Gotik in der
Renaissance
August
Schmarsow
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eOTIK
IN DER RENfllSSfiNCE
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EINE KUN5THIST0R1SCHE STUDIE
VON
AUGUST SCHMflRSOW
HUT 16 1IBBILDUN0BN
VERLflö VON FERDINHND ENKE IN STUTTGART
19 2 1
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TerUg TOB FEBDININD ENKE in Stottgari.
Aesthetik und Allgemeine Kunstwissenschaft
In den Grundzügen dargestellt von Max Dessoir.
Mit 16 Abbild, u. 19 Taidn. Lex. 8^ 1906. geh. M. 14.~; in Leinw. geb. M.a4^
Prof. Dr. E. Viliz:
Grundlegung der allgemeinen Kunstwissenschaft.
Zw«i Binde.
LBand. Mit 12 Bildtafeln. Lex.S*. 1914. geh. M. 9.~; geb. M. 17.—
U. Band. Mit 12 Biidtafeliu LcuS« M2Q l gvh. M. M.-; geb. M. 76.-
Grundzuge der ästhetischen Farbenlehre.
Mit 4 AMrfMttngen und 2 Tiberien im Text gr. 8*. 1908. geh. M. 4.—
DieGrundiagen der jüngsten Kunstbewegung.
Eio Vortrag. Ux.8*. 19ia gdi,M,l.aOL
Was ist Stil?
Mit 12 BPde rtaMn. l«t;8» 1911. geh. M. 2.40^
Ober den Zweck der Kunst.
Akademische Festrede. Von Prof. Dr. Konrad Lang^
Lex. 8*. 1912. geh. M. 2.—
Das Kino in Gegenwart und Zukunft.
Von Prof. Dr. Konrad Lange.
Lex. 8*. I920L geh.M.GO.-'
Aesthetische Perspektive.
fietnchtungen über die Perspektive als ästhetischen Faktor im Fläch enkunttweilt;
aU Beitrag zu einer kuiihi^^ n allgemeinen Kunstgeschichte.
Von Dr. £. Sauerbeck.
m 6 Tifdn imd 4 Texftbblldtmgen. Lex. 8*. fOtl. geh. HlC—
Durchschnittsbild und Schönheit»
Von Oeh. Rat Prof. Dr. Oeorg Tren.
Mit2Taleln. UacS». 1914. geh.M.1.—
EnuilliiiiBD Ulli bitlsdii Erirleruueii zur Prlizlileikln ier liilatn UkL
Von Prof. Dr. Oskar Wulff.
Lcx.8> 1917. geh. M.7.-
Ztitsckrltt far Atstlietlk und Allgemeine KunstwIsseiuctiilL
Herausgegeben von Max Dessoir.
Die Zeitschrift erscheint in Heften von sechs bis zehn Druckbogen in Lextlcon-
fonrat wovon fe vier einen Band bOden. Der Frelft der Hefte wechsett nach
dem Umfanp, die liert chnunji erfolgt hcft weise. Es ist alljllirlich die Ausgabe
eine« Bandes beabsichtigt. — Im Erscheinen begriffen ist der fünfzehnte Band.
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eOTIK
IN DER RENflISSflNCE
EINE KUNSTHISTORISCHE STUDIE
VON
flUeUST SCHMflRSOW
MIT 16 HBBILDUN0BN
VERLAG VON FERDINAND ENKE IN STUTTGART
19 2 1
Das Übertet)uiigsrccht für alle Sprachen und Landet vorbehalten.
Copynght 1921 by Ferdinand E n U e, Publlfber, Shittgart.
(OcCe^cbe Formel für den Urbcbccreditsfcbuh in di^n V'crciniqtrn Staaten von Nordümerik«.^
Drude der Union Deutfd)e VerUgsgcCelUchaft in Stuttgiirf.
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C2C09
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eOTlK IN DER RENAISSANCE
erfuchen wir mit diefen beiden Namen und der Ver^
▼ hältiiisaagabe zwifd)cn ihnen den Inhalt der folgenden
betidd)tiingcn im voraus zuidimnenzufaffen, fo gewinnen
wir mit der Kfirze der Oberfd)rift aud) die Kraft eines Schlag»
Wortes, der wir vertrauen dfirfen. Die Zuordnung zuein=
ander läßt Itaum einen Zweifel, in weld>€m Sinne jeder zu
nebmen fei. Der eine wie der andere kann freilicb zweierlei
bezeichnen: entweder einen Stil und damit das innewobnende
Kunftprinzip, oder eine Kunftperiode» d. b. den Zeitraum, in
dem diefer Stil fld> entwldielt» ausgebreitet und bebauptet
bat. Nur dies le^tere Itönnen wir meinen, wenn wir die
Renaiffance als vorbanden in ibrer gef<bid>tUd>en Rus-
debnung anfe^en und innerbalb diefes Wirkungskreifes etwas
anderes fucben wollen, das wir Ootik beißen. Hucb diefer
Name gehört einer Kunftperiode, aber der vorangegangenen
Zeit, die wii bisher als Mittelalter aufzuführen pflegten, und
die wir möglidift fdiarf von der udc+)folgenden abzufondern,
ja im ftärkften Gegenfa^ zu ihr zu denken trad^teten. Sie
t<ann alfo nicht auch als folche gemeint fein, wenn zeitliche
und räumlid)e Einordnung »in die Renaiffance« vorgeid)ri€ben
wird, wie in unferem Titel, fondem nur als Kunftprinzip, als
der eigentümlid>e und felbftändige ötil, dem fidi die neue Ten-
denz fo abiebnend und feindlicb gegenflbergefteUt baben foU,
daß Kulturbiftoriker lid> veranlai^t faben, fo mitten im ge»
fd>id>ttid>en Verlauf eine möglid)ft tiefe Kluft aufzureißetu
nber nod> Eins. Wir wollen unter Renaiffance zunftcbft
nur die urfprftnglicb fo benannte Periode der italienifdien
Kunflt verfteben. Ift aucb die Übertragung des Begriffs auf
andere Länder bereits eingebürgert, io mag diefe Möglich=
keit dod> erlt für fpätere Gelegenheit vorbehalten bleiben,
Sfbmarsow, OotUt In d«r Renaifbncc 1
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GOTIK IN DER REN/USSflNCE
wenn die Hauptfache felbft fcbon zum flustiac] gekommen
ift. Die beliebige Verwendung des nämllcben Wortes jedoch
für irgendwelche andere Zeiten als die mit dem fünfzehnten
Jahrhundert beginnende Periode lehnen wir überhaupt ab ')*
Der Befchränkung auf die italienifcbe Renaiffance gegenüber
foll aucfe die 6otik ebenfo in ibrem urfprfinglicben Wefen
und in der ganzen Strenge Ihrer Kunftgefe^e gemeint fein,
d. h. wir denicen zvmätbtt an die nordfranzdri (d>e Heimat
derfelben» wenn aud> mit ihrem Anfpruch auf allgemeine
Geltung für die ganze abendldndifd>e Chriftenbelt, alfo mit
dem bered>tigten Hinblidc auf die nächften Nadibam im
Norden, die getreuen Portierungen und Wcitcrbildiniqcn in
DeutfchLiud und England. Dagegen wird die fogcnaniite
• italicnud^e Gotik« als eine weitere flbwandluitg immer erft
der kritifchen l(nterfud>ung auf Ku^^ticikeit des Vcrftänd-
niffes und Reinheit der öefmnung überantwortet bleiben.
Es ift eben die ed)te, gemeiniam nordländifd^e oder ger-
manifd)e Erfd)einung, die wir ins Huge zu faffen baben, ie
mehr fie auf italienifd^em Boden ein fremdartiges, auf der
anderen Seite der Alpen entftandenes und angeblid> dort
allein möglid>e8 KunCiprinzip gewefen fein foll, woran wir
freilid> nicht glauben.
Damit erft fpif^t fid> unfer Thema in feiner programmati-
fd>en Bedeutung zu. Rud) in unteren gebr9ud>lid>en Dar*
ftellungen der italienifd>en Kunftgef*id>te fpielcn nod> immer
kurzfichtigc Voiuiteile oder nationale EiteLiLid>teleieu, teils
0 Vgl. ScfmuDBow, Banxk und Rokolio, Leipzig IA97, & 37 ff.: »Die
Renaiffance ift für den Hiftorikcr eine ganz bcftimmte Periode, die das
Mittelalter in crftcr f.inie vorausfct^t. auf das Tie folgt, aus dem fic heraus*
wächft . fo fcbr fic fid) im Gcqcnf.iti d.r/ii fühlen m<iq. Wir hriurhcn zu
ibrer Erklärung diefen Faktor notwendig . . ., wir biaud^cn dios Erbe der
1eibtid>en Vflter vietlelcf>t notwendiger als das Ideal, dem die neue Oene-
catimt nadiftrebt nie Kunfttradition, atte Sdmltmg im Handweclc ift
gotifcf}, ohne Frage, und es wäre Sa die der vorurteilsfreien Forfdning,
feftzuftcllen , wie viel trot» alles antiUifd>en Eifers die finfchautmgen und
Empfindungen der Kuniticr noch mittelaUerlid> bleiben, gkid> den Dar*
ftellungskreifen, die Volk und Kirche von ihnen neu belebt zu fehen ver-
langen«.
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GOTIK IN DER RENAlÖb^NCE 3
offcnkiindioi, teil? in beim]icf>er Verl<leidung eine gefäbilicbe
Rolle, die jeder gründlichen biftonfcben Einficht entgegen-
wirkt. Selbft in Burckhardts Cicerone werden die beiden
Stilperiaden nicht allein der Überfid>tlichkeit zuliebe von-
einander getrennt und |ede für .fid> von Anfang bis zu Ende
durcbverfolgt, fondem es wird aud> die Ootilt immer zu febr
vom Standpunitt der Renaiflance und diefe zu febr vom
Standpunkt der lclafflfd>en Antilie her gefeben und beur«
teilt'). Das an ficb berechtigte Verfahren tauberen Aus-
einanderbaltens führt doch zu dem »unhiftorifchen« Ergeb-
nis, daß darüber die Oleicbzeitigkeit beträchtlicher Strecken
des Weges uiibeachtet bleibt, und eben dadurch v.ird das
richtige Verhältnis beider verdunkelt, wohl gai völlig ver.
geffen. Oder ift es nur mißverltanden, weil auch bei Jakob
Burckbardt felbft noch eine zu einfeitiqe Fiuffaffung der
gotifchen Baukunft vorwaltete, die eben der klaffiichen Afthe-
tik von damals entfprungen und, bei deren Huffaffung der
Architelitur überhaupt, nicht anders möglich war, ganz zu
fcbweigen von der Kenntnis des tieferen Wefens gotifcher
Blldnerei und Malerei wie Ihrer durchgehenden Kompo-
fitionsgefe^e, die Heb feitdem erft erfcbloffen bat? Erft wenn
wir einmal die Ootik voranßellen und von ihr ausgeben, weil
fie doch das gefchicbtlicb frühere und keineswegs minder-
wertige Kunftprinzip gewefen, wird ihr Verhältnis zur Re-
naiffance fich aufklären, wie das der Renaiffance zu ihr
richtig berausltcllen. Wir haben es nicht allem mit dem
Fortbeftand der keineswegs verfchmäbten mittelalterlichen
Kunft weife und lange geduldeter friedlid^er Nad^barichaft
zu tun , fondern das italienifd'»e Quattrocento ift geradezu
eine nur allmählich vollzogene ifiuseinanderfetjung des neuen
6efcbmackes mit dem überkommenen und geheiligten Erbe.
') Ich beziehe mich im Folgenden allein auf den Cicerone, wr]} diefes
Buch den größten FiIlr1ll^^ nif die Kunftanfcbauungen aller GcbiKi. ten aus«-
geübt hat, laflc )cdoct> die bekannte Tat£ad)e, daß der Originaltext Burd<*
hmdt» imtar den Händen zabltdcher Bearbeiter nicht mehr einheltt]d>
geblieben ift. aufier Betracht
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Was will es denn bcfagen, wie die erften Begründci und
eifric^en Verfed>ter der Renaiilance ötellunglnebmen zu der
Kunft der Gotik, in der fie doch allefamt erwadifen waren?
Und was will dies Verhalten der Träger des künltlerifd^en
Fortfcbritts heißen für die ilUgemeinheit ihrer Zeitgenoffen,
den Dutcbfchnitt des damaligen Gefd)mad<$leben5 und Kunft-
Urteils? Erft die zeitUd> und täumlid) vorhandene Oemein«
kbait, die wir mit dem Stid>wott »Gotik in der Renaiffance«
kennzeidinen» I10t die innere Verwandtficfoaft beider Stile
bei äußerer Verfd>iedenheit erbellen, erft die vorurteilsfreie
Verfenkung in ihren Einklang wie ibre Widerfprfid>e ver-
mag das Verftändnls ibres eigenften Wefens zu erfd>liefyen,
das dod? den Lebensfaden ihres zeitlid>en Fortbeftehens
und ihieö öeid)id)tlid)en WaiideU dubiuad>r.
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I.
OHIBERTI UND BRUNELLESCHI
Wer das »Quattrocento« wdttlicb nimmt und mit dem
neuen Jahrfnindert aucb das neue Zeitalter beginnen läßt,
der fleht fid> doch einer KOnftlergeneration gegenüber, deren
anerkannte Führer tinzweifclbaft das Befte ihres Könnens,
das fie von ihren Vätcin üiitbriiigcn, nod) duv üotik ver-
danken. »Als der erfte und hervorragcndfte Meifter der
Frührenaiiiance pflegt Loren zo dl Ci one öhiberti (1381
bis 1455) genannt zu werden«, lelen wir im Cicerone. Rber
es folgt auch das wahrheitsgetreuere Zeugnis : »Die früheren
Arbeiten zeigen den Künftler des gotifchen Stils«, - das
mit folcher Zured)nung zur Renaiffance dod> nid>t vereinbar
erfcheint, zumat, wenn die Entftebungszeit feiner erften
Bronzetür für das' Florentiner Baptifterium, 1403 - 24, die
ganze erüe Hälfte feines Lebenswerkes in fid> begreift. Id>
habe denn aud) vor zwanzig Jahren (d>on in einer Studie
über die Kompofitionsgefe^e diefer Bronzereliefs in ihren
ftreng gefd>loffenen Vierpa6rafmien0 nad>gewiefen, dafi wir
ihn nicht allein »als den geiftvollen Erweiterer desjenigen
Prinzips, dem Hndrea Pilano nad>kbtc«, anzukbcn haben"),
fondern als einen viel genaueren und weiter fortgeid)iittenen
Kenner der franzöfifchen Gotik, der im VoUbefin ihrer höchften
Geheimnfffe und im glücklid)ften Einvernehmen mit ihrem
wertvollften Erbe ichafft. Daß er im itrengeren Sinne als fein
Vorgänger dem Prinzip des Vertikalismus folgen will, zeigt
fd>on die bewußte Abweichung: im Aufftieg feiner Bilder-
reihen über der Sodielregion der Tür; fie beginnen unten
>) Abhandlungen der K. Säcfof. QeL der maenkbpften in Leipzi0
Bd. xvm, IV. isoQ.
*) Vgl. über Andrea t'uano meinen rtutidt> in der Feftfchtift zu Ehren
des Kunftbiftoclfchen InMtttts in Florenz, Leipzig, Lie1»€skind 1M7 (aue der
BerUner Nationalzcttung 18M69)u
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links mit der Verkündigung und fcbließen zuobcrft re<f>ts mit
der fiusgießung des Heiligen Geiftes. Das ift die Keqcl, die
Heb an den Gtasfcnftern der nordfranzö(ikt)en Kathedralen
ausgebildet hatte, die jcdod) rlndrea Pifano nod) nicht kennt,
oder feinen italicnifchen Gewohnheiten gemäß nicht annimmt,
indem er feine Gcicbichte Jobannes des Täufers von oben her
beginnt, wie die Wandgemälde Giottos in gotifchen Kapellen
es auch taten. Gbiberti kennt und handhabt den Unter»
icbied zwiCcben dem Paar «der Hauptachfen, die ie zwei öpi^en
der aufred>tftei)enden Raute verbinden, und dem Paar der
DIagonalacbfen, die je zwei der Krei«fegmente fcfoneiden,
mit denen Ücb die Selten diefer Raute zur Vierpaßlbrm er>
weitem. Er verwertete das erftere zu IconlUtutiven Zwedien,
d J>. für die Errichtung des Bildraumes oder der KOrper
in der Relieffläche des vorgefchricbenen Rahmens, und das
andere flchfenpaiir zur Ei"fd:>ließvnivl der Kauni weite, die
darüber hmausweiit, wie zu dem gemeiiilanieu ürunde des
benachbarten Scbauplatjes unten, fo droben zu Luft und
Licht oder zur hereinragenden Region des überirdifchen
Zufammenbangs. Das geht weit hinaus über dekorative
Verteilung der dargeftellten Dinge in die überkommene
Rahmenfchablone, die das Vorbild der Tür des Andrea
Pifano mit ficb brad>te» und die aud> das Konkurrenzrelief
mit Abrahams Opfer umfcblleßt. Das Ift vielmehr ein volU
gültiges Bekenntnis zu der Grundlage des ganzen Syftems
der Bilderkreife franzdflfdier Kathedralen, und zwar der
entwidielten Stufe» die uns nid)t fowoht an den Bodtetretiefs
der Portale als darüber hin an den Olasgemdlden der Kirchen*
fenftcr entgegentritt Mit diefem neuen Zufluß, den Ghibcrti
als Maler oder als üoldld:)inied dus Frankreich her ei7ipf<nuien
haben muß, erfüllt ficb auch der Zeitabftand zwiid)en ihm und
Rndrea befriedigend, wenn fchon darm heilich noch mancher
andere Wandel des 0efd7inaci<s vor ficb gegangen fein muß,
der die lonCtige Vericbiedenbeit der Beftrebungen beider zu
') VgL Schmarsow, Komi>oBtionsgefe^ fdl^otffdier Qtwganllde,
Abfkltg. d. SadH. OeL d. Wilfenkbaften in Leipzig 1919.
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GHIBERTI UND BRUNELLESCHI
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erklären hilft, öbibcrti felbft erwähnt in feinen Kommentaren
einen nach Florenz gekommenen Meifter aus Köln. Aber
bei aller Anerkennung feiner Vorzüge findet er doch an
Bdrg«llo, Florenz.
Fig. 1. Gbiberti, Die Opferung Ifaaks.
ihm auszufctjen, und zwar an den Proportionen feiner Fi-
guren ; - das aber ift für den öotiker gerade ein fo wefent-
licher Punkt, daß wir fchon deshalb nicht annehmen können,
diefer Rheinländer fei der Vermittler jener folgerichtigen
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S GHIBERTI UND BRUNELLESCHI
Bildkompofittion gewefen. Rndcrfeits darf auch nicht nußcr
acht gelaffcn werden, daß die Oeftaltenbildung der biblifchen
Erzählungen innerhalb der gleich großen Vierpaßrahmen der
Btlderwand bei Ohiberti wie bei Andrea durch die Falle des
Inhalts, den fie bergen fottten, fchpn zm Verkleinerung ihres
Maßftabes gezwungen war. Wollen wir die Figurengröi^e,
der Ohiberti eigentlich huldigt, erfahren, fo müffen wir vieU
mehr die Standbilder befragen, die er fOr drei Nifchen von
Orfanmicbele gcfcbaffen bat. Docb fcbon die Hcliofs am Sod^cl
der rürHiicjcl von San Giovanni mit den vier Evangelilten
und den vier lateinilcben Kirdienvätcrn, in denen lolcbc Einzel-
figurenTitjend dargeftellt find, gewähren einen willkommenen
finbalt, gerade im Vergleich zu den zwanzig Feldern mit
Oefcbiditen darüber. Sie geben uns fiuffd>luß über das Ver*
hältnis der Menfd>engeftalt zum umfchließenden Rahmen oder
vielmehr als Orundftock des plafti£chen fiufbaues im zuge*
hörigen Raumausfchnitt, wo hier noch das gotiCche Oeftühl
und ein Lefepult, ia wohl gar ein apokalyptifcher Hausgenoß
zu Hilfe kommt. Hngefichts diefer großartig gedachten Figuren
ift es jedoch ganz unftatthaft, mit dem Cicerone zu urteilen,
fie fden »in der Haltung zu geftredit und im Ausdruck zu«
weilen gefucbt gotifd>«. Wir müffen fie als hiftorifche Ur-
kunden des Kunitl er willens und des unnachahmlichen, gc»
rade Gbiberti eigenen üeict)inaci<s fo hinnehmen, wie fie find,
und eben fo zu vcrfteben fuchen. Hier gilt das Eingeftänd»
nis, daß »im Pathos der Darfteilung wie in der Schönheit
feiner öeftalten und dem Schwung ihrer Bewegungen kein
Bildner der Renaiffance dem Ohiberti überlegen ift«. Und
das verdankt er dem idealen Schötibeitsflnn, der tiefinncr-
Uchen Seetenreinheit der Ootik, die ihn ganz durdnlringt
und noch in feinen fpäteren Werken ebenfo erfüllt, fo daß
wir nicht fagen dflrf en, er habe »diefe Vorzfige teilweife auf
Koften der Naivität, treuer CharakterifUk und emften Natur«
ftudiums zur Geltung gebracht«. Das heißt eben einen frem-
den Maßltab anlegen. Dem hohen Idealismus des Ootikers
bleiben die Beftrebungen einer naiven Natumacbahmung
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0H1BERT] UND BRimBLLESCHI^ 9
und realiftifcben CbaraktLifi±>ildcrung immer untergeordnet,
wenn auch der Wert feiner liebevollen Beobachtung der wirk-
lichen Welt keineswegs unterfchät\t werden foll. Der ganze
Widerfpruch in dem Urteil über öbiberti rührt nur davon
her, daß man ihn ohne weiteres zur »Renaiffance« gerechnet
und, als ob es felbftverftändlicfo wate, einem Donatello an
die Seite gefteUt bat.
Siebt man aber als die Hauptfad>e des neuen Oeiftes»
den wir mit jenem Namen zu bezeid>nen meinen» den
Realismus an» d. b. »den Trieb, die äußere Erfd)einung
der Dinge aUfeitig wiederzugeben«» und als die Aufgabe
der Bildnerei, fld> beobad>tend» nacbabmend in das Einzelne»
Viele zu vertiefen, nur das Wirkliebe, wie es ift, darzuftellen»
fo geziemt es lieh jedenfalls eher, das Konkurrenzrelief des
Filippo di Ser Brunellesco als eines der frübeftcn
Beifpiele diefer Kunftvid)tung anzuerkennen. Innerbalb des
vorgefchriebenen Vierpaßrahmens offenbart fich der Einge=
weihte der Bauhütte, mehr noch als der künftige große
firchitekt» nur in der Teilung feiner aufrecbtftebenden Bild*
fläd)e in zwei Stod<werke, deren oberes kraft der Bedeutung
des inbalts, des Opfers auf dem Berge ielbft, das Über-
gewid>t beanfprud>en mu0te. Hier redet fid> die Oeltalt des
bärtigen Erzvaters im beftigen Entfd>luO empor» zufammen«
gewidielt in dem abgetreppten fpätgotifd>en Oebänge feines
Mantels, gleid> einem Fialenrifen, und unter der Gewalt
feines Armes erbebt der dflrftige Knabe, den er zufammen-
drüdit, auf dem Opferftcin. Die rückbaltlofe Wiedergabe
dicfes hageren nad<ten Körpers, wie die libervafcbende Wirk-
lid^keitstreue des untenftehenden Efels, der beiden Knechte
hüben und drüben in ihrem alltäglid^eu Gel^aben, offenbart
den eiUfd>loffenen Willen des Realiüen inmitten der heiligen
6efd>ichte, aber auch die mühfame Eroberung jedes einzelnen
Btüdces, das »die Kunft aus der Natur i>eraus kann reiSen«,
nocb nid>t |edod> mit anderen zum organifcben Ganzen zu*
fammenzufagen weiß, fondem nur vereinzelt jedes für {id>
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net>eneinander(cMel>t. - In Bninellescbis Hnteil am Silber-
altar des bl. Jakobus, im Dom von Piftoja, lernen wir nur
den Öpätgotikec kennen, der Propheten in Halbfignr vom
V^erpaß eng umfchloffen gibt, doch fcbon durchaus der Körper-
lidbkeit zuliebe hervordrängt. ~ Der bolzgcfdinir^te Kruzifixus
in Cappella Gondi an Sta Maria Novella bekennt lid^, in der
Wabl des adeligen Urbildes, der berben Sd>önbeit der vor.
nehmen Züge» ftren^ und ecnft zu der bohen idealen Huf-
^abe, die dort nur aus dem Feuereifer nt>rahamft oder dem
energifeben Profil mit wallendem Barte fiervorleucbten konnte.
bideffen» wie feltfam vergißt man dod> in der Ardyltektur
^er dem Begrfinder des neuen Stils, dem der Name RenalC-
fance in einem ganz anderen Sinne gegeben ward, wie ver-
gißt man den Ootiker, der dod> die Kuppel des Domes von
Florenz gefdmffen hat, und ebcnfo den Realiften, der zwifd>en
der mittelalterlichen Formenlpraci^e hier und der antikifcben
dort die Perfonalunion in i'icb vollzogen haben muß. Oder
wie denkt man üd) ionft die Motive zur Hbftreifung der
einen und zur Pineignung der anderen, zumal wenn man
zwifchen ihnen obendrein die Rüdikehr zum menfcblid) bc-
fd>eideneren Maßftab fo völlig außer ad)t läßt?
In Florenz fpricbt noch heute jeder Gebildete von dem
»Cbupolone del BruneUesd>i«, - und mit Red>t» weil das
gewaltige Werk, unter deffen Schatten fid> das nad^geborene
Oefd»ied>t fo klein ffihlt, eben dod> fein künfilerifd>es Eigen-
tum ift und keines anderen. Dem verftandesklaren Realiften
dankte feine Zeit fd>Ueßlid> dod> die Löfung der tedmifchen
Sd^wierigkeit, in die fkb ihre verwegene Ruhmfucht geiHlrzt
hatte; er voUbrad^te den fiegreid>en iRufftieg der Kuppel
über der klatfenden Weite des ad)tfeitigen Tambours. Dann
aber, feitdcm die Öffnung mit dem berghoben Gewölbe ge-
fchloffen und dies mit der triumphierenden Laterne droben
bekrönt war, zeugte dod) die Oefamtform, die, zwifchen ad>t
gewaltigen Steinrippen eingefpannt, ihr unvergleichlid>es
Profil gegen den Himmel fe^t, von dem kühnen 6eift des
Gotikers, der diefen Stil in fid> aufgenommen haben und
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GHIBERTI UND BRUNELLESCHI 1 1
ihn von Grund aus bcbctxfcbcn mußte. Freilich, die ge-
fcbloffene Form, diefe acbtfeitige Kuppelmaffe über der Vierung,
Barqcllo, Florens.
Fig. 2. BruneUescfi[i, Die Opferung Ifaaks.
inmitten ihrer drei kurzen Kreuzarme oder 'gedrungenen
Dreikonchenanlage', hat am Ende des weiträumigen Lang-
haufes noch einen anderen Sinn, der über die gotifche Formen-
fprache und gotifche Konftruktionsweife hinausgreift. Es ift
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t2 OHIBERTI UND BRUNELLESCHI
der HbfcbluO einer Entwidtlungsreibe von Bauten auf italie-
nifcbem Boden, in denen der Rbythmue franz5fi(d>-0Otifd>er
Kird^enräume zum StilUland gelangt', foweit dies bei der
bafikalen Rautnkompofition, mit dreifd>ifflgem Langhaus und
Kreuzarmen an der Vierung, uberbaupt, zumal mit Spitj»
bogenarkaden im Innern, gefcbeben kann. Das kraftvolle
Konzentrationsmotiv untti dti hocbgefteigerten Dominante
ergibt eine Körpergruppe nach außen, wie eine Raumgruppe
nach innen, die dem Bewegungsraum der Wandelbabn als
gefchloffcne Einheit von unbczwingUd>er Wucht gegenüber,
tritt. Und diefe Reibe itaUenifd>er Kirchen fteUt uns jeden«
falls vor die Frage, ob fie, tro^ aller Beibehaltung gotifdier
Einzelformen und goti(d>er Oewölbekonftruktion, fiberbaupt
nod> als goHfd>e Raumgeltaltung und nid>t vielmehr als
RenaifTance oder mindeftens als geiftig bereits vollzogener
Übergang zu ihr anzuerkennen fei, fowie wir uns einmal
von der rein formalen Beftimmung des Stils nad> der Einzel-
bildung der Glieder loszufagen entfd^ließcn. Das wird ficf>
eiit recht klar berausftellcTi , wenn wir nach Brunelleschis
Verhältnis zur Gotik weitei fragen.
Das Urteil, das im Cicerone von der Florentiner Dom«
kuppel abgegeben wird, ift unvollftändig und unklar aus-
gefallen. »Sie ift,« fo bcilM es von ihr, »als größtes mecbani-
fches Meifterwerk alles bisher öeleiftete überbietend, docb
für die große Stilveränderung wenig bezeichnend. Von der
äußeren Dekoration gehören ihm außer der Laterne nur
die vier an den Tambour gelebnten halbrunden Bauten,
Das Oefims Brunellesd>is follte auf Konfolen ruhen und ein
durcbbrocbenes Geländer tragen.« Von diefem lebterenkönnen
wir uns keine Vorftellung mad)en, wie weit die Formen>r
fprad>e des gotifd)en Motivs der Dachbaluftrade nod> diefem
Stil getreu blieb oder fchon die Umwandlung in antikem
Sinne vcrincbte. flbcr die balbzy Imdiilci^cii Anbauten Und
mit Rundbogennifcbeii und iMufcbelfüllung trifcbweg in Re»
naiffancedekoration gegeben, und ebcnfo die Laterne, die
erft 1446-67 nad> feinem Entwurf zultande kam. Und fo
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haben wir in diefen Zutaten fedcnfaUs den Beweis, dail» der
Mciftcr felbft die nächfte Nad)barfcbaft beider Stile nid)t als
Widcrfpriicb empfand, bei dem lieb übrigens die l<leineren
Details durchaus dem gotifchen Gefamteindrudi der Kuppel
unterordnen, fo gut wie die runden Fenftetöfiiiungen des
achtedtigen Tambours.
Wir teilen folcfoe fluffoffung der nrdrfteictur als einer
Fonnenkombinatlon» deren Orundfiodc nur die Ted>nllt zu
Uefem habe, durchaus nid>t mehr, und fragen deshalb in
demfelben Bud>e welter, was etwa Aber das Wefen der Ootik
zu finden fei, wo über die Hn^ge dieies Stiles in Italien
und über das Verhältnis zu feinem Urfprungslande oder zu
Deut(d)land fiuökunft gegeben wiid.
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II.
GOTISCHE BAUKUNST
Das Lebensprlnzip der nordifcfoeti Ootik«, lefen wir da, >ift
die flusbitdung der Kird^ zu einem Oerfift von lauter auf-
wärts ftrebendent nad> Bntwidtlung und Bufldfung dringen-
den Kräften.« Hber das kann dod> erfid)tUd> zunid>ft nur
vom Hußcnbau gefagt fein, d. h. für das bcbaucnc und ge-
meißelte SteinnietjenwerU gelten follen, mit ieinciT Strebe»
pfcilcrn und Strebebogen, feinen Satteldächern und Turm»
belmen, feinen Spitjgiebeln und Fialenrifen bis zu ihren
Kreuzblumen hinauf. Ift die HerfteUung eines loldicn »0e-
rüftes« das Wefentliche der Gotik? Ift die flrd>itektur über-
haupt nid>ts anderes als eine Zufammenfet^ung von Einzel-
formen, mögen fie nun als lauter aufwärts ftrebende Kräfte
aufgefaßt werden» die, fid> immer mehr, zerteilend und er-
leiditemd, nad> Hufldfung zu drängen [fd>einen, oder mögen
lle fleh getragenen Laden unterordnen und breiter gelagerten
fibfd>lu0 gewinnen, wie dies von Bauwerken des klafiird>en
nitertums gefagt wird? Und was heißt da »die Ausbildung
der Kird>e«7 Wird unter diefem Namen nid)t fd>on das 6anze
vorausgefet^t, um deffen Erklärung es ficb eben handelt, —
die ard:)itektonifd)e Sdiöpfung als lold)e? Wird nicht mit
diefer noch fo konkret qemeinten Bezeid^nung dem Lefer
überlaffen, welche Vorltellung er fich von der Kirche machen
kann, gerade da, wo es c]Mt, ihm den entlcheidenden Be^
griff, den poütiven Anhalt zu geben, worauf es denn eigent'
lid> ankommt. Sud^t er ficb ftreng kunftgefcbid>tlich Recben-
fchaft zu geben, wie der Kird^enbau damals ausgefehen, als
die Umgeftaltung durd> die 6otik begann, fo findet er fld>
an die romanifche Baßlika gewiefen und denkt, durdl> die
einfeitige Kennzeichnung der gotifd>en Kathedrale von außen
her verleitet, gewiß zunäcbft an die Umwandlung des vor«
gefundenen Maifenbaues in einen Oliederbau, wie man
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1^
leneit Vorgang kurz zu cbariüiterlfieren pftegt Hhet diefe
beiden Husdrüdce, die vortrelfllcfo orientieren, find doch nicbt
als absolute» fondem nur als relative Oegenfä^e gemeint, von
der überwiegenden Eigenart des Eindrud<s hergenommen
und nur geeignet, die rtufmerkfamkeit auf den Verfolg diefes
Untencbieds, das Vorwalten des einen oder des anderen
Prinzips zu lenken. Denn, wie weit wäre die romanifche
Bafilika jemals ein an6l\+) Ii clM icher Maffcnbaii c[ewefen? Viel
lcid)t in einfacbfter Form noch ihre Umfaffungsmauern und
ihre Turmkoloffe, vieUeid)t aud? nod> die Obermauern des
MitteUcbiffs troQ der Fenfterreibe im Lid)tgaden, das 5atteU
dad> von aufkn kaum in demfelben Sinne wie der fmlb-
runde Cborfd)luß» der monumentale Kern des Oanzen. fiber
waltet nid)t drinnen, fd>on feit altdiriftlid>en Zeiten ber, in
der Teilung 'des Raumes durd> die beiden firkadenreiben
das 0efet der Oliederung? Hier ift das Prinzip der rbytbnd«
(eben Bewegung bcreingcnommen, dem fid? die Fenfterreibcn
anfd)ließen, und es muß wcitci wirken von Anfang an. Sendet
nicbt die halbzylindiifd)e fipfis nnt ihrer Wölbung das Chor-
quadrat als Verlängerung nad) der Wandelbahn der Ge-
meinde zu, fo daß fie in der Richtung einander entgegen
in der Vierung zufammenftoßen ? Und geben nicht von hier
die Kreuzarme nad? beiden Seiten aus? So erft haben wir
die Raumkompofition der kreuzförmigen romanifd>en Bafi«
tika und erkennen aud) fie fd)on als deutUd) gegliederte
Einbeit, fo ungefd>lad>t fie aud> lange nod> in dem mafliven
Mauerwerk befangen bleibt, mit plumpen Säulen oder gar
Pfeilern dem Gang des Menfd>en eber widerftreben als. fid>
ihm anfd>lleßen mag. Ibre Rundbogenreiben bieten dodi
immer Bewegungslinien, die durd) den Raum entlang leiten.
Und find die Säulen erft fd>lanker geworden, die Pfeiler
auch ihucrfeits gegliedert, beide wohl gar im Wechfel niitein»
ander als lebendigere oder beftändigere Teile zur rhytbmifd?
Icid^teren Wirkung gekommen, oder in Kluniazenieikirchen
die Säulen wieder ausfchließlid> aufgereiht, in eindrud^s«
voller Zabl vom Eingang bis an die Vierung, dann f teilt
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16 OPTISC HE BAUK UNST
ficb aucb im Innern des Chores und der fipfis die Wand^
gliederung ein, wie etwa im geradlinig gefd>loffenen Rlter*
beiligften von Limburg an der Hardt, der Stiftung Kaifer
Konrads II., als erhielten die Säulenreihen des Langhaufes
ihr Spiegelbild oder eine Stellvertretunci an der Mauerfläche
durch entfprcd>cnde Pilafter, HalbfäuUii oder gar angc-
blendete vollrunde Stämme. Damit ift auch hier das Gliede-
rungsprinzip eingeleitet, das wir im romanifchen Kirchenbau
als Organifation anerkennen lo gut wie im flußern durch
Lifenen und HalbCäulen bewirkte Hbfchnitte, und das fich
im gotifchen Bau nur folgeriditig für das Ganze durchfetjt.
Mit dem Eintritt der Wdlbung muß fid> diefer Prozeß ja
fd>on nad> oben erftredien; mit dem Rippengewdtbe Icommt
er zu feinem entf<i>eidenden nbfd>luß» von dem der Um«
fd>wung der durd>greifenden Neugeftaltung beginnt. Was
die Ootili dann unterfdieidet, ift vielmehr die nusfd>altung
aller überflüflRgen Mauermaffen, der bloß fallenden FlScBen,
bis auf die notwendigen Bcftandteile diefer Rrt, die den
Jnnenrduin nad) außen abfchließen follen und nicht, wie in
FenfterhÖhe fchon, durch Glaswände erfet)t weiden können.
flud> die gotifche Kirche ift ein Gliederbau nur in relativem
Sinne, erft allmäblidT in itcirk überwiegendem Mnße dazu
geworden. Sie ift aber vor allem, gleich wie die romaniJche
Bafilika, gebundenen Syftems, nicht minder eine Raum-
kompofition, deren rbytbmifcher Vollzug in einem durch,
gebenden Erlebnis des menfd)lid>en Bubfekts, des Priefters
vom flltar her, wie des Laien vom Eingang her, als Ziel
dem ganzen Beftreben der damaligen Baukunft vorgefd>webt
hat Dies ift das Oemeinfame, das den romanifd>en und
den gotifd)en Stil miteinander verbindet, fo daß fie dne
große gefchichtlichc Gefamtentwicklung darftellen, und daß
fich ein uuvcrkcnnb.jrer Fortfcbritt in der Gliederung und
Organifation vollzieht, ni.iq auch ininirten diefes Weges das
leitende Prinzip der KotUtruktion lici) gleidifam auf den
Kopf geftellt haben. Die zweite Hälfte des Mittelalters, die
wir im engeren Sinne Gotik nennen, bringt nur die folge«
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17
Tkbtigere und einbeitUfbere üusgeftaltung des Raumgebitdes
zuftande, die erft iiad> der Einfdbtung des 8pi^bogens und ^
der Erfindung des Rippengewölbes ni6g1fd> war. Denn Co
€rft gelangte die Baukunft zu dem Gliederpaar, das als
Bogenbälften gegeneinander auffteigt und im gemeinfamen
Scheitelpunkt den Widerbalt gewinnt. Aus zwei folcben
Paaren, links und red)ts parallel zueinander, und zwei quer-
gefteUten Verbindungspaaren, den Ourtbögen, nach hinten
und vorn, fe^te Vie das vierteilige Rabmengetüft zufammen,
zwifchen dem das viergUedrige Rippengerfift mit feinen öe»
wölbeliappen ausgefpannt werden kann. Dies (|uadratifd>e
oder red>teddge Rlppengewdtbe ift die Raumeinbeit far die
Kompofition des Oansen» in dem es, nur auf vier Stfi^en
erhoben, fid> aneinanderreiht, um hier das dreifd>iffige Lang«
haus, dort das vielleicht ebenfo dreifchiffige Querhaus und
von draben her das gleid>organifierte, aber von einem
Zentralpunkt als Urfpningsort des Ganzen ausftrablende
Cborbdupt mit entfpred>tndeiu Langd)ör zu bilden, die fid)
allefamt in dem Kreuzmittel, der Vierung, durd:»fdineiden.
Mit der Einführung des Spitzbogens in die flrkadenreiben,
die Fenfter und die Gewölbe kommt nun aber ein ganz
anderer Rhythmus in die Entfaltung des Innenraums, in
dem überall die Vertikale zur Dominante der Einheiten wird.
Die Rundbogen im Mittelfd>ifT romanifd)er Kirchen ergaben
beim Entlangfd)auen und Dahinfd>reiten immer eine einfach
fortlaufende Hneinanderreihung derfelben fd>lid>ten Bewe*
gungslinie; denn der Rundbogen vollzieht zwifd>en Je zwei
Punkten in einer Horizontale feinen gteichmiftigen Unu
fchwung und wiederholt fid> fo zwifd>en federn folgenden
Paar von Punkten gleichen Hbftands in gleicher Höhe. Der
Spi^bogen ift dagegen eine für fid) beftebende Einheit, die
üdi nad) außen abidMicßt und üd> bei Wiederholung in einer
Reihe dod> nid)t fließend fortfet^en kann wie eine regel
mäßige Wellenlinie. Die beiden Endpunkte auf der gleid)en
Horizontale, aus denen die Kurven im Rid>tungsgegenfat)
zueinander auffteigen, werden vom gemeiniamen Höbepunkt
Scfomarsow, OotlJ< in der RenaUfaiticc. 2
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GOTISCHE BAUiOINST
sttfammengebalten, und die Vertikalad>fe, vom Scbeitel auf
die VerMndimgsUnle zwifd)en diefen Urfpmngspunkteii ge»
fallt oder vielmehr zum Gipfel bin errichtet, ift die Doml-
nante, an die fich die beiden fymmetrifcb-korrefpondieren-
den Hälften anfd-ilicßen , wie das Flügelpaar eines Vogels
an feine WirbLlsäule mit dem Kopf darauf. Jeder Spi^-
bogen ift alio ein Konzentrationsmotiv, eine paarige Gruppe,
die im Endpunkt ihrer Höhenad)fc gipfelt. Der entlang-
gleitende Blick vollzieht erft die Weite des fibftands zwifchen
den beiden Udprungeftellen der Schenkel und dann den
fiuffd>wung diefer zum 5d>eitelpunkt. Darauf mag als Rück-
fd>lag nodi der Hbfluß In die feile Konftellatlon folgen^;
aber diefer wird bei Wiederholung In anfd>Ueßender Reibe
au8gefd>altet oder kommt dod> bald gar nid)t mehr zur
Oeltung. Zwlfd>en dem Vollzug des erften Spl^bogens und
dem des zweiten liegt aber, wie zu jedem folgenden weiter,
ein Sprung in der horizontalen Richtung, von links nach
rechts iagen wir, nach dem erft dci fiufblick bis zum Gipfel
erfolgen kann. Diefes Fliblefen von unten nach oben, d. b.
die Vorberrfchaft des Vertikalismus, wird befonders fühlbar,
fowie der Spinbogen Heb auf zwei fenkred>ten Geraden er--
hebt, d. h. Cowie zwei Säulen oder Pfeiler als feine Stü^en
mitfprcchcn, wie es beim Durchwandcln des MitteUchiffes
gotifcher Kirchen der Fall ift. Und in dem Einfd>nitt zwifchen
dem Endpunkt des erften 8pl&bogens und dem Anfangs-
punkt des folgenden befindet fid> hier gew$bnlid> nod> der
aufzeigende Dienil, der zur Triforiengalerie und welter In
4en Obergaden blnaufweill, alfo eine vertikale Trennungs-
linie, die als Halteftelle wirkt oder, in der Sprad>e der Metrik
ausgedrüd<t, die Funktion einer ZSfur ausübt. Der durcb-
gchends fteigende Rhythmus der Spit^bogenreihe verläuft
aUo in wagrechter Richtung fprunghaft und mit fühlbaren
0 Dies ift nur das natarlicfoe Bedürfnis ianb«s pttdflcn Sefwrgans,
wie die Senkung des FlfigeliMuiTes beim VogelRug. Dem Sinn des Spi|-
bogens wideriprtcbt jedoch jedes Abwärts, alfo wird die Zutat des ilttfr
nehmenden unterdradtt oder sls *Sd)led>ter TaktteiU untergeordnet
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Fig. 3. Inneres der Kathedrale von Troyes.
(Nad) Ourlitt.)
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Binfcfonitten äaswifcben; aber in jedem Exemplar verbindet
fld> der Breitenverlauf mit dem HöbenaufTAwung zu einem
Bewegiingsliomplex, in dem diese Vertilialrid>tun0 die Ober-
hand behalt und die Haupttendenz auamadit. Pas OefOge
der paarigen Gruppe töft fid) aUo unter Ffibning der DomU
nante in rbytbmifcbe Bewegung auf. Und fdjücßen ficb nad>
oben zu, wie im gotifcben Gewölbcjocb, noch weitere Motive
des fluffticgs an, etwa über der ßrkadenötfiuing das Fenlter
im Schildbogen des Licbtgadens, fo bleibt die Rückkehr in
den Rubeftand der beharrenden Bauform ganz unbeachtet
oder wirkt nur als felbftverftändlich mit, ohne nochmals aus-
drücklich anerkannt oder feftgeftellt zu werden. Eine folcbe
rhythmifch fich vollziehende Einheit reiht fich an die andere,
oder ftellt fid> ihr auf der anderen Seite desfetben Ganges
gegenfiber, baut fid) in einem zweiten, einem dritten Ge-
fd>oß fiber den unteren auf und ordnet fid> felbft dem ge-
meinfamen Gewölbejod) unter, das fle alle überdad>end als
höhere Einheit in fid> begreift. Rein f d>ematifd> ausgefprocben
wäre der Spi^bogen eine Dreipunliteinlieit, wie das Drdedk;
aber defiten Sdienltel, diefe beiden gegeneinander gerichteten
Kurven, werden hier notwendig als Bewegungslinien auf-
gefaßt, die erft in ihrem Öd)uittpunkt die Einheit gewinnen,
die fie beide in fold^er Spannung erhält.
Das Ganze des gotifchen Raumgebildes befteht nur aus
einer Vielheit folcher paariger Einheiten. Es kann nicht
anders als im Werden erfaßt werden, in der Bewegung des
darin entlang wandelnden Menfchen, der neben fid> und vor
fid> bin diefe Raumausfd>nitte und OUederverbindungen eins
aus dem anderen erwad>fen fleht, fo daß ihr lebendiger
Zufammenhang ihn umgibt und begleitet. Dies Werden des
goti(d>en Raumgebildes vollzieht fid> in zwei Rid>tungen
zugleid>: in der Longitudinale, d. h. die Tiefenrid>tung des
Langhaufes verfolgend, und in der Vertikale, d. h. der Höhe
der aufredet ftehenden und aufwärts fteigenden Bauglieder
und Raumformen gemäß bis in die Wölbung hinauf. Und
felbft da, wo der Läugeuvollzug haUiuacht, weil die Schwelle
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GOTISCHE BHUKUNST
21
Fig. 4. Längsfdinitt der Kathedrale von Reim«.
(Nad» Debio und v. Boold.)
des flUcrbcÜigftcn das Weitcrfchrcitcn verbietet, dringt doch
das fluge nod> vorwärt« In die Tiefe der gleid>gewölbten
22
Hallen, Indem es mit dem fd>dlg empotfcbweifenden und
wieder abwärts gleitenden Blid< crft red>t die beiden Di-
menfionen miteinander verfchmelzen läßt, in denen hier nur
die Höbe immer freier die Oberband gewinnt. Und vom
Cborbaupt drinnen» ihm gegenüber, dringt ihre mad>tvoUe
Bewegung, wenn aud^ nur im flugenfd>ein, ihm entgegen,
die in jedem Moment die Überzeugung wedit, daß aud> fie
vor ihm wirklid> werde und in gleid>er TatCäd>U€bkeit vor-
banden fei, daß aud> fie leibhaftig,, wenn aud> unberübct,
unantaftbar für den Untenflebenden, zur licbtdurcbfloflenen
Hdbe fteige, bis hinauf zu der ferbenfcbimmemden Region der
reinen Formen, zu der aud> feine Seele &d> getragen fübtt.
So bewegen flcf> Ultargehiufe und Chor der geiftllcben
Vermittler vom Urfprung her dem Langbaus entgegen, wie
umgekehrt die Wandelbabnen der Laien auf das nileri>eillgfle
zu, und der Höbenaufftieg ift das Gemeinfamc, das fie ver«
bindet, wie die Vertikalrid)tung die beiden Hälften des öpitj-
bogens zufatTunenbält. Bewegung kann immer nur an den
Teilen eines Ganzen zueinander erfcbeinen, eines Ganzen,
das felbft erft im Werden zur Einheit von Hugenblid< zu
Rugenblidi vor uns erfteben mag, obwohl wir wiffen, daß
es da ift und beftebt, d. b. indem wir die Zeitvorftellung mit
uns hineintragen. So fprecben wir von der Organifa tion
des gotifchen ^iederbaues aud> in dem Sinne, daß wir das
ganze Raumgebilde mit einem Organismus vergleichen, deffen
Teile, unter fid> unvergleichbar an Oeflalt und Funktion,
eben dadurch in Wechfelwirkung, symbolifch den Lebens-
prozeß des Oottesreiches auf Erden darftetlen oder als finn-
lich walmiehmbare Faffung umfchließen. Und dies innere
Leben des Organismus fammelt fid), entfaltet und fteigert
fid> dort zur böd^ften Stärke, wo die beiden großen Körper«
bälften der Kathedrale aneuiauder ftoßen und ineinander-
greifen, in der Vierung mit ihren ausladenden Kreuzarmen
oder der ftauenden Konzentration um diefc Mitte, fln diefer
Stätte der Lebensdynamik aller Kräftejmuß dann eine le^te
Anwartfchaft der künftlerifchen Ausgeftaltung erwachfen.
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23
fowie auch hier die Vorbcrrfchaft der Höhendimennon, die
Führung des Vertikalismus im Streben zur Einheit des ganzen
Fig. 5. jjucrfchnitt der Kathedrale von Reims.
(Nach Dehio und v. Bezotd.)
Organismus entfd)eidcnd wird: die Vierung erfcbeint dann
als die vorbeftimmte Stelle für den flufftieg eines abfd)ließen-
den Konzentrationsmotivs, d. h. in öeftalt einer Kuppel für
den Innenraum, in Oeftalt eines Vierungsturmes für den Bau-
24 _ _ ÖOnSCHE BBUKUNgr _ _ _
kdrper n«d> außen hin. Beide Verfucbe zur Löfung der
latenten flufgabe kommen audl» ftbon in romaniftben Kirtben
vor; aber die nordfranzöfifd>e Ootik bat diefen ihr aller-
dings bewußten Baugedanken') nid)t mehr aufgenommen»
feitdem üe die Vereinbeitlid^ung des Oefamtraumes zugunften
eines alle Teile gleichmäßig durch Itromenden Lebens bevor--
zugt. Der Dom von Florenz dagegen bat diefe Forderung
nach einer böbcrcn Einheit mit feiner Riefenkuppcl erfüllt»
wenn aucb nad> außen entfcbieden glücklieber als nach innen»
wo die Raumgeftaltung obnebin der Ootik allzuweit ent-
fremdet war, - mit dietem au8gefprod>enen Bedfirfnis nad>
dem Monumentalen unverkennbar surOdcgewandt zur »la»
teinlicben Tradition«.
Wie der romaniidbe Maffenbau als Erbe der römlftben
Hntlke und der gotlfdie OUederbau als voUkommenfter Hus*
drudi der d>rlftUd>en Innerlid>keit nun vor unferen Rügen
dafteben, entfprecben fic beide jenem uralten und unüber-
windlichen Gegeniat) der Weltauffaflung, der {\&> in der aus-'
fcbließlicben Erfaffung des Dafcins dort, des Werdens hier
zu erkennen gibt. Nun erft verfteben wir aucb das Äui^ere
der gotifcben Kathedrale richtig, in dem man fchnellfertig
das Wefentlichfte der ganzen Gotik gefacht bat. Die Haupt-
fache an folchem Kirchenbau bleibt doch der Innenraum, in
dem (ich die aufzeigenden Pfeiler und fd>lanken hochftreben-
den Dienite nld>t vereinzeln und verzetteln, fondem fid>
unterordnen und ziifammenftblleikn zu gegenfeitiger Er»
gänzung, zur Erfüllung einer böberen Aufgabe, die fie eben
als »}od)« auf fid> nehmen void droben In dem Idealraum
des Lld>tgadens zur (ld>tbaren Erftbeinung bringen. Das
Außere ergibt lieb dagegen als Folgerung aus der Inneren
Raumgeftalt oder als Vorausfet)ung ihrer Erftellbarkeit. Mag
es doch dem Ru^e des Tektonikers u ie ein Gevült auöfehen>
das die Kfeuzform des ld>üt}endcn 5atteldad)es, mit dem
Polygonen Zeltfcbirm über dem Chorhaupt am Ende, zu
Vgl. den beabfidTtigten Vteruagitttrm der Kathedrale tu Reimt (vct>
«nl(l>Aulkl>t in der Rekonftruktion von ^olleMe-Duc).
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1
Fig. 6. IdealanHcht der Kathedrale von Reims.
(Nact> Vloltet.le.Duc.)
t
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26 GOTISCHE MUKUNOT
tragen bcftimmt ift. Mit feinen Reiben von Strebepfeilern
ringsum und verbindenden Strcbeböcicn darüber bat es ge-
wiß ebenfogut das Recht, in dauerhaftem Stein und kunft-
reicher Meißelarbeit durchgeführt dazuftehen, - wie die
Säulenreihen als Wächter um den Tempelbezirk. Der Unter-
fcbied ift doch nur, daß die klafflfcbe Säule mehr die flna-
loflic der Körperfülle und rundung hervorkehrt, der gotifche
Strebepfeiler mehr die Vorftetlung des Knod>enge(tells oder
der inneren Strulctur aiulölt; gemeinlain ift beiden die not-
wendige Brgflnattmg dtird> angefpamites Krifiefpiel einer
in Penramenz erklärten Lebenaenergie. Die Fortdauer dea
Beßandes durd> nie vertagenden WiQen iedcs Binzebien III
eine ttnentbebrticbe Note im Zufammenwirken der gotifeben
Bauglieder auch hier. Ihre Oemeinichaft paariger Oenoffen
fchließt ja zwifcbcn dem bodiragenden Turmpaar der Ein-
gangsfeite und dem Kranz radiantcr Kapellen um das 0e«
häufe des flllerheiligften das Ebenbild der lebenden Kirche
fclber ein, das Menfchenkunft zum Oottesdienft geweiht, und
in dem erlt Friefterfchar und Brüdermenge üch zu dem ftetigen
flustaufd) verbinden, der fich Tag für Tag erneuern folt
Huch hier ift eine Vielheit von Teilen, die vor den flugen
des Beid>auers, von weld>er Seite er auch kommen mag»
erft zulammentritt und ineinandergreift, deren gegliederte
Einheit aUö nod> im Werden vor uns au der H6i>e empor«
wid)ft» wohin unfer Fluge dem Einaetgtiede nid>t mehr in
folgen vermag. Wir dürfen die »Entwidclung und Fluflöftmg«
der tektonifichen Gebilde zulegt wie ein Spiet von »lauter
aufwärtsftrebenden Kräften« ausdeuten, als möchten ihre
böcbfrcn Spitjen im Himmelslicht entfd)weben; aber wir be-
greifen ihren Jubel und fchwingcn uns gern mit ihnen auf,
in ihrem feftlichen Triumph über die Erdenfd^were , wenn
nur das rings umhegte Heiligtum mit feinem Idealraum im
Jnnem als Stätte menfd>Ud}er Seelengemeinfchaft beftehen
bleibt.
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III.
BRUNELLESCHrS KIRCHEN
Von folcber notctfcaiUEö0fd>en Kathedcale war nun gewi0
in der KfinfHetgeneration su Florenz aud> am Ende des
Ttecento nod» keine perfdn1id>e HnldNittung vorbanden, ^e
als Vorbild ifnrcs eigenen Streifens hatte virMiom werden
können. Was etwa an flbbitdungen in Miniatur oder Zeidv
nung vor ibr Rüge liam, mod>te wie mIrd)enfMifte Traitnv
pbantafie crfcheinen. Denn nad) Italien war ja nur die ver-
einfachte oder nod> unfertige 6otik der Zifterzienfer aus
Burgund gekommen, und was ficb die Bettelorden davon
angeeignet oder für ihren Zweck, die Predigtkird)e, daraus
entnommen hatten. Gerade diefes Bedürfnis großer Ver
iammlungsräume, für ftillftehende Zuhörermaffen in der Mitte
ttnd freien Zuftrom durd> die fibfeiten, durch die der Aus-
weg ebenfo bequem überaHhin möglid) (ein foUte, hatte zur
Bevonnsgung der Weitriumiglteit gefOlyrt, zu der fid) im
Fortfcbritt der itaUenild»en Ootlli nur nod) der Zuwad)s des
H6bennuiBes gefeilte. Fdr die Süßere Faffung geicMoffene
W9nde mit ilyren. großen FUId>en und fdmwten Fenfienir
TeiMd>erI*uftraum über den Köpfen desMenftbengedrlnges,
— das find die Kennzeid>en, die durd> monumentale lln-
Iprüd^e der Stadtkird>en nur nod) gefteigert, durd^ Aufwand
dauerhafteren uTid k oftbaren Materials bereid>ert wurden.
Marmorinkruftation, über lold>€ glatten Umfaffungsinauem
gebreitet, war das Gegenteil der bteinme^enarbeit franzö»
nfd)er Gotik ujid ihrer Leidenfd>aft für Strnkturgefühl.
Drinnen aber mö9lid>ft wenige, weit voneinander abgerüdite
ötü^en, mögUd>ft weit gefpannte Hrliaden, wenn aud) zu-
gefpi^» dod> fo breit gezogen, daß He nid>t feiten gedrfidct
erfd)einen und wie von (elbft in die Rundbogenform zurOdu
gleiten» ebenfo groß gefdmittene 0ewdlbeiod>e, deren Unblidi
von unten fid> der Tonne nähert oder nod) flad>er und
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2S BRUNELLESCWS KIRCHEN
breiter gelagert ausnimmt, - genug, eine vereinfachte Gliede-
rung und Umid>licßiing des Raumes, die den Rhythmus des
Ganges rings um die Mitte berubigt und in der Predigtballe
vollends zum Stillftand bringt. Im Langbaus des Domes
von Florenz find es noch immer gewaltige Kreuzgewölbe,
deren Folge mit unwiderfteblicber Wucht fich Wurf auf Wurf
nacbeinandet daherwälzt und fo die Kuppel über der Vie-
rung vorbereitet Aber mit den Tribunen um diefe dunkle
Welte herum vollsiebt fleh auch die Rfidckehr zum Maffen*
bau der r5mlfthen Kaiferzelt, wie er tro^ Strebepfeilern und
Kapellenkranz nicht augenfftlUger fein kann. Nur die Monu'
mentaUticht einer ftolzen reichen Städte die Ihre JMacht nach
außen verkündet fehen will, erklärt fold)e Materialhäufung
und die Größe der Kuppel darauf.
Und Filippo di Ser Brunellesco, deffen öeift fich in dem
QOtifd)en Profil dod> wobl ebenfo vollgültig auslpricht wie
der Michelangelos in dem Profil der Peterskuppel, was tut
er, nachdem er diefen Schlußftein der italienifcben Ootik auf-
getürmt bat? - Er kehrt fich ab von der himmelftürmcnden
Oberhebung feiner Vaterftadt, deren ganze Schwierigkeit er
felbft bei der Einwölbung des aufgemauerten Abgrunds
dunhgekoftet hatte» und enttchllefit fich zum Rfickzug auf
menfchenmflßige Verhiltnlffe, er gerade, der die überlegene
HerrfdMift Aber den H$henmaßftab der kOhnfien Baukunft
ausgeübt und zur Schau geüellt hatte wie kein anderer feiner
ZeitgenofTen. Die Bcdcutfamkeit diefer Wendung wird nicht
einmal eingefchät^t, wie fie es in unieien gefchichtlicben oder
äfthetifchcn Erwägungen beanfpruchen darf. Das war doch
kein Wunder, wird man fagen, es gab eben keinen Dom
von Florenz mehr zu vollenden! Freilich, aber dann bleibt
es doch der Entfchluß eines fcharfblid<enden Realiften. Und
man dürfte hinzufügen: die Kirche der Medid» die ihm als
f^iiftrag noch zufallen konnte» San Lorenzo, gab ihm fogar
die Gelegenheit zu folcher Bekehrung (elber anheim« Sie
war als Kollegiatftift in der beficheldenen Ordi&e geplant»
einer Pfarrkirche vergleichbar, und fchloß fich dem beilebten
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BRUNBLLBSCHI'S KIRCHEN
29
Orundrl6 der Ziftetzienfer an, mit Kapellenreihen tu den
Seiten des Chores gegen das Querbaus zu. Aber auch das
Langfcbiff foUte feine fortlaufenden Reiben von kleinen Ka-
pellen an beiden Ableiten erhalten, von der Eingangswand
bis an die Kreuzarme heran. Und dies letztere ward ent»
fcbeidend: ein Beibehalten der rbythmifd>en üUederung an
der Wandelbahn entlang bis zur Predigtballe mit den Kanzeln
hin. Jeder Kapellenöffhung entfprid>t nttn ein Sd)altraum
in den Säulenreihen, die Btunellesdri gewiß in altd>rift-
lid>en Bafililten Roms aufo neue lieben gelernt, in menfd>«
Beb nachlubtbatem Zufcbnitt aber lichon in romanifd>en Bauten
feinet Heimat von Jugend an vor Hugen gehabt hatte. Durch
die Zuordnung der Kapellen hfiben und drfiben kommt aber
eine Verlangfamung des Rhj^mus zullande, gegenüber den
toslianifchen Vorbildern mit eng geftelltcn firliaden zumal.
Denn hier in San Lorenzo ift in jeden Zwifd^enrauni zweier
Säulen eine Querad>fe eingelegt, die dem entlang wandeln-
den Befucher eben den Einblick in die Kapelle, auf den
flltar eines eigenen HeiUgtums anheimgibt. Und fo wird
das Tempo des Oanges, iowcit nid)t das Streben ans End«
ziel im Innern der Kird>e zur Befd>leunigung treibt und alle
am Wege begegnenden Eindrüdce willkürlid) ablehnt, auf
Augenweide, 8d>auluft eingefteUt, die fld>, wie am nndad>ts-
bild des nahen Hltars, aud> an Einzelformen der Bauglieder
freuen mag. Unter fold>en Urnftinden ergab ad> die Ein*
kleidung mit Pilaftem und antildfd>er Formenfprad>e (onft
fall von felbft, wie die Rundbogen der romanifd>en Kird>en
zu den SSulen. Uber die flad>e Hotededte gibt erft die volle
Rüd<kehr zum Horizontalismus und zur klaren Begrenzung
des Raumes n,\d^ oben. Die Sakriltei, m\t der lein Anteil
begann, verrät uns, das3 die quadratiidien Sepuldiralzellen
röniifd^er Gräberftraßen ihn mit ihrer wohlabgewogenen
Harmonie bezaubert hatten. Und wie dieie ürabkapelle der
IVledici zeigt das FamilienheiÜgtum der Fazzi am Klofterhof
von S^a Croce nur die Übertragung fold>er Eindrüdie in die
VeriMlltnifre der Patrisierwelt von Florenz, in beiden Bei-
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fpielen würde |edod> gewUlenbafte Hnalyfe derFroportionen
uns rhythmifcbe Oebeimnlffe offenbaren, die ofme den er-
erbten Zufammcnbang mit der Kunft des Mittelalters nid>t
zu denken find^. Doch laffen wir ftatt deffcn einem ftärker
durd)fd)lagenden Zeugnis das
Wort.
Weit bedeutfamer fprid>t
ficb auf die Frage, die uns be«
fd>äftigt» eine 6eiamtkompo«
fltion aus, die gewiß fcbon
ganz nad> eigenem Belieben
des Künitlers entworfen wer-
den durfte: icb meine die vfeU
bewunderte Kircbe 8to Spi»
rito. Hier gibt es Ootik in
der Rcnaiffance, auf die noch
keiner aufmerkfam gemad)t
bat, fo ftark fie fid>, aud> in.
klaffifcb gemeinter Formen-
fprad)e nod), zu erkennen
gibt. Zum Vergleid? müffen
wir uns die Weiträumiglieit
der fpätgotifd>en Kird>en von.
Florenz und die geringe 6lie-
derzabl darin gegenwSctig
halten. Dann genügt fcbon ein
Blidi auf den 0rundci0 diefer
ScbSpfitng Brunenesd>is, um den Oedanken zu durdyTcbattcn,.
der ihn geleitet bat: die Kreuzform ganz und gar in leben-
digfte Bewegung aufzulöfen. Aber ruhiges Dafein des
Raumes in fd^lid^ter Klarheit will ja wohl die Renaiffance?
Rings um alle Flügel laufen jedorf) Säulenreihen mit ihren
nid>t eben weit gefpannten Rundbogenarkaden herum;
^) Et InMuubten not die Untecfudningen von TMecftb in die AikaeDve
fbtftbnnutafllonn ilbeife^t werden, um AnffdrtuS fiber die Rbytbmilc
der FtOlmnaiflluice-IQbjme zu erfMlten.
Fig. 7. Plan von S^o Spirito
zu Florenz.
(Nad) Burckhardt.)
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BRUNELLESCHrS KIRCHEN 31
Wandfäulen cntfprccbcn ihnen und find durch ebenfolcbe
Quergurten verbunden, fo daß fich die fchmalen Seiten-
gänge in quadratifche Raumeinheiten zerlegen. Jedem Sd^alt-
räum der Hrkaden gegenüber erweitert Heb die Wand zu
einer flad>en Rundbogennifche von gleicher Höhe, fo daß
ein fortlaufender Kranz von wenig ausladenden, urfprüng»
Fig. 8. Inneres von S*» Spirito zu Florenz.
(Nach LQbkC'Semrau.)
lieh auch nach außen halbzylindrifch gefchloffenen Kapellen
den ganzen Kirchenkörper umzieht, feine inneren Raum-
grenzen in lauter Nifchenerweiterungen verwandelt. Das
ift ein unbezweifelbares und ungemein auffälliges Bekennt«
nis zu der Durchrhythmifierung des Raumgebildes im Sinne
der mittelalterlichen Baukunft, die das Ganze nur aus Raum-
teilen vor dem menfchlichen Subjekt erftehen laffen will und
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32
BRUNEIXBSCHl'S KIRCHEN
€0 fo durchweg zur Rbytiimik des menlcbUcben Ganges,
menfcbttd>er Kdrper« und BUdcbewegung In EinkUmo fe|t
Nur gefebielit dies hier in fo fwmionifd)en» befonders durd>
MüMgung der Höhe zum Wohllaut ahgeftinunten Verhftlt-
nilfen und OUederforment da0 wir den glfiddichen Oefdnnadc
als italienifche Oabe nicht verkennen dürfen. Die Hnein-
anderrelbung der cntfprecbenden ParaHelen auf der gegen»
überlicgenden Seite desfelben Krcuztiiigels und die p^dpck»
tivifchc Vecfcbiebung beim Durd)blick ni die Tiefe, die jedes
Säulenpaar mit feinem Quergurt als gleicbgeformte Einf>eit
aus dem vorigen hervorgehen läßt, und immer neues Werden
gleid^er Hrt vorausverkündet, zieht den entlangicbreitenden
Betrachter völlig in den Oeftaltungszug hinein. Nur in der
Mitte, wo fleh die vier flacbgedeckten Kreuzarme durch«
fdmeiden und alle Arkadenginge wie Spiegelbilder einander
gegenfibertreten, bleibt die Vierung frei für die höhere Zentral«
(teile, in der wir den Hufftieg der Dominante fcbon erwarten.
Hier aber begegnet ein neues Zeugnis gegen jeden Zweifel«
ob wir mit unterer Auslegung auch Irregehen, und belehrt
uns vielleicht wider vorfchnelles Vermuten Ober die Tonart
und den Grad des Eindrudis, den der Meifter gewollt hat.
Eb iit ein Symptom, das Kritiker beanftandct und wohl gar
als Zeichen mißverftändlictx^r Husführung dmcb Sd)ülerhand
eingefchä^t haben, - nämlidi die Paarigkeit der nbft^lnffe
an den Kreuzarmen, da, wo die klaffifd^ geidmltc flftbctik
eine dreigliedrige Oruppe zu fehen verlangt, deren Mittel-
Mck wenig ftens die finwartfchaft in fleh trägt, fich zur feften
Trägerin der £inheit, zum Oravitationszentrum beider Tra-
banten, genug zur irgendwie bevorzugten Dominante auf«
zuwerfen. Hier bleibt gerade die Stelle der IMittelachfe un-
befe^t, (o daß Qe nur idealiter vorhanden und imkörperlich,
aber auch nicht flächenhafl, fondem rein räumlich ihres Amtes
walte. Die Vorliebe ffir folche Paarigkeit ift eben gotitches
Erbteil und hat auch hier ihren guten Sinn. Sie dient dazu,
an foldier Stelle die Zweiteiligkeit links und rechts von der
Hauptadnc des Kaumganzen aufrechtzuerhalten, das 0efe^
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BRUNKLBSCHl^d KIRCHEN 33
der färtlaulenden Reibung als in cUefet Region durchweg
betrfcbend anzuerliennen; denn die gleic&mäßige Bewegung
in allen Flügeln foU noch nicht zur Ruhe kommen. Nur
diefen Sinn kann es haben, wenn aucf) in den Edten der
Kreuzarme »zwei Fenfter zufammentreffcn« oder ein Rahmen
im redeten Winltel ficb einlinidit, ftatt diefe Stelle des ftruk-
tivcn Haltes undurd^btochen zu laffen: die Reibung foU im-
unterbrod>en weitergehen und die raumötfnenden Teile fort«
gezählt werden ringsum. Das ift mittelalterl!d>e Oewohn«
heit. - Die le^te Zufammenfaffung aber bleibt der Höhen«
acbie im un(id>tbarenKoordinatenCyftenider Mitte vorbehalten
und follte, nad> der nbfidit des Erfinders gewiß aud> nidvt
lehr ftaric, in der Itlelnen Kuppel zur Husgelhiltung kommen,
unter der je^t ein fp9ter Einbau die Wirkung des Oanasen
veruntreut, urfprfingUd> audi nur ein leld>tes Ultartabemaket,
nad> allen Selten frei fld>tbar, fld> in mSfilger Hdhe erheben
durfte. Die Befd>eidenheit der Rolle, die dem letjten Raum-
abfd-)lni^ natt> oben zuertcilt wird, ftinunt bcffcr zu den lonft
erhaltenen Kuppeln des Meifters der Frübrenaifiance als
eine Steigerung der Höhe über dem vorhandenen Durdi-
meffer der Vierung, und fic d^arakterificrt durchgchcnds fein
Verhältnis als Raumbildner im Kreife feiner mitftrebenden
Zeitgenoffen: es ift die innige Verwandtfd)aft mit der rhyth*
mifchen Bewegtheit gotifcfoer Ard)itektur, die er bei aUer
Vorliebe für die Dekoration der Spatantike bewahrt. -
Freilid» verfteht fid» von felbft, da0 das Ganze, das als
feine 8d>(^plttng für die Ruguftlner von 8^ Spirito ent*
ftanden ist, ein Neues Im Sinne der eigenen Zeit bedeutet.
DalQr fprid)t befonders die HusHattung mit HltSren ringsum,
nid>t allein als Zugeftändnis an fromme Stifter, fondem
auch in raumalt bctifd->cr Hinfid)t für ein andersartiges
Wollen und Empfinden. Die Flad)heit der Kapellen rückt
das Gemälde oder fonftige Bildwerk für die Verehrer ganz
nah vor die Hucjen jedes Entlangid)reitenden , und fo
fcbanen überall menirf^lirf)e Idealgeftalten, gemalt oder ge»
meißelt, in die bewegte vielgegliederte RäumUd>keit hinein,
9<i>aiartow. Oottk in der RcnaiOanoe. 3
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deren VevMlttiiffe fld> denen eines fd>Snen feierlldien Saales
nSf>etn.
DIefc wundervolle, heiter und mild geftimmte, von bar»
monifcber GUedeiung erfüllte und doch von einem gut Teil
mittelalterlichen Raumgefühls befeelte Renaiffancekird)e ftebt
aber l(cineswegs als vereinzeltes Beifpiel da, das wir etwa
rein lubjektiv fo auslegen, um bei dem Flrchitekten, der aus
vollfter Vertrautheit mit der Gotik herkam, die Fortdauer
ererbter Kunftgedanken zu ecweifen, fondern üe fteht im
Zufammenbang mit dem ganzen Wefen diefer erften Pbafe
des neuen Stils, und es fehlt nid>t an verwandten Ericfoei«
nungen aud> bei fpäteren Meiftem nod>« llud> diefe wollen
nur vorurteilsfrei beaditet und in ihrer Bedeutfamkeit an^
erkannt fein, um durcb das Quattrocento hindurd> bis zu
den Beziehungen Bramantes zur Rhythmik des Mittelalters
weiterzuleiten, die der feinfinnigen Beobachtung Heinridis
von öcymüUer ni*t entgangen find.
Hier ici nur auf Leon Bdttifta Pllberti hingedeutet,
bei dem man gewiß eher gcneic(t ift, die ausfchließliche Ein-
genommenheit für römifche rtntike hervorzuheben. Und nur
zwei Stichproben mögen fich anfd>ließen, da Tie mit Bru-
neUesd>is Sinnesart noch fühlbar zufammcnftimmen. Wie
(cbmiegfam wufite ficb Hlberti doch einerfeits mit der vor«
gefundenen gotifd)en Gliederung der Faffade von Santa Maria
Novella abzufinden, und mit welchem Verftandnis für deren
zarten und dod> khnetl bewegten Rhythmus breitet er feine
Inkruilation des Giebels darüber. Hm Palazzo RuceOai, der
1446-51 unter feiner Leitung entftand, find es gerade die
vielbefprofhenen Pilafter, bei denen wir fragen: Weldie
Funktion erfüUen fie wirklid» mit ihrer nufitellung in den
Ru(Mkat)äd)en zwifcben den Fenftcm? Haben fie den Sinn
und die dazu ertorderlidic Kraft einer rt.nuifel"ten Ordiuuig,
die fich durch drei Gefd>offe übereinander aufbaut? - Oder
ift es viehnehr eine durchaus flächenhaft oicmeinte Wand-
dekoration, wie die Lage des Kaufes an der ziemlich engen
Gaffe für den entlangfeforeitenden Wanderer eigentlid) allein
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BRUNBLtJSSCHrä KIRCHBN
35
erfordern konnte? fluch hier begegnet die paarige Anord-
nung, nämlid> an den Türen links und rechts von dt^c Mitte,
für deren fymmeti ifcf)e Hälften nicht einmal gelorgt ift, falls
man nicht vom Nachbar zur Rechten noch baldig it ein Stud*
hinzi!zuge\vinr;cn hoffte. Nur das Wappcnfchild oben be*
zeichnet die flnwartfchaft der Dominante, die nicht etwa in
Rücklicfot auf einen feften Standimnkt des Be(d)auets gegto»
fibet dem Ganzen kräftig hervorgehoben wird, fondem auch
in flachem Rettef verbleibt. Da-nüt einbeitUcbier tlbetfd>au
urfptfingtid> überhaupt nicht sa .reebnen war, lö kann die
Faffade nur von links nach redsts abgelefen werden 0. Und
erft fo gewinnt die alternierende Reibung der fcblanken
Pltafter und der paarig geteilten FenflecMnungen ihren
richtigen Wert; fo erklärt fich auch der Verzicht auf ftärkerc
Durchbildung dicfcr aufrechten Glieder im Erdgcfd:)oß, das
hinter den Bänken fogar mit icbwarzem üitterwcrk in tau-
fchender Jnkruftarion gemultert ift. »Hlternierende Reibung«
fagen wir mit ftbficht, da die Wiederkehr des erften Gliedes,
mit dem Erreichen des zweiten Exemplars nach dem Fenfter,
eben nur die Fortfe^ung derfelben Folge anheimgibt, aber
noch nicht einen flbfchluß bedeutet, der jcur gefondertcn
Auffaffung einer dreiteiligen Gruppe, mit dem Fenfter als
Dominante, führen mfiitte, oder nur dürfte* Dietes ent«
widtelte Stadium einer ftärker konzentrierenden Rbytbmilc,
worin der dreigliedrige Abfchnitt aU Stropbe für fich auf-
tritt und demgemü^ durcb Verdoppelung der Pilafter von
der folgenden getrennt wird, findet fich bekanntlicb an der
Cancetlaria in Rom und leitet über Palazzo Oiraud zur
Famefina weiter. Hier hat eben GeymuUer die Bezeichnung
»rbythmifche Travce« geprägt, die von der Jocbwand goti«
fcher Kathedralen oder mittelalterlicher Kirchenbauten über-
haupt berübergenommen wird. Und wir follten uns über-
legen, ob nicht der oft zitierte jßusdruck des Theoretikers
0 Es wirkt alfo irreführend , wenn fle in unfern Abbildungen Ifollert
etfdtdnt, ftatt in Reih un4 Glied mit dem Nachbar, im Stcaflennxg.
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I
36 BRUNBLLESCHrS KIRCHEN
Hlberti > tiitta quella inulica- füf die fymmctrifcf) piopoitio»
nale Glicdciimci eben dasfelbe fagen will, was wir lieber
Rhythmik nennen, und bei ihm ein Bekenntnis zur über-
lieferten flfthetik des heiligen nuguftin bedeutet.
Hber auch im Kirc-hcnbau der Kenaiffance fd)ließt ficb
noch Giiiliano da Majano im Innern des Domes von
Faenza, 1474- 86, dem Vorgang Brunelleschis folgend, mit
einer Wiederaufnahme mittelalterlicfier Kompoütionsgefe^
an. Er gibt eine BafiUlta im fogenannten gebundenen
Syftem, und sswat mit Stfi^enwed>fet, fo daß vieredcige
Pfeiler auf die Edcpunkte des Orundquadtates Icommen und
da2wifd>en fd>lanke Säulen den Icleinen Quadraten der
Nebenfcbüfe entfpred>en, während Hntage und Aufbau im
übrigen mit San Lorenso in Florens zufammengeht. Hier
ift für den durd>wandelnden Befud^er die Wirkung der
r byt hm ifchen Reihe und die Zufammenfaffung an der Hand der
ftärkcren Pfeiler durchaus maßgebend, und diefer Strophen«
bildung gibt auch die Einwölbung der großen Quadrate mit
Flachkuppeln ihren Fibfd)iuß, während die qkicbe Decken-
form über den kleinen Quadraten die cntfprecl^ende Be-
gleitung übernimmt und fo die Gefamtkompofltion zu einer
fotgerid>tigen Gefchloffenbeit bringt, die für die Formen»
fprad>e der Frflfnrenaifrance Mt zu bündig und ftreng her*
vortritt.
Nach folcbem Beifpiel aus dem letzten Viertel des Jahr-
hunderts darf es nid)t wundernehmen, wenn aud> ein
unmittelbarer Anhänger und mitftrebender OenotTe Brunelles-
chis, wie Michelozzo diBartolommeo» dfeNachbarfchaft
der Gotik keineswegs verleugnet oder gar die Fortführung
ihrer charakteriftifchen Motive vcrfd)mäht. Wenn der Be-
gründer der Renaiffance ielbit Romanifches unbedenklich, J
oder gewiß ahnungslos, mit antik Römifchem zufammen- l
nimmt, um ein neues Ganze nach leinem Gefchmad; daraus
zu bilden, fo haben wir bei dem weit weniger originellen
und gewiß lange nicht fo gut unterrid)teten Michelozzo keine |
llT(ad>e, an Unverträglidblieit gegen die Ootili zu glauben, |
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BRUNELLESOirS KIRCHBM 37
Sind docb die Hauptvettreter der neuen Statuenbltdnevel
neben Ghiberti, wie Donatetlo und Nanni d'TIntonio di Banco
oder ihr Lehrer Niccolö dTirezzo, allefamt vor die Ftufgabe
geltcllt, die Nifd)en der Zünfte an Orlanmicd)ele mit goti-
fd>en Tabernakeln zu fchmüd<en und für Standbilder von
ihrer Hand zu bereiten. Kein einziger verfällt auf Renaif-
ianceformen, bis Brunelleschi die Mittelnifd>e der Hauptfront
gegen Via Calzajuoli für den hl. Ludwig Donatellos um 1425
mit feiner Triuniphbogenard)itektur umgibt, die fein Freund
Maiaccio dann, in weitetet Vertiefung zur Kapelle, als 6e«
feftufe feiner Dreifialtigkdt mit Maria und Johannes unter
dem Kreuasesftamm an die Tramezzowand von Santa JMaria
Novella gemalt f)at. Der bead>ten8werteflte Verfucb zur IM>
Wandlung der fpitzglebUgen Nifd»enrabmen durch Betonung
der Horizontalen findet ilcb gerade für Shibertis MatthSus,
bei deffen 0uß und Togawurf zweifellos Mid>elozzo die
Hand im Spiel gehabt hat, mehr, aU die Urkunden dei
Archive uns verraten können (1422). Doch das hindert nicht,
daß derfelbe Mann, wo er völlig freie Hand haben mochte,
am Grabmal Brancacci für Neapel, das um 1427 in Pifa ge-
arbeitet wurde, über klaffifchen Säulen mit geradem Oebälk
noch einen gebrochenen Spitzgiebel auffteigen läßt. Und in
den Jahren zwifchen 1427 und 1436, während das Denkmal
des Bartolommeo Aragazzi in JMontepulciano entftand, deffen
Hufbau felbft uns nid>t erhalten blieb, fd>uf Mid>elozzo ge-
wiß auch das Hauptportal von 6* Hgoftino, deffen Tjonpanon
eine bereits vollkräftig entwidcelte Halbfigur der Madonna
mit zwei Heiligen zur Seite, drei reife Zeugniffe feiner
Bildnerkunfi, erfüllen 0* Ober dem Rundbogen dieferTür»
lünette erhebt fleh ein bekrönender Spi^giebel von jener
gebrochenen, d. h. ans rcci-itwinkligen Rahmenteilen und
Kreisfegmenten zufanuncngefet^ten Art, wie die Nil'd^en an
Orfanmicd>ele, befonders die Nannis, üe tragen. Sie ift aus
0 Vgl. meinen nufTati im Atdrfvlo Itorico d«n' Arte »Nnovf ftudi Intotno
a Micbelozzo«, i%93.
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38 BRUNELLEäCHi'ö K1KCH£N
der ftrengen goti£d>en Rahmenform abgeleitet, die wir
Rautenvierpaß nennen tollten, weil eine ftehende Raute Uirc
vier Seiten zu Kreisteilen erweitert, die für üdy zufammen«
gefcbloflen etneit einlacbcn Vier]>aß aus Halb« oder Drei«
viettelkteffen bilden wftrden. Dos Bekenntnis sut Ootlh
fteht danacb aucb am Portal Micbelossoe in Montepuldano
aui^ ZwelfeL Die SeftenlUkben der Faflkde find dagegen
mit Wandtdfebmg In feinem RenafffancefHl Ubeneogen; am
Obergefd>oft datüber erfd>einen wieder vier fpi^bogige Nifcben
wie diejenigen am Campaniie zu Florenz, für die gleid>«
zeitig noch Donatello dtn Zuccohü und andere Propheten
geliefert hat. Die Fittika zuoberft unter dem breiten Drei-
eckgiebel ift eine fpätere Zutat und id^ließt fo das Ganze
in Renaiffance ab. Michelozzo, der gewiß darauf redmete,
die gotifd^en Niidien mit Statuen auszuftatten, hat lomit an
folcfoer friedlichen Verbindung beider Stile kein Ärgernis
genommen. Die Annahme neuefter Stilkritiker (z. B. Fol«
neOca), fie vetmöcbten die UTbebetfd>aft diefea Meifteta allein
nacb der Reinheit der Renailfancefotm zu entfcbeiden, ift
eine dutcbaus irrige und überttigt nur die dogmati(d>e
Strenge modemer flkademielefwer auf die blftorifcbe Ent-
widdungszeit, der foldie Recfotgläubigkeit in StilbegrÜEen
völlig fremd fein mufite, weil fie docb nicbt kunfigefdrfchtUcb
gefchult waren.
Mad7t es donn 1 a c o p o d c 11 a Q u e r ci a anders an dem
Hltar der Trentakapelle in Öan Frediano zu Lucca? Sind
nicht die langgeftreckten Heiligengeftalten, in ihrer wulftigen
Ocwandunq mit Wicicelniotivcn, in hohe, fchmale Tabernakel
mit Ipätgotifcher Bekrönung eingeklemmt, während an der
Staffel darunter die Martyrien in Reliefs von ausgefprochen
antikiid>em 6eid>mack erzählt werden? Dies gefchah frei'
lieb 1413 und 1422, alfo in einem betrfid>tlicben Zeitabftand
nacheinander. Doch ftebt auch neben dem Grabmal der
Haria del Carreto im Dom ein polygones Weibwafferbedcen
mit fpätgotifd>em Laubwerk, beide faft gleichzeitig von feiner
Hand. Oder bezeugt nid>t fein Entwurf zum Taufbrunnen
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BRUNEIXESCHI'SjaRClffiN 39
in San Giovanni zu Siena von 1427, wie dcffcn Ausführung
bis 1432, noch die nänilid:)e Vermifdiung, über die wir uns
beim Anblick der erhaltenen Brudiitucke der 1409-19 cnt-
ftandenen Fontc Oaja doch niemals verwundert haben? Erft
der Schematismus der Periodenteihmg und die Rigorofität
der ötiUehre haben die unübcrfteiglicbcn Schranken auf«
gerichtet, die Jedem denkenden Hiftotiker als Wahn er«
fafoeinen.
IV.
PORTH DEL PHRHDISÖ
Wer je dem Wandel der Sttlc mit dem tieferblickenden
fluge des öefchid^tsrorid^ers nad)gegangen ift, der wird
auch an einem fo enricheidenden Wendepunkte, wie zwifcbcn
dem (ogenannten Mittelalter und der neueren Zeit, keinen
unvennittelten Utnfchwung, gefdiweige denn einen |äben
^ Sprung von einem Pole zum anderen erwarten. Er weiß,
daß die Rid>tun0 im Wollen der Menfd>en und vollends der
Verfolg im Können, das die Kunft erfordert, fid) nur alU
mablid> im Fortgang eines ganzen Lebens, wenn es lang
genug ift, oder einer Mehrzahl von Einzelteben nad>einander
verändert, und daß es nid)t mit einem kurzen Entschluß
über Nad>t getan ift, ein Menfd)enge(chled>t auf bisher un«
bekannte oder gar entgegen gefetzte Bahn zu bringen.
Wenn man von Donatt:llo gefagt bat, er taife mit un-
erbittlicher Einfeitigkeit die fchärfften Verneinungen des
Früheren in ficb zufammen, fo bat dodi genauere Befchäfti«
gung mit der cbronologilcben Reibenfolge feiner Werke ge-
lehrt, daß aud> er mit dem Bisherigen in verfd>iedenen An-
läufen zu ringen gehabt hat, um das durchzufet)en und aus-
zuwirken, was er rid> felber als Ziel feines Sd>affens vor-
genommen 0. Bei keinem Zeitgenoffen aber legt fid> das
allmählid)e Wad>stum klarer in zwei Lebensabfd>nltte fllr
fid> auseinander als bei Lorenzo Ohiberti, deffen erfte
8d>afiienshälfte wir bereits zu Anfang befprod>en haben,
um hier erft» nadi dem Umweg über Bruneltesdii und die
mitftrebcnden FirAltekten, die gleich lange zweite zu be-
trachten. Von 142 5 bis 14 52 bcfdiaüigt ibn im wefentlichen
auöicbließlich die reiche fiutgabe der letjten Bronzetür von
') V9I. Schmarsow, Donatcllo. citic Studie über den Entv»/-d;!i;nqsgang
des Mciftcrs und die Reibenfolge feiner Werke. Leipzig, Breitkopf & Härtel
(Breslauer Verein f. Gefch. d. bildenden Künftc) 18S6.
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San Oiovaiiiti, die dann auf der Oftfeite dem Dom gegenüber
angelnrad>t wurde und if>rer M>önbeit zu Bieren als «Porta
det Paradifo« belcannt ift.
Hier feilten in zehn größeren Reliefs, an Stelle der acht.
undzwanzig V/ierpäl'fc auf der früheren Tür, Darrtellungcn
des rilten Tcüaments, vom erften Men[d>enpaar bis auf König
Salomo, umrahmt von zablreid>en Einzcltiguren, geboten
uerden. Aus foldum rtnlail> gewann die Eroberung der
wirklid^en Welt und der Gegenwart des italieni[d>en Lebens,
wie fie den Künftler umgaben, alfo die Nad>ahmung der
Natur und des Menfcbendaieins den Sieg, den ld>on Bru.
nellesd>i mit feinen Oefinnungagenoffen Donatello und Ma«
facdo vorbereitet haben, gewann die neue Zeitrid>tung aud>
bei Ohiberti den Sieg, foweit tUb dies eben mit feiner
Oeiflesart und feiner gotifd)en Kunflerziebung vertrug. Wab-
rend im Konliurrenzrelief Brune1lesd>i8 fid> der mittelalter'
Bebe KOnftler noch dadurch offenbart, daß er lauter Einzel-
heiten Hebt und aud^ den Plat) für ihre Zuiammenftellung zum
Dreieck nur (d:>ematifd) aufführt, bezeugt Ghibertis eigene
Preisarbeit bereits das Alalecauge, das die Menfchen, Tiere
und Dinge fonft mit ihrer nadelten Umgebung zulammen
fchaut, und fchiebt die beiden Motive, die Hauptfzene und das
begleitende Gcnrcftück, als zwei Bilder fo gegeneinander,
daß der BUdi des Betrachters von linlis nach rechts aufzeigen
muß und zwifchen ihnen nur eine diagonal verlaufende
8-Linie als fOblbare Grenze fpfirt, die beide Sebgemein«
fd>aften fondert, damit fie fuitzefliv aufgefaßt werden und
nur als Momente einer Vorgangseinbeit in ihren poetifd>en
Zufammenbang eingeben. Je^t aber feben wir in den zehn
groikn Bronzetafeln den Scbauplat) immer mehr zur be-
berrfcbenden Einheit werden und, da die Gefchichten meift
unter freiem Himmel fpielen, die Landfd>aft die Oberhand
gewinnen, fo daß wir in vollem Sinn von Relicfgemalden
zu fprcchcn bereditrgt find. Faft wie ein öchulbeifpiel breitet
fich hier ein Lehrgang für die Malerei vor uns aus, der von
Öcbritt zu Schritt den Weg von der fortlaufenden Erzählung
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42 PORTO DEL PflRflDIgO _ _ _
in einer Mebrzabl von einzelnen Momenten und befondeten
Situationen, nur innerhalb eines Rahmens eingefangeut zur
Vorherrfchaft einer Haupthandlung und von da zur au^
fchUeßenden Einheit des Hugenbtfd^s und des Sd^aupla^es
ziigleic.i> durchwandert. Das iü aud> der Weg von der
mittelalterlichen lUuftratiou der literarifcben Quelle, mit ihrer
weientlicb poetifchen PbantaHetätioikeit, zu der flnlcbaulicfa-
keit der neuen Sinnesart, die alles leibbaftici und wirklich^
keitsgemäß vor ücb fehen will, um fich beobachtend und
durd>koftend in die ganze [ijlannigfaltigkeit des Dafeins zu
vertiefen.
6d>on im erften Bronzebilde wird die HerausmodelUC'
rung des Weibes durd> den 8d)dpfer in den INittelininlit
gerüdct; die Belebung des Mannes aber beginnt notwendig
^e Reihe zum Hblefen von liniis nach red)ts, die dod> dem
Ganzen nod) zugrunde liegt» fo daß die Hustreibung durch
die Pforte des Gartens Bden den nbfchhtß bildet, fiber der
wichtige, für die Lehre von der Sündhaftigkeit des Menfchen
und das künftige Erlofungswerk fo unentbebrlid>€ Siaiden-
fall ift links in den Hintergrund verlegt, fo daß man ihn
erft fucben muß, wenn man der ficbtbaren Zuzäblung der
Einzelmomente nachgebt und vor dem Strafgericbt durd-»
den Engel mit dem Schwert nicbt verwundert nach der
Urfache fragen foU. Er kann aber dem Auge auch zu früh
fchon bei der Erfchaffung Adams und vor der Evas be-
gegnen. - Oerade diefe Zwiefprach zwifcben dem Menfchen*
paar fteht ganz unter dem Banne des Baumes der Erkennt-
nis, mit der Schlange daran, fo dal^ fie wie ein Meines
LandfdMAsbild mit Figurenflaffage wirlct.
Die Oefchichte Kains und Abels entrollt fich daneben in
zwei Parallelen, etwas fchrig von links nach rechts ge-
wendet, aber von oben nach unten in je drei Szenen, oder,
im BildiMiiin ziifaniiiieiKicfehen: von hinten nach vorn, wo«
bei dei veijüugte MaiMtab der Ferne und tiact^cres Relief
zugleich die weiter zurüddiegendc Vergangenheit bedeuten.
Abel, der Hirt, der auf dem Hügel ü^t und fein^ Herde
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PORTn DEL PflRflDISO 43
überfcbaut, bleibt als Genrebild zurück hinter Kain, der vom
den Pflug mit den Stieren leitet und in der Vollkraft feiner
jungen Glieder faft beroifd^es flnfeben empfängt. Das ge-
meinfame Opfer, mit dem die zweite Reibe beginnt, ver.
fcbwindet ebenfo in der Höbe wie das Kinderidyll neben
dem Elternpaar bei der erften Hrbeit, obgleich es doch die
Peripetie enthält, die wir nicht vermiffen dürfen. Und der
Fig. 9. Lorenzo Gbiberti, Kain und flbcl.
(Rorrnz, BapHfteriiim.)
Brudermord, der die Schuld vor flugen ftellen follte, kommt
nicht auf gegen die Begegnung des Mörders mit Jebova,
der ihn verflucht, die freilich als dramatifcher Auftritt für
den Bildner eine dankbare Aufgabe bot, deren fprechende
Löfung wir im Vordergrunde genießen. Die Milde der
Gemütsart Ghibertis hat bei der Auswahl und Verteilung
der Szenen offenbar ebenfo ihren Anteil genommen wie
die dekorative Rückficht auf das Bildganze.
Auf der Höhe des Ararats fetjen die ablaufenden Fluten
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44 FORTHDEL FURUDISO
die ütdie Noohs nieder. Im Vordergründe (ammett der
Patrifird> feine Famitte um den Opferftein und bringt feinem |
Ootte das Dankgebet dar. Cegenfiber» |edod> Unka, erblidcen
wir ihn unter den rebenbcbangcncn Bäumen in feiner
Trunkenheit und werden Zeugen der Sd:)ande, die iein
bobn Ham ihm antut vor den Hugen der Briidcr. Die ver»
bängnisvolle Tat ift aber fo barmlos vorgetragen, in dem
folgenden Moment, wo fie verded<t wird, eigentlich nur
vorausgefe^t, und dazu mit allen Reizen der Natur wie I
menfd)licber flnmut ausgeftattet, daß neben der feierlid>en '
nndad>t drüben» voll Wurde und Hingebung in allen Oe*
ftalten, hier aud> nur humorvolle Ironie walten mag, die
gern ein Huge zudrfidct. Wer aber gewohnheitsmäßig von
Units nad> redits abzulefen verfud>t» gerat in eine falfcbe
Reihenfolge. Der Weg nad> rechts geht h9d>fiens retro-
fpektiv weiter und nad> oben surfldc. Das heißt: Noah als
Stifter des Weinbaues ift für Toskana die Hauptfad>e und
wird als folcher bevorzugt. Immer ift das 6anze nocb ein |
Bild, das vorn in zwei Hälften auseinandcrc]ebt, lo ver- i
mittelnd äudi für die durchwaltende Gemeinidiaft des öd^au* '
platjes und des Ausgangspunktes geforgt ward. •
Ganz äbnlid> ftebt es mit der tanncnbefet^ten Gebirgs-
landlchaft, auf deren ebenem Boden in rid)tigcr Folge links
der Beiud) der Engel am Zelte Abrabams mit der hovdienß
den Sara gcfd)ildert wird, während red>ts die lagernden
Knechte am kühlen 0uell mit dem Efel auf die Rflddiehr
ihres Herrn warten, der auf der Opferftätte droben verweilt.
Dort erkennen wir den bärtigen Alten» der im Begriff ifl;
gehorfam den eigenen Solm 2U fchlachten, aber vom Engel
der Onade foeben davon zurfidcgehalten wird, flud) hier
kommt der wichtigfte Beftandteil des Inhalts an folcher ab»
feits gelegenen Stelle und in flad>erem Relief nid^t zu dem
Redete, das ihm gebührt.
Gbiberti denkt wie ein Freskomaler, der bei der Reibung
feiner Szenen auf einem Wandftreifen , eigcntlidb neben*
einander, mit dem entlangfchreitenden Betrachter rechnet
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PORTA DEL PARHDISO 45
und fein Verweilen vor jeder vovausfe^t Er kann« obgletcfe
dies weder dem Format feiner Reliefs no€f> deven Pla^ an
dem Türflügel entfprid>t, doch von der Oewobnbeit des
Trecento nodi) nicht loskommen. Dann aber ändert iicb das
Verfabicn im Folgenden.
Die Schwierigkeit, dem Betrachter alle notwendigen Einzel-
heiten zu vermitteln, deren er zum V^^rftandnis bedarf, und
doch in der öefamtanordnung überfichtUcb zu bleiben, ver«
mebrt fid> natürlich da, wo es fleh um verwid<e1ten Zu»
fammenbang handelt. Wie der ältere Efau durd> feine Mutter
und ihren Iiieblingsfobn Jakob um den Segen des Vaters
betrogen wird» erzählt Ohibertl, Indem er uns offenen Bfat«
bilde in das luftige Wohnhaus einer itatienilcben Villa ver-
fdiafft. Hn der Tür fd>id(t der erbündete Ifaak den be-
währten Bogenfd>ü^n auf (Ue Jagd nad> einem KHldbret.
In der mittleren Halle vertaufcht der FIrgtofe fein ErfTgeburts-
redH gegen ein Linfengericht, an dem er den Bruder fchmau-
fend findet. t\uf dem Ööllcr droben ftebt Rebekka und holt
fich Rats bei Jahwe, worauf fie drunten in der Küche ihren
Buben das Mittel lehrt, den filten zu bemogeln«. Und im
Sd^laf gemach drinnen wird die Täulcbung mit dem wild-
gemachten Hammel und den fellumwickelten firmen aus-
geführt, fo daß der Jäger mit feiner Beute zu fpät kommt.
Nur der Kundige wird fid> mit (Schweifendem Blick die ver«
settelten Teile zu rid>tiger Folge zufammenlefen. Die Eln^
beft des Ortes mag gelten, fowie fie für ein Bildganzes
gefordert wird; aber die Einheit der Zelt, vom feften Stande
pmikt aus, wlderfprld>t dem Verlauf fan Nad>elnander, und
die Wiederkehr der nämlid>en Perfon hier und da, in mehreren
Exemplaren, zwingt doch diefe beiden Einheiten aufzuheben
und mit wanderndem flvigenpaar der dritten lüinheit nach-
zujagen, die veir Handlung nennen, oder rict^tiger noch als
Komplex von mehreren folchen, oder Tun und 6eld>eben,
die ineinanderzugreifen pflegen, eine Fabel heißen. Dann
aber tragen wir als erlegte Beute doch nur das Gebilde des
Poeten davon, d. h. den motivierten Zufammenhang, den
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46 PORTO DEL PflRflDI80
htnerlicben, den der Eczibter hn Fortfd>re1ten, aber nicht der
Maler zugleich auf einmal überliefern kann. Es ift und
bleibt ein heikles Untcnicbmcn für den Bildner, Sd^irzung
und Lölung des Knotens zumal in einen Rahmen einzu»
fangen, fiber gerade darauf ift die BildUunft am Ende des
Mittelalters in aller Hnsführlic+tkeit erpid)t. Wie langic imiben
fid> die Meifter der Henailfance noch ab, eine Novelle
Boccaccios etwa oder gar Verwandlungen Ovids in einem
fttUftehenden Schauftück nachzuerzählen!
Das bat jedoch Ohiberti nach diefem Verfucbe fchon auf-
gegeben. Er entfd>Ue0t fid> deshalb, von den Schiddalen
Jofepbs ttuv den 5d)luß vorzuführen, wo feine Brftder nad>
Rgypten kontinent um Korn zu kaufen. 60 geht er fid>erer
fetnem Hbfehen auf Hugenluß des Betrachters nad>p die Ihm
für feine Kunft die Hauptfad>e fcheint. Eine groOe Oetreide'
balle, nach römifchem Vorbild, füllt zwei volle Drittel des
ganzen Sd)auplat3es, wo Jofepb wie ein Landpriegcr, links
auf hohem Tribunal, die flutfid>t führt. Die klafßfche rtid^i.
tektur verrät nun gerade, weil fie dies fein will, den Gotikci
durd> ihre fchlanken Formen und geftred<ten Proportionen.
Er vermag eben römifche Bauwerke, die ihm vor flugen ge«'
ftanden, noch gar nicht anders als in dem überhöhten Mafi»
ftab und der (d)wanken Leichtigkeit der trecentiftifd>en Maler '
oder Zeichner zu fehen, denen am meiften vom franzdfifchen
Stil bekannt geworden war. Aber die perfpektivifchen Durch*
btidce durch konzentrifche Bogenhallen des Umgangs zu
zeigen, ift fchon ein Bravoufilfick, das um feiner felbft willen
aufgetifcht wird und das Zugeftändnis fokher Rolle im Bilde
rechtfertigen mag. Es ift |a doch eine Märchenwelt der
Ideale, in der diefer gotifdie Beobaditer uns das Leben und
Treiben geid^aftigen Volkes beim Füllen und Aufladen der
öctreidefäcke mit allem Reiebtum triichentdcciucr Motive
und überrafchender Naturtrenc ebenfo, wie mit unfehlbarem
öcfchmack für den Reiz der Bewegungen zur Schau ftellt. —
Dabei muß fich jedoch der novelliftifche Inhalt auf einen
ganz fchmalen flusfchnitt zufammendrängen laffen. Und hier
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PORTA DEL PflRflDISO
47
häufen ficb die Auftritte: die Findung des Bechers im Sack
des kleinen Benjamin, zum Entfetten der anderen Brüder
und der umftehenden Ägypter, die Erkennung und Um-
armung der beiden fich liebenden Söhne Jakobs, und ganz
oben zuäußerft gar der Verkauf des einft in die Zifterne
gefperrten Träumers, gegen den die anderen eiferfüchtig
Fig. 10. Lorcnzo Gbibcrti, Joieph in Ägypten.
(Roren/., BapHfterium.)
waren, d. h. das Erlebnis aus der Vergangenheit, deffen wir
als Expofition bedurft hätten, das hier jedoch, in flachftem
Relief, nur noch wie ein Erinnerungsbild aus der Seele der
beteiligten Perfonen, fichtbar gemacht, vorfchwebt. Kein
Zweifel freilich: Ghiberti verfteht es, fo ausdrucksvoll zu er-
zählen, und bringt das Innenleben feiner Menfchen fo meifter-
baft an die erfcheinende Oberfläche, daß wir anteilnehmend
und genießend mit ihnen zu verkehren glauben. Das ift
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48 FÖRTH DEL PARflDlSO
ein köftlkfier Ertrag feiner Verfenicung In die idealen Huf-
gaben der gotifd>en Kunft, durch deren Sd)ule er bindurd)»
gegangen, und deren geläuterte Gaben er feit jenem Koiv
kurrenzrelief ja fd>on durd) die ganze Bilderfolge der erften
Bronzetür ausgeteilt hatte. 80 liommt es hier aud> nid>t
darauf an, ob wir ganze GefAiditen erbaUen oder nur
einen flusfd>nitt, vielleidit nur eine menfd^Ud^ nad^füblbare
Epifode. So bleiben uns die Oraufamkeiten der lüdiCdien
Pbantafie erfpart, und die reinen Perlen dazwifd>en werden
beraiMgei)ol>en, in die 0oldfd)mied8fia(fting getafnnt, die fie
^ etil red)t mir Geltung bringt.
Der Bmpfang der Oefetestafetn auf dem Berge Sinai
mit dem Tanz um das goldene Kalb drunten am Fuße mu6
wieder ant einem Landfd>aftsbilde werden, das Höbe und
Tiefe zttgleid> umfallen folt Vor der weiten Obetld>au zur
Linken läßt der Erfinder Prad>texemplare füdlid>er Baum-
riefen auffteigen, um dem ftcilcn FeÜ'cu gegenüber in der
leeren Luft einen Wideihalt zu fd^affen. Der tragifd)e Wider
fprudb, zwifd>en dem einfamen Eifer des Gottesmaiines und
den Orgien des Heidentums drunten, liec[t nur als Hbnung
nod) darüber, wie eine erfte Gewitterwolke am Gipfel hängt
über lad)enden Fluren im Sonnenfd>ein. So Tieht Ohiberti
das Ereignis zwifd>en Himmel und Erde, das die Zukunft
des VoUies beftimmen wird» und die ber^d>e Oeftalt des
JMofes bleibt abfeits in der Situation gebunden.
Daneben fe^t er ein Nabbild, das die Fiad>e von unten
bis oben mit abgefhiften Reliefftreifen erfOUt. Es ift der
Zug 3ofuas mit der Bundeslade um die ASauem von Jericbo»
deren Tfirme droben vor dem Pofaunenfcball und den
Triumphgcfängen der Kinder Ifracls zufammenfturzen. Die
feierlid>e Prozeffion mit ihrer rhythnüid)et\ Bewegung durd>
ein fteinigtes Flußbett hinüber wird als Urfad)C des Wunders
hervorgekehrt. 8ie feffelt das Fluge durd> hinreißende
Sd)önbeit des nusdrudts, hier ebrtürd>tiger Sorgfalt um
das Heiligtum, dort fchwungvoUer Begeifterung und freu-
diger 8iegeszuveriid>t.
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PORTH DEL Pfl RfIDISO 49
Nur einen weiteren Sd)ritt in der n&nlicben Relief-
bebandlung bezeichnet die folgende Tafel» fdion in der
unterften Reibe. Dod> fordert der Zweiltampf Davids mit
Odliatb oder vielmehr die Entbauptung des bingeftfirzten
Recken eine breitere Senkung in der Mitte. Die Rückficbt
auf den herantretenden Befcbauec dagegen verlangt an
diefer Stelle ftärkeres Maffenaufgebot, als bei weiterem flb»
ftand bisher gegeben war. Trotjdem fällt der Blid< ld>on
allzufebr von oben nad^ unten über den Boden bin und gebt
io der beabtid^tigten Tiefenerftred<ung verluftig, empfängt
wohl gar den 6efamteindrudc eines abfcbüfilgen 6d>lacbt«
feldes, das na* außen hervorquelle. Das 0anze ift auf-
fiaUend nuilerifd> gefeben» wird aber wohl in dem Olanz 4er
urfprfinglid>en Vergoldung plaftifd>ere Wirkiamkeit des Ein-
zelnen, befeffen baben, als dies bei dem abgegriffenen Zu«
fiand beute der Fall ift.
Die lebte Ldfung des perfpektivifd>en Problems gefcbiebt
an fo ungünftigem Platze durch ein glüddicbes Huskunfts«
mittel, das als fold>es fogar auf Rafaels Schule von Hthen
weiterweift. Die Begegnung balomos mit der Königin von
Saba ift auf die Terraffe des Tempels verlegt, vor der firf>
die Scharen der Neugierigen und des Gefolges von Reitern
drangen. In der Mitte droben Iteben frei der fd)öne König
der Juden und die weife Fürftin des Morgenlandes einander
gegenüber. Und hinter ihnen öffnet ßd) der Einbilde in
das Cborbaupt einer gotifd^en Kathedrale, deren FUlerbeilig«
lies bier als Abbild des Salomonifd>en Tempels gegeben
wird, - gewiß ein untrüglid>er Beweis der Bewunderung
Obibertis far diefen Bauftil und die bezaubernde Wirkung
des bod>ibrebenden Polygonlnnem» felbft wenn es nitbt mebr
als ein Spiegelbild der Tributm di San Zanobi, im Dom
gegenüber, darböte. Das Beifpiel ftre^ger Zentralperfpektive
im entfd:>iedenüen Veitikalisnius noidild^cr Kirdien gibt uns
aber zugleid> den Hbfd^luß des Strebens nad^ Einheit der
Bildfd^au von einem feften Standpunkt aus, die ühiberti als
Ziel erliannt und bis dabin in mandierlci Anläufen verfolgt
SfbM*<^*ow, Üotik in der RenaifCance. 4
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50
PORTA DEL PARADISO
bat. Dem hetantretetulen Betrachter bietet die Menfcben*
menge vom nod> die Mögllcbkeit, von links oder von red>ts
bex darüber hinzugleiten, auf dem Podium aber zwingt das
Konzentrationsmotiv atle (chweif enden BUdce nad> der Mitte
zu, wo die paarige Hauptgruppe in fymmetrifd>er Stellung
fleh heraushebt und die ideale Höhenacbfe gerade zwffchen
beiden Geftalten bindurcbgcbt. Und reid>t dit äußcrlid»
fid>tbare Beziehung der zwei Perfonen zueinander nicht
aus, uns die Bedeutfaiiikeit diefes Beifammenfeins zu zeigen,
fo vermittelt feinen Inhalt der Polygonfd)luß des Gottes»
baufes mit teinem kunltreid)en öefüge, bis binauf zum In-
einandergreifen aller Teile in einem gemeinfamen Zielpunkt,
dem fic alle als Träger dienen und dod> zugleid> allefamt
ihren Urfprung danlten. Ohiberti, der Bewunderer klaffifdier
Bauwerlie des rSmifchen Altertums, kennt für diele le^te
Hufgabe niddts Höheres als ein gotifd>es Chorhaupt, - aud»
das ifl ein tiefgründiges Bekenntnis fQr die 0otik in der
Renaiffance.
Mit der hier gefundenen Ldfung der Bildeinheit mu0
man, um ihren Wert zu ermeffen, nur die Vorderfeite des
Heliquicnfcbrcins in der Tribuiia des Dernes verglcid>cn,
eine Relief kompofition, die etwa ein Jaliiztbru frübei, gegen
1440, entftanden war. Da ift in dem niedrigen Breitfelde
narf) Art einer Predella die fluferwedcunti eines verun»
glüd<ten Kindes durd> den Bifd)of Zenobius dargeftellt. Die
Zeugenreihen zu beiden Seiten rahmen die Mittelgruppe
ein wie korrefpondierende Flügel, und dieie abfdiließenden
KuUffen der Bülme find links und red>ts zu fold)er Steige*
rung des Reliefs durd>modetliert, daß die voMerften Körper
faft vollrund herausragen. Diefe Zentralperfpektive umfaiSt
jedod» nid>t die ganze Bildil8d>e, fondem nur die 8d>au-
weite, die der Betrad>ter von feinem feilen Standort, oder
vielmehr Kniepunkt vor dem Hltartifd) umfpannt. Die HuS'
dehnung des Rahmens erftred<t fid> aber auf beiden Seiten
noch ein btüdc vvcitci : von citii ftärkften Vorfprinigeii, die
das Mittelfeld begrenzen, nimmt das Relief wieder ab und
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FÖRTH DBL PlIRnDlSO 51
verfließt gegen den Rand in die FUkbe zu rein del«nrativer
Ffltlung der beiden Enden mit 0enr emotiven. Ruch die
Wundertaten des Heiligen auf den beiden anltoßeuden
Scbmalfeiten diefer Area di San Zanobi find in Flad)relief
behandelt, während die Rüci^ieitc einen prächtigen Kranz
mit Infchrift darin, von fehwebenden Engeln, zu dritt qefetlt,
wie in der Luft getragen, von mittlerer Stärke der Model-
lierung aufweift, ~ aud) dies eine mehr malerifd> gedad)te,
d. h. Raumtiefe vorausfe^ende Konzeption, die nur durd>
den feilen Rahmen und die 8d>riftflad>e im Kranz der Auf-
gabe des Wandfd>lufre8 entfptid>t.
Das ganze Werl« gibt wilUiommene Oelegenbeit, Ohlbertis
Oefiattenbildung undOewandbehandlung auf etwaigen Unter*
fchied gegen früher zu prüfen, wie er in mand>erlei Sym-
lytomen fd^on an den Statuetten des UmfalTungsrahmens
der Porta del Paradifo beobachtet werden könnte. Und hier
muß denn zu feiner Reditfertigung gegen faUche iRnfprücbe,
die von einfeitig realiitifcher Kritili erhoben worden find,
nad)drüddich darauf hingewiefen werden, daß man zuerft
doch einmal fragen foUte, was er felber will und in jedem
einzelnen Fall zu erreichen beabfichtigt. Da ift z. B. zwifd>en
den Heldinnen des jüdifchen Volkes Judith mit dem Haupt
des Holofemes und dem krummen Sd>wert in den Händen,
Das Iii aber nid>t das unerfd>rodiene Weib, das vor dem
furd>tbaren Oewaltfireich nid>t zutfidcfdieut, wenn aud> im
entfdieidenden RugenbUdi der Tat gleichfam das Blut In
den ndem gerinnen fühlt fo daß ein 8d>auder den Vollzug
der angefangenen Bewegung hemmt, wie Donatello Üe über
den Körper des trunkenen Feldherm daherfteigend zeigt.
Das ift vielmehr eine leidste, fchwebendc Tänzerin, die nicht
felber die wahre Judith fein kann, fondern fie nur voiftellt
wie in einem hiftorifchcn Feftzug, ja ni&>t einmal fo leib-
haftig, fondern wie in einem fymbolifch-alleqorifchen Ballett,
in dem üe Kopt und Schwert nur als Attribute trägt und
nid>ts anderes zu tun hat, als den Triumph ihres Volkes
Im Erinnerungsfeft zu verherrlid>en, durd> rhythmifd>e Be-
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I
I
wegungen ihres fcfetanken Leibes im^zartenScfoteiergewand,—
alfo die Heroine im Bübnenfpiel, »die ihre Tugend uns
tanzt«, 80 ift aud> Jofua gegeben, in präd>tiger Rüftiing
freilich, aber mit der Sonne neben fid>, zu der er aufblidcend
mit fanfter Gelte fprid>t: »Stehe ftilt im Tale Kidront« Es
find keine Standbilder diefc Statuetten, die jedes für fid>
allein ihre Bedeutung als ewigen Wert behaupten, fondern
auftauchende Erfd>einungen in einem Reiqen, der gleich
mufikalifcher Begleitung die Hauptfache mit feiner Mimik
umkränzt. Danach find wohlweislich die Grade der Reali-
fierung gegeneinander abgewogen worden! -
Bei allem Hnfcbluß an das Streben nach Eroberung der
Wirltlichkeit, das in diefen Relteftafeln mit Darftellungen zum
Alten Teftament fidi ausfprid>t, und bei alter liebevollen Hin*»
gäbe an die mannigfaltigen Eindrfidie der heimat1id>en
Natur, in die |ene 0eCd>id>ten femer Vergangenheit verlegt
werden, ift es dod> nid>t befangene Nadiahmung, weder
antiker Trad>ten, RQftungen, Bmtsabzeid^en, die gelegentUd»
einmal vorliommen, 'nod> zeitgenötnfd>er Koftüme, Braud>e
oder gar Perfonen, um die es diefem Schöpfer zu tun wäre.
Er ift auch hier dem lauteren Idealismus der gotiid>en Kunft
treu geblieben, obwohl er der Schönheit der Erden- und
Menfchenwelt noch als Mitfd)öpfer der Renaiffance überall
feine Huldigung darbringt. Seine Geltalten bewahren die
ichlanken Proportionen der Gotik auch in der volleren Körper»
liebkeit und weichen Rundungen des Fleifches, für die ihm
Bildwerke der Hntike die Hugen geöffnet haben. Seine Oe»
wdnder umfUei^ die ge{d>meidigen Leiber mit harmonifthem
Wohllaut tmd begleiten fle mit feierlid>em Zuge, wo es gilt,
fold>e Stimmungen der findacht, der Rührung, des erhebeni'
den Sdiwunges zu vermitteln. Immer |edod> fottft verbindet
Üd> Oeftaltenbildung und 6ewandbehandlung zu der un-
vergl€id>lld>en Einheit, in der jede Bewegung, jede Haltung
den Ausdruck des Innenlebens widerfpiegelt. f\bcr es ift
Gemütsbewegung, Gefüblsanteil nach fchöncr Seelen Art,
die ihn anzieht und als Wert für fich einnimmt, nicht die
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fcbroffc Heftigkeit der Willensenergie, nicht Itarre Einfeitig-
keit des Charakters oder der elementare Ausbruch der
Leidenfcbaft, die einen Donatello hinreißt und gefangen hält.
Es ift, als börten wir überall in feinem Vortrag die Orgel,
das wundervolle Jnftrument der Kird>enmuflk , dazwifdien-
klingen, das Ibm vertraute, ihm geläufige des gotifd>en
Erbes, iö mannigfaltig aucb die Reglfter geworden find, die
er inzwifd>en aufeuzieben gelernt bat und nad> (einem Be«
lieben zu bandbaben weiß, als Olfenbarer des neuerwacbten
Oelftes feiner Zeit.
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V.
ERR fiNG£UCO UND äElNE NACHBARN
Wenn Lorenzo Gbiberti in der zweiten Hälfte feines
Schaffens, die wir foeben verfolgt, fleh aUmäblid> von
der mittelalterlicben Tradition der l(ontlnulerlid)en DarfteU
lung losmadit und, midxlem BruneUe$d>i durd) perfpektivifdie
Konftruktion den Weg gewiefen» zur Wiedergabe der wirk*
Ud>en Welt aucb die Raumtiefe zu erobern trad^tet, fo
werden dod> die Fortfd>ritte, die er petiönXUb in feinen
Reliefs der legten Bronzetür erreid>t hatte, nid>t ohne wei*
teres aud> Gemeingut der Maler. Ihnen Itonnten folche
Multcubeüpiele doch eiit zulilUc konimen, wenn fie felbft mit
ihren Erfahriinoien zu der Eiiiucht gelangt waren, die das
Verftändnis tolcher Löfungcn vorauslctjt. In der I'at ver-
mochte erft Benozzo Oozzoli, als er gegen Ende der finif
ziger Jahre aus Rom und Umbricn nach Florenz zuriid<
Itehrte, das Vermäd>tnis auszufchöpfen, das an der Porta
del Paradifo vor aller flugen ftand. Was er im Zug der
Könige an den Wänden der Kapelle des Mediceerpalaftes
bis 1463 fld> anzueignen verfud>te, bat erft 1469-85 in den
Fresken des Campofanto zu Fifa feine reid>ften Frfichte ge«
tragen.
Wir aber, die im Quattrocento die Ootik fud>en» müffen
zurfid(btid(en auf die Zeitgenoffen Obibertis und begegnen
gewiß in erfter Linie dem Meifter Benozzos, Fra Gio-
vanni ringe Ii CO, der in feinem Künltlerleben iogar eine
Parallele zu dem des Bildners aufweift, indem er erft in
der zweiten Hälfte feiner Tätigkeit vollgültig zur Kenaif'
fance gerechnet werden darf. »Eine ganze grof^e ideale
Seite des Mittelalters blüht in feinen Werken voll und herr-
lid) aus«, gefteht aud^ Purd<hacdt aus tiefftem Verftändnis
für ibn, als »eine Erfcheinung der höchften Hrt, die im
ganzen Gebiet der Kun(tgefd)id>te nid>t mebr ibresgleld>en
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FRfl flNGELICO UND SEINE NACHBARN 55
bat«. Dicfc Wertung gilt jedoch recht eigentlich dem frommen
Dominikanermönch, foweit er von der Gotik herkommt und
von ihrem Wefen durchdrungen bleibt: »Gleich in feinen
Fig. 11. Mafaccio, Heilung des befeffenen Knaben.
(Früher Brüffcl. Somz^.)
früheften Werken tritt er uns in feiner vollen Eigentümlich-
keit entgegen«. Er hat noch im erften Jahrzehnt des 15. Jahr.
Hunderts feine Lehrzeit durchgemacht und von 1409-1418
mit feinen Ordensbrüdern aus Fiefole im ftillen, weltfremden
Cortona gelebt. Der Camaldulenfer Don Lorenzo Monaco
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und Mafolino find feine näcbften Nachbarn, und der crltecc
ift ein Abkömmling der fienefifd^en Malerei, die damals aud>
das füdöftliche Toskana und das angrenzende Weftumbricn
beftimmte, der andere flammt aus Panic<ik\ alfo aus eben
diefem Wirkungsbereich, und wird gewiß nicht ohne guten
Grund in der Künftlertradition ausdrücklieb mit diefem Zu«
fa^ feines Geburtsortes zum Eigennamen gekennzeichnet.
Mit beiden Kunftgenoffen teilt Fra Giovanni die udprüng*
lieb fibedcblanken Propottionen der fylpbidenhaft zarten
Geftatten, deren jungfriulicbes Husfeben und Ckbaben ficb
auf mfinnllcbe Perfonen, wie von Maria auf ibren 8obn»
überträgt. So (eben wir fie nocb 1425 bei Mafolino in den
Dediengemitden des Cbores der CoUegiata von CafHglfone
d'Olona, mit der Krönung der Himmelskönigin in der Mitte,
der Verkündigung und dci Vermählung als Seitenftüdicn
in den drei fcbmalen Kappen des Gewölbes, denen die Ge«
burt Cbrifti und die Anbetung der Könige auf den breiteren
Feldern fich anfchließen, während die Himmelfahrt der lung^
frau in der Querkappe am Eingangsbogen inhaltlich zur
Krönung binüberweift 0* So begegnen fie in allen Dar*
rtellungen derCelben Gegenftände von Don Lorenzo und
ebenfo in den frilbeften auf uns gekommenen Tafelbildcben
von Fra Hngelico, einige wobl nod> aus dem Hufentbalt zu
Cortona, wie aus der Sakriftei von Santa JMaria Novetla, je^t
im Mufeo dl San Marco*). Die Figuren (leben nid>t feft auf den
FfiOen, fondem fcbeinen leife über dem Boden binzufcbweben;
(le bängen aucb mebr in der Luft, wo fie fi^en fotten, {a
felbft, wo fie an Jer Erde knien, wollen die Gewänder, die
entfchcidcndcn btcUL'u des Haltes verdeckend, uingsum [ich
baufchen und verfließen. Bei einer Mehrzahl von Perfonen
nebeneinander, befonders auf breiterem Format, entfteht
durch diefes Schwanken, der Reihe entlang, der Eindruck
') Abbildungen nur in dem rttlas zu Schmarsow, Mafaccio-Studicn
(Caifel 1M5-ia99). 1. MafoUno in CafligUone-d'Oloiuu
^ Dazu gehört aud> die klane Huferftelnuig Chtifti, früher bei DenrUs»
tonn (Meinolfs of the Duke« of Urbino, vol. II), ie^t Nat Galt London.
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einer fcbwingenden Bewegung, die durch alle hingebt, wie
im Elfentanz auf blumiger Wiefe oder dunftigem Waffer-
fpiegel. Darin äußert fich die lyrifche Stimmung, die der
Maler vermitteln will, als weiche öefühlsfeligkeit der frommen
Gemüter von damals, wie fie auch flndachtsübungen und
verzückte Träume unferer deutfchen Myftiker durchdringt.
Der junge Dominikanermönch von Fiefole hat befonders
Mühe, den Unterfchied von Standfeftigkeit hier und Körper-
bewegung von der Stelle weg und anderswohin unmittelbar
für das Finge kenntlich zu machen; denn er fieht bei den
gottesdienftlichen Handlungen der Geiftlichen immer nur die
Flg. 12. Mafolino?, Spofalizio.
(Paris, Coli. Rrtaud de Montor.)
zeremonielle Haltung und das angelernte Gebaren fymbo»
lifcher Bedeutfamkeit alles Tuns, und felbft angefichts der
praktifchen Tätigkeit der Klofterbrüder im Garten und auf
dem Felde kommt ihm die gewohnte Einftellung auf dies
kirchliche Wefen immer dazwifchen, weil er felbft nicht im
Kampf des Lebens draußen fich feiner eigenen Haut zu
wehren und zuverläffige Bereitfchaft der eigenen Glieder
einzuüben Gelegenheit gehabt hat. Alles, was flusdrucks-
bewegung bedeuten kann, ift ihm eher geläufig als das
zweckdienliche Zugreifen oder das flusfchreiten nach einem
Ziel. Statt der Beobachtung der Wirklichkeit unter den
Kindern der Welt hat er in der Kunftwerkftatt feines goti-
fchen Meifters nur mit der Gliederpuppe und lofem Zeug
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pru hnobuco und seine NACHBram
für FaUengebftnge 2u bantieren gelernt. Dti8 merkt inim
jiod> lange nacb, wo er, ficbon als begehrter Kanftler felbft,
aus der Enge der Klaufur herauskommt und vom frifcben
Haiut) der Lebensfreude, dcf jubelnden Dafeinslul't feiner
Zeitgenoffen berührt wird. So gelingen ihm hinreißende
Schilderungen der himmlifd^en Seligkeit in kindlich harm-
lofem Spiel auf dem Rafen, der Begrüßung der rtuserwähl«
ten durcfi Kugel, der beglüditen Sdiaren, die Heb Hand in
Hand unter der Baumblüte ergehen oder in langem Ringeb
reiben daherziehen ohne Wegrichtung irgendwo und irgend-
wann, im Reich der lauteren Herzenswonne. Solche Aus«
fcbnitte, die auf Weltgerichtsbildem ihre Stelle finden oder
ähnlich In der Marienlegende vorkommen, lind immer für
das Hblefen von links nach rechts, immer für den entlang-
gleitenden Bilde nach mittelalterlicher Gewohnheit angelegt
tmd für beliebige Wiederholung »mit 6razie in infinitum«
gemeint. Das heißt, fie find immer für die fukzeffive Pin-
fchauung in der Zeit, andi wo iie für die Ewigkeit gelten
loUcn, wie die Gotik unter dem Gefetj der Reihung aud)
den Raum in lauter Einzelabid)nitte und paarig gefeilte
Glieder auflöft Seibit da, wo gar kein Gefchehen an uns
vorübergeht, wo im Sinne der Glaubenslehre der Stillftand
der Sd>au zu zeitlofer Vertiefung in die Herrlichkeit des
ParadieCes, in das unwandelbare Wefen der Gottheit felber
gelangen möd>te, bleibt diefer Kunft doch kein anderes
iVKittel, als den Zufammenhalt der Gruppe mit weiterem Z%u
fammenhang zu verflechten und das 0efe|» der ftrengen
Sjnranetrie gleicher Hälften im Nebeneinander, wie das der
Proportion ungleicher Teile Im Übereinander durch RufiHeg
und Entfaltung, d. h. durch Rhythmus, wieder In Flu0 bringen
zu laffen, wie die eindringende, alfo immer tätige Kontem-
plation mit rreiem, ziellos fchweifeiidein Blicixe drüberhin
wechfelt, zur Erholung der Kräfte, die das Leben erfordert
und verbraudbt. Davon zengen, wie Lorenzo Monacos, fo
aud) Fra Giovannis Kröninigcn der Mariti mit ihrem Um-
kreis ringender, wie im Tanze fchwebender Engel Cüffizien).
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59
Wie trefffid>er und wirkfam vcrftcht Lorenzo Monaco dfc
rtubetung der Könige je nach fibficbt des Einzelbildes für
ficfo oder des TeiUtückes im größeren Ganzen verki^ieden
zu bebandeln. In langgeftrecktem Zuge bewegen fid> die
Weifen aus Morgenland mit ihrem Gefolge zum Ziel ihrer
Reife auf dem Breitbild der Uffizien, wo auch »die Gewan^
dung des gotifd^en Stils noch in ihrem vollen Schwünge
gebandhabt ift«. Und in folchem Fall ift es keineswegs
einerlei, ob ficb der Blidi des Betrad)ters, mit feiner Oe-
wobnbeit von Unks nacb recbts zu laufen, der gleid^en Ricb-
tttng des Zuges anfcbliefien kann und erft am Ende die Hn»
kunft miterlebt, oder ob diefe Erreichung der erfebnten
Stätte, wie bier, fogleid) beim Einfall zur Linken gegeben
wird, und dann dem weiterblidienden fluge der Verfolg
des Übrigen nur durch Oberwindung des Widerftandes mög=
lieh bleibt, den jeder neue ibiu entgegendringende Körper
der Ankommenden ausübt Das eine Mal erhöbt fich durch
die bequeme Mitwirkung des eigenen motorifchen Apparates
das Gefühl der Bewegung und ihres tranfitorii chen Ver=
laufs, das andere Mal fteigert fich die Bedeutung des hul-
digenden Befuches durch den Hufwand an Kraft zu fort*
gefetzten Impulfen und die merkbare Hnfitrengung beim
Bewältigen der folgenden Perfon, bis zu den Reittieren
etwa, deren Körperform fid> als retardierendes Moment be«
tätigt, fo daß die Bewegung ftaut und den Sd>lu0 vorbe-
reitet. Von Widerftand kann jedod> bier, bei fo fcblanken,
fdnnaUchutterigen Rgfird>en, denen die Körperbaftigkeit
mangelt, kaum die Rede fein: fie fl^en fo (cbmiegfam an-
einander wie junge fiffchen auf dürrem FIft im Käfig, fo
k-bv>.'ank und beweglid^ wie Schwalben auf dem Draht in
der Luft. Aber fie find Husdrucksträger, die durch jedes
Glied unfere flufmerkiamkeit auf fich ziehen und unfere
Empfindung beftimmen in fie emzugehen: fo nehmen fie uns
doch jeder eine Weile gefangen, fliuf anderen Beifpielen
verftreuter Fredellenbildchen finden wir die Mutter mit dem
Kinde ans andere Ende gebrad^t, aber die Könige in ra«
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60
FRH HNGEUCO UND SBIMB NACHBARN
dialer Flnnäberung an fie einzeln hinzu geordnet oder der
Gegcnfiaüd der Verebt unci wohl gar in die Mitte gefct)t und
die MngiLi . nach ihrem fllter in verfd)iedenem flbftand,
rings im Unikrcik' dusgebreitet. Das gibt ein Hndad>tsbild
zur Verfenkuiui des Befchauers in das Gefühl, das jene
Fürften der Erde beim flnblidt des Kindes erfüllt. - f\m
Sockel der berühmten Verkündigung in Santa Trinitä ift
ein willkommenes Vergleid>sftüd< zu finden. Huf den Wand-
gemSlden der nimUcben Kapelle» links und redits von dem
nitarwerk» wird an der einen Sdmialfeite die Begegnung
Joacbims mit Rnna, auf der anderen das Spofalizio vor
arcfoitektonifcbem Hintergrund geget>en, der ficb teils über
die Figurenkompolition hinauserftredct, teils aber mit ihr
zufammenwirkt, und zwar im ganzen Zufd>nitt auf den
hereinfdiauenden Befucher bcred>net. Die gotifd)en Bau-
glitjdti fd>reiben ihm die Rid>tung und dii: Takteinteilung,
aUo auch das Tempo des Vollzuges vor, den er foznfagen
am eigenen Leibe miterleben ioll Sd)on die pbotograpbi-
(eben iRufnabnien genügen zu beitimmcn, auf weld>er Seite
die Darftellung an Ort und ötelle üd> befinden muß; fie
werden dem Eingeübten aud> ermÖglid>en, fich Red>enfd>aft
zu geben, wie die Behandlung dem Oegenftande angemeffen
ilt und dem inbalt, der zu Oemüt geführt werden foll, ge«
recht wird. Das ift ein ausgemachter Ootiker, der von der
Praxis des Rgniolo Oaddi im Chor von Santa Croce gelernt
hat, und feinerfeits auch einem MaCacdo noch das Haus-
gefet) der gotifchen Kunfl zur Verwertung für die Wand»
maierei überliefert. Sowie def Betracf>ter an folchen rdlef«
ni iiMg durdigegliederten Gemälden entlangfd>reiten muß, ift
dei Kontakt mit dtim gtwohnten Bewegungszug des leben-
den Menid^en hergeftellt, und die Veranftaltung des wirk,
famen Rugenfcheins an feiner Seite oder in vorausblid^en«
der Überfd>au des Folgenden nimmt ihn unter ihren Bann.
Das wiffen alle Freskomalcr des Quattrocento noch ganz
genau tnid üben es auch auf Predellen feierlich beharrender
fliltalrtafeln noch aus, wenn es gilt, ihre Luft am Fabulieren
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FRfl flNGELlCO UND SEINE NACHBARN 61
ZU befriedigen und den zwingenden Eindruck des Gefcbebens,
felbft im kleinen Maßftab nocb, zu erzielen.
Dem Seher himmlifcher Schönheit Fra flngelico ftellt nun
Jakob Burckhardt gar das Zeugnis aus, er fei »in der dra«
matifchen Erzählung einer der tüchtigften Nachfolger Giottos«
geworden. Dazu muß heute wohl zunächft erklärend be-
merkt werden, daß wir genauer den »Meifter der Franz-
legende« in der Oberkirche von flffifi nennen foUten, der
freilich im Cicerone unter dem Namen des öiotto mitgemeint
Fig. 13. Mafaccio, Legende S.Julians.
(Montauban, Muf^c Ingres.)
ift, weil man ihn damals noch nicht zu unterfcheiden ver-
mochte oder überzeugtermaßen den großen Florentiner mit
dem berühmten Zyklus von Wandgemälden verband. Die
Austeilung der Bilderreihen im Finfchluß an die Gewölbe-
joche des Langhaufes hat eine ftrengcre Durchrhythmifie-
rung nach dem Hausgefetj des gotifchen Kirchenraumes
ergeben, als wir es in den erhaltenen, ficher eigenen
Schöpfungen Giottos wiederfinden. In den hohen fchmalen
Kapellen florentinifcher Kirchen ftrebt diefer bereits nach aus-
gefprochen monumentaler Dauerwirkung und verfelbftändigt
fomit das Einzelbild, ohne Beziehung zu Nachbarn auf gleicher
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62 FRfl IIN0BLICC UND SBINB NflCHBlIRN
Höbe neben ibm, wobt aber zu folcbem gegenüber. Der
»Meliler der Franzlegende«, wen Immer wir in ibm er«
kennen mögen, prägt den tranfitorifcben Cbaraltter der Vor-
gangseinbeiten nody ftärkei aus und hält das BewußtlViii
fortlaufenden Zufammenhangs feiner Erzählung fühlbarer
aul:red)t; denn er ift trot^ allen Zncjeltändniffcn an die klaf-
fifcben Gewohnheiten der röiniid)cn Schule, von der er her»
kommt, viel eifriger den Itrengen Kompofitionsgele^en der
franzöfifchen 6otik ergeben 0- Dann aber bietet diefer Zyklus
in flffifi wenigstens einige Stüdce von paradigmatifd)er Be-
deutung für den Begriff von dramatifcber Erzählung dar,
mit dem wir, befonders in fo maß0eblid>en Urteilen, wie
fie im Cicerone über die einzelnen Kfinftler gefitlt werden,
nid>t weniger ftreng verfahren fotlten als die Literar*
hiftorilcet, die ihn von eplfd>er Erzählung geillffenttid> unter«
fd>elden. Muß es nicht fiberrafcben oder gar tiefremden»
diefe Eigenfcbaft des Dramatifdjen gerade Fra flngelico vor-
zugswcilc zuerkannt zu fehen?
Mail vergleiche nur einmal die fünfunddreißig fall qua-
dratifd>en Bildeben aus dem Leben Cbrifti in der öalleria
antica der Hkademie zu Florenz mit den zwanzig Vierpaf^-
reliefs an Gbibertis erfter Bronzetür am Baptifterium und
erwäge angefid>ts diefer geiftesverwandten Künftler den
Unterfcbied bei allem Gemeinfamen darin. Nlä>t alle«:, vvas
zu einer Folge gehört, ift deshalb {d>on erzählende Darftel«
lung, nicht jede Reihe von foldien fchon ein epifdier Zyklus,
mag fie auch ihren FInfang und ihr Ende in vollgültigem
Sinne befif^en, vielleid>t gar einen merkbaren Fortfd>ritt
zwifchen beiden. Fra Giovannis Malerelen find »gute Werke«
eines Mönches, der mit aller Sorgfalt und Hingebung lange
Stunden, Tage, Wochen bei feiner künftlerifcben Arbeit aus-
bairt und alle Öeelenkraftc dai auf richtet, auth ieine i:iguren
gleichmäßig zu beleben. Einzelne Stücke, wie z. B. die Kom-
Vgt Schmatsow, Kompofitioiugefeli« der Ftanzlegende in der Obcv>
kircf)c zu Pifnfi, Publikafion des ForfcbungsfnfHtuts für KunftgetAichte m
der Univerfität Leipzig, 1916 (Kommifiionsverlag von K. W. Hierfenuimi}.
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63
munion der Hpoftel, find erficbtlicb na* Maßgabe kirchlicher
Wunfche eingefchaUcr und bedeuten keine Beucicbernnc] der
cpifd>en Tatfad)eu ). Aber der getreue öobn des heiligen
Dominikus übt die andächtige Vertiefung in den öegenltand,
den er behandelt, überall und bei der geffihlsinnigen Kon»
templation verwandelt fich das Gefchehen in ötillftand, ent-
fchwindet die zielftrebige Handlung unter den Händen und
wird zur fchwcbcndcn Situation, deren Träger fich nur bc»
wegen, als ob fie etwas täten, aber fid>tUcb hängen bleiben
Im Verweilen beim OefQbX, das fle duTd>dTingt, in der Stirn«
mwng, die fie bebetrfd)t, oder in dem gelftigen Oebalt, den
fle auf den Otäubigen übertragen follen* 5o kann aud» ein
dramatifd)er Stoff zum Opfer der Befd>aulld>lieit werden»
und gerade diefe Ift der Oottesdienft, der Weg zur Durd>-
gottung, den die Andacht der Ordensbrüder einfchlägt und
gefördert fehen will dmch das Bild ihres begnadeten Künft«
lers. Beobachten wir nid^t an Fra Baitolcnuneo von San
Marco eine gänzlich untiorentiniicbe Öprödigkeit gegen wirk-
Ud^ erzählende Darstellung, gegen jede dramatilche Zu«
fpiöung und durchgreifenden Vollzug von Taten? - Denn
auch er ift Dominikaner und die Oemälde Fra Hngelicos
ftanden ihm täglid> vor flugcn Bei beiden, faft ein Jahrhun^
dert nad>einander lebenden AngebÖrigen desfelben Klofters
wird der lebrbafte Inbatt, die dogmatifd^e Bedeutfamlielt
des Vorgangs fo betont, daß der Fortfdyritt, nid>t fetten der
pragmatifd>e Zufammenbang darüber verloren geben. Man
vergleldie nur einmal das »Noll me tangere« von beiden
(San Marco und Louvre).
Das Epos der Paffion ift ein geläufiger Zyklus, an dem
Jahrhunderte kunülerifcher Tradition geaubcitet hatten; er
kann durch unerwartete WechfclfäUe nicht mehr überrafchen.
Aber Ernft und Tiefe der fluffaffung eines großen Meifters
vermag noch immer den empfänglichen Menfd^eu zu feüeln
und die fortlaufende Reihung der Vorkommniffe um ent»
*} Drei Städte diefec Folge, as. B. die Tnnsflgutation« find von dm H«nd
des HIefiö Batdovinetti.
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t4 _ FR fl B NÖEUCO UND SEINE WfiCHBflRW
fcbddende Hauptftfidte zu fummeln, die Wellenberge zwU
leben WeUentaiem im dunbgebenden Zuge zur Geltung zv
bringen. 0ranwtllcbe Kompofitlon liegt nid>t nur In der
wlrkfamen OegenelnanderfQbrung der Perfonen, - von
Cbaraliteren gar nkbt zu reden, aus denen die Handlung
mit überzeugender Notwendigkeit entfpränge — ; fie befteht
aud> in der gefchickten Steigcnnig des Widerfpicls über-
legener Mächte, im wohlbcrct-bnctcn fiufftieg zum Höhe»
oder zum Wendepunkt und in der flufrecbterbaltung der
ipannenden Teilnahme am bcbickfal des Helden bis zum
Sd>luß. Wieviel ift von folchen Fähigkeiten noch bei ühi-
berti, wieviel bei feinem Nachfolger Fra Giovanni zu fpüren?
Wer von ibnen befi^t, außer der milden Sinnesart und ecbten
Herzenswarme, die fie teilen, mehr von dem OrganifationS'
talent des Epikers, wer etwas von der Energie des Dra»
matikers, die aud> im gegebenen abgegriffenen Stoff mit
zielbewußtem Oelit zu walten willen 0?
Einer der tfld)tigften Nad»folger Oiottos bleibt Fra GJo*
vanni auf feinem eigenften öcbiete, aber freilich immer als
flngebörigci einer beträchtlich fpater folqendcii Gcncr^ition.
Von feiner unentwegten Überzeugungstreue getragen, ge-
lingen ihm hier und da ganz großartige Ottenbarungen des
gotilcfuii Jdealisnuus, in dem er begeiftert lebt und fchafft,
wie die einfame Kreuzandacht des heiligen Dominikus, die
dem Beiud>er des erften Klofterhofes von San Marco in Lebens-
größe .zu ebener Erde gegenüber tritt, und die ergreifende
Xreuzandadit der ganzen Cbriftenbeit in ihren efmvurdigften
Vertretern, die er im Kapitelfaal an die Wand gemalt, als
öffne fid> dort der Husblidc auf Oolgatba mit den Kreuzen
der 8d>ftd)er und der Mariengruppe zu den Seiten des
^ttesfolms. Das eine ift die fid>tbar gemad)te, d. b. aud>
fQr Rudere zur Sd>au gebrachte Verzüdcung des Ordens-
ftifters, als Vorbild aller höcbften Wünfche feiner Jünger, mit
') Von den Siencfifchen Quattrocentiften kommt »ils Erzihler hier bc«
fonders niovanni dt Paolo iti Bcfracfn. deffen Leben Johannes des Täufers
lehrreichen /^uftchluß Uber fein gotifches Wefen dacbietet.
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FRH ANeEUCO UND SEINE NACHBHRN
ll>m geiftigen Klarheit und doch unverkennbaren Ergriffen-
heit des ganzen Menfchen. Jenes dort ift keine Klage, wie
num fie genannt Imt, keine Aufbietung der Klrd>e zur Stell-
vettretung der Mater dotorofa, deren natürliches Recht auf
ihren Schmerz kein anderer übernehmen l<ann, noch zur
VevvieUäUigung des Lieblingsjüngers, der verzweifelnd die
Hände ringt, keine Erweiterung der Pietä vor der Grab-
legung, auch durchaus i<einc Lamentatio Ecclesiae, fondern
eine flnempfindungsandacht, wie lic von Franzisi<anern und
Dominikanern gleichermai3en geübt wurde, wie fie dem Hei«
Ilgen von Affifi in der Stigmatifation auf La Verna als höchfte
Steigerung zuteil ward, alfo eine vorbildliche Pafßonsfeier»
die iid> fo den verfammelten Ordensbrüdern bei allen wich*
tigen BefchtOffen ihrer Oemeinfchaft vor Hugen Hellen follte.
Bei aller fiberrafchenden Mannigfaltigkeit der Unterfcblede,
der Oegenfät^ zwifchen den zahlreich genug erfchienenen
Zeugen, es waltet auch in gewaltiger Tiefe des Path(»8 Immer
die typifche Hllgemeingültigkeit Unter welchen Namen von
Individuen fie auch auftreten, durch die Infchrift ihrer Heiligen-
fcheine gekcnnzeidmet, immer bleibt es das gleichgcnci>tete
und gemeiniarn genoflene Erlebnis, das Eine was not tut, -
im rhythmifchen Gewoge aller Glieder der Kirche, die für
das Ganze eintreten, deffen Haupt und Mittelpunkt ja felbfr
gegenwärtig ift, im heiligen Leibe des Erlöfers am Kreuzes«
ftamm* Es ift ein großer hinreißender Huffchwung aller
Seelen von »unerreichter Intenfität des Ausdrucks«, aber
ohne jeden dramatifchen Ruftritt dazwifchen: vom ruhigen
innerlichen Erwägen zur begeiflterten Hingebung, vom Schmerz
aber die Sdbande, kaum Aber die Todespein des Menfchen-
fohnes, bis zur ekftatifci>en Verzfidkung, - wenn wir Butdc«
hardts eigene Beobachtung beim Worte nehmen, aber keine
Zufpitjung auf einen tranfitorifchen Hugcnblick, kein tragi'
fcher Widerfprud), in dem die zeiiiüeue üini7eit noch gipfeln
könnte.
Dies Meifterwerk der reifen Florentiner Zeit ift auch die
Frucht mancher feit der Rüdikebr aus Cortona nach FieCole
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und feit dem Einzug in San Matco vollends erfahrenen
Hnregung. Der demfitlge Mater hat ficb in feiner Bef cheiden«
beit den Errungenfcbaften anderer Kunftgenoffen innner
eifrig hingegeben, foweit fie feiner Natur zugänglid> waren.
Hier fteht außer 0hiberti8 bildnerifd>em Schaffen - die
Statuen, wie befondcrs St. Stephans, nicht zu vergeffen —
wohl Mafaccios Petiuslegende im Carminc an erftcr Stelle,
über deren unvollendeten unteren Teilen et 1428 hinvveg-
geftorben war. Eher der große Fortlcbritt zur individuelleren
Pbyfiognoniic kommt dod> aud^ auf die Rechnung der rea-
Hftifd> gefonnenen Bildbauer bis auf die Evangeliften- und
Prophetengeftalten, die Donatello wie an Orfanmicchele fo
letztlich ncd^ am Campanile hingefteUt, wihrend Caftagnos
damalige LeifUmgen woht eher abfchredcend auf ilm wirlcten.
Die Hauptfad>e bleibt indeifen die Steigerung und VervieÜ
fSltigung eines Kunfkmlttels, das die gotifd>e CHasmalerei
befonders gepflegt und in ihren farbigen Silhouetten vor
lid>tdurdyftrahltem Grunde zum unentbehrtid^en Bundes«
genoffen ausgebildet hatte: die Mimik, die fa im fdyweigen-
den Bilde eine fo felbftverftändlicbe und eben deshalb wobl
bisher lo wenig bead">tete Rolle ipielt. Fra Giovanni bat
nid)t die fcbnelle fluffaffung oder die glücklidie Hand übi-
bertis, die diefem fo viel anmutige und fprechende Bewe-
gungen feitzubaltcn gemattete. Deshalb bleibt bei ihm vor-
wiegend das Mienenipiel, wie der Öd>nitt der üeiidbtszüge
und die Neigung der Köpfe, die Stätte des mimifd^en Lebens.
Hb er Träger des Ausdrudts find dod> aud> bei ihm die
Oliedmalkn in ihrer Stellung zueinander und die Oefamt^
haltung der Menfd)engeftalt, genug die Zufammenwirkung
des bewegUdien Ganzen, das fo unmittelbar die Binfchau
des Betrad>ters austdft und ihm fo unwiderftehlid> die Oe-
fahle vermittelt, mit denen der Maler feine Oefd)öpfe be-
gabt. Es ift dttrd>aus got!fd>es Erbe, das hier vorliegt, nur
In größere Naturnäbe übertragen, durd> italienifd>e Leb-
haftigkeit der Gebärdenfprad>e unterftütjt und von der
Seelenkraft des tiefempfindenden Künftlers zu dem ein-
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I
FRA ANGEUCO UNP SEINE NACHBaRN
beitlichen Pathos emporgetragen, das im flnfcbaueii diefes
Wandgemäldes noch beute fo gewaltig ergreift.
Erft in Rom, wohin ihn Papft Eugen IV (1445} berief,
ward ihm Gelegenheit geboten, ganze Kapellen mit zyklifcher
Freskomalerei zu fchmücken. Die Cappella del Sagramento, \
die noch für diefen zwei Jahre fpäter geflorbenen Verehrer !
feiner Kunft vollendet ward, ift nicbt auf un« gekommen,
wohl aber die Hauskapelle feines Nachfolgers Nikolaus
der einft Bibliotfyekar der Medici gewefen war. Hier er*
28f>lt er an den Winden die Legenden der heiligen Märtyrer
8tephanus und Laurentius, in denen er nod> mit erftann-
Ucbem Erfolg das Vorbild Mafaccios, befonders in der Kapelle
des Kardinals Branda Caftiglione in San demente, zu ver.
werteri trad^tet. Erft hier fehen wir die rineicimiiKi der
Fortfehritte zur Renaiffance auch im monumeutakn 6inne
vollzogen; aber zn dramatifchen Auftritten bieten diefe fried- ;
lid>en Heiligenleben keinen rtnlaß, und felbft den bewegteren |
Szenen des Martyriums zeigt er £id> auch je^t nod) nid>t
gewad>fen.
Was die Leiftungen für feinen nächften Nachfolger Benozzo
Oozzoli bedeuten, der ihm dabei fd>on als Gehilfe zur Seite
fland, liegt außerhalb der Betraditung, die wir uns vorge* |
fegt haben. Wohl aber ift es lehrreid>, im Verfolg unfecer
früheren Darlegung der Kompofitionsgefetie Ohibertis in den
Reliefs der leisten Bronzetfir, die 1452 enthüllt ward, nod>
einen Blick auf das Verfahren des FraFilippo be\ folcher
Wandmalerei einer ganzen Kapelle zu wciren. Seit 1456
ift er im Chor des Domes zu Piato mit der Gegenüber-
ftellung der Legende desStepbanus und des Lebens Johannes'
des Täufers befchäftigt. Sehen wir von den beiden unterften,
erft 1466 fertig gewordenen Breitbildem ab. die Mafaccios
Auferweckung des Fürftenfohnes mit der Wucht Caftagnos
zu überbieten trachten, fo ift von den oberen beiden Reihen
hervorzuheben, daß der viel jüngere Maler hier noch ebenfo,
wie Ohiberti in den oberften Relief^ der Porta del Paradifo,
mit der mittelalterlidien Gewohnheit kontinuierlicher Dar«
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FRflflNOEUCO UND SEINE W flCHBfl R N _ 69
ittUung fortfährt und nicht zur Selbltändigmdttjung eines
Einzelbildes gelangt, felbft da, wo die gotifche fird^itcktur
durch die gefchloffeiie Form des Spi&bogenfeldes foId:iem
Bedürfnis nach monumentaler Einheit im feften Rahmen
entgegenkam. Die Perfon des Heiligen wird auf einem und
demfelben Bilde wiederholt vorgeführt, und zwar in den
verfcbiedenen Altersftufen feinet Jugendzeit, oder mit ver-
fcfoiedenen Mitfpieletn zur 0ntppe verbunden, fo wie es
aud» MafoUno int Baptiftedunt von Caftigtione d'Olona um
1435 getan hatte, und gelegentUcb wie dort die Grenze der
mtdlcompofition um die Bdce eines Vorfprungs in der Mauer
oder aber die ardyitektonifcbe Grenze der Wandfl9d)e bin aus-
gedehnt. Diefe Unempfindlid>ltelt für konftntlitive Raum-
teilung ilr bei Pia Filippo um fo erftaunlicher, als er ficht-
lich von dein Krbdutn des Palazzo Medici, Mid>elozzo di
Bartolommeo, gelernt hat, feitdem er für die Hauskapelle
das Altarbild geliefert. Das Feftbalten an der Wiederoiabe
mehrerer Hreigniffe und Handlungen in dem nämlichen
Rahmen, d. h. an der Nebeneinanderftellung nacheinander
gefd)ebener Vorgänge auf einem Bilde bezeugt bei einem
fo ausgemad)ten Realiften wie Fra Filippo gewiß unzweifeU
haft, daß ibm der pragmatifd>e Zufammenfeang der Erzählung
und die voltftflndige Vorführung der entfd>eidenden Tat-
fochen, ja der gewdhnlid>en Umftände eines Lebensganges
wichtiger find als die Möglid>keit gleid>zeitigen Sehens in
einer Bildefnheit. Er fud)t die Wahrheit feiner Darftellung
nicht in der optifchen Gemeinfchaft, fondern in der Glaub-
haftigkeit der überlieferten Gefcbidbte, der gehörten oder
gcleienen, in der mehr oder minder überzeucundcn. nur ja
recht haiisbad^enen Wabrfcheinlidikeit des filUags, mit dem
das Wunderbare d^lto kraffcr in Widerfprucb tritt: denn die
Malerei hat |a die Machtvollkommenheit, dies Unerhörte ge-
nau fo leibhaftig und handgreiflich vor Hugen zu ftellen
wie das 5elbftverftändliche und ganz 6ewöhnlid>e. In fold)en
hodigelegenen Bildfldd>en, oben unter dem Gewölbe und
über der Tailhregion der drinnen auf dem FufU>oden des
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70 EM flNeSUCO UND SBlliB NflCHBlIRN
Raumes wandernden Menfchcn, kommt aber noch ein Um-
ftand hinzu, der die rein dekorative flusteilung mehrerer
Tcilbandlungen oder Figurengruppen über die Wände bin
begünftigt, - das ift die Neigung zu fchweifendem Drüber=
hinfahren oder fiuf- und ßbfteigen der Blicke, bei ftetem
Wecbfel des Standpunktes oder beliebigem Einfall» beliebigem
Verfolg oder Abbruch, beliebigem Fiusweg der Blickbabn.
Erft in der imterften Reihe, wo (ld> die motorifcfee Eitu
•
fkeltung des ganzen Kdvpeta deufUcf» meldet und die Ein«
beit des Bd>aupUi^8 aucb einen feilen Standott anweill,
bövt fold>e Freil)eit auf. Dagegen darf es bei fold>er Er-
wägung nid>t unerwflfmt bleiben, da0 in einet anftof^den,
frenid> engeren Kapelle desfelben Domes fd>on Domenico
Vencziano in gotifchen Spitjbogenfeldern wie auf red>t-
eddgem Streifen darunter i'idi durd)aus einhcitli* auf einen
Vorgang befd>ränkt bat, und zwar bei der Disputation
St. Stephans ebenfo, wie gegenüber in der Wochenftube der
hl. Hnna und dem Tempelgang der kleinen Maria, mit Bild»
niffen kniender Stifter zur Seite vorn 0- Die Wandgemälde
des Giuliano d'Arrighi, genannt Pefello, aus der Le-
gende des Stepbanus und Laurentius im Cbor zu Caftiglione
d'Olona, die fpiteftens auf 1442» Conft fd)on vor 1435 datiert
werden mfiffen, ünd befonders klar In der Sonderung der
Einselbitder, wenn aud> unten auf der großen WandlUdie
die Nad>batfGbaft der verlangten Szenen nid)t immer gfinfHg
ausfallen konnte*).
') flbbilditnqcn in meinem Artikel L'flrtc 1912.
0 Vgt Atlas zu Schmacsow, Ma£accio«Stucüen 1 und Text über CafU-
glione.
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VL
SHNDRO BOTTICELLO
Der nämliche Prozeß allmablichcr Überwindung der mittel«
alterlicben lUultrationsweife mit ihrem kontinuierlid>en
Verlauf, den wir bei Obiberti beobachtet haben, wiederholt
fid> in der Wandmalerei des Quattrocento noch fpät zu Rom in
der Sixtinifcben Kapelle» das heißt doch wohl an maßgebender
Stfltte. Hier wetteifern Pletro Perugino und 8andfo BottU
cello, Domenico 0l?lr1anda|o und Coflmo Roffeltl, su denen
fd>1leßUd>, außer Hltfekräflen, nod> Luca SlgnoreÜ! binsu-
tritt, In den Jahren 1461 - 63 bd der HusfQhrung einer ringsum
laufenden Parallete von urfprfinglkh je acbt Oemftlden aus
dem Leben des Mofes rechts und Jefu Chrifti links vom HUar
des rechteckigen Raumes, an der einen Scbmalfeite be-
ginnend. Erft im zweiten fibfd^nitt, jenfeits der Marmor-
fct) ranken, (eben wir, vor allem in Peruginos Einfet^nng des
Öchlüffelamts, die Vereinheitlichung auf einen Hanptmoment
die Oberhand gewinnen, io daß der ganze Vordergrund ihm
allein eingeräumt wird'). Der entfchiedenfte Vertreter der
florentinifchen Luft am Fabulieren ift Sandro Botticello^
der 8d>aier Fra Filit>pos, gerade der Maler» deffen einzig^
artige Begabung aud> unter unferem leitenden 0efid»tspunkt»
der OoHk In der Renaiffance, die volllte Fiufmerkfamkeit
herausfordert.
6anz befonders dMrakteriltifch für feine Ineinander«
fchiebung lauter einzelner Momente, auf einem möglichft
gemeinfamen oder doch dnrcbgebenden Schauplatj innerhalb
eines und deslelben Rahmens, ift der ihm zugefallene flb-
fchnitt aus dem Leben des Mofes, von dem Totichlag im Zorn
gegen den ägyptiid>en Ruffeher und der Flucht in die Wüfte
bis zum Auszug mit Weib und Kind aus den Wohnungen
') V0L da* Katm Uber die Sixtinif^ lUpdIc in mdiiem Mdooo
da PetQ 1886.
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I
72 SANDRO BOmCBLLO _
der ägypHfcben Priefterfcbaft. Die Begegnung mit den Tödv
fem Raguels am Brunnen, wo der Fremdling die tfifligen
Hirten vertreibt und den ziirüd<gedrängten Jungfrau^ hilft,
ihre Schafe zu trankcu, iü genau fo als Plauptitück in die
Mitte gebracht wie Gbibertis ErididfTung des Weibes im
erften Relief der Porta del Paradifo. Die vorangegangenen
Momente, die ausnabmswcife nicht Hnks, fondern rechts vom
beginnen, wie die nachfolgenden mit der Ericheinung im
feurigen Bufch, die links nach vorn auslaufen, ziehen ficf>
durch die reiche Oaienlandfchaft hinten herum, wie dort der
Sfindenfatt linlcs hinter der Erfchaffung fldama etfcbeint. -
faidelfen ift ea nicht die verftreute Austeilung aufeinander'
folgender Momente oder die gelegentlich gedrängte Zu*
(ammenpferchung einer Mehrzahl von foldien, die daa Ent*
(cheidende der Vortragsweife diefes Florentiners ausmachen^
der auch in feinem letzten Gemälde hier, mit der Beftätigung
des PrieftcranUs und der Bcftrafunc; der dagegen frevelnden
Rotte Korab, nod-» drei zeitlid> auseinanderzuhaltende Er*
eigniffe in räumlich benachbarten flbfchnitten desfelben Schau-
platjes vereinigt, wenngleich er für das Übergewicht und
die Hervorhebung des bleibenden Wertes der Hauptizene
durch die Architektur Sorge tragt.
Seine perfönliche Eigentümlichkeit liegt vielmehr in der
Oeilaltenbildung und eigentlich erft in der Bevorzugung der
tranfitorifch bewegten Figur» mit der eben |ene notwendig
zufammenhingt. Diefe Neigung, den ilüd>tigen Reiz des
Vorflbergehenden nur im Augenblick des Umfchwungs aus
einer Haltung der Oliedmafien in eine andere zu erlHifchen»
bedarf zu ihrer Befriedigung eines leichtgebauten, fein*
knochigen und gelenkigen Körpers, mit langen, fchlanken
Beinen und Armen, ebenfo länglid:>en, id)inalen Händen und
Fußen, und dazu gehört ein ähnlich geformtes Oval des
Kopfes mit lockerem Haar. Deshalb behält er nicht lange
mehr den Typus feines Lehrers Filippo bei ; deffen gedrungene^
plump zufammengeballte Bäuerinnen und Kuttenträger, mit
ihren Didcköpfen und ihren breiten, kurzfingrigen Händen»
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SflNDKO BOTTICELLO 7^
die (ich allzu häufig in baufcbigen Kleidungsftüdien ver^
bergen, - fie können ihm nicbt cntfprecbcn. Mit inftinktiver
oder al1mählid> bewußt gewordener Wahlverwandtfcbaft kehrt
er zurüdc zu den gottid>en Proportionen, die er 1>ei Fra
Angellco und Ghiberti feben konnte und aucf> bei anderen
Zeitgenoffen, von denen wir fogleld> fpred>en müCTen, in
verfcbiedenen Stufen weitergebildet fand. Im Verkehr mit
feines Meütera drafUfcber Rrt» die aucb ibrerfeits der motori«
fcben Erfcbefnung nachgebt, zuweilen der Wucht und Un-
gebärdigkeit Caftagnos huldigt, befleißigt er fich fd)Ou mit
allem Eifer, die Stellungen und Ortsbewegungen in der
8c b webe feftzubalten, wie Donatello fie feinen laufenden
Flügelkiiaben an der Orgelbaluftrade des Domes gegeben
oder wie eben Gbiberti fie fo unvergleid)lid^ im Kain beim
Totfcblag oder noch im hadernden Vorwurf des Bruder-
mörders wider Jahwe gezeigt hatte, - gar nicht zu reden
von den älteren Vierpaßreliefs mit der 0ei0elung Cbrifti
oder der Verklärung auf Tabor» wie von den fd)webenden
Engeln auf Retiquienfdireinen. Das erfte Menfcbenpaar, wie
es Lorenzo felbft und im Verein mit feinem Sobne Vittorio
gefcbaffen, ift geradezu der Kanon für Botticellos männliche
und weibliche Oeflalten geworden. Hber er wird abge-
wandelt im Sinne der flusdrucksbewegung, wie fchon Ma-
faccio am Eingang der Brancaccikapelle das gottabuliche
Urbild gebrochen hatte: in der Vertreibung aus Eden, wo
in Fingft und Zittern der Schmerz die Glieder löft. Die Ge-
lenke werden gelodtert, die Einfd^nitte betont, wie es auch
Jacopo della Quercia gewußt, und die Einknickung der Um-
ri0Unie an den entfcheidenden Stellen hervorgekehrt, um die
Kennzeichen der Beweglichkeit zu pantomimifdier Wirkung
* zu fteigem. Bei diefen Beftrebungen des Jungen Sandro
wird endlid) aud> der EinflulV des früh fd)on berfibmt ge-
wordenen Zeid>ners Rntonio del PoUaiuolo nidit gefeblt
haben, den man fiber dem Hinweis auf Hndrea del Verroc-
cbla und feinen großen Ueblingsfchüler Lionardo ganz ver-
geffen hat Die Vorlagen für Stidiereien auf Meßgewändern
74
des Baptifteriums (jct^t im Mufeo dell' Opera) mit der aus-
fübrlicben Lcbensgcfchichtc des Täufers offenbaren, unter
unferem öeficbtspunkt betrachtet, fogar einen Gefinnungs-
genoffen. Hier liegt ein ganzes Kapital des gotifd>en Erbes
vor, in den Befitz der Renaiffance übertragen, wie es in
der Tradition der 6oldfd)miedswerk(tätten, den Sd>ulen der
Zeicbnung damals mid der KompoOtionsgefege lebendig war.
In den fprecbenden, zuweiten fcbon allzu figurenreictoi
Szenen werden die Brrungenfcbaften der gotifcben Mimlli
im Oeifl des Realiamua zu eindringtid>flter Qberzeugungs-
Ittaft ausgebildet und fOx die Vermittlung der pragmatifcben
Bezüge zwifcben den mitfpielenden Perfonen oder ihrem
Zeugenkreis verwertet. Diefe Fundgrube der überlieferten
Gebärd enlpiad^c findet nocfi itTuiier nidn die gebührende
Beadnimg, die fie für die Hiitoricnmalerei (d)on deshalb
beanfprndien darf, weil fie auf die Zyklen von Fiorenzo di
Lorenzo und Perugino, wie durd> fie weiter auf Fintu-
ricd>ios Leiftungen in Rom und Siena weitergewirkt bat')*
Betrad>ten wir damad) einmal die »Primavera«, die dandro
für die Villa Medici in Caftello gemalt bat Der Einzug des
Frflblings ift von rechts in den Bildraum hereingekommen.
Nun aber hat Frau Venus die freie Mitte des Orangenhains
erreicht und Icehrt fich innehaltend, wie ihrem Gefolge ge»
bietend, nach vom, aUo dem Befchauer zu, dem damit auch
fein Standpunkt gegenüber der Vertilcalachfe des querge«
legten Red>ted<s angewiefen wird, wenn auch fühlbar da-
neben nod> das Red>t des Entlangld>reitens oder der Ver«
fd)iebung des Ortes weiter befteben bleibt. Sowie jedod> fein
Huge der lymmetrifd>en Entfaltung nad> beiden Seiten nad>-
gebt, merkt er das Übergcwidn der linken Hälfte, an deren
äußerftem Rande der jugendlid^e Kriegsgott, als Liebhaber
der Königin des Feftes, nad> der begehrenswerten FrudH
<ier Hefperiden hinauflangt. Seine faft nod> knabenhaft un«
fertige Oellalt, die mehr einem David als Sieger aber öo-
*} ld> imbe wiccterfwlt, e. B. Flirtuciobio in Rom 1882. dannif auAncvkiMt
gciiHMbt*
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SflNDRO JBOTTICEIXO 75
liatb denn dem iMacs mtfpcicbt» feffelt die Blicke zum
Ruf' und Hbfteigen neben dem legten vollmnden Stamm,
den der Rahmen nod> nid)t fitoeidet, und könnte fo die
ruhige 8id>eri>elt am Ziel gewinnen» die nid>t mehr zu
eilen nod> gierig zu greifen tnraudit Dod> gerade der
Übergang Ift offengehalten und die Stellung der 6lled*
maßen nld>t gefd>loffen worden. Aber fein rfidiwflrts aus-
ladendes Profil, nach red>ts gefpi^t, leitet weiter auf die
Breitenau sdebnung des ganzen Waldausfd^nittes, deffen
Grenze nach hinten gegen die Himmelsbläue durdi die beiden
Heiben dichtgepflanzter Orangenbäume beftinimt wird, in
deren dunklem Laub die goldnen Kugeln glüben. - Kein
Zweifel, die Giuppc der drei Grazien, auf die wir unmittel-
bar neben dem Chorfübrcr treffen, ift gerade eben im Be-
griff, ibren Tanz im Höbepunkt zu fd>Ueßen, fo daß ein
Paar, einander zugewandt, mit beiden erbobenen Hrmen
die dritte vom In die Mitte nimmt und die Hände mit ver«
fdyränkten Fingern über dem Haupt der Gefihrtln gipfeln
läßt. Es Ift nid>t der Hbfd>luß zur ßandf eften Gruppe, fondem
der Moment vor der leisten Drehung der einzelnen, der uns
erlaubt, den Rhythmus der Bewegung nod> zu erhaffd^en
und dazu anregt, ihn In Innerer HnfdMiuung fortzufef^
Das eben ift es, was der Künftler will. Und ein Vergleid>
mit antiken Skulpturwerken oder etwa mit Rafaels kleinem
Gemälde zeigt erft recht die tiefgreifende Verfd^iedenbelt
zwiid^en der ruhevollen Sd>önbeit dort und der innerlid^
ungeftillten Bewegung hier, die gegenüber der fintike wie
der vollen Renaiffance den fibkömmling der Gotik aud>
mitten im Quattrocento nod> ausweift. - Nid>t anders fteht
es mit der zweiten Hälfte der Kompofition, als deren Chor»
fOhrerln nun Aphrodite felbft auftritt. Sie ift herausgeftlegen
aus der Reihenfolge, in der fie mitten im Zuge gekommen
war und auf eine höhere 6d>welle des blumenbefftten RaCens
entfd>webt, fQr das Huge des Betrad>ters zuradcgewld>en
und dodb fo erft xedn zu ihrer fiberragenden Stelle gelangt
Der nad<te Amor in der Luft über ihrem Haupte, mit ver«
!
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7Ö SANDRO BOTTICELLO
bundenen Hugen feine Pfeile Ccbießend, betont vollends ihre
Rolle als Erweckerin neuen Llebesfehnens und verbindet
sii0leid> den zweiten Halbcbor mit dem erften. Ofme die
Oegenwart ihres lodceren Knaben wflrden wir, an0efid>ts
diefer kbXmkm aEfid>ti0en Frauengeitalt altein, gewiß ur«
teilen, (ie Icdnne nur die Vericandedn bolder Ahnung und
lieufd>er Frühlingstriume fein, die weiterer fid>tbarer Oe«
ftalten bedürfen, wenn wir fic deuten foUen. - So wird ihr
Gcrolgi: zur finnliditfii Erfd)einiui9 ibici Gcdcuikcii. Wehenden
Ccu andes, mit Blüten beftid<t, bekränzten Hauptes, frf>reitet
Flora im Tan/fd>ntt daher, um aus verborgenem Vorrat
ihre Blumen auf die Erde zu ftreuen. Unfer Blid< eilt ihr,
nadi dem Zwitd^enraum vorn, wie einem frifd>en Einlaß des
Liedes entgegen und erlebt in allen Teilen der gefd>wungenen
Haltung wie der fd)wingenden Sd>leierffotf(^ den Reiz der
Bewegung, der gerade fo als bezaubernde Augenweide dar*
geboten wird, wihrend lie, umgeliehrt gefehen, in entgegen«
gefe^er Rid>tung, atfo mit uns nad> red>ts gewendet - man
mad>e nur die Probe im Spiegel! - an der Spi^e ihres Zuges
flfid>tig an uns vorübereilen würde. Denn hinter ihr folgt
das fd>nelUle Paar: der Frfihlingswind, der feiner Geliebten
nadijagt und fic foebcn zu ergreifen, zu entführen droht.
Sie läuft wohl nodi, aber nur herein ins Hciligtuni i^rtaüter
Wunfdie, und dreht ihr flntlit) mit verblümten Worten im
Munde, gar nicht erfdncd<t zu dem bläulid>en Luftcicfe Hon
mit feinem ftürmilä^en Dratuien herum, deffen Fittict» noi^h
zwifd>en den Zweigen hängen bleibt. Diefe teilweis vom
Rahmen befdmittenen Geftalten bezeugen für den übrigen
Zug die Rid)tung feiner Herkunft und vollenden, aud> fie
in der 5d>webe feftgehalten, den Eindrudc tranfitorifd>er
Erfd>einung, die fld> zu kurzer Ra(t im kfihlen Hain be*
ruhigt, dod> aber in allen Teilen das rhythmi(d>e Wefen des
mimifchen Spieles bewahrt, - das fid) auch niemals ver«
leugnet, fo oft wir, unbeirrt der Sehgewohnheit gehord>end,
die ganze Reihe von links nad> red>ts verfolgen, die uns
entgegeadriiigt und augticignet weiden will.
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78 SflNDR O BOTTICELLO
So breitet fich das Frühlingsgedicfet, gleich einem ge«
wirkten Teppicb mit duiilclerem Grunde, in feiner befteOten
mythoXoglkkben Einkleidung, als zweiftropbiger Bau, mit
zufammenfaffendem Mittelglied aU Dominante,
vor uns aus und zeigt die nSmlid^en Kompofitionsgefetie,
die Poefie und alle Kfinlle des Mittelalters fonft erfailteiu
Dies Beifpiel entftand tu einer Zeit, wo dem jungen
Meifter die Körperbaftigkeit feiner Gebilde nach dem Ge-
totTiad< der Befteller noch befonders angelegen war, wie
das Gegenftück dazu, mit der Landung der fd^aumgeborencn
Göttin an der Infel Cytbera, nnd die vorbereitende Einzel-
figur der flnadyomene Um Berliner Mufeum) bezeugen. Dem
Vorftellungslireis humaniftifcher Literaten gehört aucb die
Wiedergabe der »Verleumdung« nad> Apelles an. Oerade
fie aber zeigt den Vollzug der Bewegimg ganz der über-
lieferten 0ewof)nbeit gemäß in der Richtung des fliblefens
von links nad> recbts; denn auf den Bindrudc des Vorwärts«
dringens in feinem elementaren Hbtauf kam hier alles an«
Sd)on der Scbauplafi» nüt der Längswand der Oerld»tsballe,
ift rhythmiücb gegliedert durch Rundbogen, die fleh ins Fteie
öffnen, und Pfeiler dazwifcben, deren Nifchen fogar mit
ötandbildern bclct)t Und. So ift alles geldieben, um die
flbfcbnitte des verhängnisvollen Weges einzeln Schritt für
Schritt dem entlanggleitenden Blidce des Betrachters zuzu-
zählen. Und daß er diefer vorgetchriebenen Richtung mit
gcfpannter flufmerkfamkeit im Nahfehen folge, wird durch
die eingehende Behandlungsweife aller Einzelheiten erreicht.
Jn haftiger Eile, die vom Eifer der verleumderifchen Anklage
•gefordert wird, ftrebt der Zug zum Tribunal, das recfyts am
Ende von Midas mit feinen Qhrenbtälem belebt iSt; - nur
die Wahrheit kommt verfpätet hinterdrein. Hlle Figuren
find hier, in dem kleineren Maßftab, von außerordenfüdb
feiner und flnnreich abgewogener Cbarakteriftik, deren Haupt»
fache durd>aus in der Phyfiognomie, der Haltung des Körpers
und der Stellung der Glieder zu ihm gegeben wird. Das
Oefe^ dei' Reibung bebeiiid)t diele Kette iebeiidigftcr fius«
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1
_ _ SflNDRO JBOTTICB LLO 79
dtudisbewegungen, unter deren übevtölpelnder Wirkung das
daf)ergefd>telfte Opfer (d>on atteln zufammenMcbt Und
ledesmat, wenn diefe niiniaturartigel>urd>filbrung der Folge»
von einem Ende bto zum andern attsgekoftet, in der enU
gegcngefe^ten Sd)tu0gruppe des Rlditers ihr unverkennbares
Ergebnis empfangen hat, dann erftaunt der le^te Qberblldc
aus größerem fibftand immer wieder vor der wühlenden
Gewalt in dem Strom des Gefchehens, den der Maler uns
vorfuhrt, aUo über die durchgehaltene Energie bei folrf>er
Fülle von Einzelheiten. Das Ganze ift demnact» ein wert-
volles Zeugnis, wie ücb im ausgelprocbenen Beitreben, ein
Werk des klafflfd>en filtertums wieder berzuftellen, das
Temperament des fpätgeborenen 0otlkers famt feiner ganzen
Kunftauffaffung offenbart
Indeffen, sold> eine mit aufgenötigter Literatenweisbeit
durd)trinkte Leifhmg gibt uns dod> nid)t den ed>ten Sandro
mit feiner Uebenswfirdigen Sdiwftrmerfeete und feiner
mircbenbaften Pbantafie. Den mfillen wir vlebnebr In ]edem
ganz geläufigen Tbema finden, das ihm von IQndbeit an ver-
traut oder im k!rd)lid>cn Leben von damals ans Herz ge-
wad>fen war. Wie grüßt uns jede 'A^crkündigung« von feiner
Hand fchon aus der Ferne! - iede, breit oder fd^mal, hod>
oder niedrig im Format, immer ein eigenes Gedicht, als an-
ziehende ?^ußerung feines mitempfindetiden Gemüts, ftudi
auf großer Hltartafel, wo ieine Kunftgenoffen id>on monumen«
taten Beftand der Körper im Raum vor allem fidierftellen»
wird bei ibm die ftummc Zwiefprach beider Wefen zu einer
tieferregten Pantomime gelteigert, deren innere Kraft und
Lebendigkeit fo intenfive Bewegungsenergie ausitrabtt, dal^
wir im Oegenfa% zu der ftarrenflrcbitektur und demfctoelden*
den Mufter des Fußbodens, ^e fie umüebllefien, gar nid>t
glauben, aud) fle ftünden (HU inmitten Ibrer 0ebärdung*
Jedes Löd<d>en, das von der Stime fleh abl5(t und hinunter-
winkt, jedes Fältd>en, jede Bogenlinie des Gewandes, bis
hinein in den ausflatternden Zipfel des Schleiers in der Luft,
fprid^t mit von der Inbrunü der Verehrung im Engel. Die
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SANDRO BOmCBLLO
würdevotte Neigung des Hauptes, mit Ueufd> und demütig
^efenKten Augenlidern* die zucOdcbattendeRückwättsdrefraiig
der am Betputt kniend Qberrafcbten, die zitternd 0€b fpreiflsen-
den Finger der nod> abwehrend vorgeftredcten H Snde^ —
alles erxäi>lt von der Selbftfiberwinditng im Geborfam der
Oottesmagd. Und dcKb gebt durcb beide Oeftalten zugleich
fcbon der einbeitUcbe Zug eines übermächtigen Zufammen»
fchhiffes, daß wir die finnlicben Zeichen für die Ge\icnwait
eines böi>eren Willens nicht vermiffen. Das üefübl einer
gewiffen Unftitiimiykeit zwifchcn der perfp^ktivifcb ftreng
l<onftruierten , aber offen gehaltenen Raumdarftellung und
dem rtarkbewegten Figucenpaar der Berliner Verkündigung
hat freilich Kenner auf die Vermutung gebracht, die flus-
führung fei nicht einheitlich dem Meifter allein beizumeüen.
Aber dies wäre Nebenfad>e gegenüber dem dauernden Byni^
ptom, das fid>er für ihn felber gilt. Wir (eben aucb fonl^
die innere Wablverwandtfcbaft zur Ootilt und die zeitgemäikn
Beftrebungen der Renaifiance fid> durcblireuzen. Nirgends
fo deuttid) wie in den zahlreid)en Ldfungen einer und der*
felben Aufgabe, die das Lieblingsthema der häuslichen An-
dacht feiner Mitbüigcr cjcüellt hat, die fitjende Madonna mit
Engeln, als Halbfiguren - oder Kiueltuck, nicht feiten in
kreisrundem Rahmen. Da wird mit den unteren üliedmaben
auch die Ortsbewegung faft vollftändig ausgefchaltet und fo,
in ruhigem Beifammenfein die befte Gelegenheit zur Aus-
bildung der plaftifchen Oruppe, als Komplex oi:0anifd>er
Körper im Raum geboten, — etwa in der Richtung, in der
Rafael mit feiner Madonna della Seggiola das Ideal der
Hod>renailfance erreicht Bei Sandro finden wir aber flatt
deffen häufig nur eine Vorgangseinbeit, mit gefd>äfliger
Tätiglieit der todier zugeordneten Begleiter, Ja nicbt leiten
ein Oeücbeben, das nur nacheinander aufgelefen werden
kann. Ein andermal erhalten wir fedoch eine rein mimifche
Gruppe, die fich allein kraft der gemeinfamen 6ebärdiing
zu einem üaazca zuiammcnfchließt imd auf lauter feelifchen
Beziehungen beruht. Im glücklichften Fall ift es ein Kom>
t
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SinipRO BOmCBLLO^ $1
^ plex von lebfmfl bewegten, )a im votlen Schwünge des Flügen*
blicks erfaßten flusdrucksträgem , deffen Gefamtumriß fich,
^' im Einklang mit dem Giotifc.f)cn Raumgefühl, in die Peripherie
^ des Kreifes bineinfd)miegt. 6ind dann aber die Geftalten,
dem Fortfd^ritt des Zeitgefd>macks gemäß, fo groß genommen,
!f- daß fic fid? felber behaupten, dann will ihre ausgreifende
Psmtomime mit dem fpontanen nusbruä> des Innenlebens
wobl die umfpannende Form des Rahmens zcrfprengen
^ (Magnificat in den Uffizien). Eine Fülle von EinbUd<en In
^ den eigenen Seelensuftand des Malen gewähren diefe
mannigfaltig abgewandelten Lüllingen, BinbUdie In die
Kampfe und Probleme des Stiles, und der 8d>lüffel liegt
immer In der Erkenntnis: wie viel Ootik lebt nod> In der
|£^ Renaiffiancel
S:' Und auf dem Welbnachtsbitde der Nationalgalerie in Lon«
Ir den: \v\c zauberhaft fd>lingen fid> Engelreihen um die Hütte
mit der jungen Mutter und dem neugeborenen Kfnde, hier
: unten durcb die fd^lid>te Landfd^aft hin, wie über dem ge.
1: brechlichen Sd^irmdcU+i droben! Sie befeelen den beidheu
f: denen finblid< des Wunders mit einer Pocfie des Husdrud<S'
j: lebens, die unmittelbar aus dem eigenen Innern des Malers
T quillt und kaum verfehlen kann, jeden flnnigen Betrad>ter
In die weld>e Rfibrung fold>er Andad^t hereinzuziehen. Wes«
iJi halb fönten wir von fo reinen 8d>öpfungen Sandros nid>t
jl: dasfelbe fagen, was Burdibardt för die Fra Hngelicos be-
jji* zeugt hat?
,a Nehmen wir dazu nod) die Federzeld>nungen zu Dantes
: Dld>tung, die unferen Binblidi in dIefe Kfinftlerfeele fo über*
rafd)end bereid>ert haben, dann offenbart fich erft red»t
hinter dem vielbegehtten Meifter, der nad^ handwerklid)er
Denkart feiner Zeit bei feinen Rufträqeu ungefd^cut aud^
^. Gehilfen mit befd)ättigt bat, fo daß u ir dci anyeblid>en
jjf Doppelgänger wie der unbeimlid>en Rb^nd^er hinter feinem
Rüdcen fügtid) entraten können, - abieits von dem felbftver-
ftändüd)en Tribut an den Zeitgefd>mad( der Befteller und
^ von der eigenen Befangenheit in realiftifd>en Beftrebungen
Sdimariow, Ootfk fn der Renaiffiuioc^ ^ 6
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62
FIUPPINO UPPJ
der Kfinllleffcbaft, in die er Mneingeboren ward» dann
voUend» ein wablverwandtec RbkÖmmling der Ootik In-
mitten der Renailfance, und mit fo fiberseugender Bekenntnis-
treue, da0 aller Zweifel wider das Fortleben des Trecento
im danmllgen Florenz verftummen mu0.
Wie ein jüngerer Bruder diefes Sandro BotHcello, und
nicht als Sobn des Fra Filippo, dev ii7n gezeugt hat, er-
fcbeint der Sohn der Nonne, Filippino Lippi, der bis an
die Sd^wcllc der hocbrenaiffauce gelangt ift. Seine Jugend.
entwid<lnng muß nocf> von feiner als bis jet^t zngef(+>ärfter
Kritik aus Verwecbflungen mit feinem Vater oder nocfo mehr
mit delien lang|äbrigem0ebitfen und Nad)folger Fra Diamante,
ganz befonders aber mit feinem einftigen fiteliergenoffen
Sandro j>erausgefd>au werden. Uberblidct man iedod> (eine
bekannte KfiniHerlaufbahn und die Rid>tung feines 8dMififens
im Verglefd» mit den Zeitgenolfen* fo ift es, nacb dem an*
erkennenswerten Beftreben, den unvollendet gebliebenen
Kompofitionenfllafaccios in der Brancaccikapelle ihren fertig
gemalten fIbfcbHtß zu geben, durd>weg, tro^ alter antiquari«
leben Bcfliffcnbeit, ficb Einkleidung und Beiwerk des römifchen
Altertums anzueignen, gerade diefer fcbneilteitige Nacbköinm-
ling in der zweiten Generation feines Jabrbunderts , der
ganz befremdende Züge verrät. Im letzten Grunde ift es
der Geift des gotifdien Bewegungsdranges, der feiner eigenen
Zeit entgegengefe^te und desbalb notwendig der Entartung
verfallende, mitfamt dem fpätgotifd>en Bdiwulft der Gewän-
der, der ibn völlig bel>errfci>t. Davon zeugen feine groikn
Freskenzyklen, zu Rom in der Minerva (um 1469), zu Florenz
in Santa Maria Novella (bis 1502) am ftflrkften» fo beniiAe
Elnzelleiftungen ibm dazwifd>en nod> gelungen find. Wer
feiner unzweifelbaft genialen Begabung gered»! werden will,
darf fidi durd> jene gewaltfamen Hnftrengungen, zu denen
aud) die - feine Vorbilder übertrumpfende — Anbetung der
Könige von 1496 (Uffizicn) gehört, nid)t tauld^en laffen, fon-
dern muß dem gleidi empfindenden, ja begeifterten Jünger
Botticellos nad>0eben, deffen frühe Madonnen und Ver-
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UONHRDO DH VINCI
tcündigiingen nicht umfonft als dgcnfte Schöpfungen feines
Ideals fclbev hinge liommen werden. Zablrcid^c Zcid^nungen,
anerkannte und unerkannte, ermöglidun uns, ihm in leine
Entwürfe und Studien hinein zu folgen. In ihnen allen
lebt, wie in ausgeführten Werken mehr als man denkt, dris
Erbe der gotifd)en Kunft, faft fo unverkennbar wie in
Sandros Dante • Illuftration oder Paffionsbildern (Mailand,
Poldi Pezzoli, und München, Pinakothek). So wird es aucb
hier fortgeleitet bis an die 6eburtsftunde des Cinquecento
im Wettftreit Michelangelos mit Lionardo.
Daß auch Lionardo auf unfere Frage hin unterfucht
werden milßte, wie weit auch er von der Ootilc abhängig ge«
wefen oder irgendwie mitbeftimmt worden fei, verlieht fich
von fetbft. Und wer femals die Verwandtfchaft zwifchen ihm
und Bottfccllo gefühlt und nad> einer Erklärung gefud>t hat,
wird dielen üel"id>tspunkt jetjt ganz natürlich finden. Hier
jedod) mag ein Hinweis auf die unvollendet gelaffene Riu
betung der Köniqe genücien, da fonft außerordentlid^ viel
Belege als nnfd)aiuingsniaterial für den Lefer erfordcrlidi
würden. Nur der Kürze halber ift fd^on darauf verzid)tet
worden, noch Bildhauer wie flgoftino d'Hntonio di Duccio
und Defiderio da Öettignano zu berüd<ficbtigen oder Dona-
tellos Erf a^mann bei den Kanzeln in San Lorenzo, Bertoldo
di 0iovamii> herbeizuziehen» deffen Relieflcunft mit Unrecht
ffir ausfchließtich Itlafflfch gefonnen gilt. Mui&ten doch die
ftitiftifche Prüfung der Einzelheiten nach rein formaler Seite,
der Gewandung z. B. und ihrer Faltenmotive, wie der Nach-
weis got!fcf>er Rhythmik felbft bei antikifch gemeinten Dar-
ftellungen, überhaupt vermieden werden, wo diefelben nur
mit Hilfe anfd)aulidien Vergleid)cs möglid> waren.
Was hier verludet werden follte, war eine Stid^probe,
die üd> auf das Quattrocento in Florenz und feinen zuge-
hörigen Wirkungskreis befdiränkt, weil man Wer unferen
Oefichtspunkt am allerwenigften erwartet. Nun darf dem
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SiBNfl - OBBRimUEN
fruchtbaren Gedanken felbft überlaffen werden, weiter zu
u'irkcn. Für die ganze Kuufrgi.id)id)te Sienas im fünfzelinten
Jabibimdert wird fid> t^ine völlig andere Beurteilung er-
geben, lowie mau He nid>t mehr von vornherein unter einem
vorgefaßten Begriff des fertigen Renaiffanceftiles anfiebt und
nid^t immer mit Florenz in Vergleid> ftellt, fondern fie als
aUmäblicben Übergang aus dem Trecento, mit feinem eigenen
Reicfotum, zu verfteben fucbt. Vollends entfcheidcnd wirkt
aber eine (olcfoe Polvetflndening för die fluffaffung und Eitu
Ordnung der Kunft OberitaUeits. In diefem Nad>barlande
der nipen muBte dod> fd)on das ftarke Qbergewicht des ger-
manifd>en Elements leiner Bevölkerung, das }a frelUcb in
Toskana keineswegs zurflditritt, ein ganz anderes Verhatten
In feinem Kunftwollen mit fidi bringen. Der Fortbeftand
der Gotik dmdh die ganze ci itc Hälfte des Jabihundcrts ift
die cntirf>eidende Tatlacbe, von dci wir auszugehen haben.
In Venedig ift die Eigenart feiner Renaiffancc überhaupt
nid>t cid)tig zu erkennen ohne Rüd^blidi auf die Organifation
der Ootik, die fid) z. B. aud) auf die Faffaden der Paläfte
wie der Kirchen erftred<t. Für jene »entwidielt der gotifche
Stil gerade jetjt ein ked<es Prad>tmotiv«: in der Mitte der
Front drängt fid> eine Reihe von öpi^bogenarkaden mit
Vierpaßrofetten darüber zu einer Loggia zuCammen» mit der
die ebenfo fiberhöhten Fcnfter auf beiden Seiten vortreff*
lid> kontraftleren. Und dlefe Feniter find paarig verteilt;
die Loggia b^fteht nad> gotifd>emHau8gefe& aus einer geraden
Zahl von Öffnungen, alfo vier, fechs bis zu acht nebenein>
ander. Und die Säule, die fo auf die Mitte treffen muß,
erhält dod7 kijinen riniprud), üch zur Dominante aufzuwerfen,
weil alle anderen gleid> gebildet lind. Für den vorüber-
geruderten Befdnmer in der Gondel gilt nur die tranütorilcbe
Bewegung als nidl3>gebend, der es nid>t einmal auf die Sym-
metrie der Hälften ankommt (vgl. Ca d'oro). Der Traktat
des fintonio fiverlino, der fid> Filarete nennt, bietet durch
feine Zcid>nungen lehrreichen Auffchluß, wie es mit dem
Stilgefühl in der flrd)itektur nod> um die Mitte des Jahr«
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RENfUSSflNCE UND OOTIK
65
lmndert6 beftelH war. Et baut feit 1456 am ,0to0en Hofpital
in Mailand ein Etdgefdiofi mit 90tifd)en Fenftem, wenn auch
antikifd)em Detail, und feit 1465 kel)rt fein Nacbfolger, Ouini-
fdrte 5o1ari. im erften Stodt wie aud» am Flügel längs dem
NavigHo durchaus zur Gotik zurück. In Bologna ftebt es
njd>t diideis als in der qanzen Lombardei. Von dieler Er»
kenntnis aus follte Burckbardts berühmtes Buch über die
Renaiffancc in Italien, das keine Gefd)idne, fondern eine
fvftematifche ßehandluncj dos Stils ift, vielmehr in eine gou =
ti[cb'hiftorifche Darftellung umgeie^t werden, damit wir eine
£ntrtefningsgefchid7te der Renaiffance aus der Gotik erhalten;
denn dies ift das Problem des Hiftorikers, der mit den
gtdideren Zufammenbingen der Völker dea Abendlandes
Ted>net, die bis dabin eine gemeinfame Kultur verband.
RENAISSANCE UND 60T1K
Damit kommen wir zurück zu dciu Punkt, von dem wir
ausgegangen find, und können nun, auf Grund unfcicr Be-
tradTtungen, klärend zur Wefensbettiininung der Kenaiifancc
beitragen. Wir verfuchen es, möglichft mit dem vorgefun-
denen Wortlaut, die verftreuten Bemerkungen im Cicerone
zufammenzuftellen und in logifcher Verknüpfung darzubieten.
Als wid>tigften, für alle Einzelkünfte gültigen Hauptfa^ bringen
wir an den erften Pla^ die Einfidit: »Es konnte gar nid>t
im Oeift einer mit fo unerme0tid>en Kräften vorwärts ftreben-
den Kunft liegen, fid> irgend ein Ideal von auiSen anzueignen.«
Damit ift die alte Hnfidit von der Nad>abmung klafüfdier
Vorbilder oder gar der Wiederbringung der ganzen üntike
gefallen. Selbft wenn bumaniftifcben Literaten oder einzelnen
von ihnen beeinflußten Künftlem fo etwas vorgcf*webt bat,
Co darf der Hiltot ilvL i nicht kritiklos wiederholen, was doch
nur eine Selbfttäuid>ung fein konnte.
Die Baumeifter »verlangten vom PiUcrtum nur eine Hus-
drud<sv^'cife im Einzelnen, indem fic die antiken Dctailfornien
Wieder aufnahmen. Die Hauptfache brachten üe felbit mit:
RENHISSRNCE UND OOTIK
In den eigenen» von ihnen gefcbaffenen Kompofitlonent und
dies war das eigentüni1id>e Uatlenifcbe RaumgefQht, die Erb«
fcbaft der Gotik, welche die Renaiffance übernahm und gar
wohl zu vvLudigen wußte«. Wer aber Raumgebilde zu
fd)afFen trachtet, wie fie den flutgaben feiner Gegenwart
cntfprcchcn, der betätigt zmiäcbft, mit den erlernten Mitteln
der Konltruktion, einen cicmnden Realismus« fo gut bei dem
technifchen Problcni einer Domkuppel wie beim Bau menfch-
lieber Wohnungen. Darüber erft erheben iid> die idealen
Anliegen, fo beim Palaft wie bei der Kirche.
Realismus ift aucb das Neue, das die dacftellenden Künlle
betätigen. Mit voller Liebe und Hingebung find fie der
Gottes weit auf Erden zugewandt 0* »Behandlung, Zeid>nung
und Modellierung find Itaum irgendwie vom Ättertum be-
rührt.« Wenn aber die Antilie iceinen Teil daran bat, fo ift
dofb weiter snt fragen: woher (lammen fie denn? Und die
Antwort kann nur lauten: aus der Gotik; es ift italienifches
Trccento oder ft:anzöfifch-dcurfci)er Einfehlay in ibteui ipat^
gotifchen Stadium die Giuudlagc.
'►Die frild^e moderne fiuffaffung,« beißt es dann weiter,
»ift es vor allem, was in den Werken des Quattrocento lo
unmittelbar und tief ergreift.« Hier aber ift Gefahr, daß wir
moderne Menfchen uns einer Selbfttäufchung hingeben, die
vor der hiftorifchen Bedingtheit der damaligen Menfdsen
dod> nid>t beftehen kann. Jener Realismus» in (einer frommen
und lceufd>en Oefinnung, verträgt fi<h aud> anerkanntermaßen
eine gute Weile mit der Ootlk, die in Frankreich, Peutfd>«
land und England unter feinem Einfiufi allmihlid^en Wandel
an fid> erfahren hat. Es ift fiberatt In der gemeinfamen
Kultur ein Umfdywung in den Ideen der Menfd>engeneriMon
der innere Beweggrund folcher Verfchiebung vom Typifcfoen
') Die abfolutc Eingefdiloffcnbcit aller Dincjc in Gott bringt es mit
ikf), daß das Einzelne nid)ts Individuelles für rid> iü; fic flnd alle eines
Wefens. Erft durd> das Gefebeben werden die Dinge in ibrer Mannig-
faltigkeit; abec fie bleiben, ihrer Wurzel v^e ibrer Subftanx tuub, gdtb
lidten Wefen«. 6ott fliefit in alle Kreaturen aus, und darum ift altes Oe>
CdMfFene 6ott. (Bdtebart.)
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AENHISSANCE UND GOTIK S7
. — M
zum Individuellen birtübcr, Damit ift aud) der rein forma«
liftifd>en Erklärung des Stiles aufgetagt,
»Der evite Gedanke der neuen Kunft ift allbezeichnende
Deutlid)keit«, und deshalb fud>t fie »der menfd)lid)en Geftalt
all ihre Erfd^einungsweifen abzugewinnen«. »Der /iugen-
fcbein lebtt, daß jedev Fortfcbritt mit unermüdlid>er ^n-
ftrengung der Natur abgetunden wurde.« Dafi dabei antike
Skulpturen als willkommene Vorbilder gedient, anregend
gewirkt haben» die Augen su öffnen tmd den Weg zur
Wiedergabe zu weifen, bezeugt ihre Rolle als Mittet zum
Zwedc, aber aud» nid>t mehr. Schon die Darlteltung der
menfd>lid>en Oeftalt aber, nun in ihrer voltrunden Körper«
lid>keit, fiatuarifd) oder im tflufd>enden Hugenichein auf
der Fläd)C, dazu der Tiere, Bäume, Felsblöd<e als dreidimen-
fionalcr Dinge, war eine neue grundlegende Aufgabe des
Realismus von cntfdicidender Bedeutung. Denn fie führt
notwendig weiter zur Wiedergabe des umgebenden Raumes,
in dem die Körper find. Das »Rbbild der wirklid>en Welt«
auf der Wand oder der Tafel ift nid)t fertig ohne die Per-
spektive, deren Oete^e und Hilfsmittel das eine Künftler«
gefd>led)t nad> dem anderen zu erobern trad>tet. 3elbft die
Relielkunft nimmt den Wetteifer auf mit der Malerei, von
der fie fid> gar nicht anders als technifch gefchieden weiß,
und verwidcelt fich in den Zwiefpalt zwifchen Raumtiefe und
Flgurenkompofition, der bald zugunften der einen, bald der
a ndere n ausschlagen muß.
Die Forderung der Deutlichkeit crftreckt ficb dann vom
Einzelnen auf den Zulammenhang zwifdicn den daugeltelUen
Objekten, auf die Beziehungen zwifd^cn den Perfonen vor
allem, die das Hauptanliegen der üotik gewefen, und auf
den Vorgang zwifdien ihnen, den urfäd^lichcn Znfammcn-
hang des Gefd>ebens, den motivierten der Handlung. So
gilt es, »das bisherige Syftem des üusdrudis, der Gebärden,
der Gewandungen« durch immer eingehendere und genauere
Beobachtungen zu der »reichen Lebenswaf>rheit zu fteigem,
die ffir Jeden einzelnen Fall eine befondere Sprache redet«.
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RENAJÖSANCE UNO 60T1K
Der überlieferte Scha^ des Kunftvermögens der Gotik hat
ficb tnzwifchen vieUcitiger und durchgebildeter erwiefen, als
man Ihn früher vermutet hatte. Ihr Eigentum ift vor attem
die allgemein menfchlicbe und deshalb unmittelbar verfiind-
Ucbe Oebärdenfprache, das Oefamtgeblet der Husdrudcs-
bewegungen oder der Mimik, das den Halienem von Jeher
2uftatten kam. Ihr Eigentum ift unleugbar auch die Schön«
beit, deren fie zur Ldiüng ihrer idealen Aufgaben bedurfte.
Und auch das Quattrocento lebt fa noch zum größten Teil
von denfelben DarftcUungskreifen, der bibliidocn Oefcbicbten
und Lccjenden, bis zu diin legten Ocdensftiftern Franz und
Dominik. Es kommt nur immer von neuem darauf an,
diele Didr)tungen der näheren oder ferneren Vergangenheit
in lebendige Wirkfamkeit für die Gegenwart zu übertragen,
und dazu half die naive Unbefangenheit und fröhliche Da-
feinsluft feit den Tagen Boccaccios am meiften. »Die Schdn«
heit, bisher als hotMtes Attribut des Heiligen erftrebt und
auch oft gefunden» - wird nun eine neugeborene (innliche
Schönheit, die ihren Anteil am kdifchen und Wirklichen tm^
verkürzt haben muß, weil fie fonft in der neuen Kunllwelt
keine Stelle fände.«
Soweit kommen wir mit Burdchardt. Hber der Realis-
mus des Quattrocento drängt weiter: fein Wirklichkeitsfinn
und feine Wahrheitsliebe fci^euen bald nicht mehr vor Häß-
lichkeit zurück; wir brauchen nur an Donatello und Caftagno
oder an Fra Filippo und Baldovinetti zu erinnern. Doch
aud) lonft läßt die erhaltene RnsUnnft nnferem Erklärungs-
bedürfnis wohl zu wünid^en übrig. Denn fowie wir die erfte
Frage wieder ftellen, was nach alledem nun als Wefen der
Renaiifance feftzuhalten fei, Co bleibt doch nur der Realismus
als die treibende Kraft des neuen Oeiftes beftehen. Das
wäre immerhin ein Ver|üngungsprozeß, deffen folgerichtiger
Fortfd>ritt aud> die Beibelwltung des franzöfifchen Namens
rechtfertigen kdnnte. Frfifyrenaiifance wäre dann die Atts-
einanderfe^ung mit der Ootik» die allmähliche Abkehr von
Ihrem Idealismus und ihrem Schönheitsideal, wie ihrer über-
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RBNHISSfINCB UND GOTIK
99
kommenen Fonnenfptacbe, Ihrer Oewandbebtmdlung wie
Ibter fintktiven Dekoration. Und der Sieg der Rid)tiing
aitf Wirklicfokeltstreue und individuene CfearakterifUk mflßte
das Entfcbcidendc fein.
Wie ftebt es jedoch dann mit der Hod)renaiffance, unter
der wir doch Jedenfalls die bobe Zeit des neuen Stiles
meinen, oder räumtid^ angefd^aut, die durch mübfanien Pin-
itieg erreid)te Höbe, mag diefe fid^ als breite Bergplatte oder
als fd)maler Gipfel erweifen. Sollen wir unter diefer Vor-
zugsbezeidinung nid>t die Vollendung des Stiles begreifen,
die zur Qbereinftimmung mit fld> felbft gediehene Klarheit
und Sid>erheit feines Kunftprinzips? Wie lUmmt das zu
der unausweld>lid>en Folgerung, die Hodyrenaiflance fei der
widerfprud>8lofe Realismus, das einbeitlldi durd>geßlhfte
Abbild diefer irdifd>en Welt und ihrer Oefdiöpfe, wie fie
find, ntft all ihren Unvollkommenheiten, Einfeltlgkeiten, Hi6-
lid>keiten, die fold>er Kunft fQr wertvoll gelten, weil fie wirk-
lid) find. Niemand wird das beim Namen des italienifd)en
Cinquecento .fich vovftellen. Im üegeiUeil, es veird von Rüdi-
kebr zum Idealismus, zur Sd)önbeit, wenn auch nun einer
finnlid^en, 9e(prod>en. Ja, es koTTimt im Cicerone ein Öeiten-
bieb vor, wo außer dem veralloicmeinernden Streben aud>
das bewußte fintikifieren der Hod>renaiffance vermerkt wird.
Da muß denn doch etwas Anderes vorbanden fein, was als
gemeinfames Wefen der Früh- und Hod>renaiffance dutd>»
verfolgt werden kann^. Hat nuin es bei der Red>enfdiaft
nur vergeffen, etwa well es fo ganz felbftverftftndlid> erfd>ien?
Wir wollen verfud)en, es aus der Ootik felber zu ge«
') VgU ScfemaiMW, Batode und Rokoko, Ldpxlg 1697, S. 36: •Wichtiger
nod> eiicfyeint die Erkenntnis, daß der entwidielte Stil, den wir ,Hocli-
renalffance' beißen, feinem innerften Wefen nach nicfit fowobl auf einer
glücklifben Nact»abmung der Antike beruht, fondem vielmehr auf einer
glücklichen Vereinigung des mittelalterUdl^en und des antiken Kunftideals.
und zwar im dinne eines Neuen« das Imtturgcfthicfellicb nur als die Wieder^
geburt des ganzen Menfd)en m batmonifcher Entwid<lung feiner Anlagen,
zu glücklicbftem Zufammenwitken feiner pf)yflrd>en und pfycf>i(d>en KtBfte
1>ezekfonet werden darf.«
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I
I
I
90 RENAISSANCE UNO OOTIK
Winnen; denn es muß doch ihr Gegenpol gewefen iein, auf
den der Wandel der menfä^lid^en Generationen binübet«
drängt. Und diefer war Natumacbabmuno nicbt
Die Gotik gibt ibr Raumgebilde ganz und gar wie im
Werden begriffen. Sie reebnet mit dem lebendigen Menfcbcn
darin, mit feinem Gange durcb die ftropbifdi gegliederte
Wandelbabn, mit dem fd>weifenden Btidc durd> den Taft«
räum unten und den Sebraum droben» bis binauf in das
m]mifd)e Gebaren der fteinemen Rippen, des Stab- und
Maßwerks der Fenfter im farbigen Dämmerfd>ein unter der
Wölbung. Deshalb hat man, nur allzu fchnell, die Formel gc»
prägt: »die 6otil< ift lauter Bewegung«. Aber feit der zweiten
Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts, nachdem die fyfte-
matifche Durchbildung des Stiles in Frankreid^ und den
Nad>barländern vollendet war, fängt die madjtvolle Rhythmik
des Raumgebildes an, üdh zu beruhigen. Unter dem Ein«
fluß der optifd>en Auffaffung wird die Hegemonie der mo-
torifd>en Hnteilnabme gemißigt, inmitten des bisi>erigen
Bewegungszuges Gelegenbeit zum Stillftand der Sd>au ein«
gefd>altet und der Vollzug des Ganzen verlangfamt. Die
italienifd>e Spätgotik vereinftuibt und vergrößert den Stropbetv
bau und gelangt zur Weitcftumigkelt, in der die Herein«
ziebung des menfd>lid>en Subjekts, unter Vorberrfd>aft des
Scbauens, fid> wefentlid> verändert, flm Ende des Quattro-
cento fteht die Raiiincinhcit in ihrer lubigen Gefct3licbkcit
dem Befudjcr als obiokriv geciebener Beftand gegcniiber
und umfchließt ihn mit der bid'icrheit des Seins in leiiieni
Stillltand. Bramante und Lionardo haben die Gotik auf-
gehoben in die Renaiffance. Die rhythmifd)e irav^e wird
In den Zentralbau bineingenommen (Sankt Peter), die mi-
mifd>e fluffObrung aus lauter Husdrudisbewegungen in
der Bildanfd>auung eines einzigen Momentes ausgebreitet
(nbendmabl):
Die Vertreter des Bewegungsdranges unter den italie«
ni(d>en Bildnern und Malern des ffinfsebuten Jabrbunderts
(wie Botticello) find allefamt nad>geborene Söbne der Gotik
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91
oder vom Flusklang des motorifd>cn Bedürfniffcs durd)-
driingen. Selbft die Lcidenfd:>aft , mit der die Perfpektive
ergriffen wird, ift ein Symptom: es ift nur ein anderer Öpiel-
raum für die gewohnte Rhythmik des flusdruckslebens, und
der Zug in die Tiefe löft alle Beftandtcile der Raumeinheit
wieder ins Werden auf. Der echte Sohn der neuen Zeit
lernt den feften Standpunkt vor feinem Oegenftand inne-
halten und gewöhnt Üdb im eifrigen Fibkonterfeien feines
Modells an den eigenen ötilUtand. Es ift die pta(tifd>€, auf
das ful»ftantien Hnfchauttd>e gerichtete Sinnesaft, die wieder
die Oberhand gewinnt, nicht mehr die Seele als ehizigen
Wert anerkennt, fondem den Leib. Die Einordnung des
gezeichneten Körpers in den dreldimenflonalen Raum zwingt
ihn zur ftereometrilchen Sicherung des Koordinatenfyftems.
Sein Raum muß kriftallinifche Klarheit und Unverrödtbarkeit
feiner Plc+>fen befitjen, wie die Zcntialpertpektive ihn kon-
ftruiert. Diele Kealiften fud)en alle nid)t mehr das zeitlid>e
0efrf)ehen, fondern den räumlid>en Bcftand, nicht mehr Be^
wegung, fondern Beharninci, felbft im Fefthalten des plalti-
fchen Motivs. Das b o d c )\ it a n d i g e Da fein des Men»
fcfoen auf diefer Erde ift das le^te Hbfehen der
Renaiffance und verbindet als Gemeinfames die
Entwidtlungsphafen des Stiles, wie es ihre Welt*
anfchauung von der des Mittelalters unterfd>eidet.
INHHLT
Seite
OoHk in der Renaiffance I
1. fihibgrti und Brungllescfei . , . . . . , , , , ; ; : : : 5
II. Gotifche Baukunft 14
m. Brunellescbi's Kirchen 27
IV. Porta del Paradifo 40
V. Fra flnfleltco und feine Nachbarn 54
VI. Sandra Botticello 71
Rgnaiffance und Gotik 35
a
Terlag TOn FERDINAND ENKE in Stuttgart.
Prof. Dr. E. Holländer, Berlin;
Die Karikatur und Satire in der Medizin.
Mediko-kunsthistorische Studie.
Zweite Auflage. Mit U farbigen Tafeln und 251 Abbildungen im Text
Hoch-Quart. 1920. kart. M. 160.-; fein geb. M. 170.—
Die Medizin in der klassischen Malerei.
Zweite Auflage. Mit 272 in den Text gedruckten Abbildungen.
Hoch-Quart 191X kart M. 4a—; fein geb. M. 46.—
Plastik und Medizin.
Mit 1 Tafel und 433 Abbildungen im Text.
Hoch-Quart 1912. kart. M. 40=; fein geb. M. 4fi^
Duval's
Grundriß der Anatomie ffir Kunstler.
Deutsche Bearbeitung von Prof. Dr. Emst Oaupp.
FOnfte Auflage. Mit 4 Tafel- und 106 Textabbildungen,
gr. Sü. 1919. geh. M. 16 — ; in Halbleinw. geb. M. 13^
I Plastische Anatomie des Menschen
für Künstler und Kunstschüler.
Von Prof. L. Heupel-Slegen.
Mit 199 teils farbigen Zeichnungen auf Si Tafeln von Paul Mather, Dfissel-
dorf, und S Aktstudien. Lex. 8". 1913. geh. M. 18.— ; in Leinw. geb. M. 25^
Der Gesichtsausdruck des Menschen.
Von Prof. Dr. med. tL Krukenberg, Elberfeld.
Zweite, neubearbeitete und vermehrte Auflage.
Mit 259 Textabbildungen meist nach Originalzeichnungen und photographischen
Aufnahmen des Verfassers. Lex. 8». 1920. geh, M. 28^; geb. M. 35.=
Prof. Dr. tL Seil heim;
Das Geheimnis vom Ewig-Weiblichen.
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Mit 1 farbigen Bilde von A. L. Ratzka. Lex. 8'. 191 1. geh. M. 2.=
Die Reize der Frau und ihre Bedeutung
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pflege in den Kolonien« in Stuttgart gehaltenen öffentlichen Vortrag.
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Die Rassenschönheit des Weibes»
Mit 379 Textabbildungen und 3 Tafeln.
Lex. 8«. 1920. Oebeftet M. 100.—; fein gebunden M. 11&<-
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Vierte Auflngfe
Mit 269 Textabbild untren und einer farbigen Tafel.
Lex,8^ 1920. Oeheilet M. 21.— ; gebunden M. 28.—
Die Körperformen in Kunst und Leben der Jspiiner*
Mil 112 in den Text gedrudcten Abbildungen und 4 fnli|gCB Ttfete.
Lex. 8*. 1919. Geheftet M. 12.—; gebunden M.21—
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Dnak 4tr ÜbIq« O»mti0ks T«i]aiig«MU«oliaft h jtattgMrt.
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