnen vorgezejphnet, und wir begreifen, dass nicht von Jedem 
Punkte der oi|;ani8chen Entwicklnngsreihen aus ein jeder beliebige 
andre erreicht werden kann. Das Variiren in bestimmter Rich- 
tung schUesst also keineswegs die Anerkennung eines metaphysi- 
schen Entwieklungsprincips ein, sondern Ittsst sich als mechani- 
sches Resultat der physischen Zusammensetzung der Organismen 
sehr wohl begreifen. 

Auch iSsst es sieh leicht zeigen, auf welche Weise die an- 
gleiche physische Constitution der Organismen entstehen musste, 
obgleich doch der erste Anfang der ganzen Entwicklungsreihe, d. h. 



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Ueber die medunUche AuffiMung der Netur. :)09 

die ältt'Hfen l'rwesen als ualuv.u gleichartig in ilircr jdiv.sisclioii lie- 
scliaftcubcit aiigeuoiniiioii \v(M(1cii müssen. Die Qnalität der Varia- 
tion ist eben nicht b los (las Produkt der pliysisehen Constitution, 
sondern die Resultante aus dieser und der Qualität des abändernden 
äussern Einflnsses. So ^ng die erste » Speeles u durch ungleiche 
Beeinflnssang äusserer Lebensbedingungen in mehrere neue » Spe- 
eles » aaseinander, nnd indem dieses geschah, veränderte sich 
zogleich die bisherige physische Natnr des Organismus and be- 
dingte nnn anch eine nene Beaetionsweise auf Bnssere Einüttsse 
d. h. eine andere Variationsriehtung. Der Unter- 
schied Yon der primären wird allerdings noch sehr minimal m 
denken sein, er mnss aber znnehmen mit jeder neuen Transmuta- 
tion nnd mnss genau paralell geben dem mit dieser verbundenen 
Grade physischer Veränderung. So wird also Hand in Hand mit 
den Umwandlungen auch die Umwandlnngsfähigkeit oder 
die Reaetionsweise des Organismus auf abändernde Einflösse 
immer wieder auft Neue sich ändern mttssen, und wir erhalten 
sehliesslieh eine unendliche Menge TOn verschieden con- 
stitnirten Lebensformen, deren Yariationstendenz 
vertehieden ist und zwar in dem graden Verhältniss 
ihres physischen Abstandes, so dass also nahe verwandte 
Formen älmlich, weit entfernte sehr verschieden auf den gleichen 
Reis antworten. 

Die individuelle Variation entsteht, wie ni xeigen versucht 
wurde, dadurch, dass jedes Individuum fortwährend von etwas 
verschiednen nnd zwar immer wieder wechselnden Einflüssen ge- 
troffen wird. Denken wir uns aber im G^gentheil eine grSssere 
Individuengruppe von den gleichen Einflüssen getroffen und zwar 
von solchen Einflüssen , welchen die Übrigen Individuen der Art 
nicht ausgesetzt sind, so wird diese Individuengrnppe in nahezu 
gleicher Weise variiren müssen, da beide Factoren der Var 
rintion gleich oder nahezu glt idi sind: der äussere Einfloss nnd 
die physische Constitution. Nachweisbar werden solche Lokal- 
Variationen erst dann, wenn eine Keihe von Generationen hin- 
durch derselbe äussere Einflnss gewirkt hat und die Variations- 
minima, welohe licim einzelnen Individuum durch einmalige Ein- 
wirkung des Abändeningsreizes ausgelöst werden , sich durch Ver- 
erbung gehäuft haben. So können also Transmutationen von eini- 



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310 



Ueber die meduniitcbe AuffaMung der Natur. 



gern Belang (naohweuUch hi» mm Fonnwertb dv Art) bkw dmh 
direkt« Binwiiknig der Auseenwelt eniitelieiii auf dentelbeB 
Wege , auf dem die individiiellen Untersehiede sieh Ulden , nar dais 
dieee von GeaeratioD in Ctoieration bin- und heiMbwuikeii, da 
die de henrormfeadeii Einfitttse immer wieder weehseln, wib- 
rend hier der stete gleielibleibeiide Inseero Abiodenings-Anetoae 
aoeb imaier wieder dieselbe Viriatioa benN>mift imd io eine Hin- 
fnng der letiteren stattfinden kann. Kümatisebe Yarietiten Men 
so ibre Erklämng. 

Bine nngieicb wirksamere Hlnfliog der im ebndnen Indivi- 
dnnm entstandenen Abweiehongenkommtfreiliebdadnrcb in Stande, 
dass die Anssenwelt nn ancb indirekt anf die OfgaBismen efai- 
wiikt. Es kann niebt meine Absiebt sein, anob den ftoeess der 
Natnnttebtang Ider noebmals anseinandennlegen; ieb erwllme ihn 
nnr, am darauf binzaweisen, wie dieTransmntalion in diesem FsUe 
anf einer doppelten Einwirkung der Anssenwelt beruht» 
indem diese zaerst dnrob direkte Einwbkong den Organismus m 
kleinen Abwetdrangen Teranlasst, dann aber dnrob Auslese die 
benrorgemfenen Variationen bäuft. 

IVuist man die VariabUitat in dieser Weise, tetradilet man jede 
Variation als Beaetk>n des Organismus anfeine inssereEinwiffcnng, 
als eine Ablenkung der ererbten Entwieklungsrieb' 
tung, 80 folgt daraus, dass ebne Verftndernng der Anssen- 
welt keine Weiterentwieklung der organiseben 
Formen hätte eintreten ktfnnen. Wenn wir um vorstellen, 
dass von irgend einem Zdtpnnkt der Erdgesehicbte ab die Lebens- 
bedingungen v<0llig; unverändert blieben, so wtlrden nach nnsrer 
Ansdiaunng anch die za diesem Zeitpunkt anf der Erde vorband- 
nen Arten keine weiteren Umwandinngen mehr erleiden können, 
und hierin spricht sich der diametrale QegensatoK scharf aus , in 
welchem diese Anschauungsweise zu jener andern steht, nach wel- 
cher das treibende Princi]) der Transmutationen eben nicht in der 
Anssenwelt, sondern im Organismus selbst liegt, als phyletisebe 
Lebenskraft. 

Ich kann mir es nicht versagen, hier noch einmal auf die alte 
fontogenetifiche I Lehenskraft der Naturph ilosoph en 
zurtlckzukommen , denn die rarallele zwiscbca dieser nnd ihrer 
jüngeren Schwester, der unter so mannichl'aokmi Masken aoftreten- 



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Ueber die mechaiiiiche AuffiaMung der Natur. 



311 



den »pbyletischen Lebenskraft«, ist in der That frappant. 
W&re wirklich das treibende Priifcip der Entwicklung des Indivi- 
dBums «iae selbatstftndige , besondwe, im Imieni OrgsoinniMi 
wirkendfi Lebenskiafk, so mllwto «adi das Weiden and WaehieD 
des IndiTidaiiiDB Tor Bich geben können ohne ein fortwährendes Ein- 
greifen der Anssoiwelt, wie sie die Emiihrang und die Athmaug 
darstellen. Dies ist nun bekanntlieh nieht möglich, nnd so würden 
die Anhünger dieser Kraft , wenn es ihrer hente noch gibt , so der 
unklaren Vorstellnng eines Znsammenwirkens der zwedkthätigen 
Kraft mit den BinflUssen der Aussenwelt gedrängt, genau so, 
wie ein solehes Zusammenwirken hente Ton den 
Vertheidigern der pbyletischen Lebenskraft postulirt 
wird. leh werde weiter unten Gelegenheit haben, diese lelstere 
Vorstellung als gäusHeh unhaltbar zurllekznweiseni in Besng auf 
die Erstere ist ein scharfer Beweis nicht wohl zu fllhren, wohl aber 
wird man zugeben müssen, dass der rerworrenen Vorstellung des 
Zusanunenwirkens und Ineinandeigreifens zweekthätiger und eau- 
saler Krttfte auf nnsrer Seite eine sehr ebfachet klare nnd mit den 
Ansichten Uber phyletische Entwieklung harmonirende Vorstellung 
gegenttbersteht. Wie in der Stammes-Entwicklung jede Verände- 
rung der organisehen T^jrpen lediglieh dureh Einwirkung der 
Aussenwelt auf die Oiganismen bedingt wird, so mflssen in der Ent- 
wieklung des Individuums sämmtliehe Erscheinungen des persOn- 
lidiön Lebens auf eben solchen Einwirkungen beruhen. XHe Phy- 
siologie steht bekanntlich dabei ganz auf unserer Seite, indem sie 
nachweist, dass ohne eine stete Wechselwirkung von Aussenwelt 
und Organismus kein Leben Gestehen kann, dass die Lebensersebel-' 
ntingen nichts Anderes sind, als die Reactionen des Organismus auf 
die Einflüsse der An^Rcnwelt 

Wie genau die Vorgänge der phyletischen und der ontogene- 
tischen Entwicklung sich entsprechen . nicht blos ihrer äussern Er- 
scheinung, sondern ihrem Wesen nacli, erkennt man sofort, wenn 
man die Conseqnenzen aus der heutigen ErlKenntniss von dem Auf- 
bau des thierischen Leibes zieht. Mag man auch mit Haeckel's 
Individualitätslehre im Einzelnen nicht Uberall einverstanden 
sein, im Ganzen wird man ihre Richtigkeit doch zugeben müssen ; 
denn es lässt sich nicht bestreiten, dass der Begriff der Individuali- 
tät ein relativer ist und dass mehrere Kategorien morphologi- 



312 



Ueb«r die mechanwche AuffaMunK der Niatur. 



wher Individuen ttbereinanderstehen, welche ebensowohl einzeln 
alft physiologische IndiTidnen ,* d. h. als selbststftndig lehende 
Wesen niederster Art anftreten, wie sich zn solchen höherer Art 
verbinden können. Sobald man aber dies zugibt, wird man mit 
H a e c k e 1 in dem Werden eines hohem Orgii nismns ans c i n e r Zelle , 
dem Ei, nur eine Fortpflanzung sehen können, welche zugleich 
mit verschiedner Differenzirnng der Nachkommen, d. h. mit An^ 
passnn^ derselben an verschiedene Existenz- oder Lebensbedingun- 
gen verbunden ist. Nicht einmal der Umstand bedingt eine durch- 
greifende Verschiedenheit vom phyk'tis( hm Aufbau des Thier- 
(and Pflanzen- ; Reichs ans physiologischen Individuen (Bionten 
Ha eckers), dass die Gewebe und Orgranc eines einzigen Bionten 
durch physische Kräfte in grosser Abhängigkeit voneinander stehen, 
denn audi die gleichzeitig lebenden Thier-Individuen und Arten 
bedingen und beeinflussen sich bekanntlich in der energischsten 
Weise. 

Erwägt man nun weiter, dass dieselben Einheiten (Zellen), 
welche heute die Leiher der höchsten Organismen durch ihre Fort- 
pflanzung und Arbcitstheilung zusammensetzen, dereinst als selbst- 
ständigc Wesen den Anfang der ganzen organischen Schöpfung 
gebildet l)aben mUssen , dass damals also dieselben Vorgänge, 
welche heute zur Bildung eines Säugethiers ftibren, damals nur zu 
einer langen Reihe verschiedener, sell)s(ständiger Wesen führte, so 
wird man zugehen, dass beide Entwieklungsreihcn auf 
denselben treibenden Kräften beruhen m tl s s c n . dass 
in Bezug auf die Ursachen der Ers eh ein untren un- 
möglich eine tiefe Kluft bestehen kann zwischen 
Ontogenese und Phylogenese, /.wischen den Lebens- 
erscheinungen des Individuums und denen d er Ty j) en, 

Jsach unserer Anschauung, beruhen beide auf dem Zusammen- 
wirken derselben physischen Kräfte der Materie, welches 
sieh kurz als die Reaetion der organisirte n , lebenden 
Snhstanz auf die Einflüsse der Auseenwolt zusammen- 
fassen lässt. 

Einer solehcu Harmonie der NaturaufTassung kJinncn sich die 
Gegner nicht rllhmen, es sei denn, dass sie mit der phy- 
letischcn Lehenskraft /.»gleich auch wieder die alte 
ontogene tische Lebenskraft in ihre Theorie auf- 



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Leber die mechanische Aull~a«sung der Natur. 313 

nahmen. In der Tliat wttsste ich nicht, was sie davon abhalten 
sollte. Wer einmal ttberfaanpt der Voistellnng zuneigt, dass die 
oiganische Natnr nicht blos voa cansalen, sondern sngleich von 
zweckthtttigen Kriften beherrscht ivird, der kann die leisteren 
eben so gnt als treibende Ursaehe der indiiidnellen Entwicklung 
annehmen, wie als solche der phyletisehen. Nach meiner Ansicht 
mn SS er es sogar, denn es ist nicht abzusehen, warum die Plan- 
mSssigkeiten der Ontogenese nicht auf demselben, ja doch in 
jedem Individuum anzunehmenden metaphysischen Princip be- 
ruhen sollte, als die Plaamllssigkeiten der Phylogenese; kommen 
doch dl« letzteren nur durch die ersteren überhaupt 
zu Stande. Ich glaube deshalb, dass die Lebenskraft der 
Alten (die ontogenetische) mit der Lebenskraft der 
Modernen [der phy letischen} steht und fällt. Man 
nnss entweder beide annehmen oder keine , denn beide wadisen 
aof demselben Boden und werden mit denselben GrUnden gestützt 
oder bekämpft Wer sich Überhaupt fUr berechtigt hält, ein meta- 
physisches Princip da einzusetzen, wo der volle Beweis, dass 
die bekannten Kräfte zur Erklärung der Erschciuttugm aus- 
reichen, zur Stunde noch nicht geführt ist, der muss dies auf dem 
Gebiete der individuellen Entwicklung ganz ebenso thun , wie aaf 
dem der phyleti.sclien, denn fllr beide i«t dieser Beweis noch sehr 
weit von Vollständigkeit entfernt und enthält noch zahlreiche und 
grosse Lücken. 

Anch die theoretische Fassung der Variation als der Kcaction 
Organismus auf äiisserc Einflüsse lässt sich experimentell fllr 
jetzt noch nicht als ricliti,:; erweisen. Den feinen T^nterschiodcn 
gegenüber, welche ein ludi^ idunm vom andern untcrsclicidcn. sind 
unsere Versnche noch allzu plump, und klare Resultate zu erhalten 
wird dadurch noch bedeutend erschwert . dass immer ein Theil der 
individuellen Abweichungen auf Vererbung beruht und es häufig 
nicht nur schwierig, sondern gradezu unmöglich sein wird, die er- 
erbten von den crworl)cnen zu sondern. Noch viel weiter sind wir 
von einer Zurückflihrung der ^'ariation auf ihre letzten , iticcha- 
nischen Momente entfernt, von einer mechanischen Theorie 
der Fortpflanz nng, welche zugleich die Pirscheinungen des 
Gleichbleibcns A ererbung) und der Veränderung ^Variabilität) dem 
mathematischen CalcUl zugänglich machte. 



314 



Ueber dto tteohsaiaehe Aufikimng d«r Nfttur. 



Aber wenn auch ein §^ttgender BeweU fUr die Richtigkeit der 
hier ▼artraAenen Auffassung znr Zeit noch nicht geführt werden 
kann, so steht dieselbe doch mit keiner bekannten Thatsacbe in 
Widersprach , wird aber von vielen Thatsaclien dadaroh gestützt, 
dass sie dieselben verständlich macht (Lokalformen , verschiedner 
Variationskreis bei heterogenen ArtenU Ihre volle Berechtigung 
erhält dieselbe endlidi dadurch, dass sie die einzig mögliche theore- 
tische Formuliruuf:; der Variabilität ist, aufweiche eine mechanische 
Anffasgunp: der orpmiscli»'!! Entwicklung gegrimdet werden kann. 
DasK eine soU-lie .nher uiclif mir erhuiltt . sunderu fnr den Natur- 
forscher wenigstens geboten ist, suchte ich oben darzulegen. 



n. Meehanismiu und Teleologie. 



Im dritten Bande seiner kleinen Schriften bat kUr/.lich Carl 
Ernst V. Baer die Sclcctionstheorie einer eingehenden Bespre- 
chung unterzogen Ohne ihr die wissenschaftliche Bereelitigung 
geradezu abzu-spreebon, macht er dieselbe doch abhängig von der 
Krftillung einer Forderung, die er an sie stellen zu müssen glaubt, 
der Forderung, dass (liesell»e das Princip der Teleologie 
mit dem der mechanischen Auffassung verbinde. 

»Die Darwin'sche Hypothese, wie sie von seinen Nachfolgern 
gegeben ist, gebt immer mehr darauf aus. in den Vorgängen der 
Natur alle Bczielningen zu einem Künftigen, tias werden soll. d. h. 
alle Ziele oder Zweckbezieliungen zu leugnen. Da mir solche Be- 
ziehungen ganz evident seheinen. . . .« Und weiterhin : »Soll 
der Darwin'sehen Hypothese wissenschaftliehe Bereelitigung zu- 
erkannt werden, so wird sie sich dieser allgemeinen Zielstrebigkeit 
fügen müssen. Kann sie das nicht, so wird man ihr die Geltung 
va yersagen haben.« 

IHaw Worte aohaiiieii &Bt eioor VenullieUmig der Seleelioiis- 
theorie und der meehiiiiielieii NatnraiiffiMsnng gleiehsnkoiuflieD, 
denn wie loll ein nnd denelbe Vorgang zugleich dnreb Nethwen- 



oy -i^uu Ly Google 



lieber die mechaniarhe AuffMiung der Nuiur. 



315 



digkeiien und doeh auch dnreh sweckthStige Kiifte bewirkt wer- 
deo? Das Eine sohlieMt das Andere aas, und man mnia sdne 
Wahl treffen and sich dieser oder jener Seite anadilieBeen. So 
scheint es. 

Niebtsdestoweniger kann man die BaerMe Forderung niebt 
oline Weiteres und blos auf ihre seheinbare UnerAlllbarkeit bin in- 
rttekweisen, denn sie enthslt eine Wahrheit in sich, die anch von 
Dei\|eiugen nicht verkannt werden sollte, wehahe einer meehani- 
sehen Naturauffiusnng hnidigeii. Es ist ^eselbe Wahrheit, welche 
auch Ton den phikwophisefaen €hgnem dieser AufiiMsung geltend 
gemaeht wird, dass nKmlich die Welt als Ganses sich nieht aas 
Minden Kotbwendigkeiton entstanden denken iMsst, dass die uaend- 
Iksbe Harmonie, welche in allen Erschwungen der organischen wie 
der unoigamsohett Hatnr an allen Enden und Ecken sich offmbart, 
unmöglich als das Weik des Zuftlls gedaeht woden kann, viehaehr 
nur als das Besultat eines »plarnnSssig geriehteten, groasartigen 
Entwieklungsprocessesa. Es ist auch vollkommen richtig, wenn 
Baer auf den snpponirten Einwurf, dass die mechanische Natur- 
anffasBung ja nicht mit Zurällen operire, sondern mit Nothwendig- 
keiten, antwortet, dass die Wirkungen einer Reibe von Nothwen- 
digkeiten, welche »nicht untereinander verbunden sind« in ihrer 
gegenseitigen Beziehung nur Zufälle genannt werden künueu. Er 
illnstrirt dies mit dem Beispiel eines aufgesteckten Zieles. Wenn 
ich dasselbe mitteist eines gutgczielteu Schusses treffe, so wird 
dies Niemand fUr einen Zufall erklären, wenn aber »auf kieslgrai 
Wege ein Reiter diesem Ziele vorbeisprengt und ein von den 
Hofen des galoppirenden Pferdes aufgeworfenes Steineben grade 
in das Ziel trifft , so wird man dieses Treffen einen höchst seltenen 
Zufall nennen. FUrdaf; aufgeworfene Steiuchen war meine Ziel- 
scheibe nicht Ziel . deshalb war das Trpften ein reiner Zufall , ob- 
gleich (las Aufllicgen des Steinchons /rrade in dieser Richtung und 
mit der GeKchwindigkeit, die es eiiialten hatte, seinen genügenden 
Grund in dem Huftichlagc <les Pferdes ^'eliaht haben uiuss. Ein 
Zufall war dieses Treffen aber, weil der liutViehlag des galoppiren- 
den Pferdes zwar das f?teinchen mit zwingender Nothweudigkeit 
warf, aber gar keine Beziehung zu meiner Zielscheibe hatte. Aus 
demselben Grund mllsste man die Welt ftlr einen immensen Zufall 
halten, wenn die Kräfte, welche sie bewegen, nicht zweckmässig 



310 



Ijvbtsx die meehanische AuffKbtung der Natur. 



abgemessen wären, um so mehr immens, als hier nicht eine ein- 
zelne Wurfbewegung wirkt, sondern eine Menge heterogener Krilfte, 
d. h. eine Menge verschiedenartig wirkender Nothwendigkeiten, 
die sämmtlicb ohne Ziel wären and doch ein solches Ziel 
nicht nur in einem einseinen Momente, sondem 
immerfort träfen. Eine wahrhaft Bewonderong fordernde 
Reihe von ZafiUlen*)«! 

Derselbe Gedanke wird von Hartmann im Sehlnsskapitel 
seines angezogenen Werkes aoseioandergelcgt, wenn auch in sehr 
▼erschiedner Weise. Er meint : die »Zweekmissigkeit sei eine noth- 
wendige and onansbleibliehe Folge der mechanischen Naturgesetse, 
die mit an ihrem Wesen gehört«. »Wäre der Heofaanismns der Na- 
tnigesetie nicht teleologisch, so wSre er nach kein Mechanismus 
geordneter Ctesetse, sondern ein blödsinniges Chaos stier- 
köpfig eigensimnger Gewalten. Erst indem die CaasaJitiit der an- 
oiganisohen Natnrgeseize den Beinamen der »todten« zn Schanden 
macht, nnd sich als der Mnttersohoss des Lebens and der allttberall 
hervorspriessenden Zweckmissigkeit erweist, verdient sie den 
Namen mechanischer Gesetslichkeit, wie ein von Menschen gefer- 
tigtes Gewirr Ton Bttdem and Hasehinentheilen, die sich aof be- 
stimmte Weise durcheinander bewegen, erst dann den Namen eines 
Mechanismns oder einer Maschine erwirkt, wenn die immanente 
Teleologie der Zusammensetzung und der ▼erschiednen Bewe- 
gung der TheUe sich kundgibt**)«. 

Gegen die ^chtigkeit der diesen Aeusserongen zu Grunde 
liegenden Idee iSsst sich mdnes Erachtens kamn Etwas einwen- 
den. Zufällig d. h. ohne gemeinschaftlichen Grund 
zasammenwirkende Nothwendigkeiten kOnnen das harmonische 
Weltganze und so anch den Theil desselben, den wir organische 
Natur nennen, uielit erklUrcn, es ist nnabwdslich ein teleologisches 
Princip neben dem hlr^ssen Mechanismus anzuerkennen, es fragt 
sich nar, in welcher Weise man sioh dieses als wirkend denken 
kann, ohne damit zugleich die rein mechanische AaffassuQg der 
Natur wieder anfzugebcn. 

Dies geschieht aber offenbar, sobald man wie y. Beer und 



•)*.». O. S. 175. 
*•) a. ». O. S. 156. 



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Ueber die meehaniaehe AttÜMsung der Natur. 



317 



V. Hartman II das metaphysische Piincip in den Gang des Natiir- 
mcchanisnius einirreifen Uisst. sohahl man beide als Gleichberech- 
tigte n e bc 11 c i n a n d 0 r wirkend sich vorstellt. Hartman n 
nimmt ein solches ausdiileklich unter dem Namen eines »innerii 
Kiitwicklungspi iucips« an uiidertheilt ihm eine so wesentliche KdHc. 
dass man nicht recht einsieht, warum es überhaupt noch causale 
Kräfte in Anspruch nimmt und nicht lieber gleich Alles selbst 
besorgt. Baer sj)richt sicli weit weniger entschieden aus. betont 
sogar an vielen Stellen den rein mechanischen Zusammenhang or- 
ganischer Naturerscheinungen, allein dass auch bei ihm die Vor 
stellnng des Eingreifens eines metaphysischen l'rineips in den 
Verlauf der Naturvorgänge zu Grunde liegt. Ijewcist vor Allem der 
l instand, dass er die sprungweise E n t w i c k 1 u n g de r \ r t e n 
wenigstens theilweise annimmt. Diese st hliesst die ThUtigkeit 
einer inncrn Entwicklungskraft nothwendig mit ein. 

Wenn ich nun auch bereits zahlreiche Gründe gCi:en die Existenz 
einer solchen Kraft voivebracht habe, und mit der Widerlegung 
derselben zugleich auch eine jede Form der Entwicklung aus 
awec kthätigen Kräften zu 1 'all gebracht ist, so scheint es mir 
doch bei einer so tiefgreifenden Frage nicht überflüssig, auch die 
sprungweise Entwicklung, die sog. heterogene Zeugung iiu 
Besoudern als undenkbar nachzuweisen und zwar nicht auf Grnnd 
der früher schon gegen die phyletische Lebenskraft im Allgemeinen 
gerichteten Instanzen, sondern ganz unabhängig von ihnen. 

Zoerst mnsB heiror^hoben werden, dan die positiv en 
Ornndlagen dieser Hypothese ungemein schwach sind. 

Fülle sprungweiser Umwandlung des gesammten Oi^ganismns 
mit nachfolgender Vererbung sind Oberhaupt noch gar nieht be- 
kannt. Dass die gelegentliehe Umwandlung des AzoloH hOcbst 
wahrsoheinBeh anders an^eilust werden moss, wurde dargelegt. 
Der andere fttr heterogene Zeugung genommene Fall, die Sprossnng 
swOlfetrahliger Medusen im Ifagen einer aehtstrabllgen ist neuer- 
dings Ton Frans Eilhard Schulze*) als eine Art too Schmar 
roierthum oder Commensualismns naehgewiesen worden. Die 
Knospenähren der Cuninen sprossen niebt , wie man Termuthete, 



*| Ueber die Cuniiiea-Knottpeuahreu im Magen vun Geryunien. 8eparat- 
«bdraek aus den MittheiL des iMturwi*i. Voretnc«. Onm 187&. 



318 



Uebflt di« niechasiaslu AuffMBUHg Natur. 



aus tler Geryuiiia hervor, soiKlern sie entwickeln sich aus einem 
Cuiiiiicn Ei ' Wenn man aber die Fälle von Gcneratiouswechsel 
iinit llctcroj^'cnie hierher zieht, so kann das doch nicht mit dein 
Ansprucli irgend welchen Mowciswertlics ;::esfhehen : es kann da- 
mit uur angedeutet werden sollen . wie man sicli etwa eine sprung- 
weise Umwandlung vorstellt. Denn dass wir eR in-ini (lencrations- 
wechsel , Überhaupt bei jeder cyclischeu Fortpllan/.ungsweise nicht 
mit dem Verlassen einen ürgauisationstypus und mit tleni L ebergang 
zu einem andern zu thun haben, beweist ja schon die stete Rück- 
kehr zu (lern Ausgangstypus, eben das cy c 1 i sc h e der ganzen Um- 
waudluugsweise. Duss aber zwei sehr heterogene Typen in eineü 
Entwicklungskreis gehören können, ist einer weit besseren und zu- 
treticnderen Erklärung fähig, als die ist. welciie ihr von den Anhän- 
gern der sprungweisen Entwicklung gegeben werden möchte. Wenn 
w ir die cyrlische Fortptianzung aus der Anpassung verscbieduer FLut- 
wickluugs-Stadieu oder Eni wicklungs-tJenerationen an abweichende 
Lebensbedingungen ableiten, so erklärt sich damit nicht uur die ge- 
naue und oft aaffallende Uebereiustimmung von Gestalt und Lebens- 
weise, 80 ist damit nicht nnr eine Brllcke geschlagen zwischen Meta- 
morphose und Generationswechsel, sondern wir verstehen anoh, wie 
innerhalb ein und derselben üydrozoenfamilie Arten mit nnd ohne 
OmratioBaweGhse] Torkommen ktfnnen , ja wie daneben andere 
Arten stehen kOnnen, bei welchen derGeneratioiiswechsel (die Ei^ 
sengung freier Mednsen) nnr anfdae eine (}eseh1edht beaehiinkt 
sein kann, wir verstehen überhaupt, wieeine eontinnirliehe Reihe von 
Formen vom einftehen Qesohlechts-O r g a n des Polypen bie sn dem 
selbstBtilndigen , frei nmhersohwimmenden Geaeldeohtsthier der 
Hednse hinttthren kann , nnd wie Hand in Hand damit die dn&ohe 
Fortpflansnng a 1 1 m & 1 i g snr eycliachen wird. Grade diese Zwi- 
sehenstnfen beider Fortpflansnngsarten machen doch die Yorstel- 
Inng gani nnhaltbar , als seien die heterogenen Generalionsformen 
der cyelischen Fortpflanaang durch sog. »heterogene Zeognng« 
entatanden d. h. dureh plötsliche sprungweise Umwandlung. Wenn 
Philosophen , denen diese Thatsadien fremd sind oder die sieh mit 
Mtthe in sie hineinaibeiten mttssen , den Generationswechsel als eine 
Instans für »heterogene Zeugung« anitahren so ist das verzeihlich, von 
Naturforschern sollte es aber doch endlich einmal au^egeben werden I 
Alle Qbrigen Thatsachen, welche sonst noch Ulr »heterogene 



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Utb«r die iiiMiMaiMh« Auffurnng der Natur. 



319 



Zeagang« augefUhrt werden, \amen sich noch weniger für eine 
solche verwerthen , denn sie befreöen stets nur Veränderungen ei n- 
zeIner Theile eines Organismus, so z. B. die plötzliche Aende- 
Tun^ der Frucht oder BlUtbe cultivirter PHanzeu. Der Begriff der 
spruuf^'weisen Kiitwickliuif,' verlaufet altereine totale Uniäudeiuug. 
er schliesst wie dies v. Hartmann auch logisch völlig richtig 
anniuinit — den Begri I t des fixen Speciestypus ein, der 
nur als Ganzes umgeprägt werden, nicht aber stückweise ab- 
geändert werden kann. 

Nun kommt aber noch dazu, daws diese beobachteten sprung- 
weise entstandenen Abänderungen einzelner Theile nieisteus 
nicht vererbt werden; die Obstsorten pHanzen sich nur durch 
Pfropfreiser d b. durch Verewigung des Individuums fort, nicht 
durch eigentlicbe Fortptlanzung , durch Samen! Wenn wir nun 
aber nirgends pliitzliche Abänderungen von grossem Betrage auf- 
treten sehen , welche sich auf die Dauer vererben , wohl aber Uber- 
all kleine Variationen bemerken, welche alle vererbt werden kön- 
nen, liegt da der Scbluss nicht weit näher, dass sprungweise Ab- 
änderung n i c b t das Mittel ist , dessen sieb die Natur zur l mwand- 
lang der Arten bedient, das« vielmehr ein Summireu der kleinen 
Abweichungen stattfindet und mit der Zeit zu grossen Unterschie- 
den tUhrt? Oder ist es logisch, das Letztere desbalb zurückzu- 
weisen, weil unsere ßeobachtungszeit zu kurz ist, um lange Sum- 
mationsreihen direkt verfolgen zu können , das Erstere aber anzu- 
nehmen , obgleich keine einzige Beobachtung dafUr spricht / Ich 
denke, solange noch irgend welche Aussicht bleibt, aus der täg- 
lich beobachteten Erscheinung der kleinen Abweichangen die 
gros 8 e n abzuleiten , so lange haben wir kein Kecht , zu dem gäns- 
lidi hTpotlietisehen Erklämngsprinuip spruugweiser Abweichangen 
in flflehteo. 

Aber die Hypothese der heterogenen Zeugung entbehrt nieht 
nnr der thatsichlioben Omndlage , sie lifaut rieh aneh direkt aU 
unhaltbar erweisen. 

Sie ist unhaltbar deswegen , wial die Thfttlgkeit einer innem 
Umwandlnngskiaft die Anpassungen an die Lebensbedingungen nn- 
erklllrt I8sst| weil somit Natnnttehtung mit in Anspmeh genommen 
werden mnss snr Erklärung der Umwandlungen ,weilaberein 
Zusammenwirken Ton phyletiseher Lebenskraft und 



320 



U«ber die meduiniichtt AuflEucung der Netnr. 



Natu rz ü c h t u 11 u ii de u k bur ist, sobald man die Um- 
wand I u iij^en in SprUnjj'cn erfolgend sieb vorstellt. 

Man illiistrirt stets die supponirte »betero^ene Zeugung« mit 
dem rariuli{;m;i des ( ieiieratinuswecliscis , man denkt sieb also die 
Kntstebnng einer neuen Tliiertorm in der Weise, wie wir beute l)ei 
der eyeliseben Fi^rtpHanzung der Medusen die tri i scliw imniendeu 
(Udcken der Quallen von festgewaebsenen Polypenstöckeben ber 
vorsprossen neben, oder durcli innere Knospnnjr 'IVematoden 
Saugw iirnier von sog Keiniscbliiiicben ; kurz man denkt sieb, das« 
eine 'I'bierlorm eine /.weite s t a r k a b w e i e b e n d e 'rbiertorm plötz- 
lieb iind selbstverstiindlieli aus rein inneren I rnaehen bervor- 
bringe. Nun würde es aber ein unabweisliebes Postulat an diese 
'riieni ic sein , dass dureb einen soh ben Proecss sprungweiser Ent 
Wicklung niebt etwa ein blosses Sebema des neuen Tbiertyi)us 
entstelle, sondern sctgleieb wirklieli 1 e be n s t'ii b ige . in be- 
stimmten L e 1) e n s v e r Ii ä 1 1 n i s s e n ausdauernde, auf b e - 
hliiiiiiite \ erhältnisse bereebnete Individuen. 

Jeder Natuitorscber aber, der sieb eingebend Uber die Bezie- 
hung vom Bau /,ur Lebensweise aulV.nklären suebte , weis«, dass 
selbst die kleinen l nterschiedc, welebe Art von Artseheideu, stets 
eine Menge kleiner Structur- Abweiehuugeu enthalten, welche 
sich auf ganz bestimmte Lebensbedingungen be- 
ziehen; er weiss, dass Uberhaupt bei jeder Thierart der ge- 
sanimte Bau in allen seinen Theilcn aufs Genaaeste den 
speoiellen Lebensbedingungeo augepasstist. Esist oieht Ueber- 
treibuug , wenn ieh sage , in allen 8^nen Tlieilen, denn nneh die 
Bogennmiten »rein morphologischen Theile« konnten nicht an- 
ders sein, als sie sind, ohne andere Theile sn indem, welche 
eme bestimnite Fonction ansllben. leh will swar nicht behaopten, 
dass auch bei sehr nahe verwandten Arten alle Theile des Kör- 
pers in gewisser Weise, wenn auch nnr wenig voneinander ab- 
weichen mttssten , obgleich es mir nicht nnwahrsch^nlich ist, dass 
eine genaue Vergleiehnng sehr h&nfig dieses Resultat Uefem 
würde. Dass aber bei Thieren, welche in morphologtscher Be- 
riehnng so weit Toneinander abstehen, wie Quallen nnd Polypen, 
oder wie Saugwttrmer and ihre Ammen, in jedem ihrer Theile 
anders gebaut sind , das kann man mit Bestimmtheit sagen. 

Nun wftre zwar diese starice Abweidiong in allen Theilen (Ht 



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Ueber die mechuuMhe Auffassung der Natur. 



321 



eine planmSssig amgestaltcnde Kraft an und fttr sich kein Hinder- 
niss , sie wird es aber dadurch , dass alle Tbeile des Organismus 
in ganz bestimmter Beziebang zu den äussern Lc- 
bentverbSltnissen stehen mttBsen, toll anders der Or- 
ganismos lebensfähig sein; alle Thefle mttssen anf das Ge- 
naneste bestimaiten Lebensbedingungen angepasat sein. Wie soll 
das nnn durch eine sprungweise umwandelnde Kraft in Stande 
kommen können? Hart mann, der trotz seiner sehr anerkoinenS' 
wertben nnd weitansgedehnten natnrwissensehaftliehen Kenntnisse 
doch nnmOglieh die intensire UeberzeuguDg von der al le Sy stem e 
des Organismus durchdringenden Harmonie TonBan 
nnd Lebensbedingungen besitzen kann, welebe eben nur 
die eigne Anschauung und Untersuchung zu geben im Stande ist, 
hilft sidi einfach dadurch, dass er die NatorzOchtong nun als 
»auziliäree Princip« der umbildenden Kraft sn Hälfe kommen lässt. 
Man sollte nicht denken, dass auch Naturforscher zu derselben 
Auskunft greifen könnten , nnd doch wird allgemein von den An- 
hängem der phyletischen Kraft und der spmngweisen Entwicklung 
die Natunächtong als das Princip herbeigezogen , welches die An- 
passnngenzu besorgen hat. Wann soll sie aber in Wirk- 
samkeit treten? Wenn durch Keimes-Metamorphose eine neue 
Form entstanden ist, so mus|s diese yon ihrem Entste- 
hungs-M omente an bereits den neuen Lebensbedin- 
gungen angepasst sein, oder aber sie wird zn Grunde 
gehenl Es ist ihr keine Zeit gegOnnt, noch eine 
Reihe von Generationen hindurch in nnangepasstem 
Znstand zu rerharren, bis durch Naturzttchtnng 
die Anpassung glOcklich erreicht ist Entweder Ka- 
turzächtung, oder phyletische Kraft, Beides zusammen ist 
nndenkbarl Wenn es eine phyletiscbe Kraft gibt, dann muss sie 
die Anpassungen selbst besorgen. 

Man mochte mir hier Tielleicht einwerfen, dass dasselbe Hin- 
demiss auch einem solchen Umwandlnngsprocess entgegenstände, 
der sich in kleinen Schritten vollzieht, aber dem wäre nur 
dann so, wenn die Aendernng plötzlich vor sich ginge. Dies 
kommt aber — wie ich oben danculegen suchte — jedcnfullH nur 
sehr selten vor; in vielen Fällen (Mimicry) ändern sich die Bedin- 
gungen sogar erst durch die eintretende Form-Aende- 

W«isB»ak. Stadien. II. 21 



322 



Ueber die mechaniHche Autius^ung der Natur. 



rnng, also nachweislnr gen ao eben so allmttlig als diese. 
Ganz ebenso mnss es in allen andern Fällen sein , in welehen es 
ttberhaapt snr Umwandlnng der bestehenden Foim nnd nieht blos 
znm Aussterben der betreffenden Art kommt : Die Transmuta- 
tion mnss stets gleichen Sehritt halten mit der Ab- 
änderung der Lebensbedingungen, denn änderten sieb 
diese letzteren schneller, so künnte die Art im Kampfe mit den 
coucurrirenden Arten nicht bestehen, sie mttsste zu Grunde gehen. 

Mit der sprnngweisen Umwandlung der Arten ist 
auch die plOtzliehe Abänderung der Lebensbedin- 
gungen schon gegeben, denn eine Qualle lebt nicht, wie ein 
Polyp, ein Sangwurm nicht, wie seine Amme. Aus diesem Grunde 
kann die Natuizttchtung unmöglich ein HUlfsprincip der »hetero- 
genen Zengnni?« sein, sondern wenn eine solche sprungweise Um- 
wandlung eustirt, so mnss sie die neue Form fix und fertig hin- 
stellen, ausgerüstet zum Kampf ums Dasein, und angepasst in 
allen ihren Organen und Organsystemen an die speciellsten fiedin- 
gnngcn ilircs neuen Lehens ! 

Wäre aber das niclit »reine ZaiilHMei"? Und dabei ist noch 
nicht einmal in Anschlag gebracht, d&B& hier — wie oben Jiei dem 
Hrispiel der NachälVung - nueh Ort nnd Zeit stimmen mllssten! 
Die Fordeniu^ <I(m prästabilirtenUamiouie träte wieder heran, das 
Air speciellc LcbonsbeUingnngen berechnete Thier durfte auch nur 
genau in dem Zeitrooment der Enl^cHchicbte auftreten, in welchem 
diese Specialbedingnngen alle eiflillt sind u. s. w. 

Kein! Wer die unendluli zalilreiclien und feinen Beziehungen 
annähernd kennen gelernt hat. welche in jeder Thierart die Ein- 
zclhciten des Baues mit der Function in Harmcmie bringen, und 
wer sich dii'se Verhältnisse in ihrer zwiugcnden Kraft vor Angen 
hält, der kann uuniö!;lich an der Idee einer nprunicweisen Entwick- 
luii;; der Thierfornien festhalten. Wenn eine Entwicklung über- 
haiiiit stattirefinidcn hat, dann gesebab sie in kleinen und kleinsten 
Selnitten und sehr allniälig , so zwar, dass eine jede Abänderung 
Zeit hafte, sich mit den Übrigen Tlioilen ins (Ueiebgewiebt zu 
sct/t ii, und s(» eine Succession von Abänderungen erst allniälig die 
gaii/c l inwandlung des Oesaninit Organismus und zugleich die 
vollständige Anpassung an neue Lebensbedingungen zu ^Stande 
brachte. 



Uebw die mechaniaeli« Auflawnng der Natur. 323 

Aber nicht nur die sprnngweise, sondern überhaupt eine jede 
Umwandlung ist zn verwerfen , welche auf dem Eingreifen eines 
metaphysischen £ntwicklang»princip8 basirt. Wem die bisher vor- 
gebrachten Indicien gegen ein solches nicht genügen, der stelle sich 
doch einmal die Frage, wie und wo eigentlich ein solehes Princip 
eingreifen soll? leb meine eine Wirkung kOnne stets aneli nor 
einen zureicbenden Grund haben; genttgt dieser eine, um sie Ihm* 
vorzurufen, so bedarf es keines zweiten mehr. Der Zeiger der IJIii- 
dreht sich mit Nutliwendigkeit in bestiniinfer Zeit einmal im Kreise 
hemm, sobald die Feder, welche den Mechanismas in Bewegung 
setzt, aufgezogen ist; bei einer nicht aufgezogenen Uhr könnte 
vielleicht eine geschickte mensriilicbe Hand dem Zeiger dieselbe 
Bewegung ertheilen, dass aber die Uhr zugleich von der Feder 
und von einer Hand d i e s e 1 h c Bewegung erhalten könne , die sie 
durch eine dieser beiden Kräfte allein schon erhalten wUrdc, ist 
unmöglich, weil der Zeiger seine Bewegung nur einer Ursache 
verdanken kann. So scheint mir können auch die Variationsketten, 
welche die Transmutationen ausmachen , nielit ziurleieh von pliy- 
sischen und von metaphysischen Ursachen bestimmt werden, son- 
dern entweder von diesen, oder von jenen. 

Von keiner Seite wird es bestritten, dass \venig8tens ein Theil 
der Vorgänge «»rganisclien l.oheiis auf dem mechanischen Zusam- 
menwirken ithysischer Kräfte herulit. Wie soll es nun denkbar 
.sein , das.s in dem (lang dieser cansaien K.rjlfte plötzlieh Pausen 
eintreten und eine zweekthätige Kraft daftlr eintritt, um spUtcr wie- 
der die physischen Kräl'te ans Ruder zu lassen? Für mich ist dies 
eben so undenkbar , wie die Vorstellung, dass der Blitz /war die 
elektrische Entladung einer Oe\s itu rwitlke ist, deren Bildung und 
elektrische Spannung vtm causaleu Kräften abhängt, deren Zeit 
und Ort rein durch solche Kräfte bestimmt wird . dass aber der 
Uonnerer Zeus dennoch es in seiner Macht hat, nach seinem Willen 
den Blitzstrahl auf das llaui»t des Schuldigen zu lenken! 

Wenn ich nun aucii die Mi'tglichkeit o(h'r Denkiiarkeit eines 
gleichzeitigen Zusanunenwirkens von teleologischen und cau- 
saleu Kräl^ten zur Erreichung einer Wirkung in Abrede stellen und 
die alleinige Berechtigung der rein mechanischen Auffassung der 
Naturvorgäntre festhalten muss. so glaube ich doch nicht, dass wir 
deshalb darauf zu verzichten brauchen , die Existenz einer zweck- 

21* 



324 Ueber die mechaniiiclie Auftmittng der Natur. 



thätigen Kraft uuziierkeunen, nnr niUsscn wir sie nicht in 
den Mechauismns der Welt direkt mit eingreifend 
uns vorstellen. Rondern vielitM'lir hinter demselben 
als die letzte Ursache dieses Mechanisinus. 

Baer weist uns selbst daraufbin, wenn er aacb die vollen 
Conscqnenzen aus seinen Argnmcntini nicht ziebt. 

Mit vollem Hechte betont Dcrscllie in seinem an schönen und 
grossen (Jcduiikcn Ul)erjins reichen liiuhc {^anz besonders, dass 
der Begriff der Nn th wendigkeit ^t'ausalitUt und der 
des Zweckes sich keineswegs auszuschliessen brau- 
chen . vielmehr in gewisser Weise ganz wohl mit einander verhun- 
den sein können. So erreicht der L'hrmacher seinen Zweck . die 
Uhr, dadurch, dass er die S|)annkraft einer Feder mit einem Käder- 
werk in Verbindung setzt, also durch Benutzuug physikalischer 
Nofliwendijikeiten : der Hauer verfolgt seinen Zweck. <'ine Korn- 
jinidtr zu eriialten, dadurch, dass er Samen inAckerlaml ausstreut, 
der Same aber niu.ss mit ai>soluter Nuthwcudi^keit keimeu , wenn 
er dem Eintlusse der Wärme, des Hodens, der l'enclitigkeit ausge- 
setzt wird u. s. w. So unzweifelhaft sich in diesen Ht is|)ielen eine 
Kette von Notliweiuligkeilni mit einer teieidogiseben Kralt, dem 
\\ illen i ine> Mnisi licii verbindet . so ^ndit doch grade aus diesen 
Beispiileu bersur. dass illjcrall da. wo wir ein Ziel oder 
einen E r f o 1 g <l u r eh N o t h w e n d i g k e i t e n erreicht s c h e n , 
die / \v e (■ k se t zende Kraft nicht in den einmal begonnenen 
Ablaut der Nutiiwen<li;.;keifskef(cii cingreilt, dass sie \ielmrlir nur 
vor dem ersten Anfang die-cr Notbwendigkeiten fbätig ist. indem 
.sie dieselbe eondiinirt und in Hewegung setzt. Von dem .\ugen- 
blick an, in welehem der Meclianismus der I hr in Harmonie zu- 
sammengestellt uml die Feder aufgezogen worden ist, geht die Uhr 
ohne weitere Bctheiligung des I hrmachers, wie das Saatkorn, ein- 
mal in die Ertle gelegt , sich ohne Zuthuu des zwecksetzenden 
Bauern zur Ptlanze entwickelt. 

Wenden wir dies aul die Entwicklung der organischen Welt 
au, so werden die Verlheidigcr einer mechaniscben Entwicklung 
der organiscben Natur durchaus nicht gezwungen sein, eine teleolo- 
gische Kmft xa lUuguen, sie werden dieselbe nur dabin verlegen 
rnttssen, wo sie allein wirksam sein kann : au den A u f a u g der 
Dinge. 



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Ueber die mechaoUche AuffHMing der Natur. 



325 



Auf dem Gebiete der anorganischen Natur zweifelt Nie- 
mand mehr an dem rein mechanischen Zusammenhang der Erschei- 
nungen, liegen nnd »Sonnenschein treten fllr un» uicitt nach gött- 
licher Laane ein, sondern nach göttlichen Naturgesetzen. In dem 
Masse als die Erkenntniss der Natorvorgängc voranschritt, musstc 
der Pnnkt zurückgeschoben werden, an welchem die göttliche All- 
macht Kweekaetiend in die Natarprooesse eiqgreift oder wie der 
onbekeante VerÜMiser der Kritik der Fbilosophie des Unbewnssten *) 
«eh anedrttdLt, aller Fortschritt in der Erkenntniss der Natanror- 
gänge beruht >aof der fortschreitenden Eliminatioii des Wunder- 
begriffs«. Jetsst glauben wir aueb die organische Natur als 
Mechanismus erkannt su haben. Aber folgt nun daraus die gänz- 
liche Läugnnng einer letzten Welt-Ursache? Gewiss nicht, Tielmehr 
wird grade die in den Erscheinungen der lebenden Natur noch 
viel deutlicher hervortretende »Zielstrebigkeit« (v. Baer) noch 
eneigischer zu der Uebeneugang drängen, dass das harmonische 
Zusammenwirken der physischen Krftfte, ihre Verbindung zu dem 
grossen Welt-Mechanismus eine gemeinsame Wurzel/anthropomorph 
ausgedruckt: einen Weltmechaniker voraussetzt, der die 
Krftfte der Materie so gegeneinander abwog, dass eine remitnftige 
Welt dabei herauskommen musste. Es wäre eine grosse Selbst- 
täuschung, wollte Jemand gbuben, die Welt begriffen zu haben, 
wenn es ihm gelang, die Naturerscheinungen auf einen Mechanis- 
mus zurttckznftihren. Er vergftsse dabei , dass dieser selbst doch 
auch wieder seinen Omnd haben muss undzwareinen teleologischen, 
zwecksetzenden Qrund. 

Man sage nicht, es sei gleichgültig, diesen lettten Grund anzu- 
nehmen, oder nicht, da wir ihn doch nicht erkennen konnten. 
Freilich liegt er jenseits unseres Erkenntnissvermtlgens in dem 
dunkeln Gebiete der Metaphysik, er lässt sich nur als vorhanden 
erschliessen, alle Versuche aber, ihm näher zu kommen, haben 
stets'nnr zu einem Bilde oder zn einer Formel geftthrt 

Dennoch liegt ein Fortschritt der Erkenntniss in der Annahme 
einer teleologischen Weltnrsache. Er läset sich wohl vergleichen 
mit denjenigen, welchen gewisse Ergebnisse der neueren Sinnes- 



*) Das Unbewunte Tom Standpunkte der Physiologie und Dewcndens» 
theori«. BerUa 1872. S. 16. 



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326 



Ueber die mechanische Auffa«suD|{ der Natur. 



Physiologie mit sich gefllhrt haben. Wir wissen heute, dass die 
Bilder, welche uns unsere Sinne von der Anssenwelt liefern, nicht 
»wirkliche Abbilder von irgend einem Onde der Aehnlichkeit« 
sind*}, sondern nnr Zeichen für gewisse QaaUtiUen der Anssen- 
weit, welche als solche in dieser nicht existiren, vielmehr ledigticb 
unserem Bewnsstseio angeboren. Wir wissen also sicher, dass die 
Welt nicht so ist, wie wir sie wahrnehmen, dass wir das »Ding an 
sich« nicht eikennen kOnnen, dass das Beale stets fOr uns trans- 
acendent bleiben wird. Wer wollte aber bestreiten, daas in dieser 
Erkenntniss ein bedeutender Fortschritt enthalten ist, trotzdem die- 
selbe anm grossen Theil negativer Natur ist? Wie wir aber hinter 
der Encheinungswelt unserer Sinne eine wirkliche Welt annehmen 
müssen , von deren wahrem Wesen wir nur nnvoUkommene (nSm- 
lioh nur in Beang auf Zeit and Baum derJEtealit&t ent^rechende) 
Kenntniss erhalten, so mttssen wir hinter den iweckmissig oder 
»zielstrebig« xusammenwirkenden Krilften der Natur eine ihrem 
Wesen nach nicht weiter erkennbare Ursache erschtiessen, von der 
wir eben nur das Eine mit Bestimmtheit aussagen kOnnen, dass sie 
eine teleologische sein mnss. Wie die erste Erkenntniss uns erst 
den wahren Werth unserer Sinneseindrttcke erkennen lässt, so lässt 
die zweite uns erst die wahre Bedeutung des Welt^Meehanismus 
ahnen. 

In beiden Fällen erfahren wir freilich nicht viel mehr, als dass 
hier noili Etwas vorhanden ist, was wir nicht erkennen, aber in 
beiden Fällen ist diese negative Erkenntniss von grösstem Werthe. 
Djik Hcwusstsoin, dass hinter dem fllr uns allein begreiflichen Me- 
chanismus der Welt noch eine unbegreifUche, teleologische Welt- 
Ursache liegt, bedingt eine ganz andere, der materialistischen 
gradezu entgegengesetxte Weltanschauung. Sehr richtig und 
schQn sagt Baer: »Einen Zweck können wir uns nicht andors den- 
ken, als Yoa einem Wollen und Bewnsstsein ausgehend. In einem 
solchen wird denn auch wohl das Zielstrebige seine tiefste Wuntel 
haben , wenn es uns uis eben so vernünftig wie nothwendig er- 
scheint, a Denken wir uns eine diese Welt wollende, göttliche 
Allmacht als letzten Grund der Materie und der ihr anhaftenden 



*] Ver^^li iLlu llelmholts, Fopulire wuMemciiafÜ. Vorträge. Heft 3. 
Bnuinschweig 1872. 



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Ueber die mechanische Auffassung der Natur. 



327 



NatiuigwetBe, so TeTsObnen wir d«nit die scheinlmr nnTereinbareii 
Gegensitae des Meobanisintis und der Teleologie. Wie Hartmann 
an einer Stelle Tonder •immanenten Teleologie« einer Maschine 
redet, so konnte man von der immanenten Teleologie der Welt 
reden, weil die einzelnen Kräfte der Materie grade so gegeneinan* 
der abgMnessen sind, dass sie die gewollte Welt hervorbringen 
mttssen, wie die Bader nnd Hebel einer Maschine das beabsichtigte 
Fabrikat. 

Wenn aber gefragt wird, wie denn das Geistige, das Em- 
pfindende, WoUeude und Denkende in nns selbst nnd in 
der Übrigen Tbierwelt in den mechanischen Process der organischen 
Entwicklnn^' hineinpasse, ob denn anch die Kutwicklnng der Seele 
als rein nieclianischen Ge8et/cn folgend gedacht werden könne, 
so antworte ich unbedenklich mit den reinen Materialisten bejahend, 
wenn ich auch nicht mit ihnen harmonire in der Art wie sie diese 
GtTBcheinnngen aus der Materie herleiten. Denn Denken und Auk- 
dehnung sind heterogene Dinge und da^ Eine kann nicht al8 Pro- 
dukt des Aiideni betrachtet werden. Aber wanim sollte der alte 
Gedanke der »beseelten Materie« nicht wieder anfgenommen wer- 
den , wie dies wohl zuerst wieder yon dem ungenannten Kritiker 
der i< Philosophie des Unbewussten« geschehen ist, und wie kürz- 
lich auch Fr. Viseber sich, wenn auch nur gelegentlich und 
«flüchtig, in dicHcm Sinne an^igesprocheu hat*)? and sollte damit 
nicht eine brauchbare Formel zur Erklärung sonst gttnzUch unver- 
mittelter Erscheinungen gefunden sein ? 

Der ungenannte Kritiker bezeichnet die Annahme einer Em- 
pfindung der Atome als eine »fast unvenneidliche Hv-pothese« 
(S. 62) ; »unvermeidlich dcphalb, weil, wenn die Empfindung nicht 
eine allgemeine Ureigenschaft der constituirenden Elemente 
der Materie wäre , sclilcchterdings nicht einzusehen wäre , wie 
durch formelle Poteii/.iruiiJ^ und Integration derselben das uns be- 
kannte Empfindiin^slcben der Oriraiiismen sollte entstellen kön- 
nen«. — »Es ist unmöglich, dass aus rein äusäerlicheu Elementen, 

*) Studien über den Traum. Beilage zur Augaburger Allgeiti. Zciluiig vom 
14. April 1676. 

Auch H ae k i l schlies8t sich in scinir ncueKten, oben angefflhrten Schrift 
,,die I'erigenesi« der PlMtidule*' Berlin 1876, dieser Aufhasung an. Siehe: 
S. 38 u. folgende. 



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328 



Ueber di« meehuiMhe Auffamung d«r Natur. 



die jeder luoerlicbkeit entbchrco, plötzliel» bei einer jrewisson Art 
der ZasammeDselasnDg eine iDoerlicbkeit bervorbrecheu sollte, die 
sich immer reicher und reicher entfaltet ; so ge^Nnss viel in ehr die 
Natunvissonschaflt Überzeugt ist, diiss in der Sphäre der Acnsser- 
licbl^eit (Iii- hr»beren (organischen) Erscheinungen duch nurCumbi- 
nationsrej*ultate oder Öumnmtionsplmnumcnc der elenientiireu Atoni- 
krUftc sind, ebenso gewiss kann sie, wenn sie sich einmal enistlich 
mit dieser andi rn Frajic bcsc häffijjt, sich der l'oljer/ciigiin;^ iiicht 
verschliosscn , dass auch die Enipfiiidiuiucii höherer liewnsstscins- 
stufen nur CimiltiiiMtiunsresultate oder Suniiiiationsphiinnnienc der 
Elenieutarcniphiidun^en der Atome sein können. >Ycnn:rk'ich let/.tere 
als soh'he inniier unterhall» der Schwelle der hülieren < ! i uppenlie- 
wusstscine blcilicn. In dem Verkoniicn ilicser l)(»])pelsüiti^'keit der 
ubjectiven Erscheinniif; "licfit der (iruntliclder alles Materialis- 
mus und alles sniyectiven Idealismus. So unniüj;lieh der Versuch 
des letzteren ist. die iiusseriMi Ki sclicinnntren des räuiiilichcn Da- 
seins aus Functionen der Innerlichkeit und deren ('ondiinationeu zu 
eonstruiren, eliensi» unmi\:;lieli ist das Bestrehen des ersteren, aus 
irjicnd welchen Condiinatinnen iiusserliclier. räumlicher Krallfuuc- 
tiuuen eine innerliche Emptindun^ aurzuliuucn 

Es licfit nnr fern, auf diese Frajjcen näher eiir/.ii^iclicn, i«'h habe 
sie nur l)er(diren w<dlcii, um anzudeuten, dass'niir auch \on dieser 
Seite her kein llinderniss fUr eine )cin meeliaiusclie AntVassunj? des, 
Weltprocesses v«u"/uliej;en scheint. Mö^e man liherliaiipt dem Na- 
turtorsclier verzeihen, wenn er auf philosdphisclies ( iebict hiniibcr- 
zustreif» n versuchte. Es j^eschah aus dem Wunsche, ein Kleines 
beitragen können zu der \ t rstiindigung; zwischen den neuen 
Erkenntnisse II der Naturforschung unil den Ergebnissen der Spe- 
eulation yn (K r i'li rci( liiing des vcm beiden Seiten angestrebten 
Zieles : einer nnt dem Erkenntnissstande unserer Zeit stimmenden, 
in »ich harmonischen und befriedigenden W eltanschauung. 

Ich glaube gezeigt zu haben, dass die Sclectionstheorie 
keineswegs — wie stets angenommen wird — zum Läugneu einer 
teleologischen Wclturgachc und zum Materialismus fuhren mnss, 
und hoffe damit dem Dnrcbdringcn dieser in ihrer Tragweite kaum 
sa ttbenchftfsenden Lehre den Weg geebnet zu haben. Denn Viele 
\mi nicht die Sehleehtesten gelangten nichtjsn einer unbefangenen 
Prüfung der Thatsachen, wdt sie die ihnen nnrenneidlich schei- 



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VtAm die mechMUsch« AuffaMung der Nutur. 



329 



uende Conseqnenz materialiätiscber Weltanschanung von vorn- 
herein zarttckschreckte. Mcchanismns und Telcologie schlicssen 
einander nicht aas, sie bedingen sich vielmehr gegenseitig, ohne 
Teleologie wire kein Mechanismns, sondern nnr ein wirres Darch- 
einander roher Kiftfte, and oline MedianismoB keine Teleologie, 
denn wie sollte dieselbe ihre Zweeke ansOlluenf *) 

Sehr richtig sagt t. Hartmann: »Der denkbar voUkmn- 
mensle Meebantsmos wSre sugleidi die denkbar ToUkoninienste 
Teleoloi^e. « Als einen solchen denkbar vollkommensten Mechar- 
nismos mOge man sieh denn die Welt der Erscheinnngen vorstellen. 
Bei ebner solchen Aoffassong werden die Bellirehtangen seh winden, 
es mochte dnxeh die neuen Ansehannngen den Mensehen das Beste 
abhanden kommen, was sie besitzen: Sittlichkeit nnd ftcht 
humane Geistesenltnr. Wer mit Baer die Natniigesetse als 
die »permanenten Willensänsserongen eines schaffenden Princips« 
ansieht, ftlr den ist es klar, dass ein weiterer Fortschritt in der 
Erkenntniss dieser Gesetze den Menschen nicht von der Bahn fort- 
schreitender Yervollkommnnng ablenken, sondern ihn fördern muss, 
dass die Erkenntniss der Wahrheit unmdgUch einen Rttckschritt 
bedeuten kOnne, möge dieselbe nun lauten wie sie wolle. Man 
stelle sich kllhn auf den Boden der neuen Erkenntniss und ziehe 
die richtigen Ck>n8eqaenzen ans ihr nnd wir werden weder SitUieh- 
keit, noch das beruhigende Gefühl einem harmonischen Weltganzen 
als nothwendiges, entwicklungsfähiges und einem 
Ziele zustrebendes Glied eingefügt zu* sein aufgeben 
mflssen. 

Eine andere Art aber des Eingreifens göttlicher Allmacht In 
die Vorgilnge des Weltprocesses als durch Setzung der letzten die- 
selben hervorrufenden Krftfte ist zum mindesten für den Naturfor- 
scher unannehmbar. Wohl sind wir noch weit entfernt, den Mecha- 
nismus, der die organische Welt hervonnft auch nur einigermassen 
vollständig zu verstehen, wir befinden uns noch in dra ersten An- 
fängen der Erkenntniss. Dass aber die organische Welt so gut als 
die anorganische auf meehanischen Kräften allein beruht, zu dieser 
IJeberzeugung können wir jetzt schon gelangen, denn zu ihr fuhren 
nicht nur die Besultale spedeller, auf abgegrenzten Gebieten ange- 



*i Vergleiche Hartmaon «. a. O. S. 158. 



330 Ueber die mechanische Auffassung der Natur. 

stellter Fonohongon, Bondeiu eben so sehr allgemeuie ErwSgmigeii. 
Hag man aber aneh die zwingende Kraft dieser Argamente nicht 
anorkennen, mag man rieh daran feetUammem, dass der Indno- 
tionabeweia gegen das Vorhandensein einer »phyletischen Lebens- 
kraft« nnr an gana vereinielten Punkten geftthrt ist, oder daran, 
dass er ttberfaanpt nie yoUstXndig d. h. an allen Punkten wird ge- 
ftlhrt werden kOnnen» immer wird man zugeben mttssen, dass 
fttr den Naturforseher die mechanische Anffassnng 
der Natur die einsig mögliche ist, dass er gar nicht be- 
rechtigt ist, dieselbe anfzngeben, ehe ihm nicht das Eingreifen 
teleologischer Krilfte in denVerlaufdes organischen Entwick- 
Inngsproceeses nachgewiesen wird. Und so wird es in jedem Falle 
nicht gleiehgflltig sein können, ob eine von Vielen nothwen- 
dig anzunehmende Naturauffassnng vereinbar mit 
der Vorstellnng eines Weltzweckcs und eines letzten 
zwecksetzenden Princips der Welt ist, denn der Werth, 
den wir dem eignen Leben und Streben beilegen können, hSngt 
lediglich hiervon ab. So mag denn das End- und Hanptresultat 
dieser Schrift in dem versachten Nachweise gefunden werden, dass 
die mechanische Naturauffassung sich mit einer teleologischen 
W e 1 tanffassung nicht nnr verbinden lasse, sondern mit ihr reit- 
bunden werden mttsse. 



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Erklärung der Abbildungen. 



Tutel I. 

Figg. 1 — 12 stellen sämmüich die Raupe voo Macroglossa Stel- 
la tarn m i.TanbeD8ehwaiis) dar, alle aiiadeDEioni eines Weibchens 

gezogen. Die nieisttn Figiireu sind vergrössert, wenn aucli oft nur -anz 
unbedeutend; in diesem Fall gibt die beigefflgte Linie die natflrliche 
Grösse an. 

Fig. 1. Stadinm I; ein Kflnpehen unmittelbar naeh dem Ans- 

schlflpfen: natürliche Grösse 0,2 Centim. 

Fig. 2. Stadinm II; luirs nach der ersten HAntung ; aatttrUche 
GiOdSc 0,1 Centim. 

Figg. 3—12. Stadium Y; die hanptsäclillcbsten Farben -Varia- 
tionen. 

Fig. 3. Das einzige lilageftrbte Exemplar der ganaen Zneht; natflr- 
liche Grösse 3,S Centim. 

Fig. 4. Hellgrüne Form (seltner) mit nach unten verwaschener 
SobdofMle. 

Fig. 5. Ol ilno Form 'seltner) mit sehr stark und dunkel markirter 
Zeichnung Dorsuie und S\ibdorsale ; natürliche Grösse 1.9 Centim. 

Fig. 6. Dunkelbraune Funu ^häutigj; natürliche Grü^ou i Centim.; 
bei dieier Figur ist die feine Ghagrininuig der Hant dnreb die wefose 
Punktining angedeutet, bei den Übrigen ist sie ganz oder flieilweiae weg- 
gelassen, nur bei S und Ii) noch ebenfalls angegeben. 

Fig. 7. Hellgrüne Form (liftufig); natürliche Grösse 1 Centim. 

Hg. 8. Hellbraune Form (hlofig); natilriiehe GrOeae 3,5 Centim. 

Fig. 9. Scheckigcö Exemplar, diw einmge der ganam Zneht; na- 
tttrliclie Grosse 5,5 Centim. 

Fig. 10. Graubraune Form (selten). 

Fig. 11. Eine der Vebergangsformen awisehen dnnkelbraoo und 
grün, KUckcn-Ansiclit. 

Fig. 12. Hellgrüne Form mit sehr schwaehem Dorsalstreif (er ist 
iu der Abbildung zu btark angegeben) . Rücken-Ansicht. 

Figg. 13—15. Deilephila Vespertilio. 

Fig. 13. Stadium lU. (T) Die flobdotaale trigt gelbe Fleekeii: 
natflrliebe QrOaae 1,5 Centim. 



332 



Erklftrung der Abbildungen. 



Fig. U. StAdiom IV. DieSabdor^e ist durfa vollständige Ring- 

fleckp untrrbn»(lieu , deren weisser Spiegelfleck von Hcliwarzem Hof ein- 
^«■fa-sHt wird und in seinem Centrum einen röthiichen Kern trigi; natOr- 

liehe (jlrösse :t Ciiuim. 

Fig. 15. Stadium \' ; kurz nach der vierten Iluutuug. Subdor^ale 
vollatlndig gesdiwnnden , Ringfleoke etwas nnregelmSssig nod mit brei- 
terem Hofe; n&tarliche GrOsse CcDtim. 

Flg. 16. Sphinx ronvoivuli, Stadium V, braune Form. Sub- 
dorsale auf Segment 3 erhalten, sonst nur hier und da in kleinen 
Bruchättlckon ; an der Kreuzuugüatelle der (idealen; bubdursalu mit den 
Sohilgatrichen stehen grosse, lielle Flecke ; natttrüciie Grdsse 7,8 Gentim. 



Tafel IL 

Figg. 17 — 22. fimwicklang der Zeiclinang bei CItaeroeampa 

li^ 1 p c II 0 r. 

Fig. 17. Stadium I. Rtnpclien einige Tage nach dem Aneschlflp- 

fen aus dem Ei ; nafürlielu' (Jrösse 7,5 Millim. 

Flg. 18. Stadium Ii. Räupclien nach der ersten Uäntang. GrOsse 
9 MUUm. 

Fig. 19. Stadium II; unmittelbar vor der sweitea Hintnng 

(hierzu Fig. . GriUm 13 Millim. 

Fig. 20« Stadium III; nach der «weiten Hftutnng. GrOsse 

2U Millim. 

Fjg. 21. Stadium IV; nach der dritten Häutung (hierzu Fig. 3^ 
und 33). GrOsse 4 Gentim. 

Fig. 22. Stadium V; nach der vierten Häutung. Aui>8er anf 
Segment vier und fiinf ist nur ein» rliwaclie .\ndentnng ven .\iisr<'n- 
flecken auf dem dritten ScLrni*'t)(, kv'wu- nwt ScLLUient r» — lu zu « rkt'iinen. 

Fig. 23. Stadium \1; nach der tuutten Häutung. Die Subdorbal- 
Knie ist in sehwaeher Andeutung auf den S^nucnten 6 — 10 su erkennen, 
auf 11, sowie auf 1 — 3 sehr deutlich. Wiederhohin^'en der Augenflecke 
alf< sehwarzo unregelmässiijf Fh'cke über und unter der Subdonsalllnie 
auf Segment t» — 11 ; auf Segment Ti- hi je ein kleiner Ijeller Punkt 
(ROckenpunkt) nahe dem Hinterrand und bOlier als die Subdonallinie. 
Raupe an^ewaduen. 

Figg. 24—28 geben die Entwicklung der Zeichnung von Ghaero- 

eampa Poreelln». 

Fig. 24. Stadium I; uumittelbar uaeh dem Aubsehlupfeu ans 
dem Ei. GrOsse 3,5 Millim. 

Fig. 25. Stadium II: nadi der ersten Hilntung. Grösse 10 Mill. 

Fig. 26. Stadium III; nach der aweiten Häutung. GrOsse 2,6 
Centim. 

Flg. 27. Die Aagenfleeken auf demselben Stadium, Snbdofsalli^ 

besonders auf Segment I bedeutend abgebliehen ; m derselben Stelhing 
geMiclinet wie in der vorhergebenden Figur; LupenvergrOssening. 



Erklirung der Abbildungen. 



333 



Fig. 28. Stadium IV; uuch der dritten iläutimg: entapridit genan 

dem Stadium \ I. vou ('Ii. ILIpeuor. Dorsalansiclit mit halb eingezogenen 
vurdern Seguieuteu ^äclirucküteliuug dar iUupe l^i . Augenflecke auf Seg- 
ment 5 welliger 'entwickelt, als bei Elpenor. Wiederholungen der Aogen- 
flecke nls diffuse .-schwarze Flecke auf alten folgenden Segmenten bis 1 1 ; 
genau wie bei KIjm iuh- 8t«'ben iiuf tk-ii SejrmentfU 5 bis I I je zwei lielle 
Punkte; öubduräulliuiu nur uuch auf Segment 1—3 aichtbur. Urösiue 
4,3 Centim. 

Fig. 29. CliHerocampa Syriaca, nach einem aufgeblasenen 
Exemplar aus der Ledt rer sehen Sammlung» jetzt im lieeitz dea Herrn 
Dr. Staudiiiger. Grüsäe 5,3 Centim. 

Fig. 30. Die errta Anlage der Angenfleeke bei Chaeroeampa Elpenor 
Stadiuin II. tut sprechend der Fig. I!» auch in der Stelluug, ho das» linka 
das Ki>|ifV)i<l)> der Katipe zu denken istj. Die Subdorsallinie maeht eine 
leichte Krüuimuug auf Segment 1 und 5. 

Fig. 31. Augenflecke auf Stadium III. der Kaupe von 
Fig. 20. aber etwas weiter entwickelt (Raupe unmittelbar vor der dritten 
Häutung). StelhuiiT wie iu Fig 20. 

Flg. 32 und 33. A^^<•nllecke auf Stadiuui IV. der Kaupe. cnt.spre- 
chend der Fig. 2 1 uud zwar ist A der Augenfleck des vierten Segmentes, 
ß der des fltaiften. 

Fig. 33. Augenflcek auf Stadium V. der Raupe ▼<» 
Ch. Klpenur; vom \icrfiii .Sctmiciit. 

Die Figg. 30—33 ^iud aus freier liaud bei Lnpeuvergrdsseruug 
gezekhnet. 

Fig. 34. Darapsa Choerilus Gram, ans Nordamerika, ans- 
gewaelisene Ilacipe mit eiogesogenen vordem S^;menten, Copie nach 
Abbot & Soiith. 

Fig. 85. Ghaerooampa Tersa ans Nordamerika, ausgewach- 
sene Kaupe, Copie nach Abbot & Smith. 

Fig. 36. I)a.s s< (h te Segnieid ilcr erwachsenen Haupe von Papi- 
lio -Arten und zwar A: V. llospiton aus Corsica, B: P. Alexanor 
aus Sfldfrankreioh, C: P. Machaon aus Deutschland, 2>: P. Zolicaon 
aus Califomien. 

TaM III. 

Figg. 37—44. Entwicklung der Zeichnung bei Deilephila 

Eupliurbiae. 

Fig. 37. Stadium I. Junges Käupchen kurz nach dem Aus- 
scblflpfen. Natürliche Orilese 5 ITillim. 

Fig. 38. Kiu ebeu-'cdches unmittelbar nach dem Ausschlapfen, stir- 

ker vergrössert. Natürliclie (irosse A Millira. 

Fig. 39. Stadium 11. Kaupe unmittelbar nach der ersten Häu- 
tung; die Fleekenreihe i»t deutlich durch einen Uchtstreif verbunden 

(Rest des Subdoraalstreifens) . Natürliche (iHisse 17 Millim. 

Ftg. 40. Stadium III; nach der zweiten Hilutung: die fünf letz- 
ten Segmeute vergrüssert gezeichnet. Nur eiue Keihe grüdserer weisser 



334 



Evkliruiif d«r AbWldmigen. 



Flecken auf schwarzem Griiiulc 1! i n ^' f 1 e c k e ; : Sululorsalstn if völlig 
, vcrschwuTulen ; die vorher uoch lY hleudeii Uhagriu- Fleckchen jetzt auf- 
getreten und zwar in vcrticaleii Kciiicu , nur durch deu Ringfleck uuter- 
brocheii. Unterhalb dewelbeo «iuige aohon grOsiier« Gbagrin- 
Fleckchen . ans denen spnter der zweKe Riligfleek wird. NaMrliobe 
Grösse der ganzen Hanpc 21 Milliui. 

Fig. 41. ätadiuui Dieselbe Kaupe nach der dritten Hän- 
tnng. Veränderung der Firbnng d«s Grundes ans Grtln in Schwarz 
und zwar dadurch entstanden, dass die in Fig. 40 vom Hingfleck ansge- 

luMuh'ii >( liwar/cn ZiplVl :m Mreite bedeutend /ngenoinmen haben, so da^■s 
zwi.scheu ihnen nur noch ein schmales grilnes Dreieck übrig bleibt. Die 
Chagrinfleclcchen unterhalb des liingfleckens sind grösser geworden, aber 
Doeh nieht snsammen versehmolsen. 

Fig. 42. Stadinm III. Raupe gk-iehalfrig mit Fig. 40 , aber be- 
reits mit zwei Reihen voD Kingfleclien. Natflrliehe Grösse der ganten 
jÜUiupe 32 MiUim. 

Fig. 43. Stadium V. liaupe vom Kaisersiluhl. Variation mit uur 
einer Reihe von Ringfleeicen nnd mit rothen Kemflecken auf den Spiegel- 
fleeken. NatOrliehe Grösse 5 Centlm. 

Fig. 44» Stadium V. Raupe v«)m Kaiderstnhl (wie auch die drei 
vorhergehenden). Die Dreiecke am Hinterrand der Segmente v(ui 

Fig. 42 haben sieh in Ruth umgewandelt. JSatUrliche tirusse T.Ti Centim. 

Fig. 45. DcilepbilaGalii Stftdinuk IV. Snbdorsale mit offneu 
Ringflecken. Natüiliclie Lirüsse 3,4 Centim. 

Flg. 46. Deilcphila Oalii. Ansjr< \v:i(lisene Raupe Stad. V.). 
Braune Variation mit schwacher Entwicklung der Chagrinirung; Sabdor- 
aale volhtundig geschwuuden. Natttriiche Grösse 6 Centim. 

Fig. 47. Dieselbe Art in demselben Stadium ; schwane Variation 
mit starker Eatwicklang der Chagrinfleekebra ; Aehnliehkeit mit Deil. 

fiaphorbiae. 

Fig. 48. Dieselbe Art in demselben Stadium; gelbe Variation ohne 

jede Spur von t'hagrinfleckchen. 

Fig. 49. Deilcphila Vespertilio. Drei Lebensstadien der 
Art, welche ingleich drei phyletisehe Stadien der Gattung raprlsen- 
tiren. .4 Lebensstadiura III. =der phyletischen Stufe 3 [Snbdorsale mit 
offnen Ringflecken); B Lebensstadium IV. = der phyletischen Stufe 1 
^Subduriiale mit geschlossenen Kiugflcckeuj ; C Lebcussiadium V. = der 
piiylctischen Stnfe 5 (Snbdorsale Tcrschwunden ; nnr eine Reihe von 
Ringflecken] . 

Fig. 50. Deilephila Z y,i,'(.i)hylli aus StUl-Russland Stad. V. 
Nach einem aufj^ebiascnen Exemplar der Staudiuger scheu Sammlung;. 
Bei diesem Individuum sind die Ringflecke wegen des sehr dunkeln Gruu- 
des nnr sehwer m bemerken , dennoch aber andentnngsweise vorhanden 
und im Lebi n wahr^clieinlich deutlicher gewesen. A Offener Ringflcek 
von einem andern Exemplar derselben .\rt. ebendaher. 

Fig. 51. Deilephila N icaca aus Südfrankreich, Stadium V. 
Copie nach Duponchel. 



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BrkllniBf der AlkbUdungeii. 



335 



Tafel IV. 

Fig. 52. Sphinx ( ' o n v o 1 v ii I i . Stadium V Sc{?nicnt 1 0 — S ; 
braiuie Variation mit sehr üeutlicitcii weissen Puiiktiu an der Kreuziings- 
stelle der gemhwandeBai Snbdoraale mit den ebenfalb geiehwandenen 
hellen Scliri'ij,'.strichen. 

Fig. 53. Anct>ryx Pinusti i. n nnd Ij Käupehen nmnittelbar 
nacli Ut'iu AittiäcliUlpl'eu. Natürliche (jiröuäe Ü Millim. 

Fig. 54. Dieselbe Art, Stadinm IL SabdorMle, S«pni-nnd fnfira- 
Btigmale entwickelt. Natürliche CJröiMe i^^ Millim. 

Flg. 55. S lue rl n t h u s Popiili, Stadium I. nnmittelbur nach dem 
AussehlUpleu, noch ohuo jede Zetchniing. ^iatUrliche Grosse ü Millim. 

Fig. 56. Dieselbe Art am Ende des ersten Stadiums; Settenan- 
ucht. N.-itUrliche Grösse I.UCentim. 

Fig. 57. Dieselbe Art Stadiuni II. Snbdorsalf uiuleullieh . der 
erste und letzte der Schrägstriche stärker aU die Übrigen. ^iatUrlichc' 
GrOsse 1,4 Centim. 

Flg. 58. Deilephila Hippophaes, Stadium in. DieSnb- 
dorsaie mit offnem Kingileck nit Se^'ment tl. A Segneilt 11 etwas 
stfirlEer vergrüs.^ert. Natürliche Cliösae A Centim. 

Fig. 59. Dieselbe Art, Stadium \'. Sekundäre Kingflecke 
anfseohs Segmentea (von 10^5). 

Fig. 60. Dieselbe Art. Stailiuin N' ; trügt jo ein oder zwei 
rotli2:ef:irbt<' Chagrinfleck<-hen .luf den Segmenten It) — 4 an Stelle der 
Kingtiecke von Fig. äli. Natürliche Urösse ü,5 Centim. 

Flg. 61. Dieselbe Art, Stadium Y. DieS^menteO — eeiaes 
andern Individuums stärker vergrös^ert. Anf Segment 9 und 8 je ein 
Kingfleek mit Andeutung seiner Entstehung aus je zwei Chagrinfleck- 
cheu , auf Segment 7 zwei rothgefärbte Chagrinfleclichen, auf Segment 0 
nur ein«'. 

Fig. 62. Deilephila Li vor nica (Europa) im MatSB Stadium; 
grüne Form. Copie nach Hoisduval. 

Fig. 63. Pterogou Oenotherae, Stadium IV. Natarliche 
OrOsse 3,7 Centim. 

Fig. 64. Dieselbe Art im gleleben Stadium; die letstmi Segmente 
in fiUckeunuäicht. 

Fig. 65. Dieselben Segmente in Stadium V. Der Augenfleok voll- 
ständig ausgebildet. 

Flg. 66. Saturnia Carplni, Raupe aus Frelbnrg: Stad. HI. 
Natflrliche Orö.sse 15 Millim. 

Fig. 67. D i c b e 1 b e A r t , Kaupc aua Genua ; Stadium IV. Natür- 
liche Qrösse 20 Millim. 

Fig. 68. Dieselbe Art, Raupe aus Preiburg; Stadium III. 
Die Segmente 8 und 9 in Rftckenannebt. NatOrllehe GrOsse der Raupe 
15 Millim. 

Fig. 69. Dieselbe Kaupe; Segment b in Seiteuausicht. 

Hg. 70. Smeriutbns Ocellata, ausgewaehsene Raupe mit 
dentiicber Subdorsale auf den secbs vordem Segmenten. Die Cliagrini- 
rnng i^t nur im Contur etwas angegeben , sonst weggelassen. MatOrliclie 

Grösse 7 Centim. 



IVM} ErkUruiifj der Abbildungen. 

Figg. 71 — 75 stelleu die S«;giuent€ b und 9, respective auch 10 der 
lUnpe von SatnrnUt Carpini (dentücbe Form) vor und zwa in Rflckeii- 
ansieht und .ille aus demselben St;i<]iuni IV. Der Kopf der Raupe ist 
nach oben {,'eriehti't zu denken das diu rstf Scpment ist also das achte. 

Fig. 71. äaturuia Carpiui. UuukuUte Variatiuu. 

Fig. 72. Hellere Variation. 

Fig. 73. Noch hellere Variation. 

Flg. 74. Zweitlielläte Variation: das Schwant tritt auf den S^men- 
ten M und 1 0 noch mehr zurUcic, als auf t>. 
Fig. 75. Hellste Variation. 

Die Figg. 76— BO sind nur der Ranmerdpamiss halber in kleinerem 
Mnssstab {gezeichnet, al^ die vorhergehenden und nachfolpendi n : sollten 
sie entsprechend den übrigen vergrdssert werden , so mUssten sie sogar 
grösser als jene gtlialteu werden. 

Hg. 76. Satnrnia Carpini, lignrlsebe Form; Segments, 
Stadium V. 

Fig. 77. Diesellie Form, da.s ■gleiche Segment in Stadium VI. 

Figg. 78, 79 und 80. batumia Carpini, deutsche Form. 
Dorflalansieht dos achten Segmentes in Stadium V (dem le taten 
dieser Form) . 

Flg. 78. Dunkelste Variation. 

Fig. 79. Hellere Variation. 

Flg. 80. Hellste Variation. 

Figg. 81— 86. Satnrnia farpini, deutsche Form: Stad. IV. 
Das aelite Scjrnieut in Seitenansiclit bei sechs verscliicdencn \'.n iatinnen, 
vuii denen Fig. 81 ausser dum grünen Stigmastreilen nur zwei kleine 
grflne Fleeke an der Baris der beiden obem Warzen anfmiitt. 

Fig. 82 zfugtdie Fleolcen gewachsen und dnrch dnen dritten bin« 
ter tli 11 ^^'.■l]■/e^l vcruichrl : ziifjicich ist der Aftcrl'uss grflu jj^eworden. 

Fig. 83. Zwei der drei noch grosser gewordenen grUuen Flecken 
rind zusammengeflossen. 

Fig. 84. Alle drei Flecken zu&ammengefloesoi, aber hier wie auch in 

Fig. 85 sind noi-h vcix liiodene Reste des nrsprOngliehen Sehwart 
als lireuzmarkeu zurückL't'ldit'bcn. 

Fig. 86. Hellste Variaitua. 



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